Ethik, Recht und Politik der postmortalen Organtransplantation: Ein Beitrag zur Novellierung des Transplantationsrechts [1 ed.] 9783428554669, 9783428154661

Die Organtransplantation unterscheidet sich erheblich von konventionellen Heilbehandlungen, da das duale Arzt-Patienten-

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 9783428554669, 9783428154661

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Schriften zum Gesundheitsrecht Band 51

Ethik, Recht und Politik der postmortalen Organtransplantation Ein Beitrag zur Novellierung des Transplantationsrechts Von Yvonne Neuefeind

Duncker & Humblot · Berlin

YVONNE NEUEFEIND

Ethik, Recht und Politik der postmortalen Organtransplantation

Schriften zum Gesundheitsrecht Band 51 Herausgegeben von Professor Dr. Helge Sodan, Freie Universität Berlin, Direktor des Deutschen Instituts für Gesundheitsrecht (DIGR) Präsident des Verfassungsgerichtshofes des Landes Berlin a.D.

Ethik, Recht und Politik der postmortalen Organtransplantation Ein Beitrag zur Novellierung des Transplantationsrechts

Von

Yvonne Neuefeind

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn hat diese Arbeit im Jahr 2017 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2018 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: CPI buch.bücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 1614-1385 ISBN 978-3-428-15466-1 (Print) ISBN 978-3-428-55466-9 (E-Book) ISBN 978-3-428-85466-0 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

In tiefer Liebe und Dankbarkeit meinem Großvater

Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde im Sommersemester 2017 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Dissertation angenommen. Für die Drucklegung wurden Normgebung, Rechtsprechung und Literatur bis einschließlich Januar 2016 berücksichtigt. Anschließende Entwicklungen und spätere gerichtliche Entscheidungen oder Publikationen konnten nur noch vereinzelt Beachtung finden. Es ist das Anliegen dieser Arbeit, einen Beitrag zur Lösung medizinethischer und rechtlicher Fragestellungen im Bereich des postmortalen Transplantationswesens aus rechtswissenschaftlicher Perspektive zu leisten. Die Transplantationsmedizin demonstriert eindrucksvoll die intrikaten Probleme der neuen lebenswissenschaftlichen Herausforderungen der Moderne. Sie belegt, dass der medizinische Fortschritt ohne Regulierung durch das Recht nur begrenzt wertvoll ist. Das Recht wiederum stünde im Bereich bioethischer Entwicklung ohne den Rückgriff auf moralphilosophische Grundlagen auf verlorenem Posten, will es nicht nur Rechtssicherheit, sondern zugleich ein möglichst hohes Maß an Gerechtigkeit garantieren. Aus diesem Grund legt diese Untersuchung den rechtlichen Würdigungen eine Auseinandersetzung mit ethischen Vorfragen zugrunde. Zur umfassenden Begutachtung ist schließlich auch ein Blick auf die tatsächliche Umsetzung ethischer und rechtlicher „Ideale“ erforderlich. Hierbei findet insbesondere das politische Engagement im Bereich des Transplantationssektors Beachtung. Die Evaluation der bisherigen politischen Auseinandersetzungen versteht sich als Anstoß zu grundlegenden Veränderungen in der Handlungsmaxime der verantwort­ lichen parlamentarischen Akteure, die ihre Möglichkeiten zur Lösung elementarer medizinethischer Problemstellungen zu oft nicht voll ausschöpfen. Mein erster Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Klaus Ferdinand Gärditz, der mich über das gesamte Promotionsprojekt überaus wohlwollend gefördert hat. Seiner vorbehaltslosen und nachdrücklichen Unterstützung verdanke ich zu weiten Teilen die Aufnahme in die Promotionsförderung des Cusanuswerks, bei dem ich mich für die großzügige ideelle und finanzielle Förderung bedanken möchte. Ein herzlicher Dank ist zudem an Herrn Professor Dr. Christian Hillgruber für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens und die Begutachtung des Dissertationsprojekts für die Aufnahme in das Cusanuswerk gerichtet.

8 Vorwort

Für die gewissenhafte sowie unverzichtbare Korrektur und Kritik des Manuskripts danke ich meinem guten Freund Peter Zickenheiner ganz herzlich. Zutiefst dankbar bin ich nicht zuletzt über den fortwährenden Rückhalt der lieben Menschen in meinem Umfeld, die mir täglich aufs Neue Ansporn waren, mein Projekt zielstrebig zu verfolgen. Besonders bedanken möchte ich mich an dieser Stelle bei Martin für ein jederzeit offenes Ohr sowie zahlreiche praktische Anmerkungen, die für mich und die Arbeit sehr wertvoll waren. Mein Dank gilt ebenso meinen beiden langjährigen Freundinnen, Maria und Stefanie, die durch ihre aufrichtige Begleitung eine unersetzliche Bereicherung für mich sind. Mein größter Dank gilt schließlich meiner lieben Familie, die mich auf meinem gesamten Werdegang liebe- und verständnisvoll begleitet hat. Sie war in den entscheidenden Momenten meines Lebens durch ihre bedingungslose Liebe meine wichtigste Stütze. Ihr seien daher ein paar persönliche Worte gewidmet. Ein herausragendes Dankeschön möchte ich meiner Mutter, Ria, aussprechen. Durch ihr Talent, im Leben dasjenige zu würdigen, was wirklich Bedeutung hat, war sie mir nicht nur Mutter, sondern Freundin und Vorbild zugleich. Es ist mir zudem ein Anliegen, meine Großeltern, Ernst und Berni, hervorzuheben, deren beherzter Einsatz meine Biografie stark geprägt hat. Insbesondere der unermüdlichen Unterstützung meines Großvaters auf meinem Bildungsweg verdanke ich am Ende die Entstehung dieser Arbeit, weshalb sie ihm in Liebe und Dankbarkeit gewidmet sein soll. Ebenso möchte ich meiner „Tante“ Marina einen tiefen Dank aussprechen, die in ihrer liebevollen Art stets ein offenes Ohr und unersetzliche Ratschläge für mich bereithält, die mich ein Leben lang begleiten werden. Schließlich danke ich nicht zuletzt Heinz, der mit seiner herzenswarmen und gleichsam schalkhaften Art aus unserer Familie nicht mehr wegzudenken ist. Bonn, den 01. März 2018

Yvonne Neuefeind

Inhaltsübersicht A. Einleitung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 B. Der organisatorische Rahmen der Transplantation postmortal gespendeter Organe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 C. Die Reformen des Transplantationsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 E. Fazit der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 594 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 643

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ausgangslage und Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Der organisatorische Rahmen der Transplantation postmortal gespendeter Organe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Medizinische Aspekte der Organtransplantation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Bedeutung der Organtransplantation in der Medizin . . . . . . . . . . . a) Die Zahl der Organspenden und Transplantationen in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Entwicklung der Transplantationsmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Transplantationsmedizin als Hoffnungsträger . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Verfahren und Möglichkeiten der Transplantationsmedizin . . . . . . a) Die verschiedenen Formen der Transplantation . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Transplantation solider Organe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Niere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Leber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Herz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Lunge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Pankreas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Dünndarm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Risiken der Transplantationsmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeine Risiken der Organtransplantation . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abstoßungsreaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Zukunftsperspektiven der Transplantationsmedizin . . . . . . . . . . . . a) Die Transplantationsmedizin als vorübergehende Lösung . . . . . . . b) Die Xenotransplantation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Medizinische Möglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ethische Bedenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Stammzelltherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Medizinische Möglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ethische Bedenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Komplementierung von „Organnischen“ und Organentwicklung zur Erzeugung funktionaler Organe im lebenden Organismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27 27 28 30 34 34 34 35 36 37 38 38 39 41 43 45 48 49 52 53 54 55 56 57 58 58 60 62 63 65 68 70

12 Inhaltsverzeichnis II. Der Todeseintritt als rechtliche Zäsur der postmortalen Organspende . . . 70 1. Feststellung des Todeszeitpunkts nach dem Transplantationsgesetz . . 71 2. Das Hirntodkonzept in der deutschen Transplantationspraxis . . . . . . . 74 a) Das Ereignis des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls . . . . . . . . . . . 74 b) Die Entwicklung des Hirntodkonzepts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 c) Die Diagnose des Hirntodes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 3. Kein Spender ohne Herzschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 III. Die Regelungsmodelle für die Zulassung einer Organspende . . . . . . . . . . 82 1. Die Zustimmungslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 2. Die Widerspruchslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 3. Die Informationslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 4. Die Erklärungslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 5. Die Notstandslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 6. Das neue Konzept der Entscheidungslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 a) Die Entscheidungslösung als Ergänzung der Zustimmungslösung . 90 b) Die Entscheidungsberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 c) Art und Umfang der Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 7. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 IV. Organisatorische Grundlagen des Transplantationssystems . . . . . . . . . . . . 97 1. Rechtliche Grundlagen des Transplantationssystems . . . . . . . . . . . . . . 97 a) Das Transplantationsgesetz und die Landesausführungsgesetze . . . 97 b) Die Richtlinien der Bundesärztekammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 c) Sonstige Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 2. Überblick über den Ablauf des Organspende- und Transplantationsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 3. Die beteiligten Institutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 a) Das Entnahmekrankenhaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 b) Das Transplantationszentrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 c) Die Deutsche Stiftung Organtransplantation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 aa) Organisatorische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 bb) Funktion im Transplantationssystem  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 cc) Überwachung der Koordinierungstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 119 d) Eurotransplant International Foundation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 aa) Organisatorische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 bb) Funktion im Transplantationssystem  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 cc) Überwachung der Vermittlungsentscheidungen . . . . . . . . . . . . 128 e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 C. Die Reformen des Transplantationsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 I. Europarechtliche Rahmenbedingungen für die Reform . . . . . . . . . . . . . . . 133 1. Die Europäisierung des Transplantationswesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134

Inhaltsverzeichnis13 2. Die primärrechtlichen Grundlagen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 a) Kompetenzen der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 b) Primärrechtliche Garantien der Europäischen Grundrechtecharta . 138 3. Das Sekundärrecht – Überschreitung der Harmonisierungsgrenzen? . . 139 a) Unionsrechtliche Aktivität im Bereich der Organtransplantation . . 139 b) Kompetenzüberschreitungen durch die RL 2010 / 53 / EU . . . . . . . . 141 4. Folgerungen: Europäischer Einfluss en vogue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 II. Reformbedarf des Transplantationsgesetzes in Bezug auf die postmortale Organtransplantation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 III. Die Gesetzesnovellierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 1. Verlauf der Reform in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 2. Inhalt und Zielsetzung der Reform des postmortalen Transplanta­ tionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 IV. Nachjustierungen im Jahre 2013 – politische Folgen des Manipulationsskandals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 1. Manipulationsvorwürfe an diversen Transplantationszentren . . . . . . . . 155 2. Die Konsequenzen der Skandale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 a) Absichtserklärungen aus Politik und Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 b) Erste selbstverwaltete und staatliche Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . 161 c) Einfluss des Skandals auf die am Transplantationswesen beteiligten Institutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 d) Erneute Reform des Transplantationsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 e) Grundlegende Neustrukturierungen bleiben aus . . . . . . . . . . . . . . . 170 3. Ergebnis der Anstrengungen nach dem Manipulationsskandal . . . . . . . 172 V. Erste Auswirkungen der Gesetzesnovellierungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 1. Erste Erkenntnisse zu den strukturellen Veränderungen . . . . . . . . . . . . 172 2. Erhöhung der Anzahl ausgefüllter Organspendeausweise? . . . . . . . . . . 174 3. Folgen des Manipulationsskandals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 VI. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 I. Das Zusammenspiel von Ethik, Recht und Rechtspolitik  . . . . . . . . . . . . 180 1. Die Einwirkung der Ethik auf das Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 a) Kurzabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 b) Grundsätzliche Einwirkungsfragen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 c) Die Ethik als „Wegbereiter“ der Rechtsetzung und Rechtsanwendung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 aa) Die Funktion der Ethik in gesetzlichen Regelungen . . . . . . . . 185 bb) Ein wichtiges Einwirkungsmoment: Ethikgremien als Quelle kompetenter Politikberatung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 2. Herausforderungen der Rechtspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 a) Rechtspolitische Entscheidungen: Zementierung ethischer Standardsetzung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191

14 Inhaltsverzeichnis b) Überforderung der Politik durch die Herausforderungen der Ethik? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 II. Ethische Vorfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 1. Der Auftrag des Arztes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 2. Die Legitimität der Organtransplantation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 3. Der Tod des Menschen nach dem Transplantationsgesetz . . . . . . . . . . 209 a) Das Hirntodkonzept – Zukunftsperspektive trotz vermehrter Kontroverse? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 aa) Relevanz der Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 bb) Stand der Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 (1) Die klassische Argumentation für das Hirntodkonzept . . . 213 (a) Die Geistigkeitstheorie  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 (b) Die Integrationstheorie  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 (c) Die Stellungnahme des President’s Council on Bioethics . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 (2) Kritik am Hirntodkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 (a) Teilhirntodkonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 (b) Hirntote als Sterbende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 cc) Das Hirntodkonzept als sinnvolle Zäsur im Sterbeprozess . . . 221 (1) Das Gravitationszentrum der Todesdefinition: das Menschsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 (2) Der Hirntod als Ende der menschlichen Existenz in seiner leiblich-geistigen Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 (3) Das alternative Begründungskonzept des President’s Council on Bioethics als Beleg der Ungültigkeit des Hirntodkonzepts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 b) Bedenken gegen das Feststellungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 aa) Grundsätzliche Eignung des deutschen Feststellungsverfahrens zur Hirntoddiagnose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 bb) Konformität der Hirntoddiagnose in Deutschland mit den heutigen medizinischen Standards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 c) Praktische Probleme des Hirntodkonzepts im Alltag . . . . . . . . . . . 244 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 4. Die Spenderkonditionierung – ein ethisches Dilemma zwischen Leben und Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 5. Die Entscheidungslösung – Suggestion einer moralischen Pflicht zur Organspende? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 6. Die gerechte Verteilung knapper Ressourcen in der Transplantationsmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 a) Grundlagen einer gerechten Organverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 b) Relevante Priorisierungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 c) Exkurs: Kommerzialisierung des Transplantationssystems . . . . . . . 262 aa) Ein Markt für Organe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263

Inhaltsverzeichnis15 bb) Kommerzialisierung der Totenspende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 cc) „Verkauf“ der Nächstenliebe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 dd) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 1. Das Todeskonzept der Transplantationsmedizin unter dem Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 a) Die Grundrechtskonformität des Hirntodkonzepts . . . . . . . . . . . . . 272 b) Die Todesdiagnose in fremden Händen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 c) Keine Non-Heart-Beating-Donation unter dem Regime des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 aa) Keine Tötung von Organspendern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 bb) Erweiterung der Möglichkeiten bei neuem medizinischen Erkenntnisstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 2. Die spendezentrierte Behandlung eines Lebenden – rechtliche Herausforderungen am Lebensende eines Intensivpatienten  . . . . . . . . 282 a) Die derzeitige Konfliktlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 b) Die Zustimmung zur spendezentrierten Behandlung . . . . . . . . . . . . 288 aa) Eine Organspendeerklärung als gleichzeitige Einwilligung in spendezentrierte Maßnahmen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 bb) Die Einwilligung durch eine Patientenverfügung . . . . . . . . . . 289 cc) Die Angehörigenentscheidung als zulässiges Surrogat des Patientenwillens? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 dd) Die Entscheidungsbefugnis eines Stellvertreters . . . . . . . . . . . 291 (1) Die Entscheidung eines Bevollmächtigten  . . . . . . . . . . . . 292 (2) Die Entscheidung eines Betreuers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 (a) Die Ermittlung des mutmaßlichen Willens . . . . . . . . . 294 (b) Die Betreuerentscheidung nach dem objektiven Wohl des Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 ee) Konflikte zwischen den Bevollmächtigten / Betreuern und den Angehörigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 ff) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 c) Zulassung spendezentrierter Maßnahmen aufgrund einer Solidarpflicht des Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 aa) Solidarität als Begrenzung individueller Freiheit . . . . . . . . . . . 303 bb) Solidarpflichten im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 (1) Interpersonale Solidarpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 (2) Solidarpflichten gegenüber der staatlichen Gemeinschaft . 309 (3) Institutionelle Solidarpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 cc) Durchbruch legitimierter Zwangszugriffe auf den Körper nach neuem Recht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 dd) Die „Sonderpflicht“ des potentiellen Spenders . . . . . . . . . . . . 315 (1) Implementierung einer Sonderpflicht als Verstoß gegen die Menschenwürde? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316

16 Inhaltsverzeichnis (2) Begründung und Reichweite der Sonderpflicht . . . . . . . . . 317 (a) Grundrechtskonflikte in der Sondersituation . . . . . . . 317 (b) Auflösung der Spannungen – Legitimation der Behandlungsschritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 ee) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 d) Schutzmaßnahmen zugunsten des potentiellen Spenders . . . . . . . . 323 e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 3. Die Verfassungsmäßigkeit der in Deutschland diskutierten Regelungsmodelle  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 a) Die Verfassungsmäßigkeit der Entscheidungslösung . . . . . . . . . . . . 325 aa) Die Verfassungsmäßigkeit der erweiterten Zustimmungs­ lösung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 (1) Die betroffenen Grundrechte auf der Spenderseite . . . . . . 326 (2) Der Grundrechtsschutz der Erkrankten als Rechtfertigung für die Eingriffe in die Rechte auf der Spender­ seite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 bb) Die Verfassungsmäßigkeit der Entscheidungsaufforderung . . . 336 b) Die Widerspruchslösung als verfassungsrechtlich zulässige Option für Deutschland?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 aa) Eingriffe in die Rechte auf der Spenderseite . . . . . . . . . . . . . . 339 bb) Rechtfertigung der Eingriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 4. Der Rückzug des Staates aus der Entscheidungsverantwortung . . . . . 346 a) Das Transplantationswesen als öffentliche Aufgabe . . . . . . . . . . . . 347 b) Überantwortung des Transplantationswesens in die regulierte Selbstregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 c) Wesentliche Richtungsentscheidungen im Transplantationsrecht durch die Richtlinien der Bundesärztekammer . . . . . . . . . . . . . . . . 351 aa) Die Ausübung öffentlicher Gewalt durch die Bundesärztekammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 bb) Die Beleihung der Bundesärztekammer als Verfassungsverstoß  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 cc) Die Kollision der Entscheidungsbefugnis mit dem Demokratieprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 (1) Bestehen eines Demokratiedefizits nach dem herkömmlichen Legitimationsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 (a) Lückenhafte sachlich-inhaltliche Steuerung durch den Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 (b) Kein Ausgleich über den personell-organisatorischen Legitimationsstrang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 (2) Legitimation der Bundesärztekammer über alternative Legitimationskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 (3) Bewertung der Legitimationsbemühungen  . . . . . . . . . . . . 372 dd) Die Verletzung des Parlamentsvorbehalts . . . . . . . . . . . . . . . . . 375

Inhaltsverzeichnis17 ee) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 d) Die Schlüsselrolle der Entnahmekrankenhäuser . . . . . . . . . . . . . . . 381 e) Die hoheitliche Aufgabe der Transplantationszentren . . . . . . . . . . . 382 aa) Ausübung öffentlicher Gewalt durch die Transplantationszentren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 bb) Nachbesserungsbedarf bei der Steuerung der Wartelistenentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 cc) Verfahrensrechtliche Absicherung der Auswahlentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 dd) Kontrollintensivierungen in den Transplantationszentren . . . . 388 ee) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 f) Die Koordination der Organspende durch die Deutsche Stiftung Organtransplantation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 aa) Bereitstellung eines ordnungsgemäßen Rahmens für die Tätigkeit der Koordinierungsstelle durch den Gesetzgeber . . . 391 bb) Die neue Rechtsetzungsbefugnis der Koordinierungsstelle  . . 392 cc) Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Überwachung der Koordinierungstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 g) Die Organvermittlung durch Eurotransplant . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 aa) Die Vermittlungsentscheidung aus dem Ausland als Ausübung von Hoheitsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 bb) Unzureichende Allokationsvorgaben des Gesetzgebers als besonderes Demokratiedefizit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 cc) Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Überwachung der Vermittlungstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406 dd) Exkurs: Die Einhaltung des ordre public-Vorbehalts bei der Organvermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 (1) Die Non-Heart-Beating-Donation als Verstoß gegen den ordre public? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 (2) Die Widerspruchslösung als Verstoß gegen den ordre public? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 ee) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 h) Defizitärer Rechtsschutz in den wesentlichen Belangen der Transplantationsmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 aa) Das Rechtsschutzsystem in der Transplantationsmedizin . . . . 412 (1) Rechtsschutz gegen die Transplantationsrichtlinien der Bundesärztekammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 (2) Rechtsschutz gegen die Entscheidungen der Transplantationszentren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 (3) Rechtsschutz gegen die Vermittlungsentscheidung Eurotransplants . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 (4) Rechtsschutz gegen die Deutsche Stiftung Organtransplantation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418

18 Inhaltsverzeichnis bb) Exkurs: ausgewählte Gerichtsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Entscheidungsmaßstäbe der verteilungsrelevanten Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verfassungsmäßigkeit der verteilungsrelevanten Vorgaben des Transplantationsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Verfassungsrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Grundlagen bei der Organzuteilung gemäß § 12 Abs. 3 S. 1 TPG . . . . (a) Ressourcenverteilung nach Dringlichkeit . . . . . . . . . . (b) Die verfassungsrechtliche Problematik der Berücksichtigung von Erfolgsaussichten . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Hinzutreten des Verteilungskriteriums der Chancengleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Unzulässige Zugangssperre zur Warteliste durch das Merkmal der Erfolgsaussicht in § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Inhaltliche Bedenken gegen die Richtliniengestaltung . . . . . . (1) Die Prinzipien der Organverteilung nach den Transplantationsrichtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Feststellung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zweifelhafte Kontraindikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Die Compliance als absolute Kontraindikation  . . . . . (b) Die Abstinenzklausel bei der Leberallokation . . . . . . (c) Die Abstinenzklausel vor Gericht – der „Göttinger Manipulationsskandal“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Exkurs: Weitere problematische Verteilungskriterien und -modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Soziale Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Retransplantation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Reziprozitätsmodelle  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Praktische Hürden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Sozialpolitische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Modelle . . . . . (4) Reine Verfahrensgerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . j) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtspolitische Gestaltungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Hora certa – Der Hirntod als sicherer Todeszeitpunkt . . . . . . . . . . . . . a) Die Beibehaltung des Hirntodkonzepts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das Ringen um den Todesbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Definition des Todes als staatliche Aufgabe . . . . . . . . . . .

419 423 423 426 426 429 431 433 445 446 450 451 452 454 454 458 462 463 464 466 467 469 470 472 474 475 477 480 482 482 483 484

Inhaltsverzeichnis19 cc) Die Mindestvoraussetzung „Hirntod“ als rechtspolitischer Kompromiss  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486 b) Die Überwachung der Hirntoddiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 c) Das Spenderherz muss schlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 2. Regelungsempfehlungen in Bezug auf die spendezentrierte Behandlung von Patienten im Präfinalstadium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 a) Voraussetzungen der Durchführung spendezentrierter Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 b) Anpassung der Strafvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 c) Anpassung der Aufklärungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 3. Die Einführung der Entscheidungslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 498 a) Die Entscheidungslösung im Kampf gegen den Organmangel . . . . 499 aa) Die Erhöhung der Spendebereitschaft als rechtspolitisch legitimes Ziel? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 bb) Sublime Nötigung durch moralischen Paternalismus? . . . . . . . 500 (1) Die gesetzliche Zielsetzung im Konflikt mit dem Selbstbestimmungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 500 (2) Die Realität der Informationspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . 502 cc) Das Fortbestehen und die Veränderung der Angehörigeneinbeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506 dd) Das Verhältnis der Organspendeerklärung zur Patientenverfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 ee) Die Entscheidungslösung als Erfolgskonzept für die Organspende? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510 b) Die Widerspruchslösung als adäquater Ausweg aus dem Organmangel? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514 aa) Die Widerspruchslösung als Vorbildmodell für Deutschland? . 516 bb) Die rechtspolitische Durchsetzbarkeit der Widerspruchsvariante  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517 cc) Die Erhöhung der Organspenderzahlen durch das Widerspruchsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 c) Die Entscheidungslösung als rechtspolitischer Kompromiss . . . . . 523 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 526 4. Der Rückzug des Staates aus seiner Entscheidungsverantwortung . . . 527 a) Die Einbindung der Bundesärztekammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528 aa) Die freiwillige Selbstentmachtung des Gesetzgebers . . . . . . . . 528 bb) Zementierung des Demokratiedefizits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532 cc) Lösungsmöglichkeiten des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . 533 (1) Verordnungsermächtigung des Bundesministeriums für Gesundheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533 (2) Subdelegation an die Ständige Kommission Organtransplantation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534

20 Inhaltsverzeichnis (3) Gesetzliche Kautelen zur Gewährleistung demokratischer Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537 dd) Die Verordnungsermächtigung de lege ferenda . . . . . . . . . . . . 542 b) Der Schlüsselrolle der Entnahmekrankenhäuser gerecht werden . . 544 aa) Neuer Motivationsrahmen für die Entnahmekrankenhäuser . . 544 bb) Die Rahmenbedingungen in Deutschland als organisatorische Hindernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547 cc) Der Transplantationsbeauftragte als neuer Hoffnungsträger . . 549 (1) Die Reform des Transplantationsgesetzes und der Landesausführungsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549 (2) Das Angehörigengespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 552 (3) Die fachliche Qualifikation der Transplantationsbeauftragten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553 c) Verstärkung der Steuerung und Überwachung der Transplanta­ tionszentren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555 aa) Die Entscheidungsprozesse der Transplantationszentren . . . . . 555 bb) Die rechtliche Ausgestaltung der Entscheidungskontrolle im Transplantationsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557 (1) Die bisherigen Versäumnisse des Gesetzgebers . . . . . . . . 557 (2) Perspektiven einer Gesetzesnovellierung . . . . . . . . . . . . . . 559 cc) Die Durchführung der Kontrollmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . 560 d) Die Deutsche Stiftung Organtransplantation – ein Modell mit Zukunft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565 aa) Die Beibehaltung der privatrechtlichen Ausgestaltung der Koordinierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 566 bb) Die verfassungsgemäße Ausgestaltung des Erlasses der Verfahrensanweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 567 cc) Die Behebung der defizitären Überwachung der Koordinierungstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 568 e) Die Beteiligung Eurotransplants auf neuem Fundament . . . . . . . . . 569 aa) Die Etablierung Eurotransplants als zwischenstaatliche Einrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570 bb) Die Etablierung einer ausreichenden Steuerung der Alloka­ tion durch den Gesetzgeber  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570 cc) Die Behebung der defizitären Überwachung der Vermittlungstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 572 f) Defizitärer Rechtsschutz als politisches Programm . . . . . . . . . . . . . 573 g) Handlungsbedarf bei der Ausgestaltung der verteilungsrelevanten Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575 aa) Notwendige Neuregelungen auf Gesetzesebene . . . . . . . . . . . . 576 bb) Die Anpassung der Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 578 (1) Die Richtlinien als Abbild der gesetzlichen Vorgaben . . . 579 (2) Die Abwägung zwischen Erfolgsaussicht und Dringlichkeit – dringende Aufwertung des Erfolgsmoments . . . . . . 580

Inhaltsverzeichnis21 (3) Die Reformierung der Zugangsregelungen zur Warteliste . 584 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585 h) Ergebnis – Verstaatlichung des Transplantationssystems? . . . . . . . 585 E. Fazit der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 594 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 643

Abkürzungsverzeichnis a. A.

anderer Ansicht

A.-Drs. Ausschussdrucksache a. E.

am Ende

a. F.

alte(r) Form, alte(r) Fassung

AbgH Abgeordnetenhaus Abs. Absatz AcP

Archiv für die civilistische Praxis

AEUV

Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union

AG-TPG

Gesetz zur Ausführung des Tranplantationsgesetzes

AMG Arzneimittelgesetz AMWHV

Arzneimittel- und Wirkstoffherstellungsverordnung

Art. Artikel Aufl. Auflage AuPZ

Aus Politik und Zeitgeschichte

AVR

Allgemein- und Viszeralchirurgie

Az. Aktenzeichen Bd. Band Begr. Begründer Beschl. Beschluss BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGBl. Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof BGHSt

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen

BMG

Bundesministerium für Gesundheit

BnotO Bundesnotarordnung BRD

Bundesrepublik Deutschland

BR-Drs. Bundesratsdrucksache Breg. Bundesregierung BSG Bundessozialgericht BSGE

Entscheidungen des Bundessozialgerichts

BT-Drs. Bundestagsdrucksache BT-PlPr.

Bundestag Plenarprotokoll

Abkürzungsverzeichnis23 BverfG Bundesverfassungsgericht BverfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BverwG Bundesverwaltungsgericht BverwGE

Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts

BZgA

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung

bzw. beziehungsweise CAS

Cardiac Allocation Score

CTA Computertomographie-Angiographie d. h.

das heißt

DÄBl

Deutsches Ärzteblatt

ders. derselbe dies. dieselbe(n) DÖV

Die öffentliche Verwaltung

DSO

Deutsche Stiftung Organtransplantation

DSO-Satzung

Satzung der Deutschen Stiftung Organtransplantation

DSO-Vertrag

Koordinierungsstellenvertrag mit der Deutschen Stiftung Organtransplanation

DTG

Deutsche Transplantationsgesellschaft

DV

Die Verwaltung

DVBl.

Deutsches Verwaltungsblatt

DZPhil

Deutsche Zeitschrift für Philosophie

e. V.

eingetragener Verein

ebda. ebenda EEG Elektroenzephalografie EGBGB

Einführung zum Bürgerlichen Gesetzbuche

EGV

Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft

Einf. Einführung Einl. Einleitung endg. endgültig ESchG Embryonenschutzgesetz ESP

Eurotransplant Senior Programm

ET Eurotransplant Ethik Med

Ethik in der Medizin

ET-Vertrag

Vermittlungsstellenvertrag mit Eurotransplant

EU

Europäische Union

EUV

Vertrag über die Europäische Union

f. / ff.

folgende

FAS

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

24 Abkürzungsverzeichnis FAZ

Frankfurter Allgemeine Zeitung

Fn. Fußnote FS Festschrift GBA

Gemeinsamer Bundesausschuss

gem. gemäß GeschOBT

Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages

GesR Gesundheitsrecht GewebeV Gewebeverordnung GewO Gewerbeordnung GG Grundgesetz GKV

Gesetzliche Krankenversicherung

GPK

Gesellschaftspolitische Kommentare

grds. grundsätzlich GVG Gerichtsverfassungsgesetz HCC

hepatozuläres Karzinom

HeilBerG Heilberufsgesetz Hrsg. Herausgeber HS. Halbsatz HStR

Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland

i. V. m.

in Verbindung mit

IfSG Infektionsschutzgesetz IGES

Institut für Gesundheits- und Sozialforschung

insbes. insbesondere JA

Juristische Arbeitsblätter

JöR

Jahrbuch des Öffentlichen Rechts

JR

Juristische Rundschau

JZ Juristenzeitung KAO

Kritische Aufklärung über Organspende e. V.

KHG Krankenhausgesetz KJ

Kritische Justiz

KOM

Europäische Kommission

KritV

Kritische Vierteljahreschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft

LAS

Lung Allocation Score

LG Landgericht lit. Buchstabe m. w. N.

mit weiteren Nachweisen

MBO-Ä

Musterberufsordnung der Bundesärztekammer

Abkürzungsverzeichnis25 MedR Medizinrecht medstra

Zeitschrift für Medizinstrafrecht

MELD

Model for Endstage Liver Disease

mio. Million(en) MMG

Medizin, Mensch, Gesellschaft

MMW

Münchner Medizinische Wochenschrift

MPG Medizinproduktegesetz n. F.

neue(r) Form, neue(r) Fassung

NJW

Neue juristische Wochenschrift

NJW-RR

Neue juristische Wochenschrift, Rechtsprechungs-Report

Nr. Nummer NRW Nordrhein-Westfalen NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

NZS

Neue Zeitschrift für Sozialrecht

OLG Oberlandesgericht OrganV

Verordnung über Qualität und Sicherheit von Organen

PID Präimplantationsdiagnostik RL Richtlinie RöV Röntgenverordnung Rspr. Rechtsprechung S.

Satz, Seite

SG Sozialgericht SGB Sozialgesetzbuch SGb

Die Sozialgerichtsbarkeit

SGE Sozialgerichtsentscheidung SGG Sozialgerichtsgesetz SJZ

Süddeutsche Juristenzeitung

SKIP

Speziesargument, Kontinuumsargument, Identitätsargument, Potentialitätsargument

sog.

sogenannt(e / er / en)

St. Rspr.

ständige Rechtsprechung

StäKo

Ständige Kommission

StGB Strafgestzbuch StPO Strafprozessordnung StrlSchV Strahlenschutzverordnung StV

Der Strafverteidiger

StWissStPr

Staatswissenschaften und Staatspraxis

StZG Stammzellgesetz

26 Abkürzungsverzeichnis SZ Süddeutsche Zeitung taz Die Tageszeitung TFG Transfusionsgesetz TPG Transplantationsgesetz TPGÄnG Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes TPG-E Transplantationsgesetz-Entwurf u. und u. a. unter anderem Urt. Urteil USA United States of Amercia USZ UniversitätsSpital Zürich v. vom / von v. a. vor allem VG Verwaltungsgericht vgl. vergleiche VO Verordnung Vol Volume Vor. Vorbemerkung(en) Vorlnr. Vorlagenummer VRegV Verordnung über das Zentrale Versorgeregister vs. versus VVDStRL Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer VwGO Verwaltungsgerichtsordnung WPO Wirtschaftsprüfverordnung WzS Wege zur Sozialversicherung z. B. zum Beispiel ZEFQ Zeitschrift für Evidenz, Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen ZfL Zeitschrift für Lebensrecht zit. zitiert ZJS Zeitschrift für das juristische Studium ZME Zeitschrift für Medizinische Ethik ZPO Zivilprozessordnung ZPol Zeitschrift für Politikwissenschaft ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik ZStW Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

Salus aegroti suprema lex – Das Heil des Kranken sei höchstes Gesetz!1

A. Einleitung I. Ausgangslage und Problemstellung Unter einer Organtransplantation wird die Übertragung von Organen von einem Menschen auf einen anderen verstanden. Sie dient dem Zweck, ein beim Empfänger funktionsbeeinträchtigtes Organ durch ein gesundes Transplantat zu ersetzen. Diese Art der Heilbehandlung unterscheidet sich erheblich von konventionellen Methoden, da das duale Arzt-Patienten-Verhältnis zwingend durch eine dritte Person, den Spender, aufgebrochen wird. Die in der Geschichte der Medizin bisher unübliche Konstellation führt dazu, dass sich die Ärzteschaft nicht, wie gewohnt, nur auf ihren Heilauftrag besinnen, sondern zusätzlich das Wohl eines weiteren Betroffenen berücksichtigen muss. Das Heil des Kranken kann daher lediglich noch eingeschränkt als „höchstes Gesetz“ bezeichnet werden. Es liegt auf der Hand, dass diese Sachlage nicht nur medizinische Herausforderungen formuliert, sondern zudem schwerwiegende Fragestellungen an das geltende Menschenbild aufwirft. Die medizinische Revolution des 20. Jahrhunderts stellt folglich neue Anfragen an die vermeintlich eingespielte Arzt-Patienten-Beziehung. Durch einen permanenten medizinischen Fortschritt wird die Gesellschaft immer wieder in völlig neuartige Grenzsituationen manövriert und mit Problemstellungen konfrontiert, die Reflexionen im Schnittfeld verschiedener Wissenschaftsdisziplinen erfordern. Die Medizin selbst besitzt nicht die Kompetenz, Antworten auf die mit ihren Handlungen verbundenen ethischen und recht­ lichen Fragen zu geben. Sie bedingt jedoch den Fortschritt und diktiert sein Tempo maßgeblich mit. Fortschritt allein ist allerdings kein Selbstzweck, sondern kann, wie die Transplantationsmedizin schlaglichtartig illuminiert, ambivalenter Natur sein. Die Ausgangslage des Transplantationswesens ist von Natur aus maßgeblich von dem Verhältnis der Beteiligten zueinander geprägt. Es stellt sich vor allem die Frage nach deren Rechten und Pflichten. In der öffentlichen Debatte sind jedoch andere Faktoren wesentlich präsenter. Die Probleme der Ressourcenknappheit und einer gerechten Verteilung der übersichtlichen Zahl vorhandener Organe sind in aller Munde. Durch das Unterangebot werden Entscheidungen virulent, die zwangsläufig das Leben des einen und den Tod des anderen bedeuten. Der Bekämpfung der Knappheitssituation und der 1  Lateinische

Redewendung.

28

A. Einleitung

Entwicklung eines gerechten Verteilungsmodus werden daher in der öffentlichen Diskussion höchste Prioritäten beigemessen. Das 1997 in Kraft getretene Transplantationsgesetz hatte, neben der Zielsetzung Rechtssicherheit zu schaffen, den Anspruch, diese Dilemmaentscheidungen zu reduzieren.2 Im Vordergrund des Gesetzesvorhabens standen daher eine effiziente Organgewinnung sowie eine Steigerung der Bereitschaft zur Organspende in der Bevölkerung, die unter anderem durch ein vertrauenserweckendes System gefördert werden sollten. 15 Jahre nach Verabschiedung des Gesetzes stellte sich die Sachlage jedoch ernüchternd dar. Überwiegend war von einer Zielverfehlung die Rede.3 Es kann nicht geleugnet werden, dass das Transplantationsgesetz einige grundlegende Rechtsfragen geklärt und so zur Herstellung von Rechtssicherheit beigetragen hat; allerdings wurde im Laufe der Jahre die Lückenhaftigkeit des Gesetzes offenbart. Ebenso hat sich die Schere zwischen vorhandenen und benötigten Organen vergrößert; unter anderem, weil der medizinische Fortschritt eine Indika­ tionserweiterung für die Behandlung mit einem Transplantat bedingt hat. Eine Reform des Transplantationsgesetzes war daher nur eine Frage der Zeit. Im Jahre 2012 hat der Gesetzgeber die Umsetzung der europäischen Richt­ linie RL  2010 / 53 / EU zum Anlass genommen, das Transplantationsgesetz über die europarechtlichen Vorgaben hinaus zu novellieren. Insgesamt erfolgten drei Reformansätze. Bei den Gesetzesänderungen gab die Erhöhung der Organspenderrate wieder einen entscheidenden Ton an.

II. Zielsetzung Nach der Verabschiedung des Transplantationsgesetzes im Jahre 1997 haben sich zahlreiche unbewältigte Konflikte und nicht gemeisterte Herausforderungen dargetan, deren Lösung durch eine Reformierung gefordert wurde. In einer Gesetzesnovellierung lag für viele die Hoffnung, dass basale Probleme von der Politik endlich angegangen würden. Die vorliegende Arbeit nimmt diese Erwartungen zum Anlass zu untersuchen, ob der Gesetzgeber mit seiner Reform den grundlegenden Forderungen der Anspruchsteller gerecht wurde. Der Gegenstand der Analyse beschränkt sich dabei auf die Betrachtung der postmortalen Organtransplantation; die Lebend- sowie die Gewebespende sollen bewusst ausgeklammert werden. Es kann aufgrund der Vielschichtigkeit der Thematik ferner nicht das Anliegen dieser Arbeit sein, 2  Vgl.

BT-Drs. 13 / 4355, S. 2 und S. 11. nur Breyer, ZME 48 (2002), S. 111 ff.; Gutmann, Für ein neues Transplantationsgesetz, passim; ders., in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungs­ bedarf des Transplantationsrechts, S. 17 ff.; Höfling, JZ 2007, S. 481 ff.; Krüger, in: Charbonnier / Laube (Hrsg.), Organ- und Gewebetransplantation, S. 13 ff. 3  Vgl.



II. Zielsetzung29

jedes Einzelproblem im Bereich der Leichenspende aufzuzeigen und abzuhandeln. Vielmehr sollen die wesentlichen Systementscheidungen des Gesetzgebers im Vordergrund stehen. Einigen Grundsatzproblemen abseits dieses Rahmens kann daher aus Platzgründen keine oder keine tiefgreifende Beachtung geschenkt werden, wozu etwa datenschutzrechtliche Belange, Qualitäts- und Sicherheitsregelungen oder eine Auseinandersetzung mit den Einzelproblemen des im Transplantationsgesetz formulierten Organhandelverbots oder anderen Straftatbeständen zählen. Ebenso nicht im Fokus der Arbeit steht die Zusammenführung von medizinisch relevanten Datensätzen durch die Errichtung eines Transplantationsregisters. Die organisatorisch-strukturellen Novellierungen und die Einführung der Entscheidungslösung mit der Reformwelle des Jahres 2012 haben den rechtlichen Rahmen des Transplantationswesens nicht grundlegend in Frage gestellt, sodass eine Vielzahl von Problemen weiterbesteht oder diese sogar noch verschärft wurden. Außerdem treten mit den punktuellen Modifizierungen neue Konfliktherde hinzu, die vor allem einer rechtlichen Würdigung bedürfen. Als besonders dramatisch stellte sich die durch das Bekanntwerden der Manipulationsskandale evozierte erneute Gesetzesnovelle des Jahres 2013 dar. Auch wenn der Gesetzgeber lediglich punktuelle Änderungen beschlossen hat, war das mediale Interesse aufgrund der Unregelmäßigkeiten an einigen Transplantationszentren enorm und in Bezug auf die Organspende insgesamt höchst kritisch. Das Ergebnis der eilig initiierten Reform war wieder keine grundlegende Neuordnung des bisherigen Transplantationssystems. Diejenigen für den Organisationsrahmen relevanten modifizierten Stellschrauben müssen jedoch Beachtung finden. Hauptanliegen dieser Arbeit ist es, die strukturelle Weiterentwicklung des deutschen Transplantationswesens kritisch zu begleiten und systemrelevante Modifikationsmöglichkeiten aufzuzeigen. Die nachfolgenden Untersuchungen verstehen sich als Anstoß für weitere Diskussionen über eine erneute Reformierung des Transplantationsgesetzes in Bezug auf seine grundlegende Ausrichtung. Aufgrund der Komplexität der Materie versteht es sich von selbst, dass ein Gesetz zur Regelung der Organtransplantation nicht lediglich medizinische Handlungsmöglichkeiten in eine rechtliche Form gießt, sondern zudem ethische Aspekte bei der Normgebung eine enorme Rolle spielen. Um das System des Transplantationswesens sinnbringend erfassen und bewerten zu können, darf das Spannungsfeld von Medizin, Ethik und Recht nicht außer Acht gelassen werden. Zu einer umfassenden wissenschaftlichen Begleitung des Transplantationswesens gehört folglich auch eine Auseinandersetzung mit den medizinischen sowie ethischen Grundlagen. Aufgrund der Zielsetzung, einen Beitrag zur Debatte um eine erneute Gesetzesnovelle zu leisten, darf zusätzlich das Wesen der Rechtspolitik nicht ignoriert werden. Schließlich ist es der Wille der Politik, der über den Beginn einer neuen Reform­

30

A. Einleitung

anstrengung und ihren Inhalt entscheidet. In diesem Zusammenhang stellt sich vor allem die Frage, welche notwendigen Änderungen des Transplantationsgesetzes realistisch erscheinen und welchen Forderungen sich die Politik mit Sicherheit entziehen wird.

III. Gang der Untersuchung Um den formulierten Anforderungen gerecht zu werden, wird im folgenden Teil der Arbeit (Kapitel B.) das Transplantationsverfahren in Deutschland überblicksartig dargestellt. Dazu gehört zunächst die Vermittlung eines Grundverständnisses für die medizinischen Aspekte des Transplantationswesens. Schwerpunktmäßig soll in diesem Zusammenhang das für die Organentnahme entscheidende Hirntodkriterium behandelt werden, da dieses in den letzten Jahren vermehrt in Kritik geraten ist, der Gesetzgeber an diesem bei den Novellen jedoch unverändert festgehalten hat. Allein die Feststellung des Hirntodes ist jedoch nicht ausreichend, um eine Organentnahme zu legitimieren. Aufgrund des Persönlichkeitsrechts des potentiellen Spenders muss dessen Wille berücksichtigt werden. Inwiefern dieser in die ärztliche Entscheidung mit einfließt ist weltweit unterschiedlich geregelt. Während in Deutschland bisher die erweiterte Zustimmungslösung galt, ist etwa in Österreich die Organentnahme nicht erst bei Zustimmung des Betroffenen zu Lebzeiten oder seinen Angehörigen nach der Todesfeststellung gestattet, sondern bereits dann, wenn der Verstorbene zeit seines Lebens nicht widersprochen hat. Da die unterschiedlichen Regelungsmodelle auch Optionen für das zukünftige Recht in der Bundesrepublik bereithalten, werden diese – in gebotener Kürze – dargestellt. Im Anschluss an die Erläuterung dieser elementaren Entnahmevoraussetzungen werden der für den Organisationsrahmen des Transplantationswesens entscheidende Organspendeprozess sowie das an diesen anschließende Vermittlungsverfahren im Überblick abgebildet. Der darauf folgende Teil der Arbeit (Kapitel C.) steht ganz im Zeichen der Reformen des Transplantationsgesetzes. Anstoß für die Novellierungen war die Umsetzung europarechtlicher Vorgaben, die an dieser Stelle erläutert und auf ihre Reformanforderungen für die Bundesrepublik untersucht werden. Sodann finden der Verlauf der Gesetzesnovelle sowie die mit ihr verbundenen Zielsetzungen und Inhalte Beachtung, wobei eine ausführliche Analyse der Neuregelungen der noch folgenden rechtlichen Bewertung vorbehalten bleibt. Besonderes Augenmerk soll in diesem Kapitel ferner auf den Umständen der Nachjustierungen des Transplantationsgesetzes im Jahre 2013 liegen, da die Manipulationen der Wartelisten in verschiedenen Kliniken eine beachtliche Vertrauenskrise in der Bevölkerung ausgelöst und so das gesamte Konzept der auf Organspender angewiesenen Transplantationsmedizin ins Mark getroffen haben. An dieser Stelle sind vor allem die Gegensteuerungs-



III. Gang der Untersuchung31

maßnahmen der Politik von Relevanz, die allesamt von dem Bestreben getragen wurden, das Vertrauen der Öffentlichkeit wiederherzustellen. Ohne dieses befindet sich das seit jeher die Transplantationsmedizin dominierende Anliegen, – die Zahl der Organspenden zu steigern, – auf verlorenem Posten. Nach Darstellung der Reformen wird überblicksartig zu deren ersten Auswirkungen Stellung genommen, soweit sich solche bereits abzeichnen. Im Anschluss folgt in Kapitel D. das Herzstück der Arbeit, das sich mit der Würdigung des deutschen Transplantationssystems befasst. Da das Transplantationsgesetz wesentlichen Entscheidungen, die Leben oder Tod einer Person bedeuten können, einen rechtlichen Rahmen geben will, ist es stark von ethischen Grundsätzen und Handlungsmaximen abhängig. Die Politik sieht sich mit der Herausforderung konfrontiert, ein möglichst sachgerechtes Transplantationssystem zu etablieren, das den moralischen Ansprüchen der Bevölkerung genügt. Um diese komplexe Aufgabe in Gänze zielgerichtet zu erfassen, ist es notwendig, sich zunächst das Zusammenspiel von Ethik, Recht und Rechtspolitik zu vergegenwärtigen. Gegenseitige Einflüsse und Wechselwirkungen der drei Bereiche berühren die Gesetzgebung insbesondere im Gesundheitswesen auf maßgebliche Weise. Bei der Normierung des Transplantationsrechts kommt die Politik nicht ohne ethische Reflexionen in Bezug auf die Legitimation der Organspende und einer gerechten Organallokation aus. Diese markieren einen entscheidenden Ausgangspunkt für die Fixierung rechtlicher Grundlagen. Aus diesem Grund erscheint es nach einer einführenden Erläuterung des Zusammenhangs von Ethik, Recht und Rechtspolitik angebracht, besondere ethische Herausforderungen des Transplanta­ tionswesens aufzuzeigen. Dabei kann in einer juristischen Arbeit nicht der Versuch unternommen werden, die ethischen Konfliktfelder erschöpfend abzuhandeln. Anstelle einer umfassenden Analyse sollen einige für eine rechtliche Betrachtung des Transplantationssystems wesentliche Konfliktfelder aufgezeigt werden. Die ethischen Überlegungen sind ein wichtiger Ausgangspunkt für die anschließende rechtliche Bewertung der Organisation des Transplantationswesens. Diese steht im Zeichen einer insbesondere verfassungsrechtlichen Überprüfung der basalen Entscheidungen des Transplantationsgesetzes. An dieser Stelle sind zuvörderst die Rechte des Spenders zu beleuchten, dem zu Anfang des Transplantationsprozesses Organe entnommen werden. Nach ethisch dominierten Überlegungen zum Hirntodkriterium muss eine recht­ liche Würdigung seiner Gültigkeit und seiner Feststellungspraxis erfolgen. Begleitet werden muss diese Untersuchung von einer Betrachtung des weiteren medizinischen Prozesses, der zur Spende gehört, nämlich den organprotektiven Maßnahmen, die dann massive rechtliche Probleme verursachen, wenn sie an Patienten vorgenommen werden, deren Hirntod noch nicht festgestellt wurde. Insbesondere das Merkmal der Einwilligung rückt in diesem

32

A. Einleitung

Zusammenhang in den Vordergrund. Dieses spielt ferner bei den nun rechtlich zu bewertenden Regelungsmodellen eine Rolle. Der Gesetzgeber hat im Zuge seiner Reformanstrengungen aus dem Jahre 2012 die Entscheidungslösung rechtlich fixiert, die eine engagierte Aufklärung der Bevölkerung vorsieht und von der er sich eine Steigerung der Organspendebereitschaft erhoffte. Neben den systementscheidenden Normierungen zu den Entnahme­ voraussetzungen verleihen die organisatorischen Rahmenbedingungen der Transplantation dem deutschen Transplantationswesen einen wesentlichen Charakterzug. Sie offenbaren ein Rückzugsverhalten des Staates, der die öffentliche Aufgabe der Transplantationsmedizin in ein Modell der regulierten Selbstregulierung überführt hat. Privatrechtliche Institutionen sind die Hauptakteure bei der Organisation des Spende- als auch Verteilungsprozesses. Nachdem ein Krankenhaus einen potentiellen Spender identifiziert hat, unterrichtet es die Deutsche Stiftung Organtransplantation. Diese, als Stiftung des Privatrechts ausgestaltete Koordinierungsstelle, begleitet die Spende mit umfassenden organisatorischen Maßnahmen. Ebenso privatrechtlich organisiert ist die Vermittlungsstelle Eurotransplant. Als Stiftung niederländischen Rechts bestimmt sie durch ein Computersystem den empfangsberechtigten Patienten und trifft damit eine wesentliche Verteilungsentscheidung. Diese wurde vom Gesetzgeber durch die Normierung einer Verteilung nach Erfolgsaussicht und Dringlichkeit lediglich marginal vorstrukturiert. Anstatt die grundsätzlichen Voraussetzungen der Organzuteilung oder der Aufnahme auf die Warteliste selbst in wesentlichen Zügen vorzugeben, verlässt sich der Gesetzgeber auf die von der Bundesärztekammer aufgestellten Richtlinien. Auch dieses Gremium ist als nicht eingetragener Verein privatrechtlicher Natur. Die Inhalte der Richtlinien sind zudem keinesfalls unumstritten und bedürfen aufgrund ihrer hohen Relevanz für die potentiellen Organempfänger einer rechtlichen Untersuchung. Ebenso wenig engagiert zeigt sich der Staat im Bereich der Kontrolle der involvierten privaten Akteure. Auch wenn er die Überwachung der Institutionen mit den Reformen zum Teil gestärkt hat, überlässt er das System in wesentlichen Teilen der selbstregulierten Kontrolle. Das Rückzugsverhalten des Staates drückt sich überdies im Fehlen jeglicher Rechtsschutzregelungen im Transplantationsgesetz aus, die trotz vielfacher Ermahnung aus der Wissenschaft nicht aufgenommen wurden. Insgesamt erweist sich diese Zurückhaltung verfassungsrechtlich als höchst problematisch und bedarf eingehender Erörterung. Die aufgezeigten, durch die Reform nicht behobenen, rechtlichen Defizite des Transplantationswesens belegen einen weiteren Novellierungsbedarf des Transplantationsgesetzes, dem im letzten Teil der Arbeit genauer nachgegangen werden soll. Die normativen Neuerungen sind aus rechtspolitischer Sicht zu betrachten; nicht nur aus dem Blickwinkel ihrer Entstehung, sondern auch ihrer zukünftigen Bewährung und denkbaren Modifikationen de



III. Gang der Untersuchung33

lege ferenda. Dem Gesetzgeber bieten sich vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten. Der weitere Regelungsbedarf und die Mannigfaltigkeit an Handlungsoptionen dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Gesetzgeber die Ohren vor – sogar fast einhelliger – Kritik aus der Wissenschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit vielfach verschließen wird. Daher sind auch die Bewertung der Perspektive zumindest mittelfristiger Umgestaltungen des Transplantationsgesetzes und die Gründe möglichen Nichthandelns von Seiten der Politik in die Überlegungen mit einzubeziehen. Ein Fazit schließt die Arbeit ab (Kapitel E.).

B. Der organisatorische Rahmen der Transplantation postmortal gespendeter Organe Die Zulässigkeit und die genauen Voraussetzungen einer Organspende und anschließenden Transplantation regelt seit 1997 das Gesetz über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen und Geweben (Transplantationsgesetz). Die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung der schon längst etablierten medizinischen Praxis ergab sich vor allem aus dem Bedeutungsgewinn des Transplantationswesens für das moderne Therapieverfahren bei terminalem Organversagen. Heute ist die medizinische Errungenschaft der Organ­ übertragung nicht mehr aus dem klinischen Alltag wegzudenken (I.). Recht­ liche Grundlagen einer jeden Übertragung eines postmortal gespendeten Organs sind die Feststellung des Todes des Spenders (II.) und eine Zustimmung zur Organentnahme (III.). Im Rahmen der Koordinierung des Spendeprozesses wird das Vorliegen dieser Voraussetzungen geprüft und das Organ sodann für ein strikt geregeltes Vermittlungsverfahren freigegeben (IV.).

I. Medizinische Aspekte der Organtransplantation Um die Unentbehrlichkeit der Organtransplantation für die moderne Medizin zu veranschaulichen, sollen zunächst die medizinischen Grundlagen vorgestellt werden, auf denen mit dem Transplantationsgesetz das hiesige Rechtssystem errichtet wurde. Die Bedeutung der Therapieoption hat innerhalb der letzten Jahrzehnte immer weiter zugenommen (1.), da die medizinischen Möglichkeiten der Organtransplantation trotz noch immer nicht gebannter Risiken (3.) einen enormen Fortschritt durchlaufen haben (2.). Medizinische Zukunftsperspektiven, die der Transplantationsmedizin von heute alsbald den Rang ablaufen könnten, sind noch nicht in greifbare Nähe gerückt (4.). 1. Die Bedeutung der Organtransplantation in der Medizin Schon als die moderne Transplantationsmedizin noch in den Kinderschuhen steckte, hat sie in der Öffentlichkeit größte Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Ihre Entwicklung verlief im letzten Jahrhundert nach vielen Fehlversuchen seit dem Einsatz von Immunsuppressiva in den 60er Jahren rasant (b)). Die Organtransplantation wurde immer mehr zum Hoffnungsträger vie-



I. Medizinische Aspekte der Organtransplantation35

ler schwerkranker Patienten (c)). Mittlerweile werden die Zahlen der Spenden und Transplantationen jährlich statistisch genauestens erfasst und analysiert (a)). a) Die Zahl der Organspenden und Transplantationen in Deutschland Im Jahr 2014 – dem Jahr nach den Reformen – konnten in Deutschland bei 1.339 möglichen Spendern nur 864 Organspenden realisiert werden.1 Diese Zahl belegte einen historischen Tiefstand, der denjenigen vom Vorjahr noch mit einem weiteren Rückgang der Spenderzahlen um 1,4 % übertraf. In ca. 30 % der Fälle scheiterte die Organspende an einer fehlenden Zustimmung.2 Insgesamt wurden 2.989 Organe postmortal gespendet; davon 1.481 Nieren, 763 Lebern, 330 Lungen, 294 Herzen, 114 Pankreas sowie 7 Dünndärme.3 Das entspricht lediglich 10,7 Organspenden pro Million Einwohnern.4 Mit diesem Ergebnis liegt die Bundesrepublik im europäischen Vergleich im untersten Segment. Demgegenüber standen im Jahre 2014 in Deutschland 10.582 bedürftige Warte­listenkandidaten.5 Bei der Analyse der Spenderzahlen fällt auf, dass die Spenden nach dem letzten „Erfolgsjahr“ 2010 (1.296 Spender)6 abgebaut haben. Zwischen 2011 und 2012 kam es zu einem Rückgang von 12,8 %.7 Noch dramatischer folgten ein weiterer Einbruch um 16,3 %8 im Folgejahr und sodann der Tiefstand von 2014. Auch wenn es keine monokausale Begründung für diese Entwicklung gibt, so ist ein Zusammenhang des jähen Rücklaufs der Spenderzahlen mit den Skandalen in der Transplantationsmedizin im Jahre 2012 offensichtlich.9 Trotz der starken Verringerung der Spenden auf 2.989 Organe konnten in Deutschland im Jahre 2014 durch einen transnationalen Austausch über die Stiftung Eurotransplant noch 3.851 Organe transplantiert werden.10 Ebenso ist in den Vorjahren ein Überschuss an transplantierten Organen erkennbar, der die Abhängigkeit der Bundesrepublik von den anderen Verbundstaaten verdeutlicht.11 1  DSO,

Jahresbericht 2014, S. 40. S. 38. 3  Ebda., S. 53. 4  Ebda., S. 51. 5  Ebda., S. 52. 6  DSO, Jahresbericht 2010, S. 16. 7  DSO, Jahresbericht 2012, S. 16. 8  DSO, Jahresbericht 2013, S. 48. 9  Näher zu den Transplantationsskandalen siehe S. 155 ff. 10  DSO, Jahresbericht 2014, S. 56, 62. 11  Zur transnationalen Organallokation durch Eurotransplant siehe S. 121 ff. 2  Ebda.,

36

B. Der organisatorische Rahmen

Im Jahre 2015 ist die Zahl der Organspenden wieder um 1,5 % auf 877 gestiegen.12 Das entspricht 10,8 Organspenden pro Million Einwohnern. Von einer Stabilisation kann jedoch noch keine Rede sein. Im Gegenteil wurde Deutschland vom weltweiten Spitzenreiter Spanien mit vier Mal so vielen Spenden im Jahre 2015 (39,7 Organspenden pro Million Einwohner) sowie den meisten anderen europäischen Ländern weit abgehängt.13 Im Vergleich zum Spitzenjahr 2010 ist ein Rückgang von 31 % postmortal gespendeter Organe zu verzeichnen.14 Der Jahresabschluss von 2016 zeichnet ein noch dunkleres Bild als das Krisenjahr 2014; es kam zu lediglich 857 realisierten Organspenden.15 b) Die Entwicklung der Transplantationsmedizin Die moderne Transplantationsmedizin entwickelte sich kleinschrittig seit dem 19. Jahrhundert. Nachdem der Schweizer Chirurg Theodor Kocher nach der Entfernung der Schilddrüse bei einem Patienten die Entwicklung schwerer Störungen entdeckte, verpflanze er diesem im Jahr 1883 frisches Schilddrüsengewebe.16 Sodann feierte die Medizin die erste erfolgreiche Verpflanzung der Augenhornhaut durch den Österreicher Eduard Zirm im Jahr 1905.17 Es folgten diverse umfangreichere Transplantationsversuche bei Tieren, wie die Übertragung von Vorderbeiden bei Hunden durch den Franzosen Alexis Carrel.18 Allerdings waren diese Experimente nicht lange von Erfolg gekrönt, da sich alsbald Abstoßungsreaktionen zeigten. An diesen immunologischen Prozessen scheiterten auch die ersten Organtransplantationsversuche am Menschen. Die französischen Forscher Jean Hamburger und René Küss verpflanzten im Jahr 1951 insgesamt acht Nieren von toten und lebenden Spendern, doch die Empfänger verstarben binnen kürzester Zeit.19 Der Durchbruch sollte erst drei Jahre später folgen. 1954 gelang die erste dauerhaft erfolgreiche Nierentransplantation unter der Leitung des Amerikaners Joseph E. Murray.20 Er transplantierte eineiige Zwillinge in der Hoffnung, den immunologischen Abwehrprozess umgehen zu können. Sein Plan ging auf und 12  DSO,

Jahresbericht 2015, S. 48. S. 49. 14  Ebda., S. 60. 15  DSO, Jahresbericht 2016, S. 48. 16  Dippel, in: Ebert / Rieß / Roxin u. a. (Hrsg.), FS Hanack, S. 665, 668. 17  Birnbaum / Reinhard, in: Krukemeyer / Lison (Hrsg.), Transplantationsmedizin, S. 273. 18  Siegmund-Schultze, Organtransplantation, S. 17. 19  Ebda., S. 21. 20  Neumann / Schmeding / Pfitzmann u. a., in: Schumpelick (Hrsg.), Gastroenterologische Chirurgie, S. 194. 13  Ebda.,



I. Medizinische Aspekte der Organtransplantation37

ebnete der modernen Organtransplantation ihren Weg. Aber erst durch die Entwicklung von Medikamenten zur Immunsuppression im Laufe der 60er Jahre konnte die Organtransplantation ihren wahren Siegeszug feiern. Seitdem ist es medizinisch möglich, Organe auch von nicht verwandten Personen mit Langzeiterfolg zu übertragen. c) Die Transplantationsmedizin als Hoffnungsträger Das deutsche Gesundheitssystem hat längst eine implizite Werteordnung entwickelt, die den Menschen vor allem eine qualitativ hochwertige Versorgung, Versorgungssicherheit und den gleichen Zugang zu vorhandenen Ressourcen garantieren soll.21 Die Abwesenheit von Krankheit und Gebrechen werden in der Gegenwart als ein unschätzbar hohes Gut wahrgenommen. Lange Zeit galt jedoch der Verlust der Funktionstüchtigkeit eines lebenswichtigen Organs als sicheres Todesurteil für einen Patienten. Nach ihrer experimentellen Phase hat sich das Transplantationsverfahren in vielen Fällen zu einer Therapieform erster Wahl entwickelt. Weltweit wurden bisher über ¾ Million Organtransplantationen vorgenommen.22 Nur der akute Organmangel bedingt, dass die Zahl der Transplantationen nicht weiter explodiert. Die lange Liste derer, die auf ein Organ warten, dokumentiert den Siegeszug der Transplantationsmedizin. Von ihnen erhält nur ein Teil das oftmals lebensrettende Organ. Mit weiterer Forschung, insbesondere auf dem Gebiet der Immunsuppression, ist anzunehmen, dass die Bedeutung der Therapie in naher Zukunft eher zu- als abnimmt; dies nicht nur im Interesse der Patienten oder der Ärzteschaft, sondern auch zum Vorteil der Krankenkassen. Die Kosten einer Transplantation zuzüglich der Nachsorge für den Patienten sind trotz immenser Höhe oftmals günstiger als die Therapie ohne Spenderorgan. Die Ersparnis bei einer Nierentransplantation im Vergleich zu der sonst dauerhaft notwendigen Dialysebehandlung beträgt beispielsweise 150.000 bis 300.000 Euro pro Fall.23 Dennoch bedeutet der Ausfall eines Organs auch heute noch einen schweren Schicksalsschlag, der einen Menschen zu einem lebenslangen Patienten werden lässt. Aufgrund mangelnder Alternativen und ihrer stetigen Entwicklung wird die Transplantationsmedizin aber auch in Zukunft als Erfolgsmodell gefeiert werden – vorausgesetzt es stehen genügend Organe zur Verfügung. 21  Middel / Pühler, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 3. 22  Neumann / Schmeding / Pfitzmann u. a., in: Schumpelick (Hrsg.), Gastroenterologische Chirurgie, S. 194. 23  König, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, Vor §§ 17, 18 Rn. 5.

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B. Der organisatorische Rahmen

2. Die Verfahren und Möglichkeiten der Transplantationsmedizin Von den ersten Erfolgen auf dem Gebiet der Transplantationsmedizin beflügelt, erfolgte seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine intensive Forschung auf dem Gebiet der Organverpflanzung, die ständig zu neuen Erkenntnissen und Entwicklungen geführt hat und heute noch führt. Kurz dargestellt seien daher auch im juristischen Kontext die Verfahren und Möglichkeiten, die die Transplantationsmedizin heute bietet. Dabei soll überblicks­ artig auf die verschiedenen Formen der Transplantationen (a)) sowie die einzelnen Organtransplantationsverfahren (b)) eingegangen werden. a) Die verschiedenen Formen der Transplantation Ziel einer operativen Verpflanzung von Organen und Geweben ist die Funktionsfähigkeit der geschädigten Teile des Körpers zu ersetzen.24 Die Transplantation wird in unterschiedliche Formen der Übertragung unterteilt. Zunächst werden grundlegend zwei Arten der Übertragung voneinander getrennt: Im Zuge der postmortalen Transplantation wird dem Empfänger organisches Material eines toten Spenders implantiert. Bei der Lebendtransplantation erfolgt die Explantation von Geweben oder Organen bei einem lebenden Menschen.25 Innerhalb der immunologischen Klassifikation wird danach differenziert, ob dem Empfänger im Wege der autologen Transplantation körpereigenes Gewebe oder Körperteile (z. B. Haut, Sehnen, Knorpel) an eine andere Stelle oder aber Organe bzw. Gewebe von einem Fremdspender übertragen werden (allogene Transplantation).26 Von einer syngenen oder isogenen Transplantation wird gesprochen, wenn es sich bei Spender und Empfänger um eineiige Zwillinge, folglich um genetisch identische Personen, handelt.27 Die Xenotransplantation beschreibt den Vorgang der Übertragung von Geweben oder Organen von einem Tier auf den Menschen und steht somit der allogenen Transplantation zwischen den Angehörigen derselben Spezies gegenüber.28 Wird einem Patienten ein versagendes Organ ent24  Vgl. Lipp, in: Laufs / Katzenmeier / Lipp (Hrsg.), Arztrecht, VI Rn. 1; Oduncu, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, Einl. Rn. 14; ders., in: Oduncu /  Schroth / Vossenkuhl (Hrsg.), Transplantation, S. 15. 25  Oduncu, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, Einl. Rn. 15; Ulsenheimer, in: Laufs / Kern (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, § 131 Rn. 1. 26  Lipp, in: Laufs / Katzenmeier / Lipp (Hrsg.), Arztrecht, VI Rn. 1; Neumann /  Schme­ding / Pfitzmann u. a., in: Schumpelick (Hrsg.), Gastroenterologische Chirurgie, S. 194. 27  Neumann / Schmeding / Pfitzmann u. a., in: Schumpelick (Hrsg.), Gastroenterologische Chirurgie, S. 194.



I. Medizinische Aspekte der Organtransplantation39

nommen, um es zu ersetzen, können von dem verworfenen Organ noch gesunde Teile (z. B. Herzklappen, Leberteile) abgetrennt und einem Empfänger eingepflanzt werden. Diese Dominotransplantation ist damit eine Sonderform der Lebendspende.29 b) Die Transplantation solider Organe Als transplantable Organe gelten heute Niere, Leber, Herz, Lunge, Pankreas und Dünndarm. Eine Organtransplantation kann gemäß den Richtlinien der Bundesärztekammer medizinisch indiziert sein, wenn Erkrankungen nicht rückbildungsfähig fortschreiten oder durch einen genetischen Defekt bedingt sind und das Leben des Patienten gefährden oder seine Lebensqualität hochgradig einschränken und durch eine Transplantation erfolgreich behandelt werden können.30 Kontraindikationen können sich nach dem heutigen Stand der Transplantationsrichtlinien anhaltend oder vorübergehend aus allen Befunden, Erkrankungen oder Umständen ergeben, die das Operationsrisiko erheblich erhöhen oder den längerfristigen Erfolg der Transplantation in Frage stellen.31 Mit der Entscheidung für eine Organspende im Entnahmekrankenhaus beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. Je schneller ein Organ beim Empfänger transplantiert wird, desto besser fallen in der Regel die Ergebnisse der Operation aus. Wird Gewebe schlecht oder gar nicht mehr durchblutet (Ischämie), können die Stoffwechselprozesse in den Zellen mangels Sauerstoff und energiereichen Verbindungen nicht mehr optimal aufrecht erhalten werden, sodass sich giftige Stoffwechselprodukte anreichern und die Zellen schädigen.32 Unterschieden wird zwischen der primären warmen Ischämie, bei der das Organ noch im Körper des Spenders ruht, aber von der Blutversorgung abgekoppelt ist, und der darauf folgenden kalten Ischämie. Diese beginnt 28  Neumann / Schmeding / Pfitzmann u. a., in: Schumpelick (Hrsg.), Gastroenterologische Chirurgie, S. 194. 29  DSO, Jahresbericht 2012, S. 26; näher zur Dominotransplantation Gutmann /  Wiese, MedR 2015, S. 315 ff. 30  Siehe den Allgemeinen Teil der Richtlinien für die Wartelistenführung und die Organvermittlung, I.3. 31  Siehe den Allgemeinen Teil der Richtlinien für die Wartelistenführung und die Organvermittlung, I.4.; zu medizinischen Details vgl. Neumann / Schmeding / Pfitzmann u. a., in: Schumpelick (Hrsg.), Gastroenterologische Chirurgie, S. 194, 195. Zur verfassungsrechtlichen Problematik einer Berücksichtigung der Erfolgsaussichten einer Transplantation bei der Aufnahme in die Warteliste siehe S. 446 ff. 32  Siegmund-Schultze, Organtransplantation, S. 32.

40

B. Der organisatorische Rahmen

nach Stillstand des Herzens, wenn die Organe mit eiskalter Konservierungslösung durchströmt werden.33 Als sekundäre warme Ischämie bezeichnet man die Phase bei der Transplantation bis die Freigabe des Empfängerblutstroms in das transplantierte Organ erfolgt.34 Die Toleranzen eines Organs bezüglich der Duldung der Ischämiezeiten sind höchst unterschiedlich.35 Im Rahmen der Organisation der Organtransplantation wird sich stetig um die Optimierung der Flug- sowie Bodentransporte bemüht, damit die Organe möglichst schnell beim Empfänger eintreffen.36 Dennoch sind Schäden durch die Ischämie (Ischämieschäden) sowie auch durch den Anschluss des Organs an die Blutversorgung des Empfängers (Reperfusionsschäden) unvermeidbar.37 Entnommen werden zunächst die thorakalen (Herz und Lunge) und sodann die abdominellen Organe (Leber, Pankreas, Niere, Dünndarm).38 Essentiell für ihre Aufbewahrung ist eine sterile und temperaturschützende Verpackung, wobei eine Temperaturkonstanz von ca. 4–6 Grad bis zu 24 Stunden gewährleistet werden soll.39 Eine wichtige Rolle kommt darüber hinaus der organprotektiven Intensivtherapie zu, die vor allem auf die Behandlung der pathophysiologischen Folgen des Hirntodes zielt.40 Nach Ankunft im Transplantationszentrum und obligatorischen Tests kann die Verpflanzung beim Empfänger beginnen. Vorliegend seien die verschiedenen Transplantationsverfahren in Kürze dargestellt (aa)–ff)).

33  Ebda.,

S. 33.

34  Neumann / Schmeding / Pfitzmann

u. a., in: Schumpelick (Hrsg.), Gastroenterologische Chirurgie, S. 194, 197. 35  Die Konservierungszeit der Niere beträgt 24–40 Stunden, der Leber 12–36 Stunden, des Pankreas 12–36 Stunden, des Herzens 4–6 Stunden, der Lunge 8–12 Stunden und des Dünndarms 8–12 Stunden, Kirste, AVC 2 (2008), S. 93, 110. 36  Eingehend zu den neuesten Entwicklungen Beck, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 109 ff. 37  Siegmund-Schultze, Organtransplantation, S. 34. 38  Neumann / Schmeding / Pfitzmann u. a., in: Schumpelick (Hrsg.), Gastroenterologische Chirurgie, S. 196; Saeger, in: Largiadèr / Saeger / Keel (Hrsg.), Checkliste Chirurgie, S. 476, 480. 39  Kirste, AVC 2 (2008), S. 93, 110. 40  Für medizinische Details vgl. ebda., S. 100. Zur ethischen und rechtlichen Problematik einer Organprotektion vor der Feststellung des Hirntodes siehe S. 246 ff. und S.  282 ff.



I. Medizinische Aspekte der Organtransplantation41

aa) Niere Die Nierentransplantation ist die häufigste Art der Organverpflanzung.41 Nachdem sie weltweit erstmals 1954 von Joseph E. Murray erfolgreich durchgeführt wurde, gelang die erste Transplantation in Deutschland im Jahre 1963.42 Die Niere übernimmt durch die Entgiftung des Körpers sowie durch hormonelle Steuerungen eine wichtige Aufgabe im Stoffwechselprozess, ist aber auch für die Regulierung des Wasser- und Elektrolythaushalts, den Blutdruck sowie den Säure-Basenhaushalt mitverantwortlich.43 Die Insuffizienz des Organs ist daher mit weitreichenden Folgen für den gesamten Organismus verbunden. Häufige Diagnosen bei einer Wartelistenanmeldung sind etwa die zystische Nierenkrankheit, das chronische nephritische Syndrom oder die chronische Nierenkrankheit.44 Indiziert ist die Nierentransplantation bei allen Formen des irreversiblen terminalen Nierenversagens, die zur Erhaltung des Lebens eine Dialysebehandlung erforderlich machen oder in Kürze erforderlich machen werden.45 Sobald die Niere 80–90 % ihrer Funktionsfähigkeit eingebüßt hat, muss ihre Tätigkeit ersetzt werden.46 Zunächst erfolgt eine Dialysebehandlung, die die Lebensqualität der Betroffenen jedoch erheblich einschränkt. Es erfolgt daher regelmäßig die Aufnahme in die Warteliste für ein Spenderorgan. Nur subsidiär gesetzlich zugelassen ist die Lebendspende durch einen eng umgrenzen Personenkreis, sollte zum Zeitpunkt der Organentnahme kein geeignetes, postmortal gespendetes Organ zur Verfügung stehen (§ 8 Abs. 1 Nr. 3 TPG). Rund 8.000 Dialysepatienten warten in Deutschland derzeit auf eine Nierentransplantation, was die Zahl der tatsächlich übertragenen Organe mehr als dreimal übertrifft.47 Die durchschnittliche Wartezeit auf ein Transplantat beträgt aktuell etwa fünf bis sechs Jahre.48

41  Weltweit finden jährlich ca. 76.000 Nierentransplantationen statt, Kniepeiss, in: Kröll / Schaupp (Hrsg.), Hirntod und Organtransplantation, S. 11, 16. 42  Rahmel, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Förderung der Organspende, S. 13. 43  Kirste, in: Beckmann / Kirste / Schreiber (Hrsg.), Organtransplantation, S. 13, 24. 44  DSO, Jahresbericht 2014, S. 66. 45  Siehe die Richtlinie für die Wartelistenführung und die Organvermittlung zur Nierentransplantation, III.1; vgl. auch Beckmann / Lück / Klempnauer, AVC 2 (2009), S. 115. 46  Siegmund-Schultze, Organtransplantation, S. 60. 47  DSO, Jahresbericht 2014, S. 64. 48  Siehe die Information der DSO http: /  / www.dso.de / organspende-und-trans plantation / warteliste-und-vermittlung / niere.html (zuletzt abgerufen am 30.06.2017).

42

B. Der organisatorische Rahmen

Ist ein passender Spender gefunden, wird diesem die Niere unter strenger Einhaltung standardisierter Vorgehensweisen entnommen und sodann für die Transplantation präpariert.49 Regelmäßig wird die neue Niere nicht an die Stelle der Kranken gesetzt (orthotope Transplantation), sondern an anderer Stelle (heterotop) in die Leistengegend hinter das Bauchfell verpflanzt und an die großen Blutgefäße des Beckens angeschlossen.50 Die Nierentransplantation ist heute ein standardisierter Eingriff, bei dem nur noch selten operative Komplikationen auftreten.51 Dennoch können organspezifische Schwierigkeiten auftreten.52 Patienten mit Transplantatversagen sind Kandidaten für eine erneute Transplantation. Retransplantationen machen inzwischen mehr als 20 % aller Nierentransplantationen aus.53 Das 5-Jahres-Transplantationsüberleben beträgt im Durchschnitt knapp 75 %, nach 10 Jahren noch 55 %.54 Nach der Nierentransplantation kann der Patient trotz lebenslanger Abhängigkeit von Immunsuppressiva wieder ein recht gewöhnliches Alltagsleben führen.55 Aufgrund der Möglichkeit einer Dialyse sind Patienten mit Niereninsuffizienz grundsätzlich nicht lebensgefährlich bedroht. Dennoch steigt die Lebensqualität der Betroffenen durch eine Transplantation meist beträchtlich. Die Nierenersatztherapie ist eine aufwändige und zeitraubende Prozedur für die Patienten, die das Blut von Stoffwechselprodukten befreit. Dabei wird sich einer semipermeablen Membran bedient, mit deren Hilfe die Schadstoffe aus dem Blut herausgefiltert werden.56 Die Hämodialyse muss in der Regel drei Mal wöchentlich in einem Dialysezentrum erfolgen und nimmt drei bis fünf Stunden in Anspruch. In dieser Zeit wird die gesamte Blutmenge 10–30 Mal durch den Dialysator gepumpt und gereinigt, infolgedessen 15–20 % einer Nierenleistung erreicht wird.57 Die Peritonealdialyse, auch Bauchfelldialyse genannt, führt der Patient zu Hause aus, indem er sich mehrmals täglich 49  Für medizinische Details informativ Beckmann / Lück / Klempnauer, AVC 02 (2009), S. 115, 119 f. 50  Siegmund-Schultze, Organtransplantation, S.  62; eingehender hierzu: Beckmann / Lück / Klempnauer, AVC 2 (2009), S. 115, 120 ff.; Pfitzmann / Neuhaus, in: Siewert / Rothmund / Schumpelig (Hrsg.), Viszeralchirurgie, S. 340, 344. 51  Kirste, in: Beckmann / Kirste / Schreiber (Hrsg.), Organtransplantation, S. 13, 26. 52  Für medizinische Details vgl. Beckmann / Lück / Klempnauer, AVC 2 (2009), S. 115, 125. 53  Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel, S. 18. 54  Beckmann / Lück / Klempnauer, AVC 2 (2009), S. 115, 128. 55  Opper, Die gerechte und rechtmäßige Verteilung knapper Organe, S. 48. 56  Für medizinische Details vgl. Böhler, in: Kuhlmann / Walb / Böhler (Hrsg.), Nephrologie, S.  547 ff. 57  Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 32.



I. Medizinische Aspekte der Organtransplantation43

Dialyseflüssigkeit zuführt. Ihm wird hierfür ein Silikonschlauch operativ in die Bauchhöhle implantiert, über den die Dialyseflüssigkeit hineingeleitet wird. Dort verbleibt diese einige Stunden, in denen die Giftstoffe aus den Blutgefäßen des Bauchraums über das Bauchfell in die Dialyseflüssigkeit übertreten.58 Diese lebensrettenden Alternativbehandlungen können die Nierenfunktion jedoch nicht vollständig ersetzen. So bleibt die Erzeugung essentieller Hormone aus, die zusätzlich medikamentös behandelt werden muss.59 Ferner rufen die zwangsläufig zurückbleibenden Giftstoffe Spätschäden wie Osteoporose oder Herzinsuffizienz hervor.60 Eine Transplantation stellt bei einer Niereninsuffizienz daher die bevorzugte Therapie dar. bb) Leber Die Leber erfüllt als zentrales Stoffwechselorgan des menschlichen Körpers lebenswichtige Aufgaben in komplexen Stoffwechselvorgängen, bei Auf- und Umbau von Kohlehydraten, Eiweiß und Fetten sowie bei der Entgiftung des Organismus und Speicherung von energiereichen Glukoseverbindungen.61 Eine Lebertransplantation ist für Patienten mit schweren Lebererkrankungen nach Ausschöpfung aller anderen Therapiemöglichkeiten angezeigt.62 Häufigster Transplantationsgrund ist die Leberzirrhose als Endstadium chronischer Lebererkrankungen, die beispielsweise durch den Hepatitis-C-Virus oder Alkoholismus ausgelöst wird.63 Die häufigsten Indikationsgruppen neben der Leberzirrhose sind Krebserkrankungen der Leber, genetische und metabolische Erkrankungen, cholestatische Lebererkrankungen und akutes Leberversagen.64 Da die Organtransplantation die einzige dauerhaft erfolgreiche Therapie bei einer Leberinsuffizienz darstellt, erfolgt bei entsprechender Indikation und fehlenden Kontraindikationen die Meldung des Patienten für die Warteliste recht zügig. Eine Lebendspende kommt unter den engen Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 TPG in Betracht, wobei der Spender den rechten oder linken Anteil seines Organs zur Verfügung stellt (Lebersegment-Lebend­ 58  Ebda.,

S.  32 f. Wie ein zweites Leben, S. 7. 60  Tullius / Pfitzmann / Neuhaus, in: Pfitzmann / Neuhaus / Hetzer (Hrsg.), Organtransplantation, S. 181, 182. 61  Kirste, in: Beckmann / Kirste / Schreiber (Hrsg.), Organtransplantation, S. 13, 27. 62  Kniepeiss, in: Kröll / Schaupp (Hrsg.), Hirntod und Organtransplantation, S. 11, 13. 63  Seehofer / Puhl / Neuhaus, AVC 6 (2008), S. 383, 385. 64  Siehe die Richtlinie für die Wartelistenführung und die Organvermittlung zur Lebertransplantation, III.1. 59  BZgA,

44

B. Der organisatorische Rahmen

spende).65 Typisches Anwendungsgebiet der Lebendspende ist die Transplantation des linken Leberlappens eines Elternteils auf ein Kind, das aufgrund angeborener Enzymdefekte oder Gallengangsatresien nicht überlebensfähig ist.66 Die Zahl der Anmeldungen auf der Warteliste im Jahr 2014 belief sich auf 1.356 Patienten, während 941 Transplantationen erfolgt sind.67 Aufgrund der Änderung der Verteilungsregeln im Jahre 2006, durch die das Kriterium der Transplantationsdringlichkeit maßgeblich in den Vordergrund gerückt wurde, konnte die Mortalität auf der Warteliste von ca. 20 % auf 10 % reduziert werden.68 Gleichzeitig stieg jedoch die Ein-Jahres-Sterberate nach der Transplantation von zuvor unter 20 % auf fast 30 %.69 Ein erheblicher Teil der Todesfälle ereignet sich in den ersten drei bis sechs Monaten.70 Obwohl die Rejektionsrate nach Lebertransplantationen geringer ist als bei anderen Organen, bedarf es einer medikamentösen Immunsuppression, um Abstoßungs­ reaktionen zu vermeiden.71 Zwar gehört die 1963 erstmals erfolgreich durchgeführte Lebertransplantation seit den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts zur Routineversorgung in erfahrenen Zentren, stellt aber dennoch eine große viszeralchirurgische Operation mit hohem Schwierigkeitsgrad und entsprechender signifikanter perioperativer Morbidität dar.72 Für die Implantation der Leber wurden verschiedene Techniken entwickelt, deren Anwendung sich von Zentrum zu Zentrum unterscheidet.73 Typischerweise erfolgt die Lebertransplantation orthotop, sodass die neue Leber an die Stelle des alten Organs gesetzt wird.74 Eine besondere Methode des Transplantationsverfahrens stellt die Split-Lebertransplantation dar, die sich zu einem etablierten klinischen Verfahren

65  Kirste, in: Beckmann / Kirste / Schreiber (Hrsg.), Organtransplantation, S. 13, 30; Oduncu, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, Einl. Rn. 65. 66  Kirste, in: Beckmann / Kirste / Schreiber (Hrsg.), Organtransplantation, S. 13, 30. 67  DSO, Jahresbericht 2014, S. 72. 68  Dannecker / Streng / Ganten u. a., Jahresbericht 2011 / 2012 Marsilius-Kolleg, S. 30. 69  Ebda., S.  30. Zur damit zusammenhängenden Verteilungsproblematik siehe S.  423 ff. 70  Seehofer / Puhl / Neuhaus, AVC 6 (2008), S. 383, 403. 71  Ebda., S. 397. 72  Vgl. Starzel / Machioro / Vonkaulla u. a., Surgery, Gynecology& Obstetrics 177 (1963), S.  659 ff.; Seehofer / Puhl / Neuhaus, AVC 6 (2008), S. 383. 73  Kirste, in: Beckmann / Kirste / Schreiber (Hrsg.), Organtransplantation, S. 13, 29; eingehender hierzu Seehofer / Puhl / Neuhaus, AVC 6 (2008), S. 383, 393 ff. 74  Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel, S.  19; Kniepeiss, in: Kröll / Schaupp (Hrsg.), Hirntod und Organtransplantation, S. 11, 13.



I. Medizinische Aspekte der Organtransplantation45

entwickelt hat.75 Mittels dieser Technik kann eine Spenderleber zwei Empfängern eingepflanzt werden. Dafür wird das zu implantierende Organ in der Regel durch einen asymmetrischen oder klassischen Split in den linkslateralen Teil und den rechten Leberlappen geteilt. Der kleinere linke Teil wird meist für einen Empfänger im Kindesalter vorgesehen, während der Rechte auf einen Erwachsenen transplantiert wird. Grundsätzlich weisen SplitTransplantationen im Vergleich zum konventionellen Verfahren eine höhere Komplikationsrate auf, auch wenn erfahrene Zentren überwiegend positive Ergebnisse ohne erhöhte Mortalität und Morbidität erzielen. Eine Weiterentwicklung der Technik stellt das sog. anatomische Splitten (Full left / Full right) dar, bei dem zwei kleinere Erwachsene oder Jugendliche transplantiert werden können. Dieses Verfahren befindet sich allerdings noch in einer experimentellen Phase und gehört keinesfalls zur klinischen Routinebehandlung. Tatsächlich kommt den Split-Lebertransplantationen insgesamt nur ein Anteil von 10 % der Lebertransplantationen im Eurotransplantraum zu.76 Die Lebertransplantation ist eine lebensrettende Operation. Im Gegensatz zur Niere kann die Leber nicht dauerhaft durch ein „künstliches Organ“ ersetzt werden.77 Zwar existieren heute schon maschinelle Verfahren, ähnlich der Dialyse, die Bilirubin aus dem Blut auswaschen, was jedoch nur einen Teil der Leberfunktion ersetzt.78 Eine kurzfristige Überbrückung der Organinsuffizienz lässt sich durch extrakorporale Leberunterstützungssysteme erreichen, indem das Blut extrakorporal durch Membranen geleitet wird, die mit gesunden Leberzellen beschichtet sind und die Tätigkeit der Leber übernehmen.79 Eine langfristige Lebenserhaltung des Patienten ist mit dieser Methode aber nicht erreichbar, sodass eine Lebertransplantation bei entsprechender Indikation unumgänglich ist. cc) Herz Die Herztransplantation gehört sicherlich zu den öffentlichkeitswirksamsten medizinischen Errungenschaften des letzten Jahrhunderts. Die erste er75  Eingehend zu dieser Operationsmethode Becker / Rahmel, in: Middel / Pühler /  Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 175 ff., die die Splitleber-Transplantation gerade für die pädiatrische Lebertransplantation als großen Fortschritt bewerten. 76  Becker / Rahmel, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 175, 177 ff. 77  Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel, S. 19; Siegmund-Schultze, Organtransplantation, S. 64. 78  Kirste, in: Beckmann / Kirste / Schreiber (Hrsg.), Organtransplantation, S. 13, 26 f. 79  Zu den medizinischen Details der extrakorporalen Leberversorgungssysteme vgl. Puhl, in: Pfitzmann / Neuhaus / Hetzer (Hrsg.), Organtransplantation, S. 171 ff.

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B. Der organisatorische Rahmen

folgreiche Verpflanzung des Organs wurde 1967 in Kapstadt von Christiaan Barnard vorgenommen.80 Heute zählt sie in erfahrenen Transplantationszentren zu einem Routineverfahren für Patienten mit terminaler Herzinsuffizienz.81 Das Herz ist dafür zuständig, mit seiner Pumpleistung den Blutstrom im Körper aufrechtzuerhalten.82 Etwa 90 % der Organempfänger leiden an einer Form der Kardiomyopathie oder einer koronaren Herzerkrankung, die diese Pumpleistung schwächen.83 Es wird vermutet, dass etwa die dilatative Kardiomyopathie durch Virusinfektionen ausgelöst wird, die in seltenen Fällen auch bei jungen Menschen zu einer Entzündung des Herzmuskels führen können.84 Die koronare Herzerkrankung dagegen trifft vermehrt Ältere, bedingt durch eine Arteriosklerose der Herzkranzgefäße, die das Risiko eines Herzinfarkts erhöht.85 Obwohl eine medikamentöse Behandlung von Herzerkrankungen heutzutage möglich ist, müssen Patienten transplantiert werden, sobald die Pumpkraft des Herzens nicht mehr ausreicht, um den Organismus zu versorgen. Die Herztransplantation stellt sich als eine lebensrettende Therapie für die Betroffenen dar. Patienten auf der Warteliste haben regelmäßig nicht mehr als ein Jahr zu leben. Im Jahr 2014 waren es 858 Kandidaten, denen lediglich 304 Transplantationen gegenüberstanden.86 Gerade wegen der demografischen Entwicklung, die die Inzidenz der terminalen Herzinsuffizienz ansteigen lässt, werden jedoch in Zukunft eher mehr als weniger Spenderorgane benötigt.87 Die Ein-Jahres-Überlebensrate nach Herztransplantationen hat sich in Deutschland in den letzten Jahren stark verschlechtert und liegt nur noch bei 77 %, da mit den wenigen zur Verfügung stehenden Organen meist diejenigen Patienten versorgt werden, bei denen eine Operation hochdringlich ist.88 Der Zustand der Betroffen ist jedoch zu diesem Zeitpunkt bereits derart schlecht, dass sich die Erfolgsaussichten der Therapie dramatisch verschlechtert haben.

80  Kirste,

30 f.

in: Beckmann / Kirste / Schreiber (Hrsg.), Organtransplantation, S. 13,

81  Lehmkuhl / Hetzer, in: Pfitzmann / Neuhaus / Hetzer (Hrsg.), Organtransplantation, S. 123. 82  Faller / Schünke, Der Körper des Menschen, S. 206. 83  Conradi / Deuse / Reichenpurner, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 183. 84  Siegmund-Schultze, Organtransplantation, S. 67. 85  Ebda., S. 67. 86  DSO, Jahresbericht 2014, S. 68. 87  Conradi / Deuse / Reichenpurner, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 183. 88  Ebda., S.  184 f.



I. Medizinische Aspekte der Organtransplantation47

Herkömmlich wird das funktionsbeeinträchtigte Herz durch das Spenderherz ausgetauscht. Seltener kommt es zu einer heterotopen Transplantation, bei der das übertragene Herz neben das Ursprüngliche gesetzt und mit ihm verbunden wird.89 Dieses Verfahren birgt zusätzliche Risiken späterer Komplikationen und wird daher grundsätzlich nur angewandt, wenn sich das kranke Herz wieder erholen kann oder das Spenderherz zu klein ist, um den gesamten Organismus ausreichend mit Blut zu versorgen. Trotz vielversprechender experimenteller Ansätze bleibt die Herztransplantation die einzig kurative Therapieoption für eine terminale Herzinsuffizienz.90 Aufgrund des vorherrschenden Organmangels haben sich jedoch Alternativverfahren gerade zur Überbrückung der Wartezeit etabliert.91 Bereits in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts begann die Forschung an einem Kunstherzen, das zunächst die Herzfunktion vollständig ersetzten sollte, heute aber primär für die mechanische Herzunterstützung verwendet wird.92 Die Apparaturen werden über einen extrakorporalen Anschluss mit Energie versorgt, was das Infektionsrisiko beträchtlich steigert.93 Insgesamt erweist sich die Arbeit mit Kunstherzen noch als problembehaftet. Trotzdem werden sie mittlerweile nicht ausschließlich zur Überbrückung der Wartezeit, sondern auch in der Hoffnung auf eine Erholung des eigenen Herzens verwendet, was sich vor allem aufgrund des Spendermangels als ein attraktives Vorgehen für die Zukunft erweisen könnte.94 Noch liegen allerdings keine Langzeitdaten von Patienten vor, denen ein Herzunterstützungssystem als dauerhafte Lösung implantiert wurde.95 Eine weitere Möglichkeit zur Unterstützung des kranken Herzens wurde in der Umwicklung der beiden Herzkammern durch den linken Rückenmuskel (musculus latissimus dorsi) gesehen, der, durch elektrische Reize stimuliert, das Herz beim Pumpen unterstützen soll.96 Mit dieser Methode kann jedoch lediglich die Wartezeit überbrückt, eine Transplantation aber keinesfalls substituiert werden. Andere 89  Siegmund-Schultze,

Organtransplantation, S. 69. in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 183. 91  Eingehend zu mechanischen Unterstützungssystemen des Herzens Südkamp /  Mehlhorn, in: Böhm (Hrsg.), Herzinsuffizienz, S. 123 ff.; zu den neuesten Entwicklungen siehe auch Beyersdorf, in: Kongressband zum 8. Jahreskongress der Deutschen Stiftung Organtransplantation, S. 40 ff. 92  Conradi / Deuse / Reichenpurner, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 183, 188. 93  Kirste, in: Beckmann / Kirste / Schreiber (Hrsg.), Organtransplantation, S. 13, 31. 94  Conradi / Deuse / Reichenpurner, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 183, 188. 95  Beyersdorf, in: Kongressband zum 8. Jahreskongress der Deutschen Stiftung Organtransplantation, S. 40, 41. 96  Siegmund-Schultze, Organtransplantation, S. 71. 90  Conradi / Deuse / Reichenpurner,

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B. Der organisatorische Rahmen

Verfahren zur alternativen Behandlung der Herzinsuffizienz sind beispielsweise erweiterte Implantationsverfahren von Herzklappen oder, bei einem durch Herzinfarkt geschädigten Herzmuskel, die intracoronare Injektion von mononuklearen Knochenmarkzellen.97 Allerdings sind diese Techniken noch keine realistische Alternative zur Transplantation. dd) Lunge Die erste erfolgreiche Lungentransplantation weltweit wurde bereits 1963 vorgenommen; dennoch sind die Erfahrungen mit diesem Eingriff geringer als mit Herzverpflanzungen.98 Die Lunge ist für den Gasaustausch zwischen der Außenluft und dem Blut des menschlichen Körpers verantwortlich.99 Bei einer Reihe von Lungenerkrankungen kommt es über Jahre zu einer Einschränkung des Sauerstoffaustausches zwischen den Alveolen und dem Luftkreislauf.100 Häufige Indikationsgruppen sind die chronische obstruktive Lungenkrankheit, Lungenödeme oder zystische Fibrosen.101 Im Jahre 2014 befanden sich 432 Patienten auf der Warteliste, während 352 Lungen verpflanzt wurden.102 Lebendspenden von einem der beiden Lungenlappen sind höchst selten und lassen sich in Deutschland an einer Hand abzählen.103 Transplantiert werden abhängig von der Erkrankung des Patienten beide oder nur ein Lungenflügel, die orthotop eingesetzt werden.104 Bei gleichzeitiger Herzerkrankung erfolgt häufig eine Kombination mit einem Herzaustausch. Die Herz-Lungen-Transplantation wurde weltweit erstmals 1981 mit Erfolg durchgeführt.105 Indikation zur Herz-Lungen-Transplantation ist das nicht rückbildungsfähige, endgültige Herzversagen bei irreversiblen Lungenerkrankungen, bei denen eine isolierte Herz- oder Lungentransplantation nicht möglich ist.106 Bekannt ist vor allem das Eisenmenger-Syndrom, bei dem 97  Kirste,

31 f.

in: Beckmann / Kirste / Schreiber (Hrsg.), Organtransplantation, S. 13,

98  Vgl. Siegmund-Schultze, Organtransplantation, S. 72; Schmid / Schmitto / Scheld, Herztransplantation in Deutschland, S. 20 f. 99  Kirste, in: Beckmann / Kirste / Schreiber (Hrsg.), Organtransplantation, S. 13, 33. 100  Ebda., S. 33. 101  DSO, Jahresbericht 2014, S. 78. 102  Ebda., S. 76. 103  Ebda., S. 77. 104  Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel, S. 21; Siegmund-Schultze, Organtransplantation, S. 73. 105  Michels / Ruhparwar / Welte u.a, in: Michels / Kochanck (Hrsg.), Repetitorium Internistische Intensivmedizin, S. 548, 554. 106  Vgl. die Richtlinie für die Wartelistenführung und die Organvermittlung zur Herz- und Herz-Lungen-Transplantation, III.1.



I. Medizinische Aspekte der Organtransplantation49

Herzfehler Schäden an der Lunge verursachen.107 Lungen- sowie Herz-Lungen-Transplantationen sind risikoreiche Operationen. Ihre Ergebnisse haben sich jedoch gerade in den letzten Jahren verbessert. Das Ein-Jahres-Überleben bei Patienten, die schon invasiv beatmet werden mussten liegt nach einer Untersuchung der Medizinischen Hochschule Hannover (2005–2008) bei ca. 60 %; bei Patienten, die noch nicht beatmet werden mussten, ist die Rate um 20 % höher.108 Zwar besteht die Möglichkeit, Patienten maschinell zu beatmen, wenn ihre eigene Lunge nicht mehr in der Lage ist, den Körper mit genügend Sauerstoff zu versorgen. Dieses Verfahren kann jedoch nicht als Alternative zu einer Transplantation für Patienten im Endstadium der Lungeninsuffizienz angesehen werden, da die externe Sauerstoffzufuhr die Grunderkrankung nicht therapieren kann.109 Zur Überbrückung der Wartezeit besteht für kurze Zeit auch die Möglichkeit einer extrakorporalen Membranoxygenierung, die jedoch nicht länger als einige Wochen angewandt werden kann.110 ee) Pankreas Obwohl die erste Pankreastransplantation bereits im Jahre 1966 erfolgte, herrscht noch heute große Zurückhaltung bei der Anmeldung von Patienten zur Warteliste, was vor allem dem komplizierten operativen Vorgehen geschuldet ist.111 Das Pankreas wirkt durch Exkretion eines amylasehaltigen Sekrets in den Darm wesentlich an der Verdauung von Eiweißen und Fetten mit.112 Der Grund für die Transplantation des Organs geht jedoch auf seine Funktion in Bezug auf die Kontrolle des Zuckerhaushalts durch Insulinausschüttung zurück.113 Das von der Drüse gebildete Hormon gelangt ins Blut und senkt den Blutzuckerspiegel; ein insbesondere nach der Nahrungsaufnahme für den Stoffwechsel essentieller Vorgang. Nimmt im Alter die Insu­ linausschüttung ab bzw. entwickelt sich eine Insulinresistenz, liegt Diabetes 107  Fischer / Haverich, in: Krukemeyer / Lison (Hrsg.), Transplantationsmedizin, S. 149, 152. 108  Vgl. Strüber, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 191, 192 f. 109  Kirste, in: Beckmann / Kirste / Schreiber (Hrsg.), Organtransplantation, S. 13, 33. 110  Eingehend dazu Rastan / Doll, in: Feindt / Vetter / Weyand (Hrsg.), Die Synopsis der biologischen und mechanischen Kreislaufunterstützung, S. 11 ff. 111  Näher dazu Arbogast, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 201 ff. 112  Kirste, in: Beckmann / Kirste / Schreiber (Hrsg.), Organtransplantation, S. 13, 33. 113  Siegmund-Schultze, Organtransplantation, S. 73.

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B. Der organisatorische Rahmen

mellitus Typ 2 vor, auch bekannt als Altersdiabetes.114 Darüber hinaus erkranken zunehmend junge Menschen an Diabetes mellitus Typ 1, wenn ihre insulinproduzierenden Langerhans-Zellen aufgrund von genetischen Defekten, Autoimmunkrankheiten oder viralen Entzündungen nicht intakt sind.115 Ein langjähriger Diabetes führt bei vielen Patienten zu Komplikationen an anderen Organen, dem diabetischen Spätsyndrom.116. Diabetes ist heute für 30–40 % der Dialysefälle verantwortlich.117 Die Indikationen zur Pankreastransplantation sind umstritten, da es sich nicht um einen vitalen Eingriff handelt, sondern das Spenderorgan „nur“ zur Verbesserung der Lebensqualität und Langzeitprognose eines Diabe­ tikers beiträgt, die Operation aber einige Risiken birgt.118 Die Anmeldungen zur Warteliste sind seit 2011 rückläufig. 2014 wurden lediglich 151 Patienten zur Pankreastransplantation angemeldet und 120 Organe transplantiert.119 Ziel der Therapie ist die physiologische Regulation des Glukosestoffwechsels, um negative Spätfolgen zu vermeiden und dem Patienten damit eine höhere Lebensqualität und -erwartung zu verschaffen.120 Pan­ kreastransplantationen werden in drei Formen durchgeführt: die singuläre Pankreastransplantation, die sequentielle Pankreasverpflanzung nach einer bereits erfolgreich durchgeführten Organtransplantation sowie die simultane Pankreas-Nierentransplantation als häufigste Operationsart, die vor allem bei diabetischen Nierenschäden durchgeführt wird.121 Seltener erfolgt eine alleinige Transplantation des Pankreas, da aufgrund einer starken Immunantwort bisher keine optimalen Ergebnisse erzielt werden konnten.122 Ein Pankreasaustausch nach einer bereits erfolgreich durchgeführten Organtransplantation stellt jedoch eine probate Therapie für Patienten mit dia­ betischem Spätsyndrom dar, das bereits zur Niereninsuffizienz geführt 114  Kirste, in: Beckmann / Kirste / Schreiber (Hrsg.), Organtransplantation, S. 13, 34; Arbogast, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 201, 202. 115  Kirste, in: Beckmann / Kirste / Schreiber (Hrsg.), Organtransplantation, S. 13, 34; Siegmund-Schultze, Organtransplantation, S. 74. 116  Arbogast, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 201. 117  Ebda., S. 201. 118  Platz / A. Müller, in: Pfitzmann / Neuhaus / Hetzer (Hrsg.), Organtransplantation, S. 199. 119  DSO, Jahresbericht 2014, S. 67. 120  Nadalin / Heyne / Königsrainer, Pankreastransplantation, in: Häring / Gallwitz /  Müller-Wieland u. a. (Hrsg.), Diabetologie in Klinik und Praxis, S. 238. 121  Vgl. Arbogast, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 201, 204; Platz / A. Müller, in: Pfitzmann / Neuhaus /  Hetzer (Hrsg.), Organtransplantation, S. 199. 122  Kirste, in: Beckmann / Kirste / Schreiber (Hrsg.), Organtransplantation, S. 13, 35.



I. Medizinische Aspekte der Organtransplantation51

hat.123 Üblicherweise wird zunächst eine (Lebend-)Nierentransplantation durchgeführt, um danach einen Austausch des Pankreas vorzunehmen. Bei der Pankreastransplantation wurden über die Jahre verschiedene Verfahren entwickelt, insbesondere um die Schwierigkeiten im Umgang mit dem Verdauungssekret zu begegnen.124 Da lediglich die funktionsuntüchtigen Inselzellen ersetzt werden sollen, wurde früher der Ausführungsgang des Verdauungssaftes mittels eines Gewebeklebers verklebt (Gangokklusion), was jedoch vermehrt zu Bauchfellentzündungen geführt hat. Später wurde das Sekret dann in die Harnblase geleitet (Blasendrainage). Da bei nachlassender Nierenfunktion der Pankreassaft aber nicht mehr ausreichend verdünnt werden kann, wurde auch diese Technik alsbald in den Hintergrund gedrängt. Heute wird das Pankreas Seit-zu-Seit an eine Dünndarmschlinge genäht, wodurch der Verdauungssaft in den Darm abgeleitet wird (Darmdrainage). Mittlerweile werden in einigen Zentren zudem weitere Operationstechniken getestet. Eine dauerhafte Immunsuppression ist auch bei der Pankreastransplantation unumgänglich, wobei die Dosierung der einschlägigen Medikamente höher ausfällt als bei einer Nieren- oder Leberverpflanzung.125 Es besteht insgesamt ein erhöhtes postoperatives Risiko, das sich in der hohen Retransplantationsrate von einem Drittel der Patienten niederschlägt.126 Insbesondere bei der simultanen Übertragung von Pankreas und Nieren zeigen sich jedoch bei gelingen der Operation hervorragende Ergebnisse. So entspricht die Lebenserwartung eines transplantierten Patienten nahezu der der Normalbevölkerung und über 70 % sind nach fünf Jahren mit funktionierendem Pankreas insulinfrei.127 Seit 1999 befindet sich als alternatives Verfahren die Insel(zell)transplantation in langsamer Entwicklung.128 Bei dieser Therapiemethode werden die Inseln des Pankreas in einem aufwendigen Verfahren separiert und konzentriert. Die Inselsuspension wird dem Empfänger sodann in das Pfortadersystem transfundiert.129 Die Erfolgsaussichten dieser Therapie haben sich in den 123  Arbogast, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 201, 204. 124  Näher zu den Transplantations- und Behandlungsmethoden Arbogast, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S.  201, 204 ff. 125  Ebda., S. 211. 126  Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel, S. 22. 127  Arbogast, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 201, 210. 128  Ebda., S. 212; eingehend dazu: Bretzel, in: Häring / Gallwitz / Müller-Wieland u. a. (Hrsg.), Diabetologie in Klinik und Praxis, S. 245 ff. 129  Arbogast, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 201, 212.

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B. Der organisatorische Rahmen

letzten Jahren signifikant verbessert. Weltweit wurden innerhalb der ersten zehn Jahre der Inseltransplantation über 700 Patienten durch diese Methode transplantiert.130 Die gegenwärtigen, weltweiten Erfolgsraten einer Inseltransplantatfunktion liegen nach einem Jahr bei ca. 82 % und nach drei Jahren bei 75 %. Das Maximalziel einer vollständigen Insulinunabhängigkeit liegt allerdings noch niedriger als bei einer kompletten Pankreastransplantation (ca. 43–50 % nach einem Jahr).131 Alternativ zur Pankreas- und Inseltransplantation besteht eine Therapie durch die regelmäßige Injektion von Insulin, die die Patienten selbst ausführen können. Diese kann jedoch nicht die Spätfolgen der Funktionsunfähigkeit der Inselzellen verhindern, da die Feineinstellung des Blutzuckers mit technischen Mitteln nicht optimal gelingt.132 Damit haben sich auch die Pankreas- und Inseltransplantationen zu signifikanten medizinischen Therapien entwickelt. ff) Dünndarm Die geringste Erfahrung bei der Organübertragung besteht beim Dünndarm. Der erste Versuch einer Dünndarmtransplantation wurde 1967 unternommen, endete jedoch mit verheerenden Folgen; die erste erfolgreiche Verpflanzung in Europa gelang 1987.133 Der Dünndarm übernimmt eine wesentliche Funktion bei der Nahrungsaufnahme, insbesondere bei der Absorption von Kohlenhydraten und Fetten. Diese Aufgabe kann durch die Kürze des Dünndarms bzw. seines funktionstüchtigen Teils maßgeblich beeinträchtigt werden, wie beispielsweise aufgrund eines Morbus Crohn oder eines Gardner-Syndroms.134 Betroffene sind ständig auf eine künstliche Ernährung angewiesen.135 Die Indikationsstellung ist aufgrund der Schwierigkeiten noch außerordentlich eingeschränkt.136 Der geschätzte Bedarf an Spenderorganen liegt bei ca. 2 pro Million Einwohner und die Wartezeit auf 130  Bretzel, in: Häring / Gallwitz / Müller-Wieland u. a. (Hrsg.), Diabetologie in Klinik und Praxis, S. 245, 252. 131  Ebda., S. 245. 132  Kirste, in: Beckmann / Kirste / Schreiber (Hrsg.), Organtransplantation, S. 13, 34; Siegmund-Schultze, Organtransplantation, S. 74. 133  Nadalin, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 219. 134  Kirste, in: Beckmann / Kirste / Schreiber (Hrsg.), Organtransplantation, S. 13, 36. 135  Siegmund-Schultze, Organtransplantation, S. 77. 136  Kirste, in: Beckmann / Kirste / Schreiber (Hrsg.), Organtransplantation, S. 13, 36.



I. Medizinische Aspekte der Organtransplantation53

ein Organ beträgt derzeit zwischen sechs und acht Monaten.137 Transplantiert wurden im Jahre 2016 lediglich vier Dünndärme.138 Darmübertragungen sind sehr aufwändige Verfahren, bei denen schon die Entnahme beim Spender große Expertise erfordert.139 Eine zusätzliche Schwierigkeit stellt eine spezielle Immunreaktion aufgrund der zwangsläufig erfolgenden Transplantation einer Menge lymphatischen Gewebes dar.140 Dadurch ergeben sich hohe Komplikationsraten. Darüber hinaus ist die mangelnde Größen- und Gewichtsübereinstimmung des Spenders mit den oft kindlichen Empfängern problematisch.141 Insgesamt besteht erhöhter Entwicklungsbedarf zur Optimierung des Verfahrens. Bisher wurde in Deutschland ein Ein-Jahres-Transplantatüberleben von ca. 80 % und ein Patientenüberleben von ca. 85 % erreicht, wobei sich die Überlebensrate verbessert, wenn zugleich eine Lebertransplantation erfolgt.142 Gängige Alternative zur Dünndarmtransplantation ist vor allem die künstliche Ernährung der Betroffenen. Die konservativen Methoden können jedoch bei Komplikationen eine Transplantation vital werden lassen.143 3. Die Risiken der Transplantationsmedizin Mit zunehmender Erfahrung der Medizin ist die Organtransplantation zu einem Erfolgskonzept zur Bekämpfung schwerer Organversagen geworden. Verbesserte Operationstechniken, Konservierungsmöglichkeiten und Nachsorge konnten die Ergebnisse der Transplantationen über die Jahre hinweg wesentlich optimieren. Gerade die operativen Maßnahmen haben sich mittlerweile vielfach zu Routineeingriffen ohne schwerwiegende chirurgischtechnische Schwierigkeiten entwickelt. Dennoch ist die Organtransplantation noch immer als ein risikoreiches Unterfangen zu begreifen, die mit gravierenden Komplikationen für Transplantat- als auch Patientenüberleben verbunden sein kann. Im Folgenden soll zumindest holzschnittartig auf allgemeine Risiken (a)) im Zusammenhang mit der Transplantation und im Besonderen auf mögliche Abstoßungsreaktionen (b)) eingegangen werden. 137  Nadalin, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 219, 221. 138  DSO, Jahresbericht 2016, S. 85. 139  Nadalin, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 219, 223. 140  Kirste, in: Beckmann / Kirste / Schreiber (Hrsg.), Organtransplantation, S. 13, 36. 141  Nadalin, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 219, 223. 142  Ebda., S. 223. 143  Ebda., S. 220.

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B. Der organisatorische Rahmen

a) Allgemeine Risiken der Organtransplantation Der Erfolg der Transplantation hängt wesentlich mit der Qualität des verwendeten Organs zusammen. Im Idealfall erhält der Patient ein gesundes, voll funktionsfähiges Transplantat. Immer häufiger muss jedoch auf marginale Spenderorgane (Organe mit eingeschränkter Qualität) zurückgegriffen werden, um dem Ressourcenbedarf annähernd beizukommen. Dementsprechend werden auch solche Organe vermittelt, die lediglich den „erweiterten Spenderkriterien“ genügen.144 Da die kurzen Ischämiezeiten nur eingeschränkte Sicherheitsuntersuchungen erlauben, ist bei Ausweitung der Spenderkriterien die Übertragung maligner oder infektiöser Erkrankungen zu befürchten.145 Das Risiko einer Krankheitsübertragung von Spender auf Empfänger wird jedoch immer häufiger in Kauf genommen. So werden bei der Leber mittlerweile Spender mit Virushepatitis, Meningitis oder einer Drogenabhängigkeit zugelassen.146 Genauso werden inzwischen vermehrt Organe von älteren Spendern akzeptiert, obwohl die Erfolgsaussicht der Transplantation statistisch gesehen bereits bei einem Spenderalter über 55 Jahren geringer ausfällt.147 Im Jahre 2012 war jeder dritte Organspender über 65 Jahre alt.148 Einen weiteren Risikofaktor stellt neben einer schlechten Präparation sowie Transportschäden des Organs insbesondere die Beschädigung der Organe während der Ex- oder Implantation dar. Dabei gilt für die Transplantation aller Organe, dass die Chirurgen größte Präzisionsarbeit leisten müssen. Allein die richtige Entnahmetechnik ist bereits ein entscheidender Faktor für den Erfolg der folgenden Transplantation, denn sie beeinflusst maßgeblich den Qualitätserhalt der Organe.149 144  Siehe Brockmann, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 93. Bei marginalen Spenderorganen gelten erweiterte Spenderkriterien, sodass auch z. B. hohes Alter, ein maligner Tumor oder eine eingeschränkte Organfunktion keine absoluten Ausschlusskriterien für die Verwendung des Organs sind, Kirste, AVC 02 (2008), S. 93, 96; siehe dazu auch Rahmel, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Förderung der Organspende, S. 13, 14; Viebahn, in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin in Deutschland, S.  9, 21 f. 145  Kirste, in: Beckmann / Kirste / Schreiber (Hrsg.), Organtransplantation, S. 13, 58 f. 146  Frühauf / Fischer-Fröhlich / Schmidtmann u. a., in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 115, 116. 147  Kirste, in: Beckmann / Kirste / Schreiber (Hrsg.), Organtransplantation, S. 13, 58. 148  DSO, Jahresbericht 2012, S. 17. 149  Brockmann, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 93.



I. Medizinische Aspekte der Organtransplantation55

Die durchschnittliche Funktionsdauer eines Transplantats wird zudem maßgeblich durch die Verteilungsregeln der Organe bestimmt. In Deutschland liegen die Ein-Jahres-Funktionsraten von Transplantaten bei einigen Organen weit unter dem europäischen Durchschnitt. Dies liegt auch daran, dass hierzulande gerade dringliche Patienten, deren Gesundheitszustand sich dramatisch darstellt, bevorzugt transplantiert werden. Mit der Dringlichkeit sinkt aber die Langzeitfunktion des Organs.150 b) Abstoßungsreaktionen Der größte Risikofaktor nach einer Organtransplantation ist die Abstoßungsreaktion beim Empfänger. Es bezeichnet die natürliche Abwehrreaktion des Körpers auf das fremde Organ. Die eigentliche Funktion des Immunsystems ist es, Infektionen abzuwehren, indem es Fremdkörper bekämpft. Einen Fremdkörper stellt jedoch auch ein implantiertes Organ dar, welches in Folge einer genetisch gesteuerten Reaktion angegriffen wird (host versus graft reaction).151 Dabei werden die hyperakute, die akute und die chronische Abstoßung unterschieden. Die Erste vollzieht sich innerhalb von wenigen Minuten bis Stunden nach der Transplantation, während sich die Akute innerhalb weniger Tage ereignet und die chronische Abstoßung einen fortlaufenden Prozess über Jahre bezeichnet.152 Das Auftreten einer hyperakuten Abstoßung lässt sich in der Regel schwer behandeln und führt zum raschen Transplantatverlust. Auch gegen die chronische Abwehrreaktion ist bisher noch keine Therapie entwickelt worden, die den Prozess der schleichenden Abstoßung effizient verhindert. Nur die akute Abstoßung hat sich durch die Immuntherapie als bisher gut beherrschbar erwiesen.153 Die Immunsuppression ist unerlässlicher Bestandteil der Nachsorge für den Patienten bei der allogenen Transplantation und muss dauerhaft während der gesamten Funktionszeit des Organs fortgeführt werden.154 Zu den Basisimmunsuppressiva gehören heute: Ciclosporin, Tacrolimus, Azathioprin, Corticosteroide und Mycophenolat Mofetil.155 Sie 150  Näher

zur Verteilungsproblematik siehe S. 423 ff. in: Beckmann / Kirste / Schreiber (Hrsg.), Organtransplantation, S. 13, 15. Eine Abstoßung kann aber auch von Seiten des Transplantats erfolgen (graft versus host reaction), ist aber seltener, A. Müller / Pütz, in: Hirner / Weise (Hrsg.), Chirurgie, S. 98, 99; Neumann / Schmeding / Pfitzmann u. a., in: Schumpelick (Hrsg.), Gastroenterologische Chirurgie, S. 194, 197 f. 152  A. Müller / Pütz, in: Hirner / Weise (Hrsg.), Chirurgie, S. 98, 99. 153  Ebda., S. 99. 154  Dagegen bleibt eine Immunreaktion bei Auto- und Isotransplantationen aufgrund der genetischen Identität des Gewebes aus. 155  Zur genauen Wirkweise der Immunsuppressiva sowie zur Induktionstherapie siehe A. Müller / Pütz, in: Hirner / Weise (Hrsg.), Chirurgie, S. 98, 99. 151  Kirste,

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B. Der organisatorische Rahmen

wirken der Abstoßung entgegen, indem sie etwa der Vermehrung oder Aktivierung von Zellen entgegenwirken, die für die Immunreaktion verantwortlich sind.156 Die Unterdrückung der Immunantwort auf das Transplantat wird jedoch teuer erkauft, denn die Behandlung führt abseits sonstiger üblicher Nebenwirkungen wie Diabetes oder Osteoporose zu einer generellen Schwächung des Immunsystems. Auch wenn die immunsuppressive Behandlung wesentlich spezifischer und selektiver geworden ist, führt sie zu einem erhöhten Infektions- und Krebsrisiko der Patienten, dem wiederum mit einer Medikamentation entgegengetreten wird.157 Dennoch infizieren sich viele Organempfänger mit viralen oder bakteriellen Krankheiten oder Pilzen. Ungefähr drei von hundert von ihnen leidet nach einem Jahr an Krebs.158 Forschungsprojekte bemühen sich daher um die Entwicklung von Möglichkeiten einer organspezifischen Immuntoleranz, die ausschließlich die Abwehr des Transplantats verhindert, nicht aber das gesamte Immunsystem des Patienten schwächt. Zum heutigen Zeitpunkt der Forschung ist das jedoch noch eine Zukunftsvision. 4. Die Zukunftsperspektiven der Transplantationsmedizin Die Möglichkeit, menschliche Organe in fremde Patienten zu transplantieren gehört zu den entscheidendsten medizinischen Errungenschaften des letzten Jahrhunderts. Seit den ersten gelungenen Verpflanzungen sucht die Forschung stetig nach neuen Innovationen, um die Versorgung kranker Pa­ tienten zu optimieren. Die Entwicklung der Transplantationsmedizin erfolgte im internationalen Kontext auf rasante Weise, stößt jedoch gerade in den letzten Jahren immer wieder auf scheinbar unüberwindliche Hindernisse. Die herkömmliche Organtransplantation stellt sich aus Sicht der Medizin im besten Fall lediglich als vorübergehende Lösung dar (a)), die durch die Xenotransplantation (b)), eine Stammzelltherapie (c)) oder eine Kombination aus beidem (d)) abgelöst werden soll. Der Begriff des „therapeutischen Imperativs“159 ist heute in aller Munde. Gesellschaft und Medizin postulieren immer energischer eine therapieorientierte Forschungspflicht, um krankheitsbedingtes Leiden zu mindern. Eine ethische Forschungspflicht zugunsten zukünftiger Patienten ist heute so gut

156  Siegmund-Schultze,

Organtransplantation, S. 47 f. den Daele / Engelhart u. a., Organmangel, S. 14 f. 158  Siegmund-Schultze, Organtransplantation, S. 56. 159  Kreß, Medizinische Ethik, S. 119; zu den sich aus der Forschungspflicht ergebenen Konfliktlagen siehe auch Pinkau, in: Schubert (Hrsg.), Experimente mit der Natur, S.  191 ff. 157  Breyer / van



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wie unbestritten.160 Strittig sind jedoch die Grenzen des wissenschaftlichen Fortschritts. Welchen moralischen Maßstäben muss moderne Forschung gerecht werden? Existieren ethische Grundsätze, die bestimmte Vorgehensweisen kategorisch ausschließen? Ist ein gesellschaftlicher Konsens im Rahmen der Wertekonflikte erreichbar? Würden die angesprochenen neuen medizinischen Verfahren unbegrenzt Organersatz zur Verfügung stellen, wären einige Folgeprobleme der Transplantation menschlicher Organe obsolet. Die aufgeworfenen Fragen legen jedoch nahe, dass bestehende medizinische, ethische und rechtliche Konflikte durch prospektive Spannungslagen lediglich substituiert würden. a) Die Transplantationsmedizin als vorübergehende Lösung Die heutigen Überlegungen zur Weiterentwicklung der Transplantationsmedizin sind stark von einer gesellschaftlichen Ausgangslage geprägt, die ein international recht einheitliches Bild zeichnet. Aufgrund der bemerkenswerten medizinischen Ergebnisse hinsichtlich Lebensrettung sowie Lebensqualitätsverbesserung hoffen immer mehr Patienten auf Leidensminderung und werden bei Erfüllung der festgelegten Kriterien in die Warteliste aufgenommen. Schon lange übersteigt die Nachfrage das Angebot an Organen erheblich. Das führt dazu, dass viele Patienten versterben, bevor ein passendes Transplantat für sie bereitgestellt werden kann. In Deutschland sind es im Durchschnitt drei Menschen pro Tag.161 Händeringend wird versucht, die Spendebereitschaft der Bevölkerung zu erhöhen. In aktuellen Diskussionen wird mittlerweile auch vor Anreizsystemen oder einem legalen Organhandel nicht zurückgeschreckt. Doch selbst wenn eine verstärkte Spendermotivation gelingen würde, ist zweifelhaft, ob der gesamte Bedarf zur Versorgung der Patienten gedeckt werden könnte, da die wenigsten Verstorbenen tatsächlich als Spender in Betracht kommen. Infolgedessen wird auch die Ausweitung der in Deutschland nur subsidiär zulässigen Lebendspende diskutiert. Diese kommt jedoch lediglich bei den Nieren, der Teilleberspende und – höchst selten – bei der Spende eines Lungenlappens in Betracht. Eine wirklich flächendeckende Versorgung mit Organen kann damit allein nicht gewährleistet werden. Dem Unterangebot an menschlichen Organen ist trotz vielfacher politischer Kampfansagen schon aufgrund der medizinischen Realitäten kein Beikommen. Aus dem Ressourcenmangel ergeben sich eine Reihe rechtlicher und ethischer Schwierigkeiten. Das Dilemma einer gerechten Verteilung des knappen 160  Kreß,

Medizinische Ethik, S. 119. in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 145.

161  Hilpert,

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B. Der organisatorische Rahmen

Guts, unter Diskussion mannigfaltiger Allokationskriterien, begleitet die Transplantationsmedizin auf Schritt und Tritt. Die Frage nach dem „wer darf leben und wer muss sterben?“ ist allgegenwärtig. Sie ist eine maßgebliche Motivation bei der Suche nach Alternativen zur Transplantationsmedizin. b) Die Xenotransplantation Die Xenotransplantation, die Übertragung tierischer Zellen, Gewebe oder Organe auf den Menschen, gilt als einer der größten Hoffnungsträger, um die Möglichkeiten der Organverpflanzung zu revolutionieren. Durch die Übertragung von tierischen Transplanten könnte ein quasi unerschöpflicher Vorrat an Organen zur Versorgung der Bevölkerung bereitgestellt werden. Rechtlich anzuwenden wäre dann nicht das Transplantations-, sondern vielmehr das Arzneimittelgesetz, da xenogene Organe gemäß § 2 Abs. 1 AMG als Arzneimittel zu qualifizieren sind.162 Beim Einsatz der Xenotransplantation ergeben sich jedoch nicht nur medizinische Möglichkeiten (aa)), sondern zugleich nicht unerhebliche ethische Bedenken (bb)). aa) Medizinische Möglichkeiten Bereits heute ist die Arbeit mit tierischen Geweben und Zellen zur Therapierung von Patienten klinische Realität. Es ist möglich, durch aufbereitete Herzklappen von Schweinen die menschlichen Gegenstücke zu ersetzen. Darüber hinaus wurden beispielsweise vereinzelt Nervenzellen sowie Inselzellen auf den Menschen übertragen.163 Die Transplantation komplexer Organe befindet sich allerdings noch in der experimentellen Phase. Es häufen sich diverse medizinische Schwierigkeiten, die Lösungen erfordern, bevor an eine Integration der Methode in den klinischen Alltag gedacht werden kann. Nach einigen gescheiterten Versuchen der Übertragung von Schimpansenorganen auf Menschen164 konzentriert sich die Forschung heute auf die Übertragung von Schweineorganen auf Primaten. Trotz der entfernteren Ähnlichkeit zum Homo sapiens im Vergleich zum Menschenaffen werden Schweine von der medizinischen Wissenschaft als zu bevorzugende Organquelle ange162  Straßburger, MedR 2008, S. 723, 731; eingehend zu den rechtlichen Fragestellungen Simon, in: Engels / Badura-Lotter / Schicktanz (Hrsg.), Neue Perspektiven der Transplantationsmedizin im interdisziplinären Dialog, S. 265 ff. 163  Sautermeister, in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 360; Schicktanz, Organlieferant Tier?, S. 54. 164  Nur eine Frau überlebte neun Monate lang mit zwei Schimpansennieren; ein Erfolg, der sich in der Xenotransplantation bisher nicht wiederholt hat, SiegmundSchultze, Organtransplantation, S. 171.



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sehen.165 Begründet wird das vor allem mit ihrer physiogenetischen Verwandtschaft zum Menschen und einer anatomisch, physiologisch und biochemischen Ähnlichkeit. Hinzu kommen ein geringeres Infektionsrisiko sowie eine einfache, effiziente Züchtung und Haltung. Zur Realisierung einer Transplantation über die Artgrenzen hinweg sind jedoch hohen Hürden zu überwinden.166 Um die Organe der Quellentiere überhaupt nutzen zu können, müssen diese genetisch verändert werden. Zu diesem Zweck werden transgene Schweine hergestellt.167 Organe aus gewöhnlichen Schweinen würden unaufhaltsame Abstoßungsreaktionen hervorrufen. Jedoch ist auch unter Verwendung von transgenen Quellentieren noch nicht gelöst, wie die Abwehrreaktionen auf das Organ effizient bekämpft werden kann. Herkömmliche Immunsuppressiva vermögen es noch nicht, die Abstoßung sachgerecht unter Kontrolle zu bringen.168 Physiologischer und anatomischer Klärungsbedarf besteht hinsichtlich der Überwindung von Größenunterschieden, dem aufrechten Gang des Menschen und den Unterschieden in den natürlichen Alterungsprozessen der Organe.169 Noch nicht endgültig geklärt ist ferner das Infektionsrisiko bei einem tierischen Organ. Es besteht die Gefahr, dass das Transplantat eine tierische Infektion, im Rahmen der Xenotransplantation Xenozoonose genannt, hervorruft.170 Diese könnte sich dann verbreiten und eine Epidemie, im schlimmsten Fall sogar eine Pandemie, verursachen.171 Mangels aussagekräftigen Erfolgen bei der präklinischen Forschung kann die Xenotransplantation aber ohnehin noch nicht als greifbare Lösungsoption für eine Weiterentwicklung der Organtransplantation bewertet werden.172 165  Eingehend dazu Straßburger, Rechtliche Probleme der Xenotransplantation, S.  42 f. 166  Vgl. zum Forschungsstand Hüsing / Schicktanz, in: Engels / Badura-Lotter /  Schick­tanz (Hrsg.), Neue Perspektiven der Transplantationsmedizin im interdisziplinären Dialog, S. 221 f. 167  Engels, in: Engels / Badura-Lotter / Schicktanz (Hrsg.), Neue Perspektiven der Transplantationsmedizin im interdisziplinären Dialog, S. 170, 173; zur Haltung und Erzeugung transgener Schweine siehe Schicktanz, Organlieferant Tier?, S. 82 ff. 168  Zu den immunologischen Reaktionen siehe Schicktanz, Organlieferant Tier?, S.  56 ff.; Straßburger, Rechtliche Probleme der Xenotransplantation, S. 20 ff. 169  Eingehend dazu siehe Straßburger, Rechtliche Probleme der Xenotransplantation, S. 27 ff.; zur Eignung einzelner Organe und Zellen siehe Hammer, in: Engels /  Badura-Lotter / Schicktanz (Hrsg.), Neue Perspektiven der Transplantationsmedizin im interdisziplinären Dialog, S. 131, 135 ff. 170  Für Details siehe Schicktanz, Organlieferant Tier?, S.  72  ff.; Straßburger, Rechtliche Probleme der Xenotransplantation, S. 29 ff. 171  Schicktanz, Organlieferant Tier?, S. 74, für einen Überblick über die mikrobiologischen Risiken siehe Denner, in: Engels / Badura-Lotter / Schicktanz (Hrsg.), Neue Perspektiven der Transplantationsmedizin im interdisziplinären Dialog, S. 142 ff. 172  Zu den experimentellen Einzelheiten siehe Schicktanz, Organlieferant Tier?, S.  87 f.

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B. Der organisatorische Rahmen

bb) Ethische Bedenken Die Erforschung der Xenotransplantation hat natürlich öffentliche Aufmerksamkeit erregt, aus der eine Reihe von umfangreichen Ethikgutachten erwachsen ist. Die Bundesärztekammer und die Deutsche Transplantationsgesellschaft haben bereits Kommissionen ins Leben gerufen, die sich neben den medizinischen auch rechtlichen und ethischen Fragestellungen der Xenotransplantation widmen.173 Die Vertretbarkeit der tierischen Organübertragung ist in vielfacher Hinsicht höchst umstritten. Sie betrifft vor allem medizinethische sowie tierethische Fragestellungen, auf die in dieser Arbeit in ihrer Gesamtheit nicht eingegangen werden kann; vielmehr soll hier nur ein Bewusstsein für die vorhandenen Problemfelder geschaffen werden.174 Ausgangspunkt der Überlegungen, die den Patienten in ihren Mittelpunkt stellen, ist sein Recht auf Hilfe im Schicksal schwerer Krankheit. Die grundsätzliche sittliche Vertretbarkeit der Herstellung eines „gemischten Körpers“ durch einen gezielten medizinischen Eingriff wird vermehrt angenommen.175 In Frage gestellt wird jedoch die Autonomie des schwerkranken Betroffenen bei einer Entscheidung für eine im Anfangsstadium noch risikoreiche Xenotransplantation. Es bedarf einer wohl abgewogenen Entscheidung, ab welchem Grad eines wahrscheinlichen Nutzens ihre Durchführung gerechtfertigt erscheint.176 Darüber hinaus sehen sich die transplantierten Patienten im Nachgang des Eingriffs einem enormen Unterwerfungszwang ausgesetzt, indem sie ein hohes Maß an Isolation und Überwachung erdulden müssen, um Infektionsrisiken vorzubeugen.177 Es ist noch nicht ausgeschlossen, dass sich diese Infektionsrisiken zum Nachteil der gesamten Bevölkerung realisieren könnten. Klärungsbedürftig ist daher, inwieweit das Risiko einer Verbreitung von Krankheiten beherrschbar sein muss, bis die Xenotransplantation als ethisch vertretbar eingestuft werden kann.178 Hinzu kommen neuartige Fragestellungen im Hinblick auf die Organallokation. Es muss ein Verteilungs173  Hammer, in: Engels / Badura-Lotter / Schicktanz (Hrsg.), Neue Perspektiven der Transplantationsmedizin im interdisziplinären Dialog, S. 132. 174  Eingehend zur Problematik etwa Schicktanz, Organlieferant Tier?, S. 128 ff. 175  Blumer, in: Oduncu / Schroth / Vossenkuhl (Hrsg.), Transplantation, S. 312, 316 f.; Straßburger, MedR 2008, S. 723, 727; zur Problematik der Identitätsveränderung siehe auch Schicktanz, in: Engels / Badura-Lotter / Schicktanz (Hrsg.), Neue Per­ spektiven der Transplantationsmedizin im interdisziplinären Dialog, S. 239, 250 ff. 176  Diesbezüglich siehe Blumer, in: Oduncu / Schroth / Vossenkuhl (Hrsg.), Transplantation, S. 312, 319 ff. 177  Hammer / Thein, in: Oduncu / Schroth / Vossenkuhl (Hrsg.), Transplantation, S. 293, 304, 307; eingehend zu den Infektionsrisiken González, Xenotransplantation, passim. 178  Zu einer umfassenden Risikobeurteilung der Xenotransplantation siehe Engels, in: Engels / Badura-Lotter / Schicktanz (Hrsg.), Neue Perspektiven der Transplanta­



I. Medizinische Aspekte der Organtransplantation61

modus entwickelt werden, der festlegt, welche Patienten ein zunächst mit weniger Komplikationen verbundenes menschliches Organ erhalten und wer mit einem tierischen Transplantat versorgt wird.179 Stehen mit der neuen Ressourcenquelle mehr Organe zur Verfügung, sind auch Finanzierungsengpässe aufgrund einer denkbaren Überforderung der Krankenkassen bei drastisch ansteigender Transplantationszahl als Folgefragen mit in die Überlegungen aufzunehmen.180 Tierethisch bedarf es einer interdisziplinären Auseinandersetzung mit dem Status von Tieren, die als Organlieferanten, aber auch als Empfänger zu Forschungszwecken gebraucht werden.181 Die Bewertung der Xenotransplantation hängt vor allem davon ab, ob man dem Tier einen moralischen Status zubilligt.182 Ob die Xenotransplantation als grundsätzlich unzulässig angesehen wird, es ausschließlich relative Verbote hinsichtlich bestimmter Vorgehensweisen oder sogar gar keine Handlungsbegrenzungen geben sollte, ist eine Frage des ethischen Ansatzes.183 Unabhängig vom Ergebnis der Debatte muss eine Güterabwägung zwischen den Handlungspflichten gegenüber hilfsbedürftigen Menschen und den zu Forschungs- und Transplantationszwecken verwendeten Tieren im gesamtgesellschaftlichen Dialog stattfinden. Teilweise wird im verbrauchenden Umgang mit leidensfähigen Lebewesen zusätzlich zur tierethsichen Problematik die Gefahr gesehen, dem Gebrauch von Menschen als Mittel zum Zweck Vorschub zu leisten.184 Zu denken ist hier vor allem an die Nutzung von anenzephalen Neugeborenen als Organ­ lieferanten.

tionsmedizin im interdisziplinären Dialog, S. 170 ff.; unter Abwägung auch mit der Forschungsfreiheit der Wissenschaftler siehe Straßburger, MedR 2008, S. 723, 730. 179  Hammer / Thein, in: Oduncu / Schroth / Vossenkuhl (Hrsg.), Transplantation, S. 293, 294; Sautermeister, in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 360, 370. 180  Hammer / Thein, in: Oduncu / Schroth / Vossenkuhl (Hrsg.), Transplantation, S. 293, 310; Sautermeister, in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 360, 370. 181  Eingehend zur Tierschutzproblematik Idel, in: Engels / Badura-Lotter / Schicktanz (Hrsg.), Neue Perspektiven der Transplantationsmedizin im interdisziplinären Dialog, S. 196 ff.; grundsätzlich zu den wissenschaftsethischen Problemstellungen bei Tierversuchen Gärditz, in: Gärditz / Löwer (Hrsg.), Wissenschaft und Ethik, S. 97 ff. 182  Eingehend zur Frage nach dem moralischen Status des Tieres Ach / Anderheiden / Quante, Ethik der Organtransplantation, S. 166; Blumer, in: Oduncu / Schroth / Vossenkuhl (Hrsg.), Transplantation, S. 312, 319 ff. 183  Hauptströmungen in dieser Frage sind vor allem der Anthropozentrismus, der Pathozentrismus und der (gemäßigte) Biozentrismus, näher Blumer, in: Oduncu /  Schroth / Vossenkuhl (Hrsg.), Transplantation, S. 312, 319 ff. 184  Ach / Anderheiden / Quante, Ethik der Organtransplantation, S. 168.

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B. Der organisatorische Rahmen

Die Erforschung der Perspektiven von Therapien durch die Xenotransplantation erscheint zur Behandlung schwerkranker Menschen gerechtfertigt, solange strikte Standards eingehalten werden. Die Aufgabe, die Interessen der Mediziner, der Patienten, der Gemeinschaft und der Tiere in einen angemessenen Ausgleich zu bringen, trifft den Gesetzgeber, dem hierbei ein nicht unerheblicher Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zukommt.185 Seine Rolle liegt hier vor allem in der Wahrnehmung der staat­ lichen Schutzpflichten gegenüber allen Betroffenen.186 Bei einem Einsatz am Menschen werden erweiterte Aufklärungspflichten zum Schutz der Empfänger sowie ein strenges Sicherheits- und Qualitätsmanagement nicht nur zu deren Schutz, sondern insbesondere zur Bewahrung der gesamten Bevölkerung vor der Verwirklichung von Infektionsrisiken unverzichtbarer Bestandteil gesetzlicher Regelungen sein. In tierethischer Hinsicht verlangt die geltende Gesetzeslage den Nachweis von ethischer Vertretbarkeit und Unerlässlichkeit der zu erwartenden tierischen Schmerzen, Leiden oder Schäden bei Tierversuchen (§ 7a Abs. 2 Nr. 3, Nr. 4 TierSchG). Es findet eine Abwägung der Belastung des Tieres auf der einen Seite und der wissenschaftlichen Erkenntnis auf der Anderen statt. Maßvolle Belastungen, zu denen auch das leidlose Töten gehört, erscheinen in Anbetracht der Perspektiven für die Verringerung menschlichen Leidens hinnehmbar, solange die realistische Hoffnung besteht, die Xenotransplantation zukünftig klinisch einsetzen zu können. c) Die Stammzelltherapie Die Herstellung von technischem Organersatz befindet sich seit längerem im Fokus medizinischer Experimente und konnte, wie bei der Dialyse, schon erhebliche Erfolge feiern. Dennoch ist der Forschungszweig immer wieder an seine Grenzen gestoßen. Bis auf die Niere kann noch kein weiteres Organ dauerhaft maschinell substituiert werden und auch bei der Dialyse sind Langzeitnebenwirkungen unvermeidbar. Große Hoffnung wird daher in die Entwicklung von Therapien unter dem Einsatz von Stammzellen gesetzt, mit denen geschädigte Zellen sogleich im Körper ersetzt werden könnten. Rechtliche Regelungen auf diesem Gebiet finden sich in unterschiedlichen Gesetzen, deren Anwendung vom jeweiligen Forschungsvorhaben abhängt. Sedes materiae sind vor allem das Embryonenschutzgesetz, das Stammzellgesetz, das Medizinproduktegesetz, das Arzneimittelgesetz sowie auch das Trans185  Zum Regelungsspielraum des Gesetzgebers vgl. BVerfGE 115, 118, 159  f.; BVerfGE 88, 203, 262. 186  Ausführlich zu den grundrechtlichen Fragestellungen Straßburger, MedR 2008, S.  723 ff.



I. Medizinische Aspekte der Organtransplantation63

plantationsgesetz. Neben hoffnungsvollen medizinischen Möglichkeiten (aa)) birgt eine Stammzelltherapie jedoch schwierige ethische Abwägungsfragen (bb)). aa) Medizinische Möglichkeiten Die Entwicklung der Stammzelltherapie befindet sich als recht junges Forschungsverfahren noch immer in seiner Anfangsphase. Die Züchtung ganzer Organe ist eine Zukunftsvision und wird dies noch einige Zeit bleiben. Die Wissenschaft kann dennoch erste beachtliche Erfolge feiern. Zur Therapie der Parkinsonschen Erkrankung wurden bereits multipotente Stamm- und Vorläuferzellen aus der fötalen menschlichen Hirnanlage abgetriebener Föten transplantiert und bei der Knochenmarktransplantation werden schon heute blutbildende Stammzellen eingesetzt.187 Besondere Bedeutung im Rahmen der Geweberekonstruktion hat das sog. Tissue Engineering188 erlangt, das sich in zwei Bereiche, eine in-vivo- und eine in-vitro-Variante, unterteilt. Bei der ersten Alternative wird ein Heilungsprozess im Körper selbst stimuliert, sodass häufig von „regenerativer Medizin“ gesprochen wird.189 Innerhalb des zweiten Verfahrens soll die Vermehrung und Ausbreitung möglichst patienteneigener Zellen gesteuert werden, um ein Gewebekonstrukt zu bilden, das dem Patienten sodann implantiert wird. Der Vorteil dieser Methode liegt in der Umgehung der Ab­ stoßungsreaktion, die bei körperfremdem Gewebe auftritt.190 Eine in vitroZüchtung von komplexen Geweben, wie ganzen Organen, konnte bisher noch nicht erfolgreich unternommen werden, während Gelenkdefekte mittels Transplantation autologer Knorpelzellen bereits behoben wurden.191 Zelluläre Grundlage für alle regenerativen Vorgänge im menschlichen Körper sind die Stammzellen, aus denen sich ausdifferenzierte Zellen von komplexen Geweben und Organen bilden.192 Durch eine gezielte Program187  Ueffing / Meitinger, in: Oduncu / Schroth / Vossenkuhl (Hrsg.), Transplantation, S. 306, 349. 188  Eingehend zu den rechtlichen Grenzen und Voraussetzungen des Tissue Engineering Wernscheid, Tissue Engineering, passim. 189  Gassner, MedR 2001, S. 553, 554. 190  Topp / Kaufmann / Pollok u. a., in: Engels / Badura-Lotter / Schicktanz (Hrsg.), Neue Perspektiven der Transplantationsmedizin im interdisziplinären Dialog, S. 110 f. 191  Topp / Kaufmann / Pollok u. a., in: Engels / Badura-Lotter / Schicktanz (Hrsg.), Neue Perspektiven der Transplantationsmedizin im interdisziplinären Dialog, S. 110, 124. 192  Vgl. Klinge / Steinhoff, in: Oduncu / Schroth / Vossenkuhl (Hrsg.), Transplantation, S. 333, 341; Ueffing / Meitinger, in: Oduncu / Schroth / Vossenkuhl (Hrsg.), Transplantation, S. 306, 349.

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B. Der organisatorische Rahmen

mierung des Differenzierungsvorgangs der Stammzellen wird sich die Züchtung von gewünschten Transplantaten versprochen. Denkbar ist auch eine Regeneration von geschädigtem Organgewebe, bevor eine Transplantation überhaupt notwendig wird.193 Stammzellen finden sich in embryonalen, fetalen und den meisten adulten Geweben.194 Für die medizinische Forschung und deren ethische Bewertung ist vor allem die Unterscheidung von embryonalen195 und adulten Stammzellen relevant. Erstere werden als pluripotent bezeichnet, was bedeutet, dass sie sich in jedwedes Gewebe entwickeln können.196 Diese Fähigkeit haben adulte Stammzellen (ausgereifte Zellen, die auch im voll entwickelnden ­Organismus vorkommen) bereits verloren. Sie können sich ausschließlich in bestimmte Gewebe ausformen und gelten daher nur noch als multipotent. Auch ist ihre Zellteilungsfähigkeit im Vergleich zu den embryonalen Stammzellen erheblich eingeschränkt.197 Aufgrund ihrer Eigenschaften sind besonders Erstgenannte für Forschungszwecke von hoher Relevanz. Aber auch Experimente mit adulten Stammzellen, die beispielsweise aus Knochenmark oder Nabelschnurblut gewonnen werden, sind aus der Forschung nicht mehr wegzudenken. Wie eingangs erwähnt, finden Transplantationen mittels Stammzellen bereits statt. Ungeklärt sind jedoch die mit ihnen verbundenen Langzeitfolgen, da das Verhalten der eingepflanzten Zellen nicht mit Sicherheit vorausgesagt werden kann.198 Nicht auszuschließen ist eine Tumorgenese oder die Induktion von Autoimmunität gegen die implantierten Zellen.199 Bei der Stammzelltherapie sind weder ihre gesamten Potentiale noch die mit ihr verbundenen Wagnisse vollumfänglich prognostizierbar. 193  Ueffing / Meitinger, in: Oduncu / Schroth / Vossenkuhl (Hrsg.), Transplantation, S. 306, 357. 194  Surbek, in: Becchi / Bondolfi / Kostka u. a. (Hrsg.), Die Zukunft der Transplantation von Zellen, Geweben und Organen, S. 11. 195  Zur genauen Unterscheidung der drei Typen embryonaler Stammzellen (embryonale Stammzellen im engeren Sinn, embryonale Keimzellen und embryonale Karzinomzellen) siehe Badura-Lotter, in: Engels / Badura-Lotter / Schicktanz (Hrsg.), Neue Perspektiven der Transplantationsmedizin im interdisziplinären Dialog, S. 56 f. 196  Engels / Badura-Lotter / Schicktanz, in: Engels / Badura-Lotter / Schicktanz (Hrsg.), Neue Perspektiven der Transplantationsmedizin im interdisziplinären Dialog, S. 3, 4; Schicktanz, Organlieferant Tier?, S. 97. 197  Ueffing / Meitinger, in: Oduncu / Schroth / Vossenkuhl (Hrsg.), Transplantation, S.  306, 352 f. 198  Badura-Lotter, in: Engels / Badura-Lotter / Schicktanz (Hrsg.), Neue Perspektiven der Transplantationsmedizin im interdisziplinären Dialog, S. 56, 66. 199  Klinge / Steinhoff, in: Oduncu / Schroth / Vossenkuhl (Hrsg.), Transplantation, S. 347.



I. Medizinische Aspekte der Organtransplantation65

bb) Ethische Bedenken Die gesamte Stammzellforschung ist ein wissenschaftlicher Bereich, der enorme Wertekonflikte verursacht, denn er knüpft einen gordischen Knoten zwischen dem Schutz menschlichen ungeborenen Lebens und der Verpflichtung gegenüber der Gesundheit schwerkranker Patienten. Für die Gewinnung embryonaler Stammzellen werden Embryonen verbraucht, was bedeutet, dass diese zerstört werden. Ob dies im Hinblick auf die Forschungsfreiheit der Wissenschaftler und den Gesundheitsschutz der Patienten wünschenswert oder sogar geboten sein kann, ist heftig umstritten.200 Der deutsche Gesetzgeber hat sich bisher gegen die Zulassung einer Gewinnung embryonaler Stammzellen entschieden, erlaubt jedoch unter bestimmten Voraussetzungen deren Import und Verwendung ausnahmsweise (vgl. § 2 Abs. 1 ESchG, § 4 Abs. 2 StZG). Kulminationspunkt der Debatte ist die Frage nach dem moralischen Wert des menschlichen Embryos, nach der sich seine Schutzwürdigkeit richtet.201 Die Antworten reichen von der Betrachtung des Embryos als absolut unverfügbar, über seine graduelle Schutzwürdigkeit je nach Entwicklungsstadium bis hin zu der These, dass er zu keinem Zeitpunkt eines Schutzes bedarf.202 Argument für einen kategorischen Ausschluss der embryonenverbrauchenden Forschung ist vor allem die Prämisse, dass ein „Mensch im Werden“ ab der Kernverschmelzung von Ei- und Samenzelle vorliege und diesem ein eigenständiger Wert zukomme. Eine Wertung, die sowohl theologische als auch säkulare Konzeptionen vornehmen.203 Nach dem vorgenannten Grundgedanken soll der verfassungsrechtliche Schutz der Menschenwürde zu diesem Zeitpunkt beginnen.204 Ein Gebrauch als Mittel zum Zweck der For200  Eingehend dazu Ach, in: Engels / Badura-Lotter / Schicktanz (Hrsg.), Neue Per­ spektiven der Transplantationsmedizin im interdisziplinären Dialog, S. 108 ff.; in Deutschland existieren zum Umgang mit Embryonen strenge Regelungen, die maßgeblich im Embryonenschutzgesetz (ESchG) und dem Stammzellgesetz (StZG) festgehalten wurden; vgl. zu rechtlichen Aspekten der Forschung mit Stammzellen etwa Brewe, Embryonenschutz und Stammzellgesetz. 201  Engels / Badura-Lotter / Schicktanz, in: Engels / Badura-Lotter / Schicktanz (Hrsg.), Neue Perspektiven der Transplantationsmedizin im interdisziplinären Dialog, S. 11; Kreß, Medizinische Ethik, S. 129. 202  Badura-Lotter, in: Engels / Badura-Lotter / Schicktanz (Hrsg.), Neue Perspektiven der Transplantationsmedizin im interdisziplinären Dialog, S. 56, 74. 203  Ebda., S. 74. 204  Ach, in: Engels / Badura-Lotter / Schicktanz (Hrsg.), Neue Perspektiven der Transplantationsmedizin im interdisziplinären Dialog, S. 108, 111 f.; zum europarechtlichen Kontext der Menschenwürde in der Biomedizin siehe Gärditz, in: Dujmovits / Eberhard / Eisenberger u. a. (Hrsg.), Recht und Medizin, S. 11 ff.; ders., in: Spieker / Hillgruber / Gärditz (Hrsg.), Die Würde des Embryos, S. 87 ff.

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B. Der organisatorische Rahmen

schung, die nicht dem Wohl des Embryos dient, wäre damit ausgeschlossen.205 Für den Schutz des Embryos wird aber nicht nur sein Lebensbeginn als Teil der menschlichen Spezies (Speziesargument), sondern auch dessen Personwerdung angeführt.206 Hingewiesen wird in diesem Zuge auf die Kontinuität der menschlichen Entwicklung (Kontinuitätsargument), die Relevanz der Entwicklungsfähigkeit des Embryos (Potentialitätsargument) sowie dessen Identität mit dem späteren voll entwickelten Menschen (Identitäts­ argument).207 Die Befürworter der verbrauchenden Embryonenforschung hingegen sprechen dem Embryo oftmals einen intrinsischen Wert ab und führen fehlende Empfindungsfähigkeit sowie mangelnden Interessenbesitz des „Forschungsobjekts“ an.208 Durch die Zerstörung des Embryos würde diesem weder Leid im Sinne eines physischen Schmerzes zugefügt noch würden seine Interessen frustriert. Vielmehr werde schlicht von Anfang an verhindert, dass er zu einem empfindungsfähigen Wesen wird und Interessen zu entwickeln vermag.209 Danach wäre die Forschung mit embryonalen Stammzellen uneingeschränkt erlaubt. Graduelle Modelle differenzieren die Legitimität des wissenschaftlichen Verbrauchs von Embryonen nach dessen Entwicklungsgrad (Schutzwürdigkeit beispielsweise erst ab dem 14. Entwicklungstag, an dem keine Möglichkeit zur Zwillingsbildung mehr besteht oder ab der Nidation).210 Eine konsequentialische Argumentationslinie betrachtet nicht den Wert des Embryos an sich, sondern die mit der Forschung verbundenen Folgen. Gegner bewerten diesen Ansatz als Türöffner für eine fatale Verschiebung des ethisch-moralischen Verständnisses des Menschen und sehen konsekutiv der Eugenik Vorschub geleistet.211 Andersherum wird auf die moralische Ver205  Ach, in: Engels / Badura-Lotter / Schicktanz (Hrsg.), Neue Perspektiven der Transplantationsmedizin im interdisziplinären Dialog, S. 108, 112. 206  Eingehend zur Argumentation der Forschungsgegner Beckmann, Ethische He­ rausforderungen der modernen Medizin, S. 36 ff.; vgl. auch P. Kirchhof, in: Kern /  Wadle / Schroeder u. a. (Hrsg.), FS Laufs, S. 931, 942 f.; die sog. SKIP-Argumente insgesamt relativierend aber Kreß, Medizinische Ethik, S. 163 ff. 207  Badura-Lotter, in: Engels / Badura-Lotter / Schicktanz (Hrsg.), Neue Perspek­ tiven der Transplantationsmedizin im interdisziplinären Dialog, S. 56, 75. 208  Ebda., S.  75 f. 209  Ach, in: Engels / Badura-Lotter / Schicktanz (Hrsg.), Neue Perspektiven der Transplantationsmedizin im interdisziplinären Dialog, S. 108, 113. 210  Badura-Lotter, in: Engels / Badura-Lotter / Schicktanz (Hrsg.), Neue Perspek­ tiven der Transplantationsmedizin im interdisziplinären Dialog, S. 56, 83; Kreß, Medizinische Ethik, S. 164; Schroth, in: Kaufmann / Hassemer / Neumann (Hrsg.), Einführung in Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, S. 458, 472 ff. 211  Ach, in: Engels / Badura-Lotter / Schicktanz (Hrsg.), Neue Perspektiven der Transplantationsmedizin im interdisziplinären Dialog, S. 108, 114 f.



I. Medizinische Aspekte der Organtransplantation67

pflichtung der Medizin zur therapeutischen Forschung rekurriert.212 Die nicht unrealistische Aussicht auf eine Heilung schwerer Krankheiten rechtfertige die Zerstörung von Embryonen um der bereits Geborenen Willen.213 Hinzugefügt wird dem oftmals die verfassungsrechtlich verbürgte Forschungsfreiheit, auf die sich die Wissenschaftler berufen könnten.214 In Anbetracht der tiefgreifenden ethischen Konflikte im Hinblick auf wissenschaftliche Experimente, die einen Embryonenverbrauch zur Folge haben, wird vermehrt die Forschung mit adulten Stammzellen vorgeschlagen. Diese wird insgesamt als moralisch weniger belastet angesehen, hat jedoch ihre medizinischen Grenzen. Hinzu kommt, dass auch dieser Forschungszweig keinesfalls völlig frei von ethischen Problemen ist, wie das Beispiel der Stammzellentnahme aus Nabelschnurblut zeigt. Es stellen sich in diesem Zusammenhang vor allem die Fragen, wer Eigentümer des Blutes ist und ob über dieses ein beliebiges Verfügungsrecht besteht.215 Hinzu kommen Datenschutzprobleme, wenn über die entnommene Substanz umfassende Informationen über den Gesundheitszustand von Mutter und Kind gewonnen werden können.216 In öffentlicher Kritik steht auch die Anbahnung einer Trennung zwischen öffentlichen und privaten, kommerziellen Nabelschnurdatenbanken.217 Die „Herkunftsproblematik“ der Zellen ist folglich nur zum Schein gebannt. Immerhin vermeidet dieser Forschungsschwerpunkt jedoch das tragische Dilemma einer Zerstörung ungeborenen Lebens und erweist sich so als rechtlich regulierbar, ohne dass lähmende kulturkampfähnliche Gefechte zu erwarten sind. Die internationale Forschungsrealität mit Embryonen drängt nach normativen Rahmenbedingungen. Das traditionelle Paradigma eines absoluten Lebensschutzes wird sich in Zukunft gegen die ebenso schutzwürdigen Rechte Schwerkranker schwerlich durchsetzen können. Mittlerweile sieht sich die Politik im Zugzwang, bestehende gesetzliche Kautelen gegenüber Embryonen zu überdenken. Schon heute garantiert die Rechtsordnung die Heiligkeit des ungeborenen Lebens nicht mehr in jedem Entwicklungsstadium (vgl. nur 212  Badura-Lotter, in: Engels / Badura-Lotter / Schicktanz (Hrsg.), Neue Perspektiven der Transplantationsmedizin im interdisziplinären Dialog, S. 56, 86. 213  Ebda., S. 85; dagegen aber Mieth, in: Becchi / Bondolfi / Kostka u. a. (Hrsg.), Die Zukunft der Transplantation von Zellen, Geweben und Organen, S. 33. 214  Badura-Lotter, in: Engels / Badura-Lotter / Schicktanz (Hrsg.), Neue Perspek­ tiven der Transplantationsmedizin im interdisziplinären Dialog, S. 56, 86. 215  Wils, in: Kreß / Kaatsch (Hrsg.), Menschenwürde, Medizin und Bioethik, S. 58, 65. 216  Ebda., S. 70. 217  Ebda., S. 71  f.; eingehend zu der Problematik der Nabelschnurdatenbanken siehe Holzgreve / Surbek, in: Becchi / Bondolfi / Kostka u. a. (Hrsg.), Die Zukunft der Transplantation von Zellen, Geweben und Organen, S. 73 ff.

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B. Der organisatorische Rahmen

§ 218 StGB). Den immer mehr in die Defensive gedrängten Verfechtern eines kompromisslosen Schutzes ungeborenen Lebens von der Zellkernverschmelzung an wird vorgeworfen, die Menschenwürde als bloßes Abstraktum oder reinen Symbolbegriff zu schützen.218 Andererseits spricht die moralische Intuition des heute herrschenden Menschenbildes für einen vorgeburtlichen Lebensschutz. Dabei sprechen gute Argumente dafür, den frühen Embryo noch nicht als menschliche Person zu begreifen, solange sich aus ihm noch kein Individuum entwickelt hat. Bis zu seiner Unteilbarkeit bildet er noch keine leiblich-geistige Einheit.219 Dennoch kann nicht geleugnet werden, dass es sich beim frühen Embryo um menschliches Leben handelt. Folglich ist auch die Frage seines Lebensschutzes nicht obsolet. Die verfassungsrechtliche Diskussion, die in dieser Arbeit nicht vertieft dargestellt werden kann, hat ihr Ende noch lange nicht gefunden und wird durch bevorstehende medizinische Durchbrüche in der Forschung in absehbarer Regelmäßigkeit erneut zur Kontroversen werden. Ohne zweckrationale, instrumentelle Vernunft wird sich biomedizinischer Fortschritt im Kampf gegen Gesundheitsbeeinträchtigungen nicht erzielen lassen.220 Ob es tatsächlich erstrebenswert ist, die Opferung menschlichen Lebens zugunsten einer immer dominanteren somatischen Optimierung des Menschen zum Selbstverständnis werden zu lassen, erscheint dennoch höchst zweifelhaft. Eine Antwort darauf kann nur im gesamtgesellschaftlichen Dialog gefunden werden. Es ist absehbar, dass der Gesetzgeber in Zukunft vermehrt unter Regelungsdruck geraten wird.221 Erst mit seinen (Mehrheits-) Entscheidungen wird das rechtlich verbindliche Urteil über die Stammzelltherapie als Alternative zur Transplantationsmedizin gefällt. Im Moment sind seine Signale eher zögerlich. d) Die Komplementierung von „Organnischen“ und Organentwicklung zur Erzeugung funktionaler Organe im lebenden Organismus Im April 2015 wurde auf der achten internationalen Konferenz des nordrhein-westfälischen Stammzellnetzwerks eine neue Therapievision vorgestellt, die die Prozesse der Xenotransplantation und der Stammzelltherapie kombiniert.222 218  Kreß,

Medizinische Ethik, S. 147. dadurch gewonnen Abwägungsspielraum vgl. Kreß, Medizinische Ethik, S.  169 ff.; Schroth, in: Kaufmann / Hassemer / Neumann (Hrsg.), Einführung in Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, S. 458, 472 ff. 220  Schroth, in: Kaufmann / Hassemer / Neumann (Hrsg.), Einführung in Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, S. 458, 476. 221  Näher zu den Herausforderungen des Gesetzgebers im Angesicht bioethischer Neuerungen siehe S. 190 ff. 219  Zum



I. Medizinische Aspekte der Organtransplantation69

Ein Wissenschaftsteam aus Japan möchte mittels der Stammzelltechnik ein Organ in einem transgenen Schwein heranzüchten, und zwar das eines ganz bestimmten Menschen, der ein Organ benötigt. Dafür wird ein SchweineEmbryo im Reagenzglas erzeugt, der nach einem Eingriff aufgrund einer Genmanipulation das für den Patienten notwendige Organ nicht selbst entwickelt. An dieser Stelle kommt der potentielle Empfänger ins Spiel, dem nun Hautzellen entnommen werden. Aus diesen werden Stammzellen erzeugt. Die induzierten pluripotenten Stammzellen werden dem Schweine-Embryo gespritzt, was als „Komplementierung“ bezeichnet wird. In den Bauch einer empfängnisbereiten Sau implementiert, wächst das Schweine-Embryo heran und bildet das menschliche Organ aus. Nach der Geburt wird solange abgewartet, bis das Organ transplantationsreif ist und sodann auf den Patienten übertragen. Auf diesem Weg der Organgewinnung könnten einige medizinische – wenn auch nicht tierethische – Problemfelder, die bei der herkömmlichen Xenotransplantation entstehen, behoben und gleichzeitig die Abstoßungsreaktion beim Organempfänger im Rahmen der bisher üblichen allogenen Transplantation bekämpft werden. Dadurch, dass dem Patienten das genetisch zu ihm gehörende Organ eingepflanzt wird, entfällt die dauerhafte immunrepressive Therapie. Dies würde enorm zur Lebensqualität der Transplantierten beitragen. Sogar Gendefekte könnten mittels des Stammzellverfahrens behoben werden. Gezüchtet wird ein maßgeschneidertes Organ nach Wunsch in einem als Brutkasten fungierendem Tier. Aber auch diese Therapiemethode wird noch längere Zeit eine Zukunfts­ vision bleiben. Die „xenogene Hürde“ führt dazu, dass selbst bei den Versuchen mit Ratten und Mäusen bisher nur sehr wenige lebensfähige Embryonen erzeugt werden konnten. In Deutschland kommt hinzu, dass die Erzeugung von Mensch-Tier-Embryonen strikt verboten ist (vgl. § 7 ESchG).223 Weiterhin ergeben sich auch bei dieser Therapie die bereits angesprochenen ethischen Fragestellungen, die einer breiten gesellschaftlichen Diskussion bedürfen.224

222  Nakauchi, „Organ niche“ and „developmental complementation“ for generation of functional organs in vivo; neueste Erkenntnisse bei Wu / Platero-Luengo / Sakurai, Cell 168 (2017), S. 473 ff. 223  Näher zur Chimären- und Hybridbildung Brewe, Embryonenschutz und Stammzellgesetz, S.  135 ff. 224  Zu diesem neuen Therapieverfahren vgl. Müller-Jung, FAZ v. 22.04.2015, abrufbar unter: http: /  / www.faz.net / aktuell / wissen / schimaeren-als-organspender-schwei nische-plaene-13553116-p2.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2 (zuletzt abgerufen am 30.06.2017).

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B. Der organisatorische Rahmen

5. Ergebnis Die medizinischen Verfahren der Organübertragung haben von ihren frühen Anfängen bis heute eine rasante Entwicklung durchlaufen, sodass die Transplantationsmedizin heute zum Therapiestandard gezählt wird. Viele Eingriffe in diesem Bereich gelten heute als Routineoperationen. Ein ungelöstes Problem ist jedoch die Knappheit von geeigneten Spenderorganen für die Patienten auf der Warteliste, die schwerwiegende ethische Fragen nach der Allokation der medizinischen Ressource aufwirft. Neueste Forschungen zur Entwicklung von Therapiealternativen zur herkömmlichen Transplanta­ tionsmedizin mögen erfolgsversprechend sein, sind aber keinesfalls so weit vo­rangeschritten, dass an eine Integration in den klinischen Alltag gedacht werden kann. Zudem bieten auch die medizinischen Zukunftsvisionen nicht nur Lösungen für bestehende Problemfelder an, sondern sind selbst mit teils gravierenden ethischen Bedenken belastet. Nur eine öffentliche Debatte ethischer Natur und auf dieser Basis erzielte normative Regelungen können zu tragfähigen Lösungen zukünftiger Behandlungsmethoden gelangen.

II. Der Todeseintritt als rechtliche Zäsur der postmortalen Organspende Das Transplantationsgesetz regelt in seinem zweiten Abschnitt die Entnahme von Organen und Geweben beim toten Spender und bestimmt als maßgeblichen Zeitpunkt für die postmortale Organspende damit den Todeseintritt des Patienten. Auf den ersten Blick scheint diese Regelung an eine eindeutige Tatsache anzuknüpfen. Tatsächlich jedoch ist die genaue Markierung des Todeszeitpunkts im wissenschaftlichen Diskurs nicht unumstritten. Relevant ist die Problematik vor allem deshalb, weil in Deutschland die sog. Dead-Donor-Rule (Tote-Spender-Regel) gilt. Die Entnahme lebenswichtiger Organe ist ausschließlich bei einem Toten gestattet.225 Gemäß § 3 Abs. 1 S. Nr. 2 TPG muss der Tod des Spenders nach den Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, festgestellt werden, bevor mit der Organentnahme begonnen werden darf (1.). Dabei gilt in Deutschland das Hirntodkonzept (2.), dessen strikte Anwendung die Organexplantation bei Spendern mit Herz-Kreislaufstillstand grundsätzlich ­ ausschließt (3.).

225  Esser,

DZPhil 60 (2012), S. 419, 420; Höfling, MedR 2013, S. 407.



II. Der Todeseintritt als rechtliche Zäsur der postmortalen Organspende 71

1. Feststellung des Todeszeitpunkts nach dem Transplantationsgesetz Die Diagnose des in § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG maßgeblichen Todeszeitpunkts erfolgt auf der Grundlage von § 5 TPG. § 5 Abs. 1 S. 1 Var. 1 TPG bestimmt, dass die Feststellung des Todes durch zwei dafür qualifizierte Ärzte zu treffen ist,226 die den Organ- oder Gewebespender unabhängig voneinander untersucht haben. Zur Vermeidung von Interessenkonflikten der Ärzte dürfen diese gemäß § 5 Abs. 2 S. 1 TPG weder an der Entnahme noch an der Übertragung der Organe oder Gewebe des Spenders beteiligt sein, noch dürfen sie den Weisungen eines Arztes unterstehen, der an diesen Maßnahmen teilnimmt.227 Diese gesetzlichen Bestimmungen erscheinen einsichtig und nicht mit Schwierigkeiten behaftet. Die Brisanz der diesbezüglichen Regelungen im Transplantationsgesetz wird erst durch die weitere Gesetzeslektüre deutlich. Erwartet der Rezipient nun eine klare gesetzliche Erläuterung des Todesbegriffs oder gar eine Legaldefinition, wird er enttäuscht. An keiner Stelle definiert der Gesetzgeber den Terminus eindeutig; auch andere Gesetze im deutschen Rechtsraum schweigen dazu.228 Dieser Umstand zeugt von den während des Gesetzgebungsverfahrens im Bundestag herrschenden Unstimmigkeiten im Hinblick auf eine adäquate allgemeine Todesdefinition, die sich nicht nur im Rahmen der Organspende als zweckmäßig, sondern insgesamt als gesellschaftstauglich erweisen sollte.229 Gleichwohl gibt der Gesetzgeber Kriterien an die Hand, aus denen sich zumindest eine implizite Festlegung auf ein gültiges Todeskriterium herauslesen lässt. In § 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG bestimmt er, dass eine Organ- und Gewebeentnahme unzulässig ist, wenn nicht der endgültige, nicht behebbare Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms (sog. irreversibler Hirnfunktionsausfall oder geläufiger auch Gesamthirn- bzw. kurz Hirntod)230 226  Für Embryonen und Föten gelten die Sonderregelungen gemäß § 4a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG und § 5 Abs. 3 TPG. 227  BT-Drs. 13 / 4355, S. 19. 228  Angstwurm, in: Niederschlag / Proft (Hrsg.), Wann ist der Mensch tot?, S. 9, 11; Höfling, in: Sterzik (Hrsg.), Zweites Leben, S. 104, 105. Eine ähnliche Lage findet sich im österreichischen Organtransplantationsgesetz, in dem weder der Tod definiert noch Kriterien über die Methoden seiner Feststellung aufgestellt werden, siehe Kopetzki, in: Kröll / Schaupp (Hrsg.), Hirntod und Organtransplantation, S. 35, 45. Anders hingegen in der Schweiz, deren Transplantationsgesetz in Art. 9 den Funktionsausfall des Hirns, einschließlich des Hirnstamms, zum Tod des Menschen erklärt. 229  Vgl. Lang, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 2 Rn. 61; Middel / Scholz, in: Spickhoff (Hrsg.), TPG, § 3 Rn. 4. 230  Der die medizinischen Umstände genau beschreibende Begriff „irreversibler Hirnfunktionsausfall“ wurde durch die neueste Fortschreibung der Richtlinie der

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nach Verfahrensregeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, festgestellt wurde.231 Im Zusammenhang mit dem Titel des zweiten Abschnitts des Transplantationsgesetzes (Entnahme von Organen und Geweben bei toten Spendern) sowie der normierten Voraussetzung des Todes für die Organentnahme in § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG, lässt sich die Entscheidung des Gesetzgebers durch Auslegung ermitteln. Da die Organ- und Gewebeentnahme nur vor Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls unzulässig ist und der Spender tot sein muss, legt sich der Gesetzgeber implizit auf das Hirntodkriterium zur Bestimmung des menschlichen Todes fest.232 Der irreversible Ausfall des Gesamthirns wird als ausreichend für eine sichere Todesdiagnose angesehen. Andere Kriterien zur Feststellung des Todes werden dadurch erst einmal nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Zuweilen wird vom Hirntod als „Mindeststandard für den Tod“ gesprochen.233 Die Feststellung des „Todes“ und des „Hirntodes“ werden durch diesen gesetzgeberischen „Kunstgriff“ zwar getrennt, jedoch nicht völlig unabhängig voneinander normiert. Davon, dass es der Gesetzgeber offen lassen würde, ob der Nachweis des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls ein sicheres Todeszeichen darstelle, kann nicht gesprochen werden.234 Würden die Regeln der medizinischen Wissenschaft zum Ergebnis kommen, dass der Hirntod nicht mehr als gültiges Todeskriterium angesehen werden könnte, wären die Normierungen des Transplantationsgesetzes einem Widerspruch ausgesetzt, da sie – wie soeben festgestellt – die Entnahme von Organen- und Geweben im zweiten Abschnitt nur bei einem toten Spender erlauben und gleichzeitig festhalten, dass die Entnahme zumindest vor Feststellung des Gesamthirntodes unzulässig ist. Der Eingriff müsste aber auch nach der Hirntoddiagnose als verboten gelten, wenn diese den Tod nicht nachweisen würde. Ein klares Bekenntnis zur Gleichsetzung von „Gesamthirntod“ und „Individualtod“ des Menschen wird jedoch ver-

Bundesärztekammer zur (Hirntod-)Feststellung etabliert, um dem Missverständnis entgegenzuwirken, das Gehirn wäre beim „Hirntod“ insgesamt abgestorben. Da jedoch bislang der Begriff „Hirntod“ geläufig war, soll er synonym verwendet werden. Irreführend, jedoch in den Medien mittlerweile verbreitet, ist die Kombination der Begriffe durch die Wendung „irreversibler Hirntod“, da die Irreversibilität schon eine notwendige Bedingung für das Vorliegen des Hirntodes darstellt. 231  Auch das Vorliegen des Gesamthirntodes wird gemäß § 5 Abs. 1 Var. 2, Abs. 2 S. 1 TPG von zwei dafür qualifizierten, unabhängigen Ärzten diagnostiziert. 232  Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 10; Höfling / Rixen, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 5 Rn. 3; für die juristische Todesdefinition in Form des Hirntodes auch Parzeller / Henze / Bratzke, KritV 4 (2004), S. 371, 375. 233  Schreiber, in: Beckmann / Kirste / Schreiber (Hrsg.), Organtransplantation, S. 64, 71. 234  So aber Oduncu, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, Einl. Rn. 76.



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mieden.235 Von einer mate­riellen Legaldefinition vom Tod als Hirntod wird man daher nicht sprechen können.236 Abweichend vom Vorstehenden reicht die Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Stillstands von Herz und Kreislauf durch einen Arzt für die Feststellung des Todes, soweit nach diesem mehr als drei Stunden vergangen sind (§ 5 Abs. 1 S. 2 TPG). Der Gesetzgeber postuliert damit keinesfalls, dass er den Tod des Menschen erst drei Stunden nach dem Stillstand seines Herz-Kreislaufsystems als eingetreten ansieht, sondern stellt lediglich sicher, dass ein Eingriff zum Zweck der Organ- bzw. Gewebeentnahme erst nach dieser Zeitspanne erfolgt. Die lange Wartezeit (sog. No Touch-Phase237) bis zum Zugriff auf den Spender wird mit dem Abwarten der sicheren Irreversibilität des Zustands begründet.238 Eine Entnahme von Organen, die einem intensivmedizinisch behandelten Leichnam entnommen werden müssen, scheidet zu diesem Zeitpunkt bereits aus, sodass eine Transplantation von Niere, Leber, Herz, Lunge, Pankreas oder Dünndarm nicht mehr in Betracht kommt.239 Indes sind, anders als parenchymatöse Organe, Gewebe noch Stunden und teils sogar Tage nach dem Stillstand des Herz-Kreislaufsystems zur Transplantation geeignet (z. B. Augenhornhaut, Gehörknöchelchen, Knochen, harte Hirnhaut, äußere Haut, Faszien).240 Die Regeln der medizinischen Wissenschaft für die Feststellung des Todes gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG sowie der Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG sollen gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG durch von der Bundesärztekammer erlassenen Richtlinien bestimmt werden. Die Richtlinie gilt heute in der vierten Fortschreibung aus dem Jahre 2015.241 Erstmalig bezieht sich diese nun nicht mehr nur allgemein auf die Feststellung des Hirntodes, sondern nimmt Bezug auf den kon235  Höfling, in: Bondolfi / Kostka / Seelmann (Hrsg.), Hirntod und Organspende, S. 81, 82; Oduncu, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, Einl. Rn. 76; Parzeller / Henze / Bratzke, KritV 4 (2004), S. 371, 375. 236  So aber Höfling / Rixen, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 3 Rn. 11. 237  Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 45. 238  Rixen, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 5 Rn. 3. 239  Ebda., § 5 Rn. 3. 240  Herrig, Gewebetransplantation nach dem Transplantationsgesetz, S. 72. 241  Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG für die Regeln zur Feststellung des Todes nach § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG und die Verfahrensregeln zur Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach § 3 Abs. 2 Nr. 2. Noch ungeregelt sind die Voraussetzungen für die Organ- und Gewebeentnahme bei Embryonen und Föten, da die BÄK diesbezüglich noch keine Richtlinie erlassen hat.

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kreten Auftrag der Bundesärztekammer, nämlich Regeln zur Feststellung des Todes nach § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG und die Verfahrensregeln zur Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG aufzustellen. Inhaltlich bleibt die Richtlinie jedoch wie bisher auf die Diagnose des Hirntodes konzentriert, wenn sie vorgibt, dass das unwiderrufliche Erlöschen der Gehirnfunktion als Todeskriterium entweder durch die in der Richtlinie dargestellten Verfahrensregeln oder durch das Vorliegen anderer sicherer Todeszeichen nachgewiesen wird. 2. Das Hirntodkonzept in der deutschen Transplantationspraxis Der Gesetzgeber hat im Transplantationsgesetz weder den Individualtod ausdrücklich definiert noch der Bundesärztekammer einen expliziten Definitionsauftrag erteilt. In ihrer Richtlinie zur Feststellung des Hirntodes füllt das Gremium die Lücke des Gesetzes dennoch aus, indem es zum Begriff des Todes ausführlich Stellung nimmt (a)). Dabei stützt die Bundesärztekammer die herrschende Überzeugung, dass der irreversible Hirnfunktionsausfall den Tod des Menschen abbildet (b)) und stellt umfassende Voraussetzungen für ein ordnungsgemäßes Diagnoseverfahren auf (c)). a) Das Ereignis des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls Die Richtlinie der Bundesärztekammer konstatiert: „Mit der Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms (irreversibler Hirnfunk­ tionsausfall) ist naturwissenschaftlich-medizinisch242 der Tod des Menschen fest­ gestellt.“243

Sie setzt folglich den Gesamthirntod mit dem Individualtod des Menschen gleich.244 Die Frage nach dem eingetretenen irreversiblen Hirnfunktionsausfall stellt sich laut der Richtlinie, wenn die während der Intensivbehandlung 242  Der Verweis auf die naturwissenschaftlich-medizinischen Erkenntnisse ist an dieser Stelle kritisch zu sehen, da die Formulierung den Eindruck erweckt, es würde sich bei der Bestimmung einer Todesdefinition und dazugehörigen Todeskriterien um ein rein naturwissenschaftlich-medizinisches Problem handeln. Vgl. zur Auseinandersetzung mit dem Todesbegriff S. 209 ff. 243  Vgl. die Richtlinie gem. § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG, S. 2. 244  Oduncu, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, Einl. Rn. 76. Das Versagen des Herz-Kreislaufsystems erkennt die Bundesärztekammer hingegen, auch nach zehnminütiger Dauer, ausdrücklich nicht als Äquivalent zum Hirntod an, sondern verlangt zur Todesfeststellung daneben sichere Todeszeichen (z. B. Leichenstarre, Totenflecken), vgl. dazu die Problematik der Spender ohne Herzschlag, S. 79 ff.



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regelmäßig überprüften Hirnfunktionen erloschen sind, der Gasaustausch sowie die Herz- und Kreislauffunktion durch kontrollierte Beatmung (oder extrakorporale Oxygenierung) aber noch künstlich aufrechterhalten werden.245 Trotz der maschinell induzierten Herz-Kreislauffunktionen ist der Mensch bei einem irreversiblen Ausfall seiner Hirnfunktionen nach Ansicht der Bundesärztekammer tot. Das Absterben des Gehirns im Sterbeprozess ist kein neuartiges Phänomen. Revolutionär ist allerdings die Möglichkeit, den Hirntod gesondert feststellen und den Funktionsausfall der übrigen Organe hinauszögern zu können. Das Absterben des Organs ereignet sich entweder durch eine primäre oder sekundäre Hirnschädigung, wobei erstere auf unmittelbaren Schädigungen des Gehirns (z. B. auf unfallbedingten Einwirkungen oder einer Hirnblutung oder -entzündung) beruht und letztere sich mittelbar durch den Stoffwechsel ergibt (z. B. nach einem Herzinfarkt oder aufgrund von Vergiftungen).246 Diese Beeinträchtigungen führen zu einer mangelnden Durchblutung des Gehirns, das ohne Sauerstoffzufuhr abstirbt. Die Folge des irreversiblen Ausfalls des Gesamthirns ist der Herz-Kreislaufstillstand, der grundsätzlich nach wenigen Minuten eintritt.247 Wird das Herz-Kreislaufsystem aber intensivmedizinisch aufrechterhalten, spricht die Fachwelt aufgrund der Zeitdifferenz zwischen Hirn- und Herz-Kreislaufversagen von einem dissoziierten Hirntod.248 Nach bisherigem medizinischem Erkenntnisstand ist dieser Zustand nicht überwindbar, folglich ein point of no return.249 Mangels intensiv-medizinischer Möglichkeiten ermittelte ein Mediziner den Tod herkömmlich über den „irreversiblen Stillstand von Kreislauf und Atmung verbunden mit dem Aufhören der Tätigkeit des zentralen Nervensystems, gefolgt vom Absterben aller Zellen und Gewebe des gesamten Organismus“250. Auch heute noch markiert das Versagen dieses Systems den häufigsten Beginn des unmittelbaren Sterbeprozesses. Durch die Unterbrechung der Sauerstoffzufuhr folgt der „Hirntod“ alsbald dem „Herz-Kreislauftod“ nach. Die Redundanz des Todesbegriffs macht deutlich, dass sich die Bezeichnung der Zustände als irreversibler Funktionsausfall des Herz-Kreislaufsystems und des Gehirns als genauer erweist als „Herzkreislauf- oder 245  Vgl.

die Richtlinie gem. § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG, S. 2. Kein Weg zurück, S. 11 f. 247  Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 45. 248  Schroth, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, Vor §§ 3 u. 4 Rn. 14. 249  Hilpert, in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 13, 17; Tröndle, in: Firnkorn (Hrsg.), Hirntod als Todeskriterium, S. 53, 54; Ulsenheimer, in: Laufs / Kern (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, § 131 Rn. 9. 250  Hansen, Gerichtliche Medizin, S. 20; vgl. ebenso Quednow, in: Niederschlag /  Proft (Hrsg.), Wann ist der Mensch tot?, S. 39, 40. 246  DSO,

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Hirntod“.251 Es ist (fast) gänzlich unbestritten, dass es nur einen Tod des Menschen geben kann.252 b) Die Entwicklung des Hirntodkonzepts Seit Mitte der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts ist die Medizin durch apparative Beatmung dazu in der Lage, das Herz-Kreislaufsystem eines Menschen künstlich aufrecht zu erhalten.253 Es war indes nicht möglich, alle Patienten wieder aus dem Zustand des Komas zu erwecken. Die französischen Wissenschaftler Pierre Mollaret und Michel Goulon stellten fest, dass die Gehirnaktivität dieser Patienten erloschen war und bezeichneten diesen Zustand als Coma dépassé („jenseits des Komas“).254 Es kam die Frage auf, ob diese Menschen trotz irreversiblen Hirnfunktionsausfalls noch lebten. Dazu äußerten sich die ad-hoc-Kommission der Harvard Medical School sowie – weniger populär – die Kommission für Reanimation und Organtransplantation der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie sowie ein ministerielles Zirkular in Frankreich im Jahre 1968. Sie beschrieben die Feststellung des Gesamthirntodes als sicheres Todeskriterium.255 In Deutschland wurde die Hirntodkonzeption 1982 durch die Bundesärztekammer übernommen.256 Im Jahre 2008 folgte eine weitere viel beachtete Veröffentlichung zum Thema Hirntod von Seiten des President’s Council on Bioethics aus den USA, die das Hirntodkriterium in der Sache bestätigte.257 Jüngst hat sich auch der Deutsche Ethikrat in einer im Jahre 2015 veröffentlichten Stellungnahme für eine Beibehaltung des Hirntodkonzepts aus251  So vorgeschlagen von Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 39; ebenso Oduncu, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, Einl. Rn. 107; der Geläufigkeit der Bezeichnungen halber sollen in dieser Arbeit die Begriffe „irreversibler Hirnfunktionsausfall“ und „Gesamthirntod“ bzw. „Hirntod“ synonym verwendet werden. 252  Angstwurm, in: Hoff / in der Schmitten (Hrsg.), Wann ist der Mensch tot?, S. 41, 46; Oduncu, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, Einl. Rn. 107; Schockenhoff, ZME 58 (2012), S. 117, 121; zur Unterscheidung zwischen personalem und biologischem Tod siehe McMahan, in: Kuhse / Singer (Hrsg.), A companion to bioethics, S.  250 ff. 253  DSO, Kein Weg zurück, S. 8. 254  Höfling / Rixen, Verfassungsfragen der Transplantationsmedizin, S. 51. 255  Oduncu, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, Einl. Rn. 105. 256  Abgedruckt im DÄBl 79 (1982), A-45 ff. Näher zu dem medizin-geschicht­ lichen Hintergrund des Hirntodkonzepts siehe Schlich / Wiesemann, Hirntod. Zur Kulturgeschichte der Todesfeststellung. 257  Controversies in the Determination of Death: A White Paper by the President’s Council on Bioethics; näher zur These des President’s Council on Bioethics siehe S.  215 ff. sowie S.  230 ff.



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gesprochen.258 Es genießt heute in westlichen Hemisphären nicht nur in der medizinischen Praxis weitgehend Anerkennung, sondern wird auch von einem breiten rechtspolitischen Konsens getragen. c) Die Diagnose des Hirntodes Das Transplantationsgesetz schweigt zu der genauen Verfahrensweise der Feststellung des Todes sowie des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls und hat gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG die Verantwortung zur Aufstellung von Richtlinien der Bundesärztekammer übertragen, die den Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft festzuhalten hat.259 Die Beachtung dieses Standes wird bei Einhaltung der Richtlinie vermutet (§ 16 Abs. 1 S. 2 TPG), sodass den Bestimmungen eine hohe Bindungswirkung für die Praxis zukommt.260 Nach der gültigen Richtlinie erfolgt die Hirntoddiagnose in drei Schritten.261 Zunächst muss das Vorliegen einer akuten schweren primären oder sekundären Hirnschädigung nachgewiesen und reversible Ursachen für das Vorliegen der klinischen Symptome des Hirnfunktionsausfalls (z. B. Intoxikationen, Medikamenteneinflüsse) ausgeschlossen werden. Danach werden in 258  Deutscher

Ethikrat, Hirntod und Entscheidung zur Organspende. ähnliche Situation findet sich in Österreich, wo der Gesetzgeber die Methoden der Feststellung des Hirntodes auch als empirische Frage gewertet hat, die nach dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft beurteilt werden müsse. Auf der untergesetzlichen Ebene hat der Oberste Sanitätsrat Methoden der Hirntoddiagnostik festgeschrieben, näher zur Rechtslage in Österreich Kopetzki, in: Kröll / Schaupp (Hrsg.), Hirntod und Organtransplantation, S. 35, 45. Ebenso wird das Feststellungsverfahren in der Schweiz nicht im Transplantationsgesetz, sondern durch die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften geregelt, näher zur Rechtslage in der Schweiz Lenherr / Krones / Schwarz, in: Kröll / Schaupp (Hrsg.), Hirntod und Organtransplantation, S. 115, 116 f. In den USA hingegen sind einheit­ liche Standards zur Feststellung des Hirntodes nicht definiert. Es existieren lediglich Protokolle und Guidelines. Letztlich sind die Untersuchungen aber den Krankenhäusern überlassen, vgl. Stenner, WzS 2014, S. 67, 72. 260  Näheres zur Wirkung der Richtlinien findet sich bei der rechtlichen Bewertung der Einbeziehung der Bundesärztekammer in das Transplantationssystem, siehe S. 351 ff. Eine ähnliche Lage besteht in Österreich, wo die Empfehlung des Obersten Sanitätsrats Anwendung findet. Es handelt sich bei ihr aus rechtlicher Sicht lediglich um Empfehlungen eines sachverständigen Beirats der Gesundheitsverwaltung ohne unmittelbare rechtliche Verbindlichkeit. Die Regelungen sind jedoch Ausdruck des aktuellen Erkenntnisstandes im Sinne eines antizipierten Sachverständigengutachtens und genießen daher eine gewisse Richtigkeitsvermutung, die zumindest mittelbar rechtliche Erheblichkeit für die Praxis entfaltet, vgl. Kopetzki, in: Kröll / Schaupp (Hrsg.), Hirntod und Organtransplantation, S. 35, 45 f. 261  Richtlinie gem. § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG, S. 1. 259  Eine

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einem zweiten Schritt die klinischen Symptome des Ausfalls der Hirnfunktion genau untersucht. Dazu gehören das Vorliegen eines Komas, der Ausfall der Hirnstammreflexe (Lichtstarre beider ohne Mydriatikum mittel- bis maximal weiten Pupillen, das Fehlen des okulo-zephalen Reflexes [Puppenkopfphänomen], das Fehlen des Kornealreflexes [Hornhautreflex], das Fehlen von Reaktionen auf Schmerzreize im Trigeminusbereich und von zerebralen Reaktionen auf Schmerzreize außerhalb des Trigeminusbereichs [Gesichtsbereich], das Fehlen des Pharyngeal- und Trachealreflexes [Würg- und Hustenreflex]) sowie der Ausfall der Spontanatmung. Die Feststellung des Komas gelingt durch den Ausschluss jeglicher bewusster Reaktionen auf äußere Reize. Anschließend wird auch ein durch die Funktion des Stammhirns ermöglichtes unbewusstes Reagieren ausgeschlossen. Erst im Anschluss wird die Fähigkeit zur Spontanatmung geprüft (sog. Apnoe-Test).262 Zuletzt ist in einem dritten Schritt die Irreversibilität der klinischen Ausfallsymptomatik nachzuweisen. Dies wird grundsätzlich durch die Wiederholung des klinischen Untersuchungsverfahrens gewährleistet. Alternativen zur Verlaufsbeobachtung sind die zusätzlichen Untersuchungen durch das isoelektrische EEG, die Prüfung des Ausfalls evozierter Potentiale oder der Nachweis des zerebralen Zirkulationsstillstands. Nur in Sonderfällen (z. B. bei Kindern unter zwei Jahren oder wenn die klinische Untersuchung bei einem Patienten nicht vollständig möglich ist) werden zusätzlich ergänzende apparative Untersuchungen zwingend vorgeschrieben. Die untersuchenden Ärzte müssen über eine mehrjährige Erfahrung in der Intensivbehandlung von Patienten mit schweren Hirnschädigungen verfügen. Es muss darüber hinaus mindestens einer von ihnen Facharzt für Neurologie oder Neurochirurgie sein. Die Diagnostik von Kindern bis zum vollendeten 14. Lebensjahr muss zudem von mindestens einem Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin durchgeführt werden. Zusätzlich präzisiert die Richtlinie die Anforderungen an die Qualifikation der Ärzte, die die ergänzenden apparativen Zusatzuntersuchungen erbringen. Wird der irreversible Hirnfunktionsausfall festgestellt, gilt er als sicheres inneres Todeszeichen. Ein wichtiges Anliegen der Richtlinie ist es, durch die Einhaltung ihrer Verfahrensregelungen ein Höchstmaß an diagnostischer Validität zu gewährleisten und die Hirntodfeststellung so zu einer der sichersten Diagnosen in der Medizin zu erheben.263 Überwacht wird das Feststellungsverfahren im Rahmen des Transplanta­ tionssystems von der durch den Spitzenverband der Gesetzlichen Kranken262  Zur

Durchführung der Tests siehe auch DSO, Kein Weg zurück, S. 17 ff. Kein Weg zurück, S. 28; Terborg, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Förderung der Organspende, S. 69, 73. 263  DSO,



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kassen, der Bundesärztekammer und der Deutsche Krankenhausgesellschaft eingesetzten Überwachungskommission, die eingerichtet wurde, um den Spendeablauf kontinuierlich zu kontrollieren (§ 11 Abs. 3 S. 4 TPG). In die letzte Prüfperiode fielen die Hirntodfeststellungen aus den Jahren 2010 bis 2014. Aus den 4000 Hirntoddiagnostiken war es laut der Kommission notwendig, 45 anlassbezogen näher zu überprüfen. Anlass für die Überprüfung der Richtlinienkonformität der Diagnosen waren Bedenken gegenüber diagnostischen Einzelheiten sowie deren Dokumentation oder dem Ablauf bestimmter Hirntodfeststellungen. Die Kommission hat zusammen mit einer Expertengruppe die einschlägigen Krankenakten einschließlich der Protokolle zur Hirntodfeststellung überprüft. Die aus sechs Personen bestehende Expertengruppe bestand aus Neurologen, Neurochirurgen und Intensivmedizinern. In Einzelfällen wurden weitere medizinische Sachverständige hinzugezogen. Die Untersuchungen ergaben, dass im Prüfzeitraum keinem Patienten lebenserhaltende Maßnahmen vorenthalten wurden. In 43 Fällen kam die Kommission zudem überein, dass die Patienten hirntot waren. Der Abschluss der beiden weiteren Vorfälle steht noch aus.264 3. Kein Spender ohne Herzschlag Die Gewinnung von Organen bei Eintritt des Hirntodes erfolgt bei Patienten, deren Herz-Kreislauf-System apparativ aufrechterhalten worden ist. Dem Körper können durch diese Behandlung auch nach Todeseintritt funktionstüchtige Organe entnommen werden. Diese hirntoten Spender werden als Heart-Beating-Donors bezeichnet. Da in Deutschland die Feststellung des Gesamthirntodes Voraussetzung einer postmortalen Organspende ist, sind die Spender hierzulande „Spender mit Herzschlag“. Ein Blick über die Landesgrenzen hinweg zeigt jedoch, dass die internationale Praxis die Überzeugung von der Notwendigkeit einer Kreislaufstabilisation des Spenders und einer aufwändigen Hirntoddiagnose nicht unbedingt teilt.265 Um funktionsfähige Organe explantieren zu können, ist auch ein Zugriff auf Patienten mit HerzKreislaufstillstand möglich, wenn dieser schnell genug erfolgt. Aufgrund der 264  Zu Einzelheiten der Prüfungen vgl. den Tätigkeitsbericht der Überwachungsund Prüfungskommission von 2014 / 15, S. 19 ff., abrufbar unter: http: /  / www.bundes aerztekammer.de / fileadmin / user_upload / downloads / pdf-Ordner / Transplantation / 2015_09_26_BerPKUEK201415mitKB.pdf (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 265  Allerdings gibt es auch Staaten, wie die Schweiz, die bei der Organentnahme eines Spenders mit Herz-Kreislaufstillstand zusätzlich eine Hirntoddiagnostik verlangen. Diese fordert in der Schweiz zwar auch die Diagnose von zwei Ärzten, jedoch im Gegensatz zu deutschen Vorgaben keine Zeitversetzung der zweiten klinischen Prüfung, sodass diese sofort möglich ist, womit die Organe für die Transplantation brauchbar bleiben, vgl. Lenherr / Krones / Schwarz, in: Kröll / Schaupp (Hrsg.), Hirntod und Organtransplantation, S. 115, 117 f.

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zunehmenden technischen Fortschritte, die eine wesentliche Verbesserung der Transplantation von nach einem Herz-Kreislaufstillstand entnommenen Organen bedingt haben, lassen immer mehr Staaten diese Non-Heart-Beat­ ing-Donors als Spender zu.266 Im Jahr 2011 hat sich in den USA nur noch ein einziger Bundesstaat dagegen verwehrt.267 Das Maastricht-Protokoll von 1995, das am Ende des First International Workshop on Non-Heart-Beating-Donors ausgearbeitet wurde, stellt zwölf Empfehlungen zur Organentnahme bei „herztoten“ Patienten auf.268 Dabei wurde ein international anerkanntes Klassifizierungssystem entwickelt, das die Spender in vier Kategorien einteilt. Es werden verschiedene Ausgangs­ situationen bei der Organspende unterschieden, je nachdem, ob der Patient schon bei Ankunft im Krankenhaus tot ist (Kategorie I: dead on arrival), eine erfolglose Reanimation unternommen wurde (Kategorie II: unsuccessful resusciation), der Patient kontrolliert durch Beendigung der lebenserhaltenen Maßnahmen stirbt (Kategorie III: controlled death) oder einen Herz-Kreislaufstillstand während oder nach positiver Hirntoddiagnose erleidet (Kategorie IV: cardiac arrest in a brain-dead donor). Die verschiedenen Sterbeprozesse bergen unterschiedliche Herausforderungen für die Transplantationsmedizin. Problematisch bei der Ankunft eines toten Patienten ist die Ungewissheit des genauen Zeitpunktes des Herzstillstands und folglich auch des Beginns der Ischämiezeit, während innerhalb der Kategorie II und III fraglich ist, ab welchem Zeitpunkt nach dem Herzstillstand mit der Explantation begonnen werden darf.269 Tatsächlich spielt auch für die Non-Heart-BeatingDonors der Eintritt des Hirntodes eine maßgebliche Rolle bei der Todesfeststellung, obwohl dieser in den meisten Ländern nicht mehr nach der geläufigen Methodik diagnostiziert wird. Der irreversible Hirnfunktionsausfall tritt nach Versagen des Herz-Kreislaufsystems zwangsläufig ein und soll auch beim Spender ohne Herzschlag Entnahmevoraussetzung sein. Um sicherzustellen, dass sich der Hirnfunktionsausfall bereits ereignet hat, wird eine sog. No Touch-Phase eingehalten. Innerhalb dieser Zeit darf nicht mit invasiven Maßnahmen begonnen werden.270 Auf dem ersten internationalen Kongress zur Spende nach dem Herz-Kreislaufstillstand wurde nach einer Abstimmung 266  Lenherr / Krones / Schwarz, in: Kröll / Schaupp (Hrsg.), Hirntod und Organtransplantation, S. 115, 116. 267  Nathan, in: DSO (Hrsg.), Kongressband zum 8. Jahreskongress der Deutschen Stiftung Organtransplantation, S. 10, 11. 268  Die „Statements and Recommendations of the Non Heart-Beating Donors Symposium“ sind aufgeführt bei Kootstra, Transplantation Proceedings 27 (1995), S.  2965 ff. 269  Höfling / Rixen, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 3 Rn. 22 ff. 270  Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 45.



II. Der Todeseintritt als rechtliche Zäsur der postmortalen Organspende 81

ein Zeitraum von zehn Minuten als notwendig erachtet, um vom Eintritt des Hirntodes ausgehen zu können.271 Bis heute ist es nicht gelungen einen Zeitpunkt nachzuweisen, bei dem das gesamte Gehirn sicher irreversibel ausgefallen ist, um als Fixierung einer sicheren No Touch-Phase zu dienen.272 Daher differenziert ihre Länge in der internationalen Praxis. Während in Großbritannien, Spanien und den Niederlanden fünf Minuten vorgeschrieben sind, sind es in Frankreich zehn und Italien zwanzig.273 In den USA hingegen existieren weder gesetzliche Vorgaben noch einheitliche Regelungen, sondern jedes Krankenhaus entscheidet autonom über die jeweiligen Vorgaben, was zu fragwürdigen Szenarien geführt hat, in denen schon Sekunden nach dem letzten Pulsschlag mit den Invasivmaßnahmen begonnen wurde.274 In Deutschland ist die Non-Heart-Beating-Donation bei Nichtfeststellung des Hirntodes aufgrund der einschlägigen Regelungen im Transplantationsgesetz ausgeschlossen. Damit kommt eine solche lediglich im Fall eines Herzstillstands nach der Hirntoddiagnose (Kategorie IV) in Betracht.275 In den anderen Ausgangslagen ist die Zeitspanne, in der funktionsfähige Organe gewonnen werden können zu kurz, um eine Diagnose des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls nach den deutschen Standards zuzulassen. Die Bundesärztekammer hält fest, dass ein Herz-Kreislaufstillstand von zehn Minuten grundsätzlich nicht als sicheres „Äquivalent zum Hirntod“ angesehen werden kann. Zur Feststellung des Todes müssten daher die sicheren Todeszeichen abgewartet werden.276 Dann jedoch sind die Organe für eine Transplantation unbrauchbar. Aus praktischen Gründen ist der Non-Heart-Beating-Donation in Deutschland daher eine klare Absage erteilt worden. 4. Zwischenergebnis Eine elementare Voraussetzung für die postmortale Organspende in Deutschland ist die Feststellung des Todes beim potentiellen Spender. Obwohl im Transplantationsgesetz eine materielle Legaldefinition dieses Todesbegriffs fehlt, hat sich der Gesetzgeber zumindest implizit dafür entschieden, den Eintritt des Todes nach positiver Hirntoddiagnose anzuerkennen. Die Richtlinie der Bundesärztekammer formuliert ausdrücklich, dass der Tod mit 271  Vgl.

Statements No 7 des Maasrtricht Protokolls. in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.) Förderung der Organspende,

272  Angstwurm,

S. 61, 62. 273  Höfling / Rixen, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 3 Rn. 23. 274  Stenner, WzS 2014, S. 67, 73. 275  Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 53. 276  Vgl. die Stellungnahme der BÄK im DÄBl 95 (1998), A-3235.

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B. Der organisatorische Rahmen

der Diagnose des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls nachgewiesen sei und bestimmt die Voraussetzungen für das Feststellungsverfahren. Eine Organentnahme von einem Patienten, dessen Hirntod nicht richtliniengetreu festgestellt wurde, kommt nach dem Transplantationsgesetz nicht in Betracht, sodass der Non-Heart-Beating-Donation im deutschen Rechtsraum keine Bedeutung zukommt.

III. Die Regelungsmodelle für die Zulassung einer Organspende Die Transplantationsmedizin ist einer der wenigen Bereiche im Gesundheitswesen, der auf eine über seine bloße Finanzierung hinausgehende Beteiligung der Bevölkerung, nämlich die Organ- bzw. Gewebespende, angewiesen ist. Die Inanspruchnahme der Bürger bedarf insofern einer rechtlichen Regelung. Es stellt sich im Rahmen der postmortalen Organtransplantation die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Transplantationsmedizin nach dem Tod eines Patienten Zugriff auf seine Organe erhalten soll. Das Spannungsverhältnis zwischen dem Selbstbestimmungsrecht des potentiellen Organspenders und dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit der Erkrankten auf der Warteliste wird – je nach Gewichtung der Interessen – international disparat gelöst. Es haben sich in den letzten Jahrzehnten einige typische Regelungsmodelle herausgebildet, die kurz erläutert werden sollen (1.–6.).277 Der Fokus soll auf der Vorstellung des mit dem „Gesetz zur Regelung der Entscheidungslösung im Transplantationsgesetz“ eingeführten neuen Regelungsmodells liegen (6.). 1. Die Zustimmungslösung Bei Anwendung der Zustimmungslösung besteht zunächst ein grundsätzliches Verbot im Hinblick auf die postmortale Entnahme von Organen. Dieses wird erst durch die Zustimmung des potentiellen Spenders aufgehoben. Insofern wird dem Selbstbestimmungsinteresse des Verstorbenen umfangreich Rechnung getragen. Unterschieden wird zwischen der engen und der erweiterten Zustimmungslösung. Erstere Variante stellt ausschließlich auf den höchstpersönlichen Willen des Spenders ab, den dieser zu Lebzeiten dokumentiert haben muss. Eine fehlende schriftliche Stellungnahme wird als Ablehnung der Spendebereitschaft gewertet.278 Eine nachträgliche Zustimmung der Angehörigen ist un277  Vgl. für einen Überblick auch Bader, Organmangel und Organverteilung, S.  20 ff. sowie Rosenberg, Die postmortale Organtransplantation, S. 40 ff. 278  Nitsche, Politik und Organspende, S. 162.



III. Die Regelungsmodelle für die Zulassung einer Organspende83

zulässig. In dieser Weise wird die tiefgehende Grundrechtsrelevanz des Eingriffs betont und das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen in den Mittelpunkt gestellt. Verfechter dieses Zustimmungsmodus sehen die persönliche Einwilligung nicht selten als notwendige Voraussetzung zur Wahrung der Menschenwürde.279 Auf der anderen Seite zeigt die geringe Anzahl der tatsächlich dokumentierten Entscheidungen, dass die Zustimmungslösung zu einem nur sehr niedrigen Spenderaufkommen führen würde, was für die Patienten auf der Warteliste fatale Auswirkungen hätte.280 Dieser Zustimmungsmodus wird heute nicht mehr vorgefunden. Er lag aber noch im November 1995 dem Gesetzesentwurf der Partei Bündnis 90 / Die Grünen281 sowie einem Entschließungsantrag mehrerer Bundestagsabgeordneter282 aus dem Jahre 1996 zugrunde. Die erweiterte Zustimmungslösung lässt eine Organentnahme ebenfalls nur bei Vorliegen einer Zustimmung des Spenders zu. Sie wurde mit Erlass des Transplantationsgesetzes im Jahre 1997 in den §§ 3 und 4 TPG verankert. Ist der Wille des Verstorbenen zu Lebzeiten nicht festgehalten worden, bedeutet dies jedoch im Unterschied zur engen Zustimmungslösung noch nicht zwingend den Abbruch der Bemühungen. Vielmehr werden ab diesem Zeitpunkt die nächsten Angehörigen in den Entscheidungsprozess eingebunden.283 Primär kommt ihnen die Aufgabe von Boten zu, indem sie einen möglicherweise vom Verstorbenen geäußerten Willen überbringen sollen.284 Ist keine Aussage bekannt, sind die Angehörigen zur Entscheidung nach dem mutmaßlichen Willen des Betroffenen berufen. In diesem Fall handeln sie im Rahmen ihres Totensorgerechts.285 Als gebundenes Recht ist dieses im Sinne 279  Vgl. BT-Drs. 13 / 4114, S. 3 sowie BT-Drs. 13 / 6591, S. 4 f.; Schachtschneider / Siebold, DÖV 2000, S. 129, 131 ff. 280  Vgl. Nitsche, Politik und Organspende, S. 156; Thiel, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 201, 205; mittlerweile wird auch angeführt, dass dieses Modell in Anbetracht der hohen passiven Spendebereitschaft dem Willen des Verstorbenen und damit seiner Autonomie in vielen Fällen nicht gerecht werden würde, vgl. Rosenau, in: Lilie / Rosenau / Hakeri (Hrsg.), Die Organtransplantation, S. 61, 62. 281  BT-Drs. 13 / 2926. 282  BT-Drs. 13 / 4114. 283  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 21; Rosenberg, Die postmortale Organtransplantation, S. 41; Taupitz, JuS 1997, S. 203, 205. 284  Höfling, MedR 1996, S. 6, 8; Walter, FamRZ 1998, S. 201, 206; Weber, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 4 Rn. 15. 285  Vgl. Bader, Organmangel und Organverteilung, S.  41; Middel / Scholz, in: Spickhoff (Hrsg.), TPG, § 4 Rn. 3; Schroth, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 3 Rn. 13; näher zum Entscheidungsrecht der Angehörigen Borowy, Die postmortale Organspende und ihre zivilrechtlichen Folgen, S. 165 sowie Weber, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 4 Rn. 47 ff.

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B. Der organisatorische Rahmen

des Verstorbenen wahrzunehmen.286 Im Hinblick auf die Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des potentiellen Spenders lässt sich der – auch nach den Reformen unveränderte – § 4 Abs. 1 S. 4 TPG nur so auslegen, dass die Angehörigen den mutmaßlichen Willen des Patienten nicht nur „zu beachten“ haben, sondern dieser für ihre Entscheidung maßgeblich sein muss, sofern er identifizierbar ist.287 Als in der Praxis problematisch erweist sich der Fall eines formlosen Widerspruchs des Verstorbenen zu Lebzeiten, der seiner schriftlichen Zustimmung widerspricht. Wird ein solcher Wille glaubhaft dargelegt, muss diesem entsprochen werden, auch wenn die niedergeschriebene Dokumentation anders lautet. Würde diese aufgrund eines Rechtsscheins der Gültigkeit vorgehen,288 verlöre die Möglichkeit einer formlosen Meinungsänderung jegliche Bedeutung, was mit dem Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen unvereinbar wäre.289 Erst wenn der (mutmaßliche) Wille des Verstorbenen nicht ermittelt werden kann, räumt die erweiterte Zustimmungslösung den Angehörigen das Recht ein, aufgrund von eigenen Wertvorstellungen zu entscheiden.290 Die Rechtspraxis hat gezeigt, dass mangels Dokumentation einer Entscheidung die Angehörigen in den meisten Fällen mit einbezogen werden müssen. Im Jahr 2014 lag in acht von zehn Fällen keine schriftliche Willensbekundung vor.291 Problematisch ist diese Ausgangslage im Hinblick auf das Selbst­ bestimmungsrecht des Verstorbenen. In eine andere Richtung zielt hingegen der Kritikpunkt, dass aufgrund der Zurückhaltung der Angehörigen die passive Akzeptanz der Bevölkerung im Hinblick auf die Organspende nur unvollständig abgeschöpft werden könne.292 Die erweiterte Zustimmungs­lösung, die vornehmlich im anglo-amerikanischen Rechtskreis ihren Niederschlag gefunden hat (z.  B. Großbritannien293, Irland, USA, Australien und in

286  So auch Taupitz, JuS 1997, S. 203, 205; Heun, JZ 1996, 213, 218; Walter, FamRZ 1998, S. 201, 208. 287  Taupitz, JuS 1997, S. 203, 205; Heuer / Conrads, MedR 1997, S. 195, 198; anders jedoch Deutsch / Spickhoff, Medizinrecht, S. 827; Walter, FamRZ 1998, S. 201, 207. 288  Vgl. Walter, FamRZ 1998, S. 201, 206. 289  So schon Resch, Die empfängergerichtete Organspende, S. 29. 290  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 21; Hohmann, Das Transplanta­ tionswesen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, S. 66. 291  DSO, Jahresbericht 2014, S. 42. 292  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 26; genauso der Nationale Ethikrat, Organspenden erhöhen, S. 19. 293  Wales hat jedoch am 01.12.2015 die Widerspruchslösung eingeführt, vgl. die Berichterstattung des Deutschen Ärzteblatts unter http: /  / www.aerzteblatt.de / nach



III. Die Regelungsmodelle für die Zulassung einer Organspende85

Dänemark),294 lag bis zur Reform durch das Gesetz zur Regelung der Entscheidungslösung in Reinform auch dem deutschen Transplantationsgesetz zugrunde. 2. Die Widerspruchslösung Die Widerspruchslösung kehrt das Konzept des Zustimmungsmodells um, indem es die Organentnahme grundsätzlich erlaubt. Verboten ist diese nur bei einem Widerspruch. Folglich bildet hier das gesellschaftliche Interesse an einer Organspende den Ausgangspunkt der Betrachtung. Nicht unproblematisch wird sich durch dieses Modell die Trägheit der Organspendegegner zunutze gemacht, die nun aktiv werden müssen, um einen Widerspruch zu erheben.295 Verfechter des Regelungsmodells machen geltend, dass mit ihm die hohe Befürwortung der Organspende in der Öffentlichkeit endlich realisiert werden könne.296 Dabei stellt die enge Widerspruchslösung ausschließlich auf den höchstpersönlich geäußerten Widerspruch des potentiellen Spenders ab. Nur wenn dieser einen solchen dokumentiert hat, wird von der Organentnahme abgesehen.297 Gesetzlich fixiert ist diese Regelung sowohl in Spanien, Frankreich als auch in Österreich.298 Es steht den Ärzten jedoch grundsätzlich frei, den Widerspruch der Angehörigen zu beachten.299 In der Praxis wird auch dort letztlich die erweiterte Widerspruchslösung angewandt.300 Ausdrücklich

richten / 55025 / Wales-fuehrt-Widerspruchsregelung-bei-Organspende-ein (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 294  Nickel / Schmidt-Preisigke / Sengler, TPG, Einf. Rn.  11; Spilker, ZRP 2014, S. 112, 113. 295  Vgl. Nationaler Ethikrat, Die Zahl der Organspenden erhöhen, S. 23; in Österreich hatten im Jahre 2001 nur 0,08 % der Bevölkerung einen Widerspruch eintragen lassen, Hohmann, Das Transplantationswesen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, S. 36. 296  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 28 f.; Taupitz, JuS 1997, S. 203, 204. 297  Deutsch, NJW 1998, S. 777. 298  Vgl. Kopetzki, in: Kröll / Schaupp (Hrsg.), Hirntod und Organtransplantation, S. 35; Martorell, in: Lilie / Rosenau / Hakeri (Hrsg.), Die Organtransplantation, S. 11, 50. 299  Zur praktischen Handhabung der engen Widerspruchslösung siehe Kopetzki, in: Kröll / Schaupp (Hrsg.), Hirntod und Organtransplantation, S. 35, 41 f.; Martorell, in: Lilie / Rosenau / Hakeri (Hrsg.), Die Organtransplantation, S. 11, 50. 300  Becker, Die Herausforderung annehmen, S. 69; Gutmann, Für ein neues Transplantationsgesetz, S. 156.

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B. Der organisatorische Rahmen

empfohlen wurde die enge Widerspruchslösung im Jahre 1978 vom Ministerkomitee des Europarats.301 Die erweiterte Widerspruchslösung berücksichtigt neben einem festgehaltenen Widerspruch des Spenders auch einen solchen der Angehörigen. Sollte sich der Verstorbene zu Lebzeiten nicht geäußert haben, werden seine Organe nur entnommen, sofern die Angehörigen kein Veto einlegen. Diese Variante gilt beispielsweise in Belgien, Finnland und Griechenland.302 Das Parlament der Niederlande hat im September 2016 mit hauchdünner Mehrheit eine Einführung der Widerspruchslösung beschlossen und sich mit dieser Entscheidung von der bisher geltenden Zustimmungsvariante abgewandt.303 In deutschem Bundesgebiet gelang die Einführung der Widerspruchslösung jedoch bisher nicht.304 Ein Gesetzesentwurf des rheinland-pfälzischen Landtags aus den neunziger Jahren scheiterte an massiven Protesten der Bevölkerung.305 Auch der Gesetzesentwurf der Bundesregierung von 1978, der die erweiterte Widerspruchslösung favorisierte, gelangte nicht zur Geltung, da er am Ende der Legislaturperiode als unerledigtes Gesetzesvorhaben verfiel.306 3. Die Informationslösung Im Jahre 1990 wurde von einer Arbeitsgruppe der Deutschen Transplantationszentren e. V. und der Deutschen Stiftung Organtransplantation die Informationslösung als weiteres Modell in die deutsche Diskussion eingeführt.307 Diese stellt bei der Organentnahme zunächst auch auf einen möglicherweise dokumentierten Willen des Verstorbenen ab. Liegt ein solcher nicht vor, werden die Angehörigen jedoch nicht um ihr Einverständnis gebeten, sondern lediglich darüber informiert, dass eine Entnahme beabsichtigt ist. Innerhalb einer vereinbarten Erklärungsfrist müssen die Angehörigen ihren Wider301  Art. 10 der Entschließung des Europarats (78) 29: Resolution On Harmonisation Of Legislation Of Member States Relating To Removal, Grafting And Transplantation Of Human Substances. 302  Nickel / Schmidt-Preisgke / Sengler, TPG, Einf. Rn. 11; Rosenberg, Die postmortale Organtransplantation, S. 43. 303  Vgl. die Berichterstattung des Deutschen Ärzteblatts https: /  / www.aerzteblatt. de / dossiers / organspende?nid=70483 (zuletzt abgerufen am 17.10.2016). 304  Nur in der DDR galt bis zur Wiedervereinigung gem. § 4 Abs. 1 DDR-VO über die Durchführung von Organtransplantationen vom 04.07.1975 die enge Widerspruchslösung. 305  LT-Drs. 12 / 5037; eingehend dazu Nickel, MedR 1995, S. 139 ff. 306  BT-Drs. 8 / 2681; Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel, S. 214; eingehender zu den Beratungen des Gesetzesentwurfs, Vogel, NJW 1980, S. 625 ff. 307  Siehe dazu Schreiber / Wolfslast, MedR 1992, S. 189, 190, mit Abdruck des Entwurfs auf S. 194 f.



III. Die Regelungsmodelle für die Zulassung einer Organspende87

spruch erklären. Tun sie dies nicht, ist eine Organentnahme zulässig.308 Durch jene Verfahrensweise soll den Angehörigen die Last einer Entscheidung abgenommen werden.309 Da diese aber einen Entschluss über die Wahrnehmung des Widerspruchsrechts treffen müssen, ist die tatsächliche Entlastung fraglich. Es dürfte vielmehr eine verdeckte Lenkung der Angehörigen zur „Organsicherung“ vorliegen, denen ein schlichtes Nichthandeln psychologisch leichter fallen wird als ein Protest. Von einer Abnahme der Entscheidung kann folglich keine Rede sein.310 Letztlich handelt es beim Informa­ tionsmodell um eine modifizierte Form der Widerspruchslösung.311 Normiert ist die Regelungsvariante beispielsweise in Italien, Lichtenstein, Schweden und Norwegen.312 De facto wird jedoch auch bei Normierung dieses Modells in der Praxis die Einwilligung der Angehörigen eingeholt.313 Eine in Richtung der Informationslösung zielende Bundesratsinitiative der Länder Bremen und Hessen aus dem Jahre 1994 hatte keinen Erfolg.314 Genauso wenig wurde ein Entschließungsantrag einer Gruppe von Abgeordneten aus dem Jahre 1996 umgesetzt.315 4. Die Erklärungslösung Anhänger einer gesetzlich verankerten Entscheidungsverpflichtung wollen allen volljährigen Bürgern eine mindestens einmalige Konfrontation mit dem Thema Organspende sowie eine Entscheidung bezüglich der eigenen Spendebereitschaft zumuten. Ihre Zustimmung oder ihr Widerspruch wird dokumentiert und berücksichtigt.316 Den Angehörigen wird dadurch eine belastende 308  Deutsch, NJW 1998, S. 777; Kloth, Todesbestimmung und postmortale Organentnahme, S. 205; Thiel, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 201, 204; Taupitz, JuS 1997, S. 203, 206. 309  Breyer, in: Haarhoff (Hrsg.), Organversagen, S. 27, 44; Schmidt-Didczuhn, ZRP 1991, S. 264, 269; Schreiber / Wolfslast, MedR 1992, S. 189, 191; Taupitz, JuS 1997, S. 203, 206. 310  Ebenso Hohmann, Das Transplantationswesen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, S. 68. 311  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 23; Nitsche, Politik und Organspende, S.  212 f.; Opper, Die gerechte und rechtmäßige Verteilung knapper Organe, S. 81. 312  Nickel / Schmidt-Preisgke / Sengler, TPG, Einf. Rn. 11; Opper, Die gerechte und rechtmäßige Verteilung knapper Organe, S. 81. 313  Thiel, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 201, 204. 314  BR-Drs. 682 / 94. 315  BT-Drs. 13 / 4368. 316  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 21; Hohmann, Das Transplanta­ tionswesen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, S. 71.

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B. Der organisatorische Rahmen

Entscheidung erspart.317 Insofern trägt die Lösung den selbstbestimmten Willen des potentiellen Spenders in besonderem Maße Rechnung, greift jedoch in sein negatives Selbstbestimmungsrecht ein. Von diesem Recht wird auch eine Nichtentscheidung und Nichtbefassung mit dem eigenen Tod umfasst.318 Dementsprechend bedürfte das Modell einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung im Hinblick auf die betroffenen Patientenrechte. Probleme ergeben sich auch bei einer notwendigen Erzwingung der Erklärung, sollte sich der Bürger nicht entscheiden wollen.319 Dies gilt vor allem im Hinblick auf verfassungspolitische Bedenken. Anhänger dieser Erklärungslösung erhoffen sich durch ihre Einführung eine Umwandlung der hohen Zahl passiver Befürworter der Organspende in aktive Spender.320 Bisher wurde dieses Modell nirgends eingeführt.321 5. Die Notstandslösung Die Notstandslösung betrachtet die Position der Patienten auf der Warteliste als eine notstandsähnliche Gefahrenlage, die es dringend abzuwenden gilt. Aus diesem Grund soll eine Organentnahme im Sinne eines „kollektiven Zugriffsrechts“322 stets zulässig sein.323 Dem gesellschaftlichen Interesse an der Organbeschaffung wird erste Priorität eingeräumt, hinter der das Selbstbestimmungsrecht des potentiellen Spenders vollständig zurücktritt. Der Grundgedanke des Modells sieht die gesamte Bevölkerung nach dem Prinzip des do ut des als sozialverpflichtet an, da jeder potentiell zum Organempfänger werden könne.324 Eine Erhöhung der Organspenderquote ist nach diesem 317  Kollhosser, in: Erichsen / Kollhosser / Welp (Hrsg.), Recht der Persönlichkeit, S. 161. 318  Kloth, Todesbestimmung und postmortale Organentnahme, S. 160. 319  Siehe dazu Kühn, Motivationslösung, S. 137; Nitsche, Politik und Organspende, S. 164. 320  Zur Erhöhung der Spenderzahlen siehe Nitsche, Politik und Organspende, S. 163. Ob mit dem Regelungsmodell aber wirklich eine Erweiterung des Spenderkreises erreicht werden kann, ist mangels empirischen Materials noch nicht erwiesen, vgl. Thiel, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 201, 206. Zu Recht weist der Nationale Ethikrat darauf hin, dass eine prinzipielle Abwehrhaltung gegen die Organspende entstehen könnte, siehe Nationaler Ethikrat, Die Zahl der Organspenden erhöhen, S. 22. 321  Thiel, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 201, 206. 322  Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel, S. 113. 323  Bock, Rechtliche Voraussetzungen der Organentnahme vom Lebenden und Verstorbenen, S. 211; Spranger, in: Breyer / Engelhard (Hrsg.), Anreize zur Organspende, S. 111, 115 f. Zu einer Sozialpflicht zur Organspende siehe Wille, in: Breyer / Engelhard (Hrsg.), Anreize zur Organspende, S. 7 ff., die bei der Totenspende keine verfassungsrechtlich unüberwindbaren Bedenken sieht. 324  Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel, S. 112.



III. Die Regelungsmodelle für die Zulassung einer Organspende89

Vorgehen mit ziemlicher Sicherheit zu erwarten.325 Umgesetzt wurde das Konzept in Bulgarien, wurde dort allerdings im Zuge des EU Beitritts im Jahre 2007 bereits durch die Widerspruchslösung ersetzt.326 Es war auch Inhalt eines erfolglosen Gesetzesentwurfs der CDU-Fraktion des Berliner Abgeordnetenhauses in den Jahren 1973 und 1978.327 Dieses Regelungsmodell stellt trotz des akuten Organmangels rechtspolitisch auch heute noch keinen gangbaren Weg für die Bundesrepublik dar. 6. Das neue Konzept der Entscheidungslösung Mit dem Gesetz zur Regelung der Entscheidungslösung vom 1. November 2012 hat der Gesetzgeber eine Reform des bisherigen Regelungsmodells beschlossen.328 Laut Gesetzesbegründung wurde die erweiterte Zustimmungslösung in eine Entscheidungslösung „umgewandelt“.329 Diese soll dazu beitragen, die Organspende zu fördern, um so der Zielsetzung des § 1 Abs. 1 S. 1 TPG gerecht zu werden.330 In Anbetracht der Tatsache, dass die Bundesregierung in ihrem Bericht zum zehnjährigen Bestehen des Transplantationsgesetzes noch keinen Handlungsbedarf bezüglich des Einwilligungsmodus sah,331 mag es erstaunen, dass die Frage eines geeigneten Regelungsmodells im Zuge der Reform in den zentralen Fokus der legislativen Aufmerksamkeit gelangte. Hintergrund der Neunormierung ist vor allem eine Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, die hervorhebt, dass gut informierte Bürger einer Organspende eher zustimmen würden.332 An diese Erkenntnis knüpft die Neuregelung konkret an. Der Gesetzgeber hat die Hoffnung, die zahlenmäßige Diskrepanz zwischen Bürgern mit Organspendebereitschaft (ca. 75 %) und tatsächlichen Organspendeausweisbesitzern (ca. 325  Nitsche,

Politik und Organspende, S. 162. Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 312 Fn. 16. 327  AbgH-Drs. 6 / 948; 7 / 1166. 328  Gesetz zur Regelung der Entscheidungslösung im Transplantationsgesetz vom 12.07.2012 BGBl. I, S. 1504 (Nr. 33); zur ethischen, verfassungsrechtlichen und rechtspolitischen Bewertung der Entscheidungslösung siehe S. 250  ff.; S. 325  ff. und S.  498 ff. 329  BT-Drs. 17 / 9030, S. 4. 330  BT-Drs. 17 / 9030, S. 14. 331  BT-Drs. 16 / 1370, S. 3. 332  Vgl. die Wissensstanderhebung der BzgA von 2010, abrufbar unter: https: /  / www.organspende-info.de / sites / all / files / files / files / RepBefragung_Bericht_ final.pdf (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). Dass die Zustimmungsrate bei eingehender Information steigt, zeigen schon Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel, S. 143, 152. 326  Norba,

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B. Der organisatorische Rahmen

25 %) auf diese Weise zu verringern.333 Die Vorstellung des gesetzgeberischen Konzepts soll aufzeigen, dass sich die Entscheidungslösung als Ergänzung der Zustimmungslösung präsentiert (a)), wer die Entscheidungsberechtigung über die Organspende inne hat (b)) sowie die Art und den Umfang der Erklärung vorstellen (c)). a) Die Entscheidungslösung als Ergänzung der Zustimmungslösung Die neu gewählte Begrifflichkeit „Entscheidungslösung“ verleitet leicht zu der Annahme, dass eine völlig neue Regelungslösung geschaffen wurde, die das bisherige Modell nun abgelöst hat. Der Gesetzgeber stellt jedoch selbst fest, dass die in den §§ 3 und 4 TPG geregelte erweiterte Zustimmungslösung unverändert bleibt.334 Das Grundgerüst der zurückliegenden politischen Entscheidung für das Zustimmungserfordernis zur Organspende wird nicht angetastet. Letztlich wird die vorherige strukturelle Ausgestaltung lediglich um eine verstärkte Aufklärungskampagne samt Erklärungsaufforderung erweitert. Der Bevölkerung soll das Thema „Organspende“ nähergebracht werden als bisher, um diese zu einer Willensdokumentation zu motivieren. Der Einzelne soll in die Lage versetzt werden, sich mit der eigenen Spendebereitschaft auseinanderzusetzen, um eine informierte Entscheidung zu treffen.335 § 2 Abs. 1a S. 5 TPG sieht ausdrücklich vor, dass jeder durch die Krankenkassen und privaten Krankenversicherungsunternehmen zu einer Entscheidung über seine Spendebereitschaft aufgefordert werden soll. Im Zuge dessen sollen die angesprochenen Institutionen in Abständen von zwei Jahren Organspendeausweise und geeignetes Aufklärungs­ material an ihre Versicherten schicken (§ 2 Abs. 1a TPG).336 Adressaten sind alle über 16-jährigen Personen (§ 2 Abs. 1a TPG). Gemäß § 2 Abs. 1 S. 1 TPG sind auch Bundesbehörden im Rahmen ihrer Zuständigkeit zur Aufklärung berufen, wobei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung besondere Bedeutung zukommt. Die nach Landesrecht zuständigen 333  BT-Drs.

17 / 9030, S. 14. 17 / 9030, S. 16; die bloße Ergänzungswirkung in einer Analyse auch herausstellend Höfling / Engels, GesR 2012, S. 532 ff. 335  BT-Drs. 17 / 9030, S. 14. 336  Sobald die Ausgabe der elektronischen Gesundheitskarte (§ 291a SGB V) beginnt, ist ihre Ausstellung maßgeblich für die Zurverfügungstellung von Organspendeausweisen und geeignetem Aufklärungsmaterial durch die Krankenkassen. Sie wird alle fünf Jahre erneuert. Ab diesem Zeitpunkt besteht die Möglichkeit der Speicherung einer Erklärung zur Organspende auf dem Medium (§ 291a Abs. 3 S. 1 Nr. 7 SGB V). Die privaten Krankenversicherungsunternehmen sind ebenso alle fünf Jahre verpflichtet, die genannten Materialen mit der Beitragsermittlung gem. § 10 Abs. 2a S. 9 EStG auszuhändigen. 334  BT-Drs.



III. Die Regelungsmodelle für die Zulassung einer Organspende91

Stellen werden grundsätzlich durch die jeweiligen Landesausführungsgesetze bestimmt.337 Eine grundlegende Veränderung zur alten Rechtslage ergibt sich daraus nicht. Schon § 2 Abs. 1 TPG a. F. sah eine mit einer Bitte zur Erklärungsabgabe verbundene Aufklärung von Seiten des Staates und der Krankenkassen bzw. privaten Krankenversicherungsunternehmen vor. Es erfolgte jedoch eine Konkretisierung der Verpflichtung, Organspendeausweise und Aufklärungsunterlagen zur Verfügung zu stellen; die Bereitstellung des Materials sollte nach der alten Rechtslage lediglich „regelmäßig“ erfolgen. Die gesetzliche Neufassung will den Weg für eine tatsächlich regelmäßige breite Aufklärung der Bevölkerung ebnen.338 Damit ein einmal gefasstes Interesse an der Organspende nicht verläuft, sollen die Krankenkassen und privaten Krankenversicherungsunternehmen qualifizierte Ansprechpartner benennen, die sich mit unmittelbaren Fragen der Versicherten auseinandersetzen (§ 2 Abs. 1a S. 5 TPG). Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass Nachfragen und vor allem Sorgen kompetent begegnet wird. Zudem wurde der Gegenstand der Aufklärung durch die Gesetzesreform konkretisiert. Es soll nicht mehr nur über die Möglichkeit, Voraussetzungen und Bedeutung der Organ- und Gewebespende im Allgemeinen informiert, sondern spezifischer vorgegangen werden. Hervorgehoben wird insoweit die Bedeutung einer zu Lebzeiten abgegebenen Erklärung, auch im Hinblick auf ihr Verhältnis zu einer Patientenverfügung sowie das subsidiäre Entscheidungsrecht der Angehörigen. Mit der Einbeziehung der Patientenverfügung in die Informationskampagnen wird beabsichtigt, ungewollte Widersprüche zwischen den beiden Erklärungen auszuschließen.339 Durch die deutlichere Herausstellung der Rechtsfolgen bei fehlender Erklärung soll der Einzelne zu einer Entscheidung motiviert werden.340 Die Information hat die gesamte Tragweite der Entscheidung zu umfassen und muss ergebnisoffen sein (§ 2 Abs. 1 S. 2 TPG), sodass auch Aspekte in die Aufklärung mit einbezogen werden müssen, die einer Spende möglicherweise entgegenstehen.341 Die gesetzliche Neufassung ist ein Versuch, eine Entscheidung der Bevölkerung zu forcieren. Dass diese nach dem Wunsch des Gesetzgebers mög337  Schroth,

in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 2 Rn. 2. 17 / 9030, S. 16. 339  BT-Drs. 17 / 9030, S. 16. Im Zuge einer Patientenverfügung werden regelmäßig lebensverlängernde Maßnahmen untersagt. Die Aufrechterhaltung der Organtätigkeit ist für eine erfolgreiche Transplantation jedoch von überragender Bedeutung. Insofern können die beiden Erklärungen durch entsprechende Vorkehrungen in Einklang gebracht werden. Siehe dazu S. 507. 340  BT-Drs. 17 / 9030, S. 16. 341  BT-Drs. 17 / 9030, S. 16. 338  BT-Drs.

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B. Der organisatorische Rahmen

lichst positiv im Sinne einer Zustimmung zur Organentnahme ausfallen soll, belegt schon die Zielformulierung einer Förderung der Bereitschaft zur Organspende (§ 1 Abs. 1 S. 1 TPG). Trotzdem will die Gesetzesreform eine moralische Erklärungspflicht nicht etablieren, wie § 2 Abs. 2a TPG deutlich macht.342 Normatives Gebot ist eine sachlich zutreffende, auf vollständigen Informationen beruhende Aufklärung, die eine unabhängige Entscheidung ermöglicht.343 b) Die Entscheidungsberechtigung An der bisherigen Entscheidungsberechtigung ändert die Entscheidungslösung nichts. Vielmehr bleibt es bei der schon vorher normierten erweiterten Zustimmungslösung, sodass die Entscheidungslösung als eine Art „VorschaltModell“ begriffen werden kann.344 Bei der Entscheidung über eine Organentnahme kommt es auf den Willen des potentiellen Spenders an. Er hat nach § 2 Abs. 2 TPG die Möglichkeit, seine Einwilligung, seinen Widerspruch oder eine Übertragung auf eine namentlich genannte Person seines Vertrauens zu dokumentieren, wobei eine Einwilligung ab dem sechzehnten und ein Widerspruch ab dem vierzehnten Lebensjahr in Betracht kommen. Formvorschriften bestehen nicht, jedoch muss die Erklärung nach außen kommuniziert worden sein.345 Ein durch Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Gesundheit mit Zustimmung des Bundesrates zu errichtendes Register zur Erklärungsspeicherung (§ 2 Abs. 3 S. 1 TPG) wurde bislang noch nicht errichtet. Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 TPG ist eine Organentnahme nur erlaubt, wenn der Organspender eingewilligt hat. Liegt überhaupt keine Erklärung vor, wird dieser Umstand weder als Ablehnung noch Zustimmung gewertet, sondern lediglich als Nichterklärung.346 Er macht den Rückgriff auf „substituierende Rechtskonstruktionen“ notwendig.347 Diese finden sich in § 4 TPG, der die Hinzuziehung von Angehörigen und anderen Personen in den Prozess der 342  Vgl. ebenso BT-Drs. 17 / 9030, S. 17; nach der Gesetzesbegründung sollen individuelle Beweggründe, sich nicht äußern zu wollen, respektiert werden. Siehe auch Engels, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 2 Rn. 15; kritisch zu den tatsächlichen Auswirkungen Augsberg / Brysch, Patientenschutz-Info-Dienst 1 / 2012, S. 10. 343  Neft, MedR 2013, S. 82, 83. 344  In dieser Weise Neft, MedR 2013, S. 82, 84, der die Entscheidungslösung daher eher als „appellative Befassungslösung“ begreift. 345  BT-Drs. 13 / 4255, S. 17; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 146. 346  Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 151. 347  Gallwas, JZ 1996, S. 851, 852.



III. Die Regelungsmodelle für die Zulassung einer Organspende93

Entscheidungsfindung regelt, sodass die enge Zustimmungslösung des § 3 Abs. 1 Nr. 1 TPG zu einer erweiterten erstarkt. Gemäß § 4 Abs. 1 TPG verbietet sich jedoch eine Beteiligung weiterer Personen, sobald eine gültige schriftliche Einwilligung oder ein gültiger schriftlicher Widerspruch vorliegen. Dann ist ausschließlich der Wille des potentiellen Organspenders ausschlaggebend. Das höchstpersönlich ausgeübte Selbstbestimmungsrecht genießt nach dem Transplantationsgesetz höchste Priorität. Allerdings wurden in den letzten Jahren nur rund 5 % der Organspenden auf eine schriftlich dokumentierte Erklärung gestützt.348 Im Jahre 2014 konnte in acht von zehn Fällen kein Schriftstück des Verstorbenen zu Rate gezogen werden.349 Liegt eine Willensbekundung nicht vor, sind gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 TPG die nächsten Angehörigen350 zu befragen, ob ihnen eine Erklärung des Verstorbenen bekannt ist. Ihnen kommt in dieser Funktion lediglich die Rolle von Auskunftspersonen zu.351 Als Sachwalter des postmortalen Persönlichkeitsrechts des potentiellen Spenders haben sie dessen Willen Geltung zu verschaffen.352 Jedoch können nach richtiger Ansicht auch Dritte zur Überbringung der Willensentscheidung des Verstorbenen herangezogen werden, wenn sie darüber glaubhaft Zeugnis ablegen können.353 Ansonsten würde es zu einer unnötigen Verkürzung des Selbstbestimmungsrechts des potentiellen Spenders kommen.354 Hat der Verstorbene sich nicht geäußert, sind die nächsten Angehörigen zur Entscheidung berufen (§ 4 Abs. 1 S. 2 TPG). Um der Angehörigenentscheidung eine gewisse Legitimation in Bezug auf das Selbstbestimmungsrecht des potentiellen Spenders zu verschaffen, normiert § 4 Abs. 2 S. 1 TPG, dass die nächsten Angehörigen nur befugt ist, wenn sie in den letzten zwei Jahren persönlichen Kontakt mit dem potentiellen Spender hatten. Laut Gesetzesbegründung soll durch diese Vorkehrung eine Entscheidung im Sinne des Verstorbenen gesichert werden.355 348  Weber,

in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 4 Rn. 2. Jahresbericht 2014, S. 42. 350  Eine nähere Bestimmung der nächsten Angehörigen und deren Rangfolge findet sich in § 1a Nr. 5 TPG. Danach ist zunächst der Ehegatte bzw. der eingetragene Lebenspartner mit einzubeziehen. Es folgen die volljährigen Kinder, die Eltern, volljährige Geschwister und schlussendlich die Großeltern. 351  Borowy, Die postmortale Organspende und ihre zivilrechtlichen Folgen, S. 158; Walter, FamRZ 1998, S. 201, 206. 352  BT-Drs. 13 / 4255, S. 9. 353  Zu denken ist hier beispielsweise an enge Freunde oder einen Krankenhausseelsorger. 354  So auch Walter, FamRZ 1998, S. 201, 206; Weber, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 4 Rn. 17 auch für die Klärung des mutmaßlichen Willens; dagegen aber Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 150. 355  BT-Drs. 13 / 8027, S. 10. 349  DSO,

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B. Der organisatorische Rahmen

Maßgeblich ist zunächst der mutmaßliche Wille des potentiellen Spenders (§ 4 Abs. 1 S. 4 TPG). Dieser muss in einem Gespräch ermittelt werden, was jedoch nur in rund 12 % der Fälle gelingt.356 Mit einzubeziehen sind alle wesentlichen Anhaltspunkte, die auf den Willen des potentiellen Spenders schließen lassen, wie die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft oder Äußerungen zu Lebzeiten, die nicht die Qualität einer konkreten Erklärung erreicht haben.357 Bei Misslingen seiner Feststellung, ist der nächste Angehörige dennoch ermächtigt, der Spende zuzustimmen oder diese zu verweigern, ohne dass der Spenderwille sicher oder mutmaßlich bekannt ist. Er ist laut Gesetzesbegründung zur Entscheidung „nach eigenem ethischen Ermessen“ berufen.358 Dabei übt er seine Kompetenz als Totensorgeberechtigter aus.359 Bei mehreren gleichrangigen Angehörigen genügt die Beteiligung von einem solchen, jedoch ist der Widerspruch eines jeden nächsten Angehörigen beachtlich (§ 4 Abs. 2 S. 3 TPG). Ist ein vorrangiger Angehöriger in angemessener Zeit nicht zu erreichen, rückt ein Nachrangiger in seine Position ein (§ 4 Abs. 2 S. 4 TPG). Gemäß § 4 Abs. 2 S. 5 TPG steht dem nächsten Angehörigen eine volljährige Person gleich, die dem potentiellen Spender „bis zu seinem Tode in besonderer persönlicher Verbundenheit offenkundig nahegestanden hat“ und tritt im Entscheidungsrecht neben die nächsten Angehörigen. Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber insbesondere der Tatsache Rechnung tragen, dass Lebenspartnerschaften heutzutage oftmals nicht mehr im rechtlichen Rahmen der Ehe, sondern vielmehr in einer nicht­ ehelichen Lebensgemeinschaft geführt werden.360 Ausnahmsweise können jedoch auch platonische Freundschaften unter die Norm subsumiert werden.361 Ersetzt werden die nächsten Angehörigen durch eine dritte Person, wenn dieser die Entscheidung über die Organentnahme übertragen wurde (§ 4 Abs. 3 TPG). Hat der Verstorbene zu Lebzeiten keine Erklärung abgegeben und sind keine zur Entscheidung berufenen Personen vorhanden oder auffindbar, ist eine Organentnahme unzulässig.362

356  Weber,

in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 4 Rn. 2. in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 3 Rn. 11. 358  BT-Drs. 13 / 8027, S. 9. 359  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 41; Middel / Scholz, in: Spickhoff (Hrsg.), TPG, § 4 Rn. 3; Schroth, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 3 Rn. 13; näher zum Entscheidungsrecht der Angehörigen Borowy, Die postmortale Organspende und ihre zivilrechtlichen Folgen, S. 165 sowie Weber, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 4 Rn. 47 ff. 360  Gutmann, MedR 1997, S. 147, 149; Schroth, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 4 Rn. 32. 361  Schroth, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 3 Rn. 34. 362  Ebda., § 3 Rn. 18. 357  Schroth,



III. Die Regelungsmodelle für die Zulassung einer Organspende95

c) Art und Umfang der Erklärung Mit der Zustimmung zur Organspende hat jedermann die Möglichkeit, in eine vollumfängliche Organ- und Gewebeentnahme einzuwilligen. Dabei kommt der Erklärung aufgrund ihrer bedeutsamen Rechtsfolgen rechtsgeschäftsähnlicher Charakter zu.363 Sie ist grundsätzlich höchstpersönlicher Natur.364 Wirksamkeitsvoraussetzungen sind die Einsichtsfähigkeit zur Zeit der Äußerung sowie die Tatsache, dass der Verstorbene seine Erklärung nicht widerrufen hat.365 Formerfordernisse bestehen nicht.366 Ebenso bedarf es keiner individuellen Aufklärung des potentiellen Spenders.367 Bereits vor Einführung der Entscheidungslösung, aber erst Recht mit ihrer Etablierung, geht der Gesetzgeber davon aus, dass der Bürger eine umfassende Informa­ tionsmöglichkeit hat, aufgrund derer er eine individuelle, unabhängige Entscheidung treffen kann.368 Aufgrund des umfassenden Selbstbestimmungsrechts des potentiellen Spenders hat dieser grundsätzlich das Recht, seine Erklärung zu beschränken. So besteht die Möglichkeit, einer Entnahme nur für bestimmte Organe zuzustimmen (§ 2 Abs. 2 S. 2 TPG). Eine abschließende Bestimmung über die Eingrenzung trifft das Transplantationsgesetz nicht, sodass weitere Beschränkungen denkbar sind.369 Diese dürfen jedoch nicht gegen gesetzliche Verbote verstoßen.370 Eine Bestimmung des Empfängerkreises oder gar eines bestimmten Empfängers ist aufgrund der gesetzlich festgelegten Allokations-

363  Borowy, Die postmortale Organspende und ihre zivilrechtlichen Folgen, S.  141 ff.; Engels, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 2 Rn. 25; Schroth, in: Schroth / König /  Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 2 Rn. 3. 364  Engels, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 2 Rn. 25; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 148. 365  Schroth, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 2 Rn. 3. 366  Ebda., § 2 Rn. 8. 367  Engels, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 2 Rn. 33. 368  So bereits Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 146; siehe Nickel / Schmidt-Preisigke / Sengler, TPG, § 2 Rn. 10 zur alten Rechtslage. Immer häufiger wird aber eine individuelle Aufklärung durch ein Arztgespräch verlangt, vgl. die Aussage des Präsidenten der Landesärztekammer Westfalen-Lippe, Theodor Windhorst, abrufbar unter: http: /  / www.aerzteblatt.de / nach richten / 63869 / Entscheidung-fuer-den-Organspendeausweis-braucht-persoenlichesArztgespraech (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 369  Engels, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 2 Rn. 27; Schroth, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 2 Rn. 4 f.; dagegen Borowy, Die postmortale Organspende und ihre zivilrechtlichen Folgen, S. 155. 370  Engels, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 2 Rn. 27; Herrig, Die Gewebetransplantation nach dem Transplantationsgesetz, S. 126.

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B. Der organisatorische Rahmen

kriterien unzulässig.371 Das Transplantationsgesetz ist, laut Gesetzgeber, auf eine Gleichbehandlung der Organempfänger aufgrund von sachgerechten Kriterien gerichtet.372 Um diesem Anspruch gerecht zu werden, setzt es dem Selbstbestimmungsrecht des potentiellen Spenders Grenzen.373 Bei einer unzulässigen Beschränkung ist durch Auslegung zu ermitteln, ob die Wirksamkeit der Einwilligung zur Organentnahme erhalten bleibt.374 7. Zwischenergebnis Die verschiedenen Regelungsmodelle bilden neben der Todesdiagnose die elementare Basis für die postmortale Organspende. Sie alle setzen das Selbstbestimmungsrecht des potentiellen Spenders in unterschiedlicher Weise zum entgegenstehenden Interesse der Patienten an Leben und Gesundheit ins Verhältnis. In Deutschland ist letztlich nach wie vor die erweiterte Zustimmungslösung das Grundmodell des Ausgleichbemühens, ergänzt um die „Vorschaltung“ der Entscheidungsaufforderung. Trotz des neuen Namens des Regelungsmodells halten sich die inhaltlichen Änderungen in Grenzen. Noch immer ist die Zustimmung des potentiellen Spenders oder diejenige seiner Angehörigen der maßgebliche Ausgangspunkt zur Legitimation der Organentnahme. Jedoch soll der einzelne Bürger nachdrücklicher als bisher zu einer Festlegung in der Spendefrage und zur Dokumentation seines Willens angehalten werden. Hat der potentielle Spender die höchstpersönliche, rechtsgeschäftsähnliche Erklärung abgegeben, ist diese grundsätzlich formlos gültig. Beschränkungen der Spende sind möglich, solange diese nicht gegen gesetzliche Regelungen, insbesondere die geltenden Allokationskriterien, verstoßen.

371  Engels, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 2 Rn. 28; Kühn, MedR 1998, S. 455, 459 f.; Lang, MedR 2005, S. 269, 279; a. A. Forkel, Jura 2001, S. 73, 76; für die gesetzliche Einführung einer gerichteten Leichenspende aber Resch, Die empfängergerichtete Organspende, S. 73 ff., die ihren Ausschluss für verfassungswidrig hält. 372  BT-Drs. 13 / 4355, S. 14 f.; für Aufregung sorgte jedoch ein Fall, in dem eine Frau eine Niere von ihrem verstorbenen Ehemann erhielt, da sie dies zur Voraussetzung für eine Organentnahme machte, dazu Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 160 f. 373  Borowy, Die postmortale Organspende und ihre zivilrechtlichen Folgen, S.  153 ff.; Walter, FamRZ 1998, S. 201, 205. 374  Herrig, Die Gewebetransplantation nach dem Transplantationsgesetz, S. 127 f.; Schroth, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 3 Rn. 12; zum Streitstand siehe Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 163 f.



IV. Organisatorische Grundlagen des Transplantationssystems97

IV. Organisatorische Grundlagen des Transplantationssystems Ein Grundgerüst rechtlicher Richtungsentscheidungen (1.) zum Transplantationswesen findet sich im Transplantationsgesetz, das zur Komplettierung des Organisationssystems von weiteren gesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen begleitet wird. Strikt vorgegeben wird insbesondere der genaue Ablauf einer Organspende und einer anschließenden Organvermittlung (2.), an deren Prozess unterschiedliche Institutionen beteiligt sind (3.). 1. Rechtliche Grundlagen des Transplantationssystems Als maßgebliche rechtliche Grundlage des Transplantationswesens wurde auf einfachgesetzlicher Ebene das Transplantationsgesetz geschaffen. Flankiert wird dieses von den Landesausführungsgesetzen der einzelnen Bundesländer, denen ein gewisser Regelungsbereich verbleibt (a)). Wesentliche Entscheidungen des Transplantationsrechts werden ferner durch die Richtlinien der Bundesärztekammer festgeschrieben (b)). a) Das Transplantationsgesetz und die Landesausführungsgesetze Nachdem seit dem ersten Anlauf zur Schaffung eines Transplantationsgesetzes im Jahre 1978 mehrere Gesetzesvorhaben aus unterschiedlichen Gründen scheiterten, flammte die Diskussion in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts wieder auf.375 Das heutige Transplantationsgesetz geht wesentlich auf einen gemeinsamen Gesetzesentwurf von CDU / CSU, SPD und FDP vom 16. April 1996 zurück.376 Es wurde am 25. Juni 1997 mit großer Mehrheit verabschiedet und trat am 1. Dezember 1997 in Kraft.377 Reformen erfolgten in den Jahren 2007, 2012 und 2013. Gemäß § 1 Abs. 2 TPG gilt das Transplantationsgesetz heute für die Spende und die Entnahme von menschlichen Organen oder Geweben zum Zwecke der Übertragung sowie für die Übertragung der Organe und der Gewebe einschließlich der Vorbereitung dieser Maßnahmen sowie für das Verbot des Handelns mit menschlichen Organen oder Geweben. 375  Zu den einzelnen Gesetzesinitiativen siehe Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 91 ff. sowie Rosenberg, Die postmortale Organtransplantation, S. 29 ff. 376  BT-Drs. 13 / 4355; Heuer / Conrads, MedR 1997, S. 195; näher zu den verschiedenen Gesetzesentwürfen Mohammadi-Kangarani, Die Richtlinien der Organverteilung im Transplantationsgesetz, S. 19 ff. 377  Vgl. Gesetz über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen vom 05.11.1997, BGBl. I, S. 2631; zur Abstimmung siehe den stenografischen Bericht der 183. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 25.06.1997, S. 16454 (D).

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B. Der organisatorische Rahmen

Dabei gliedert es sich in acht Abschnitte. Nach dem ersten Abschnitt, der allgemeine Vorschriften zur Zielsetzung des Gesetzes, Begriffsbestimmungen, der Aufklärung der Bevölkerung sowie der Willensdokumentation enthält, folgen die speziellen Regeln über die postmortale Organ- und Gewebespende (zweiter Abschnitt) und der Lebendspende einschließlich Sonderregelungen zur Gewebespende (dritter Abschnitt). Der vierte Abschnitt regelt die maßgeblichen organisatorischen Rahmenbedingungen für die Abwicklung des Transplantationsgeschehens, vor allem in Bezug auf die vermittlungspflichtigen Organe. Er normiert daher Entscheidungen über die Entnahme, Vermittlung und Übertragung von Organen und die Zusammenarbeit der beteiligten Institutionen. Es schließen sich Bestimmungen über Meldungen, Dokumentationen, Rückverfolgung, Datenschutz sowie Aufbewahrungs- und Löschungspflichten an (fünfter Abschnitt).378 Der Abschnitt 5a enthält die maßgeblichen Vorschriften betreffend die Richtlinien der Bundesärztekammer zur Organ- und Gewebespende sowie eine Verordnungsermächtigung des Bundesministeriums für Gesundheit im Fall einer erforderlichen Abwehr von Gefahren für die Gesundheit von Menschen oder der Risikovorsorge. Der sechste Abschnitt statuiert das Verbot des Organhandels, gefolgt von Straf- und Bußgeldvorschriften (siebter Abschnitt). Der Achte kodifiziert schließlich Übergangs- und Schlussbestimmungen. Da das Transplantationsrecht zum Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung zählt (Art. 74 Abs. 1 Nr. 26 GG), steht den Ländern ein eigener gesetzlicher Gestaltungsspielraum zu, solange und soweit der Bund nicht von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht hat. Den Landesausführungsgesetzen sind heute das Transplantationsgesetz ergänzende organisatorische Regelungen immanent. Normierungsmöglichkeiten verbleiben den Ländern im Rahmen der Aufklärungsarbeit (§ 2 Abs. 1 TPG), im Hinblick auf die Kommissionsbildung bei der Lebendspende (§ 8 Abs. 3 TPG), bei der Ausgestaltung der Rolle des Transplantationsbeauftragten (§ 9b Abs. 3 TPG), der Anerkennung von Transplantationszentren (§ 10 TPG) sowie der Bereitstellung struktureller Grundlagen für die Bewältigung der „gemeinschaftlichen Aufgabe“ durch die Krankenhäuser, Transplantationszentren und der Koordinierungsstelle (§ 11 TPG).379

378  Näher zu den datenschutzrechtlichen Belangen des TPG Gott, Schnittstelle zwischen Organ- und Gewebespende, S. 88 ff. 379  Eingehend zu den Landesausführungsgesetzen Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 91 ff. sowie Rosenberg, Die postmortale Organtransplantation, S. 102 ff.



IV. Organisatorische Grundlagen des Transplantationssystems99

b) Die Richtlinien der Bundesärztekammer In den letzten Jahren sind vor allem die Richtlinien der Bundesärztekammer in den Fokus wissenschaftlicher Auseinandersetzungen gerückt. Da das Transplantationsgesetz verschiedene Aspekte des Transplantationswesens nur sehr bruchstückhaft regelt, bedarf es für die praktische Anwendung einiger Konkretisierung. Dies gilt namentlich vor allem für die maßgeblichen Allokationskriterien (Erfolgsaussicht und Dringlichkeit), die der Gesetzgeber in § 12 Abs. 3 S. 1 TPG lediglich (noch nicht einmal abschließend) benennt, ohne diese näher zu definieren oder ihre Gewichtung zueinander festzulegen. Recht pauschal hält er fest, dass die Vermittlung dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen müsse. Ein ähnlicher Mangel an Detailtreue findet sich bei den Vorgaben zur Aufnahme auf die Warteliste in § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG (Notwendigkeit und Erfolgsaussicht). Diese Lücken sollen durch die Beauftragung der Bundesärztekammer, den Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft in Richtlinien festzustellen, geschlossen werden (§ 16 Abs. 1 S. 1 TPG). Bei der Bundesärztekammer handelt es sich um einen nicht eingetragenen Verein bürgerlichen Rechts,380 der im Rahmen einer Beleihung tätig wird.381 Die Bundesärztekammer wurde ermächtigt, das Verfahren für die Erarbeitung der Richtlinien und die Beschlussfassung festzulegen (§ 16 Abs. 2 S. 1 TPG). Ausgearbeitet werden die Richtlinien von der Ständigen Kommission Organtransplantation.382 Das oberste Beschlussorgan der Bundesärztekammer ist der Vorstand, der über die Vorschläge der verschiedenen Ausschüsse

380  Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 5; Mohammadi-Kangarani, Die Richtlinien der Organverteilung im Transplantationsgesetz, S.  88; Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 102; eingehender zur Rechtsform der BÄK Berger, Die Bundesärztekammer, S. 44 ff., der auch zu dem Schluss kommt, dass es sich bei der BÄK um einen nichtrechtsfähigen Verein handelt, S. 46 m. w. N. 381  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 174 ff.; Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 5; Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn.  10 ff.; Mohammadi-Kangarani, Die Richtlinien der Organverteilung im Transplantationsgesetz, S.  92 ff.; Uhl, Richtlinien der Bundesärztekammer, S. 144 ff.; Wenner, in: Fachbereich Rechtswissenschaft Universität Frankfurt (Hrsg.), 100 Jahre Rechtswissenschaft in Frankfurt, S. 245, 259; a. A. Augsberg, in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin in Deutschland, S. 45, 49 f.; Nickel / SchmidtPreisigke / Sengler, TPG, § 16 Rn. 4; Wiegand, Die Beleihung mit Normsetzungskompetenzen, S. 219; Woinikow, Richtlinien der Transplantationsmedizin, S. 210 ff. Näher zur Tätigkeit der BÄK siehe im verfassungsrechtlichen Teil S. 351 ff. 382  § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Statuts der Ständigen Kommission Organtransplantation. Nicht darunter fällt die Richtlinie gem. § 16 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 TPG. Hier wird der Wissenschaftliche Beirat der BÄK tätig.

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B. Der organisatorische Rahmen

und Gremien entscheidet.383 Bei der Erstellung der Richtlinien ist gemäß § 16 Abs. 2 S. 3 TPG eine angemessene Beteiligung der betroffenen Fachund Verkehrskreise, einschließlich des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen, der Deutschen Krankenhausgesellschaft, der Deutschen Transplantationsgesellschaft, der Koordinierungsstelle, der Vermittlungsstelle sowie der zuständigen Behörden der Länder vorzusehen.384 Für spezielle Richtlinien ist die Mitwirkung von unabhängigen Ärzten (Nr. 1, 1a und 5), Personen mit der Befähigung zum Richteramt sowie Personen aus dem Kreis der Patienten (Nr. 2 und 5) und Angehörigen (Nr. 5) in einer „Sollens-Norm“ festgeschrieben (§ 16 Abs. 2 S. 4 TPG). Seit der jüngsten Reform aus dem Jahre 2013 sind die Richtlinien zu begründen, wobei insbesondere die Feststellung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft nachvollziehbar darzulegen ist (§ 16 Abs. 2 S. 2 TPG). Daraus verspricht sich der Gesetzgeber ein besseres Verständnis der Normierungen sowie mehr Transparenz.385 Die Richtlinien unterliegen nunmehr zusätzlich einem Genehmigungsvorbehalt durch das Bundesministerium für Gesundheit (§ 16 Abs. 3 TPG).386 Thematisch behandeln die bisher erlassenen Richtlinien die Feststellung des Todes und des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls, die Wartelistenführung und Organvermittlung, die Spendermeldung (ärztliche Beurteilung), den Empfängerschutz (medizinische Beurteilung) und Maßnahmen zur Qualitäts-

383  Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 21; eingehend zu den Organen der BÄK Berger, Die Bundesärztekammer, S. 47 ff. sowie Kliesch, Das Ethos der Bundesärztekammer, S.  40 ff. 384  Eine Umsetzung dieser Vorgaben findet sich in § 2 des Statuts der Ständigen Kommission Organtransplantation. 385  BT-Drs. 17 / 13947, S. 40. 386  Dadurch wurde nun endlich der Forderung des Bundesrates nachgegeben. Dieser hatte schon im Vorfeld der Reform von 2012 durch das TPGÄndG auf das Genehmigungserfordernis gedrängt, da die Richtlinien nicht nur den Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft feststellten, sondern rechtserhebliche Feststellungen träfen, sodass sie der demokratischen Legitimation bedürften, BT-Drs. 17 / 7376, S. 33; nach der Gegenäußerung der Bundesregierung, S. 36 f., war eine Genehmigung, mangels Rechtsverbindlichkeit der Richtlinien, jedoch nicht notwendig. Vgl. gegen die Einführung eines Genehmigungsvorbehalts aufgrund einer ausreichenden Qualität und der Gefahr des Verlustes von Flexibilität Nickel, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 9, 13. In der Literatur wird eine stärkere staatliche Mitwirkung ex post, z. B. durch ein Einvernehmenserfordernis der zuständigen Bundesoberbehörde aber schon lange gefordert, vgl. Gutmann, in Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 29; Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 22; Schmidt-Aßmann, in: Kern / Wadle / Schroeder u. a. (Hrsg.), FS Laufs, S. 1049, 1068; Taupitz, NJW 2003, S. 1145, 1150; Uhl, Richtlinien der Bundesärztekammer, S. 325.



IV. Organisatorische Grundlagen des Transplantationssystems101

sicherung.387 Bei der Beachtung der Richtlinien wird die Einhaltung des Standes der medizinischen Wissenschaft vermutet (§ 16 Abs. 1 S. 2 TPG). Die aufgrund von § 16 Abs. 1 S. 1 TPG erlassenen Regelungen haben eine faktisch enorm hohe Bindungswirkung, da eine Widerlegung der Vermutungsregel kaum möglich sein wird.388 Wegen dieses hohen Grads an Verbindlichkeit werden sie überwiegend als Rechtsnormen qualifiziert.389 Neben diesen im Transplantationsgesetz vorgesehenen Normierungen erlässt die Bundesärztekammer noch weitere Richtlinien, Empfehlungen und Stellungnahmen für die Organtransplantation (z. B. die Richtlinie über die Transplantation außerhalb des Eurotransplant-Bereichs). Diese beanspruchen allerdings keine normative Verbindlichkeit oder Geltungskraft.390 c) Sonstige Rechtsquellen Neben dem Transplantationsgesetz als maßgeblichem Rahmen der Transplantationsmedizin, den Landesausführungsgesetzen sowie den Richtlinien der Bundesärztekammer sind weitere Rechtsquellen für das Transplantationswesen von entscheidender Bedeutung. Zuvörderst zu nennen ist hier das Grundgesetz, das außer der Kompetenzregelung in Art. 74 Abs. 1 Nr. 26 GG zwar keine ausdrückliche Aussage zur Transplantationsmedizin enthält, dessen Wertentscheidungen das Transplantationsrecht jedoch enorm anreichern. Im Mittelpunkt stehen die Grundrechte auf Spender- und Empfängerseite, gepaart mit den Staatszielbestimmungen. Insbesondere das Sozialstaats- als auch das Demokratieprinzip nehmen eine gewichtige Stellung bei der Beurteilung der rechtlichen Rahmenbedingungen ein. Hinzu kommen die grundgesetzlichen Rechtsschutzgarantien, Art. 19 Abs. 4 GG und der allgemeine Justizgewährleistungsanspruch (Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip), die einen Anspruch auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle des Transplantationssystems verbürgen. Auf untergesetzlicher Ebene treten Rechtsverordnungen des Bundesministeriums für Gesundheit hinzu, zu deren Erlass es durch das Transplantations-

387  Die Richtlinien sind abrufbar unter: http: /  / www.bundesaerztekammer.de / page. asp?his=0.7.45.8858 (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 388  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 135 f.; Nickel / Schmidt-Preisgke /  Sengler, TPG, § 16 Rn. 20; Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 30; Sickor, GesR 2014, S. 204, 205. 389  Zur Rechtfertigung der Einordnung der Richtlinien als Rechtsnormen siehe unten S.  354 ff. 390  Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 33; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 99.

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B. Der organisatorische Rahmen

gesetz ermächtigt wurde. Von den Ermächtigungen wurde bisher jedoch nicht vollumfänglich Gebrauch gemacht.391 Als weitere transplantationsspezifische Normierungen sind die Verträge betreffend die Koordinierungs- und Vermittlungsstelle, das Handbuch (Man­ ual) von Eurotransplant sowie die Verfahrensanweisungen der Deutschen Stiftung Organtransplantation zu nennen, die innerhalb der verfassungsrechtlichen Bewertung der Organisation des Transplantationswesens noch eine Rolle spielen werden. 2. Überblick über den Ablauf des Organspende- und Transplantationsverfahrens Der Ablauf einer Organspende und der darauffolgenden Vermittlung des Organs für eine Transplantation ist im Transplantationsgesetz streng reglementiert und soll hier überblicksartig dargestellt werden, um den Gang des Verfahrens im Hinblick auf die folgende Bewertung nachvollziehen zu können.392 Der Kernbereich des transplantationsmedizinischen Organisationsprozesses findet sich im vierten Abschnitt des Transplantationsgesetzes. Er betont die strikte Trennung zwischen der Entnahme (§ 9 Abs. 1 TPG), der Übertragung (§ 9 Abs. 2 TPG) und der Vermittlung (§ 12 TPG) von Organen. Die organisatorische Abgrenzung der Verantwortungsbereiche soll Interessenkonflikten und Missbrauch vorbeugen.393 Bevor es zur Vermittlung eines gemäß § 1a Nr. 2 TPG vermittlungspflichtigen Organs (Herz, Lunge, Leber, Niere, Bauchspeicheldrüse und Darm)394 nach § 12 Abs. 3 TPG kommen kann, muss dieses zunächst einem hirntoten 391  Während beispielsweise die Verordnung gem. § 10a Abs. 4 TPG zur „Durchführung der Organ- und Spendercharakterisierung und zum Transport von Organen“ im Februar 2013 erlassen wurde, wartet man vergeblich auf die, freilich nicht verpflichtende, Einrichtung eines Organspenderegisters auf der Grundlage von § 2 Abs. 3 TPG (dieses darf nicht mit dem am 01.11.2016 in Kraft getretenem Transplantationsregister verwechselt werden). 392  Für einen ausführlichen Überblick siehe Bader, Organmangel und Organverteilung, S.  157 ff.; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S.  68  ff.; Rosenberg, Die postmortale Organtransplantation, S. 51 ff. Ein anschauliches Schaubild liefert Lang, ZfL 2015, S. 2, 7. 393  Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S.  33; Lilie, in: Ahrens /  von Bar / Fischer u. a. (Hrsg.), FS Deutsch 70. Geburtstag, S. 643, 653; Weyd, JA 2013, S. 437, 440; Zweifel, ob dies wirklich notwendig ist finden sich bei Norba, Rechts­ fragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 101. 394  Zur Diskussion, ob Domino-Organe künftig in die Vermittlungspflicht mit einbezogen werden sollten Gutmann / Wiese, MedR 2015, S. 315, 321.



IV. Organisatorische Grundlagen des Transplantationssystems103

Spender entnommen worden sein. Die organprotektive Therapie beginnt jedoch in der Praxis regelmäßig bereits vor der Todesfeststellung; nämlich zu dem Zeitpunkt, an dem eine infauste Prognose grundsätzlich einen Therapieabbruch und damit ein „Sterben lassen“ des Patienten nahelegen würde.395 Dies ist zumindest bei vermutetem Hirntod oder der Vermutung seines alsbaldigen Eintritts der Fall. Wird ein potentieller Spender ausgemacht, meldet das Krankenhaus diesen an die Koordinierungsstelle, die Deutsche Stiftung Organtransplantation (§ 9a Abs. 2 Nr. 1 TPG). Das Krankenhaus hat den Hirntod des Patienten zu diagnostizieren. Ist es selbst dazu nicht in der Lage, kann die Koordinierungsstelle hier schon im Vorfeld unterstützend tätig werden. Es folgt im Anschluss die Unterrichtung der Angehörigen (§ 3 Abs. 3 S. 1 TPG), die gegebenenfalls um die Erlaubnis einer Organentnahme gebeten werden müssen (§ 4 Abs. 1 TPG). Hauptakteur im Rahmen der Vorbereitung der Organentnahme soll nach der Gesetzesreform aus dem Jahre 2012 der Transplantationsbeauftragte sein, der nicht nur allgemein optimale Rahmenbedingungen für die Organspende an sich schaffen, sondern zudem jeden Spendeablauf in besonderer Weise unterstützen soll (§ 9b TPG). Vor der Organentnahme erfolgen aus Gründen des Empfängerschutzes einige Standarduntersuchungen, die die Eignung der Organe zur Transplantation sicherstellen sollen. Genaue Vorgaben liefert dafür die Richtlinie der Bundesärztekammer zur medizinischen Beurteilung von Organspendern und zur Konservierung von Spenderorganen gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 lit. a, lit. b TPG. Die Koordinierungsstelle gibt alle erforderlichen Daten an die Vermittlungsstelle Eurotransplant weiter. Diese trifft, gesondert in Bezug auf jedes zu entnehmende Organ und aufgrund von konkreten Vermittlungskriterien, die Auswahl eines geeigneten Empfängers. Dieser befindet sich, in Erwartung einer Zuteilung, bereits auf der einheitlichen Warteliste für das jeweilige Organ. Sie setzt sich aus den verschiedenen Wartelisten der sich im Eurotransplantverbund befindenden Transplantationszentren zusammen. Sodann wird das Organ demjenigen Transplantationszentrum angeboten, in dem der ermittelte Empfänger gemeldet ist. Dieses hat das Organ für den Patienten innerhalb einer genau festgelegten Frist anzunehmen. Gleichzeitig ergeht ein unverbindliches Angebot an das Zentrum, das den Zweitplatzierten behandelt und zum Zuge kommt, wenn das erste Zentrum das Organ abgelehnt oder die Frist hat verstreichen lassen. Besonderheiten gelten für die Zuteilung schwer vermittelbarer Organe. Sie können im modifizierten oder beschleunigten Verfahren angeboten werden, um den Verlust des Organs zu verhindern.396 395  Näher

zur Spenderkonditionierung siehe S. 282. zum Allokationsverfahren S. 125 f.; näher dazu Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 164 f. 396  Siehe

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B. Der organisatorische Rahmen

Erst im Anschluss an die Bestimmung des Empfängers erfolgt die Explantation der Organe beim Spender. Zuletzt wird dieser in einem würdigen Zustand zur Bestattung übergeben (§ 6 Abs. 2 S. 1 TPG). Nach ihrer Konservierung werden die Organe zum jeweiligen Transplantationszentrum transportiert, in dem der Empfänger bereits auf den Eingriff vorbereitet wurde. Die Letztentscheidung über die tatsächliche Transplantation trifft schlussendlich der zuständige Arzt nach medizinischen Kriterien (vgl. § 5 Abs. 5 ET-Vertrag). Der Organverpflanzung nachfolgend werden deren Ergebnisse anonymisiert an das Entnahmekrankenhaus, die Angehörigen des Spenders sowie Eurotransplant weitergegeben. 3. Die beteiligten Institutionen Durch die Schaffung des Transplantationsgesetzes ist ein komplexes Zuständigkeits- und Verantwortungsgeflecht der einzelnen agierenden Akteure entstanden.397 Die vielen Schritte von der Aufnahme auf die Warteliste eines Patienten, über eine Spendermeldung bis hin zur Vermittlung und Transplantation liegen in unterschiedlichen Händen. Dadurch sollen zwar eine gegenseitige Beeinflussung und Interessenüberschneidung vermieden werden; es wurde jedoch bemängelt, dass dies zum Preis von oftmals mangelnder Durchschaubarkeit des Systems gehe, unter der sogar die Beteiligten selbst leiden.398 Eine Zusammenschau der einzelnen Akteure sowie ihrer Tätigkeitsfelder und Relationalität ist zur Erklärung daher geboten. Erst an späterer Stelle soll sich sodann mit möglicherweise bestehenden verfassungsrechtlichen und rechtspolitischen Problemstellungen befasst werden.399 Vorliegend wird sich insbesondere auf die Neuerungen durch die letzten Reformen konzentriert. In den Blick genommen werden alle am Organspende- und Transplantationsprozess maßgeblich beteiligten Institutionen: die Entnahmekrankenhäuser (a)), die Transplantationszentren (b)), die Koordinierungsstelle Deutsche Stiftung Organtransplantation (c)) sowie die Vermittlungsstelle Eurotransplant (d)). 397  Höfling, JZ 2007, S. 481, 482; Lang, MedR 2005, S. 269, 270; kritisch dazu auch Kirste, in: Kongressband zum 8. Jahreskongress der Deutschen Stiftung Organtransplantation, S. 37, 39. 398  Zur unklaren Kompetenzabgrenzung siehe eingehend Rosenberg, Die postmortale Organtransplantation, S. 61 ff.; ders., GesR 2009, S. 73, 74 ff.; ders., in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Förderung der Organspende, S. 109, 110 ff. Die neuen Verfahrensanweisungen der Koordinierungsstelle sollen dahingehend Verbesserung schaffen, siehe zu diesen S. 117 f. 399  Vgl. dazu die entsprechenden Passagen in der verfassungsrechtlichen (S. 270  ff.) und rechtspolitischen Bewertung (S. 480  ff.) des Transplantationssystems.



IV. Organisatorische Grundlagen des Transplantationssystems105

a) Das Entnahmekrankenhaus Die Entnahme von Organen verstorbener Spender ist eine gemeinschaftliche Aufgabe der Transplantationszentren und der Entnahmekrankenhäuser in regionaler Zusammenarbeit (§ 11 Abs. 1 S. 1 TPG). Das Entnahmekrankenhaus (vielfach auch Spenderkrankenhaus genannt), ist das Hospital, in dem der potentielle Organspender verstirbt. Es muss über eine Intensivstation mit Beatmungsplätzen verfügen, um eine ausreichende Versorgung der Organe sicherstellen zu können. Im Jahr 2014 waren das in Deutschland 1.326 Krankenhäuser; 38 Universitätskliniken, 124 Kliniken mit einer neurochirurgischen Abteilung und 1.164 Krankenhäuser ohne Neurochirurgie.400 Die zen­ tralen Regelungen zu den Entnahmekrankenhäusern finden sich in §§ 9a, 9b TPG. Ihre Zulassung erfolgt nach § 108 SGB V oder § 30 GewO (§ 9a Abs. 1 TPG). Im Gegensatz zur alten Rechtslage sieht das neue Transplantationsgesetz kein eigenständiges Zulassungsverfahren mehr vor. Gemäß § 9a Abs. 2 TPG sind die Kliniken verpflichtet, den Hirntod bei einem Patienten, der als Organspender in Betracht kommt, zu diagnostizieren und der Koordinierungsstelle mitzuteilen (Nr. 1). Maßgeblich für die Meldepflicht ist die nach erster ärztlicher Beurteilung bestehende Eignung des Verstorbenen für eine Spende, die Möglichkeit, die Organe durch intensivmedizinische Maßnahmen im transplantierfähigen Zustand zu halten sowie die Tatsache, dass der Entnahme nicht bereits widersprochen wurde.401 Die Meldung erfolgt gemäß den Verfahrensanweisungen der Koordinierungsstelle (§ 11 Abs. 1a S. 2 Nr. 1 TPG). Für die ärztliche Beurteilung ist die entsprechende Richtlinie der Bundesärztekammer maßgeblich (§ 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 TPG). Zudem haben die Krankenhäuser sicherzustellen, dass die Entnahme in einem Operationssaal durchgeführt wird, der dem Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik entspricht, um die Qualität und Sicherheit der entnommenen Organe zu gewährleisten (Nr. 2) sowie dafür zu sorgen, dass ihr eingesetztes medizinisches Personal für seine Aufgaben qualifiziert ist (Nr. 3). Sie haben ferner die aufgrund des § 11 TPG erlassenen Regelungen zur Organentnahme einzuhalten (Nr. 4). Gemäß § 11 Abs. 4 S. 4 TPG leiten sie schließlich die zur Klärung der Voraussetzungen einer Organspende erforderlichen personenbezogenen Daten an die Koordinierungsstelle weiter. Außerdem haben die Entnahmekrankenhäuser seit der Reform durch das TPGÄndG im Jahre 2012 zumindest einen Transplantationsbeauftragten zu bestellen, der für die Erfüllung seiner Aufgaben fachlich qualifiziert ist (§ 9b Abs. 1 TPG). Er ist insbesondere dafür verantwortlich, dass die Entnahmekrankenhäuser ihrer Verpflichtung gemäß § 9a Abs. 2 Nr. 1 TPG nachkom400  DSO,

Jahresbericht 2014, S. 24. in: Spickhoff (Hrsg.), TPG, § 9a Rn. 2.

401  Middel / Scholz,

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B. Der organisatorische Rahmen

men, die Angehörigen des Verstorbenen eine angemessene Begleitung erhalten, die Zuständigkeiten und Handlungsabläufe im Entnahmekrankenhaus zur Erfüllung der gesetzlichen Verpflichtungen festgelegt werden sowie das ärztliche und pflegerische Personal im Entnahmekrankenhaus über die Bedeutung und den Prozess der Organspende regelmäßig informiert wird (§ 9b Abs. 2 TPG). Mit diesen Funktionen nimmt er die Rolle des Experten vor Ort und gleichzeitig eines wesentlichen Verbindungsglieds zwischen Krankenhaus und Deutscher Stiftung Organtransplantation ein.402 Bisher waren Transplantationsbeauftragte lediglich in einigen Landesgesetzen vorgesehen.403 Ihre bundesweite Einführung bezweckte die Steigerung der Organspenderrate, was insbesondere durch eine effiziente Identifizierung von potentiellen Spendern gelingen soll. Vorbildfunktion erfüllen insoweit die Länder Spanien und Österreich, die beide mit dem Einsatz von Transplantationsbeauftragten erfolgreich waren.404 Die Schaffung eines einheitlichen rechtlichen Rahmens für die Bundesrepublik wurde in Literatur und Praxis schon lange gefordert und daher einhellig gelobt.405 Um die notwendige Qualifizierung des Transplantationsbeauftragten sicherzustellen, wird die bundesweite Einführung eines „Curriculum Organspende“ diskutiert.406 402  Bahr, in: Kongressband zum 8. Jahreskongress der Deutschen Stiftung Organtransplantation, S. 21. 403  So in den Landesgesetzen von Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und SchleswigHolstein, vgl. dazu Rosenberg, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 109, 113. 404  Zum Modell in Spanien siehe Martorell, in: Lilie / Rosenau / Hakeri (Hrsg.), Die Organtransplantation, S. 11, 14 f.; zur Lage in Österreich siehe Hohmann, Das Transplantationswesen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, S. 56 f. Eine Forderung der Einführung von Transplantationsbeauftragten wurde auch in Deutschland stetig wiederholt, Beschlussprotokoll des 110. Deutschen Ärztetags, S. 11; Nationaler Ethik­ rat, Die Zahl der Organspenden erhöhen, S. 23 f.; Lilie, in: Lilie / Rosenau / Hakeri (Hrsg.), Die Organtransplantation, S. 55, 63; Rosenberg, GesR 2009, S. 73, 76. 405  Ahlert / Kliemt, in: Hensen / Kölzer (Hrsg.), Die gesunde Gesellschaft, S. 249, 259 f.; Baum, in: Kongressband zum 8. Jahreskongress der Deutschen Stiftung Organtransplantation, S. 26; Montgomery, in: Kongressband zum 8. Jahreskongress der Deutschen Stiftung Organtransplantation, S. 23; v. Stackelberg, in: Kongressband zum 8. Jahreskongress der Deutschen Stiftung Organtransplantation, S. 25; siehe auch das Beschlussprotokoll des 114. Deutschen Ärztetags, S. 3; zur Forderung der Schaffung von gesetzlichen Regelungen Rosenberg, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 109, 112; ders., Die postmortale Organtransplantation, S. 178; zum Erfolg des Einsatzes eines „Leitenden Transplantationsbeauftragten“ siehe Komm, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Förderung der Organspende, S.  39 ff. 406  Zum „Curriculum Organspende“ siehe Frühauf / Hesse, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Förderung der Organspende, S. 81 ff. sowie Wirges, in: Kongressband zum 8. Jahreskongress der Deutschen Stiftung Organtransplantation, S. 56 f.



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Die Effizienz der Entnahmekrankenhäuser sollte nicht nur durch die Etablierung von Transplantationsbeauftragten gesteigert, sondern durch eine Inhousekoordination eingehend analysiert werden, um so weiteren Veränderungsbedarf aufzudecken. Der Fokus des Projekts war insbesondere die Untersuchung von zusätzlichem Spenderpotential, die Verbesserung von Organisation und Prozessen der Organspende sowie die tatsächliche Ausschöpfung des zusätzlichen Spenderpotentials gerichtet.407 Die meldepflichtigen Krankenhäuser standen Jahre lang in der Kritik der Fachöffentlichkeit, da ihre Kooperationsbereitschaft bei der Organspende als stark verbesserungsbedürftig galt.408 Um die Effizienz der Transplantationsmedizin sicherzustellen, muss das Entnahmekrankenhaus alle möglichen Spender identifizieren und an die Koordinierungsstelle melden. Nur etwa 10 % der Krankenhäuser kämen dieser Pflicht aber in Gänze nach; die restlichen Kliniken würden sich lediglich mit einer Rate von 40 % beteiligen.409 Diese Annahmen haben bereits bei der Transplantationsgesetzgebung im Jahre 1997 eine Rolle gespielt. Damals wurde geschätzt, dass sich die Zahl der potentiellen Organspender – bei etwa gleichbleibender Ablehnungsrate – durch eine optimale Beteiligung der Krankenhäuser mindestens verdoppeln könnte.410 Zurückgeführt wurde der angeprangerte Missstand vor allem auf fehlende Anreize für die Erfüllung des gesetzlichen Auftrags und die damit verbundenen Risiken als auch auf mangelnde Sanktionen der Nichtbeteiligung.411 Eine weit verbreitete Forderung betrifft daher die Verbesserung der Refinanzierungssituation der 407  Blum, in: Kongressband zum 8. Jahreskongress der Deutschen Stiftung Organtransplantation, S. 51. 408  Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel, S. 53; Kirste, in: Middel /  Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Förderung der Organspende, S. 27 f.; ders., in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Förderung der Organspende, S. 33 ff.; Krüger, in: Charbonnier /  Laube (Hrsg.), Organ- und Gewebetransplantation, S. 13, 18; Nationaler Ethikrat, Die Zahl der Organspenden erhöhen, S. 20 ff.; Neft, in: Charbonnier / Laube (Hrsg.), Organ- und Gewebetransplantation, S. 83, 85; Otto, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 149, 152; Viebahn, in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin in Deutschland, S. 9, 19. 409  Rosenberg, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 109, 111. Damit ist keine wesentliche Besserung der Sachlage im Vergleich zu den Vorjahren auszumachen. Schon 2005 kamen angeblich nur etwa 45 % der Entnahmekrankenhäuser ihrer Meldepflicht nach, vgl. Nationaler Ethikrat, Die Zahl der Organspenden erhöhen, S. 20. 410  Vgl. Siegmund-Schultze, DÄBl 110 (2012), A-136. 411  Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel, S.  66  ff.; Nationaler Ethik­ rat, Die Zahl der Organspenden erhöhen, S. 20 f.; Rosenau, in: Lilie / Rosenau / Hakeri (Hrsg.), Die Organtransplantation, S. 61, 62; eine auch nicht irrelevante emotionale Mehrbelastung der Mitarbeiter sehen Ach / Anderheiden / Quante, Ethik der Organtransplantation, S. 174.

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Krankenhäuser. Eine angemessenere finanzielle Absicherung könnte hinder­ liche monetäre Risiken bei der Betreuung potentieller Spender ausschließen.412 Die Wirksamkeit von möglichen Sanktionen wird hingegen unterschiedlich bewertet.413 Verschiedene Sanktionsansätze zur Erzielung einer Zwangswirkung wurden in der Literatur bereits ausgiebig diskutiert.414 Zusätzlich werden organisatorische Defizite für eine mangelnde Ausschöpfung des Spenderpotentials verantwortlich gemacht, die durch eine bessere Kompetenzabgrenzung zwischen Krankenhaus und Koordinierungsstelle sowie eine Ablaufoptimierung des langwierigen Spendeprozesses gelöst werden könnten.415 Tatsächlich sahen schon die Bundesregierung sowie die 77. Gesundheitsministerkonferenz Verbesserungsmöglichkeiten in der Zusammenarbeit zwischen Krankenhäusern, Transplantationszentren und Koordinierungsstelle.416 Die Inhousekoordination sollte Klarheit über das weitere Vorgehen schaffen. Die Ergebnisse des von Anfang 2010 bis Mitte 2012 laufenden Projekts in 112 beteiligten Krankenhäusern waren jedoch eher überraschend.417 Die Unterschiede in der Entwicklung der Spenderzahlen zwischen 412  Auf das finanzielle Risiko weisen vor allem hin Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel, S. 66 ff.; Gutmann, Für ein neues Transplantationsgesetz, S.  144 ff.; Heemann, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 7, 12 f.; Vilmar, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.) Förderung der Organspende, S. 27, 28; siehe auch Neft, in: Charbonnier / Laube (Hrsg.), Organ- und Gewebetransplantation, S. 83, 86 f.; Windhorst, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Förderung der Organspende, S. 55, 56; diesen Befund bezweifelt jedoch Lilie, in: Jung / Luxenburger / Wahle (Hrsg.), FS E. Müller, S. 395. Unabhängig von möglicherweise bestehenden Defiziten betonte der damalige Gesundheitsminister Daniel Bahr die Signifikanz der finanziellen Unterstützung der Krankenhäuser im Allgemeinen, siehe Bahr, in: Kongressband zum 8. Jahreskongress der Deutschen Stiftung Organtransplantation, S. 21, 22; eingehender zum Vergütungssystem mit Fallpauschalen Helling / Bunzemeier / Roeder, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Förderung der Organspende, S.  99 ff. 413  Offen dafür grds. Boltz, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 29, 33 sowie der Nationale Ethikrat, Die Zahl Organspenden erhöhen, S. 23; eher skeptisch Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel, S. 76 ff.; Krüger, Die Organvermittlungstätigkeit Eurotransplants im Sinne des § 12 TPG, S. 13, 18; Neft, in: Charbonnier / Laube (Hrsg.), Organ- und Gewebetransplantation, S. 83, 87. 414  Zu den verschiedenen Optionen Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel, S.  76 ff. 415  Dazu vor allem Rosenberg, Die postmortale Organtransplantation, S. 61  ff., 174 ff.; ders., GesR 2009, S. 73, 74 ff.; siehe auch Neft, in: Charbonnier / Laube (Hrsg.), Organ- und Gewebetransplantation, S. 83 ff. 416  BT-Drs. 15 / 4542, S. 3; Beschluss der 77. Gesundheitsministerkonferenz vom 18.04.2004. 417  Vgl. den Abschlussbericht der Inhousekoordination, abrufbar unter: http: /  / www. dso.de / uploads / media / Inhousekoordination_bei_Organspenden_-_Abschluss_



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den teilnehmenden und den übrigen Krankenhäusern fielen eher moderat aus. Es wurde insgesamt festgehalten, dass die unterdurchschnittliche Spenderrate in Deutschland zumindest nicht maßgeblich auf die unzureichende Meldung von potentiellen Spendern zurückzuführen sei. Allerdings bezog die Inhouse­ koordination nur Universitätskliniken und Kliniken mit Neurochirurgie in ihre Untersuchung mit ein und erweist sich somit als unvollständig.418 Die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben bei der Organspende wird von der durch den Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen, der Bundesärztekammer und der Deutschen Krankenhausgesellschaft eingesetzten Überwachungskommission kontrolliert. Ihre Einsetzung ist in § 11 Abs. 3 S. 4 TPG geregelt. Die Entnahmekrankenhäuser sind verpflichtet, der Kommission die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen und die erforderlichen Auskünfte zu erteilen (§ 11 Abs. 3 S. 5 TPG). Erkenntnisse über Verstöße gegen das Transplantationsgesetz und auf Grund dieses Gesetzes erlassener Rechtsverordnungen muss die Überwachungskommission an die zuständigen Behörden der Länder weiterleiten (§ 11 Abs. 3 S. 6 TPG).419 b) Das Transplantationszentrum Transplantationszentren sind Krankenhäuser oder Einrichtungen an Krankenhäusern, die für die Übertragung von Organen verstorbener Spender sowie die Entnahme und Übertragung von Lebendspenderorganen zugelassen sind (§ 10 Abs. 1 S. 1 TPG). Ihre Zulassung richtet sich nach § 108 SGB V oder nach § 30 GewO (§ 10 Abs. 1 S. 1 TPG). Gemeinsam mit den Entnahmekrankenhäusern wirken sie an der Verwirklichung der Organspende als „gemeinschaftlicher Aufgabe“ mit (§ 11 Abs. 1 S. 1 TPG). Diese Zusammenarbeit wird von der Koordinierungsstelle über Rahmenverträge mit den Transplantationszentren organisiert. Neben der Verpflichtung zur Kooperation mit den Entnahmekliniken besteht eine solche auch in Bezug auf die Deutsche Stiftung Organtransplantation (§ 11 Abs. 4 S. 1 TPG). Die einzelnen Zentren haben Schwerpunkte für die Organübertragung zu bilden, um eine bedarfsgerechte, leistungsfähige und wirtschaftliche Versorgung zu gewährleisten und die erforderliche Qualität der Organübertragung zu sichern (§ 10 Abs. 1 S. 2 TPG). § 10 Abs. 2 S. 1 TPG normiert weitere A_B-KH.pdf (zuletzt abgerufen am 30.06.2017); die Ergebnisse im Überblick analysiert Blum, in: Kongressband zum 8. Jahreskongress der Deutschen Stiftung Organtransplantation, S. 52. 418  Näher zur Inhousekoordination siehe S. 544 ff. 419  Obwohl die Überwachungskommission den Prozess der Organspende insgesamt kontrolliert, fokussiert sich § 11 Abs. 3 TPG primär auf die Kontrolle der Koordinierungsstelle. Näheres zur Überwachungskommission soll daher im Rahmen der Betrachtung der DSO dargestellt werden, siehe S. 119 ff.

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B. Der organisatorische Rahmen

konkrete Pflichten. Eine zentrale Aufgabenzuweisung ist dabei die Führung der Wartelisten und die Datenübermittlung an Eurotransplant (Nr. 1). Die Transplantationszentren entscheiden über den ersten Schritt in Richtung der Organempfängerauswahl, indem sie sich zur Annahme eines, von einem Arzt gemäß § 13 Abs. 3 S. 1 TPG überwiesenen, Patienten entscheiden und dessen Aufnahme in die Warteliste beschließen. Dieser wird sodann an die Vermittlungsstelle gemeldet (§ 13 Abs. 3 S. 3 TPG). Ebenso treffen die Zentren die Entscheidung über die Herausnahme eines Patienten aus der Listung, was durch das TPGÄndG im Jahr 2012 nun ausdrücklich klargestellt wurde. Aufgrund ihres derivativen Teilhabeanspruchs an medizinischer Versorgung (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip) haben Bedürftige, die die entsprechenden Voraussetzungen erfüllen, einen Anspruch auf Annahme als Patient sowie Aufnahme in die Warteliste und einen Verbleib in der Listung.420 Für die Transplantationszentren besteht insofern ein Kontrahierungszwang.421 Über die Aufnahme in die Warteliste ist laut § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG nach Regeln zu entscheiden, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, insbesondere nach Notwendigkeit und Erfolgsaussicht einer Organübertragung. Der gleiche Maßstab muss als actus contrarius der Aufnahme auch für die Herausnahme aus der Warteliste gelten.422 § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ermächtigt die Bundesärztekammer zur Festlegung dieser Erkenntnisse. Ihre Richtlinien sehen als Aufnahmekriterien etwa eine Lebensverlängerung des Empfängers, eine langfristig ausreichende Transplantatfunktion und eine verbesserte Lebensqualität vor, wobei für die Beurteilung die Gesamtumstände zu berücksichtigen sind.423 Auch die endgültige Entscheidung darüber, ob ein vermitteltes Organ tatsächlich transplantiert wird, liegt beim Transplantationszentrum. Dort entscheidet der zuständige Arzt nach den nochmals zu überprüfenden medizinischen Kriterien, ob sich das Organ als tauglich und für seinen Patienten als verwendbar erweist.424 420  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 122; Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 10 Rn. 10; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 171. 421  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 137 f.; Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 10  Rn. 12; Norba, Rechtsfragen der Transplanta­ tionsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 168 f.; a. A. aber Nickel / SchmidtPreisgke / Sengler, TPG, § 10 Rn. 10. 422  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 137; Lang, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 10 Rn. 47. 423  Siehe den Allgemeinen Teil der Richtlinien für die Wartelistenführung und die Organvermittlung, I.6. 424  Vgl. § 5 Abs. 5 ET-Vertrag.



IV. Organisatorische Grundlagen des Transplantationssystems111

Seit Bekanntwerden von Richtlinienverstößen bei der Handhabung der Warteliste hat sich der Gesetzgeber veranlasst gesehen, die Verpflichtungen der Transplantationszentren in Bezug auf die Datenerhebung beim Patienten sowie ihrer Dokumentation und Übermittlung zu ergänzen.425 Gemäß § 10 Abs. 3 S. 1 TPG sind die Daten von einem Arzt oder einer von diesem beauftragten Person zu erheben, zu dokumentieren und zu übermitteln. Es ist ihnen verboten für die Meldung unrichtige Angaben über den Gesundheitszustand des Patienten zu erheben, zu dokumentieren oder zu übermitteln, um ihn zu bevorzugen (§ 10 Abs. 3 S. 2 Nr. 1, Nr. 2 TPG). Ausweislich der Gesetzesbegründung soll der neue Abs. 3 die Lauterkeit der getroffenen Entscheidungen gewährleisten und so ein gerechtes Verteilungsverfahren sicherstellen.426 Ausschlaggebendes Motiv zur Einführung der Neuregelung dürfte der Versuch gewesen sein, das Vertrauen der Bevölkerung nach den Transplanta­ tionsskandalen wiederzuerlangen.427 Im Rahmen ihrer Tätigkeit sind die Transplantationszentren verpflichtet, die Normierungen in §§ 11, 12 TPG zur Organentnahme und Vermittlung zu beachten (§ 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 TPG). Sie sind des Weiteren gehalten, die abgeschlossene und dokumentierte Organ- und Spendercharakterisierung nach § 10a TPG sowie die Einhaltung der Bedingungen für die Konservierung und den Transport festzustellen (§ 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 TPG). Sie selbst trifft eine umfassende Dokumentationspflicht, damit eine lückenlose Rückverfolgung der Organe ermöglicht wird (§ 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 TPG). Auch Lebendorganspenden sind aufzuzeichnen (§ 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 6 TPG). Ferner sind vor und nach einer Organübertragung die psychische Betreuung der Patienten im Krankenhaus sicherzustellen (§ 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 TPG) sowie vorgegebene Maßnahmen zur Qualitätssicherung durchzuführen (§ 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 8 TPG).428 Anknüpfungspunkt für letzteres bildet der qualitative Standards betreffende § 137 SGB V. Insbesondere die geforderten Mindestmengen an Transplantationen gemäß § 137 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB V sorgen 425  Ergänzung des § 10 TPG durch Art. 5d des Gesetzes zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung vom 15.07.2013, BGBl. I, S. 2423. 426  BT-Drs. 17 / 13947, S. 53. 427  Lang, in: Höfling (Hrsg.), TPG, Nachtrag 2013, § 10 Rn. 61. Näher zu der Gesetzesreform infolge der Transplantationsskandale siehe S. 155 ff. 428  Zur Qualitätssicherung siehe Bungard, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 97 ff.; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 114 f.; Petzold / Hannemann / Eberlein-Gonska, DÄBl. 111 (2014), A-588 f.; für einen Überblick über die Qualität der Transplantationen siehe den Qualitätsbericht des Instituts für Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen von 2012, abrufbar unter: http: /  / www. sqg.de / sqg / upload / CONTENT / Qualitaetsberichte / 2012 / AQUA-Qualitaetsreport2012.pdf (zuletzt abgerufen am 30.06.2017).

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B. Der organisatorische Rahmen

für eine ausreichende Routine bei den Eingriffen. Durch die Qualitätssicherung soll vor allem die Vergleichbarkeit der Transplantationszentren ermöglicht werden. Kontrolliert wird die Tätigkeit der Zentren im Zusammenhang mit der Organzuteilung von der durch den Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen, der Bundesärztekammer und der Deutschen Krankenhausgesellschaft eingerichteten Prüfungskommission nach § 12 Abs. 5 S. 4 TPG. Die Transplantationszentren sind verpflichtet, der Prüfungskommission die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen und die erforderlichen Auskünfte zu erteilen (§ 12 Abs. 5 S. 5 TPG). Erkenntnisse über Verstöße gegen das Transplantationsgesetz und auf Grund dieses Gesetzes erlassener Rechtsverordnungen muss die Kommission an die zuständigen Behörden der Länder weiterleiten (§ 12 Abs. 5 S. 6 TPG).429 Die Transplantationsprogramme der Kliniken werden mittlerweile üblicherweise alle drei Jahre vor Ort überprüft.430 Festgeschrieben wurde diese Regel jedoch nicht. Die erfolgten Kontrollen hält die Prüfungskommission im jährlichen Tätigkeitsbericht fest (§ 2 Abs. 2 der Geschäftsordnung der Prüfungskommission). Dieser wird inzwischen auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Zurzeit sind in Deutschland 47 Transplantationszentren mit 136 Transplantationsprogrammen zugelassen, ohne dass eine Veränderung geplant ist.431 Diese Anzahl wird in den letzten Jahren jedoch vermehrt als zu hoch eingestuft.432 Im Fall von ca. 4000 Transplantationen bei 140 Transplantationsprogrammen in den Kliniken bedeutet das nur ca. 29 Organübertragungen jährlich pro Programm.433 Im Jahr 2012 führte jedes siebte Transplantationszen429  Obwohl die Prüfungskommission die Organzuteilung insgesamt überwacht, fokussiert sich § 12 Abs. 5 TPG primär auf die Kontrolle der Vermittlungsstelle. Näheres zur Prüfungskommission soll daher im Rahmen der Betrachtung Eurotransplants dargestellt werden, siehe S. 128 ff. 430  Vgl. BT-Drs. 18 / 7269, S. 7. 431  Vgl. BT-Drs. 18 / 7269, S. 18. 432  Zur Kritik siehe die Äußerung der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Patientenschutz-Info-Dienst vom 24.06.2013, S. 13 f. sowie das Diskussionspapier der Na­ tionalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, Transplantationsmedizin und Organallokation in Deutschland, S. 9; siehe ebenso Neuhaus, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 161 ff.; v. Stackelberg, in: Kongressband zum 8. Jahreskongress der Deutschen Stiftung Organtransplantation, S. 25; Steinmeier, in: Kongressband zum 8. Jahreskongress der Deutschen Stiftung Organtransplantation, S. 27, 28; eine Auseinandersetzung mit dem Für-und-Wider einer zahlenmäßigen Reduktion der Zentren findet sich unter http: /  / www.aerzteblatt.de / nachrichten / 56475 / Transplantationszentren-reduzierenEin-Pro-und-Contra (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 433  Vgl. v. Stackelberg, in: Kongressband zum 8. Jahreskongress der Deutschen Stiftung Organtransplantation, S. 25.



IV. Organisatorische Grundlagen des Transplantationssystems113

trum weniger als fünf Transplantationen durch.434 Nicht nur ökonomische Gründe könnten für eine Reduktion der Zentren sprechen. Die hohe Dichte an Anlaufstellen wird bereits als grundsätzliches Strukturproblem diskutiert.435 Teilweise werden lediglich 15 Zentren für erforderlich gehalten.436 Die große Menge an verschiedenen Anbietern führe nicht zur Qualitätsoptimierung durch den Wettbewerb, sondern vielmehr zu Einbußen im Niveau der Versorgung.437 Die große Zahl der Zentren, die um die knappen Organe konkurrieren könnte zudem Regelverstöße befördern.438 Befürchten die Zentren eine Reduktion ihrer Anzahl, ist es naheliegend, dass jedes von ihnen versuchen wird, qualitativ hochwertige Transplantationsergebnisse vorzuweisen. Diese gelingen nachweislich bei weniger dringlichen Patienten besser, als bei den sonst regelmäßig bevorzugten dringlichen Kandidaten. Insofern könnten die Transplantationszentren veranlasst werden, die Patienten gegenüber der Vermittlungsstelle kränker wirken zu lassen, als sie es tatsächlich sind.439 Die vorhandenen Qualitätssicherungsmaßnahmen scheinen nicht in der Lage, die vorhandenen Probleme effizient aufzudecken und einer Lösung zuzuführen. Vorgeschlagen wird, dass Krankenkassen in Zukunft eine Mindestqualität und -quantität für ihre Finanzierungen der Zentren festsetzen.440 Nach dem Bekanntwerden von Manipulationen in mehreren Transplanta­ tionszentren kam Bewegung in die Debatte um die Anzahl der Transplanta­ tionszentren. Derzeit wird in Sachsen deren Reduzierung geprüft. Ebenso nehmen andere Bundesländer die Schließung von Transplantationsprogrammen ins Visier.441 434  v. Stackelberg, in: Kongressband zum 8. Jahreskongress der Deutschen Stiftung Organtransplantation, S. 25. 435  Siegmund-Schultze, DÄBl 110 (2013), A-1013. 436  So Strehl, kaufmännischer Vorstand am Universitätsklinikum Ulm und ehemaliger Generalsekretär des Verbands der Universitätsklinika Deutschlands, bei der 5. Qualitätssicherungskonferenz des Gemeinsamen Bundesausschusses zum Thema „Mindestmengen in der Transplantationsmedizin“, siehe dazu den Bericht des Deutschen Ärzteblatts, abrufbar unter: http: /  / www.aerzteblatt.de / nachrichten / 56196 /  Transplantationen-Strehl-kritisiert-Vielzahl-der-Zentren (zuletzt abgerufen am 30.06. 2017). 437  Neuhaus, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 161, 164 kritisiert insbesondere die falsche Indikationsstellung, die durch die Konkurrenz zu vieler Zentren begünstigt würde; v. Stackelberg, in: Kongressband zum 8. Jahreskongress der Deutschen Stiftung Organtransplantation, S. 25. 438  Siegmund-Schultze, DÄBl 110 (2013), A-1013. 439  Näher zum Manipulationsskandal siehe S. 155 ff. 440  Neuhaus, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 161, 165. 441  Vgl. BT-Drs. 18 / 7269, S. 18; näher zu den staatlichen Reaktionen auf die Manipulationen siehe S. 161 ff.

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B. Der organisatorische Rahmen

c) Die Deutsche Stiftung Organtransplantation Die Deutsche Stiftung Organtransplantation nimmt als Koordinierungsstelle und damit als Bindeglied zwischen Spendeprozess und Organvermittlung eine zentrale Rolle innerhalb des Transplantationssystems ein. Das erklärte Reformziel des Gesetzgebers im Jahre 2012 war die Stärkung der In­ stitution, sodass ihre Zuständigkeiten im Vergleich zur alten Rechtslage nicht unbeachtlich ausgeweitet wurden.442 aa) Organisatorische Grundlagen Die Aufgaben rund um den Spendeprozess sollen ausweislich § 11 Abs. 1 S. 2 TPG durch eine geeignete Einrichtung (Koordinierungsstelle) wahrgenommen werden. Im Zuge dieser Forderung wurden der Spitzenverband Bund der Krankenkassen, die Bundesärztekammer und die Deutsche Krankenhausgesellschaft oder die Bundesverbände der Krankenhausträger gemeinsam ermächtigt, eine solche Stelle zu errichten oder zu beauftragen (§ 11 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1 TPG). Die Auftraggeber haben sich für letztere Variante entschieden und die Deutsche Stiftung Organtransplantation durch einen vom Bundesministerium für Gesundheit genehmigten, privatrechtlichen Vertrag mit der Aufgabenwahrnehmung betraut (§ 11 Abs. 2 S. 2 TPG). Er trat am 16. Juli 2000 in Kraft.443 Damit war die Entscheidung gefallen, bereits bestehende Strukturen auch weiterhin für die Organisation der Transplantationsmedizin nutzbar zu machen. Die Deutsche Stiftung Organtransplantation existierte bereits seit dem 07. Oktober 1984, wo sie vom Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation gegründet wurde.444 Schon vor In-Kraft-Treten des Transplantationsgesetzes bestand durch den Vertrag über die Vermittlung von Herzen, Nieren, Lebern, Lungen und Bauchspeicheldrüsen vom 19. Juni 1989 (geschlossen durch die Deutsche Stiftung Organtransplantation, das Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation und die Krankenkassenverbände auf Bundesebene mit Eurotransplant) ein System privatrechtlicher Art.445 Es wurde durch den Koordinierungsstellenvertrag (DSO-Vertrag) abgelöst und mit der Normierung im Transplantationsgesetz auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. Nach den Novellen des Transplanta442  BT-Drs.

17 / 7376.

443  Bekanntmachung

im Bundesanzeiger vom 15.07.2000, Nr. 131a; nach der Reform durch das Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes vom 21.07.2012 bedarf der Vertrag nun auch des Einvernehmens mit dem Verband der privaten Krankenversicherung (§ 11 Abs. 2 S. 3 TPG). 444  DSO, Jahresbericht 2013, S. 12. 445  Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 117.



IV. Organisatorische Grundlagen des Transplantationssystems115

tionsgesetzes in den Jahren 2012 und 2013 musste er an die neuen Bedingungen angepasst werden (z. B. Konkretisierung der Aufgaben und Tätigkeiten der Überwachungskommission, Änderungen der Organisationsstruktur der Deutschen Stiftung Organtransplantation, die Finanzierung der Transplanta­ tionsbeauftragten oder die Einführung eines Schlichtungsverfahrens).446 Zwingende Regelungsinhalte finden sich in § 11 Abs. 2 S. 2 Nr. 1–6 TPG. Durch den bundesweiten Auftrag hat der Gesetzgeber eine Monopolstellung der Deutschen Stiftung Organtransplantation geschaffen, an der innerhalb des Organspendeprozesses kein Vorbeikommen mehr ist.447 Die Deutsche Stiftung Organtransplantation wurde als privatrechtliche Stiftung ausgestaltet und ist organisch mit einem Vorstand, einem Stiftungsrat sowie Fachbeiräten ausgestattet.448 Im Mittelpunkt der Tätigkeit der Organisation steht der Vorstand als geschäftsführendes Organ (§ 8 Nr. 1 DSOSatzung). Als Aufsichtsgremium wurde der Stiftungsrat eingerichtet. Er bestellt den Vorstand und überwacht dessen Tätigkeit (§ 7 DSO-Satzung). Durch eine Neuordnung des Gremiums im Zuge einer Satzungsänderung aus dem Jahre 2013 (vgl. § 6 Nr. 3, Nr. 4 DSO-Satzung), die nun die Beteiligung staatlicher Vertreter vorsieht, wurde der öffentlich-rechtliche Einfluss in der Koordinierungsstelle gestärkt.449 Vorstand und Stiftungsrat werden durch den Bundesfachbeirat beraten und unterstützt (§ 11 Nr. 1 DSO-Satzung). Neben der Zentrale in Frankfurt a. M. unterhält sie sieben regionale Untergliederungen als unselbstständige Verwaltungsstellen, in denen sich Koordinatoren um die Abwicklung der Organspende kümmern.450 Auch die Regionen können zur Unterstützung ihrer Arbeit Fachbeiräte einrichten (§ 11 Nr. 3 DSO-Satzung). Entsprechend der Forderung von § 11 Abs. 1 S. 3 TPG muss die Deutsche Stiftung Organtransplantation aufgrund einer finanziell und organisatorisch eigenständigen Trägerschaft, der Zahl und Qualifikation ihrer Mitarbeiter, ihrer betrieblichen Organisation sowie ihrer sachlichen Ausstattung die Gewähr dafür bieten, dass die Maßnahmen nach Satz 1 (Entnahme von Organen verstorbener Spender, einschließlich der Vorbereitung von Entnahme, Vermittlung und Übertragung) in Zusammenarbeit mit den Transplantationszentren und den Entnahmekrankenhäusern nach den Vorschriften des Gesetzes 446  Vgl.

BT-Drs. 18 / 7269, S. 19. zur Monopolstellung der DSO Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel, S.  102 f. 448  § 5 DSO-Satzung, abrufbar unter: http: /  / www.dso.de / dso / aufgaben-und-ziele /  satzung-der-dso.html (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 449  Zur Umstrukturierung der DSO vgl. die Ausführungen zu den Manipulationsskandalen, S.  166 f. 450  Die Verpflichtung zur Einrichtung von Untergliederungen richtet sich nach § 4 DSO-Vertrag. 447  Kritisch

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B. Der organisatorische Rahmen

durchgeführt werden. Die Transplantationszentren müssen in der Koordinierungsstelle angemessen vertreten sein (§ 11 Abs. 1 S. 4 TPG). Die finanzielle Eigenständigkeit der Koordinierungsstelle wird durch das Stiftungskapital abgesichert. Daneben erfolgt eine Finanzierung über die festgelegte Organisationspauschale für jedes transplantierte Organ.451 bb) Funktion im Transplantationssystem Eine Organentnahme und -übertragung ist nur zulässig, wenn sie durch die Koordinierungsstelle begleitet wurde.452 Sie organisiert als „Managerin“453 den Ablauf des Spendeprozesses und die dafür notwendige Zusammenarbeit der Beteiligten; insbesondere klärt sie, ob die Voraussetzungen für eine Organentnahme vorliegen (§ 11 Abs. 1a S. 1, Abs. 4 S. 2 TPG i. V. m. § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 DSO-Vertrag). Einen wichtigen Teilbereich ihrer Dienstleistungen macht die Unterstützung der Entnahmekrankenhäuser aus; beispielsweise bei der Feststellung des Hirntodes, der Einhaltung der Meldepflicht nach § 9a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 TPG oder den Angehörigengesprächen.454 Um das Vorliegen der Entnahmevoraussetzungen zu überprüfen, stellt die Koordinierungsstelle die notwendigen Untersuchungen sicher und erhebt die Personalien der möglichen Organspender sowie weitere für die Durchführung der Organentnahme und -vermittlung erforderliche personenbezogene Daten (§ 11 Abs. 4 S. 3 TPG i. V. m. § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 DSO-Vertrag). Die Entnahmekrankenhäuser sind zur Übermittlung dieser Informationen verpflichtet (§ 11 Abs. 4 S. 4 TPG). § 11 Abs. 4 S. 5 TPG ordnet an, dass die Organentnahme von der Stiftung organisiert wird und „durch die von ihr beauftragten Ärzte“455 erfolgt. Sodann kümmert sich die Koordinierungsstelle um das weitere Vorgehen samt Konservierung und Transport der Organe (§ 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 5, Nr. 6 DSO-Vertrag). Ein zur Entnahme geeignetes Organ wird von der Stiftung samt der relevanten Untersuchungsergebnisse unter Verwendung einer Kennnummer an die Vermittlungsstelle gemeldet (§ 13 Abs. 1 S. 4 TPG i. V. m. § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 8 DSO-Vertrag) und die erforderlichen Begleitpa451  Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 118. 452  Eine Übertragung eines Organs, dessen Entnahme nicht nach § 9 Abs. 2 S. 2 i. V. m. § 11 Abs. 4 S. 5 TPG von der Koordinierungsstelle organisiert wurde, stellt gem. § 20 Abs. 1 Nr. 5 TPG eine Ordnungswidrigkeit dar. 453  Weyd, JA 2013, S. 437, 442. 454  Vgl. § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 3, Nr. 15 DSO-Vertrag. Eine Übersicht über die Unterstützungsangebote findet sich im jährlichen Bericht der Koordinierungsstelle, DSO, Jahresbericht 2014, S. 20. 455  Eine Organentnahme ohne Beauftragung durch die DSO ist dem Entnahmekrankenhaus folglich nicht gestattet.



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piere dem die Transplantation vornehmenden Transplantationszentrum übermittelt (§ 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 9 DSO-Vertrag). Die Transplantationszentren unterstützen die Koordinierungsstelle bei Maßnahmen zur Qualitätssicherung und weiteren Aufgaben im Zusammenhang mit der Organtransplantation (§ 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 12, Nr. 17 DSO-Vertrag). Im Anschluss an die Organspende zahlt die Deutsche Stiftung Organtransplantation den Entnahmekrankenhäusern und Transplantationszentren eine Aufwandsentschädigung für Leistungen im Zusammenhang mit einer Organentnahme oder deren Vorbereitung (Organisationspauschale) sowie für die Tätigkeit von Transplantationsbeauftragten (sog. Transplantationsbeauftragtenpauschale) (§ 11 Abs. 2 S. 2 Nr. 4, Nr. 5 TPG i. V. m. § 7 Abs. 4, Abs. 5 DSO-Vertrag). Besonderen Fokus legt der Gesetzgeber darauf, dass bestehende Möglichkeiten einer Organspende auch wahrgenommen, die gesundheitlichen Risiken für die Empfänger dabei jedoch so gering wie möglich gehalten werden (§§ 11 Abs. 1a S. 1, 10a Abs. 1 TPG). Zur Verwirklichung dieser Ansprüche rund um die Organisation des Spendeprozesses ist die Deutsche Stiftung Organtransplantation seit der Reform gehalten, unter Beachtung der Richtlinien der Bundesärztekammer gesetzlich näher bestimmte Verfahrensanweisungen zu erlassen (§ 11 Abs. 1a S. 2 Nr. 1–9 TPG). Gemäß der Legaldefinition des § 1a Nr. 10 TPG sind Verfahrensanweisungen schriftliche Anweisungen, welche die Schritte eines spezifischen Verfahrens beschreiben, einschließlich der zu verwendenden Mate­ rialien und Methoden und des erwarteten Ergebnisses. Sie sind von qualifiziertem medizinischen Personal zu erstellen (§ 11 Abs. 1a S. 3 TPG) und für die Transplantationszentren und die Entnahmekrankenhäuser bindend (§§ 9a Abs. 2 Nr. 4, 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 TPG). Konkrete, darüber hinausgehende Weisungsrechte der Stiftung bestehen jedoch nicht.456 Näheres zur Erstellung der Verfahrensanweisungen regelt gemäß § 11 Abs. 1a S. 4 TPG der Koordinierungsstellenvertrag (vgl. § 2 Abs. 3 Nr. 1 DSO-Vertrag). Inhaltlich erschöpfen sie sich weitgehend in den Festsetzungen, die bisher im „DSOLeitfaden Organspende“ geregelt waren.457 Teilweise werden durch die Verfahrensanweisungen die europarechtlichen Vorgaben aus der RL 2010 / 53 / EU umgesetzt (vgl. Art. 4 Abs. 2 RL). Die Verfahrensanweisungen sind am 05. November 2015 in Kraft getreten und gelten zurzeit in der Fassung von November 2016. Sie wurden vom Bundesfachbeirat der Koordinierungsstelle gemeinsam mit den Experten der Stiftung erarbeitet. Dem Bundesfachbeirat gehören Vertreter der Auftraggeber der Deutschen Stiftung Organtransplantation, des Bundesministeriums 456  Lang, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 11 Rn. 12; König, Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 11 Rn. 8; Nickel / Schmidt-Preisigke / Sengler, TPG, § 11 Rn. 6. 457  Lang, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 11 Rn. 37.

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B. Der organisatorische Rahmen

für Gesundheit, der Gesundheitsministerkonferenz der Länder, der Deutschen Transplantationsgesellschaft sowie von Eurotransplant an. Zudem waren Transplantationsbeauftragte, Intensivmediziner, Neurologen und Neurochirurgen sowie Patientenvertreter in die Erstellung der Anweisungen involviert. Sie fokussieren die Ausschöpfung des Spenderpotentials unter Geringhaltung der Risiken für die Organempfänger sowie die Optimierung der Handlungsabläufe im gesamten Spendeprozess.458 In Umsetzung von Art. 18 Abs. 1 lit. c der RL  2010 / 53 / EU wurde die Deutsche Stiftung Organtransplantation über § 11 Abs. 5 TPG beauftragt, ein Verzeichnis über die Entnahmekrankenhäuser und Transplantationszentren zu führen sowie jährlich einen, durch § 11 Abs. 5 S. 2 Nr. 1–7 TPG näher bestimmten, Bericht über deren Tätigkeiten zu veröffentlichen. Eine nähere Ausgestaltung der Aufgaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation mit Wirkung für die Transplantationszentren und die Entnahmekrankenhäuser wurde im Koordinierungsstellenvertrag getroffen (§ 11 Abs. 2 S. 1 TPG). Die Vereinbarungen müssen sich insbesondere zu fünf Regelungskomplexen verhalten (§ 11 Abs. 2 S. 2 Nr. 1–5 TPG), die weitgehend der alten Rechtslage entsprechen, aber um den Zuschlag für die Bestellung von Transplantationsbeauftragten durch die Entnahmekrankenhäuser in Nr. 5 erweitert wurden.459 Der Vertrag sowie seine Änderung bedürfen – aufgrund der staatlichen Aufsicht des Ministeriums über die Spitzenverbände der Krankenkassen460 – der Genehmigung durch das Bundesministerium für Gesundheit. Der Vertrag ist im Bundesanzeiger bekannt zu machen (§ 11 Abs. 3 S. 1 TPG). Gemäß § 11 Abs. 3 S. 2 TPG ist der Vertrag zu genehmigen, wenn er den gesetzlichen Anforderungen entspricht. Obwohl nicht als dessen Aufgabe normiert, betätigte sich die Koordinierungsstelle bis vor kurzem auch im Bereich der Aufklärung über die Organspende, wobei sie selbst über die bei ihr angesiedelte Treuhandstiftung „Für’s Leben, für Organspende“ für die Spendebereitschaft in der Bevölkerung warb. Im Laufe des Jahres 2014 nahm die Stiftung jedoch eine Kurskorrektur vor, indem sie dieses Nebenengagement einstellte und sich von nun an auf 458  Zu den Verfahrensanweisungen vgl. DÄBl 112 (2015), A-1824. Die aktellen Verfahrensanweisungen von November 2016 sind abrufbar unter: http: /  / www.dso. de / uploads / tx_dsodl / Verfahrensanweisungen_11_2016.pdf (zuletzt abgerufen am 28.12.2016). 459  Die weiteren Pflichtbereiche betreffen den Schutz des Organempfängers, Rahmenregelungen für die Zusammenarbeit der Beteiligten samt Eurotransplant, Unterstützung der Transplantationszentren bei Maßnahmen zur Qualitätssicherung, Ersatz von Aufwendungen durch die Koordinierungsstelle für Leistungen im Zusammenhang mit der Organentnahme und ein Schlichtungsverfahren. Ausführlich zu den einzelnen Vertragsinhalten Lang, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 11 Rn. 41 ff. 460  Lang, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 10 Rn. 55.



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ihre Kernaufgaben konzentrieren wollte. Grund dafür dürfte unter anderem die laut gewordene Kritik aus der Transplantationsmedizin sowie der Öffentlichkeit geworden sein. Das gleichzeitige Koordinieren der Organspende und eine Aufklärung der Bevölkerung sind dazu prädestiniert, die Glaubwürdigkeit der Informationskampagnen und der Stiftung wegen eines Interessenkonflikts in Frage zu stellen.461 cc) Überwachung der Koordinierungstätigkeit Erster Anknüpfungspunkt einer Kontrollmöglichkeit durch staatliche Stellen bildet die Genehmigungspflicht des Koordinierungsvertrags und seiner Änderungen durch das Bundesministerium für Gesundheit als präventive Maßnahme (§ 11 Abs. 3 S. 1 TPG). Es handelt sich aber um eine reine Rechtskontrolle, da der Vertrag bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen zu genehmigen ist (§ 11 Abs. 3 S. 2 TPG). Die während des Reformverfahrens anhaltende Kritik an der bislang defizitären Überwachung der Stiftung hat den Gesundheitsausschuss dazu angehalten, eine Stärkung der Kontrollrechte anzuregen, woraufhin die Sätze 5 bis 9 ergänzt wurden.462 Bei ihrer Tätigkeit wird die Stiftung von ihren Auftraggebern auf die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit hin kontrolliert (§ 11 Abs. 1 S. 5 TPG). Gemäß § 11 Abs. 1 S. 6 TPG besteht gegenüber den Auftraggebern eine Vorlagepflicht bezüglich aller grundsätzlichen finanziellen und organisatorischen Entscheidungen.463 Insofern sollen Transparenz und Kontrollmöglichkeiten garantiert werden.464 Eine direkte rechtliche Handhabe gegen den Vollzug solcher Entschließungen sieht das Gesetz allerdings nicht vor. Jedoch erhalten die Auftraggeber die Befugnis, die Haushaltslegung und die finanzielle Eigenständigkeit der Koordinierungsstelle durch unabhängige Sachverständige prüfen zu lassen (§ 11 Abs. 1 S. 7 TPG). Das bedeutet eine erhebliche Aufwertung der gesetzlichen Kontrollrechte.465 Zur Wahrung der Transparenz besteht des Weiteren die Pflicht der Stiftung, einen jährlichen Geschäftsbericht zu veröffentlichen, was ebenfalls durch die Vertragspartner überwacht wird (§ 11 Abs. 1 S. 8, S. 9 TPG). Genaue Bestimmungen zum Tätigkeitsbericht finden sich in § 5 DSO-Vertrag. 461  Näheres zur Kurskorrektur findet sich im Deutschen Ärzteblatt http: /  / www. aerzteblatt.de / nachrichten / 60728 / Kurskorrektur-bei-der-DSO-Allgemeine-Aufklae rung-ist-nicht-unsere-Aufgabe (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 462  Lang, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 10 Rn. 13. 463  Wobei der Gesetzgeber an Summen ab 250.000 Euro oder Verantwortungsneuverteilungen innerhalb der Organisationsstruktur gedacht hat, BT-Drs. 17 / 9773, S. 33. 464  BT-Drs. 17 / 9773, S. 33. 465  Lang, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 10 Rn. 13.

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Die Einhaltung der vertraglichen Vereinbarungen wird durch die sog. Überwachungskommission der Auftraggeber kontrolliert (§ 11 Abs. 3 S. 3 TPG). Eine Prüfung findet mindestens einmal im Jahr statt, wobei sie vor Ort oder im schriftlichen Verfahren erfolgen kann (§ 10 Abs. 2 DSO-Vertrag i. V. m. § 6 der Geschäftsordnung der Überwachungskommission). Die erfolgten Kontrollen werden von der Überwachungskommission in einem jährlichen Tätigkeitsbericht veröffentlicht. Eine wichtige Grundlage dieser Prüfung sind die jährlichen Berichte der Deutschen Stiftung Organtransplantation gemäß § 11 Abs. 5 TPG. Die Kommission erstattet den Auftraggebern der Koordinierungsstelle in regelmäßigen Abständen Bericht (§ 10 Abs. 4 DSO-Vertrag). Dieses Gremium gab es aufgrund von § 10 DSO-Vertrag bereits vor der Reform. Nun wurde es unter Festlegung einer Mindestbesetzung gesetzlich verankert. Die Kommission besteht jeweils aus mindestens einem Vertreter des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen, der Bundesärztekammer und der Deutschen Krankenhausgesellschaft oder der Bundesverbände der Krankenhäuser gemeinsam (folglich Vertretern der Auftraggeber) und zwei Vertretern der Länder (§ 11 Abs. 3 S. 4 TPG).466 Gesetzliche Verankerung fand ferner die bisher für die Stiftung nur vertraglich geregelte Auskunfts- und Dokumentenvorlagepflicht (§ 11 Abs. 3 S. 5 TPG). Der Gesetzgeber beabsichtigte durch diese Maßnahme die Stärkung des bisher als schwach kritisierten Überwachungsgremiums.467 Neu ist die gesetz­ liche Verpflichtung der Kommission, Erkenntnisse über Verstöße gegen das Transplantationsgesetz oder gegen aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen an die zuständigen Behörden der Länder weiterzuleiten, die auch im bisherigen Vertragsrecht nicht zu finden war (§ 11 Abs. 3 S. 6 TPG). Dort war lediglich in § 10 Abs. 2 DSO-Vertrag vorgesehen, dass die Auftraggeber in regelmäßigen Abständen über die Einhaltung der Vertragsbestimmungen zu informieren waren. § 11 Abs. 3 S. 7 TPG bestimmt, dass die nähere Regelung zur Zusammensetzung der Kommission, zur Arbeitsweise und zum Verfahren dem Koordinierungsstellenvertrag vorbehalten sein soll, der in seinem § 10 die vorgesehenen Bestimmungen trifft. Insgesamt wurden einige Strukturen der Überwachungstätigkeit von der Vertragsebene auf eine gesetzlich fixierte Basis gehoben. Vor der Reform 466  Der Vorstand der DSO sowie das Direktorium von Eurotransplant nehmen auf Einladung der Kommission seit Juni 2010 regelmäßig als Gäste an den Sitzungen teil, BÄK, Tätigkeitsbericht 2012, S. 301. Zur Besetzung der Überwachungskommission siehe die Auflistung der Gremien bei der BÄK unter http: /  / www.bundesaerztekammer. de / fileadmin / user_upload / downloads / pdf-Ordner / Geschaeftsstelle / Gremien_ BAEK.pdf (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 467  Lang, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 11 Rn. 60; zur Kritik siehe Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S.  71 ff.; Lilie, in: Ahrens / Bar / Fischer u. a. (Hrsg.), FS Deutsch 80. Geburtstag, S. 331, 338.



IV. Organisatorische Grundlagen des Transplantationssystems121

sah das Transplantationsgesetz keinerlei Befugnisse der Überwachungskommission – und noch nicht einmal ihre Einrichtung – vor, sondern beschränkte sich auf einen gesetzlichen Auftrag zur Überwachung an die Auftraggeber. Nun finden sich zumindest einige Grundlagen der Kontrolle im Gesetzestext. d) Eurotransplant International Foundation Die Entscheidung über die Zuweisung von vermittlungspflichtigen Organen wurde bei der Vermittlungsstelle Stichting Eurotransplant International Foundation (Eurotransplant) monopolisiert. Eine Organübertragung ohne Beteiligung von Eurotransplant ist in Deutschland bußgeldbewehrt (§§ 9 Abs. 2 S. 3, 20 Abs. 1 Nr. 4 TPG), sodass die deutschen Transplantationszentren dahingehend an Eurotransplant gebunden sind. aa) Organisatorische Grundlagen Die rechtliche Grundlage für Eurotransplant hat der Gesetzgeber in § 12 TPG gelegt. Gemäß Abs. 1 S. 1 haben der Spitzenverband Bund der Krankenkassen, die Bundesärztekammer und die Deutsche Krankenhausgesellschaft oder die Bundesverbände der Krankenhausträger gemeinsam eine geeignete Einrichtung für die Vermittlung zu errichten oder zu beauftragen. Genauso wie bei der Koordinierungsstelle haben sich die Auftraggeber für eine Beauftragung entschieden und die Aufgabenwahrnehmung durch einen vom Bundesministerium für Gesundheit genehmigten, privatrechtlichen Vertrag an Eurotransplant delegiert (§ 12 Abs. 4, Abs. 5 S. 1 TPG). Er trat am 16. Juli 2000 in Kraft.468 Mit diesen Vorjustierungen hat der Gesetzgeber festgelegt, dass auch die Organallokation auf privatrechtlicher Ebene organisiert werden soll. Auf diesem Weg konnte er bereits existierende Strukturen für seine Zwecke nutzen. Dem Gesetzgeber war daran gelegen, lediglich durch Rechtsvorschriften eine sachgerechte Verteilung der Organe zu gewährleisten, ohne diese zu einer Staatsaufgabe zu erklären.469 Die in § 12 Abs. 2 S. 1 TPG ausdrücklich aufgenommene Befugnis, eine Einrichtung beauftragen zu können, deren Sitz außerhalb des Geltungsbereichs des Transplantationsgesetzes liegt, zeigt, dass die Normierung bereits mit Blick auf die 468  Bekanntmachung im Bundesanzeiger vom 15.07.2000, Nr. 131a; nach der Reform durch das Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes vom 21.07.2012 bedarf der Vertrag nun auch des Einvernehmens mit dem Verband der privaten Krankenversicherung (§ 12 Abs. 4 S. 3 TPG). 469  Vgl. BT-Drs. 13 / 4355, S. 14 f., wo der Gesetzgeber auch klarstellt, dass er die Organvermittlung nicht als zwingende Staatsaufgabe betrachtet.

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B. Der organisatorische Rahmen

bereits seit 1967 existierende Stelle Eurotransplant konzipiert wurde.470 Bei ihr handelt es sich um eine private gemeinnützige Stiftung niederländischen Rechts mit Sitz in Leiden (Niederlande).471 Durch den Vermittlungsstellenvertrag (ET-Vertrag) ist sie an die hiesigen Vorschriften über die Organvermittlung gebunden.472 Die wichtigsten Regelungsinhalte hat der Gesetzgeber bereits in § 12 Abs. 4 S. 2 Nr. 1–8 TPG vorgegeben. Nach den Reformen aus den Jahren 2012 und 2013 ist eine sukzessive Anpassung der Verträge nach § 11 TPG und § 12 TPG vorgesehen. Nach dem Abschluss der Verhandlungen zum Koordinierungsstellenvertrag mit der Deutschen Stiftung Organtransplantation und der Genehmigung des Vertrages durch das Bundesgesundheitsministerium sollen die Verhandlungen über notwendige Änderungen des Vermittlungsstellenvertrags aufgenommen werden.473 Schon vor In-Kraft-Treten des Transplantationsgesetzes waren die deutschen Transplantationszentren in die internationale Vermittlung mit einbezogen.474 Damals beruhte die Tätigkeit Eurotransplants auf einem Vertrag aus dem Jahr 1989 mit der Deutschen Stiftung Organtransplantation, dem Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation sowie den Krankenkassenverbänden auf Bundesebene.475 Am Eurotransplantverbund sind heute die Benelux-Länder, Deutschland, Österreich, Slowenien, Kroatien und Ungarn beteiligt.476 Gemäß § 12 Abs. 1 S. 2 TPG muss die Vermittlungsstelle aufgrund einer finanziell und organisatorisch eigenständigen Trägerschaft, der Zahl und Qualifikation ihrer Mitarbeiter, ihrer betrieblichen Organisation sowie ihrer sachlichen Ausstattung Gewähr dafür bieten, dass die Organvermittlung nach den Vorschriften des Gesetzes erfolgt. Vom Vorliegen dieser Tatsachen, die auch nach § 1 Abs. 2 ET-Vertrag verpflichtend einzuhalten sind, haben sich die Auftraggeber gemäß § 1 Abs. 3 des Vertrags überzeugt. Eurotransplant wird durch einen Verwaltungsrat (Board of Directors) und einen Vorstand 470  Vgl. BT-Drs. 13 / 4355, S. 14, 25; Conrads, Rechtliche Grundlagen der Organallokation, S. 23; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 126; Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S. 29 spricht daher auch von der „lex Eurotransplant“. 471  Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 126; Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S. 28 f.; Weyd, JA 2013, S. 437, 443. 472  Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.),TPG, § 12 Rn. 51; Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 14. 473  Vgl. BT-Drs. 18 / 7269, S. 19. 474  Vgl. BT-Drs. 13 / 4355, S. 14. 475  BT-Drs. 13 / 4355, S. 25; Krüger, Die Organvermittlungstätigkeit Eurotransplants im Sinne des § 12 TPG, S. 11. 476  Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 12.



IV. Organisatorische Grundlagen des Transplantationssystems123

(Board of Management) geleitet. Die Wahl der Delegierten, die im Vorstand mitarbeiten, erfolgt durch eine Versammlung (Assembly of Eurotransplant Users). Daneben wird die Stiftung von verschiedenen Arbeitsgruppen (Advisory Comittees) unterstützt.477 bb) Funktion im Transplantationssystem Eurotransplant vermittelt die bei ihr gemeldeten Organe an geeignete Spender. Im Zuge dieser Tätigkeit ist die Stiftung verpflichtet, nach Regeln vorzugehen, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen. Insbesondere bei der Vermittlung zu berücksichtigen sind Erfolgsaussicht und Dringlichkeit der Transplantation (§ 12 Abs. 3 S. 1 TPG). Die Wartelisten der Transplantationszentren werden von Eurotransplant als einheitliche Warteliste geführt (§ 12 Abs. 3 S. 2 TPG). Anhand von dieser sind die Organe derart dokumentiert zu vermitteln, dass eine lückenlose Rückverfolgung ermöglicht wird (§ 12 Abs. 3 S. 3 TPG). Neben dem Transplantationsgesetz und den Richtlinien der Bundeärztekammer enthält das von Eurotransplant erstellte sog. Eurotransplant-Manual Vorgaben über die Organvermittlung in Form von Anwendungsregeln.478 Es besteht aus mehreren Kapiteln, die allgemein sowie speziell organbezogene Regelungen aufstellen und umfasst alle organisatorischen und tätigkeitsbezogenen Festlegungen seitens Eurotransplant. Das Manual bildet die einheit­ liche Grundlage für die Vermittlung aller Organe in den Mitgliedstaaten. Dabei wird durch entsprechende Sonderklauseln den nationalen Vorgaben Rechnung getragen, sodass auch das Transplantationsgesetz und die Richtlinien der Bundesärztekammer zur Anwendung gelangen (§ 5 Abs. 1 ETVertrag).479 Den Ausgangspunkt für die Zuteilungsentscheidung bildet ein EDV-Punktesystem, auf dessen Grundlage anhand eines algorithmischen Berechnungsverfahrens aus allen registrierten Patienten eine Warteliste für 477  Krüger, Die Organvermittlungstätigkeit Eurotransplants im Sinne des § 12 TPG, S. 25, eingehend zu den Institutionen siehe ebda., Anhang 9, S. 360 ff.; Weyd, JA 2013, S. 437, 443. 478  Die aktuelle Version des ET-Manuals findet sich auf https: /  / www.euro transplant.org / cms / index.php?page=et_manual (zuletzt abgerufen am 28.12.2016). Es wird der Öffentlichkeit erst seit kurzer Zeit zugänglich gemacht. Vorher war es nur auf Anfrage bei den Transplantationszentren erhältlich. Der Auftrag einer Erstellung von genauen Allokationsregeln erfolgte über § 5 Abs. 1 S. 2 ET-Vertrag. § 5 ET-Vertrag trifft lediglich allgemeine Bestimmungen zu den Kriterien der Vermittlungsentscheidung sowie Verfahrensregeln und normiert einen Gleichbehandlungsgrundsatz, vgl. Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 144. 479  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 145; Molnár-Gábor, in: Vöneky /  Beylage-Haarmann / Höfelmeier u. a. (Hrsg.), Ethik und Recht, S. 325, 329.

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B. Der organisatorische Rahmen

das gemeldete Organ erstellt wird.480 Dieses Berechnungsverfahren entsteht durch eine Bewertung der konkurrierenden Allokationskriterien. Die Kriterien sowie deren Gewichtung im Punktesystem wurde Eurotransplant durch die Transplantationsrichtlinien vorgegeben.481 Die wesentliche Normierungsmacht liegt folglich bei der Bundesärztekammer.482 Dennoch kommt Eurotransplant ein wesentlicher Spielraum im Hinblick auf die Aufstellung, Abwägung und Gewichtung der Allokationskriterien zu, da die Richtlinien nicht alle Fragen im Detail regeln.483 Außerdem legt § 5 Abs. 2 ET-Vertrag nahe („Die Anwendungsregelungen […] müssen insbesondere folgende Kriterien für die Organvermittlung berücksichtigen […]“), dass die im Vertrag vereinbarten Verteilungskriterien nicht ausschließlich gelten sollen, sondern nur besonders zu berücksichtigen sind. Untermauert wird diese Annahme durch die Tatsache, dass die Vermittlungsstelle die konkreten Allokationskriterien nur auf Grundlage der Transplantationsrichtlinien zu entwickeln hat (§ 5 Abs. 1 S. 2 ET-Vertrag). Eurotransplant erhält damit eigene Normierungsmacht.484 Mit dem Einverständnis der Bundesärztekammer kann Eurotrans480  Molnár-Gábor, in: Vöneky / Beylage-Haarmann / Höfelmeier u. a. (Hrsg.), Ethik und Recht, S. 325, 330. Eine ausführliche Darstellung des Vermittlungsverfahrens am Beispiel der Niere findet sich bei Krüger, Die Organvermittlungstätigkeit Eurotransplants im Sinne des § 12 TPG, S. 37 ff. 481  Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 16; Molnár-Gábor, in: Vöneky / Beylage-Haarmann / Höfelmeier u. a. (Hrsg.), Ethik und Recht, S. 325, 330 f.; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 127; Sickor, GesR 2014, S. 204, 205; Taupitz, NJW 2003, S. 1145, 1148. 482  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 149; Gutmann, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 17, 21; Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 27; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 207 f.; vermittelnd Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 192 ff., die die faktische Normierungsmacht sowohl bei der Bundesärztekammer als auch Eurotransplant sieht. 483  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 196; Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.),TPG, § 12 Rn. 10, 33; ders., in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin, S. 113, 120; ders., in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 17, 23 f.; Molnár-Gábor, in: Vöneky / Beylage-Haarmann / Höfelmeier u. a. (Hrsg.), Ethik und Recht, S. 325, 335; Engels, DV 44 (2011), S. 346, 355. Kritisch auch zu den ohne „legitime Kompetenz“ erlassenen Regelungen des Manuals bzgl. Non-(ET)-Residents Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 24 ff. 484  Darauf weist schon hin Molnár-Gábor, in: Vöneky / Beylage-Haarmann / Höfelmeier u. a. (Hrsg.), Ethik und Recht, S. 325, 335 f.; laut § 5 Abs. 2 ET-Vertrag sind die Anwendungsregeln organspezifisch festzulegen und müssen insbesondere die aufgelisteten Kriterien für die Organvermittlung berücksichtigen; kritisch zur vertraglichen Ermächtigung zum normativen Handeln auch Ammann, Medizinethik und medizinethische Expertengremien im Licht des öffentlichen Rechts, insbes. S. 522; siehe ebenso Krüger, Die Vermittlungstätigkeit Eurotransplants im Sinne des § 12 TPG, S. 311.



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plant aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnis sogar zeitlich befristet von ihren Vorgaben abweichen (§ 5 Abs. 7 ET-Vertrag). Ob Eurotransplant zusätzlich zu den in den Richtlinien niedergelegten Verteilungskriterien eigene Vorgaben umsetzen darf, ist noch nicht abschließend geklärt. Dem deutschen Recht ist jedoch kein diesbezügliches Verbot zu entnehmen.485 Solange sich Eurotransplant mit seinen ergänzenden Auswahlkriterien nicht in Widerspruch zu den Vorgaben des Transplantationsgesetzes und den Richtlinien setzt, dürfte die Befugnis zu bejahen sein.486 Im Standardverfahren wird das Organ nach der Meldung dem Transplantationszentrum des zum Zuge kommenden Patienten verbindlich und – im Fall der Ablehnung oder des Fristablaufs für die Annahme – dem Zweitplatzierten unverbindlich angeboten. Neben diesem Standardvorgehen stehen das modifizierte sowie das beschleunigte Vermittlungsverfahren. Das modifizierte Verfahren findet bei eingeschränkt vermittelbaren Organen Anwendung. Es handelt sich um solche, die aufgrund einer Funktionsminderung oder einer Vorerkrankung des Spenders weniger attraktiv sind als andere Organe. Das modifizierte Verfahren bezieht ausschließlich solche Zentren und Patienten in die Allokation ein, die die Akzeptanz eines solchen Organs erklärt haben. Gelingt auch nach diesem Vorgehen eine Vermittlung nicht oder droht aus anderen Gründen der Verlust eines Spenderorgans, besteht die Möglichkeit der Anwendung des beschleunigten Verfahrens (Rescue Allocation).487 Nach den Richtlinien der Bundesärztekammer ist Eurotransplant zur Durchführung des beschleunigtem Verfahrens berechtigt, wenn eine Kreislaufinstabilität des Spenders eintritt, aus logistischen oder organisatorischen Gründen ein Organverlust droht, aus spender- oder organbedingten Gründen drei Zentren das Angebot eines Herzens, einer Lunge, eines Pankreas oder einer Leber oder fünf Zentren das Angebot einer Niere abgelehnt haben.488 Der sprunghafte Anstieg der Organvermittlungen im beschleunigten Allokationsverfahren innerhalb der letzten zehn Jahre belegt, dass sich die Ausnahme für manche Organe beinahe zum Regelfall entwickelt hat.489 Im Jahre 2011 und Anfang 485  Gutmann,

in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.),TPG, § 12 Rn. 60. zu den ergänzenden Auswahlkriterien Bader, Organmangel und Organverteilung, S.  146 ff. 487  Zu den Details des gesamten Allokationsverfahrens siehe ET-Manual, Chapter 3.2. 488  Zur Allokation eingeschränkt vermittelbarer Organe vgl. den Allgemeinen Teil der Richtlinien für die Wartelistenführung und die Organvermittlung, II.3. 489  Zur sprunghaften Entwicklung der Zahlen vgl. die Aussage der Parlamentarischen Staatssekretärin, Ulrike Flach, vom 05.06.2012, BT-Drs. 17 / 9887, S. 89 ff. Dass die Anzahl der beschleunigten Verfahren in den letzten Jahren für alle Organe gestiegen ist, begründet Flach mit einem deutlichen Anstieg des mittleren Spenderalters und der damit einhergehenden Zunahme des Anteils an Spendern mit erweiterten Spenderkriterien. Außerdem werden bestimmte Pankreata nach den Richtlinien der 486  Näher

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B. Der organisatorische Rahmen

2012 wurden weit über ein Drittel der nach Deutschland allozierten Lebern490 über das beschleunigte Verfahren vermittelt; noch mehr waren es bei dem Pankreas.491 Kritisiert wurde in diesem Zusammenhang das erhebliche Maß an Manipulationsanfälligkeit der Modifikationen des Standardverfahrens.492 Die Transplantationszentren erhielten über die Rescue Allocation regelmäßig einen enormen Entscheidungsspielraum, der zu massiven Ungleichbehandlungen führen konnte. Aufgrund dieses Handlungsbedarfs hatte sich eine Arbeitsgruppe der Ständigen Kommission Organtransplantation zum Ziel erklärt, die Rettungsallokation wieder zu einem enger definierten und transparenten Auswahlverfahren zu machen; sowohl die Transplantationsrichtlinien als auch das Eurotransplant-Manual wurden geändert.493 Bisher konnte das Transplantationszentrum, dem ein Organ durch Eurotransplant angeboten wurde, im Fall des beschleunigten Verfahrens selbst aus seinen Patienten auswählen (Zentrumsallokation). Seit Dezember 2013 entscheidet grundsätzlich Eurotransplant selbst über die Vergabe des Organs im beschleunigten Verfahren (Patientenallokation).494 In diesem Verfahren stellt die Vermittlungsstelle den Transplantationszentren einer Region zunächst eine Liste von potenziellen Empfängern aus der Region zur Verfügung. Die Zentren wählen daraus bis zu zwei geeignete Empfänger aus. Unter ihnen vermittelt Eurotransplant dann nach den festgelegten Kriterien (recipient oriented Extended Allocation). Erst danach (oder wenn ein sehr limitiertes Zeitfenster für die Allokation besteht) kommt es zu einem Angebot gegenüber mindestens drei BÄK unmittelbar im beschleunigten Verfahren angeboten. Kritisch Lang, ZfL 2015, S.  2, 8 f. 490  Kritik am Leberprogramm besteht zudem insofern, als dass sich auch die Hochdringlichkeitsallokation von der Ausnahme zum Regelfall entwickelt. Missbrauchsmöglichkeiten hinterfragt hier Augsberg, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 163 ff.; Missbrauch zumindest in Einzelfällen sieht Viebahn, in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin in Deutschland, S. 9, 20. Näher zur Leberallokation siehe ferner Neuhaus, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 179 ff. Genauso werden in Deutschland mittlerweile 80 % der Herztransplantationen an Hochdringlichkeitspatienten durchgeführt, vgl. Conradi / Deuse / Reichenpurner, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 183, 184. Neueste Anhaltspunkte für ein missbräuchliches Verhalten finden sich auch bei der Überprüfung des Herzzentrums Berlin. Bei 82 überprüften Herztransplantationen wiesen 14 Anträge auf eine dringend notwendige Transplantation Auffälligkeiten auf, die auf Manipulationen hindeuten, vgl. die Unterrichtung der Bundesregierung BT-Drs. 18 / 3566, S. 10. 491  Eine tabellarische Auflistung der Organallokationen findet sich in BT-Drs. 17 / 9887, S. 90 ff. 492  Vgl. BT-Drs. 16 / 13740, S. 66; Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 39. 493  BÄK, Tätigkeitsbericht 2012, S. 297. 494  Vgl. BT-Drs. 17 / 13897, S. 3.



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Zentren, von denen dasjenige den Zuschlag erhält, welches das Organ als erstes akzeptiert (Competitive rescue allocation). Die geltenden bzw. diesen gleichwertige Sorgfaltsanforderungen sowie die Rückverfolgbarkeit sind auch einzuhalten, soweit Eurotransplant Organe aus oder in Nicht-Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder anderen als die Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraums alloziert (§ 12 Abs. 1 S. 3 TPG).495 In weiterem Bezug auf das Ausland hat der Gesetzgeber in § 12 Abs. 1 S. 3 TPG einen ordre public-Vorbehalt eta­ bliert (vgl. Art. 6 EGBGB, § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO). Danach dürfen nur solche Organe vermittelt werden, die im Einklang mit den am Ort der Entnahme geltenden Rechtsvorschriften entnommen worden sind, soweit deren Anwendung nicht zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts, insbesondere den Grundrechten, offensichtlich unvereinbar ist.496 Die spärlichen Funktions- und Aufgabenbeschreibungen im Transplantationsgesetz reichen für eine konkrete Bestimmung der Tätigkeit von Eurotransplant selbstverständlich nicht aus. Die genauen Aufgaben der Stiftung müssen daher gemäß § 12 Abs. 4 S. 1 TPG durch den Vermittlungsstellenvertrag festgelegt werden.497 Regelungsgegenstände, die zwingend vertraglich fixiert werden müssen, enthält § 12 Abs. 4 S. 2 TPG. Die § 12 Abs. 4 S. 2 Nr. 1, Nr. 2 TPG regeln das Führen der Warteliste sowie die Erfassung der gemeldeten Organe (§§ 3, 4 ET-Vertrag). Im Folgenden stellt Nr. 3 die rechtliche Bindung Eurotransplants an die Vorgaben in § 12 Abs. 3 TPG sowie in § 12 Abs. 1 S. 3, S. 4 TPG sicher (§§ 5–7 ET-Vertrag). Zur Umsetzung der RL  2010 / 53 / EU wurde eine neue Nr. 3a eingefügt. Sie fordert Bestimmungen für Organe, die in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum entnommen wurden, um sie im Geltungsbereich des Transplantationsgesetzes zu übertragen oder Organe, die aus dem Geltungsbereich des Transplantationsgesetzes in diesen Staaten übertragen werden. Sichergestellt werden muss, dass die Vermittlung unter Einhaltung des Transplanta­ tionsgesetzes und den dazugehörigen Rechtsverordnungen erfolgt.498 Gemäß § 12 Abs. 4 S. 2 Nr. 4–6, Nr. 8 TPG sind im Vermittlungsstellenvertrag wei495  Siehe

dazu BT 17 / 7376, S. 24. zum ordre public siehe S. 408 ff. 497  Der Vertrag ist abgedruckt bei Krüger, Die Organvermittlungstätigkeit Eurotransplants im Sinne des § 12 TPG, Anhang 10, S. 365. 498  Die Richtlinie ermöglicht somit, dass Mitgliedstaaten Vereinbarungen mit europäischen Organisationen für einen Organaustausch schließen können, sofern sichergestellt ist, dass die in der Richtlinie festgelegten Anforderungen erfüllt werden. Jedoch war Eurotransplant bereits vorher verpflichtet, die Vorschriften des TPG auf diese Organe anzuwenden, Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 47. 496  Näher

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tere Absicherungsgewährleistungen zu installieren, um den reibungslosen Ablauf der Organallokation sicherzustellen. Dazu gehören neben dem Qualitätsmanagement eine regelmäßige Überprüfung von Vermittlungsentscheidungen, die Zusammenarbeit und der Erfahrungsaustausch mit der Koordinierungsstelle, eine regelmäßige Berichterstattung sowie die Kündigungsmöglichkeit bei Vertragsverletzungen der Vermittlungsstelle (§§ 2, 8–10 und § 16 ET-Vertrag). Nach § 12 Abs. 4 S. 2 Nr. 7 TPG ist für die Vermittlungsstelle zudem ein angemessener Aufwendungsersatz für die Aufgabenerfüllung vertraglich vorzusehen. cc) Überwachung der Vermittlungsentscheidungen Die Überwachung der Tätigkeit der Vermittlungsstelle wurde in der öffentlichen Wahrnehmung weitgehend durch die verstärkte Prüfung der Transplantationszentren in den Hintergrund gedrängt. Die Kontrollmöglichkeiten gegenüber der Einrichtung Eurotransplant sind jedoch unverzichtbare Essentialia im Transplantationssystem. Hindernisse wurzeln vor allem im Status der Vermittlungsstelle als ausländische privatrechtliche Stiftung. Als solche ist sie nicht unmittelbar dem deutschen Öffentlichen Recht unterworfen, sondern nur aufgrund vertraglicher Vereinbarung an die Vorgaben des § 12 Abs. 3 S. 3 TPG sowie die ansonsten vereinbarten Steuerungs- und Kontrollmöglichkeiten deutscher Stellen gebunden.499 Eine erste präventive Kontrolle der Vermittlungstätigkeit stellt das Genehmigungserfordernis des Vermittlungsstellenvertrags durch das Bundesministerium für Gesundheit dar, das jedoch als reine Rechtsaufsicht ausgestaltet ist (§ 12 Abs. 5 S. 1 TPG). Bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen besteht eine Verpflichtung, den Vertrag zu genehmigen (§ 12 Abs. 5 S. 2 TPG). Die nachgehende Überwachung der Vermittlungsstelle wurde, wie bei der Koordinierungsstelle, in die Hände der Auftraggeber gelegt. Im Fokus der Kontrolle steht bei Eurotransplant die Aufsicht über ihre Allokationsentscheidungen durch die Prüfungskommission, deren Geschäftsführung bei der Bundesärztekammer liegt (§ 10 Abs. 2 ET-Vertrag).500 Ihre ausdrückliche Erwähnung in § 12 Abs. 4 S. 2 Nr. 4 TPG wurde durch das TPGÄndG von 2012 unter Hinweis auf die Verankerung von umfassenderen Überwachungsvorschriften in § 12 Abs. 5 TPG gestrichen.501

499  Vgl. § 1 Abs. 4 ET-Vertrag sowie auch Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 14; Gutmann, Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 7. 500  Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 57; näher zur Überwachung Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S. 77 ff. 501  BT-Drs. 17 / 7376, S. 24.



IV. Organisatorische Grundlagen des Transplantationssystems129

Durch § 12 Abs. 5 S. 3 TPG wird bestimmt, dass die Auftraggeber zur Kontrolle der Einhaltung der Vertragsbestimmungen eine Kommission einsetzen. Die näheren Voraussetzungen zur Kommissionsorganisation wurden weitestgehend parallel zu den Vorgaben für die Aufsicht der Koordinierungsstelle in § 11 Abs. 3 S. 4–7 TPG ausgestaltet. Die Kommission hat sich aus mindestens einem Vertreter des Spitzenverbands Bund der Krankenkassen, der Bundesärztekammer und der Deutschen Krankenhausgesellschaft oder der Bundesverbände der Krankenhausträger gemeinsam (folglich Vertretern der Auftraggeber) und zwei Vertretern der Länder zusammenzusetzen (§ 12 Abs. 5 S. 4 TPG).502 Nach § 12 Abs. 5 S. 5 TPG besteht eine Verpflichtung Eurotransplants und der Transplantationszentren, erforderliche Unterlagen zur Verfügung zu stellen und erforderliche Auskünfte zu erteilen. Die Kommission wiederum muss Erkenntnisse über Verstöße gegen dieses Gesetz und aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen an die zuständigen Behörden der Länder weiterleiten (§ 12 Abs. 5 S. 6 TPG). Näheres zur Zusammensetzung der Kommission, zu ihrer Arbeitsweise und zum Verfahren soll der vertraglichen Gestaltung unterliegen (§ 12 Abs. 5 S. 7 TPG). Mit dieser Neunormierung wollte der Gesetzgeber anhaltender Kritik in Bezug auf Kontrolldefizite begegnen. Sie ist im Wesentlichen als eine normative Verankerung der vertraglichen Vereinbarung gemäß § 14 ET-Vertrag ausgestaltet. Im Gegensatz zu den Transplantationszentren stellt sich die Normierung von Auskunfts- und Vorlagepflichten für Eurotransplant daher lediglich als gesetzliche Verankerung einer ohnehin schon bestehenden vertraglichen Verpflichtung dar (§ 14 Abs. 2 ET-Vertrag). Durch die nun detaillierte gesetzliche Regelung der Aufsicht verspricht sich der Gesetzgeber die Grundlage einer notwendigen Transparenz für eine effektive Überwachung der Vermittlungsstelle durch die Vertragspartner und die Landesbehörden.503 Ein zentraler Teil des Vertrags ist der gemäß § 12 Abs. 4 S. 2 Nr. 4 TPG vorgesehenen regelmäßigen Überprüfung der Vermittlungsentscheidungen gewidmet. Die Prüfungskommission prüft in regelmäßigen Abständen die Vermittlungsentscheidungen von Eurotransplant und die Meldungen der Vermittlungsstelle über Verstöße gegen die Bestimmungen des § 5 ET-Vertrags504 (§ 10 Abs. 1 ET-Vertrag). Gegenstand der Überwachung der Vermittlungs­ 502  Der Vorstand der DSO sowie das Direktorium von Eurotransplant nehmen auf Einladung der Kommission seit Juni 2010 regelmäßig als Gäste an den Sitzungen teil, BÄK, Tätigkeitsbericht 2012, S. 302. Zur Besetzung der Überwachungskommission siehe die Auflistung der Gremien bei der BÄK unter http: /  / www.bundesaerztekammer. de / fileadmin / user_upload / downloads / pdf-Ordner / Geschaeftsstelle / Gremien_ BAEK.pdf (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 503  BT-Drs. 17 / 7376, S. 24. 504  Diese betreffen neben der Bindung Eurotransplants an das TPG und die Richtlinien der BÄK nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 TPG vor allem die von Eurotransplant zu

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B. Der organisatorische Rahmen

entscheidungen sind die Einhaltung der Bestimmungen des § 5 ET-Vertrags und der gesetzlichen Vorgaben des Transplantationsgesetzes (§ 10 Abs. 2 S. 1 ET-Vertrag). Eurotransplant ist verpflichtet, sämtliche vermittlungsrelevante Unterlagen zur Verfügung zu stellen sowie Auskünfte zu erteilen (§ 10 Abs. 3 ET-Vertrag). Die Kommission berichtet den Auftraggebern in regelmäßigen Abständen über die Einhaltung der Vertragsbestimmungen (§ 14 Abs. 3 ETVertrag) und hat die Pflicht, ihre Ergebnisse schriftlich festzuhalten (§ 10 Abs. 4 ET-Vertrag). Diese werden im jährlichen Tätigkeitsbericht veröffentlicht (vgl. § 14 Abs. 3 ET-Vertrag i. V. m. § 2 Abs. 2 der Geschäftsordnung der Prüfungskommission). Pro Jahr berät die Prüfungskommission in mindestens zwei Sitzungen (§ 7 Abs. 1 der Geschäftsordnung der Prüfungskommission). e) Zwischenergebnis Unter Mitwirkung der Beteiligten ergibt sich ein komplexes Regelungssystem der Transplantationsmedizin. Es ist geprägt von der Trennung zwischen der Organspende sowie der anschließenden Vermittlung und Organübertragung. Während die Koordinierungsstelle in Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Entnahmekrankenhaus auf Spenderseite die Vorarbeit für eine gelungene Transplantation leistet, fällt Eurotransplant auf Grundlage der gesetz­ lichen sowie vertraglichen Bestimmungen und vor allem der Richtlinien der Bundesärztekammer die konkrete Vermittlungsentscheidung. Die Transplantation findet schlussendlich in einem der 47 Transplantationszentren in Deutschland statt. Der Erfolg des Transplantationssystems ist auf eine enge Zusammenarbeit der einzelnen Akteure – von der Spendererkennung bis zur Transplantation – angewiesen. Die im Rahmen der Reformen vorgenommenen gesetzlichen Änderungen sollten die Mitwirkung der Beteiligten am Transplantationsprozess noch optimieren. 4. Ergebnis Die Organtransplantation ist seit 1997 in Deutschland durch das Transplantationsgesetz kodifiziert. Es bildet den Ausgangspunkt (mehr oder weniger) konkreter Bestimmungen, vor allem zur Spende und Vermittlung von Organen. Flankiert wird das Gesetz nicht nur von verfassungsrechtlichen Vorjustierungen oder Landesausführungsgesetzen, sondern auch von nicht gesetzgeberischen Normierungen, wie vor allem den Richtlinien der Bundesärztekammer. Der Ablauf des Transplantationsverfahrens ist durch die Trentreffenden Anwendungsregeln, die Chancengleichheit der Patienten und den Ablauf der Vermittlungsentscheidung.



IV. Organisatorische Grundlagen des Transplantationssystems131

nung von Organentnahme, Vermittlung und Übertragung gekennzeichnet. Bewerkstelligt werden die Aufgaben durch die Zusammenarbeit verschiedener Beteiligter, die nach einem vorgeschriebenen Regelungsregime agieren. Kernaufgaben kommen vor allem den Entnahmekrankenhäusern, den Transplantationszentren sowie der Koordinierungs- und Vermittlungsstelle zu.

C. Die Reformen des Transplantationsgesetzes 15 Jahre nach der Verabschiedung des Transplantationsgesetzes hat sich der Gesetzgeber im Jahre 2012 für die erste umfassendere Reform des Gesetzes entschieden. Zuvor wurden durch das am 1. August 2007 in Kraft getretene „Gesetz über die Qualität und Sicherheit von menschlichen Geweben und Zellen“ (Gewebegesetz) lediglich ergänzende Qualitäts- und Sicherheitsstandards für Gewebe in das Transplantationsgesetz, das Arzneimittelgesetz sowie das Transfusionsgesetz aufgenommen. Grundlage der Reform war die am 31. März 2004 durch das Europäische Parlament und den Rat der Europäischen Union erlassene Richtlinie zur Festlegung von „Qualitäts- und Sicherheitsstandards für die Spende, Beschaffung, Testung, Verarbeitung, Konservierung, Lagerung und Verteilung von menschlichen Geweben und Zellen“ (RL  2004 / 23 / EG). Durch sie sollte die Schaffung einheitlicher Qualitäts- und Sicherheitsstandards in der Europäischen Union gewährleistet werden, um ein insgesamt hohes Gesundheitsschutzniveau zu garantieren.1 Ebenso war die Reform aus dem Jahre 2012 maßgeblich vom Europarecht motiviert. Durch die Novellierung des Transplantationsgesetzes sollte vorrangig die RL  2010 / 53 / EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. Juli 2010 über „Qualitäts- und Sicherheitsstandards für zur Transplantation bestimmte menschliche Organe“ umgesetzt werden.2 Im Zuge der Reformvorbereitung standen jedoch weitere Punkte einer bisher engagiert geführten rechtspolitischen Debatte auf der Agenda der gesetzgebenden Organe. Bereits im Koalitionsvertrag hat die Bundesregierung für die 17. Legislaturperiode eine „kritische Bestandsaufnahme der Situation der Transplantationsmedizin“ 1  Näher zum Gewebegesetz siehe Mohammadi-Kangarani, Die Richtlinien der Organverteilung im Transplantationsgesetz, S. 22 f.; Parzeller / Zedler / Rüdiger, Rechts­ medizin 17 (2007), S. 293 ff.; Pühler / Middel / Hübner (Hrsg.), Praxisleitfaden Gewebegesetz. Am 08.04.2015 wurden bereits neue EU-Richtlinien in Bezug auf den Umgang mit Geweben und Zellen erlassen: die Richtlinie (EU) 2015 / 565 der Kommission zur Änderung der RL  2006 / 86 / EG hinsichtlich bestimmter technischer Vorschriften für die Kodierung menschlicher Gewebe und Zellen sowie die Richtlinie (EU) 2015 / 566 der Kommission zur Durchführung der RL 2004 / 23 / EG hinsichtlich der Verfahren zur Prüfung der Gleichwertigkeit von Qualitäts- und Sicherheitsstandards bei eingeführten Geweben und Zellen. 2  Wenker / Windhorst, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Förderung der Organspende, S. 107.



I. Europarechtliche Rahmenbedingungen für die Reform133

vorgesehen.3 In diesem Zusammenhang sollten die organisatorischen und strukturellen Rahmenbedingungen im Krankenhaus überprüft werden, um die Organspende und -transplantation zu stärken. Zudem hat die Koalition verstärkte Werbemaßnahmen auf die Agenda gesetzt, da das Ziel der Steigerung der Spenderrate4 durch das Transplantationsgesetz von 1997 verfehlt wurde.5 Im Folgenden sollen die für die Novellierung maßgeblichen europarechtlichen Rahmenbedingungen beschrieben (I.) und sodann der Reformbedarf des alten Transplantationsgesetzes (II.) untersucht werden. Dem folgt eine kurze Erläuterung der Gesetzesnovellierungen aus dem Jahre 2012 (III.). Der jungen Reform zum Trotz, legte der Gesetzgeber im darauffolgenden Jahr erneut Hand an das Transplantationsgesetz, um unter dem Eindruck der bekannt gewordenen Manipulationsskandale vertrauensfördernde Nachjustierungen vorzunehmen, die sodann Beachtung finden sollen (IV.). Anschließend werden die ersten Auswirkungen der Reformen dargestellt (V.) und schließlich ein Fazit der Reformbewegung formuliert (VI.).

I. Europarechtliche Rahmenbedingungen für die Reform Die europäische Rechtsetzung hat mittlerweile auch das Gesundheitswesen erreicht. Die Entwicklungen in der Medizin haben die Transplantation zu einem therapeutischen Goldstandard bei Erkrankungen mit Organversagen gemacht. Der gesundheitliche Versorgungsauftrag der Organverteilung wird mittlerweile in einigen europäischen Staaten durch die Stiftung Eurotransplant sogar grenzüberschreitend wahrgenommen. Die wachsende Bedeutung der Transplantation lässt diese daher an einer Europäisierung nicht vorbeikommen (1.). Einen wichtigen Ausgangspunkt markiert dabei das Primärrecht der Europäischen Union (2.) als Grundlage für das von ihren Organen gesetzte Sekundärrecht (3.), aus dem wiederum Folgerungen für eine Entwicklung des europarechtlichen Einflusses auf das Transplantationswesen gezogen werden können (4.).

3  Vgl. Wachstum. Bildung. Zusammenhalt. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP, S.  91, abrufbar unter: https: /  / www.bmi.bund.de / SharedDocs / Down­ loads / DE / Ministerium / koalitionsvertrag.pdf?__blob=publicationFile (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 4  BT-Drs. 13 / 4355, S. 12. 5  Zur Entwicklung der Organspenderrate bis zur Reform 2012 vgl. DSO, Jahresbericht 2012, S. 16.

134

C. Die Reformen des Transplantationsgesetzes

1. Die Europäisierung des Transplantationswesens Aufgrund der stetig fortschreitenden Europäisierung war bereits vor der Änderung der Verträge durch den Vertrag von Maastricht vom 7. Februar 1992 eine wesentliche Zahl der Gesetzesinitiativen des Bundestages von der Gemeinschaft veranlasst.6 Durch die mittlerweile etablierten Kompetenzerweiterungen zugunsten der Union dürfte die Zahl nochmals gestiegen sein. Art. 168 Abs. 1 S. 1 AEUV normiert die Aufgabe, „bei der Festlegung und Durchführung aller Unionspolitiken und -maßnahmen […] ein hohes Gesundheitsschutzniveau“ sicherzustellen, was zwangsläufig einen verstärkten Angleichungsprozess in allen Bereichen des Gesundheitswesens bewirkt.7 Maßgebliche Zielvorstellung ist die Etablierung eines hohen Gesundheitsschutzes in der gesamten Europäischen Union samt einem gemeinsamen Verständnis von Qualitäts- und Sicherheitsstandards in der medizinischen Versorgung.8 Im Bereich des Gesundheitswesens gerät insbesondere die Fachgesetzgebung in medizinischen Spezialbereichen ins Blickfeld der Europäischen Kommission.9 Mittlerweile ist der gesamte Bereich therapeutisch angewandter Bestandteile des menschlichen Körpers innerhalb der Union verbindlich geregelt.10 Hinzu kommen weiche, aber dennoch Konsequenzen zeitigende Koordinierungsversuche, wie der „Aktionsplan der Kommission im Bereich Organspende und -transplantation (2009–2015): verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten“.11 Insgesamt scheint die Sekundärrechtsetzung eine nur bedingt steuerbare Dynamik zu entfalten.12 Sie

6  Puhl, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. III, § 48 Rn. 11 spricht unter Berufung auf die Angaben der Beschwerdeführer im Maastricht-Verfahren, BVerfGE 89, 155, 172 f. m. w. N., von ca. 50 %.; das Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages 1994–2003 stellt auf ca. 1 / 3 der Gesetzgebungstätigkeit ab; vgl. auch Kadelbach, in: Vöneky / Hagendorn / Clados u. a. (Hrsg.), Legitimation ethischer Entscheidungen im Recht, S. 147, 154 sowie Moravcsik / Töller, Financial Times Deutschland, 09.02.2007, S. 6. 7  Vgl. Bulach, in: Höfling (Hrsg.), TPG, Einf. II. Rn. 11. 8  Ebda., Einf. II. Rn.  11; Bardenhewer-Rating / Niggemeier, in: BardenhewerRating / Grill / Jakob u. a. (Hrsg.), EUV / EGV, Art. 152 EGV Rn. 39. 9  Middel / Pühler, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), in: Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 211. 10  Vgl. u. a. die RL  2002 / 98 / EG und RL  2004 / 33 / EG für die Bereiche Blut und Blutbestandteile sowie die RL 2004 / 23 / EG und RL 2006 / 17 / EG für die Gewebemedizin und schlussendlich die RL 2010 / 53 / EU für die Organtransplantation. 11  KOM (2008) 818. 12  Kritisch dahingehend schon Middel / Pühler, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), in: Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 211; Bulach, in: Höfling (Hrsg.), TPG, Einf. II. Rn. 15; Wollenschläger, in: Müller-Graff / Schmahl / Skouris (Hrsg.), FS Scheuing, S. 447, 462, der dies anhand einer möglichen Auslegung des



I. Europarechtliche Rahmenbedingungen für die Reform135

greift schon heute nicht unwesentlich in die Organisationsstrukturen der mitgliedstaatlich organisierten Transplantationssysteme ein.13 2. Die primärrechtlichen Grundlagen Aus dieser Situation ergibt sich Erläuterungsbedarf im Hinblick auf die primärrechtlichen Grundlagen des europäischen Einflusses. Es stellt sich insbesondere die Frage, welche Kompetenzen die europäischen Verträge der Union im Bereich der Organtransplantation übertragen (a)) und inwiefern die Europäische Grundrechtecharta primärrechtliche Garantien in Bezug auf das Transplantationswesen enthält (b)). a) Kompetenzen der Europäischen Union Durch den am 1. November 1993 in Kraft getretenen Vertrag von Maastricht wurde das Gesundheitswesen als eigenständiger Politikbereich in den EG-Vertrag und den Aufgabenkatalog der heutigen Art.  3–6 AEUV eingefügt. Nach Art. 129 EGV-Maastricht war die Gemeinschaft verpflichtet, einen Beitrag zur Erreichung eines hohen Gesundheitsschutzniveaus zu leisten, hatte aber lediglich komplementäre Kompetenzen. Sie war dementsprechend darauf beschränkt, die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten durch Empfehlungen und Fördermaßnahmen zu befruchten.14 Die Norm in ihrer heutigen Ausgestaltung begründet noch immer eine nur schwache Kompetenz der Union (vgl. Art. 168 Abs. 1 S. 2 AEUV).15 Die Hauptzuständigkeit und -verantwortung für die öffentliche Gesundheit verbleibt bei den Mitgliedstaaten, die „für die Festlegung ihrer Gesundheitspolitik sowie für die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung“ verantwortlich bleiben (Art. 168 Abs. 7 AEUV).16 Lediglich in der RL  2010 / 53 / EU festgeschriebenen Merkmals der Freiwilligkeit der Organspende veranschaulicht. 13  Engels, DV 44 (2011), S. 346, 372. 14  Zur Entwicklung der Kompetenznorm siehe Lurger, in: Streinz, EUV / AEUV, Art. 168 AEUV Rn. 3 ff.; Rudolf, in: Meyer (Hrsg.), Charta der Grundrechte, Art. 35 Rn. 2. 15  Siehe zur Kompetenznorm Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 153 f.; Bulach, in: Höfling (Hrsg.), TPG, Einf. II. Rn. 3, 11; Schmidt am Busch, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim (Hrsg.), Recht der Europäischen Union, Art. 168 AEUV Rn. 24, 37; Wollenschläger, in: Müller-Graff / Schmahl / Skouris (Hrsg.), FS Scheuing, S. 447, 451. 16  Bardenhewer-Rating / Niggemeier, in: Bardenhewer-Rating / Grill / Jakob u. a. (Hrsg.), EUV / EGV, Art. 152 EGV Rn. 8; Bulach, in: Höfling (Hrsg.), TPG, Einf. II. Rn. 5; Lurger, in: Streinz, EUV / AEUV, Art. 168 AEUV Rn. 9, 21; Schmidt am Busch,

136

C. Die Reformen des Transplantationsgesetzes

„gemeinsame Sicherheitsanliegen im Bereich der öffentlichen Gesundheit hinsichtlich der in diesem Vertrag genannten Aspekte“ werden zur geteilten Zuständigkeit gezählt (Art. 4 Abs. 2 lit. k AEUV, Art. 168 Abs. 4 AEUV). Im Übrigen unterfallen „Schutz und Verbesserung der menschlichen Gesundheit“ der Ergänzungskompetenz (Art. 6 lit. a AEUV), innerhalb derer die Union lediglich befugt ist „Maßnahmen zur Unterstützung, Koordinierung oder Ergänzung der Maßnahmen der Mitgliedstaaten durchzuführen, ohne dass dadurch die Zuständigkeit der Union für diese Bereiche an die Stelle der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten tritt“ (Art. 2 Abs. 5 UAbs. 1 AEUV). Ferner statuiert Art. 2 Abs. 5 UAbs. 2 AEUV ein Harmonisierungsverbot, welches in Art. 168 Abs. 5 AEUV für das Gesundheitswesen ausdrücklich aufgegriffen wurde.17 Art. 168 AEUV ist eine abschließende Kompetenznorm, die gegenüber anderen Rechtsgrundlagen eine Sperrwirkung entfaltet.18 Maßgeblicher Kompetenztitel der Europäischen Union im Bereich der Organtransplantation ist Art. 168 Abs. 4 lit. a AEUV (ex Art. 152 Abs. 4 lit. a EGV). Nach dieser Norm ergreifen das Europäische Parlament und der Rat „Maßnahmen zur Festlegung hoher Qualitäts- und Sicherheitsstandards für Organe und Substanzen menschlichen Ursprungs sowie für Blut und Blutderivate“, wobei es den Mitgliedstaaten aber unbenommen bleibt, strengere Schutzmaßnahmen beizubehalten oder einzuführen. In diesem Bereich ist die Union ohne Bindung an das Harmonisierungsverbot befugt, eine autonome Gesundheitspolitik zu betreiben.19 Über den Begriff der „Maßnahmen“ steht dem Europäischen Parlament und dem Rat grundsätzlich die gesamte Bandbreite unionsrechtlicher Handlungsformen zur Verfügung.20 Nach der Systematik des Vertrags, der den Erlass der Maßnahmen im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren anordnet, sind aber lediglich Verordnungen, Richtlinien und Beschlüsse erfasst.21 in: Grabitz / Hilf / Nettesheim (Hrsg.), Recht der Europäischen Union, Art. 168 AEUV Rn. 24, 37. 17  Zur Kompetenzordnung vgl. Wollenschläger, in: Müller-Graff / Schmahl / Skouris (Hrsg.), FS Scheuing, S. 447, 449 f. 18  Lautenschläger, Der Status ausländischer Personen im deutschen Transplantationssystem, S. 263; Nickel / Schmidt-Preisgke / Sengler, TPG, Einf. Rn. 16; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 340, 344. 19  Frenz / Götzkes, MedR 2010, S.  613, 614; Wollenschläger, in: MüllerGraff / Schmahl / Skouris (Hrsg.), FS Scheuing, S. 447, 454; restriktiver Pannenbecker, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S.  215, 218 f. 20  Bulach, in: Höfling (Hrsg.), TPG, Einf. II. Rn. 8; Kingreen, in: Calliess / Ruffert, EGV / AEUV, Art. 168 AEUV Rn. 7. 21  Art. 289 Abs. 1 AEUV enthält eine entsprechende Beschränkung der im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren zu erlassenen Akte, vgl. Frenz / Götzkes, MedR



I. Europarechtliche Rahmenbedingungen für die Reform137

Eingeschränkt ist die materiell-rechtliche Zulässigkeit einer Maßnahme durch die Garantie der nationalen Gesundheitssysteme, nach der „die Verwaltung des Gesundheitswesens und der medizinischen Versorgung sowie die Zuweisung der dafür bereitgestellten Mittel“ den Mitgliedstaaten verbleibt (Art. 168 Abs. 7 AEUV). Für die Unionskompetenz nach Art. 168 Abs. 4 lit. a AEUV stellt die ausdrückliche Restriktion nach Art. 168 Abs. 7 S. 3 AEUV fest, dass die Maßnahmen „die einzelstaatlichen Regelungen über die Spende oder die medizinische Verwendung von Organen und Blut unberührt“ lassen. Es wird folglich klargestellt, dass keine Kompetenzen zur Festsetzung von Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Organentnahme oder die Organverteilung bestehen.22 Diese Regelungen würden auch nicht unter bloße Qualitäts- und Sicherheitsstandards fallen.23 Es ergeben sich jedoch prekäre Abgrenzungsfragen, da sich Qualitäts- und Sicherheitsstandards für Organe mit dem Regelungsvorbehalt der Mitgliedstaaten bezüglich der Spende und der medizinischen Verwendung von Organen überschneiden können.24 Auf diese soll bei der Betrachtung des einschlägigen Sekundärrechts eingegangen werden.25 Eine weitere Einschränkung der Zugriffsmöglichkeit der Union folgt aus der Tatsache, dass die Inanspruchnahme der in Art. 168 AEUV festgeschriebenen Kompetenzen dem Subsidiaritätsgrundsatz (Art. 5 Abs. 3 EUV) unterliegt. Die Union darf außerhalb ihrer ausschließlichen Zuständigkeitsbereiche nur tätig werden, „sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend verwirklicht werden können, sondern vielmehr wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind“.

2010, S. 613, 616; Wollenschläger, in: Müller-Graff / Schmahl / Skouris (Hrsg.), FS Scheuing, S. 447, 454. 22  Vgl. Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 151; Bulach, in: Höfling (Hrsg.), TPG, Einf. II. Rn. 8; Nickel / Schmidt-Preisgke / Sengler, TPG, Einf. Rn. 16; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S.  341 f.; Pannenbecker, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 215, 218 f.; Schmidt am Busch, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim (Hrsg.), Recht der Europäischen Union, Art. 168 AEUV Rn. 73; Wollenschläger, in: Müller-Graff / Schmahl / Skouris (Hrsg.), FS Scheuing, S. 447, 456. 23  Vgl. Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 151 f.; Lautenschläger, Der Status ausländischer Personen im deutschen Transplantationssystem, S. 262; Nickel /  Schmidt-Preisgke / Sengler, TPG, Einf. Rn. 16. 24  Wollenschläger, in: Müller-Graff / Schmahl / Skouris (Hrsg.), FS Scheuing, S. 447, 455. 25  Zum Sekundärrecht siehe S. 139 ff.

138

C. Die Reformen des Transplantationsgesetzes

b) Primärrechtliche Garantien der Europäischen Grundrechtecharta Mit der am 07. Dezember 2000 proklamierten „Charta der Grundrechte der Europäischen Union“ wurde erstmals ein eigenständiger Grundrechtskatalog für die Union geschaffen.26 Nach ihrem Art. 51 gilt die Charta für die Organe und Einrichtungen der Europäischen Union sowie für die Mitgliedstaaten, soweit die Durchführung des Unionsrechts betroffen ist. Die Charta enthält in ihrem Art. 3 nach der Feststellung, dass ein jeder das Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit hat (Abs. 1), in Absatz 2 medizinisch relevante Bestimmungen, die den europäischen Konsens in Bezug auf bioethische Herausforderungen ausdrücken.27 Die grundrechtliche Gewährleistung begegnet „Gefährdungen der körperlichen, geistigen und seelischen Integrität, wie sie insbesondere durch die rasanten Fortschritte der Gentechnologie und Biomedizin (…) hervorgerufen werden.“28 Art. 3 Abs. 2 lit. c statuiert ein Verbot, mit dem menschlichen Körper oder Teilen davon einen Gewinn zu erzielen. Die Untersagung will vor allem den kommerziellen Organhandel unterbinden, wobei sämtliche Körperteile, auch Gewebe und Zellen, vom Verbot erfasst sind.29 In der Bundesrepublik bestand bereits seit Verabschiedung des Transplantationsgesetzes im Jahre 1997 ein Organhandelsverbot (§ 17  f. TPG), sodass der Grundrechtskatalog keinen für Deutschland neuen Grundsatz enthielt. Die mangelnde Einwirkungskraft der Grundrechtecharta tritt auch in Art. 35 zutage. Dieser bestimmt in seinem ersten Satz, dass jeder das Recht auf Zugang zur Gesundheitsvorsorge und auf ärztliche Versorgung (nur) nach Maßgabe der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten hat und greift damit konsequent die primärrechtliche Bestimmung des Art. 168 Abs. 7 AEUV auf, der die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung vom Anwendungsbereich des Art. 168 AEUV ausnimmt.30 In Satz zwei gewährleistet die Norm bei der Durchführung und Festsetzung aller Unionspolitiken und -maßnahmen ein hohes Gesundheitsschutzniveau. Folglich wurde die Garantie eines Individualrechts (S. 1) mit einer – kein subjektives Recht gewährleistenden – Zielbestimmung unionsrechtlichen Handelns (S. 2) kombiniert. 26  ABl. 2000 / C 364 / 01; näher zur Bindung der Mitgliedstaaten an die Unionsgrundrechte Heuer, Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRC: Die Bindung der Mitgliedstaaten an die Unionsgrundrechte. 27  Borowsky, in: Meyer (Hrsg.), Charta der Grundrechte, Art. 3 Rn. 6. 28  Ebda., Art. 3 Rn. 1. 29  Ebda., Art. 3 Rn. 45; Voß, Schutz der Grundrechte in Medizin und Biologie durch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, S. 323. 30  Bulach, in: Höfling (Hrsg.), TPG, Einf. II. Rn. 5; Borowsky, in: Meyer (Hrsg.), Charta der Grundrechte, Art. 35 Rn. 2.



I. Europarechtliche Rahmenbedingungen für die Reform139

Das Recht auf eine Gesundheitsversorgung statuiert ein Recht auf Teilhabe an den vorhandenen Leistungen. Die Variation der Schutzniveaus in unterschiedlichen Mitgliedstaaten ist dabei hinzunehmen. Bei der Ausgestaltung der Gesundheitsvorsorge und der ärztlichen Versorgung sind die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten entscheidend. Für die Staaten besteht bis auf die Bereitstellung einer geeigneten und angemessenen Unterstützung, die sich als medizinische Minimalversorgung darstellt, keine bestimmte positive Verpflichtung.31 Daraus folgt, dass sich auf eine Organversorgung angewiesene Patienten mit dem im jeweiligen Mitgliedstaat vorgefundenen Versorgungssystem zufriedengeben müssen. Weitergehende, auf das Unionsrecht gestützte Ansprüche, etwa auf Bemühungen zur Steigerung der Organspenderrate, können sie nicht geltend machen.32 3. Das Sekundärrecht – Überschreitung der Harmonisierungsgrenzen? Nach dem Erlass der Richtlinie zur Festlegung von „Qualitäts- und Sicherheitsstandards für die Spende, Beschaffung, Testung, Verarbeitung, Konservierung, Lagerung und Verteilung von menschlichen Gewebe und Zellen“ (RL  2004 / 23 / EG) im Jahre 2004 rückte auch die Organtransplantation in den Fokus des Unionsgesetzgebers (a)), deren Ausgestaltung, insbesondere im Hinblick auf mögliche Kompetenzüberschreitungen (b)), nun näher untersucht werden soll. a) Unionsrechtliche Aktivität im Bereich der Organtransplantation Ernsthaft ins Rollen kam der Stein eines europarechtlichen Zugriffs auf das Transplantationswesen mit der Mitteilung der Europäischen Kommission „Organspende und -transplantation: Maßnahmen auf EU Ebene“ vom 30. Mai 2007.33 Vorausgegangen war dieser Mitteilung im Jahr zuvor eine öffentliche Anhörung zum Thema Organspende und -transplantation, bei der beschlossen wurde, die Aktivitäten der Mitgliedstaaten zu koordinieren und eine Harmonisierung im Bereich der Qualität und Sicherheit sowie Regelun31  Zum Regelungsgehalt des Art. 35 vgl. Rudolf, in: Meyer (Hrsg.), Charta der Grundrechte, Art. 35 Rn. 9 ff. 32  Vgl. Voß, Schutz der Grundrechte in Medizin und Biologie durch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, S. 323. 33  KOM (2007) 275 endg. Siehe dazu BÄK, Stellungnahme zu KOM (2007) 275 endg. sowie Fuchs / Hübner, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 245 ff.; Pühler / Middel / Schirmer u. a., MedR 2007, S.  584 ff.

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C. Die Reformen des Transplantationsgesetzes

gen zum Organaustausch voranzutreiben.34 Am 22. April 2008 beteiligte sich das Europäische Parlament mit einer Entschließung zur Organspende und -transplantation, um die Notwendigkeit europäischer Qualitäts- und Sicherheitsstandards herauszustellen sowie weitere Verbesserungsmöglich­ keiten zur Förderung der Organspende vorzuschlagen.35 Nur wenige Monate darauf, am 8. Dezember 2008, folgte der „Aktionsplan der Kommission im Bereich Organspende und -transplantation (2009–2015): verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten“36 sowie ihr Vorschlag für eine Richt­linie des Europäischen Parlaments und Rates über „Qualitäts- und Sicherheitsstandards für zur Transplantation bestimmte menschliche Organe“. Das Aktionsprogramm gehört zu den im gesamten Regelungsbereich des Art. 168 AEUV zulässigen unverbindlichen Fördermaßnahmen der Union. Die Kommission wollte insbesondere drei Herausforderungen annehmen: die Erhöhung des Organangebots, die Förderung von Leistungsfähigkeit und Zugänglichkeit der Transplantationssysteme sowie die Verbesserung von Qualität und Sicherheit. Auf Grundlage dieser Zielsetzungen hat die Kommission zehn zu verwirklichende Schwerpunktmaßnahmen aufgestellt, zu denen etwa die besonders fokussierten Punkte der Transplantationskoordinatoren, der Qualitätsverbesserungsprogramme sowie die Erleichterung der Identifizierung potentieller Organspender und der grenzübergreifenden Organspende in Europa gehören.37 Jedoch entscheiden die Mitgliedstaaten autonom, welche Maßnahmen ergriffen werden, um die anvisierten Ziele zu erreichen.38 Weitere unverbindliche transplantationsfreundliche Reformanregungen enthält die Entschließung des Parlaments vom 19. Mai 2010 zum Aktionsplan (2009–2015) der Europäischen Kommission.39 In der Bundesrepublik wurde anlässlich des Aktionsprogramms etwa das Pilotprojekt der Inhousekoordination in Gang gesetzt, aus dem sich eine systematische Analyse des Spenderpotentials sowie deren Identifikation und Meldung ergeben sollte.40 Während mit der Umsetzung des Aktionsplans recht zügig begonnen wurde, kam es bei der Richtlinie noch zu einer umfassenderen Überarbeitung.41 Den Be34  Organ donation and transplantation policy options at EU level. Consultation document, 27.06.2006. 35  Entschließung des Europäischen Parlaments vom 22.4.2008 zu Organspende und -transplantation: Maßnahmen auf EU Ebene (2007 / 2210(INI)). 36  KOM (2008) 818. 37  Vgl. KOM (2008) 818, S. 1 ff. 38  Vgl. KOM (2008) 818, S. 3. 39  Entschließung des Europäischen Parlaments vom 19.05.2010: P7_TA(2010) 0183. 40  Zur Inhousekoordination siehe die Ausführungen zur Rolle der Entnahmekrankenhäuser, S.  544 ff. 41  Bulach, in: Höfling (Hrsg.), TPG, Einf. II. Rn. 1.



I. Europarechtliche Rahmenbedingungen für die Reform141

denken bezüglich einer ausreichenden Rechtsetzungskompetenz von Seiten Deutschlands42 sollte jedoch am Ende nicht umfassend Rechnung getragen werden.43 Die Richtlinie wurde am 7.  Juli 2010 als RL  2010 / 53 / EU des Europäischen Parlaments und des Rates über „Qualitäts- und Sicherheitsstandards für zur Transplantation bestimmte menschliche Organe“ verabschiedet. b) Kompetenzüberschreitungen durch die RL  2010 / 53 / EU Die RL 2010 / 53 / EU legt als unionsweit harmonisierender Rechtsetzungsakt für alle Mitgliedstaaten einheitlich hohe Qualitäts- und Sicherheitsstandards für die Transplantation menschlicher Organe fest. Sie ist eine Reaktion auf die Risiken von Krankheitsübertragungen durch die Organtransplantation, die aufgrund des zunehmenden zwischenstaatlichen Organaustauschs in den Fokus der Unionsorgane gerückt ist und soll durch eine Standardsetzung ein hohes Gesundheitsniveau bei der Organtransplantation gewährleisten (Art. 1).44 Dennoch belässt die Richtlinie den Mitgliedstaaten weitreichende Ausgestaltungsmöglichkeiten, was für das System der regulierten Selbstregulierung unter Einbeziehung der zahlreichen privatrechtlich ausgestalteten Institutionen in der Bundesrepublik entscheidend ist.45 Die Richtlinie formuliert nach grundsätzlichen Bestimmungen (Kapitel I) Regelungen zur Qualität und Sicherheit von Organen (Kapitel II), zum Schutz des Spenders und des Empfängers (Kapitel III), zu den Pflichten der zuständigen Behörden und zum Informationsaustausch (Kapitel IV) sowie zum grenzüberschreitenden Organaustausch (Kapitel V). Im Fokus stehen insbesondere Mindestanforderungen an die Einrichtung, institutionelle Ausgestaltung, sachliche und personelle Ausstattung sowie Qualifikation der in den Mitgliedstaaten mit der Organentnahme, ihrer Vorbereitung, der Konservierung, der Vermittlung und dem Transport betrauten Stellen. Wesentliche Punkte betreffen zudem medizinische Mindeststandards im gesamten Prozess des Transplantationsgeschehens. Neben zentralen Kriterien für die Organund Spendercharakterisierung werden zudem die Rückverfolgbarkeit und die Meldung schwerwiegender Zwischenfälle und schwerwiegender unerwünschter Reaktionen sowie die Anforderungen zum Schutz des Spenders und des Empfängers näher geregelt. Außerdem wird ein umfassendes System von 42  BT-Drs.

16 / 11781; BR-Drs. 964 / 08. in: Höfling (Hrsg.), TPG, Einf. II. Rn. 1. 44  Wollenschläger, in: Müller-Graff / Schmahl / Skouris (Hrsg.), FS Scheuing, S. 447, 457. 45  Vgl. dazu Otto, Jura 2012, S. 745, 749; zum System der regulierten Selbstregulierung siehe S. 350 ff. 43  Bulach,

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C. Die Reformen des Transplantationsgesetzes

Melde-, Vermittlungs-, Dokumentations-, und Nachweispflichten im nationalen sowie grenzüberschreitenden Organtransfer aufgestellt.46 Diese legitimen Ziele vermögen jedoch nicht von dem fragwürdigen Umgang mit den Unionskompetenzen abzulenken. Ob das Parlament und der Rat tatsächlich berechtigt waren eine Richtlinie dieses Ausmaßes zu erlassen erscheint zweifelhaft.47 Eine Regelungsbefugnis besteht ausschließlich in Bezug auf Qualitäts- und Sicherheitsmaßnahmen.48 Während sich Art. 1 der Richtlinie mit der Beschreibung ihres Gegenstands („Sicherstellung von Qualitäts- und Sicherheitsstandards für zur Transplantation in den mensch­ lichen Körper bestimmte menschliche Organe […], um ein hohes Gesundheitsschutzniveau zu gewährleisten.“) noch innerhalb der Schranken des Art. 168 Abs. 4 lit. a AEUV hält, überschreitet die Bestimmung des Geltungsbereichs der Richtlinie in Art. 2 Abs. 1 bereits die unionsrechtlichen Kompetenzgrenzen. Neben der Testung, Charakterisierung, Bereitstellung, Konservierung, dem Transport und der Transplantation von Organen soll die Richtlinie ferner für die „Spende“ gelten, was aufhorchen lässt, sollen die einzelstaatlichen Bestimmungen über die Regelung der Spende oder der medizinischen Verwendung von Organen gemäß Art. 168 Abs. 7 S. 2 AEUV doch unberührt bleiben.49 Art. 13 der Richtlinie spezifiziert die Ankündigung der Vorschriften über die Spende, indem er den Grundsatz ihrer Freiwilligkeit und Unentgeltlichkeit festschreibt (Abs. 1) sowie die Anordnung trifft, dass sie nur auf nicht kommerzieller Grundlage erfolgen darf (Abs. 4). Diese Vorgaben fallen auf den ersten Blick nicht in die Kompetenz der Union, Qualitäts- und Sicherheitsstandards vorzuschreiben. Auch eine nähere Betrachtung räumt diese Bedenken nicht aus. Zwar findet sich im 19. Erwägungsgrund der Richtlinie ein ausführlicher Begründungsversuch zur Regelungsnotwendigkeit; dieser verfängt jedoch zumindest nicht vollumfänglich. Es wird angeführt, dass die Freiwilligkeit und Uneigennützigkeit für die Organspende wesentlich seien und unmittelbar mit der Qualität und Sicherheit der Organe in Zusammenhang stünden. Die Nichteinhaltung dieser Grundsätze könne zu unvertretbaren Risiken führen. Erfolge die Spende nicht 46  Vgl. schon ebda., S.  749; eingehend auch Wollenschläger, in: MüllerGraff / Schmahl / Skouris (Hrsg.), FS Scheuing, S. 447, 457 ff. 47  Insgesamt kritisch zum EU Vorhaben schon Pühler / Middel / Schirmer u. a., MedR 2007, S. 584, 586; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 342 f.; Richter-Kuhlmann, DÄBl 106 (2009), A-267. 48  Siehe dazu Bulach, in: Höfling (Hrsg.), TPG, Einf. II. Rn. 14; Kingreen, in: Calliess / Ruffert, EGV / AEUV, Art. 168 AEUV Rn. 20; Schmidt am Busch, Die Gesundheitssicherung im Mehrebenensystem, S. 351  f.; Wollenschläger, in: MüllerGraff / Schmahl / Skouris (Hrsg.), FS Scheuing, S. 447, 459 ff. 49  Vgl. schon Pannenbecker, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 215, 220.



I. Europarechtliche Rahmenbedingungen für die Reform143

freiwillig und / oder zur Erzielung eines finanziellen Gewinns, könne die Qualität des Spendeprozesses gefährdet werden, da die altruistischen Motive im Hinblick auf das Empfängerwohl nicht mehr allein ausschlaggebend seien. Selbst wenn der Prozess unter Einhaltung angemessener Qualitätsstandards durchgeführt würde, könne es bei der Erläuterung der medizinischen Vorgeschichte in Bezug auf übertragbare Krankheiten an ausreichender Präzision mangeln, wenn diese auf den Angaben einer Person (Lebendspender oder Angehöriger) beruhen, die einen finanziellen Gewinn anstrebt oder sich in einer Zwangslage befindet. Eine angemessene Risikobewertung wäre dann erheblich erschwert. Schließlich weist die Richtlinie auf das Kommerzialisierungsverbot in Art. 3 Abs. 2 lit. c der Charta der Grundrechte sowie einschlägige Bestimmungen im Übereinkommen des Europarates zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin als auch die Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation zur Transplantation von menschlichen Zellen, Gewebe und Organen hin. Diese Regelungen können der Union jedoch keine Kompetenzen verschaffen.50 Sie belegen allerdings einen allgemeinen Konsens zu den enthaltenen Grundsätzen in der Staatengemeinschaft. Dieser dürfte auch der Grund dafür gewesen sein, dass maßgeblicher Protest im Hinblick auf Kompetenzzweifel unterblieb.51 Einzelstaatlichen Regelungen über die Spende oder die medizinische Verwendung von Organen bleiben nach Art. 168 Abs. 7 S. 3 AEUV unberührt. Für Regelungen zu ethischen Grundsätzen der Spende oder zum Schutz der Rechte des Spenders kann Art. 168 Abs. 4 lit. a AEUV nicht als Kompetenzgrundlage herangezogen werden, da ansonsten Art. 168 Abs. 7 S. 3 AEUV ins Leere liefe. Für Maßnahmen der Mitgliedstaaten würde kein Raum verbleiben.52 Es ist dennoch möglich, dass ethische Aspekte im Einzelfall einen unmittelbaren Sicherheitsbezug aufweisen. Spenden, die auf einem finanziellen Anreiz beruhen, rufen nicht nur ethische Bedenken hervor, sondern sind tatsächlich mit dem Risiko verbunden, dass die medizinische Vorgeschichte 50  Vgl. Niggermeier, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 168 AEUV Rn. 38; Schmidt am Busch, Die Gesundheitssicherung im Mehr­ ebenensystem, S. 351; Wollenschläger, in: Müller-Graff / Schmahl / Skouris (Hrsg.), FS Scheuing, S. 447, 460. 51  Niggermeier, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 168 AEUV Rn. 38; zur Ansicht des Europäischen Parlaments vgl. Liese, Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S.  43, 45 f. 52  Schmidt am Busch, Die Gesundheitssicherung im Mehrebenensystem, S. 352; dies., in: Grabitz / Hilf / Nettesheim (Hrsg.), Recht der Europäischen Union, Art. 168 AEUV Rn. 38; ein bedenkliches Infragestellen der zur staatlichen Organisationshoheit gehörenden Gesundheits- und Sozialsysteme sehen auch Nagel / Alber, in: Middel /  Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 227, 232.

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C. Die Reformen des Transplantationsgesetzes

des Spenders nicht offengelegt wird. Die Frage der Unentgeltlichkeit der Spende oder die Vermeidung von Zwangslagen können daher noch als Sicherheitskriterium von der Union auf der Grundlage von lit. a geregelt werden.53 Das gilt jedoch nicht für die Sicherung der Spenderrechte durch die Festschreibung des Grundsatzes der Freiwilligkeit. Es muss den Mitgliedstaaten überlassen bleiben, ob sie beispielsweise eine nicht auf Freiwilligkeit beruhende Notstandsregelung für die postmortale Spende einführen wollen. Diese würde Qualität und Sicherheit des Organs nicht in Frage stellen. Jede auf Art. 168 Abs. 4 lit. a AEUV gestützte Maßnahme muss jedoch zum Ziel haben, die Sicherheit und Qualität des gespendeten Materials zu gewährleisten, wobei dies aus der Sicht des Empfängers zu beurteilen ist.54 Mit der Festschreibung des Grundsatzes der Freiwilligkeit der Spende zum Schutz der Spenderrechte hat die Union dementsprechend kompetenzwidrig gehandelt. Ebenso mit dem Verdikt eines überschießenden Kompetenzgebrauchs infiziert sind, im Einklang mit den vorherigen Feststellungen, die Vorgaben zur Aufstellung von Verfahrensanweisungen zur „Überprüfung der Einzelheiten der Einwilligung, Ermächtigung oder des Fehlens eines Widerspruchs seitens des Spenders oder der Angehörigen des Spenders“, auch wenn diese nach einzelstaatlichen Gesetzen erfolgen soll (Art. 4 Abs. 2 lit. b). Konsequenterweise als problematisch einzustufen ist auch Art. 14 der Richtlinie, der bestimmt, dass die Bereitstellung von Organen erst erfolgt, „wenn alle im betreffenden Mitgliedstaat geltenden Anforderungen an die Einwilligung, Ermächtigung oder das Fehlen eines Widerspruchs erfüllt sind.“ Ein Mehrwert der unionsrechtlichen Vorgabe ist unter keinem Gesichtspunkt ersichtlich. Das gleiche gilt für die überschießende Tendenz des 20. Erwägungsgrundes der Richtlinie, der darauf hinweist, dass international anerkannte Grundsätze bezüglich der Bestätigung oder Feststellung des Todes vor der postmortalen Entnahme von Organen sowie bezüglich der Zuteilung von Organen anhand transparenter, diskriminierungsfreier und wissenschaftlicher Kriterien gelten. Auf diese sollte, laut dem Erwägungsgrund, hingewiesen werden und „sie sollten im Zusammenhang mit dem Aktionsplan der Kom-

53  Vgl. Schmidt am Busch, Die Gesundheitssicherung im Mehrebenensystem, S. 352; dies., in: Grabitz / Hilf / Nettesheim (Hrsg.), Recht der Europäischen Union, Art. 168 AEUV Rn. 38; Wollenschläger, in: Müller-Graff / Schmahl / Skouris (Hrsg.), FS Scheuing, S. 447, 461; insgesamt skeptisch bzgl. der Regelungen in Art. 13 jedoch Pannenbecker, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 215, 226; restriktiv bzgl. der Regelungskompetenz der EU auch Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 342. 54  Schmidt am Busch, Die Gesundheitssicherung im Mehrebenensystem, S. 351 f.



I. Europarechtliche Rahmenbedingungen für die Reform145

mission im Bereich Organspende und -transplantation Berücksichtigung finden“.55 Die vorstehenden Regelungen der Richtlinie zeigen die Gratwanderung zwischen denjenigen Vorgaben, die sich aufgrund von Sicherheitsanliegen innerhalb des primärrechtlich Erlaubten halten und solchen Bestimmungen, die aus anderen rechtlichen oder politischen Gründen angestrebt werden.56 In diesem Grenzbereich sollte ein strenger Maßstab hinsichtlich der Qualitäts- und Sicherheitsrelevanz angelegt werden.57 Ob im Hinblick auf Sicherheit und Qualität überhaupt eine Regulierungsnotwendigkeit auf europäischer Ebene bestand, wird teilweise bezweifelt, da sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Union ohnehin allesamt bisher an dem von einer Expertengruppe des Europarats erarbeiteten „Guide to safety and quality assurance for the transplantation of organs, tissues and cells“58 orientiert haben.59 Da jedoch anzunehmen ist, dass der zwischenstaatliche Organaustausch in Zukunft weiter ausgedehnt wird und trotz der Richtlinien des Europarats nicht unwesentliche Unterschiede in Bezug auf Sicherheitsund Qualitätsbestimmungen vorherrschten,60 ist eine dahingehende Vereinheitlichung grundsätzlich zu begrüßen;61 zumindest solange die geltende Kompetenzordnung gewahrt bleibt. Ungeachtet seiner Skepsis bezüglich der Kompetenznutzung der Union hat der Deutsche Bundestag am 21. Juli 2012 in Umsetzung der RL 2010 / 53 / EU das Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes (TPGÄndG) verabschiedet, das einige organisationsstrukturelle Modifikationen mit sich gebracht hat.62

55  Vgl. dazu Wollenschläger, in: Müller-Graff / Schmahl / Skouris (Hrsg.), FS Scheuing, S. 447, 461. 56  Vgl. Niggermeier, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 168 AEUV Rn. 38. 57  So auch Wollenschläger, in: Müller-Graff / Schmahl / Skouris (Hrsg.), FS Scheuing, S. 447, 461. 58  Guide to safety and quality assurance for the transplantation of organs, tissues and cells, 3rd edition and addendum 2009, Council of Europe. 59  Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 342 f. 60  Richter-Kuhlmann, DÄBl 106 (2009), A-267. 61  Ebda., A-267; eine insgesamt europäische Vereinheitlichungsnotwendigkeit sieht Hohmann, Das Transplantationswesen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, S.  191 ff. 62  Bulach, in: Höfling (Hrsg.), TPG, Einf. II. Rn. 16; zu einigen in dieser Arbeit relevanten Modifikationen siehe die Würdigung des deutschen Transplantationsrechts in Teil D., S. 179 ff.

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C. Die Reformen des Transplantationsgesetzes

4. Folgerungen: Europäischer Einfluss en vogue War der Einfluss des Europarechts auf das deutsche Transplantationsrecht vor einigen Jahren noch sehr gering,63 werden mittlerweile maßgebliche Bestimmungen durch europäische Institutionen getroffen. Insgesamt ist der Spielraum der Europäischen Union für eine Harmonisierung im sensiblen Bereich des Gesundheitswesens zwar höchst eingeschränkt;64 dies hält jedoch den Regelungswillen der Union kaum im Zaum. Mit einer beachtlichen Zahl zwar unverbindlicher, aber dennoch wirkmächtiger weicher Koordinierungsmaßnahmen eröffnet sich die Union einen nicht unwesentlichen Einfluss auf die einzelstaatlichen Regelungssysteme. Hinzu kommen verbindliche Harmonisierungsbestrebungen auf dem Gebiet der Sicherheits- und Qualitätsanforderungen, die in kompetenzwidrigem Maße in Angriff genommen werden. Umso wichtiger gestaltet sich die strikte Beachtung der geltenden Kompetenzregelung durch die europäischen Organe in der Gesundheitspolitik.65 In Zukunft ist eine Zunahme des europäischen Einflusses zu erwarten, der auch ohne konkreten Harmonisierungsauftrag die Organisationsstrukturen in den Mitgliedstaaten zwar auf absehbare Zeit nicht denaturieren, jedoch zunehmend beeinflussen wird. Ob dies zu einem Mehrwert der Regelungen führen wird, darf legitimerweise in Frage gestellt werden, denn etwa für die Bekämpfung des Organhandels stellen die europäischen Akte keinen relevanten Faktor dar, da dieser bereits durch die Charta der Grundrechte geächtet wird. Der von der Union hervorgehobene Organmangel ist ein Problem aller Mitgliedstaaten, der durch einen stärkeren Austausch der vorhandenen Organe nicht behoben werden kann. Allerdings könnte eine behutsame Europäisierung zu einem effizienteren Nutzen der knappen Ressource führen, was immerhin ein Gewinn wäre.66

Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 153. Organmangel und Organverteilung, S.  153  f.; Bulach, in: Höfling (Hrsg.), TPG, Einf. II. Rn. 11; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 343. 65  Wollenschläger, in: Müller-Graff / Schmahl / Skouris (Hrsg.), FS Scheuing, S. 447, 463; für eine weitgehende Vereinheitlichung des Transplantationsrechts im Sinne einer umfassenden „europäischen Lösung“ aber Hohmann, Das Transplantationswesen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, S. 191 ff. 66  Zu den Zweifeln am Mehrwert des europäischen Einflusses siehe BÄK, Stellungnahme zu KOM (2007) 275 endg.; Nagel / Alber, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 227, 231 f. 63  Vgl.

64  Bader,



II. Reformbedarf in Bezug auf die postmortale Organtransplantation147

II. Reformbedarf des Transplantationsgesetzes in Bezug auf die postmortale Organtransplantation Nach Erlass der RL  2010 / 53 / EU stellte sich für die Bundesrepublik die Frage nach dem Reformbedarf des Transplantationsgesetzes zur Anpassung an die neuen europäischen Vorgaben. Tatsächlich war dieser de facto eher gering. Die vorgegebenen Qualitäts- und Sicherheitsstandards wurden bereits überwiegend erfüllt. Allerdings waren diese zum Großteil lediglich in den Richtlinien der Bundesärztekammer nach § 16 Abs. 1 Nr. 3, Nr. 4, Nr. 6 TPG formuliert, die keine ausreichende Verbindlichkeit für die Richtlinienumsetzung besaßen. Aus diesem Grund hat die Normierungsdichte des Transplantationsgesetzes insbesondere in den §§ 7 Abs. 1, 9a, 9b, 10 Abs. 2, 10a, 11 Abs. 1a, Abs. 4, Abs. 5, 12 Abs. 1 S. 3, Abs. 4 S. 2 Nr. 3, Nr. 13, Nr. 14, Nr. 15 TPG sowie in den Rechtsverordnungen nach §§ 10a Abs. 4, 13 Abs. 4 TPG nicht unwesentlich zugenommen.67 Dagegen sind nennenswerte Änderungen in der Spende- und Transplantationspraxis nicht zu erwarten. Ein weitergehender Reformdruck blieb aus. Bezüglich der organisatorischen Rahmenbedingungen der regulierten Selbstregulierung wurde den Mitgliedstaaten – entgegen anfänglicher Befürchtungen68 – auf Drängen der Bundesrepublik ein recht weiträumiger Spielraum gelassen.69 Das europäische Qualitäts- und Sicherheitssystem verlangt die Benennung von zuständigen Behörden zur Durchführung festgelegter Maßnahmen (Art. 17 der Richtlinie). Mit Art. 3 lit. b der Richtlinie wurde sich für einen Behördenbegriff entschieden, der nicht nur staatliche Institutionen, sondern allgemein „Behörde(n), Stelle(n), Organisation(en) und / oder Einrichtung(en)“ erfasst, die für die Durchführung dieser Richtlinie zuständig sind. Zudem legt Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie selbst fest, dass die Mitgliedstaaten Aufgaben, die einer zuständigen Behörde gemäß der Richtlinie übertragen wurden, einer anderen Stelle übertragen können, „die gemäß den einzelstaatlichen Vorschriften als dafür geeignet befunden wurde, oder eine zuständige Behörde zu einer solchen Aufgabenübertragung ermächtigen“. Dementsprechend konnte das bis67  Vgl. schon Otto, Jura 2012, S. 745, 749; Woinikow, Richtlinien der Transplantationsmedizin, S. 369. 68  BÄK, Stellungnahme zu KOM (2007) 275 endg., S. 11; Fuchs / Hübner, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 245, 249; Richter-Kuhlmann, DÄBl 106 (2009), A-267; zur Kritik an der ursprünglichen Formulierung des entsprechenden Art. 18 der RL und der Kompromissentscheidung Liese, Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 43, 44 f. 69  Vgl. die Pressemitteilung des BMG vom 29.06.2010, abrufbar unter http: /  /  www.bmg.bund.de / presse / pressemitteilungen / 2010-02 / pressemitteilung-eu-richt linie-zur-qualitaet-und-sicherheit-von-organen-verabschiedet.html (zuletzt abgerufen am 30.06.2017); Otto, Jura 2012, S. 745, 749; Spielberg, DÄBl 107 (2010), A-1102.

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C. Die Reformen des Transplantationsgesetzes

herige Organisationssystem einer öffentlich-privaten Kooperation unter Einbeziehung der Bundesärztekammer, der Deutschen Stiftung Organtransplantation und Eurotransplant in Deutschland beibehalten werden.70 Eine breite Masse von Reformempfehlungen kam allerdings nicht von Seiten der Richtlinie, sondern von den unverbindlichen Akten der Union wie dem Aktionsplan der Kommission und der darauf folgenden Entschließung des Europäischen Parlaments. Sie boten Gelegenheit, die bisherigen Erfahrungen im Bereich der Transplantationsmedizin zu beleuchten und Neu- sowie Nachjustierungen im Gesetz vorzunehmen.71 Lange vor dem Tätigwerden der europäischen Organe wurden in der Literatur einige gravierende Schwachstellen des Transplantationsrechts bemängelt.72 Der Politik war vor allem die Zielverfehlung einer nennenswerten Steigerung der Organspenderraten ein Dorn im Auge.73 Dementsprechend wurde die Umsetzung der Richtlinie zum Anlass genommen, eine grundlegendere Reform des Transplantationsgesetzes anzugehen. Zum Zeitpunkt der Reformerarbeitung fand sich insgesamt – schon aufgrund der unterschiedlichen Interessenlagen der am Novellierungsprozess Beteiligten – ein Konglomerat von divergierenden Vorstellungen über ein neues Transplantationsgesetz. Während die ins System involvierten Akteure ihre Einflusspositionen bewahren wollten, fokussierte die medizinische Klasse vor allem auf Strategien zur Erhöhung des Spenderaufkommens und rechtlichen Grundlagen zur Ermöglichung langfristiger Transplantationserfolge.74 Die Rechtswissenschaft hingegen legte den Schwerpunkt ihrer kritischen Betrachtung zuvörderst auf eine rechtsstaatskonforme Ausgestaltung des Transplantationsrechts. Es war folglich absehbar, dass eine Reform – ganz gleich welcher Stoßrichtung folgend – nicht sämtliche Anliegen würde befriedigen können. Inwiefern ein überzeugender modus vivendi gefunden 70  Otto,

Jura 2012, S. 745, 749; Spielberg, DÄBl 107 (2010), A-1102. Otto, Jura 2012, S. 745, 749. 72  Vgl. nur Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel; Gutmann, Für ein neues Transplantationsgesetz, oder die kritische Bestandsaufnahme bei Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin in Deutschland. 73  Eine umfassende Darstellung der Situation des Transplantationswesens zehn Jahre nach Inkrafttreten des Transplantationsgesetzes findet sich im Bericht der Bundesregierung, BT-Drs. 16 / 13740; vgl. zum Bericht auch Nickel, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 9 ff.; zu den Ansichten der einzelnen Fraktionen im Bundestag siehe Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 47 ff. 74  Mit kritischem Unterton etwa zu den Forderungen der DSO im Gesetzgebungsverfahren, die ihre Teilnahme an Angehörigengesprächen sowie ihre Aufklärungsarbeit gesetzlich normiert wissen wollte, siehe Siegmund-Schultze, DÄBl 112 (2015), A-662, 664. Vgl. beispielhaft ebenfalls die Befürchtung der BÄK bzgl. einer Beeinträchtigung ihrer Richtlinienkompetenz in einer Stellungnahme zum TPG-E, S. 24. 71  Vgl.



II. Reformbedarf in Bezug auf die postmortale Organtransplantation149

wurde, soll Teil der rechtlichen sowie rechtspolitischen Analyse dieser Arbeit sein.75 Von Seiten der Bundesregierung wurde im Hinblick auf eine Reform des Transplantationsgesetzes zur Steigerung der Organspenderrate insbesondere der Aufklärung der Bevölkerung Beachtung geschenkt, die als wesentlicher Motor für die Akzeptanz der Organspende bewertet wurde. Die Bundesregierung unterstützte eine langfristige und neutrale Information der Öffentlichkeit und erkannte ferner die Wesentlichkeit des Angehörigengesprächs für den Erfolg der Organspende.76 Einen bedeutsamen Belang sah sie auch in den organisatorischen Rahmenbedingungen in den Krankenhäusern und befürwortete den Einsatz von Transplantationsbeauftragten als wesentliches Element, um die Melderate potentieller Spender zu verbessern.77 Eine Untersuchung des Meldeverhaltens der Kliniken für eine mögliche gesetzgeberische Intervention wurde von der Bundesregierung grundsätzlich begrüßt. Die Einführung einer Widerspruchslösung lehnte sie hingegen ab.78 Ebenso in den Fokus geriet die Organisation der Deutschen Stiftung Organtransplantation und deren Kontrolle durch die Überwachungskommission. Die monopolisierte Beauftragung der Koordinierungsstelle habe sich nach der Bundes­ regierung trotz gewissen – vertraglich auszugestaltenden – Konkretisierungsbedarfs bezüglich der Aufgabenwahrnehmung der Stiftung grundsätzlich ­bewährt. Ob die Notwendigkeit einer weitergehenden staatlichen Aufsicht bestehe, sei zu prüfen. Die weit verbreitete Kritik im Hinblick auf die schwach ausgeprägten Kompetenzen und Sanktionsmöglichkeiten der Überwachungskommission wurde von der Bundesregierung zumindest zur Kenntnis genommen, auch wenn diese anfangs noch eine vertragliche Ausgestaltung der Kooperationspflichten der Beteiligten für ausreichend hielt.79 Ebenso zurückhaltend äußerte sie sich in Bezug auf die gleichermaßen dürftig ausgestalteten Kompetenzen und Sanktionsmöglichkeiten der Prüfungskommission, die die Vermittlungsentscheidungen von Eurotransplant überprüft. Hier sollten nach Meinung der Bundesregierung Überlegungen angestellt werden, wie deren Arbeit ohne gesetzliche Eingriffsbefugnisse noch effektiver gestaltet werden könnte. Offen zeigte sich die Bundesregierung für die Untersuchung, ob eine weitergehende staatliche Aufsicht von Nöten sei.80 Eine grundsätzliche Reformbedürftigkeit der Beauftragung der Bun75  Zur rechtlichen Analyse siehe S.  270  ff.; zur rechtspolitischen Bewertung siehe S.  480 ff. 76  Zur Aufklärung der Bevölkerung siehe BT-Drs. 16 / 13740, S. 2, 27 ff.; zum Angehörigengespräch siehe BT-Drs. 16 / 13740, S. 3, 34 ff. 77  Zur Rolle der Krankenhäuser siehe BT-Drs. 16 / 13740, S. 8 ff., 54 ff. 78  Zur Widerspruchslösung siehe BT-Drs. 16 / 13740, S. 2 f., 38. 79  Zur Koordinierungsstelle siehe BT-Drs. 16 / 13740, S. 4 ff., 42 ff. 80  Zur Vermittlungsstelle siehe BT-Drs. 16 / 13740, S. 10 ff., 65 ff.

150

C. Die Reformen des Transplantationsgesetzes

desärztekammer mit der Erstellung von Transplantationsrichtlinien sah die Regierung nicht. Sie hielt hierzu lediglich einen Prüfungsbedarf dahingehend fest, ob konkretere gesetzliche Vorgaben und ein Genehmigungsvorbehalt erfolgen sollten.81 Andere Stimmen, insbesondere aus der Wissenschaft, gingen bei ihrer Analyse des Reformbedarfs wesentlich weiter und verlangten zum Teil eine „grundlegende Neukonzeption“82 des Transplantationsrechts. Im Fokus der Novellierungsdiskussion stand vor allem die Polarisierung der Widerspruchslösung, die entweder energisch gefordert oder vehement abgelehnt wurde. Einig war man sich allerdings bezüglich eines Engagements zur Erhöhung der Melderate durch die Krankenhäuser, wobei indes die Art eines erfolgsversprechenden Vorgehens umstritten war. Als wesentliche Determinante im Reformprozess wurde eine Verbesserung der strukturellen Ausgestaltung des Transplantationssystems samt effizienterer Kontrolle von den am Transplantationsprozess Beteiligten identifiziert. Institutionell im Fadenkreuz der Kritik befanden sich insbesondere die Vermittlungsstelle Eurotransplant, deren Beauftragung weithin als verfassungswidrig gegeißelt wurde, sowie die Bundesärztekammer, deren weitreichende Richtlinienkompetenz ohne konkrete gesetzliche Vorsteuerung vermehrt ebenso als grundgesetzwidrig galt. Eine verbesserte Steuerungsleistung von Seiten des Gesetzgebers wurde überdies im Bereich der recht spartanisch geregelten Organverteilungsvorgaben verlangt; auch wenn ihre genaue inhaltliche Ausgestaltung höchst umstritten war und noch immer ist. Eine Regelungslücke bestand im Hinblick auf das Rechtsschutzsystem des Transplantationssektors. In der Vergangenheit hat dieses Normierungsversäumnis mehrfach zu Hürden für Rechtsschutzsuchende geführt, sodass die Installation eines diesbezüglichen Reglements als zentrale Forderung im Fokus der Reformbeobachter stand. Eher weniger im Schlaglicht der Debatte stand die Diskussion um das Hirntodkriterium. Sie wurde zwar nach dem Erlass des Transplantationsgesetzes durchaus angeregt geführt; eine Änderung des Todesverständnisses in Richtung einer Verengung der Definition auf den Herz-Kreislaufstillstand wurde jedoch lediglich vereinzelt vorgeschlagen, geschweige denn, dass der Verzicht einer Organexplantation bei Hirntoten verlangt wurde. Ebenso nicht auf der Agenda stand das Problem der organprotektiven Maßnahmen vor der Feststellung des Hirntodes, das erst nach der Reform mittlerweile langsam ins Bewusstsein der Öffentlichkeit dringt.

81  Siehe

BT-Drs. 16 / 13740, S. 13 f. in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 17; vgl. ebenso die kritische Bestandaufnahme bei Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin in Deutschland. 82  Gutmann,



III. Die Gesetzesnovellierung151

III. Die Gesetzesnovellierung Bei der Verabschiedung des Transplantationsgesetzes im Jahre 1997 stand die Schaffung eines Rechtssicherheit versprechenden gesetzlichen Rahmens für die Organspende und -transplantation im Vordergrund, der gleichzeitig eine Steigerung der Spenderrate bewirken sollte. Damals betrat der Gesetzgeber bei seiner Normierung juristisches sowie ethisches Neuland. Fünfzehn Jahre nach seinen ersten Gestaltungen im Bereich des Transplantationswesens hat sich ein Reformbedarf – recht einhellig – als überfällig erwiesen. In Anbetracht des langwierigen Gesetzgebungsprozesses in den neunziger Jahren war auch mit strapaziösen Debatten im Novellierungsverfahren zu rechnen. Haben die Vorgängerregierungen diese noch vermieden, mussten in der 17.  Legislaturperiode Neuregelungen zur Umsetzung der RL  2010 / 53 / EU getroffen werden, die nach Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie bis zum 27. August 2012 erfolgen sollten. An einer Reform bestand nun kein Vorbeikommen mehr. Sie war mit hohen Erwartungen von Seiten der Praxis, aber auch der Wissenschaft verbunden, was den Druck auf die Politik erhöhte. Dieser zeigte sich im Verlauf der Reform (1.) vor allem durch eine sehr frühzeitige Hinzuziehung externer Sachverständiger. Inhaltlich nahm die Politik vor allem organisatorische Veränderungen im Transplantationswesen vor und ­ führte ferner Regelungen zur Förderung der erklärten Spendebereitschaft der Bevölkerung ein (2.). 1. Verlauf der Reform in Deutschland Anlässlich der erforderlichen Anpassungen des Transplantationsgesetzes an die Richtlinienvorgaben legte die Bundesregierung noch im Frühjahr 2011 einen Gesetzesentwurf zur Änderung des Gesetzes vor.83 Seine Stoßrichtung lag in der 1:1 Umsetzung der RL 2010 / 53 / EU, ohne das etablierte Transplantationssystem in Frage zu stellen. Weitergehende Debatten um Gestaltungsoptionen sollten auf dem politischen Parkett des anschließenden Gesetzgebungsverfahrens ausgetragen werden.84 Die Erarbeitung einer Modifikation der Zustimmungslösung wurde Teil eines eigenen Gesetzesentwurfs „Gesetz zur Regelung der Entscheidungslösung im Transplantationsgesetz“, das neben das „Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes“ trat.85 Es wurde frak­ tionsübergreifend von 222 Abgeordneten eingebracht und vom Ausschuss für Gesundheit in seiner Beschlussempfehlung maßgeblich befürwortet.86 83  BT-Drs.

17 / 7376. Otto, Jura 2012, S. 745, 749. 85  BT-Drs. 17 / 9030. 86  BT-Drs. 17 / 9774. 84  Vgl.

152

C. Die Reformen des Transplantationsgesetzes

Im Bundestag erfolgte die erste Lesung samt ausführlicher Aussprache beider Gesetzentwürfe in seiner 168. Sitzung am 22. März 2012.87 Entgegen den üblichen Gegebenheiten entschied man sich innerhalb der Fraktionen – insbesondere mit Blick auf die Änderung des Zustimmungsmodus – sehr frühzeitig für ein geschlossenes Vorgehen. Konkurrierende Anträge sollten nach Ansicht der Parlamentarier vermieden werden.88 Vom außerdem üb­ lichen Entstehungsverfahren eines Parlamentsgesetzes wurde darüber hinaus abgewichen, indem vor der Einreichung von Anträgen bereits Experten des Transplantationswesens gehört wurden, während gewöhnlich zunächst Anträge oder Entwürfe aus der Mitte des Bundestages in die Diskussion eingebracht werden. Erst anschließend lädt der für das Gesetz federführende Ausschuss gemeinhin externe Experten zu einer Anhörung. Nachfolgend beraten die Fachleute der Fraktionen und schließlich das Parlament. Bei der Reform des Transplantationsgesetzes wurden jedoch noch vor der ersten Lesung im Bundestag am 8. Juni 2011 sowie am 29. Juni 2011 Expertenanhörungen im federführenden Ausschuss für Gesundheit abgehalten, da ein erheblicher Beratungsbedarf bestand und die „sehr grundsätzliche Debatte […] nicht mit kleinkarierten, parteipolitischen Festlegungen beginnen [sollte].“89 Folglich wurden Strukturänderungen des Transplantationsgesetzes ebenso wie mögliche Zustimmungsmodi zur Organspende zunächst von Experten thematisiert. Ein entscheidender Impetus zur Änderung des Transplantationsgesetzes aus dem politischen Milieu kam nachfolgend von Seiten des Bundesrates, der in seiner Stellungnahme vom 23. September 2011, über die Umsetzung der Richtlinienvorgaben hinaus, die Zustimmungslösung in ein Erklärungsmodell (ähnlich der heutigen Entscheidungslösung) wandeln wollte, eine Stärkung der Stellung des im Regierungsentwurf vorgesehenen Transplantationsbeauftragten sowie Verbesserungen der Transparenz des Zustandekommens der Bundesärztekammer-Richtlinien vorschlug.90 Die Beschlussempfehlung des Gesundheitsausschusses griff diese Reformvorschläge maßgeblich auf.91 Am 25. Mai 2012 führte der Bundestag die zweite und dritte Lesung der Gesetzesentwürfe durch, die nach einer knapp zweistündigen ­ Debatte unter Ausschluss des Fraktionszwangs mit großer parteiübergreifender Mehrheit angenommen wurden. Die Gesetzesentwürfe passierten am 87  Vgl.

Plenarprotokoll 17 / 168. zu dem Entschluss, einen gemeinsamen Antrag zur Entscheidungslösung einzubringen siehe die Bewertung der Kompromissentscheidung im rechtspolitischen Teil der Arbeit, S. 523 ff. 89  So der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier im DÄBl 108 (2011), A-442; vgl. auch DÄBl 108 (2011), A-1509. 90  Vgl. Anlage 3 zu BT-Drs. 17 / 7376 sowie schon Otto, Jura 2012, S. 745, 749. 91  BT-Drs. 17 / 9773. 88  Näher



III. Die Gesetzesnovellierung153

15. Juni 2012 den Bundesrat, ohne dass dieser den Vermittlungsausschuss anrief. Das Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes (TPGÄndG) wurde am 21. Juli 2012 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht und trat am 1. August 2012 in Kraft.92 Die Veröffentlichung des Gesetzes zur Regelung der Entscheidungslösung im Bundesgesetzblatt erfolgte am 12. Juli 2012 und es trat am 1. November 2012 in Kraft.93 2. Inhalt und Zielsetzung der Reform des postmortalen Transplantationsrechts Die Reform des Transplantationswesens stand für die Politik vor allem unter dem allgegenwärtigen Eindruck des Organmangels. Sie verfolgte mit dem TPGÄndG und dem Gesetz zur Einführung der Entscheidungslösung zwei zu unterscheidende Stoßrichtungen, die jedoch beide mit der Bekämpfung der Mangelsituation im Zusammenhang standen. Während die eine Gesetzesänderung die strukturell-organisatorischen Rahmenbedingungen der Transplantation in den Fokus nahm, konzentrierte sich das andere Vorhaben auf eine Steigerung der Bereitschaft zur Organspende in der Bevölkerung. Beide Vorstöße sollen hier in Kürze dargestellt werden. Eine genaue Analyse der Neuregelungen bleibt allerdings der rechtlichen und rechtspolitischen Bewertung vorbehalten.94 Das TPGÄndG stand vor allem unter dem Stern der Richtlinienumsetzung zur Schaffung von einheitlichen Qualitäts- und Sicherheitsstandards in der Europäischen Union. Diese Anpassung erforderte jedoch keine grundlegenden Strukturveränderungen des deutschen Transplantationssystems. Die notwendigen punktuellen Veränderungen des Gesetzes wurden dennoch zum Anlass genommen, insgesamt organisatorische Modifikationen vorzunehmen, die im Mittelpunkt des Gesetzes zur Änderung des Transplantationsgesetzes standen. Laut dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung95 nahm insbesondere die zentrale Verankerung der Aufgaben der Entnahmekrankenhäuser und die damit verbundene Betonung ihrer Signifikanz im Transplantationsprozess eine entscheidende Rolle ein (vgl. § 9, 9a TPG). Flankiert wurde die Normierung von der Verpflichtung zur Schaffung von Transplantationsbeauftragten, von deren Tätigkeit sich der Gesetzgeber eine Optimierung der Koordinierung der Organspende innerhalb des Krankenhauses und in der Folge eine 92  Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes vom 21.07.2012, BGBl. I S. 1601 (Nr. 35). 93  Gesetz zur Regelung der Entscheidungslösung im Transplantationsgesetz vom 12.07.2012, BGBl. I S. 1504 (Nr. 33). 94  Vgl. dazu S. 270 ff. und S. 480 ff. 95  Vgl. BT-Drs. 17 / 7376.

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C. Die Reformen des Transplantationsgesetzes

Steigerung der Melderate für potentielle Organspender erhoffte (vgl. § 9b TPG). Auf diese Weise sollten organisatorisch vorteilhaftere Voraussetzungen zur Erhöhung der Spenderzahlen geschaffen werden. Des Weiteren wurde die zentrale Stellung der Koordinierungsstelle Deutsche Stiftung Organtransplantation im Gesetzesentwurf herausgestellt und weiter gestärkt, indem ihr wesentliche Kompetenzen zur Sicherstellung der europäischen Qualitäts- und Sicherheitsstandards übertragen wurden; gleichzeitig wurden im Gegenzug die Kontrolle der Koordinierungsstelle und deren Transparenz verbessert, indem ihre Überwachung durch die Auftraggeber nun gesetzlich näher geregelt sowie der Stiftung Haushalts- Rechenschafts- und Geschäftsberichtspflichten auferlegt wurden (vgl. § 11 TPG). Ebenso in diese organisatorische Kontroll- und Transparenzinitiative mit einbezogen wurde die Vermittlungsstelle Eurotransplant (vgl. § 12 TPG). Zusätzlich sahen sich auch die Ent­ nahmekrankenhäuser und Transplantationszentren mit neuen Kooperationsverpflichtungen konfrontiert (vgl. §§ 11 Abs. 3 S. 5, 12 Abs. 5 S. 5 TPG). Schließlich blieb ebenso die Bundesärztekammer nicht vor den Reformbemühungen verschont und erhielt erweiterte Auflagen für ihre Richtlinienerstellung, die insbesondere die Einbeziehung von Sachverständigen der beteiligten Fach- und Verkehrskreise sowie der Landesbehörden vorsahen (vgl. § 16 Abs. 2 TPG). Das Gesetz zur Einführung der Entscheidungslösung fokussiert sich gänzlich auf eine optimalere Ausschöpfung der Spendebereitschaft in der Bevölkerung zur Erhöhung der Transplantationszahlen (vgl. § 2 TPG). Durch eine gezielte, formalisierte und regelmäßige Information soll der Bürger in die Lage versetzt werden, sich mit seiner eigenen Spendebereitschaft aktiv zu befassen sowie eine informierte und unabhängige Entscheidung zu treffen. Im Zuge dessen wurden die allgemeinen Aufklärungspflichten konkretisiert und dahingehend ergänzt, dass jeder Bürger ausdrücklich aufgefordert wird, eine Entscheidung zur Organspende abzugeben. Insbesondere die Krankenkassen und die privaten Krankenversicherungsunternehmen werden bei der Informationskampagne in die Pflicht genommen. Ziel ist es, die „technischen und datenschutzrechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass in einer zweiten Stufe die Versicherten freiwillig für die Dokumentation der Erklärung zur Organ- und Gewebespende auf der elektronischen Gesundheitskarte auch die Unterstützung der Krankenkassen in Anspruch nehmen können“.96

96  BT-Drs.

17 / 9030, S. 14.



IV. Nachjustierungen im Jahre 2013155

IV. Nachjustierungen im Jahre 2013 – politische Folgen des Manipulationsskandals Tatsächlich geriet die Novellierung des Transplantationsgesetzes in der öffentlichen Wahrnehmung alsbald in den Hintergrund. Im Sommer des Reformjahres erschütterten Manipulationshandlungen die gesamte Trans­ ­ plantationsmedizin, die bald unter der Bezeichnung „Organspendeskandale“ eine lebhafte Mediendiskussion entfachten.97 Die wissenschaftliche Literatur kommt um eine Begutachtung der Vorkommnisse ebenfalls kaum vorbei, haben diese doch handfeste Auswirkungen nicht nur auf die Spenderzahlen, sondern zugleich auf relevante Strukturentscheidungen innerhalb der Transplantationsmedizin gehabt. Im Folgenden sollen deshalb die Manipulationsvorwürfe (1.) im Rahmen des Skandals sowie ihre Konsequenzen (2.) beleuchtet werden. 1. Manipulationsvorwürfe an diversen Transplantationszentren Die Debatte begann im Sommer 2012 mit dem Bekanntwerden von Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen den früheren Leiter der Transplantationschirurgie am Universitätsklinikum Göttingen. Zuvor hatte es im November 2011 einen anonymen Anruf bei der Deutschen Stiftung Organtransplantation gegeben, der kriminelle Machenschaften in der Göttinger Klinik beschrieb. Die Nachricht wurde an die Ständige Kommission Organtransplantation bei der Bundesärztekammer weitergeleitet, an der die zuständigen Kontrollgremien angegliedert sind. Tatsächlich ergaben sich bei der Überprüfung der Unterlagen des Transplantationszentrums Ungereimtheiten.98 Während frühere Unregelmäßigkeiten nur kurzzeitig im medialen Interesse standen,99 lösten die Untersuchungen in Göttingen ein Lauffeuer kritischer Berichterstattungen aus, die zumindest teilweise reißerische 97  Eine ausführliche Berichterstattung findet sich bei der SZ, http: /  / www. sueddeutsche.de / thema / Organspende-Skandal (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). Der Begriff „Organspendeskandal“ ist missverständlich, da die Unregelmäßigkeiten nicht im Bereich der Spende, sondern vielmehr bei der Vergabe von Organen stattfanden; es wird im Folgenden daher von „Manipulationsskandalen“ gesprochen. 98  Vgl. zum Bekanntwerden des Skandals DÄBl 109 (2012), A-1534. 99  Schon Jahre vor den aktuellen Skandalen wurde der Essener Transplantationsmediziner Christoph Broelsch im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit vom Landgericht Essen wegen Bestechlichkeit, Nötigung, Betrug und Steuerhinterziehung zu drei Jahren Haft verurteilt (Az. 56 KLs 20 / 08). Andere Vorfälle, wie die „Niere auf dem kleinen Dienstweg“, die die Ehefrau eines Verstorbenen Spenders erhalten hat, weil sie ihre Transplantation zur Bedingung ihrer Zustimmung zur Organentnahme gemacht hat, verschwanden nach kurzzeitiger Berichterstattung wieder aus dem Bewusstsein der Bevölkerung, näher zu diesem Fall siehe S. 560.

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C. Die Reformen des Transplantationsgesetzes

Züge annahmen.100 Dem betreffenden Arzt aus Göttingen wurde vorgeworfen, in mehreren Fällen Krankenakten manipuliert zu haben, um seinen Pa­ tienten aufgrund falscher Angaben schneller zu einer Spenderleber zu verhelfen. Indem er Patienten mit alkoholinduzierter Leberzirrhose ohne Einhaltung der mindestens sechsmonatigen Alkoholabstinenz in die Warteliste aufgenommen habe, habe er die zur Tatzeit gültigen Richtlinien der Bundesärztekammer verletzt. Zudem habe er in Wahrheit nicht durchgeführte Nieren­ ersatztherapien in einigen Patientenakten angegeben. Seine Patienten rückten in der Folge auf ihnen nicht zustehende höhere Listenplätze. Dadurch seien andere Wartelistenkandidaten – möglicherweise sogar todbringend – benachteiligt worden, die eigentlich zum Zuge gekommen wären. Zudem wären nicht alle in Göttingen vorgenommenen Transplantationen medizinisch indiziert gewesen; eine konventionelle Therapie hätte in einigen Fällen möglicherweise bessere Erfolge erzielt. Drei Patienten seien infolge solcher nicht indizierter Transplantationen verstorben. Die Vorstellungen einer effektiven Missbrauchsabwehr durch das „Trennungssystem“ der Transplantationsmedizin, die eine rechtswidrige Bevorzugung einzelner Patienten durch die Transplantationszentren als „kaum mehr vorstellbar“101 erscheinen ließ, wurden damit eindrucksvoll widerlegt. Der Skandal um die Manipulation der Wartelistendaten weitete sich aus, als bekannt wurde, dass sich auch im Regensburger Uniklinikum, in dem der betreffende Arzt vorher angestellt war, Unregelmäßigkeiten ereignet hatten. Ebenso schien in anderen Zentren eine zuverlässige Einhaltung der in den Richtlinien der Bundesärztekammer festgelegten Reglementierungen nicht gesichert. Nachdem zunächst noch Leipzig,102 München rechts der Isar und Münster in den Fokus der Ermittlungen geraten waren, galt das bald auch für 100  Vgl. nur die kontinuierliche Berichterstattung der SZ und anderer großer Tageszeitungen. Im Zusammenhang mit den Manipulationen wurde immer wieder über das „blutige Geschäft“ eines illegalen Organhandels und über Marktpreise für Organe berichtet, vgl. nur http: /  / www.focus.de / politik / ausland / illegaler-organhandel-dasblutige-geschaeft-mit-nieren-herzen-und-lebern_aid_796215.html; http: /  / www.bild. de / news / inland / organspende / ein-herz-kostet-180000-euro-25541244.bild.html (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). Hinzu kamen Klagen über die „Tricks“, mit denen Chirurgen an Spenderorgane kämen, vgl. http: /  / www.sueddeutsche.de / gesundheit /  organspende-skandal-mit-welchen-tricks-chirurgen-an-spenderorgane-gelangen-1. 1437277 (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 101  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 170; ebenso beschrieb der Transplantationsmediziner Eckard Nagel die Transplantationsmedizin im Vorfeld der Reform aus dem Jahre 2012 noch als unvergleichlich „transparent und nachvollziehbar“, sodass „die Diskussion über Willkür, über fehlende oder falsche Zuteilungen“ eine „völlig irrelevante Diskussion“ darstelle, vgl. das Wortprotokoll der 46. Sitzung des Ausschusses für Gesundheit vom 29.06.2011, Protokoll 17 / 46, S. 25 f. 102  Zu den getroffenen Maßnahmen in Leipzig vgl. die Unterrichtung der Bundesregierung BT-Drs. 18 / 3566, S. 11.



IV. Nachjustierungen im Jahre 2013157

das Herzzentrum in Berlin, bei dem die Staatsanwaltschaft im August 2014 einen Anfangsverdacht wegen fahrlässiger Tötung in mehreren Fällen bekanntgegeben hat.103 Im Herbst 2015 wurden zudem Ungereimtheiten am Herzzentrum Heidelberg bekannt, an dem die behandelnden Ärzte einer erheblichen Zahl ihrer Patienten absichtlich herzmuskelstärkende Medikamente vorenthalten haben sollen, um sie auf der Warteliste zu bevorzugen.104 Ein Jahr später, im Oktober 2016, rückte das Lungentransplantationsprogramm des Hamburger Universitätsklinikums Eppendorf ins Visier staatsanwaltlicher Ermittlungen.105 Weitere Meldungen über systematische Richtlinienverstöße und Manipulationen wurden fester Bestandteil der regelmäßigen Bericht­ erstattung.106 Die Vorfälle warfen massive Bedenken über die Selbstkontrolle der Kliniken auf, die in der Öffentlichkeit zu einem rapiden Vertrauensverlust in die Transplantationsmedizin führten.107 Seit den ersten Vorkommnissen befanden sich die Spenderzahlen bis ins Jahr 2015 im dramatischen Sinkflug.108 Im Jahr 2014 lag die Zahl der Organspender in Deutschland bei einem historischen Tief von 864 Spendern.109 Erst im ersten Halbjahr 2015 war eine leichte Trendwende zu spüren.110 Doch am Ende des Jahres konnten trotzdem lediglich 877 Spender verzeichnet werden, sodass sich Deutschland mittlerweile beinahe zum Schlusslicht 103  Vgl. die Berichterstattung des Deutschen Ärzteblatts http: /  / www.aerzteblatt. de / nachrichten / 59842 / Deutsches-Herzzentrum-bei-Organspenden-unter-Manipulati onsverdacht (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 104  Vgl. die Berichterstattung des Deutschen Ärzteblatts http: /  / www.aerzteblatt. de / nachrichten / 64490 / Uniklinik-Heidelberg-gibt-Manipulationen-bei-Herztrans plantationen-zu (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 105  Vgl. die Berichterstattung des Deutschen Ärzteblatts https: /  / www.aerzteblatt. de / nachrichten / 71446 / Lungentransplantationen-Ermittlungen-an-Hamburger-Unikli nik (zuletzt abgerufen am 28.12.2016). 106  Zu den Berichten der Überprüfungen vgl. folgend die Reaktionen in Politik und Praxis S. 161 ff. 107  Eine Umfrage des Gesundheitsmonitors belegt den negativen Einfluss des Organspendeskandals auf das Vertrauen der Bevölkerung. Lediglich 19 % der Befragten hatte laut der Umfrage Vertrauen in die Regeleinhaltung bei der Vergabe von Spenderorganen, während sich im Jahre 2011 noch mehr Teilnehmer auf die Transplantationsmedizin verlassen hatten, Ahlert / Schwettmann, Gesundheitsmonitor 2013, S. 63, 70, 83 f. 39 % der befragten Nichtausweisbesitzer gaben an, dass ihre Spendebereitschaft durch die Regelverletzungen abgenommen hat; bei Ausweisinhabern waren es 9 %, S.  78. 108  Vgl. Bernsmann / Sickor, in: Höfling (Hrsg.), TPG, Nachtrag 2013, §  19 Rn.  107 ff. 109  DSO, Jahresbericht 2014, S. 46. 110  Vgl. die Berichterstattung des Deutschen Ärzteblatts, http: /  / www.aerzteblatt. de / nachrichten / 63596 / Zahl-der-Organspender-erstmals-wieder-gestiegen (zuletzt abgerufen am 30.06.2017).

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C. Die Reformen des Transplantationsgesetzes

in Europa entwickelt hat.111 Bei einer Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung haben ein Jahr nach Bekanntwerden der Manipulationen 19 % der Befragten angegeben, ihre Meinung zur Organspende schon einmal geändert zu haben, wobei 37 % von ihnen dies auf Grund des aktuellen Skandals getan haben.112 Zum Beleg einer Verunsicherung der Bevölkerung wird zudem die Zustimmungsrate der Angehörigen angeführt. Während 2012 noch 61,2 % der Angehörigen nach einem Gespräch im Krankenhaus einer Organspende zustimmten, waren es Ende des Jahres 2013 nur 58 %.113 Dies bedeutet jedoch nur einen leichten Rückgang des Angehörigenzuspruchs. Viel wesentlicher dürfte sich die Zurückhaltung des Krankenhauspersonals nach den Skandalen ausgewirkt haben. Die Zahl der potentiellen Spender, die von den Krankenhäusern gemeldet wurden reduzierte sich in den Jahren 2012 und 2013 nicht unwesentlich, was sich auch auf die Anzahl der überhaupt geführten Angehörigengespräche ausgewirkt hat.114 Auf allen Seiten – in Kliniken, bei den betroffenen Angehörigen und in der gesamten Bevölkerung – war ein Klima der Verunsicherung spürbar geworden, das nach dringender Reaktion verlangte. Frappierend erscheint die Tatsache, dass die zuständige Kommission der Bundesärztekammer bereits im Jahre 2005 bei dem Göttinger Transplantationschirurgen einen gravierenden Regelverstoß festgestellt hat; staatliche Reaktionen auf den Bericht der Kommission blieben jedoch aus.115 Von Seiten der Bundesärztekammer wurde daher von einem Umsetzungs- und nicht von einem Ermittlungsdefizit gesprochen.116 Durch die jüngsten Ereignisse wurden nun aber auch staatliche Stellen involviert. Dieser Umstand kann die 111  Vgl. die Berichterstattung des Deutschen Ärzteblatts, http: /  / www.aerzteblatt. de / nachrichten / 64551 / Mangel-an-Spenderorganen-haelt-an (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). Nur Luxemburg weist mit 7,3 Organspenden pro Million Einwohnern im Jahr 2015 ein noch schlechteres Ergebnis aus, DSO, Jahresbericht 2015, S. 58. 112  Vgl. die Befragung der BZgA von 2013, S. 36, abrufbar unter: https: /  / www. organspende-info.de / sites / all / files / files / Bericht-Studie-Organ- %20und %20Geweb spende-2012(1).pdf http: /  / www.organspende-info.de / sites / all / files / files / files / Rep Befragung_Bericht_final.pdf (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 113  Richter-Kuhlmann, DÄBl 110 (2013), A-2255. 114  Ebda., A-2255. Einen Rückgang der Bereitschaft des Klinikpersonals zur Konfrontation der Angehörigen nimmt auch Breyer, in: Haarhoff (Hrsg.), Organversagen, S. 27, 38 an. Eine grundsätzlich verbreitete Zögerlichkeit im medizinischen Personal auch schon vor den Skandalen bemerkt J. Müller, Ärzte und Pflegende, die keine Organe spenden wollen, S. 90 ff. 115  Im Jahr 2005 wurde eine im ET-Verbund entnommene Leber für eine in Regensburg gemeldete Patientin nach Jordanien geflogen, vgl. DÄBl 109 (2012), A-1534; DÄBl 110 (2013), A-195; näher zu den bisherigen Kontrolldefiziten siehe S.  560 ff. 116  Vgl. DÄBl 109 (2012), A-2454.



IV. Nachjustierungen im Jahre 2013159

Bedenken gegen die Effizienz des Überwachungssystems der Transplantationsmedizin jedoch nicht mehr zerstreuen.117 2. Die Konsequenzen der Skandale Aufgrund der sich häufenden Vorkommnisse sahen sich sowohl die Politik als auch die an der Transplantationsmedizin Beteiligten zum Handeln gezwungen, um in Zukunft einen ordnungsgemäßen Ablauf der Vergabeprozesse gewährleisten zu können. Es folgten pointierte Absichtserklärungen (a)) sowie repressives Vorgehen sowohl der Selbstverwaltungskörperschaften als auch der staatlichen Stellen (b)). Beteiligte Institutionen (c)) sowie das Transplantationsrecht (d)) wurden umstrukturiert. Eine grundlegende Neuausrichtung des Systems blieb jedoch aus (e)). a) Absichtserklärungen aus Politik und Praxis Das Bundesgesundheitsministerium hat dem Organspendeskandal zügig hohe Priorität eingeräumt. Der ehemalige zuständige Minister, Daniel Bahr, berief Ende August 2012 ein Krisentreffen ein. Eingeladen waren der Spitzenverband der Krankenkassen, die Deutsche Krankenhausgesellschaft, die Deutsche Stiftung Organtransplantation, die Stiftung Eurotransplant, die Deutsche Transplantationsgesellschaft, die Bundesärztekammer, die ständige Kommission Organtransplantation sowie die Überwachungs- und Prüfungskommission. Produkt des Treffens war das Maßnahmenpapier „Kontrolle stärken, Transparenz schaffen, Vertrauen gewinnen“, in dem ein Katalog von Sofortmaßnahmen vereinbart wurde.118 Neben der Gewährleistung einer offenen Aufklärung der Vorfälle sollten unabhängige ärztliche Entscheidungen durch die Vermeidung von Fehlanreizen im Hinblick auf die Durchführung von Transplantationen gefördert werden.119 Auch Umstrukturierungen bei der Deutschen Stiftung Organtransplantation sowie das Qualitätsmanagement waren Thema. Schon zuvor hatten die Auftraggeber der Koordinierungsstelle eine gemeinsame Stellungnahme 117  Die Frage einer ordnungsgemäßen Überwachung stellt sich insbesondere vor dem Hintergrund der Beauftragung privatrechtlicher Institutionen, wie der DSO und Eurotransplant. Auf diese Akteure wird im Rahmen der rechtlichen Bewertung des deutschen Transplantationssystems noch näher eingegangen, siehe S. 390 sowie S. 400. 118  Abrufbar unter: http: /  / www.bundesaerztekammer.de / downloads / Massnahmen katalog_Transplantationsmedizin_27082012.pdf (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 119  Für die Beendigung finanzieller Anreize sollte die Deutsche Krankenhausgesellschaft sorgen, vgl. BT-Drs. 17 / 13897, S. 3; näher zu den getroffenen Regelungen die Unterrichtung der Bundesregierung BT-Drs. 18 / 3566, S. 15 f.

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C. Die Reformen des Transplantationsgesetzes

abgegeben: „Mehr Transparenz und effizientere Kontrolle in der Trans­ plantationsmedizin“.120 Die weiteren Vorgehensweisen sollten in jedem Fall verdachtsunabhängige Kontrollen der Transplantationszentren sowie eine ­intensivere Berichterstattung sicherstellen. Zugleich wurde die Errichtung eines nationalen Transplantationsregisters wieder auf die politische Agenda gesetzt. Dessen Ziel ist es, die transplantationsmedizinischen Daten zusammenzuführen, was zu neuen Erkenntnissen führen soll, die zu einer Verbesserung und Weiterentwicklung der transplantationsmedizinischen Versorgung in Deutschland und zur Erhöhung der Transparenz beitragen können.121 Zur Klärung der Detailfragen wurde ein Gutachten in Auftrag gegeben. Es kam zu dem Schluss, dass eine mangelnde Verfügbarkeit von Daten ebenso wie Doppeldokumentationen und mangelnde Transparenz das Transplantationssystem nicht unerheblich belasten. Eine Verbesserung des Dokumentations- und Datenflusssystems lasse daher positive Effekte für alle Bereiche des Transplantationswesens erwarten.122 Dieses Ergebnis nahm die Bundesregierung im Jahre 2014 zum Anlass, die Errichtung eines Transplantationsregisters noch für die 18. Legislaturperiode anzukündigen.123 Zum Ende des Jahres 2015 wurde das Gesetzgebungsverfahren mit einem Referentenentwurf aufgenommen, der einen Vertragsschluss innerhalb der Strukturen der Selbstverwaltung vorsah, durch den die Aufgabe der Errichtung und des Betriebs des Registers an eine geeignete Einrichtung übertragen werden soll.124 Nach der Verabschiedung des Gesetzes im Juli

120  Abrufbar unter: http: /  / www.bundesaerztekammer.de / aerzte / medizin-ethik /  transplantationsmedizin / erklaerung / gemeinsame-erklaerung /  (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 121  Vgl. die Berichterstattung des Deutschen Ärzteblatts, abrufbar unter: http: /  / www.aerzteblatt.de / dossiers / organspende?nid=65570 (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 122  Das Gutachten ist abrufbar unter: http: /  / www.bmg.bund.de / fileadmin /  dateien / Publikationen / Gesundheit / Bericht / BMG-TxReg-Gutachten_140808c.pdf (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). Laut Bundesregierung dient das Transplantationsregister der Zielsetzung, eine Datenharmonisierung und Effizienzsteigerung bei der Dokumentation, die Verfügbarkeit der Daten und Validität, die Transparenz im Organspendeprozess, die Verbesserung der Qualität in der transplantationsmedizinischen Versorgung, die Weiterentwicklung der Wartelistenkriterien und Allokationsregeln sowie den Zugang zu den Daten für die wissenschaftliche Forschung zu ermöglichen, vgl. BT-Drs. 18 / 7269, S. 19. 123  Vgl. die Unterrichtungen der Bundesregierung BT-Drs. 18 / 3566, S. 16 sowie BT-Drs. 18 / 7269, S. 19. 124  Der Referentenentwurf ist abrufbar unter: http: /  / www.aok-gesundheitspartner. de / imperia / md / gpp / bund / krankenhaus / gesetzgebung / referentenentw_txreg_ 081215.pdf (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). Die BÄK hat dem Referentenentwurf bereits uneingeschränkt begrüßt, vgl. ihre Stellungnahme, abrufbar unter: http: /  / www.



IV. Nachjustierungen im Jahre 2013161

2016 ist es am 1. November 2016 in Kraft getreten.125 Der Aufbau der Datenbank liegt nun in den Händen der Krankenkassen, der Bundesärztekammer und der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Von der Praxis wird ein Transplantationsregister grundsätzlich sehr begrüßt,126 auch wenn unterschiedliche Auffassungen zu Umsetzungsdetails bestehen.127 Ein weiterer Begutachtungsauftrag sollte die gesetzlichen Regelungen zur Organ- und Gewebespende untersuchen, um möglichen Änderungsbedarf, insbesondere im Bereich der straf-, ordnungswidrigkeits- und berufsrechtlichen Sanktionen, aufzuzeigen. Bezüglich solcher Maßnahmen zeigte sich das Gutachten jedoch zurückhaltend. Als naheliegende Regelungsoption nannte es die Stärkung der selbstregulativen Kontrolle, deren Responsivität und Transparenz erhöht werden müsse.128 Insgesamt schlugen die unterschiedlichen Stellungnahmen und Vorstöße alle in dieselbe Kerbe. Sie wollten durch transparent gestaltete Kontrollen und eine effiziente Aufklärung von Fehlentwicklungen das verloren gegangene Vertrauen in die Transplantationsmedizin zurückgewinnen. Über den diesbezüglichen Stand der Dinge sollte die Bundesregierung in den kommenden drei Jahren jährlich einen Bericht vorlegen. b) Erste selbstverwaltete und staatliche Reaktionen Mittlerweile sind umfassende Berichte der Prüfungs- und Überwachungskommission über die Tätigkeit der Transplantationszentren in den Jahren

bundesaerztekammer.de / presse / pressemitteilungen / news-detail / baek-begruesst-refe rentenentwurf-des-bmg /  (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 125  BT-Drs. 18 / 8209. 126  Vgl. Klinkhammer / Siegmund-Schultze, DÄBl 111 (2014), A-581  f.; für eine umfassende Datenerfassung und -analyse zur konsequenten Weiterentwicklung der Allokationskriterien auch Otto, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 149 ff.; Rahmel, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 127, 144; ders., in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Förderung der Organspende, S. 13, 24. Zum Beitrag des Transplantationsregisters zur qualitativen Infrastruktur der Transplantationsmedizin in Deutschland siehe Çalışkan, MedR 2014, S. 632 ff. 127  Vgl. die Expertenanhörung im Gesundheitsausschuss Protokoll-Nr. 18 / 78. 128  Das Gutachten von Augsberg ist abrufbar unter: http: /  / www.bmg.bund.de / file admin / dateien / Downloads / O / Organspende / Gutachten_Manipulationsskandal / 1311 25_Augsberg_Gutachten_TPG_Endfassung_ueberarbeitet_von_BMG_abgenommen. pdf (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). Für Näheres im Hinblick auf die Überwachungssituation des Transplanationssystems unter Beachtung des Gutachtens siehe bei der rechtlichen Bewertung der Kontrolleinrichtungen S. 388 ff. (Transplantations­ zentren), S. 394 ff. (DSO) und S. 406 ff. (ET).

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C. Die Reformen des Transplantationsgesetzes

2010 bis 2012 veröffentlicht worden.129 Im ersten Prüfungsdurchgang wurden in 24 Transplantationszentren die Krankenakten von insgesamt 1180 Empfängern postmortal gespendeter Lebern unter Beteiligung von Vertretern der Länder geprüft. In den vier Transplantationszentren Göttingen, Leipzig, München rechts der Isar und Münster wurden schwerwiegende Richtlinienverstöße unterschiedlicher Ausprägung festgestellt. Im zweiten Kontrolldurchgang wurden die Transplantationsprogramme von Nieren, Pankreas, Herzen und Lungen überprüft. Zwar ist auch bei dieser Kontrollmaßnahme festgestellt worden, dass die meisten Zentren ordnungsgemäß gearbeitet haben; relevante Verstöße kamen jedoch in Berlin, München Großhadern, Heidelberg und Köln-Lindenthal bei den Herz- sowie in Jena und München Großhadern bei den Lungentransplantationsprogrammen ans Licht.130 Aufgrund der Art und Umstände der Verstöße ergaben sich laut Kommissionsberichten eindeutige Anhaltspunkte für ein systematisches oder bewusstes Vorgehen. Der Verdacht einer Bevorzugung von Privatversicherten oder von Non-Residents131 konnte jedoch nicht bestätigt werden.132 Noch im Sommer 2012 hat die Staatsanwaltschaft den Göttinger Transplantationschirurgen in einem medial intensiv verfolgten Prozess wegen versuchtem Totschlag in elf Fällen und Körperverletzung mit Todesfolge in drei Fällen angeklagt.133 Ob129  Abrufbar unter: http: /  / www.bundesaerztekammer.de / aerzte / medizin-ethik /  transplantationsmedizin /  (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). In Zukunft möchten die Kommissionen über ihre Ergebnisse nicht mehr bloß jährlich, sondern regelmäßig und anlassbezogen informieren, vgl. das Statement der Prüfungskommission im Zuge der Veröffentlichung des Tätigkeitsberichts der Überwachungs- und Prüfungskommission von 2014 / 15, S. 12 (kurz: Kommissionstätigkeitsbericht 2014 / 15), abrufbar unter: http: /  / www.bundesaerztekammer.de / fileadmin / user_upload / downloads / pdf-Ord ner / Transplantation / 2015-11-26BPKStatementRinder.pdf (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 130  Vgl. den Kommissionstätigkeitsbericht 2014 / 15. Die Prüfungen an einigen Kliniken waren noch nicht abgeschlossen. 131  Sog. Non-Residents sind ausländische Staatsbürger, die ihren Wohnsitz weder in einem Mitgliedstaat von Eurotransplant noch in der Europäischen Union haben, Lautenschläger, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 187. 132  Vgl. die Tätigkeitsberichte der Überwachungs- und Prüfungskommission, abrufbar unter: http: /  / www.bundesaerztekammer.de / aerzte / medizin-ethik / transplantati onsmedizin /  (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 133  Vgl. die Berichterstattung des Deutschen Ärzteblatts, http: /  / www.aerzteblatt. de / nachrichten / 55180 / Organspende-Erstmals-Strafprozess-wegen-Manipulation-derWarteliste (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). Das Landgericht Göttingen betrat mit dem Prozess juristisches Neuland und musste Fragen der Transplantationsmedizin anhand des allgemeinen Strafrechts klären, die bisher noch nicht gestellt wurden, vgl. Siegmund-Schultze, DÄBl 110 (2013), A-1468 f. Für den Gang des Verfahrens siehe die kontinuierliche und ausführliche Berichterstattung des Deutschen Ärzteblatts. In der Literatur wird bisweilen heftig darüber gestritten, ob eine Wartelistenmanipula-



IV. Nachjustierungen im Jahre 2013163

wohl das Landgericht Göttingen den Transplantationsmediziner am 6. Mai 2015 aus rechtlichen Gründen freigesprochen hatte,134 hat die Staatsanwaltschaft Leipzig im Sommer 2015 Anklage gegen zwei Oberärzte des dortigen Universitätsklinikums erhoben, die in den Jahren 2010 / 11 Manipulationen der Warteliste veranlasst haben sollen.135 Weitere Ermittlungsverfahren wurden angestrengt.136 c) Einfluss des Skandals auf die am Transplantationswesen beteiligten Institutionen Zur Gewährleistung umfassender Transparenz wurden alle bisherigen Jahresberichte der Prüfungs- und Überwachungskommission sowie eine Dokumentation der abgeschlossenen Prüfungen von Allokationsauffälligkeiten öffentlich zugänglich gemacht.137 Eine sog. Task Force aus Mitgliedern der Ständigen Kommission Organtransplantation und der Prüfungskommission sollte die Staatsanwaltschaft bei der Aufklärung der strafrechtlich relevanten tion den Tatbestand eines Tötungsdelikts erfüllt; dagegen Bülte, StV 2013, S. 753 ff.; Dannecker / Streng in: Lüderssen / Volk / Wahle (Hrsg.), FS Schiller, S. 127, 144; Fateh-Moghadam, MedR 2014, S. 665 f.; Kudlich, NJW 2013, S. 917 f.; Schroth, NStZ 2013, S. 437 ff.; Verrel, MedR 2014, S. 464 ff.; mit besonderem Bezug zur Übergehung der Alkoholabstinenzklausel Dannecker / Streng-Baunemann, NStZ 2014, S. 673  ff.; zumindest skeptisch gegenüber einer Verurteilung Böse, ZJS 2014, S. 117 ff.; die abstrakte Möglichkeit der Erfüllung eines Tötungs- oder Körperverletzungsdelikts durch die Manipulation der Warteliste bejaht hingegen Rissing-van Saan, NStZ 2014, S. 233, 239 ff. 134  LG Göttingen, Urt. v. 06.05.2015 – Az. 6 Ks 4 / 13. Ein möglicher Tod von Patienten auf der Warteliste sei nicht objektiv zurechenbar gewesen und eine Manipulation der Warteliste sei erst nach der Anklageerhebung durch das Transplantationsgesetz strafbar geworden. Hinsichtlich der verstorbenen transplantierten Patienten sah das Gericht alle Transplantationen als indiziert und geeignet an, Heilzwecken zu dienen, sodass es die Körperverletzung mit Todesfolge verneinte. Der BGH hat den Freispruch mit Urt. v. 28.06.2017 – Az. 5 StR 20 / 16 im Ergebnis bestätigt. Zu der Kritik an den Richtlinien der Bundesärztekammer durch das Urteil des BGH siehe S. 462 f. 135  Vgl. die Berichterstattung des Deutschen Ärzteblatts, http: /  / www.aerzteblatt. de / nachrichten / 63595 / Organtransplantation-Anklage-gegen-Oberaerzte-in-Leipzig (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 136  Die Staatsanwaltschaft Münster hat diese jedoch für das dortige Transplantationszentrum zeitig eingestellt, da davon auszugehen sei, dass die angenommenen Richtlinienverstöße teilweise auf unterschiedliche Auslegungen der nicht immer eindeutigen Richtlinien und versehentlichen Fehleintragungen beruhten, vgl. die Unterrichtung der Bundesregierung BT-Drs. 18 / 3566, S. 10. 137  Die Jahresberichte sind abrufbar unter; http: /  / www.bundesaerztekammer. de / page.asp?his=0.6.3285.10746 (zuletzt abgerufen am 30.06.2017); die Dokumentation über die Prüfung von Allokationsauffälligkeiten unter: http: /  / www.bundes aerztekammer.de / page.asp?his=0.6.3285.10747 (zuletzt abgerufen am 30.06.2017).

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C. Die Reformen des Transplantationsgesetzes

Fälle unterstützen.138 Die Prüfungs- und die Überwachungskommission haben ferner im November 2012 eine unabhängige „Vertrauensstelle Transplantationsmedizin“ zur, auch anonymen, Meldung von Auffälligkeiten gegen das Transplantationsrecht eingerichtet. Sie wurde mit der Aufgabe betraut, Hinweise auf Unregelmäßigkeiten und Auffälligkeiten im Zusammenhang mit dem Spende- und Transplantationsprozess entgegenzunehmen und auf deren Klärung hinzuwirken.139 Bis zum Bericht der Vertrauensstelle im Herbst 2015 sind insgesamt 221 Eingaben erfolgt.140 Einen Monat später haben die Auftraggeber der Koordinierungsstelle beschlossen, eine gemeinsame „Geschäftsstelle Transplantationsmedizin“ einzurichten. Ihr obliegt die Geschäftsführung der Prüfungs- und Überwachungskommission, der Vertrauensstelle Transplantationsmedizin sowie der Ständigen Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer.141 Eine Kontrollverschärfung nahm auch die Vermittlungsstelle Eurotransplant vor, indem sie die Überwachungsfunktionen für die Prüfung von Angaben der Transplantationszentren zu ihren Patienten intensivierte.142 Es erfolgte ferner eine Vertiefung der Zusammenarbeit mit der Koordinierungsstelle auf dem Gebiet der Datenvalidität.143 Die betroffenen Kliniken haben interne, vor allem personale, Konsequenzen gezogen.144 Teilweise haben sie nach Bekanntwerden der Prüfergebnisse selbst die Staatsanwaltschaft informiert.145 In Göttingen ruht das Lebertransplantationsprogramm; seine vollständige Beendigung ist nach Ablauf des Jahres 2016 nach den Angaben Niedersachsens nicht ausgeschlossen.146 Das Land Bayern hat infolge der Vorkommnisse eine eigene Expertenkommission („Mühlbacher Kommission“) ins Leben gerufen, die die Strukturen der mit der Lebertransplantation betrauten Zentren überprüfen sowie die Entwicklung von best-practices vor138  Vgl. den Bericht des Deutschen Ärzteblatts, http: /  / www.aerzteblatt.de /  nachrichten / 50969 / Organspende-Skandal-an-Uniklinik-Goettingen-weitet-sich-aus (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 139  BÄK, Tätigkeitsbericht 2012, S.  304, abrufbar unter: http: /  / www.bundes aerztekammer.de / downloads / Taetigkeitsbericht_2012.pdf (zuletzt abgerufen am 30.06.2017); BT-Drs. 18 / 1395; Siegmund-Schutze, DÄBl 109 (2012), A-2278. 140  Vgl. den Bericht der Vertrauensstelle aus dem Jahre 2015, abrufbar unter: http: /  / www.bundesaerztekammer.de / fileadmin / user_upload / downloads / pdf-Ordner /  Transplantation / 2015-11-26BPKStatementRissing.pdf (zuletzt abgerufen am 30.06. 2017). 141  BÄK, Tätigkeitsbericht 2012, S. 294. 142  Klinkhammer / Siegmund-Schultze, DÄBl 111 (2014), A-580 f. 143  DSO, Jahresbericht 2012, S. 3. 144  Siehe zu den Details die kontinuierliche Berichterstattung des Deutschen Ärzteblatts. 145  Vgl. zu den Reaktionen der Kliniken BT-Drs. 18 / 7269, S. 9 ff. 146  Vgl. BT-Drs. 18 / 7269, S. 9.



IV. Nachjustierungen im Jahre 2013165

nehmen sollte.147 Daraufhin wurden die Transplantationsprogramme in Erlangen148 sowie an der TU München149 beendet.150 Zudem wurden leistungsbezogene Zielvereinbarungen in Verträgen mit ärztlichen Abteilungsleitern in Frage gestellt. Der Deutsche Bundestag hat erstmals einen rechtlichen Ordnungsrahmen für Bonivereinbarungen geschaffen. § 136a SGB V verpflichtet die Deutsche Krankenhausgesellschaft im Einvernehmen mit der Bundesärztekammer Empfehlungen abzugeben, solchen leistungsbezogenen Zielvereinbarungen im Krankenhaus entgegenwirken. Durch den am 1. Januar 2016 zudem in Kraft getretenen § 135c SGB V wird der Deutschen Krankenhausgesellschaft zudem aufgegeben, Empfehlungen für Arbeitsverträge mit leitenden Klinikärzten abzugeben, die die betreffenden Boni ausschließen.151 Die Manipulationsvorwürfe betrafen zwar den Bereich der Organvergabe, der im hiesigen Transplantationssystem streng der vorgelagerten Organspende getrennt ist. Dennoch sahen die Beteiligten bei der Aufarbeitung des Skandals eine Notwendigkeit, die staatliche Kontrolle insgesamt, folglich auch im Aufgabenbereich der Koordinierungsstelle, zu verstärken. Die Deutsche Stiftung Organtransplantation erhielt in dieser Konsequenz eine stärkere öffentlich-rechtliche Ausrichtung. In diese Entscheidung mit hinein gespielt haben mag die eigene Krise der Stiftung, die diese unabhängig von der Aufdeckung der Manipulationsvorwürfe bereits vorher negativ in die Schlagzeilen gebracht hat.152 Die Deutsche Stiftung Organtransplantation hat Ende des Jahres 2011 aufgrund von internen Vorwürfen über Intransparenz, Missma147  Vgl.

die Unterrichtung der Bundesregierung BT-Drs. 18 / 3566, S. 11. DÄBl 110 (2013), A-1013. Mittels einer Klage vor dem Verwaltungsgericht hat die Klinik Erlangen jedoch eine vorübergehende Fortsetzung des Lebertransplantationsprogramms erreicht. Mittlerweile hat sich die Klinik mit der bayrischen Regierung darauf geeinigt, auf ihre Eigenständigkeit zu verzichten und nur als Außenstelle der Münchner Uniklinik Großhadern zu agieren, jedoch weiter Transplantationen vorzunehmen, http: /  / www.aerzteblatt.de / nachrichten / 63931 / Auchkuenftig-Lebertranstransplantationen-an-der-Uniklinik-Erlangen (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 149  Siegmund-Schultze, DÄBl 110 (2013), A-1013. Das Klinikum München rechts der Isar darf zwar keine Transplantationen mehr vornehmen, arbeitet aber mittlerweile mit der Münchner Uniklinik Großhadern zusammen, sodass Patienten, die für eine Transplantation in Frage kommen, dort weiter behandelt werden können, http: /  / www.aerzteblatt.de / nachrichten / 56818 / Muenchner-Unikliniken-kooperierenbei-Lebertransplantationen (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 150  Kritische Stimmen sehen in der Reaktion jedoch nur eine Darstellung Bayerns als publikumswirksamer „Durchgreifer“. Schließlich konnten in Erlangen keine überdurchschnittlichen Unregelmäßigkeiten festgestellt werden, vgl. Umgelter, in: Haarhoff (Hrsg.), Organversagen, S. 179, 182. 151  Vgl. BT-Drs. 18 / 7269, S. 18. 152  Vgl. BT-Drs. 17 / 9773, S. 31 f. 148  Siegmund-Schultze,

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C. Die Reformen des Transplantationsgesetzes

nagement und fragwürdigem Führungsstil in der öffentlichen Meinung gelitten. In einem anonymen Brief haben Mitarbeiter den Entscheidungsgremien schweres wirtschaftliches Fehlverhalten in Form von „Vetternwirtschaft“ und einer „Selbstbedienungsmentalität“ vorgeworfen. Aufgrund des desolaten Umgangs mit dem Personal herrsche ein Klima der Angst. Auf interne Kritik reagiere der Vorstand mit Einschüchterung, Abmahnung und Kündigung.153 Trotz eines weitgehend entlastenden Gutachtens einer Rechts- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft154 verließ der kaufmännische Vorstand, Thomas Beck, die Stiftung.155 Es folgte ferner die Ankündigung einer Umstrukturierung innerhalb der Institution, die von der politischen Mehrheit begrüßt wurde. Zudem wurde beschlossen, den Stiftungsrat nunmehr zumindest jährlich in den Ausschuss für Gesundheit des Bundestages zu laden.156 Seit August 2013 ist eine veränderte Satzung in Kraft. Der Stiftungsrat, das Aufsichtsgremium der Koordinierungsstelle, wurde auf 14 Mitglieder erweitert. Zwölf davon sind mit Stimmrecht ausgestattet. Es handelt sich um je zwei Vertreter der Bundesärztekammer, der Deutschen Krankenhausgesellschaft, des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenkassen, des Bundesministe­ riums für Gesundheit, der Gesundheitsministerkonferenz der Länder und der Deutschen Transplantationsgesellschaft (§  6 Nr.  3, Nr.  4 DSO-Satzung). Bund und Länder erhalten damit erstmals direkten Einfluss auf die privatrechtliche Stiftung. Nicht stimm- aber teilnahme- und antragsberechtigt sind zwei durch den Stiftungsrat berufene Patientenvertreter (§ 6 Nr. 5 DSO-Satzung). Insgesamt wird die Koordinierungsstelle mit dieser Neuausrichtung durch Vertreter öffentlich-rechtlicher oder zumindest mit der Wahrnehmung öffentlich-rechtlicher Aufgaben beliehener Institutionen getragen, was das Vertrauen in die Stiftung stärken soll.157 Ein ausdrückliches Vetorecht im Gremium oder durchgreifende Aufsichtsrechte über die weiterhin privatrechtlich organisierte Stiftung haben die Bundes- und Landesvertreter jedoch nicht erhalten. Trotzdem sind die mit einfacher Mehrheit zu treffenden Entscheidungen im Ergebnis nicht gegen die Stimmen staatlicher Behörden oder Körperschaften des öffentlichen Rechts (dem Spitzenverband der Gesetz­ 153  Vgl. den Bericht des Deutschen Ärzteblatts, http: /  / www.aerzteblatt.de /  nachrichten / 47718 / Schwere-Vorwuerfe-gegenueber-der-Deutschen-Stiftung-Organ transplantation (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 154  Das Gutachten hat die DSO nicht öffentlich, sondern lediglich den Mitgliedern des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestags als Verschlusssache zugänglich gemacht; kritisch insoweit und zum gesamten Reformprozess der DSO Haarhoff, in: Haarhoff (Hrsg.), Organversagen, S. 237, 244 ff. 155  Vgl. die Pressemitteilung der DSO, http: /  / www.dso.de / dso-pressemitteilungen /  einzelansicht / article / stiftungsrat-und-kaufmaennischer-vorstand-der-deutschen-stif tung-organ-transplantation-dso-geben-e.html (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 156  Vgl. BT-Drs. 17 / 9777, S. 1 f. 157  DSO, Jahresbericht 2012, S. 3.



IV. Nachjustierungen im Jahre 2013167

lichen Krankenkassen) möglich, die die Hälfte der stimmberechtigten Mitglieder stellen. Die Befugnisse des Stiftungsrats gegenüber dem Vorstand sind insofern gestärkt worden, als dass der vom Vorstand aufzustellende Wirtschaftsplan vom Stiftungsrat zu genehmigen ist (§ 7 Nr. 3 DSO-Satzung). Auch zu Vorhaben des Vorstands, die für die Stiftung und ihre Entwicklung von struktureller Bedeutung sind, muss der Stiftungsrat nun zustimmen (§ 8 Nr. 3 DSO-Satzung). Modifiziert wurde zudem die Rolle der Fachbeiräte. Verpflichtend einzurichten ist nur noch ein Bundesfachbeirat als wissenschaftliches Beratungsgremium der Koordinierungsstelle. Bund und Länder sind auch in diesem mit einem bzw. zwei Sitzen vertreten (§ 11 Nr. 2 DSOSatzung). Hinzu kommen Vertreter der Stellen, die auch den Stiftungsrat besetzen (ohne Patientenvertreter) sowie ein Vertreter von Eurotransplant (§ 11 Nr. 2 DSO-Satzung). Zusätzlich können auf Antrag der zuständigen Landesbehörden regionale Fachbeiräte in den einzelnen Regionen eingerichtet werden, um deren Eigenständigkeit Rechnung zu tragen (§ 11 Nr. 3 DSOSatzung). Diese Fachbeiräte wurden in allen sieben DSO-Regionen158 eingerichtet; eine einheitliche Geschäftsordnung dieser Beiräte ist seit 2014 in Kraft.159 Außerdem wurde die Zusammenarbeit mit Eurotransplant sowie dem Gemeinsamen Bundesausschuss verstärkt.160 d) Erneute Reform des Transplantationsgesetzes Im Angesicht der Gefahr eines in der Bevölkerung aufkommenden Systemmisstrauens hat der Gesetzgeber in ungewohnter Schnelligkeit eine Reform des Transplantationsgesetzes beschlossen. Die Vorsitzenden aller Fraktionen des Deutschen Bundestages vereinbarten in einer Arbeitsgruppe, den gesetzgeberischen Handlungsbedarf zu prüfen. Diese stellte fest, dass gemeinsame zielgerichtete Anstrengungen notwendig seien, um das verloren gegangene Vertrauen in der Bevölkerung zurückzugewinnen und dadurch die Bereitschaft zur Organspende nachhaltig zu fördern.161 Daraufhin ließ der Gesetzgeber seiner erst kürzlich im Jahr 2012 in Kraft getretenen Reform im Juli 2013 über Art. 5d des Gesetzes zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung162 eine neue Änderung des Transplantationsgesetzes folgen, die am 1. August 2013 in Kraft trat. 158  Die DSO-Regionen teilen sich ein in Nord, Nord-Ost, Ost, Bayern, BadenWürttemberg, Mitte und Nordrhein-Westfalen. 159  BT-Drs. 18 / 7269, S. 11. 160  Näher dazu DSO, Jahresbericht 2012, S. 3. 161  BT-Drs. 17 / 13897, S. 4. 162  Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung vom 15.07.2013, BGBl. I, S. 2413, 2429.

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C. Die Reformen des Transplantationsgesetzes

Bereits zu Beginn der politischen Debatte schwebte das Damoklesschwert des Manipulationsskandals über dem Reichstagsgebäude, das den Weg in eine enttabuisierte und kontroverse Diskussion über notwendige Strukturveränderungen erschwerte, wenn nicht sogar zu großen Teilen abschnitt.163 Einen offenen Disput auf der Bühne des Bundestages dürften die politischen Taktgeber gescheut haben, um erneuten negativen Einfluss auf die ohnehin bereits sensibilisierte öffentliche Meinung über die Transplantationsmedizin zu vermeiden. Unter dem Druck sinkender Spenderzahlen drängten sie da­ rauf, eine gemeinsame Lösung zu finden und auf diese Weise Einigkeit zu demonstrierten.164 Von der Mehrheitslinie abweichende Vorschläge von den Fraktionen Bündnis90 / Die Grünen und Die Linke wurden als bloße Profilierungsversuche der Parteien gewertet.165 Tatsächlich brachten alle Fraktionen im Juni 2012 einen gemeinsamen Antrag in den Bundestag ein, der das System der Organtransplantation stärken sollte.166 Eine gewisse Uneinigkeit in Bezug auf grundsätzliche Strukturfragen des Transplantationssektors blieb jedoch bestehen. Die inhaltliche Schlagkraft der Reform hielt sich im Ergebnis in Grenzen. Nach § 19 Abs. 2a TPG i. V. m. § 10 Abs. 3 S. 2 TPG sind Wartelisten-Manipulationen nun ausdrücklich unter Strafe gestellt. Die Verbotsnorm umfasst laut Gesetzesbegründung alle maßgeblichen Schritte, in denen Manipulationen des Gesundheitszustandes von Patienten möglich sind und betrifft alle beteiligten Personen.167 Der neue Straftatbestand trägt damit dem Umstand Rechnung, dass ein eindeutiger strafrechtlicher Anknüpfungspunkt nach der bisherigen Rechtslage fehlte.168 Drohenden Strafbarkeitslücken wollte der Gesetzgeber so schnell wie möglich beikommen. Durch die Gewährleistung eines manipulationsfreien Vermittlungsverfahrens soll das Vertrauen der Bevölkerung zurückgewonnen und nachhaltig gestärkt werden.169 In der Literatur 163  Kritisch zu den Debatten um die Reformen des TPG insgesamt Wuttke, in: Haarhoff (Hrsg.), Organversagen, S. 267 ff. 164  Vgl. etwa die Rede von Frank-Walter Steinmeier, in: Kongressband zum 8. Jahreskongress der Deutschen Stiftung Organtransplantation, S. 27, 29, in der er betonte, dass die Organspende „das falsche Feld für parteipolitische Spielchen oder ideologische Kämpfe“ sei. 165  Vgl. etwa die Rede des damaligen Gesundheitsministers Daniel Bahr im Deutschen Bundestag, in der er das Verhalten der beiden Fraktionen als verantwortungslos gegenüber den Wartelistenkandidaten bezeichnete, Plenarprotokoll 17 / 190, S. 22935. 166  BT-Drs. 17 / 13897. 167  BT-Drs. 17 / 13947, S. 40. 168  Vgl. dazu Kudlich, NJW 2013, S. 917 f. In der Schweiz jedoch existiert seit geraumer Zeit ein besonderer Tatbestand für Diskriminierungen und Zuteilungen entgegen der maßgeblichen Kriterien, die nach Art. 69 des Schweizer Transplantationsgesetzes mit Gefängnis oder einer Geldbuße bestraft werden. 169  BT-Drs. 17 / 13947, S. 40 f.



IV. Nachjustierungen im Jahre 2013169

wurde der neue § 19 Abs. 2a TPG jedoch als eine „halbherzige, wenig adäquate Reaktion“170 gegeißelt oder ein „missglückter medizinstrafrechtlicher Schnellschuss“171 genannt, der nur den Sinn hat „die Handlungsfähigkeit des Gesetzgebers zu demonstrieren“172. Tatsächlich tragen die zahlreichen Verweisungen im Gesetzestext nicht zu dessen Verständlichkeit bei. Hinzu kommt, dass auch die Tatbestandsmerkmale, insbesondere die subjektiven, unklar bleiben. Der Gesetzgeber schien sich durch die neuen strafrechtlichen Fragestellungen unter Zugzwang gesetzt zu sehen. Mittels einer Demonstration von Tatendrang an prominentester Stelle, dem Transplantationsgesetz selbst, mag er davon ausgegangen sein, das Vertrauen der Bevölkerung wiederherstellen zu können. Stattdessen wäre er besser beraten gewesen, im Kernstrafrecht § 278 StGB so zu erneuern, dass dieser auch die Manipulation von Krankenakten zum Organerhalt erfassen würde.173 Zudem ist das vollständige Problemlösungspotential des neuen Straftatbestands im Hinblick auf seine inhaltliche Reichweite zweifelhaft. Trotz einer weiten Auslegung174 dürfte er nicht allen manipulativen Vorgehensweisen Rechnung tragen. Auch wenn das Vortäuschen einer nicht erfolgten Behandlung (wie einer Dialyse) ohne Weiteres als unrichtige Angabe gewertet werden kann, gilt dies nicht für den Fall einer wirklich unterlassenen Behandlung zugunsten des Patienten, der aufgrund seines tatsächlich verschlechterten Gesundheitszustands auf der Warteliste nach oben rückt. Seine gesundheitliche Konstitution wird nämlich sodann richtig erhoben und kann ohne Verfälschung dokumentiert und übermittelt werden. Die „Heidelberger Fälle“ etwa, in denen Patienten absichtlich ein Medikament zur Stärkung ihres Herzmuskels verweigert wurde, dürften daher – ungewollt – weiterhin straffrei bleiben. Außerdem sind die Richtlinien der Bundesärztekammer künftig vom Bundesministerium für Gesundheit zu genehmigen (§ 16 Abs. 3 TPG). Um das Ministerium in die Lage zu versetzen, die Richtlinien dahingehend zu überprüfen, ob die Bundesärztekammer ihren Beurteilungsspielraum angemessen gewürdigt hat und die Feststellung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft nachvollziehbar ist, wurde durch § 16 Abs. 2 S. 2 TPG ein Begründungserfordernis für die Richtlinien statuiert.175 Dieses dient fer170  Bernsmann / Sickor, in: Höfling (Hrsg.), TPG, Nachtrag 2013, § 19 Rn. 108; positiver jedoch Dannecker / Streng in: Lüderssen / Volk / Wahle (Hrsg.), FS Schiller, S. 127, 144, die die Hoffnung eines Vertrauensgewinns in der Bevölkerung in den Vordergrund ihrer Betrachtung rücken. 171  Schroth, MedR 2013, S. 645. 172  Ebda., S. 647. 173  Eine eingehende Auseinandersetzung mit dem neuen Straftatbestand und einer alternativen Lösung über § 278 StGB findet sich bei Schroth, MedR 2013, S. 645 ff. 174  So zu Recht Lang, in: Höfling (Hrsg.), TPG, Nachtrag 2013, § 10 Rn. 60. 175  BT-Drs. 17 / 13947, S. 40.

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C. Die Reformen des Transplantationsgesetzes

ner einem besseren Verständnis der Regelungen und der Wahrung von Transparenz, was gerade im Hinblick auf die praktische Anwendung der Vorgaben von entscheidender Bedeutung ist.176 Das Gesundheitsministerium kann im Zuge des Genehmigungsverfahrens zusätzliche Informationen und ergänzende Stellungnahmen verlangen (§ 16 Abs. 2 S. 2 TPG). Auswirkungen hatten die Unregelmäßigkeiten im Verteilungsprozess auch auf die Inhalte der Regelungen durch die Bundesärztekammer. Die Richtlinien zur Wartelistenführung wurden dahingehend geändert, dass eine Transplantationskonferenz unter Gewährleistung eines mindestens Sechs-Augen-Prinzips über die Aufnahme auf die Warteliste entscheidet. Die dafür verantwortlichen Ärzte werden gegenüber der Vermittlungsstelle Eurotransplant benannt.177 e) Grundlegende Neustrukturierungen bleiben aus Die verschiedenen Maßnahmen, die in Reaktion auf den Organspende­ skandal eingeleitet wurden, mögen von mancher Seite als entscheidender Wendepunkt der Transplantationsmedizin – hin zu mehr Transparenz und Kontrolle – bewertet werden. Grundlegend neue Systementscheidungen wurden jedoch nicht getroffen. Die Organisationsstrukturen der Selbstverwaltung bleiben, höchstens moderat geändert, bestehen. Hingegen fehlte es nicht an parlamentarischen Vorschlägen zu grundsätzlicheren Umstrukturierungen des Transplantationswesens, die jedoch, wie dargelegt, lediglich Missgunst bei der politischen Mehrheit ernteten. So beantragte die Fraktion Bündnis90 / Die Grünen, die Deutsche Stiftung Organtransplantation in eine Gesellschaft öffentlichen Rechts mit strengeren Überwachungsmöglichkeiten zu überführen, um strukturellen und organisatorischen Mängeln Herr zu werden. Das Fehlen einer staatlichen Beaufsichtigung sowie eine bisher nur zögerlich und intransparent wahrgenommene Kontrollfunktionen des Transplantationswesens würde eine partielle Neuorganisation zwingend notwendig machen.178 Ebenso forderte die Fraktion Die Linke ein Mehr an staatlicher Beteiligung und Aufsicht durch eine Organisation der Koordinierungsstelle als Körperschaft des öffentlichen Rechts oder öffentlich-rechtliche Institution unter Fachaufsicht eines Bundesministeriums. Zusätzlich sah sie insgesamt weitreichenden Änderungsbedarf des Transplantationsrechts, insbesondere bei den gesetzlichen Vorgaben für die Organallokation.179 Die politische Mehrheit lehnte eine 176  Ebda.,

S. 40. Änderungsverzeichnis der Richtlinien zur Wartelistenführung ist abrufbar unter: http: /  / www.bundesaerztekammer.de / downloads / Aenderungsverzeichnis_0912 013.pdf (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 178  Vgl. BT-Drs. 17 / 11308. 179  Vgl. BT-Drs. 17 / 12225. 177  Das



IV. Nachjustierungen im Jahre 2013171

Verstaatlichung des Transplantationswesens und damit die Aufgabe der selbstverwaltungsrechtlichen Grundlagen allerdings entschieden ab. Sie setzte, wie aufgezeigt, auf eine Verschärfung der Kontrollen innerhalb des bestehenden Systems sowie eine Intensivierung der Mitsprache von Bund und Ländern. Die getroffenen Maßnahmen zeigen nach Ansicht der Bundesregierung bereits Wirkung.180 Auf eine kleine Anfrage der Fraktion Bündnis90 / Die Grünen ließ sie wissen, dass die Vor-Ort-Prüfungen zu einer sorgfältigen Beachtung der Richtlinien sowie einer Verbesserung der formalen Abläufe und Dokumentationen in den Transplantationszentren geführt hätten.181 Kritik kommt vor allem aus der Richtung jener, die schon vor der Reform aus dem Jahre 2012 umfassendere Veränderungen gefordert hatten. Für sie wird aus der Modifikation einzelner Stellschrauben im System kein effizientes Instrument zur Bekämpfung der maßgeblichen Defizite erwachsen. Die grundlegende Beanstandung der Richtlinienkompetenz der Bundesärztekammer im Bereich der Organvermittlung und der Aufnahme in die Warteliste kann der Genehmigungsvorbehalt nach Ansicht der Kritiker nicht entkräften.182 Zudem sei die Einführung des Mehraugenprinzips durch das Erfordernis der Entscheidung einer Transplantationskonferenz über die Listung eines Patienten für ein Organ insofern reine Richtlinienkosmetik, als dass die hinzugekommenen Augen dem System bereits immanent seien und eine externe, neutrale Kontrolle daher noch immer fehle.183 Auch die praktische Wirksamkeit des neuen Straftatbestands wird sich erst beweisen müssen. Die Überführung wesentlicher Koordinationsaufgaben in staatliche Hände wird als zentrale Forderung daher weiter bestehen bleiben. Bisher hat sich die Politik jedoch davon überzeugen lassen, dass der Staat auf ähnliche Herausforderungen und Probleme stoßen würde, mit denen nun die Selbstverwaltung zu kämpfen hat und eine stärkere staatliche Beteiligung daher kein Allheilmittel ist.184 180  Vgl.

die Unterrichtung der Bundesregierung BT-Drs. 18 / 3566, S. 20. 18 / 1395, S. 2. 182  Zur rechtlichen Auseinandersetzung mit den Richtlinien siehe S. 351 ff. 183  Vgl. Höfling, in einem Interview mit der FAZ v. 31.07.2012, abrufbar unter: http: /  / www.faz.net / aktuell / wissen / medizin / organspendeskandal-das-interview-dieunverfrorenheit-ist-erschuetternd-11839132.html (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 184  Vgl. Steinmeier, in: Kongressband zum 8. Jahreskongress der Deutschen Stiftung Organtransplantation, S. 27, 28; siehe auch, Montgomery, http: /  / www.aerzteblatt. de / nachrichten / 54704 / Transplantationsmedizin-Selbstverwaltung-organisiert-Staatkontrolliert (zuletzt abgerufen am 30.06.2017); kritisch jedoch Engels, WzS 2013, S.  199 ff.; Görlitzer, Bioskop 2013, S. 3; Höfling, abrufbar unter: http: /  / www.lto.de /  recht / hintergruende / h / organspende-transplantation-warteliste-bundesaerztekammer /  (zuletzt abgerufen am 30.06.2017); Sickor, GesR 2014, S. 204 ff. 181  BT-Drs.

172

C. Die Reformen des Transplantationsgesetzes

3. Ergebnis der Anstrengungen nach dem Manipulationsskandal Das Bekanntwerden der weitreichenden Wartelistenmanipulationen war ein wesentlicher Impetus für den Gesetzgeber, nach der bereits erfolgten Reform aus dem Jahre 2012 eine erneute Auseinandersetzung mit dem Transplantationswesen aufzunehmen. Neben zahlreichen Absichtserklärungen von Seiten der Politik und der Praxis wurden strukturelle Neuerungen wie etwa die Einrichtung der Vertrauensstelle, die neuen Vorgaben für die Transplantationszentren oder die Umorganisation innerhalb der Deutschen Stiftung Organtransplantation, kurzfristig umgesetzt. Ebenso beweisen die alsbald durchgeführten Kontrollen und das nachfolgende staatliche Repressionsvorgehen, dass es nach Aufdeckung der Skandale nicht bei bloßen Absichtserklärungen geblieben ist. Maßgeblichste Neuerung war die punktuelle Novellierung des Transplantationsgesetzes im Bereich der Strafbarkeit von Wartelistenmanipulationen und der Genehmigungspflichtigkeit der Transplantationsrichtlinien, die zum Vertrauensgewinn in der Bevölkerung beitragen soll.

V. Erste Auswirkungen der Gesetzesnovellierungen Der recht einvernehmliche Tenor zu den Novellierungen des Transplanta­ tionsgesetzes aus dem Jahre 2012 spricht nicht von einem „großen Wurf“185. Einige Bereiche der Gesetzesänderungen sind – insbesondere im Hinblick auf die Hoffnung einer Steigerung der Spenderraten – dennoch begrüßt worden. Erwartungen von rechtswissenschaftlicher Seite wurden allerdings vermehrt enttäuscht, worauf noch einzugehen sein wird.186 Noch geringschätziger war die Resonanz in Bezug auf die Reform aus dem Jahre 2013, an deren Erfolgskonzept für den Vertrauensgewinn in der Bevölkerung gezweifelt wird.187 An dieser Stelle sollen die ersten tatsächlichen Auswirkungen der Reformen im Vordergrund stehen, die vor allem den Bereich der strukturellen Änderungen (1.), das Ziel einer Steigerung der ausgefüllten Organspendeausweise (2.) sowie die Bekämpfung des Vertrauensverlusts nach dem Manipulationsskandal (3.) betreffen. 1. Erste Erkenntnisse zu den strukturellen Veränderungen Im Fokus der strukturellen Novellierung des Transplantationsgesetzes im Jahre 2012 stand – im Eindruck der Erfolge in Spanien – insbesondere die verpflichtende Einführung eines Transplantationsbeauftragten in den EntnahRichter-Kuhlmann / Siegmund-Schultze, DÄBl 109 (2012), A-1310. zu den rechtlichen Fragestellungen S. 270 ff. 187  Vgl. Engels, WzS 2013, S. 199 ff. 185  Vgl. 186  Vgl.



V. Erste Auswirkungen der Gesetzesnovellierungen173

mekrankenhäusern, die mittlerweile weitgehend etabliert wurden. Im November des Jahres 2014 waren es bereits ca. 1.600 Transplantationsbeauftragte, die die damals 1.253 Entnahmekrankenhäuser betreuten.188 Noch liegen keine Langzeiterkenntnisse über ihren Einsatz im Klinikalltag vor. Dass die schon in einigen Bundesländern vor der Gesetzesnovelle vollzogene Einführung von Transplantationsbeauftragten eine Erhöhung der Meldungen sowie eine Steigerung der erfolgreichen Organspenden belegt,189 lässt eine Wirksamkeit der Maßnahme als wahrscheinlich erscheinen. Ein wichtiger Faktor bleibt dabei natürlich das tatsächliche persönliche Engagement vor Ort, das weder der Bundes- noch der Landesgesetzgeber mit seinen Ausführungsgesetzen durch Organisationsregelungen maßgeblich beeinflussen kann. Überhöhte Erwartungen dürften allerdings durch die Ergebnisse der Inhouse­ koordination gebremst worden sein. Das Förderprojekt kam zu der Schlussfolgerung, dass trotz organisatorischer Intervention innerhalb der Entnahmekrankenhäuser in Deutschland keine Spenderquote erreichbar sei, die an den europäischen Durchschnitt herankommt.190 Ein weiterer elementarer Faktor der strukturellen Reformbemühungen war die gesetzliche Verankerung und Ausweitung der Kontrollmöglichkeiten durch die Überwachungsgremien im Transplantationssystem. Tatsächlich rückten die Überwachungs- und Prüfungskommission durch das Bekanntwerden der Manipulationen im Sommer 2012 noch während des Novellierungsverfahrens in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. In einem durch die Reform neu gestrickten Gewand konnten die Kontrollgremien die Effizienz ihrer Arbeit sogleich unter Beweis stellen. Erstmalig waren bei den vorgenommenen Prüfungen Vertreter der Bundesländer sogleich maßgeblich involviert. Die flächendeckenden Untersuchungen förderten maßgebliche Missstände in einigen Transplantationszentren zutage, mit denen sich seitdem – lange überfällig – staatliche Stellen in rechtsstaatlichen Verfahren befassen konnten und weiterhin befassen werden. Gleichzeitig haben die Untersuchungen das Bewusstsein für die Bedeutung der Richtlinien im Klinikalltag sowie das Vertrauen in die zahlreichen gut funktionierenden Transplantationsprogramme stärken können, in denen es zu keinen Regelwidrigkeiten gekommen war. Dass die Ausgestaltung der Kontrollmechanismen jedoch noch immer verfassungsrechtlichen Ansprüchen nicht genügt, soll im Folgenden aufgezeigt werden.191 188  Siegmund-Schultze,

DÄBl 111 (2014), A-2039. zur Etablierung von Transplantationsbeauftragten insbesondere in Bayern Bösebeck, in: Oduncu / Schroth / Vossenkuhl (Hrsg.), Transplantation, S. 20, 22; Neft, in: Charbonnier / Laube (Hrsg.), Organ- und Gewebetransplantation, S. 83, 87. 190  Siehe ausführlich zu den Ergebnissen der Inhousekoordination bei der Betrachtung der Schlüsselrolle der Entnahmekrankenhäuser, S. 544 ff. 191  Zu den Kontrollgremien siehe S. 394 ff. sowie S. 406 ff. 189  Siehe

174

C. Die Reformen des Transplantationsgesetzes

2. Erhöhung der Anzahl ausgefüllter Organspendeausweise? Der Anteil der Bevölkerung, der seine Willensentscheidung zur Organspende in einem entsprechenden Ausweis dokumentiert hat, entwickelte sich in der Vergangenheit positiv. Betrug die Zahl Mitte der 1990er Jahre noch 5 % stieg sie im Jahr 2001 bereits auf 12 %192 und im Jahre 2010, laut einer Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, auf 25 %.193 Der Ausgangszustand, in dem sich die Bundesrepublik bei ihrem Reformvorhaben zur Steigerung der Organspendebereitschaft befand, wurde dennoch einhellig als unbefriedigend bezeichnet, da das Spenderpotential noch immer unzureichend abgeschöpft würde. Schließlich sind fast drei Viertel der Bevölkerung laut Umfragen zu einer Organ- und Gewebespende bereit.194 Die schlechte Dokumentationsquote sollte sich durch die Einführung der Entscheidungslösung ändern, die jeden Bürger regelmäßig mit dem Thema der Organspende konfrontiert.195 Mittlerweile sind die ersten breit gestreuten Aufklärungs- und Informationskampagnen durchgeführt. Insbesondere die Krankenkassen und privaten Krankenversicherungsunternehmen sind ihrer Verpflichtung der Versendung einschlägiger Unterlagen nachgekommen. Der erste Aussendezeitraum begann am 1. November 2012 und endete zum 1. November 2013. In einer Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung aus dem Sommer 2013 gaben 36 % der Befragten an, dass sie das Schreiben ihrer Krankenkasse oder -versicherung bereits erhalten hätten; 2014 waren es 43 %.196 Mehr als die Hälfte (61 %) von ihnen hat den beigefügten Organspendeausweis nach eigenen Angaben ausgefüllt.197 Tatsächlich haben im Jahr 2012 lediglich 22 % der Befragten einen Organspendeausweis besessen, deren Zahl 2013 bereits auf 28 % geklettert war. Diese Veränderung könnte laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung mit der Einführung der Entscheidungslösung und der damit in Zusammenhang ste192  Nickel, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 9. 193  Vgl. die Befragung der BZgA von 2010, S. 39. Die Studien der BZgA sind abrufbar unter: https: /  / www.organspende-info.de / infothek / studien (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). Insgesamt konnte auch die Anzahl der Transplantationen bis zum Jahre 2010 gesteigert werden. Dass die nur leicht schwankende Steigerung der Transplantationsrate zwischen 2003 und 2010 aber tatsächlich mit einer gewachsenen Spendebereitschaft zusammenhängt bezweifelt Breyer, in: Haarhoff (Hrsg.), Organversagen, S. 27, 34 ff. Er bringt die steigende Zahl vielmehr mit den gewachsenen medizinischen Möglichkeiten in Verbindung. 194  Vgl. die Befragung der BZgA von 2013, S. 35 (68 %) sowie von 2014, S. 33 (71 %). 195  Vgl. zum System der Entscheidungslösung S. 87 ff. 196  Vgl. die Befragung der BZgA von 2013, S. 39 sowie von 2014, S. 14. 197  Vgl. die Befragung der BZgA von 2013, S. 39.



V. Erste Auswirkungen der Gesetzesnovellierungen175

henden ersten Anschreibeperiode der Krankenkassen und -versicherungen zusammenhängen.198 2014, nachdem die erste Informationsversendung durch die Krankenkassen und -versicherungen tatsächlich endgültig abgeschlossen war, verstärkte sich dieser positive Trend sogar noch. Laut einer erneuten Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung liegt die Dokumentationsrate nun schon bei 35 %.199 Vor dem Hintergrund dieser Befragung scheint es tatsächlich gelungen, eine Steigerung der ausgefüllten Organspendeausweise zu erreichen. Da sich eine überwältigende Mehrheit der Bürger beim Ausfüllen eines Organspendeausweises für eine Spende entscheidet (86 %),200 ist in den folgenden Jahren ebenfalls ein positiver Einfluss auf die Organspenderrate zu erwarten. Ob jedoch mit einem langanhaltenden spür­ baren Effekt zu rechnen ist, soll im rechtspolitischen Ausblick erörtert werden.201 3. Folgen des Manipulationsskandals Der Manipulationsskandal hat die Spenderraten in einen steilen Sinkflug versetzt. Dieser konnte jedoch zumindest langsam eingedämmt werden. Es ist allerdings schwer ermittelbar, ob dies mit der neuerlichen Gesetzesnovelle aus dem Jahre 2013 in Zusammenhang steht oder die positive Entwicklung nicht viel eher auf positiven Nachwirkungen der strukturellen und informationsbasierten Reformen aus dem vorherigen Jahr beruht. Die zahlreichen Maßnahmen im Jahr 2013 können nicht verschleiern, dass die Beseitigung der grundlegenden Strukturprobleme des Systems noch ansteht, worauf in der rechtlichen Würdigung der Organisation der Transplantationsmedizin noch einzugehen sein wird. Zudem wird sich erst mittelfristig zeigen, wie kritisch und durchschlagend die systemimmanente Begleitung der Transplantationsmedizin durch die Politik, insbesondere das Bundesgesundheitsministerium, ausfallen wird. Sicher dürfte sein, dass die durch das TPGÄndG ermöglichten verschärften Kontrollen die Zentren vor vorsätzlichen und systematischen Manipulationen der Patientendaten der bisherigen Art in näherer Zukunft zurückschrecken lassen werden, auch wenn die Qualität der Prüfergebnisse von mancher Seite in Frage gestellt wird.202 Unterstützt wird dies durch den 198  Vgl.

ebda., S. 42. die Befragung der BZgA von 2014, S. 8. 200  Vgl. ebda., S. 10. 201  Zum „Erfolgskonzept Entscheidungslösung“ siehe S. 510 ff. 202  Vgl. zu dem Vorwurf schwerwiegender Mängel Gutmann, Rechtswissenschaftliches Gutachten zu dem „Kommissionsbericht der Prüfungs-und der Überwachungskommission“ gemäß § 11 Abs. 3 und § 12 Abs. 5 TPG vom 28.08.2013 über das Le199  Vgl.

176

C. Die Reformen des Transplantationsgesetzes

neuen Straftatbestand in § 19 Abs. 2a TPG i. V. m. § 10 Abs. 3 S. 2 TPG, der trotz berechtigter Kritik zumindest Abschreckungswirkung entfalten und das Signal an die Öffentlichkeit senden dürfte, dass nicht nur die Selbstverwaltung, sondern auch der Staat seinen Kontrollauftrag verstärkt wahrnehmen wird. Verurteilungen gab es bisher noch keine. Da die Transplantationsmedizin im Augenblick eine hoch sensibilisierte Phase durchläuft und sich einschlägige Ermittlungen zeitintensiv gestalten, ist mit solchen vorerst auch nicht zu rechnen. In Fällen der Vorenthaltung einer grundsätzlich notwendigen Behandlungsmaßnahme, die den Patienten aufgrund seines tatsächlich verschlechterten Gesundheitszustands auf der Warteliste nach oben rücken lässt, ist eine Strafbarkeit in Zukunft ohnehin über § 19 Abs. 2a TPG i. V. m. § 10 Abs. 3 S. 2 TPG schwerlich konstruierbar. Aber auch abseits vorsätz­ licher Datenmanipulation dürfte sich das Bewusstsein der Klinken für den Stellenwert der Richtlinien bei ihren Entscheidungen verstärkt haben. Mit den bisherigen Maßnahmen nicht angegangen wurde jedoch das Problem der oftmals kritisierten Unklarheit und Interpretationsweite der anzuwendenden Richtlinien, die ihre praktische Handhabung erschweren. Hier bleiben die anstehenden Modifikationen durch die Bundesärztekammer abzuwarten.203 Ebenso förderlich ist das Erfordernis der gemeinschaftlichen Entscheidung einer Transplantationskonferenz über die Aufnahme auf die Warteliste, die Alleingänge von nun an unmöglich macht; auch wenn diese bereits vorher eher die Ausnahme gewesen sein dürften. Die normative Verankerung in den Richtlinien bedeutet an dieser Stelle einen Gewinn an Rechtssicherheit und vor allem Transparenz des Verfahrens, das für Kontrolle und Vertrauen in das Allokationssystem von größter Bedeutung ist. Insbesondere die Verteilungsgerechtigkeit betrifft einen transplantationsrechtlichen Teilbereich, der in der Öffentlichkeit verstärkt wahrgenommen wird und handfeste Reaktionen zeitigt. Dies beweisen nicht nur die dramatischen Spenderrückgänge nach den Skandalen, sondern auch die verbreitete Sorge vor einem Organhandel. Sie ist der häufigste Grund für die Ablehnung der Organspende.204 Aus verfassungsrechtlicher Perspektive sind jedoch noch weitere Reformen im Hinblick auf die Legitimität von Handlungsermächtigungen einzelner Institutionen wie der Bundesärztekammer, der Deutschen Stiftung Organtransplantation oder Eurotransplant anzustreben, die in dieser Arbeit noch

bertransplantationsprogramm des Universitätsklinikums Münster. Näher zur Qualität der Überwachung der Transplantationszentren siehe S. 560 ff. 203  Vgl. zur Überholungsbedürftigkeit der Richtlinien die Bewertung der Organisation der Entscheidungsprozesse in den Transplantationszentren, S. 555 ff. 204  Vgl. die Befragung der BZgA von 2013, S. 56 sowie 2014, S. 39.



VI. Fazit

177

diskutiert werden sollen.205 Dass der eingeführte Genehmigungsvorbehalt für die Transplantationsrichtlinien tatsächlich zu einer maßgeblichen Vertrauensbildung der mit den umfangreichen Strukturen des Transplantationssystems nur wenig befassten Bürger beiträgt, darf bezweifelt werden; aus der Per­ spektive eines Juristen wurden die tiefen verfassungsrechtlichen Wunden letztlich nur dürftig versorgt.206 Ob durch die bereits erfolgten Maßnahmen der erstrebte dauerhafte Vertrauensgewinn in der Bevölkerung erreicht werden kann oder ob dafür grundlegendere Neustrukturierungen erforderlich werden, wird sich erst noch zeigen müssen. Neben einem Erfolg der jüngsten Novellierung ist ebenso denkbar, dass sich die Zurückhaltung aller Beteiligten – Klinikpersonal, Bevölkerung und betroffenen Angehörigen – nach dem Ende der kritischen medialen Berichterstattung schlicht im Laufe der Zeit von selbst normalisiert.

VI. Fazit Die Genese des Transplantationsgesetzes basiert auf lange gewachsenen Strukturen, die auch mit der Reformwelle von 2012 nicht aufgebrochen werden sollten. Ein gar staatlich dominiertes Transplantationssystem stand nie auf der politischen Agenda. Motiviert wurde die erste Reformwelle durch die Vorgaben der auf Art. 168 Abs. 4 lit. a AEUV basierenden unionsrechtlichen RL  2010 / 53 / EU. Im Mittelpunkt der Novellierung standen vor allem die gesetzliche Überführung der durch die Europäische Union vorgegebenen Qualitäts- und Sicherheitsstandards, strukturell-organisatorische Verbesserungsversuche im Transplantationsprozess sowie die Steigerung der Bereitschaft zur Organspende in der Bevölkerung durch Aufklärungskampagnen. Ebenso wurde mit der erneuten Reform aus dem Jahre 2013 die bisherige Organisationsstruktur nicht angetastet, obgleich sie von mancher politischen Seite nun doch verstärkt in Kritik geriet. Punktuelle Neujustierungen des Gesetzes wie die Einführung des neuen Straftatbestands für Wartelistenmanipulationen oder der Genehmigungsvorbehalt für die Transplantationsricht­ linien, sollten das Vertrauen der Bevölkerung nach dem Bekanntwerden der Transplantationsskandale wiederherstellen. Nach einem lange vorbereiteten Reformvorstoß im Jahre 2012 und einer darauffolgenden Eilnovellierung, hat sich das System der Transplantations205  Zur verfassungsrechtlichen Beleuchtung des Rückzugs des Staates aus seiner Entscheidungsverantwortung siehe S. 346 ff. 206  Zur verfassungsrechtlichen Bewertung der Einbeziehung der Bundesärztekammer siehe S. 351 ff.

178

C. Die Reformen des Transplantationsgesetzes

medizin in Deutschland weiterentwickelt; erste positive Effekte sind, insbesondere im Bereich der Steigerung der Anzahl von Organspendeausweisen, bereits spürbar. Es wird im Laufe der Arbeit jedoch aufgezeigt werden, dass weitreichendere Reformanstrengungen, die die Organisationsstruktur zwar nicht vollständig aus den Angeln gehoben, aber grundlegender überdacht hätten, begrüßenswert gewesen wären. Das alte System wird sich in Zukunft unter strengen Augen der Kritiker harten Bewährungsproben im Hinblick auf Missbrauchsfestigkeit, Effizienz und Gerechtigkeit, aber auch grundsätzlicher Legitimität stellen müssen. Die Forderungen nach einer durchgreifenden Neuausrichtung der Transplantationsmedizin werden so schnell nicht zum Verstummen gebracht werden können.

D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems Die Reformen des Transplantationsgesetzes zielten unter dem Eindruck des massiven Organmangels vor allem auf organisatorisch-strukturelle Verbesserungen des Transplantationssystems, die über die bloße Anhebung von Qualitäts- und Sicherheitsstandards hinausgingen. Sie waren auf die Steigerung der Bereitschaft zur Organspende in der Bevölkerung und mit der letzten Eilnovellierung nicht zuletzt darauf gerichtet, das Vertrauen der Öffentlichkeit nach einer Reihe von Unregelmäßigkeiten zurückzugewinnen. Der Schwerpunkt der Würdigung des Transplantationssystems soll, diese Punkte aufgreifend, auf dessen organisatorischen Rahmenbedingungen nach den Reformen liegen, die die Voraussetzungen und den Ablauf der Spende als auch den Transplantationsprozess mit seinen beteiligten Institutionen und dem Verteilungssystem betreffen. Obschon diese Faktoren in der politischen Debatte oftmals auf Bewertungen der Effizienz und Vertrauenswürdigkeit reduziert scheinen, stellen sich zuvörderst Fragen nach der verfassungsrechtlichen Legitimität der gewählten Systemausgestaltung und möglichen alternativen Ausrichtungen. Die Zielsetzungen der Reformen des Transplantationsgesetzes belegen die enge Verknüpfung der Medizin mit normativ aufgeladenen Begriffen wie „Leidensminderung“, „Nächstenliebe“ oder „Gerechtigkeit“. Bereits die mit dem ärztlichen Heilauftrag korrespondierende Absicht des Transplantationsgesetzes, möglichst viele Menschen in einem effizienten System zu einem neuen Organ zu verhelfen und damit ihre Gesundheit wiederherzustellen, verdeutlicht die enorme Verbundenheit der Transplantationsmedizin und ihrer rechtlichen Grundsätze mit der Ethik. Diese inspiriert das Recht in seiner Entstehung, indem sie politische Richtungsentscheidungen des Gesetzgebers maßgeblich lenkt. Der Gesundheitssektor, zu dem die Transplanta­ tionsmedizin zählt, veranschaulicht den Zusammenhang, in dem die Ethik, das Recht und rechtspolitische Überlegungen stehen. Das Verständnis für ihr Zusammenspiel macht das aktuelle Rechtssystem der Transplantationsmedizin nachvollziehbar und Entwicklungschancen einschätzbar, weshalb zunächst zumindest überblicksartig das Verhältnis von Ethik, Recht und Rechtspolitik beleuchtet werden soll (I.). Da ethische Grundsätze die Rechtsentwicklung ab ovo begleiten und maßgeblich beeinflussen, sind einschlägige Vorfragen auch aus juristischem Blickwinkel bedeutungsvoll (II.). Ihnen folgt eine Analyse der verfassungsrechtlichen Problemstellungen (III.)

180

D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

und rechtspolitischen Handlungsmöglichkeiten (IV.) im Rahmen des Transplantationswesens.

I. Das Zusammenspiel von Ethik, Recht und Rechtspolitik Werden in der Medizin neue Errungenschaften wissenschaftlicher Forschung gefeiert, können diese keinesfalls isoliert betrachtet werden. Ein ­klinischer Erkenntnis- und Handlungsgewinn bedeutet gleichzeitig neue Herausforderungen für andere Wissenschaftsdisziplinen. Die Erweiterung der Möglichkeiten medizinischer Heilungsmethoden verlangt nach rechtlichen Strukturen, die das gesellschaftliche Bedürfnis nach Rechtssicherheit befriedigen. Es ist allerdings fraglich, ob das Recht allein dazu in der Lage ist, Antworten auf inhaltliche Fragestellungen zu geben, die dem lebenswissenschaftlichen Bereich zuzuordnen sind oder es nicht vielmehr der Hinzuziehung einer weiteren wissenschaftlichen Disziplin, etwa der Ethik, bedarf. Finden von ethischen Überlegungen inspirierte Diskussionen Eingang in den rechtspolitischen Alltag, stellt sich die Frage nach dem Zusammenspiel von Ethik, Recht und Rechtspolitik. Im folgenden Abschnitt soll eine holzschnittartige Analyse des Einflusses ethischer Vorüberlegungen auf das Recht erfolgen (1.) sowie die damit verbundenen Herausforderungen für die Rechtspolitik untersucht werden (2.), ohne dabei den Anspruch auf eine umfassende Problemdarstellung zu erheben. Anstatt die Wechselwirkungen der Disziplinen oder gar das mit dieser Beziehung zusammenhängende Prinzip demokratischer Legitimation erschöpfend zu untersuchen und damit den Untersuchungsgegenstand der hiesigen Arbeit zu sprengen, soll vorliegend vielmehr ein Denkanstoß für die weiteren inhaltlichen Überlegungen in Bezug auf das Transplantationsrecht gegeben werden.1 1. Die Einwirkung der Ethik auf das Recht Bevor sich mit der grundsätzlichen Frage des Einflusses der ethischen Wissenschaft auf das Recht befasst (b)) und die wichtige Stützfunktion der Ethik für die Rechtsschöpfung herausgearbeitet werden kann (c)), muss zunächst eine kurze begriffliche Abgrenzung der beiden Begriffe erfolgen (a)).

1  Für eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Thema „Ethik in der Rechtsordnung“ samt Blick auf den medizinrechtlichen Bereich sei vor allem verwiesen auf Ammann, Medizinethik und medizinethische Expertengremien im Licht des öffent­ lichen Rechts; Kreß, Ethik der Rechtsordnung; Spranger, Bioethik und Recht.



I. Das Zusammenspiel von Ethik, Recht und Rechtspolitik181

a) Kurzabgrenzung Als Recht wird die Summe aller in einer Rechtsordnung geltenden – geschriebenen und ungeschriebenen – Normen bezeichnet.2 Was ihr zugehörig ist, entscheidet die Rechtsordnung autonom.3 Rechtssysteme bestehen aus einer Vielzahl von Normen, d. h. sachlichen Generalisierungen,4 die eine gewisse Dauer und Beständigkeit aufweisen.5 Das Recht kodifiziert vor allem eine Verhaltens- und Umgangsordnung der Menschen untereinander und entspringt dem gesellschaftlichen Bedürfnis nach einem „sozialen Ordnungsgefüge“.6 Es ist notwendige Existenzbedingung für eine moderne Gesellschaft, da nur positives Recht Verhaltenserwartungen stabilisieren und so Vertrauen in ein bestimmtes Verhalten schaffen kann.7 Die aufgestellten Regeln beziehen sich auf das äußere Gebaren des Menschen und halten ihn aufgrund ihres autoritären Charakters zu Handlungen oder Unterlassungen an. Innere Zustimmung verlangen rechtliche Normen hingegen nicht.8 Ihr hoher Verbindlichkeitsgrad zeigt sich vor allem in der Sanktionierbarkeit von Verstößen.9 Das Recht ist parallel zur Entwicklung der Gesellschaft ständigen Modifikationen unterworfen.10 Es erweist sich damit als flexibel und anpassungsfähig.11 Die Rechtswissenschaft als Wissenschaft vom Recht und seinen Erscheinungsformen beschäftigt sich mit der Auslegung sowie der systematischen und begrifflichen Durchdringung rechtlicher Quellen.12 2  Vgl. Taupitz, in: Schliesky / Ernst / Schulz (Hrsg.), FS Schmidt-Jortzig, S. 825, 826; zur Herkunft des Rechts siehe die überblicksartige Auseinandersetzung zwischen der Naturrechtslehre sowie dem Rechtspositivismus bei Pieper, Einführung in die Ethik, S.  64 ff. 3  Taupitz, in: Schliesky / Ernst / Schulz (Hrsg.), FS Schmidt-Jortzig, S. 825, 826. 4  Vgl. Luhmann, Ausdifferenzierungen des Rechts, S. 117, 215. 5  Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 41. 6  Vgl. Ammann, Medizinethik und medizinethische Expertengremien im Licht des öffentlichen Rechts, S. 88; Pieper, Einführung in die Ethik, S. 64; Seelmann, Rechtsphilosophie, § 2 Rn. 59. 7  Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 45; zur Normativität als ein entscheidendes Merkmal des Rechts in modernen Gesellschaften siehe Luhmann, Ausdifferenzierungen des Rechts, S. 215. 8  Vgl. Brech, Triage und Recht, S. 105; Pieper, Einführung in die Ethik, S. 66. 9  Vgl. Ammann, Medizinethik und medizinethische Expertengremien im Licht des öffentlichen Rechts, S. 90; Brech, Triage und Recht, S. 104; Henkel, Einführung in die Rechtsphilosophie, S. 42; Taupitz, in: Schliesky / Ernst / Schulz (Hrsg.), FS Schmidt-Jortzig, S. 825, 826. 10  Vgl. näher hierzu Luhmann, Ausdifferenzierungen des Rechts, S. 75; Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 40 f. 11  Vgl. Luhmann, Ausdifferenzierungen des Rechts, S. 135, 143; Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 45. 12  Taupitz, in: Schliesky / Ernst / Schulz (Hrsg.), FS Schmidt-Jortzig, S. 825, 826.

182

D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

Die Ethik hingegen befasst sich mit Aussagen über moralische Werte sowie moralische Handlungsnormen, indem sie diese und die mit ihnen zusammenhängenden Argumente kritisch reflektiert und analysiert.13 Moral bezeichnet die Gesamtheit aller Normen des gerechten und guten Handelns.14 Im Gegensatz zum Recht fokussiert die Ethik als „Wissenschaft von der Moral“ nicht nur das Handeln des Menschen nach außen, sondern auch seine inneren Überzeugungen.15 Die normative Ethik sucht Gründe für die Rechtfertigung von Handlungsanweisungen.16 Förmliche Sanktionen oder Zwangs­ befugnisse sind ihr fremd.17 b) Grundsätzliche Einwirkungsfragen Inhaltlich sind Recht und Ethik trotz ihrer elementaren Unterschiede eng miteinander verwoben.18 So überschneiden sich das ethisch Richtige und das rechtlich Gebotene oftmals, denn beides ist auf die Gewährleistung humaner Grundwerte ausgerichtet. Letztlich behandeln beide wissenschaftliche Dis­ ziplinen Gerechtigkeitsfragen und suchen nach Regeln für das richtige Verhalten;19 auch wenn das Recht die Bewertung menschlicher Handlungen unter dem Aspekt der Legalität und nicht der Moralität vornimmt.20 Das zeigt sich schon daran, dass das Recht keinesfalls eine Bündelung aller ethischen Werte darstellt, sondern sich in vielen Bereichen auf ein „ethisches 13  Vgl. Ammann, Medizinethik und medizinethische Expertengremien im Licht des öffentlichen Rechts, S. 154, 156; Brech, Triage und Recht, S. 103; Spranger, Bioethik und Recht, S. 31; Taupitz, JZ 2003, S. 815, 817; ders., in: Schliesky / Ernst / Schulz (Hrsg.), FS Schmidt-Jortzig, S. 825; näher zu den Aufgaben der Ethik siehe Pieper, Einführung in die Ethik, S. 17 ff.; Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 25 f.; dies., in: Vöneky / Hagendorn / Clados u. a. (Hrsg.), Legitimation ethischer Entscheidungen im Recht, S. 85, 88. 14  Taupitz, JZ 2003, S. 815, 817; ders., in: Schliesky / Ernst / Schulz (Hrsg.), FS Schmidt-Jortzig, S. 825; vgl. auch Beckmann, Ethik Med 2006, S. 369, 370; Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 24 f. 15  Henkel, Einführung in die Rechtsphilosophie, S. 80; Taupitz, in: Schliesky /  Ernst / Schulz (Hrsg.), FS Schmidt-Jortzig, S. 825, 826. 16  Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 72. 17  Ammann, Medizinethik und medizinethische Expertengremien im Licht des öffentlichen Rechts, S. 154; P. Kirchhof, in: Kern / Wadle / Schroeder u. a. (Hrsg.), FS Laufs, S. 931, 932; Spranger, Bioethik und Recht, S. 32; Taupitz, in: Schliesky /  Ernst / Schulz (Hrsg.), FS Schmidt-Jortzig, S. 825, 826. 18  Brech, Triage und Recht, S. 103; P. Kirchhof, in: Kern / Wadle / Schroeder u. a. (Hrsg.), FS Laufs, S. 931; Taupitz, in: Schliesky / Ernst / Schulz (Hrsg.), FS SchmidtJortzig, S. 825, 827. 19  Vgl. Brech, Triage und Recht, S. 104. 20  Pieper, Einführung in die Ethik, S. 140.



I. Das Zusammenspiel von Ethik, Recht und Rechtspolitik183

Minimum“21 beschränkt. Nicht jedes „richtige Handeln“ ist einer sinnvollen rechtlichen Regelung zugänglich, will man das Recht nicht überfrachten. Es wird dem Einzelnen so ermöglicht, rechtlich vollkommen tadellos, jedoch moralisch verwerflich zu handeln.22 Ebenso kann nicht alles, was als Recht identifiziert wird, an den Kategorien „gut“ und „böse“ gemessen werden (etwa im Fall der Regelung bloßer Organisationsfragen).23 Die Kompetenzen der Ethik werden vor allem dann virulent, wenn Fragen des menschlichen Miteinanders weder durch Fachwissen noch durch die Berufung auf das Recht regelbar sind.24 Es sind die Medizin und die Naturwissenschaften, die Antworten darauf geben können, wie der Mensch seine Lebensbedingungen gesundheitlich oder technisch verbessern kann;25 sie können aber nicht für sich in Anspruch nehmen, gleichzeitig darüber urteilen zu können, welche Art Entwicklungen in unserer Gesellschaft erstrebenswert sind. Für diese Sinnfrage blind ist zunächst auch das Recht. Zwar schafft es äußerlich verbindliche Regeln, ist jedoch ahnungslos in Bezug auf elementare Vorfragen, wie die moralische Verantwortlichkeit des Menschen. Die Rechtswissenschaft stellt keine Gerechtigkeitserwägungen auf; sie reflektiert diese lediglich.26 Der moderne Verfassungsstaat hat es sich zum Anspruch gemacht, seine Grundsatzregeln im Einklang mit der Ethik zu gestalten und sieht die Ethik damit als Entstehensquelle und das Gesetz als Erkenntnisquelle für das Recht.27 Seine Rechtsnormen sind zwar nicht zugleich moralische Normen, setzen diese aber vielfach voraus, denn die freiheitlich-demokratische Rechtsordnung basiert auf moralischen Prämissen wie Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit als unbedingten Werten.28 Das Grundgesetz der Bundesrepublik hat, etwa mit der Festschreibung von Grundrechten, vielfach ethische Prinzipien inkorporiert und somit in das positive Recht überführt.29 Es hat 21  Vom Recht als ethisches Minimum spricht schon Jellinek, Die sozialethische Bedeutung von Recht, Unrecht und Strafe, S. 42. 22  Pieper, Einführung in die Ethik, S. 140. 23  Vgl. zum Vorstehenden Taupitz, in: Schliesky / Ernst / Schulz (Hrsg.), FS Schmidt-Jortzig, S. 825, 827; siehe auch Brech, Triage und Recht, S. 104 ff. 24  Vgl. Ammann, Medizinethik und medizinethische Expertengremien im Licht des öffentlichen Rechts, S. 156; Ritschl, Zur Theorie und Ethik der Medizin, S. 146; vgl. zur Ethisierung des Rechts insbesondere aus zivilrechtlicher und völkerrecht­ licher Sicht auch Paulus / Schneider, JA 2013, S. 1197 ff. 25  P. Kirchhof, in: Kern / Wadle / Schroeder u. a. (Hrsg.), FS Laufs, S. 931, 932. 26  Brech, Triage und Recht, S. 143. 27  P. Kirchhof, in: Kern / Wadle / Schroeder u. a. (Hrsg.), FS Laufs, S. 931, 932. 28  Pieper, Einführung in die Ethik, S. 140. 29  Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 101; vgl. auch Spranger, Bioethik und Recht, S. 34.

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damit im Grundrechtsteil eine für alle Bereiche des Rechts gültige objektive Werteordnung erschaffen.30 Die ethische Wissenschaft ist eine die Legislativorgane stetig begleitende Kontrollinstanz bei der Entwicklung des Rechts. Ihre von der Frage nach dem richtigen Handeln aufgeworfenen Wertediskussionen beeinflusst sowohl den Rechtsetzungsprozess als auch den exekutiven Entscheidungsprozess regelmäßig; sei es über zu ethischen Bewertungen aufgeforderte Gremien, Anhörungen oder sonstige Kontaktpunkte.31 Motiviert wird das Hinzuziehen ethischer Hilfestellungen vor allem aus der Überzeugung, dass Recht nur auf Dauer Bestand haben kann, wenn es nicht bloß eine formale Zwangsordnung schafft, sondern es zugleich ethischen Grundsatzwertungen entspricht.32 Recht bedarf folglich einer ethischen Rechtfertigung.33 Ebenso ist die Ethik auf das Recht als Verstärker angewiesen, da ihre Normen nur dann tatsäch­ liche Verbindlichkeit erlangen können; zumal diese oftmals einer rechtlichpolitischen Konkretisierung bedürfen werden, um ihre Anwendbarkeit zu ­sichern.34 Im Angesicht moderner medizinethischer Herausforderungen ist das Recht dazu in der Lage, Handlungsvorgaben sowie Kontroll- und Sanktionsmechanismen zu schaffen, die dem gesellschaftlichen Zusammenleben einen Rahmen geben, in dem ein bestimmtes moralisches Handeln gefordert, gefördert und durchgesetzt werden kann.35

30  Vgl. BVerfGE 2, 1, 12; 5, 85, 138 f.; 6, 32, 40; 7, 198, 205; zur objektiven Werteordnung des Grundgesetzes auch von der Pfordten, Rechtsethik, S. 99 ff. 31  Zu denken ist hier vor allem an die Stellungnahmen von Ethikräten, öffentliche Anhörungen nach § 70 Abs. 1 S. 1 GeschOBT oder die Tätigkeit der Wissenschaft­ lichen Dienste des Bundestags als konstante Beratungsinstitutionen. Mehr politisch gefärbt erweist sich die Beratung durch die Enquete-Kommissionen nach § 56 ­GeschOBT, deren Mitglieder im Einvernehmen der Fraktionen bestimmt werden sollen, vgl. zur Politiknähe der Kommission schon Taupitz, JZ 2003, S. 815, 819; Vierhaus, NVwZ 1993, S. 36, 39. 32  Vgl. zu Vorstehendem P. Kirchhof, in: Kern / Wadle / Schroeder u. a. (Hrsg.), FS Laufs, S. 931, 933; Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 44, 99; siehe auch Brech, Triage und Recht, S. 107. 33  Zur rechtfertigenden Beziehung zwischen Recht und Moral siehe schon von der Pfordten, Rechtsethik, S. 87 ff.; vgl. ebenso Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 100. 34  Vgl. Bondolfi, in: Bondolfi / H. Müller (Hrsg.), Medizinische Ethik im ärzt­lichen Alltag, S. 83, 115; Fateh-Moghadam / Atzeni, in: Vöneky / Hagendorn / Clados u. a. (Hrsg.), Legitimation ethischer Entscheidungen im Recht, S. 115, 118. 35  Ähnlich Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 72.



I. Das Zusammenspiel von Ethik, Recht und Rechtspolitik185

c) Die Ethik als „Wegbereiter“ der Rechtsetzung und Rechtsanwendung Die Abhängigkeit des Rechts von anderen Disziplinen ist keinesfalls ein unübliches Phänomen. Insbesondere in naturwissenschaftlichen Bereichen bedarf eine sinnvolle Gesetzgebung der Anknüpfung an etwa naturwissenschaftliche Tatsachen.36 Ebenso ist das Recht überfordert, aus sich heraus Entscheidungsleitsysteme für lebenswissenschaftliche Fragestellungen anzubieten.37 Eine rechtswissenschaftliche Erkenntnis über die „Dinge an sich“ gibt es nicht, da Normen keine Perspektive des Erkennens inhärent ist.38 Materiell richtige Erkenntnisse über außerrechtliche Fragen kann das Recht nicht gewinnen.39 Allerdings zeigen sich auch die Naturwissenschaften oder die Medizin nicht im Stande, die lebenswissenschaftlichen Konflikte vollumfänglich zu lösen. Gerade im Bereich der Medizin existieren Felder, die sich faktenwissenschaftlicher Bewertung entziehen.40 Diese verlangen nach fachwissenschaftlichen Überlegungen zum „richtigen Handeln“, sodass es der Heranziehung ethischer Expertise bedarf. Die Ethik begleitet im Hinblick auf diese Fragestellungen nicht nur die Rechtsschöpfung, sondern beeinflusst auch die konkrete Rechtsanwendung in verdeckter und sogar ganz offensichtlicher Weise.41 Sie stellt folglich einen maßgeblichen Impetus dar, der aus Recht (aa)) und Politik (bb)) nicht mehr wegzudenken ist. aa) Die Funktion der Ethik in gesetzlichen Regelungen Gerade das Medizinrecht verweist an zahlreichen Stellen durch Öffnungsklauseln auf die Ethik. So beruft sich § 5 des StZG ausdrücklich darauf, dass das Forschungsvorhaben, für das Stammzellen eingeführt werden sollen, „ethisch vertretbar“ sein muss. Ähnliche Formulierungen finden sich in § 7 Abs. 3 S. 1 TierSchG und § 16 Abs. 2 S. 2 GenDG.42 Die Ethisierung des 36  Taupitz,

in: Schliesky / Ernst / Schulz (Hrsg.), FS Schmidt-Jortzig, S. 825, 835. Medizinethik und medizinethische Expertengremien im Licht des öffentlichen Rechts, S. 98. 38  Vgl. ebda., S. 149; Robles, in: Krawietz / Opalek / Wróblewski (Hrsg.), Sprache, Performanz und Ontologie des Rechts, S. 317, 344. 39  Vgl. schon Kaufmann, in: Kaufmann / Hassemer / Neumann (Hrsg.), Einführung in Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, S. 26, 129 f. 40  Vgl. Ammann, Medizinethik und medizinethische Expertengremien im Licht des öffentlichen Rechts, S. 103 ff. 41  Vgl. schon Spranger, Bioethik und Recht, S. 40 f. 42  Näher zu diesen und weiteren offenen Verweisen des Rechts auf die Medizin­ ethik siehe Fateh-Moghadam / Atzeni, in: Vöneky / Hagendorn / Clados u. a. (Hrsg.), Legitimation ethischer Entscheidungen im Recht, S. 115 ff.; Taupitz, in: Schlies­ky / 37  Ammann,

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

Rechts durch Öffnungsklauseln ist rechtsstaatlich jedoch nicht unbedenklich, da außerrechtliche Maßstäbe und Wertungen in die Rechtsanwendung einbezogen werden und zu Quasi-Rechtsnormen mit verbindlichem Regelungsgehalt erwachsen.43 Hinzu kommt die Schwierigkeit, den Gehalt ethischer Maßstäbe abzuschätzen, was mit dem Grundsatz der hinreichenden Bestimmtheit von Normen konfligiert und sogar dazu in der Lage ist, in die Rechtsanwendung das Element der Willkür hineinzutragen.44 Im Folgenden soll sich aber auf die sich im Transplantationsrecht ergebenen Herausforderungen ethischer Normsetzung konzentriert werden. Im Transplantationsrecht wird zumindest verdeckt auf die Erforderlichkeit ethischer Entscheidungen verwiesen, indem etwa normiert wird, dass Organe nach dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft, insbesondere nach Erfolgsaussicht und Dringlichkeit, zu vermitteln sind (§ 12 Abs. 3 S. 1 TPG).45 Diese Formulierung erweist sich als höchst irreführend. Die Medizin als Wissenschaft kann zwar vorgeben, wann eine Transplantation medizinisch indiziert ist; den Konflikt welcher von vielen bedürftigen Patienten konkret zu bevorzugen ist, kann sie jedoch mit ei­ genen Mitteln nicht lösen. Dazu bedarf es normativer Vorgaben, weshalb sich der Verweis auf die medizinische Wissenschaft eher als Zuweisung der Konkretisierungsaufgabe an die Medizinethik darstellt. Ebenso kann die Abwägung zwischen den beiden Parametern Erfolgsaussicht und Dringlichkeit ausschließlich auf normativer Grundlage erfolgen. Zur Auflösung des Verteilungskonflikts bedarf es der Reflexion ethischer Überlegungen innerhalb rechtspolitischer Entscheidungsfindung und einer Fixierung der ge­ fundenen Ergebnisse durch das Recht.46 Der medizinethische Diskurs hat hier folglich das Potential, die zukünftige Rechtsetzung sinnvoll zu befruchten.

Ernst / Schulz (Hrsg.), FS Schmidt-Jortzig, S. 825, 827 ff.; zur Implementierung sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse in das Recht siehe auch Ammann, Medi­zinethik und medizinethische Expertengremien im Licht des öffentlichen Rechts, S. 108 ff. 43  Gruschke, in: Vöneky / Beylage-Haarmann / Höfelmeier u. a. (Hrsg.), Ethik und Recht, S. 41, 42. 44  Ebda., S. 42. 45  Vgl. Taupitz, in: Schliesky / Ernst / Schulz (Hrsg.), FS Schmidt-Jortzig, S. 825, 834. 46  Vgl. zu den Verteilungsregeln S. 423 ff.



I. Das Zusammenspiel von Ethik, Recht und Rechtspolitik187

bb) Ein wichtiges Einwirkungsmoment: Ethikgremien als Quelle kompetenter Politikberatung Das Gesetzgebungsverfahren wird im Rahmen der wissenschaftlichen Poli­tikberatung durch die ständigen Beiräte, Enquete-Kommissionen (§ 56 GOBT) sowie Projektarbeitsgruppen dominiert. Daneben kommt Anhörungen (Hearings nach § 70 GOBT), Gutachten und Forschungsaufträgen eine entscheidende Rolle zu.47 Ein besonderes Betätigungsfeld wissenschaftlicher Reflexion sind die Ethikgremien.48 An den Schnittstellen von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, rechtlichen Regelungsbedürfnissen und ethischen Herausforderungen werden philosophisch-ethische Wertungsfragen immer öfter auf interdisziplinäre Expertengremien ausgelagert.49 Da Expertenentscheidungen im Transplantationsrecht eine besondere Rolle spielen, soll sich an dieser Stelle den Ethikgremien zumindest in Kürze gewidmet werden. Traditionell waren diese Foren politikferne Einrichtungen, die der wissenschaftlichen Selbstkontrolle konkreter Forschungsvorhaben am Menschen dienten. Mittlerweile wurden solche Ethikgremien als Ethikkommissionen von der Politik in die Pflicht genommen und vielfach gesetzlich normiert (z. B. durch das Arzneimittelgesetz, Medizinproduktegesetz, aber auch das Transplantationsgesetz).50 Sie beschäftigen sich mit speziellen medizinethischen Fragestellungen innerhalb einer Arzt-Patienten-Beziehung, etwa mit der Überprüfung der ethischen Vertretbarkeit einer klinischen Prüfung.51 Dabei nehmen die Kommissionen häufig diffizile ethische Abwägungen zwischen widerstreitenden Prinzipien vor.

47  Voßkuhle,

in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. III, § 43 Rn. 7. zu Expertengremien im Medizinrecht Ammann, Medizinethik und medizinethische Expertengremien im Licht des öffentlichen Rechts, S. 313 ff.; Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 233 ff. 49  Vgl. Ammann, Medizinethik und medizinethische Expertengremien im Licht des öffentlichen Rechts, S. 313. 50  Taupitz, JZ 2003, S. 815, 816; vgl. zu Ethikkommissionen auch Ammann, Medizinethik und medizinethische Expertengremien im Licht des öffentlichen Rechts, S. 316; Dederer, in: Vöneky / Beylage-Haarmann / Höfelmeier u. a. (Hrsg.), Ethik und Recht, S.  443 ff.; Poscher, in: Vöneky / Beylage-Haarmann / Höfelmeier u. a. (Hrsg.), Ethik und Recht, S. 433 ff.; Siep, in: Vöneky / Beylage-Haarmann / Höfelmeier u. a. (Hrsg.), Ethik und Recht, S. 423 ff.; Spranger, Bioethik und Recht, S. 323 f.; Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 581 ff. 51  Vgl. §§ 40 Abs. 1, 42 AMG sowie §§ 20 Abs. 1, 22 MPG, wonach die Durchführung der klinischen Prüfung eines Arzneimittels bzw. Medizinprodukts erst erfolgen darf, wenn die zuständige Ethikkommission diese zustimmend bewertet hat; vgl. dazu Ammann, Medizinethik und medizinethische Expertengremien im Licht des öffentlichen Rechts, S. 316. 48  Eingehend

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

In der Transplantationsmedizin wurde gemäß § 8 Abs. 3 S. 2–4 TPG die Einrichtung von Lebendspendekommissionen auf Länderebene vorgeschrieben, denen die Überprüfung der (Un-)Freiwilligkeit der Spenderentscheidung obliegt. Diese nimmt insofern eine Sonderstellung ein, als dass sie mit der Prüfung eines einzigen medizinethischen Prinzips ein sehr eingeschränktes Tätigkeitsfeld innehat und damit eher einem „psychologischen Sachverständigengremium“ gleicht.52 Ebenso sind Ethikgremien entstanden, die keine konkreten Einzelprojekte, sondern gesamtgesellschaftliche Fragen der Neulandmedizin in interdisziplinärer Zusammensetzung beraten.53 Diese Ethikräte sollen durch ihre breit gefächerte wissenschaftliche Expertise normative Standards für den Umgang mit den neuen bioethischen Herausforderungen entwickeln. Ethische Experten zeichnen sich durch besondere Kompetenzen aus, die vor allem in der Kenntnis verschiedener ethischer Theorien und Paradigmen sowie der Fähigkeit zur begrifflichen Differenzierung, Präzisierung und Aufdeckung von Widersprüchen und Inkohärenzen liegen.54 Aufgrund der Ergänzung ihrer Qualifikation durch multidisziplinäres Fachwissen, soll die Sachverständigkeit der Gremien vervollständigt werden.55 Beispielhaft angeführt seien an dieser Stelle der Deutsche Ethikrat (früher Nationaler Ethik­rat) sowie die Zentrale Ethikkommission bei der Bundesärztekammer, die sich bereits intensiv mit Themen medizinethischen Einschlags auseinandergesetzt haben.56 Beschäftigen sich Ethikräte mit Grundsatzfragen, gehört es zu ihren zentralen Aufgaben, im Rahmen der moralischen Reflexion des Sachverhalts „Gesichtspunkte zu sammeln, Argumente auf ihre Tragfähigkeit in neuen Problemlagen zu prüfen, Schlüssigkeit und Konsequenzen bestimmter Konzepte zu beurteilen, folglich insgesamt im Interesse des Erkenntnisgewinns den ethischen Diskurs zu pflegen“.57 Insbesondere ihre Interdisziplinarität befähigt die Kommissionen zur zielgenauen Zusammenführung von verschiedensten Perspektiven. Differenzen werden in einem umfassenden Diskurs entweder aufgelöst oder die unterschiedlichen Stimmen werden in 52  Ammann, Medizinethik und medizinethische Expertengremien im Licht des öffentlichen Rechts, S. 510; zur Lebendspendekommission vgl. auch Augsberg, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 8 Rn. 105 ff.; Deutsch / Spickhoff, Medizinrecht, S. 833 ff. 53  Ammann, Medizinethik und medizinethische Expertengremien im Licht des öffentlichen Rechts, S. 316 f. 54  Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 86. 55  Vgl. ebda., S. 86 in Bezug auf den Deutschen Ethikrat. 56  Zur Gründung dieser Gremien siehe Fuchs, Nationale Ethikräte, S. 43 ff. 57  Taupitz, JZ 2003, S. 815, 818; vgl. auch Ammann, Medizinethik und medizinethische Expertengremien im Licht des öffentlichen Rechts, S. 319 f.



I. Das Zusammenspiel von Ethik, Recht und Rechtspolitik189

­divergierenden Voten zusammengefasst.58 Besondere Qualität erhalten die Stellungnahmen der Ethikkommissionen durch die intensive und über einen längeren Zeitraum angelegte Beschäftigung der Mitglieder mit der in Rede stehenden Thematik und ihre ausdifferenzierte Darlegung der Begründungswege. Durch ihren Pluralismus und ihre spezifische Herangehensweise unterscheiden sie sich von der klassischen Politikberatung, etwa durch ziel­ gerichtete Sachverständigenanhörungen. Aufgrund ihrer grundsätzlich verbürgten Unabhängigkeit und Unparteilichkeit wird sich neben der Wissenschaftlichkeit auch Objektivität und Distanz zum Beratungsgegenstand versprochen.59 Dass der moderne Staat immer mehr auf wissenschaftlichen Rat angewiesen ist und bleiben wird, ist heute kein Geheimnis mehr.60 Die Stellungnahmen von Ethikräten sind ein wertvoller Beitrag zur gesellschaftlichen Debatte in existentiellen Fragen. Diese wird heute keinesfalls mehr der Hochseilakrobatik der Wissenschaften überlassen oder in den Hinterzimmern der Politik betrieben, sondern vollzieht sich regelmäßig in der Öffentlichkeit. Die Gesellschaft hat selbst ein Interesse daran, die neuen medizinischen Möglichkeiten auf ihre moralischen und rechtlichen Problemfelder hin zu untersuchen.61 Obwohl ethische Debatten regelmäßig nicht unbedingt auf eine praktisch-politische Umsetzung zielen, kann das Recht nicht stehen bleiben, sondern muss Entscheidungsgrundlagen für neue Herausforderungen des modernen Lebens schaffen.62 Die Diskussionen innerhalb der Ethikgremien beeinflussen daher auch das Politikgeschehen und sind in der Praxis mittlerweile, als eine Art der Politikberatung,63 sogar Teil des demokratischen 58  So auch jüngst bei der Stellungnahme des Deutschen Ethikrates von 2015 zum Thema „Hirntod und Entscheidung zur Organspende“, wo es bei der Bewertung des Hirntodes als Todeskriterium zur Formulierung eines Minderheitsvotums kam. 59  Vgl. Voßkuhle, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. III, § 43 Rn. 17 ff. 60  Vgl. nur Kielmansegg, in: Dreier / Willoweit (Hrsg.), Wissenschaft und Politik, S.  219 ff.; Voßkuhle, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. III, § 43. 61  Vgl. Schroth, in: Kaufmann / Hassemer / Neumann (Hrsg.), Einführung in Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, S. 458, 459; zum Einfluss auf die öffentliche Diskussion siehe auch Fuchs, Nationale Ethikräte, S. 92 f. 62  Vgl. dazu schon Spranger, Bioethik und Recht, S. 43 f. 63  Kritisch aber in Bezug auf die Politikberatung durch Gremien, die maßgeblich auch von Parlamentariern besetzt werden (z. B. die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Ethik und Recht der modernen Medizin“) Taupitz, JZ 2003, S. 815, 819, der in diesem Fall nicht von einer Politikberatung, sondern einem „politischen Inzest“ spricht. Allerdings erweist sich die demokratische Legitimation von „parlamentsfernen“ Ethikgremien als nicht unproblematisch, vgl. hierzu Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 534 ff.; zu medizinischen Expertengremien in Deutschland vgl. auch Ammann, Medizinethik und medizinethische Expertengremien im Licht des öffentlichen Rechts, S. 313 ff.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

Gesetzgebungsprozesses geworden.64 Ihre Aussagen haben bei parlamentarischen Debatten nicht unerbliches Gewicht. Der parlamentarische Prozess als Zentrum gesetzgeberischer Gestaltung ermöglicht Öffentlichkeit, Transparenz und Partizipation.65 Diese wesent­ lichen Attribute des Parlamentarismus sind nicht nur unersetzliche Güter in einer repräsentativen Demokratie, sondern machen zugleich eine nicht un­ erhebliche Herausforderung für die Politik aus; dies gilt insbesondere bei schwierigen Wertungsentscheidungen, die von vornherein dazu verurteilt sind, nicht alle Mitglieder einer pluralen Gesellschaft zufriedenstellen zu können. Jedoch ist eine adäquate Auseinandersetzung mit diesen Fragen ein relevanter Maßstab für die Bewertung der Qualität einer modernen Politikkultur. Das bedeutet aber auch, dass Wertungen von Ethikräten nicht einfach unhinterfragt adaptiert werden dürfen. Immer öfter jedoch werden politische Entscheidungen nicht nur von beratenden Gremien rezipiert, sondern gar ethische Entscheidungskompetenzen auf externe Gremien ausgelagert, wie etwa die Übertragung der Richtlinienkompetenz auf die Bundesärztekammer nach § 16 Abs. 1 S. 1 TPG beweist.66 Eine adäquate Auseinandersetzung mit einer herangezogenen gesellschaftlichen Expertise stellt eine besondere Herausforderung für die Politik dar, die insbesondere durch das im Grundgesetz verankerte Demokratieprinzip determiniert wird. 2. Herausforderungen der Rechtspolitik Bei der Notwendigkeit der Reflexion ethischer Fragestellungen beginnt die Herausforderung für die politische Klasse. Dabei ist zunächst fraglich, ob der Rechtsschöpfer lediglich ethisch gesetzte Standards in eine Rechtsform gießt oder sich seine Aufgabe schwieriger gestaltet (a)). Wäre das der Fall, muss die Frage erlaubt sein, ob die Rechtspolitik bei schwerwiegenden ethischen Entscheidungen, gerade im lebenswissenschaftlichen Bereich, an ihre Grenzen stößt (b)).

64  Ammann, Medizinethik und medizinethische Expertengremien im Licht des öffentlichen Rechts, S. 317; vgl. auch Fuchs, Nationale Ethikräte, S. 92. Von einer kaum mehr wegzudenkenden Konsultation von Ethikgremien bei der Rechtsetzung spricht ebenso Spranger, Bioethik und Recht, S. 47. 65  Papier, FAZ v. 31.01.2003, S. 8. 66  Zur Entscheidungsmacht der BÄK siehe S. 351 ff. Ein weiteres Beispiel stellen Entscheidungen über Leistungsbeschränkungen in der medizinischen Versorgung dar, die auf Sachverständigengremien ausgelagert werden, dazu Huster, FAZ v. 17.07.2009, S. 12.



I. Das Zusammenspiel von Ethik, Recht und Rechtspolitik191

a) Rechtspolitische Entscheidungen: Zementierung ethischer Standardsetzung? Um die Herausforderung der Rechtspolitik im Umgang mit ethischen Vorfragen näher bestimmen zu können, muss zunächst, nach den grundsätzlichen Einwirkungsfragen, der genaue Beitrag der Ethik im Rechtsbereich umgrenzt werden. Eine Arbeitsteilung von Ethik und Rechtsgestaltung klingt prima vista nach einer vollkommenen und veredelten Rechtsetzung, die befähigt wird, Gerechtigkeit herbeizuführen und damit inhaltlich zu überzeugen. So einfach liegt der Sachverhalt jedoch nicht. Die ethische Wissenschaft ist kein monolithisches Gefüge, sondern zeichnet sich durch schier unerschöpfliche Diversität aus. Die Frage nach dem „richtigen Handeln“ wird von verschiedenen Theorien höchst unterschiedlich beantwortet.67 Bisher konnte sich zur Bewältigung lebenswissenschaftlicher Fragestellungen keine gängige Gerechtigkeitstheorie durchsetzen.68 Dementsprechend würde es die ethische Wissenschaft überbeanspruchen, wollte der Rechtssetzer eindeutige Antworten über das „gute und gerechte Handeln“ fordern. Übereinstimmende Anweisungen wird die Ethik in den seltensten Fällen geben. Bei ihrer Einbeziehung in die rechtspolitische Diskussion kommt ihr nicht die Aufgabe einer Entscheidungsvorwegnahme, sondern lediglich die Rolle eines Wegbereiters zu. Ihre Leistung liegt in der Bündelung von Argumenten und Prinzipien sowie ihrer kritischen Reflexion samt Folgenbeurteilung und dem Aufzeigen von Handlungsmöglichkeiten.69 Es handelt sich damit maßgeblich um einen methodischen Beitrag der Ethik;70 vor allem 67  Eine Kurzdarstellung einiger ethischer Richtungen findet sich bei Taupitz, in: Schliesky / Ernst / Schulz (Hrsg.), FS Schmidt-Jortzig, S. 825, 835; eingehender samt historischer Aufarbeitung Kaufmann, in: Kaufmann / Hassemer / Neumann (Hrsg.), Einführung in Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, S. 26, 28 ff.; für Näheres mit Bezug zum Medizinrecht siehe Ammann, Medizinethik und medizinethische Expertengremien im Licht des öffentlichen Rechts, S. 165 ff. sowie Brech, Triage und Recht, S.  123 ff. 68  Ammann, Medizinethik und medizinethische Expertengremien im Licht des öffentlichen Rechts, S. 174; Schroth, in: Kaufmann / Hassemer / Neumann (Hrsg.), Einführung in Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, S. 458, 460; Taupitz, JZ 2003, S. 815, 817. 69  Vgl. Beckmann, in: Beckmann / Kirste / Schreiber (Hrsg.), Organtransplantation, S. 93; Birnbacher, in: Rippe (Hrsg.), Angewandte Ethik in der pluralistischen Gesellschaft, S.  267 ff.; Quante, in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin, S. 101, 112; Spranger, Bioethik und Recht, S. 50; Taupitz, JZ 2003, S. 815, 817. 70  Kaatsch, in: Menschenwürde, Medizin und Bioethik, S. 114, 118; siehe auch Ammann, Medizinethik und medizinethische Expertengremien im Licht des öffent­ lichen Rechts, S. 319 f. Die Signifikanz dieses methodischen Beitrags als Versach­ lichung der politischen Diskussion und Einbringung seriöser wissenschaftlicher Dar-

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um eine Art Problemsensibilisierung71 und Aufbereitung der zur Diskussion stehenden Wertekonflikte.72 Aufgrund innerethischer Differenzen werden es stets mehrere Lösungen sein, die dem Rechtssetzer oder auch Rechtsanwender angetragen werden.73 Bezogen auf Ethikgremien, entspricht das schon ihrer diskursiven Ausrichtung.74 Das schärfste Schwert der Ethik ist nicht die Ergründung einer empirisch fassbaren Wahrheit, sondern die Macht der überzeugenden Argumentation. Diese muss sie als kritischer Begleiter in die politische Szene hineintragen. Als eigentliche Schöpfer des Gesetzes sind die Parlamentarier gefragt. Keinesfalls bedeutet Normsetzung lediglich eine Niederschrift des ethisch Gebotenen. Die Beratung eines sachverständigen Gremiums oder die Befragung einzelner, ausgewählter Wissenschaftler kann der Politik nicht die Verantwortung für Güterabwägungen oder Wertentscheidungen abnehmen.75 Die Arbeit des Gesetzgebers erweist sich vielmehr als „Königsdisziplin“, denn er muss nach Aufbereitung der Problemstellung zu vertretbaren Rechtsregeln gelangen, die einer pluralistischen Gesellschaft gerecht werden. Das Parlament bildet das integrative Element der gesellschaftlichen Kräfte. Von ihm geht, vermittelt durch das Volk, die demokratische Legitimation aus. Die Staatsbürger haben sich entschlossen, den gewählten Parlamentariern die Kompetenz zu übertragen, in allen wesentlichen Fragestellungen zu entscheiden. Eine Entparlamentarisierung muss daher trotz einer Zunahme der Komplexität der Lebensverhältnisse vermieden werden.76 Deliberative Elemente können weder das Erfordernis von eigens erarbeiteten Parlamentsentscheidungen noch die Notwendigkeit von ununterbrochenen Legitimationsketten ersetzen. Durch die Einbeziehung externer Expertise und damit deliberativer stellungen betonen auch Heinrichs, in: Vöneky / Hagendorn / Clados u. a. (Hrsg.), Legitimation ethischer Entscheidungen im Recht, S. 53, 78 sowie Zotti, in: Vöneky /  Hagendorn / Clados u. a. (Hrsg.), Legitimation ethischer Entscheidungen im Recht, S. 99, 103. 71  Gärditz, FAZ v. 02.10.2014, S. 11. 72  Zotti, in: Vöneky / Hagendorn / Clados u. a. (Hrsg.), Legitimation ethischer Entscheidungen im Recht, S. 99, 111. 73  Vgl. schon Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 80. 74  Ebda., S. 551. 75  Zotti, in: Vöneky / Hagendorn / Clados u. a. (Hrsg.), Legitimation ethischer Entscheidungen im Recht, S. 99, 110; näher dazu auch Gärditz, FAZ v. 02.10.2014, S. 11, der insgesamt die Rolle des Deutschen Ethikrats in Frage stellt und für die Politikberatung durch eine freie Wissenschaft wirbt. 76  Kritisch im Hinblick auf eine Entparlamentarisierungstendenz P. Kirchhof, NJW 2001, S. 1332  ff.; Papier, FAZ v. 31.01.2003, S. 8; Ruffert, DVBl 2002, S.  1145 ff.; Schulze-Fielitz, JZ 2004, S. 862 ff.; Voßkuhle, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. III, § 43 Rn. 52; positiver jedoch zur Gesamtsituation Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 534 ff.



I. Das Zusammenspiel von Ethik, Recht und Rechtspolitik193

Momente in den öffentlichen Entscheidungsprozess wird jedoch regelmäßig eine Qualitätssteigerung der politischen Debatte erreicht.77 Dies vermag der Entscheidung zwar nicht zu mehr demokratischer Legitimation zu verhelfen, denn das Demokratieprinzip des Grundgesetzes gründet nicht auf der Rationalität von Entscheidungen, sondern auf deren formaler Legitimation durch eine Legitimationskette bis zum Volk als Souverän;78 dennoch erscheint aus rechtsstaatlichen Effektivitäts- und Sachgerechtigkeitsgeboten die Einbeziehung sachverständiger Rationalität erstrebenswert.79 Schließlich geht es zur Verwirklichung der Werte des Grundgesetzes nicht nur um sachgerechte, am Gesetz orientierte Entscheidungen der Exekutive (die zum Teil z. B. durch Ethikkommissionen herbeigeführt oder unterstützt werden), sondern auch darum, dass das Parlament auf einer fundierten Tatsachengrundlage handelt.80 Erst die Gewinnung und Verarbeitung von Wissen ermöglicht als kognitive Vorbedingung die freie Willensbildung und schafft die notwendige Handlungskapazität.81 Wie bereits festgestellt, ist Einigkeit nach einer von Experten bereicherten ethischen Diskussion jedoch ein seltenes Phänomen. Ein Dissens steht beim Streben nach der Wahrheit durch den Wissenschaftler an der Tagesordnung. Während dieser, ob allein oder in ein Gremium eingebunden, in Freiheit und Unabhängigkeit Erkenntnisgewinn betreibt, sind Politiker jedoch auf Mehrheiten angewiesen und regelmäßig von Zwängen, wie der Fraktions- oder Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 190 f. in: Dreier / Willoweit (Hrsg.), Wissenschaft und Politik, S. 219, 242; Puhl, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. III, § 48 Rn. 44. Grundlegend zur demokratischen Legitimation insoweit Böckenförde, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. II, § 24. Zum Verhältnis von Demokratie und Rationalität vgl. Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 107 ff. 79  Kielmansegg, in: Dreier / Willoweit (Hrsg.), Wissenschaft und Politik, S. 219, 242; Vierhaus, NVwZ 1993, S. 36, 37; vgl. auch Di Fabio, VerwArch 81 (1990), S.  193, 210 ff.; Freitag, Das Beleihungsverhältnis, S. 80; Voßkuhle, in: Isensee /  P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. III, § 43 Rn. 1. Andere jedoch sehen deliberative Elemente als „Output-Legitimation“ als Teil der demokratischen Legitimation, siehe etwa Hagedorn, in: Vöneky / Hagendorn / Clados u. a. (Hrsg.), Legitimation ethischer Entscheidungen im Recht, S. 235, 242 f.; vgl. auch die Darstellung des Legitimationskonzepts bei Minkner, Die Gerichtsverwaltung in Deutschland und Italien, S.  48 ff. 80  Zur Notwendigkeit der Einbeziehung von externem Sachverstand in Verwaltungsentscheidungen siehe etwa Di Fabio, VerwArch 81 (1990), S. 193 ff.; kritisch zum Einfluss externen Sachverstands im politischen System Vierhaus, NVwZ 1993, S.  36 ff. 81  Vgl. Gärditz, in: Lenk / Duttge / Fangerau (Hrsg.), Handbuch Ethik und Recht der Forschung am Menschen, S. 149 f.; Möllers, in: Röhl (Hrsg.), Wissen, S. 113, 119 f.; Voßkuhle, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. III, § 43 Rn. 1; Wilholt, Die Freiheit der Forschung, S. 215, 253 ff. 77  Siehe

78  Kielmansegg,

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Kabinettsdisziplin, abhängig.82 Unterschiedliche Überzeugungen der verschiedenen Fraktionen lassen die Gesetzgebung zu einer enormen Herausforderung werden. Sogar innerhalb der Fraktionsgrenzen sind divergierende Meinungen zu lebenswissenschaftlich bedeutsamen Fragestellungen keine Seltenheit. Parteien sollen eine Mittlerfunktion zwischen dem Staat und dem Volk wahrnehmen. Finden diese aber intern nicht mehr zu einer einheitlichen Linie, stellt sich die Frage nach der Grenze einer effektiven Parteiendemokratie. Die Parteien verlieren eine erhebliche Kraft als Vermittler der Willensbildung des Volkes.83 Die Herausforderungen der modernen Biomedizin konfrontieren das Staatssystem mit neuartigen Anfragen an die praktische Umsetzung des Demokratieprinzips. Allerdings kann nicht behauptet werden, dass eine Integration der divergierenden Meinungen nicht mehr möglich und das Parlament der Handlungsunfähigkeit ausgeliefert wäre. Anstatt an den Fraktionslinien, verlaufen die Grenzen des Antrags- Abstimmungsverhaltens individueller. Kurzfristig geschlossene Bündnisse zwischen Abgeordneten verschiedener Couleur bestimmen für eine begrenzte Zeit die Szenerie im Parlament; regelmäßig aufgeteilt in ein „werteorientiertes“ und ein „libertäres“ Lager.84 Welcher Gruppierung sich der jeweilige Volksvertreter anschließt, bleibt ihm überlassen. Bei Problemfeldern, die elementare Grundrechtsgüter und individuelle Lebenseinstellungen betreffen, ist die Stunde des einzelnen Abgeordneten gekommen, allein nach seinem Gewissen zu entscheiden.85 Verfassungsrechtliche Basis für diese Entscheidungsgrundlage ist Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG. Durch die Verpflichtung der parlamentarischen Volksvertreter auf ihr Gewissen, baut das Grundgesetz auf die moralische Überzeugung des einzelnen Abgeordneten, die er gegenüber dem Wähler rechtfertigen muss, dem bei der nächsten Wahl neue Entscheidungsmacht zukommt.86 Die Rückbindung an das Gewissen des Abgeordneten bedeutet aber nicht gleichsam eine Kopplung an ethische Maßstäbe im Sinne einer systematischen Suche nach einer vernünftigen Entscheidungsbegründung. Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG setzt der Rationalität als Grundlage staatlichen Handelns Grenzen. Gebunden sind die Parlamentarier nur an die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes, das damit gleichzeitig den Rahmen der Rationalitätsanforderung vorgibt.87

82  Ausführlich zur Unterscheidung zwischen wissenschaftlicher und politischer Tätigkeit siehe v. Münch, Der Staat 45 (2006), S. 83 ff. 83  Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 177 f. 84  Diese zwei parlamentarischen Strömungen identifiziert schon Wuttke, in: Haarhoff (Hrsg.), Organversagen, S. 267, 271. 85  Die Aufhebung der Fraktionsdisziplin zeigte sich z. B. bei der Behandlung des Schwangerschaftsabbruchs, vgl. BT-Drs. 7 / 1981; BT-Drs. 12 / 2825. 86  Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 185.



I. Das Zusammenspiel von Ethik, Recht und Rechtspolitik195

Entschieden werden die inhaltlichen Konflikte nach einem Verständigungsprozess durch das im Grundgesetz angelegte Mehrheitsprinzip (vgl. Art. 42 Abs. 2 S. 1 GG). Führen rationale Argumentationen nicht zur Auflösung von Meinungsverschiedenheiten, muss auf solche kollektive Formen der Entscheidungsfindung zurückgegriffen werden, die nicht im Austausch von Argumenten liegen, um Staatsgewalt praktikabel zu machen.88 Eine Erklärung des Rationalitätsgedankens zum Leitbild moderner Staatlichkeit gründet auf einer Verleugnung wesentlicher Prinzipien und Maximen der demokratischen Grundordnung, die gerade auf einen offenen politischen Prozess ausgerichtet ist, an deren Ende die Mehrheit nach ihrem Verständnis entscheidet.89 Diese Entscheidung kann schon von ihrer Schöpfungskette her in ihrem Rationalitätsgehalt, insbesondere mit Blick auf Konsistenz- und Konsequenzanforderungen, nicht mit wissenschaftlichen Ausarbeitungen verglichen werden. Parlamentarier sind zunächst politische Akteure und erst in zweiter Linie Reflexionsinstanzen.90 Dadurch sind dem demokratischen Prozess epistemische Grenzen gesetzt.91 Die Einforderung lupenrein rationaler Ergebnisse politischer Entscheidungsprozesse steht in einem Spannungsverhältnis zur Politik.92 Zweifelfrei sind Bemühungen der Politik um Systematik, Stringenz und Konsistenz dennoch in höchstem Maße begrüßenswert.93 Um den Abgeordneten die notwendige Basis vernunftbasierter Entscheidungen im Angesicht moderner bioethischen Herausforderungen an die Hand zu geben, ist die Politikberatung durch ethische Expertise wichtiger denn je. Allerdings ist bei jeder Inanspruchnahme fachlicher Beratung Obacht geboten. Die Politik würde es sich zu einfach machen, wollte sie blind die ethische Mehrheitsmeinung in rechtliche Formen gießen. Keinesfalls darf es zu einem philosophischen Paternalismus durch die Fachwelt kommen.94 Dies gilt insbesondere 87  Vgl. zu den Grenzen der Rationalität legislativer Entscheidungen Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 124 ff., 138 ff.; grundlegend zu einer Gefahr der ungenügenden Vernunftgebundenheit von Gewissensentscheidungen Hoerster, Ethik und Interesse, S. 9 ff., insbes. S. 14. 88  Hinsch, in: Gosepath / Hinsch / Rössler (Hrsg.), Handbuch der politischen Philosophie und Sozialphilosophie, Bd. I, S. 704, 710; Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 139 f., 190; die Zugehörigkeit des Mehrheitsprinzips zum Demokratieprinzip betont auch Dreier, Bioethik, S. 13, 72 f. 89  Dreier, Bioethik, S. 73. 90  Vgl. zur Rationalität politischer Entscheidungen Dreier, Bioethik, S. 71 ff. 91  Vgl. Gärditz, in: Lenk / Duttge / Fangerau (Hrsg.), Handbuch Ethik und Recht der Forschung am Menschen, S. 150; zum Erfordernis einer „externen Wissens Produktion“ Möllers, Demokratie, S. 44 f.; ders., in: Röhl (Hrsg.), Wissen, S. 113, 119 f. 92  Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung, S. 455. 93  Dreier, Bioethik, S. 13, 74. 94  Vgl. grundlegend dazu Habermas, Die Einbeziehung des Anderen, S. 119  f., 122 f.; vgl. auch Birnbacher, in: Rippe (Hrsg.), Angewandte Ethik in der pluralisti-

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unter dem Aspekt, dass der Ethiker als „Moralist“, fernab der ethischen Theorie, keine größere Expertise besitzt als jeder andere Bürger.95 Es besteht ein Unterschied zwischen ethischer Kompetenz und moralischer Autorität; Experten besitzen weder exzeptionelle Kenntnisse noch Fähigkeiten, moralische Fragen über das hinaus zu beantworten, was eine vernünftige Antwort wäre.96 b) Überforderung der Politik durch die Herausforderungen der Ethik? Es ist Aufgabe der gewählten Volksvertreter, die moralische Debatte nun auf die politische Bühne zu tragen und einen gemeinsamen Diskurs zu führen.97 Einbahnstraßenartige Reden, die bloß vorgefertigte Standpunkte herunterbeten, können dem Anspruch an eine moderne Demokratie nicht genügen.98 Wie bereits dargestellt, entspringt das Recht dem gesellschaftlichen Bedürfnis nach einem verbindlichen Ordnungsgefüge. Im Vergleich zu bloßen Sozialnormen ist es schon aufgrund seines Zwangscharakters von besonderer Qualität.99 Nur das Recht kann in einer Gesellschaft das Verlangen nach Sicherheit stillen. Wichtige Orientierungshilfen muss das Recht auch in ­ ­lebenswissenschaftlichen Fragen zur Verfügung stellen. Die Rechtsschöpfung erweist sich jedoch aufgrund der ethischen Vorfragen und mannigfaltigen Lösungsansätze zum Umgang mit Konflikten und deren Auflösung als höchst schwierig. Das Gesetzgebungsverfahren verwandelt sich in ein Ringen zwischen verschiedenen moralischen, weltanschaulichen oder theologischen Konzepten. Diese werden sich oftmals gegenüberstehen, ohne dass eine Seite das Argument der stärksten Kraft für sich beanschen Gesellschaft, S. 267, 270; Nida-Rümelin, in: Rippe (Hrsg.), Angewandte Ethik in der pluralistischen Gesellschaft, S. 245 ff. 95  Vgl. Birnbacher, in: Rippe (Hrsg.), Angewandte Ethik in der pluralistischen Gesellschaft, S. 267, 273; Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 87; vgl. auch in Bezug auf moralische Institutionen Nida-Rümelin, in: Rippe (Hrsg.), Angewandte Ethik in der pluralistischen Gesellschaft, S. 245, 265. 96  Birnbacher, in: Rippe (Hrsg.), Angewandte Ethik in der pluralistischen Gesellschaft, S. 267, 273; Nida-Rümelin, in: Rippe (Hrsg.), Angewandte Ethik in der pluralistischen Gesellschaft, S. 245, 265; Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 87, 90; dies., in: Vöneky / Hagendorn / Clados u. a. (Hrsg.), Legitimation ethischer Entscheidungen im Recht, S. 85, 92 f. 97  Kritik daran, dass im Parlament zu wenig grundlegende Debatten geführt werden übt bereits G. Kirchhof, FAZ, 27.12.2013, S. 7. 98  Kritisch bzgl. der „einbahnstraßenartigen Reden“ schon Taupitz, JZ 2003, S. 815, 818. 99  Vgl. Henkel, Einführung in die Rechtsphilosophie, S. 42.



I. Das Zusammenspiel von Ethik, Recht und Rechtspolitik197

spruchen können wird, das den Disput aufzulösen vermag. Gesetzgebungsprozesse dieser Art gestalten sich daher als äußerst langwierig.100 Die politische Diskussionskultur offenbart nicht selten eine gewisse Hilflosigkeit gegenüber der Existenz antagonistischer Interessenlagen. Gerade im Bereich der Medizinethik hat dies zu nicht unerheblichen Frustrationserlebnissen geführt. Entscheidungen von Streitthemen, die das Moralempfinden der Öffentlichkeit empfindlich treffen, konfrontieren die politischen Akteure mit der unangenehmen Tatsache, zwangsläufig manche sittlichen Erwartungen enttäuschen zu müssen. Dies gilt insbesondere in Gebieten, in denen sich mit Dilemmasituationen auseinandergesetzt wird, etwa im Bereich der Stammzellforschung, in dem sich die Rechte des Embryos auf der einen und die Interessen vieler erkrankter Patienten sowie der Forscher auf der anderen Seite unversöhnlich gegenüberstehen. Ebenso findet sich in der Transplantationsmedizin eine Triage, die einen Entschluss darüber fordert, welcher Patient mit einem Organ versorgt und wer im Zweifel „zum Tode verurteilt“ wird. Die Normierung von zwangsläufig „tragischem Recht“ stellt eine enorme Herausforderung dar, die nicht selten zu Entscheidungshemmnissen führt. Sie manifestieren sich in der Verschleppung von längst überfälligen medizinrechtlichen Gesetzen; diese Lage veranschaulicht neben dem viele Jahrzehnte ungeregelten Bereich der Transplantationsmedizin das Pa­ tientenrechtegesetz. Daneben sei an die zweifelhafte demokratische Legi­ timation des Gemeinsamen Bundesausschusses101 erinnert, die bereits von Richtern des Bundesverfassungsgerichts moniert wird.102 Viele notwendige Reformen liegen brach. 100  Vgl. schon Ammann, Medizinethik und medizinethische Expertengremien im Licht des öffentlichen Rechts, S. 207, der anschaulich das jahrelange Ringen um die Neufassung des Betreuungsrechts als einen langwierigen Gesetzgebungsprozess nennt (Drittes Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts vom 29.07.2009, BGBl. I, S. 2286). 101  Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) ist das oberste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen in Deutschland. Die verfassungsrechtliche Legitimation des GBA wurde immer wieder in Frage gestellt; vgl. zur Legitimationsfrage etwa Holzner, SGb 2015, 247 ff.; Kingreen, NZS 2007, 113 ff.; Seeringer, Der gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, S. 149 ff.; Vießmann, Die demokratische Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Entscheidungen nach § 135 Abs. 1 S. 1 SGB V, S. 127 ff. 102  In einem Vortrag bei der Juristischen Gesellschaft zu Kassel hat der Berichterstatter der damals beim BVerfG anhängigen Verfassungsbeschwerde mit Bezug zum GBA (1 BvR 2056 / 12), Ferdinand Kirchhof, die demokratische Legitimation des Gremiums in Zweifel gezogen. Das Selbstverwaltungsgremium habe durch die eher vagen Vorgaben und Kontrollmechanismen einen weitreichenden Entscheidungsspielraum. Außerdem seien die zentralen Rechtsbegriffe, auf die der GBA seine Arbeit stütze sehr unbestimmt. Insgesamt habe er eine große Machtfülle, obwohl der Gesetz-

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Entscheidungshemmnisse der Volksvertretung sind jedoch keine angemessene Reaktion auf die gegebenen Realitäten. Das Parlament stellt gerade den legitimen Schauplatz für den Kampf unterschiedlichster Überzeugungen dar.103 Der Ausgleich kollidierender Interessenlagen ist eine elementare Aufgabe der Legislative. Zur Erfüllung dieser Verpflichtung geben ihr die Rechtswissenschaften, insbesondere für Grundrechtskonkurrenzen und -kollisionen, Vorrangs- und Abwägungsregeln an die Hand. Die Ethik hingegen unterbereitet Lösungsvorschläge zur Konfliktbewältigung in moralischen Fragen. Im Zuge der Einbringung rechtswissenschaftlicher und ethischer Expertise in den Gesetzgebungsprozess wird es innerhalb des Parlaments – als Spiegel des pluralistischen Volkes – vielfach zu intensiven Debatten kommen, an deren Ende eine Kompromissentscheidung stehen wird. Ein umfassender öffentlicher Konsens wird bei einer Vielzahl von antagonistischen Interessen stets eine Utopie der Kompromissgegner bleiben. Dabei kann dieser überhaupt nicht zum Ideal erhoben werden,104 denn Vielfalt ist ein wertvolles, gerade typenbildendes Charakteristikum von freiheitlichen Staaten westlicher Prägung.105 Die Politik ist keine Wissenschaft, sondern eine „Lehre des Möglichen“, die naturgemäß an Grenzen stößt.106 Will man divergierende Werte in einer Rechtsordnung zusammenführen, ist Kompromissoffenheit ein unverzichtbares politisches Mittel zur Entscheidungsfindung, die nicht durch „überlegenen Sachverstand“ ersetzt werden kann.107 Politische Kompromisse sind jedoch in den letzten Jahren vermehrt in Verruf geraten. Pejorativ wird beispielsweise von „rechtlich unergiebigen politischen Kompromissen“ oder „Formelkompromissen“ gesprochen.108 Diese Bewertung mag zutreffen, wenn inhaltsentfremdete politische Tauschgeber Wesentliches selbst entscheiden müsse; vgl. zum Vortrag den Bericht der FAZ v. 19.11.2015, S. 15. Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde jedoch als unzulässig verworfen, sodass eine Entscheidung in der Sache ausblieb. 103  Vgl. Wieacker, JZ 1961, S. 337, 341; zustimmend Spranger, Bioethik und Recht, S. 409; von einer Überwindung moralischer Dissense auf der Ebene der Politik durch Kompromisse und Mehrheitsentscheidungen geht auch Heinrichs, in: Vöneky /  Hagendorn / Clados u. a. (Hrsg.), Legitimation ethischer Entscheidungen im Recht, S. 53, 81 f. aus. 104  Den Konsens als demokratisches Ideal verneint auch Möllers, Demokratie, S.  31 f. 105  Dreier, Bioethik, S. 5. 106  Vgl. Schäuble, FAZ v. 07.04.2015, S. 7, der sich mit der „Lehre vom Möglichen“ auf einen Ausspruch von Bismarck beruft. 107  Vgl. Dreier, Bioethik, S. 72 ff.; Morlok, VVDStRL 62 (2003), S. 37, 61 ff.; Schulze-Fielitz, NVwZ 1983, S. 709, 711 f.; ders., JZ 2004, S. 862. 108  Kritisch etwa Hagedorn, in: Vöneky / Hagendorn / Clados u. a. (Hrsg.), Legitimation ethischer Entscheidungen im Recht, S. 235, 241.



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geschäfte abgeschlossen oder bloße Verlegenheitslösungen gefunden werden.109 Ebenso darf ein Kompromiss nicht zu einem nur eingeschränkten Problemlösungspotential des Gesetzes führen.110 Ansonsten droht der Sinn der parlamentarischen Arbeit zu verwässern und ein elementarer Zweck des Rechts, normative Sicherheit zu gewährleisten, weggeschwemmt zu werden. Ziel der Politik muss es sein, die konfligierenden Interessen in einen angemessenen Ausgleich zu bringen und zu einer verantwortbaren, von der Mehrheit getragenen Auflösung des Konflikts zu kommen. Diese Momente der parlamentarischen Entscheidungen sind Ausdruck besonderer politischer Reife, die das Alltagsgeschäft der legislativen Kräfte dominieren sollten.111 Um inhaltlichen Verwerfungen zwischen den unterschiedlichen Lagern zu entgehen, wird jedoch die Reformbedürftigkeit wesentlicher Rechtsbereiche, wie etwa der Transplantationsmedizin,112 weitgehend negiert – als „Entlastung der Politik von den Zumutungen des Normativen.“113 Durch ehrliche rechtspolitische Kompromisse könnte den Anforderungen an die gesetzliche Regelung, eine klare und demokratisch legitimierte Ordnung der Rechtslage zu schaffen, aber ohne Weiteres umfassend genügt werden. Auch dort, wo durch Recht keine umfassende Gerechtigkeit geschaffen werden kann, vermag es zumindest für Rechtssicherheit zu sorgen.114 Im Rahmen dieser Arbeit soll jedoch aufgezeigt werden, dass die Politik bei der Regelung des Transplantationswesens den Eindruck erweckt, sie kapituliere vor den ethischen Herausforderungen der Neulandmedizin. Dabei hat der Gesetzgeber bei der Verabschiedung des PID-Gesetzes bereits unter Beweis gestellt, dass er den Wertepluralismus in der heutigen Gesellschaft ernst nimmt und einer gesetzlichen Regelung zuführen kann, indem er – unter Betonung von persönlicher Entscheidungsfreiheit – den Betroffenen zugesteht, sich selbst für Kreß, Ethik der Rechtsordnung, S. 239. Gefahr von flexiblen, anpassungsfähigen Rechtsnormen mit eingeschränktem Konfliktlösungspotential sieht vor allem Ammann, Medizinethik und medizinethische Expertengremien im Licht des öffentlichen Rechts, S. 207 f. 111  Zur Notwendigkeit eines verantwortlichen politischen Kompromisses siehe Kreß, Ethik der Rechtsordnung, S. 238 ff.; vgl. ferner Dreier, Bioethik, S. 74; Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 57 ff.; Thoma, in: Dreier (Hrsg.), Rechtsstaat – Demokratie – Grundrechte, S. 406, 423; Möllers, Demokratie, S. 32 f. 112  Für eine nähere Betrachtung des gesetzgeberischen Verhaltens bei der Reform des Transplantationsrechts vgl. den rechtspolitischen Teil dieser Arbeit, S. 480 ff. 113  Gutmann, in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin, S. 113, 117. Vgl. zur Selbstentlastung der Politik auch im Hinblick auf den Einsatz von Ethikkommissionen Poscher, in: Vöneky / Beylage-Haarmann / Höfelmeier u. a. (Hrsg.), Ethik und Recht, S. 433 ff.; Siep, in: Vöneky / Beylage-Haarmann / Höfelmeier u. a. (Hrsg.), Ethik und Recht, S. 423, 431. 114  Vgl. Künschner, in: Nagel / Fuchs (Hrsg.), Rationalisierung und Rationierung im deutschen Gesundheitswesen, S. 286. 109  Vgl.

110  Eine

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oder gegen das Verfahren zu entscheiden.115 Ebenso rege verlief jüngst die Debatte zur Sterbehilfe im Bundestag.116 Das Transplantationsgesetz ist im Gegensatz zum Vorgenannten geradezu ein Paradebeispiel dafür, dass die Politik manches Mal dazu neigt, unangenehme Entscheidungen durch grundsätzlich reversible Regelungsverzichte auszulagern.117 Durch die Beauftragung etwa der Bundesärztekammer, den Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft festzustellen, wird ihr de facto eine enorme normative Regelungskompetenz zubilligt.118 Eine ähnliche Rechtslage wurde durch die Reform des Transplantationsgesetzes durch das TPGÄndG in Bezug auf die Deutsche Stiftung Organtransplantation geschaffen, die dazu ermächtigt wurde, verbindliche Verfahrensanweisungen zu erlassen.119 Die vom Grundgesetz aufgestellten demokratischen Entscheidungsstrukturen werden damit massiv unterlaufen, was zwangsläufig zu einer Entparlamentarisierung wesentlicher Entscheidungen führt.120 Dieser Verzicht des Parlaments auf sein Gestaltungsrecht folgt einem klaren politischen Kalkül und dient – paradoxerweise – dem Machterhalt der Parlamentarier. Ihre Handlungslogik vollzieht sich, bedingt durch das System der repräsentativen Demokratie, am Maßstab des Einflussgewinns und -erhalts. Der Politiker befindet sich in Abhängigkeit zum Wahlvolk und daraus folgend in einem stetigen Wettbewerb um Zustimmung.121 Um diese muss er bei Dilemma-Entscheidungen fürchten. Eine Abwälzung der Verantwortung auf außenstehende Sachverständige und die dadurch erfolgende Immunisierung gegen inhaltliche Kritik erscheint für den machthabenden Politiker als einsichtiges Motiv.122

115  Kreß, ZRP 2012, S. 28, 29 f.; zur PID vgl. auch Dreier, Bioethik, S. 65 ff. Eine ausführliche Analyse des legislativen Verhaltens der Abgeordneten findet sich bei Baumann / Debus / J. Müller, ZPol 23 (2013), S. 177 ff. 116  Vgl. zu den Gesetzesentwürfen BT-Drs. 18 / 5373, BT-Drs. 18 / 5374, BT-Drs. 18 / 5375 und BT-Drs. 18 / 5376 sowie den Gruppenantrag BT-Drs. 18 / 6546. 117  Regelmäßige Kompetenzverlagerungen durch Regelungsverzichte des Parlaments stellt schon Puhl, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. III, § 48 Rn. 2 kritisch fest. 118  Zur Rolle der von der BÄK erlassenen Transplantationsrichtlinien siehe S.  351 ff. 119  Siehe zur verfassungswidrigen Ermächtigung der DSO S. 392 ff. 120  Zur Selbstentmachtung des Gesetzgebers durch die Beauftragung der BÄK siehe S.  528 ff. 121  Kielmansegg, in: Dreier / Willoweit (Hrsg.), Wissenschaft und Politik, S. 219, 222 f. 122  Zu den sog. „verdeckten Funktionen“ von Politikberatung, wie der hier angesprochenen Abwälzungsfunktion siehe Voßkuhle, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. III, § 43 Rn. 26.



I. Das Zusammenspiel von Ethik, Recht und Rechtspolitik201

Diese, am Transplantationsrecht plakativ zu verdeutlichende, Tendenz der Entscheidungsverlagerung – weg von den politisch Verantwortlichen hinein in die gesellschaftliche Klasse123 – beschreibt folglich ein grundsätzliches politiktheoretisches Problem moderner Staatsleitung. Heutzutage ist kaum ein aktuelles Politikfeld auszumachen, in dem keine staatlich-gesellschaft­ liche Kooperation anzutreffen wäre.124 Kooperationsverhältnisse verdienen es selbstverständlich nicht per se auf Ablehnung zu stoßen. Vice versa wurde bereits betont, dass sie in der Lage sind, die politische Debatte sinnvoll zu befruchten – wenn eine solche denn stattfindet. Keinesfalls darf sachverständige Beratung zur bloßen Beschaffung von „Entscheidungsrichtigkeit“ degeneriert werden. Der Gefahr einer Ablösung des Parlaments als Zentrum der Gesetzgebung und ein Abgleiten der Essentialia des Legislativprozesses, wie der transparenten öffentlichen Plenardebatte, in ein entformalisiertes Entscheidungsregime gesellschaftlicher Eliten muss frühzeitig entgegengewirkt werden.125 Findet eine Vorprogrammierung der Entscheidung durch Experten statt, die die Politik hemmt, von dieser abzuweichen, ist das demokratische Grundsatzkonzept des Grundgesetzes empfindlich getroffen.126 Die „verhängnisvolle Vermischung“127 der Sphären von gesellschaftlicher Expertise und Politik scheint selbst den Parlamentariern manches Mal ungeheuer zu werden. Sichtbar wurde dieser Befund etwa im Zuge der InzestDebatte, innerhalb derer der Deutsche Ethikrat zu einer anderen als vom Bundestag erwarteten Bewertung der in Frage stehenden Inzest-Handlungen kam. Seine Stellungnahme führte prompt dazu, dass einige Abgeordnete die Sinnhaftigkeit des eigens von der Politik eingerichteten Gremiums in Frage stellten.128 Sie fühlten sich sichtlich in ihrer Entscheidungsfreiheit bedroht. Die kritischen Abgeordneten nahmen diese gefühlte Einengung schon allein deshalb als besonders schmerzlich wahr, als dass sie innerhalb ihres Wählerklientels nicht auf Zustimmung zu dem vom Ethikrat gefertigten Votums hoffen dürften. Die Wahrnehmung einer Bedrohungssituation von Seiten eines Gremiums, das lediglich für eine unverbindliche und unabhängige wissen123  Gutmann, in: Haarhoff (Hrsg.), Organversagen, S. 143, 164 spricht plakativ von einem „Akt der Selbstkastration politischer Verantwortlichkeit“ im Bereich des Transplantationswesens. 124  Papier, FAZ v. 31.01.2003, S. 8. 125  Allgemein kritisch zur Entparlamentarisierung P. Kirchhof, NJW 2001, S.  1332 ff.; ders., JZ 2004, S. 981, 984; Morlok, VVDStRL 62 (2003), S. 37 ff.; Puhl, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. III, § 48; Ruffert, in: DVBl 2002, S.  1145 ff.; Rupp, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. II, § 31 Rn. 55. 126  Die Gefahr der Vorprogrammierung politischer Entscheidungen sieht vor allem Rupp, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. II, § 31 Rn. 55. 127  Schmoll, FAZ v. 09.10.2014, S. 8. 128  Ebda., S. 8.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

schaftliche Beratung installiert wurde, ohne autonome politische Entscheidungen zu determinieren, verdeutlicht die immense Autorität öffentlichen, wissenschaftlichen Einflusses mancher gesellschaftlicher Akteure. Sie beginnt die Autonomie der Volksvertretung bereichsweise zu bedrohen. In anderen Angelegenheiten entledigt sich das Parlament selbst seiner Entscheidungsgewalt. 3. Fazit Das Transplantationswesen muss sich an ethischen Maßstäben messen und rechtliche Maßgaben beachten. Die Medizin ist mit der Ethik und dem Recht eng verbunden. Nur das Recht ist allerdings dazu in der Lage, den notwendigen Ordnungsrahmen zu garantieren und einem durch blinden Fortschrittswillen entstehenden Wertenihilismus wirksam entgegenzutreten. Die wachsenden medizinischen Optionen dürfen von rechtlichen Normierungen nicht bloß konsekutiv begleitet werden, sondern diese müssen den Fortschritt bereits zu einem frühzeitigen Zeitpunkt möglichst vorhersehen und umrahmen. Ein weitreichender Dissens in bioethischen Fragestellungen ist jedoch mittlerweile fest verwurzelte gesellschaftliche Realität und beeinflusst den Vorgang der Rechtssetzung. Der moderne Verfassungsstaat, der sich an gesellschaftlich-moralische Wertvorstellungen rückgebunden fühlt, muss sich intensiv mit ethischen Vorfragen befassen und nach zeitgemäßen Lösungen für diametrale Interessen suchen. Eine Politikberatung durch die Wissenschaft ist im Angesicht der neuartigen Herausforderungen lebenswissenschaftlicher Art unerlässlich. Die Medizinethik bietet eine Plattform zur Diskussion neuer Innovationen; vor allem jener, die einer normativen Verankerung im Recht bedürfen. Expertenrat kann hier nicht nur die Qualität der parlamentarischen Entscheidung stärken, sondern ist darüber hinaus in der Lage, das Zutrauen der Bevölkerung in eine rationale und verantwortliche Entscheidung der Volksvertreter zu stärken.129 129  Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 219. Sie hält eine Ergänzung der demokratischen Herrschaftsordnung des Grundgesetzes im Bereich der modernen Medizin und Biotechnologie sogar für erforderlich, um eine ausreichende demokratische Legitimation zu vermitteln, da bei diesen ethisch aufgeladenen Fragestellungen weder die Parteien einen entscheidenden Integrationsfaktor ausmachen würden noch die Grundrechte genügend materielle Vorgaben statuieren könnten, vgl. S. 227. Diese These erscheint jedoch in Anbetracht des formal ausgestalteten Demokratieprinzips des Grundgesetzes fraglich. Expertenrat kann parlamentarischen Entscheidungen zwar eine besondere rationale Qualität verleihen; ihre demokratische Legitimation erhalten diese jedoch aufgrund der Beschlüsse der vom Volk gewählten Vertreter. Siehe in diesem Zusammenhang die Bewertung der Legitimationsbemühen in Bezug auf die BÄK, S.  372 ff.



I. Das Zusammenspiel von Ethik, Recht und Rechtspolitik203

Obschon die Sachverständigenberatung für bioethische Herausforderungen einen essentiellen Stellenwert einnimmt, ist sie doch nur kritischer Begleiter der Politik. Die notwendigen Rechtsregeln können in der vom Grundgesetz geformten Demokratie ausschließlich von den legitimierten Volksvertretern herrühren. Provenienz wesentlicher Wertentscheidungen muss die parlamentarische Debatte bleiben. Es sind die Abgeordneten, die ihr Ergebnis am Ende vor dem Wahlvolk rechtfertigen müssen. Da der gesellschaftliche Wertepluralismus regelmäßig in die gesetzgebenden Institutionen hineingetragen wird, verfügen sie über die beste Voraussetzung, einen weitreichend akzeptierten Kompromiss zu erarbeiten. Eine bewusste Lenkung der medizinischen Entwicklung durch die parlamentarische Mehrheit auf Grundlage der grundgesetzlichen Wertvorstellungen vermag zwar keinen allumfassenden moralischen Konsens zu schaffen, jedoch zumindest Rechtssicherheit zu garantieren. Im Widerstreit zu ihrer essentiellen Berufung entledigen sich die Parlamentarier ihrer Entscheidungshoheit sehenden Auges. Dabei bedarf es in einer repräsentativen Demokratie dringend einer freien Dezision der Politik, die sachverständige Voten zwar in ihren Abwägungsprozess mit einbeziehen darf und auch soll, deren Autonomie jedoch zwingend zu wahren ist und nicht in ihrem Belieben steht.130 Verzichtet das Parlament auf eine eigenständige Gestaltung, droht das Gesetzgebungsverfahren nicht nur faktisch entwertet, sondern gar delegitimiert zu werden.131 Verführt etwa die Mehrheitsmeinung eines fachlich versierten Gremiums dazu, schlicht übernommen zu werden, wird die allgemeine und gleiche Teilhabe der Volksvertreter beeinträchtigt.132 Zwar bestehen bei entformalisierten Vorschalt-Verfahren solange keine verfassungsrechtlichen Bedenken, wie das grundgesetzliche Mindestprozedere gewahrt wird. Obacht ist allerdings spätestens bei einer tatsächlichen Verlagerung von Entscheidungsgewalt auf gesellschaftliche Kräfte geboten. Letzteres ist im Transplantationsrecht längst normative Realität. Verfassungspolitisch geht damit eine Selbstentmachtung des Parlaments einher, die es nur selbst, durch eigenen Gestaltungswillen, bezwingen kann. Läuft die realpolitische Entwicklung auf eine immer ausschweifendere Gewichtsverlagerung hin zu gesellschaftlichen Kräften hinaus, wird man nicht umhin130  Kritisch zur Art und Weise der Einbeziehung von externen Sachverstand in politische Entscheidungen schon Vierhaus, NVwZ 1993, S. 36 ff. 131  Puhl, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. III, § 48 Rn. 47. 132  Morlok, VVDStRL 62 (2003), S. 37, 40; Puhl, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. III, § 48 Rn. 47; kritisch zur Einbeziehung etwa des Nationalen Ethikrats (als Vorgängerinstitution des Deutschen Ethikrats) Rupp, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. II, § 31 Rn. 55, der von einem Regime spricht, das „undurchsichtig und fern der Öffentlichkeit, als Machtkartell der politischen und gesellschaftlichen Eliten fungiert […].“

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

kommen, die Grenzen der Machverschiebung nicht nur wachsam zu beäugen, sondern ihre Einhaltung explizit anzumahnen. Es gilt, die Erosion der integrativen Kraft des Parlaments durch eine materielle Entleerung des Parlamentarismus zu verhindern. Die repräsentative Demokratie hängt in diesem Zusammenhang maßgeblich vom Verantwortungsbewusstsein aller beteiligten Akteure ab, die sich ihren Aufgaben und ihrer Verantwortung bewusst sein müssen.133 Dabei stellt eine ethische Beratung die autonome moralische Kompetenz der gewählten Volksvertreter nicht per se in Frage, sondern ist vielmehr fähig, einen wünschenswerten Rationalisierungsbeitrag zur Debatte zu leisten. Es ist vor allem Sache der Politik, ihr Primat zu bewahren. Anstatt ihre eigene Kompetenz anzuerkennen, sucht sie jedoch im Außen nach Erneuerungskraft und wird sich dadurch selbst nicht gerecht. Das Parlament kann durchaus verfehlte Rechtsregeln schaffen; aus diesen Gesetzgebungsfehlern kann jedoch keine allgemeine Krise der parlamentarischen Demokratie abgeleitet werden.134 Als krisenhaft erweist sich vielmehr, dass sich das demokratisch legitimierte Parlament wesent­ licher Entscheidungen in essentiellen Lebensbereichen nicht mehr annimmt.

II. Ethische Vorfragen Es wurde bereits aufgezeigt, dass es sich bei der Organtransplantation um einen interdisziplinäreren Themenbereich handelt, der keinesfalls nur mit medizinischen Fragen aufwartet, sondern ebenso relevante ethische Anfragen an die Gesellschaft stellt. Im Rahmen einer juristischen Arbeit spielt die Ethik vor allem insofern eine Rolle, als dass diese in der Lage ist, die relevanten normativen Herausforderungen aufzudecken und die mannigfaltigen Handlungsoptionen einer kritischen Überprüfung zu unterziehen. Sie dient hauptsächlich der Klärung von ethischen Prämissen sowie der Überprüfung der normativen Plausibilität verschiedener Entscheidungsmöglichkeiten und beantwortet damit für die rechtliche Bewertung eines Sachverhalts entscheidende Vorfragen.135 Durch die Anwendung allgemeiner ethischer Prinzipien auf bestimmte Lebens- und Handlungsfragen wird die Ethik zu einer konkreten angewandten Wissenschaft, die als Medizinethik im Bereich des Transplantationswesens eine signifikante Begleitrolle einnimmt.136

133  Friesenhahn,

VVDStRL 16 (1958), S. 9, 64 f. G. Kirchhof, FAZ v. 27.12.2013, S. 7. 135  Siehe schon Gutmann / Land, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 87. 136  Pieper, Einführung in die Ethik, S. 92 ff. 134  Vgl.



II. Ethische Vorfragen205

Im Fokus der medizinischen Ethik steht vor allem die Tätigkeit des Arztes als Konkretisierung der allgemeinen Pflicht, Hilfsbedürftigen eine angemessene Hilfeleistung zuteilwerden zu lassen.137 Die Herausforderungen der modernen Medizin bringen jedoch mittlerweile vielschichtige mit Prinzipienkonflikten beladene Problemkomplexe mit sich, die eine Veränderung der Rolle des Arztes bedingt haben und konsekutiv Politik und Öffentlichkeit mit drängenden gesamtgesellschaftlichen Fragen konfrontieren. Anspruch dieser Arbeit kann es nicht sein, die ethischen Problemlandschaften für den Bereich der Transplantationsmedizin umfassend abzuschreiten. Dies wird der ethischen Wissenschaft selbst überlassen.138 Es sollen jedoch Einzelaspekte herausgegriffen werden, die eng mit der rechtlichen Struktur des Transplantationswesens in Deutschland zusammenhängen. Die Belichtung ethischer Teilaspekte ist zur Verwirklichung eines akzeptanzfähigen Rechtssystems kaum abdingbar. Der ethische Diskurs zeigt Werte und aus ihnen abgeleitete Prinzipien auf, die einer gerechten Normsetzung dienlich sein können.139 Das Recht erreignet sich nicht in einem ethikfreien Raum. Das Gleiche gilt für die Medizin. Es ist ein Irrglaube, zu behaupten, der Philosoph sei für die Bereitstellung der ethischen Maximen, der Gesetzgeber für die Niederschrift der rechtlichen Grundlagen und der Mediziner sodann für die bloße Anwendung zuständig. Dieses verkürzte Theorie-Praxis-Verständnis verkennt die Wechselwirkungen der ineinandergreifenden Bereiche.140 Nicht umsonst misst die Deutsche Transplantationsgesellschaft einem ethischen Transplantationskodex enorme Bedeutung zu und hat diesen nach den Manipulationsskandalen aus dem Jahre 2012 schleunigst überarbeitet. Ebenso wurde in dieser Arbeit bereits dargelegt, welchen enormen Stellenwert die ethische Beratung für die Politik einnimmt.141 Chancen und Grenzen von Entscheidungen sind in einem permanenten Dialog der Rechtswissenschaft mit der Ethik und der Medizin auszuloten. In diesem Sinne widmet sich der folgende Abschnitt einigen grundsätzlichen ethischen Fragestellungen in Bezug auf die Transplantationsmedizin. Zunächst soll als Grundlage weiterer Überlegungen in gebotener Kürze auf den Auftrag des Arztes in seinem Heilberuf eingegangen werden (1.). Danach wird sich mit dem Transplantationswesen und seiner Zielsetzung ausei137  Pieper,

Einführung in die Ethik, S. 93. Darstellungen finden sich etwa bei Ach / Anderheiden / Quante, Ethik der Organtransplantation; Beckmann, in: Beckmann / Kirste / Schreiber (Hrsg.), Organtransplantation, S.  93 ff.; Morris, Organtransplantation – ethisch betrachtet. 139  Vgl. Bondolfi, in: Bondolfi / H. Müller (Hrsg.), Medizinische Ethik im ärztlichen Alltag, S. 83, 113 ff.; Brech, Triage und Recht, S. 103. 140  So bereits Beckmann, Ethik Med 2006, S. 369, 371 in Bezug auf die Ethik und die Medizin. 141  Zur Einwirkung der Ethik auf das Recht siehe S. 180 ff. 138  Ausführliche

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nandergesetzt (2.). Nachdem die grundsätzliche Legitimität der Organübertragung geklärt wurde, muss sich mit den eingesetzten Mitteln befasst werden. Das betrifft namentlich das Hirntodkonzept (3.), die Spenderkonditionierung (4.), die Einwilligungsgrundlage zur Spende (5.) sowie grundsätzliche Überlegungen zur Verteilungsgerechtigkeit von Organen (6.). 1. Der Auftrag des Arztes Das kulturgeschichtlich gewachsene Leitbild des Arztes hat eine lange Tradition, das seit jeher von ethischen Paradigmen geschwängerte schwerwiegende rechtliche Fragen aufwirft. Auch wenn ärztliches Handeln in der modernen Medizin vor mannigfaltige neue Herausforderungen gestellt wird, haben sich die Maximen medizinischer Handlungsanleitungen über die Jahrhunderte hinweg kaum verändert. Moralisches Gravitationszentrum der hippokratischen Tradition waren schon vor langer Zeit die Prinzipien des Nichtschadens (primum non nocere) und des Nutzens (primum utilis esse), die Beachtung des Wohls des Kranken als oberstes Gebot (salus aegroti suprema lex) sowie die Verpflichtung der Befolgung des Willens des Patienten (voluntas aegroti suprema lex).142 Noch immer steht das Wohl des Patienten im Vordergrund der ärztlichen Handlungsmaxime, wenn die Musterberufsordnung der Bundesärztekammer formuliert, dass das Leben zu erhalten, die Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen, Leiden zu lindern, Sterbenden Beistand zu leisten sowie an der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen im Hinblick auf die Gesundheit des Menschen mitzuwirken sei (§ 1 Abs. 2 MBO-Ä) und der Arzt sein Verhalten am Wohl der Patienten auszurichten habe (§ 2 Abs. 2 S. 2 MBO-Ä). Dieser ärztliche Auftrag verknüpft das Handeln des Mediziners eng mit den Geboten der Ethik, die das Gewissen des Arztes in die Pflicht nimmt sowie seine Orientierung an der Menschlichkeit einfordert (§ 2 Abs. 1 S. 1 MBO-Ä). Auch, wenn die entscheidenden Prinzipien der ärztlichen Handlungsmaximen weitgehend den kulturellen Traditionen entsprechen, haben medizinische und gesellschaftliche Entwicklungen das Umfeld ärztlichen Wirkens nicht unwesentlich gewandelt. Immer mehr drängen Fragestellungen außerhalb der individuellen Arzt-Patienten-Beziehung in die Entscheidungsverantwortung des einzelnen Mediziners und führen so zu einem Paradigmenwechsel. Gemäß § 1 Abs. 1 MBO-Ä hat der Arzt nicht nur der Gesundheit des einzelnen Menschen, sondern auch jener der Bevölkerung zu dienen. Die rein individuelle, patientenzentrierte Sichtweise ist im modernen Gesundheitssystem zugunsten von Rationalisierung, Rationierung und Priorisierung von Ressour142  Brech,

Triage und Recht, S. 112.



II. Ethische Vorfragen207

cen insgesamt massiv zurückgetreten.143 Es liegt mittlerweile in der Verantwortung des Arztes, seinen Einsatz medizinischer Mittel zu bedenken, da ihr Verbrauch dazu führt, dass sie anderen Patienten nicht mehr zur Verfügung stehen.144 Insgesamt steigt mit der Vielfalt ärztlicher Aufgaben und Verantwortung auch der Bedarf an ethischer Beratung, die mittlerweile etwa von klinikinternen Beratungsgremien in Form von Einzelfallbegutachtungen, der Entwicklung von „Inhouse-Leitlinien“ oder Programmen ethischer Sensibilisierung wahrgenommen werden.145 Die bereichsfremde Aufbürdung einer grundsätzlichen Verantwortlichkeit des Arztes für das Funktionieren des Gesundheitssystems überfrachtet jedoch den ärztlichen Auftrag auch im Angesicht der heutigen Herausforderungen des medizinischen Sektors.146 Degeneriert die ärztliche Behandlungsentscheidung zu einer Ressourcenzuteilung, wird das immens bedeutsame Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient empfindlich gestört, da letzterer nicht sicher sein kann, wem der Arzt mit seinem Verhalten tatsächlich dient.147 Der Mediziner ist für Rationierungsoder Priorisierungsentscheidungen auch nicht kompetent. Verteilungsentscheidungen sind vor allem ethischer Natur und bedürfen einer rechtlichen Regelung auf der Makroebene durch eine demokratisch legitimierte Entscheidung von Seiten der Politik.148 Dass dieses Erfordernis jedoch vielfach übergangen wird, zeigen im Bereich der Transplantationsmedizin bereits weitreichende Kompetenzverlagerungen weg vom Parlament hin zur Ärzteschaft; so etwa durch die umfassende Beauftragung der Bundesärztekammer mit der Richtliniengestaltung gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 TPG.149 Hinzu kommen weitere wesentliche ärztliche Wirkungsfelder, die schwerwiegende ethische Entscheidungen fordern. Im Transplantationsrecht wird das Individualverhältnis zwischen Arzt und Patient vor allem dadurch gesprengt, dass der potentielle Organempfänger auf einen ärztlichen Eingriff bei einem lebenden oder hirntoten Spender angewiesen ist. Besonders prekär werden Ansprüche an das ärztliche Handeln, wenn Konfliktsituationen weder im Transplanta­ 143  Vgl. Kreß, Medizinische Ethik, S. 27 f.; zum Wandel der ärztlichen Heilkunst vgl. auch Duttge, in: Duttge (Hrsg.), Perspektiven des Medizinrechts im 21. Jahrhundert, S.  1 ff. 144  Brech, Triage und Recht, S. 114; vgl. zur gewandelten Rolle des Arztes auch Jonas, Technik, Medizin und Ethik, S. 154 ff. 145  Ammann, Medizinethik und medizinethische Expertengremien im Licht des öffentlichen Rechts, S. 272. 146  Ebda., S. 58. 147  Ach / Anderheiden / Quante, Ethik der Organtransplantation, S. 187; Ammann, Medizinethik und medizinethische Expertengremien im Licht des öffentlichen Rechts, S. 114; Brech, Triage und Recht, S. 115. 148  Brech, Triage und Recht, S. 115. 149  Vgl. zur weitreichenden Kompetenzübertragung auf die BÄK durch die Richtlinienermächtigung S.  351 ff.

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tionsgesetz noch sonst einer rechtlichen Regelung zugeführt wurden. Prominentes Beispiel für die ethische Überlastung des Arztes sind jene organprotektiven Maßnahmen zur Vorbereitung einer Organexplantation bei Patienten im präfinalen Stadium, die vor der Feststellung des Hirntodes vorgenommen werden.150 Seit jeher rechtfertigen vor allem zwei Grundvoraussetzungen das ärztliche Handeln, nämlich der Heilauftrag sowie das Einverständnis des Patienten.151 Bei den heute stattfindenden rein spendezentrierten Behandlungen Lebender wird dem Arzt jedoch ein Handeln gegen diese Prinzipien zugemutet, da die Maßnahmen seinem Patienten weder nützen noch regelmäßig eine Einwilligung zu diesen vorliegt.152 In diesen Angelegenheiten bleibt der Mediziner auf sich allein gestellt und wird letztlich als Leiharbeiter der politischen Kräfte missbraucht, die sich einer rechtlichen Regulierung medizin­ ethischer Entscheidungen verweigern. 2. Die Legitimität der Organtransplantation Medizinisches Handeln ist im zunehmenden Maße auf die Überwindung naturgegebener Hemmnisse zur menschlichen „Vervollkommnung“ gerichtet. Die Grenzen zwischen echter Heilbehandlung und Anthropotechnik, Treatment oder Enhancement sind zuweilen fließend.153 Die Summe jener medizinischen Handlungsoptionen, die unter die ärztliche Hilfsverpflichtung subsumiert werden, hat stetig zugenommen und wird weiter ansteigen. Das Wachstum an mit den Möglichkeiten korrelierenden Pflichten manövriert den Arzt, wie bereits aufgezeigt, in zwiespältige Konstellationen menschlicher Beziehungen.154 Das Dreiecksverhältnis der Transplantationssituation involviert stets den Spender, den Empfänger sowie das beteiligte medizinische Personal. Während der Chirurg bei der Transplantation eines Organs seiner ureigenen Bestimmung, nämlich seinem Heilauftrag, nachkommt, ist das Verhältnis zwischen einem toten Spender und dem „behandelnden“ Arzt kein therapeu­ tisches mehr. Es bleibt jedoch neben rechtlicher vor allem ethischer Na150  Siehe dazu die Ausführungen zur präfinalen Spenderkonditionierung, die in der Bundesrepublik bisher ungeregelt ist, S. 282 ff. 151  Siehe P. Kirchhof, in: Kern / Wadle / Schroeder u. a. (Hrsg.), FS Laufs, S. 931, 935 f., der zusätzlich noch auf eine lege artis Ausführung des Eingriffs eingeht. 152  Ob der Patient in dieser Hinsicht in seinem Willen vertreten werden kann, bedarf der Klärung, vgl. zum Einwilligungserfordernis S. 288 ff. 153  Duttge, in: Duttge (Hrsg.), Perspektiven des Medizinrechts im 21. Jahrhundert, S. 3. 154  Siehe zu den Herausforderungen ärztlichen Handelns in der modernen Medizin bereits S.  206 ff.



II. Ethische Vorfragen209

tur.155 Maßgeblich für das Transplantationsverfahren ist ergänzend zu der Handlungspflicht zugunsten der Wartelistenkandidaten vor allem die Verantwortung des Arztes betreffend die weiterhin anerkannten Sollens-Normen in Bezug auf den potentiellen Spender, die nach dem Todeszeitpunkt insbesondere in der Achtung seines Selbstbestimmungsrechts liegen.156 Die Legitimität der Zielsetzung einer Organübertragung zur Lebensrettung, Gesundheitswiederherstellung und Leidensminderung schwer kranker Menschen steht in Anbetracht der Hilfsverpflichtung des Arztes außer Frage.157 Weniger belastende Alternativen zur Transplantation konnte die medizinische Wissenschaft noch nicht bereitstellen.158 Umso drängender finden Diskussionen über die Art und Weise der Handhabe des Transplantationswesens statt. Gewählte Mittel und vorhersehbare Folgen können unabhängig von der grundsätzlichen Legitimität des Verfahrens als unvertretbar bewertet werden. Der Ausschöpfung mannigfaltiger Handlungsoptionen muss aus diesem Grunde durch wirksame Kautelen unmissverständliche Grenzen gezogen werden. 3. Der Tod des Menschen nach dem Transplantationsgesetz159 Zwar haben die jüngsten Gesetzesnovellen weder an der Geltung des Hirntodkriteriums noch an den umstrittenen Gesetzesformulierungen gerüttelt, doch hat die Legitimität dieses Todeskriteriums in den letzten Jahren mit erneuter Brisanz Einzug in die wissenschaftliche Diskussion erhalten, sodass eine vertiefte Wiederaufnahme der Debatte unumgänglich erscheint. Im Einzelnen werden die Überzeugungskraft des Hirntodkonzepts als Todesnachweis (a)) sowie die Validität des Feststellungsverfahrens (b)) kontrovers diskutiert. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass der Umgang mit dem Hirntod noch immer mit praktischen Problemen behaftet ist (c)).

155  Beckmann, in: Beckmann / Kirste / Schreiber (Hrsg.), Organtransplantation, S. 93, 94. 156  Ebda., S. 94. 157  So bereits ebda., S. 94. 158  Zu den Zukunftsperspektiven der Organtransplantation siehe S. 56 ff. 159  Unabhängig vom Streitpunkt, ob es sich bei der Erforschung einer adäquaten Todesdefinition und ihrer Nachweiskriterien tatsächlich um eine ethische Fragestellung handelt, soll das Hirntodkriterium an dieser Stelle behandelt werden. Zur Einordnung der Frage siehe etwa Ach / Anderheiden / Quante, Ethik der Organtransplantation, S.  37 f.; Schuhmacher, in: Esser / Kersting / Schäfer (Hrsg.), Welchen Tod stirbt der Mensch?, S. 91, 112 f. Für eine Verortung der Frage auf dem Gebiet der Ethik Esser, in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 223, 233.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

a) Das Hirntodkonzept – Zukunftsperspektive trotz vermehrter Kontroverse? Die Komplexität des Todesereignisses war lange kein Thema in der juristischen Welt, wie die gern zitierte Äußerung von Friedrich Carl von Savigny beweist, der behauptete, der Tod sei ein so einfaches Naturereignis, das er keine genaue Feststellung seiner Elemente nötig mache.160 Die tiefgreifenden Diskussionen verschiedenster Wissenschaften, die sich um die Definition des Todes und die Kriterien seiner Abbildung sowie seines Nachweises ranken, veranschaulichen, dass dieses Postulat heute keine Gültigkeit mehr beanspruchen kann. Über Jahrtausende hinweg hat das Herz, als Motor des Lebens, eine herausragende Stellung in gesellschaftlicher Anschauung und medizinischer Wissenschaft eingenommen. Das Herz galt nicht nur als der Ursprung von Lebendigkeit, sondern auch als Sitz der Seele oder Symbol für indivi­ duelle Authentizität und moralische Integrität.161 Es war schwer vorstellbar, dass ihm dieser Rang innerhalb weniger Jahrzehnte ohne öffentliche Diskussion abgelaufen würde; die langanhaltende Hirntoddebatte bestätigt diese Skepsis. Obwohl sich der Gesetzgeber im Transplantationsgesetz zu einer Gleichsetzung der Begriffe des Gesamthirntodes und Individualtodes nicht hat durchringen können, hat er mit seinen Regelungen die Debatte um das Todeskriterium weiter befeuert. Durch den Verweis auf die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft in § 3 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 TPG und die Beauftragung der Bundesärztekammer mit einer Richtlinienerstellung gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG spielte der Gesetzgeber den Ball zunächst in Richtung Ärzteschaft. Diese sollte den Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft für die Feststellung des Todes und des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms feststellen. Die Provenienz der Todesfrage scheint zunächst tatsächlich in einem rein medizinischen Gewand daherzukommen; realiter stellt sich die Einordnung als wesentlich vielschichtiger dar. In der Wissenschaft werden mittlerweile typischerweise drei verschiedene Ebenen der analytischen Kategorisierung unterschieden, die sich mit der Todesfrage beschäftigen und miteinander verbunden sind. – Auf der ersten Ebene stellt sich die anthropologische Frage, was der Tod (des Menschen) überhaupt ist. 160  Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. II, S. 17 (zitiert nach Quednow, in: Niederschlag / Proft (Hrsg.), Wann ist der Mensch tot?, S. 39, 40). 161  Hollmer, in: Charbonnier / Laube (Hrsg.), Organ- und Gewebetransplantation, S. 109.



II. Ethische Vorfragen211

– Die zweite Ebene fragt darauffolgend, woran sich der Tod biologisch erkennen lässt. – Die dritte Ebene schließlich befasst sich mit dem medizinischen Nachweis der Todeskriterien.162 Während der Streit um den adäquaten Nachweis eines Todeskriteriums auf der diagnostischen Ebene – dem medizinischen Spielfeld – stattfindet, handelt es sich bei den Fragen nach einer angemessenen Todesdefinition und dessen sachgerechter Abbildung um eine philosophisch-anthropologisch als auch psychologisch hoch aufgeladene Fundamentalproblematik, die für die Transplantationsmedizin höchste Relevanz besitzt (aa)). Nachdem im Rahmen der Darstellung des Transplantationsablaufs das Nachweisverfahren des Hirntodes sowie die Entwicklung des Todeskonzepts bereits erläutert wur­ den,163 soll in diesem Abschnitt näher auf die ersten beiden Ebenen der analytischen Kategorisierung eingegangen werden. Dementsprechend muss entlang der bisherigen Diskussion um den Todesbegriff (bb)) herausgearbeitet werden, was der Tod des Menschen ist und an welchen Kriterien er sich erkennen lässt. Das Hirntodkonzept bietet einen anthropologisch überzeugenden Ansatz als Lösungsvorschlag an (cc)). aa) Relevanz der Diskussion Als signifikant erweisen sich die vorstehenden Fragestellungen im Rahmen der Organspende nach dem zweiten Abschnitt des Transplantationsgesetzes vor allem deshalb, weil die Organentnahme nach dem Willen des Gesetzgebers postmortal erfolgen muss. Das Hirntodkriterium fungiert insofern als ein propositionales Kriterium für den Todeseintritt und ein normatives Kriterium dafür, dass Maßnahmen im Sinne einer Organspende grundsätzlich erlaubt sind.164 Würde eine wissenschaftliche Debatte zur Erkenntnis führen, dass der endgültige, nicht behebbare Ausfall der Gesamtfunktion von Großhirn, Kleinhirn und Hirnstamm nicht den Todeszeitpunkt des Menschen markiert, müsste die Transplantationsmedizin von Grund auf hinterfragt werden. Es bestünde die Möglichkeit, von der Dead-Donor-Rule abzuweichen und den Hirntod, obwohl nicht Tod des Menschen, als ausreichende Voraussetzung für eine Organentnahme anzusehen oder die Spende von Hirntoten schlicht als unvertretbar zu verwerfen. Hieran zeigt sich das gesamte Ausmaß 162  Vgl. Höfling / Rixen, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 3 Rn. 10; Jox, in: Kröll / Schaupp (Hrsg.), Hirntod und Organtransplantation, S. 79, 85; Oduncu, Hirntod und Organtransplantation, S. 13; Schroth, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, Vor §§ 3, 4. Rn. 21. 163  Siehe dazu S. 70 ff. 164  Deutscher Ethikrat, Hirntod und Entscheidung zur Organspende, S. 53.

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des Dilemmas der Hirntoddebatte. Erkennt man den Hirntod nicht an, bleibt die Wahl zwischen der Tötung eines Lebenden zum Zwecke der Organentnahme oder der Versagung von lebensrettenden Therapiemöglichkeiten für schwerkranke Wartelistenkandidaten. Dennoch darf die Diskussion keinesfalls folgenorientiert geführt werden.165 Die Frage nach einer adäquaten Todesdefinition und einem angemessenen Todeskriterium muss aus sich heraus beantwortet werden. Andernfalls drohen rein interessengeleitete Entscheidungen. Diese sind gerade im sensiblen Bereich der Organtransplantation in gefährlichem Maße dazu geeignet, zu Dammbrüchen zu führen, die in Widerspruch zu dem durch die Würdeanerkennung geprägten Menschenbild des Grundgesetzes geraten könnten.166 Eine Todesdefinition muss sich vor der Wertekonzeption der Verfassung als angemessen erweisen. Die Sorge, dass die grundlegenden Vorgaben des Grundgesetzes durch das Hirntodkonzept ad acta gelegt werden ist allerdings verbreitet. Das vom Kant’schen kategorischen Imperativ genährte Menschenbild, so wird von mancher Seite behauptet, laufe Gefahr, sich zu einem „technologischen Imperativ“ zu wandeln.167 bb) Stand der Diskussion Ob der Hirntod als Todeskriterium anzuerkennen ist, hängt davon ab, wie der Tod definiert wird und ob der Hirntod diesen Begriff adäquat abbildet (erste und zweite Ebene der Kategorisierung). Für diese Festlegung besitzt die medizinische Wissenschaft keine Monopolkompetenz.168 Schließlich lässt sich die Bewertung einer Definition des Todes als vernünftig oder angemessen nicht auf Grundlage empirischer Befunde, sondern lediglich unter deren Berücksichtigung treffen.169 165  Anders aber Eser / Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder (Hrsg.), StGB-Kommentar, Vor. §§ 211 ff. Rn. 16, 19; Schneider, in: Joecks (Hrsg.) MüKo StGB, Vor. §§ 211 Rn. 25; Esser, in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 223, 237 f. 166  Zum Menschenbild des Grundgesetzes siehe Becker, Das „Menschenbild des Grundgesetzes“ in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, S. 17  ff., 20 ff., 33 ff. 167  So im Rahmen der KAO-Tagung vom 01.12.2007 „Zehn Jahre Transplanta­ tionsgesetz – wie sehen Kritiker von damals die Situation heute?, Geisler, Das Menschenbild der Transplantationsmedizin, S. 1. 168  Birnbacher, in: Esser / Kersting / Schäfer (Hrsg.), Welchen Tod stirbt der Mensch?, S. 19, 22; Haupt / Höfling, Fortschritte in der Neurologie / Psychiatrie 70 (2002), S. 583, 586; Heun, JZ 1996, S. 213, 214; Höfling, MedR 2013, S. 407, 408; ders. / Rixen, Verfassungsfragen der Transplantationsmedizin, S. 61; anders aber Angstwurm, in: Firnkorn (Hrsg.), Hirntod als Todeskriterium, S. 7, 9, der von der Erkenntnis eines biologischen Sachverhalts spricht.



II. Ethische Vorfragen213

Das Hirntodkonzept begegnet in den letzten Jahren vermehrt Einwänden aus unterschiedlichen Wissenschaftsbereichen. Während die medizinische Forschung und Praxis das Hirntodkriterium bisher recht einhellig befürwortete, greifen mittlerweile auch Ärzte die seither vermehrt aus der Philosophie und Rechtswissenschaft stammenden Kritikpunkte am Hirntodkonzept auf ((2)). Dennoch bestimmt die Argumentationslinie der Befürworter des Todeskonzepts noch heute den Umgang mit hirntoten Patienten ((1)). (1) Die klassische Argumentation für das Hirntodkonzept Der Eintritt des Hirntodes wird heute, trotz immer wieder aufflammender Kritik, weithin als adäquates und zweckmäßiges Todeskriterium anerkannt.170 In den meisten Ländern der westlichen Welt herrscht diesbezüglich große rechtspolitische Einigkeit.171 Seine Befürworter betonen, dass er keine Erfindung, sondern eine Entdeckung sei, die erst in der modernen Intensivmedizin möglich war.172 Dafür werden unterschiedliche Begründungsmodelle angeboten, wozu insbesondere die Geistigkeits- (a) und Integrationstheorie (b) zählen. Neuen Schwung in die Debatte brachte eine Stellungnahme des President’s Council on Bioethics (c). Alle Erklärungsansätze stehen vor der Herausforderung, die zentrale und exklusive Relevanz des Gehirns für den Gesamtorganismus „Mensch“ zu belegen, die eine Annahme des Todes bei dessen weitgehendem Funktionsverlust nahelegt. (a) Die Geistigkeitstheorie Die Geistigkeitstheorie rekurriert auf das Gehirn als die notwendige und unersetzliche körperliche Grundlage für alles Geistige und rückt auf diese Weise die Kognitionsfähigkeit des Menschen in den Mittelpunkt der Todes169  Birnbacher, in: Esser / Kersting / Schäfer (Hrsg.), Welchen Tod stirbt der Mensch?, S. 19, 22. 170  Befürwortend etwa Anderheiden, KritV 84 (2001), S. 353, 366 ff.; Di Fabio, in: Maunz / Dürig u. a. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 2 Abs. 2 S. 1 (2004), Rn. 21; Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S.  13 f.; Schultze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.) GG-Kommentar, Art. 2 Abs. 2 Rn. 30 f.; Starck, in: Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 2 Rn. 191. 171  Zum Konsens über das Hirntodkriterium Wijdicks, Neurology 58 (2002), S. 20 ff.; Skepsis herrscht jedoch im asiatischen Raum, vgl. zur gegenüber dem Hirntod eher reservierten Lage in Japan Ichihara, MedR 2012, S. 500 ff. 172  Vgl. den Kommentar von Wuermeling, Organtransplantation unter Verzicht auf das Hirntodkonzept?, abrufbar unter http: /  / www.cdl-rlp.de / Lebensrechts-Blog /  Kommentar-Wuermeling-Hirntod.html (zuletzt abgerufen am 30.06.2017).

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definition. Mit dem Gesamthirntod entfalle die biologische Grundlage für jegliche Geistigkeit des Menschen. Der Mensch könne nichts mehr aus seinem Inneren und aus seiner Umgebung empfinden, wahrnehmen, beobachten und beantworten, nichts mehr denken, nichts mehr entscheiden. Er sei in Ermangelung einer körperlich-geistiger oder leiblich-seelischer Einheitlichkeit tot.173 Seine personale Identität, auf die es entscheidend ankomme, sei nicht identisch mit den physiologischen Prozessen des Organismus. Während dieser laufend zerfalle und erneuert würde, bliebe die personale Identität über den Wechsel körperlicher Austauschprozesse hinweg erhalten.174 Die maschinelle Aufrechterhaltung des Herz-Kreislaufsystems könne daher nicht als relevantes Kriterium für die Negation des Todeseintritts herangezogen werden. Die körperliche Grundlage für alles Geistige sei endgültig ausgefallen und damit das Dasein des Menschen als geistbegabter Organismus be­ endet.175 Da sich die Geistigkeitstheorie jedoch seit jeher dem Vorwurf ausgesetzt sah, zwangsläufig Teilhirntodkonzepten den Weg zu ebnen, hat sie sich letztlich nicht durchgesetzt.176 (b) Die Integrationstheorie Nach Überzeugung der Integrationstheorie muss für die Todesbestimmung auf den Organismus als Ganzem im biologischen Sinn abgestellt werden. Der Tod des Menschen sei, wie bei jedem Lebewesen, sein Ende als Organismus in seiner funktionellen Ganzheit, nicht erst der Tod aller Teile des Körpers. Dieser Zustand soll mit dem Gesamthirntod eingetreten sein. Biologisch fehle dem Organismus ab diesem Moment seine Selbstständigkeit, Selbsttätigkeit, Spontanität und Integrationsfähigkeit im Hinblick auf den Gesamtorganismus.177 Die Tatsache, dass durch apparative Hilfsmittel das Herz-Kreislaufsystem noch funktioniere, sei durch die Betrachtung des Menschen als Ganzem irrelevant für den Todeseintritt. Ganzheit bedeute insoweit Einheit als Lebewesen, nicht nur die Summe aller Zellen, Gewebe 173  Gemeinsame Stellungnahme medizinischer Fachgesellschaften, MedR 1994, VIII f.; Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin u. a., Untrügliche Zeichen für das Ende des Lebens, FAZ v. 28.09.1994. 174  Schockenhoff, ZME 58 (2012) S. 117, 123. 175  Angstwurm, in: Hoff / in der Schmitten (Hrsg.), Wann ist der Mensch tot?, S.  41, 44 f.; Schreiber, Wann ist der Mensch tot?, in: Firnkorn (Hrsg.), Hirntod als Todeskriterium, S. 44, 47. 176  Vgl. Deutscher Ethikrat, Hirntod und Entscheidung zur Organspende, S. 66 ff. 177  So der Wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer, DÄBl 90 (1993), A-2933 ff.; für den amerikanischen Raum vgl. die Begründung der President’s Commission for the Study of Ethical Problems in Medicine and Biomedical and Behavioral Research, Defining Death.



II. Ethische Vorfragen215

und Organe.178 Zwar würden auch andere Organe als das Gehirn einen oftmals lebenswichtigen Beitrag zur Aufrechterhaltung des Organismus leisten, könnten ihre Funktion aber nicht selbstständig, in Unabhängigkeit von diesem, ausführen.179 Wesentliche Eigenschaften höherer Lebewesen wie Autonomie, Spontanität, Steuerung, Anpassung und Abgrenzung sowie vor allem die Integration als Organismus hingen vom Gehirn ab, was seine herausragende Stellung bei der Bestimmung von Leben und Tod rechtfertige.180 Das menschliche Leben sei mit dem Absterben des Gehirns als Motor für die selbstständige und selbsttätige Einheit des Menschen erloschen.181 (c) Die Stellungnahme des President’s Council on Bioethics Neuen Auftrieb gewann die Hirntoddebatte durch die letzte Stellungnahme des President’s Council on Bioethics aus den USA im Dezember 2008, in der dieser das Hirntodkonzept bekräftigte. Die Resonanz auf seine Veröffent­ lichung war höchst unterschiedlich. Während seinen Aussagen teilweise unter dem Hinweis mangelnder Neuheiten für die Debatte die Brisanz abgesprochen wurde,182 bewerteten einige Stimmen die Argumente als missglückten Versuch, das längst hinfällige Hirntodkonzept zu retten.183 Um den Kritikern des Hirntodkonzepts zu begegnen, die auf eine verbliebende Integrationskraft des Organismus auch ohne Hirntätigkeit verwiesen,184 plädierte die Kommission mehrheitlich dafür, die bisherige Ganzheitsvorstellung, die vom Konzept der Integration von Teilfunktionen ausging, durch eine Sichtweise zu ersetzen, die auf die spezifische Eigentätigkeit des Organismus abstellt.185 Es wurde damit nicht mehr die somatische Integration, 178  Angstwurm, in: Hoff / in der Schmitten (Hrsg.), Wann ist der Mensch tot?, S. 41, 43; Oduncu, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, Einl. Rn. 107; Schreiber, in: Beckmann / Kirste / Schreiber (Hrsg.), Organtransplantation, S. 64, 70. 179  Schockenhoff, ZME 58 (2012) S. 117, 125; für die Unersetzlichkeit des Gehirns auch Angstwurm, in: Hoff / in der Schmitten (Hrsg.), Wann ist der Mensch tot?, S. 41, 46. 180  Angstwurm, in: Hoff / in der Schmitten (Hrsg.), Wann ist der Mensch tot?, S. 41, 44. 181  Ebda., S. 41, 44. 182  Vgl. Quednow, in: Niederschlag / Proft (Hrsg.), Wann ist der Mensch tot?, S. 39, 45. 183  Denkhaus / Dabrock, ZME 58 (2012), S. 135, 142; Höfling, MedR 2013, S. 407, 310; ders., in: Sachs / Siekmann (Hrsg.), FS Stern, S. 1411 ff. 184  Siehe zur Kritik aufgrund noch bestehender somatischer Integrationskraft des Organismus S. 218. 185  President’s Council on Bioethics, Controversies in the Determination of Death, White Paper, December 2008, S. 59 f.; vgl. zum Begründungswechsel auch Schockenhoff, ZME 58 (2012) S. 117, 126.

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sondern die Arbeit der Selbsterhaltung für die funktionale Ganzheit des Organismus in den Mittelpunkt gestellt.186 Die Kommission formulierte dafür drei Bedingungen als Charakteristika für einen lebenden Organismus: – Ein lebendiges System muss offen gegenüber der Welt sein, was bedeutet, dass er empfänglich sein muss für Reize und Signale aus der Umgebung. – Der Organismus muss die Fähigkeit haben, so auf die Umgebung einzuwirken, dass er seine Bedürfnisse befriedigen kann. – Er muss ferner ein Grundstreben aufweisen, das ihn antreibt so zu agieren, dass er das erlangt, was er braucht und was ihm aufgrund seiner Offenheit für die Welt erreichbar erscheint.187 Der Mensch sei tot, wenn sein Körper als Ganzes aufgehört hat, seine Funktion (fundamental work) zu verrichten, die in der Selbsterhaltung durch den Austausch (commerce) mit der Umwelt bestehe. Wesentliche Merkmale des Todes seien der Mangel von Zeichen des Bewusstseins und das Fehlen spontaner Atmung sowie die Irreversibilität dieser Befunde. Die exklusive Bedeutung des Gehirns soll über dessen Relevanz für die aktive Interaktion des menschlichen Organismus mit seiner Umwelt belegt werden, die als die grundlegende Lebensäußerung bewertet wird. Anstatt nur die Integration des Organismus nach innen zu betrachten, gerät die bedürfnisorientierte Auseinandersetzung des Lebendigen mit der Umwelt in den Fokus.188 Bei Eintritt des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls fände kein Austausch mit der Umwelt mehr statt, der vom Organismus und seinen Bedürfnissen getrieben wäre. (2) Kritik am Hirntodkonzept Das Hirntodkonzept war von der Stunde seiner Geburt an heftiger Kritik ausgesetzt, die bis heute nicht verstummt ist. Dabei geht die Beanstandung des Todesentwurfs in unterschiedliche Richtungen. Während die Teilhirntodkonzepte den Tod des Menschen bereits vor dem irreversiblen Funktionsausfall des Gesamthirns annehmen ((aa)), sehen andere den Hirntoten lediglich als Sterbenden an ((bb)).

186  Denkhaus / Dabrock,

ZME 58 (2012), S. 135, 141. Council on Bioethics, Controversies in the Determination of Death, White Paper, December 2008, S. 61. 188  Vgl. zu einer Auseinandersetzung mit dem neuen Begründungsansatz des President’s Council on Bioethics Bormann, in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 267, 272 ff.; Schaupp, in: Kröll / Schaupp (Hrsg.), Hirntod und Organtransplantation, S. 97, 104 f.; Schockenhoff, ZME 58 (2012), S. 117 ff.; Sahm, ZME 58 (2012), S.  173 ff. 187  President’s



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(a) Teilhirntodkonzepte Teilweise wurde das Gesamthirntodkonzept als zu zögerlich bewertet und Teilhirntodkonzepte als Gegenmodelle vorgeschlagen. Das Gehirn setzt sich aus verschiedenen Arealen zusammen. Einmal aus dem Großhirn, dem Neocortex, der die beiden Hemisphären und die Stammganglien umfasst und die Ausübung der personalen Fakultäten ermöglicht. Hinzu kommt der Hirnstamm als Steuerungszentrum für die Atmung, die Herztätigkeit und den Blutkreislauf. Schließlich koordiniert das Kleinhirn den Ablauf von Körperbewegungen.189 In Großbritannien genügt für eine postmortale Organentnahme bereits die Feststellung des Hirnstammtodes (brain stem death).190 Relevant ist nach dieser Konstruktion lediglich der dauerhafte Stillstand von allen interaktiven Funktionen des Organismus im Ganzen.191 Ohne die integrative Wirkung des Stammhirns mit der Steuerung des Zentralnervensystems sei die „Einheit Mensch“ zerfallen. Eine Selbsterhaltung durch Atmung und Herz- Kreislauftätigkeit ohne maschinelle Unterstützung ist dem Organismus nicht mehr möglich. Als problematisch gilt hier die Abgrenzung zum Locked-in-Syndrom (Menschen mit Selbstbewusstsein, aber nahezu ausgefallenen Hirnstammfunktionen). Dagegen ist beim neokortikalen Tod bzw. Großhirntod (higher brain criterion) ein irreversibler Verlust der Großhirnleistung festzustellen, mit dauerhaft erloschener EEG-Tätigkeit, jedoch erhaltener Hirnstammfunktion.192 Funktionslos ist das Kommunikationszentrum des Menschen, das für Bewusstsein und kognitive Leistungen zuständig ist.193 Nach diesem Modell sind Menschen mit apallischem Syndrom (Wachkomapatienten) und anencephale Neugeborene (Säuglinge, bei denen das Großhirn fehlt, aber ein Stammhirn vorhanden ist) tot.194 Begründet wird diese Ansicht damit, dass die Bewusstseinsleistung die Essenz sei, die den Menschen, in Abgrenzung zu anderen Lebewesen, im Besonderen ausmache.195 189  Schuhmacher, in: Esser / Kersting / Schäfer (Hrsg.), Welchen Tod stirbt der Mensch?, S. 91, 94 f. 190  Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S 43. 191  Schuhmacher, in: Esser / Kersting / Schäfer (Hrsg.), Welchen Tod stirbt der Mensch?, S. 91, 95. 192  Schlake / Roosen, Der Hirntod als Tod des Menschen, S. 71. 193  Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 148. 194  Funck, MedR 1992, S. 182, 188. Näheres zum Krankheitsbild der Anenzephalie und zum apallischen Syndrom siehe unter den Begriffen im Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch. 195  Siehe dazu Funck, MedR 1992, S. 182  ff.; Kurthen / Linke, in: Hoff / in der Schmitten (Hrsg.), Wann ist der Mensch tot?, S. 82 ff. sowie die Nachweise bei Merkel, Jura 1999, S. 113, 116 mit Fn. 23; Veatch, Transplantation Ethics, S. 100 ff.

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(b) Hirntote als Sterbende Der größte Teil der Kritiker schlägt hingegen in eine andere Kerbe und verneint den Abschluss des Sterbeprozesses beim dissoziierten Hirntod. Vielmehr werde der Todeseintritt lediglich zur Beförderung der Transplantationsmedizin behauptet.196 Der Hirntote sei ein Sterbender, aber noch kein Toter.197 Für diese Sichtweise wird eine Reihe von Argumenten angeführt. Für erstes Unwohlsein sorgt die phänomenale Gegebenheit des Hirntoten, denn er gleicht keinesfalls dem intuitiv erwarteten Bild von einem Leichnam. Er ist weder blass noch befindet er sich in der Leichenstarre oder hat Totenflecken. Sogar sein Herz schlägt noch. Äußerlich unterscheidet er sich nicht von einem intensivmedizinisch betreuten Komapatienten. Es fehlt damit die Anschaulichkeit des Todes, die das menschliche Auge gewohnt war.198 Es sind vor allem noch vorhandene, nicht über das Gehirn, sondern das Rückenmark gesteuerte Reflexautomatismen (Lazarus-Zeichen), die Verunsicherung verursachen.199 Die Wahrnehmung einer Bewegung ruft ganz natürlich den Eindruck von Lebendigkeit hervor. Es ist jedoch nicht nur der äußerliche Eindruck von Lebendigkeit, der die Hirntodgegner am herrschenden Todeskonzept zweifeln lässt. Der Organis196  Vgl. nur Hoff / in der Schmitten, in: Hoff / in der Schmitten (Hrsg.), Wann ist der Mensch tot?, S. 153, 169 ff. Allerdings hat die BÄK in ihrer vierten Fortschreibung der Richtlinie zur Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls klargestellt, dass der Hirntod nicht allein im Rahmen der Transplantationsmedizin von Bedeutung sei. Nur etwa jede zweite Diagnostik des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls soll im Kontext der Organ- und Gewebespende erfolgen, vgl. Klinkhammer, DÄBl 112 (2015), A-1230. 197  Dabrock, Zeitzeichen 12 (2001), S. 14 f.; Denkhaus / Dabrock, ZME 58 (2012), S. 135,  142; Gallwas, JZ 1996, S. 851 f.; Herdegen, in: Maunz / Dürig u. a. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 1 Abs. 1 (2009), Rn. 56; Hillgruber, in: Seubold (Hrsg.), Humantechnologie und Menschenbild, S. 87, 103; ders., in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 1 Rn. 17; Haupt / Höfling, Fortschritte in der Neurologie / Psychiatrie 70 (2002), S. 583, 585 ff.; Hoff / in der Schmitten, in: Hoff / in der Schmitten (Hrsg.), Wann ist der Mensch tot?, S. 153, 186; Höfling, in: Sachs / Siekmann (Hrsg.), FS Stern, S. 1403 ff.; Lang, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 2 Rn.  60 f.; Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 2 Rn. 142; Sachs, in: Firnkorn (Hrsg.), Hirntod als Todeskriterium, S. 62, 63; neuerdings auch Jarass, in: Jarass / Pieroth (Hrsg.), Kommentar zum GG, Art. 2 Rn. 81. 198  Hoff / in der Schmitten, in: Hoff / in der Schmitten (Hrsg.), Wann ist der Mensch tot?, S. 153, 215; Schroth, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, Vor §§ 3, 4 Rn. 17; siehe auch die Bezeichnung von Hirntoten als „Lebende Leichname“ bei Kalitzkus, Stellungnahme bei der öffentlichen Anhörung der Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ v. 14.03.2005, S. 3. 199  Oduncu, Hirntod und Organtransplantation, S. 101 f. Eingehend zu den Verunsicherungen, die mit dem Zustand des Hirntoten zusammenhängen Führer / Jox, in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 46, 57.



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mus ist tatsächlich auch nach Eintritt des dissoziierten Hirntodes zu einer gewissen somatischen Integration in der Lage.200 So ist in diesem Zustand vielfach die Homöostase (Erhaltung des Gleichgewichts der physiologischen Körperfunktionen) noch vorhanden. Das betrifft die Funktion von Leber und Nieren, das Herz-Kreislaufsystem, das endokrine System und auch die Sekretion von antidiuretischem Hormon. Hirntote eliminieren Produkte des Stoffwechsels und scheiden aus. Genauso regeln sie ihre Körpertemperatur und ihre Wunden heilen wie bei gesunden Menschen. Sogar Infektionen bekämpft der Körper durch sein Immunsystem. Besondere Aufmerksamkeit erregten die Fälle eines Jungen, der im Stadium des Hirntodes noch Zeichen der Pubertät entwickelte und eines Säuglings, der nach der Schwangerschaftsfortführung bei einer Hirntoten entbunden werden konnte.201 Dass diese Integrationsfunktionen nicht vom Gehirn, sondern vom Rückenmark ausgehen, kann nach Ansicht der Hirntodkritiker keine entscheidende Rolle spielen. Für die Interaktion der noch vorhandenen Teilsysteme bedürfe es keiner zentralen Vermittlungsinstanz „Gehirn“.202 Dieses übe seine Integrationsfunktion dadurch aus, dass es tiefer liegende, autonome und netzartig ineinandergreifende Integrationsfunktionen moduliere, nicht aber ursprünglich hervorbringe.203 Daher wird, auch bei Anerkennung des Todes durch das Ende der funktionellen Ganzheit des Menschen, behauptet, dass die Hirntodkriterien diesen Todesbegriff nicht abbilden würden.204 Daran anknüpfend werfen Kritiker den Vertretern des Hirntodkonzepts eine lebensunwirkliche Mystifizierung des Gehirns vor, durch die ein unreflektierter Dualismus zwischen Gehirn- und Organtod entstehe. Die Gleichsetzung des Todes mit dem Eintritt des Hirntodes widerspräche der Einheitlichkeit von Leib und Seele des Menschen.205 Der Tod trete daher nicht schon mit der Funktionsunfähigkeit eines Organs ein, sondern erst mit dem irreversiblen Ausfall aller Organe, die an der Konstituierung des mensch­ 200  Eingehend dazu Shewmon, in: Neurology 51 (1998), S. 1538 ff.; ders., in: Hirntod und Organentnahme, Forum Bioethik, S. 4 ff.; Truog / Robinson, in: Critical Care Medicine 31 (2003), S. 2391 ff. 201  Sahm, ZME 58 (2012), S. 173, 177. 202  Hoff / in der Schmitten, in: Hoff / in der Schmitten (Hrsg.), Wann ist der Mensch tot?, S. 153, 184 f.; anders aber etwa Angstwurm, in: Oduncu / Schroth / Vossenkuhl (Hrsg.), Transplantation, S. 28, 33; ebenso Lütz, in Firnkorn (Hrsg.), Hirntod als sicheres Todeskriterium, S. 27, 29. 203  Vgl. Roth / Dicke, in: Hoff / in der Schmitten (Hrsg.), Wann ist der Mensch tot?, S.  51 ff.; Schaupp, in: Kröll / Schaupp (Hrsg.), Hirntod und Organtransplantation, S.  97, 103 f. 204  Höfling, ZME 58 (2012), S. 163, 169. 205  Hauser-Schäublin / Kalitzkus / Petersen u. a., Der geteilte Leib, S.  155  ff.; Hoff / in der Schmitten, in: Hoff / in der Schmitten (Hrsg.), Wann ist der Mensch tot?, S.  153, 186 f.; Jasper, DVBl 2013, S. 151, 154.

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lichen Organismus wesentlich beteiligt sind (Herz, Lunge, Gehirn).206 Auch das Gehirn sei eben nur in Verbindung mit der Leistung der anderen Organe zur Aufrechterhaltung des Organismus fähig. Die Unersetzlichkeit der Hirnfunktionen für die lebenserhaltende Integrationsfunktion des Körpers sei mit der Verhinderung des Zusammenbruchs des Organismus durch eine apparative Unterstützung widerlegt.207 Würden die integrativen Leistungen des Hirnstamms für das Leben derart in den Vordergrund gerückt, müsste das Konzept des Gesamthirntodes konsekutiv zu einer Akzeptanz des Teilhirntodes führen.208 Den Verfechtern des Gesamthirntodes wird Scheinheiligkeit vorgeworfen, wenn sie zur „Absicherung“ zusätzlich das Kriterium des Bewusstseinsverlustes durch den Großhirnausfall anführen, um Patienten ohne vegetative Hirnstammfunktionen, aber mit Bewusstseinsleistung (Locked-in-Patienten), nicht für tot erklären zu müssen.209 In gleicher Weise zeige der Vergleich eines Hirntoten mit einem Apalliker die Unzulänglichkeit des Gesamthirntodkonzepts auf. Es sei nicht ersichtlich warum der eine, der sich nur noch durch einige Hirnstammreflexe vom Hirntoten unterscheide, als Lebender und der andere als Toter gelten solle.210 Ähnliches ergebe sich bei einem Vergleich zwischen einem menschlichen Embryo oder Fötus mit einem Hirntoten. Es sei nicht konsistent, erstere, deren Gehirn sich erst entwickeln müsse, Lebendigkeit zuzuschreiben, während man diese dem hirntoten Menschen abspreche.211 In beiden Fällen seien die Prozesse der Selbstorganisation von äußeren Ressourcen abhängig.212 Die aufgrund einer logischen Denknotwendigkeit gebotene Parallelität von Lebensanfang und Lebensende würde durch die Ignoranz dieser Vergleichbarkeit gestört. Das Konzept des Hirntodes führe in letzter Konsequenz zu einer Aushöhlung des Grundsatzes der Un206  Grewel, ZPR 1995, 217 f.; Höfling, JZ 1995, S. 26, 28 ff.; Jörns, in: Hoff / in der Schmitten (Hrsg.), Wann ist der Mensch tot?, S. 350, 362 ff.; Rixen, ZPR 1995, S.  461, 462 ff.; Roth, in: Firnkorn (Hrsg.), Hirntod als Todeskriterium, S. 11, 12. 207  Hoff / in der Schmitten, in: Hoff / in der Schmitten (Hrsg.), Wann ist der Mensch tot?, S. 153, 194; Roth / Dicke, in: Hoff / in der Schmitten (Hrsg.), Wann ist der Mensch tot?, S. 51, 52 ff. 208  Beckmann, ZRP 1996, S. 219, 221; Hoff / in der Schmitten, in: Hoff / in der Schmitten (Hrsg.), Wann ist der Mensch tot?, S. 153, 171, 177; Höver, in: Firnkorn (Hrsg.), Hirntod als Todeskriterium, S. 36, 37; eingehend dazu Kurthen / Linke, in: Hoff / in der Schmitten (Hrsg.), Wann ist der Mensch tot?, S. 82 ff. 209  Hoff / in der Schmitten, in: Hoff / in der Schmitten (Hrsg.), Wann ist der Mensch tot?, S. 153, 177. 210  Ebda., S. 153, 191 f. 211  Birnbacher, in: Esser / Kersting / Schäfer (Hrsg.), Welchen Tod stirbt der Mensch?, S. 19, 28 f.; Höfling, ZME (58) 2012, S. 163, 167; Lang, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 2 Rn. 61; ders., ZfL 2015, S. 2, 8. 212  Birnbacher, DZPhil 60 (2012), S. 422.



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verfügbarkeit der Person und damit zu einer „Liquidierung der Idee der Menschenwürde“.213 cc) Das Hirntodkonzept als sinnvolle Zäsur im Sterbeprozess In Anbetracht der vom President’s Council on Bioethics angenommenen Notwendigkeit einer Begründungsmodifikation des Hirntodkonzepts,214 stellt sich die Frage, ob dieses nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen noch ein einsichtiges Todesverständnis anbietet. Ausgangspunkt der Bewertung muss dabei die Betrachtung des Menschen sein ((1)), dessen Existenzende der Hirntod überzeugend darlegen können muss ((2)). (1) Das Gravitationszentrum der Todesdefinition: das Menschsein Die Frage nach der „richtigen“ Todesdefinition ist eine aporetische. Sie wird genährt von einer solchen Varianz diametraler gesellschaftlicher, anthropologischer und religiöser Grundannahmen, dass ein consensus gentium nicht erreichbar scheint. Trotz hoher transzendenter Beseelung der Thematik muss eine gewisse Entmystifizierung des Todesbegriffs innerhalb der bioethischen Debatte zugunsten einer sachlichen und von biologisch-medizinischen Erkenntnissen dominierten Diskussion in Kauf genommen werden. Die im Menschen tief verwurzelte Furcht, durch eine zu enge Todesdefinition vorzeitig für tot erklärt zu werden, wird jedoch stets über der Debatte schweben. Vor diesem Hintergrund wird zur Wahrung ethisch vertretbarer Konsequenzen teilweise eine „maximale Definition des Todes“ verlangt. Da die exakte Grenze zwischen Leben und Tod weder bekannt noch überhaupt bestimmbar sei, sei nicht ausgeschlossen, dass im Zustand des Hirntodes noch ein „Restzustand von Leben“ bestehe. Diese Zweifel am Tod reichten, um das Hirntodkriterium abzulehnen.215 Diese Forderung verschleiert jedoch, dass die Festsetzung einer Todesdefinition, die den Sterbeprozess zu einem bestimmten Zeitpunkt zwingend für beendet erklären muss, von vornherein auf einer Wertung beruht und nicht rein naturwissenschaftlich bestimmbar ist. Nolens volens sind Wertungsfragen zwingend die Grundlage einer jeden Todesdefinition. Auch die Zäsur der Hirntodgegner ist bei einem außer Acht 213  Hoff / in der Schmitten, in: Hoff / in der Schmitten (Hrsg.), Wann ist der Mensch tot?, S. 153, 207. 214  Zur Stellungnahme des President’s Council on Bioethics siehe S. 215 ff. 215  Eingehend dazu Jonas, Technik, Medizin und Ethik, S. 219 ff., insbes. S. 233 ff.; in diesem Sinne auch Zwierlein, in: Niederschlag / Proft (Hrsg.), Wann ist der Mensch tot?, S. 19, 27.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

lassen des Hirntodkriteriums nicht mehr maximal. Selbst beim Auftreten äußerer sicherer Todeszeichen steckt noch „Leben“ im mensch­lichen Organismus. Bis die letzten Zellen im Körper absterben vergehen mehrere Tage.216 Der Gesamtorganismus „Mensch“ hat jedoch früher aufgehört zu existieren.217 Eine Todesdefinition muss daher nicht maximal, sondern angemessen sein. Das ist sie, wenn die Existenz des Menschen beendet ist. Wann dieser Zustand erreicht wird, ist eine Wertungsfrage, die davon abhängt, welches Menschenbild favorisiert wird. Die Todesbestimmung fußt damit auf einem anthropologischen Konzept, das danach fragt, was der Mensch ist.218 Der Mensch kann primär vom Geist, vom Körper oder in einer Einheitlichkeit von beidem gedacht werden und das in unterschiedlicher Intensität. Als Anzeichen des Todes kommen folglich mehrere Szenarien in Betracht, wie etwa die Beendigung des personalen Lebens oder das Ende der Ganzheitlichkeit des Organismus als auch seiner interaktiven somatischen Funktionen oder sogar das Absterben aller Lebensvorgänge im Körper.219 Unabhängig vom präferierten Leitbild muss der Mensch bei der Bewertung seines Zustands – ob tot oder lebendig – im Vordergrund stehen. Auf die Wahrnehmung anderer kann es nicht ankommen. Dies würde zu einer inakzeptablen individuellen Subjektivierung führen.220 Wird vom Menschen her gedacht, steht ein „Individuum in geistig-leiblicher Einheit“221 im Mittelpunkt, ein mit Geist begab216  Angstwurm / Förderreuther, in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 31, 41; Esser, in: Esser / Kersting / Schäfer (Hrsg.), Welchen Tod stirbt der Mensch?, S.  221 ff.; Schaupp, in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 46, 49; Quednow, in: Niederschlag / Proft (Hrsg.), Wann ist der Mensch tot?, S. 39, 40 f. 217  Für eine eingehende Auseinandersetzung mit der Argumentation von Jonas vgl. Ach / Anderheiden / Quante, Ethik der Organtransplantation, S. 36 ff. 218  Vgl. ebda., S. 38; Schaupp, in: Kröll / Schaupp (Hrsg.), Hirntod und Organtransplantation, S. 97, 98; ders., in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 47, 47; Schmidt, Neue Perspektiven der Transplantationsmedizin im interdisziplinären Dialog, S. 35, 39. 219  Vgl. zu unterschiedlichen Betrachtungsweisen den Deutschen Ethikrat, Hirntod und Entscheidung zur Organspende, S. 51. 220  So auch Birnbacher, in: Esser / Kersting / Schäfer (Hrsg.), Welchen Tod stirbt der Mensch?, S. 19, 25; Schockenhoff, ZME 58 (2012), S. 117, 122; anders aber Hoff / in der Schmitten, in: Hoff / in der Schmitten (Hrsg.), Wann ist der Mensch tot?, S. 153, 215 ff. unter Berufung auf die mangelnde Anschaulichkeit des Todes. 221  Eingehend dazu Angstwurm, in: Oduncu / Schroth / Vossenkuhl (Hrsg.), Transplantation, S. 28, 32 f.; ders. / Förderreuther, in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 31, 38; ebenso Schaupp, in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 46, 64; Wiedemann, in: Umbach / Clemens (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 2 Rn. 297. In diesem Sinne aus theologischer Sicht von „leib-seelischer Einheit“ spricht Schnelzer, in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 83 ff.; ähnlich Rahner, in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 206 ff.



II. Ethische Vorfragen223

ter Organismus. Der Tod muss beide konstitutiven Aspekte des Menschen – Leib und Geist – in den Blick nehmen, um sich nicht als reduktionistisch zu erweisen. Der Tod bedeutet dementsprechend das Ende der leiblich-geistigen Einheit des Menschen.222 Dem Einwand einer scheinbar scheinheiligen „Doppelbegründung“ (Dualismus-Vorwurf) muss begegnet werden.223 Kritische Anmerkungen sehen sich durch die binäre Betrachtung des Menschseins zwei Subjekten des Todes (dem der Person als geistigem Wesen und dem des Organismus als biologischem Substrat) ausgesetzt. Die Kritik, das Hirntodkonzept erkenne die Einheitlichkeit des Menschen nicht an und übersehe seine somatische Verstrickung als biologischer Organismus, erweist sich als unberechtigt. Es ist richtig, dass eine Betrachtung des Menschen ausschließlich von der Warte seiner geistigen Begabung und seinem „Personsein“ auf einem anthropologisch verkürzten Menschenbild beruht. Es ginge an der Wirklichkeit vorbei, die biologischen Wurzeln des Lebewesens „Mensch“ zu leugnen.224 Die überstürzte Kritik übersieht jedoch das spannungsreiche Selbstverhältnis des Individuums zu seinem Leib. Die Wesentlichkeit der körperlichen Dimension ändert nichts daran, dass die personale Identität des Menschen als leiblichgeistiges Wesen nicht mit den physiologischen Prozessen des Organismus identisch ist.225 Die Signifikanz der Verkörperung des Menschen bedeutet eben nicht, dass eine Reduktion auf seine somatischen Vorgänge anthropologisch überzeugend wäre. Der Mensch geht nicht in der Summe „Geist plus Leib“ auf, sondern er verkörpert eine Einheit aus diesen beiden Aspekten und als diese Einheit stirbt er.226 Entgegen kritischer Anmerkungen werden 222  Vgl. Heun, JZ 1996, S. 213, 215, der treffend vom Verlust der Bewusstseinsund Empfindungsfähigkeit und der zentralen Steuerung spricht sowie Kreß, Medizinische Ethik, S. 219; Schockenhoff, ZME 58 (2012), S. 117, 124. 223  In dieser Weise aber Beckmann, ZRP 1996, S. 219, 221; Hoff / in der Schmitten, in: Hoff / in der Schmitten (Hrsg.), Wann ist der Mensch tot?, S. 153, 176 ff.; Kurthen / Linke, in: Hoff / in der Schmitten (Hrsg.), Wann ist der Mensch tot?, S. 82, 86. 224  Vgl. Angstwurm, in: Hoff / in der Schmitten (Hrsg.), Wann ist der Mensch tot?, S. 41, 47; Deutscher Ethikrat, Hirntod und Entscheidung zur Organspende, S. 67; Schaupp, in: Kröll / Schaupp (Hrsg.), Hirntod und Organtransplantation, S. 97, 101; ders., in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 46, 48; Schuhmacher, in: Esser / Kersting / Schäfer (Hrsg.), Welchen Tod stirbt der Mensch?, S. 91, 115; kritisch zur Annahme der Mensch wäre lediglich ein verkörpertes Bewusstseinssubjekt Wittwer, in: Esser / Kersting / Schäfer (Hrsg.), Welchen Tod stirbt der Mensch?, S. 41, 62 f. 225  Zur Entkräftung des Dualismus-Vorwurfs siehe auch Schockenhoff, ZME 58 (2012), S. 117, 123. 226  Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 156; vgl. ebenso Esser, in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 223, 237 sowie dies., Esser / Kersting / Schäfer (Hrsg.), Welchen Tod stirbt der Mensch?, S. 221,

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folglich keine zwei Subjekte des Todes geschaffen, sondern das Sterben des Menschen wird vielmehr umfassend begriffen.227 (2) D  er Hirntod als Ende der menschlichen Existenz in seiner leiblich-geistigen Einheit Nun fragt sich, ob der Hirntod das Ende der leiblich-geistigen Einheit des Menschen ausreichend abbildet. Das ist der Fall, wenn mit dem irreversiblen Hirnfunktionsausfall der unwiederbringliche Verlust der „Geistigkeit“ sowie des somatischen inhärenten Lebensprinzips des Organismus eintritt. „Geistigkeit“ umfasst all dies, was den Menschen qualitativ von anderen Lebewesen unterscheidet, wozu auch die Seele und die Personalität des Menschen zählen.228 Der irreversible Verlust der bewussten Erfahrungsmöglichkeit ist beim Eintritt des Hirntodes nach neurologischem Kenntnisstand nicht zweifelhaft.229 Die an das Gehirn gebundene Bewusstheit und Empfindungsfähigkeit des Menschen ist samt seiner personalen Identität im Zustand der andauernden Bewusstlosigkeit unwiederbringlich erloschen. Sieht man den Menschen nicht als rein geistiges Wesen, muss der körperliche Zusammenbruch des Organismus hinzutreten, um ihn für Tod zu erklären. Die Integrationstheorie betrachtet maßgeblich den Integrationsverlust des Organismus in seiner funktionellen Ganzheit.230 Überspitzt formuliert stellt sie die Frage, wie viel Integration ein Toter noch erbringen darf. Fakt ist, dass die Aufrechterhaltung des Herz-Kreislaufsystems nur noch maschinell erfolgt. Als Tatsache erweist sich aber auch, dass der Körper dadurch noch zu einem gewissen Maß an integrativer Leistung motiviert wird. Ein „Überleben“ des Hirntodes war so zumindest bei einigen Patienten über mehrere Tage, Wochen, Monate und in exzeptionellen Einzelfällen sogar über Jahre möglich.231 Die Beantwortung der Frage, ab welchem Grad der Desorganisation der Organismus nicht mehr als lebend angesehen werden kann, erweist sich vor dem Hintergrund dieses medizinisch komplexen Sachverhalts als 236 ff., die betont, dass Menschen als „Personen“ sterben und sich daher eine ausschließliche Fokussierung auf biologische Prozesse verbiete. 227  Kreß, Medizinische Ethik, S. 223. 228  Angstwurm / Förderreuther, in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 31, 38. 229  Birnbacher, in: Götz / Schwenzer / Seelmann (Hrsg.), FS Brudermüller, S. 19, 26 f.; Wiedemann, in: Umbach / Clemens (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 2 Rn. 297. 230  Zur Integrationstheorie siehe oben S. 214. 231  Esser, in: Esser / Kersting / Schäfer (Hrsg.), Welchen Tod stirbt der Mensch?, S. 221, 227.



II. Ethische Vorfragen225

wertungsoffen.232 Diese Tatsache kann jedoch nicht als Argument gegen das Hirntodkriterium verwendet werden. Der Zerfall des Organismus als ganzheitliche Einheit markiert den entscheidenden Todeszeitpunkt, der auch vom Gros der Hirntodkritiker nicht bestritten wird. Auch sie müssen entscheiden – und damit bewerten – ab wann der Mensch keine Einheit mehr verkörpert.233 Verabschiedet werden sollte sich bei der Annahme eines „binären Menschenbildes“ von der Vorstellung, die somatischen Funktionen des Körpers isoliert von der leiblich-geistigen Einheit Menschsein betrachten zu können. Die Evaluation des Hirntodkonzepts als angemessenes Todeskriterium hängt davon ab, ob die apparativ aufrechterhaltenen Restfunktionen des Körpers als lebensentscheidend bewertet oder lediglich als fortexistierende Subsysteme angesehen werden, die den Menschen nicht mehr repräsentieren. Solange der menschliche Organismus an die notwendigen apparativen Hilfsmechanismen angeschlossen ist, sind seine „Restsysteme“ in der Lage, sich zumindest so zu organisieren, dass typisch biologische Lebenserscheinungen wie Schwitzen oder Wundheilung zu Tage treten können. Vor diesem Hintergrund könnte es tatsächlich als willkürlich erscheinen, allein dem Hirnstamm die Qualität zuzusprechen, die Mehrheit der relevanten integrativen Leistungen zu erbringen; schließlich wirkt das Gehirn auch nur im Verbund mit den anderen Organen an der Aufrechterhaltung des Lebens mit.234 Möglicherweise muss ein System solange als lebendig gelten, wie es noch einen letzten Rest partieller Integrationsfähigkeit besitzt, auch wenn deren Motivation von außen her gesteuert wird.235 Eine Einheitlichkeit des Organismus könnte über eine Interaktion der Teilsysteme durch den Blutkreislauf konstruiert werden.236 Dieser Ansatz wird dem Menschsein in leiblich-geistiger Einheit jedoch nicht gerecht, indem ausschließlich auf die extern substituierten rudimentären Leistungen somatischer Subsysteme abgestellt und die Betrachtung so auf eine sogar rein biologisch betrachtet noch verkürzte Ebene verschoben wird. Der Mensch erschöpft sich nicht in der Summe seiner Zellen.237 Ein 232  Schneider,

in: Joecks (Hrsg.) MüKo StGB, Vor §§ 211 Rn. 24. in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 31, 38; Schneider, in: Joecks (Hrsg.) MüKo StGB, Vor §§ 211 Rn. 24; SternbergLieben, JA 1997, S. 80, 87 f. 234  So Hoff / in der Schmitten, in: Hoff / in der Schmitten (Hrsg.), Wann ist der Mensch tot?, S. 153, 183 f., 186; für die Ersetzbarkeit der Steuerungsfunktionen des Hirnstamms auch Roth / Dicke, in: Hoff / in der Schmitten (Hrsg.), Wann ist der Mensch tot?, S. 51, 52 f. 235  Darauf abstellend Hoff / in der Schmitten, in: Hoff / in der Schmitten (Hrsg.), Wann ist der Mensch tot?, S. 153, 184. 236  So die Konstruktion von ebda., S. 185. 237  Angstwurm, in: Hoff / in der Schmitten (Hrsg.), Wann ist der Mensch tot?, S. 41, 43; ders., Firnkorn (Hrsg.), Hirntod als Todeskriterium, S. 7; Oduncu, in: 233  Angstwurm / Förderreuther,

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bloßes „Organlager“ erfüllt die Zeichen der Lebendigkeit ebenso wenig wie das Überdauern mancher Zellarten noch über den Beerdigungszeitpunkt hi­ naus. Zwischen dem Tod als Zusammenbruch der Ganzheitlichkeit des Organismus auf der einen Seite und dem Erlöschen sämtlicher Vitalleitungen auf der anderen wird – auch von den Hirntodkritikern – aus anthropologischen Gründen differenziert.238 Entscheidend ist nicht allein die Quantität der somatischen Vorgänge, sondern ein inhärentes Lebensprinzip. Einzelne Körperfunktionen repräsentieren den Menschen nicht. Für die Identifikation von Leben sind nicht bloße somatische Restintegrationsfunktionen entscheidend, sondern eine qualifizierte organismische Ganzheit.239 Es kommt maßgeblich darauf an, in welchen integrierten Konstellationen biologischer Elemente und Prozesse das menschliche Individuum fortlebt.240 Anders gewendet fragt sich, welche Integration auf biologischer Ebene Grundlage für die leiblichgeistige Existenz des Individuums ist. Dabei kommt dem Gehirn eine herausragende Stellung zu, in dessen Abhängigkeit die Leistungen der übrigen Organe stehen. Es ist das zentrale Integrations-, Regulations- und Koordina­ tionsorgan.241 Der hirntote Körper ist nicht mehr dazu in der Lage, die Identität mit dem vorherigen Gesamtorganismus aufrechtzuerhalten; eine selbstgesteuerte Wechselwirkung der einzelnen Organe findet nicht mehr statt.242 Auch ein biologisch-systemischer Lebensbegriff betrachtet das Lebendigsein eines Lebewesens von seiner Fähigkeit zur Autopoiesis, also von seiner selbstverwirklichten Systemeinheit her.243 Von einem selbstzentrierten Organismus ist ein Hirntoter jedoch weit entfernt. Um auf die Signifikanz der verbleibenden Integrationskraft hinzuweisen, ist daher der Vergleich einer intensivmedizinischen Betreuung eines dissoziiert Hirntoten mit anderer künstlicher Unterstützung biologischer Prozesse, wie durch einen Herzschrittmacher, müßig. Der biotechnologische Fortschritt Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, Einl. Rn. 107; Schaupp, in: Kröll / Schaupp (Hrsg.), Hirntod und Organtransplantation, S. 97, 102; Schockenhoff, ZME 58 (2012), S. 117, 125; Schreiber, in: Beckmann / Kirste / Schreiber (Hrsg.), Organtransplantation, S. 64, 70. 238  Vgl. Schockenhoff, ZME 58 (2012), S. 117, 125. 239  Vgl. Angstwurm / Förderreuther, in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 31, 38; Schaupp, in: Kröll / Schaupp (Hrsg.), Hirntod und Organtransplantation, S. 97, 109. 240  Vgl. Schaupp, in: Kröll / Schaupp (Hrsg.), Hirntod und Organtransplantation, S. 97, 110. 241  Näher zu den einzelnen Funktionen des Gehirns vgl. Deutscher Ethikrat, Hirntod und Entscheidung zur Organspende, S. 73. 242  Schockenhoff, ZME 58 (2012), S. 117, 125. 243  Ebda., S. 128; zu den fehlenden Attributen des Lebens bei einem Hirntoten vgl. ebenso Angstwurm / Förderreuther, in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 31, 39.



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führt zu einer immer intensiveren Verschmelzung vom Menschen mit technischen Hilfsmitteln, wie leistungsfähigen Prothesen, die mittlerweile zum Teil sogar über Gehirnimpulse gesteuert werden können.244 Diese Verbindung führt zu der Abgrenzungsschwierigkeit, ab wann die Grenze zwischen Mensch und Maschine erreicht ist. Die Signifikanz des Gehirns zur Beantwortung dieser Frage ist offensichtlich. Es ist der aktive Ort, von dem her somatische Veränderungen in der Peripherie zu einem „Selbst“ zusammengefasst werden.245 Die bestrittene Unersetzlichkeit des Organs zeigt sich daran, dass die technischen Hilfsmittel zur Integration des leiblich-geistigen Individuums führen und nicht bloß die Aufrechterhaltung von rudimentären Teilsystemen eines Organismus bedingen, der sich nicht mehr zu einer übergeordneten Einheit integriert.246 Werden bloße Teilfunktionen des somatischen Systems ersetzt, ist es der Organismus selbst, der sich zur Aufrechterhaltung seiner Einheit dieser Unterstützung von außen bedient. Einzelfunktionen sowie Wechselwirkungen der Organe werden im Stadium des dissoziierten Hirntodes im Gegensatz dazu unwiderruflich nicht mehr zu einer übergeordneten Gesamtheit des Lebewesens „Mensch“ als leiblich-geistiger Einheit zusammengefasst. Der Hirntod bedeutet den Verlust des organischen Korrelats der ganzheitlichen Struktur des Menschen. Durch den Verlust der genuinen Quelle der Selbstinitiierung der gesamtorganismischen Funktionen besteht noch vegetatives Leben, aber das menschliche Lebewesen ist tot.247 Angenommen, ein menschlicher Organismus wäre völlig funktionslos, nur die Leistung eines einzigen Organs, etwa der Leber, würde künstlich aufrechterhalten. Auch Hirntodkritiker könnten hier nicht mehr ernsthaft von einer Einheit „Mensch“ sprechen, obwohl die Integration eines Organs noch vorhanden ist.248 Denkbar scheint es in Zukunft ebenfalls, verschiedene Organe künstlich zu einem geschlossenen System zu verbinden und extern zu steuern, ohne dass dieser Verbund als lebender Mensch angesehen werden 244  Vgl. Schaupp, in: Kröll / Schaupp (Hrsg.), Hirntod und Organtransplantation, S. 97, 111. 245  Ebda., S. 97, 111. 246  Vgl. Kreß, Medizinische Ethik, S. 223; Schaupp, in: Kröll / Schaupp (Hrsg.), Hirntod und Organtransplantation, S. 97, 111, 112; vgl. auch Schuhmacher, in: Esser / Kersting / Schäfer (Hrsg.), Welchen Tod stirbt der Mensch?, S. 91, 117, der davon spricht, dass der Tod dem Organismus die Fähigkeit nimmt seine Einheit zu bewahren und seine konstitutiven Bestandteile zusammenzuhalten, die ihn zu einem personalen Organismus machen. 247  Vgl. Bonelli, Imago Hominis 20 (2013), S. 79, 87, der zwischen „vegetativen Leben“ und „Lebewesen“ unterscheidet sowie Schreiber, in: Firnkorn (Hrsg.), Hirntod als Todeskriterium, S. 44, 47. 248  Dies auch einräumend Hoff / in der Schmitten, in: Hoff / in der Schmitten (Hrsg.), Wann ist der Mensch tot?, S. 153, 221.

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könnte.249 Genauso ist es fernab der Realität, von einem lebenden Organismus zu sprechen, wenn dieser schon die – unumstrittenen – sicheren äußeren Todeszeichen, aber noch Organ- bzw. Zellrestfunktionen aufweist. Schon immer, und damit bereits bei Anwendung des „Herztodkonzepts“, wurde ein Zeitraum anerkannt, der trotz vorhandener Lebensvorgänge im Körper dem Lebensschutz des Menschen im Ganzen entzogen war, was nie als problematisch galt. Es wurde darauf abgestellt, dass der Kreislauf- und Atmenstillstand binnen kurzer Zeit das Absterben der wesentlichen Organe zur Folge hat.250 Der Ausfall von Herzschlag und Atmung ist jedoch noch kein sicheres Todeszeichen, wie die Fälle erfolgreicher Reanimation beweisen. Die Irrever­ sibilität des Zustands ergibt sich erst aus der Zerstörung des Gehirns, das durch das Kreislaufsystem nicht mehr durchblutet wird.251 Nun könnte man einwenden, dass sich die in Rede stehende Todesdefinition dennoch in Widersprüche verstrickt, wenn sie die leiblich-geistige Einheit des Menschen propagiert und, trotz fehlender unabhängiger Integrationskraft und nicht ausgebildetem Bewusstsein, den Embryo als lebendes Wesen anerkennt.252 Eine konsistente Todesdefinition könnte einer symmetrischen Bestimmung von Lebensanfang und -ende bedürfen.253 Jedoch präjudiziert die Bestimmung des Lebensendes nicht die Frage nach seinem Beginn.254 Der Embryo ist noch nicht Träger der Fähigkeiten, die eigenständiges menschliches Leben voraussetzen, sondern befindet sich (zumindest poten­ tiell) in einem kontinuierlichen Fortbildungsprozess auf dem Weg dorthin. Es entspricht seiner Entwicklungsstufe, dass er sich ohne ausgebildete Gehirnanlage im Mutterleib zu einer entwicklungsfähigen Ganzheit integrieren kann. Im Übrigen ist der Embryo auch kein Organismus mit differenziert ausgebildeten Organen und benötigt noch kein eigenes Herz-Kreislaufsystem.255 Dagegen hat der Hirntote die Möglichkeit der selbstzentrierten Ganzheitsbildung für immer verloren.256 Damit differenziert insbesondere die 249  Merkel,

Jura 1999, S. 113, 116 f. Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 145. 251  Siehe dazu Bonelli, Imago Hominis 5 (1998), S. 37 ff. 252  Vgl. Birnbacher, Herz 39 (2014), 576, 577 f.; Meran / Poliwoda, in: Hoff / in der Schmitten (Hrsg.), Wann ist der Mensch tot? S. 68, 71. 253  So Birnbacher, in: Esser / Kersting / Schäfer (Hrsg.), Welchen Tod stirbt der Mensch?, S. 19, 28 f.; Höfling, ZME (58) 2012, S. 163, 167; ders., in: Sachs / Siekmann (Hrsg.), FS Stern, S. 1413; Lang, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 2 Rn. 61. 254  Angstwurm, in: Hoff / in der Schmitten (Hrsg.), Wann ist der Mensch tot?, S. 41, 48; Birnbacher, in: Hoff / in der Schmitten (Hrsg.), Wann ist der Mensch tot? S. 28, 38; ders. anders aber später in: Esser / Kersting / Schäfer (Hrsg.), Welchen Tod stirbt der Mensch?, S. 19, 28. 255  Bonelli, Imago Hominis 20 (2013), S. 79, 85. 250  Ingelfinger,



II. Ethische Vorfragen229

Endgültigkeit des Zustands die beiden Phänomene voneinander.257 Ihre Disparität veranschaulicht die praktische Handhabung in den Kliniken. Dem ungeborenen Fötus wird im Falle vorgeburtlicher Komplikationen jede Hilfe zuteil, die geeignet ist, ihn zu einem lebenden Säugling heranreifen zu lassen. Bei der Diagnose des Hirntodes besteht ein solches sinnvolles Therapieziel nicht mehr. Auch nach Meinung der Hirntodkritiker darf und muss die Behandlung abgebrochen werden.258 Schon daran zeigt sich, dass der Mensch als leiblich-geistige Einheit mehr ist als das Funktionieren einiger Subsysteme. Mit dem irreversiblen Gehirnausfall als zentraler Zäsur im Sterbeprozess ist einerseits die Quelle des subjektiven Erlebens und mentaler Vorgänge erloschen und andererseits die zentrale somatische Integrationsleistung des Organismus weggebrochen. Wollen Hirntodkritiker diese Zäsur nicht anerkennen, sprechen sie dem Hirntoten das Lebensrecht zu. Dann müsste er konsequent wie ein Lebender behandelt werden.259 Um der Organtransplantation keinen Riegel vorzuschieben, verlegt ein Großteil der Autoren den Hirntoten jedoch in eine Zwischenphase. Er soll ein nun irreversibel Sterbender sein, der trotz seiner Lebendigkeit, als Organreservoir dienen kann.260 Damit konstruieren sie ein Leben geringerer Qualität, das zur Tötung zugunsten Dritter freigegeben wird.261 Mit diesem Schritt werden basale Grenzen durchbrochen, die nicht nur in unserer moralischen Intuition, sondern zudem in unserem Rechtssystem tief 256  Vgl. Angstwurm / Förderreuther, in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 31, 41; Schockenhoff, ZME 58 (2012), S. 117, 130. 257  Angstwurm, in: Hoff / in der Schmitten (Hrsg.), Wann ist der Mensch tot?, S. 41, 48; vgl. auch Lee / Grisz, in: Bioethics 26 (2012), S. 275, 278, die von der Fähigkeit erster Ordnung (Bewusstsein) und zweiter Ordnung (Disposition zur Ausbildung der Fähigkeit erster Ordnung) sprechen. Eine entwicklungsbedinge Asymmetrie von Lebens- und Todesbegriff bejaht auch Bormann, in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 267, 279. 258  So bereits Rixen, ZRP 1995, S. 461, 464. 259  So auch die Mehrheitsmeinung im Deutschen Ethikrat, Hirntod und Entscheidung zur Organspende, S. 104 ff.; Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 160; für eine offene Diskussion über die Aufgabe der Dead-Donor-Rule hingegen Höfling, MedR 2013, S. 407, 411 f. 260  Birnbacher, in: Esser / Kersting / Schäfer (Hrsg.), Welchen Tod stirbt der Mensch?, S. 19, 36 ff.; Denkhaus / Dabrock, ZME 58 (2012), S. 135, 142 ff.; Hoff / in der Schmitten, in: Hoff / in der Schmitten (Hrsg.), Wann ist der Mensch tot?, S. 153, 227 ff.; Jasper, DVBl 2013, S. 151, 155; Lütz, in: Firnkorn (Hrsg.), Hirntod als Todeskriterium, S. 27, 29; Stoecker, in: Hirntod und Organentnahme, Forum Bioethik, S. 17, 21. 261  Schreiber, in: Firnkorn (Hrsg.), Hirntod als Todeskriterium, S. 44, 50; Sternberg-Lieben, JA 1997, S. 80, 86; Wagner / Brocker, ZRP 1996, S. 226, 229; zur Diskussion über die Aufgabe der Dead-Donor-Rule siehe Deutscher Ethikrat, Hirntod und Entscheidung zur Organspende, S. 97 ff.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

verwurzelt sind.262 Diese Differenzierung zwischen lebenswertem- und unwertem Leben ist nicht nur moralisch fragwürdig, sondern wird einer verfassungsrechtlichen Prüfung kaum standhalten.263 (3) D  as alternative Begründungskonzept des President’s Council on Bioethics als Beleg der Ungültigkeit des Hirntodkonzepts? Einige Autoren sehen die neueste Stellungnahme des President’s Council on Bioethics als Beleg dafür an, dass das Hirntodkonzept wissenschaftlich widerlegt sei. Sie betrachten sein White Paper als Eingeständnis der Brüchigkeit des Integrationsarguments, ohne dass sich die Hirntodkonzeption als obsolet erweise.264 Eine Abkehr vom Hirntodkriterium wollte das Gremium jedoch keinesfalls dokumentieren.265 Geändert hat sich allerdings der Rechtfertigungsansatz für seine Gültigkeit. Vor dem Hintergrund vorangeschrittener praktischer Erfahrungen und den mit diesen vermehrt aufkommenden Einwänden in Bezug auf die noch vorhandene partielle Integrationskraft des Organismus hat sich der President’s Council zu einer Modifikation der bisherigen Argumentationslinie berufen gefühlt. Die Kommission bezieht nun die noch vorhandene Restintegrationskraft ausdrücklich in ihr Urteil mit ein. In der Konsequenz stellt sie nicht länger auf den Verlust der organismischen Integration ab, sondern rückt die spezifische Eigentätigkeit (fundamental work) des Organismus in den Vordergrund, die in der Selbsterhaltung durch den Austausch (commerce) mit der Umwelt bestehe.266 Ob die neuen neurologischen Erkenntnisse eine solche Änderung des Begründungsansatzes erforderten, darf bezweifelt werden.267 Die verbleibenden Körperfunktionen, wie die Neubildung von Zellen und Geweben, Sekretion, Immunreaktion oder Wärmekonstanz wurden seit ihrem Bekanntwerden ausgiebig diskutiert.268 Für besondere Brisanz sorgten die bereits angesproche262  Bormann,

in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 267, 278. in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 2 Rn. 64. Näher zur verfassungsrechtlichen Bewertung des Hirntodkonzepts siehe S. 271 ff. 264  Vgl. Jox, in: Kröll / Schaupp (Hrsg.), Hirntod und Organtransplantation, S. 79, 84; Schaupp, in: Kröll / Schaupp (Hrsg.), Hirntod und Organtransplantation, S. 97, 103. 265  Schockenhoff, ZME 58 (2012), S. 117, 118. 266  Zum neuen Begründungsansatz vgl. schon S. 215 ff. 267  Zur kritischen Diskussion des White Paper vgl. Lizza, in: Kennedy Institute of Ethics Journal 19 (2010), S. 393 ff. 268  Erwähnt schon bei Jonas, in: Hoff / in der Schmitten (Hrsg.), Wann ist der Mensch tot?, S. 21, 22 f. 263  Lang,



II. Ethische Vorfragen231

nen Fälle von Schwangerschaften, die nach dem Eintritt des Hirntodes der Mutter künstlich aufrecht erhalten wurden oder Einzelschicksale von Patienten, deren Körperfunktionen nach dem Erleiden des Hirntodes über Jahre aufrechterhalten werden konnten.269 Zunehmende Verunsicherung kam überdies mit der Erkenntnis auf, dass das Gehirn entgegen dem Eindruck der geläufigen Formulierung „Gesamthirntod“ nicht in allerletzter Vollkommenheit funktionslos geworden sein muss, um den irreversiblen Hirnfunktionsausfall bejahen zu können.270 Obgleich diese Phänomene in eine anthropologisch schlüssige Bewertung des Hirntodkonzepts einfließen müssen, wurde bereits dargestellt, dass sie die Gültigkeit des Kriteriums nicht widerlegen. Dabei erweist es sich nicht als schlüssiger, anstelle der somatischen Desintegration, die spezifische Eigentätigkeit des Organismus nach außen in den Vordergrund zu stellen.271 Ohnehin hat die Bundesärztekammer für den deutschen Raum den Verlust der Wechselbeziehung zwischen „dem Ganzen als Funktionseinheit und seiner Umwelt“ sowie die „Selbst-Ständigkeit als Funktionseinheit“ und „Selbst-Tätigkeit“ bereits in ihr Urteil mit einbezogen.272 Das Kriterium der Fähigkeit zum Austausch mit der Umwelt vermag sich den kritischen Einwänden der Hirntodgegner nicht besser zu entziehen als der Fokus auf die Integration zu einem ganzheitlichen Organismus. Sieht man die somatischen Restfunktionen des beatmeten Körpers als ausreichend an, ihn als integriertes Lebewesen zu bewerten, ist nicht ersichtlich, wie sich dieses Urteil damit verändern soll, dass auf eine Wechselwirkung des Organismus mit der Umwelt abgestellt wird. Durch Körperfunktionen wie der Wärmeabgabe oder dem Schwitzen gibt der Hirntote vielfältige Signale an die Umgebung ab. Der entscheidende Punkt ist dabei nicht, entweder die intrinsische Integra­ tionsleistung oder alternativ die Wechselwirkung des Organismus mit der Umwelt zur Abgrenzung zwischen Leben und Tod heranzuziehen, sondern die Frage, ob den Restfunktionen des Körpers ein inhärentes Lebensprinzip innewohnt oder diese nur durch externe Substitution induziert werden. Da 269  Siehe

dazu ebda., S. 21, 22 ff. neue empirische Erkenntnis wird aufgegriffen bei Jox, in: Kröll / Schaupp (Hrsg.), Hirntod und Organtransplantation, S. 79, 85; sehr kritisch dazu in Bezug auf das Feststellungverfahren des Hirntodes Klein, „Auch die Toten sind nicht mehr sterbenskrank“, S.  7 ff.; ders., Ethik Med 7 (1995), S. 219 f. und ders., Ethik Med 7 (1995), S. 6 ff. sowie S. Müller, Ethik Med 22 (2010), S. 5 ff. 271  Dazu Bonelli, Imago Hominis 20 (2013), S. 79, 88 sowie S. Müller, Ethik Med 22 (2010), S. 5, 10 f.; kritisiert wird vor allem, dass die Begründung des President’s Council insofern zu eng sei, als dass sie Embryonen nicht erfasse, sich auf der anderen Seite aber doch als zu weitgehend erweise, da allein die Verdauung das Kriterium von Leben erfülle. 272  Vgl. die Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer, DÄBl 90 (1993), A-2933. 270  Diese

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

die Fähigkeiten des Hirntoten nicht mehr auf einer selbstgesteuerten Eigenleistung beruhen, erbringt er weder die Vorgänge intrinsischer Integration, noch die Wechselwirkungen nach außen in aktiver Eigenaktivität. Vielmehr werden die Prozesse nur noch in ihm bewirkt, sodass es ihm an einem inhärenten Lebensprinzip mangelt.273 b) Bedenken gegen das Feststellungsverfahren Bildet der Hirntod den Tod des Menschen sicher ab, muss er durch die Hirntoddiagnostik zuverlässig festgestellt werden können, um seine Anwendung in der Transplantationsmedizin ethisch vertretbar erscheinen zu lassen (dritte Ebene der analytischen Kategorisierung). Von Seiten der medizinischen Wissenschaft wird der Nachweis des Hirntodes als eine der sichersten Diagnosen überhaupt beschrieben.274 Zweifel an ihrer Zuverlässigkeit werden oftmals in nur wenigen Zeilen verworfen.275 Das Vorliegen eines irreversiblen Funktionsausfalls des Gehirns ist der empirisch feststellbare Beweis für das Vorliegen des Definitionsmerkmals „Tod“. Anleitungen in Bezug auf ein adäquates Diagnoseverfahren können ausschließlich von der medizinischen Wissenschaft vorgegeben werden, die in diesem Bereich die Monopolkompetenz besitzt.276 Einschlägige Regelungen müssen jedoch einer Plausibilitätskontrolle unterzogen werden. Gegen die Validität, Reliabilität und Objektivität des Nachweisverfahrens dürfen 273  Vgl. zur selbstgesteuerten Eigenleistung des Organismus als entscheidender Frage unabhängig der Fokussierung einer intrinsischen Integration oder Wechselwirkung nach außen Schockenhoff, ZME 58 (2012), S. 117, 127; kritisch zur Begründung des President’s Council on Bioethics auch Bormann, in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 267, 272 ff.; vgl. auch Birnbacher, in: Götz / Schwenzer /  Seelmann (Hrsg.), FS Brudermüller, S. 19, 22, der dem President’s Council vorwirft diese eigentliche Aussage an der Sache vorbei formuliert zu haben. Jüngst stellte auch der Deutsche Ethikrat darauf ab, dass der hirntote Organismus weder dazu in der Lage sei eine interne Wechselwirkung zu erbringen noch eine selbstständige Ausei­ nandersetzung mit der Umwelt zu konstituieren, Deutscher Ethikrat, Hirntod und Entscheidung zur Organspende, S. 69 ff. 274  Terborg, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.) Förderung der Organspende, S. 69, 73. 275  So etwa Birnbacher, in: Götz / Schwenzer / Seelmann (Hrsg.), FS Brudermüller, S. 19, 27; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 141; Rosenberg, Die postmortale Organtransplantation, S. 39; Schreiber, in: Firnkorn (Hrsg.) Hirntod als Todeskriterium, S. 44, 47; Schockenhoff, ZME 58 (2012), S. 117, 120 spricht sogar davon, dass Hirntodskeptiker die Kritik am Feststellungsverfahren lediglich populärwissenschaftlich nutzen würden, um das Hirntodkriterium zu diskreditieren. 276  So auch Höfling, MedR 2013, S. 407, 408.



II. Ethische Vorfragen233

keine vernünftigen Zweifel bestehen. Die Methoden der Diagnose müssen daher nicht nur grundsätzlich geeignet sein, den irreversiblen Hirnfunktionsausfall festzustellen (aa)), sondern zudem den aktuellen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft genügen (bb)). Dies gebietet sowohl das ärzt­ liche Ethos mit seinem Prinzip des Nichtschadens als auch die das Leben des Patienten betreffende Grundrechtsrelevanz der aus der Hirntoddiagnose gezogenen Konsequenzen. aa) Grundsätzliche Eignung des deutschen Feststellungsverfahrens zur Hirntoddiagnose Seitdem die Organtransplantation mit ihren Skandalen um die Organallokation verstärkt in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt ist, haben auch die Stimmen der Hirntodkritiker an Bedeutung gewonnen. Mittlerweile sind Skandalberichte über mangelhafte Feststellungsverfahren zu einem regelmäßig wiederkehrenden Bestandteil der Medienberichterstattung geworden.277 Unsicherheiten, ob eine Diagnose des Gesamthirntodes überhaupt und im speziellen nach den deutschen Standards möglich ist, bedürfen einer umfassenden Klärung, die in einer juristischen Arbeit natürlich nur in nuce erfolgen.278 Die Regeln der medizinischen Wissenschaft für die Feststellung des (Gesamthirn-)Todes wurden gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG in einer Richt­ linie der Bundesärztekammer zur Feststellung des Hirntodes bestimmt. Hierzulande wird die klinische Methodik zur Diagnostik angewandt und vornehmlich auf apparative Untersuchungen verzichtet. Vorgeschrieben sind diese lediglich bei Kindern bis zum vollendeten zweiten Lebensjahr sowie bei infratentoriellen Hirnschädigungen. Die Verifizierung der Irreversibilität des Hirntodes erfolgt aufgrund von Wiederholungen der einschlägigen Testverfahren.279 Hirntodkritiker kritisieren, dass durch die klinische Methodik, trotz der Zielsetzung den Gesamthirntod zu diagnostizieren, lediglich Teilbereiche des Gehirns untersucht würden. Tatsächlich betreffen die vorgeschrie277  Im Januar 2015 erregte die mediale Aufarbeitung einer fehlerhaften Hirntoddiagnostik im Klinikum Bremerhaven bundesweite Aufmerksamkeit. Dort wurde eine bereits im Laufen befindliche Organexplantation abgebrochen, weil ein Teil der Diagnostik nicht gemäß der Richtlinie der BÄK erfolgt war, vgl. die Berichterstattung des Deutschen Ärzteblatts, http: /  / www.aerzteblatt.de / nachrichten / 61426 / Diskussionum-falsche-Diagnostik-Ueberwachungskommission-bestaetigt-Hirntod (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 278  Eine ausführlichere Auseinandersetzung mit den Bedenken gegen das Feststellungsverfahren findet sich bei Angstwurm / Förderreuther, in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 31, 34 ff. 279  Zum Ablauf des Feststellungsverfahrens siehe S. 77.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

benen Reflextests ausschließlich den Hirnstamm, während der Kortex sowie das Klein- und Mittelhirn nicht erfasst werden.280 Mangels verpflichtenden Einsatzes technischer Mittel, wie einer EEG Untersuchung, wären beispielsweise sichere Aussagen über Großhirnaktivitäten nicht möglich.281 Abgrenzungen zu anderen pathologischen Zuständen könnten so erschwert oder gar unmöglich werden. Unabhängig von den Gegebenheiten der deutschen Diagnosepraxis wird die Validität jeglicher Feststellungsverfahren von mancher Seite negiert, da nach dem heutigen Stand der Medizin und Technik der Ausfall sämtlicher Hirnfunktionen überhaupt nicht nachgewiesen werden könne.282 Sogar unter Verwendung eines EEGs könne der vollständige Ausfall des Gehirns nicht bewiesen werden, da das Verfahren lediglich oberflächliche, aber keine tieferliegenden Aktivitäten nachweise. Genauso würden andere technische Hilfsmittel bei der Feststellung des Gesamthirntodes ihre Grenzen finden.283 Die Kritik unterstellt in ihrer Konsequenz die billigende Inkaufnahme einer Tötung lebender Organspender auf dem Operationstisch. Sie würde in der Tat zutreffen, wenn die sichere Feststellung des Hirntodes den Nachweis der Einstellung jeglicher Zellaktivitäten im Gehirn voraussetzen würde. Es übersteigt die heutigen medizinisch-technischen Möglichkeiten, den Tod jeder einzelnen Hirnzelle nachzuweisen. Wen diese Erkenntnis erschüttert, muss sich den Sinn und Zweck der Diagnose vor Augen führen. Im Fokus der Hirntodfeststellung steht die Feststellung des Funktionsausfalls des Gesamthirns, nicht der Nachweis der Zerstörung jeder einzelnen Zelle.284 Auch beim Ausfall des Herz-Kreislaufsystems wird schließlich nicht auf das Überleben einzelner Zellstrukturen im Herzmuskel rekurriert, wenn dieses seine 280  Kritisch dazu schon S. Müller, APuZ 20–21 (2011), S. 3, 5; ausführlich zum Diagnoseverfahren auch dies., Ethik Med 22 (2010), S. 5, 11 ff., die Problematik in einer kleinen Anfrage aufwerfend Die Linke, BT-Drs. 17 / 14434. 281  Klein, „Auch die Toten sind nicht mehr sterbenskrank“, S. 7; Probleme bei der EEG Untersuchung sieht auch Schaupp, in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 46, 57, kommt jedoch zu dem Ergebnis, dass die Schwierigkeiten der Hirntoddiagnose insgesamt überwindbar seien. 282  Siehe zur Kritik am Diagnoseverfahren Klein, „Auch die Toten sind nicht mehr sterbenskrank“, S. 7 ff.; weiterführend dazu ders., Ethik Med 7 (1995), S. 219 f. und ders., Ethik Med 7 (1995), S. 6 ff.; S. Müller, Ethik Med 22 (2010), S. 5 ff.; für eine Auseinandersetzung mit der Kritik siehe beispielsweise Link, A.-Drs. 588 / 13, S. 7 ff., Deutscher Bundestag, Ausschuss für Gesundheit. 283  Klein, „Auch die Toten sind nicht mehr sterbenskrank“, S. 8. 284  Bonelli, Imago Hominis 20 (2013), S. 79, 83; das Schweizer Transplantationsgesetz stellt bei seiner Todesdefinition sogar ausdrücklich auf den Funktionsausfall des Gehirns ab (Art. 9 S. 1 des Bundesgesetzes über die Transplantation von Organen, Geweben und Zellen statuiert: „Der Mensch ist tot, wenn die Funktionen seines Hirns einschließlich des Hirnstamms irreversibel ausgefallen sind.“).



II. Ethische Vorfragen235

Funktion, nämlich seine Pumptätigkeit, eingestellt hat.285 Der Funktionsausfall des Gehirns ist bereits belegt, wenn es seine, der Ebene der einzelnen Zelle übergeordnete, Leistung als funktionierendes Ganzes nicht mehr erbringen kann; es hat seine Steuerungsfunktion für den Gesamtorganismus verloren.286 Im Fokus der Bewertung muss folglich das Erlöschen seiner integrativen Gesamtfunktion, nicht die funktionslose Restdurchblutung einiger Zellinseln stehen.287 Nicht das „ganze Gehirn“, sondern das „Gehirn im Ganzen“ muss ausgefallen sein. Dieses Ergebnis korreliert mit der Einsicht, dass sich der Mensch nicht in der Summe seiner Teile erschöpft, sondern ein einheitliches Ganzes darstellt. Wesentlich ist, dass sich der Organismus durch den Gehirnausfall unwiderruflich nicht mehr in aktiver Eigenleistung zu einer übergeordneten Gesamtheit des Lebewesens „Mensch“ als leiblich-geistiger Einheit integrieren kann. Zur Klarstellung spricht die vierte Fortschreibung der Richtlinie nicht mehr pauschal vom Hirntod, sondern verwendet den medizinisch präzisen Begriff des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls. Der Ausfall der Funktionsunfähigkeit des Gehirns in seiner Ganzheit muss in Bezug auf diese Leistungen jedoch zweifelsfrei festgestellt werden können. Diesbezüglich steht noch immer der Vorwurf der Kritiker im Raum, dass durch die klinische Untersuchungsmethode ausschließlich Hirnstammfunktionen überprüft würden, ohne andere Areale zu berücksichtigen. Jedoch geben auch die Hirntodgegner zu, dass bei einer Schädigung der retikulären Formation des Mittelhirns, folglich eines Teils des Hirnstamms, keine Bewusstseinsleistung durch das Großhirn mehr möglich ist.288 Die Leistungen des Großhirns, und damit vor allem das Bewusstsein, sind an die Intaktheit der Hirnrinde und tiefer gelegener Hirnareale wie subkortikaler Kerngebiete und der Formatio reticularis des Hirnstamms gekoppelt.289 Der Hirnstamm wird bei dem nach den Richtlinien vorgeschriebenen Verfahren durch die Tests auf Areflexie und Apnoe untersucht. Der Desintegrationsverlauf des Gehirns bei mangelnder Sauerstoffversorgung erfasst überdies zunächst die Großhirnrinde und bedingt damit einen Ausfall aller bewussten Prozesse. Erst danach sind die Zentren des Hirnstamms betroffen.290 Sind jene in ihrer Leistungsfähigkeit erloschen, gilt dies nach heutigen neurologischen Er285  Ohnehin ist die Basis auch für diese Art des Sterbens der Hirntod, mit dessen Eintritt die Irreversibilität des Zustandes belegt ist. 286  Arbeitskreis Organspende, Kein Weg zurück, S. 29; vgl. auch Birnbacher, in: Götz / Schwenzer / Seelmann (Hrsg.), FS Brudermüller, S. 19, 20. 287  Eingehend zum Erlöschen der Gesamtfunktion des Gehirns Arnold, Der Nervenarzt 47 (1976), S. 529 ff.; vgl. ebenso Angstwurm / Förderreuther, in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 31, 34 f. 288  Klein, „Auch die Toten sind nicht mehr sterbenskrank“, S. 10 f. 289  Deutscher Ethikrat, Hirntod und Entscheidung zur Organspende, S. 19 f. 290  Roth, in: Firnkorn, (Hrsg.), Hirntod als Todeskriterium, S. 11, 16.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

kenntnissen auch für die Großhirnaktivitäten. Eine Ausnahme sind infra­ tentorielle Schädigungen, bei der die Durchblutung des Großhirns möglich bleibt, sodass dieser Funktionsbereich denjenigen des Hirnstamms überdauern kann. Dieser Umstand hat in der Richtlinie zur Feststellung des Hirntodes bereits Berücksichtigung gefunden. Apparative Zusatzuntersuchungen sind in diesem Fall unabdingbar. Sie sind unbestritten nicht dazu geeignet, den Hirntod unabhängig vom klinischen Verfahren nachzuweisen. Dass sie aber in Kombination mit diesem in der Lage sind, den Hirnausfall zu belegen, ist herrschende medizinische Auffassung und hält einer Plausibilitätskontrolle stand.291 Äquivalent zu den klinischen Untersuchungen müssen diese nicht den Tod jeglicher Hirnzellen, sondern lediglich den Ausfall der in den Blick genommenen Hirnfunktionen im Ganzen nachweisen. Zudem beginnt die Hirntoddiagnostik nicht erst bei der Prüfung der Hirnstamm­ reflexe. Ihre Untersuchung sowie möglicherweise folgende apparative Verfahren dürfen nicht isoliert betrachtet werden. Vielmehr nimmt die Diagnose schon bei der vorherigen Überprüfung der Voraussetzungen des Hirntodes ihren Anfang; namentlich beim Nachweis einer primären oder sekundären Hirnschädigung. Zur Feststellung der klinischen Symptome gehört zusätzlich die Feststellung eines tiefen Komas, die die Bewusstseinslage des Pa­ tienten (ausgehend vom Großhirn) verifiziert.292 Die Aussage, dass bei der klinischen Hirntoddiagnostik ausschließlich Hirnstammfunktionen untersucht würden, ist damit zumindest verkürzt. Beendet ist die Diagnose erst, wenn zwei qualifizierte Ärzte unabhängig voneinander alle Untersuchungen abgeschlossen und zweifelsfrei zu einem übereinstimmenden Befund des Hirn­ todes gelangt sind. Bei Einhaltung dieser Vorgehensweise ist auch eine Abgrenzung zu anderen pathologischen Zuständen möglich.293 Da bei bewusstseinsklaren Lockedin-Patienten nicht der gesamte Hirnstamm ausgefallen ist, geraten diese bei dem Nachweisverfahren gemäß der Richtlinie nicht in Gefahr, fälschlicherweise für tot erklärt zu werden. Das gilt auch für Apalliker, deren Hirnstamm sich meist noch fast vollständig intakt befindet.

291  Vgl. Angstwurm / Förderreuther, in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 31, 35 f. 292  Vgl. ebda., S. 35. 293  Vgl. ebda., S. 42; Deutscher Ethikrat, Hirntod und Entscheidung zur Organspende, S. 20.



II. Ethische Vorfragen237

bb) Konformität der Hirntoddiagnose in Deutschland mit den heutigen medizinischen Standards Die gefundenen Ergebnisse belegen eine solide Basis der Hirntoddiagnose als einem wesentlichen Grundpfeiler der Transplantationsmedizin. Im Kontext einer Organexplantation besteht jedoch nicht nur der Bedarf einer grundsätzlich befriedigenden Diagnosemethode, sondern zwangsläufig ein maximaler Validitätsanspruch des Todesnachweises. Gem. § 16 Abs. 1 S. 1 TPG muss die Richtlinie den Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft wiedergeben. Deren Vorgaben müssen aus diesem Grund im Hinblick auf ihre medizinische Aktualität jederzeit diesem Stand entsprechen, um mit dem Transplantationsgesetz in Einklang zu stehen. Aufgrund seiner Schutzpflicht gegenüber den bei der Hirntoddiagnostik betroffenen Grundrechten, insbesondere dem Lebensrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, kann sich der Staat nicht hinter einer privatrechtlichen Institution wie der Bundesärztekammer zurückziehen, sondern ist selbst Garant für einen angemessenen Grundrechtsschutz. Lange Jahre traf der Pfeil der Kritik hier auf die empfindliche Achillesferse der deutschen Diagnosepraxis. Die Kriterien zur Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls wurden erstmals im Jahre 1982 in der „Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer zur Frage der Kriterien des Hirntodes – Entscheidungshilfen zu seiner Feststellung“ standardisiert. Die bisher gültige dritte Fortschreibung der Richtlinien ging auf das Jahr 1997 zurück und war bis zu ihrer Änderung im Jahre 2015 stolze 18 Jahre alt.294 Immer wieder wurde auf grundsätzliche Revisionen gedrängt, insbesondere im Sinne einer Installation obligatorischer apparativer Zusatzuntersuchungen oder Verbesserungen im Bereich des Nachweises von Medikamenteneinwirkungen sowie in der Qualifizierung der zuständigen Ärzte.295 In der heute gültigen vierten Fortschreibung der Richtlinie sind die Grundlagen der Diagnostik unverändert geblieben, die Anliegen der Kritiker 294  Im Vergleich dazu wurden die Empfehlungen zur Durchführung der Hirntoddiagnostik in Österreich von 1997 bereits im Jahr 2003 / 2004 weiterentwickelt und im Jahr 2013 einer neuerlichen Revision unterzogen, vgl. Schwarz / Errath / Kober u. a., in: Kröll / Schaupp (Hrsg.), Hirntod und Organtransplantation, S. 57. 295  Kritisch etwa ein offener Brief an die BÄK, Deutschmann / Goetz / Gubernatis u. a., Arzt und Krankenhaus, 2015, S. 234 ff.; Klick, DÄBl 111 (2014), A-750; S. Müller, APuZ 20–21 (2011), S. 3, 5 f. Kritik im Hinblick auf fehlende apparative Untersuchungen sowie eine womöglich bestehende Unterqualifizierung der Ärzteschaft wurde auch von politischer Seite schon in einer kleinen Anfrage der Fraktion Die Linke zum Thema Hirntod geübt, BT-Drs. 17 / 14434, S. 2; bzgl. Empfehlungen für schwierige Untersuchungssituationen vgl. die Vorschläge von Reimers / Pulkowski, Aktuelle Neurologie 36 (2009), S. 313 ff.; für apparative Zusatzuntersuchungen auch Jox, in: Kröll / Schaupp (Hrsg.), Hirntod und Organtransplantation, S. 79, 86.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

jedoch berücksichtigt und teilweise umgesetzt worden. Die Revision der Richtlinie nimmt für sich in Anspruch, Bekanntes und Bewährtes mit aktuellen Erkenntnissen der medizinwissenschaftlichen Forschung sowie der klinisch-praktischen Tätigkeit zu kombinieren, ohne dabei die seit mehr als 30 Jahren unveränderten Grundlagen der Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls in Frage zu stellen.296 Von der Einführung einer verpflichtenden apparativen Diagnostik hat die Bundesärztekammer jüngst abgesehen. In ihrem Verzicht könnte ein Defizit liegen, das die Qualität des hiesigen Feststellungsverfahrens nach heutigen internationalen Standards nur als solide, aber nicht als maximal erscheinen lässt. Tatsächlich sind einschlägige Untersuchungsverfahren in einigen Ländern (z. B. Norwegen, Luxemburg, Frankreich oder den Niederlanden) bereits verpflichtend.297 Diese Tests führen im Vergleich zur klinischen Hirntoddiagnostik nicht selten zu unterschiedlichen Ergebnissen,298 was sich aus der Tatsache ergibt, dass die Verfahren divergierend empfindlich sind und apparative Vorgehensweisen im Gegensatz zu den manuellen Reflextests nicht auf die Prüfung der Hirnstammfunktion beschränkt sind.299 Der Arbeitskreis „Fortschreibung der Richtlinien zur Feststellung des Hirntodes“ des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer hat sich im Zuge der Richt­ linienüberarbeitung unter Einbeziehung der einschlägigen Fach- und Verkehrskreise mit dem Gewinn von apparativen Untersuchungen auseinandergesetzt. Ihre Effizienz ist in der medizinischen Wissenschaft vielfach noch nicht eindeutig geklärt und wird von einigen Stimmen sogar enorm infrage gestellt.300 Andere hingegen wollen vor allem die Perfusionsverfahren verpflichtend etabliert wissen.301 Im Besonderen fokussierte sich die Forschung in den letzten Jahren auf einen Nachweis des zerebralen Zirkulationsstillstands mittels Computertomographie-Angiographie (CTA), die in einigen Ländern (z. B. Österreich, Schweiz, Frankreich und Kanada) schon länger zugelassen ist.302 Die neueste Fortschreibung der Richtlinie hat diese in der Praxis bereits etablierte Untersuchungsmethode zusammen mit dem Verfahren der Duplexsonographie mittlerweile zum Nachweis des zerebralen Zirku296  Vgl.

die Richtlinie der BÄK gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG, S. 1. dazu Wijdicks, Neurology 58 (2002), S. 20 ff. 298  Ausführlich dazu Wijdicks, Neurology 75 (2010), S. 77 ff.; vgl. auch Welschehold / Boor / Reuland, DÄBl 39 (2012), S. 624, 629. 299  S. Müller, APuZ 20–21 (2011), S. 3, 5. 300  Siehe dazu eingehend Wijdicks, Neurology 75 (2010), S. 77 ff. 301  Roberts / MacCulloch / Versnick, in: Canadian Journal of Anesthesia 57 (2010), S.  925 ff. 302  Welschehold / Boor / Reuland, DÄBl 39 (2012), S. 624, 625; kritisch jedoch zu einer ausreichenden Evaluation Grabowski, Neurologische Akut- und Intensivmedizin, S. 139. 297  Siehe



II. Ethische Vorfragen239

lationsstillstands in der Richtlinie verankert, wenn auch nicht als obligatorisch, sondern als Alternative zur Verlaufsbeobachtung. Obwohl in der medizinischen Literatur von mancher Seite von einem „Goldstandard der Hirntodfeststellung“ durch die CTA-Praxis gesprochen wird,303 kann von einer Verpflichtung zur obligatorischen Durchführung des Verfahrens zur Sicherstellung eines medizinischen Maximal- und ethischen Minimalstandards für den Grundrechtsschutz der Organspender keinesfalls gesprochen werden. Dieser Befund betrifft die grundsätzliche Aufnahme verpflichtender apparativer Untersuchungen bei jeder Hirntoddiagnose insgesamt. Zwar sind apparative Zusatzuntersuchungen grundsätzlich dazu geeignet, die statistische Fehlerwahrscheinlichkeit einer klinischen Hirntoddiagnose zu verringern und diese damit abzusichern. Besondere Beachtung finden muss jedoch der Umstand, dass weitergehende Diagnosemethoden in einigen Fällen risikobehaftet sind. Die Gabe von Kontrastmitteln birgt etwa die Gefahr allergischer Reaktionen oder Nierenfunktionsstörungen.304 Ihre Anwendung darf nur nach strikter Abwägung mit dem Patientenwohl erfolgen. Es kann zudem nicht unberücksichtigt bleiben, dass die apparativen Untersuchungsverfahren unterschiedliche Anwendungsgrenzen und Nachteile bergen und zudem nicht alle flächendeckend verfügbar sind.305 Insbesondere Perfusionsverfahren können bei großen Schädeldachdefekten, Schädelfrakturen oder Liquorableitungen falschpositive Befunde liefern.306 Sie allein sind daher nicht in der Lage, ein ausschlaggebendes Ergebnis zu Tage zu fördern. Es lässt sich nicht behaupten, dass die apparativen Zusatzverfahren gegenüber der klinischen Untersuchung überlegen wären. Im Gegenteil ist die grundlegende Bedeutung der klinischen Diagnostik noch heute weltweit unbestritten.307 Das klinische Verfahren ist noch immer die anerkannte Grundlage des aktuellen Standes der medizinischen Erkenntnisse. Das hat die umfassende Einbeziehung des Fach- und Verkehrskreises während des Richtlinienrevisionsverfahrens nochmals bestätigt. Bisher ist in Deutschland noch kein Fall bekannt geworden, bei dem der Hirntod richtlinienkonform durchgeführt, aber fälschlicherweise festgestellt wurde.308 Die neuen technischen Möglichkeiten der Todesfeststellung sind zwar eindrücklich evident,

303  Kritisch zu dieser Formulierung, die andeutet, dass das klinische Verfahren nicht ebenso sicher sei Angstwurm, DÄBl 39 (2012), S. 623. 304  Grabowski, Neurologische Akut- und Intensivmedizin, S. 139. 305  Eingehender dazu Welschehold / Boor / Reuland, DÄBl 39 (2012), S. 624 ff. 306  Welschehold / Boor / Reuland, DÄBl 39 (2012), S. 624. 307  Vgl. Smith, British Journal of Anaesthesia 108 (2012), S. 16 ff. 308  Angstwurm, in: Oduncu / Schroth / Vossenkuhl (Hrsg.), Transplantation, S. 31; ders. / Förderreuther, in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 31, 37; Schroth, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, Vor §§ 3, 4. Rn. 21.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

machen die Diagnose allerdings nach weit verbreiteter Meinung keinesfalls sicherer als das in den Richtlinien vorgeschriebene Verfahren.309 Gleiches gilt nach den begründeten Ausführungen der Bundesärztekammer auch für weiterführende Untersuchungen bezüglich der Diagnostik der den irreversiblen Hirnfunktionsausfall einschränkenden Voraussetzungen (z. B. Auswirkungen zentral dämpfender Medikamente, Hypothermie, metabolischer und toxikologischer Aspekte) auf die klinischen Ausfallsymptome.310 Neben einer Präzisierung der Diagnose erwies sich die Einführung weitergehender Untersuchungen nach der Expertenmeinung als dem Sicherheitsaspekt des Nachweisverfahrens nicht weiter förderlich. Eine mögliche Intoxikation gehört ohnehin zur Differentialdiagnose; der Einfluss der intensivmedizinisch verwendeten Medikamente auf den klinischen Befund kann durch verschiedene Methoden beurteilt werden. Teilweise geforderte Serum- oder Plasmaspiegelbestimmungen sind nach Ansicht der Bundesärztekammer kein unverzichtbarer Parameter, da Zielkriterium nicht der Nachweis einer bestimmten Substanz, sondern die Beeinflussung der klinischen Ausfallsymptomatik ist.311 Ein besonders herauszuhebender Umstand der Richtlinienrevision ist die Präzisierung der formalen und praktischen Anforderungen an die Qualifikation der die Diagnostik durchführenden Ärzte. Es wurde bereits festgestellt, dass die in den Richtlinien vorgesehene Diagnostik theoretisch einen hohen Sicherheitsstandard bietet. Auf tatsächlicher Ebene findet die Sicherheit des Nachweisverfahrens ihre Grenze in der Qualifikation der Ärzte. In kleineren Kliniken, in denen das notwendige Fachwissen zur Feststellung des Hirntodes regelmäßig fehlt, muss auf externe Expertise zurückgegriffen werden. Da die Deutschen Stiftung Organtransplantation seit dem Jahre 2004 keinen Bereitschaftsdienst mehr unterhält, wird die Unterstützung seit 2006 von sog. mobilen Konsiliarteams übernommen. Diese haben keine feste Struktur, sondern werden von Fall zu Fall zusammengestellt. Dabei wurde nach Angaben von Kritikern in der Vergangenheit unter anderem auf niedergelassene Neurologen zurückgegriffen, die meist über kein aktuelles Wissen auf Intensivstationen verfügen.312 Zwar ist bisher kein Fall bekannt, in dem eine Organentnahme an einem Lebenden vorgenommen wurde;313 allerdings ist nach 309  Vgl. Angstwurm, DÄBl 39 (2012), S. 623 noch in Bezug auf die dritte Fortschreibung der Richtlinie. 310  Kritisch jedoch ein offener Brief an die BÄK, Deutschmann / Goetz / Gubernatis u. a., Arzt und Krankenhaus, 2015, S. 234, 235. 311  Vgl. die Richtlinie der BÄK gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG, S. 12. 312  Blöß, DÄBl 103 (2006), A-1268. 313  Vgl. zu den Ergebnissen der jüngsten Kontrollen den Tätigkeitsbericht der Überwachungs- und Prüfungskommission von 2014 / 15, S. 20 ff., abrufbar unter: http: /  / www.bundesaerztekammer.de / fileadmin / user_upload / downloads / pdf-Ordner / 



II. Ethische Vorfragen241

aktueller Berichterstattung in den letzten Jahren eine nicht unerhebliche Zahl von Erstdiagnosen im klinischen Verfahren fehlerhaft erfolgt, sodass der Zweitgutachter dem vorangegangenen Votum nicht gefolgt ist.314 Im Raum steht eine Anzahl von 0,67 %, was im sensiblen Bereich der Todesfeststellung einen absolut inakzeptablen Wert darstellt.315 In der DSO-Region Nord soll sogar ein unglaublicher Wert von 30 % erreicht worden sein, in denen ein ehemaliger Leiter des Konsiliarteams eine Hirntoddiagnose des Erstgutachters nicht bestätigen konnte.316 Eine Korrektur des Erstergebnisses durch die Zweituntersuchung zeigt, dass das in den Richtlinien etablierte Kontrollsystem grundsätzlich funktioniert hat. Die Fehleinschätzungen waren jedoch Grund genug, an den von der Bundesärztekammer aufgestellten Ansprüchen an die diagnostizierenden Ärzte und an die Kontrolle der Praxis ernsthaft zu zweifeln. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie, die Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie und die Deutsche Gesellschaft für Neurointensivund Notfallmedizin forderten vor der Novellierung der Richtlinie daher ausdrücklich, dass zumindest einer der Untersucher ein Neurologe oder Neurochirurg mit langjähriger Erfahrung in der Intensivmedizin als auch regel­ mäßiger praktischer Erfahrung bei der Hirntodbestimmung sein müsse.317 Darüber hinaus forderten einige Ärzte in einem offenen Brief an die Bundesärztekammer die Einführung einer „Zusatzbezeichnung Hirntoddiagnostik“ in deren (Muster-)Weiterbildungsordnung.318 Nur Ärzte, die über diese Zusatzqualifikation verfügen, sollten den Hirntod feststellen dürfen.319 UnabTransplantation / 2015_09_26_BerPKUEK201415mitKB.pdf (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 314  Einschlägige Medienberichte, insbesondere die der SZ v. 18.02.2014 (abrufbar unter: http: /  / www.sueddeutsche.de / gesundheit / falsche-todesdiagnosen-in-krankenhaeu sern-aerzte-erklaeren-patienten-oft-faelschlich-fuer-hirntot-1.1891373 [zuletzt abgerufen am 30.06.2017]) haben die Debatte um das korrekte Feststellungsverfahren wieder neu entfacht; siehe dazu auch den Bericht der Ärztezeitung Online vom 18.02.2014, abrufbar unter: http: /  / www.aerztezeitung.de / politik_gesellschaft / organspende / artic le / 855443 / transplantation-hirntod-diagnostik-problemen.html (zuletzt ab­gerufen am 30.06.2017) oder Richter-Kuhlmann, DÄBl 111 (2014), A-323; auch schon vorher wurden Mängel bei der Hirntoddiagnose gerade in kleineren Kliniken bekannt, vgl. Blöß, DÄBl 103 (2006), A-1268. 315  Vgl. Deutschmann / Goetz / Gubernatis u. a., Arzt und Krankenhaus, 2015, S. 234. 316  So die kleine Anfrage von Die Linke, BT-Drs. 17 / 14527, S. 3. 317  Gemeinsame Stellungnahme vom 05.03.2014 (ergänzt am 21.03.2014), abrufbar unter: http: /  / www.dgn.org / pressemitteilungen / feststellung-hirntod.html (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 318  Deutschmann / Goetz / Gubernatis u. a., Arzt und Krankenhaus, 2015, S. 234, 235. 319  Voraussetzungen zum Erwerb der Qualifikation sollen sein: eine fachärztliche Ausbildung, eine zusätzliche Weiterbildung „Intensivmedizin“ oder ein Nachweis

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

hängig von den genauen Anforderungen an die Ärzteschaft herrschte weitgehende Einigkeit, dass eine Revision der Richtlinie in diesem Bereich dringend notwendig war. Wie bisher müssen die zuständigen Ärzte über eine mehrjährige Erfahrung in der Intensivbehandlung von Patienten mit akuten schweren Hirnschädigungen verfügen, wobei diese Erfahrung näher konkretisiert wurde. Sie müssen nunmehr zusätzlich über eine Facharztanerkennung verfügen. Mindestens einer der den irreversiblen Hirnfunktionsausfall feststellenden und dokumentierenden Ärzte muss zudem Facharzt für Neurologie oder Neurochirurgie sein. Kinder bis zum vollendeten vierzehnten Lebensjahr müssen außerdem von mindestens einem Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin untersucht werden. Gleichzeitig wurden die Anforderungen an die Qualifikation der Ärzte, die die ergänzenden apparativen Zusatzuntersuchungen erbringen, präzisiert. Die richtliniengemäße ärztliche Qualifikation samt dem Namen des Arztes, der mit seiner Unterschrift die Verantwortung für die Untersuchung übernimmt, müssen auf dem Protokollbogen dokumentiert werden. Zusätzlich wird ihnen die regelmäßige Teilnahme an qualitätsfördernden Maßnahmen empfohlen. Des Weiteren ist künftig jede Einrichtung, in deren Auftrag Ärzte den irreversiblen Hirnfunktionsausfall feststellen und protokollieren, verpflichtet, in einer Arbeitsanweisung festzulegen, wann und wie die Diagnostik veranlasst wird und dass deren Durchführung gemäß dieser Richtlinie erfolgt.320 Durch diese Erfordernisse wurde eine hohe medizinische Fachkompetenz der zuständigen Ärzteschaft sichergestellt, deren Praxis in den nächsten Jahren intensiv von Medien und Wissenschaft verfolgt werden wird. Kleinere Spenderkrankenhäuser könnten sich jedoch mit dem Auftrag des Erlasses einer Arbeitsanweisung und dem Qualitätsmanagement ohne konkretere Vorgaben durch die Richtlinie überfordert fühlen. Rechtsunsicherheit entsteht, wenn nach dem Diagnoseverfahren zweifelhaft ist, ob die Arbeitsanweisung des Krankenhauses ausreichend war oder, bei Verneinung dieser Frage, bei der Todesfeststellung ein Richtlinienverstoß vorlag.321 Insofern ist an eine Präzisierung der Vorgaben zu denken. Diese Modifikation stellt mehrjähriger entsprechender Erfahrung, eine strukturierte curriculare Weiterbildung mit zusätzlich praktischem Teil mit Beteiligung an mindestens fünf Hirntodunter­ suchungen sowie eine Prüfung vor der Landesärztekammer. 320  Vgl. die Richtlinie der BÄK gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG, S. 15. 321  Kritik aufgrund der mangelnden Mindestanforderungen N. Müller, Arzt und Krankenhaus, S. 237, 239; vgl. auch einen im Aufbau befindlichen, kritischen OnlineKommentar zur Richtlinie der BÄK, abrufbar unter: http: /  / transplantationsrecht.eu /  ?page_id=584 (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). Dort findet sich auch ein Vorschlag für Mindestvorgaben der Regelungsgegenstände einer ordnungsgemäßen Arbeitsanweisung.



II. Ethische Vorfragen243

sicherlich einen Kunstgriff dar, die die Eigenständigkeit der einzelnen Kliniken nicht ersticken, gleichzeitig aber kleineren Häusern Hilfestellungen an die Hand geben sollte. Letztere werden dringend notwendig, wenn die Bundesregierung von Unsicherheiten der Entnahmekrankenhäuser aufgrund der neuen Richtlinie berichtet.322 Nicht ausgeschlossen scheint zudem, dass sich die Einführung einer speziellen Zertifizierung zur noch weitergehenden Sicherung der Qualität der Hirntoddiagnostik in Zukunft als sinnvoll erweisen wird.323 Dadurch würde sich die Spezialisierungsanforderung, von den grundsätzlichen neurologischen bzw. neurochirurgischen Erfahrungen in der Intensivmedizin, auf jene speziell in der Hirntoddiagnostik verdichten. Die Ärztekammern könnten durch die Abnahme der Prüfungsleistung die Vertrautheit des Arztes mit qualitativen Inhalten der Untersuchung sowie der Richtlinie sicherstellen. Ferner ist an die Verpflichtung zur Durchführung einer Mindestzahl unter Aufsicht geführten Diagnosen zu denken.324 Die Behandlung eines Hirntoten ist auch auf einer Intensivstation keine Alltäglichkeit, sodass ein Mangel an Praxis auch bei Fachärzten nicht verwundert. Dies darf sich jedoch nicht zulasten des Lebensrechts der Patienten auswirken und sollte zudem zur Vertrauensbildung der Öffentlichkeit vermieden werden. Tatsächlich hätten die Qualifikationsanforderungen trotz der ausführlichen Konkretisierung des Erfahrungsschatzes der Ärzte durch die Richtlinie bereits heute, vor Einführung einer neuen Zertifizierung, strenger erfolgen können. Zahlreiche Weiterbildungsordnungen der Landesärztekammern sehen eine Zusatzweiterbildung in der Intensivmedizin vor, die die Hirntoddiagnose miteinschließt.325 Beim Bestehen einer an die Fortbildung anschließenden Abschlussprüfung wäre das Vorliegen der Qualifikationsanforderungen rechtssicher festgestellt. Mangelnde flächendeckende Verfügbarkeit von speziell ausgebildeten Fachärzten darf jedenfalls kein Grund für die Zurückhaltung der Anforderungen sein. Dass ein Mangel an qualifiziertem Personal jedoch zu einem Hemmnis für die Organspende werden könnte, lässt der jüngste Bericht der Bundesregierung mutmaßen, der von einem Rückgang der Spendermeldungen seit Geltungskraft der Richtlinie berichtet.326 An dieser Stelle ist die Praxis gefragt, die den flächendeckenden me322  BT-Drs.

18 / 7269, S. 15. Erwägungen schon bei Lilie, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 17, 18. 324  Zum Zertifizierungsvorschlag siehe die kleine Anfrage der Fraktion Die Linke, BT-Drs. 17 / 14527, S. 2. 325  Kritisch zur neuen Richtlinie daher auch N. Müller, Arzt und Krankenhaus, S. 237, 238. 326  BT-Drs. 18 / 7269, S. 15. Die Bundesregierung sieht es als eine enorme He­ rausforderung für die Selbstverwaltung an, flächendeckend entsprechend qualifiziertes medizinisches Personal zur Verfügung zu stellen, S. 22 f. 323  Dahingehende

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

dizinischen Sachverstand baldmöglichst herstellen muss. Zur Überbrückung ist es die ureigene Aufgabe der Koordinierungsstelle, geeignete Fachkräfte jederzeit und überall einsatzbereit zu halten. In Bezug auf das Vertrauen der Bevölkerung in die Hirntoddiagnostik hat die Aktualisierung der Richtlinie endlich die lang ersehnte Transparenz der Entscheidungen der Bundesärztekammer hergestellt. Durch die gemäß § 16 Abs. 2 TPG verpflichtend abzugebende Begründung sind die Bewertungen des Expertengremiums und die Reichweite der Einbeziehung der betroffenen Fach- und Verkehrskreise dargelegt. Die Richtlinie bietet so eine gute Grundlage für weitere Fachdiskussionen über die Hirntoddiagnostik. Noch viel wichtiger, belegt die mittlerweile präzise Diagnoseanleitung einen hohen ­Sicherheitsstandard beim Nachweis des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls. Das in den Richtlinien normierte Vorgehen stellt sich als einsichtige Methodik zur Hirntodfeststellung dar, die einer Plausibilitätskontrolle bezüglich der Reliabilität, Validität und Objektivität des Nachweisverfahrens genügt. Diese Feststellung veranschaulicht jedoch eine wissenschaftliche Momentaufnahme. Sowohl aus der Forschung wie auch aus der Praxis ist ein stetiger Erkenntnisgewinn zu erwarten. Insofern ist ein etwaiger Änderungsbedarf der Richtlinien stets im Auge zu behalten. Zur Gewährleistung eines adäquaten Lebensschutzes darf auch ein möglicherweise hoher organisatorischer Aufwand und steigende Kosten nicht gescheut werden. Vertrauenskrisen, die auf Richtlinienverstößen beruhen, kann sich die Transplantationsmedizin nach Jahren der Skandale nicht mehr erlauben. c) Praktische Probleme des Hirntodkonzepts im Alltag Ein grundlegendes Problem des Hirntodkonzepts ist seine omnipräsente Verknüpfung mit der Organgewinnung, die wie ein Automatismus abwehrende Instinkte im menschlichen Bewusstsein weckt. Die Anerkennung des Hirntodes als sicheres inneres Todeszeichen basiert nach kritischen Stimmen lediglich auf der Hoffnung, Organe für Transplantationszwecke akquirieren zu können.327 An einer verbreiteten, zumindest unterschwelligen Skepsis vermag auch die Klarstellung der Bundesärztekammer nichts zu ändern, die betont, dass die Feststellung des irreversiblen Hirnausfalls unabhängig von der Frage einer Organ- oder Gewebespende ein für die Intensivmedizin unverzichtbares Instrument der Prognoseeinschätzung für weitere Therapieentscheidungen darstelle.328 Es besteht eine scheinbar unauflösliche Spannung 327  Eingehend dazu Truog, The Journal of Law, Medicine and Ethics 35 (2007), S. 273 ff.; siehe dazu auch Jonas, Technik, Medizin und Ethik, S. 219 ff., insbes. S.  230 ff. 328  Richtlinie der BÄK gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG, S. 1.



II. Ethische Vorfragen245

zwischen der breiten medizinischen und rechtspolitischen Akzeptanz einerseits und den Zweifeln vieler Laien, Pflegenden und Ärzten auf der anderen Seite.329 Der springende Punkt liegt dabei weniger in der Sache der Todes­ definition. Auch in einer pluralen Gesellschaft wie der heutigen besteht ein weitgehender anthropologischer Konsens dahingehend, dass der Mensch mit dem irreversiblen Verlust seiner leiblich-geistigen Einheit den Tod erlitten hat. Es herrscht allerdings die tief im Menschen verwurzelte Angst, als Lebender für tot erklärt zu werden. Das Hirntodkonzept trifft geradezu in unglücklichster Weise auf diese Befürchtung, da es den Tod nur schwer anschaulich macht. Keinesfalls vermag er das dem Menschen geläufige, tradi­ tionelle Bild eines Herz-Kreislaufstillstands auch nur annähernd zu imitieren, sondern vermittelt viel eher den Eindruck der Pflege bloß bewusstloser Pa­ tienten. Diese visuellen Besonderheiten schüren Zweifel in einem psychologisch höchst sensiblen Bereich. Es wäre daher bedauerlich, wenn die neu entbrannte Kontroverse um das Hirntodkriterium ausschließlich auf akademischem Felde geführt würde. Vielmehr ist eine intensive Kommunikation mit der Bevölkerung unerlässlich, von deren Akzeptanz die Organspende abhängig ist. Nur dann kann sich die Öffentlichkeit in informierter Aufgeklärtheit für die Ansicht öffnen, dass es einen Tod außerhalb des dominanten Paradigmas eines klassischen Leichnams geben kann oder das Hirntodkonzept ohne falsche Vorurteile persönlich ablehnen. Infolge medialer Berichterstattung, ist auch die Hirntoddiagnostik zum Schreckenszenario in der Öffentlichkeit geworden. Werden die Konsequenzen fehlerhafter Hirntoddiagnosen aus anderen Ländern als das „Erwachen von Hirntoten“ beschrieben, ist diese Aussage nach den derzeitigen medizinischen Erkenntnissen schlicht falsch, bleibt jedoch geeignet, irrationale Ängste zu schüren. Um die Furcht vor einer fälschlichen Todeserklärung zu wecken, reichen hierzulande schon kleinere „Diagnosevergehen“, wie bloße Dokumentationsfehler, die das eigentliche Feststellungsverfahren nicht beeinflusst haben. Diese sind nicht nur zum Schutz der potentiellen Organspender inakzeptabel, sondern auch im Hinblick auf den Ruf der Transplantationsmedizin. Es bleibt die Hoffnung, dass durch die Verschärfung der formalen und praktischen Anforderung bei der Hirntoddiagnostik eine fehlerhafte Durchführung oder Dokumentation des Nachweisverfahrens zukünftig vermieden werden kann, um eine rationale Auseinandersetzung mit dem Hirntodkonzept zu fördern. Auf die maximale Sicherheit nicht nur der Hirntod­ diagnostik an sich, sondern auch ihrer Durchführung im konkreten Fall, müssen Organspender und Angehörige uneingeschränkt vertrauen können.

329  Jox,

in: Kröll / Schaupp (Hrsg.), Hirntod und Organtransplantation, S. 79, 89.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

d) Ergebnis Das Hirntodkonzept ist in den letzten Jahren vermehrt Einwänden ausgesetzt gewesen, die in Anbetracht der in Deutschland etablierten Dead-DonorRule bei ihrer Stichhaltigkeit dazu in der Lage wären, die gesamte Transplantationsmedizin in Frage zu stellen. Während eine Minderheit der kritischen Stimmen eine Erleichterung der Todesfeststellung über Teilhirntodkonzepte propagiert, sieht die Mehrheit der Gesamthirntotgegner den Beleg des Hirntodes nicht als legitimen Todesnachweis an. Der Tod beschreibt das Ende der leiblich-geistigen Einheit des Menschen (erste Ebene der analytischen Kategorisierung). Der Hirntod bildet dieses Phänomen in anthropologisch überzeugender Weise ab (zweite Ebene der analytischen Kategorisierung). Durch ihn ist nachgewiesen, dass sich der irreversible bewusstlose, von außen beatmete Organismus unwiderruflich nicht mehr in aktiver Eigenleistung zu einer übergeordneten Gesamtheit des Lebewesens „Mensch“ als leiblich-geistiger Einheit integrieren kann. Der irreversible Ausfall der Hirnfunktionen wird nach den Vorgaben der Richtlinie der Bundesärztekammer gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG für die Regeln zur Feststellung des Todes nach § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG und die Verfahrensregeln zur Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG festgestellt (dritte Ebene der analytischen Kategorisierung). Die im Jahre 2015 aktualisierten Vorgaben der Richtlinie ermöglichen einen hohen Sicherheitsstandard der Diagnostik, die den grundrechtlichen Belangen der Patienten gerecht wird. Regelmäßige Überprüfungen der Vorgaben auf den aktuellen Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft sind jedoch dringend erforderlich. Sie dienen zuvörderst der Sicherheit der Patientenrechte, sind aber auch für das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Transplantationsmedizin unabdingbar. Die omnipräsente Verknüpfung der Hirntoddiagnostik mit der Organspende und die phänotypische Besonderheit des toten Patienten bescheren dem Hirntodkonzept in der Öffentlichkeit ohnehin keinen leichten Stand. Nur die Konzentration auf eine intensive Aufklärung der Bevölkerung und eine vorbild­ liche Praxis in den Kliniken sind dazu in der Lage, die persönliche Meinungsbildung zu fördern und ebenso Bedenken der Menschen auszuräumen. 4. Die Spenderkonditionierung – ein ethisches Dilemma zwischen Leben und Tod Die bisherigen Untersuchungen haben verdeutlicht, dass Spenderorgane nicht aus herkömmlichen Leichen, sondern aus Hirntoten mit apparativ aufrecht erhaltenem Herz-Kreislaufsystem gewonnen werden. Ist der Hirntod diagnostiziert und hat der Betroffene in die postmortale Behandlung seines



II. Ethische Vorfragen247

Körpers zur Organentnahme informiert eingewilligt, scheinen ethische und rechtliche Problemstellungen überwiegend gelöst zu sein. Oftmals enden wissenschaftliche Befassungen der Hirntodbefürworter infolgedessen mit einer solchen Konklusion. Dabei wird jedoch ein fatales Dilemma ausgeklammert. Die vorbereitende Behandlung eines potentiellen Organspenders beginnt bereits vor abgeschlossener Hirntoddiagnostik, um einen späteren Transplantationserfolg zu gewährleisten.330 Erst jüngst hat eine Studie belegt, dass die Organqualität durch eine Spenderkonditionierung deutlich verbessert werden kann.331 Eine „adäquate“ Behandlung beinhaltet die frühzeitige hämodynamische Stabilisierung und Korrektur von Imbalancen im Elektrolyt-, Glucose- und Säure-Basen-Stoffwechsels beim noch lebenden Patienten.332 Insgesamt ist ein erweitertes intensivmedizinisches Monitoring erforderlich (kontinuierliche invasive Blutdruckmessung über einen arte­riellen Katheter, Messung des zentralvenösen Drucks, wiederholte Blutgas-, Blutzucker- und Elektrolytanalysen).333 Der „vorausschauende“ Umgang mit tief komatösen Patienten wird sogar als besondere Pflicht und Aufgabe der Intensivmedizin beschrieben.334 Er ist ein wesentlicher Beitrag zum E ­ rfolg der Transplanta­ tionsmedizin. Ziel des umfassenden Behandlungs­regimes ist der Erhalt eines kreislaufstabilen Organismus, dessen Organe so wenig geschädigt werden wie möglich. Erst danach folgt die Hirntoddiagnostik, die die Legitimität einer Organentnahme überhaupt zuvörderst klären wird. Sie stellt ein für die Intensivmedizin unverzichtbares Instrument der Prognoseeinschätzung für weitere Therapieentscheidungen dar,335 erfolgt jedoch in manchen Fällen ausschließlich mit dem Blick auf eine mögliche Organentnahme, da eine rein patientenzentrierte Entscheidung zum Therapieabbruch auch ohne Sicherheit des Hirntodeintritts getroffen werden kann.336 Genauso wird bei infauster Prognose, aber ohne dass der irreversible Hirnausfall bereits eingetreten wäre, mit dem Abbruch intensivmedizinischer Maßnahmen gewartet, um den

330  Bein / Schlitt / Bösebeck

u. a., DÄBl 102 (2005), A-278, 281. dazu Pratschke, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation, S. 99 ff.; vgl. auch McKeown / Ball, Current Optinion in Organ Transplantation, S.  85 ff. 332  Bein / Schlitt / Bösebeck u. a., DÄBl 102 (2005), A-278, 281. 333  Ebda., A-278, 282; Anweisungen zur organprotektiven Therapie finden sich auch im „DSO-Leitfaden Organspende“, Kapitel 5, abrufbar unter http: /  / www.dso. de / uploads / tx_dsodl / DSO_Leitfaden_Organspende_01_2012.pdf (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 334  Bein / Schlitt / Bösebeck u. a., DÄBl 102 (2005), A-278, 282. 335  Vgl. die Richtlinie der BÄK gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG, S. 1. 336  Schöne-Seifert / Prien / Rellensmann u. a., Behandlung potentieller Organspender im Präfinalstadium, S. 3; eine Kurzversion findet sich in DÄBl 108 (2011), A-2080. 331  Eingehend

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

Hirntod erfolgen zu lassen und ihn diagnostizieren zu können.337 Dadurch verzögert sich der finale Sterbeprozess des Patienten. Diese Verlängerung seiner präfinalen Phase könnte einem „würdevollen Sterben“ entgegenstehen.338 Zudem bergen sowohl die Organprotektion als auch die Hirntoddia­ gnostik in manchen Fällen ein gewisses medizinisches Risiko für den potentiellen Spender. Als besondere Gefahr wird die Ausbildung eines persistierenden vegetativen Status diskutiert.339 Diese durch den medizinischen Fortschritt geschaffene „Zwangslage“ konfrontiert sowohl Mediziner als auch Patienten im Gesundheitssystem mit ganz neuartigen Grenzsituationen. Das Verhältnis zwischen einem toten Spender und dem „behandelnden“ Arzt ist unproblematisch kein therapeutisches mehr. Ein ethisch relevanter Konflikt entsteht aber, wenn der Patient noch nicht sicher verstorben ist. Solange keine Gewissheit besteht, ist der Arzt an die etablierten medizinethischen Prinzipien gebunden, allem voran an das Prinzip des Heilens und des Nichtschadens. Die Prognose des Patienten kann bereits ohne Hirntoddiagnose derart hoffnungslos sein, dass eine Therapiebeendigung sinnvoll erscheint. Bei infauster Prognose mit irreversibel tödlichem Verlauf ist es dem Arzt nicht mehr möglich, seinem Heilauftrag nachzukommen. Das entbindet ihn jedoch nicht von der Befolgung des Gebots des Nichtschadens. Auch einem Patienten im Präfinalstadium können Schädigungen zugefügt werden, die der Arzt zu vermeiden hat. Tritt jedoch seine medizinethische Verpflichtung gegenüber dem potentiellen Empfänger hinzu, wird der Arzt in einen Spagat gezwungen. Das Individualverhältnis zwischen ihm und seinem Patienten wird zwangsweise aufgebrochen. Es ist unbestritten, dass die vorderste Aufmerksamkeit des Mediziners auf seinem konkret zu betreuendem Schützling liegen muss. Befindet sich ein Patient jedoch in der präfinalen Phase, in der der (alsbaldige) Eintritt des Hirntodes bereits vermutet wird, eröffnet sich dem Arzt ein gewisser moralischer Abwägungsspielraum. Er hat in Betracht zu ziehen, ob er minimale Belastungen und Risiken am Lebensende seines Patienten in Kauf nimmt, um das Leben anderer Kranker zu retten. Das Transplantationsrecht schweigt bislang zu dieser medizinethischen Frage. Die Praxis in den Kliniken hat sich für eine Inanspruchnahme des totgeweihten Patienten zugunsten des noch rettbaren Wartelistenkandidaten entschieden.

337  Höfling,

Patientenschutz-Info-Dienst 3 / 2011, S. 12. u. a., Behandlung potentieller Organspender im Präfinalstadium, S. 5 f. 339  Ebda., S. 6; dieses Risiko aufgreifend der Deutsche Ethikrat, Hirntod und Entscheidung zur Organspende, S. 27; das Bestehen der Gefahr bezweifelt jedoch ein Sondervotum des Deutschen Ethikrats, S. 173. 338  Schöne-Seifert / Prien / Rellensmann



II. Ethische Vorfragen249

Dies dürfte der moralischen Intention eines Großteils der Bevölkerung entsprechen. Eine ethische Pflicht zur Leidensminderung ist dem Arzt bereits von Berufs wegen auferlegt. Einigkeit dürfte jedoch auch dahingehend bestehen, dass weder der Heilauftrag des Arztes noch die Heilungserwartung der Organaspiranten eine unbegrenzte Bestimmungsmacht über die körperliche Integrität eines anderen rechtfertigen. Im Gegenteil ist ein Übergang von der patientenzentrierten Sichtweise hin zur Vorbereitung einer Organspende mit den ethischen ärztlichen Prinzipien erst ab jenem Zeitpunkt vereinbar, an dem sich eine Therapierung des Patienten sicher als erfolglos erwiesen hat und sein (alsbaldiger) Hirntod vermutet wird. Frühere ausschließlich fremdnützige Eingriffe zulasten des Patienten scheiden demgemäß aus.340 Überdies kommt der Einwilligung des Betroffenen als Akt der Selbstbestimmung eine maßgebliche Legitimationswirkung zu. Moralisches Ideal ist die Orientierung des Einzelnen an ethischen Prinzipien, die ihn zur freiwilligen Mitwirkung an Lebensrettungen veranlassen. Auch wenn das Recht die Freiheit des Individuums respektiert und – zu Recht – weitreichend schützt, verweist die Ethik den Menschen auf eine Auseinandersetzung mit dem Leid anderer und damit gleichzeitig auf seine Solidarität.341 Der Sozialstaat ist auf moralisch begründeten Zusammenhalt und gegenseitige Verantwortungsübernahme angewiesen. Seine Freiheitskonzeption gelingt nur auf ethischem Fundament.342 Dieser Umstand kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine Entscheidung für die Duldung von spendezentrierten Maßnahmen am Lebensende kaum als moralisch verpflichtend angesehen werden kann. Sie erweist sich vor dem Hintergrund des notwendigen leiblichen Zugriffs auf den Patienten und der Konsequenz in eine hochkontrollierte Form des Sterbens einwilligen zu müssen vielmehr als supererogatorisch.343 Die täglichen Konfliktlagen in Kliniken verdeutlichen, dass die Diskussion nicht nur auf moralischer Ebene geführt werden kann, sondern der Umgang mit potentiellen Spendern vor allem nach Rechtssicherheit verlangt.344

340  Rechtliche Unsicherheiten über den Zeitpunkt, ab dem von der patientenzentrierten zur spendezentrierten Behandlung übergegangen werden darf monieren Duttge / Neitzke, GesR 2015, S. 705; näher zum fraglichen Zeitpunkt bei der recht­ lichen Betrachtung der Organprotektion, S. 282 ff. 341  P. Kirchhof, in: Kern / Wadle / Schroeder u. a. (Hrsg.), FS Laufs, S. 931, 937. 342  Ebda., S. 931, 937. 343  Zur Ablehnung einer moralischen Verpflichtung zur Organspende überhaupt siehe sogleich S. 250 ff. 344  Vgl. zur rechtlichen Bewertung der Spenderkonditionierung S. 282 ff.

250

D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

5. Die Entscheidungslösung – Suggestion einer moralischen Pflicht zur Organspende? Eine Organentnahme ist in Deutschland erst erlaubt, wenn der Spender oder subsidiär seine Angehörigen in die Spende eingewilligt haben.345 Mit der Entscheidungslösung fordert der Gesetzgeber den Bürger neuerdings zu einer Erklärungsabgabe zur Organspende auf. Er will ihm mehr „auf die Pelle rücken“ und verneint in diesem Zuge das Recht, „in Ruhe gelassen zu werden“.346 Auch wenn sich die staatliche Einwirkung für das Empfinden des Bürgers durch die Wandlung einer zuvor im Gesetz verankerten „Bitte“ (§ 2 Abs. 2a TPG a. F.) in eine Aufforderung nur marginal ändern mag, stellt sich insbesondere vor dem Hintergrund der emotional gefärbten politischen Debatten die Frage nach der Konstruktion eines neuen moralischen Überbaus für die Organspende. Durch politische Kampfansagen gegen den viele Menschenleben fordernden Organmangel wird die moralische Provenienz der gesetzlichen Neuregelung verstärkt akzentuiert.347 Der Appell an den Bürger hievt die Thematik in eine andere ethische Dimension. Als fordernder Aufruf zur Auseinandersetzung mit der Organspende trägt er eine neue Erwartungshaltung in sich.348 Inhaltlich nimmt es sich der Gesetzgeber nicht heraus, dem Einzelnen die Entscheidung vorzugeben. Genauso wenig konstruiert das Transplantationsgesetz eine Rechtspflicht zur Erklärung. Die mangelnde Bereitschaft der gesetzlichen Aufforderung nachzukommen wird nicht mit förmlichen Sanktionen belegt. Im Fall der Etablierung eines moralischen Imperativs würde der renitente Bürger jedoch mit gesellschaftlichen Nachteilen in Form von Missbilligung rechnen müssen. Tatsächlich wurde bereits von privaten Initiativen öffentlich gefordert, dass die Bereitschaft zur Organspende zu einem gesellschaftlichen „Lifesyle“ und die Ablehnung zu einem „No Go“ werden müsse.349 Mittels einer „moralpädagogische(n) Indienstnahme des Rechts“350 durch die Entscheidungslösung könnte sich der Gesetzgeber diese Thesen zu Eigen gemacht haben. Solche Umstände lassen 345  Zur

in Deutschland geltenden Entscheidungslösung siehe S. 89 ff. Steinmeier in der Debatte um die Änderung des Transplantationsgesetzes, BT-Drs. 17 / 182, S. 21686, 21687. 347  Vgl. dazu vor allem die Debatte um die Änderung des Transplantationsgesetzes in BT-Drs. 17 / 182, Tagesordnungspunkt 31, S. 21682 ff. 348  Vgl. dazu auch Tolmein, Pflicht zur Selbstbestimmung?, FAZ v. 11.10.2011, S. 33. 349  So der Direktor der Meoclinic Berlin und Gründer der „Initiative Organspende“, Reinhard Pregla, vgl. Ärztezeitung online vom 11.01.2011, abrufbar unter: http: /  / www.aerztezeitung.de / politik_gesellschaft / organspende / article / 635934 / jedersoll-organspende-beschaeftigen.html (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 350  Kreß, in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 281, 286. 346  So



II. Ethische Vorfragen251

Fragen nach einer sublimen Nötigung der Bevölkerung durch staatlichen Paternalismus aufkommen. Durch die gesetzliche Prämisse, die Bereitschaft zur Organspende steigern zu wollen und diesbezüglich ausgerichteten Aufklärungsunterlagen, wird dem Bürger angetragen, sich mit seiner Spendebereitschaft und damit seinem eigenen Tod zumindest zu befassen. Um der Forderung den Stachel zu nehmen, bemüht sich das Gesetz um die Betonung der Ergebnisoffenheit der Aufklärungskampagnen und die Förderung einer unabhängigen Entscheidung (§ 1 Abs. 1 S. 3 TPG, § 2 Abs. 1 S. 2 TPG). Die Informationsmaterialen erläutern, dass es nicht auf das „Ja oder Nein“, sondern das „ob“ einer Entscheidung ankomme. Die Marschroute ist mit dem Ziel, die Bereitschaft zur Organspende zu erhöhen jedoch längst vorgegeben. Eine moralische Pflicht zur Organspende soll trotzdem nicht statuiert werden.351 Ginge es tatsächlich nur sachlich darum, den Bürger zu einer selbstbestimmten Entscheidung zu motivieren, träfe der Vorwurf der Propaganda einer moralischen Verpflichtung in der Tat nicht zu. Öffentliche Äußerungen erscheinen jedoch zuweilen grenzwertig, wenn etwa auf einem Werbeplakat prangert: „Ich gebe alles für Dich – und was gibst Du?“.352 In die Kategorie moralischer Pflichtensuggestion gehört auch die einschlägige Stellungnahme des Nationalen Ethikrats, der die Entscheidung für eine Organspende pauschal als die ethisch höherwertige bezeichnet.353 Die Spendebereitschaft wird gegenüber der Bevölkerung zunehmend als Akt der Mitmenschlichkeit, Solidarität und Nächstenliebe354 stilistisch akzentuiert; der Organspendegegner unterschwellig in der Folge gebrandmarkt als jemand, der seiner Beistandspflicht nicht nachkommt.355 Intendiert oder nicht; mit einer solchen öffentlichen Darstellung 351  Vgl. die Aussage der Parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, Annette Widmann-Mauz (CDU), im Zuge des TPG-Änderungsverfahrens, abrufbar unter http: /  / www.aerzteblatt.de / nachrichten / 43286 / Gesundheitsmi nisterium-Organspende-sollte-freiwillig-bleiben-keine-moralische-oder-rechtlichePflicht (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 352  Kritisch dazu Franke, in: Sterzik (Hrsg.), Zweites Leben, S. 61, 69, die solcherlei Vorgehen als moralische Nötigung bezeichnet. 353  Nationaler Ethikrat, Die Zahl Organspenden erhöhen, S. 39. 354  Kritisch zu der vorschnellen Erhöhung einer Tat als Akt der Nächstenliebe aus christlicher Sicht, Schröter, in: Sterzik (Hrsg.), Zweites Leben, S. 92 ff. Die hohe gesellschaftliche Anerkennung der Spende als bewundernswerten, altruistischen Akt zeigt sich aber fortwährend in der medialen Berichterstattung. Zuletzt beispielsweise in der Ehrung eines elfjährigen chinesischen Jungen, dessen letzter Wunsch es war, seine Organe zur Transplantation freizugeben, siehe dazu den Bericht aus der Welt vom 14.08.2014, abrufbar unter: http: /  / www.welt.de / vermischtes / article131216375 /  Die-letzte-Verneigung-vor-elfjaehrigem-Organspender.html (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 355  Joisten, in: Sterzik (Hrsg.), Zweites Leben, S. 70, 74.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

ist die Suggestion einer moralischen Erwartungshaltung für eine Entscheidung zur Organspende verbunden. Heteronomer Druck und die Verursachung eines schlechten Gewissens sind ihrerseits Übel, die einer ethischen Rechtfertigung bedürfen. Eine solche ist nur bei einem tatsächlichen Bestehen einer moralischen Handlungspflicht zugunsten der Organspende denkbar. Eine moralische Verpflichtung beschreibt das moralische Recht einer moral community, eine bestimmte Handlung von ihren Mitgliedern zu erwarten, dem dann diese Pflicht korrespondiert.356 Indem einige Autoren auf das durch die Organspende zu rettende menschliche Leben als universell akzeptierten Wert abstellen, postulieren sie das Bestehen einer solchen Verpflichtung.357 Aus dem breiten gesellschaftlichen Konsens, der eine billigende Inkaufnahme des Todes eines Menschen als verwerflich ansieht, wird gefolgert, dass die Lebensrettung und damit auch die Organspende eine moralische Pflicht sei.358 Wer aus der deskriptiven Feststellung, dass die Gesellschaft die Inkaufnahme des Todes eines anderen für moralisch verwerflich oder die Rettung eines Menschenlebens grundsätzlich für eine moralische Pflicht hält, die normative Feststellung ableitet, dass die Organspende eine moralische Pflicht ist, unterliegt jedoch einem naturalistischen Fehlschluss. Die Objektivität der Existenz einer solchen Pflicht, die manche öffentliche Äußerung suggeriert, muss verabschiedet werden.359 Zutreffend ist lediglich, dass sich die Anerkennung einer moralischen Pflicht zur Lebensrettung in der moral community bisher durchgesetzt und auf diese Weise Geltung erlangt hat. Natürlich könnte argumentiert werden, dass die Gesellschaft, wenn sie die Rettung von Menschenleben für eine moralische Pflicht hält aus Gründen logischer Konsistenz zugleich die Organspende für eine moralische Pflicht halten würde.360 Dies ist jedoch ersichtlich nicht flächendeckend der Fall. Wiederum ein breiter Konsens findet sich hingegen für die Überzeugung, dass jedem ein zu356  Fischer,

Bioethica Forum 50 (2006), S. 11 f. Birnbacher, Organtransplantation, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 13, 20. Seine lapidare Feststellung, dass dem Organspender kein „wie auch immer geartetes Risiko“ drohe, stellt aber eine höchst oberflächliche und daher, so pauschal formuliert, unrichtige Aussage dar. 358  Anschaulich zur Konstruktion dieser Pflicht Fischer, Bioethica Forum 50 (2006), S. 11 ff.; kritisch jedoch Hilpert, in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 145 ff., der sich insbesondere auch mit der Haltung der Kirchen auseinandersetzt, vgl. S. 150 ff. Zur moraltheologischen Diskussion vgl. ebenso Sautermeister, in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 158 ff. 359  Vgl. Fischer, Bioethica Forum 50 (2006), S. 11, 12. 360  Wiederum einem naturalistischen Fehlschluss erliegt derjenige, der behauptet, dass eine Gesellschaft, die eine Lebensrettung als moralische Pflicht ansieht, gleichzeitig die Organspende als moralische Verpflichtung ansehen sollte, vgl. Fischer, Bioethica Forum 50 (2006), S. 12. 357  So



II. Ethische Vorfragen253

mutbarer Beitrag zur Rettung des hohen Guts eines Menschenlebens abverlangt werden kann. Welcher exakt definierte Einsatz dem Einzelnen jedoch zugemutet werden darf ist ungeachtet der Anerkennung einer allgemeinen Hilfsverpflichtung umstritten. Weitgehende Einigkeit mag andererseits bei der Verurteilung einer Unterlassung der Beistandshandlung aus bloßer Indolenz bestehen. Darüber geht die Skepsis gegenüber der Organspende jedoch weit hinaus. Den individuellen Vorbehalten kann nicht abstrakt, sondern nur im konkreten Diskurs unter Beachtung der vielfältigen gesellschaftlichen sowie individuellen Dimensionen begegnet werden.361 Die handlungsentscheidenden Vorbehalte und Bedürfnisse der Skeptiker sind ernst zu nehmen. Das Prinzip der Selbstbestimmung hat in unserer Gesellschaft einen hohen Rang wie schon das Transplantationsgesetz beweist.362 Erst durch ihren persönlichen Entschluss kann eine Person ihre Autonomie gegenüber der moral community wahren und aus eigener Überzeugung, nicht aus Angst vor Missbilligung handeln. Eine Organspende aus Einsicht in die Bedeutung des geretteten Gutes zu befürworten, ist etwas anderes, als Organe aufgrund einer moralischen Pflicht freizugeben.363 Diese Einsicht zu fördern ist ein legitimes Ziel politischen Handelns. Die pauschale Behauptung, persönliche Bedenken gegen eine Spende hätten von vornherein kein annähernd gleiches Gewicht, fördert den individuellen Abwägungsprozess hingegen nicht. Es nützt dem Erfolg der Transplantationsmedizin nichts, die moralische Wertigkeit eines Verhaltens per se zu bewerten und die Relation zu den Umständen der Handlungssituation zu ignorieren.364 Gründe für eine Ablehnung sind ubiquitär. Sie sind keinesfalls ausschließlich religiös geprägter Natur. Einer Organspende zuzustimmen bedeutet gleichzeitig in eine medizinisch hochkontrollierte Form des Sterbens und des Todes einzuwilligen und den Hirntod als Todeszeitpunkt zu akzeptieren.365 Das Verlangen, „in Frieden zu sterben“, anstatt eine lebensverlängernde Intensivbehandlung zu dulden, ist weit verbreitet. Nicht selten wird zudem die Auseinandersetzung mit dem eigenen Sterbeprozess als psychisch zu belastend empfunden, um sich ihr zu stellen. Andere lehnen eine Organspende aus dem Respekt vor dem Wunsch der nahen Angehörigen ab. Es sind auch moralische Überlegungen im Hinblick auf einige Prämissen der medizini361  Vgl. Fischer, Bioethica Forum 50 (2006), S. 11, 13; Kersting, DZPhil 61 (2013), S. 139, 140. 362  Ach / Wiesing, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 139, 142. 363  Vgl. Fischer, Bioethica Forum 50 (2006), S. 11. 364  Kersting, DZPhil 61 (2013), S. 139, 140. 365  Tolmein, NJW aktuell 2011, S. 14; vgl. auch Hilpert, in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 145, 150.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

schen Ethik, dem Umgang mit Sterbenden und Toten sowie das Tötungsverbot, die zu einer überlegten Entscheidung gegen eine Spende führen können.366 Bei der Bewertung all dieser – legitimen – Überlegungen darf nicht vergessen werden, dass die Menschen auf der Warteliste nicht aufgrund des Spendermangels sterben, sondern aufgrund eines Organversagens.367 Vor diesem Hintergrund kann es keinen anderen Weg geben, als Menschen mit solchen Bedenken das Gut der Rettung von Menschenleben vor Augen zu führen und sie mit der Frage zu konfrontieren, ob sie angesichts der Bedeutung dieses Gutes ihre Vorbehalte zurückstellen wollen. Anstatt ein moralisches Pflichtenstatut zu installieren, sollte dem Einzelnen die ethische Wertigkeit einer Entscheidung für eine Spende einsichtig gemacht und als supererogatorische Handlung, die als solche nicht erwartet oder gefordert wird, angetragen werden. Wer sie vornimmt verdient besondere moralische Anerkennung, wer sie ablehnt darf jedoch nicht getadelt werden.368 Betrachtet man die Zielsetzung der Befürworter einer moralischen Verpflichtung und in ihren Dienst gestellte Aufklärungsbemühungen, wird offensichtlich, dass sie gegenüber dem Einzelnen moralischen Druck aufbauen wollen, um ihn zur Organspende zu motivieren. Dadurch wird jedoch riskiert, dass er in Unfreiheit aus Furcht vor Ausgrenzung entscheidet und nicht seiner eigenen Einsicht folgt. Er würde in der Folge für einen zweifellos guten Zweck moralisch instrumentalisiert und seiner Selbstbestimmung beraubt. Von einer ethischen Warte aus betrachtet, ist dieser Zweck keinesfalls geeignet, das Mittel der heteronomen Druckerzeugung zu heiligen. Eine solche läuft der Zielsetzung der Ethik, zu überzeugen und nicht zu zwingen, diametral zuwider. Sie kollidiert zudem mit dem normativen Fundament des modernen Staates, der Recht und Moral kategorial abgrenzt.369 Obschon moralische Überzeugungen auf die Rechtsschöpfungen einwirken, ist der Staat nicht befugt, die persönliche Gesinnung und Lebensanschauung des Men366  Eingehend dazu unter Auseinandersetzung mit dem ethischen Dilemma der Transplantationsmedizin siehe Bergmann, APuZ 2011, S. 10 ff.; zur Individualität der Lebensgeschichten und ihrer Signifikanz im Bewertungsprozess vgl. Joisten, in: Sterzik (Hrsg.), Zweites Leben, S. 70, 74 ff. Die Exzeptionalität der Entscheidung zur Organspende als höchst wünschenswerte, jedoch außergewöhnliche Handlung betont auch Heinrichs, in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 194 ff.; ähnlich Hilpert, in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 145, 149 f., 152 ff., der von einer supererogatorischen Handlung spricht. 367  Dies betont auch Hilpert, in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 145, 149. 368  Ebda., S. 145, 155. 369  Kreß, in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 281, 286; vgl. zur Abgrenzung zwischen dem das äußere Verhalten des Menschen regelnde Recht und der die Gesinnung der Menschen betreffenden Moral S. 180 ff.



II. Ethische Vorfragen255

schen zu beeinflussen oder gar maßgeblich zu prägen.370 Nur durch das wertfreie Angebot einer Unterstützung bei der „moralischen Selbstorien­ tierung“371 wird sowohl der Lebensrettung der Wartelistenkandidaten als auch dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen ausreichend Rechnung getragen. Dazu gehört eine Informationsaufbereitung, die es dem Einzelnen ermöglicht, zu einer „sachlich fundiert(en), persönlich authentisch(en) und subjektiv wohlerwogen(en)“372 Entscheidung zu gelangen.373 Diese Vorgehensweise verspricht zudem einen höheren Vertrauensgewinn in der Bevölkerung als die rhetorische Beschwörung einer moralischen Handlungspflicht im Sinne einer Vorwegnahme der erst nach einer persönlichen Abwägung zu treffenden Spendeentscheidung.374 6. Die gerechte Verteilung knapper Ressourcen in der Transplantationsmedizin In unserer Gesellschaft herrscht die Überzeugung vor, dass das Gesundheitswesen mit der Bekämpfung von Krankheit und Leid eine solidarische Aufgabe ist.375 Die Gemeinschaft ist im Angesicht von Ressourcenknappheit, wie sie im Bereich der Transplantationsmedizin herrscht, gezwungen, sich mit der ethisch aufgeladenen Frage der Verteilungsgerechtigkeit zu beschäftigen. Es können nur so viele Organe verteilt werden, wie gespendet wurden. Die Zahl der verfügbaren Organe unterschreitet den Bedarf bei Weitem. Es konkurrieren in aller Regel viele Aspiranten um ein einziges Organ. Aus diesem Grund hängt die Zuteilung an einen bestimmten Patienten nicht nur von der medizinischen Eignung des Empfängers sowie des Organs und dessen Kompatibilität mit dem jeweiligen Patienten ab, sondern wird vor allem von normativen Voraussetzungen determiniert. Sie stellt sich insbesondere als ethische Frage dar.376 Solange nicht genügend Spender­ Kreß, in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 281, 285 f. DZPhil 61 (2013), S. 139, 140. 372  Kreß, in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 281, 286. Ob eine solche Informationspolitik mit der heutigen Durchführung der Entscheidungslösung bereits etabliert ist, bedarf jedoch einer kritischen Überprüfung, siehe dazu S. 502 ff. 373  Zur Auseinandersetzung mit der staatlichen Aufklärung siehe im Teil Rechtspolitik S.  500 ff. 374  Laut Repräsentativbefragung der BZgA von 2015, S. 39 benannten tatsächlich 4 % der Befragten, die eine Organspende ablehnten, eine gefühlte Drucksituation als einen Grund für die Ablehnung. 375  Schöne-Seifert, ZEFQ 104 (2010), S. 360, 361; ähnlich Welti, MedR 2010, S. 379, 381. 376  Ach / Anderheiden / Quante, Ethik der Organtransplantation, S. 187; Gutmann /  Land, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 87, 91; Taupitz, NJW 2003, S. 1145, 1149. 370  Vgl.

371  Kersting,

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

organe zur Verfügung stehen, wird stets nur eine Art Verteilung möglich sein, die neben der Lebensrettung zugleich Todesurteile ausspricht. Aus Gerechtigkeitserwägungen heraus verlangt die Zuteilung des knappen Guts nach formalen und materiellen Kriterien (a)). Im Mittelpunkt steht die Festlegung einer strikten Rangfolge der Aspiranten durch Priorisierungsbestimmungen (b)).377 Die tatsächliche Gerechtigkeit der Allokationsentscheidung lässt sich anhand der ihr zugrunde gelegten ethischen Prinzipien bewerten. Ausgangspunkt der Betrachtung muss der moralische Anspruch eines jeden Patienten auf Hilfe sein.378 Rechtlich drückt sich dieser im durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip gewährleisteten derivativen Teilhabeanspruch des Bedürftigen an den vorhandenen medizinischen Ressourcen aus.379 Zu Gerechtigkeitsüberlegungen gehört zudem die Frage, ob eine Steigerung des Organaufkommens und damit die Rettung von Menschenleben über eine Kommerzialisierung des Organspendesektors gesucht werden sollte (c)). a) Grundlagen einer gerechten Organverteilung Nur ethisch einsichtige Gründe können das in Anbetracht des Mangeldilemmas gefühlte Unrecht mildern. Mit ihrer Überzeugungskraft hängt die Bereitschaft der Bevölkerung zur Organspende eng zusammen.380 Die Aufstellung eines angemessenen Verteilungssystems muss daher einen Schwerpunkt fortwährender öffentlicher und insbesondere politischer Diskussion ausmachen. Für eine angemessene Prioritätensetzung bedarf es der Erfüllung formaler und materieller Kriterien.381 Zunächst müssen daher, formal gesehen, Regeln 377  Ausführlich zur Rationierung und Priorisierung im Gesundheitswesen Oduncu, MedR 2012, S. 359 ff. sowie Welti, MedR 2010, S. 379 ff. 378  Sellmaier / Vossenkuhl, in: Oduncu / Schroth / Vossenkuhl (Hrsg.), Transplantation, S. 131, 137. 379  Zum Teilhabeanspruch siehe Bader, Organmangel und Organverteilung, S.  297 ff.; Dannecker / Streng, JZ 2012, S. 446; Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 43; Gutmann / Fateh-Moghadam, in: Gutmann /  Schneewind / Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen gerechter Organverteilung, S. 59, 68 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.) GG-Kommentar, Art. 2 Abs. 2 Rn. 96; Starck, in: Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 2 Rn. 211. 380  Häufigste Gründe für die Ablehnung einer Organspende sind laut Repräsentativbefragung der BZgA von 2015, S. 39 die Furcht vor einer missbräuchlichen Verwendung von Organen durch einen Organhandel sowie einer grundsätzlich ungerechten Verteilung (zusammen 23 % der Befragten, die eine Spende ablehnen). 381  Oduncu, MedR 2012, S. 359, 361; Ulrich, Durchbrechungen der Allokationskriterien des § 12 Abs. 3 TPG, S. 25 f. spricht insoweit von formaler und materieller Gerechtigkeit.



II. Ethische Vorfragen257

eingehalten werden, an denen die Entscheidung zu messen ist.382 Zur Bewältigung der Entscheidungsprozesse sind legitimierte Stellen zu bemühen.383 Die medizinische Wissenschaft ist mit der Erarbeitung sachgerechter Allokationsmodi überfordert. Die Ärzteschaft ist weder legitimiert noch kompetent normative Entscheidungen in Bezug auf eine Patientenauswahl zu treffen. In ihrer hippokratischen Tradition ist sie auf das individuelle Arzt-PatientenVerhältnis und nicht auf übergeordnete Verteilungsentscheidungen fokussiert.384 Medizinische Gründe, eine Heilbehandlung nicht vorzunehmen, gibt es nicht.385 Besondere Verantwortung trifft bei der grundrechtlich höchst wesentlichen Regelung der Verteilung lebenswichtiger Güter vielmehr das Parlament, das durch den Willen des Volkes zur Entscheidung berufen ist.386 Unabdingbar für die Wirkung der aufgestellten materiellen Kriterien sind neben der Legitimität weitere formale Aspekte wie Transparenz, Begründung, Konsistenz und Evidenzbasierung.387 Ihrer Erarbeitung muss daher eine öf382  Vgl. Quante, in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin, S. 101, 107 f.; Ulrich, Durchbrechungen der Allokationskriterien des § 12 Abs. 3 TPG, S. 25. 383  Zu fehlenden Legitimation und Kompetenz der medizinischen Wissenschaft in Bezug auf die Aufstellung von Allokationskriterien siehe schon Gutmann / Land, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 87, 89. 384  Ach / Wiesing, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 139, 141; Gutmann / Land, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 87, 89; ähnlich Kliemt, in: Nagel / Fuchs (Hrsg.), Rationalisierung und Rationierung im deutschen Gesundheitswesen, S. 262, 266; Ulrich, Durchbrechungen der Allokationskriterien des § 12 Abs. 3 TPG, S. 40 f.; Wiesing, in: Engels / Badura-Lotter / Schicktanz (Hrsg.), Neue Perspektiven der Transplantationsmedizin im interdisziplinären Dialog, S. 26, 27; Birnbacher, in: Brudermüller (Hrsg.), Angewandte Ethik und Medizin, S. 49, 59 spricht insofern von einer „frommen Lüge“, wenn behauptet wird, die medizinische Wissenschaft könne Verteilungskriterien vorgeben. 385  Luhmann, MMG 8 (1983), S. 168, 170; zustimmend Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 21; Gutmann / Land, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 87, 89; Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 30. 386  Zur Diskussion des Rückzugs staatlicher Stellen aus ihrer Entscheidungsverantwortung siehe vor allem die verfassungsrechtliche Bewertung der „Ersatzgesetzgeberschaft“ der BÄK, S. 351 ff. 387  Oduncu, MedR 2012, S. 359, 362; vgl. zum formellen Rahmen der Entscheidung auch Gutmann / Land, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 87, 114 ff. sowie Wiesing, in: Engels / Badura-Lotter / Schicktanz (Hrsg.), Neue Perspektiven der Transplantationsmedizin im interdisziplinären Dialog, S. 26, 30; siehe auch Birnbacher, in: Brudermüller (Hrsg.), Angewandte Ethik und Medizin, S. 49, 59, der vor allem Öffentlichkeit, Transparenz und Nachprüfbarkeit von Entscheidungen in den Vordergrund rückt sowie Rahmel, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 127, 130 ff., der von Objektivität, Reliabilität und Transparenz als maßgebliche Prinzipien eines Allokationssystems spricht.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

fentliche Debatte unter Einbeziehung ethischen als auch medizinischen Sachverstands vorausgehen, die das Fundament für eine wohl abgewogene Entscheidung der politischen Kräfte bildet.388 Abseits von der Frage, wer in welchem Verfahren über die genauen Vorgaben des Allokationssystems zu entscheiden hat, müssen ethisch gerechtfertigte materielle Priorisierungsmodi bestimmt werden, die inhaltliche Maßstäbe festlegen. Die Plausibilität der Vielzahl möglicher Kriterien hängt von der Plausibilität der ihnen zugrundeliegenden normativen Prämissen ab.389 Diese wiederum fügen sich in eine Werteordnung ein, die Prinzipien und Kriterien bereitstellt.390 Die Organallokation stellt dabei vor allem eine Frage distributiver Gerechtigkeit dar.391 Die Frage, worin Gerechtigkeit besteht, ist jedoch höchst umstritten.392 b) Relevante Priorisierungskriterien Bisher haben sich alle gängigen Gerechtigkeitstheorien für die Lösung des Problems einer konkreten Verteilungsentscheidung als zu wenig konkret erwiesen.393 Während etwa der Utilitarismus auf das größtmögliche Glück für die größtmögliche Masse der Gemeinschaftsmitglieder setzt, hebt der Egalitarismus konträr vor allem auf eine Gleichbehandlung, insbesondere auch die Chancengleichheit, der Betroffenen ab.394 Die relevanten Gerechtigkeitstheo388  Zu den Herausforderungen der Rechtspolitik in moralischen Fragen siehe bereits S. 190 ff. Speziell in Bezug auf das parlamentarische Verfahren bei der Entstehung der Entscheidungslösung zur Bekämpfung des Organmangels siehe S. 523 ff. 389  Gutmann / Land, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 87, 91. 390  Vgl. Quante, in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin, S. 101, 108.; Ulrich, Durchbrechungen der Allokationskriterien des § 12 Abs. 3 TPG, S.  25 f. 391  So schon Ulrich, Durchbrechungen der Allokationskriterien des § 12 Abs. 3 TPG, S. 26; zu den unterschiedlichen Gerechtigkeitsbegriffen im Zusammenhang mit der Organtransplantation Beckmann, in: Beckmann / Kirste / Schreiber (Hrsg.), Organtransplantation, S. 93, 118; Quante, in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin, S. 101, 108. 392  Vgl. nur Brech, Triage und Recht, S. 118 ff.; Höffe, DÄBl 95 (1998), A-202, 204. 393  Gutmann / Land, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 87, 105; Kliemt, in: Nagel / Fuchs (Hrsg.), Rationalisierung und Rationierung im deutschen Gesundheitswesen, S. 262; Quante, in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin, S. 101, 112; Schmidt, in: Engels / Badura-Lotter / Schicktanz (Hrsg.), Neue Perspektiven der Transplantationsmedizin im interdisziplinären Dialog, S. 35, 45; Ulrich, Durchbrechungen der Allokationskriterien des § 12 Abs. 3 TPG, S. 29. 394  Eine ausführliche Darstellung verschiedener Gerechtigkeitstheorien zur Verteilungsgerechtigkeit bietet Brech, Triage und Recht, S. 123 ff.



II. Ethische Vorfragen259

rien verfügen allesamt über eine gewisse, aber dennoch begrenzte Plausibilität.395 Die heutige Praxis der Organallokation wird in der Tat von verschiedenen Gerechtigkeitsideen bestimmt.396 Ein adäquates Verteilungssystem ist innerhalb einer pluralistischen Gesellschaft ohnehin nicht durch Extrempositionen umsetzbar. Es ist die Aufgabe der angewandten Ethik, eine Synthese der angeführten Kriterien zu finden, die dem Gerechtigkeitsempfinden jedes Einzelnen am ehesten gerecht wird und gleichsam eine eindeutige Ressourcenverteilung sicherstellt.397 Der sozial-ethische Rahmen der Verteilungsentscheidung wird in der hiesigen Werteordnung vor allem durch moralisch bedeutsame Prinzipien wie Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität bestimmt, die im Sozialstaatsprinzip verankert sind.398 Die konkrete Zuteilung muss nach objektiven, rationalen und nicht diskriminierenden Kriterien erfolgen.399 Die Menschenwürde garantiert jedem einen Anspruch auf soziale Gerechtigkeit, die sich in Chancengleichheit und Bedürfnisgerechtigkeit ausdrückt.400 Jedes menschliche Leben hat nach dem Prinzip der Lebenswertindifferenz unabhängig von seiner Qualität und Dauer den gleichen Wert. Nicht außer Acht gelassen werden darf zudem, dass die Verteilung knapper Ressourcen eine Verpflichtung nicht nur gegenüber dem Individuum, sondern auch gegenüber der Gemeinschaft bedeutet. Insofern darf eine gesamtgesellschaftliche Versorgung nicht aus dem Blick geraten. Materielle Verteilungskriterien finden ihre Berechtigung durch diese Prämissen, die in der hiesigen „verteilungsrechtlichen Kultur“401 einen gewissen Konsens gefunden haben. Daraus ergeben sich einige zwingend zu berücksichtigende Verteilungskriterien.

395  Brech, Triage und Recht, S. 136; Ulrich, Durchbrechungen der Allokationskriterien des § 12 Abs. 3 TPG, S. 32; vgl. ebenso Quante, in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin, S. 101, 109, der davon spricht, dass eine angemessene Ethik weder rein deontologisch, noch rein konsequentialisch sein könne. 396  Vgl. zur Einordnung bestimmter Allokationskriterien unter bestimmte Gerechtigkeitstheorien Ulrich, Durchbrechungen der Allokationskriterien des § 12 Abs. 3 TPG, S.  30 ff. 397  Birnbacher, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 13, 26; Brech, Triage und Recht, S. 137; Ulrich, Durchbrechungen der Allokationskriterien des § 12 Abs. 3 TPG, S. 33. 398  Vgl. allgemein zum sozial-ethischen Rahmen im Gesundheitswesen Oduncu, MedR 2012, S. 359, 362. 399  Ach / Anderheiden / Quante, Ethik der Organtransplantation, S. 172; Hohmann, Das Transplantationswesen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, S. 75. 400  Oduncu, MedR 2012, S. 359, 362; zur sozialen Gerechtigkeit vgl. auch Sommermann, in: Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 20 Rn. 103 ff. 401  Birnbacher, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 13, 26.

260

D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

Aufgrund der gleichen Achtung eines jeden Individuums muss der medizinischen Bedürftigkeit des Patienten eine elementare Bedeutung für die Verteilung knapper medizinischer Ressourcen zukommen. Innerhalb der Allokation von Organen spielt daher die Dringlichkeit der Transplantation eine wesentliche Rolle für die Zuteilungsentscheidung. Dieses Kriterium leitet sich unmittelbar aus der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), dem Lebensschutz (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) und dem Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 2 und 3 GG) ab.402 Das grundgesetzlich geprägte „Gerechtigkeitskriterium“ der Dringlichkeit erhält Konkurrenz durch das Bestreben einer Nutzenmaximierung im Sinne eines größtmöglichen medizinischen Nutzens für den potentiellen Empfängerkreis. Vertreter der konsequentialischen Moraltheorie des Utilitarismus halten eine Handlungsregel für geboten, deren Wirkungen für die Interessen aller Betroffenen möglichst optimal sind. Eine quantitative Gesundheitsmaximierung dient in diesem Sinne dem Ziel, die knappen Organe nicht zu „verschwenden“. Das effizienzgesteuerte Kriterium nimmt daher maßgeblich die Erfolgsaussichten einer Transplantation in den Blick. Abgestellt wird vor allem auf den aggregierten, individuellen gesundheitlichen Nutzen des Empfängers. Die Beschränkung auf unmittelbar patientenorientierte Interessen rührt aus dem weitgehenden Konsens, dass eine etwaige „soziale Wertigkeit“ des Bedürftigen nicht in die Allokationsentscheidung einbezogen werden darf.403 Als Indikator des angestrebten medizinischen Erfolgs des Individuums fungiert etwa das Kriterium der „Quality Of Adjusted Life Years“ (QUALYs), wonach die nach der Transplantation prognostizierte Lebenszeit des Empfängers mit dem Faktor der abstrakt festgelegten Lebensqualität multipliziert wird. Gegen dieses Konzept bestehen jedoch schwerwiegende Bedenken. Die Anwendung des QUALYs-Kriteriums kommt zu einer ethisch unerträglichen Bewertung des menschlichen Lebens, indem es alte, kranke und behinderte Patienten benachteiligt. Die Dauer einer menschlichen Existenz kann für seinen Schutz nicht entscheidend sein. Dies muss ebenso für dessen Lebensqualität gelten. Ohnehin ist der theoretische Ansatz einer Brechung von Lebenszeit und insbesondere der Lebensqualität verfehlt, da er verkennt, dass diese Komponenten an Individuen gebunden sind und folglich subjektiv empfunden werden.404 Ein so verstandenes Nutzenprinzip als 402  Zum Bedürftigkeitskriterium siehe Gutmann / Land, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), S. 87, 95 f.; Oduncu, MedR 2012, S. 359, 363. 403  Gegen die Einbeziehung eines „Social Worth“ aus ethischen Gründen mit einer ausführlichen Analyse und m. w. N. schon Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 423 ff.; dagegen auch Gutmann / Land, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), S. 87, 92. 404  Zur ethischen Kritik am QUALYs-Kriterium siehe ausführlich Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 447 ff.; gegen eine Allokation gemäß diesem Prinzip



II. Ethische Vorfragen261

Grundlage der bei der Organallokation zu berücksichtigenden Erfolgsaussicht ist mit der hiesigen Werteordnung unvereinbar. Aus rechtlicher Per­spektive verstößt der Ansatz gegen das Prinzip der Lebenswertindifferenz des Grundgesetzes. Dennoch ist die moralische Intuition nicht blind gegenüber Nutzenerwägungen. Das Ziel, knappe Ressourcen nicht zu verschwenden, beansprucht eine unbestreitbare Plausibilität.405 Effizienzgesichtspunkten darf daher nicht von vornherein ein „moralischer Riegel“ vorgeschoben werden. Niemand wird sich der Erkenntnis verschließen, dass die Rettung jeder Person für sich wertvoll ist und aus diesem Grund die Rettung so vieler Menschen wie möglich erstrebenswert erscheint.406 Im Hinblick auf eine Maximierung der geretteten Leben können Effizienzgesichtspunkte daher nicht unberücksichtigt bleiben. Sie zum alleinigen Dogma zu erklären, führt jedoch nur tiefer ins moralische Dilemma. Vielmehr müssen sie mit den Aspekten der individuellen Dringlichkeit in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden. Diese Balance ist unter Beachtung der bereits aufgestellten formalen Kriterien durch den Erlass von rechtlich verbindlichen Regelungen herzustellen.407 Als zusätzliches Gerechtigkeitskriterium haben die materiellen Kriterien der Verteilung die chancengleiche Teilhabe eines jeden Bedürftigen sicherzustellen. Berücksichtigung findet diese unter anderem durch die Einbeziehung der Wartezeit in die Zuteilungsentscheidung. Ihr wohnt ein „Verdienst“-Gedanke inne. In einer konkreten Abwägung gegenüber der Dringlichkeit in Gestalt einer unmittelbaren Lebensgefahr wird die Berücksichtigung der Wartezeit jedoch zurücktreten müssen. Durch das Warten kann sich niemand das Leben mehr verdienen.408 Dem Gleichheitsaspekt zugrunde liegt ebenfalls der Ausgleich von einer statistisch geringeren Chance, ein Organ zu erhalten. Benachteiligt sind beispielsweise Patienten bestimmter Blutgruppen oder mit genetisch seltenen Gewebemerkmalen. Dieser biologische Zufall verlangt nach ausgleichender Gerechtigkeit. Er kann nicht durch eine „natürauch Gutmann / Land, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 87, 93 f.; allgemein zum Prinzip der Nutzenmaximierung vgl. ebda. S. 90 ff. 405  Eine „gewisse Anfangsplausibilität“ räumen auch ein Gutmann / Land, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 87, 92. 406  Eingehend dazu Harris, Der Wert des Lebens, S. 52 f.; auch Gutmann / Land, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 87, 95 f. stellen die Forderung bei der Allokation lebensrettender Ressourcen die Zahl der geretteten Leben (und nicht der Lebensjahre) zu optimieren. 407  Auf die mit der Herstellung des Ausgleichs verbundenen verfassungsrechtlichen Problemstellungen wird noch einzugehen sein. Siehe zur Berücksichtigung des Effizienzgedankens innerhalb des Verteilungskriteriums „Erfolgsaussicht“ S. 433 ff. 408  Zu den Überlegungen zur Wartezeit siehe Gutmann / Land, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 87, 97.

262

D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

liche Lotterie“ gerechtfertigt werden. Diese Sichtweise würde innerhalb des gesamten Gesundheitssystems zu einer untragbaren Benachteiligung von Menschen mit genetisch bedingten Krankheiten oder Behinderungen führen.409 Während über die Berücksichtigung der vorstehenden Allokationskriterien weitgehende Einigkeit besteht, gilt dieser Konsens nicht für die genaue Gewichtung der für relevant gehaltenen Verteilungsmerkmale.410 Mit dieser Frage soll sich vor allem innerhalb der rechtlichen Bewertung des geltenden Allokationssystems und einer diesbezüglichen rechtspolitischen Regelungsempfehlung auseinandergesetzt werden.411 c) Exkurs: Kommerzialisierung des Transplantationssystems Vor dem Hintergrund des Organmangels muss sich die Gesellschaft auch Diskussionen im Hinblick auf eine mögliche Kommerzialisierung des Transplantationssystems stellen. Ein Tabuthema ist die Forderung von Gegenleistungen schon seit geraumer Zeit nicht mehr. Der anhaltende Organmangel verurteilt jeden Tag Menschen zum Tode, sodass die Fragen nach der Eta­ blierung eines legalen Marktes bei der Lebendspende (aa) oder von Anreizmodellen im postmortalen Bereich (bb)) in der Debatte um die Steigerung der Spenderrate omnipräsent sind. Das Thema der Kommerzialisierung löst enorme Kontroversen aus. Befürworter etwa eines „Organmarktes“ sagen eine enorme Steigerung des Organangebots voraus, während Skeptiker den Untergang des gesellschaftlichen Solidaritätsprinzips vorhersehen (cc)).412

409  Zum

Benachteiligungsausgleich siehe ebda., S. 87, 97 f. in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 13,

410  Birnbacher,

26.

411  Zur verfassungsrechtlichen Analyse des Verteilungssystems in der Bundesrepublik siehe S. 423 ff.; für einen rechtspolitischen Ausblick siehe S. 575 ff. 412  Aufgeschlossen etwa Aumann / Gaertner, in: Breyer / Engelhard (Hrsg.), Anreize zur Organspende, S. 59 ff.; Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel, S.  131 ff.; Schröder, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S.  175 ff.; Schroth, in: Gutmann / Schneewind / Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen gerechter Organverteilung, S. 115 ff.; ders. in: Becchi / Bondolfi / Kostka u. a. (Hrsg.), Die Zukunft der Transplantation von Zellen, Geweben und Organen, S. 109 ff.; zumindest dringenden Diskussionsbedarf sehen Thanner / Nagel, in: Charbonnier / Laube (Hrsg.), Organ- und Gewebetransplantation, S. 59, 62 ff.; skeptisch jedoch Beckmann, in: Charbonnier / Laube (Hrsg.), Organ- und Gewebetransplantation, S. 47 ff.; ders., in: ders. / Kirste / Schreiber (Hrsg.), Organtransplantation, S. 93, 124 ff.; ders., ZME 58 (2012), S.  149 ff.; Feyerabend, in: Charbonnier / Laube (Hrsg.), Organ- und Gewebetransplantation, S.  101 ff.; Schneider, in: Oduncu / Schroth / Vossenkuhl (Hrsg.), Transplantation, S.  189 ff.; dies., APuZ 20–21 (2011), S. 28 ff.



II. Ethische Vorfragen263

Teilweise wird bei einem Verkauf von Körperteilen sogar ein Verstoß gegen die Menschenwürde angenommen.413 aa) Ein Markt für Organe? Besondere Virulenz erhält die Debatte im Rahmen von Lebendspenden. Befürworter von Marktstrukturen stellen zunächst auf die grundgesetzlich verbürgte Handlungsautonomie der Individuen ab, die es diesen grundsätzlich gestatte, Organe zu verkaufen oder zu kaufen und geißeln Verbote als staatlichen Paternalismus.414 Entgegen dieser These wurde in Deutschland ein Organhandelverbot in den §§ 17, 18 TPG normiert.415 Gegen eine Schaffung von Verkaufs- und Kaufstrukturen werden schwerwiegende ethische Bedenken geltend gemacht. Ausbeutung ist auf beiden Seiten – beim Verkäufer sowie beim Erwerber – denkbar. So erscheint es möglich, dass ein lebensbedrohlich erkrankter Patient bewuchert wird, ebenso wie, dass ein in finanzielle Engpässe geratener Verkäufer keine freie Entscheidungsfähigkeit mehr innehat. Blicke richten sich hier vor allem auf die Armutssituation in der Dritten Welt, die für eine Ausbeutung geradezu prädestiniert erscheint. Besorgniserregend wäre zudem eine Privilegierung finanziell besser gestellter Bedürftiger, die eher in der Lage wären, ein (brauchbares) Organ zu erwerben.416 413  Vgl. BT-Drs. 13 / 4355; siehe auch LSG Niedersachsen, Urt. v. 30.08.1995  – L 4 Kr 256 / 93; Sasse, Zivil- und strafrechtliche Aspekte zur Veräußerung von Organen Verstorbener und Lebender, S. 93 ff.; kritisch dazu aber Beckmann, in: ders. /  Kirste / Schreiber (Hrsg.), Organtransplantation, S. 93, 130; Böhnke, Die Kommerzialisierung der Gewebespende, S. 138; Schroth, in: Gutmann / Schneewind / Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen gerechter Organverteilung, S. 115, 129 f.; ders., in: Becchi / Bondolfi / Kostka u. a. (Hrsg.), Die Zukunft der Transplantation von Zellen, Geweben und Organen, S. 109, 114 f.; Wille, Die Organknappheit im Spannungsverhältnis zwischen Sozialpflicht und Selbstbestimmung, S. 108 ff. 414  Vgl. Aumann / Gaertner, in: Breyer / Engelhard (Hrsg.), Anreize zur Organspende, S. 59, 60 ff.; Schroth, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S.  159 ff.; ders., in: Becchi / Bondolfi / Kostka u. a. (Hrsg.), Die Zukunft der Transplantation von Zellen, Geweben und Organen, S. 109, 115, 122; Schneider, in: Oduncu / Schroth / Vossenkuhl (Hrsg.), Transplantation, S. 189, 195 ff.; dies., APuZ 20–21 (2011), S. 28. 415  Zur Kritik an der Gestaltung der Normen zum Organhandelsverbot siehe Schroth, in: Becchi / Bondolfi / Kostka u. a. (Hrsg.), Die Zukunft der Transplantation von Zellen, Geweben und Organen, S. 109 ff.; näher zu den geschützten Rechtsgütern siehe auch Schulte, Die Rechtsgüter des strafbewehrten Organhandelsverbotes. 416  Vgl. zur Diskussion der Freiwilligkeit der Entscheidung sowie Ausbeutungsgefahr Beckmann, in: ders. / Kirste / Schreiber (Hrsg.), Organtransplantation, S. 93, 128 f.; Schröder, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 175, 176; Schroth, in: Becchi / Bondolfi / Kostka u. a. (Hrsg.), Die Zukunft der Transplantation von Zellen, Geweben und Organen, S. 109 ff.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

Befürworter der Marktlösung wollen derartige Vorbehalte über die staat­ liche Regulierung des Marktes lösen. Der Kauf könne etwa über die Krankenkassen und privaten Krankenversicherungen oder staatliche Stellen abgewickelt werden, die dann auch die Gegenleistung erbringen würden.417 Zur Vermeidung von Ausbeutungssituationen finanziell Notleidender würden Kommissionen eingerichtet, die einen geplanten Organverkauf zu konsentieren hätten.418 Diese müssten insbesondere eine Aufklärung und nicht unverhältnismäßige gesundheitliche Gefährdung des Spendewilligen sicherstellen sowie die Freiwilligkeit seiner Entscheidung überprüfen.419 Ob ein regulierter Markt wirklich einen sinnvollen Ausweg darstellt, erscheint fraglich. Schon an der These, dass die Freiheit der am Markt Beteiligten wirklich mit ausreichender Sicherheit festgestellt werden kann, darf ernsthaft gezweifelt werden. Die Drucksituation auf die Dritte Welt würde steigen, wollte man einen Organkauf nicht auf hiesiges Gebiet begrenzen. Eine Sicherstellung einer dauerhaften medizinischen Betreuung für die Betroffenen scheint Illusion. Aber auch bei der Eingrenzung des Kaufgebiets auf die Bundesrepublik stellt sich die Frage, wer ein Organ, wenn nicht aus finanzieller Not heraus, verkaufen würde.420 Würde die soziale Unterschicht zu einer „Organbank“ für die Gesellschaft werden, läge hierin eine ethisch keinesfalls rechtfertigungsfähige soziale Schieflage.421 Der Deutsche Ärztetag hat die Einführung von Marktstrukturen sowie Kommerzialisierungsmechanismen insgesamt nicht nur aus diesem Grund bisher abgelehnt. Er verweist auf die Tatsache, dass durch die Ökonomisierung des Transplantationsgeschehens, auch bei der Totenspende, essentielle Werte wie das Solidaritätsprinzip und das ärztlichen Ethos geopfert würden, ohne dass eine Steigerung der Organspenderrate sicher prognostiziert werden könne. Tatsächlich muss befürchtet werden, dass sich das Spendeverhalten 417  Vgl. Aumann / Gaertner, in: Breyer / Engelhard (Hrsg.), Anreize zur Organspende, S. 59, 64 f.; Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel, S. 127 ff., 138 f.; Schröder, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 175, 178. Ausführlich zu den Möglichkeiten und Grenzen eines regulierten Marktes mit staatlichen Ankaufmöglichkeiten Breyer, ZME 48 (2002), S. 111 ff. 418  Vgl. etwa Schröder, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 175, 177, der von einer Gutachterstelle spricht, die Spender und Empfänger hören und das Entgelt betreuen soll. 419  Zu den Voraussetzungen vgl. Schmidt, in: Engels / Badura-Lotter / Schicktanz (Hrsg.), Neue Perspektiven der Transplantationsmedizin im interdisziplinären Dialog, S.  35, 48 f. 420  Skeptisch im Hinblick auf die vorstehenden Punkte schon Beckmann, ZME 58 (2012), S. 149, 154 f.; Feyerabend, in: Charbonnier / Laube (Hrsg.), Organ- und Gewebetransplantation, S. 101, 107; Schneider, in: Oduncu / Schroth / Vossenkuhl (Hrsg.), Transplantation, S. 189, 201; dies., APuZ 20–21 (2011), S. 28, 32 f. 421  Schneider, APuZ 20–21 (2011), S. 28, 31.



II. Ethische Vorfragen265

der Bevölkerung grundlegend ändert – weg von altruistischen Überlegungen hin zur Gewinnerzielungsabsicht. Damit würde einer Entsolidarisierung der Gesellschaft Tür und Tor geöffnet. Im Zweifel gäbe es wenig zu gewinnen, aber viel zu verlieren.422 Diese Ansicht hat sich bisher als die international herrschende Handhabe durchgesetzt. Die europäische RL  2010 / 45 / EU hält in Art. 13 Abs. 4 (Grundsätze der Organspende) die Mitgliedstaaten dazu an, sicherzustellen, dass die Bereitstellung von Organen auf nichtkommerzieller Grundlage erfolgt, womit sie auch die Totenspende einbezieht. Auch der Weltärztebund spricht sich gegen den Organhandel aus.423 bb) Kommerzialisierung der Totenspende Vermehrt im Bereich der postmortalen Organspende sind in jüngster Zeit ernsthafte Kommerzialisierungsüberlegungen angestellt worden, die zu einer Steigerung der gespendeten Organe führen sollen.424 Gezielte Anreize könnten dazu beitragen, dass die Motivation zur Spende steigt. Die Grundhaltung zur Organspende ist in Deutschland positiv. Allerdings verfügen nicht alle Menschen mit dieser Einstellung über einen Organspendeausweis. Ein Ansporn zur Abgabe einer Erklärung könnte daher dem schon vorhandenen „stillen Willen“ des Bürgers zur tatsächlichen Geltung verhelfen, indem der Einzelne motiviert würde, eine etwaig vorhandene Trägheit zu überwinden. Die Aussicht auf einen eigenen Vorteil könnte mehr Erfolg versprechen, als an Altruismus und Solidarität appellierende Aufklärungskampagnen. Ebenso wie bei der Lebendspende ist der „Verkauf“ eines Organs im Gespräch. Er könnte über den Organspender durch eine Verfügung zu Lebzeiten oder die Angehörigen erfolgen. Diskutiert werden etwa eine geldwerte Entschädigung, beispielsweise in Form von Gutscheinen oder der Reduktion von Krankenkassenbeiträgen bzw. Steuern für erklärte Organspender, von denen dieser zu Lebzeiten profitieren könnte. Genauso werden Vorteile für 422  Beschlussprotokoll 110. Deutscher Ärztetag, S. 10; dagegen halten Nagel / Alber, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 227, 232 f. die Stellungnahme des Ärztetags für nicht befriedigend und plädieren für eine weiterführende ethische Diskussion. Kritisch zur Einführung von Marktstrukturen aber auch Beckmann, in: Charbonnier / Laube (Hrsg.), Organ- und Gewebetransplantation, S. 47, 56 ff.; ders., ZME 58 (2012), S. 149, 153 ff.; Schneider, in: Oduncu / Schroth / Vossenkuhl (Hrsg.), Transplantation, S. 189, 195 ff. 423  Vgl. Merten, DÄBl 104 (2007), A-1471. 424  Ausführlich zur „belohnten Spendebereitschaft“ bei der postmortalen Organspende Buyx, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 117 ff.; für die Einführung eines Belohnungsmodells vor allem bei der Gewebespende Böhnke, Die Kommerzialisierung der Gewebespende, S. 87 ff.; in Richtung der Kommerzialisierung der Gewebespende auch Fröhlich, Die Kommerzialisierung von menschlichem Gewebe, S. 265 ff.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

die Angehörigen diskutiert, beispielsweise durch die Übernahme eines Teils der Beerdigungskosten des Spenders oder sogar die Auszahlung einer Art „Lebensversicherungsprämie“.425 Eingewendet wird an dieser Stelle, dass solche Anreize besonders für ärmere Spender attraktiv seien. Allerdings stellt sich dieses Problem nicht nur innerhalb der Organspende.426 Die ungleiche Vermögensverteilung in der Gesellschaft führt insgesamt zu ungleichen Ausgangspositionen, die nicht ausgeglichen werden. Solange der Anreiz in seiner Art und Wertigkeit nicht die Gefahr der Determinierung der Freiwilligkeit der Entscheidung in sich trägt, ist die Selbstbestimmung des Einzelnen nicht übermäßig beeinträchtigt. Befürworter von Anreizen bringen sogar ins Spiel, dass eine Entschädigung für erklärte Organspender Gerechtigkeit erst herstellen würde, wo doch die Transplantationsmedizin und das Gesundheitswesen schon längst finanziell profitieren würden.427 Läge die Entscheidung über eine Spende allerdings bei profitierenden Angehörigen, könnte dies auf eine Missachtung des (mutmaßlichen) Willens des Verstorbenen hinauslaufen.428 Einbußen an der Freiwilligkeit einer Spende dürfen jedoch nicht in Kauf genommen werden. Zwar kann im Bereich der postmortalen Organspende nicht von einer Selbstgefährdung oder Selbstschädigung des Spenders gesprochen werden, doch lässt sich auch das Risiko eines tatsächlichen oder moralischen Drucks, etwa bei einer finanziellen Zuwendung an die Erben, nicht leugnen.429 Allerdings hat der Gesetzgeber dem Erblasser allgemein eigenständige Verfügungen auch angesichts vielfältiger Druckoptionen bewusst überlassen und diese hingenommen.430 Im Fall der Reduktion der Krankenkassenbeiträge bestünde das Problem des Widerrufsrechts des erklärten Organspenders, auf das aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht verzichtet werden kann. Die Krankenkassen wären an dieser 425  Vgl. zu den verschiedenen Anreizmöglichkeiten Thiel, in: Breyer / Engelhard (Hrsg.), Anreize zur Organspende, S. 127, 130; Breyer, ZME 48 (2002), S. 111 ff.; Buyx, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S.  117 ff.; Schneider, in: Oduncu / Schroth / Vossenkuhl (Hrsg.), Transplantation, S.  189 ff.; Schroth, in: Becchi / Bondolfi / Kostka u. a. (Hrsg.), Die Zukunft der Transplantation von Zellen, Geweben und Organen, S. 109, 119. 426  Auch bei der Blutspende etwa wird dem Spender gem. § 10 Abs. 1 TFG regelmäßig eine Entschädigung gezahlt, die dazu in der Lage ist, ärmere Menschen zu einer Spende zu bewegen. 427  Vgl. dazu Buyx, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 117, 125. 428  Schroth, in: Gutmann / Schneewind / Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen gerechter Organverteilung, S. 115; ders., in: Becchi / Bondolfi / Kostka u. a. (Hrsg.), Die Zukunft der Transplantation von Zellen, Geweben und Organen, S. 109. 429  Beckmann, ZME 58 (2012), S. 149, 155. 430  Wille, Die Organknappheit im Spannungsverhältnis zwischen Sozialpflicht und Selbstbestimmung, S. 120.



II. Ethische Vorfragen267

Stelle der Willkür des möglichen Spenders ausgeliefert.431 Dies stellt die Praktikabilität aller Anreizmechanismen in Frage, die sich mit einem mög­ lichen späteren Widerspruch konfrontiert sehen. Bei Vorteilen, die sich dauerhaft aktualisieren, dürfte die Motivation zur Zurückziehung der Bereitschaftserklärung aufgrund eines Trittbrettfahrerverhaltens jedoch eher gering sein.432 Ein Sinneswandel lässt sich dennoch niemals ausschließen. Ein solcher müsste bereits bei der Einführung von Belohnungen jeglicher Art einkalkuliert werden. cc) „Verkauf“ der Nächstenliebe? Trotz der Hoffnung, durch kommerzielle Anreize die Organspenderrate steigern zu können, sind mögliche kontraproduktive Wirkungen finanzieller Vergütungen nicht von der Hand zu weisen.433 Die Realisierung von negativen Auswirkungen auf die Spendebereitschaft in der hiesigen kulturell-moralischen Tradition ist ein nicht fernliegendes Szenario. Eine einmal eingeführte Systemänderung könnte einen bleibenden Schaden anrichten, der nicht wiedergutzumachen ist. Bisher basierte die Organspende auf einem freiwilligen, altruistischen Akt der Solidarität mit erkrankten Mitmenschen. Dieses Ethos würde die Spendeerklärung verlieren, würden kommerzielle Anreize gesetzt. Das Prinzip der Nächstenliebe würde gewissermaßen verkauft und auf dem Altar der Organakquise geopfert. Das gilt auch, wenn die Gegenleistung, wie etwa die Reduktion des Kassenbeitrags, wirtschaftlich nicht so nennenswert ausfallen würde, dass die Spendeerklärung als Bereicherungsabsicht erscheint; der Ruf der Organspende wäre dennoch ein anderer. Das könnte gerade bei einer eher geringen Gegenleistung für die Spendeerklärung fatale Auswirkungen haben. Würde die intrinsische Motivation des Einzelnen sinken, ohne dass diese ausreichend durch einen anderen Anreiz ausgeglichen würde, liegt es nahe, dass am Ende noch weniger Organe zur Verfügung 431  Schroth, in: Becchi / Bondolfi / Kostka u. a. (Hrsg.), Die Zukunft der Transplantation von Zellen, Geweben und Organen, S. 109, 119. 432  Buyx, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 117, 126. 433  Dazu Bader, Organmangel und Organverteilung, S.  68; Beckmann, in: ders. / Kirste / Schreiber (Hrsg.), Organtransplantation, S. 93, 131 ff.; Schneider, in: Oduncu / Schroth / Vossenkuhl (Hrsg.), Transplantation, S. 189, 203 f. Weniger skeptisch in Bezug auf negative Wirkungen hingegen Schroth, in: Becchi / Bondolfi / Kostka u. a. (Hrsg.), Die Zukunft der Transplantation von Zellen, Geweben und Organen, S. 109, 121. Dennoch räumt auch er ein, dass bei einer Kommerzialisierung anstelle solidarischen Denkens, das Interesse treten würde die eigene finanzielle Situation zu verbessern, Schroth, in: Gutmann / Schneewind / Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen gerechter Organverteilung, S. 115.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

stehen als bisher.434 Ebenso ist denkbar, dass die Ressentiments gegenüber der Organspende bei bedeutsameren Anreizen zunehmen würden.435 Insbesondere in von Transplantationsskandalen überschatteten Zeiten liegt die Gefahr eines weiteren Ansehens- und Vertrauensverlusts nicht fern. Es darf nicht vergessen werden, dass sich das Transplantationsgeschehen für die Beteiligten als eine emotionale Angelegenheit darstellt. Eine Kommerzialisierung könnte sich daher vor allem negativ auf die Angehörigenentscheidungen auswirken, die momentan maßgeblich zur Organversorgung beitragen. Ihnen könnte der Gedanke von Organen als „monetarisierbarer Teil der Erbschaft“436 zuwider sein. Würden jedoch durch kommerzielle Anreize erklärte Spender gewonnen, bedürfte es dieser subsidiären Entscheidung gar nicht mehr. „Gemischte Motivationen“ altruistischer und finanzieller Art sind bereits aus dem Bereich der wohltätigen Spenden bekannt, die sich steuerlich absetzen lassen.437 Ein Funktionieren des Systems ist damit keinesfalls ausgeschlossen. Die Kommerzialisierung des Transplantationssystems bedeutet jedoch im Gegensatz zum monetären Spendensystem gleichzeitig eine Art „Profanisierung“ des menschlichen Körpers. Diese ist durch die Verwertung von Teilen des menschlichen Organismus, etwa in Arzneimitteln, bereits gesellschaftlich etabliert.438 Neben praktischen Umsetzungsschwierigkeiten der Einführung einer „gefahrlosen“ Kommerzialisierung der Spende durch die Sicherstellung von Grundrechtsgewährleistungen und Verhinderung von Dammbrüchen stellt sich die ethische Frage, ob wir in einer Gesellschaft leben wollen, die nun auch noch Organe zu einem veräußerlichen Gut macht. Argumente für beide Seiten wiegen schwer. Ein offener Diskurs darf daher nicht gescheut werden, zumal eine rein „emotionale Abwehr“439 gegen Kommerzialisie434  Diese Befürchtung teilen auch Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel, S. 136 f. unter Hinweis auf eine Studie zur Blutspende, die genau diesen Effekt mit sich gebracht hätte. Drauf verweisen auch Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 68 sowie Nitsche, Politik und Organspende, S. 50. 435  Diese Gefahr sieht auch Beckmann, ZME 58 (2012), S. 149, 156; ähnlich auch Schneider, APuZ 20-21 (2011), S. 28, 29. 436  Schneider, in: Oduncu / Schroth / Vossenkuhl (Hrsg.), Transplantation, S. 189, 193; ähnlich Thiel, in: Breyer / Engelhard (Hrsg.), Anreize zur Organspende, S. 127, 130. 437  Buyx, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 117, 127. 438  Vgl. Feyerabend, in: Charbonnier / Laube (Hrsg.), Organ- und Gewebetransplantation, S. 101, 104; Schroth, in: Gutmann / Schneewind / Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen gerechter Organverteilung, S. 115, 120; kritisch zur Kommerzialisierung des menschlichen Körpers aufgrund seines intrinsischen Wertes Beckmann, ZME 58 (2012), S. 149, 150 ff. 439  So formulieren Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel, S. 139.



II. Ethische Vorfragen269

rungsvorschläge nicht tragfähig ist. Wo eine Gesellschaft die Grenze unveräußerlicher Dinge sieht, kann nur sie selbst immer wieder aufs Neue beantworten. Vor dem Hintergrund der fundamentalen Wertentscheidungen des Grundgesetzes dürfen Grundrechtsgewährleistungen, wie das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit als auch die Entscheidungs- und Handlungsautonomie sowie die postmortalen Persönlichkeitsrechte, nicht außer Acht gelassen werden. Die moralische und rechtliche Debatte darf nicht durch eine ökonomische verdrängt werden. dd) Fazit Unbestreitbar ist es die ethische Pflicht einer auf Solidarität angelegten Gesellschaft, den vermeidbaren Tod von Kranken zu verhindern – wenn auch nicht mit allen Mitteln.440 Im postmortalen Bereich besteht eine nicht unbegründete Hoffnung, dass Anreizsysteme zu einer Verminderung des Organmangels beitragen würden, ohne dass die vielfach beschworenen Szenarien eines ausbeuterischen „Lebendspendemarktes“ zu befürchten wären. Moderaten Anreizen zur Organspende nach dem Tod wohnt daher ein gewisser Charme inne. Sie könnten eine wertvolle Motivation zur Überwindung vielfach vorhandener Trägheit bedeuten, ohne die Freiwilligkeit einer Entscheidung in Frage zu stellen. Ein befürchteter Dammbruch könnte bei der sorgsamen Auswahl des Anstoßes vermieden werden wie die bereits „belohnte“ Blutspende belegt. Ohne eine umfassende Risikoabwägung sind die prognostizierten Vorteile von Kommerzialisierungsbestrebungen insgesamt dennoch mit Vorsicht zu genießen. Vor der Einführung jeglicher Anreizsysteme sind deren Auswirkungen durch empirische Versuche sorgfältig zu prüfen.441 In den USA jedenfalls können diejenigen Bundesländer, die finanzielle „Wertschätzungen“ vergeben, keine höhere Organspendebereitschaft vermelden.442 Dies dürfte auch ein wichtiger Grund sein, warum die Kommerzialisierung der Organspende zurzeit nicht ernsthaft auf politischem Parkett diskutiert wird. Mode440  Ebda., S. 128 sprechen davon, dass man es den Kranken schulde, sich mit allen Möglichkeiten der Hilfe auseinanderzusetzen. 441  Dies verlangt schon Buyx, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 117, 130 f. Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 68 f. und Wille, Die Organknappheit im Spannungsverhältnis zwischen Sozialpflicht und Selbstbestimmung, S. 129 f. bezweifeln ob Anreizmodelle überhaupt wesentliche Auswirkungen auf die Spendebereitschaft hätten. Negative Auswirkungen fürchtet Prottas, Buying human organs, Transplantation 53 (1992), S.  1371 ff. 442  Vgl. Wellington / Sayre, An evaluation of financial incentive policies for organ donations in the United States, Contemporary Economic Policy 29 (2011), S. 1 ff.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

rate Anreizmodelle könnten jedoch alsbald „hoffähig“ werden. Sollte die 2012 eingeführte Entscheidungslösung443 am Spendermangel nichts ändern, werden solche Motivationsmodelle sicherlich mittelfristig zunehmend in der Politik diskutiert. Sollen Anreizsysteme tatsächlich etabliert werden, müssen die Aufklärung des Einzelnen und seine mündige, freiwillige Entscheidung im Vordergrund stehen. Gegenüber weitgehenden Kommerzialisierungsgedanken, über moderate Anstöße hinaus, ist Skepsis angebracht; eine Organbeschaffung mit allen Mitteln darf es, auch zur Rettung Schwerkranker, nicht geben. Im Vordergrund eines legitimen Transplantationssystems muss der Grundrechtsschutz aller Beteiligten stehen. Schließlich hat der Mensch nach dem hiesigen Moralverständnis immer noch einen Wert und keinen Preis.444

III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen Nach der Betrachtung einiger ethischer Schwerpunkte im Bereich des Transplantationswesens soll sich den verfassungsrechtlichen Diskussionen gewidmet werden. Die fortschreitende medizinische Horizonterweiterung wirft beständig neue Fragen über die Regelungsmacht des Gesetzgebers und seinen verfassungsrechtlichen Grenzlinien auf. Dieser befindet sich im Angesicht der Entwicklungsrasanz des medizinischen Sektors immer öfter in Zugzwang, den Fortschritt mit angemessenen rechtlichen Regelungen zu begleiten. Zugleich sieht er sich dem Anspruch ausgesetzt, seine Normierungen revisionsoffen zu gestalten, um es mit wissenschaftlichen oder gesellschaftlichen Veränderungen aufnehmen zu können. Keine seiner Normierungen kann ohne ethische Prämissen auskommen; schon allein, weil diese für die, im biomedizinischen Bereich sehr bedeutsamen, öffentlichen Willensbildungsprozesse höchst maßgeblich sind. Zwar arbeitet der Jurist in einem binären System, in dem er Sachverhalte zunächst bloß danach beurteilt, ob sie legal oder illegal sind;445 moralische Kompetenz formuliert jedoch eine Forderung, die gerade auch an die Verantwortlichen der Gesetzgebung gestellt wird.446 Insbesondere im medizinethischen Bereich kann das Recht jedoch nicht den Anspruch erheben, die moralischen Bedürfnisse der gesamten Bevölkerung gleichermaßen zufriedenzustellen, sondern muss sich vor allem seiner Kernaufgaben besinnen. Dazu gehört in erster Linie die Schaffung von Rechts­ sicherheit. Im Bereich der Transplantationsmedizin wird dies nicht nur durch 443  Zur

rechtspolitischen Bewertung der Entscheidungslösung siehe S. 498 ff. ZME 58 (2012), S. 149, 156. 445  Siehe dazu Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 106; Petersen, Demokratie als teleologisches Prinzip, S. 27 m. w. N. 446  Pieper, Einführung in die Ethik, S. 63. 444  Beckmann,



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen271

die Festlegung von Handlungsgeboten und -verboten erreicht, sondern vor allem auch durch die Bereitstellung von Organisa­tionsstrukturen. Die wesentlichen Prinzipien, die der Gesetzgeber bei der Rechtsschöpfung zu beachten hat, ergeben sich aus der Verfassung. An dieser muss sich das Transplantationsgesetz als einfaches Gesetzesrecht messen lassen. Das Grundgesetz trifft allerdings keine konkreten Aussagen darüber, wie die Organspende und Organtransplantation geregelt werden müssen. Seine zwangsläufige Abstraktheit führt die Rechtssetzer im Angesicht neuester medizinischer Entwicklungen nicht selten an ihre Grenzen. Insbesondere grundrechtliche Gewährleistungen bedürfen im Angesicht aktueller Herausforderungen einer Konkretisierung. Vorliegend ist zu untersuchen, ob der Gesetzgeber den von der Verfassung vorgegebenen rechtlichen Rahmen in legitimer Weise ausgefüllt hat. Die Regelungen des Transplantationsgesetzes wurden bereits in verschiedener Hinsicht verfassungsrechtlich in Frage gestellt. Im Folgenden soll auf einige Diskussionsschwerpunkte eingegangen werden. Das betrifft zunächst die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das Hirntodkonzept (1.). Mit der Feststellung des Hirntodes geht die Frage einher, welche Maßnahmen getroffen werden dürfen, um die Möglichkeiten einer Spende zu fördern und wann diese erfolgen dürfen. Zu dieser intrikaten Fragestellung werden im Rahmen der Spenderkonditionierung Überlegungen angestellt (2.). Eine weitere Grundlage für eine rechtlich zulässige Organentnahme stellt das einschlägige Regelungsmodell dar, das den Zustimmungsmodus festlegt (3.). Neben der eingeführten Entscheidungslösung wird in Deutschland die Verfassungsmäßigkeit der Widerspruchslösung heftig diskutiert. Im Anschluss an die Betrachtung der Zulässigkeitskriterien für die Organspende soll sich dem Rückzugsverhalten des Staates gewidmet werden, der viele Bereiche des Transplantationsrechts in fremde Hände gegeben oder schlicht ungeregelt gelassen hat (4.). 1. Das Todeskonzept der Transplantationsmedizin unter dem Grundgesetz Durch die Forderung eines Nachweises des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls als Mindestvoraussetzung für eine postmortale Organentnahme hat der Gesetzgeber den Hirntod implizit zu einem sicheren Todeszeichen erklärt. Diese Entscheidung wurde nicht nur in der philosophisch-anthropologischen Wissenschaft diskutiert, sondern hat auch die verfassungsrechtliche Debatte erreicht, in der die Legitimität der einfachgesetzlichen Festlegung hinterfragt wird (a)). Vor diesem Hintergrund bedarf zudem die Beauftragung der Bundesärztekammer mit der Feststellung der aktuellen Erkenntnisse der medizi-

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

nischen Wissenschaft zum Nachweis des Todes und des Hirntodes näherer Betrachtung (b)) sowie die Frage, ob nicht neben der Organentnahme bei Hirntoten eine solche auch bei Patienten mit Herz-Kreislaufstillstand unter dem Grundgesetz denkbar wäre (c)). a) Die Grundrechtskonformität des Hirntodkonzepts Ob die Anerkennung des Hirntodkonzepts einer verfassungsrechtlichen Überprüfung standhalten kann, ist seit Jahren Kernbestandteil der Debatte um ein sachgerechtes Todeskriterium.447 Den Prüfungsmaßstab diktiert insofern das Grundrecht auf Leben gemäß Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG. Schutzzweck im Angesicht der Transplantationsmedizin ist vor allem die Sicherung des menschlichen Lebens vor externer Verfügbarkeit.448 Dabei hat die Konkretisierung des Rechtsbegriffs „Leben“ unter besonderer Beachtung von dessen systematischer und teleologischer Verknüpfung mit der Menschenwürde zu erfolgen.449 Das Grundrecht enthält nicht nur ein Abwehrrecht gegen hoheitliche Eingriffe, sondern auch eine staatliche Verpflichtung, sich schützend und fördernd vor das Leben zu stellen.450 Den Staat trifft eine Handlungspflicht, um das Grundgesetz als objektive Werteordnung in dessen Geltungsbereich zu schützen. Formuliert das Transplantationsgesetz den irreversiblen Hirnfunktionsausfall als Mindestvoraussetzung für eine Organentnahme, stellt sich die Frage nach einer Tötung von Patienten zugunsten Dritter. Es wurde bereits festgestellt, dass das Hirntodkriterium eine anthropologisch überzeugende Todeskonzeption anbietet, die sich in das traditionelle abendländische Menschenbild einfügt und der Annahme einer Tötung entgegensteht.451 Den Todeszeitpunkt muss die Rechtswissenschaft angesichts der aufgezeigten medi­ zinischen und anthropologischen Erkenntnisse nach ihren Maßstäben aber selbst diskutieren. Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen, wenn das Grundgesetz ein extensiveres Verständnis des Grundrechts auf Leben vorgeben würde. Insbesondere vor dem Hintergrund nationalsozialistischer Gräueltaten im Zusammenhang mit medizinischen Behandlungen scheint ein verfassungsrechtliches Gebot einer weiteren Schutzbereichsbestimmung nicht abwegig. Das Recht ist allerdings nicht dazu in der Lage, die EigenHöfling, ZME 58 (2012), S. 163 ff. JZ 1995, S. 26, 31. 449  Höfling, ZME 58 (2012), S. 163, 166; für die Untrennbarkeit der Frage von Würde und Lebensschutz auch Hillgruber, in: Seubold (Hrsg.), Humantechnologie und Menschenbild, S. 87, 99. 450  BVerfGE 39, 1, 42. 451  Siehe zur Begründung des Hirntodkonzepts S. 221 ff. 447  Vgl.

448  Höfling,



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen273

schaft „Leben“ oder „Tod“ zu verleihen, sondern muss auf der Grundlage von medizinisch-biologischen Tatsachen eine angemessene Definition folgern.452 Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG normiert, dass jedem das „Recht auf Leben“ zukommt. Was das „Leben“ jedoch ist, definiert die Verfassung nicht. Das Leben kennzeichnet als „die vitale Basis der Menschenwürde und die Voraussetzung aller anderen Grundrechte“453 einen Höchstwert der grundgesetzlichen Ordnung. Dieser Umstand hat den Grundsatz in dubio pro vita hervorgebracht.454 Wird dieser zur Definition des Begriffs des menschlichen Lebens herangezogen, folgt daraus eine sehr weitgehende Interpretation. Um einen adäquaten Lebensschutz gewährleisten zu können – so wird postuliert – müsse das Lebensrecht extensiv, d. h. seinen Beginn vorverlagernd und sein Ende hinausschiebend, ausgelegt werden.455 Gemäß den Hirntodkritikern gebiete diese extensive Auslegung des Lebensbegriffs nicht nur den vorgeburtlichen Lebensschutz, sondern auch, den „sterbenden Hirntoten“ noch nicht als „Leichnam“ zu qualifizieren.456 Ein solches Normverständnis ist jedoch weder zwingend noch lässt sich dieses mit der Anwendung des Grundsatzes in dubio pro vita begründen. Die Bestimmung des Grundrechtsinhalts von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG muss vor dem Hintergrund des Sinns und Zwecks des verfassungsrechtlichen Lebensschutzes erfolgen. Dass dieser nahelegt, den Lebensschutz auch auf das sich entwickelnde Leben auszudehnen gründet zuvörderst auf dem Willen des Verfassungsgebers, die Sicherung der menschlichen Existenz gegenüber staatlichen Übergriffen zu vervollkommnen. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG enthält ein Bekenntnis zum grundsätzlichen Wert eines Menschenlebens und zu einer sich vom NS-Regime abgrenzenden Staatsauffassung, die das angemaßte Recht über Leben und Tod des Bürgers schrankenlos zu richten, verurteilt.457 So sprach sich das Bundesverfassungsgericht in der ersten Schwangerschaftsabbruchentscheidung für die extensive Auslegung des Lebensschutzes beim Sternberg-Lieben, JA 1997, S. 80, 87. 39, 1, 42. 454  Höfling, MedR 1996, S. 6, 7 f.; Jasper, DVBl 2013, S. 151, 154; Lütz, in Firnkorn (Hrsg.), Hirntod als sicheres Todeskriterium, S. 27, 29; Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 2 Rn. 142; Rixen, ZPR 1995, S. 461, 464; ders., Lebensschutz am Lebensende, S. 310 f. 455  Di Fabio, in: Maunz / Dürig u. a. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 2 Abs. 2 Rn. 18 (2004) unter Berufung auf BVerfGE 39, 1, 41; Höfling / Rixen, Verfassungsfragen der Transplantationsmedizin, S. 48 ff.; Rixen, Lebensschutz am Lebensende, S.  247 f. 456  Eingehend dazu Klinge, Todesbegriff, Totenschutz und Verfassung, S. 217 f. 457  BVerfGE 18, 112, 117. 452  Ähnlich

453  BVerfGE

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

Lebensbeginn aus.458 Dies führt allerdings nicht dazu, das bloß apparativ aufrechterhaltende Herz-Kreislaufsystem eines Hirntoten als menschliches Leben qualifizieren zu müssen. Wenn „in Zweifelsfällen diejenige Auslegung zu wählen ist, welche die juristische Wirkungskraft der Grundrechtsnorm am stärksten entfaltet“459 bedeutet das keine beliebig extensive Schutzbereichsbestimmung. Eine Entscheidung „im Zweifel für das Leben“ ist geboten, wenn Tatsachenzweifel bestehen, ob ein Mensch den Sterbeprozess durchlaufen hat oder nicht. Tatsachen stehen im Streit um die Anerkennung des Hirntodes als Tod des Menschen jedoch nicht in Zweifel. Die medizinisch-biologischen Fragen in Bezug auf den Zustand eines Patienten im dissoziierten Hirntod sind weitestgehend geklärt. In Frage steht lediglich die verfassungsrechtliche Auslegung des menschlichen Lebens. Diese rechtliche Wertung entzieht sich einem Verfahren nach dem in dubio-Grundsatz. Mit der Einbeziehung eines Hirntoten in den Lebensschutz als normativ verbindlichen Grundrechtsinhalt wäre für den verfassungsrechtlichen Lebensbegriff nichts gewonnen. Die Sicherstellung der juristischen Wirkkraft einer Grundrechtsnorm bedeutet noch nicht, dass auf aktuelle Gefährdungs­ lagen stets mit der „Wachstumsfähigkeit“ des Schutzbereichs zu reagieren ist.460 Blinder Wachstum führt nicht zur adäquaten Begegnung mit aktuellen Gefährdungslagen, sondern zur uferlosen Ausweitung von Grundrechten. Die Annahme, dass eine problemangemessene Berücksichtigung divergierender Interessen prinzipiell auf Basis eines weiten Tatbestandsverständnisses zu erfolgen habe, läuft Gefahr, den Tatbestand unangemessen zu überspannen.461 Eine Überdehnung des Lebensbegriffs würde dessen Wirkkraft gerade nicht erhöhen, sondern einer sachgerechten Interessenabwägung zuwiderlaufen; insbesondere dann, wenn Einschränkungen des Schutzbereichs erforderlich werden, die dessen Wirkkraft am Ende aushöhlen.462 Eine allgemeine Auslegungsregel, die es in dubio pro libertate verlangt, den Schutzbereich eines Grundrechts so weit irgend möglich zu fassen existiert nicht.463 Jedes Grundrecht bestimmt die Reichweite seiner Freiheits458  BVerfGE 39, 1, 38; so auch Lang, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 2 Rn. 59. 459  BVerfGE 32, 54, 71; 6, 55, 72. 460  Heun, JZ 1996, S. 213, 214; anders aber Höfling, JZ 1995, S. 26, 31. 461  So jedoch Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, S. 172 ff.; Höfling / Rixen, Verfassungsfragen der Transplantationsmedizin, S. 69. 462  Heun, JZ 1996, S. 213, 215. So etwa die Gefahr, die Dead-Donor-Rule zu verabschieden. 463  Heun, JZ 1996, S. 213, 214. Kritisch zum Grundsatz eines weiten Tatbestandverständnissen auf Grundlage einer in dubio pro libertate-Regel Pieroth / Schlink /  Kingreen u. a., Grundrechte, S. 63.



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen275

chancen aus sich selbst.464 Die Sonderstellung des Grundrechts auf Leben, als Voraussetzung um überhaupt Grundrechte ausüben zu können, mag an staatliche Eingriffe erhöhte verfassungsrechtliche Rechtfertigungsmaßstäbe formulieren,465 kann jedoch nicht zur Definition des Schutzbereichs herangezogen werden. Was das Leben ist, darf nicht unter Berufung auf die besondere Signifikanz des Grundrechts festgestellt werden. Die Sonderstellung des Grundrechts setzt die vorhergehende Definition von Leben vielmehr voraus. Auch wenn der Schutz zum Lebensbeginn laut Bundesverfassungsgericht bereits vor der Geburt beginnt, ist die Begründung des frühen Lebensschutzes für werdendes Leben nicht symmetrisch auf jenen am Lebensende übertragbar.466 Methodische Überlegungen gebieten es keinesfalls, den Lebensbegriff maximal nach hinten zu verlagern.467 Ausgangspunkt der verfassungsrechtlichen Überprüfung des Hirntodkonzepts ist vielmehr eine sach­ liche Schutzbereichsbestimmung, die durch den Tod des menschlichen Subjekts als Lebensende limitiert wird. Es ist dem Grundgesetz nicht zu entnehmen, dass es das bloße basale Leben im Körper eines Menschen schützen will. Der Schutzzweck des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nimmt den Schutz des Menschen vor externer Verfügbarkeit in den Blick. Der Schutz einer „leeren Hülle“ scheint vor diesem Hintergrund nicht geboten. Insofern erweist sich der Hirntote nicht schützwürdiger als ein Leichnam. Gegen dieses Ergebnis streitet auch nicht der Einfluss der Menschenwürde auf den Lebensschutz. Nach historischer Auslegung des Grundgesetzes kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Verfassungsväter der jungen Bundesrepublik den Lebensschutz nicht von kognitiven oder psychischen Leistungskriterien abhängig machen wollten. Von einem „Personsein“ darf der verfassungsrechtliche Schutz des Lebens schon aufgrund seiner engen Konnexität zur Menschenwürde nicht abhängen.468 Die Konzeption des Gesamthirntodes hebt darauf jedoch keinesfalls ab, sondern betrachtet das Ende des Menschen als Zerfall seiner leiblich-geistigen Einheit. Sogar das Lager der Hirntodkritiker erkennt den irreversiblen Hirnfunktionsausfall als rechtsrelevante Zäsur an, indem von einem moralischen Statuswechsel ausgegangen wird, der die Notwendigkeit der Dead-Donor-Rule in Frage stellen soll.469 464  BVerwGE 42, 79, 83; v. Münch / Kunig, in: dies. (Hrsg.), GG-Kommentar, Vor. Art. 1–19, Rn. 36; vgl. ebenso Pieroth / Schlink / Kingreen u. a., Grundrechte, S. 60. 465  Lang, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 2 Rn. 57. 466  Heun, JZ 1996, S. 213, 215; eingehender zum Symetriegedanken S. 228. 467  Ebda., S. 214. 468  So auch Höfling, ZME 58 (2012), S. 163, 169. 469  Birnbacher, in: Byrd / Hruschka / Joerden (Hrsg.), Jahrbuch für Ethik und Recht 15, S. 459, 474  f.; Stoecker, in: Hirntod und Organentnahme, Forum Bioethik, S. 17 ff.; gerade auch im US amerikanischen Raum hat die Debatte um das justified killing an Brisanz gewonnen, siehe dazu Shah / Miller, American Journal of Law and

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

Mit der Übernahme der Hirntodkonzeption in das Transplantationsgesetz verkürzt der Gesetzgeber den Rechtsbegriff „Leben“ nicht grundgesetzwidrig, sondern hält sich innerhalb seines Gestaltungsspielraums. Zwar gibt es nur „einen Tod“ des Menschen, doch ist verfassungsrechtlich nicht nur eine einzige einfachgesetzliche Entscheidung haltbar. Maßgeblich ist, dass sich der Gesetzgeber bei seiner Entscheidungsfindung an einsichtigen Kriterien orientiert hat und zu einer grundrechtlich vertretbaren gesetzgeberischen Konkretisierung gekommen ist.470 Die normative Auslegung des Grundrechts auf Leben belässt dem Gesetzgeber einen gewissen Wertungsspielraum. Insofern kann er nicht auf den traditionellen Phänotyp des Todes im Sinne eines irreversiblen Herz-Kreislaufstillstands eingeschworen werden. Bei der Bewertung des Todeseintritts des Menschen hat der Gesetzgeber bei seiner Entscheidung die medizinischen Realien nicht außer Acht gelassen. Mit dem endgültigen Ausfall des Gehirns hat der Mensch nicht nur jegliche Bewusstseins- und Empfindungsfähigkeit verloren, sondern seine wesent­ liche, wenn auch nicht seine einzige, Steuerungseinheit eingebüßt, die eine weitere Selbsterhaltung des Organismus aus sich heraus unmöglich macht. Mit dem Eintritt des Hirntodes ist damit, nach legitimer Auffassung des Gesetzgebers, der Grundrechtsträger des Schutzguts „Leben“ entfallen, was nicht bedeutet, dass dieser nun gänzlich schutzlos gestellt ist. Ein würdevoller Umgang mit dem Leichnam wird durch das postmortale Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 2 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) sichergestellt.471 Dieses hat in § 6 TPG seine einfachgesetzliche Verankerung gefunden. Würde der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 GG hingegen zwingend extensiv verstanden und ein Hirntoter zu den Lebenden gezählt, der für eine Organspende getötet werden müsste, wäre die Wirkkraft des Grundrechts nicht unerheblich in Frage gestellt. b) Die Todesdiagnose in fremden Händen Die Diagnose des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls zur Vorbereitung einer Organexplantation erfolgt auf Grundlage von § 5 Abs. 1 S. 1 Var. 2 TPG, Medicine 36 (2010) 4, S. 1 ff.; so ebenfalls das Minderheitsvotum des Deutschen Ethikrats, Hirntod und Entscheidung zur Organspende, S. 96 ff.; dagegen jedoch die Mehrheitsmeinung, S.  104 ff. 470  Zu den Diskussionen um den Todesbegriff im Gesetzgebungsverfahren siehe BT-Dr. 13 / 2926 vom 07.11.1995; von einer „verfassungsrechtlich akzeptablen gesetzgeberischen Konkretisierung“ des Todesbegriffs nach intensiver wissenschaftlicher Auseinandersetzung spricht auch Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 13 f. 471  Di Fabio, in: Maunz / Dürig u. a. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 2 Abs. 2 S. 1 (2004), Rn. 22; so auch BT-Drs. 13 / 4355 S. 19.



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen277

der den Nachweis des Hirntodes durch die voneinander unabhängigen Untersuchungen zweier qualifizierter Ärzte fordert. Die konkreten Vorgaben der Methodik und der Qualifikation der Mediziner erfolgen jedoch nicht im Gesetz, sondern durch die Richtlinie der Bundesärztekammer gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG. Das Gremium wurde beauftragt, die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft zum Nachweis des Todes und des Hirntodes, einschließlich der ärztlichen Qualifikationen, festzustellen. Infolgedessen wird die Bundesärztekammer in einem wesentlichen Grundrechtsbereich tätig. Es stellt sich insoweit die Frage, ob der Gesetzgeber die Ausgestaltung des Diagnoseverfahrens überhaupt einer nichtstaatlichen Stelle übertragen durfte und ob er gemäß dem Wesentlichkeitsgrundsatz alle für die Grundrechtsverwirklichung elementaren Vorfragen selbst geklärt hat.472 Eine Delegation der Feststellung des medizinischen Fachwissens an ein Expertengremium stellt sich vor allem dann als zulässig dar, wenn durch die dynamische Verweisung auf den Begriff der „Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft“ der Schutzzweck eines Gesetzes im Interesse der betroffenen Grundrechtsträger besser verwirklicht werden kann.473 Der veränderliche Wissenstand bezüglich der Validität einer Todesdiagnose ist ein solcher Grund, da das Nachweisverfahren stets unter höchsten Qualitätsanforderungen dem aktuellen Fachwissen angepasst werden muss.474 Der „Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft“ enthält all jene Erkenntnisse, die als Hand-, Lehrbuch- und aktuellem Zeitschriftenwissen den breiten Konsens der medizinischen Wissenschaft gefunden haben.475 Dieses kann weder der Gesetz- noch der Verordnungsgeber in gleicher Weise und gleicher Schnelligkeit erfassen und umsetzen, wie dies die Richtlinientätigkeit der Bundesärztekammer erlaubt. Durch die Vorgabe, dass der Eintritt des Todes bzw. des Hirntodes das maßgebliche festzustellende biologische Ereignis zur Organentnahme darstellen soll, hat der Gesetzgeber dem Wesentlichkeitsgrundsatz genüge getan.476 Die Befugnis der Bundesärztekammer beschränkt sich im Folgenden 472  Zum

Wesentlichkeitsgrundsatz siehe S. 375 ff. BVerfGE 49, 89, 137; so auch Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 9. 474  Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 9; vgl. auch die Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats und der Ständigen Kommission Organtransplantation v. 17.07.2006 sowie Kühn, MedR 1998, S. 455, 459; Schreiber / Wolfslast, MedR 1992, S. 189, 193; Taupitz, NJW 2003, S. 1145, 1148. 475  Vgl. ausführlich zum Begriffsverständnis Woinikow, Richtlinien der Transplantationsmedizin, S.  283 ff. 476  So auch Uhl, Richtlinien der Bundesärztekammer, S.  328; a.  A. Bernsmann / Sickor, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 19 Rn. 66; Parzeller / Henze, ZRP 2006, S.  176, 178 f. 473  Vgl.

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ausschließlich auf die Bestimmung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft zum medizinischen Nachweis des gesetzlich festgelegten Zustandes. Mit ihrer in der Richtlinie erfolgten Standardsetzung bewegt sich das Expertengremium auch im Rahmen seines rechtlichen Auftrags.477 Die aufgestellten Regelungen zielen allein darauf ab, medizinische Expertise im Diagnoseverfahren nutzbar zu machen. c) Keine Non-Heart-Beating-Donation unter dem Regime des Grundgesetzes Die Erweiterung des Spenderpools um Patienten, die einen endgültigen Herz-Kreislaufstillstand erlitten haben, hätte Potential, dem Organmangel effizient zumindest ein Stück weit zu begegnen. Da nach dem Transplanta­ tionsgesetz ein Zugriff ohne Hirntoddiagnostik erst drei Stunden nach Feststellung des Herz-Kreislaufstillstands erfolgen darf, ist eine Organentnahme bei einem Non-Heart-Beating-Donor hierzulande de facto ausgeschlossen (vgl. § 5 Abs. 1 S. 2 TPG).478 Diesem Ausschluss liegen derzeit durchschlagende verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Non-Heart-Beating-Donation zugrunde (aa)), die sich bei einer Weiterentwicklung der medizinisch-technischen Möglichkeiten jedoch in Zukunft auflösen könnten (bb)). aa) Keine Tötung von Organspendern Der Gesetzgeber hat sich entschieden, die Organentnahme unter das Regime der Dead-Donor-Rule zu stellen, sodass eine Explantation lebenswichtiger Organe ausschließlich bei toten Spendern in Frage kommt. Obschon diejenigen Stimmen, die keine Notwendigkeit der Installation einer solchen Regelung sehen in den letzten Jahren lauter geworden sind, spricht sich die Mehrheit der juristischen Literatur zu Recht für die Beibehaltung dieses Entnahmekriteriums aus. Das Grundgesetz stellt das Leben für seine gesamte Dauer unter besonderen Schutz und nimmt keine Differenzierung seines Wertes nach seiner Qualität oder Quantität vor.479 Einer Tötung Lebender aus fremdnützigen Motiven muss dementsprechend eine strikte Absage erteilt 477  Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 9; Uhl, Richtlinien der Bundesärztekammer, S. 334; Woinikow, Richtlinien der Transplanta­ tionsmedizin, S. 309 ff.; vgl. auch Mohammadi-Kangarani, Die Richtlinien der Organverteilung im Transplantationsgesetz, S. 153; kritisch aber zu den Inhalten der Richtlinie (3. Fortschreibung) Parzeller / Henze, ZRP 2006, S. 176, 177 ff. 478  Zum Konzept des Spenders ohne Herzschlag siehe S. 79. 479  Vgl. BVerfGE 115, 118, 152.



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werden. Eine Dispositionsbefugnis des Einzelnen über seine Lebensbeendigung durch die Organspende besteht vor dem Hintergrund des – wenn auch nur einfachgesetzlichen – § 216 StGB nicht.480 Der Tod des Spenders kann durch das sichere Vorliegen von inneren oder äußeren Todeszeichen nachgewiesen werden. Da eine Transplantation funktionsfähige Organe erfordert, ist es nicht möglich, den Eintritt äußerer Todeszeichnen abzuwarten, weshalb auf das sichere innere Todeszeichen des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls abgestellt wird. Dieser tritt nach einem Herz-Kreislaufversagen zwangsläufig alsbald ein. Allerdings herrscht international noch keine Einigkeit über den genauen Zeitpunkt.481 Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer hat 1998 – in Entgegnung auf ­einen Newsletter Eurotransplants – ausgeführt, dass ein zehnminütiger HerzKreislaufstillstand kein sicheres „Äquivalent zum Hirntod“ sei.482 Tatsächlich geht die weit überwiegende medizinische Wissenschaft jedoch davon aus, dass der Todeseintritt nach einem Herz-Kreislaufstillstand hinreichend sicher diagnostiziert werden könne, wenn bestimmte Vorgehensweisen gewahrt würden.483 Unterschiede bei der Diagnosemethodik des Herz-Kreislaufstillstands sowie die stark divergierenden Ansichten zur Zeitspanne bis zum irreversiblen Eintritt des Gesamthirntodes lassen jedoch begründete Skepsis über das Maß der Validität der unterschiedlichen Erkenntnisse aufkommen. Allerdings ist auch die Stellungnahme der Bundesärztekammer im medizinischen Diskurs umstritten.484 Ihr Ergebnis wurde jedoch noch im Jahre 2007 vom 110. Deutschen Ärztetag bekräftigt.485 Erst kürzlich gaben auch die Deutsche Gesellschaft für Neurointensiv- und Notfallmedizin, die 480  Für die Notwendigkeit der Dead-Donor-Rule unter dem Grundgesetz votiert auch die Mehrheitsmeinung des Deutschen Ethikrats, Hirntod und Entscheidung zur Organspende, S.  104 ff. 481  Angstwurm, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Förderung der Organspende, S. 61, 62; ders. / Förderreuther, in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 31, 43; Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 17. 482  DÄBl 95, 1998, A-3235. 483  Eine eher restriktive Regelung existiert z. B. in der Schweiz. Nach der medizinisch-ethischen Richtlinie zur Feststellung des Todes mit Bezug auf Organtransplantationen der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (Stand 2011), ist die Feststellung des Todes nach zehnminütigem Herz-Kreislaufstillstand möglich, sofern der Patient bestimmte klinische Todeszeichen aufweist. Der Eintritt des sekundären Hirntodes muss durch die auch in Deutschland anerkannten klinischen Symptome einschließlich des Fehlens der Spontanatmung hinreichend ­sicher nachgewiesen werden. Die Richtlinie ist abrufbar unter: http: /  / www.samw. ch / de / Ethik / Richtlinien / Aktuell-gueltige-Richtlinien.html (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 484  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 130. 485  Beschlussprotokoll 110. Deutscher Ärztetag, S. 10.

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Deutsche Gesellschaft für Neurologie sowie die Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie ein negatives Votum zur Organentnahme bei Non-HeartBeat­ing-Donors ab.486 Ebenfalls ist das Bundesministerium für Gesundheit bislang zu keiner anderen Empfehlung gekommen. Vielmehr sollte seiner Meinung nach an der bisherigen Regelung festgehalten werden.487 Nichtsdestotrotz dürfen auch die grundrechtlichen Belange der Patienten auf der Warteliste nicht unberücksichtigt bleiben. Es besteht eine staatliche Schutzpflicht in Bezug auf das Recht auf körperliche Unversehrtheit und das Recht auf Leben der potentiellen Organempfänger. Ihr Teilhabeanspruch beschränkt sich jedoch auf die vorhandenen medizinischen Ressourcen. Es besteht kein Anspruch auf Organbeschaffung; schon gar nicht um den Preis einer Gefährdung möglicherweise noch lebender Spender. Die unveräußerliche Menschenwürde gemäß Art. 1 Abs. 1 GG verbietet die Tötung von Menschen, allein um diese für die Zwecke Dritter zu instrumentalisieren.488 Dies gilt unabhängig von der restlichen Dauer ihres Lebens, da dessen Quantität keine Bedeutung für die Qualität seines Schutzes beigemessen werden darf.489 Die Festlegung einer Mindestdauer des Herz-Kreislaufstillstands darf nicht nach Bedarf und Zweckmäßigkeit formulieren werden.490 Die Möglichkeit oder sogar hohe Wahrscheinlichkeit eines irreversiblen Hirnfunktionsausfalls nach zehnminütigem Herz-Kreislaufstillstand, wie ihn Eurotransplant zugrunde legt, stellt kein sicheres Todeszeichen dar, denn ihm fehlt die maximale Gewissheit der Irreversibilität des Zustands.491 Eine Todesfeststellung auf Grundlage von Hypothesen kann der Menschenwürde und dem eng mit dieser verbundenem Recht auf Leben nicht gerecht werden. An dieser Stelle ist der Staat durch die Schutzpflichtdimension der Grundrechte zugunsten der Patienten in der Sterbephase gebunden. 486  Gemeinsame Stellungnahme vom 05.03.2014 (ergänzt am 21.03.2014), S. 2 f., abrufbar unter: http: /  / www.dgn.org / pressemitteilungen / feststellung-hirntod.html (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 487  BT-Drs. 16 / 13740 vom 30.06.2009, S. 4, zur ausführlichen Bewertung des Non-Heart-Beating-Donor-Verfahrens siehe S. 41 f. 488  Exemplarisch zum Verbot der Opferung von Menschenleben zugunsten der Lebensrettung Dritter vgl. die Entscheidung des BVerfG zum Luftsicherheitsgesetz, BVerfGE 115, 118 ff. 489  Vgl. BVerfGE 115, 118, 158; siehe auch Hillgruber, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 1 Rn. 20. 490  Angstwurm, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Förderung der Organspende, S. 61, 64. 491  Birnbacher, Herz 39 (2014), 576, 579 schlägt aufgrund der Zweifel an der Irreversibilität des Hirntodes innerhalb der für die Organexplantation relevanten Zeit vor, über eine Anpassung des Todesbegriffs nachzudenken und das Merkmal der Ir­ reversibilität durch jenes der Endgültigkeit des Hirnfunktionsausfalls zu ersetzen. Dies wird von einer Mehrheit der Diskutanten jedoch abgelehnt.



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen281

bb) Erweiterung der Möglichkeiten bei neuem medizinischen Erkenntnisstand Die von der Ständigen Kommission Organtransplantation eingerichteten Arbeitsgruppen werden sich voraussichtlich mit den Belangen der NonHeart-Beating-Donor kontinuierlich auseinandersetzen.492 Sollte sich he­ rausstellen, dass nach Ablauf einer bestimmten Zeitspanne seit dem Eintritt des Herz-Kreislaufstillstands der irreversible Hirnfunktionsausfall sicher erfolgt ist, stehen einer rechtlichen Ausgestaltung der Organentnahme bei NonHeart-Beating-Donors keine durchgreifenden juristischen Bedenken mehr entgegen, die dem Gesetzgeber eine Aufnahme in das Transplantationsgesetz verbieten würden. Rechtlich nicht unüberwindliche, aber dennoch unübersehbare ethische Bedenken sind in die Ausgestaltung der gesetzlichen Anordnungen einzubeziehen. Ein international viel diskutierter Konfliktherd entsteht im Fall eines kontrollierten Herzstillstandes bei einer Beteiligung der Angehörigen, die sich genötigt fühlen könnten, einem vorzeitigen Therapieabbruch zuzustimmen. Ebenso bedürfen Non-Heart-Beating-Donors einer besonderen organprotek­ tiven Therapie, die mit der palliativen Betreuung der potentiellen Spender kollidieren könnte.493 Nach Eintritt des Herzstillstandes ist die Organexplantation im Vergleich zum Umgang mit einem Patienten im dissoziierten Hirntod zudem mit wesentlich intensiverem Zeitdruck belastet, die nicht nur das medizinische Personal, sondern insbesondere die Angehörigen vor mentale Herausforderungen stellt. Die Entnahmesituation läuft so Gefahr, nicht von einer angemessenen psychologischen, emotionalen und spirituellen Begleitung umrahmt zu werden.494 Das Erfordernis schnellen Eingreifens zugunsten der Wartelistenkandidaten birgt außerdem das Risiko von Interessenkonflikten der beteiligten Ärzte.495 Es stellt sich als eine anspruchsvolle, aber keinesfalls unmögliche Aufgabe dar, diesen Vorbehalten im Wege einer strikten gesetzlichen und untergesetzlichen Reglementierung zu begegnen. Sie sind in 492  Eine Auflistung der bisher eingerichteten Arbeitsgruppen findet sich bei den Gremien der BÄK, abrufbar unter: http: /  / www.bundesaerztekammer.de / fileadmin /  user_upload / downloads / pdf-Ordner / Geschaeftsstelle / Gremien_BAEK.pdf (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 493  Zu diesen Problemstellungen vgl. das White Paper des President’s Council on Bioethics, S. 82; Bedenken bzgl. eines spendezentrierten Zugriffs auf palliativ behandelte Patienten im Sterbeprozess äußern Christensen / Michel, Bioethica Forum Vol 5 (2012), S.  77 f. 494  Sahm, ZME 60 (2014), S. 327, 333. 495  Eingehend zu möglichen Interessenkonflikten beim Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen Byers, Kennedy Institute of Ethics Journal, 1993, S. 179 ff., der die Überwachung des Verfahrens durch eine verantwortliche Person vorschlägt; vgl. auch Bickeböller, Grundzüge einer Ethik der Nierentransplantation, S. 427.

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ähnlicher Weise auch von Spenden im Fall des dissoziierten Hirntodes bekannt und zumindest in weiten Teilen gebändigt. Regelungsvorbilder finden sich in systemverwandten Ländern wie Österreich oder der Schweiz. d) Ergebnis Die Anerkennung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls als Todeskriterium hält einer verfassungsrechtlichen Prüfung stand. Der Gesetzgeber hat sich auf Grundlage medizinischer Erkenntnisse für ein vertretbares Todeskonzept entschieden, als er den Nachweis des Hirntodes zur Entnahme­ voraussetzung lebenswichtiger Organe erhob. Dadurch genügte er zudem dem Wesentlichkeitsgrundsatz und war befugt, die konkreten Anforderungen an das Feststellungsverfahren an die Bundesärztekammer als medizinisches Expertengremium zu delegieren. Eine Einbeziehung von Non-Heart-BeatingDonors in den Spenderkreis wäre nach dem derzeitigen medizinischen Wissensstand hingegen nur nach unzureichender Prognose des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls möglich, weshalb sie derzeit unterbleiben muss. Sobald ein sicherer Nachweis des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls möglich ist, bestehen jedoch keine rechtlichen Hindernisse gegenüber einer Änderung des Transplantationsgesetzes. 2. Die spendezentrierte Behandlung eines Lebenden – rechtliche Herausforderungen am Lebensende eines Intensivpatienten Es wurde bereits dargelegt, dass die Durchführung organprotektiver Maßnahmen an Patienten, die noch nicht erwiesenermaßen verstorben sind, ethisch und rechtlich drängende Fragestellungen nicht nur an Mediziner, sondern die gesamte Gesellschaft formuliert.496 Wenn die Maßnahmen im Folgenden kritisch beleuchtet werden, sollen ausschließlich solche Behandlungsschritte gemeint sein, die vor dem Nachweis des Hirntodes erfolgen und lediglich einer Organspende, nicht aber dem Patienten dienen. Wie wenig Beachtung diesem heiklen medizinischen Vorgehen bisher von Seiten der Politik geschenkt wurde, zeigt die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage zum Hirntod. Dort hatte sie behauptet, dass alle intensivmedizinischen Maßnahmen, die vor der Feststellung des Hirntodes durchgeführt werden, der Behandlung des Patienten dienen würden.497 Dies 496  Vgl. zur Einführung in die Spenderkonditionierung in der ethischen Betrachtung S.  246 ff. 497  BT-Drs. 17 / 14527, S. 6. Tatsächlich statuiert der Transplantationskodex der Deutschen Transplantationsgesellschaft aus dem Jahr 2013, dass vor Abschluss der Hirntoddiagnostik keine speziellen Maßnahmen erfolgen dürfen, die ausschließlich



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entspricht aber nicht der praktischen Realität.498 Die Politik offenbart damit frappierende Informationslücken über die Behandlungsmethoden der vor Ort tätigen Ärzteschaft. Das medizinische Personal handelt im Bereich der Organprotektion recht autonom. Weder die Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 TPG zur ärztlichen Beurteilung nach § 11 Abs. 4 S. 2 TPG a. F. noch der Leitfaden der Deutschen Stiftung Organtransplantation behandeln die spendezentrierten Behandlungsschritte vor der Feststellung des Hirntodes eingehend. Keinesfalls schließen sie die spendezentrierte Behandlung eines potentiellen Spenders499 eindeutig aus.500 Eine enorme Rechtsunsicherheit der Organentnahme oder -allokation dienen, Transplantationskodex, Nr. 1, abrufbar unter: http: /  / www.d-t-g-online.de / pdf / transplantationskodex.pdf (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 498  Vgl. Bein / Schlitt / Bösebeck u. a., DÄBl 102 (2005), A-278, 282; Duttge / Neitzke, GesR 2015, S. 705; Guillod / Mader, Vorbereitende medizinische Maßnahmen im Hinblick auf eine Organentnahme, S. 6; Siegmund-Schultze, Im Vorgriff auf das Ende, SZ v. 27.07.2005, S. 9. Dies wird leider auch vermehrt in wissenschaftlichen Arbeiten übersehen, die die Spenderkonditionierung als ein Verfahren nach der Hirntodfeststellung beschreiben, vgl. Breidenbach, in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 320, 329; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 71; Rosenberg, Die postmortale Organtransplantation, S. 54 f. Auf eine Anfrage der Verfasserin an die BZgA konnte diese keine Antwort darauf geben, wie sich das Vorgehen in der Praxis gestaltet. Mittlerweile muss sich auch die Vertrauensstelle Transplantationsmedizin mit dem Thema befassen, vgl. das Interview mit der Leiterin der Vertrauensstelle, Rissing-van Saan, abrufbar unter: http: /  / www. organpaten.de / die-menschen-sollen-merken-dass-ihre-sorgen-ernst-genommenwerden (zuletzt abgerufen am 30.06.2017); Rissing-van Saan beschreibt die Spenderkonditionierung aber unvollständig als Aufrechterhaltung der Atmung und des HerzKreislaufsystems nach der Hirntodfeststellung. Ebenso sieht ein Sondervotum des Deutschen Ethikrats, Hirntod und Entscheidung zur Organspende, S. 173 die Organprotektion als rein patientenzentriert an, während die Stellungnahme der Mehrheit des Gremiums den Wechsel der Perspektive hingegen anerkennt, S. 25 ff. 499  Den Begriff „potentieller Spender“ verwendet die DSO üblicherweise für Patienten, bei denen der Hirntod bereits festgestellt wurde und keine Kontraindikationen für die Organentnahme vorliegen, vgl. Jahresbericht 2013, S. 42. Da jedoch auch Patienten im präfinalen Stadium potentiell Organspender werden können, solange sie intensivmedizinisch behandelt werden, soll der Begriff hier auch für diese gebraucht werden. 500  Die Richtlinie der BÄK bezieht sich in ihren Vorgaben lediglich auf den „Verstorbenen“ und lässt eine Behandlung vor der Feststellung des Hirntodes außer Betracht. Der Leitfaden der DSO von 2012 listet in einem Aufbauschema die Durchführung der Intensivtherapie der Grunderkrankung als anfängliche Behandlung des Patienten auf. Danach wird sowohl nach der Vermutung des Hirntodes als auch nach seiner Feststellung nur von der „Fortführung der Intensivtherapie“ gesprochen, sodass sich nicht entnehmen lässt, ob die Intensivtherapie vor dem Nachweis des Hirntodes ausschließlich patientenzentriert sein soll. Dass die Fortführung einer Therapie der Grunderkrankung gemeint ist, kann zumindest für eine Behandlung nach Feststellung des Hirntodes ausgeschlossen werden. Damit ist dann aber auch nicht eindeutig, welche Ziele die Therapie nach der Vermutung des Hirntodes verfolgen soll. Ab dem

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und ein ständiges Agieren des medizinischen Personals in einer rechtlichen „Grauzone“ ist die höchst bedenkliche Folge. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem spendezentrierten Vorgehen im Entnahmekrankenhaus ist daher dringend angezeigt. Zu Beginn der Untersuchung soll zunächst die derzeitige Konfliktlage der entgegenstehenden Interessen vergegenwärtigt werden (a)). Eingangs ist fraglich, ob eine rein fremdnützige Behandlung eines Patienten nicht gegen die Menschenwürde verstößt und sich daher per se verbietet. Falls dies nicht der Fall sein sollte, bedarf der Klärung, inwieweit die Zustimmung des Betroffenen oder eines Vertreters für die Durchführung der Maßnahmen notwendig ist (b)) oder sogar eine Solidarverpflichtung des Patienten die fremdnützigen Einwirkungen rechtfertigen kann (c)). Die hiesige Auseinandersetzung versteht sich dabei nicht als umfassende Aufarbeitung der verfassungsrechtlichen Problematik, sondern als ein Diskussionsbeitrag, der als Anstoß einer Debatte dienen soll, die endlich auch im hiesigen juristischen Schrifttum ankommen muss. a) Die derzeitige Konfliktlage Die Frage der Zulässigkeit organprotektiver Maßnahmen501 bei potentiellen Organspendern im präfinalen Stadium einschließlich der rein spendezentrierten Hirntoddiagnostik spielt sich im Schutzbereich elementarer Grundrechte ab. Sie sind keinesfalls bloße alltägliche, sozialadäquate und daher von jedermann zu duldende Eingriffe, sondern bedürfen einer Rechtfertigung. Bereits die bloße, auf eine Organspende gerichtete Blutentnahme bei einem noch lebenden Patienten zur Überprüfung auf infektiöse Krankheiten oder einer Gewebetypisierung wurde bereits als gesetzeswidrig eingestuft.502 Nicht nur aus ethischen, sondern auch rechtlichen Gesichtspunkten muss zunächst die Heilbehandlung des Patienten ausschließlicher Fokus allen medizinischen Handels sein. Fraglich ist, ab wann die ärztliche Per­spektive von einer patientenfokussierten zu einer spendezentrierten Sichtweise des medizi-

Moment eines Therapieabbruchs (folglich spätestens bei Feststellung des Hirntodes, regelmäßig aber bereits vorher) sind intensivmedizinische Maßnahmen, die nicht einer bloß palliativmedizinischen Behandlung dienen, ausschließlich spendezentriert. 501  Zur Erläuterung der spendezentrierten Maßnahmen siehe schon die Auseinandersetzung mit der Spenderkonditionierung als ethischen Problempunkt der Transplantationsmedizin, S.  246 ff. 502  Vgl. Keller, Bioskop 32 (2005), S. 4; Siegmund-Schultze, Im Vorgriff auf das Ende, SZ v. 27.07.2005, S. 9.



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nischen Sachverhalts wechseln darf.503 Sowohl das Transplantationsgesetz als auch die Richtlinien der Bundesärztekammer schweigen zu dieser Frage. Der Gesetzgeber will eine postmortale Organentnahme erst nach Feststellung des Hirntodes erlauben. Damit ist jedoch die Frage nach vorbereitenden medizinischen Maßnahmen noch nicht präjudiziert. Dass dem Transplantationsgesetz die Gewährleistung der Qualität der zu transplantierenden Organe ein wichtiges Unterfangen ist, zeigt sich in den umfassenden Regelungen zur Qualitätssicherung (vgl. §§ 9 ff. TPG). Es soll eine möglichst hohe Erfolgsquote der Transplantationen sichergestellt werden. Dazu trägt auch eine frühzeitige spendezentrierte Behandlung potentieller Organspender bei. Eine einfach-gesetzliche Sperre, die dieses Vorgehen absolut verbietet, ist nicht ersichtlich. Vielmehr zeigt die grundsätzliche Ausrichtung des Transplanta­ tionsgesetzes ein enormes Verpflichtungsgefühl des Gesetzgebers gegenüber den Wartelistekandidaten. Bereits durch seine Zielsetzung, die Bereitschaft zur Organspende und damit die Organspenderrate zu steigern (§ 1 Abs. 1 S. 1 TPG), hat er seine Absicht verdeutlicht, sich für Leib und Leben der erkrankten Patienten einzusetzen. Der Gesetzgeber handelt insofern aufgrund einer Schutzpflicht gegenüber ihrem grundrechtlich verbürgtem Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG). Der Staat hat die Grundrechte des Einzelnen nicht nur zu achten, sondern ist zudem an der Verwirklichung ihres Schutzes innerhalb der Beziehungen der Bürger untereinander beteiligt. Die Grundrechte verkörpern insoweit eine objektive Werteordnung für das gesamte Rechtssystem, in dessen Mittelpunkt die, sich in der sozialen Gemeinschaft entfaltende, menschliche Persönlichkeit steht.504 Die Schutzpflichten des Staates gelten nicht nur bei der Gefährdung durch die Handlungen Dritter, sondern gleichermaßen im Angesicht sonstiger Gefahrursachen; nämlich immer dann, wenn das Individuum selbst zur Grundrechtsausübung nicht mehr in der Lage ist.505 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich „aus dem objektiv-rechtlichen Gehalt des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG die Pflicht des Staates zum Schutz von Leben und Gesundheit“ auch gegenüber einer durch Krankheit ausgelösten Gefahr; es besteht eine „positive Schutz- und Handlungspflicht“.506

503  Rechtliche Unsicherheiten über diesen Zeitpunkt beklagen bereits Duttge /  Neitz­ke, GesR 2015, S. 705. 504  Vgl. BVerfGE 7, 198, 205. 505  Holznagel, DVBl 1997, S. 393, 396; dazu auch Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 37. 506  BVerfG, Beschluss v. 28.07.1987, NJW 1987, S. 2287, wobei es um eine durch die Krankheit Aids bewirkte Gefahr ging; zur Schutzfunktion des Grundrechts siehe auch Jarass, in: Jarass / Pieroth (Hrsg.), Kommentar zum GG, Vor. Art. 1 Rn. 3, 31 ff., 52 ff., Art.  2 Rn.  91 f.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

Auf der anderen Seite stehen jedoch die verfassungsrechtlich verbürgten Rechte des potentiellen Spenders. Fremdnützige medizinische Maßnahmen können sein Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit ebenso berühren. Finden die Maßnahmen ohne seine Zustimmung statt, ist ferner sein Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG tangiert. Schutz beansprucht vor allem das Begehren des Menschen, Entscheidungen in eigener Verantwortung zu treffen.507 Das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper gehört in den Kernbereich der durch Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Rechte.508 Zuweilen wird es aufgrund seiner Nähe zur Menschenwürde als höchstes Schutzgut der Verfassung gehandelt, das noch über dem Lebensschutz stehe.509 Als von vornherein unzulässig erwiese sich eine spendezentrierte Behandlung, wenn sie tatsächlich die Menschenwürde des Betroffenen aus Art. 1 Abs. 1 GG verletzen würde. Die Menschenwürde beeinflusst als „Mittelpunkt des Wertesystems der Ver­ fassung“510 und dessen „höchster Rechtswert“511 die gesamte Rechtsordnung. Eingriffe sind ohne Abwägungsmöglichkeit mit anderen Grundrechten per se nicht legitimierbar.512 Die auf die Spende vorbereitenden Maßnahmen dienen keinem therapeutischen oder palliativen Zweck mehr, sondern ausschließlich der Erhaltung der Organe für die potentiellen Empfänger und einer Klärung der Zulässigkeit einer Organexplantation. Ein bloßes Gebrauchen eines Menschen in dem Sinne, dass man ihn nur als Mittel und nicht als selbstständige Person behandelt, ist mit der Menschenwürdegarantie nicht vereinbar.513 Der Mensch ist nicht verfügbare Sache, sondern Rechtssubjekt. Er ist ein „geistig-sittliche[s] Wesen […], das darauf angelegt ist, sich in Freiheit selbst zu bestimmen und zu entfalten.“514 Er gehört niemandem als sich selbst und muss deshalb stets Zweck an sich selbst bleiben.515 Obwohl sich die Handlungsbeziehungen regelmäßig in einem privaten Arzt-Patienten-Verhältnis abspielen, besteht eine staatliche Schutzpflicht. Ob 507  Vgl.

BVerfGE 27, 1, 6. in: NJW 2001, S. 849, 851. 509  Vgl. Lipp, Freiheit und Fürsorge, S. 127 ff.; Taupitz, in: Verhandlungen des 63. Deutschen Juristentages, S. A 1, 13. 510  BVerfGE 35, 202, 255; 39, 1, 43. 511  BVerfGE 5, 85, 204; 35, 202, 221; 48, 127, 163. 512  Vgl. BVerfGE 75, 369, 380; Herdegen, in: Maunz / Dürig u. a. (Hrsg.), GGKommentar, Art. 1 Abs. 1 (2009), Rn. 73; Hufen, NJW 2001, S. 849, 855. 513  Herdegen, in: Maunz / Dürig u. a. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 1 Abs. 1 (2009), Rn. 36; Hillgruber, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 1 Rn. 13. 514  BVerfG NJW 2013, S. 1058, 1059; BVerfGE 45, S. 187, 227. 515  BVerfGE 45, S. 187, 228. 508  Hufen,



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen287

die Menschenwürde allerdings wirklich betroffen ist, kann in vielen Fällen nicht pauschal, sondern nur im Rahmen einer konkreten Abwägung festgestellt werden.516 Es bedarf folglich einer verfassungsrechtlichen Gesamtbewertung des Sachverhalts.517 Schon das Bundesverfassungsgericht erteilte einer modalen Tabuisierung von bestimmten Eingriffen eine klare Absage.518 Eher restriktiv stellt es heraus, dass eine Menschenwürdeverletzung in Betracht komme, wenn der Mensch einer verächtlichen Behandlung ausgesetzt und dabei in erniedrigender Weise zum Objekt gemacht wird, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt oder der Behandlung eine willkürliche Menschenwürdemissachtung innewohnt.519 Einen elementaren Bewertungsmaßstab stellt in diesem Zusammenhang die Selbstbestimmung des Betroffenen dar. Es ist allgemein anerkannt, dass der Mensch, als Herr seiner selbst, eigenen Schaden in Kauf nehmen kann, um andere vor Nachteilen zu bewahren.520 Obgleich seine Aufopferung unter Beachtung des Grundgesetzes nicht schrankenlos erfolgen darf, markiert sein Wille zur eigenen Freiheitsbeschränkung zunächst den maßgeblichen Ausgangspunkt der verfassungsrechtlichen Bewertung. Aufgrund der Tatsache, dass der Schutz der Menschenwürde wesentlich durch die Achtung der individuellen Selbstbestimmung beeinflusst wird, gewährleistet Art. 1 Abs. 1 GG nur wenig Raum für einen Schutz des Einzelnen vor sich selbst im Sinne eines fürsorglichen Eingriffs in die individuelle Autonomie.521 Als selbstbestimmtes Rechtssubjekt, und damit gerade aufgrund seiner Würde, muss der Mensch grundsätzlich die Möglichkeit haben, nach seinem Willen zu handeln. Der Respekt vor 516  Zur Abwägungsgebundenheit der Menschenwürde siehe Herdegen, in: Maunz / Dürig u. a. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 1 Abs. 1 (2009), Rn. 49; ebenso Taupitz, JZ 2003, S. 109, 116. 517  Höfling, in: Sachs (Hrsg.), GG-Kommentar, Art.  1 Rn.  16; Taupitz, in: Kreß / Racké (Hrsg.), Medizin an den Grenzen des Lebens, S. 17, 24. 518  So Herdegen, in: Maunz / Dürig u. a. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 1 Abs. 1 (2009), Rn. 49 unter Berufung auf das Urteil zum großen Lauschangriff BVerfGE 109, 279 ff. 519  BVerfGE 30, 1, 25  f.; 87, 209, 228; 96, 375, 399 f.; BVerfG, NJW 2001, S. 2957, 2958. 520  Auch wenn dies, wie bei der Lebendspende gem. § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 TPG, gesetzlich an strenge Voraussetzungen geknüpft sein mag, gehört die Organspende zu einem grundrechtlich geschützten Verhalten im Rahmen selbstbestimmten Handelns. Anders aber noch Kant, Die Metaphysik der Sitten, Zweiter Teil: Tugendlehre, 1797, § 6 (zitiert nach Gärditz, in: Dujmovits / Eberhard / Eisenberger u. a. [Hrsg.] Recht und Medizin, S. 11, 15), der in der freiwilligen Gabe eines Organs zur Transplantation eine Entwürdigung der gesamten Menschheit sah. 521  Dreier, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 1 Abs. 1 Rn. 149 f.; Herdegen, in: Maunz / Dürig u. a. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 1 Abs. 1 (2009), Rn. 79.

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diesen Entscheidungen bestätigt die Subjektqualität des Betroffenen. Demzufolge ist die Zustimmung des Betroffenen eine geeignete Rechtfertigung für die Zulässigkeit spendezentrierter Maßnahmen. b) Die Zustimmung zur spendezentrierten Behandlung Ein medizinischer Eingriff in die körperliche Integrität bedarf der „aufgeklärten Einwilligung“ des Patienten, um dessen Selbstbestimmungsrechte zu wahren (vgl. § 630d Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB). Auch eine Organentnahme ist grundsätzlich nur nach Zustimmung des potentiellen Spenders erlaubt (§ 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG). Möglicherweise legitimiert die Einwilligung in eine Organspende gleichzeitig die Vornahme organprotektiver Maßnahmen (aa)). Denkbar ist ebenso die Erteilung einer Erlaubnis zur spendezentrierten Behandlung durch eine Patientenverfügung (bb)). Kann die Legitimation weder einer Organspendeerklärung noch einer Patientenverfügung entnommen werden, stellt sich die Frage, ob für spendezentrierte Einwirkungen im Präfinalstadium noch die Regeln für den lebenden Patienten Anwendung finden müssen (Grundsatz der persönlichen Einwilligung) oder bereits auf den Rechtsrahmen der Organspende (Grundsatz der Erlaubnis einer Angehörigenentscheidung) abgestellt werden sollte (cc)). Bedarf es der Hinzuziehung eines Stellvertreters, sind dessen Entscheidungsrahmen (dd)) sowie Konfliktfelder mit anderen Entscheidungsberechtigten abzustecken (ee)). aa) Eine Organspendeerklärung als gleichzeitige Einwilligung in spendezentrierte Maßnahmen? Hat sich der Patient zu Lebzeiten für eine Organspende entschieden, muss die Reichweite seiner Willensbekundung abgesteckt werden. Auf einem vorgefertigten Organspendeausweis der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung willigt der Betroffene in eine Spende nach dem Tod ein. Damit sind jegliche notwendige Behandlungen im Hinblick auf die Organentnahme ab dem Zeitpunkt der Hirntodfeststellung von der Einwilligung gedeckt. Über vorbereitende Maßnahmen im prämortalen Zustand schweigt der Ausweis. Eine Zustimmung zu dieser spendezentrierten Behandlung könnte sich aus ihrer Selbstverständlichkeit ergeben. Ärztlichen Eingriffen wohnen oftmals Begleitmaßnahmen inne, deren Vornahme sich von selbst versteht und die daher keines gesonderten Einverständnisses bedürfen. Um eine solche konkludente Zustimmung konstruieren zu können, müssten die potentiellen Organspender bei Abgabe ihrer Erklärung jedoch um die Art, den Umfang und vor allem die Risiken der Spenderkonditionierung wissen. Mangels breiter öffentlicher Informationskampagne kann von dieser Prämisse nicht ausgegangen werden. Auch eine Herleitung aus einer gesetzlichen Vorentscheidung



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durch das Transplantationsgesetz gelingt nicht. In § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG verlangt der Gesetzgeber die Einwilligung in die Organspende, um eine Explantation zu legitimieren. Aus der Vorschrift wird aber deutlich, dass diese lediglich die Entnahmevoraussetzungen formuliert. Relevante Maßnahmen vor dem Eingriff thematisieren weder die Norm noch die Gesetzesbegründung. Die Zulässigkeit vorbereitender Behandlungen wird folglich nicht als Rechtsfolge einer Einwilligung in die Organspende festgelegt. Die Zustimmung zur Organentnahme deckt vor diesem Hintergrund nicht gleichzeitig die Vornahme von präfinalen Maßnahmen.522 bb) Die Einwilligung durch eine Patientenverfügung Eine Patientenverfügung ist eine schriftliche Festlegung eines einwilligungsfähigen Volljährigen für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit, in der er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustands, in Heilbehandlungen oder in ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt (§ 1901a Abs. 1 S. 1 BGB). In diesem Fall ist der Vertreter des Patienten an dessen dokumentierten Willen gebunden, soweit dieser noch nicht überholt ist. Ob das der Fall ist, hat der Vertreter selbst mittels einer Aktualitätskontrolle festzustellen.523 In einer Patientenverfügung könnte der Betroffene die organprotektiven Maßnahmen als „ärztliche Eingriffe“ im Voraus gestattet haben. Diese Art der Einwilligung wird jedoch zurzeit meist an zwei Hürden scheitern. Die erste ergibt sich aus der Tatsache, dass eine flächendeckende Aufklärung über die Spenderkonditionierung nicht stattfindet und der Einzelne folglich nicht über die Entscheidungserheblichkeit der Frage nach der Zulassung organprotektiver Maßnahmen informiert ist. Die pauschalisierte Formulierung in moderneren Patientenverfügungen, die bestimmt, dass ärztliche Maßnahmen zur Ermöglichung einer Organspende durchgeführt werden dürfen, die durch die Patientenverfügung eigentlich ausgeschlossen wur­ den,524 ist nur begrenzt hilfreich. Die untersagten Behandlungen beziehen 522  Auch Tolmein, in: Haarhoff (Hrsg.), Organversagen, S. 57, 73 verneint das Ausreichen eines Organspendeausweises und stellt darauf ab, dass dieser nicht auf eine mutmaßliche Einwilligung zu lebensverlängernden Maßnahmen schließen lasse; ebenso gegen das Genügen einer Organspendeerklärung Duttge / Neitzke, GesR 2015, S. 705, 706. 523  Näher zum Entscheidungsverfahren beim Vorliegen einer Patientenverfügung siehe Diehn / Rebhan, NJW 2010, S. 326 ff. 524  Vgl. den Formulierungsvorschlag des Bundesministeriums für Justiz, abrufbar unter: http: /  / www.bmjv.de / SharedDocs / Downloads / DE / Broschueren / Anlagen / Pati entenverfuegung_Textbausteine_pdf.pdf?__blob=publicationFile (zuletzt abgerufen am 30.06.2017).

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sich nämlich ausschließlich auf patientenzentrierte Maßnahmen, wie eine Lebenserhaltung durch Intensivmaßnahmen. Eine durch die Verfügung erlaubte Fortführung der Intensivpflege gestattet jedoch keine anderweitigen fremdnützigen Eingriffe, wie etwa Blutabnahmen, wenn sie nicht auf die Behandlung des Patienten gerichtet sind. Zweitens dürfte eine Patientenverfügung, die trotz des Aufklärungsdefizits auf die vorbereitenden Maßnahmen eingeht, nicht selten aus formalen Gründen unwirksam sein. Die Wirksamkeit von standardisierten Patientenverfügungen generell wurde vom Bundesgerichtshof bereits kritisch betrachtet. Eine schriftliche Patientenverfügung kann nach seiner Ansicht nach nur dann unmittelbare Bindungswirkung entfalten, wenn ihr konkrete Entscheidungen des Betroffenen über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in bestimmte, noch nicht unmittelbar bevorstehende ärztliche Maßnahmen zu entnehmen sind.525 Üblicherweise werden Patientenverfügungen in der heutigen Zeit durch das Ausfüllen eines von jedermann beschaffbaren vorgedruckten Formulars erstellt, die nur allgemeine Anweisungen enthalten. Eine ärztliche Aufklärung erfolgt nur in den seltensten Fällen. Der Gesetzgeber hat bei der Schaffung des Patientenrechtegesetzes jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Wirksamkeit von Patientenverfügungen, die eine Einwilligung in eine ärztliche Behandlungsmaßnahme enthalten (nicht die bloße Ablehnung einer ärztlichen Maßnahme), von einer vorausgegangenen ärztlichen Aufklärung oder einem erklärten Verzicht auf eine solche abhängig ist. Enthält eine Patientenverfügung keinen ausdrücklich erklärten Verzicht auf eine ärztliche Aufklärung, wird diese lediglich als Indiz für den mutmaßlichen Willen des Patienten gewertet. In diesem Fall bedarf es stets einer Entscheidung des Betreuers oder des Bevollmächtigten über die Zulässigkeit des ärztlichen Eingriffs.526 Der mutmaßliche Wille des Betroffenen muss die Grundlage der Entscheidung sein. cc) Die Angehörigenentscheidung als zulässiges Surrogat des Patientenwillens? Die auf eine Organspende vorbereitenden Maßnahmen sind Behandlungen eines lebenden Menschen. Diese Tatsache spricht dafür, sie wie einen typischen ärztlichen Eingriff zu behandeln und eine informierte Einwilligung des Patienten für ihre Rechtmäßigkeit zu fordern. Der Zustand eines Patienten im präfinalen Stadium könnte jedoch eine andere rechtliche Würdigung des Sachverhalts erfordern. Die Erscheinung des potentiellen Spenders – dass er 525  BGH,

Beschl. v. 06.07.2016 – Az. XII ZB 61 / 16. den Wirksamkeitsvoraussetzungen der Patientenverfügung vgl. BT-Drs. 17 / 10488, S. 23. 526  Zu



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nicht mehr bei Bewusstsein, geschweige denn entscheidungsfähig ist – zeigt sich nicht als Besonderheit. Insofern besteht kein Unterschied zu gewöhn­ lichen Komapatienten. Allerdings setzen – legitimierbare – organprotektiven Maßnahmen erst zu einem Zeitpunkt ein, indem der Hirntod bereits vermutet wird oder konkret droht und ein Wiedererlangen des Bewusstseins nach ärztlicher Einschätzung aussichtslos ist.527 Therapeutische Hoffnungen bestehen dann nicht mehr. Diese unvermeidlich dem Tod entgegenstrebende Ausgangssituation könnte derjenigen einer Klärung der generellen Organspendebereitschaft bereits derart nahekommen, dass eine Angehörigenentscheidung ausreichend erscheinen mag. Ein Festhalten an den rechtlichen Voraussetzungen zur Legitimation von Eingriffen am lebenden Körper könnte als reiner Formalismus aufgefasst werden. Dagegen spricht jedoch die Art der Angehörigenentscheidung im Fall der Organspende. Die einzige Legitimation ihrer Einbeziehung basiert auf der Tatsache, dass der Verstorbene sein postmortales Selbstbestimmungsrecht nicht ausgeübt hat und das Transplantationsgesetz die Angehörigen zur Entscheidung beruft. Eine prämortale Ausübung dieser Berechtigung verbietet sich selbstredend. Solange der Patient nicht erwiesenermaßen hirntot ist, obliegt ihm die Entscheidung über Eingriffe in seinen Körper. Es gelten die Vorschriften des Betreuungsrechts uneingeschränkt, deren Wirkung erst mit der Feststellung des Todes endet. Mangels Verfügungsbefugnis, können die Angehörigen medizinische Behandlungen nicht legitimieren. Unbefriedigende Konfliktsituationen können sich hieraus ergeben, wenn sich der zu Lebzeiten des Patienten entscheidungsbefugte Bevollmächtigte bzw. Betreuer und die zur Entscheidung über eine postmortale Organspende aufgerufenen Angehörigen über den mutmaßlichen Willen des Patienten nicht einig sind.528 dd) Die Entscheidungsbefugnis eines Stellvertreters Wenn weder die Einholung der höchstpersönlichen Einwilligung möglich ist noch eine Organspendeerklärung oder eine Patientenverfügung den Eingriffen Legitimation verschaffen und auch den Angehörigen ein Verfügungsrecht über die Gesundheit des potentiellen Spenders nicht zusteht, bleibt nur eine Hinzuziehung von gewillkürten oder gesetzlichen Stellvertretern. Diese haben ihr Entscheidungsrecht treuhänderisch im Sinne des Vertretenen wahrzunehmen.529 527  Schöne-Seifert / Prien / Rellensmann u. a., Behandlung potentieller Organspender im Präfinalstadium, S. 3. 528  Näher zu dieser Konfliktsituation siehe S. 299 ff. 529  Vgl. Hufen, NJW 2001, 849, 852; Jansen, Forschung an Einwilligungsunfähigen, S. 126.

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Es handelt sich bei der Einwilligung in einen medizinischen Eingriff um ein relativ höchstpersönliches Recht. Es gilt der allgemeine Grundsatz, dass eine Zustimmung auch von einem Bevollmächtigten oder gesetzlichen Vertreter erteilt werden kann (vgl. § 1904 BGB, der auf die Person des Betreuers abstellt). Von vornherein einleuchtend erscheint dies bei Heilbehandlungen, die dem Wohl des einwilligungsunfähigen Patienten dienen. Problematischer sind Sachverhalte, bei denen ausschließlich die Wahrung von Drittinteressen im Raum steht. Dem Transplantationsgesetz lassen sich keine Anhaltspunkte für die Abweichung von der allgemeinen Regel der Vertretungsberechtigung entnehmen. Entscheidungen eines Gesundheitsbevollmächtigten ((1)) oder eines Betreuers ((2)) sind daher grundsätzlich denkbar, sprengen jedoch das Individualrechtsverhältnis zwischen Vertreter und Vertretenem in einem nicht mehr auf eine Therapierung oder palliative Begleitung ausgerichteten Behandlungsbereich, weshalb ihnen enge Grenzen gesetzt sind. (1) Die Entscheidung eines Bevollmächtigten In den letzten Jahren hat die persönliche Vorsorge in medizinischen Notfallsituationen verstärkt zugenommen. Nicht nur die Anzahl der Patientenverfügungen steigt kontinuierlich, auch die Erteilung von Vorsorgevollmachten befindet sich auf dem Vormarsch. Durch eine solche bevollmächtigt der Ersteller eine Vertrauensperson, im Fall einer Notsituation für ihn zu entscheiden.530 In seine Entscheidungsbefugnis fällt regelmäßig auch die Bewilligung von medizinischen Maßnahmen als „Angelegenheiten der Gesundheitssorge“, wobei gefährliche Eingriffe (Gefahr des Todes oder schwerer und länger dauernder gesundheitlicher Schaden) von der Vollmacht ausdrücklich umfasst sein müssen und der Genehmigung durch das Betreuungsgericht bedürfen (§ 1904 Abs. 5 BGB). Die Bevollmächtigung einer Vertrauensperson zur Regelung der eigenen medizinischen Angelegenheiten dient der persönlichen Interessenwahrung. Im Regelfall hat der Patient eine ihm besonders nahestehende Person bestellt, von der er sich die beste Interessenvertretung verspricht. Es ist durch Auslegung seiner Erklärung zu ermitteln, welche Entscheidungsrechte dem Bevollmächtigten konkret zukommen sollen (§§ 133, 157 BGB). Regelmäßig wird die Vertrauensperson zur Entscheidung in allen Angelegenheiten der Gesundheitssorge ermächtigt. Selbst wenn ihr weitreichende Verfügungsbefugnisse, wie solche über eine Aufnahme oder Weiterführung intensivmedizinischer Maßnahmen, übertragen wurden, bedeutet das keinesfalls gleichzeitig zwingend die Ermächtigung zur Entscheidung über Eingriffe, die eine Organ530  Zur Vorsorgevollmacht im Allgemeinen siehe Milzer, NJW 2003, S. 1836 ff. sowie umfassend Walter, Die Vorsorgevollmacht.



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spende fördern. Während die Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen dem Interesse des Patienten zu dienen bestimmt ist, sein bloß maschinell aufrechterhaltenes Leben beenden zu können, richtet sich die Spenderkonditionierung auf rein fremdnützige Ziele. Die Ermächtigung des Bevollmächtigten, in diese Zweckrichtung tätig zu werden, dürfte schon aufgrund mangelnder Aufklärung regelmäßig nicht die Intention der Beauftragung gewesen sein. Vorsorgevollmachten sind vielmehr patientenzentriert und betreffen infolgedessen lediglich die Vornahme oder das Unterlassen von Heilbehandlungen oder damit in Zusammenhang stehende Maßnahmen. Ob und inwieweit eine Bestimmungsmacht erteilt wurde, wird jedoch stets eine Entscheidung im konkreten Einzelfall erfordern. Da der Betroffene dem Bevollmächtigten durch die Auftragserteilung mit seiner umfassenden Gesundheitssorge maßgebliches Vertrauen entgegengebracht hat, dürfte sich seine Erklärung regelmäßig zumindest dahingehend auslegen lassen, dass der Bevollmächtigte insgesamt seinen Willen in Gesundheitsangelegenheiten durchsetzen soll. In diese Kategorie gehören auch die Maßnahmen zur Organspendevorbereitung. Entscheidungsrelevant ist insofern der mutmaßliche Wille des Patienten, wenn sein wirklicher Wille nicht bekannt ist. Dieser ist zwar kein Ausdruck originärer Selbstbestimmung, knüpft jedoch an diese an.531 Seine Beachtlichkeit stellt keine Missachtung der Selbstbestimmtheit des Betroffenen dar, sondern hilft als Surrogat gegenteilig dem Entscheidungsnotstand am besten ab, sodass der Patient als Subjekt wahrgenommen wird.532 Es liegt nahe, anzunehmen, dass das Interpretationsprimat dieses mutmaßlichen Willens beim Gesundheitsbevollmächtigten liegt. Ist er nicht ergründbar, dürfte dem Bevollmächtigten jedoch üblicherweise keine weitere Entscheidungsbefugnis eingeräumt worden sein. (2) Die Entscheidung eines Betreuers Ein bevorstehender Hirntod ist meist die Folge eines plötzlichen, unerwarteten Ereignisses. Aus diesem Grund wird es oftmals an einer Bevollmächtigung Dritter fehlen, bevor intensivmedizinische Maßnahmen notwendig werden. Um in diesem Zustand Entscheidungen, gerade mit Blick auf vorherige Heilbehandlungen, herbeizuführen, wird nach ärztlichem Begehren üb­ licherweise ein Betreuer für den nun einwilligungsunfähigen Patienten bestellt.533 Dieser entscheidet dann innerhalb des ihm gerichtlich übertragenen Jansen, Forschung an Einwilligungsunfähigen, S. 188. ebda., S. 189; Stratenwerth, ZStW 68 (1956), S. 41, 48; zur mutmaßlichen Einwilligung vgl. auch Joecks, in: Joecks (Hrsg.), MüKo StGB, § 223 Rn. 103 ff. 533  Vgl. z. B. BVerfG NJW 2002, S. 206 ff. 531  Vgl. 532  Vgl.

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Bereichs über die weiteren medizinischen Maßnahmen.534 Im Hinblick auf ärztliche Eingriffe hat der Betreuer dem Wohl des Betreuten zu dienen (§ 1901 Abs. 2, Abs. 3 BGB), wozu zunächst gehört, dem mutmaßlichen Willen des Betroffenen Geltung zu verschaffen (a)). Ist ein solcher nicht bekannt, gilt das objektive Wohl des Betreuten als Handlungsprimat (b)). (a) Die Ermittlung des mutmaßlichen Willens Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass eine höchstpersönliche Einwilligung in spendezentrierte Behandlungen in aller Regel nicht vorliegen wird, erweist sich der mutmaßliche Wille des Patienten in der typischen Ausgangssituation der Vorbereitung einer Organspende als Dreh- und Angelpunkt der Betreuerentscheidung. Ein medizinischer Eingriff ist bei Nichteinholbarkeit der Einwilligung dann legitim, wenn eine solche bei objektiver Würdigung aller Umstände mit Sicherheit zu erwarten wäre; das ist der Fall, wenn die Behandlung zum Wohle des Patienten vorgenommen wird. Das Wohl umschreibt als unbestimmter Rechtsbegriff die Gesamtheit der persönlichen und wirtschaftlichen Bewahrungs- und Entfaltungsinteressen des Betreuten.535 Die Vorbereitung auf eine Organentnahme dient jedoch nicht mehr den Interessen des Spenders, sondern vielmehr derjenigen der potentiellen Empfänger. Der subjektive mutmaßliche Wille könnte dennoch für eine Duldungsbereitschaft zur Lebensrettung schwer kranker Wartelistepatienten sprechen. Der Betreuer ist befugt, diesen Willen durchzusetzen, da die Bestimmung des Wohls des Betreuten nicht ausschließlich objektiv erfolgt, sondern maßgeblich durch den Lebensentwurf des Betroffenen geprägt wird.536 Zunächst ist ein subjektiver Maßstab anzulegen, der insbesondere den mutmaßlichen Willen des Betreuten berücksichtigen muss. Folglich darf das Wohl des Patienten nicht auf dessen körperliche Unantastbarkeit reduziert werden.537 Das gilt zumindest soweit das objektive Wohl dem nicht entgegensteht (§ 1901 Abs. 3 S. 1 BGB). Maßnahmen, die nur mit minimalen Risiken und Belastungen verbunden sind, dürften das objektive Wohl lediglich so marginal beeinträchtigen, 534  Dabei dürfte sich der typische Fall der gerichtlichen Bestellung für den Aufgabenkreis der „Gesundheitssorge“ als problematisch erweisen. Mangels therapeutischen Nutzens der fremdnützigen Behandlungen ist eine Einwilligung in diesem Bereich von der Bevollmächtigung strenggenommen nicht gedeckt. Es sollte sich daher um eine umfassendere Bestellung des Betreuers bemüht werden. Zum parallelen Problem der Bevollmächtigung für die Gesundheitssorge und der Einwilligung in Forschungsvorhaben siehe Fröhlich, Forschung wider Willen, S. 165. 535  Schwab, in: Säcker / Rixecker (Hrsg.), MüKo BGB, § 1901 Rn. 9. 536  Ebda., § 1901 Rn. 10; Spickhoff, in: ders. (Hrsg.), BGB, § 1901 Rn. 2. 537  Vgl. Jansen, Forschung an Einwilligungsunfähigen, S. 139, 142.



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dass der mutmaßliche Wille des Patienten ohne Weiteres Berücksichtigung finden kann.538 Im Gegensatz zu einer vom Willen der Selbsterhaltung getragenen Entscheidung kann eine mutmaßliche Einwilligung aufgrund rein altruistischer Motive jedoch nicht ohne konkrete Anhaltspunkte angenommen werden. Der Wille zur Aufopferung darf keinesfalls ex nihilo unterstellt werden, denn dann wäre er eine normative Projektion Dritter. Autonom gewählter Altruismus kann nicht durch eine heteronom oktroyierte Fremdentscheidung sub­ stituiert werden.539 Zur Feststellung des mutmaßlichen Willens bedarf es individueller, konkreter, aussagekräftiger Anhaltspunkte.540 Um der Selbstbestimmung des Patienten gerecht zu werden, muss er unter Heranziehung von seinen bisherigen Äußerungen, seiner persönlichen Umstände, seiner individuellen Interessen, Wünsche, Bedürfnisse oder Wertvorstellungen ermittelt werden.541 Fehlen relevante Hinweise ist prinzipiell davon auszugehen, dass der Wille des Betroffenen mit dem übereinstimmt, was gemeinhin als normal und vernünftig angesehen wird. Aus diesem Grund muss das objektive Interesse des Betroffenen zur Bildung des Wahrscheinlichkeitsurteils herangezogen werden.542 Das objektive Wohl des Patienten spricht jedoch gegen die Vornahme rein fremdnütziger Einwirkungen, sondern richtet sich auf Integritätsschutz. Eine Sonderbehandlung könnte bei Maßnahmen geboten sein, die offensichtlich die eigenen schützenswerten Interessen des Patienten nicht berühren. Im Fall der fehlenden Berührung des eigenen Interessenkreises nimmt die Strafrechtslehre üblicherweise eine Rechtfertigungsmöglichkeit durch die mutmaßliche Einwilligung an.543 Weitergehend könnten solche minimalen 538  Vgl. ebda., S. 145, 190 in Bezug auf die Berücksichtigung von Wünschen bzw. des mutmaßlichen Willens eines Betreuten im Hinblick auf eine Forschungsteilnahme. 539  Picker, JZ 2000, S. 693, 700 in Bezug auf die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters in fremdnützige Forschungsmaßnahmen bei Einwilligungsunfähigen; vgl. auch v. Freier, Recht und Pflicht in der medizinischen Humanforschung, S. 37 ff.; in Bezug auf die Organexplantation Seelmann, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 29, 38. 540  BT-Drs. 16 / 8442, S. 15. 541  Vgl. schon § 1901a Abs. 2 S. 3 BGB zur Feststellung des mutmaßlichen Willens bei ärztlichen Eingriffen, der auf konkrete Anhaltspunkte, insbesondere neben Äußerungen auch auf ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige persön­ liche Wertvorstellungen abstellt; vgl. ebenso BGHSt 35, 246, 249; 40, 257. 542  Zur Ermittlung des mutmaßlichen Willens bei einer medizinischen Behandlung vgl. BGH, MedR 1998, S. 248; BGH JZ 2003, S. 732, 735; v. Freier, Recht und Pflicht in der medizinischen Humanforschung, S. 33. 543  Vgl. Kindhäuser, Strafrecht Allgemeiner Teil, S. 169; wobei allerdings fraglich ist, ob dies auch für höchstpersönliche Rechtsgüter gilt. Kritisch zum mangeln-

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Belastungen prinzipiell als von der mutmaßlichen Einwilligung gedeckt anzusehen sein, die so geringfügig sind, dass der Betroffene keinen Grund hätte, ihre Duldung zu verweigern.544 Hierin zeigt sich jedoch eine gefährliche Umkehr der Argumentationslast. Sobald ein Rechtseingriff erfolgen soll, kommt es nicht darauf an, ob es keinen Anlass gäbe, den Zugriff zu verweigern, sondern ob ein Grund besteht, die Maßnahme zu dulden. Andernfalls würden der Sache nach Pflichten konstruiert.545 Spendezentrierte Behandlungsschritte können ohnehin nicht als neutrale, lediglich zu vernachlässigende Belästigungen aufgefasst werden. Es ist insgesamt höchste Vorsicht geboten, was die Bestimmung des mutmaßlichen Willens des Patienten angeht. Mancher Betroffene wird rein organprotektive Einwirkungen auf seinen Körper oder eine rein fremdnützige Hirntodfeststellung bereits als unwürdig oder pietätlos empfinden.546 Die Konstruktion des „mangelnden Interesses“ ist im Rahmen der spendezentrierten medizinischen Behandlung folglich unbrauchbar. Dann aber ist die tatsächliche Feststellung eines befürwortenden mutmaßlichen Willens durch die soeben beschriebene Vorgehensweise unerlässlich. Seine Ermittlung ist als Stellvertreterentscheidung notwendigerweise stark einzelfallabhängig und nie frei von Interpretation oder Bewertung.547 Sie ist unvermeidlich stets mit der Gefahr belastet, den wirklichen Willen zu verfehlen und so zum „trojanischen Pferd(en) der Fremdbestimmung“548 zu werden. Ihr müssen daher enge Grenzen gesetzt werden, die eine Entscheidung des Betroffenen gegen die eigenen objektiven Interessen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermuten lassen.549 den Interesse in Bezug auf die Organentnahme schon Seelmann, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 29, 38. 544  So aber Maio, Ethik in der Forschung am Menschen, S. 149 in Bezug auf eine mutmaßliche Einwilligung in Bezug auf die Humanforschung. 545  Kritisch daher v. Freier, Recht und Pflicht in der medizinischen Humanforschung, S. 40; insgesamt kritisch in Bezug auf das Rechtskonstrukt der mutmaßlichen Einwilligung P. Kirchhof, in: Kern / Wadle / Schroeder u. a. (Hrsg.), FS Laufs, S. 931, 937; Schachtschneider / Siebold, DÖV 2000, S. 129, 135. Zu einer Pflichtenbegründung durch über den Solidargedanken vgl. S. 303 ff. 546  Schöne-Seifert / Prien / Rellensmann u. a., Behandlung potentieller Organspender im Präfinalstadium, S. 4. 547  v. Freier, Recht und Pflicht in der medizinischen Humanforschung, S. 34. 548  Höfling / Rixen, JZ 2003, S. 884, 894. 549  Für dieses hohe Maß an Sicherheit auch v. Freier, Recht und Pflicht in der medizinischen Humanforschung, S. 36; insgesamt kritisch zur Konstruktion einer mutmaßlichen Einwilligung bei der Organentnahme Walter, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 181, 193 f., die einen Rückschluss von der Lebensanschauung des Betroffenen auf einen mutmaßlichen Willen für unmöglich hält und im Fall eines Vorliegens überzeugender Anhaltspunkte für das Einverständnis des potentiellen Spenders von einer konkludenten Willensäußerung ausgeht.



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen297

Grundsätzlich muss gelten, dass ein befürwortender Wille überhaupt nur in Betracht gezogen werden kann, wenn ein solcher schon bezüglich einer Organspende besteht. Eine Einbeziehung der Angehörigen erscheint zur diesbezüglichen Willensermittlung unerlässlich, wenn keine entsprechende Dokumentation des potentiellen Spenders vorliegt. Bereits das Betreuungsrecht erkennt in § 1901b Abs. 2 BGB die Notwendigkeit der Hinzuziehung von Angehörigen bei der Bestimmung des mutmaßlichen Willens im Rahmen von medizinischen Eingriffen an. Im Gegensatz zur bisher üblichen und empfohlenen Praxis550 müssen die Angehörigen daher bereits vor der Feststellung des Hirntodes mit einer möglichen Organspende konfrontiert werden.551 Der Wille zu einer Organspende deutet an, dass der Betroffene einer fremdnützigen Einwirkung auf seinen Körper nicht grundsätzlich entgegensteht. Allerdings gilt eine solche Erklärung oder Willensermittlung ausschließlich für den Fall seines (festgestellten) Todes. Einen mutmaßlichen Willen zur umfassenden spendezentrierten Behandlung wird man am Ende regelmäßig nicht feststellen können. (b) Die Betreuerentscheidung nach dem objektiven Wohl des Patienten Lässt sich der mutmaßliche Wille des Betreuten nicht ermitteln, hat der gesetzliche Vertreter im Rahmen der Gesundheitssorge nach dem objektiven Wohl des Vertretenen zu entscheiden. Medizinische Maßnahmen zugunsten einer Organspende entsprechen jedoch nicht mehr seinem objektiven Wohl und finden durch diesen folglich keine Legitimationsgrundlage. Der nun gültige Leitgedanke dieses objektiven Wohls verschließt die Tür einer befürwortenden Betreuerentscheidung auf Grundlage des Betreuungsrechts.

550  Schöne-Seifert / Prien / Rellensmann u. a., Behandlung potentieller Organspender im Präfinalstadium, S. 6. 551  Eine frühzeitige Konfrontation der Angehörigen wird durch das TPG nicht ausgeschlossen. Eine Organentnahme ist erst nach Feststellung des Todes erlaubt (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 TPG). Die Angehörigen sind von der beabsichtigten Organentnahme zu unterrichten (§ 3 Abs. 3 S. 1 TPG). Die Systematik der Norm deutet an, dass der Gesetzgeber von einer Konfrontation der Angehörigen erst nach der Feststellung des Todes ausging. Die vorliegende Norm dient jedoch nicht dem Zweck, den Zeitpunkt der Angehörigeneinbeziehung zu regeln. Es ist nicht ersichtlich, dass das Erfordernis, die Angehörigen nach der Todesfeststellung über eine beabsichtigte Organentnahme zu unterrichten nach dem Willen des Gesetzgebers eine frühere Befragung der Angehörigen ausschließen sollte. Eine zeitige Konfrontation dient dazu, den Erfolg einer geplanten Explantation und den der folgenden Transplantationen zu steigern, was gerade dem Willen des Gesetzgebers entspricht.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

In jüngster Zeit wurde sich bemüht, diese Hürde durch eine „liberale Auslegung“ des Patientenwohls zu überwinden.552 Anlass dieses alternativen Rechtsverständnisses ist die besondere Konstitution des potentiellen Spenders. Er befindet sich bei dem Wechsel von der patienten- auf die spendezentrierte Sichtweise in einer präfinalen Lage, in der keinerlei therapeutische Zielsetzung mehr angestrebt wird, sondern sein Tod unausweichlich kurz bevorsteht. In diesen Fällen kann das objektive Wohl des Einwilligungsun­ fähigen nicht mehr anhand einer Lebensrettung oder Gesundheitswiederherstellung bestimmt werden, sondern ergibt sich aus dem Interesse, in Würde sterben zu dürfen, was eine angemessene palliative Pflege einschließt.553 Dementsprechend sollen durch die Betreuerentscheidung solche Einwirkungen auf den Patienten legitimierbar sein, die sein Interesse an einem würdigen Sterben nicht desavouieren. Mit einer entsprechenden Erlaubnis von Seiten des Betreuers seien infolge einer solchen liberalen Auslegung des Patientenwohls alle Maßnahmen zulässig, die dem potentiellen Spender keinen Schaden zufügen, was minimale Belastungen und Risiken im Rahmen der Spenderkonditionierung einschließen soll.554 So sehr diese Argumentationslinie auf den ersten Blick verfängt und die allgemeine moralische Intuition zu befriedigen geeignet scheint, so problembelastet ist ihre Prämisse. Sie geht von einem Zugriffsrecht der Gemeinschaft auf den Leib des Einzelnen aus, das sich aus dem Betreuungsrecht nicht ergeben kann. Dieses orientiert sich deutlich an der „klassischen Auslegung“ des Terminus „Wohl“ und zeigt sich gegenüber fremdnützigen Verfügungen zulasten des Betreuten unzugänglich; seien die Maßnahmen auch noch so geringfügig. Das Betreuungsrecht ist als Schutz-, nicht als Eingriffsrecht ausgestaltet.555 Eine Inanspruchnahme des potentiellen Spenders ohne seinen – zumindest – mutmaßlichen Willen als Rechtfertigungsbasis bedarf einer weitergehenden Legitimation, die im Bereich von Solidarpflichten im Sozialstaat gesucht werden muss. Solche Verpflichtungsgründe sind jedoch rechtlich unabhängig von einer Entscheidung des Betreuers. Seine Befürwortung hat für die Inanspruchnahme des Verpflichteten keinen Legitimationswert. Dementsprechend kann der Betreuer spendezentrierte Maßnahmen 552  In diesem Sinne vor allem das schweizerische Gutachten Guillod / Mader, Vorbereitende medizinische Maßnahmen im Hinblick auf eine Organentnahme, S. 44 ff. unter Rückgriff auf die weitreichenden Forschungsmöglichkeiten an Einwilligungsunfähigen in der Schweiz und der Formulierung einer „liberalen Auslegung“ des Wohls der betreuten Person. 553  Guillod / Mader, Vorbereitende medizinische Maßnahmen im Hinblick auf eine Organentnahme, S.  47 f. 554  Ebda., S.  48 f. 555  Vgl. zur Einordnung Jansen, Forschung an Einwilligungsunfähigen, S. 121 ff. m. w. N.



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen299

nicht rechtswirksam bewilligen, solange sie nicht auf dem mutmaßlichen Willen des Patienten beruhen. ee) Konflikte zwischen den Bevollmächtigten / Betreuern und den Angehörigen Der Bevollmächtigte bzw. der Betreuer nimmt bei der Einleitung organprotektiver Maßnahmen eine zentrale Stellung ein. Die Vornahme einer spendezentrierten Behandlung hängt von seiner Zustimmung ab. Daneben erscheint es paradox, dass es jedoch die nächsten Angehörigen sind, die nach dem Versterben des Patienten über eine postmortale Organspende entscheiden, wenn sich dieser zu Lebzeiten nicht geäußert hat. Sind der Bevollmächtigte / Betreuer und der zur Entscheidung berufene Angehörige personen­ verschieden,556 drohen widersprüchliche Interpretationen des mutmaßlichen Willens des Patienten oder gegensätzliche Ansichten, ob eine Organentnahme stattfinden soll. Für diese ist die Vornahme einer organprotektiven Therapie jedoch entscheidend. Nimmt man an, dass die in § 4 TPG vom Gesetzgeber getroffene Entscheidung zum Angehörigenrecht zwar rechtsdogmatisch nachvollziehbar, jedoch im Hinblick auf die Nähe der Organspendeentscheidung zur medizinischen Behandlung wenig sachgerecht ist, liegt eine Installation des Entscheidungsrechts der bereits zu Lebzeiten berufenen Stellvertreter durch das Transplantationsgesetz nahe.557 Einsichtig ist das Modell der umfassenden Entscheidungsmacht des Bevollmächtigten / Betreuers im Falle zweier konkurrierender Angehöriger (z. B. der Sohn als Gesundheitsbevollmächtiger und die Ehefrau als nächste Angehörige) bzw. einem Angehörigen und einer besonders nahestehenden Person, wie dem Lebensgefährten. Beide erscheinen aufgrund ihrer Nähebeziehung zum Patienten geeignet, in dessen Sinne zu entscheiden. Hat sich der potentielle Spender etwa für eine Bevollmächtigung seines Sohnes zur Gesundheitssorge entschieden, ist dessen Repräsentation ein Ausdruck der Privatautonomie des Vaters. Es liegt nahe, dass dieser seinem Sohn 556  Tolmein, in: Haarhoff (Hrsg.), Organversagen, S. 57, 76 berichtet von einem typischen Fall, in dem der Sohn des betreffenden Patienten zur Gesundheitssorge bevollmächtigt war, die Ehefrau des potentiellen Spenders jedoch als nächste Angehörige das Recht hatte über eine postmortale Spende zu entscheiden. 557  In diese Richtung Tolmein, in: Haarhoff (Hrsg.), Organversagen, S. 57, 76 f. Er schlägt als Lösung eine Zuständigkeit des Bevollmächtigten / Betreuers über den Tod hinaus vor, S. 79. Duttge / Neitzke, GesR 2015, S. 705, 708 hingegen betonen die wichtige Rolle der Angehörigen im gesamten Organspendeprozess. Der Deutsche Ethikrat, Hirntod und Entscheidung zur Organspende, S. 43, 46 hält weder den Bevollmächtigten / Betreuer (kein therapeutisches Interesse) noch die Angehörigen (keine postmortale Entscheidung) für entscheidungsbefugt, gesteht dem Gesetzgeber jedoch zu, eine Zuständigkeit in die eine oder andere Richtung verbindlich festlegen zu können, S. 47.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

eine umfassende Entscheidung über seine Behandlung, einschließlich einer Organspende, zutraut. Anders zu bewerten sind jedoch die häufigen Fallkonstellationen, in denen kein Bevollmächtigter bestimmt wurde und daher von Gesetzes wegen ein Betreuer bestellt wird. Dieser wurde nicht privatautonom ausgewählt und seine Entscheidung erscheint daher weniger als Verkörperung der Selbstbestimmung des Vertretenen. Entschärft wird die Situation von der Tatsache, dass zum Betreuer in der Regel ein mit dem Betroffenen in Kontakt stehender naher Angehöriger bestimmt wird, von dem grundsätzlich ausgegangen werden kann, dass er in dessen Sinne zu entscheiden vermag.558 Wird jedoch ein solcher nicht berufen – etwa weil keine Verwandten auffindbar oder sie aufgrund räumlicher Distanz nicht greifbar sind – dann spricht bereits die moralische Intuition gegen dessen Entscheidungsrecht über eine Organspende. Dies verdeutlicht das zentrale Paradigma des Totensorgerechts, von dem sich der Gesetzgeber bei seiner Entscheidung für die Angehörigenbefugnis hat leiten lassen. Daran ändert die Tatsache, dass derjenige, der im Sinne des Patienten über dessen Krankentherapie entscheidet, möglicherweise zugleich ebenso kompetent über dessen toten Körper bestimmen könnte, nichts. Die Bestimmungsmacht der Angehörigen über den Leichnam ist kulturell tief verwurzelt.559 Ihr wurde in der westlichen Welt im Rahmen der Organspende durch die weit verbreitete Etablierung einer erweiterten Form der Zustimmungs- oder Widerspruchslösung Rechnung getragen.560 Eine Entkopplung der Entscheidung über die Organspende von der postmortalen Fürsorge der Angehörigen würde mit einer der allgemeinen Sitte entsprechenden Rechtstradition brechen. Eine solche Normierung entgegen dem in der Rechtsintuition der Bevölkerung verankerten Gewohnheitsrecht hätte nachteilige Auswirkungen auf das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Transplantationsmedizin. Nur die Anerkennung des Totensorgerechts trägt dem Selbstverständnis der Hinterbliebenen und vor allem den auf ihrer persönlichen Verbundenheit mit dem Verstorbenen beruhenden Gefühlen ausreichend Rechnung. Der Weg eines Austausches der Entscheidungsbefugten in § 4 TPG ist daher nicht gangbar. 558  Dass der Gesetzgeber nahen Angehörigen – gerade wegen ihrer besonderen Nähebeziehung zum Betroffenen und dadurch bedingten Befähigung in seinem Willen zu entscheiden – eine besondere Stellung einräumen will, zeigt im Rahmen des Transplantationsgesetzes bereits § 4 TPG, wonach die nächsten Angehörigen mit Kontakt zum potentiellen Spender das subsidiäre Entscheidungsrecht über die Organspende haben. 559  Näher zum Totensorgerecht siehe BGH, NJW-RR, 1992, 834; Trockel, Rechtswidrigkeit klinischer Sektionen, S. 84 ff. 560  Selbst in Ländern, in denen die enge Widerspruchslösung gesetzlich normiert wurde, wird in der Praxis die Zustimmung der Angehörigen eingeholt, vgl. Martorell, in: Lilie / Rosenau / Hakeri (Hrsg.), Die Organtransplantation, S. 11, 43 ff.; Nationaler Ethikrat, Die Zahl der Organspenden erhöhen, S. 30.



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen301

Genauso wenig ist, wie bereits aufgezeigt, eine Ausdehnung des Entscheidungsrechts der Angehörigen auf die zu Lebzeiten des Patienten stattfindenden organprotektiven Maßnahmen denkbar. Risiken und Belastungen für einen Lebenden können rechtsdogmatisch nicht auf dem Totensorgerecht fußen, auf dessen Grundlage die Angehörigen bei der Entscheidung über die Organspende tätig werden. Ob die Konsequenz des Vorstehenden zwangsläufig eine unbefriedigende Rechtslage hervorbringt, darf bezweifelt werden. Triebfeder der Einbeziehung Dritter im Rahmen der Gesundheitssorge und Organspende ist es primär, eine Entscheidung im Sinne des Patienten zu ermöglichen. Seinen (mutmaßlichen) Willen zu ergründen hat stets oberste Priorität. Das Auseinanderfallen der Interpretationsberechtigung dieses Willens (Bevollmächtigter / Betreuer zur Gesundheitssorge zu Lebzeiten und nächster Angehöriger bzgl. der Organspende des Verstorbenen) birgt bei der Sondersituation der spendezentrierten Behandlung das Potential eines Dissens, der absurderweise Gefahr läuft, die Durchsetzung des Patientenwillens zu verhindern, obwohl beide Parteien zum Schutz des potentiellen Spenders zur Entscheidung berufen sind. Die Entscheidung über die Vornahme organprotektiver Maßnahmen präjudiziert eine spätere Organentnahme. Es wäre dementsprechend lebensfremd, sie getrennt von dieser zu betrachten. Sowohl der Bevollmächtigte / Betreuer als auch der nächste Angehörige erscheinen kompetent, den Willen des potentiellen Spenders in der Sterbephase zu ergründen. Rechtsdogmatisch liegt die Bestimmungsmacht über die Organprotektion am Ende beim Bevollmächtigten / Betreuer. Da im Fall einer Nichtäußerung zu Lebzeiten eine Organentnahme ausschließlich mit Zustimmung des nächsten Angehörigen in Betracht kommt, ist seine Einwilligung zur Spende bereits zum Zeitpunkt der Einleitung der organprotektiven Therapie einzuholen. Ohne die realistische Aussicht auf eine Spende lassen sich auch minimale Risiken und Belastungen nicht rechtfertigen. Im Idealfall ist das klärende Gespräch über den weiteren Verlauf der Behandlung mit beiden Entscheidungsparteien zeitgleich zu suchen. Versagt einer der Bestimmungsberechtigten seine Zusage, ist eine Organentnahme obsolet. Einzig logische Konsequenz ist die Forderung sowohl der Zustimmung des Bevollmächtigten / Betreuers zur Organprotektion (auf Grundlage des zumindest mutmaßlichen Willens des Betroffenen) als auch der Einwilligung der Angehörigen in eine Organentnahme, bevor mit der Spenderkonditionierung eine Explantation vorbereitet wird. Im Rahmen der Gesprächsführung ist eine einvernehmliche Interpretation des Patientenwillens anzustreben. Dass dies in der Praxis nicht immer möglich sein wird, ist im Vergleich zur zwanghaften Konstruktion einer rechtsdogmatisch ­fragwürdigen Vereinheitlichung des Entscheidungsrechts hinnehmbar. Keine der beiden Rechtspositionen ist minderen Werts, sodass diese zurücktreten

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

sollte. Die Problematik eines Dissenses ist dem Transplantationsrecht z­ udem ohnehin bereits aufgrund ausdrücklicher Normierung inhärent, da gleich­ rangige Angehörige ein grundsätzlich gleiches Recht genießen. Im Fall des Widerspruchs eines Entscheidungsberechtigten unterbleibt die Organentnahme. Eine Entschärfung der Problematik kann über eine umfassende Aufklärung der Bevölkerung erreicht werden. Hat der Patient seine Entscheidung über die Organprotektion und die Organspende selbst getroffen oder bewusst dieselbe Person zur Entscheidung über diese Fragen berufen, bleibt der Konflikt aus. Durch die Einbeziehung aller Berechtigten in die Ermittlung des „Gesamtwillens“561 des Patienten wird zudem am ehesten den medizinethischen Bedürfnissen zum Schutz des Betroffenen entsprochen. ff) Zwischenergebnis Zur Legitimation medizinischer Eingriffe bedarf es in der deutschen Rechtsordnung grundsätzlich der Zustimmung des Patienten. Selbst für den Fall von Maßnahmen im Präfinalstadium, die eine Organspende vorbereiten, kann diese Entscheidungsmacht nicht von den Angehörigen ersetzt werden. Im Rahmen der spendezentrierten Behandlung ist eine Einwilligung des Patienten jedoch nicht mehr einholbar. Eine Erklärung der Organspendebereitschaft umfasst diese ebenso wenig wie die meisten Patientenverfügungen. Hat der Betroffene eine Vorsorgevollmacht formuliert, ist durch Auslegung zu ermitteln, ob und inwieweit der Bevollmächtigte berechtigt wurde, Entscheidungen in Bezug auf fremdnützige medizinische Maßnahmen zu treffen. Auch ein dem Patienten zur Seite gestellter Betreuer kann mit seiner Entscheidung spendezentrierte Maßnahmen grundsätzlich legitimieren, wenn diese seinem zumindest mutmaßlichen Willen entsprechen. Für dessen Bejahung bedarf es konkreter Anhaltspunkte. Grundlage der Ermittlung sind bisherige Äußerungen, persönliche Umstände, individuelle Interessen, Wünsche, Bedürfnisse oder Wertvorstellungen. Mehr als die Inkaufnahme minimaler Belastungen und Risiken werden in der Regel über den mutmaßlichen Patientenwillen nicht zu rechtfertigen sein. Die sonstige Entscheidungsbefugnis des Betreuers kann lediglich solche medizinischen Maßnahmen legitimieren, die zum objektiven Wohl des Patienten vorgenommen werden. Dementsprechend erstreckt sie sich nicht auf die Erlaubnis rein spendezentrierter Behandlungsschritte. Die Notwendigkeit einer Entscheidung über organprotektive Maßnahmen verdeutlicht die Relevanz von Vertreterentscheidungen im Rahmen des Or561  Vgl.

Duttge / Neitzke, GesR 2015, S. 705, 708.



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ganspendeprozesses. Das heterogene Entscheidungsregime birgt erhebliches Konfliktpotential zwischen den zu Lebzeiten entscheidungsbefugten Bevollmächtigten / Betreuern und den zur Entscheidung über die postmortale Organspende berufenen Angehörigen. Eine gesetzliche Regelung, die beiden Parteien gerecht wird, steht auch mit den Interessen des Patienten und medizin­ ethischen Bedürfnissen am besten in Einklang.562 c) Zulassung spendezentrierter Maßnahmen aufgrund einer Solidarpflicht des Patienten Wäre die Vornahme spendezentrierter Maßnahmen ausschließlich auf der Grundlage einer (mutmaßlichen) Einwilligung des Betroffenen legitimierbar, würde ihre Durchführung vor hohe Hürden gestellt. Mit Blick auf die Notwendigkeit organprotektiver Vorkehrungen für den Erfolg einer Transplantation stellt sich die Frage, ob einem Patienten im Präfinalstadium eine Solidarpflicht obliegt, fremdnützige Eingriffe zugunsten der Organaspiranten zu dulden. Genauso wie die Einwilligung in fremdnützige Eingriffe deren Rechtfertigung bedeuten kann, sind auch gesellschaftliche Solidarpflichten geeignet, Risiken und Belastungen des Einzelnen zu legitimieren.563 Es ist anerkannt, dass sie die individuelle Freiheit beschränken können (aa)), indem sie den Vorrang des Gemeininteresses postulieren und eine dadurch bedingte Sozialpflichtigkeit des Individuums annehmen. In der deutschen Rechtsordnung wurden sie vielfach für verschiedene Bereiche normiert, in deren Systematik möglicherweise auch die Spenderkonditionierung verortet werden könnte (bb)). Zumindest nach neueren Rechtsnovellen ist fraglich, ob sich das hiesige Recht dem Zwangszugriff auf die körperliche Integrität des Einzelnen nicht öffnet (cc)). Aber auch, wenn eine leibliche Aufopferung zugunsten gefährdeter Dritter der deutschen Rechtsordnung grundsätzlich fremd sein sollte, könnte für Patienten im Präfinalstadium eine Sonderpflicht zugunsten der Wartelistenkandidaten bestehen (dd)). aa) Solidarität als Begrenzung individueller Freiheit Der freiheitliche Verfassungsstaat wird vor allem durch die Anerkennung umfassender apriorischer Freiheitsrechte des Bürgers geprägt. Die frei562  Zur Einbeziehung sowohl des Bevollmächtigten / Betreuers als auch des nächsten Angehörigen in die Entscheidung siehe den Gesetzesvorschlag im rechtspolitischen Teil der Arbeit, S. 491 ff. 563  Im Hinblick auf Solidarpflichten im Bereich der Organspende bereits Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 53 ff., der sogar eine Sozialpflicht zur Organspende mit der Menschenwürde für vereinbar hält.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

heitszentrierte Architektur des Grundrechtskatalogs erhebt die Autonomie des Individuums zu seinem wesentlichen Schutzgut.564 Dennoch ist das diese Rechte beschränkende Solidaritätsprinzip – auch ohne ausdrückliche Normierung im Gesetzestext des Grundgesetzes – ein notwendiges Strukturelement des modernen Staates. Solidarität meint eine wechselseitige Einstandspflicht innerhalb einer Gemeinschaft, die aufgrund spezifischer Verbundenheit besteht.565 Das Menschenbild der deutschen Verfassung fokussiert sich nicht auf ein isoliertes souveränes Individuum, sondern sieht seine Gemeinschaftsgebundenheit, ohne den Eigenwert des Einzelnen anzutasten.566 Jede Freiheitseinschränkung steht allerdings unter dem Vorbehalt einer Rechtfertigung durch legitime Gemeinwohlbelange. Das Solidaritätsprinzip kann über die Formulierung von wechselseitigen Einstandspflichten solche Freiheitsrestriktionen fordern. Es verlangt unbedingte Pflichtenerfüllung aufgrund der besonderen Verbindung innerhalb einer Gemeinschaft, die über die bloße allgemeine gesellschaftliche Verbundenheit hinausgeht. Eine Gemeinschaft, die solidarisches Handeln einfordert, ist grundsätzlich auf den Interessenausgleich aller beteiligten Individuen und ein damit einhergehendes gegenseitiges Sicherheitsversprechen ausgerichtet. Ihre Solidaritätsforderung beruht auf einer besonderen wechselseitigen Verantwortung. Es handelt sich vor allem um Schicksalsgemeinschaften, wie Familie und Staat, aber auch Notgemeinschaften im Zeitpunkt der Notlage. Art und Umfang der Solidaritätsverpflichtung wird von der jeweiligen Gemeinschaft bestimmt.567 Eine besondere Stellung nehmen die solidarischen Grundpflichten, wie etwa die allgemeine Friedenspflicht, die Wehrpflicht und die Steuerpflicht, ein. Es handelt sich um Pflichten, die für die Schaffung und Erhaltung der staatlichen Organisation unbedingt erforderlich sind und die damit die staatliche Existenz bedingen. Im Gegensatz zu anderen Solidarverpflichtungen gelten sie apriorisch; sie unterliegen damit keiner Rechtfertigungspflicht.568 Jenseits der solidarischen Grundpflichten entfaltet die Abwehrdimension der 564  Volkmann,

Solidarität, S. 231. in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, § 194 Rn. 1; instruktiv zur Frage der Solidarität im Rechtsstaat: Depenheuer, Solidarität im Verfassungsstaat; Isensee (Hrsg.), Solidarität in Knappheit; Volkmann, Solidarität. 566  BVerfGE 4, 7, 15 f. 567  Vgl. zu den Grundsätzen der Solidarität im Verfassungsstaat Depenheuer, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, § 194 Rn. 2 ff. und der Gewährleistung von Sicherheit im modernen Staat durch den Solidaritätsgedanken ders., Solidarität im Verfassungsstaat, S.  199 ff. 568  Zu den solidarischen Grundpflichten vgl. Depenheuer, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, § 194 Rn. 26 ff.; vgl. auch Hofmann, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX § 195 zu Grundrechten und Grundpflichten. 565  Depenheuer,



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Grundrechte ihre volle Wirkung. Will der demokratisch legitimierte Gesetzgeber dem Einzelnen zugunsten des Gemeinwohls Handlungs-, Duldungsoder Unterlassungspflichten auferlegen, muss er dies folglich rechtfertigen. Zunächst gilt eine widerlegliche Vermutung für die grundrechtliche Freiheit von Solidarpflichten. Eine Erweiterung der Solidaritätspflicht auf den zwischenmenschlichen Bereich, jenseits der Garantie der Staatsfunktion, fordert eine strikte Verhältnismäßigkeit zwischen öffentlichem Interesse und belastender Wirkung.569 Sie ist ferner an enge Grenzen gebunden, wie die hiesig etablierten Solidarpflichten belegen. bb) Solidarpflichten im deutschen Recht In der deutschen Rechtsordnung genießt die körperliche Unversehrtheit des Menschen einen herausragenden Schutz gegenüber Fremdeinwirkungen. Ein eigenmächtiger Zugriff auf den Leib eines anderen bedarf stets eines strengen Rechtfertigungstatbestands, da die körperliche Hülle und die Selbstbestimmung zusammen als leibliche Einheit untrennbar miteinander verbunden sind.570 Schon körperliche Eingriffe zum Zwecke einer Heilbehandlung stellen ohne Rückbindung an den Willen des Betroffenen oder seiner Surrogate grundsätzlich eine Verletzung seiner Rechtssphäre dar.571 An diese Feststellung muss sich die Fragestellung anschließen, ob eine Rechtfertigungsmöglichkeit bei rein fremdnützigen Einbußen für die körperliche Integrität, die der Betroffene nicht selbst zu verantworten hat, überhaupt besteht. Dem Grundgesetz kann jedoch kein rein individualistisches, eigennütziges Menschenbild entnommen werden, sondern es hält gemeinschaftsbezogene Belastungen des Einzelnen durchaus für zumutbar.572 Damit hat die Verfassung das Spannungsverhältnis zwischen dem Individuum und der Gemeinschaft zugunsten seiner Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit aufgelöst, ohne jedoch den Eigenwert der Person in Frage zu stel569  Zum Grundrechtsschutz gegen Solidarverpflichtungen siehe Depenheuer, Solidarität im Verfassungsstaat, S. 218 ff.; ders., in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, § 194 Rn. 60. 570  Zur besonderen Bedeutung des Leibes für den Menschen vgl. schon Schumann, Ethik des Heilens, S. 85 ff.; den Körper als Kernbereich der personalen Existenz identifiziert auch Magnus, Medizinische Forschung an Kindern, S. 99. 571  Vgl. schon v. Freier, Recht und Pflicht in der medizinischen Humanforschung, S. 30. 572  Zur verfassungsrechtlichen Diskussion der Regelungsmodelle siehe S. 325 ff. Für ein gemeinschaftsbezogenes Menschenbild des Grundgesetzes auch Taupitz, JZ 2003, S. 109, 116; ders., Forschung an nichteinwilligungsfähigen Patienten, in: Brudermüller / Hauck / Lücker u. a. (Hrsg.), Forschung am Menschen, S. 123, 130.

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len.573 Verschiedenste normierte Handlungs- und Duldungspflichten greifen in die Integrität des Einzelnen ein, ohne dass es seiner Einwilligung bedarf (z. B. die Notstandspflichten, § 81c StPO574, § 372a ZPO575). Ihre Rechtmäßigkeit ergibt sich aus einer „Sozialpflichtigkeit“ des Individuums in den konkreten Konstellationen. Diese Pflichten können in unterschiedlicher Zweckrichtung bestehen, die in interpersonale Solidarpflichten ((1)), besondere Verpflichtungen gegenüber dem Staat ((2)) und institutionalisierte Solidaritätseinforderungen ((3)) kategorisiert werden können. Gemeinsam ist den Begründungen der Obligationen, dass sie Solidarität nicht für beliebige Bereiche fordern, sondern voraussetzen, dass in der sozialen Wirklichkeit bereits Strukturen angelegt oder verwirklicht sind, die eine erhöhte gegenseitige Angewiesenheit bedingen sowie der Sicherung elementarer Lebenszwecke dienen.576 Die verschiedenen Herleitungen der Solidarverpflichtungen differieren allerdings nicht nur in den Umständen der Pflichtenbegründung, sondern zudem in der Schwere der auferlegten Lasten. Ihnen allen ist gemein, dass sie einen Ausgleich zwischen Autonomie und Solidarität suchen.577 (1) Interpersonale Solidarpflichten Eine Verpflichtung zur Duldung der die Organspende vorbereitenden Maßnahmen könnte sich aus einer gegenüber den potentiellen Organempfängern bestehenden interpersonalen Solidarverpflichtung ergeben. Schließlich könnte durch eine erfolgreiche Organspende im besten Fall das Leben mehrerer Wartelistenpatienten gerettet werden. Eine Solidarverpflichtung würde jedenfalls für risikoarme Maßnahmen im Bereich der Organprotektion bestehen, wenn lediglich der angestrebte Nutzen das zugemutete Risiko des Betroffenen eindeutig überwiegen müsste.578 Diese Betrachtung erweist sich jedoch 573  Taupitz, JZ 2003, S. 109, 116 unter Berufung auf BVerfGE 4, 7, 15 f.; 7, 320, 323; 8, 274, 329; näher zur Solidarität im Grundgesetz, Volkmann, Solidarität, S. 217 ff sowie S. 369 ff. 574  Nach § 81c Abs. 1 StPO dürfen Zeugen ohne ihre Einwilligung untersucht werden, soweit festgestellt werden muss, ob sich an ihrem Körper eine Spur oder Folge einer Straftat befindet. Auch die Feststellung der Abstammung, z. B. durch eine Blutentnahme, ist grundsätzlich ohne Einwilligung zu dulden (Abs. 2). 575  Gemäß § 372a Abs. 1 ZPO muss jede Person Untersuchungen, insbesondere Blutentnahmen, zur Klärung ihrer Abstammung dulden. 576  Diese thematische Beschränkung von Solidarpflichten findet sich bereits bei Kluth / Sander, DVBl 1996, S. 1285, 1290; gegen eine Eingrenzung auf elementare Lebenszwecke aber Volkmann, Solidarität, S. 399. 577  Vgl. zum Ausgleichsgedanken der Grundrechtsordnung Volkmann, Solidarität, S. 236. 578  In diese Richtung tendierend für die Legitimation des Humanexperiments Eser, in: FS Schröder, S. 191, 212, der maßgeblich auf den Heilungszweck abstellt.



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen307

auch unter Annahme einer axiologischen Struktur der Gesellschaft, die gegenseitigen Einstand als Wert propagiert, als nicht haltbar.579 Sie würde die bisher getroffenen Wertentscheidungen des Gesetzgebers in Bezug auf eine zwischenmenschliche Solidaritätseinforderung unzulässig verkürzen. Ansonsten dürfte jedwede Lebensrettung mit dem Beistandsargument gerechtfertigt werden. Allgemeine Aufopferungspflichten kennt das deutsche Recht jedoch nicht. Typische interpersonale Solidaritätspflichten setzen akute Notbzw. Konfliktlagen voraus (vgl. § 34 StGB, § 323c StGB).580 Eine solche enge Verbindung kann bei den organprotektiven Maßnahmen zwischen Pa­ tient und Wartelistenkandidaten nicht ausgemacht werden. Es fehlt an der direkten Verbindung zwischen dem Patienten und den Aspiranten, da dem potentiellen Spender eine anonyme Masse an geeigneten Wartelistenkandidaten gegenübersteht. Außerdem liegen die Hürden eines körperlichen Zugriffs im deutschen Recht sehr hoch. Typische Hilfeleistungspflichten sind Handlungspflichten, denen notwendig phänomenologisch eine Selbstbeteiligung innewohnt. Die Handlungsfreiheit wird dem personalen Kern des Individuums nicht in gleicher Weise zugeordnet wie sein leibliches Sein.581 Als wohl bekanntestes Schulbeispiel einer unzumutbaren körperlichen Inanspruchnahme fungiert die Szenerie einer zwangsweisen Blutspende zur Rettung des Lebens eines Dritten. Diese ist nach herrschender Meinung unzulässig, da sie durch die Instrumentalisierung des Betroffenen zur bloßen „Blutbank“ dem Freiheitsprinzip und der Menschenwürde fundamental zuwiderlaufen würde.582 Nach allgemeiner Meinung verkörpert den Gravitationspunkt des körperlichen Zugriffs folglich auch in Notsituationen für Leib und Leben anderer die Einwilligung des Betroffenen. Damit ist aufgezeigt, dass die interpersonale Pflicht des Notstandes oder vergleichbare Regelungen keinen Zwang zur Preisgabe der körperlichen Integrität, wie der zwangsweisen Abgabe einer Blutspende oder gar Organlebendspende583, institutionalisieren. Interpersonale Solidarität legitimiert den Zwangszugriff auf die körperliche Integrität eines anderen in der deutschen 579  Zur Axiologie in der Gemeinschaft vgl. v. Freier, Recht und Pflicht in der medizinischen Humanforschung, S. 194 f. 580  Vgl. Schumann, Ethik des Heilens, S. 85. 581  Zur Differenzierung vgl. umfassend v. Freier, Recht und Pflicht in der medizinischen Humanforschung, S. 191 f., der vor allem anführt, dass die Zurverfügungstellung des Leibes nicht in schuldrechtlich vollstreckbarer Weise bindet. 582  Siehe zur Verneinung eines Notstandsrechts zur zwangsweisen Blutentnahme Neumann, in: Kindhäuser / Neumann / Peaffgen (Hrsg.), StGB-Kommentar, Bd. I, § 34 Rn. 118; Perron, in: Schönke / Schröder (Hrsg.), StGB-Kommentar, § 34 Rn. 41e. 583  Vgl. Deutsch / Spickhoff, Medizinrecht, S. 840 f.; Neumann, in: Kindhäuser / Neumann / Peaffgen (Hrsg.), StGB-Kommentar, Bd. I, § 34 Rn. 118b; Roxin, Strafrecht

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

Rechtstradition nicht. Es wäre zudem verfehlt, den Grund für diese Zugriffsversagung mit einer besonderen Schwere des Eingriffs auf der Ausführungsebene zu begründen.584 Blutentnahmen sind recht risikoarme medizinische Maßnahmen. Eine Risikenbegründung durch eine möglicherweise notwendige gewaltsame Zwangsbehandlung vorzunehmen überzeugt nicht, denn die Art der Durchführung der Einwirkung kann ihre grundsätzliche Zulässigkeit nicht bedingen; sonst hätte es der Betroffene in der Hand, seine Heranziehung zur Pflichterfüllung mit einer ausreichenden Gegenwehr zu delegitimieren. Vollstreckungsmodalitäten können aber nicht über den Pflichtenstatus entscheiden.585 Es ist nicht der Schutz vor der am Gewicht der Folgen bemessenen Eingriffsintensität, als vielmehr der hohe Respekt vor der Leibesgrenze, die die Verfügung über den Körper des anderen zu privatnützigen Zwecken verbietet.586 Eine Aufopferung höchstpersönlicher Rechtswerte für einen Dritten wird nicht verlangt.587 Die menschliche Entfaltung im Miteinander ist nicht mehr unmittelbar Sache des Rechts und der politischen Gemeinschaft.588 Das Grundgesetz stellt die Grundrechte nicht im Namen der Sozialpflichtigkeit unter einen allgemeinen, jederzeit aktualisierbaren Gemeinwohlvorbehalt.589 Solange der Anlass des Eingriffs nicht in der Person des Betroffenen selbst begründet liegt, ist dieser im Allgemeinen vor einem solchen geschützt; nicht durch ihn verursachte Notlagen hat der andere grundsätzlich selbst zu bewältigen.590 Das deutsche Recht ist in Bezug auf die Zumutung körperlicher Beeinträchtigungen zugunsten eines anderen Menschen sehr zurückhaltend.591 Die herkömmlichen interpersonalen Solidarpflichten verpflichten ihn jedenfalls nicht zur Hinnahme körperlicher Eingriffe, wie sie im Rahmen der Spenderkonditionierung erfolgen.

Allgemeiner Teil, Bd. I, § 16 Rn. 96; Wille, in: Breyer / Engelhard (Hrsg.), Anreize zur Organspende, S. 7, 11 ff. 584  Vgl. schon Lenk / Noll-Hussong, in: Lenk / Duttge / Fangerau (Hrsg.), Handbuch Ethik und Recht der Forschung am Menschen, S. 239 in Bezug auf die Forschungs­ legitimation am Menschen. 585  v. Freier, Recht und Pflicht in der medizinischen Humanforschung, S. 242. 586  Vgl. dazu ähnlich in Bezug auf eine zwangsweise durchgesetzte Organspende ebda., S. 148. 587  Kluth / Sander, DVBl 1996, S. 1285, 1291. 588  Hofmann, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, § 195 Rn. 43. 589  Ebda., § 195 Rn. 51. 590  v. Freier, Recht und Pflicht in der medizinischen Humanforschung, S. 156. 591  Sacksofsky, KJ 2003, S. 274, 286.



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(2) Solidarpflichten gegenüber der staatlichen Gemeinschaft Keinen Gewinn in der Debatte bringt der Verweis auf jene die körperliche Integrität einschränkenden Solidarpflichten gegenüber dem Staat, allen voran die Wehrpflicht (§ 1 WPflG, Art. 12a GG), die den Einzelnen sogar zur Aufopferung seines Lebens zwingen kann. Wie bereits dargelegt, gehört sie zu den solidarischen Grundpflichten des Bürgers, die der Schaffung und Erhaltung der staatlichen Organisation dienen.592 Ebenso unzulässig ist ein Vergleich mit den weitgehenden Duldungspflichten zur Eindämmung von Gefahren im Gesundheitsrecht. Gemäß §§ 29, 30 IfSG müssen Personen, von denen möglicherweise Gefahren ausgehen u. a. körperliche Eingriffe oder Quarantänemaßnahmen hinnehmen. Das Ziel des Gesetzes beläuft sich auf eine Vorbeugung, ein frühzeitiges Erkennen und ein Bekämpfen übertrag­barer Krankheiten beim Menschen.593 Im Gegensatz zu einem potentiellen Organspender sind diese Personen selbst Störer. Eine ebenfalls andere Zweckrichtung haben die Eingriffsbefugnisse nach §§  81 a Abs.  1 S.  2, 81 c StPO. Diese Normen fordern ein Opfer, das der Sicherung von Kernaufgaben der Staatlichkeit dient. Die Heranziehung des Bürgers bezweckt hier die Wiederherstellung der Rechtsordnung nach ihrer Infragestellung durch die Straftat. Die Zielsetzungen der Wehrpflicht und der StPO haben damit einen „spezifischen Staatszweckbezug“594. Die Normierungen stellen einfachgesetzliche Ausprägungen von Verpflichtungen gegenüber dem Staat und eben keine interpersonellen Verpflichtungen dar.595 Wesentliches Merkmal dieser Pflichten ist die Bedrohung des Bestandes der staatlichen Ordnung insgesamt.596 Anlässlich dieser Erkenntnis wird teilweise auf die Zivilprozessordnung verwiesen, die mit § 372a ZPO scheinbar eine Ausnahme des strengen Grundsatzes kennt, dass ein Eingriff in die körperliche Integrität aufgrund des interpersonalen Subsidiaritätsgedankens unzulässig ist.597 Nach dieser Norm hat jede Person, folglich auch ein unbeteiligter Dritter, die Pflicht, im Rahmen eines Zivilprozesses Untersuchungen zur Abstammungsfeststellung, insbesondere Blutentnahmen, zu dulden. Dabei handelt es sich um Prozesse, die etwa der Sicherung finanzieller oder ideeller Interessen von Privatpersonen dienen 592  Vgl. Depenheuer, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, § 194 Rn.  32 ff. 593  Vgl. zum Schutz der Bevölkerung vor Infektionskrankheiten BT-Drs. 14 / 2530. 594  Hofmann, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, § 195 Rn. 35. 595  Vgl. dazu v. Freier, Recht und Pflicht in der medizinischen Humanforschung, S. 197. 596  Köhler, ZRP 1995, S. 140, 141 f. 597  So stellen Picker, JZ 2001, S. 345, 346 sowie Taupitz, JZ 2003, S. 109, 116 ohne Weiteres auf § 372a ZPO als Duldungspflicht ab, um eine fremdnützige Forschung mit Einwilligungsunfähigen legitimieren zu können.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

(z. B. eine Erbschaft oder die Namensführung).598 Durch die Zulassung des Untersuchungszwangs im Zivilverfahren wird das Recht am eigenen Körper für den abgrenzbaren Bereich des Zivilprozesses einer Interessenabwägung zugänglich gemacht. Dies geschieht aber nur mittelbar zur Durchsetzung privater Ansprüche und dient als prozessrechtliche Regelung vielmehr der Sicherung des Justizinteresses des Staates. Die Duldungspflicht ist als eine Erweiterung der Mitwirkungs- und Wahrheitspflicht der Parteien sowie der Zeugnispflicht von Dritten zu begreifen.599 Ein außerhalb des bestehenden Prozesses geltendes Recht von Privatpersonen existiert gerade nicht. Eine Verweigerung der Untersuchung verletzt daher kein subjektives Recht. Die körperliche Untersuchung dient, wie bei den §§ 81 a Abs. 1 S. 2, 81 c StPO, dem Zweck einer Feststellung verfahrenserheblicher Tatsachen, was lediglich aus technischen Gründen die Entnahme von Blut erfordert, aber – im Gegensatz zur Blutspende – nicht die Hingabe eigener Körpersubstanzen aufgrund von zwischenmenschlicher Aufopferungsbereitschaft erzwingt. Die Durchführung organprotektiver Maßnahmen am Spender zugunsten der potentiellen Organempfänger weist keinen Bezug zur Staatsorganisation auf und kann mit der Zwecksetzung der vorstehenden Normen dementsprechend nicht verglichen werden.600 Sie ist ähnlich wie die allgemeine Hilfeleistungsverpflichtung gemäß § 323c StGB keine spezifische, dem Staat gegenüber bestehende Obligation; es fehlt vor allem ein nach dem Freiheitsprinzip des Grundgesetzes erforderlicher verfassungsgesetzlicher Anknüpfungspunkt.601 Die Duldungspflichten zugunsten staatlicher Interessen zeigen jedoch, dass Eingriffe in die körperliche Integrität mit dem Autonomieprinzip nicht schlechthin unvereinbar sind. (3) Institutionelle Solidarpflichten Da sich die Aufgabenerfüllung des Staates nicht in der Wahrung der staatlichen Kernfunktionen erschöpft, sondern er gegenüber seiner Bevölkerung auch zur Daseinsvorsorge verpflichtet ist, kommen weitere Fälle einer Pflichtigkeit des Einzelnen in Betracht. Im Rahmen einer institutionalisierten Daseinsvorsorge sind in der sozialen Wirklichkeit Strukturen gegenseitiger Ab598  Huber,

in: Musielak / Voit (Hrsg.), ZPO-Kommentar, § 372a Rn. 2. Bedeutung des § 372a ZPO siehe Sautter, AcP 161 (1962), S. 215 ff.; vgl. auch Bosch, SJZ 1947, S. 314, 315; Eichberger, Aktuelle Probleme der Feststellung der Abstammung (§ 372a ZPO), S. 17; anders aber Ahrens, in: Wieczorek / Schütze (Hrsg.), ZPO-Kommentar, § 372a Rn. 7. 600  So in Bezug auf die fremdnützige Humanforschung vgl. v. Freier, Recht und Pflicht in der medizinischen Humanforschung, S. 200 f. 601  Bzgl. § 323c StGB siehe Hofmann, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, § 195 Rn. 24. 599  Zur



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen311

hängigkeit angelegt. Besonders deutlich werden diese Gegebenheiten im Rahmen eines funktionierenden Gesundheitssystems, zu dessen Bereitstellung der Staat von Verfassungs wegen verpflichtet ist.602 Der Grundgedanke des hiesigen Gesundheitswesens basiert auf der Idee des gegenseitigen Einstehens innerhalb einer Gemeinschaft, ohne die vorherige Absehbarkeit der Rolle eines „Gebers“ oder „Nehmers“. Speziell im Rahmen der Organtransplantation findet sich dieser Leitgedanke aufgrund einer Konnexität des Spender- und Empfängerverhältnisses. Ohne den Tod des Ersten ist eine Lebensrettung der Wartelistenkandidaten unmöglich. Wer auf der einen oder anderen Seite steht, vermag nicht vorhergesagt zu werden. Eine eigene Bedürftigkeit kann jeden gleichermaßen treffen. Insofern besteht, anders als bei dem typischen interpersonalen Solidaritätsgedanken, eine Abstraktion von einer konkreten Notfallsituation und den speziell Begünstigten. Diese Entkopplung ist geradezu typisch für die Beschaffenheit des Gesundheitssystems.603 Mit ihm wurde eine institutionelle Eingriffslegitimation installiert. Sie steht vor allem unter dem Zeichen der Etablierung einer Zwangssolidarität mit der „Gruppe der Schwachen“. Dem Anrecht auf Leistungen korrelieren auf der anderen Seite Pflichten. Zur Bewältigung der Gemeinschaftsaufgaben wird der Einzelne allerdings grundsätzlich lediglich zur Zahlung von Geldbeträgen herangezogen. Im Rahmen der Notwendigkeit eines persönlichen Einsatzes des Individuums, etwa bei der Blutspende oder der Einwilligung in eine postmortale Organentnahme, beschränkt sich der staatliche Eingriff bei Lebenden auf eine zu duldende Konfrontation des Einzelnen mit der Thematik.604 Eine „gemeinschaftliche Absorption höchstpersönlicher Güter“605 wird auch innerhalb von lebenswichtigen Bereichen der Daseinsvorsorge nicht institutionalisiert. Ein Leistungsanspruch des Nutznießers auf Durchführung von Eingriffen in höchstpersönliche Rechte Dritter zu seinen Gunsten besteht im Gesundheitswesen nicht. Vielmehr ist der Einzelne auf die Gewährung eines Existenzminimums im Sinne einer vom Staat vorzuhaltenden medizinischen Mindestversorgung beschränkt.606 Ein Gesundheitssystem, das ein zwangssolidarisches Leibes602  Vgl. zur Garantie eines funktionierenden Gesundheitssystems weiter unten die Einordnung des Transplantationswesens als öffentliche Aufgabe, S. 347 ff. Zum Solidaritätsprinzip in der institutionalisierten Sozialversichung siehe Depenheuer, Solidarität im Verfassungsstaat, S. 47 ff. 603  v. Freier, Recht und Pflicht in der medizinischen Humanforschung, S. 203. 604  Zur Konfrontation des Einzelnen mit der Organspende siehe die rechtliche Bewertung der Zustimmungs- und Widerspruchslösung, S. 325 ff. 605  v. Freier, Recht und Pflicht in der medizinischen Humanforschung, S. 195. 606  Brech, Triage und Recht, S. 186; Lang, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), GGKommentar, Art. 2 Rn. 82; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.) GG-Kommentar, Art. 2 Abs. 2 Rn. 96.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

opfer statuieren würde, geriete in fundamentaler Weise in Widerspruch zum Respekt der höchstpersönlichen Rechtssphäre des Einzelnen. Der Wohlfahrtsstaat würde zu einer Zwangsanstalt transformiert.607 Diese würde eine permanente aufopfernde Solidarität mit einer immer in Not befindlichen menschlichen Gesundheit einfordern und den Freiheitsanspruch des Einzelnen aushöhlen. Im Hinblick auf die Patientenversorgung hat das Bundesverfassungsgericht bereits festgestellt, dass ein jeder Patient, der sich in die Behandlung eines Universitätskrankenhauses begebe, sicher sein müsse, dass sein Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 GG nach allen Regeln der ärztlichen Kunst gewahrt werde und die Krankenversorgung zuvörderst an den Erfordernissen einer bestmöglichen Patientenbehandlung ausgerichtet sein müsse.608 Es ist völlig unstreitig, dass das Hauptaugenmerk ärztlicher Maßnahmen auf das Wohl und Wehe des möglicherweise zum Spender werdenden Patienten gerichtet sein muss. Tritt der Arzt diesem Patienten jedoch als Sachwalter der Wartelistenkandidaten entgegen, ändert sich die Schutzrichtung seines Tuns, hin zu den noch anonymen Organaspiranten und „gegen“ seinen eigentlichen Schützling. Diese Risikoverschiebung ist dem Gesundheitssystem zunächst einmal fremd. Bei der Organspende hat sie sich im Fall des Umgangs mit Hirntoten bereits etabliert. Bei ihnen handelt es sich jedoch nicht mehr um Patienten, sondern um bereits Verstorbene. Eine andere Qualität erhält der Zugriff bei der Behandlung eines lebenden Körpers zugunsten Dritter. Ein rein fremdnütziges körperliches Einwirken ist grundsätzlich nicht von der dem Gesundheitswesen immanenten institutionellen Eingriffslegitimation gedeckt. Die Anerkennung einer Rechtspflicht zur Duldung organprotektiver Maßnahmen nach diesen Grundsätzen würde die zarten Fäden der rechtlichen Verbundenheit zwischen potentiellem Spender und Organempfängern durch das Gesundheitssystem einreißen. cc) Durchbruch legitimierter Zwangszugriffe auf den Körper nach neuem Recht? Nicht unerwähnt bleiben darf die Tatsache, dass in den letzten Jahren vermehrt Versuche in Richtung einer Ausweitung der Legitimationsgrundlagen für körperliche Eingriffe unternommen wurden. Im Bereich der Humanforschung wurde immer wieder betont, wie wichtig die Gewinnung neuer Er607  Vgl. mit Bezug zur Humanforschung schon v. Freier, Recht und Pflicht in der medizinischen Humanforschung, S. 217; ablehnend in Bezug auf einen gesellschaft­ lichen Anspruch auf den Körper des Einzelnen in Form einer Zwangsverpflichtung Magnus, Medizinische Forschung an Kindern, S. 99. 608  BVerfGE 57, 70, 99.



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen313

kenntnisse durch Versuche für die medizinische Entwicklung sei. In diese Richtung gehende verfassungsrechtliche Argumentationen und gesetzliche Bestrebungen könnten auf die Bewertung der Spenderkonditionierung übertragbar sein. Parallele Problemstellungen zur Spenderkonditionierung ergeben sich auf dem Gebiet der Forschung mit Einwilligungsunfähigen.609 Ebenso wie der potentielle Organspender kann diese Personengruppe nicht (mehr) in Verfügungen über die Integrität ihres Leibes einwilligen. Ist ein mutmaßlicher Wille der potentiellen Probanden nicht feststellbar, stellt sich die Frage, inwiefern sie zum bloßen Nutzen Dritter in Anspruch genommen werden dürfen. Nach den vorstehenden Überlegungen können sie zur Duldung von körperlichen Eingriffen aufgrund des Solidargedankens nicht verpflichtet werden. In Deutschland wurde bisher kein allumfassendes Forschungsgesetz etabliert.610 Spezialgesetzliche Regelungen finden sich im AMG, MPG, StrlSchV und RöV.611 Das hiesige Rechtssystem hat in keinem der Gesetze eine allgemeine Bürgerpflicht normiert, sich für Forschungsprojekte zur Verfügung zu stellen, obwohl diese zukünftigen Patienten helfen und das Gesundheitswesen weiterentwickeln könnten. Weder wird der Einwilligungsfähige zwangsverpflichtet noch wird pauschal auf die Personengruppe der Einwilligungs­ unfähigen zurückgegriffen. Die Einwilligung des Probanden ist maßgeblicher Gravitationspunkt der Humanforschung (vgl. etwa § 40 Abs. 1 Nr. 3 S. 3 lit. b AMG). Das deutsche Recht hat trotz der bislang äußerst restriktiven Handhabung körperlicher Zwangswirkungen eine Zugriffsmöglichkeit in Bezug auf die leibliche Integrität von Einwilligungsunfähigen normiert, die eine Verwertung körpereigener Substanzen zum Wohle Dritter vorsieht. Das AMG lässt seit seiner 12. Novelle im Jahre 2004 eine rein gruppennützige Forschung an kranken, einwilligungsunfähigen Minderjährigen zu, die ihm selbst keinen Nutzen mehr bringt (§ 41 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 lit. a AMG). Eine ausschließlich drittnützige Forschung bei kranken, einwilligungsunfähigen Erwachsenen kommt nach der gesetzlichen Regelung hingegen nicht in Betracht; es muss bei dieser Personengruppe zwangsläufig intendiert werden, 609  Zur Forschung mit Einwilligungsunfähigen siehe v. Freier, Recht und Pflicht in der medizinischen Humanforschung; Irmer, Klinische Forschung mit Einwilligungsunfähigen; Jansen, Forschung an Einwilligungsunfähigen. 610  Anders jedoch beispielsweise in der Schweiz, wo mit dem Bundesgesetz über die Forschung am Menschen im Jahre 2011 ein umfassendes Regelwerk geschaffen wurde. 611  Vgl. Irmer, Klinische Forschung mit Einwilligungsunfähigen, S. 171. Die verschiedenen Gesetze stellen jeweils unterschiedliche Anforderungen an eine Forschung mit Einwilligungsunfähigen. Einen Überblick bietet eine tabellarische Auflistung der Voraussetzungen einer Inanspruchnahme bei Jansen, Forschung an Einwilligungsunfähigen, S. 93.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

das Leben des Betroffenen zu retten, seine Gesundheit wiederherzustellen oder sein Leiden zu erleichtern (§ 41 Abs. 3 Nr. 1 AMG).612 Den fremdnützigen Eingriffen an Minderjährigen sind enge Grenzen gesetzt. Die Forschung muss für die Bestätigung von Daten, die bei klinischen Prüfungen an anderen Personen oder mittels anderer Forschungsmethoden gewonnen wurden, unbedingt erforderlich sein (§ 41 Abs. 2 Nr. 2 lit. b AMG) und muss sich auf einen klinischen Zustand beziehen, unter dem der Minderjährige selbst leidet (§ 41 Abs. 2 Nr. 2 lit. c AMG). Außerdem dürfen dem Probanden im Rahmen der klinischen Forschung nur minimale Risiken und Belastungen drohen (§ 41 Abs. 2 Nr. 2 lit. d AMG). § 40 Abs. 4 Nr. 3 S. 3 a. E. AMG verpflichtet zudem zur Berücksichtigung seines Willens, ob ausdrücklich oder konkludent geäußert. Zusätzlich sind sowohl die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters (§ 40 Abs. 4 Nr. 3 S. 1 AMG) als auch die Zustimmung einer Ethikkommission und die Genehmigung der zuständigen Bundesoberbehörde (§ 40 Abs. 1 S. 2 AMG) erforderlich. Anforderungen bestehen schließlich an die Zielsetzung des Eingriffs. In Bezug auf die Fremdnützigkeit wird beispielsweise ein direkter Nutzen für betroffene Personen, die an derselben Krankheit leiden – folglich ein enges Konnexitätsverhältnis – verlangt (§ 41 Abs. 2 Nr. 2 lit. a AMG). Sodann kann der minderjährige Proband nach der novellierten gesetzlichen Regelung in Anspruch genommen werden. Er wird scheinbar zur Erbringung eines Solidaropfers angehalten.613 Das ziel- und zweckorientierte Gedankengut eines gemeinschaftsnützlichen Einbringens des Einzelnen über die Installierung von Leibespflichten scheint dem deutschen Recht nach dieser neuesten Entwicklung nicht mehr völlig fremd.

612  Kritisch zur Differenzierung Irmer, Klinische Forschung mit Einwilligungsunfähigen, S. 172; Wachenhausen, in: Kügel / R.-G. Müller / Hofmann (Hrsg.), AMGKommentar, § 41 Rn. 16, der die Regelung damit erklärt, dass die umgesetzte RL 2001 / 20 / EG in ihrem Art. 5 ebenfalls keinen Gruppennutzen für einwilligungsunfähige Erwachsene vorsieht. Damit soll die Subsidiarität der Forschung an Einwilligungsunfähigen zum Ausdruck gebracht werden. Forschung soll zum Schutz dieser Personengruppe zunächst an einwilligungsfähigen Probanden stattfinden, Irmer, Klinische Forschung mit Einwilligungsunfähigen, S. 137 f. Dass bestimmte Forschungszweige nicht ohne die Einbeziehung von Einwilligungsunfähigen auskommen, stellt eine medizinische Realität dar, mit der sich nicht nur die Jurisprudenz, sondern auch der Gesetzgeber in Zukunft sicher noch intensiv beschäftigen wird. Weitreichendere Eingriffsmöglichkeiten sieht beispielsweise die Biomedizinkonvention des Europarates vor, die von Deutschland allerdings bislang nicht ratifiziert wurde, zur Biomedizinkonvention Taupitz, JZ 2003, S. 109, 112 f. Der deutsche Gesetzgeber hat jedoch auch bei seiner Reform des AMG im Dezember 2016 an der bisherigen restiktiven Regelung festgehalten, vgl. dazu Jansen, MedR 2016, S. 417 ff. 613  v. Freier, Recht und Pflicht in der medizinischen Humanforschung, S. 132.



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen315

Die restriktive Regelung in der Humanforschung veranschaulicht jedoch, dass in der Bundesrepublik keinesfalls eine allgemeine leibliche Aufopferungspflicht zugunsten Dritter implementiert werden sollte. Schon die gesetzliche Lockerung des Minderjährigenschutzes wurde von verfassungsrechtlicher Seite scharf kritisiert. Ihre Zulässigkeit unter dem Regime des Grundgesetzes ergibt sich nach verbreiteter Ansicht nicht aus einer Solidarverpflichtung des Minderjährigen gegenüber den profitierenden Patienten, sondern dem Erziehungsrecht der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG. Ihnen stünde das Recht zu, das Kindeswohl nicht rein körperlich, sondern auch moralisch zu definieren. Die Einnahme einer degradierenden Objektstellung des Minderjährigen scheide von vornherein aus, wenn die Eltern mit der Einwilligung in die Versuchsteilnahme edukative Zwecke verfolgen, die ihrem Kind den Wert sozialer Aufopferung lehren sollen.614 Es bleibt folglich auch nach neueren Bestrebungen dabei, dass staatlich aufoktroyierte Aufopferungspflichten des Leibes zugunsten Dritter für niemanden bestehen. dd) Die „Sonderpflicht“ des potentiellen Spenders Aus der besonderen Konstitution organprotektiv behandelter Patienten und dem Konnexitätsverhältnis zwischen Spendern und Empfängern könnte sich jedoch eine Sonderpflicht zur Duldung der spendezentrierten Maßnahmen ergeben. Eine wesentliche Bewertungsdeterminante ergibt sich aus der Tatsache, dass die Fremdeinwirkungen nicht durch die Einwilligung des Betroffenen gedeckt und daher nicht Ausdruck seines ausgeübten Selbstbestimmungsrechts sind. Er kann sich zudem während der Einwirkungen aufgrund seines körperlichen Zustands nicht mehr zur Wehr setzen, sondern ist gezwungen, die vorgenommenen Maßnahmen zu dulden. Daher ist eine Menschenwürde verletzende Instrumentalisierung des potentiellen Spenders nicht von vornherein auszuschließen ((1)). Wird eine solche verneint, ist der Spielraum für die Begründung einer Sonderpflicht des potentiellen Spenders und für eine Abwägungsentscheidung anhand der entgegenstehenden Grundrechte eröffnet ((2)).

614  Vgl. ebda., S. 289; Magnus, Medizinische Forschung an Kindern, S. 64  ff.; Michael, Forschung an Minderjährigen, S. 152 f.; kritisch zu dieser Konstruktion jedoch Jansen, Forschung an Einwilligungsunfähigen, S. 133 f.; Spranger, MedR 2001, S. 238, 243.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

(1) I mplementierung einer Sonderpflicht als Verstoß gegen die Menschenwürde? Der Schutz der Menschenwürde ist eine zentrale grundgesetzliche Verbürgung, die dem Staat eine Schutzpflicht auferlegt (Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG). Nach der gebräuchlichen Objektformel darf niemand zum bloßen Objekt degradiert, sondern muss vielmehr stets in seiner Subjektqualität wahrgenommen werden.615 Der Staat hat sicherzustellen, dass kein Mensch „unter vollständiger Verfügung eines anderen steht, zur Sache gemacht, als Nummer eines Kollektivs, als Rädchen im Räderwerk behandelt und dass ihm damit jede eigene geistig-moralische oder gar physische Existenz genommen wird.“616 Bereits das Bundesverfassungsgericht hat jedoch festgestellt, dass sich der Einzelne innerhalb seiner gesellschaftlichen und rechtlichen Verpflichtungen regelmäßig ohne Rücksicht auf seine eigene Interessenlage zu fügen habe und so immer häufiger zum bloßen Objekt werde.617 Vor diesem Hintergrund ist ein behutsamer Umgang mit dem Instrumentalisierungsbegriff angebracht. Nicht in jeder Instrumentalisierung eines Menschen liegt zugleich zwingend ein Verstoß gegen seine Würde. Vielmehr sind im Rahmen der Austarierung ihres unantastbaren Kerngehalts die Zielvorstellungen der Maßnahme als auch die Art und Weise ihrer Ausübung in die Bewertung mit einzubeziehen. Das gesamte System der Organtransplantation ruht auf dem Pfeiler des fremdnützigen Handelns. Es steht unter dem Stern einer dringend notwendigen Heilbehandlung schwerkranker Patienten und dient dem Schutz ihres Grundrechts auf Leben und körperlicher Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG). Zu diesem Zweck werden die potentiellen Spender durch vorbereitende Maßnahmen in Anspruch genommen ohne gezwungen zu werden, ihre Gesundheit oder gar ihr Leben aufzuopfern; vielmehr befinden sich die Betroffenen bereits unumkehrbar in der Sterbephase, ohne dass durch die Behandlung ihre Lebensphase verkürzt wird. Kein Patient wird zum Märtyrer der Wartelistenkandidaten. Wie weit die spendezentrierten Maßnahmen im Einzelnen gehen dürfen, bis eine würderelevante Erheblichkeitsschwelle erreicht wird, ist im Rahmen der Gesamtabwägung eine Frage des konkreten Einzelfalls. Zur Bestimmung der Opfergrenze bedarf es folglich einer umfassenden Gesamtschau der grundrechtlichen Wertungen. Durch einen leiblichen Zugriff von geringem Gewicht wird der Mensch keiner verächtlichen Behandlung 615  Vgl. BVerfGE 9, 167, 171; 27, 1 6; 50, 167, 175; 87, 209, 228; Starck, in: Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 1 Rn. 17; kritisch zur Objektformel Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 1 Abs. 1 Rn. 55. 616  Starck, in: Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 1 Rn. 17. 617  BVerfGE 30, 1, 25 f.



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen317

ausgesetzt, die ihn in erniedrigender Weise zum Objekt macht und seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt.618 Werden ausreichende Schutzmaßnahmen zugunsten des Betroffenen ergriffen, wird seine Ausbeutung wirksam verhindert. Selbstwert und Personsein werden dem Patienten nicht abgesprochen. Eine rein physische Inanspruchnahme des Einzelnen aufgrund des Gedankens einer Sonderpflicht stellt keine genuine Autonomieverletzung dar.619 Sie ist mit dem Menschenwürdeverständnis durchaus in Einklang zu bringen. (2) Begründung und Reichweite der Sonderpflicht Aus diesem Befund ergibt sich jedoch noch nicht die Legitimation spendezentrierter Maßnahmen. Es wurde bereits erläutert, dass Solidarität nicht in jedem Lebensbereich zur Rechtfertigung einer Vergemeinschaftung von Aufgaben herangezogen werden kann, sondern eine wechselseitige Verantwortung zum Schutz elementarer Gemeinschaftszwecke voraussetzt.620 Die Unvorhersehbarkeit der eigenen Transplantationsbedürftigkeit führt bei der Organspende zu einer erhöhten gegenseitigen Abhängigkeit. Dadurch bedingt ist eine für jedermann bestehende Möglichkeit, als potentieller Empfänger oder Spender mit der postmortalen Organspende in Berührung zu kommen. Daraus folgt das Bestehen einer zwar nicht konkreten akuten, aber dennoch besonderen gesellschaftlichen Konfliktlage eigener Art. Insofern besteht eine gewisse Nähebeziehung zu den herkömmlichen interpersonalen Solidarpflichten. Wie bei diesen sind Grundrechtskonflikte ((a)) sowie die Möglichkeit der Auflösung von Spannungen ((b)) zu bewerten. (a) Grundrechtskonflikte in der Sondersituation Die Ausgangssituation beim Einsatz vorbereitender Maßnahmen differiert von jenen typischen interpersonalen Verpflichtungen. Beim Beginn einer ausschließlich spendezentrierten Behandlung hat der finale, irreversible Sterbeprozess des Patienten begonnen, der bei einer rein auf ihn konzen­ trierten Sichtweise dazu führen würde, den Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen zu verfügen.621 Ein therapeutisches Interesse des Patienten be618  Zu diesen Voraussetzungen in Bezug auf die Verletzung der Menschenwürde BVerfGE 30, 1, 25 f.; 87, 209, 228; 96, 375, 399 f.; BVerfG, NJW 2001, S. 2957, 2958. 619  Vgl. schon Merkel, in: Brudermüller / Hauck / Lücker u. a. (Hrsg.), Forschung am Menschen, S. 137, 167 in Bezug zu Solidarpflichten im Rahmen der Humanforschung. 620  Vgl. zu den Grundlagen der Solidarpflichten S. 303 ff. 621  Die aktuellen Richtlinien der Bundesärztekammer zur Sterbehilfe stellen nicht auf die Diagnose des Todes, sondern auf die Feststellung eines neurologisch infausten

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

steht nicht mehr. In einem präfinalen Stadium richtet sich sein Bedürfnis nur noch auf einen würdigen Tod in Begleitung angemessener palliativer Pflege. Damit wird ein anderes Verhältnis des Patienten zu seiner körper­ lichen Integrität bedingt. Die Bewahrung vor Zugriffen auf seinen Leib erhält eine andere Wirkungsdimension. Diese distinkt unterschiedliche Ausgangslage im Vergleich zu Individuen, die das präfinale Stadium noch nicht erreicht haben, fungiert als legitimes Differenzierungskriterium zur Installation eines Sonderopfers und eröffnet einen Abwägungsspielraum zwischen den Interessen des potentiellen Spenders und jenen der Wartelistekandidaten. Eine a priori Ablehnung einer Gegenüberstellung der divergierenden Belange der an der Organspende beteiligten Grundrechtsträger ist hier durch die „Heiligkeit des Leibes“ nicht mehr zu rechtfertigen. Vielmehr muss eine an der Wertehierarchie des Grundgesetzes ausgerichtete Interessenabwägung erfolgen. Dem Sonderstatus des potentiellen Spenders stehen nun die existentiellen Interessen der bedürftigen Patienten auf der Warteliste an ihrer Gesundheit und ihrem Leben gegenüber (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG). Diese sind aufgrund ihrer oftmals lebensgefährdenden Situation im Kernbereich ihrer Grundrechtsausübung betroffen. Der objektiv-rechtliche Gehalt des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG spricht den Staat in seiner Schutzpflichtdimension an, die auch gegenüber einer durch Krankheit ausgelösten Gefahr besteht.622 Zur Erfüllung dieser Verpflichtung kann er grundsätzlich unbeteiligte Dritte heranziehen und zu Handlungen oder Duldungen anhalten. Jedoch ist auch die Wahrung von deren grundrechtlichen Belangen Auftrag der staatlichen Schutzpflicht. Insofern beansprucht umgekehrt ihre körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ebenso ein ausreichendes Schutzniveau. Wenn der deutsche Verfassungsstaat schon die Notwendigkeit der Wahrung eines postmortalen Persönlichkeitsrechts anerkennt, muss er zudem erst recht das Persönlichkeitsrecht eines Sterbenden zu seinem Schutzgut erklären. Das gilt umso mehr als es sich im Rahmen eines Organspende-Szenarios bei wehrlosen Komapatienten um eine höchst vulnerable Personengruppe handelt. Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verbürgt mit seiner Nähe zur Menschenwürde vor allem auch das Interesse des Patienten auf ein palliativ begleitetes Sterben, dem weitreichende Bedeutung zukommen muss. Die Einforderung von Sonderpflichten darf keinesfalls mit den sozialmoralischen Grundüberzeugungen der Rechtsordnung brechen. Eine auch noch so schmerzliche medizinische Ressourcenknappheit und noch so akute Bedrohung des verfasZustands mit aussichtsloser Prognose als Bedingung für den Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen ab, vgl. DÄBl 108 (2011), A-346 ff. 622  BVerfG, Beschluss v. 28.07.1987, NJW 1987, S. 2287, zur Schutzpflicht vgl. bereits S. 285.



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sungsrechtlichen Höchstwerts „Leben“623 rechtfertigt den pauschalen Vorrang einer Lebensrettung nicht. Die freiheitliche Rechtsordnung ist nicht stur auf die Maximierung des Gesamtinteresses ausgerichtet, sondern zielt vor allem auf den Schutz individueller Interessen.624 Durch die Aufrechterhaltung der maschinellen Unterstützung wird der Patient länger intensivmedizinisch betreut als es bei seiner eigenen Prognose sinnvoll wäre; sein finaler Sterbeprozess wird dadurch zugunsten der Organspende prolongiert. Bei einer Hirntoddiagnostik, die nicht selten nur noch zur Klärung der Spendevoraussetzung des Hirnfunktionsausfalls vorgenommen wird, würde sogar die palliative Versorgung vermindert, da medikamentöse Einflüsse die Validität der Diagnose keinesfalls beeinträchtigen dürfen. Bloße Blutabnahmen und gleichbedeutende Behandlungen bedeuten hingegen – trotz Zugriffs auf seine körperliche Integrität – weder nennenswerte Belastungen noch Risiken für den im Sterben liegenden, komatösen Patienten. Die unterschiedlichen Maßnahmen müssen folglich nach ihrer Einwirkungsintensität auf das Interesse des potentiellen Spenders differenziert werden. (b) Auflösung der Spannungen – Legitimation der Behandlungsschritte Aufgrund des Interesses des potentiellen Spenders an einer Beendigung der für ihn nicht mehr zielführenden Lebenserhaltungsmaßnahmen steht zuvörderst eine Verletzung seines durch Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschütztes Persönlichkeitsrechts in Rede. Die höchstpersönliche Bestimmungsmacht über die Gestaltung des eigenen Lebensendes, insbesondere das Verlangen nach einem „natürlichen Sterbeprozess“, ist ein elementarer Kerngehalt des Persönlichkeitsrechts. Die zwanghafte Aufopferung dieses Rechts auf dem Altar der Organspende würde die Opfergrenze der Verpflichteten massiv überschreiten. Wäre die Lebensrettung der Organaspiranten Grund genug, die Verfügungsberechtigung des Einzelnen über seinen „natürlichen Tod“ durch die Begründung einer Solidarpflicht per se auszuschließen, würde die Eigenständigkeit der persönlichen Vorstellungen und Wünsche des Patienten und er selbst in diesem Zuge als Persönlichkeit missachtet. Die Konsequenz dieser Abwägung würde zu einer Objektivierung der Sachlage führen, die die Subjektstellung des Betroffenen unverhältnismäßig negiert. Zugunsten der Angemessenheit einer zumindest kurzzeitigen Lebenserhaltung fällt jedoch die Handlungsmacht des potentiellen Spenders ins Gewicht. Im Hinblick auf die Wahrung seines Persönlichkeitsrechts 623  BVerfGE

39, 1, 42. zur Absage an eine utilitaristische Ausrichtung des Grundgesetzes vgl. die Ausführungen zur Verfassungsmäßigkeit des geltenden Verteilungsmodus, S. 423 ff. 624  Näher

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

hat es der Einzelne in der Hand, die künstliche Weiterbehandlung im Voraus zu verhindern, indem er seinen Willen etwa in einer Patientenverfügung dokumentiert oder der Organspende in einem Ausweis von vornherein widerspricht. Ebenso ist die Aufrechterhaltung der intensivmedizinischen Maßnahmen abzubrechen, wenn sein entgegenstehender (mutmaßlicher) Wille nachträglich bekannt wird. Eine Sonderplicht wird dem Patienten folglich nur im anfänglichen Schwebezustand auferlegt, in dem sein (mutmaßlicher) Wille noch nicht bekannt ist oder im Fall erfolgloser Ergründungsmaßnahmen, die er mangels Dokumentation selbst zu verantworten hat. Durch diese begrenze Aufrechterhaltung der intensivmedizinischen Betreuung wird dessen Verfügungsrecht über sein Lebensende nicht grundsätzlich konterkariert, sondern vielmehr ist seiner autonomen Entscheidung – ab dem Zeitpunkt der Kenntniserlangung – höchste Priorität eingeräumt. Durch die vorhergehende Bestimmungsmacht des Patienten und die jederzeitige Berücksichtigung seines (mutmaßlichen) Willens wird dessen Autonomie nicht über die Opfergrenze hinweg eingeschränkt, sondern ihm vielmehr nur eine „Minimalsolidarität“ abverlangt. Eine Duldung der kurzfristigen Lebenserhaltung kann ihm unter diesen Umständen zugemutet werden, um den Erfolg einer Organspende nicht von Anfang an auszuschließen. Mangels Implementierung eines Duldungszwangs entgegen seines erkennbaren Willens wird der Patient zur zwangsweisen Aufopferung höchstpersönlicher Rechtswerte nicht gezwungen. Eine kurzzeitige Lebensverlängerung ist in Anbetracht der schwerwiegenden Grundrechtsgefährdungen der potentiellen Empfänger allerdings nur solange verhältnismäßig, wie dem potentiellen Spender nicht selbst relevante Nachteile drohen. Patienten im präfinalen Stadium stellen eine äußerst vulnerable Personengruppe dar, die vor übermäßiger Instrumentalisierung sicher geschützt werden muss. Zwar rechtfertigt sich deren grundsätzliche Inanspruchnahme aus der gegenseitigen Abhängigkeit aller Gesellschaftsmitglieder im Bereich des Transplantationswesens. Schon allein aufgrund der Distanz zwischen den Betroffenen – gerade im Vergleich zu akuten Konfliktlagen – sind dem potentiellen Spender jedoch höchstens minimale Belastungen und Risiken zumutbar. Eine Konkretisierung dieser Rechtsbegriffe übernimmt die Humanforschung, der eine vergleichbare eher abstrakte Verbindung von Proband und Patienten vertraut ist. Nach dem Arzneimittelgesetz liegt ein minimales Risiko vor, wenn nach Art und Umfang der Intervention zu erwarten ist, dass sie allenfalls zu einer sehr geringfügigen und vorübergehenden Beeinträchtigung der Gesundheit der betroffenen Person führen wird. Sie weist eine minimale Belastung auf, wenn zu erwarten ist, dass die Unannehmlichkeiten für die betroffene Person allenfalls vorübergehend auftreten und sehr geringfügig sein werden (§ 41 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 lit. d AMG). Für den Bereich der Spenderkonditionierung muss hinzukommen, dass sie das



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen321

Interesse des Patienten zu Sterben lediglich kurzzeitig zurückstellen und den Sterbeprozess keinesfalls mehr als geringfügig beeinflussen dürfen. Der Ärzteschaft obliegt insofern eine strenge Risiko-Nutzen-Abwägung im jeweiligen Einzelfall.625 Für manche Patienten wird bei der Aufrechterhaltung von intensivmedizinischen Maßnahmen in der Medizin eine zwar geringe, aber vorhandene Wahrscheinlichkeit diskutiert, ins Stadium eines persistierend vegetativen Status, also eines dauerhaften Wachkomas, zu geraten.626 Diese massive Beeinträchtigung des Patientenwohls ist auch in Abwägung mit den elementaren Grundrechten der Wartelistenkandidaten keinesfalls hinnehmbar. Jegliche fremdnützige Lebensverlängerungsmaßnahmen müssen in diesen seltenen Fällen aus dem Schutzaspekt der körperlichen Unversehrtheit und Gesundheit des Patienten heraus strikt unterbleiben. Andere Behandlungsschritte bestehen nicht nur in der Fortführung der intensivmedizinischen Betreuung, sondern greifen zusätzlich in die physische Integrität des potentiellen Spenders ein. Dazu zählen beispielsweise die Entnahme von Blut- oder Gewebeproben. Es wurde jedoch bereits erläutert, dass sich ein palliativ behandelter Patient im präfinalen Stadium in einer Sondersituation befindet. Er ist weder zu einer bewussten Wahrnehmung fähig noch ist eine Besserung seines Zustands zu erwarten. Ihm werden weder Heilungschancen abgeschnitten oder körperliche Unannehmlichkeiten bereitet noch drohen weitergehende Gefährdungen seines Interessens, unter palliativer Pflege den Sterbeprozess fortzuführen, als dies bereits im Hinblick auf die gerechtfertigte, kurzzeitige Lebenserhaltung der Fall ist. Prinzipiell bergen diese Maßnahmen dementsprechend keine Belastungen oder Risiken für den potentiellen Spender. Gleiches gilt für einige medikamentöse Behandlungen. Ein Patient im Präfinalstadium kann daher auf Grundlage einer auf seiner besonderen Konstitution beruhenden Sonderpflicht zur Duldung dieses Leibeszugriffs angehalten werden. Anderes hat für weitergehende Einwirkungen auf den Körper des Patienten zu gelten. Die grundsätzliche Divergenz zwischen der Ausgangslage des Zugriffs auf einen Patienten im präfinalen Stadium und sonstigen herkömmlichen Eingriffen in den Leib eines Menschen erlaubt zwar das Abverlangen 625  Eine ausführliche Auflistung und Einordnung diverser medizinischer Eingriffe für die Humanforschung findet sich bei Jansen, Forschung an Einwilligungsunfähigen, S. 347 ff. Sie vermittelt medizinischen Laien einen ersten Eindruck über mög­ liche Belastungen und Risiken üblicher Maßnahmen, ohne jedoch natürlich einen Patienten im Präfinalstadium in den Blick zu nehmen. 626  Vgl. Schöne-Seifert / Prien / Rellensmann u. a., Behandlung potentieller Organspender im Präfinalstadium, S. 6; dieses Risiko aufgreifend der Deutsche Ethikrat, Hirntod und Entscheidung zur Organspende, S. 27; das Bestehen der Gefahr bezweifelt jedoch ein Sondervotum des Deutschen Ethikrats, S. 173.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

eines Sonderopfers und damit auch die Duldung minimaler Risiken und Belastungen durch den potentiellen Spender. Die dem unbeteiligten Dritten lediglich zumutbaren maßvollen Beeinträchtigungen werden durch eine umfassende Vorbereitung auf die Organspende jedoch bei weitem überschritten. Aus diesem Grund hat der Patient etwa eine rein fremdnützige Hirntoddiagnostik nicht zu dulden, wenn diese im Fall seines möglicherweise bloß komatösen Zustands zu mehr als nur marginalen Belastungen führen würde. Dies erscheint vielfach nicht außerhalb der Lebenserfahrung zu liegen, da die palliative Behandlung stark reduziert werden muss, um das Ergebnis der Diagnostik nicht zu verfälschen. Zudem würde der Patient in manchen Fällen dem Risiko ausgesetzt, durch eine unglückliche Fügung im Rahmen des ­Diagnoseverfahrens in einen persistierend vegetativen Status zu fallen. Auch bei geringster Gefahr der Realisierung dieser Belastung kann ihre Inkaufnahme dem Patienten für fremdnützige Zwecke nicht zugemutet werden. Eine Überschreitung der Zumutbarkeitsgrenze durch eine unangemessene Instrumentalisierung des Patienten bedeuten zudem spendezentrierte Reanimationsmaßnahmen, die einzig darauf abzielen, die Körperfunktionen des Patienten zugunsten einer Organexplantation wiederherzustellen.627 Insgesamt wird deutlich, dass die einzelnen Maßnahmen einer streng an den ­Patienteninteressen orientierten ärztlichen Abwägungsentscheidung im Einzelfall bedürfen. ee) Zwischenergebnis Die traditionell in der deutschen Rechtsordnung etablierten Solidarpflichten im zwischenmenschlichen, staatlichen und institutionellen Bereich rechtfertigen einen leiblichen Zugriff auf den Einzelnen zugunsten der Interessen privater Dritter grundsätzlich nicht. Auch neuere Rechtsbestrebungen, wie jene in der Humanforschung, scheuen Konflikte mit dem Verfassungsrecht und etablieren keine allgemeine Aufopferungspflicht des Einzelnen. Die besondere Lage der Patienten im präfinalen Stadium rechtfertigt es jedoch, dieser Personengruppe eine Sonderpflicht zur Duldung von gewissen maßvollen Zugriffen auf ihre leibliche Integrität zuzumuten. Ihre Vornahme bedarf jedoch einer strengen Abwägung zwischen den Rechten der Wartelistekandidaten und der potentiellen Spender. Belastungen oder Risiken jenseits der Minimalgrenze hat ein Patient im Präfinalstadium keinesfalls zu dulden. Allem voran darf sein Selbstbestimmungsrecht in Bezug auf eine Ablehnung lebensverlängernder Maßnahmen durch die Intensivmedizin nicht torpediert 627  Diese Maßnahmen lehnt auch der Leitlinien-Entwurf des Universitätsklinikums Münster ab, Schöne-Seifert / Prien / Rellensmann u. a., Behandlung potentieller Organspender im Präfinalstadium, S. 8.



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werden. Ist ein dahingehender (mutmaßlicher) entgegenstehender Wille bekannt, hat die spendezentrierte Behandlung zu unterbleiben. d) Schutzmaßnahmen zugunsten des potentiellen Spenders Der vulnerable Personenkreis der Präfinalpatienten bedarf insbesondere wegen seiner vollständigen Wehrlosigkeit am Lebensende wirksamer Schutzmechanismen zur Wahrung seiner Interessen. Dies gilt im Bereich der Organprotektion umso mehr als die spendezentrierten Maßnahmen rein fremdnütziger Natur sind und der Patient eine aktuelle Selbstbestimmung nicht mehr geltend machen kann. Körperliche Eingriffe überschreiten, wie bereits aufgezeigt, zwar keine absolute Grenze des Zugriffs, sind jedoch auf minimale Belastungen und Risiken zu reduzieren. Bei einer negativen Risiko-Nutzen-Abwägung ist die spendezentrierte Maßnahme zu unterlassen. Das muss auch für den Fall gelten, dass der (mutmaßliche) Wille des Patienten dafür spricht, die konkrete Behandlung zu dulden. Dass die medizinische Selbstbestimmung durch paternalistische Schutzbestimmungen zugunsten der eigenen körperlichen Unversehrtheit eingeschränkt werden kann, beweist bereits die Existenz des § 216 StGB. Im sensiblen Bereich der Organspende tritt zum Schutzaspekt des Individuums die Funktionsfähigkeit des Transplantationssystems hinzu, die unter dem Bekanntwerden einer belastenden und risikoreichen Behandlung massiv leiden würde. Gleiches gilt für einen Zugriff der Transplantationsmedizin ohne Einwilligung des Patientenvertreters. Selbst wenn das Prinzip der Solidarität dem Patienten eine Sonderpflicht auferlegt, muss dem Gesundheitsbevollmächtigten oder dem Betreuer verfahrensrechtlich die Einwilligungskompetenz obliegen. Dessen Entscheidung ist, wenn kein (mutmaßlicher) Wille des Patienten bekannt ist, entgegen der Ausrichtung seines sonstigen Verfügungsrechts nicht an das objektive Wohl des Patienten gebunden. Es handelt sich bei der Einwilligung in die Organprotektion nicht, wie üblich, um eine Entscheidung, die den Eingriff in den Rechtskreis des Pa­ tienten erst legitimiert. Sie stellt sich demgegenüber vielmehr als bloße verfahrensrechtliche Absicherung dar, die sowohl eine Kontrolle über die Einhaltung der gebotenen Grenzen bezüglich der zu erwartenden Belastungen und Risiken ermöglicht als auch den Ruf der Organspende schützt, die in der Öffentlichkeit keinesfalls als Zwangsbehandlung bekannt werden sollte. Andere Kautelen, wie die Notwendigkeit einer richterlichen Zustimmung oder gar das Votum einer Ethikkommission, sind bereits aus praktischen Erwägungen abzulehnen; sie würden die dringend erforderliche rasche Einleitung der Organprotektion vor erhebliche Hürden stellen und konsekutiv eine Spende unverhältnismäßig gefährden.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

Aus repressivem Blickwinkel ist die Anpassung der Strafvorschriften des Transplantationsgesetzes denkbar. § 19 TPG könnte die Vornahme spendezentrierter Handlungen entgegen der – neu einzuführenden gesetzlichen Bestimmungen – unter Strafe stellen.628 e) Ergebnis Die spendezentrierte Behandlung eines potentiellen Spenders erweist sich zwar als rechtlich problematisch, aber nicht als per se unzulässig. Grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedenken bestehen insbesondere nicht, wenn eine Einwilligung zur Vornahme der erforderlichen Maßnahmen durch den Betroffenen vorliegt. Seine Zustimmung zu einer Organentnahme schließt die Erlaubnis zur spendezentrierten Behandlung allerdings noch nicht mit ein. Mangels gesonderter Abfrage auf den aktuellen Spendeausweisen und den bestehenden Hürden bei der Erstellung einer Patientenverfügung wird eine höchstpersönliche Einwilligung des Patienten in aller Regel nicht vorliegen. Die Vertretung in der Entscheidung durch einen Gesundheitsbevollmächtigten oder einen Betreuer ist zulässig. Im Mittelpunkt der Vertreterentscheidung steht die Geltendmachung des (mutmaßlichen) Willens des Patienten, der aufgrund konkreter Anhaltspunkte erforscht werden muss. Er wird sich jedoch nicht in allen Fällen ermitteln lassen. Eine Übertragung einer weitergehenden Entscheidungskompetenz auf einen gewillkürten Vertreter wird sich der Vorsorgevollmacht allerdings keinesfalls regelmäßig entnehmen lassen. Soll ein Betreuer ohne Kenntnis des (mutmaßlichen) Willens des Patienten entscheiden, ist er dabei strikt an das objektive Wohl des Patienten gebunden, was eine spendezentrierte Behandlung ausschließen würde, wenn keine andere Legitimationsgrundlage herangezogen werden kann. Handlungsrechtfertigungen auf Grundlage von Willensentscheidungen des Betroffenen sind von besonderer Dignität. Sie sind jedoch nicht die einzige Legitimationsquelle von Eingriffen in die individuelle Freiheit. Ebenso können Abwägungsentscheidungen innerhalb von Solidarverpflichtungen zu einer Inanspruchnahme des Einzelnen führen. Organprotektive Maßnahmen bei Patienten im präfinalen Stadium sind aufgrund einer Sonderpflicht des Betroffenen insofern zulässig, als die Abwägung zwischen Empfänger- und Spenderinteressen zugunsten der Wartelistenkandidaten ausfällt. An die Vornahme der fremdnützigen Maßnahmen sind allerdings strenge Voraussetzungen zu stellen. Insgesamt erweist sich nur eine höchst maßvolle spendezentrierte Behandlung eines Patienten im präfinalen Zustand mit den Rechtsgedanken der deutschen Rechtsordnung vereinbar, die übermäßige Beeinträch628  Siehe zum Anpassungsvorschlag des §  19 TPG im rechtspolitischen Teil S.  495 ff.



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tigungen der medizinischen Selbstbestimmung sowie Risiken und Belastungen jenseits der Minimalgrenze ausschließt. Um einen ordnungsgemäßen Ablauf der Spenderkonditionierung sicherzustellen, sind ausreichende Schutzvorschriften zu implementieren, die eine Einbeziehung der gewillkürten oder gesetzlichen Vertreter erfordern. Ebenso ist es denkbar, eine entsprechende Strafvorschrift ins Transplantationsgesetz einzufügen. Dies setzt selbstverständlich eine Normierung der Voraussetzungen und Grenzen der spendezentrierten Behandlung voraus. Die Vorbereitung eines Patienten auf eine Organspende darf nicht im stillen Kämmerlein erfolgen, sondern muss sich vor den Augen der Verfassung abspielen, weshalb ihre gesetzliche Normierung dringend geboten ist.629 3. Die Verfassungsmäßigkeit der in Deutschland diskutierten Regelungsmodelle Noch im Bericht der Bundesregierung anlässlich des zehnjährigen Bestehens des Transplantationsgesetzes, sah diese keinen Handlungsbedarf im Bereich des etablierten Zustimmungsmodus für die Organentnahme.630 Im Zuge der Reform des Transplantationsgesetzes wurden jedoch mögliche Änderungen des Zustimmungsmodells intensiv diskutiert. Während einige die Einführung der Widerspruchslösung forderten, brandmarken andere diese Regelungsvariante als grundgesetzwidrig. Im Folgenden soll auf die Verfassungsmäßigkeit der beiden während der Reformbestrebungen in Betracht gezogenen Modelle der Entscheidungslösung (a)) und der Widerspruchslösung (b)) eingegangen werden.631 a) Die Verfassungsmäßigkeit der Entscheidungslösung Die verfassungsrechtliche Bewertung der Entscheidungslösung muss zwei der Regelung immanente Aspekte in Betrachtung nehmen. Da die gesetzliche Neuschöpfung letztlich auf der erweiterten Zustimmungslösung fußt, ist diese im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz zu prüfen (aa)). Danach bedarf es einer Bewertung des neuen „Vorschaltprinzips“, das den Bürger drängender als bisher mit dem Thema Organspende konfrontiert und ihm zwar nicht zwangsweise eine Entscheidung abverlangt, ihn jedoch zur Abgabe einer solchen konkret auffordert (bb)).

629  Zu

einem Gesetzesvorschlag siehe im rechtpolitischen Teil S. 491 ff. S. 2 f. 631  Für eine verfassungsrechtliche Bewertung weiterer Regelungsmodelle siehe etwa Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 32 ff. 630  BT-Drs. 16 / 13740,

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

aa) Die Verfassungsmäßigkeit der erweiterten Zustimmungslösung Die in Deutschland bislang praktizierte erweiterte Zustimmungslösung verlangt für die Legitimation der Organentnahme die Zustimmung des potentiellen Spenders. Liegt eine solche nicht vor, entscheiden subsidiär die nächsten Angehörigen, wenn möglich, unter Berücksichtigung des mutmaßlichen Willens des Verstorbenen.632 Ob hierin eine verfassungsgemäße Lösung gefunden wurde, hängt vor allem von einer verhältnismäßigen Berücksichtigung der bei einer Organentnahme betroffenen Grundrechte ab. Während auf der Spenderseite eine mögliche Verletzung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i.  V.  m. Art. 1 Abs. 1 GG), der Religions- und Weltanschauungsfreiheit (Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG) sowie bestehender Angehörigenrechte streiten ((1)), sind andererseits die Rechte der Patienten auf der Warteliste in Bezug auf ihr Leben und ihre Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) zu beachten ((2)). (1) Die betroffenen Grundrechte auf der Spenderseite Um dem grundgesetzlichen Gebot der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG gerecht zu werden, darf der Mensch keiner verächtlichen Behandlung ausgesetzt und dabei in erniedrigender Weise zum Objekt gemacht werden, sodass seine Subjektqualität prinzipiell in Frage gestellt wird oder eine willkürliche Menschenwürdemissachtung vorliegt.633 Die dahingehende staatliche Schutzverpflichtung wirkt noch über den Tod des Menschen hinaus.634 Es wurde allerdings bereits herausgestellt, dass der Wille des Einzelnen zur eigenen Freiheitsbeschränkung wegen seiner Stellung als selbstbestimmtes Rechtssubjekt den maßgeblichen Ausgangspunkt der verfassungsrechtlichen Bewertung einer möglichen Würdeverletzung bildet.635 Er spielt für die Konformität der Organentnahmeregelung mit der Menschenwürde folglich eine entscheidende Rolle.636 Beim Modus der erweiterten Zustimmungslösung entscheidet primär der potentielle Spender selbst, ob er seine Organe nach dem Tod freigeben möchte. Er hat die Möglichkeit, sich zu Lebzeiten ausdrücklich zu äußern und bleibt damit Subjekt des Spendeprozesses. Macht 632  Zum

genauen Verfahren bei der Entscheidungslösung siehe S. 89 ff. BVerfGE 30, 1, 25 f.; 87, 209, 228; 96, 375, 399 f.; BVerfG, NJW 2001, S. 2957, 2958. Siehe näher zur Menschenwürde bereits die Auseinandersetzung im Rahmen der Spenderkonditionierung, S. 286 ff. 634  BVerfGE 30, 173, 174. 635  Siehe zur Relevanz des Willens eines Betroffenen bereits im Rahmen der Diskussion der Spenderkonditionierung S. 287 f. 636  Bader, Organmangel und Organverteilung, S.  33; Sengler / Schmidt, DÖV 1997, S. 718, 722. 633  Vgl.



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen327

er von diesem Recht nicht Gebrauch, hat sein mutmaßlicher Wille Priorität. Dass auf letzter Ebene die Angehörigen eine Entscheidung für oder gegen die Spende treffen, macht den Spender nicht zum bloßen Objekt ihres Handelns. Vielmehr entscheiden sie, wie auch in anderen Angelegenheiten des Verstorbenen, in Wahrnehmung ihres Totenfürsorgerechts.637 Das subsidiäre Entscheidungsrecht der Angehörigen ist daher mehr als Problem der postmortalen Selbstbestimmung als der Menschenwürde anzusehen. Letztere wird nicht berührt.638 Jedoch kommt eine Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG in Betracht. Auf Grundlage seines postmortalen Selbstbestimmungsrechts hat der Verstorbene das Recht, zu Lebzeiten zu bestimmen, was nach dem Tod mit seinem Leichnam geschieht.639 Von vornherein abgewendet ist eine Verletzung dieses fortgeltenden Persönlichkeitsrechts, wenn sich der Spender zu Lebzeiten ausdrücklich geäußert hat. Problematisch ist jedoch das Entscheidungsrecht der Angehörigen, wenn eine Äußerung nicht vorliegt. Das gilt nicht für die Konstellation, in der sie lediglich als bloße Boten den ihnen bekannten Willen des Verstorbenen überbringen, sehr wohl aber für die Fälle, in denen sie den mutmaßlichen Willen des potentiellen Spenders ermitteln müssen und auf dessen Grundlage eine Entscheidung treffen. Zwar dient die Willensermittlung gerade der Durchsetzung des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen, nämlich der Entscheidung, ob eine Organspende in seinem Sinne wäre. In diesem Rahmen ist es allerdings nicht ausgeschlossen, dass die Angehörigen dem Verstorbenen einen Wunsch unterstellen, den er nicht hatte. Es handelt sich dabei um eine vom Gesetzgeber einkalkulierte Möglichkeit des Irrtums.640 Ob diese der Willensrepräsentation innewohnenden Gefahr im Rahmen einer Entscheidung zur Organspende hinnehmbar ist, muss in Abwägung mit den Rechten auf der Seite der Wartelistenkandidaten entschieden werden. Mangels sicherer Bestimmbarkeit des wirklichen Willens des potentiellen Spenders beeinträchtigt die Befugnis der Angehörigen, nach Ermittlung des mutmaßlichen Willens des Verstorbenen eine Entscheidung zu treffen, jedenfalls dessen postmortales Selbstbestimmungsrecht. Dieser Befund gilt erst recht für Situationen, in denen den Angehörigen die Ermitt637  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 41; Schroth, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 4 Rn. 13. 638  So auch Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 40; Nickel / SchmidtPreisgke / Sengler, TPG, Vor. § 3 Rn. 3; anders aber Schachtschneider / Siebold, DÖV 2000, S. 129, 131 ff., die aus der Menschenwürde das Erfordernis einer höchstpersönlichen Einwilligung ableiten wollen. 639  Heun, JZ 1996, S. 213, 214; Maurer, DÖV 1980, S. 7, 10 f; Schmidt-Didczuhn, ZRP 1991, S. 264, 266. 640  Holznagel, DVBl 2001, S. 1629, 1632.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

lung eines mutmaßlichen Willens nicht gelingt und sie infolgedessen selbst entscheiden.641 Zusätzlich umfasst das allgemeine Persönlichkeitsrecht sowohl die negative als auch die positive Entschließung bezüglich einer Organspende sowie das schlichte Recht, sich nicht mit dem Thema auseinandersetzen zu wollen. Das gilt ebenso für die Nichtoffenbarung der getroffenen Entscheidung.642 Will der Betroffene eine Fehlentscheidung Dritter abwenden, muss er sich jedoch mit dem Thema Organspende zumindest insoweit befassen, als dass er eine konkrete Entscheidung trifft und dokumentiert oder mitteilt. Es besteht damit ein dem Staat zuzurechnender, indirekter Zwang, sich zu erklären, der einen Eingriff in das negative Selbstbestimmungsrecht bedeutet.643 Dieser kann nicht mit dem Hinweis auf die Möglichkeit entkräftet werden, ohne weitere Beschäftigung mit dem Sachverhalt einen Widerspruch erklären zu können. Schließlich ist gerade auch ein Widerspruch eine Entscheidung in Bezug auf die Organspende, die staatlicherseits durch die rechtlichen Umstände der Spende „erzwungen“ wurde. Speziell im Hinblick auf die Willensdokumentation schützt das allgemeine Persönlichkeitsrecht die informationelle Selbstbestimmung des Einzelnen. Er darf selbst entscheiden, inwieweit und auf welche Weise er persönliche Lebenssachverhalte offenbart.644 Schutz besteht vor jeder Erhebung, Kenntnisnahme, Speicherung, Verwendung, Weitergabe oder Veröffentlichung von persönlichen Informationen.645 Würden Spendererklärungen in Zukunft gespeichert, etwa in dem bereits in § 2 Abs. 3 S. 1 TPG vorgesehenen Spenderregister oder auf der Gesundheitskarte (§ 291a Abs. 3 S. 1 Nr. 7 SGB V), 641  Einen Eingriff ins postmortale Selbstbestimmungsrecht sehen auch Holznagel, DVBl 2001, S. 1629, 1632; anders jedoch Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 41 f., der auf die Möglichkeit des Spenders rekurriert, die Entscheidung der Angehörigen abwenden zu können. Aber bereits aufgrund der mannigfaltigen Gründe, warum eine ausdrückliche Erklärung auch nur kurzzeitig unterbleiben kann – etwa im Entscheidungsfindungsprozess – oder ebenso aufgrund mangelnder staatlich gesicherter Zugangsmöglichkeiten zum Widerspruch (ein Register wurde bis heute nicht in Angriff genommen), verbietet sich eine Ablehnung des Eingriffstatbestands. Vielmehr ist die Möglichkeit der Dokumentation des eigenen Willens auf der Ebene der Rechtfertigung zu berücksichtigen. Zur speziellen Problematik einer Entscheidung der Eltern für ihre Kinder siehe Kreß, MedR 2015, S. 855 ff. 642  Sengler / Schmidt, DÖV 1997, S. 718, 722; vgl. zum negativen Selbstbestimmungsrecht auch Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 35. 643  Holznagel, DVBl 2001, S. 1629, 1632; vgl. auch Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 42. 644  BVerfGE 65, 1, 42 f.; zur Integrität persönlicher Daten vgl. auch Starck, in: Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 2 Rn. 114 ff. 645  Vgl. BVerfGE 65, 1, 43; Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 2 Abs. 1 Rn. 78; Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 2 Rn. 72.



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handelte es sich um eine staatliche Informations- und Datenerhebung, die dann einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung darstellen würde.646 Neben Beeinträchtigungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist auch an einen Eingriff in die Religions- und Weltanschauungsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG zu denken. Wer allerdings aus religiösen Gründen nicht zu einer Organspende bereit ist, kann dies ohne Weiteres dokumentieren, sodass seine positive Glaubensfreiheit keinem Eingriff ausgesetzt ist. Bei einer Nichtäußerung des potentiellen Spenders zu Lebzeiten ist es jedoch möglich, dass eine Organentnahme aufgrund einer Entscheidung der Angehörigen vorgenommen wird, die der religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung des Spenders zuwiderläuft.647 Um dies mit Sicherheit zu verhindern, muss eine Widerspruchserklärung erfolgen. Diese bedarf aber keiner Begründung. Mangels Offenbarungspflicht der Motivation zur Entscheidung ist die negative Religions- und Weltanschauungsfreiheit nicht tangiert.648 Ein Eingriff in Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG scheidet dementsprechend aus. Im Hinblick auf die Angehörigen steht eine Verletzung ihres Totenfürsorgerechts (Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 6 Abs. 1 GG) nicht in Rede, da ihr Entscheidungsrecht durch die erweiterte Zustimmungslösung nur aufgrund eines vorrangig zu beachtenden Spenderwillens beeinträchtigt wird.649 Da dieses Recht aber ohnehin zu den Rechten des Spenders subsidiär ist, kommt diesem keine eigenständige Bedeutung zu.650 Gleichwohl können die Angehörigen durch eine Beeinträchtigung ihres negativen Selbstbestimmungsrechts (Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) berührt sein, wenn ihnen das Gesetz bei Nichtvorliegen des Spenderwillens eine Entscheidung für oder gegen die Organentnahme zumutet.651 646  Ebenso Kadelbach / St. Müller / Assakkali, JuS 2012, S. 1093, 1095; Spilker, ZRP 2014, S. 112, 113. 647  Maurer, DÖV 1980, S. 7, 13 m. w. N.; Schmidt-Didczuhn, ZRP 1991, S. 264, 265; eingehend dazu auch Kübler, Verfassungsrechtliche Aspekte der Organentnahme zu Transplantationszwecken, S. 42 ff.; anders jedoch Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 44, der eine Beeinträchtigung aufgrund der grundsätzlichen Orientierung am (mutmaßlichen) Spenderwillen für ausreichend hält, um einen Eingriff zu verneinen. 648  In Betracht gezogen von Schmidt-Didczuhn, ZRP 1991, S. 264, 265; ablehnend jedoch auch Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 44. 649  Wird ein Organ jedoch ohne Einwilligung des Verstobenen und ohne Befragung der Angehörigen entnommen, liegt eine Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts vor, vgl. LG Bonn, VersR 1970, S. 715. 650  Bader, Organmangel und Organverteilung, S.  36; Schmidt-Didczuhn, ZRP 1991, S. 264, 266. 651  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 36; Körner, Hirntod und Organtransplantation, S.  49 ff., 55 f.; Schmidt-Didczuhn, ZRP 1991, S. 264, 268.

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(2) D  er Grundrechtsschutz der Erkrankten als Rechtfertigung für die Eingriffe in die Rechte auf der Spenderseite Die Eingriffe in die grundrechtlichen Gewährleistungen des Spenders könnten gerechtfertigt sein. Dabei ist allein fraglich, ob der Gesetzgeber bei gesetzlicher Verankerung der erweiterten Zustimmungslösung mit geeigneten, erforderlichen und angemessenen Mitteln mit dem Schutz der Patienten auf der Warteliste ein legitimes Ziel zu erreichen sucht. Gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 TPG hat sich der Gesetzgeber vorgenommen, die Bereitschaft zur Organspende zu fördern, was auf das Ziel einer Erhöhung der Transplantationsrate hinausläuft. Hintergrund ist sein Wille, Leben und Gesundheit möglichst vieler Erkrankter zu schützen. Dieses Grundrecht ergibt sich für die Patienten aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG. Der Staat hat die Grundrechte des Einzelnen zu achten, ist aber auch an der Verwirklichung ihres Schutzes innerhalb der Beziehungen der Bürger untereinander beteiligt. Es wurde in dieser Arbeit bereits dargelegt, dass seine Schutzpflichten angesprochen werden, sobald das Individuum selbst zur Grundrechtsausübung nicht mehr in der Lage ist.652 Aus dem objektiv-rechtlichen Gehalt des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ergibt sich eine positive Schutzpflicht des Staates zur Wahrung von Leben und Gesundheit auch gegenüber einer durch Krankheit ausgelösten Gefahr.653 Die Vereitelung einer medizinisch möglichen Therapie bedeutet einen Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG.654 Insofern besteht eine verfassungsrechtliche Legitimation für den Gesetzgeber in seinen Zielvorstellungen als „Anwalt der Patienten auf der Warteliste“ aufzutreten, solange er auch entgegenstehenden Rechten ausreichend Beachtung schenkt. Die erweiterte Zustimmungslösung trägt durch die Ermöglichung einer Organspende bei Zustimmung des Verstorbenen oder seiner Angehörigen zur Förderung des Schutzes der Wartelistenkandidaten bei. Teilweise wird aber auf die suboptimale Ausschöpfung der passiven Spenderbereitschaft rekurriert und damit die Regelung in Bezug auf ihr ausreichendes Schutzniveau in Zweifel gezogen.655 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass der Staat bei 652  Vgl. die derzeitige grundrechtliche Kollisionslage im Rahmen der spendezentrierten Maßnahmen, S. 284 ff. 653  BVerfG, Beschluss v. 28.07.1987, NJW 1987, S. 2287, vgl. zur Schutzpflicht bereits S. 285. 654  BVerfG, NJW 1999, S. 3399, 3400. 655  In diese Richtung Seewald, VerwArch 88 (1997), S. 199, 224 f., der davon spricht, dass die erweiterte Zustimmungslösung damit nicht die Verfassungsnähe aufweise, die andere Modelle bieten könnten, um einen bedarfsgerechten Gesundheitsschutz zu bieten. Bei seiner Fokussierung auf die Patientenbedürfnisse lässt Seewald jedoch die kollidierenden Rechte des Spenders und den weiten Ermessensspielraum des Staates zu sehr außer Acht.



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der Ausgestaltung seiner Schutzfunktion über einen weiten Ermessensspielraum verfügt, der ausschließlich dann überschritten ist, wenn sich die Regelungen als „gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich“ erweisen würden, „das gebotene Schutzziel zu erreichen oder erheblich dahinter zurückblei­ ben“.656 In diesem Fall wäre das Untermaßverbot verletzt. Ein solch weitreichendes Defizit kann bei Anwendung der erweiterten Zustimmungslösung allerdings nicht festgestellt werden, auch wenn andere Regelungsmodelle möglicherweise ein höheres Organaufkommen erzielen würden. Ein mit der objektiven Schutzpflicht des Staates korrelierendes subjektives Recht der Patienten auf eine bestimmte Regelungsvariante kann es nicht geben, sondern allenfalls auf, dem Untermaßverbot entsprechende, organisatorische Vorkehrungen.657 Die Beeinträchtigungen der Grundrechte von Spendern und Angehörigen, würden sich als erforderliche Eingriffe dartun, wenn kein milderes Mittel zum Schutz der Wartelistenkandidaten zur Verfügung stünde, das sich für die Zielerreichung als gleich geeignet erweist. Bei der Bewertung dieser Tatsache kommt dem Gesetzgeber ebenfalls ein hoher Ermessens- und Prognosespielraum zu Gute.658 Als mildere Regelungsvariante im Hinblick auf die Spender- und Angehörigenrechte ist die Einführung der engen Zustimmungslösung in Betracht zu ziehen. Ihre Anwendung würde die Selbstbestimmung des Spenders insoweit schonen, als dass diesem noch nicht einmal mittelbar eine Erklärungslast aufgebürdet würde, um einer Organentnahme durch die Einwilligung seiner Angehörigen zu entgehen.659 Genauso würde das negative Selbstbestimmungsrecht der Angehörigen unberührt bleiben, die in keinem Fall zu einer Entscheidung berufen wären. Allerdings bestehen erhebliche Zweifel an der gleichen Eignung des Regelungsmodus. Wären Explantationen nur noch bei ausdrücklicher Zustimmung des potentiellen Spenders erlaubt, zeigt die geringe Zahl an tatsächlich vorhandenen Erklärungen,660 dass die Transplantationsmedizin in der jetzigen 656  Vgl. BVerfGE 77, 170, 214 f.; 92, 26, 46; ohnehin erweist sich die Ausprägung der Schutzdimension der Grundrechte schwächer als deren historische Leitfunktion, staatliche Eingriffe abzuwehren, BVerfGE 7, 198, 204 f. 657  Das auch einräumend Seewald, VerwArch 88 (1997), S. 199, 209; ebenso Bader, Organmangel und Organverteilung, S.  38; Kluth / Sander, DVBl 1996, S. 1285, 1289. Aus dem Sozialstaatsprinzip ergibt sich gem. Art. 20 Abs. 1 GG allerdings ein Auftrag an den Gesetzgeber, das Gesundheitswesen und damit auch die Transplantationsmedizin effizient zu organisieren, Sengler / Schmidt, DÖV 1997, S.  718, 723 f. 658  Vgl. Jarass, in: Jarass / Pieroth (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 20 Rn. 87 ff. 659  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 43. 660  Im Jahr 2014 lag in acht von zehn Fällen keine schriftliche Willensbekundung vor, DSO, Jahresbericht 2014, S. 42.

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Form beinahe zum Erliegen kommen würde.661 Durch die Anwendung der engen Zustimmungslösung liefe der Staat Gefahr, seine Schutzpflicht zu einer Leerformel verkommen zu lassen. Folglich stellt die erweiterte Zustimmungslösung die mildeste Regelungsvariante dar, die zu einem annehmbaren Organaufkommen führt, sodass sie sich als erforderlich erweist.662 Diese Tatsache befreit den Gesetzgeber jedoch nicht davon, die betroffenen berechtigten Interessen auf Spender- und Empfängerseite in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Die Abwägung bemisst sich vor allem an den entgegengesetzt betroffenen Grundrechten und der Schwere ihrer Betroffenheit. Während es für den Patienten auf der Warteliste um sein Überleben oder zumindest die Abwendung schwerwiegender gesundheitlicher Beeinträchtigungen geht, steht für den Spender die Wahrung seines Persönlichkeitsrechts auf dem Spiel. Eine Abwägung im Hinblick auf sein Persönlichkeitsrecht würde sich von vornherein verbieten, wäre die Intimsphäre und damit der absolut geschützte Persönlichkeitskern, durch die erweiterte Zustimmungslösung betroffen. Ein Eingriff wäre nicht zu rechtfertigen.663 Allerdings umfasst die Intimsphäre ausschließlich Verhaltensweisen, die keinerlei sozialen Bezug aufweisen; dieser ergibt sich jedoch aus den Folgen einer unterlassenen Spende für die Organaspiranten.664 Insofern ist der Weg für eine Abwägungsentscheidung frei. Auf der Seite der potentiellen Empfänger streitet ihre meist lebensbedrohliche Situation, durch die ein Kernbereich der Grundrechtsausübung gefährdet wird. Auf der anderen Seite fällt ins Gewicht, dass der Staat lediglich in seiner Schutzpflichtdimension angesprochen wird. Von mancher Seite wird eine quasi leistungsrechtliche Ausgestaltung des Sachverhalts angenommen, die die verfassungsrechtliche Schutzbedürftigkeit der Patienten deutlich schmälern soll.665 Das Persönlichkeitsrecht des Spenders betrifft zunächst die Integrität seines Leichnams, über die er im Rahmen seines postmortalen Selbstbestimmungsrechts verfügen darf. Allerdings ist der Spender, im Gegensatz zu den Organaspiranten, in der Lage, die grundrechtliche Gefahr selbstständig abzu661  Opper, Die gerechte und rechtmäßige Verteilung knapper Organe, S. 85; Seewald, VerwArch 88 (1997), S. 199, 223. 662  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 43; im Ergebnis ebenfalls Sengler / Schmidt, DÖV 1997, S. 718, 724; siehe dazu auch Vogel, NJW 1980, S. 625 ff. 663  Vgl. BVerfGE 6, 32, 41; 32, 373, 378 f.; 34, 238, 245; 35, 35, 39; 80, 367, 373; 103, 21, 31 f.; Dreier, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 2 Abs. 1 Rn. 87. 664  Vgl. schon Kühn, MedR 1998, S. 455, 460. 665  So Gallwas, JZ 1996, S. 851, 852, der aber die objektive Schutzpflicht des Staates zur Gesundheitsvorsorge auch mit Blick auf das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG außer Acht lässt.



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wehren.666 Es kann nicht geleugnet werden, dass jene Fälle, in denen die Angehörigen über eine Organspende entscheiden unter Autonomiegesichtspunkten nicht unkritisch betrachtet werden dürfen.667 In der Tat erweist sich der Begriff Organspende bei einer Entscheidung durch die Angehörigen als recht kühnes begriffliches Manöver. Es wurde bereits im Rahmen einer Betrachtung der Einwilligungsmöglichkeiten in Bezug auf spendezentrierte Maßnahmen festgestellt, dass eine mutmaßliche Einwilligung nicht zum „Vehikel für kaschierte Fremdbestimmungen“668 werden darf.669 Es würde eine paternalistische Bevormundung des Patienten bedeuten, ihm eine altruistische Fremdentscheidung aufzuoktroyieren. Vielmehr bedarf es der Ermittlung konkreter Anhaltspunkte für einen Spendewillen des Betroffenen. Gleichberechtigte Berücksichtigung während des Angehörigengesprächs müssen solche Hinweise finden, die gegen eine Organexplantation sprechen. Die Ausgestaltung des Verfahrens zur Ermittlung des Spenderwillens muss diesen Anforderungen gerecht werden, um das postmortale Persönlichkeitsrecht des Betroffenen ausreichend zu schonen. Die Annahme eines ausschließlich durch den potentiellen Spender höchstpersönlich wahrzunehmenden Rechts dürfte hingegen vor dem Hintergrund der deutschen Rechtsordnung zu weit gehen. Die Gefahr einer „Fehlentscheidung“ ist mit jeder Willensrepräsentation verbunden, wird jedoch regelmäßig in Kauf genommen. Dies beweisen sowohl die Zulässigkeit von Betreuerentscheidungen im Fall von Therapiebegrenzungen bei intensivmedizinisch behandelten Patienten,670 als auch das etablierte, recht umfassende Totenfürsorgerecht.671 Das Verbot einer Vertretung in persönlichen Angelegenheiten ist dem deutschen Recht bis auf die Abfassung eines Testaments und einer Eheschließung grundsätzlich fremd.672 Im Rahmen der Spendeentscheidung gehören die Familie und 666  In diese Richtung auch BVerfG, NJW 1999, S. 3403 f., das in seinem Nichtannahmebeschluss nicht moniert hat, dass zur sicheren Abwehr einer postmortalen Organspende ein Widerspruch erklärt werden muss. Ob dies jedoch grundsätzlich die unmittelbare Betroffenheit der Beschwerdeführer ausschließt, erscheint fraglich. Kritisch zum Urteil Rixen, NJW 1999, S. 3389 f.; siehe dazu auch Wille, Die Organknappheit im Spannungsverhältnis zwischen Sozialpflicht und Selbstbestimmung, S.  75 ff. 667  Vgl. insoweit schon die kritischen Erwägungen zur Ergründung des mutmaßlichen Willens im Rahmen der Betrachtung spenderzentrierter Maßnahmen, S. 294 ff. 668  Höfling / Rixen, JZ 2003, S. 884, 892. 669  Siehe zu den Problemen der mutmaßlichen Einwilligung S. 294 ff. 670  Vgl. Duttge, ZfL 2011, S. 55, 57, der die Konflikte von Entscheidungen Dritter in Bezug auf eine Organentnahme und Therapiebegrenzung vergleicht; so auch Resch, Die empfängergerichtete Organspende, S. 31. 671  Ähnlich Rosenau, in: Lilie / Rosenau / Hakeri (Hrsg.), Die Organtransplantation, S. 61, 65; anders aber Schachtschneider / Siebold, DÖV 2000, S. 129, 131 ff. 672  Vgl. Schreiber, A-Drs. 598 / 13, S. 10, 18.

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insbesondere die engsten Angehörigen zu dem Kreis, der die persönlichen Rechte des Spenders am besten wahrnehmen kann.673 Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht bürdet zudem lediglich eine Erklärungslast, keinesfalls aber eine Duldungspflicht auf. Durch eine Äußerung hat es der potentielle Spender jederzeit in der Hand, das subsidiäre Entscheidungsrecht der Angehörigen und damit eine Organentnahme zu verhindern. Durch diesen Akt ist ihm die vollständige Wahrnehmung seines postmortalen Selbstbestimmungsrechts möglich und in Anbetracht der Gefährdung der Wartelistenkandidaten ebenso zumutbar.674 Bei Abgabe einer Erklärung zur Spendebereitschaft wird der Bürger jedoch mit dem eigenen Tod konfrontiert, was sein negatives Selbstbestimmungsrecht berührt.675 Sein Interesse an der Nichtbefassung mit dieser Thematik kann jedoch das Interesse der Patienten an der Ausübung ihres Lebensrechts nicht überwiegen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit des Einzelnen in der Gesellschaft mehrfach betont.676 Es wurde bereits im Rahmen der Befassung mit den organprotektiven Maßnahmen herausgearbeitet, dass der Bürger als auch dem Gemeinwesen verpflichteter Teil der Staatsgemeinschaft in gewissen Maße Solidarpflichten zu tragen hat, wo in der sozialen Wirklichkeit bereits Strukturen gegenseitiger Abhängigkeit angelegt sind und die Wahrung elementarer Lebenszwecke in Rede steht.677 Jene Anlage findet sich im Kontext der Organtransplantation im Rahmen der Konnexität zwischen Spenderund Empfängerverhältnis. Wer in Zukunft möglicherweise auf der Geber- und wer auf der Bedürftigenseite steht, ist völlig offen. Diese Ausgangslage, die belegt, dass das Thema Organspende für jedermann relevant werden kann, 673  Taupitz,

JuS 1997, S. 203, 205. andere Einschätzung jedoch bei Schachtschneider / Siebold DÖV 2000, S. 129, 131 ff., die für den Eingriff in die Integrität des Leichnams nur die höchstpersönliche Einwilligung des potentiellen Spenders genügen lassen wollen. Bei ihrer Betonung der Bedeutung des Schutzes seiner Autonomie übersehen sie aber, dass es dem Bürger nach ausreichender Aufklärung über die Rechtsfolgen seines Verhaltens unbenommen bleibt, seine Selbstbestimmung auszuüben und er damit gleichzeitig einer zumutbaren solidarischen Verpflichtung gegenüber den Organaspiranten nachkommt. Dies führt auch nicht zu einer Sozialpflichtigkeit des Leibes, wie Schachtschneider / Siebold behaupten, S. 136; eine Verpflichtung zur Spende besteht gerade nicht, sondern hängt von einer Zustimmung ab. Auch auf die enge Zustimmungslösung beharrend und eine angebliche Sozialpflichtigkeit der Organe ablehnend Tröndle, in: Firnkorn (Hrsg.) Hirntod als Todeskriterium, S. 53, 55, der Hirntote jedoch als Lebende begreift. 675  Kritisch zur zwangsweisen Beschäftigung mit dem Tod Kloth, Todesbestimmung und postmortale Organentnahme, S. 174 ff.; Vultejus, ZRP 1993, S. 435, 437. 676  BVerfGE 4, 7, 15; 8, 274, 329; 27, 1, 7; 27, 344, 351 f.; 33, 303, 334. 677  Vgl. dazu die Solidarpflichten im deutschen Recht, S. 305 ff. 674  Eine



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rechtfertigt die Hinnahme von Einschränkungen.678 Der Eingriff in das Recht auf Nichtbefassung ist zudem als relativ gering zu bewerten.679 Ein direkter Zwang zur Beschäftigung mit der Materie im Sinne einer Erklärungspflicht besteht nicht. Ebenso wurde keinerlei Begründungszwang installiert, sodass ein pauschaler Widerspruch ohne nähere Auseinandersetzung mit der Organspende legitim ist. Jedem ist es außerdem unbenommen, sich nicht mit dem Tod auseinanderzusetzen und bewusst seinen Angehörigen oder einer von ihm bestimmten Vertrauensperson die Entscheidung zu überlassen.680 Eine Verletzung des negativen Selbstbestimmungsrechts ist dementsprechend abzulehnen. Gleiches muss für den Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen gelten, sollte es in Zukunft zu einer staatlich veranlassten Speicherung der Entscheidung zur Organspende kommen.681 Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass der Einzelne auch vor Eingriffen in seine informationelle Selbstbestimmung nicht absolut geschützt ist.682 Das vom Gericht verlangte überwiegende Allgemeininteresse an der Beschneidung des Rechts über die Preisgabe und Verwendung der eigenen Daten zu entscheiden, liegt im vitalen Empfängerschutz. Solange organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen zum Schutz des Persönlichkeitsrechts getroffen werden,683 ist das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen nicht verletzt. Außerdem würde eine organisierte Erfassung der Erklärung auch für den potentiellen Spender Sicherheit bezüglich der Durchsetzung seiner Erklärung bedeuten. Die Konsequenzen aus der erweiterten Zustimmungslösung erweisen sich folglich insgesamt als hinnehmbar. Das gilt zumindest dann, wenn staatliche Stellen hinreichende Aufklärung über die Folgen der Handlungsoptionen ge678  Wille, Die Organknappheit im Spannungsverhältnis zwischen Sozialpflicht und Selbstbestimmung, S. 86 spricht im Rahmen der Regelungsmodelle aufgrund des Systems von Geben und Nehmen in der Transplantationsmedizin sogar von einer „Schicksalsgemeinschaft“. 679  Dies wird sogar für die Widerspruchslösung angenommen, vgl. Klinge / Schlette, Jura 1997, S. 642, 647; anders aber Starck, in: Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), GGKommentar, Art. 2 Rn. 113, der eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrecht durch die Widerspruchslösung annimmt. 680  Sengler / Schmidt, DÖV 1997, S. 718, 725; für die Zumutbarkeit einer Konfrontation auch Hirsch / Schmidt-Didczuhn, Transplantation und Sektion, S. 55; Wille, Die Organknappheit im Spannungsverhältnis zwischen Sozialpflicht und Selbstbestimmung, S. 82. 681  Vgl. schon Kadelbacher / St. Müller / Assakkali, JuS 2012, S. 1093, 1096; Seewald, VerwArch 88 (1997), S. 199, 229. 682  Vgl. das Volkszählungsurteil BVerfGE 65, 1, 44. 683  Zu installieren ist insbesondere ein strikter Zugangsschutz gegen Unbefugte.

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währleisten. Eine selbstbestimmte Entscheidung oder eben eine bewusste Nichtentscheidung können nur erfolgen, wenn der Einzelne über die Rechtslage eingehend informiert wird. Ansonsten wäre er aufgrund eines Wissensdefizits nicht zur Verwirklichung seiner Grundrechte fähig. Durch die im Zuge der Reform konkretisierten Vorgaben an die Aufklärung, die insbesondere auch das subsidiäre Entscheidungsrecht der Angehörigen thematisieren soll, ist von gesetzlicher Seite her formal sichergestellt, dass dem Bürger eine ausreichende Informationsmöglichkeit zur Verfügung gestellt wird.684 Im Fall des Unterlassens einer Willensbekundung sind es die Angehörigen, die in einer schweren Lebenslage durch die Konfrontation mit einer möglichen Organspende beschwert werden. In Anbetracht der Tatsache, dass die Angehörigen noch im Nachhinein oftmals lange Zeit mit ihrer Entscheidung hadern, kann der Eingriff nicht als gering bewertet werden.685 Eine in dieser Hinsicht mildere Regelungsvariante, die dennoch zu einem akzeptablen Spenderniveau führen würde, wäre die gesetzliche Verankerung einer Er­ klärungsverpflichtung oder der engen Widerspruchslösung. In dieser Weise würden die Angehörigen aus den verfahrensrechtlichen Begleitumständen herausgehalten. Diese greifen jedoch umso stärker in das Recht des potentiellen Spenders auf negative Selbstbestimmung ein, sodass sie sich in der Gesamtbetrachtung nicht als milder darstellen.686 Der Eingriff ist auch vermeidbar, indem der potentielle Spender eine Erklärung abgibt oder zumindest in seiner Schwere verringerbar, indem die Familie das Thema Organspende zu Lebzeiten aufgreift.687 Dies erscheint, nach angemessener Aufklärung, als eine zumutbare Belastung der Angehörigen. bb) Die Verfassungsmäßigkeit der Entscheidungsaufforderung Der zweite Aspekt der Entscheidungslösung, der die soeben behandelte Zustimmungslösung ergänzt, betrifft die Erweiterung der im Transplanta­ tionsgesetz bereits vorhandenen Informationspflichten im Hinblick auf die Organspende. Im Fokus der Neuregelung steht die Motivation des Bürgers, eine Erklärung zu seiner Spendebereitschaft abzugeben. Gemäß § 1 Abs. 1 S. 2 TPG soll er regelmäßig in die Lage versetzt werden, sich mit seiner ei684  Zu den Problemen, die die Realität der Aufklärung betreffen siehe im rechtspolitischen Teil der Arbeit S. 502 ff. 685  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 45; ähnlich Seewald, VerwArch 88 (1997), S. 199, 224 f. 686  So auch Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 45; die Erforderlichkeit der erweiterten Zustimmungslösung wegen einer ungebührlichen Belastung der Angehörigen ablehnend aber Seewald, VerwArch 88 (1997), S. 199, 225. 687  Ähnlich Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 46.



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genen Spendebereitschaft ernsthaft zu befassen sowie zu einer Dokumentation seiner Entscheidung aufgefordert werden. Die bisher vorgesehene Bitte zur Äußerung (§ 2 Abs. 1 S. 3 TPG a. F.) wandelt sich damit in die eindringlichere Form eines Aufrufs. Im Zuge dessen fordern die Krankenkassen und privaten Krankenversicherungsunternehmen ihre Patienten in gesetzlich getakteten Abständen auf, eine Erklärung abzugeben (§ 2 Abs. 1a S. 5 TPG). Im Vergleich zur vorherigen Rechtslage soll der Einzelne konkreter mit der eigenen Organspendebereitschaft befasst werden. Das regelmäßige auffordernde Einwirken auf den Bürger, der staatlicherseits mit seinen moralischen Einstellungen und dem Tod konfrontiert wird, könnte sein Persönlichkeitsrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG verletzen. Auf den ersten Blick nicht beeinträchtigt erscheint das Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als postmortales Selbstbestimmungsrecht des potentiellen Spenders, da es im Rahmen der Erklärungsdokumentation ausschließlich auf seinen Willen ankommt. Eine andere Sichtweise könnte sich aber möglicherweise daraus ergeben, dass es von staatlicher Seite zu einer unzulässigen Entscheidungsbeeinflussung kommen könnte. Eine positive Erklärung im Hinblick auf eine Organentnahme würde mit dem Ziel des Gesetzgebers, die Spendebereitschaft zu fördern, korrelieren. Bereits die Kombination dieses Gesetzeszwecks mit der gezielten Aufklärung und Aufforderung des Bürgers, sich konkret zu äußern, könnte eine unzulässige Beeinflussung, möglicherweise sogar Manipulation, bedeuten. Jedoch hält das Gesetz selbst ausdrücklich fest, dass die Aufklärung nicht moralisch indoktrinierend, sondern vielmehr ergebnisoffen sein muss (§ 2 Abs. 1 S. 2 TPG). Es soll über die gesamte Tragweite der Entscheidung informiert werden. Laut Gesetzesbegründung sind auch solche Aspekte einzubeziehen, die einer Entnahmeerlaubnis entgegenstehen könnten.688 Ein ergebnisoffenes Aufklärungsgebot als solches kann im Hinblick auf das postmortale Selbstbestimmungsrecht nicht schon als Eingriff von unzulässiger Einwirkungsqualität bewertet werden – auch, wenn die Information im Licht eines gesetzgeberischen Zwecks steht. Dann müssten jegliche staatliche Aufklärungskampagnen – von der Information in der Gesundheitspolitik bis hin zur Werbung für die Beteiligung an der demokratischen Mitgestaltung des Staates – als verfassungswidrig verworfen werden.689

688  BT-Drs.

17 / 9030, S. 16. wenig konkrete Wortlaut der Norm illuminiert jedoch eine enorme gesetzgeberische Zurückhaltung. Es ist ein Anliegen des Gesetzes, die Neutralität der Auskunft über die Organspende abzusichern. Die konkrete Ausgestaltung der Kautelen wird jedoch ausgespart und einer Gestaltung der Aufklärungsunterlagen durch die Praxis überlassen. Ob diese Vorgehensweise zu befriedigenden Ergebnissen geführt hat, bedarf noch einer rechtspolitischen Auseinandersetzung, siehe dazu S. 502 ff. 689  Der

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Verfassungsrechtlich ins Gewicht fällt jedoch, dass der Einzelne im Zuge der intensiven Konfrontation mit der Thematik aufgefordert wird, sich mit seinen persönlichen moralischen Vorstellungen und seiner eigenen Endlichkeit auseinanderzusetzen. In dieser Hinsicht ist das negative Selbstbestimmungsrecht des Bürgers betroffen. Sein Recht, „in Ruhe gelassen zu werden“, wird beschränkt. Hier kann jedoch auf die Ausführungen zu der durch die erweiterte Zustimmungslösung mittelbar auferlegten Erklärungslast verwiesen werden. Die Schutzpflicht des Staates erlegt es diesem auf, sich schützend vor die Grundrechte der Patienten auf Leben und Gesundheit zu stellen. Zur Erfüllung dieser Pflicht ist es ihm gestattet, die Gemeinschaft im Rahmen des Zumutbaren in Anspruch zu nehmen. Schon allein aufgrund des weiten Ermessensspielraums des Gesetzgebers kann die Modifizierung und Konkretisierung der Informationskampagne nicht als ungeeignet angesehen werden, dieses Ziel zu erreichen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich im Zuge der vermehrten Befassung mit dem Thema auch mehr Bürger zu einer Entscheidung für die Organspende berufen fühlen. Ein milderes, gleich geeignetes Mittel, das den Einzelnen ebenso motiviert, ist nicht ersichtlich. Dabei überspannt die bloße Information und zwanglose Aufforderung, eine Erklärung abzugeben, nicht den Bogen einer angemessenen Inanspruchnahme der Bürger. Diese behalten in jeder Hinsicht die Freiheit, entsprechendes Informationsmaterial unbeantwortet zu lassen und ohne innere Auseinandersetzung zu entsorgen. Auch das negative Selbstbestimmungsrecht ist damit durch die vermehrte Aufklärung und Entscheidungsaufforderung nicht verletzt. Das „Vorschaltmodell“ der Entscheidungslösung ist als legitimer „libertärer Paternalismus“690 verfassungskonform. b) Die Widerspruchslösung als verfassungsrechtlich zulässige Option für Deutschland? Als weiteres Modell zur Regelung der Zulässigkeit einer Organentnahme stand im Vorfeld der Reform des Transplantationsgesetzes die erweiterte Widerspruchslösung im Fokus einschlägiger Diskussionen. Grund dafür war vor allem die Tatsache, dass jene Länder, die die Widerspruchslösung praktizieren, vielfach ein erhöhtes Spenderaufkommen verzeichnen.691 Es besteht daher von Seiten der Befürworter dieses Regelungsmodells die Hoffnung, auch in Deutschland höhere Spenderzahlen realisieren zu können. Vor diesem Hintergrund wird die Einführung der Widerspruchslösung teilweise so690  Vgl. Duttge, ZfL 2011, S. 55, 59 f., der bei der gezielten Konfrontation des Bürgers insgesamt von „libertären Paternalismus“ spricht. 691  Näher zu den Chancen einer Steigerung der Organspenderrate durch die Widerspruchslösung siehe S. 514 ff.



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen339

gar für geboten erachtet.692 Ihre Gegner hingegen weisen auf die angebliche Verfassungswidrigkeit eines „Widerspruchszwangs“ hin.693 Wieder stehen die Menschenwürde, das allgemeine Persönlichkeitsrecht sowie die Angehörigenrechte auf der Spenderseite (aa)) der staatlichen Schutzpflicht für Leben und Gesundheit der Patienten gegenüber (bb)). aa) Eingriffe in die Rechte auf der Spenderseite Da der Einzelne im Zuge der staatlichen Anordnung einer Organentnahme bei fehlendem Widerspruch nicht zum Objekt degradiert wird, scheidet ein Verstoß des Regelungsmodells gegen die Menschenwürde aus.694 Er hat es durch die Erhebung eines Widerspruchs in der Hand, die Erlaubnis einer Organentnahme zu versagen. Einer menschenwürdeverachtenden Fremdbestimmung und Instrumentalisierung wird sein Körper nicht zugänglich gemacht. Tangiert werden könnte jedoch das allgemeine Persönlichkeitsrecht des potentiellen Spenders. In seiner Ausprägung als postmortales Selbstbestimmungsrecht wird es jedoch vollständig gewahrt, wenn sich der Verstorbene zu Lebzeiten geäußert hat und seinem Willen gefolgt wird. Als problematisch erweist sich die Wahrung seines postmortalen Persönlichkeitsrechts allerdings, wenn in der Notwendigkeit der Widerspruchserklärung eine unzulässige Umdeutung des Schweigens in eine Einwilligung gesehen würde, die der deutschen Rechtsordnung, im Gegensatz zur Österreichischen oder Spanischen,695 fremd ist.696 Um diesem Ergebnis zu entgehen, behaupten einige, dass mit der Deutung des Schweigens gerade keine 692  Vgl. Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 514; Gutmann, Für ein neues Transplantationsgesetz, S.  155 ff.; Spilker, ZRP 2014, S. 112 ff. 693  Vgl. Lilie, in: Jung / Luxenburger / Wahle (Hrsg.), FS E. Müller, S. 395, 402 ff.; skeptisch auch Taupitz, JuS 1997, S. 203, 204. 694  So auch Heun, JZ 1996, S. 213, 218; Rosenau, in: Lilie / Rosenau / Hakeri (Hrsg.), Die Organtransplantation, S. 61, 68 f.; siehe auch Hirsch / Schmidt-Didczuhn, Transplantation und Sektion, S. 54 ff.; Nationaler Ethikrat, Die Zahl der Organspenden erhöhen, S. 43 f.; Neft, MedR 2013, S. 82, 84; Spilker, ZRP 2014, S. 112, 113; anders aber Lilie, in: Jung / Luxenburger / Wahle (Hrsg.), FS E. Müller, S. 395, 405; eine Menschenwürdeverletzung zumindest durch die enge Widerspruchslösung sieht Kelle, Widerspruchslösung und Menschenwürde, S. 43. 695  Lilie, in: Lilie / Rosenau / Hakeri (Hrsg.), Die Organtransplantation, S. 55, 56. 696  BT-Drs. 13 / 4355, S. 13 spricht insoweit von einer Unterstellung der Zustimmung zur Organentnahme kraft Gesetzes; vgl. ferner Borowy, Die postmortale Organspende und ihre zivilrechtlichen Folgen, S. 52; Heuer / Conrads, MedR 1997, S. 195, 197; Maurer, DÖV 1980, S. 7, 12; Nickel, MedR 1995, S. 139, 141; Spranger, in: Breyer / Engelhard (Hrsg.), Anreize zur Organspende, S. 111, 119 ff.; Taupitz, JuS 1997, S. 203, 204. Für die Annahme einer ihrer Meinung nach verfassungsrechtlich

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Zustimmung fingiert, sondern lediglich der Ausübung des Selbstbestimmungsrechts des potentiellen Spenders Rechnung getragen werde. Bei Unterlassung eines Widerspruchs müsse nicht von einer expliziten Einwilligung in die Organentnahme bzw. einem Grundrechtsverzicht gesprochen werden, da der Einzelne bei ausreichender Aufklärung über die Gesetzeslage nicht auf sein Selbstbestimmungsrecht verzichte, sondern es durch Unterlassung eines Widerspruchs vielmehr ausübe.697 Das gelte natürlich nur, wenn diese Entscheidung im Bewusstsein ihrer Rechtsfolgen getroffen würde. Staatliche Stellen seien daher zwingend berufen, dem Bürger die notwendige Aufklärung zuteilwerden zu lassen, damit er seine Selbstbestimmung auch ernsthaft ausüben könne.698 Es ist jedoch fraglich, ob durch das Widerspruchsmodell tatsächlich eine solche Umdeutung des Nichthandelns stattfindet. Problematisch wäre das vor allem im Hinblick auf das subsidiäre Entscheidungsrecht der Angehörigen. In diesem liegt in jedem Falle ein Eingriff in das postmortale Selbstbestimmungsrecht, da der Wille des Verstorbenen mangels Kenntnis nicht maßgeblich ist.699 Würde man die Unterlassung eines Widerspruchs als Ausübung des Selbstbestimmungsrechts begreifen, würde die Angehörigenbefragung eine Grundrechtsverletzung durch die Übergehung des Spenderwillens heraufbeschwören, da sich eine bewusste Umgehung des Spenderwillens von vornherein einer Rechtfertigung entzieht. Im Gegensatz zur erweiterten Zustimmungslösung, bei der das Schweigen lediglich als Nichtäußerung interpretiert wird, müsste die Beteiligung der Angehörigen zwingend unterbleiben. Das Widerspruchsmodell in seiner erweiterten Fassung wäre dann verfassungsrechtlich nicht tragbar. Eine solche Interpretation der Rechtslage ist jedoch weder zwingend noch einleuchtend. Es ist nicht ersichtlich, warum der Wechsel von einer Zustimzulässigen Einwilligungsfiktion jedoch Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 323. 697  So auch Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 48 f.; vgl. auch Gutmann, Für ein neues Transplantationsgesetz, S. 167; Kloth, Todesbestimmung und postmortale Organentnahme, S. 172; Maurer, DÖV 1980, S. 7, 12; Schmidt-Didczuhn, ZRP 1991, S. 264, 268. 698  Bader, Organmangel und Organverteilung, S.  48; Seewald, VerwArch 88 (1997), S. 199, 226; kritisch zur staatlichen Aufklärungspflicht hingegen Wille, Die Organknappheit im Spannungsverhältnis zwischen Sozialpflicht und Selbstbestimmung, S. 89 f.; zur Versäumung eines Widerspruchs Borowy, Die postmortale Organspende und ihre zivilrechtlichen Folgen, S. 52; der Nationale Ethikrat, Die Zahl der Organspenden erhöhen, S. 33 ff. hat aufgrund der Gefahr mangelnder Aufklärung ein Zweistufenmodell vorgeschlagen, dass auf einer eingehenden Aufklärungskampagne vor Einführung der Widerspruchslösung basiert. 699  Siehe zu den auf der Spenderseite tangierten Grundrechten bei der erweiterten Zustimmungslösung S.  326 ff.



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mungs- in eine Widerspruchsvariante einen anderen Deutungsmaßstab bei der Bewertung des Nichthandelns verlangt. Schweigen muss, um die im deutschen Recht unzulässige Uminterpretation zu vermeiden, bei beiden Regelungsmodellen als Nichtäußerung gewertet werden. Es kann folglich nicht mit der Ausübung des Selbstbestimmungsrechts argumentiert werden, um eine Explantation zu rechtfertigen. Vielmehr knüpft der Gesetzgeber an das passive Verhalten lediglich die Rechtsfolge, dass eine Organentnahme in diesen Fällen grundsätzlich erlaubt sein soll und verschiebt damit die gesetzliche Ausgangslage im Vergleich zur Zustimmungslösung.700 Bei Annahme der grundsätzlichen Zulässigkeit einer Explantation, werden die Erklärungslast und damit der Eingriff in das negative Selbstbestimmungsrecht im Vergleich zur Zustimmungslösung verschärft, da die Rechtslage umgekehrt wird.701 Der Bürger muss selbst aktiv werden und einen Widerspruch geltend machen, was bedeutet, dass er mit seiner eigenen Endlichkeit konfrontiert wird. Zudem ist insbesondere bei der Einführung der Widerspruchslösung die informationelle Selbstbestimmung des Einzelnen betroffen, der bei der etwaigen Errichtung eines Spenderregisters einen persönlichen Lebenssachverhalt offenbaren muss.702 Ein Eingriff in die Religions- und Weltanschauungsfreiheit durch die Widerspruchslösung ist hingegen zu verneinen. Jedermann kann durch seinen Widerspruch die Organspende verhindern und zwar, ohne dass er seine Religion oder Weltanschauung innerhalb einer Begründung offenbaren müsste.703

700  Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel, S. 217; Gutmann, Für ein neues Transplantationsgesetz, S. 166 f.; Hirsch / Schmidt-Didczuhn, Transplantation und Sektion, S. 55; Wille, Die Organknappheit im Spannungsverhältnis zwischen Sozialpflicht und Selbstbestimmung, S. 88, mit einem treffenden Vergleich zum Erbrecht, das bei Nichttestierung die gesetzliche Erbfolge anordnet. Auch in Österreich ist die Interpretation der fehlenden Äußerung als „Zustimmung“ nicht zwingend. Vielmehr bildet dort ebenso die gesetzliche Entnahmeerlaubnis einen eigenständigen Rechtfertigungstatbestand, Kopetzki, in: Kröll / Schaupp (Hrsg.), Hirntod und Organtransplantation, S. 35, 41. 701  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 50; Kelle, Widerspruchslösung und Menschenwürde, S. 34; Maurer, DÖV 1980, S. 7, 12; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 323; Seewald, Verw­Arch 88 (1997), S. 199, 227; Schmidt-Didczuhn, ZRP 1991, S. 264, 268. 702  Vgl. dazu schon die Erwägungen bei der erweitern Zustimmungslösung S. 328. 703  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 50 f.; Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel, S. 218; Nationaler Ethikrat, Die Zahl der Organspenden erhöhen, S. 44.

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Bei fehlender Äußerung des potentiellen Spenders gesteht die erweiterte Widerspruchslösung den Angehörigen in gleicher Weise das Recht auf Widerspruch zu. Werden sie um die Entscheidung gebeten, ob sie ihr Widerspruchsrecht ausüben möchten, wird in ihr negatives Persönlichkeitsrecht eingegriffen. bb) Rechtfertigung der Eingriffe Die Eingriffe könnten jedoch auch bei der erweiterten Widerspruchslösung gerechtfertigt werden, wenn sich diese innerhalb des Ermessensspielraums des Gesetzgebers als geeignet, erforderlich und angemessen zum Schutz der Patienteninteressen an Leben und Gesundheit erweisen. Da das Widerspruchsmodell die gesetzliche Ausgangslage im Vergleich zur erweiterten Zustimmungslösung hin zur grundsätzlichen Zulässigkeit der Organentnahme verschiebt, bestehen an ihrer Eignung zur Bereitstellung von Spenderorganen noch weniger Zweifel als beim Erfordernis einer Zustimmung. Gegen ihre Förderlichkeit könnten höchstens insofern Bedenken geltend gemacht werden, als dass die Einführung der Widerspruchslösung möglicherweise mit Protestreaktionen der Bürger beantwortet würde, sodass letztendlich doch weniger Organe zur Verfügung stünden.704 Bei der Bewertung dieser Gefahr kommt dem Gesetzgeber jedoch ein weiter Einschätzungsspielraum zu. Eine mangelnde Zweckförderlichkeit wird man der ­Widerspruchslösung daher nicht attestieren können. Als milderes, gleich effizientes Mittel könnte das Zustimmungsmodell diskutiert werden, welches dem Bürger eine Erklärungslast zumindest nicht in jenem Maße wie bei einem Widerspruchserfordernis auferlegt. Jedoch ist es keinesfalls ausgeschlossen, möglicherweise sogar naheliegend, dass mit der Widerspruchslösung ein höheres Organaufkommen erzielt werden könnte.705 Da andere Nationen mit dieser Regelungsvariante im Vergleich grundsätzlich eine patientenfreundlichere Spenderrate aufweisen, liegt es in der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers, eine besondere Eignung der Widerspruchslösung anzunehmen. Als angemessen erweist sich das Regelungsmodell allerdings nur, wenn es die Rechte auf Spenderseite nicht übermäßig beeinträchtigt. Trotz weitrei704  Vgl.

58 f.

Lilie, in: Lilie / Rosenau / Hakeri (Hrsg.), Die Organtransplantation, S. 55,

705  Gutmann, Für ein neues Transplantationsgesetz, S. 156, hält begründete Zweifel an der Erhöhung der Spenderrate durch Einführung der Widerspruchslösung für ausgeschlossen und verweist auf die 69 %, 77 % bzw. 145 % höhere Spenderquote in Belgien, Österreich und Spanien Anfang dieses Jahrhunderts.



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen343

chender Konsequenz einer unterlassenden Reaktion auf das Regelungsmodell wird der absolute Kernbereich des Persönlichkeitsrechts nicht betroffen, sodass eine Abwägung mit den Rechten der Wartelistenkandidaten erfolgen darf und muss.706 Im Vergleich zur erweiterten Zustimmungslösung liegt hier eine Verschärfung der Eingriffsintensität in Bezug auf die postmortale Selbstbestimmung vor, indem ein geringerer Schutz gegen die Organexplantation gewährleistet wird. Für die Zulässigkeit der Zugriffserleichterung spricht jedoch, dass sich die Rechtslage im Vergleich zur erweiterten Zustimmungslösung letztlich nicht wesentlich ändert. Die Entscheidung des Verstorbenen genießt nach wie vor oberste Priorität. Tatsächlich sind auch bei der erweiterten Widerspruchslösung die Angehörigen des Verstorbenen anzuhören und tragen unabhängig von einer Eintragung des Widerspruchs zur Willensermittlung bei, sodass ein (mutmaßlich) entgegenstehender Wunsch des potentiellen Spenders gelten gemacht werden kann. Ein Erklärungsgehalt ist mit einem Schweigen des Verstorbenen auch bei der Widerspruchsvariante nicht verbunden. Die einzige Nuance bei strikter Anwendung des Widerspruchsmodells bliebe der Fall, dass keine Angehörigen anzutreffen sind oder sie keine Aussage treffen.707 Angesichts dieser Ausgangslage erscheint es inkonsistent, eine Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsrechts bei der erweiterten Widerspruchslösung anzunehmen, aber bei ihrem Zustimmungspendant zu verneinen. Nimmt man die negative Selbstbestimmung des potentiellen Spenders in Betracht, fällt sein Zwang zur Erklärung ins Gewicht, will er die Organspende mit Sicherheit verhindern. Die Legitimität einer Verschiebung der gesetzlichen Parameter im Vergleich zur Zustimmungslösung ergibt sich nach einigen Stimmen aber aus der überwiegend positiven Einstellung der Bevölkerung zur Organspende.708 Die mit der Einführung der Widerspruchslösung verbundene Konfrontation ist aber sogar unabhängig von dieser Tatsache als eher geringe Belastung zu bezeichnen.709 Schließlich bleibt dem Einzelnen der Umgang mit seiner Behelligung – Beschäftigung mit der Organspende, Ignoranz oder schlichte Eintragung eines Widerspruchs pro forma – selbst überlassen. Eine Überdehnung der im Gesundheitssystem an706  Kühn,

MedR 1998, S. 455, 460; Spilker, ZRP 2014, S. 112, 113. Schroth, MedR 2012, S. 570, 576. 708  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 50; vgl. auch Nationaler Ethikrat, Die Zahl der Organspenden erhöhen, S. 46, der in einem mangelnden Widerspruch allerdings eine Vermutung für die Zustimmung zur Spende sieht. 709  Gutmann, Für ein neues Transplantationsgesetz, S. 160; Klinge / Schlette, Jura 1997, S. 642, 647; Rosenau, in: Lilie / Rosenau / Hakeri (Hrsg.), Die Organtransplantation, S. 61, 70; Seewald, VerwArch 88 (1997), S. 199, 227; anders aber Tag, in: Böse / Sternberg-Lieben (Hrsg.), FS Amelung, S. 507, 518; Spilker, ZRP 2014, S. 112, 114. 707  Vgl.

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gelegten Solidarpflichten kann darin nicht gesehen werden.710 In Anbetracht der Gefährdung von Leib und Leben der potentiellen Organempfänger ist dem Einzelnen die Konfrontation mit der Frage nach seiner Spendebereitschaft zumutbar. Ein Recht darauf, nicht mit fremden Leiden behelligt zu werden, kann es im Sozialstaat nicht geben.711 Außerdem wird angeführt, dass die Vornahme eines Widerspruchs einen geringen Aufwand bedeute und dessen Nichtvornahme daher als ein Indiz für ein lediglich geringes Interesse am eigenen Leichnam gedeutet werden könne.712 Diese Annahme kann jedoch nur gelten, wenn dem Bürger die Möglichkeit eingeräumt wird, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen. Es sei nochmals betont, dass einer regelmäßigen und detaillierten Aufklärung, die schon im Vorfeld der Einführung einer Widerspruchslösung beginnen muss, für die freie Ausübung der Selbstbestimmung essentielle Bedeutung zukommt.713 Das gilt selbstverständlich nicht nur für die inhaltlichen Aspekte einer Organentnahme, sondern auch für die Konsequenzen eines unterlassenen Widerspruchs.714 Zur verfahrensrechtlichen Absicherung bedarf es zusätzlich der Schaffung einer Organspenderdatenbank, in der die Eintragung von Widersprüchen erfolgt.715 Die Kompetenz zur Errichtung eines solchen 710  Zur Solidarität im Gesundheitswesen siehe bereits S. 310 ff. Näher zu bestehenden Solidarpflichten im Rahmen der Organentnahme Kluth / Sander, DVBl 1996, S. 1285, 1290; zum System des Gebens und Nehmens innerhalb der „Schicksalsgemeinschaft“ ebenso Wille, Die Organknappheit im Spannungsverhältnis zwischen Sozialpflicht und Selbstbestimmung, S. 86. 711  So auch Gutmann, Für ein neues Transplantationsgesetz, S. 160 f.; anders aber die Argumentation des Bundesrates gegen die Widerspruchslösung aus dem Jahre 1978 BR-Drs. 395 / 78. 712  Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel, S. 217; Vogel, NJW 1980, S. 625, 627; anders aber Kloth, Todesbestimmung und postmortale Organentnahme, S. 205; Gutmann, Für ein neues Transplantationsgesetz, S. 167 stellt darauf ab, dass zwar ein mangelndes Interesse am eigenen Leichnam bei fehlendem Widerspruch nicht unterstellt werden könne, dieses Interesse aber zumindest bei mangelnder Äußerung nicht schützenswert bzw. zumindest nicht verletzt sei. 713  Seewald, VerwArch 88 (1997), S. 199, 226; vgl. auch das Stufenmodell des Nationalen Ethikrats, Die Zahl der Organspenden erhöhen, S. 33 ff. 714  Nationaler Ethikrat, Die Zahl der Organspenden erhöhen, S. 51. 715  Schmidt-Didczuhn, ZRP 1991, S. 264, 268; Seewald, VerwArch 88 (1997), S. 199, 226. Es versteht sich von selbst, dass das Nachholen eines Widerspruchs aber auch unabhängig von der Eintragung in eine Datenbank jederzeit formlos möglich sein muss, Schmidt-Didczuhn, ZRP 1991, S. 264, 269; in diesem Fall trägt dann der potentielle Spender das – hinnehmbare – Übermittlungsrisiko. Für die Unerlässlichkeit eines effektiven Registers auch das Ministerkomitee des Europarates, Recommendation Rec (2003) 12 of the Committee of Ministers on 19 June 2003 at the 844th meeting of the Ministers’ Deputies, Council of Europe, Newsletter Transplant 9 (2004) Nr. 1.



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen345

Registers liegt gemäß § 2 Abs. 3 S. 1 TPG bereits beim Bundesgesundheitsministerium, das von ihr jedoch noch keinen Gebrauch gemacht hat. Die mit der notwendigen Erstellung des Spenderregisters verbundene Einschränkung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung erscheint, gerade auch im Hinblick auf den dadurch erzielten verfahrensrechtlichen Schutz des Spenders, gerechtfertigt.716 Unter Verweis auf die Ausführungen zur erweiterten Zustimmungslösung gilt dies ebenso für den Eingriff in das negative Selbstbestimmungsrecht der zur Entscheidung berufenen Angehörigen.717 Die erweiterte Widerspruchslösung erweist sich demzufolge als verfassungsgemäß. Dieses Ergebnis legt auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nahe, das eine unzulässige Grundrechtsbeeinträchtigung durch die Notwendigkeit der Erklärung eines Widerspruchs nicht erkennen wollte.718 Eine verfassungsrechtliche Verpflichtung zur Einführung der Widerspruchslösung dürfte sich aus der erfolgten Abwägung umgekehrt aber auch nicht ergeben.719 c) Ergebnis Bei einer verfassungsrechtlichen Bewertung der verschiedenen Regelungsmodelle streiten die Grundrechte auf Spender- und Patientenseite gegeneinander. Diese müssen in einen gerechten Ausgleich gebracht werden, wobei die verschiedenen Regelungsmodelle je zu der einen oder anderen Seite ausschlagen. Trotz unterschiedlicher Gewichtung der Interessen der poten­ tiellen Spender und Empfänger erweisen sich sowohl die während der Reform diskutierte Entscheidungs- als auch die erweiterte Widerspruchslösung als mit dem Grundgesetz vereinbare Regelungsvarianten. Welche von beiden bevorzugt zur gesetzlichen Grundlage des Transplantationsgesetzes gemacht werden sollte, ist eine rechtspolitische Frage.720 716  Vgl. schon Kadelbacher / St. Müller / Assakkali, JuS 2012, S. 1093, 1096; Seewald, VerwArch 88 (1997), S. 199, 229; dazu hier schon im Rahmen der erweiterten Zustimmungslösung S. 335. 717  Zur Rechtfertigung des Eingriffs in das negative Selbstbestimmungsrecht der Angehörigen siehe S. 336. 718  BVerfG, NJW 1999, S. 3403 f.; das Urteil erging allerdings im Hinblick auf die erweiterte Zustimmungslösung, wird jedoch vermehrt auch als Indiz für die Bewertung der Widerspruchsvariante gedeutet, vgl. Schroth, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 4 Rn. 5. 719  Ihre Einführung jedoch für dringend geboten hält Spilker, ZRP 2014, S. 112 ff. 720  Zur rechtspolitischen Bewertung der Einführung einer Entscheidungslösung siehe S.  498 ff.

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4. Der Rückzug des Staates aus der Entscheidungsverantwortung Im Folgenden soll der Rückzug des Staates aus dem Wesen der Transplantationsmedizin aus rechtlicher Perspektive in Augenschein genommen werden. Schlüsselpositionen im Transplantationswesen übernehmen die Entnahmekrankenhäuser und Transplantationszentren, die Deutsche Stiftung Organtransplantation, Eurotransplant sowie auch – im Vorfeld der eigentlichen Spende- und Verteilungsakte – die Bundesärztekammer.721 Staatliche Stellen hingegen zeigen sich bei der Durchführung des Transplantationsprozesses – mit dem Hinweis auf den Subsidiaritätsgrundsatz – sparsam im Hinblick auf legislative und administrative Steuerungen.722 Das umfassende Delegationsmodell wurde im Rahmen der Reform von 2012 sogar noch ausgebaut. Gleichwohl zwingt das besondere Kooperationsverhältnis mit der Praxis staatliche Stellen eine „vorwirkende(n) Legitimationsverantwortung“723 zu übernehmen. Der Rückzug des Staates aus elementaren Verantwortungsbereichen innerhalb der Organisation der Spende und der Organvermittlung induziert Bedenken hinsichtlich der Einhaltung des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips auf geradezu aufdringliche Weise. Die Legitimationsbedürftigkeit von Institutionen und Maßnahmen richtet sich nicht nach der Handlungs- und Organisationsform.724 Eine privatrechtliche Ausgestaltung der Aufgabenwahrnehmung befreit den Staat nicht vom Legitimationsgebot.725 Es ist zweifelhaft, ob dieser seiner Gewährleistungsverpflichtung durch die geltenden Regelungen in angemessener Weise nachkommt. Zur Klärung dieser Frage bedarf die konzipierte Organisation des Transplantationswesens zunächst einer rechtlichen Verortung als öffentliche Aufgabe (a)) und Einordnung in das System der regulierten Selbstregulierung (b)). Anschließend soll insbesondere auf die zentrale Stellung der Bundesärztekammer (c)), der Entnahmekrankenhäuser (d)), der Transplantationszentren (e)) der Deutschen Stiftung Organtransplantation (f)) sowie Eurotransplant (g)) eingegangen werden. Fragen nach ihrer legitimatorischen Ausgestaltung bleiben dabei keinesfalls auf theoretischem Niveau, sondern zeitigen sowohl für die Grundrechte der Spender als auch der Empfänger erhebliche praktische Bedeutung. Im Anschluss wird sich mit dem de721  Siehe zu den organisatorischen Grundlagen der Transplantationsmedizin bereits S.  97 ff. 722  Vgl. BT-Drs. 13 / 4355, S. 14, wo festgehalten wird, dass die Organvermittlung keine zwingende Staatsaufgabe sei und der Gesetzgeber sich privatrechtlicher Mittel bedienen dürfe. 723  Schmidt-Aßmann, in: Kern / Wadle / Schroeder u. a. (Hrsg.), FS Laufs, S. 1049, 1060. 724  Böckenförde, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. II, § 24 Rn 12. 725  Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S. 43; vgl. auch Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 25; Trute, DVBl 1996, S. 950, 956.



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fizitären Rechtsschutzsystem des Transplanta­tionswesens (h)) sowie seinen, vom Gesetzgeber höchst stiefmütterlich behandelten, verteilungsrelevanten Entscheidungen auseinanderzusetzen sein (i)). a) Das Transplantationswesen als öffentliche Aufgabe Das Transplantationsgesetz selbst unterlässt eine ausdrückliche Zuordnung seiner Regelungsmaterie zu einem Rechtsbereich. Seine Bestimmungen könnten daher sowohl zum privaten als auch zum öffentlichen Recht gehören. Die Verortung des Transplantationswesens im Medizinrecht bringt keine neuen Erkenntnisse, da auch dieses nicht einheitlich ausgestaltet ist.726 Für die Einordnung als öffentliche Aufgabe727 kommt es maßgeblich auf die betreffende Materie (und nicht die handelnden Personen) an.728 Sachbereiche, die wesentlich im öffentlichen Interesse stehen – folglich solche, die von Belangen des Gemeinwohls dominiert sind729 – können den öffentlichen Aufgaben zugeordnet werden.730 Abgesehen von Kernelementen der staatlichen Anforderungen (etwa Polizei, Militär oder Justiz) ist es jedoch der Staat selbst, der darüber entscheidet, welche Sachmaterie er zu einer öffentlichen Aufgabe erheben will, indem er sich dem Regelungsbereich annimmt.731 Aus der Wertentscheidung des Grundgesetzes, Leib und Leben des Einzelnen zu schützen, lässt sich in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip ein Recht des Einzelnen auf ein funktionsfähiges Gesundheitssystem herleiten.732 Laut dem Bundesverfassungsgericht ist die Krankenversorgung ein 726  Böning,

Kontrolle im Transplantationsgesetz, S. 41. zur Abgrenzung einer öffentlichen Aufgabe von einer Staatsaufgabe mit Bezug zur Transplantationsmedizin Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S.  43 ff.; Krüger, Die Organvermittlungstätigkeit Eurotransplants im Sinne des § 12 TPG, S. 91 ff. 728  Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S. 43; für die Einordnung des Staatsaufgabenbegriffs in dieser Weise auch Krüger, Die Organvermittlungstätigkeit Eurotransplants im Sinne des § 12 TPG, S. 95 ff. m. w. N. 729  Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S. 44; Di Fabio, in: Maunz / Dürig u. a. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 30 (2006), Rn. 14. 730  Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, S. 25; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S.  209; Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), S. 160, 166; in Bezug auf die Gemeinwohlförderung als Ausdruck staatlicher Legitimationsverantwortung siehe Trute, DVBl 1996, S. 950, 956. 731  Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S. 46; Clement, Der Rechtsschutz potentieller Organempfänger nach dem Transplantationsgesetz, S. 107; vgl. auch BVerfGE 12, 205, 243; Brohm, NJW 1994, S. 281, 283; Di Fabio, JZ 1999, S. 585, 586; Gusy, DÖV 1996, S. 573, 574; Thoma, Regulierte Selbstregulierung im Ordnungsverwaltungsrecht, S. 44. 732  Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 2 Rn. 225; siehe auch Künschner, Wirtschaftlicher Behandlungsverzicht und Patientenauswahl, S. 265; 727  Überblicksartig

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überragend wichtiges Gemeinschaftsgut, dem der Staat von Verfassungs wegen verpflichtet ist.733 Die Gesundheitsversorgung lässt sich vor diesem Hintergrund als eine öffentliche Aufgabe einordnen. Die Transplantationsmedizin ist dem Bereich der Gesundheitsfürsorge zuzuordnen.734 Durch die Verabschiedung des Transplantationsgesetzes beabsichtigte der Gesetzgeber eine Grundlage dafür zu schaffen, „Leben zu erhalten und schwerwiegende Krankheiten zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Beschwerden zu lindern“735 sowie eine „gerechte Verteilung der zur Verfügung stehenden Organe“736 sicherzustellen. Zu diesem Zweck machte er gespendete Organe zu einem öffentlichen Gut (common pool resource), über das nicht beliebig verfügt werden kann, sondern an dem ein Teilhabeanspruch737 besteht. Mit der Schaffung des Gesetzes hat er das Transplantationswesen aus dem Bereich „gesellschaftlicher Selbstregulierung“738 herausgenommen und zu einer öffentlichen Aufgabe gemacht.739 Die Zuordnung der Transplantationsmedizin zum Bereich der öffentlichen Aufgabe bedeutet jedoch nicht, dass ausschließlich staatliche Stellen zur Erfüllung der Verpflichtungen berufen werden müssen; eine Beauftragung Privater ist möglich.740 Der Gesetzgeber selbst betonte diesen Umstand, indem er in der Gesetzesbegründung ausdrücklich festhielt, dass die OrganvermittOduncu, MedR 2012, S. 359, 364. Ein „Anspruch auf Gesundheit“ oder eine gesundheitliche Maximalversorgung hingegen lässt sich dem GG nicht entnehmen, Brech, Triage und Recht, S. 183 f.; siehe auch Seewald, Zum Verfassungsrecht auf Gesundheit, S.  230 ff.; Schreiber, in: Nagel / Fuchs (Hrsg.), Soziale Gerechtigkeit im Gesundheitswesen, S. 302, 303. Näher zum Gesundheitssystem im Sozialstaat Götz, Sozialstaatsprinzip und Gesundheitssystem. 733  BVerfGE 57, 70, 99. 734  So schon Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S. 47; Clement, Der Rechtsschutz potentieller Organempfänger nach dem Transplantationsgesetz, S. 106. 735  BT-Drs. 13 / 4355, S. 12. 736  BT-Drs. 13 / 4355, S. 14. 737  Näher zum Teilhabeanspruch bei den Verteilungsregelungen, S. 423 ff. 738  Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 96. 739  Bader, Organmangel und Organverteilung, S.  498; Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S. 47; Clement, Der Rechtsschutz potentieller Organempfänger nach dem Transplantationsgesetz, S. 107; Gutmann / Fateh-Moghadam, NJW 2002, S. 3365, 3366; anders aber Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 215, der die Maßgeblichkeit der Einbeziehung des Transplantationswesens in einen staatlichen Rahmen durch den Gesetzgeber verkennt. 740  Mit Bezug zur Transplantationsmedizin Ammann, Medizinethik und medizinethische Expertengremien im Licht des öffentlichen Rechts, insbes. S. 517; Krüger, Die Organvermittlungstätigkeit Eurotransplants im Sinne des § 12 TPG, S. 98; allgemein zur Einbeziehung Privater siehe auch Dürig, in: Maunz / Dürig, GG-Kommentar, Art. 1 Abs. 1 (2009), Rn. 111; Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, S. 137.



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen349

lung „keine zwingende Staatsaufgabe“741 sei. Die von einer (potentiellen) Organspende betroffenen Grundrechtsträger, insbesondere Spender und Empfänger, sind jedoch auf den Schutz ihrer verfassungsrechtlich verbürgten Rechte durch einen rechtlichen Rahmen angewiesen. Dem Staat obliegt, unabhängig von der Ausgestaltung der Aufgabenerfüllung, eine Schutzpflicht zur Erhaltung ihrer Grundrechtsausübung.742 Bei der Wahrnehmung seiner Schutzpflichten besitzt der Staat allerdings einen weiten Gestaltungsspielraum, der lediglich durch das Untermaßverbot begrenzt wird.743 Dennoch verpflichtet die Grundrechtsbetroffenheit der am Organspendeprozess Beteiligten den Staat, inhaltliche Vorgaben, notwendige Strukturen und eine ausreichende Organisation zur Garantie einer effektiven Grundrechtswahrnehmung zu schaffen. Dabei ist die Einbeziehung nicht-staatlicher Akteure nichts Neues und entspricht gerade im Gesundheitswesen dessen bereichsspezifischem Charakter.744 Seiner Verantwortung kann der Staat durch normative Vorgaben gerecht werden.745 Er wird damit zum Gewährleistungsstaat.746 Solange er innerhalb der inhaltlichen, strukturellen und organisatorischen Ausgestaltung ein ausreichendes Schutzniveau garantiert, sprechen keine verfassungsrechtlichen Argumente gegen die Einbeziehung privater Einrichtungen in den Erfüllungsprozess.

741  BT-Drs. 13 / 4355, S. 14; zustimmend Bader, Organmangel und Organverteilung, S.  498 f.; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S.  209 ff., 215; Nickel / Schmidt-Preisigke / Sengler, TPG, § 12 Rn. 1. 742  Zur Pflicht des Staates sich „schützend und fördernd vor das Leben zu stellen“ siehe BVerfGE 39, 1; zur Gewährleistungsverantwortung des Staates siehe Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S. 56 ff.; Engels, DV 44 (2011), S. 346, 353; Schuppert, DV Beiheft 4 (2001), S. 201 ff. 743  Vgl. BVerfGE 88, 203, 254 f.; BVerfGE 92, 26, 46; BVerfGE, NVwZ 2011, S. 991, 994; Lang, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 2 Rn. 76. Zum Erfordernis einer sachgerechten Ausgestaltung von Krankeneinrichtungen und Ausgestaltung von Teilhabemöglichkeiten BVerfGE 57, S. 70, 99. 744  Krüger, Die Organvermittlungstätigkeit Eurotransplants im Sinne des § 12 TPG, S. 176; Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 10; Schmidt-Aßmann, NJW 2004, S. 1689, 1692. 745  Vgl. Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S. 56 ff.; Krüger, Die Organvermittlungstätigkeit Eurotransplants im Sinne des § 12 TPG, S. 176; SchmidtAßmann, NJW 2004, S. 1689, 1695. 746  Zum Leitbild des Gewährleistungsstaates siehe Hoffmann-Riem, Modernisierung von Recht und Justiz, S. 24 ff.; Schuppert, in: Schröter (Hrsg.), FS Wollmann, S.  399 ff.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

b) Überantwortung des Transplantationswesens in die regulierte Selbstregulierung Die Organisation des Transplantationswesens fußt auf dem Konzept der regulierten Selbstregulierung.747 Bei der Schaffung dieses rechtlichen Rahmens hat der Gesetzgeber die bereits vorhandenen Strukturen der Koordinierung des Spendeverlaufs und der Vermittlung von Organen mit lediglich marginalen Änderungen normativ verankert. Auch in Zukunft sollten private Akteure die Hauptrolle im Prozess der Organtransplantation spielen. Kern­ gedanke der regulierten Selbstregulierung ist es, durch den Nutzen privater Eigenverantwortlichkeit, Motivation und Innovation relevante Gemeinwohlbelange bestmöglich zu sichern. Die Entfaltung der privaten Akteure wird grundsätzlich durch staatliche Zielsetzungen und Verfahrensregeln begrenzt, um ein Milieu von Transparenz, Fairness und ausreichendem Informationsfluss an Staat und Öffentlichkeit zu gewährleisten. Der Absicherung dienen vor allem Qualitätsanforderungen sowie eine staatliche Aufsicht mit Interventionsmöglichkeiten.748 Den Staat trifft hier eine Rahmen-, Überwachungsund Auffangverantwortung.749 Er hat die Tätigkeit Privater nicht nur in einen ordnungsgemäßen gesetzlichen Rahmen einzubetten, sondern ebenso sicherzustellen, dass die Aufgabenerfüllung in gemeinwohlorientierter Weise geschieht. Die Übertragung der abschließenden Entscheidungsmacht verbietet sich; im Fall der Schlechterfüllung muss sich der Staat ein Rückholrecht vorbehalten.750 Kurzum handelt es sich bei der regulierten Selbstregulierung um ein Konzept einer zwischen Staat und Privaten geteilten Gemeinwohlkonkretisierung unter staatlicher Funktionsverantwortung.751 747  Näher hierzu Engels, in: DV 44 (2011), S. 346 ff.; Höfling, JZ 2007 S. 481, 482; Holznagel, DVBl 1997, S. 393, 398 f.; Lang, MedR 2005, S. 269, 270; eine regulierte Selbstregulierung verneint jedoch Schneider, Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Organallokation, S. 36 ff. Allgemein zur regulierten Selbstregulierung siehe auch Berg / Fisch / Schmitt Glaeser u. a. (Hrsg.), Regulierte Selbstregulierung als Steuerungskonzept des Gewährleistungsstaats; Di Fabio VVDStRL 56 (1997), S.  235 ff.; Hoffmann-Riem, DV 28 (1995), S. 425 ff.; Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), S.  160 ff.; Thoma, Regulierte Selbstregulierung im Ordnungsverwaltungsrecht, S.  23 ff.; Trute, DVBl 1996, S. 950 ff.; Voßkuhle, DV Beiheft 4 (2001), S. 197 ff. 748  Zur „regulierten Selbstregierung“ vgl. Thoma, Regulierte Selbstregulierung im Ordnungsverwaltungsrecht, S. 41; ebenso Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), S.  160 ff.; Trute, DVBl 1996, S. 950 ff.; mit Bezug zum Transplantationswesen Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S. 63 f. 749  Mittlerweile haben sich eine Menge „Verantwortungstypologien“ etabliert, vgl. nur Voßkuhle, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. III, § 43 Rn. 56 m. w. N. 750  So mit Bezug zum Transplantationswesen schon Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S. 57 ff.; grundsätzlich zu den Verantwortungsbereichen vgl. Kahl, Die Staatsaufsicht, S. 535 f.; Voßkuhle, VVDStRL 62 (2003), S. 266, 285. 751  Neft, NZS 2010, S. 16, 19; Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), S. 160, 162.



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen351

Im Transplantationswesen hat der Staat einen Ordnungsrahmen vorgegeben, innerhalb dessen sich die privaten Institutionen autonom bewegen und ihre individuellen Interessen verfolgen dürfen. Durch die Fundamentierung dieses Prinzips im transplantationsrechtlichen Bereich des Gesundheitswesens versprach sich der Gesetzgeber die Beseitigung von Rechtsunsicherheiten sowie eine Garantie gerechter Ressourcenallokation.752 Inwiefern er sich dabei im Einzelnen im Rahmen seiner verfassungsmäßigen Bindungen gehalten hat, kann nur mit Blick auf die einzelnen beteiligten Akteure bewertet werden. c) Wesentliche Richtungsentscheidungen im Transplantationsrecht durch die Richtlinien der Bundesärztekammer Die Bundesärztekammer ist, als Dachverband der als öffentlich rechtliche Körperschaften konstituierten Landesärztekammern, ein nicht eingetragener Verein bürgerlichen Rechts.753 Einer unmittelbaren staatlichen Aufsicht untersteht sie nicht.754 Die Grundlage ihrer Handlungen ist die vom Deutschen Ärztetag beschlossene Satzung, nicht als „Ausdruck gesetzlich verliehener Satzungsmacht“, sondern vereinsrechtlicher Organisation.755 Zu ihren Aufgaben gehört die, in Richtlinien perpetuierte, Feststellung des Stands der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft für maßgebliche Bereiche des Transplantationswesens (§ 16 Abs. 1 S. 1 TPG). In dieser Funktion wird die Bundesärztekammer als Beliehene tätig.756 Nach der herrschenden Kombinationstheorie bezeichnet das Institut der Be752  Vgl.

BT-Drs. 13 / 4355, S. 11, 14. in: ders. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 5; Mohammadi-Kangarani, Die Richtlinien der Organverteilung im Transplantationsgesetz, S. 88; Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 102; eingehender zur Rechtsform der BÄK Berger, Die Bundesärztekammer, S. 44 ff., der auch zu dem Schluss kommt, dass es sich bei ihr um einen nichtrechtsfähigen Verein handelt, S. 46 m. w. N.; zur Geschichte und Strukturen der BÄK siehe Berger, Die Bundesärztekammer, S. 21 ff.; Kliesch, Das Ethos der Bundesärztekammer, S. 18 ff.; eingehend zum verfassungsrechtlichen Status der BÄK Berger, Die Bundesärztekammer, S.  98 ff. 754  Mohammadi-Kangarani, Die Richtlinien der Organverteilung im Transplantationsgesetz, S. 91; Neft, NZS 2010, S. 16, 20. Eine nur sehr mittelbare Kontrolle lässt sich über die Einwirkungsmöglichkeiten der Landesärztekammern konstruieren, die als Körperschaften des Öffentlichen Rechts unter Landesaufsicht stehen, Höfling, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 63, 66; Woinikow, Richtlinien der Transplantationsmedizin, S. 76. 755  Schmidt-Aßmann, in: Kern / Wadle / Schroeder u. a. (Hrsg.), FS Laufs, S. 1049, 1065. 756  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 174 ff.; Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 5; Höfling, in: ders. (Hrsg.),TPG, § 16 Rn.  10 ff.; Mohammadi-Kangarani, Die Richtlinien der Organverteilung im Trans753  Höfling,

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

leihung die staatlich übertragene Kompetenz auf einen privaten Akteur zur selbstständigen hoheitlichen Wahrnehmung bestimmter Verwaltungsaufgaben im eigenen Namen.757 Vorliegend hat der Gesetzgeber den Bereich der Transplantationsmedizin mit seiner gesetzlichen Regelung selbst zur Verwaltungsaufgabe gemacht,758 die durch die Richtlinientätigkeit der Bundesärztekammer nun in hoher Eigenständigkeit und mit unmittelbarer Außenwirkung für Dritte ausgefüllt wird.759 Laut seiner Satzung verfolgt der Dachverband den Zweck des ständigen Erfahrungsaustauschs zwischen den Ärztekammern sowie einer gegenseitigen Abstimmung ihrer Ziele und Tätigkeiten (§ 2 Abs. 1 BÄK-Satzung). Der Dachverband besteht aus einer Hauptversammlung (bekannt als „Deutscher Ärztetag“) und einem Vorstand (§ 3 BÄK-Satzung). Hinzu kommt eine große Anzahl von Ausschüssen, ständigen Konferenzen und Gremien, die sich konkret bestimmten Aufgaben widmen. Dazu gehört auch die Ständige Kommission Organtransplantation als zentrales Organ für die Angelegenheiten der Transplantationsmedizin bei der Bundesärztekammer. Ihr obliegt unter anderem die Ausarbeitung der Richtlinien nach § 16 Abs. 1 S. 1 TPG.760 Zu diesem Zwecke richtet sie Arbeitsgruppen ein, die intern beraten.761 Nach den Transplantationsskandalen wurde das Statut im Zuge einer inneren Strukturreform durch einen Beschluss des Vorstandes der Bundesärztekammer vom 21. November 2014 geändert. Die Arbeitsweise und Zusammensetzung der Kommission sowie ihrer Arbeitsgruppen ist seitdem detaillierter und transparenter geregelt worplantationsgesetz, S.  92 ff.; Uhl, Richtlinien der Bundesärztekammer, S. 144 ff.; Wenner, in: Fachbereich Rechtswissenschaft Universität Frankfurt (Hrsg.), 100 Jahre Rechtswissenschaft in Frankfurt, S. 245, 259; a. A. Augsberg, in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin in Deutschland, S. 45, 49 f.; Nickel / SchmidtPreisigke / Sengler, TPG, § 16 Rn. 4; Wiegand, Die Beleihung mit Normsetzungskompetenzen, S. 219; Woinikow, Richtlinien der Transplantationsmedizin, S. 210 ff. 757  Näher zum Institut der Beleihung und dem Beleihungsbegriff Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, S. 80; Freitag, Das Beleihungsverhältnis, S. 21; Schmidt am Busch, DÖV 2007, S. 533, 535. 758  Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 25; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 196; zur begrifflichen Einordnung des Transplantationswesens siehe S. 346 ff. 759  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 176 f. 760  Vgl. § 1 Abs. 1 des Statuts der Ständigen Kommission Organtransplantation. Die Richtlinie zur Feststellung des Todes bzw. des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls ergeht allerdings auf Empfehlung des Wissenschaftlichen Beirats der BÄK. Näher zur Ständigen Kommission Orgrantransplantation Mohammadi-Kangarani, Die Richtlinien der Organverteilung im Transplantationsgesetz, S. 89 f.; ausführlich ebenso Berger, Die Bundesärztekammer, S. 57 f. 761  § 11 S. 1 des Statuts der Ständigen Kommission Organtransplantation.



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen353

den.762 Am wissenschaftlichen Dialog um die Transplantationsmedizin sind nunmehr 25 Mitglieder als Sachverständige der betroffenen Fach- und Verkehrskreise beteiligt. Nicht nur für unabhängige Ärzte, sondern auch für Personen mit der Befähigung zum Richteramt sind Sitze reserviert.763 Das Verhältnis der ärztlichen und nicht-ärztlichen Mitglieder ist mittlerweile ausgewogen.764 Bei der Besetzung benennen die Deutsche Krankenhausgesellschaft und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen jeweils drei Mitglieder sowie die Bundesärztekammer sechs Mitglieder. Die Gesundheitsministerkonferenz, die Koordinierungsstelle, die Vermittlungsstelle und die Deutsche Transplantationsgesellschaft benennen jeweils zwei Mitglieder. Aus dem Kreis der Patienten und der Angehörigen wird jeweils eine Person hinzugezogen. Die Akademie für Ethik in der Medizin benennt ein Mitglied.765 Zudem wurde eine neue Verfahrensordnung der Ständigen Kommission Organtransplantation angekündigt, die zu einer transparenten und nachvollziehbaren Arbeit des Gremiums beitragen soll.766 Auch wenn die Bundesärztekammer selbst nicht unmittelbar am Prozess der Spende und Transplantation beteiligt ist, übt sie enormen Einfluss auf ihren Ablauf – von der Todesfeststellung bis zur Organzuteilung – aus. Ihre Richtlinien begleiten das gesamte Geschehen und geben diesem, weit über die gesetzgeberischen Bestimmungen hinaus, einen rechtlichen Rahmen.767 Die Gesundheitsversorgung im Bereich der Transplantationsmedizin wird auf diesem Wege „nicht partiell privatisiert, sondern gleichsam der private Sektor verstaatlicht durch Einweisung eines gesellschaftlichen Akteurs in die Funktion einer Behörde.“768 Ausgangspunkt dieser Entscheidung ist die Unerlässlichkeit der Einbeziehung externen Sachverstands in die Verwaltung um der „sachlichen Richtigkeit staatlichen Entscheidens“ willen.769 Es nimmt daher nicht Wunder, dass die zentrale Positionierung der Bundesärztekammer einen, wenn nicht sogar den, Kulminationspunkt der verfassungsrechtlichen 762  Vgl.

Hamburger Ärzteblatt 04 (2015), S. 19. § 2 Abs. 1 S. 2 des Statuts der Ständigen Kommission Organtransplantation; zu den ständigen Gästen vgl. Abs. 3. 764  Vgl. dazu die Diskussion beim Symposium zur Transplantationsmedizin von Leopoldina, vom 10.02.2015, S. 13, abrufbar unter: http: /  / www.leopoldina.org / up loads / tx_leopublication / 2015_02_20_Symposium_Transplantationsmedizin.pdf (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 765  § 2 Abs. 2 des Statuts der Ständigen Kommission Organtransplantation. 766  Vgl. BT-Drs. 18 / 7269, S. 12, 22. 767  Näher zu den Richtlinien siehe S. 99 ff. 768  Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 12. 769  Schmidt-Aßmann, in: Kern / Wadle / Schroeder u. a. (Hrsg.), FS Laufs, S. 1049, 1058; zur Abhängigkeit moderner Staatstätigkeit von externer Beratung vgl. Vierhaus, NVwZ 1993, S. 36 ff. 763  Vgl.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

Kritik an den Organisationsstrukturen des Transplantationsgesetzes darstellt. Mitunter wurde die Regelung in § 16 TPG als „in ihrer rechtstechnischen Ausgestaltung, in ihrer verfassungsrechtlichen Problemdimension und in ihrer grundsätzlich verfehlten inhaltlichen Ausrichtung zu den fragwürdigsten des ganzen Regelwerks“ gezählt.770 Dabei ist die Genese der Rolle der Bundesärztekammer historisch nachvollziehbar, da die Gestaltung der Organverteilung bereits vor Erlass des Transplantationsgesetzes durch staatsferne gesellschaftliche Selbstregulierung geprägt war.771 Tatsächlich könnten sich die traditionellen Steuerungsformen, wie Rechtsverordnungen, Satzungen oder Verwaltungsvorschriften im Rahmen moderner Staatsaufgabenwahrnehmung als ergänzungsbedürftig erweisen, um neuen Herausforderungen vollkommen gerecht zu werden. Deutlich wird die Notwendigkeit einer ausreichenden Einbeziehung von Expertenwissen aufgrund der zunehmend dynamisierten Steuerungsumgebung, die nach flexiblen und adaptionsfähigen untergesetzlichen Mechanismen verlangt.772 Zu diesem Zweck wurde die Bundesärztekammer zu einem öffentliche Gewalt ausübenden Entscheidungsorgan in der Transplantationsmedizin erhoben (aa)), an deren Tätigkeit sich drängende Fragen in Bezug auf die Zulässigkeit ihrer Beleihung mit Normsetzungskompetenzen (bb)), ihre demokratische Legitimation (cc)) und die Einhaltung des Parlamentsvorbehalts (dd)) stellen. Im Fokus stehen bei der nachgehenden Betrachtung vor allem die normativ besonders aufgeladenen Regelungen zur Aufnahme von Patienten in die Warteliste und zur Organallokation. aa) Die Ausübung öffentlicher Gewalt durch die Bundesärztekammer Das legislatorische Verlangen nach fachlich qualifizierten Regelungen ist im Rahmen der, auf enormes Sonderwissen angewiesenen, Transplantationsmedizin einleuchtend, sodass es für den Gesetzgeber nahe liegt, sich differenzierter Formen staatlich-privater Normsetzung zu bedienen.773 Auf Grundlage dieser Überlegung wurde die Bundesärztekammer beauftragt, für maßgeb­liche Bereiche des Transplantationswesens den Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft in Richtlinien festzustellen (§ 16 Abs. 1 S. 1 TPG). Wissenschaftliche Erkenntnisse sind volatil und ihre Beurteilung verlangt ein hohes Maß an Expertise. Insofern scheint die Auslagerung der 770  Höfling,

in: ders. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 1. Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffent­ lichen Gesundheitswesen, S. 96. 772  Augsberg, in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin in Deutschland, S. 45, 46. 773  Ebda., S. 47. 771  Schmidt-Aßmann,



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen355

dahingehenden Normierungsbefugnisse auf die mit besonderem Sachverstand ausgestattete Bundesärztekammer zunächst eine nicht nur einsichtige, sondern gleichsam weitsichtige Entscheidung. Was jedoch den legislativ-verantwortlichen Organen beim Erlass des Transplantationsgesetzes entging, wurde von der rechtswissenschaftlichen Literatur schnell aufgedeckt. Der lapidare Gesetzeswortlaut, der lediglich von einer Festsetzungsbefugnis spricht, erweist sich als bloße Chimäre. Die von der Bundesärztekammer zu entwickelnden Leitlinien können zu weiten Teilen keinesfalls als rein naturwissenschaftlich-deskriptive und damit falsifizierbare Prinzipien eingeordnet werden, sondern enthalten eigene Wertungen von schwerwiegendem Gewicht; beispielsweise in Bezug auf die Voraussetzungen zur Aufnahme in die Warteliste oder die Ausgestaltung der Organallokation.774 Selbstverständlich existieren für diesen grundrechtssensiblen Bereich parlamentarisch beschlossene Grundsätze als Grundlage jeder weiteren Normierung. Letztlich wird die Entscheidungskompetenz des Gesetzgebers zwar nicht in Frage gestellt; ihr wird jedoch das materielle Substrat entzogen. Eine gesetzliche Vorsteuerung existiert mit den pauschalen Vorgaben einer Entscheidung nach „Notwendigkeit und Erfolgsaussicht“ (§ 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG) bzw. „Erfolgsaussicht und Dringlichkeit“ (§ 12 Abs. 3 S. 1 TPG) nur rudimentär.775 Es gibt keinen medizinischen Grund, einem Patienten eine grundsätzlich durchführbare Therapie zur Verbesserung seiner Lebensqualität oder gar Lebensrettung zu versagen.776 Insofern begeht der Gesetzgeber einen schwerwiegenden Kategorienfehler, wenn er bei der Erstellung von Richtlinien von der bloßen Feststellung medizinischen Faktenwissens ausgeht.777 Medizinische Expertise ist für eine Allokationsentschei774  Augsberg, in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin in Deutschland, S. 45, 48; Berger, Die Bundesärztekammer, S. 82 f.; Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 5; ders., Für ein neues Transplantationsgesetz, S.  124 f.; Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 19; ders., JZ 2007, S. 481, 483 f.; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 178; Schmidt-Aßmann, in: Kern / Wadle / Schroeder u. a. (Hrsg.), FS Laufs, S. 1049, 1066; Taupitz, NJW 2003, S. 1145, 1149. 775  Vgl. Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 20; Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 2, § 16 Rn. 25. 776  Luhmann, MMG 8 (1983), S. 168, 170; zustimmend Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 21; ders. / Land, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 87, 89; Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 30. 777  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 105; Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 21; ders., Für ein neues Transplantationsgesetz, S.  116 f.; ders. / Fateh-Moghadam, NJW 2002, S. 3365, 3366 f.; dies., in: Gutmann / Schneewind / Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen gerechter Organverteilung, S. 37, 42; Lang, MedR 2005, S. 269, 275 f.; vgl. zu den Wertentscheidungen bei den Allokationskriterien auch Ach / Anderheiden / Quante, Ethik der Organtransplantation, S. 182. Diesen Kategorienfehler hat auch die Schweiz erkannt und formuliert über

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dung unentbehrlich, jedoch keinesfalls hinreichend für die Festlegung eines Verteilungsverfahrens.778 Die Medizin ist zwar kein wert- oder moralfreier Raum; sie trägt jedoch, als deskriptiv-faktische Wissenschaft, die Dimension des Sollens im Sinne von Lösungen ethischer und rechtlicher Folgeproblemen nicht in sich.779 Dennoch bestimmt letztendlich die Bundesärztekammer, welcher Patient behandlungswürdig ist und entscheidet dadurch über die Zuteilung von Lebenschancen. Realiter sind die Richtlinien längst zu den ausschlaggebenden normativen Leitlinien in der Transplantationsmedizin gediehen.780 Der Gesetzgeber unterstreicht ihre Signifikanz zudem durch eine Vermutungsregel, nach der, bei Beachtung der Richtlinien, die Einhaltung des Standes der medizinischen Wissenschaft vermutet wird (§ 16 Abs. 1 S. 2 TPG). De facto wird eine Widerlegung dieser Vermutung kaum möglich sein, sodass den Bestimmungen eine enorm hohe Bindungswirkung für alle Beteiligten zukommt.781 Nicht nur die Patienten sind den Rechtswirkungen der Richtlinien ausgesetzt, auch die im Transplantationswesen agierenden Institutionen sind faktisch an diese den Schweizer Bundesrat, Botschaft zum Bundesgesetz über die Transplantation von Organen, Geweben und Zellen (Transplantationsgesetz), September 2001: „Die These, die Verteilung erfolge nach medizinischen Kriterien ist (…) falsch: Die Zuteilung geschieht nach ethischen Prinzipien. (…) Der Modus der Verteilung selbst basiert (…) auf Wertentscheidungen.“; Rissing-van Saan, NStZ 2014, S. 233, 236 hingegen verneint einen Kategorienfehler des Gesetzgebers, indem sie behauptet, dass TPG erkenne die normativen Maßstäbe der Organverteilung an. Der Gesetzgeber gebe nur vor, dass die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft die Grundlage für die Verteilungsregeln bilden sollen, die den normativen Kriterien, Erfolgsaussicht und Dringlichkeit, Rechnung tragen müssten. Die beiden Begriffe würden jedoch zwingend die Bewertung medizinischer Fakten voraussetzen, die dem Gesetzgeber nicht exklusiv vorbehalten sei. Dieser Einwand geht jedoch fehl. Er vermag die Tatsache, dass der Gesetzgeber sich unter Hinweis auf den Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft seiner Regelungspflicht entzieht, nicht zu entkräften. Die Richtlinien belegen, dass die BÄK ein Vielfaches an eigenen Wertungen getroffen hat, die nicht ausschließlich medizinischer Natur sind. Der Ausgleich widerstreitender, elementarer Grundrechtskollisionen ist jedoch ureigene Aufgabe der Legislative. 778  Gutmann / Land, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 87, 89. 779  Brech, Triage und Recht, S. 100; Gutmann / Fateh-Moghadam, NJW 2002, S. 3365, 3366; dies., in: Gutmann / Schneewind / Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen gerechter Organverteilung, S. 37, 41; Gutmann / Land, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 87, 89; Taupitz, ZEFQ 104 (2010), S. 400, 402. 780  Augsberg, in: Pühler / Middel / Hübner (Hrsg.), Praxisleitfaden Gewebegesetz, S. 103, 105; so auch Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 6; zustimmend Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 2, 13; ähnlich Lang, MedR 2005, S. 269, 270. 781  Bader, Organmangel und Organverteilung, S.  135  f.; Nickel / Schmidt-Preisgke / Sengler, TPG, § 16 Rn. 20; Höfling, in: ders. (Hrsg.),TPG,§ 16 Rn. 30; Sickor, GesR 2014, S. 204, 205.



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen357

gebunden. Gegenüber Eurotransplant normieren sie gemäß § 5 ET-Vertrag verbindliche Vorgaben für die weiter von der Vermittlungsstelle zu konkretisierenden Allokationskriterien.782 Ebenso hat die Deutsche Stiftung Organtransplantation die Richtlinien bei der Erstellung ihrer Verfahrensanweisungen nach § 11 Abs. 1a S. 2 TPG zu beachten. Eine Einordnung der Richtlinien als normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften zur Regelung ärztlicher Berufspflichten wird ihrer Bedeutung schon deshalb nicht gerecht.783 Durch die legislative Inkorporation kommt den Richtlinien nach § 16 Abs. 1 S. 1 TPG eine andere Qualität zu, als den Richtlinien zur Festlegung der standesrechtlich verbindlichen Regeln der ärztlichen Kunst.784 Insbesondere in Bezug auf die Regelungen zur Aufnahme in die Warteliste und die Organallokation haben sie quasi „gesetzesvertretende“ Wirkung, indem sie letztlich bindende Vorgaben für die Organvermittlung statuieren. Die Grenzen berufsständischer Selbstverwaltung sind bei diesen grundrechtsrelevanten Festlegungen, die potentiell jedermann betreffen können, weit überschritten.785 Damit sind die in den Richtlinien getroffenen Regelungen nicht Ausdruck einer Selbstverwaltung der Ärzteschaft, sondern stellen vor allem eine Fremdverwaltung der Patientenrechte dar.786 Insofern wird man den Richtlinien zumindest einen „quasi-hoheitlichen Charakter“787 zusprechen und sie als Rechtsnormen qualifizieren müssen.788 dazu Sickor, GesR 2014, S. 204, 205 f. aber im Ergebnis zuletzt Woinikow, Richtlinien der Transplantationsmedizin; ebenso Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 184; ähnlich Rosenau, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 69, 73, der von einer „normkonkretisierenden Verweisung“ spricht; Nickel / Schmidt-Preisigke / Sengler, TPG, § 16 Rn. 4 gehen von standesrechtlich verbindlichen Regeln der ärztlichen Kunst aus. 784  Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 15 f. 785  Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 6. 786  Vgl. Haverkate, in: Häfner (Hrsg.), Gesundheit– unser höchstes Gut?, S. 119, 126; zustimmend Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 180; Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 3; Lang, MedR 2005, S. 269, 275; ähnlich Wiegand, Die Beleihung mit Normsetzungskompetenzen, S. 77. 787  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 183. 788  Von einer normativen Wirkung spricht auch Krüger, Die Vermittlungstätigkeit Eurotransplants im Sinne des § 12 TPG, S. 193 f.; Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 184, kommt im Ergebnis zum Vorliegen von formal „antizipierten Sachverständigengutachten“, bei denen es sich aber materiell um Rechtsnormen handle; Berger, Die Bundesärztekammer, S. 82 f. bezeichnet sie als „Richtlinien mit normativen Charakter“; Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 5 und Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 14, nennen sie eine „Form exekutiver Rechtsetzung“ bzw. „exekutive Normen“; Schneider, Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Organallokation nennt sie „Rechtsverordnungen“, S. 58; Uhl, Richtlinien der Bundesärztekammer, S. 152 ff., kommt zu dem Ergebnis, dass die 782  Siehe 783  So

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

Kurzum: Der Richtlinienerlass der Bundesärztekammer ist Ausübung öffentlicher Gewalt.789 bb) Die Beleihung der Bundesärztekammer als Verfassungsverstoß Ob sich die Beleihung eines privatrechtlichen Akteurs mit Normsetzungskompetenzen überhaupt als verfassungsrechtlich zulässig erweist, ist bisher umstritten.790 Das Grundgesetz beschreibt den Bundestag und die Landesparlamente als Hauptakteure der Gesetzgebung im formellen Sinn (Art. 70 ff. GG). Art. 80 GG betrifft den grundgesetzlichen Maßstab exekutiver Rechtsnormsetzung, der auch für die Rechtsnormen der Bundesärztekammer Anwendung finden muss. Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG erlaubt es dem Gesetzgeber, die Bundesregierung, einen Bundesminister oder die Landesregierungen durch ein Gesetz zu ermächtigen, Rechtsverordnungen, also materielle Gesetze, zu erlassen. Diese Erstdelegatare sind wiederum befugt, ihre Rechtsetzungsermächtigung durch Rechtsverordnung weiter an Subdelegatare zu delegieren (Art. 80 Abs. 1 S. 4 GG). Geht man davon aus, dass auch Private Adressaten dieser Subdelegation sein können,791 käme die Bundesärztekammer als in dieser Weise legitimierter Subdelegatar in Betracht. Erstdelegationen können, aufgrund des eindeutigen Wortlauts des Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG, jedoch ausschließlich an die genannten Stellen vergeben werden, wozu die Bundesärztekammer nicht gehört.792 Für eine verfassungsrechtlich legitime Ermächtigung zur Normsetzung hätte es zunächst einer ermächtigenden Rechtsverordnung eines vom Gesetzgeber bestimmten, zulässigen Erstdelegatars bedurft. Indem das Transplantationsgesetz die Bundesärztekammer aber sogleich mit Normsetzungskompetenzen ausgestattet hat, verstößt es gegen die verfassungsrechtlichen Vorgaben zur Rechtsetzung.793 Richtlinien keinen klassischen exekutiven Rechtsquellen zugeordnet werden könnten, jedoch als „neue exekutive Rechtsquelle“ anzuerkennen seien; eine ausführliche Analyse der rechtlichen Einordnung bietet Mohammadi-Kangarani, Die Richtlinien der Organverteilung im Transplantationsgesetz, S. 57 ff. 789  Höfling, JZ 2007, S. 481, 483; Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S.  102; ders., in: Kern / Wadle / Schroeder u. a. (Hrsg.), FS Laufs, S. 1049, 1065 f. 790  Zum Meinungsstand siehe Freitag, Das Beleihungsverhältnis, S. 41 ff. m. w. N. 791  Zu einer möglichen Konstruktion einer Subdelegation siehe die Gestaltungsmöglichkeiten des Gesetzgebers bei der Legitimation der Richtlinienerstellung, S. 533 ff. 792  Zur abschließenden Aufzählung der Erstdelegatare vgl. BVerfGE 28, 66, 83 ff.; Ossenbühl, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. V, § 103 Rn. 29; Remmert, in: Maunz / Dürig u. a. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 80 Rn. 84; Uhle, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 80 Rn. 74. 793  So auch Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 174  ff., 184 ff.; Uhl, Richtlinien der Bundesärztekammer, S. 317 f.; Schneider, Verfassungsmäßigkeit des



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cc) Die Kollision der Entscheidungsbefugnis mit dem Demokratieprinzip Weiterhin bedeutungsvoll für das verfassungsrechtliche Schicksal der Richtlinien ist ihre Konformität mit dem in Art. 20 Abs. 2 GG verankerten Demokratieprinzip, womit sich die Frage nach den mit der Richtlinienerstellung korrespondierenden legislatorischen Anforderungen stellt. Dieser wird zunächst nach dem organisatorisch-formalen Legitimationskonzept nachgegangen ((1)). Sodann werden in Kürze alternative Modelle vorgestellt, die den Schwerpunkt der Legitimationsbegründung weg von der Kettenkonstruktion, hin zu ergebnisorientierten Legitimationswirkungen verlagern ((2)). An die Untersuchung schließt sich eine Bewertung der Konzeptionen für die Legitimation der Bundesärztekammer an ((3)). (1) B  estehen eines Demokratiedefizits nach dem herkömmlichen Legitimationsmodell Da die Richtlinien rechtsverbindliche Handlungsanweisungen an ihre Adressaten richten, müssen sie als Ausübung hoheitlicher Tätigkeit und damit als Anwendung von Staatsgewalt behandelt werden, die gemäß Art. 20 Abs. 2 GG nach demokratischer Legitimation verlangt.794 Für die Legitimation der Bundesärztekammer kann weder eine Einforderung der Richtliniengestaltung durch das Parlament noch ein bestehender Regelungsbedarf ausreichend sein.795 Im Mittelpunkt der Legitimation steht die Rückführbarkeit Rechts der Organallokation, S. 69 f.; Wiegand, Die Beleihung mit Normsetzungskompetenzen, S. 219. Anders jedoch Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 105, der die Mängel der Beauftragung der BÄK ausschließlich im Verfahren der Richtlinienerstellung erblickt; gegen eine Anwendung von Art. 80 GG als Maßstab der Beurteilung Mohammadi-Kangarani, Die Richtlinien der Organverteilung im Transplantationsgesetz, S. 112. 794  Augsberg, in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin in Deutschland, S. 45, 48; Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 187; Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 5; Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 17; Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitima­ tionsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 102; vgl. auch Uhl, Richtlinien der Bundesärztekammer, S. 315 ff. A. A. jedoch Nickel / Schmidt-Preisigke / Sengler, TPG, § 16 Rn. 4 a. E.; Rosenau, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 69, 73. Ausführlich zum Erlass von Rechtsnormen und ihrer Qualifikation als Ausübung von Hoheitsgewalt Augsberg, Rechtsetzung zwischen Staat und Gesellschaft, S. 31 ff., 81 ff.; das BVerfG versteht „alles Handeln mit Entscheidungscharakter“ als Ausübung von Staatsgewalt, BVerfGE 47, 253, 272 f.; 77, 1, 40; 83, 60, 73; 93, 37, 68; 107, 59, 87. Allgemein die Frage nach einer demokratischen Legitimation der, sich materiell als staatlicher Akteur erweisenden, BÄK stellt Berger, Die Bundesärztekammer, S. 218 ff. 795  In diese Richtung aber Viebahn, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 89, 90; siehe auch Schmidt-Aßmann,

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

jedes hoheitlichen Aktes auf das Volk als Legitimationssubjekt. Gesetze haben wegen der direkten Wahl der Vertreter des an ihrem Zustandekommen maßgeblich beteiligten Bundestages und dem in besonderer Weise auf Konsenssuche und Öffentlichkeit ausgerichteten Verfahrens ihrer Entstehung eine ungleich hohe demokratische Legitimation.796 Das unmittelbar legitimierte Parlament ist jedoch weder dazu verpflichtet noch dazu in der Lage, jede gesetzgeberische Entscheidung selbst zu fällen; ein Monopol der Rechtsetzung besteht nicht.797 Im Gegenteil ist es sinnvoll, Gesetze von Detailregelungen zu entlasten oder die Flexibilität mancher Vorschriften durch die Herausnahme aus dem schwerfälligen Gesetzgebungsprozess zu wahren.798 Bei der Delegation jeglicher Hoheitsgewalt bedarf es allerdings eines hinreichenden Legitimationsniveaus im Sinne eines ausreichenden Gehalts an Rückführbarkeit auf den Volkswillen.799 Das Legitimationsniveau wird nach dem allgemeinen bundesverfassungsrechtlichen Legitimationsmodell über zwei Stränge, nämlich in sachlich-inhaltlicher und in personell-organisatorischer Weise, vermittelt.800 Auf eine für die funktionsbezogene Aufgabenerfüllung der Selbstverwaltung entwickelte sog. autonome Legitimation, die auf die Wahl durch den Deutschen Ärztetag zurückgeführt werden könnte, kann sich die Bundesärztekammer beim Erlass der Transplantationsrichtlinien von vornherein nicht berufen. Die autonome Legitimation gilt nur für den begrenzten Wirkungsbereich der Selbstverwaltungstätigkeit und ist mit einem Korrespondenzgebot versehen; die Entscheidungen der Selbstverwaltungskörperschaft dürfen den Kreis der legitimationsstiftenden Mitglieder Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 100. 796  Remmert, in: Maunz / Dürig u. a. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 80 Rn. 7. 797  BVerfGE 49, 89, 124 f.; 68, 1, 86 f.; 98, 218, 252; 131, 152, 195 f.; Dreier, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 20 Abs. 2 Rn. 117; Remmert, in: Maunz / Dürig u. a. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 80 Rn. 7. 798  Bauer, in: ders. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 80 Rn. 12; Brenner, in: Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 80 Rn. 8; Mann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 80 Rn. 4. 799  BVerfGE 83, 60, 72; 93, 37, 67 f.; 107, 59, 87; grundlegend zur demokratischen Legitimation insoweit Böckenförde, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. II, § 24; zuletzt umfassende Darstellung zur demokratischen Legitimation bei Minkner, Die Gerichtsverwaltung in Deutschland und Italien, S. 48 ff. 800  Zu den Grundformen demokratischer Legitimation siehe BVerfGE 93, 37, 67; 107, 59, 88; BVerwGE 106, 64, 71 ff.; Böckenförde, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. II, § 24 Rn. 14 ff.; Grzeszick, in: Maunz / Dürig u. a. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 20 Abs. 2 S. 1 (2010), Rn. 118 ff.; Huster / Rux, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 20 Rn. 93 ff. Eine Legitimation in funktionell-organisatorischer Hinsicht als dritter Säule der demokratischen Legitimation kommt mangels verfassungsrechtlicher Verankerung der Tätigkeit der Bundesärztekammer hier von vornherein nicht in Betracht.



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nicht überschreiten.801 Dass es sich bei der Richtlinienerstellung aber nicht um Selbstverwaltungsaufgaben handelt, wurde bereits dargelegt.802 Die sachlich-inhaltliche Legitimation wird grundsätzlich durch eine gewisse Vorsteuerung der Delegiertentätigkeit in der Sache sowie ausreichende Kontrollrechte sichergestellt.803 Der Ursprung jedes staatlichen Handelns muss sich, zumindest mittelbar über das Parlament, auf eine Entscheidung des Volkes zurückführen lassen, um dem Legitimationssubjekt hinreichenden Einfluss auf die Ausgestaltung der Staatsgewalt zu sichern.804 Die personellorganisatorische Legitimation bemisst sich daran, dass die Staatsgewalt ausübenden Personen ihre Bestellung und ihren Beitrag zur hoheitlichen Betätigung auf das Volk zurückführen können.805 Im Fokus der rechtlichen Betrachtung stehen hier die Auswahl der Handelnden samt dem Charakter von Organisation und Verfahren.806 An dieser Stelle kommt das Erfordernis der personalen Legitimationskette zwischen den Entscheidungsträgen und dem Volk zum Tragen.807 Sie müssen, wenn eine direkte Mitwirkung von Volk oder Parlament fehlt, durch einen seinerseits demokratisch legitimierten und dem Parlament gegenüber verantwortlich Handelnden eingesetzt oder zumindest mit dessen Zustimmung bestellt werden.808 Sachlich-inhaltliche und personell-organisatorische Legitimation verhalten sich insofern reziprok zueinander, als dass eine schwache Ausprägung der einen, durch eine umso stärker ausgebildete Rückkopplung an das Volk durch die andere Komponente ausgeglichen werden kann; es bedarf lediglich eines für den konkreten 801  Zur autonomen Legitimation siehe Minkner, Die Gerichtsverwaltung in Deutschland und Italien, S. 80 ff.; Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 75 ff.; zur funktionalen Selbstverwaltung auch Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 207 ff.; insgesamt grundlegend Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation. 802  Siehe dazu S. 356 f. 803  Vgl. Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 187; Böckenförde, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. II, § 24 Rn. 21 f.; Lang, MedR 2005, S. 269, 272 f.; Puhl, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. III, § 48 Rn. 43; Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 206. 804  BVerfGE 93, 37, 67 f.; 107, 59, 88; Sommermann, in: Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 20 Rn. 163. 805  Grzeszick, in: Maunz / Dürig u. a. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 20 Abs. 2 S. 1 (2010), Rn. 121; Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 206. 806  Augsberg, in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin in Deutschland, S. 45, 51; zur personell-organisatorischen Legitimation vgl. auch Böckenförde, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. II, § 24 Rn. 16 ff. 807  BVerfGE 47, 253, 275; 93, 37, 67 f.; 107, 59, 88; Böckenförde, in: Isensee /  P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. II, § 24 Rn. 16. 808  BVerfGE 47, 253, 275; 93, 37, 67 f.; 107, 59, 88; Böckenförde, in: Isensee /  P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. II, § 24 Rn. 16.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

Fall hinreichenden Legitimationsniveaus.809 Dieses gilt es für die Tätigkeit der Bundesärztekammer anhand der sachlich-inhaltlichen ((a)) sowie der personell-organisatorischen Legitimation zu untersuchen ((b)). (a) Lückenhafte sachlich-inhaltliche Steuerung durch den Gesetzgeber Im Fall der Richtlinientätigkeit der Bundesärztekammer hat der Gesetzgeber weitgehend eine höchst mangelhafte inhaltliche Steuerungsleistung vorgenommen. Deutlich wird diese Regelungslücke vor allem bei der Beauftragung einer Feststellung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft für die Regeln zur Organvermittlung nach § 12 Abs. 3 S. 1 TPG (§ 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 TPG). Von einer hinreichend bestimmten Vorgabe eines Entscheidungsprogramms kann hier kaum die Rede sein.810 Als zentrale, aber noch nicht einmal abschließend anzuwendende Alloka­ tionskriterien werden lediglich die Dringlichkeit und Erfolgsaussicht der Transplantation vorgegeben. Genauso wenig bietet die Gesetzesbegründung ausreichende Anhaltspunkte, wie genau diese Vorgaben zu verstehen sind.811 Hinzu kommt das Schweigen des Gesetzes oder seiner Materialen zum Rangverhältnis der genannten Allokationsparameter, obwohl das Parlament zumindest die Grundlagen der Rechtsgüterabwägung selbst vorzunehmen hat.812 Gleichzeitig fehlen lenkende Weisungsrechte der Ministerialverwaltung. Diese legislatorische Enthaltsamkeit zwingt die Bundesärztekammer folglich zu eigenen Wertentscheidungen, indem sie die inhaltliche Ausfüllung der unbestimmten Rechtsbegriffe und die Festlegung ihrer Stellung zueinander übernimmt.813 Eine derart „pauschale und weitgehend konturen809  BVerfGE 83, 60, 72; 89, 155, 182; 93, 37, 67; 107, 59, 87; 130, 76, 124; Böckenförde, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. II, § 24 Rn. 23. 810  In diesem Sinne auch Schmidt-Aßmann, in: Kern / Wadle / Schroeder u. a. (Hrsg.), FS Laufs, S. 1049, 1066; ebenso kritisch in Bezug auf die Richtlinie zur Feststellung des (Hirn-)Todes gem. § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG Parzeller / Henze, ZRP 2006, S. 176, 178; a. A. jedoch Woinikow, Richtlinien der Transplantationsmedizin, S. 242. 811  Siehe näher zur Gesetzesbegründung S. 377. 812  Vgl. grundsätzlich Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, S. 465; mit Bezug auf das Transplantationswesen Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG,§ 12 Rn. 23; ders., in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin, S. 113, 116; ders. / Fateh-Moghadam, NJW 2002, S. 3365, 3366; Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 33; Krüger, Die Vermittlungstätigkeit Eurotransplants im Sinne des § 12 TPG, S. 292; Lang, MedR 2005, S. 269, 278; Wenner, in: Fachbereich Rechtswissenschaft Universität Frankfurt (Hrsg.), 100 Jahre Rechtswissenschaft in Frankfurt, S. 245, 260 f.; weniger skeptisch bzgl. der Regelungszurückhaltung des Gesetzgebers aber Woinikow, Richtlinien der Transplantationsmedizin, S.  346 ff. 813  Es sei nur an die umstrittene sozial-psychologische Kontraindikation Compliance erinnert, nach der ein Organempfänger eine ausreichende Fähigkeit und Bereit-



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lose Re­gelung“814 kann die Anforderungen an die sachlich-inhaltliche Legitimation nicht erfüllen. Ein ähnliches Bild wird durch die Regelungen zur Aufnahme der Patienten in die Warteliste gezeichnet. Die gesetzlichen Vorgaben beschränken sich dort auf eine Notwendigkeit und Erfolgsaussicht der Transplantation (§ 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG, § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG). Der parlamentarische Kategorienfehler, dem die Kompetenzüber­ tragung weitreichender Wertentscheidungen geschuldet ist, verantwortet die Erteilung einer „Blankovollmacht“815 an das ärztliche Gremium.816 Hinzu kommt die groß­ zügige Auslegung der Ermächtigung durch die Bundes­ ärztekammer selbst, die in der Praxis sehr umfangreiche Richtlinien aus­ arbeitet.817 Allerdings wurde die blinde Delegation der Entscheidungsbefugnisse mit der neuesten Reform des Transplantationsgesetzes etwas gedrosselt. Seit dem 1. August 2013 sind die Richtlinien – zum besseren Verständnis und für mehr Transparenz818– zu begründen, wobei insbesondere die Feststellung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft nachvollziehbar darzulegen ist (§ 16 Abs. 2 S. 2 TPG). Sie unterliegen nunmehr ferner einem Genehmigungsvorbehalt durch das Bundesministerium für Gesundheit (§ 16 Abs. 3 TPG). Insofern könnten die fehlenden inhaltlichen Vorgaben durch eine nun weitreichendere nachgehende Kontrolle ausgeglichen worden sein. Immerhin handelt es sich bei einem Genehmigungsvorbehalt um ein Mittel der Staatsaufsicht, das die Rückkopplung an eine demokratisch legitimierte Instischaft zur Zusammenarbeit mit dem Transplantationszentrum gewährleisten muss. Noch problematischer erscheint die Alkoholabstinenzklausel bei der Lebertransplantation. Näher zur Kritik an diesen Kriterien siehe S. 454 ff. 814  Augsberg, in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin in Deutschland, S. 45, 53. 815  Ebda., S. 53. 816  Ebda., S. 53; Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 103; Taupitz, NJW 2003, S. 1145, 1149. 817  Die Übertragung der Befugnisse zur verbindlichen Regelung der Organvermittlung (und eben nicht nur die Feststellung der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft für die Allokation) wird teilweise als wahre, aber verschleierte Intention des Gesetzgebers angesehen, sodass davon auszugehen sei, dass die BÄK bei der Aufstellung von Verteilungskriterien im Rahmen ihres gesetzlichen Rahmens gehandelt habe, Krüger, Die Vermittlungstätigkeit Eurotransplants im Sinne des § 12 TPG, S. 195 ff. Middel / Scholz, in: Spickhoff (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 5 weisen zu Recht darauf hin, dass die BÄK ihre Aufgabe der Richtlinienerstellung schwerlich ohne die vermeint­ liche Kompetenzüberschreitung hätte erfüllen können. Andere dagegen gehen von einer Kompetenzüberschreitung der BÄK aus, Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG,§ 16 Rn. 17; ders. / Fateh-Moghadam, NJW 2002, S. 3365, 3370; kritisch ebenfalls Augsberg, in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplanta­ tionsmedizin in Deutschland, S. 45, 54. 818  BT-Drs. 17 / 13947, S. 40.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

tution gewährleistet.819 Die installierte Form der rein nachträglichen Überprüfung muss jedoch als unzureichend angesehen werden. Sie kann vor allem die mangelnde sachliche Einflussnahme im Vorfeld der Richtlinienentstehung nicht kompensieren.820 Zur Gewähr einer angemessenen sachlich-inhaltlichen Überprüfung der Normierungen erweist sich die Fassung des Gesetzesvorbehalts zudem als untauglich, da der Gesetzeswortlaut die Überprüfung ausschließlich auf die Feststellung der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft beschränkt. Die Kontrolle rein deskriptiven Faktenwissens bemisst sich jedoch selbstredend nach anderen Maßstäben als die Überprüfung normativer Wertungen.821 Daran kann auch das mit dem Genehmigungsvorbehalt eingeführte Begründungserfordernis nichts ändern, denn dieses dient lediglich dazu, dem Ministerium die medizinischen Tatsachen verständlich näherzubringen und versetzt es damit überhaupt erst in die Lage, seine Aufgabe sachgerecht auszuführen.822 Drängend stellt sich, in Anbetracht der rudimentären materiellen Vorentscheidungen des Gesetzgebers, die Frage, an welchen Maßstäben sich das Bundesministerium bei seiner Überprüfung überhaupt orientieren soll.823 Konsequenterweise müsste das Ministerium den im Transplantationsgesetz begangenen Kategorienfehler bei seiner Kontrollaufgabe fortsetzen und gleichwohl die normativen Wertentscheidungen der Bundesärztekammer vollständig überprüfen sowie gegebenenfalls durch eigene Beurteilungen erset819  Zur Staatsaufsicht und ihren Aufsichtsmitteln Trute, in: HoffmannRiem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, § 6 Rn. 52; eingehend mit Bezug auf das Transplantationswesen Lang, in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin in Deutschland, S. 61 ff. Gefordert wurde der Genehmigungsvorbehalt bereits von Stimmen aus der Literatur, siehe nur Lang, MedR 2005, S. 269, 279; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 202. 820  Engels, WzS 2013, S. 199, 203; Sickor, GesR 2014, S. 204, 205; siehe auch Höfling / Lang, NJW 2014, S. 3398, 3403; Kritik an der Scheinlegitimation auch durch die Deutsche Stiftung Patientenschutz, Patientenschutz-Info-Dienst vom 24.06.2013, S. 14 f.; anders aber Lang, MedR 2005, S. 269, 279, der wohl ein Genehmigungserfordernis als ausreichenden Legitimationsfaktor ansieht; ebenso Middel / Scholz, in: Spickhoff (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 3; von einer durch den Genehmigungsvorbehalt geschaffenen Verbreiterung der Legitimationsgrundlage spricht Rissing-van Saan, NStZ 2014, S. 233, 237. Von einer Stärkung der politischen Legitimation spricht zudem der damalige Bundesgesundheitsminister Bahr, BT-PlPr. 17 / 247, S. 31701 (A) ff., 31702 (C). 821  Sickor, GesR 2014, S. 204, 207. 822  Auch die Gesetzesbegründung geht davon aus, dass das Gesundheitsministerium zunächst in die Lage versetzt werden muss, die medizinischen Sachverhalte nachzuvollziehen und übergeht damit erneut die getroffenen Wertentscheidungen, die keiner medizinwissenschaftlichen Erläuterung bedürft hätten, BT-Drs. 17 / 13947, S. 40. 823  Engels, WzS 2013, S. 199, 203; den Bedenken zustimmend Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG Nachtrag, § 16 Rn. 55; näher zur Untauglichkeit des Gesetzesvorbehalts aufgrund einer reinen Faktenkontrolle auch Sickor, GesR 2014, S. 204, 207.



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen365

zen; camoufliert als reine Faktenanalyse. Ob neben dieser schmalen inhalt­ lichen Kontrolle der Richtlinien der Verfahrensablauf samt regelkonformer Beschlussfassung gesetzlich vorgesehener Gegenstand der Prüfung ist, darf bezweifelt werden. In diesem Fall hätte nicht nur eine sachliche Begründung der Richtlinien im Gesetz verankert werden dürfen, sondern es hätte eine Verpflichtung zur Dokumentation des Verfahrens der Erarbeitung und der Verabschiedung jeder Richtlinie bedürft.824 Folglich liegt beim gesamten Genehmigungsprozess einiges im Argen. Die praktische Wahrscheinlichkeit, dass die Behörde willens ist, die Entscheidungen in den Richtlinien ernsthaft in Frage zu stellen dürfte jedoch ohnehin sehr gering sein.825 An der Verantwortung der Bundesärztekammer sollte sich laut Gesetzesbegründung nichts ändern.826 Ernsthafte eigene Gestaltungsmacht wurde staatlichen Stellen nicht zugesprochen. Die Bundesärztekammer wird absehbar das Zentrum der Entscheidungsgewalt bleiben, ohne dass ihr eine hinreichende sachlich-inhaltliche Legitimation zukommt. (b) K  ein Ausgleich über den personell-organisatorischen Legitimationsstrang Möglicherweise wird die unzureichende sachlich-inhaltliche Legitimation durch einen stark ausgeprägten personell-organisatorischen Legitimationsstrang kompensiert, sodass trotz der vorgenannten Defizite ein hinreichendes Legitimationsniveau erreicht wird. Bedenken ergeben sich jedoch bereits aus der privatrechtlichen Ausgestaltung der Bundesärztekammer.827 Ihre Richtlinienerstellung erfolgt in eigener Regie. Sie selbst hat entschieden, die Ausarbeitung der Regelungen an die interne Ständige Kommission Organtransplantation zu übertragen, die ihre Ausarbeitung dem Vorstand zur Verabschiedung vorlegt. Ein Ernennungs- oder Abberufungsrecht der beteiligten Kommissionsmitglieder von Seiten des Parlaments oder von diesem legitimierten Stellen besteht nicht. Folglich fehlt es an einer vom Parlament ausgehenden ununterbrochenen Legitimationskette im Hinblick auf die entscheidenden Personen. Diesem Defizit versuchte die Gesetzesnovelle durch das TPGÄndG von 2012 entgegenzuwirken.828 Seitdem ist die Bundesärztekammer gemäß § 16 824  Kritisch

208.

825  Zu

zur mangelnden Verfahrensprüfung auch Sickor, GesR 2014, S. 204,

rechtspolitischen Erwägungen bzgl. des Kontrollmechanismus siehe S. 532. die Gesetzesbegründung BT-Drs. 17 / 13947, S. 40. 827  Deutsch, NJW 1998, S. 777, 782; Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 21; Lang, MedR 2005, S. 269, 274. 828  Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 48. 826  So

366

D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

Abs. 2 S. 1 TPG verpflichtet, ein Verfahren für die Erarbeitung der Richt­ linien und die Beschlussfassung zu erlassen. Zusätzlich wurde die Pflicht zur Mitwirkung von Sachverständigen auf einen breiteren Kreis ausgedehnt. Nun ist auch die angemessene Beteiligung von Sachverständigen der betroffenen Fach- und Verkehrskreise vorgesehen, wozu ausdrücklich auch die zuständigen Behörden der Länder gezählt werden (§ 16 Abs. 2 S. 2 TPG). Diese Bemühungen erweisen sich allerdings als vergebens. Selbstverständlich ist eine stärkere organisatorische Ausgestaltung von formalen Kriterien, wie des Verfahrens und der Beschlussfassung, schon aus Transparenzgesichtspunkten wünschenswert. Allerdings müsste die Ausfüllung der formalen Leerstellen durch den Gesetzgeber selbst erfolgen.829 Eine Substitution durch einen privatrechtlichen Verein kann es bei dieser Steuerungsaufgabe freilich nicht geben. Die Rekrutierung der Kommissionsmitglieder sowie die Verfahrensgestaltung bleiben jedoch weiterhin in der Entscheidungsbefugnis der Bundesärztekammer. Dem Mangel der Neuregelung des Transplantationsgesetzes hilft auch eine „angemessene Beteiligung“ der zuständigen Landesbehörden – unter vielen anderen involvierten, privaten Institutionen – nicht ab. Fraglich ist bereits, was unter diesem unbestimmten Rechtsbegriff genau zu verstehen ist.830 Das Gesetz bleibt – nicht das erste Mal – Erläuterungen schuldig. Maßgebliche Steuerungsfunktion, wie sie die demokratische Legitimation verlangt, wird ihnen in der Praxis keinesfalls zukommen. Von einer uneingeschränkten personellen Legitimation könnte nur die Rede sein, wenn die Voraussetzungen der „doppelten Mehrheit“831 erfüllt wären, wovon das Gremium weit entfernt ist. Eine ausgleichende Kraft seitens der ebenfalls nur lückenhaft ausgeprägten sachlich-inhaltlichen Legitimation besteht nicht. Abseits der Verpflichtung der Bundesärztekammer zur Erarbeitung von Verfahrens- und Beschlussfassungsregeln sowie der neuen Sachverständigen­ 829  Vgl. Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 29; ders., Für ein neues Transplantationsgesetz, S. 125; ders., in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin, S. 113, 118; Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 22; Holznagel, DVBl 1997, S. 393, 400; Parzeller / Henze, ZRP 2006, S. 176, 180; Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 104 f.; Taupitz, NJW 2003, S. 1145, 1150; Uhl, Richtlinien der Bundesärztekammer, S. 325. 830  Schroth, NStZ 2013, S. 437, 441; Sickor, GesR 2014, S. 204, 208; die fehlende Bestimmtheit der Beteiligungsausgestaltung war schon nach der alten Rechtslage Kritik ausgesetzt, vgl. Parzeller / Henze, ZRP 2006, S. 176, 179; Taupitz, NJW 2003, S. 1145, 1150. 831  Gemischte Gremien gelten nach dem BVerfG als demokratisch legitimiert, wenn die Mehrheit, welche die Entscheidung trägt, ihrerseits demokratisch legitimiert ist (sog. doppelte Mehrheit), BVerfGE 93, 37, 68; zum Begriff der doppelten Mehrheit siehe Böckenförde, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. II, § 24 Rn. 19; dagegen wird in der Literatur auch die einfache Mehrheit für ausreichend erachtet; dafür zuletzt Minkner, Die Gerichtsverwaltung in Deutschland und Italien, S. 149 ff.



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen367

einbeziehung schweigt das Gesetz zur Organisation der Ständigen Kommission Organtransplantation, der Bundesärztekammer oder der Art und Weise der Erstellung und Verabschiedung der Richtlinien.832 Insofern wird es den vom Bundesverfassungsgericht für vergleichbare Gremien aufgestellten Bestimmungen nicht gerecht.833 So gibt es beispielsweise vor, dass der Gesetzgeber die vertretenen Personengruppen sowie den Akt der Auswahl der Mitglieder eines Entscheidungsgremiums näher zu bestimmen hat.834 Eine ununterbrochene Legitimationskette kann auch nicht über das Landesstaatsvolk der Bundesländer über die Landesärztekammern bis zu den Organen der Bundesärztekammer konstruiert werden. Die Vertreter der Landesärztekammer sind nur für ihre Tätigkeit der funktionalen Selbstverwaltung eingesetzt und legitimiert.835 Bei den Richtlinien nach § 16 Abs. 1 S. 1 TPG handelt es sich aber nicht bloß um gemäß Art. 70 GG in die Kompetenz der Landesgesetzgeber fallende ärztliche Berufsregeln.836 Im Rahmen der Transplantationsmedizin entscheidet der Vorstand eines Dachverbands der Ärzteschaft, folglich ein Repräsentant der funktionalen Selbstverwaltung, über das Wirksamwerden von grundrechtsgewichtigen Richtlinien, ohne dass seine Entscheidungen personell-organisatorisch hinreichend auf das Volk zurückgeführt werden können.837 Ein Ausgleich der sachlich-inhaltlichen Defizite über einen starken personell-organisatorischen Überbau besteht folglich nicht. Ein hinreichendes Legitimationsniveau scheidet nach dem herkömmlichen Demokratieverständnis aus.838

832  Kritisch dazu Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 21; ders., JZ 2007, S. 481, 484; vgl. auch Lang, MedR 2005, S. 269, 274 f. 833  BVerfGE 83, 130, 150 ff. 834  BVerfGE 83, 130, 153. 835  Mohammadi-Kangarani, Die Richtlinien der Organverteilung im Transplantationsgesetz, S. 151. 836  So aber Woinikow, Richtlinien der Transplantationsmedizin, S. 241; dagegen jedoch Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 6; Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 15 f.; näher zur Wirkqualität der Richtlinien S. 354 ff. 837  Vgl. Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 21; Sickor, GesR 2014, S. 204, 207; Schmidt-Aßmann, in: Kern / Wadle / Schroeder u. a. (Hrsg.), FS Laufs, S. 1049, 1067. 838  Auch das BVerfG hat im Rahmen einer Entscheidung zur Versagung von Prozesskostenhilfe Zweifel an der demokratischen Legitimation der BÄK in Bezug auf die Richtlinienerstellung angedeutet, BVerfG, Beschluss v. 28.01.2013 – 1 BvR 274 / 12.

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(2) L  egitimation der Bundesärztekammer über alternative Legitimationskonzepte Einige wenige Stimmen in der Literatur wollen die demokratische Dignität der Bundesärztekammer trotz der vorangestellten Bedenken retten und greifen dafür andere Legitimationskonzepte auf. Die aufgezeigte organisatorischformale Interpretation des Demokratieprinzips ist nicht unumstritten.839 Ihr wird neben einem „Legitimationskettenfetischismus“840 bisweilen vorgeworfen, sie arbeite mit einem zu rigiden Schema, das neuen Organisationsformen sogleich das Verdikt der Verfassungswidrigkeit aufdrücke.841 Dagegen soll die Bewertung des Legitimationsniveaus größere Spielräume eröffnen, die es ermöglichen, nicht nur die sachlich-inhaltliche oder personell-organisatorische Rückführbarkeit auf das Volk, sondern beispielsweise auch Autonomie, Akzeptanz, die Garantie von Entscheidungsrichtigkeit oder Effizienz in das Urteil mit einzubeziehen.842 An dieser Stelle setzen die alternativen Ansätze der die Bundesärztekammer unterstützenden Kräfte an.843 Der Fokus der dem organisatorisch-formalen Demokratieverständnis entgegengesetzten Lehre liegt auf der Konstruktion eines ausreichenden Legitimationsniveaus, unter Befreiung des Herleitungssystems von den ihm auferlegten „Ketten“. Notwendig, aber auch hinreichend, zur Legitimation von Entscheidungsdelegationen ist laut Bundesverfassungsgericht ein „bestimmtes Legitimationsniveau“.844 Bei dessen Ausgestaltung sollten nach Ansicht 839  Eine ausführliche und aktuelle Analyse alternativer Legitimationsmodelle findet sich bei Minkner, Die Gerichtsverwaltung in Deutschland und Italien, S. 69 ff. 840  Bryde, StWissStPr 5 (1994), S. 305, 324. 841  Bryde, in: Redaktion Kritische Justiz (Hrsg.), Demokratie und Grundgesetz, S. 59, 67; Groß, in: Redaktion Kritische Justiz (Hrsg.), Demokratie und Grundgesetz, S.  93 ff. 842  Bryde, StWissStPr 5 (1994), S. 305, 306; ders., in: Redaktion Kritische Justiz (Hrsg.), Demokratie und Grundgesetz, S. 59, 66 ff.; vgl. auch Trute, in: HoffmannRiem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, § 6 Rn. 53 ff. Eingehend zum Begriff der Entscheidungsrichtigkeit, Hoffmann-Riem, in: Schmidt-Aßmann / Hoffmann-Riem (Hrsg.), Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, S. 355, 360 f.; Minkner, Die Gerichtsverwaltung in Deutschland und Italien, S. 109 ff.; Schulze-Fielitz, in: Kirchhof / Lehner / Raupach u. a. (Hrsg.), FS Vogel, S.  311 ff.; Voßkuhle / Sydow, JZ 2002, S. 673, 676. 843  Grundlegend zu den Bemühungen der Legitimation der BÄK Rosenau, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 69 ff.; die demokratische Legitimation der BÄK bejaht auch Rissing-van Saan, NStZ 2014, S. 233, 237, jedoch lediglich mit dem nicht tragfähigen Argument, der Gesetzgeber hätte auch nach dreimaliger Überarbeitung des TPG an der Kompetenzübertragung an die BÄK festgehalten. 844  BVerfGE 83, 60, 72; 93, 37, 67;107, 59, 87; kritisch zum Erfordernis eines Legitimationsniveaus Minkner, Die Gerichtsverwaltung in Deutschland und Italien, S. 57 ff.



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen369

der „Kettenkritiker“ auch Zusammenspiele institutioneller und funktioneller Art Berücksichtigung finden. Eine rein formale Betrachtungsweise über eine ununterbrochene Legitimationskette sei abzulehnen. Schon der Gewaltenteilung läge der Grundsatz zugrunde, dass es nicht stets das Parlament sei, in dem Entscheidungen mit höchster Korrektheit gefällt werden. Es solle jenes Organ handeln, das nach „Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise“ eine größtmögliche Richtigkeitsgewähr bietet. Gerade Konkretisierungsaufgaben könnten daher ausgelagert werden.845 Dabei wird herausgestellt, dass der Gesetzgeber der Bundesärztekammer sehr wohl eine explizite Ausfüllung des Gestaltungsauftrags vorgegeben habe, wenn er in der Gesetzesbegründung, beispielsweise bei den Allokationsregeln, den Gesundheitszustand des Patienten für die Dringlichkeit und im Hinblick auf die Erfolgsaussicht, die Blutgruppe, Gewebeverträglichkeit sowie Größe und Gewicht des Organs als zu berücksichtigende Kriterien anführt.846 Über die Mittel der juristischen Auslegung ließe sich das grundlegende parlamentarische Konzept erschließen.847 Die explizitere Aufstellung von Regelungen könne an dieser Stelle sodann delegiert werden. Dabei würde sich auch der Hinweis auf die „Feststellung der medizinischen Erkenntnisse“ als zutreffend erweisen, da die medizinische Wissenschaft selbst normative Dimensionen, wie die Medizinethik oder die Medizinsoziologie, enthalte.848 Insofern wird, trotz Anerkennung der Tätigkeit als wertende Normengestaltung, schon der bereits thematisierte Kategorienfehler negiert. An diesen Prämissen orientiert sich der von den Alternativmodellen geforderte Legitimationsgrad der Richtlinienersteller. Zwar sei eine unmittelbare demokratische Legitimation der Ständigen Kommission Organtransplantation 845  So Rosenau, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 69, 75 f; vgl. dazu auch BVerfGE 68, 1, 86 f. 846  BT-Drs. 13 / 4355, S. 26. 847  So Neft, NZS 2010, S. 16, 17 unter Rückgriff auf BT-Drs. 13 / 4355, S. 26; zustimmend Rosenau, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 69, 74. 848  Holznagel, DVBl 1997, S. 393, 399 m.  w. N.; Neft, NZS 2010, S. 16, 17; Schreiber, in: Beckmann / Kirste / Schreiber (Hrsg.), Organtransplantation, S. 64, 82; auch Rosenau, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 69, 82, der die Medizin als eine anthropologische Wissenschaft bezeichnet, die notwendig Elemente des Beurteilens und Abwägens in sich vereint; Rissing-van Saan, NStZ 2014, S. 233, 236 spricht von einer zwangsläufigen Bewertung von Fakten durch die Medizin, die naturgemäß auch medizinisch-ethische Komponenten in sich trage; vgl. ebenso Mohammadi-Kangarani, Die Richtlinien der Organverteilung im Transplantationsgesetz, S. 137. Gegen eine solche extensive Auslegung des Begriffs der medizinischen Wissenschaft sprechen aber schon die unklaren Abgrenzungsmöglichkeiten, dazu Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 320 f.; gegen eine weite Auslegung auch Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S.  166 ff.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

nicht gegeben; diese sei aber aufgrund eines Ausgleichs durch andere legitimierende Komponenten auch nicht notwendig. Kompensierende Wirkung würden hier die Aspekte der Expertise, Partizipation der Betroffenen und Akzeptanz in Verbindung mit einer tatsächlichen Übung entfalten.849 Bei dieser ergebnisorientierten Sicht soll vor allem die Professionalität der Handelnden eine besondere Entscheidungsrichtigkeit gewährleisten.850 Die speziellen Eigenarten des Transplantationswesens rechtfertigten zur Gewährleistung dieser Ergebnisqualität Legitimationsbrüche oder -lücken. Die Bundesärztekammer arbeite mit einem Sachverstand, den politische Gremien naturgemäß nicht aufweisen könnten. Diese müssten sich externer Expertise bedienen, was wiederum ganz zwangsläufig zur Einbeziehung von Sachverständigen, wie solchen der Ständigen Kommission Organtransplantation, auf müßigen Umwegen führen würde. Die Konkretisierung der gesetzlichen Vorgaben durch die Bundesärztekammer ermögliche des Weiteren eine unvergleichbar schnelle Anpassungsfähigkeit der Regelungen an den volatilen wissenschaftlichen Standard. Selbst untergesetzliche Normen, wie Rechtsverordnungen, könnten mit der Flexibilität der Bundesärztekammer nicht mithalten.851 Damit stellen die Befürworter der derzeitigen Delegationsgestaltung auf den Grundsatz der Effizienz als Legitimationsfaktor ab, der in der verfassungsrechtlichen Fachliteratur mittlerweile vermehrt aufgegriffen wird.852 Eine optimale Ressourcennutzung wirke sich, nach einigen Stimmen, positiv auf die Akzeptanz der Bürger aus, was wiederum demokratische Legitimation vermittle.853 Ferner in die Waagschale einer demokratischen 849  Rosenau, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 69, 76 ff. Gerade der Rückgriff auf Expertise und Sachverstand als Legitimationsfaktoren erfreut sich innerhalb alternativer Demokratiekonzepte immer größerer Beliebtheit, dazu zuletzt Minkner, Die Gerichtsverwaltung in Deutschland und Italien, S. 115 ff. m. w. N. 850  Viebahn, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 89, 90. Allgemein zur Relevanz von Professionalität im Rahmen demokratischer Legitimation v. Arnim, in: ders. (Hrsg.), Finanzkontrolle im Wandel, S. 39, 44 sowie Horn, Demokratie, in: Depenheuer / Grabenwarter (Hrsg.), Verfassungstheorie, § 22 Rn. 66 und Minkner, Die Gerichtsverwaltung in Deutschland und Italien, S. 87 f., 143 f., die die Qualität der Entscheidung bereits im Repräsentationsprinzip angelegt sehen und dieses daher in das Demokratieverständnis übertragen wollen. Nach Petersen, JöR 58 (2010), S. 137, 164 f. soll es zulässig sein, die Umsetzung von Wertentscheidung einem Gremium von Sachverständigen zu überlassen, solange die fundamentalen Wertentscheidungen selbst von der Allgemeinheit getroffen würden. 851  Rosenau, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Trans­ plantationsrechts, S. 69, 77. 852  Eine kritische Darstellung findet sich bei Minkner, Die Gerichtsverwaltung in Deutschland und Italien, S. 91 f. 853  In diesem Sinne Hoffmann-Riem, in: Schmidt-Aßmann / Hoffmann-Riem (Hrsg.), Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, S. 355, 393 f.



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen371

Rechtfertigung der bundesärztlichen Tätigkeit geworfen wird die Partizipation der Betroffenen, die für Neutralität, Objektivität sowie Transparenz und Qualität des Verfahrens sorge. Legitimation soll, nach den Befürwortern dieses ergebnisorientierten Demokratiemodells, durch ein diskursives Verfahren erzeugt werden.854 Insofern wird die Pluralität des Gremiums bei der Ergebnisfindung in den Vordergrund gerückt.855 Im Fall der Entscheidungskompetenz der Bundesärztekammer wirken seit der Reform durch das TPGÄndG alle wesentlichen Verkehrskreise gesetzlich verpflichtend am Entscheidungsprozess mit. Als legitimationsstiftend angesehen wird die „Erwartung einer vernünftigen Qualität [der] Ergebnisse“856, die durch den Diskurs aller Beteiligten berechtigterweise entstehen dürfe. Weiterhin seien die Akzeptanz der beteiligten Verkehrskreise und die tatsächliche Übung der Regelungen Legitimationselemente, die im Rahmen des Transplantationswesens Beachtung finden müssten.857 Es wird vertreten, dass das Merkmal der Akzeptanz der Betroffenen die demokratische Legitimation befördern könne, wenn Entscheidungen von diesen als richtig, hinnehmbar oder vertretbar bewertet werden.858 Bereits vor Inkrafttreten des Transplantationsgesetzes organisierte sich die Transplantationsmedizin im Wege der gesellschaftlichen Selbstregulierung, an die die Bundesärztekammer lediglich anknüpfe. Ihre Bestimmungen basierten auf dem großen Vertrauen und der weit verbreiteten Akzeptanz der damals geltenden Regelungen. Diese Kontinuität und Annahme der Bestimmungen der Bundesärztekammer trage daher zu ihrer Legi854  Vgl. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 31 ff., 239 ff.; Czybulka, Die Legitimation der öffentlichen Verwaltung, S. 58 ff., 261 ff.; Wittreck, in: Stollberg-Rilinger / Krischer (Hrsg.), Herstellung und Darstellung von Entscheidungen, S. 65 ff.; die normativen Grundlagen dieses Demokratiekonzepts werden an den Art. 5 Abs. 1 und Art. 21 Abs. 1 GG festgemacht, vgl. Petersen, JöR 58 (2010), S. 137, 168. 855  Als pluralistisch besetzte Gremien gelten solche, die sich aus allen relevanten gesellschaftlichen Gruppen oder zumindest jenen der Fachöffentlichkeit zusammensetzen, Vierhaus, NVwZ 1993, S. 36, 38; zum Pluralismus als Legitimationsfaktor vgl. Minkner, Die Gerichtsverwaltung in Deutschland und Italien, S. 94 ff. 856  Vgl. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 369 (Hervorhebung im Original); vgl. auch Minkner, Die Gerichtsverwaltung in Deutschland und Italien, S. 94 ff.; Petersen, Demokratie als teleologisches Prinzip, S. 20 f.; Trute, in: Hoffmann-Riem /  Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, § 6 Rn. 53; Wittreck, in: Stollberg-Rilinger / Krischer (Hrsg.), Herstellung und Darstellung von Entscheidungen, S. 44. 857  Akzeptanz im legitimationsstiftenden Sinne meint „Hinnahme der Entscheidung“, Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 102; vgl. auch Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, S. 225. 858  Vgl. Czybulka, Die Legitimation der öffentlichen Verwaltung, S. 68 f., 261 f.; kritisch dazu Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, S.  226 ff.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

timation bei.859 Der entscheidende effektive Einfluss des Staatsvolkes sei durch dieses aufgebaute Instrumentarium, unter effizienter Verwirklichung der verfolgten Gemeinwohlziele, gesichert.860 (3) Bewertung der Legitimationsbemühungen Auch die mannigfaltigen Alternativansätze zur Begründung der demokratischen Legitimation können der Regelungskompetenz der Bundesärztekammer nicht zu verfassungsrechtlicher Unbedenklichkeit verhelfen. Im „wenig transparenten Konglomerat camouflierender Delegations- und Subdelegationszusammenhänge ist […] eine staatliche Letztverantwortung kaum noch auszumachen.“861 Selbst Verfechter von ergebnisorientierten Demokratiemodellen dürfte diese Sachlage jenseits die Grenze ihres Öffnungswillens der Legitimationskette bringen.862 Die vereinzelten Bemühungen um eine noch weitere Dehnung des Legitimationsbegriffs scheitern ohnehin bereits am formalen Begriff des verfassungsrechtlich verankerten Begriffs der demokratischen Legitimation. Bei der demokratischen Legitimation, wie sie von den Verfassungsvätern in Art. 20 Abs. 2 GG festgeschrieben wurde, handelt es sich um einen rein formalen Anknüpfungspunkt, der die Rückführbarkeit von Entscheidungen auf den Souverän fordert, sich jedoch ansonsten als inhaltsleer erweist. Dem „output-orientierten“ Blick auf die Legitimation – weg von der Ursprungsperspektive der Entscheidungsmacht des Volkes hin zur Ergebnisbetrachtung – fehlt damit die normative Verankerung.863 Sachliche Ergebnisse werden erst durch den Prozess „der politischen Willensbildung und staat­lichen 859  Rosenau, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 69,78; ebenso auf das Merkmal der Akzeptanz der Richt­linien abstellend Viebahn, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 89, 90 f., der eine breite Akzeptanz aber auch von der Auditierbarkeit der Richtlinien abhängig macht. 860  Rosenau, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 69, 76. 861  Augsberg, in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin in Deutschland, S. 45, 55. 862  Siehe etwa Minkner, Die Gerichtsverwaltung in Deutschland und Italien, S. 109 ff., in dessen erweiterten organisatorisch-technischen Legitimationsmodell die personale Legitimationskette nicht ersetzbar sei soll. 863  Vgl. Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, S. 234 f. Die Einbettung des Demokratieprinzips in eine materielle Werteordnung betont jedoch Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 165 ff.; die Existenz von „Legitimationsketten“ hält sie jedoch auch für wesentlich, S. 205 ff. Anders jedoch Minkner, Die Gerichtsverwaltung in Deutschland und Italien, S. 120 ff., der die Entscheidungsrichtigkeit in der demokratischen Gleichheit und Freiheit verankert.



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen373

Entscheidungsfindung entwickelt“.864 „Was das ‚gemeine Wohl‘ verlangt, definieren frei die demokratisch legitimierten Organe.“865 Das Gemeinwohl stellt in einer freiheitlichen Demokratie eine nicht feststellbare Größe dar.866 Die inhaltliche Bewertung einer Entscheidung kann somit erst anhand anderer Verfassungsprinzipien, wie dem Rechtsstaatsprinzip oder den Grundrechten, vorgenommen werden. Die Einbeziehung einer gedachten, letztlich fiktiven, Entscheidungsrichtigkeit in das Demokratieprinzip krankt folglich bereits daran, dass dieses keine inhaltlichen Maßstäbe bietet, an denen sich die Qualität des sachlichen Ergebnisses messen lässt.867 Funktionale Sinnhaftigkeit indiziert eben nicht zugleich verfassungsrechtliche Legitimität.868 Demokratische Legitimität unter dem Grundgesetz meint immer noch Herrschaft durch das Volk, nicht für das Volk.869 Dort, wo ein Gesetz lediglich einen Rahmen vorgibt und somit Handlungsspielräume einräumt, sind Verantwortlichkeit bzw. Weisungsabhängigkeit grundsätzlich unerlässlich, um eine sach­ lich-inhaltliche Legitimation sicherzustellen.870 Weisungsfreiheit erscheint außerhalb der kommunalen oder funktionalen Selbstverwaltung nur dort legitim, wo Entscheidungen in strikter Gesetzesgebundenheit zu treffen sind oder durch zwingende, von der Verfassung anerkannte Gründe gerechtfertigt werden können.871 Bloße Expertise und ein effizientes Entscheidungsverfahren können dementsprechend kein ausreichendes Flickmaterial bei einem Riss der Legitimationskette bereitstellen. Diese Annahme würde das traditionelle 864  Böckenförde, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. II, § 24 Rn. 38; zur Ergebnisoffenheit des Demokratieprinzips vgl. auch Classen, Demokratische Legitimation im offenen Rechtsstaat, S. 28 f., 37 ff.; Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, S. 234; Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, S.  278 f. 865  Masing, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, § 7 Rn. 24. 866  Vgl. Waechter, Geminderte demokratische Legitimation staatlicher Institutionen im parlamentarischen Regierungssystem, S. 103 ff., 169; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 590 ff. 867  Vgl. dazu Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, S. 279; Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, S. 234 f.; a. A. jedoch Minkner, Die Gerichtsverwaltung in Deutschland und Italien, S. 128 ff., der den formellen und strukturellen Ausgestaltungen eines Entscheidungsverfahrens durch den Gesetzgeber legitimatorische Wirkung beimisst. 868  Di Fabio, NZS 1998, S. 449, 452; Krüger, Die Organvermittlungstätigkeit Eurotransplants im Sinne des § 12 TPG, S. 293. 869  Zur Differenzierung zwischen Input- und Output-Perspektive vgl. jüngst Mink­ ner, Die Gerichtsverwaltung in Deutschland und Italien, S. 71 ff.; siehe ebenso Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 158 ff. 870  Böckenförde, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. II, § 24 Rn 22. 871  Siehe ebda., § 24 Rn 22, 24; Puhl, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. III, § 48 Rn. 674.

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System der „checks and balances“ der drei Gewalten und damit den in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG niedergeschriebenen und durch Art. 79 Abs. 3 GG abgesicherten „Grundsatz der triadischen Gewaltenteilung“ bedrohen.872 Eine bloße sachverständige Aufgabenerfüllung kann keine demokratische Legitimation vermitteln, denn die legitime Ausübung von Staatsgewalt liegt nach dem Grundgesetz nicht auf einer irgendwie gearteten Expertise der Entscheidungsverantwortlichen, sondern auf ihrer Rückanbindung an das Volk.873 Im Hinblick auf die Bundesärztekammer kommt hinzu, dass die Transplantationsrichtlinien gar nicht von dem für den Fachbereich qualifizierten Gremium, sondern dem, nicht über besondere Expertenkompetenz verfügenden, Vorstand verabschiedet werden.874 Die allgemeine medizinische Erfahrung des Vorstandes ist nützlich, rechtfertigt jedoch mangels spezifischer Sachkunde erst Recht keine Entscheidungskompetenz.875 Ohnehin kann eine erforder­ liche Expertise in einer Demokratie ausschließlich durch das Parlament oder einer auf sie zurückzuführenden Institution bewertet werden. Das elementare Prinzip der Rückbindung der staatlichen Willensbildung an das Volk findet zwischen den Wahlen nur durch Transparenz und Öffentlichkeit der Debatten Berücksichtigung, wie sie zwar das Parlament, aber nicht die Bundesärztekammer liefern kann.876 Daran ändert auch die Beteiligung der relevanten Verkehrskreise an der Entscheidung nichts. Selbst im Bereich der funktionellen Selbstverwaltung, in dem am Erfordernis lückenloser personeller Legitimation der Entscheidungsbefugten nicht strikt festgehalten wird, ist ein Handeln gegenüber Außenstehenden nur zulässig, soweit „Aufgaben und Handlungsbefugnisse der Organe in einem von der Volksvertretung beschlossenen Gesetz ausreichend vorbestimmt sind und ihre Wahrnehmung der Aufsicht personell demokratisch legitimierter Amtswalter unterliegt.“877 Von einer ausreichenden Vorherbestimmung der Entscheidungen der Kommission durch den Gesetzgeber kann jedoch keine Rede sein. Ohnehin läuft der „schillernde Begriff des Pluralismus“878 Gefahr, eine „Gruppen- und Verbändedemokratie“ zu institutionalisieren.879 Diese durch eine pluralistische Be872  Vgl. Vierhaus, NVwZ 1993, S. 36, 41; zum Gewaltenteilungsprinzip auch Puhl, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. III, § 48 Rn. 52 f. 873  Puhl, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. III, § 48 Rn. 44. 874  Kritisch schon Höfling, JZ 2007, S. 481, 484; ders., in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 63, 66; Lang, MedR 2005, S. 269, 274. 875  Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Kern / Wadle / Schroeder u. a. (Hrsg.), FS Laufs, S. 1049, 1067. 876  Vgl. zur Rückbindung der staatlichen Willensbildung an das Volk Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 215. 877  BVerfGE 107, 59, 94 m. w. N.; siehe dazu auch Puhl, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. III, § 48 Rn. 44. 878  Vierhaus, NVwZ 1993, S. 36, 40.



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teiligung hergeleitete Legitimation bringt fast zwangsläufig die Exklusion derjenigen mit sich, die sich mit den fachlichen Anforderungen eines Expertendiskurses überfordert sehen, was im Bereich der Organtransplantation besonders bei Patienten- und Angehörigenvertretern denkbar erscheint. Eine Demokratie der Fachelite ist jedoch – als Türöffner zur Technokratie oder „Sachverständigendemokratie“880 – mit der demokratischen Gleichheit unvereinbar.881 Ebenso sind die angeführte Akzeptanz der bei der Richtlinienerstellung beteiligten Verkehrskreise sowie die tatsächliche Übung der Regelungen als Legitimationselemente im Rahmen des formalen Demokratiebegriffs des Grundgesetzes unbrauchbar.882 Staatliche Herrschaft gründet auf dem im hypothetischen Gesellschaftsvertrag gefundenen Konsens, nicht auf einer tatsächlichen Anerkennung.883 Hinzu kommt, dass die Akzeptanz von Entscheidungsträgern oder Entscheidungen erst im Nachhinein messbar ist, während die demokratische Legitimation der Ausübung von Hoheitsgewalt jedoch ex ante feststehen muss.884 Aller Bemühungen zum Trotz kann die Richtlinientätigkeit der Bundesärztekammer in ihrer heutigen Ausgestaltung gegenüber dem Demokratieprinzip nicht wirksam verteidigt werden. Gesetzgeberische Nachbesserung ist dringend geboten.885 dd) Die Verletzung des Parlamentsvorbehalts Richtschnur bei der Gestaltung eines formellen Gesetzes ist der Parlamentsvorbehalt mit seinem Wesentlichkeitsgedanken, der im Rechtsstaatsund Demokratieprinzip verankert wird.886 Danach hat der demokratisch un879  Kritisch insoweit auch Kloepfer, JZ 1991, S. 737, 740; vgl. auch Möllers, Gewaltengliederung, S.  240 f. 880  Vierhaus, ZRP1991, S. 468, 470. 881  Vgl. zur Kritik Petersen, JöR 58 (2010), S. 137, 166 f. 882  Wie hier Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, S.  227 ff.; Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), S. 329, 370 f.; anders Petersen, JöR 58 (2010), S. 137, 142 f.; Trute, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, § 6 Rn. 53. 883  Vgl. Böckenförde, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. II, § 24 Rn. 53; Hillgruber, AöR 127 (2002), S. 460, 463. 884  Siehe dazu Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, S. 229 f.; a. A. aber Tschentscher, Demokratische Legitimation der dritten Gewalt, S. 127, der eine Legitimation auch ex post zulässt. 885  Näher zu einem alternativen Regelungsvorschlag siehe im rechtspolitischen Teil der Arbeit S. 542 ff. 886  Schmidt-Aßmann, in: Kern / Wadle / Schroeder u. a. (Hrsg.), FS Laufs, S. 1049, 1050; siehe zum Parlamentsvorbehalt und Wesentlichkeitsgrundsatz auch Huster / Rux, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.) GG-Kommentar, Art. 20 Rn. 105 ff.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

mittelbar legitimierte Gesetzgeber all diejenigen Entscheidungen selbst zu treffen, die für die Grundrechtsverwirklichung wesentlich sind, wobei sich die erforderliche Regelungsdichte an der grundrechtlichen Relevanz des Sachverhalts bemisst (Wesentlichkeitsgrundsatz).887 Im konkreten Einzelfall herrschen Schwierigkeiten bei der genauen Bestimmung des „Wesentlichen“, die eine genaue Analyse des betroffenen Sachbereichs und Regelungsgegenstandes erforderlich machen.888 Bei der Zuteilung von Lebenschancen handelt es sich jedoch unbestreitbar um eine Frage von „dramatischer Grundrechtsrelevanz“.889 Priorisierungen, also Zuteilungen knapper Ressourcen in der Gesundheitsversorgung, sind vom Gesetzgeber im Hinblick auf ihre Ziele, Kriterien und Verfahren selbst zu treffen.890 In diesem Fall muss das Parlament der ausführenden Gewalt präzise Vorgaben an die Hand geben, um eine hinreichende Steuerung des Auftrags zu gewährleisten. Insofern korreliert hier die Wesentlichkeitslehre mit der sachlich-inhaltlichen Legitimation891 und diese mit dem Gebot der Normenbestimmtheit.892 Schon in seinem Numerus-Clausus-Urteil hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass der Gesetzgeber bei der Verteilung knapper Ressourcen (hier: Studienplätze), auch im Fall der Delegation seiner Entscheidungsbefugnis, zumindest die Art der anzuwendenden Auswahlkriterien sowie deren Rangverhältnis untereinander selbst bestimmen, und damit die grundlegenden Entscheidungen selbst verantworten müsse.893 Die Grundlagenentscheidungen der Rechtsgüterabwägung sind damit von ihm selbst vorzunehmen.894 Gilt dieser Maßstab schon bei der Zuteilung von „Berufschancen“, muss er erst recht im Fall der Entscheidung über Lebenschancen Geltung erlangen.895 887  Vgl. BVerfGE 34, 165, 192 f.; 47, 46, 78 f.; 49, 89, 126; 57, 295, 327; 83, 130, 142; 84, 212, 226; 98, 218, 251; 101, 1, 34; 108, 282, 312; mit Bezug zum Gesundheitsrecht siehe Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 57. 888  Vgl. BVerfGE 98, 218, 251; siehe auch Woinikow, Richtlinien der Transplantationsmedizin, S. 281. 889  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 190; so auch Lang, MedR 2005, S. 269, 275; Parzeller / Henze, ZRP 2006, S. 176, 179. 890  Welti, MedR 2010, S. 379, 384. 891  Engels, WzS 2013, S. 199, 203; Schmidt-Aßmann, in: Kern / Wadle / Schroeder u. a. (Hrsg.), FS Laufs, S. 1049, 1054. 892  Vgl. dazu Ammann, Medizinethik und medizinethische Expertengremien im Licht des öffentlichen Rechts, insbes. S. 366; sowie auch Schmidt-Aßmann, in: Kern / Wadle / Schroeder u. a. (Hrsg.), FS Laufs, S. 1049, 1054. 893  BVerfGE 33, 303, 345 f. 894  Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, S. 465. 895  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 190; Gutmann / Fateh-Moghadam, NJW 2002, S. 3365 f.; dies., in: Gutmann / Schneewind / Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen gerechter Organverteilung, S. 37, 39 f., Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG,



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Aus diesem Grund hätte der Gesetzgeber die Auswahlkriterien für die Aufnahme auf die Warteliste und nachfolgende Organallokation sowie das Rangverhältnis der Kriterien selbst vorgeben müssen.896 Tatsächlich bestimmt das Transplantationsgesetz die Notwendigkeit einer Transplantation (§ 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG) bzw. deren Dringlichkeit (§ 12 Abs. 3 S. 1 TPG) sowie die Erfolgsaussicht des Eingriffs zu den Leitlinien der Aufnahme- und Allokationsentscheidung.897 Beispielhaft werden diese Faktoren in der Gesetzesbegründung durch das Aufführen von wenigen Einzelkriterien konkretisiert, ohne dass ein abschließender Katalog festgelegt oder die Gewichtung der Kriterien festgestellt würde.898 Durch die Wendung „insbesondere“ legt sich der Gesetzgeber noch nicht einmal auf die Prinzipien Notwendigkeit / Dringlichkeit und Erfolgsaussicht fest, sondern lässt Raum für die Einbeziehung weiterer Umstände der medizinischen Wissenschaft.899 Von einer umfassenden Bestimmung der relevanten Auswahlkriterien kann folglich nicht gesprochen werden. Der Gesetzgeber beschränkt sich vielmehr auf eine simplizisti§ 16 Rn. 24; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S.  186 f.; Lang, MedR 2005, S. 269, 275; Parzeller / Henze, ZRP 1996, S. 176, 179. Eine Vergleichbarkeit mit dem Urteil des BVerfG verneint jedoch Woinikow, Richtlinien der Transplantationsmedizin, S. 349, die aufgrund des weiten Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers bei der Beachtung von Schutzpflichten die Festschreibung der Kriterien Dringlichkeit und Erfolgsaussicht für ausreichend hält; ebenso halten Middel / Scholz, in: Spickhoff (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 4 eine weitergehende Vorprägung durch den Gesetzgeber für nicht zielführend. 896  Vgl. Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 23; ders., in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin, S. 113, 116; Engels, DV 44 (2011), S. 346, 367; Höfling, JZ 2007, S. 481, 482; Krüger, Die Vermittlungstätigkeit Eurotransplants im Sinne des § 12 TPG, S. 309; Lang, MedR 2005, S. 269, 279; Molnár-Gábor, in: Vöneky / Beylage-Haarmann / Höfelmeier u. a. (Hrsg.), Ethik und Recht, S. 325, 342 ff.; anders aber Woinikow, Richtlinien der Transplanta­ tionsmedizin, S.  346 ff. 897  Näher zur Würdigung der praktizierten Organallokation in Deutschland siehe S.  423 ff. 898  Vgl. BT-Drs. 13 / 4355, S. 26, wo festgehalten wird, dass sich bei der Allokation die Dringlichkeit in erster Linie am Gesundheitszustand des Patienten im Hinblick auf seine Überlebenschancen bemessen soll, während für die Erfolgsaussicht vor allem die Blutgruppe, insbesondere bei Nierentransplantationen der HLA-Status, bei anderen Organen, insbesondere Herz und Leber, die Größe und das Gewicht des Organs maßgeblich sein sollen. Daneben sind, in angemessener Gewichtung, aber noch weitere Umstände mit einzubeziehen, die nach medizinischer Beurteilung Einfluss auf Dringlichkeit und Erfolg einer Transplantation haben. Angeführt wird sodann als Beispiel die Wartezeit eines Patienten. Welche weiteren Kriterien in Frage kommen, was unter „angemessener Gewichtung“ zu verstehen ist und wie eine Abwägungsentscheidung im Konfliktfall zu treffen ist, wird nicht konkretisiert. 899  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 191; Gutmann / Fateh-Moghadam, NJW 2002, S. 3365, 3367; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 199; Taupitz, NJW 2003, S. 1145, 1149.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

sche Reduktion des schwerwiegenden Allokationsproblems. Genauso wenig äußert er sich zum Rangverhältnis der von ihm aufgestellten Kriterien. Eine solche Festlegung wäre aber vor allem bei den sich strukturell widersprechenden Prinzipien Erfolgsaussicht und Dringlichkeit notwendig gewesen.900 Ein umfassendes Entscheidungsprogramm kann dem Gesetz dementsprechend nicht entnommen werden.901 Insofern kommt der Bundesärztekammer bei der Erstellung der Richtlinien ein enormer Beurteilungsspielraum zu. Sie hat grundsätzliche Wertentscheidungen zu treffen und kann dabei den Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft zwar nicht korrigieren, allerdings aus diesem „Gesamtvorrat“ sehr wohl in gewissem Umfang selektieren.902 Diese Konsequenz war bei der Übertragung der Richtlinienkompetenz nicht zwingend. Trotz der unbestreitbaren Volatilität medizinischer Erkenntnisse wäre eine detailliertere Regelung durchaus realisierbar gewesen.903 An Möglichkeiten, sich sachkundigen Rates zu bedienen, etwa durch Anhörungen, Enquêtekommissionen oder Gutachten, mangelt es dem Parlament nicht.904 Die Wesentlichkeitslehre statuiert keinen „Gewaltenmonismus in Form eines umfassenden Parlamentsvorbehalts“905. Unter den Voraussetzungen von „geringe(r) Erfahrung, wissenschaftliche(n) Schwarzflecken bzw. Unsicherheiten und schnellem Erkenntnisfortschritt (dynamische Sachverhalte)“906, kann der effektive Grundrechtsschutz eine Übertragung ergänzender, detail900  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 191; Dannecker / Streng, JZ 2012, S. 444, 445; Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 23; ders., in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin, S. 113, 116; Gutmann / Fateh-Moghadam, NJW 2002, S. 3365, 3368; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 170; Krüger, Die Organvermittlungs­ tätigkeit Eurotransplants im Sinne des § 12 TPG, S. 309; Lang, MedR 2005, S. 269, 277 f.; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 198 f. 901  Anders aber Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 167 ff., dagegen jedoch schon Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 192. Siehe weiter zur mangelnden gesetzlichen Vorsteuerung auch deren Einfluss auf die Entscheidung Eurotransplants S. 403 ff. 902  Taupitz, NJW 2003, S. 1145, 1149; ders., ZEFQ 104 (2010), S. 400, 403. 903  In eine andere Richtung aber Holznagel, DVBl 1997, S. 393, 399 f.; Lilie, in: Middel / Pühler / Lilie (Hrsg.) Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 41, 47; Mohammadi-Kangarani, Die Richtlinien der Organverteilung im Transplantationsgesetz, S.  112 ff.; Rosenau, in: Middel / Pühler / Lilie (Hrsg.) Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 69, 78 ff.; Schreiber, in: Böse / Sternberg-Lieben (Hrsg.) FS Amelung, S. 487, 493, die vor allem Praktikabilitätserwägungen anstellen. 904  Schmidt-Aßmann, in: Kern / Wadle / Schroeder u. a. (Hrsg.), FS Laufs, S. 1049, 1052. 905  Siehe BVerfGE 68, 1, 86 f.; 98, 218, 252. 906  So Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 187.



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lierter Entscheidungsbefugnisse durch den Gesetzgeber sogar notwendig machen.907 Das bedeutet für die Transplantationsmedizin jedoch lediglich, dass das Parlament die Auswahlentscheidung nicht bis ins letzte Detail zu bestimmen hat; von einer hinreichenden Vorgabe der Auswahlkriterien und ihres Rangverhältnisses ist der Gesetzgeber nicht befreit. Bei dieser Entscheidung steht nicht – im Gegensatz zu den typischen Entscheidungen im Umwelt- und Technikrecht – der effektive Grundrechtsschutz aller Betroffenen im Vordergrund, sondern es gilt, normative Entscheidungen darüber zu treffen, wessen Grundrechte im Vergleich zu anderen Patienten schutzwürdiger sind.908 Die Lösung dieser Grundrechtskollisionen obliegt dem Gesetzgeber.909 Auch die Intention, die Organverteilung in ein System der „regulierten Selbstregulierung“ einzubetten, führt nicht dazu, den Wesentlichkeitsgrundsatz einschränken zu können. Schon in seiner Facharzt-Entscheidung hielt das Bundesverfassungsgericht fest, dass „Regelungen, die […] schutzwürdige Interessen von Nichtmitgliedern […] berühren, insofern also den Kreis ‚eigener Angelegenheiten‘ überschreiten, vom Gesetzgeber selbst getroffen werden müssen; allenfalls Einzelfragen fachlich-technischen Charakters könnten in dem vom Gesetzgeber gezogenen Rahmen auch durch Satzungsrecht eines Berufsverbandes geregelt werden.“910 Die gesetzlich entschiedene Einbindung eines Fachgremiums kann an dieser Wertung nichts ändern.911 Dementsprechend mag es die Aufgabe der Bundesärztekammer sein, die Maßstäbe für die Dringlichkeitsbestimmung bei Patienten zu bestimmen, soweit der Begriff normativ mit Sinn gefüllt wurde, die Gewichtung der Dringlichkeit muss jedoch der Gesetzgeber vorgeben. Gleiches gilt für die Erfolgsaussicht; wurde ein Konsens darüber erzielt, was unter dem Erfolg 907  Das BVerfGE 49, 89, 139 ff. sah in seinem Kalkar-Beschluss in der Errichtung eines Kernkraftwerks einen dynamischen Sachverhalt, der nur durch eine „laufende Anpassung der für eine Risikobeurteilung maßgeblichen Umstände dem Grundsatz einer bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge“ bewältigt werden könne. Schon die Dynamik des Grundrechtsschutzes im Transplantationswesen jedoch in Zweifel ziehend Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 200 f.; anders aber Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S.  187 f. 908  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 193 f.; Gutmann / Fateh-Moghadam, NJW 2002, S. 3365, 3367. 909  Mohammadi-Kangarani, Die Richtlinien der Organverteilung im Transplantationsgesetz, S. 132, der im Ergebnis jedoch keinen Verstoß gegen den Parlamentsvorbehalt annimmt, S. 139. 910  BVerfGE 33, 125, 160; dies betonen für die Organallokation auch Gutmann / Fateh-Moghadam, NJW 2002, S. 3365, 3367. 911  So aber Rosenau, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 69, 80; dagegen jedoch Gutmann / Fateh-Moghadam, in: Gutmann / Schneewind / Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen gerechter Organverteilung, S. 37, 48 ff.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

einer Transplantation zu verstehen ist, kann die medizinische Wissenschaft Prognosen über die Aussichten abgeben.912 Nach alledem wurde aufgezeigt, dass eine Einbindung von Fachgremien zur Gewährleistung flexibler Regelungen durchaus möglich ist, solange die Grenzen des Wesentlichkeitsgrundsatzes eingehalten werden. Reine Praktikabilitätserwägungen können die verfassungsrechtlichen Anforderungen im Bereich der Transplantationsmedizin nicht schmälern. Die Richtlinienkompetenz der Bundesärztekammer verstößt in ihrem jetzigen Ausmaß demgemäß gegen den Parlamentsvorbehalt.913 ee) Ergebnis Die Richtlinientätigkeit der Bundesärztekammer wird den verfassungsrechtlichen Grundsätzen nicht gerecht. Die Defizite beginnen mit der Ausstattung eines privatrechtlich organisierten Vereins mit Normkompetenzen direkt durch das Transplantationsgesetz, ohne den Weg einer zulässigen Subdelegation gemäß Art. 80 Abs. 1 GG zu beschreiten. Sie vertiefen sich dadurch, dass weder eine ausreichende demokratische Legitimation noch der Parlamentsvorbehalt beachtet wurden. Der Gesetzgeber ist seinen, aus dem Grundrechtsvolumen resultierenden, Verpflichtungen der Entscheidungsorganisation nach alledem nicht gerecht geworden. Es besteht dringlicher Reformbedarf.

912  Vgl. Bader, Organmangel und Organverteilung, S.  194; vgl. auch Gutmann / Fateh-Moghadam, NJW 2002, S. 3365, 3367; Woinikow, Richtlinien der Transplantationsmedizin, S. 340. 913  So auch Augsberg, in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin in Deutschland, S. 45, 53; Deutsch / Spickhoff, Medizinrecht, S. 839; Engels, WzS 2013, S. 199, 203 f.; Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 6; Gutmann / Fateh-Moghadam, NJW 2002, S. 3365, 3367; Höfling, JZ 2007, S.  481, 484 f.; ders., in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 23 ff.; Lang, MedR 2005, S.  269, 275 ff.; Neft, NZS 2010, S. 16, 18; ders., MedR 2013, S. 82, 87; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S.  200 f.; Sickor, GesR 2014, S. 204, 206 f.; Uhl, Richtlinien der Bundesärztekammer, S. 329 ff. für die Richtlinien nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5.; a. A. aber Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 186  ff.; MohammadiKangarani, Die Richtlinien der Organverteilung im Transplantationsgesetz, S. 112 ff.; Resch, Die empfängergerichtete Organspende, S. 44 ff.; Rosenau, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 69, 78 ff.; Woinikow, Richtlinien der Transplantationsmedizin, S. 279 ff. Speziell in Bezug auf die Richtlinien zur Organallokation siehe zum verfassungsrechtlichen Disput S. 346 ff.



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen381

d) Die Schlüsselrolle der Entnahmekrankenhäuser Im Zuge der Gesetzesnovelle im Jahre 2012 haben die Regelungen in Bezug auf die (jetzt Entnahme-)Krankenhäuser einige Veränderung erfahren. In § 9a TPG wurde ein eigener Paragraf für die Anforderungen an die Kliniken geschaffen.914 Die zentrale Verankerung ihrer Verpflichtungen soll nach dem Willen des Gesetzgebers ihre Verantwortung und aktive Mitwirkungspflicht im Rahmen der Organspende unterstreichen.915 Ihre Schlüsselstellung wird folglich nun endlich im Transplantationsgesetz deutlich hervorgehoben. In der Vergangenheit wurde regelmäßig moniert, dass die Organtransplantation zwar als gemeinschaftliche Aufgabe der Transplantationszentren und Krankenhäuser beschrieben wurde (§ 11 Abs. 1 S. 1 TPG), es jedoch gerade an der ausdrücklichen Aufgabenzuweisung an die Spenderkrankenhäuser fehle.916 Führt diese Normierungsabstinenz zu einer unzureichenden Mitarbeit der Krankenhäuser bei der Organspende, werden Bedenken bezüglich der Schutzpflicht des Staates in Bezug auf das Recht auf Leben und die körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG geweckt. Der neue § 9a Abs. 2 Nr. 1–4 TPG legt nun die Hauptaufgaben der Entnahmekrankenhäuser fest. Zu ihren Pflichten gehört die Beachtung der Verfahrensanweisungen der Koordinierungsstelle, die eine Feinsteuerung der Aufgabenwahrnehmung übernehmen und insofern zur Verantwortungsklarheit beisteuern sollen.917 Eine Verbesserung der Organisationsabläufe ist auch durch die nun in § 9b TPG eingeführte verpflichtende Bestellung von Transplantationsbeauftragten in den Entnahmekrankenhäusern zu erwarten. Nach dessen Abs. 2 Nr. 3 hat der Transplantationsbeauftragte Zuständigkeiten und Handlungsabläufe vor Ort zu verantworten. In die Obhut landesrechtlicher Regelungen wurden die Bestimmungen über die erforderliche Qualifikation, die organisatorische Stellung des Transplantationsbeauftragten und die Ausgestaltung von deren Freistellung gelegt 914  Die Einfügung erfolgte aufgrund einer Umsetzung von Art. 5, 6 und 12 der RL 2010 / 53 / EU, BT-Drs. 17 / 7376, S. 19. Zur Einbindung der Entnahmekrankenhäuser in den Organspendeprozess siehe bereits S. 105 ff. 915  BT-Drs. 17 / 7376, S. 14. 916  Eingehend zur kritischen Betrachtung der „gemeinschaftlichen Aufgabe“ Rosenberg, Die postmortale Organtransplantation, S. 71 ff.; siehe auch ders., GesR 2009, S. 73, 74 f. Als rechtspolitische Innovation forderte er jedoch nicht die Schaffung von Verfahrensanweisungen durch die Koordinierungsstelle, sondern vor allem detaillierte Vorgaben durch die Richtlinien der BÄK, siehe Rosenberg, Die postmortale Organtransplantation, S. 171 ff.; vgl. auch Neft, in: Charbonnier / Laube (Hrsg.), Organ- und Gewebetransplantation, S. 83, 86. 917  Jedoch bestehen auch im Hinblick auf die Verfahrensanweisungen der Koordinierungsstelle verfassungsrechtliche Bedenken; siehe dazu S. 392 ff.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

(§ 9b Abs. 3 S. 1 TPG). Den Bundesländern obliegt die Kompetenz für die Krankenhausplanung und Krankenhausorganisation. Da die Bestellung von Transplantationsbeauftragten aber der Gewährleistung von Qualität und Sicherheit bei der Übertragung von Organen dient, war der Bund über Art. 74 Abs. 1 Nr. 26, Art. 72 Abs. 2 GG befugt, die verpflichtende Einführung der Transplantationsbeauftragten anzuordnen.918 Der Transplantationsbeauftragte soll insbesondere dazu beitragen, die Einhaltung der Meldepflicht der Krankenhäuser gemäß § 9a Abs. 2 Nr. 1 TPG in den organisatorischen Abläufen sicherzustellen. Diese Verpflichtung ist noch immer als lex imperfecta ausgestaltet, da ihre Verletzung mit keiner Sanktion bedroht ist. Werden potentielle Organspender der Koordinierungsstelle nicht angezeigt, hat dies massive Auswirkungen auf die Bewahrung von Leib und Leben der Wartelistenkandidaten. Um einen bestmöglichen Grundrechtsschutz der Patienten mit vorhandenen Ressourcen zu gewährleisten, ist organisatorischen Mängeln beizukommen. Die Etablierung von Transplantationsbeauftragten erweist sich als signifikanter Schritt in Richtung einer Profes­ sionalisierung der Organspende in den Krankenhäusern, die einen Grundpfeiler für den Grundrechtsschutz der Wartelistenpatienten darstellt. Die Frage, ob darüber hinaus weitere Maßnahmen zur Motivation oder Disziplinierung der Entnahmekrankenhäuser ergriffen werden sollten, zeigt sich zuvörderst im rechtspolitischen Gewand.919 Von einer verfassungsrechtlich zwingenden Notwendigkeit kann aufgrund des weiten Entscheidungsspielraums des Gesetzgebers erst gesprochen werden, wenn sich der Einsatz von Transplanta­ tionsbeauftragten in Zukunft als völlig unzureichend erweisen würde, eine adäquate Organisation in den Kliniken zu gewährleisten. e) Die hoheitliche Aufgabe der Transplantationszentren Während die Entnahmekrankenhäuser die Tür für eine erfolgreiche Organentnahme bei den Spendern öffnen, ebnen die Transplantationszentren den Weg für die Transplantation bei den Wartelistenpatienten.920 Für die verfassungsrechtliche Betrachtung von Bedeutung sind vor allem der Charakter ihrer wartelisterelevanten Entscheidungen (aa)), die Steuerung ihrer Entscheidungsprozesse (bb)) sowie die verfahrensrechtlichen Absicherungen der Auswahlentscheidungen (cc)) und Kontrollintensivierungen (dd)) nach den Manipulationsskandalen. zur Kompetenzabgrenzung siehe Neft, MedR 2013, S. 82, 85. Ausschöpfung der Gestaltungsmöglichkeiten vgl. im rechtspolitischen Teil

918  Näher 919  Zur

S.  544 ff. 920  Zur Einbindung der Transplantationszentren in den Transplantationsprozess siehe bereits S. 109 ff.



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen383

aa) Ausübung öffentlicher Gewalt durch die Transplantationszentren Die Entscheidungen der Transplantationszentren über die Aufnahme in die Warteliste, deren Ablehnung und die Herausnahme aus der Listung (§ 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 TPG) bestimmen über Leben und Gesundheit schwerkranker Menschen. Dies gilt ebenso für ihre Dringlichkeitseinstufung sowie die Klassifizierung eines Patienten als nicht transplantabel. Es liegt nahe, diese Entscheidungshoheit – gerade auch unter Heranziehung des Vergleichs mit einer Studienplatzvergabe – als typischen Akt verteilender Verwaltung anzusehen. Die Gesetzesbegründung klassifiziert die Entscheidungen in Bezug auf die Warteliste jedoch als Bestandteil des Krankenhausvertrags.921 Daher sei für die Einordnung der Rechtsbeziehungen zwischen Klinik und Patient insgesamt zwischen privat und gesetzlich Krankenversicherten sowie Krankenhäusern in privater und öffentlich-rechtlicher Trägerschaft zu unterscheiden. Gegen diese Bewertung lassen sich jedoch gewichtige Gründe vorbringen. Die rechtliche Einordnung der verteilungsrelevanten Entscheidungen richtet sich nach dem Transplantationsgesetz als deren rechtlicher Rahmen, sodass es auf die Rechtsnatur der durch diese Normen bestimmten Rechtsverhältnisse und nicht auf die Rechtsnatur des Behandlungsvertrags ankommt.922 Dem Gesetz ist die Zuordnung der Wartelistenentscheidungen zum Behandlungsvertrag nicht zu entnehmen. Vielmehr unterscheidet es sprachlich zwischen der Annahme als Patienten zur Organübertragung und der Aufnahme in die Warteliste. Durch ersteres kommt es zum Abschluss eines Behandlungsvertrags, aber erst durch die Aufnahme in die Warteliste erhält der Patient die Chance auf eine Organzuteilung.923 Zwar ist die Annahme eines Patienten zur Transplantation untrennbar mit dessen Wartelisteeintragung verbunden;924 jedoch zeigen die zahlreichen, den Behandlungsvertrag nicht berührenden, wartelisterelevanten Folgeentscheidungen (wie die Einstufung als nicht transplantabel), dass ihnen eigenständige Bedeutung zukommt. Eine Klassifizierung der Wartelisteentscheidungen als Annex des Realvorgangs „Behandlung“ würde ihrer Grundrechtsrelevanz keinesfalls gerecht.925 Ebenso wie die Vermittlungsentscheidung sind die Entscheidungen in Bezug auf die Warteliste keine 921  BT-Drs.  13 / 4355, S. 22; so auch Nickel / Schmidt-Preisigke / Sengler, TPG, § 10 Rn. 9; Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 101. 922  So auch schon Clement, Der Rechtsschutz potentieller Organempfänger nach dem Transplantationsgesetz, S. 103. 923  In dieser Form bereits differenzierend Clement, Der Rechtsschutz potentieller Organempfänger nach dem Transplantationsgesetz, S. 25. 924  Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 168. 925  So aber Schmidt-Aßmann, in: Kern / Wadle / Schroeder u. a. (Hrsg.), FS Laufs, S. 1049, 1062.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

rein medizinischen Behandlungs-, sondern Auswahlentscheidungen.926 Die Entschließung über die Aufnahme, den Rang und die Herausnahme aus der Warteliste wird nicht ausschließlich von medizinischen Kriterien bestimmt, sondern ist normativ geprägt.927 Den Transplantationszentren wird ein nicht geringer Wertungsspielraum eröffnet.928 Sie entscheiden beispielsweise welchen exakten Maßstab sie für den Erfolg einer Transplantation ansetzen (z. B. das vermutete postoperative Überleben oder das Dreimonats- oder Einjahres­ überleben).929 Diese grundrechtsintensive Selektion muss als Ausübung öffentlicher Gewalt eingeordnet werden. Transplantationsmedizinische Auswahlentscheidungen sind „Bestandteile einer Mängelverwaltung“.930 Insofern unterscheidet sich die Handlungsmacht der Transplantationszentren nicht von der konkreten Zuteilung eines Organs durch die Vermittlungsstelle. Ohne die Vorauswahl des Transplantationszentrums würde es zu einer Vermittlungsentscheidung erst gar nicht kommen. Werden die Entscheidungen Eurotransplants aufgrund des Vermittlungsmonopols der Stiftung einhellig als (quasi) Ausübung öffentlicher Gewalt eingestuft,931 muss dies auch für die Bewertung des „Zugangsmonopols“ der Transplantationszentren gelten. Es ist außerdem nicht einzusehen, dass die Vergabe von Studienplätzen als Tätigkeit der verteilenden Verwaltung gesehen wird, eine Zuteilung von Lebenschancen – im wahrsten Sinne des Wortes – jedoch nicht. Ein Abstellen auf den Behandlungsvertrag würde zusätzlich zu unerwünschten Rechtswegaufspaltungen führen, ohne dass eine unterschiedliche Behandlung der verteilungsrelevanten Entscheidungen angezeigt wäre.932 Folglich üben die Transplanta­ tionszentren 926  Krüger, Die Organvermittlungstätigkeit Eurotransplants im Sinne des § 12 TPG, S.  82 f. 927  Lang, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 10 Rn. 16 f.; Dannecker / Streng / Ganten u. a., Jahresbericht 2011 / 2012 Marsilius-Kolleg, S. 44. 928  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 139 f.; kritisch zu den Entscheidungs- und Ermessensspielräumen schon die Deutsche Stiftung Patientenschutz, Pa­ tientenschutz-Info-Dienst vom 24.06.2013, S. 10, 12 f.; zur Funktion der Ärzte in den Transplantationszentren als Gatekeeper siehe Dannecker / Streng / Ganten u. a., Jahresbericht 2011 / 2012 Marsilius-Kolleg, S. 43 f. 929  Dannecker / Streng / Ganten u. a., Jahresbericht 2011 / 2012 Marsilius-Kolleg, S. 44. Zur verfassungsrechtlichen Bewertung des Kriteriums der Erfolgsaussicht siehe S.  433 ff. 930  So schon das VG München, NJW 2014, S. 3467, Rn. 29. 931  Zur Vermittlungsentscheidung durch Eurotransplant siehe S.  400  ff.; Probleme bei der Einordnung der Vermittlungsentscheidung als Ausübung öffentlicher Gewalt ergeben sich aus der Tatsache, dass es sich bei Eurotransplant um eine ausländische Stiftung handelt. 932  Kritisch daher bereits Clement, Der Rechtsschutz potentieller Organempfänger nach dem Transplantationsgesetz, S. 41 f., 103; im Ergebnis auch für eine öffentlichrechtliche Qualifizierung der verteilungsrelevanten Entscheidungen Lilie, in: Ahrens /  von Bar / Fischer u. a. (Hrsg.), FS Deutsch 70. Geburtstag, S. 643, 663.



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen385

durch ihre wartelisterelevanten Entscheidungen hoheitliche Gewalt aus.933 Sie sind als Verwaltungsakte zu qualifizieren.934 Im Fall von privatrechtlich ausgestalteten Kliniken ist von einer Beleihung durch das Transplantationsgesetz auszugehen.935 bb) Nachbesserungsbedarf bei der Steuerung der Wartelistenentscheidungen Dort, wo die individuelle Grundrechtsverwirklichung von der Ausübung staatlicher Gewalt in Form einer Auswahl- und Verteilungsentscheidung abhängt, besteht für die Betroffenen ein Anspruch auf sachgerechte Teilhabe an der staatlichen Leistung auf Grundlage normativer Vorgaben.936 Im Transplantationsrecht findet sich eine diesbezügliche Konkretisierung für die wartelisterelevanten Entscheidungen in § 10 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2 TPG. Diese bedürfen ausreichender demokratischer Legitimation. Eine zentrale Stellung nimmt dabei auf sachlich-inhaltlicher Ebene die gesetzliche Vorsteuerung der hoheitlichen Handlungen ein. Allerdings erweisen sich die gesetzlichen Vorgaben als in hohem Maße ausfüllungsbedürftig. Gemäß § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG ist die Aufnahme in die Warteliste nach Regeln zu entscheiden, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, insbesondere nach Notwendigkeit und Erfolgsaussicht einer Organübertragung. Erst durch die Richtlinien der Bundesärztekammer nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG kommt es zu einer konkreten Ausgestaltung der wartelisterelevanten Entscheidungen.937 Diese enthalten jedoch zahlreiche salvatorische Klauseln, sodass am Ende der Entscheidungskette noch ein nicht zu unterschätzender Entscheidungs- und Ermessensspielraum bei den Transplanta­

933  In diesem Sinne auch Augsberg, GesR 2009, S. 78; Clement, Der Rechtsschutz potentieller Organempfänger nach dem Transplantationsgesetz, S. 143 f. 934  Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S. 130; Gutmann, in: Schroth /  König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 10 Rn. 14; a. A. Schmidt-Aßmann, in: Kern /  Wadle / Schroeder u. a. (Hrsg.), FS Laufs, S. 1049, 1062. 935  Für eine Beleihung auch Clement, Der Rechtsschutz potentieller Organempfänger nach dem Transplantationsgesetz, S. 145 f.; Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 10 Rn. 14; Schneider, Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Organallokation, S. 98; dagegen jedoch Lang, in: Höfling (Hrsg.), TPG, Einf. IV. Rn. 17; Schmidt-Aßmann, in: Kern / Wadle / Schroeder u. a. (Hrsg.), FS Laufs, S. 1049, 1062. 936  Clement, Der Rechtsschutz potentieller Organempfänger nach dem Transplantationsgesetz, S. 127; zum derivativen Teilhabeanspruch siehe auch Dreier, in: ders. (Hrsg.) GG-Kommentar, Vor. Art. 1 Abs. 1 Rn. 93; Osterloh / Nußberger, in: Sachs (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 3 Rn. 53. 937  Ausführlich zur Richtlinienerstellung durch die BÄK siehe S. 351 ff.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

tionszentren verbleibt.938 Ihre Entscheidungen sollen aufgrund einer individuellen Würdigung des seelischen und körperlichen Gesamtzustands des Patienten erfolgen.939 Dieser Umstand lässt den Ärzten vor Ort zwar Raum für sinnvolle Einzelfallentscheidungen, öffnet jedoch auch Tür und Tor für subjektive Wertungen. Entgegen der gesetzlichen Formulierung sind es insbesondere normative und nicht bloß medizinische Kriterien, die die Aufnahme oder den Verbleib auf der Warteliste beeinflussen.940 Sie versetzen die Transplantationszentren in die Lage, Entscheidungen über Lebenschancen in einer Tragweite zu treffen, die ihnen nicht zukommen darf.941 Wesentliche Wertentscheidungen werden ohne ausreichende Vorzeichnung durch den ­Gesetzgeber delegiert, was weder einer ausreichenden inhaltlichen demokratischen Vorsteuerung noch dem Wesentlichkeitsgrundsatz entspricht. Eine adäquate demokratische Legitimation der Entscheidungen ist folglich noch nicht gewährleistet. cc) Verfahrensrechtliche Absicherung der Auswahlentscheidungen Die subjektiv konnotierten Auswahlentscheidungen der Transplantationszentren machen nicht nur eine ausreichende gesetzliche Vorsteuerung, sondern zudem verfahrensrechtliche Absicherungen notwendig.942 Vorgaben in Bezug auf die Organisation der Entscheidungsfindung, weitreichende Begründungs- und Dokumentationspflichten, umfassende Patientenaufklärung sowie die Gewährung von Rechtsschutz sind zum Grundrechtsschutz der Betroffenen unabdingbar.943 Nach den im Sommer 2012 bekannt gewordenen Manipulationsskandalen sollte vor allem die Transparenz der wartelisterelevanten Entscheidungen gestärkt werden. Diese werden nun nach den Richtlinien der Bundesärztekammer von einer Transplantationskonferenz getroffen, in der neben zwei Vertretern der „beteiligten operativen und konservativen Disziplinen“ auch eine „medizinische Disziplin vertreten sein (muss), die nicht unmittelbar in 938  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 139 f.; Lang, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 10 Rn. 16 f.; 35 ff., beide insbesondere zum auslegungsbedürftigen Merkmal der Compliance; ebenso Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 173. 939  Vgl. die Richtlinien zur Wartelistenführung und Organvermittlung. 940  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 139; Lang, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 10 Rn. 17, 29 ff. 941  Patientenschutz-Info-Dienst vom 24.06.2013, S. 10. 942  Lang, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 10 Rn. 31; Schmidt-Aßmann, in: Kern /  Wadle / Schroeder u. a. (Hrsg.), FS Laufs, S. 1049, 1062. 943  Ähnlich schon Lang, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 10 Rn. 31; Schmidt-Aßmann, in: Kern / Wadle / Schroeder u. a. (Hrsg.), FS Laufs, S. 1049, 1062.



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen387

den Transplantationsprozess eingebunden ist“.944 Anschließend muss der Entschluss unterzeichnet und der Vermittlungsstelle zugeleitet werden. Ferner ist die ärztliche Leitung des Klinikums schriftlich, einschließlich eventuell abweichender Stellungnahmen, in Kenntnis zu setzen. Diese ist befugt, ein Votum einer externen Transplantationskonferenz einzuholen. Dieses Sechs-Augen-Prinzip soll die Qualität der Entscheidung sicherstellen und Missbräuche verhindern. „Nach Aufnahme eines Patienten in die Warteliste sind alle für die Organvermittlung relevanten Behandlungen, Ergebnisse und Entscheidungen, insbesondere der Zuteilung von eingeschränkt vermittelbaren Organen, von dem jeweils verantwortlichen Arzt nachvollziehbar zu dokumentieren und der interdisziplinären Transplantationskonferenz unverzüglich bekannt zu ge­ ­ ben.“945 Bei der Leberallokation kommt der Transplantationskonferenz zudem die Aufgabe zu, allokationsrelevante Befunde zu prüfen und zu bestätigen.946 Vor der Aufnahme in die Warteliste sehen die Richtlinien eine umfassende Aufklärung des Patienten in Bezug auf die beabsichtigte Transplantation vor. Sie beinhaltet Informationen über „die Erfolgsaussicht, die Risiken und die längerfristigen medizinischen, psychologischen und sozialen Auswirkungen der bei ihm vorgesehenen Transplantationen“ sowie auch eine Mitteilung bezüglich der Übermittlung seiner personenbezogenen Daten. Über die Aufnahme in die und die Herausnahme aus der Warteliste ist nach § 10 Abs. 2 Nr. 1 TPG der behandelnde Arzt zu unterrichten. Konkrete Anforderungen an die Benachrichtigung des Patienten selbst treffen jedoch weder das Transplantationsgesetz noch die Richtlinien. Bezüglich der Einordnung des Patienten in den Status „transplantabel“ und „nicht transplantabel“ sehen die Richtlinien lediglich eine Informationspflicht vor, nicht jedoch die Mitteilung der Entscheidungsgründe für die Herausnahme aus der Listung oder etwaige Rangveränderungen. Unabhängig von den sonst gewachsenen inhaltlichen Verfahrensregeln, ist diese Situation unter Rechtsschutzgesichtspunkten höchst bedenklich und bedarf dringend einer Modifikation.947

944  Vgl. die Richtlinien für die Wartelistenführung und die Organvermittlung gem. § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG. 945  Vgl. die Richtlinien für die Wartelistenführung und die Organvermittlung gem. § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG. 946  Vgl. die besonderen Regelungen der Richtlinie für die Wartelistenführung und die Organvermittlung zur Leberallokation gem. § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Nr. 5 TPG. 947  Kritisch zu den Mitteilungsregelungen schon Deutsche Stiftung Patientenschutz, Patientenschutz-Info-Dienst vom 24.06.2013, S. 3. Näher zum Problem des Rechtssschutzes im Transplantationswesen siehe S. 411 ff.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

dd) Kontrollintensivierungen in den Transplantationszentren Unregelmäßigkeiten im Vorfeld einer Organzuteilung haben sich fast ausschließlich in den Transplantationszentren und nicht bei der Vermittlungsstelle abgespielt.948 Die im Sommer 2012 bekannt gewordenen Manipulationen der Warteliste haben eindrucksvoll bewiesen, dass eine nicht zu unterschätzende Missbrauchsgefahr bei der Aufgabenwahrnehmung durch die Zentren besteht.949 Eine engmaschige Kontrolle ihrer Tätigkeit ist zur Gewährleistung eines ausreichenden Grundrechtsschutzes der benachteiligten Wartelistenkandidaten dringend erforderlich. Die nach den Skandalen eingerichteten verfahrensrechtlichen Absicherungen bei den wartelisterelevanten Entscheidungen, insbesondere die Einführung des Sechs-Augen-Prinzips, verdeutlichen die Bemühungen, die Entscheidungsträger in den Transplantationszentren nun in überwachungsfreundlichere Strukturen einzubinden. Die Überwachungs- (§ 11 Abs. 3 S. 4 TPG) und die Prüfungskommission (§ 12 Abs. 5 S. 4 TPG), die die gesetzestreue Koordination der Organspende bzw. ordnungsgemäße Allokation der Organe beaufsichtigen, haben ihre Kontrolle der Transplantationszentren bereits verstärkt. Insbesondere die verdachtsunabhängigen Überprüfungen wurden intensiviert. Alle Zentren sind nach dem Vorhaben der Kontrollgremien innerhalb von 36 Monaten zumindest einmal vor Ort zu prüfen. Durchgeführt werden die Stichproben von organspezifischen Prüfungsgruppen, in denen jeweils zwei Mitglieder der Prüfungs- oder der Überwachungskommission sowie zwei unabhängige sachverständige Ärzte vertreten sind. Begleitet wird die Prüfungsgruppe in der Regel von Mitarbeitern der zuständigen Landesministerien.950 Zu einer Verankerung spezifischer Kontrollvorgaben im Transplantationsgesetz oder zur Schaffung einer Gesetzesgrundlage für eine diesbezügliche Rechtsverordnung ist es jedoch – rechtsstaatlich bedenklich – nicht gekommen. Seit der Gesetzesnovelle durch das TPGÄndG sind die Transplanta­ tionszentren allerdings immerhin gemäß § 12 Abs. 5 S. 5 TPG verpflichtet, die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen und die erforderlichen Auskünfte zu erteilen, um die Einhaltung der Anforderungen für die Warte948  Angstwurm, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 239, 240; näher zum Manipulationsskandal siehe S. 155 ff. 949  Wobei die Bewertung der Vorkommnisse nie aus den Augen verlieren darf, dass sich die handelnden Ärzte nicht selten unklaren Richtlinienvorgaben und Dilemmasituationen ausgesetzt sehen, vgl. zu den Entscheidungsprozessen in den Transplantationszentren im rechtspolitischen Teil der Arbeit S. 555 ff. 950  Vgl. BT-Drs. 17 / 13897, S. 2; zu den flächendeckenden Kontrollen siehe auch BÄK, Tätigkeitsbericht 2012, S. 303.



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen389

liste und Vermittlung überprüfen zu können.951 Diese Kooperationsverpflichtung der Transplantationszentren besteht ebenso nach § 11 Abs. 3 S. 5 TPG. Auf die Normierung eingehender Berichts-952 oder umfassender Mitwirkungspflichten wurde hingegen verzichtet. Ebenso fehlt weiterhin eine rechtliche Handhabe der Kommissionen zur Kooperationserzwingung der Zentren.953 Neben der Überwachung durch die Kommissionen ist Eurotransplant gemäß § 15 Abs. 2 ET-Vertrag verpflichtet, Verstöße oder hinreichende Verdachtsmomente für Verstöße gegen Vermittlungsregeln an die Prüfungskommission zu melden. Außerhalb des Transplantationssystems obliegen die, grundsätzlich an Universitäten angeschlossenen, öffentlich-rechtlich organisierten Transplantationszentren der Rechtsaufsicht der Landesaufsichtsbehörden (vgl. z. B. § 12 Abs. 1 KHG NRW). Ihre Kontroll- und Eingriffsrechte sind in den jeweiligen Landeskrankenhausgesetzen festgeschrieben. Diese Vorschriften beinhalten im Gegensatz zum Transplantationsgesetz durchsetzbare Befugnisse, wie Einsichts-, Auskunfts- oder Zutrittsrechte.954 Eine weitere transplantationsexterne Möglichkeit gegen Allokationsauffälligkeiten vorzugehen, bilden die landesrechtlichen Berufsordnungen, die die Ärzteschaft verpflichten, ihren Beruf gewissenhaft auszuüben (vgl. z. B. § 29 Abs. 2 HeilBerG NRW i. V. m. § 2 der Berufsordnung für nordrheinische Ärztinnen und Ärzte), wozu auch eine ordnungsgemäße Dokumentation gehört (§ 10 der Berufsordnung für nordrheinische Ärztinnen und Ärzte). Allokationsverstöße können daher zugleich ein berufsordnungswidriges Verhalten begründen und berufsrechtlich geahndet werden (§ 60 HeilBerG NRW).955 Direkt im Transplantationsgesetz normiert wurde nach § 19 Abs. 2a TPG i. V. m. § 10 Abs. 3 S. 2 TPG die Strafbarkeit von Wartelisten-Manipulationen. Die Verbotsnorm soll alle maßgeblichen Schritte, in denen Manipulationen auch Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 60. Einführung von umfassenden Berichtspflichten aus Transparenzgesichtspunkten (etwa über Erfolge der Transplantationen, den Versicherungsstatus von Pa­ tienten, die Anzahl der Reimplantationen) forderte Holznagel, DVBl 1997, S. 393, 400 schon bei der Entstehung des TPG. 953  Mangelnde rechtliche Einwirkungsmöglichkeiten wurden bereits vor der Gesetzesnovelle auf weiter Flur kritisiert; vgl. Verrel, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 199, 202; eingehend zur Kontrolle der Transplantationszentren Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S.  124 ff. 954  Siehe Verrel, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 199, 203 ff.; eingehend zur Kontrolle der Transplantationszentren Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S. 125. 955  Siehe Verrel, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 199, 203. 951  Dazu 952  Die

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

des Gesundheitszustandes von Patienten möglich sind, umfassen und alle beteiligten Personen betreffen.956 Dadurch wird staatlichen Stellen über die Staatsanwaltschaften ein repressives Vorgehen ermöglicht.957 Die Modifizierung der Zentrenüberwachung hat zwar nicht zu einer grundlegenden Konzeptänderung, aber dennoch zu einer Intensivierung der Aufsicht über die Transplantationszentren geführt. Die Überwachungstätigkeit der Kontrollkommissionen ist allerdings recht schwach ausgestaltet, sodass die Erweiterung ihrer Eingriffskompetenzen de lege ferenda in Betracht gezogen werden sollte, um eine ausreichende Absicherung legitimer Verteilungsentscheidungen innerhalb des Transplantationssystems zu verankern.958 ee) Ergebnis Die Transplantationszentren nehmen durch ihre Handlungen in Bezug auf die Warteliste Aufgaben der distributiven Verwaltung wahr. Ihre verteilungsrelevanten Entscheidungen sind hoheitlichen Charakters und als Verwaltungsakte zu qualifizieren. Die Transplantationszentren bedürfen im Hinblick auf diese Befugnis ausreichender demokratischer Legitimation. Wesentliche Wertentscheidungen in Bezug auf die Listung von Patienten werden jedoch, ohne ausreichende Vorzeichnung durch den Gesetzgeber, der Ärzteschaft vor Ort überlassen. Damit wurde sowohl das Demokratieprinzip als auch der Wesentlichkeitsgrundsatz verletzt. Organisatorische Verbesserungen sind jedoch bei den neuen verfahrensrechtlichen Absicherungen sowie den Kontrollintensivierungen eingetreten.959 Allerdings besteht auch bei diesen Regelungen noch Nachbesserungsbedarf zur Gewährleistung eines umfassenden Grundrechtsschutzes der Wartelistenkandidaten. f) Die Koordination der Organspende durch die Deutsche Stiftung Organtransplantation Der Gesetzgeber hat sich bei der Schaffung des Transplantationsgesetzes dazu entschlossen, die Wahl der für die Organisation der Organspende zuständigen Institution an von ihm benannte Stellen weiterzugeben, die wiederum, in Fortführung der bisherigen Strukturen der Selbstverwaltung, eine 956  BT-Drs.

17 / 13947, S. 40. Kritik an der Ausgestaltung des neuen Straftatbestands siehe bei den Reaktionen des Gesetzgebers auf den Manipulationsskandal S. 168 f. 958  Näher zur Überwachungskommission siehe S. 394  ff.; zur Prüfungskommission siehe S. 406 ff. 959  Hinsichtlich möglicher Verbesserungsoptionen der Steuerung und der Überwachung der Transplantationszentren siehe im rechtspolitischen Teil S. 555 ff. 957  Zur



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen391

privatrechtliche Stiftung mit der Koordination beauftragt haben.960 Diese Entscheidung wirft einige Fragen in Bezug auf die verfassungsmäßige Ausgestaltung der Koordination auf. Das betrifft zunächst generell den ordnungsrechtlichen Beauftragungsrahmen der privatrechtlichen Stiftung (aa)) und sodann die erfolgte Kompetenzerweiterung durch Schaffung einer Rechtsetzungskompetenz durch das TPGÄndG im Jahre 2012 (bb)) sowie schließlich die ordnungsgemäße Kontrolle der Koordinierungsstelle (cc)). aa) Bereitstellung eines ordnungsgemäßen Rahmens für die Tätigkeit der Koordinierungsstelle durch den Gesetzgeber Im Mittelpunkt der gesetzlichen Beauftragung der Koordinierungsstelle steht die Organisation der bis zur Transplantatübertragung zu bewältigenden Aufgaben (außer der Vermittlung) in einer Art und Weise, die die vorhandenen Möglichkeiten der Organspende optimal wahrnimmt (§ 11 Abs. 1a S. 1 TPG). Die gesetzliche Intention, diese Organisationsaufgabe einer privatrecht­ lichen Institution übertragen zu lassen, bildet eine grundsätzlich zulässige Gestaltungsentscheidung des Gesetzgebers. Wie bereits festgestellt, liegen ihre Grenzen in den verfassungsrechtlichen Bindungen des Staates, insbesondere in einer ausreichenden Wahrnehmung der grundrechtlichen Schutzpflichten, aber auch im Demokratie- und Rechtsstaatsgebot.961 Auf der Grundlage dieser Bindungen muss der Staat den in die Erfüllung der öffentlichen Aufgabe eingebundenen privaten Akteuren einen ordnungsgemäßen Rahmen für ihre Betätigung vorgeben.962 Das Transplantationsgesetz stellt zur Gewährleistung der gesetzmäßigen Erfüllung der Spendekoordination in seinem § 11 Abs. 1 konkrete organisatorische Anforderungen an den betrauten privatrechtlichen Akteur (Gewährleistung einer gesetzmäßigen Durchführung des Auftrags durch finanziell und organisatorisch eigenständige Trägerschaft, Zahl und Qualifikation der Mitarbeiter, betriebliche Organisation, sachliche Ausstattung). Zusätzlich schafft das Gesetz einen inhaltlichen Rahmen, der den Ablauf des Spendeprozesses mit den notwendigen Voraussetzungen und Verfahrensabläufen vorgibt (vgl. Abschnitt 2 und Abschnitt 4 des TPG) und durch § 11 Abs. 1a TPG den Aufgabenbereich der Koordinierungsstelle konkretisiert. Durch diesen Rahmen 960  Für eine nähere Darstellung der Deutschen Stiftung Organtransplantation und ihrer Tätigkeit im Transplantationswesen siehe S. 114 ff. 961  Zur Schutzpflicht des Staates siehe S. 347 ff.; zum Demokratie- und Rechtsstaatgebot siehe S. 346 f. 962  Zur Übernahme dieser Rahmenverantwortung durch den Staat siehe ausführlich Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S. 57.

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wird der Spielraum der Auftraggeber, die als „Mittler“ zwischen Gesetz und Koordinierungsstelle fungieren, eng umgrenzt. Sie sind verpflichtet, eine ­Institution zu beauftragen (oder zu errichten), die die gesetzlichen Vorgaben nachweislich erfüllt. Tatsächlich dürfte die Deutsche Stiftung Organtransplantation die einzige sein, die diesen Anforderungen zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt gerecht werden kann. Vor dem Hintergrund dieser organisatorischen Ausgestaltung, kann von einer in dieser Hinsicht grundsätzlich ordnungsgemäßen Wahrnehmung der Rahmenverantwortung durch den Gesetzgeber gesprochen werden. Dieser Umstand vermag jedoch die Bedenken gegenüber der weitreichenden Ermächtigung der Stiftung zum Erlass von verbindlichen Verfahrensanweisungen und möglichen Kontrolldefiziten nicht auszuräumen. bb) Die neue Rechtsetzungsbefugnis der Koordinierungsstelle Die Reform durch das TPGÄndG hat die Koordinierungsstelle in ihrer „zentralen Rolle im Prozess der postmortalen Organspende“963 noch gestärkt und ihr quasi Behördencharakter verliehen.964 Im Rahmen ihrer Tätigkeit wurde die Deutsche Stiftung Organtransplantation ermächtigt, gesetzlich näher bestimmte Verfahrensanweisungen zu erlassen (§ 11 Abs. 1a S. 2 Nr. 1–9 TPG). Ihre Außenwirkung in Form einer verbindlichen Geltung für die Transplantationszentren und die Entnahmekrankenhäuser (§§ 9a Abs. 2 Nr. 4, 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 TPG) verbietet eine Einordnung als interne Rechtsetzung im Zuge selbstverwaltender Tätigkeit.965 Mit der bindenden Normsetzungskompetenz wollte der Gesetzgeber einer Umsetzung der europarechtlichen RL  2010 / 53 / EU gerecht werden, die Vorschriften zur Sicherstellung von Qualitäts- und Sicherheitsstandards enthält.966 Verfassungsrechtlich problematisch erscheint aber die Wahl obligater Anweisungen von Seiten einer privaten Stiftung als Umsetzungsmittel. Letztlich statuieren diese eine Art Weisungsrecht der Koordinierungsstelle.967 Insoweit ist frag963  BT-Drs.

17 / 7376, S. 1. auch die Stellungnahme der BÄK zu den Referentenentwürfen des Bundesministeriums für Gesundheit zum TPG-E, zur TPG-OrganV-E, zur TPG-GewebeVE und zur AMWHV-E (im Folgenden kurz: Stellungnahme der BÄK zum TPG-E), abrufbar unter http: /  / www.bundesaerztekammer.de / downloads / StellTPGNovellefina l20110509.pdf (zuletzt abgerufen am 30.06.2017), S. 6. 965  Die vom Gesetzgeber gewollte Bindungswirkung der Verfahrensanweisungen ergibt sich aus § 9a Abs. 2 Nr. 4 TPG, durch den die Entnahmekrankenhäuser verpflichtet werden, die nach § 11 TPG getroffenen Regelungen einzuhalten. 966  Siehe dazu Lang, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 11 Rn. 24. 967  In diesem Sinne auch die Stellungnahme der BÄK zum TPG-E, S. 9; näher zur inhaltlichen Ausgestaltung und Reichweite der Verfahrensanweisung gemäß dem TPG Lang, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 11 Rn. 27 ff. 964  So



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen393

lich, ob die Anforderungen der Richtlinie nicht anderweitig hätten erfüllt werden müssen. Bei ihrer Umsetzung hat der Gesetzgeber vieles ungeklärt gelassen. Fraglich ist bereits der Rechtscharakter der Verfahrensanweisungen. Ihre Definition in § 1a Nr. 10 TPG ist insofern wenig hilfreich.968 Aufgrund ihrer ­verbindlichen Wirkung für die Beteiligten sind sie, wie die Transplantationsrichtlinien der Bundesärztekammer, als untergesetzliche Rechtsnormen ­einzuordnen. In der praktischen Ausübung der Recht­setzungskompetenz kann es, trotz Bindung der Koordinierungsstelle an die Richt­linien der Bundesärztekammer nach § 16 Abs. 1 S. 1 TPG, zu Widersprüchen oder Konflikten mit diesen kommen, ohne dass durch Vorrangregelungen deren Handhabung geklärt wäre. Problematisch gestaltet sich auch die Kollision mit Arbeitsanweisungen oder internen Regelungen der Entnahmekrankenhäuser und Transplantationszentren.969 Letztendlich hat der Gesetzgeber mit dem Institut der Verfahrensanweisung die Probleme der Legitimation einer Richtlinienerstellung durch die Bundesärztekammer kopiert und in § 11 Abs. 1a TPG eingefügt, ohne eine Lösung für die durchgreifenden Einwände auch nur zu versuchen. Genauso wie in § 16 Abs. 1 S. 1 TPG werden einem privatrechtlichen Akteur – unter Missachtung von Art. 80 Abs. 1 GG – durch ein formelles Gesetz Normsetzungsbefugnisse erteilt. Diese Übertragung von hoheitlichen Befugnissen auf die Deutsche Stiftung Organtransplantation kann nicht anders bewertet werden als bei der Bundesärztekammer. Sie ist daher als Beleihung einzuordnen.970 Zur Wahrnehmung dieser Kompetenz wurden der Deutschen Stiftung Organtransplantation – wieder ganz nach dem Vorbild des § 16 Abs. 1 S. 1 TPG – Regelungsgebiete vorgegeben, deren Ausfüllung der Koordinierungsstelle – trotz enormer Grundrechtsrelevanz – fast gänzlich in Eigenregie überlassen wird. Lediglich die Beachtung der Richtlinien der Bundesärztekammer nach § 16 TPG werden ihr zur Auflage gemacht. Zur Prüfung der Einhaltung der gesetzlichen sowie in den Richtlinien festgeschriebenen Vorgaben trifft das Transplantationsgesetz keine Regelung, sondern verweist für die nähere Ausgestaltung der Ermächtigung lapidar auf den Koordinierungsstellenvertrag. Dieser statuiert keine behördliche Überprüfung, sondern setzt lediglich die Auftraggeber als Kontrolleure ein. Staatlichen Stellen wird damit kein Mittelbestand an die Hand gegeben, um Rechtsverletzungen wirksam entgegenzutreten. Als ultima ratio bleibt, nach einem Schlichtungsversuch gemäß § 2 Abs. 3 i. V. m. § 8 DSO-Vertrag, nur die Kündigung des Ko968  Vgl.

die Stellungnahme der BÄK zum TPG-E, S. 7 f. zu diesen Widersprüchen und Konflikten schon die Stellungnahme der BÄK zum TPG-E, S. 8. 970  So schon Weyd, JA 2013, S. 437, 442 (Fn. 53). 969  Kritisch

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ordinierungsstellenvertrags, der allerdings den Vertragspartnern obliegt (§ 11 DSO-Vertrag). Ebenso wenig Einfluss haben staatliche Stellen in Bezug auf die mit der Erstellung der Verfahrensanweisung betrauten Personen. Das Transplantationsgesetz selbst bestimmt die Zuständigkeit der Deutschen Stiftung Organtransplantation als Koordinierungsstelle schließlich noch nicht einmal selbst, sondern überlässt das von ihr ausgewählten Institutionen. Dieser Umstand lässt schon die Wirksamkeit des Beleihungstatbestands, der eine gesetzliche Ermächtigung erfordert, höchst fraglich erscheinen.971 Die Einwirkungskompetenz, im Sinne einer staatlichen Steuerung und Kontrolle der Stiftungstätigkeit, erweist sich damit als defizitär. Insofern bestehen durchgreifende Bedenken gegen die erforderliche sachlich-inhaltliche sowie personell-organisatorische Legitimation der Deutschen Stiftung Organtransplantation. Die Diagnose lautet auf eine – erneute – verfassungswidrige Kompetenzübertragung durch das Transplantationsgesetz, die den Rückzug der gesetzlichen Suprematie weiter perpetuiert. cc) Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Überwachung der Koordinierungstätigkeit Im Rahmen seiner Überwachungsverantwortung zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Erfüllung öffentlicher Aufgaben steht es dem Staat frei, private Akteure zu beauftragen, solange er selbst über eine ausreichende Aufsicht über die Kontrolleure verfügt.972 Insofern ist von einer grundsätzlichen Zulässigkeit der Betrauung einer von den Auftraggebern eingerichteten Überwachungskommission auszugehen. Das staatliche Stellen ersetzende Kontrollsystem muss sich jedoch als zu diesem äquivalent erweisen.973 Die konkrete Konturierung des Überwachungsregimes richtet sich vor allem nach der Eigenart des Sachbereichs und den betroffenen Rechtsgütern.974 Je grundrechtsintensiver mögliche Gefährdungen sind, desto höher werden die Ansprüche an die Kontrollaufgabe.975 Die enorme Grundrechtsintensität im Bereich der Transplantationsmedizin ist unbestritten. Die Koordinierungsstelle ist an der Schnittstelle zwischen dem Lebensschutz des potentiellen 971  Zum parallelen Problem der Beauftragung Eurotransplants siehe Krüger, Die Vermittlungstätigkeit Eurotransplants im Sinne des § 12 TPG, S. 239, der aber aufgrund der Gesetzesmaterialen von einer hinreichenden Erkennbarkeit der gesetzgeberischen Intention im Hinblick auf die Ermächtigung Eurotransplants ausgeht. 972  Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S. 58. 973  Ebda., S. 58; Schuppert, DÖV 1998, S. 831, 837. 974  BVerfGE 88, 254, 262. 975  Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S. 65; vgl. zur Intensität der Kontrollverpflichtung auch Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), S. 160, 172; Weiss, Privatisierung und Staatsaufgaben, S. 110.



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen395

Spenders und dem der erkrankten Organaspiranten eingesetzt. Der durch die einschlägige Schutzverpflichtung dem Staat auferlegte Kontrollauftrag ist daher intensiv.976 Jedoch induziert gerade die Betrachtung der repressiven Kontrolle starke Bedenken gegenüber der Einhaltung dieser Schutzpflicht. Die Bestandsaufnahme der Reformbemühungen hat ergeben, dass dem Gesetzgeber daran gelegen war, die Überwachung der Koordinierungsstelle zu verbessern.977 Die äußerst spärlichen Aufsichtsregelungen wurden durch die Modifikation des § 11 TPG bewusst aufgestockt, um auf die Vorwürfe einer defizitären Überwachung zu reagieren. Tatsächlich fehlte ein den rechtsstaatlichen Grundsätzen genügendes gesetzliches Aufsichtskonzept.978 Besonderer Pferdefuß der Stiftungsüberwachung vor der Reform durch das TPGÄndG war die mangelnde Beteiligung staatlicher Stellen bei der Aufsicht. Das Transplantationsgesetz erklärte lediglich die Vereinbarung eines Koordinierungsstellenvertrags für notwendig (§ 11 Abs. 2 TPG a. F.) und verpflichtete die auftraggebenden Selbstverwaltungskörperschaften zur Überwachung der Einhaltung der Vertragsbestimmungen (§ 11 Abs. 3 S. 3 TPG a. F.). Der Koordinierungsstellenvertrag schrieb eine Mitwirkung staatlicher Vertreter in der Kommission zur Überwachung der Stiftung nicht vor, was die Auftraggeber der Koordinierungsstelle selbst zu den Herren der Kontroll­ aufgabe erhob. Durch diese auf gesellschaftliche Kräfte fokussierte Ausrichtung der Überwachung war lediglich eine mittelbare Einbeziehung des Bundesministeriums für Gesundheit installiert, das die Aufsicht über den Bund der Krankenkassen führt (vgl. § 217d SGB V).979

976  Böning,

Kontrolle im Transplantationsgesetz, S. 66. Ausgestaltung der Kontrolle siehe S. 119 ff. 978  Zur Kritik am Kontrollsystem des TPG insgesamt siehe Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 126, 132 f. m. w. N.; Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S.  71 ff.; Clement, Der Rechtsschutz potentieller Organempfänger nach dem Transplantationsgesetz, v. a. S.  31 f., 149 ff.; König, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 11 Rn. 16; Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 36; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 217 ff.; Krüger, Die Vermittlungstätigkeit Eurotransplants im Sinne des § 12 TPG, S. 314 ff.; Lang, in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin, S. 61 ff. 979  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 126; König, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 11 Rn. 16. Schwieriger erweist sich die staatliche Kontrolle des nicht eingetragenen privatrechtlichen Vereins BÄK, die nur mittelbar über die als öffentlich-rechtliche Körperschaften verfassten Landesärztekammern erfolgen kann. Genauso problematisch gestaltet sich die Überwachung der Deutschen Krankenhausgesellschaft, die ebenfalls als (allerdings eingetragener) privatrechtlicher Verein ausgestaltet ist, § 1 der Satzung der Deutschen Krankenhausgesellschaft. 977  Zur

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

Durch die Konzentration der Überwachung bei den Auftraggebern sahen sich diese dem Vorwurf ausgesetzt, „kontrolliert zu kontrollieren“980. Unabhängig vom ernsthaften Kontrollwillen der Selbstverwaltung hing die Effi­ zienz der Überwachung ohnehin maßgeblich von dem Kooperationswillen der zu kontrollierenden Stiftung ab.981 Die Durchsetzung der Auskunfts- und Vorlagerechte der Überwachungskommission sowie das entsprechende Verfahren waren nur höchst unzureichend vertraglich normiert, geschweige denn, dass effektive staatliche Einwirkungsmöglichkeiten auf die Kontroll­ tätigkeit der Kommission installiert wurden.982 Diese Konstruktion war im Hinblick auf die grundrechtliche Schutzverpflichtung des Staates gegenüber den durch das Transplantationssystem Betroffenen mehr als bedenklich. Auch in seiner zurückhaltenden Rolle als Gewährleistungsstaat hat er neben inhaltlichen Vorgaben zugleich notwendige Strukturen und eine ausreichende Organisation zur Garantie einer effektiven Grundrechtswahrnehmung sicherzustellen.983 Mit der Gesetzesnovelle wurde der Kontrolle der Koordinierungsstelle erstmalig eine – rechtsstaatlich dringend notwendige – legislative Grundlage gegeben, indem § 11 Abs. 3 S. 4 TPG – zumindest in Grundzügen – bestimmt, wie die Auftraggeber die Stiftung überwachen sollen. Die – bisher nur vertraglich vorgesehene – Einrichtung der Überwachungskommission wurde in diesem Zuge unter Vorgabe einer Mindestbesetzung gesetzlich verankert. Durch die nunmehr statuierte Vollmitgliedschaft984 zweier Vertreter der Länder in der Überwachungskommission kann dem Vorwurf einer aus980  Vgl. Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 126, 132  f. m. w. N.; Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S. 80; Conrads, Rechtliche Grundsätze der Organallokation, S. 205; Lang, in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin in Deutschland, S. 61, 67; kritisch zur Einschätzung der kontrollierten Kontrolle Lilie, in: Ahrens / Bar / Fischer u. a. (Hrsg.), FS Deutsch 80.  Geburtstag, S. 331, 335. 981  Lilie, in: Ahrens / von Bar / Fischer u. a. (Hrsg.), FS Deutsch 80.  Geburtstag, S. 331, 338. 982  Ebda., S. 331, 336. 983  Zu den Verpflichtungen des Gewährleistungsstaates bei der Beauftragung Privater siehe bereits S. 347 ff. 984  Zuvor wurden zwei Vertreter der Länder seit 2009 lediglich als „ständige Gäste“ zu den Sitzungen der Überwachungs- und Prüfungskommission eingeladen, Neft, MedR 2013, S. 82, 83, Fn. 41. Die BÄK kritisierte die verpflichtende Beteiligung der staatlichen Vertreter während der Reformerarbeitung noch als unangemessen und wollte die Reinform der Selbstverwaltung beibehalten, vgl. die Stellungnahme der BÄK vom 17.08.2011 zum Änderungsentwurf des TPG, S. 15, abrufbar unter: http: /  / www.bundesaerztekammer.de / fileadmin / user_upload / downloads / StellTPGNo velleRegEfinal20110817.pdf (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). Laut § 3 der bisherigen Geschäftsordnung des Gremiums war die Kommission nur mit je drei Mitgliedern der Vertragspartner besetzt.



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schließlich von den Vertragspartnern gelenkten Aufsicht im Grundsatz entgegengetreten werden.985 Trotz dieser Veränderung hat der Gesetzgeber am Grundkonzept der Selbstkontrolle festgehalten. Eine grundlegende Neuorganisation der Kontrollaufgabe durch die Eingliederung der Kommission in ein strukturiertes Aufsichtssystem hat nicht stattgefunden. Noch immer unterliegt die Koordinierungsstelle als Privatrechtssubjekt keiner direkten staatlichen Aufsicht, sondern wird maßgeblich durch die Auftraggeber kontrolliert.986 Das belegt bereits die ungleiche Verteilung des gesellschaftlichen und staatlichen Gewichts in der Kommission. Die Zahl der von den Auftraggebern entsendeten Vertreter übersteigt die Anzahl der Ländervertreter bei weitem. In der fünften Amtsperiode (2013 / 2016) stehen neun Vertreter der Vertragspartner (drei pro Auftraggeber) den zwei Mitgliedern der Länder gegenüber.987 Von einer Ausgewogenheit der Kräfte kann folglich keine Rede sein. Daran ändert auch die nunmehr durch die DSO-Satzung vorgesehene Beteiligung von Bund und Ländern im Stiftungsrat nichts. Für die Feststellung von Regelverstößen ist die Transplantationsmedizin auch nach der Reform auf die Auftraggeber der Koordinierungsstelle angewiesen. Ihnen wurde mit der Reform jedoch immerhin ein gesetzlich verankertes Kontrollinstrumentarium zur Verfügung gestellt. Die bisherige Aufsicht, die maßgeblich in Abhängigkeit zur Kooperationsbereitschaft der zu beaufsichtigenden Stiftung stand, war mangels Effizienz mit durchschlagenden rechtsstaatlichen Makeln behaftet. Die gesetzliche – und nunmehr nicht mehr nur vertragliche – Installation von Vorlage- und Auskunftspflichten der Koordinierungsstelle sowie auch der Entnahmekrankenhäuser und Transplantationszentren erwies sich daher als dringend erforderliche Novellierung (§ 11 Abs. 3 S. 5 TPG). Beibehalten wurde allerdings die Beschränkung der Verpflichtung auf die „erforderlichen Unterlagen“ und „erforderlichen Auskünfte“, die damit in einem recht vagen Bereich verbleibt.988 Eine Konkretisierung des Begriffs dürfte dennoch möglich sein. Eine Ausgestaltung des auch Neft, MedR 2013, S. 82, 83. fehlenden staatlichen Aufsicht siehe auch Augsberg, Gesetzliche Regelungen zur Organ- und Gewebespende, S. 32 ff. 987  Tätigkeitsbericht 2013 / 2014 der Überwachungskommission gem. § 11 Abs. 3 S. 4 TPG und der Prüfungskommission gem. § 12 Abs. 5 S. 4 TPG, S. 6 f.; dasselbe Bild findet sich auch bei der Prüfungskommission, S. 7 ff.; abrufbar unter: http: /  / www. bundesaerztekammer.de / downloads / TPG_Bericht_PK_UeK_30092014.pdf (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 988  Kritisch dazu schon Augsberg, Gesetzliche Regelungen zur Organ- und Gewebespende, S. 28; Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S. 85 ff., 101 f., der aber entgegen der Formulierung (die damals nur im Vertrag vorzufinden war) von einer umfassenden Auskunfts- und Vorlagepflicht ausgeht, was jedoch aufgrund der Eindeutigkeit des Wortlauts nur schwerlich begründbar erscheint; von einem beschränktem Recht spricht auch Lilie, in: Ahrens / Bar / Fischer u. a. (Hrsg.), FS Deutsch 985  So

986  Zur

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

Verfahrens bezüglich der Durchsetzung der Ansprüche ist jedoch nicht – auch nicht auf Vertragsebene – erfolgt. An der gesetzlichen Bestimmung von Zwangsmitteln fehlt es noch immer. Die Abhängigkeit der Kontrolle von einer Kooperation der Deutschen Stiftung Organtransplantation wurde dementsprechend nicht umfassend beseitigt. Immerhin statuiert § 10 Abs. 2 DSOVertrag die Berechtigung der Überwachungskommission, verdachtsabhängige und verdachtsunabhängige Prüfungen durchzuführen, wozu diese ermächtigt wird, die Überprüfung auch innerhalb der Einrichtungen vorzunehmen. Nach bisheriger Rechtslage konnte sich die Kommission lediglich anlassbezogen mit Auffälligkeiten auseinandersetzen. Sanktionsmöglichkeiten wurden allerdings im Zuge der Novelle nicht eingeführt. Als ultima ratio bleibt, nach einem Schlichtungsversuch gemäß § 2 Abs. 3 i. V. m. § 8 DSO-Vertrag, den Auftraggebern nur die Kündigung des Vertrags. Da es aber zum heutigen Zeitpunkt keine Institution gibt, die die Deutsche Stiftung Organtransplantation zu ersetzen vermag, handelt es sich um eine nur theoretische Handlungsoption.989 Ein elementarer Kernpunkt der Reformierung der Aufsicht ist die neu geschaffene Verpflichtung der Überwachungskommission, Erkenntnisse über Verstöße gegen das Transplantationsgesetz oder aufgrund des Transplantationsgesetzes erlassenen Rechtsverordnungen an die zuständigen Behörden der Länder weiterzuleiten (§ 11 Abs. 3 S. 6 TPG). Vor der Novelle war diese auch vertraglich nicht verankert. Die Neuregelung zielt durch die informatorische Aufbereitung der Sachverhalte durch die Kommission und deren Weiterleitung an die Behörden auf eine verstärkte Zusammenarbeit der gesellschaftlichen Kräfte mit staatlichen Stellen.990 Auf diese Weise wird eine bisher nicht gekannte Einwirkungsmöglichkeit von verwaltungs-, buß- und strafrechtlichen Sanktionen eröffnet, für deren Einsatz die Kommission nun als Wegbereiter fungiert.991 Durch deren Tätigkeit erhalten die staatlich zuständigen Stellen sicher Kenntnis über Rechtsverstöße im Rahmen einer Organspende in den Kliniken und werden in die Lage versetzt, zu reagieren. Mittelbar ergibt sich daraus auch eine Kontrolle der Kommissionspraxis. Da diese jedoch weder formal ausgestaltet noch sanktionsbewährt ist, garantiert sie keine effiziente Aufsicht über das Kontrollorgan.992 Fraglich bleibt zu80. Geburtstag, S. 331, 337; siehe auch Angstwurm, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 239, 242. 989  Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S. 123; gleiches gilt für die Vertragskündigung mit Eurotransplant, siehe dazu Verrel, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 199, 201. 990  Augsberg, Gesetzliche Regelungen zur Organ- und Gewebespende, S. 33. 991  Teilweise wird die staatliche Schutzpflicht dadurch als erfüllt angesehen, vgl. Deutsch / Spickhoff, Medizinrecht, S. 837; Neft, MedR 2013, S. 82, 86. 992  Vgl. Augsberg, Gesetzliche Regelungen zur Organ- und Gewebespende, S. 33.



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dem, wann ein Verstoß vorliegt, der eine Mitteilungspflicht auslöst. In Betracht kommt das Vorliegen eines Tatverdachts oder ein tatsächlich festgestellter Verstoß.993 In diesem Zusammenhang wünschenswert wäre ferner die Einbeziehung von Richtlinienverstößen in die Meldepflicht nach § 11 Abs. 3 S. 6 TPG. Die zentrale Stellung dieser Regeln in der Transplantationsmedizin ist bereits aufgezeigt worden.994 Ihre Einhaltung stellt – unabhängig von ihrem verfassungswidrigen Zustandekommen – einen maßgeblichen Einflussfaktor für den erfolgreichen Ablauf der Organisationsschritte im Transplantationswesen dar. Schwerwiegende Verstöße gegen diese Richt­ linien können Sachverhalte betreffen, die staatliche Maßnahmen nach sich ziehen könnten und müssten.995 Ferner ergänzungsbedürftig ist eine exakte Aufgabenbeschreibung der Kommission. Eine präzise Formulierung, die die staatliche Erwartungshaltung an die Überwachungstätigkeit verdeutlicht, fehlt im Transplantationsgesetz.996 Die vorstehende Prüfung zeigt auf, dass das TPGÄndG in seiner grundsätzlichen Stoßrichtung rechtsstaatlichen Defiziten in der bisherigen Regelungsstruktur der Überwachungsmechanismen begegnet. Gerade die mangelnde Normierung von Zwangsbefugnissen und Sanktionsmöglichkeiten lassen verfassungsrechtliche Bedenken jedoch fortbestehen. Weitere Veränderungen sind dementsprechend rechtspolitisch anzumahnen.997 dd) Ergebnis Die Übertragung der Wahl einer Koordinierungsstelle für die Organisation der Organspende an die heutigen Auftraggeber der Deutschen Stiftung Or­ gantransplantation stellt sich als legitime Gestaltungsentscheidung dar. Als ebenso wenig problematisch erweist sich die Durchführung der Spendekoor993  Kritisch bereits Augsberg, Gesetzliche Regelungen zur Organ- und Gewebespende, S. 31; Bedenken äußert schon nach alter Rechtslage Lilie, in: Ahrens /  Bar / Fischer u. a. (Hrsg.), FS Deutsch 80.  Geburtstag, S. 331, 338. Speziell zur Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden Augsberg, Gesetzliche Regelungen zur Organ- und Gewebespende, S. 34, der feststellt, dass mangels Einordnung der Überwachungskommission als staatliche Stelle eine Anzeigepflicht nicht besteht. 994  Näher zu den Richtlinien sieh S. 99 ff. sowie S. 351 ff. 995  Denkbar ist die Notwendigkeit staatlichen Eingreifens etwa bei Verstößen gegen die Richtlinie zur Hirntodfeststellung, auch wenn dieses Verhalten an sich noch nicht den Straftatbestand des § 19 Abs. 2 TPG erfüllt (so Bernsmann / Sickor, in: Höfling [Hrsg.], TPG, § 19 Rn. 66) und damit nicht gegen das Gesetz verstößt. Im Bereich der Organallokation von Eurotransplant, für deren Überwachung § 12 Abs. 5 S. 6 TPG dieselbe Art Meldepflicht statuiert, ist an eine Organvermittlung entgegen den Vorgaben der Richtlinien zu denken. 996  Augsberg, Gesetzliche Regelungen zur Organ- und Gewebespende, S. 125. 997  Siehe dazu im rechtspolitischen Teil S. 568 ff.

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dination durch eine private Institution. Vor allem in § 11 TPG hat der Gesetzgeber der Koordinierungsstelle einen grundlegenden Anforderungs- und Handlungsrahmen gesetzt. Durch die weitreichende Ermächtigung der Koordinierungsstelle mit der Ausarbeitung von verbindlichen Verfahrensanweisungen hat er jedoch den Boden der Verfassungsmäßigkeit verlassen und die rechtlichen Probleme, die sich bei der Richtlinientätigkeit der Bundesärztekammer stellen, auf die Deutsche Stiftung Organtransplantation übertragen. Eine ausreichende Legitimation der Koordinierungsstelle für den Erlass der untergesetzlichen Normen muss verneint werden. Hinzu kommen weiterhin Kontrolldefizite. Auch nach der Reform wurde die Überwachungskommission nicht mit ausreichenden Befugnissen ausgestattet. g) Die Organvermittlung durch Eurotransplant Wie auch schon bei der Koordinierung der Organspende, hat sich der Gesetzgeber bei der Normierung des Transplantationsrechts entschlossen, die Wahl der für die Organvermittlung zuständigen Stelle an von ihm benannte Institutionen weiterzugeben. Die heutigen Auftraggeber wiederum haben, in Fortführung der bisherigen Strukturen, die privatrechtliche Stiftung niederländischen Rechts, Eurotransplant, mit der konkreten Organzuteilung betraut.998 Verfassungsrechtliche Fragen stellen sich in Bezug auf die Legitimität der Vermittlungsentscheidungen durch Eurotransplant (aa)), die recht­ lichen Grundlagen der Organallokation (bb)) sowie die ordnungsgemäße Kontrolle der Stiftung (cc)). In einem Exkurs soll zudem der im Transplantationsgesetz normierte ordre public-Vorbehalt beleuchtet werden (dd)). aa) Die Vermittlungsentscheidung aus dem Ausland als Ausübung von Hoheitsgewalt Die Entscheidung darüber welcher Patient auf der einheitlichen Warteliste berücksichtigt wird und ein, möglicherweise lebensrettendes, Organ erhält, obliegt der Vermittlungsstelle Eurotransplant. Diese Tatsache gestaltet sich als prekär, da Eurotransplant als niederländische Stiftung nicht unmittelbar dem deutschen Öffentlichen Recht unterworfen ist.999 Bei der Auswahl des Kandidaten ist Eurotransplant zwar über den Vermittlungsstellenvertrag an das deutsche Transplantationsgesetz und die Richtlinien der Bundesärztekammer gebunden. Gleichwohl verfügt die Stiftung über einen nicht zu un998  Für eine nähere Darstellung der Stiftung Eurotransplant und ihrer Tätigkeit im deutschen Transplantationssystem siehe S. 121 ff. 999  Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 14; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 129.



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terschätzenden Entscheidungsspielraum, indem sie durch die Konkretisierung und die Ergänzung der vorgegebenen Allokationskriterien den endgültigen Verteilungsalgorithmus festlegt.1000 Ihre Patientenauswahl ist daher eher eine werthaltige Zuteilungs-, als eine bloße auf medizinischer Grundlage basierende Vermittlungsentscheidung.1001 Besonders ins Auge fällt die Befugnis der Vermittlungsstelle, auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnis und mit Einverständnis der Bundesärztekammer von deren Richtlinien abzuweichen (§ 5 Abs. 7 ET-Vertrag)1002 sowie ihre ohne entsprechende Kompetenzübertragung getroffenen eigenen Normen, wie die Regelung des Zugangs von Non-ET-Residents zur Warteliste.1003 Für die verfassungsrechtliche Bewertung der Allokationstätigkeit Eurotransplants ist das insofern relevant, als dass keineswegs von einer bloßen Anwendung von abstrakt-generell vorgegebenen Verteilungsregeln die Rede sein kann.1004 Realiter ist Eurotransplant 1000  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 196; Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.),TPG, § 12 Rn. 10, 33; ders., in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin, S. 113, 121; ders., in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 17, 23 f.; Molnár-Gábor, in: Vöneky / Beylage-Haarmann / Höfelmeier u. a. (Hrsg.), Ethik und Recht, S. 325, 335; Engels, DV 44 (2011), S. 346, 355. Kritisch auch zu den ohne „legitime Kompetenz“ erlassenen Regelungen des Manuals bzgl. Non-(ET)-Residents, siehe Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 24 ff. Siehe genauer zur Vermittlungsentscheidung schon S.  123 ff. 1001  Zum Begriff der Zuteilung siehe Krüger, Die Vermittlungstätigkeit Eurotransplants im Sinne des § 12 TPG, S. 76 m. w. N. 1002  So geschehen durch das Eurotransplant Senior Programm (ESP), ET-Manual, Chapter 4.2.6. Durch diese Zuteilungsregel werden Nieren von Spendern mit über 65 Jahren allein an Empfänger aus dieser Altersklasse vermittelt. Sonderregelungen für die entsprechende Altersgruppe wurden auch durch die entsprechende Richtlinie der BÄK zur Nierenallokation aufgenommen. Sie werden jedoch überwiegend als ein Verstoß gegen die Einheitlichkeit der Warteliste gem. § 12 Abs. 3 S. 2 TPG gewertet. Siehe zum ESP Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 387 ff.; Lang, MedR 2005, S. 269, 277; Gutmann, in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplanta­ tionsmedizin, S. 113, 127; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 129 f.; a. A. aber Zuck, GesR 2006, S. 244, 247; eine eingehende Analyse findet sich ferner bei Ulrich, Durchbrechungen der Allokationskriterien des § 12 Abs. 3 TPG, S. 134 ff. 1003  Kritisch zur Non-ET-Resident-Regelung Engels, MedR 2011, S. 541 ff.; Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 16, 24 ff.; eingehend zum Problem mit dem Umgang von Non-ET-Residents Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 356 ff. 1004  Siehe Ammann, Medizinethik und medizinethische Expertengremien im Licht des öffentlichen Rechts, insbes. S. 519; Bader, Organmangel und Organverteilung, S.  196 f.; Clement, Der Rechtsschutz potentieller Organempfänger nach dem Transplantationsgesetz, S. 149; Engels, DV 44 (2011), S. 346, 355; Gutmann, in: Schroth /  König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 10; ders., in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 17, 23 f.; Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 14; Krüger, Die Vermittlungstätigkeit Eurotransplants

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als weitere Entscheidungsinstanz in das Allokationssystem des deutschen Transplantationswesens eingebunden. Ihre Patientenauswahl hat Durchgriffs­ charakter auf die Grundrechtsausübung der Wartelistenkandidaten.1005 Würde ihre Tätigkeit von einer Institution deutschen Rechts ausgeübt, so wäre diese als Ausübung öffentlicher Gewalt, folglich von Hoheitsrechten, einzuordnen.1006 Dieses Ergebnis legt eine Einordnung Eurotransplants als zwischenstaatliche Einrichtung gemäß Art. 24 Abs. 1 GG nahe. Aufgrund des Durchgriffschrakters der Allokationsentscheidungen auf die betroffenen Grundrechtsträger ist die Beauftragung Eurotransplants an Art. 24 Abs. 1 GG zu messen.1007 Die Bundesrepublik könnte der Institution durch das Transplantationsgesetz Hoheitsrechte übertragen haben. Allerdings ermächtigt Art. 24 Abs. 1 GG ausschließlich zu einer Übertragung von Hoheitsrechten auf internationale Organisationen, die durch völkerrechtliche Verträge geschaffen wurden. Nicht erfasst sind ausländische Körperschaften des öffentlichen Rechts oder nichtstaatliche internationale Organisationen.1008 Zwar ist Eurotransplant durch das Transplantationsgesetz in die deutsche Rechtsordnung eingebunden. Allerdings ist die Eingliederung nicht über einen völkerrechtlichen Vertrag geschehen. Als solcher kann auch der Vermittlungsstellenvertrag zwischen Eurotransplant und den Auftraggebern keinesfalls angesehen werden. Dementsprechend ist die Stiftung nicht als zwischenstaatliche Einrichtung im Sinne des Art. 24 Abs. 1 GG anzusehen. Eine Übertragung deutscher im Sinne des § 12 TPG, S. 308 f.; Molnár-Gábor, in: Vöneky / Beylage-Haarmann / Höfelmeier u. a. (Hrsg.), Ethik und Recht, S. 325, 333 ff.; Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 106; a. A. Lilie, in: Ahrens / von Bar / Fischer u. a. (Hrsg.), FS Deutsch 70.  Geburtstag, S. 643, 662; ähnlich Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S.  208 f. 1005  Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 18; siehe dazu auch Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 107. 1006  Ammann, Medizinethik und medizinethische Expertengremien im Licht des öffentlichen Rechts, S. 517; Deutsch, NJW 1998, S. 777, 780; Gutmann, in: Schroth /  König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 10; ders., in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin, S. 113, 120; Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 17; Krüger, Die Vermittlungstätigkeit Eurotransplants im Sinne des § 12 TPG, S.  330 f.; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S.  129 f.; Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 106; ders., NVwZ 2001, Sonderheft, S. 59, 60. 1007  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 197. 1008  Jarass, in: Jarass / Pieroth (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 24 Rn. 7; SchmidtAßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 108; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG-Kommentar, Rn. 19 f.



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Hoheitsrechte ist demgemäß unzulässig, sodass die bisherige Art und Weise der Einbeziehung Eurotransplants gegen Art. 24 Abs. 1 GG verstößt.1009 bb) Unzureichende Allokationsvorgaben des Gesetzgebers als besonderes Demokratiedefizit Das verfassungsrechtliche Defizit der Organvermittlung beschränkt sich nicht nur auf die Beauftragung einer ausländischen Stiftung entgegen den Grundsätzen des Art. 24 Abs. 1 GG, sondern erstreckt sich auf die gesamte Ausgestaltung des Vermittlungsverfahrens. Dessen organisatorischer Rahmen beruht auf solch rudimentären Strukturentscheidungen, dass man die Allokationsentscheidung letztlich nur als auf private Institutionen ausgelagert begreifen kann. Da sich die Organzuteilung durch Eurotransplant als hoheit­ liches Handeln mit Entscheidungscharakter darstellt, das einer Rückführung auf den Volkswillen bedarf, stellt sich das gesetzlich fixierte Szenario unter demokratischen Gesichtspunkten als höchst problematisch dar. Diese Prämisse gilt unabhängig davon, ob sich die Beauftragung Eurotransplants als Beleihung mit hoheitlichen Aufgaben darstellt.1010 Der Staat darf sich seiner Verpflichtung einer demokratisch legitimierten Aufgabenwahrnehmung nicht durch die Einbeziehung Privater entziehen.1011 Insbesondere in grundrechtsrelevanten Bereichen ist eine ausreichende inhaltliche Vorsteuerung von Einzelfallentscheidungen unausweichlich. Das grundrechtliche Teilhaberecht der Wartelistenpatienten verlangt einen effektiven Grundrechtsschutz von Seiten eines Staates, insbesondere wenn dieser 1009  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 197; Clement, Der Rechtsschutz potentieller Organempfänger nach dem Transplantationsgesetz, S. 150 f.; Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 10; ders., in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin, S. 113, 120; Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 17; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 131; Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 108. Ausführlich zur Missachtung des Art. 24 Abs. 1 GG durch die Beauftragung von Eurotransplant Krüger, Die Vermittlungstätigkeit Eurotransplants im Sinne des § 12 TPG, S. 327 ff.; zu den rechtspolitischen Möglichkeiten des Gesetzgebers siehe S. 570. 1010  Gegen die Annahme einer Beleihung aufgrund der bloß vertraglichen Beauftragung Eurotransplants Engels, DV 44 (2011), S. 346, 357. Richtigerweise wird man jedoch auch unter diesen Umständen eine Beleihung der Vermittlungsstelle annehmen können. So auch Clement, Der Rechtsschutz potentieller Organempfänger nach dem Transplantationsgesetz, S.  149 f.; Krüger, Die Vermittlungstätigkeit Eurotransplants im Sinne des § 12 TPG, S. 217 ff.; Schneider, Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Organallokation, S. 61. 1011  Augsberg, in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin in Deutschland, S. 52; Engels, MedR 2011, S. 542; Krüger, Die Vermittlungstätigkeit Eurotransplants im Sinne des § 12 TPG, S. 358.

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ein Vermittlungsmonopol lebenswichtiger Ressourcen geschaffen hat.1012 Jedoch überlässt der Gesetzgeber die Aufstellung der maßgeblichen Alloka­ tionskriterien fast gänzlich privaten Institutionen und bringt sich damit in Konflikt mit dem Parlamentsvorbehalt.1013 Lediglich die Orientierung der Entscheidung am Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft, insbesondere Erfolgsaussicht und Dringlichkeit, gibt er in § 12 Abs. 3 S. 1 TPG vor. An vorderster Front entscheidet die Bundesärztekammer in ihren Richtlinien nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 TPG über die von Eurotransplant anzuwendenden Vermittlungskriterien. Ihren Gestaltungsspielraum hat der Gesetzgeber mit seiner Normierung jedoch nicht mit klar subsumierbaren, sondern lediglich formelhaften Vorgaben gefüllt.1014 Die von der Bundes­ ärztekammer aufgestellten Kriterien werden von der Vermittlungsstelle sodann in ihren Anwendungsregeln noch konkretisiert, erweitert und teilweise ergänzt, bis sie auf den Einzelfall angewandt werden. Indes hätte der Gesetzgeber die Grundlagenentscheidungen der Organzuteilung selbst vornehmen müssen.1015 Dazu hätte es zunächst einer Gewichtung beider vorgegebenen Allokationsparameter bedurft sowie einer Klärung, in welchen Fällen das eine hinter dem anderen Kriterium zurückstehen muss.1016 Aufgrund ihrer Widersprüchlichkeit (Patienten, die eine große Erfolgsaussicht haben, brauchen die Organe oft am wenigsten dringend und diejenigen, die sie am dringendsten brauchen, haben regelmäßig die geringsten Erfolgsaussichten) ist eine Rangfestlegung unverzichtbar. Zusätzlich hätten auch die anzuwendenden nichtmedizinischen Kriterien Eingang in das formelle Transplantationsrecht finden müssen; flüchtige und unvollständige Hinweise in der Gesetzesbegründung1017 sind keinesfalls ausreichend.1018 Zu 1012  Molnár-Gábor, in: Vöneky / Beylage-Haarmann / Höfelmeier u. a. (Hrsg.), Ethik und Recht, S. 325, 348. 1013  Zum Verstoß gegen den Parlamentsvorbehalt aufgrund mangelnder gesetz­ licher Verteilungsregeln siehe schon S. 375 ff. 1014  Ausführlich zur Richtlinienerstellung durch die BÄK siehe S. 351 ff. 1015  Ammann, Medizinethik und medizinethische Expertengremien im Licht des öffentlichen Rechts, insbes. S. 517 f.; Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 20 f.; Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 33; Krüger, Die Vermittlungstätigkeit Eurotransplants im Sinne des § 12 TPG, S. 309. 1016  Vgl. Engels, DV 44 (2011), S. 346, 367; Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 23; Höfling, JZ 2007, S. 481, 482; Krüger, Die Vermittlungstätigkeit Eurotransplants im Sinne des § 12 TPG, S. 309; Lang, MedR 2005, S. 269, 279; Molnár-Gábor, in: Vöneky / Beylage-Haarmann / Höfelmeier u. a. (Hrsg.), Ethik und Recht, S. 325, 342 ff. 1017  BT-Drs. 13 / 4355, S. 26. 1018  Siehe dazu Krüger, Die Vermittlungstätigkeit Eurotransplants im Sinne des § 12 TPG, S. 310; siehe Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 33 in Bezug auf den Gerechtigkeitsaspekt der Organverteilung.



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den hochsensiblen Regelungen, wie den nationalen Austauschbilanzen, der Begrenzung der Warteliste für Non-ET-Residents oder den Ausnahmen vom regulären Allokationsprogramm, finden sich im Transplantationsgesetz keine Anhaltspunkte.1019 Diesbezüglich trifft Eurotransplant über seine Anwendungsregeln eigene, höchst grundrechtsrelevante Festsetzungen ohne gesetzliche Grundlage. Lediglich dem Vertrag mit der Vermittlungsstelle lässt sich die Befugnis Eurotransplants zu normativen Bestimmungen entnehmen. Damit verstößt diese vertragliche Vereinbarung jedoch gegen das Transplanta­ tionsgesetz.1020 Auf Gesetzesebene klärungsbedürftig sind ferner die (diskriminierenden) Kriterien einer Allokation, die nach dem Willen der Legislative keine Berücksichtigung finden sollen.1021 Der spartanische Rückzug auf den „Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft“ lässt sich auch nicht unter dem Hinweis auf die rasante Entwicklung der Medizin rechtfertigen. Zwar ist es möglich, Materien, die einer schnellen Änderung unterliegen, im Interesse eines dynamischen Grundrechtsschutzes mittels eines unbestimmten Rechtsbegriffs wie dem des Standes der Wissenschaft und Technik zu regeln.1022 Jedoch betrifft die Organverteilung nicht den Fall der Sicherstellung eines dynamischen Grundrechtsschutzes aller Beteiligten, sondern eine Auswahlentscheidung, die nur wenige privilegiert. Diese muss der Gesetzgeber als wesentliche Entscheidung selbst genügend vorstrukturieren.1023 Dass dies möglich ist, zeigt ein rechtsvergleichender Blick in die Schweiz. Das Schweizer Transplantationsgesetz regelt in seinen § 16 ff. die Zuteilung von Organen unter Angabe von Diskriminierungsverboten und maßgeblichen Vergabekriterien. Negative Folgen im Hinblick auf die Funktionalität oder die Flexi­bilität des Transplantationssystems hat es in der Schweiz nicht gegeben.1024 Der Verzicht auf Einmischung in die maßgeblich privat dominierte Verteilungsstrategie zieht sich von der gesetzlichen Vorstrukturierung auf die prak1019  Kritisch dazu schon Krüger, Die Vermittlungstätigkeit Eurotransplants im Sinne des § 12 TPG, S. 199 ff., 310. 1020  Ebda., S. 311; näher zu den Anwendungsregeln siehe auch S. 199 ff.; vgl. auch Molnár-­Gábor, in: Vöneky / Beylage-Haarmann / Höfelmeier u. a. (Hrsg.), Ethik und Recht, S. 325, 335 f. 1021  Ammann, Medizinethik und medizinethische Expertengremien im Licht des öffentlichen Rechts, insbes. S. 521; Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 33; Krüger, Die Vermittlungstätigkeit Eurotransplants im Sinne des § 12 TPG, S. 310; eine Aufführung dieser Kriterien in den Richtlinien der BÄK empfindet als ausreichend jedoch Conrads, in: Dierks / Neuhaus / Wienke (Hrsg.), Die Allokation von Spender­ organen, S. 35, 42. 1022  BVerfGE 49, 89, 137. 1023  Gutmann / Fateh-Moghadam, NJW 2002, S. 3365, 3367; Molnár-Gábor, in: Vöneky / Beylage-Haarmann / Höfelmeier u. a. (Hrsg.), Ethik und Recht, S. 325, 343. 1024  Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 28.

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tische Allokationsentscheidung fort. Weisungsrechte gegenüber Eurotransplant wurden nicht installiert. Ebenso hat sich der deutsche Staat auf die Auswahl der bei der Vermittlungsstelle angestellten handlungsbefugten Personen keinerlei Einfluss vorbehalten.1025 Das Transplantationsgesetz selbst bestimmt die Zuständigkeit Eurotransplants schließlich noch nicht einmal selbst. Insofern verletzt die gesetzliche Ausgestaltung der Allokationsentscheidungen das Demokratieprinzip.1026 cc) Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Überwachung der Vermittlungstätigkeit Genauso wie bei der repressiven Überwachung der Deutschen Stiftung Organtransplantation hat der Gesetzgeber ein gesellschaftlich reguliertes Aufsichtssystem geschaffen. Es stellt sich daher auch an dieser Stelle die Frage, ob sich das installierte Kontrollsystem als äquivalent zu einer staat­ lichen Überwachungsorganisation erweist, indem es den grundrechtlichen Schutzpflichten umfassend gerecht wird. Dabei betrifft die Organvermittlung, als Zuteilung einer knappen medizinischen Ressource, einen zutiefst grundrechtsrelevanten Bereich, der nach einer intensiven Aufsicht verlangt. Diese muss vor allem der weitreichenden Entscheidungsbefugnis von Eurotransplant gerecht werden. Das etablierte Kontrollsystem über Eurotransplant glich jenem über die Koordinierungsstelle und wurde vor der Reformierung des Transplantationsgesetzes durch das TPGÄndG damit zu Recht als überaus defizitär beschrieben.1027 Die repressive Überwachung der Vermittlungsentscheidungen war über eine vertraglich auszugestaltende Prüfungskommission bei den Auftraggebern selbst konzentriert (§ 12 Abs. 4 Nr. 4 S. 2 TPG a. F.), die sich dem Vorwurf ausgesetzt sahen, bewusst reduziert, nämlich „kontrolliert zu kon­

1025  Engels, DV 44 (2011), S. 346, 360; eine ausführliche Darstellung der Organisation Eurotransplants findet sich bei Krüger, Die Vermittlungstätigkeit Eurotransplants im Sinne des § 12 TPG, S. 360 ff. 1026  Zur rechtspolitischen Auseinandersetzung siehe S. 570 ff. 1027  Ammann, Medizinethik und medizinethische Expertengremien im Licht des öffentlichen Rechts, insbes. S. 518 f.; Bader, Organmangel und Organverteilung, S.  132 f.; Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S.  94  ff.; Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 62; Höfling, JZ 2007, S. 481, 483; Holznagel, DVBl 1997, S. 393, 398; Krüger, Die Vermittlungstätigkeit Eurotransplants im Sinne des § 12 TPG, S. 314 ff.; Lang, in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin in Deutschland, S. 61 ff.; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 131 ff.; an diesem Urteil hält noch immer fest Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 60.



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trollieren“1028. Es zeigte sich ein mit der Koordinierungsstelle identisches Bild der aufsichtsrechtlichen Mängel: unzureichende Normierung der Durchsetzung der Auskunfts- und Vorlagerechte sowie des entsprechenden Ver­ fahrens,1029 mangelnde Zwangs- und Sanktionsbefugnisse1030 und fehlende effektive staatliche Einwirkungsmöglichkeiten auf die gesellschaftliche Kontrolltätigkeit1031. Die Bündelung der nachgehenden Überwachung der Vermittlungsstelle bei den Auftraggebern wurde auch bei der Aufsicht über Eurotransplant durch die Gesetzesnovelle von 2012 nicht beseitigt. Anstatt eine Neustrukturierung der Kontrollorganisation vorzunehmen, hat der Gesetzgeber lediglich an einigen Stellschrauben gedreht.1032 Noch immer kontrolliert eine von den Auftraggebern eingesetzte Kommission die Einhaltung des Vermittlungsstellenvertrags. Im Zuge der Reform wurde ein Gleichlauf der Vorschriften zur Überwachung der Vertragseinhaltung von Koordinierungs- und Vermittlungsstelle geschaffen. Es kann insofern auf die verfassungsrechtliche Analyse zur Überwachung der Koordinierungstätigkeit verwiesen werden.1033 Durch § 12 Abs. 5 S. 4 TPG wurde die Aufsicht auch für Eurotransplant erstmals auf eine detailliertere gesetzliche Grundlage gestellt. Diese sieht bei Angabe der Mindestbesetzung der Kommission auch die Beteiligung zweier Vertreter der Länder vor, um den Vorwurf einer ausschließlich von den Vertragspartnern gelenkten Aufsicht entgegenzutreten. Die Kontrolltätigkeit umfasst die Pflicht Eurotransplants, der 1028  Vgl. Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 132  f. m. w. N.; Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S. 80; Conrads, Rechtliche Grundsätze der Organallokation, S. 205; Lang, in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplanta­ tionsmedizin in Deutschland, S. 61, 67; kritisch zur Einschätzung der kontrollierten Kontrolle Lilie, in: Ahrens / Bar / Fischer u. a. (Hrsg.), FS Deutsch 80.  Geburtstag, S. 331, 335. 1029  Ausführlich dazu Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S. 98 ff.; vgl. auch Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 126, 132 f. m. w. N.; Conrads, Rechtliche Grundsätze der Organallokation, S. 205. 1030  Eingehend dazu Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S. 94 ff., 119 ff.; Lilie, in: Ahrens / von Bar / Fischer u. a. (Hrsg.), FS Deutsch 80.  Geburtstag, S. 331, 336 ff.; kritisch in Bezug auf die Kontrolle von Allokationsauffälligkeiten Verrel, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 199, jedoch betont er, dass mangelnde rechtliche Zwangsbefugnisse nicht mit faktischer Ineffizienz gleichzusetzten seien, S. 204. 1031  Lilie, in: Ahrens / von Bar / Fischer u. a. (Hrsg.), FS Deutsch 80.  Geburtstag, S. 331, 336. 1032  Für eine Darstellung der Überwachungsregeln siehe S. 128 ff. 1033  Es wird daher auch auf die verfassungsrechtliche Bewertung der Überwachungskommission im Rahmen der Prüfung der Koordinierungsstelle verwiesen, S.  394 ff.

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Kommission die erforderlichen Unterlagen und erforderlichen Auskünfte zur Verfügung zu stellen (§ 12 Abs. 5 S. 5 TPG). Darüber hinaus wurde die Verpflichtung der Kommission, Erkenntnisse über Verstöße gegen das Transplantationsgesetz oder aufgrund des Transplantationsgesetzes erlassenen Rechtsverordnungen an die zuständigen Behörden der Länder weiterzuleiten, auch für die Aufsicht über die Vermittlungsstelle in § 12 Abs. 5 S. 6 TPG verankert. Die für eine effiziente Kontrolle erforderlichen Zwangs- und Sanktionsmechanismen wurden jedoch nicht installiert. Wie bereits festgestellt,1034 bleiben verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Aufsichtstätigkeit bestehen, sodass weitere Veränderungen auf die politische Agenda gesetzt werden sollten.1035 dd) Exkurs: Die Einhaltung des ordre public-Vorbehalts bei der Organvermittlung In Bezug auf die Vermittlung von Organen hat der deutsche Gesetzgeber einen ordre public-Vorbehalt in § 12 Abs. 1 S. 4 a. E. TPG aufgenommen.1036 Danach dürfen keine Organe in die Bundesrepublik vermittelt werden, deren Entnahme zwar den Rechtsvorschriften des betreffenden Ortes genügt, deren Anwendung jedoch zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts, insbesondere mit den Grundrechten, offensichtlich unvereinbar ist. Paradebeispiel für das Eingreifen des ordre public-Vorbehalts ist die Allokation von Organen Hingerichteter aus dem Ausland.1037 Andere Fälle, wie die Non-Heart-Beating-Donation ((1)) oder die Widerspruchs­ lösung ((2)), sind dagegen nicht so eindeutig zu beantworten. (1) Die Non-Heart-Beating-Donation als Verstoß gegen den ordre public? Ob eine Organentnahme nach festgestelltem Herz-Kreislaufversagen, aber fehlender Hirntoddiagnostik gegen den ordre public verstößt, ist umstritten. Zwar scheidet eine Organexplantation bei Non-Heart-Beating-Donors nach deutschem Recht aus; eine andere rechtliche Handhabung des Sachverhalts 1034  Siehe

dazu die Ausführungen zur Überwachungskommission auf S. 394 ff. dazu im rechtspolitischen Teil S. 572 ff.; eine unzureichende Gesetzesänderung sieht auch Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 60. 1036  Zum ordre public-Vorbehalt vgl. § 6 EGBGB, § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO; eingehend zur Problematik der Vorbehaltsklausel in § 12 Abs. 1 S. 4 TPG siehe Lautenschläger, Der Status ausländischer Personen im deutschen Transplantationssystem, S.  25 ff. 1037  BT-Drs. 13 / 8017, S. 41 f.; Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 16; Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 22. 1035  Siehe



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bedeutet aber noch nicht zwangsläufig einen Verstoß gegen den ordre publicVorbehalt. Vielmehr muss die Entnahmesituation mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts unvereinbar sein. Es wurde bereits erläutert, dass der Eintritt des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls auch nach mehrminütiger Wartezeit nach der Feststellung des Herz-Kreislaufstillstands nicht sicher erwiesen ist.1038 Aus diesem Umstand droht eine Tötung des Patienten bei Beginn der invasiven Maßnahmen, was mit den wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) offensichtlich nicht in Einklang stünde. Tatsächlich unterbleibt die Vermittlung von Organen eines Non-Heart-Beating-Donors nach Deutschland unter Bezugnahme auf den vertraglich wiederholten ordre public-Vorbehalt in § 6 Abs. 2 ET-Vertrag. Ein Verstoß gegen wesentliche Grundsätze des deutschen Rechts wird demgemäß von Eurotransplant angenommen.1039 Ob dies so pauschal gerechtfertigt ist, wird von einigen Stimmen bezweifelt. Dass es keine einheitlichen Vorgaben oder Praktiken im Umgang mit den Non-Heart-Beating-Donors gebe, bedeute nicht, dass es unmöglich sei, vertretbare Kriterien für eine hinreichend zweifelsfreie Todesfeststellung zu definieren.1040 Solange jedoch der Nachweis des zweifelsfreien unabänderlichen Ausfalls der Gesamthirnfunktionen medizinwissenschaftlich nicht erbracht ist, verstößt die Organentnahme bei Non-Heart-­ Beating-Donors aufgrund der Gefahr einer Tötung von Menschen gegen den ordre public, sodass auf diese Art gewonnene Organe zu Recht nicht nach Deutschland vermittelt werden.1041 (2) Die Widerspruchslösung als Verstoß gegen den ordre public? Da in einigen Ländern des Eurotranslant-Zusammenschlusses die Widerspruchslösung gesetzlich verankert wurde, stellt sich die Frage, ob die Anwendung dieses Regelungsmodells gegen den deutschen ordre public verstößt. Die Widerspruchsvariante erweist sich jedoch als ein auch in Deutschland verfassungsgemäßes Rechtskonstrukt, das der Zulässigkeit einer Organzu den Non-Heart-Beating-Donors bereits S. 79 ff. Kapitel 4.3.3 und 9.2.4.5 des ET-Manuals (Stand 2014), abrufbar unter: https: /  / www.eurotransplant.org / cms / index.php?page=et_manual (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 1040  Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 17; er bezeichnet die Vorenthaltung der jeweiligen Organe als „rechtswidrige Verkürzung der Zuteilungschancen der in Deutschland wartenden Patienten“, ders., in: Haarhoff (Hrsg.), Organversagen, S. 143, 158. 1041  So auch Conrads, Rechtliche Grundlagen der Organallokation, S. 207; Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 22; Nickel / Schmidt-Preisigke / Sengler, TPG, § 12 Rn. 6. 1038  Siehe 1039  Vgl.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

entnahme zugrunde gelegt werden könnte.1042 Damit ist eine Kollision mit wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung ausgeschlossen.1043 Ein Verstoß gegen den ordre public bei der Vermittlung von Organen, die aufgrund der Anwendung der Widerspruchslösung entnommen wurden, kann demzufolge nicht festgestellt werden. Organe aus Ländern mit diesem Modell werden zu Recht nach Deutschland alloziert. ee) Ergebnis Eurotransplant, eine privatrechtliche Stiftung niederländischen Rechts, entscheidet über die konkrete Zuteilung eines Organs an einen Patienten auf der einheitlichen Warteliste. Bei dieser Entscheidung kommt ihr trotz der Bindung an das Transplantationsgesetz und die Richtlinien der Bundesärztekammer ein erheblicher Entscheidungsspielraum zu. Würde eine Institution deutschen Rechts an der Stelle von Eurotransplant tätig, so wären ihre Handlungen als Ausübung öffentlicher Gewalt einzuordnen. Die Übertragung deutscher Hoheitsrechte an Eurotransplant verstößt in ihrer heutigen Ausgestaltung gegen Art. 24 Abs. 1 GG. Ebenso sind mangels ausreichender Steuerung der Vermittlungstätigkeit Eurotransplants durch den Gesetzgeber die Anforderungen, die das Demokratieprinzip an die grundrechtsrelevante Aufgabenwahrnehmung formuliert nicht erfüllt. Der Gesetzgeber hätte unter Beachtung des Wesentlichkeitsgrundsatzes weitreichendere Regelungen zur Organverteilung treffen und stärkeren Einfluss auf die Vermittlungsstelle nehmen müssen. Schlussendlich besteht zusätzlich ein nur unzureichendes Überwachungssystem, das auch nach der Gesetzesnovellierung keine ausreichenden Eingriffsbefugnisse der Kontrolleure Eurotransplants vorsieht. Aufgrund des ordre public-Vorbehalts in § 12 Abs. 1 S. 4 a. E. TPG dürfen keine Organe nach Deutschland vermittelt werden, deren Entnahme zwar den Rechtsvorschriften des betreffenden Ortes genügt, deren Anwendung jedoch zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts, insbesondere mit den Grundrechten, offensichtlich unvereinbar ist. Aus diesen Gründen ist eine Allokation von Organen in die Bundesrepublik, die von Non-Heart-Beating-Donors stammen, unzulässig; gegen die Vermitt-

1042  Zur

Verfassungsmäßigkeit der Widerspruchslösung siehe S. 338 ff. BT-Drs. 13 / 8017, S. 42; eingehend zu einem möglichen Verstoß der Widerspruchslösung gegen den ordre public siehe Lautenschläger, Der Status ausländischer Personen im deutschen Transplantationssystem, S. 48 ff., vgl. auch Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 129; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 138. 1043  Vgl.



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen411

lung von Organen aus Ländern mit normierter Widerspruchslösung spricht der deutsche ordre public demgegenüber nicht. h) Defizitärer Rechtsschutz in den wesentlichen Belangen der Transplantationsmedizin Im Gesetzgebungsverfahren zum Transplantationsgesetz standen ersichtlich andere Fragen im Vordergrund als die des Rechtsschutzes. Zu diesen schweigt sich das Gesetz aus. Auch die bisherigen Reformen haben keine Klarstellungen geschaffen, vielmehr wurde die Problematik auf dem politischen Parkett vollkommen ausgespart. Es bleibt damit bei den in der Literatur bereits ausgiebig erörterten Kritikpunkten am mangelhaften Rechtsschutzsystem. Diese seien in der gebotenen Kürze dargestellt. Die grundgesetzlichen Rechtsschutzgarantien, Art. 19 Abs. 4 GG und der allgemeine Justizgewährleistungsanspruch (Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip) gebieten einen angemessenen Rechtsschutz.1044 Das Rechtsschutzgebot aus Art. 19 Abs. 4 GG sichert als lex specialis1045 zum allgemeinen Justizgewährleistungsanspruch den gerichtlichen Rechtsschutz gegen Grundrechtseingriffe staatlicher Gewalt verfassungsrechtlich ab.1046 Er garantiert den Zugang zur allgemeinen Gerichtsbarkeit sowie einen effektiven Rechtsschutz durch die Gerichte.1047 Er ist damit ein Leistungsrecht, das dem Bürger einen Anspruch auf tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle verschafft.1048 Trotzdem obliegt deren Ausgestaltung dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers.1049 Dieser muss jedoch einen geeigneten, angemessenen und zumutbaren Rechtsschutz zur Verfügung stellen.1050 Die konkreten Effektivitätsanforderungen hängen von der Bedeutung und dem sachlichen

1044  Schmidt-Aßmann, NVwZ 2001, Sonderheft, S. 59; näher zum Rechtsschutzgebot im Transplantationsrecht Clement, Der Rechtsschutz potentieller Organempfänger nach dem Transplantationsgesetz, S. 132 ff. 1045  Jarass, in: Jarass / Pieroth (Hrsg.), Kommentar zum GG, Art. 19 Rn. 34. 1046  Ebda., Art. 19 Rn. 35; Sachs, in: Sachs, GG-Kommentar, Art. 19 Rn. 115; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.) GG-Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rn. 85. 1047  BSGE 75, 97, 137. 1048  BVerfGE 41, 23, 26; 101, 106, 123; Jarass, in: Jarass / Pieroth (Hrsg.), Kommentar zum GG, Art. 19 Rn. 32; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.) GG-Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rn. 84. 1049  BVerfGE 100, 313, 364; 101, 106, 123; 118, 168, 207; Jarass, in: Jarass / Pieroth (Hrsg.), Kommentar zum GG, Art. 19 Rn. 52; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.) GG-Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rn. 79. 1050  BVerfGE 77, 275, 284; siehe auch BVerfGE 50, 217, 231; 60, 253, 269; 69, 253, 268 f.; 109, 279, 364; Jarass, in: Jarass / Pieroth (Hrsg.), Kommentar zum GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 52.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

Gehalt des als verletzt behaupteten Rechts ab.1051 Jedenfalls gebietet er eine umfassende Nachprüfung des Verfahrensgegenstandes in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht sowie eine dem Rechtsschutzbegehren angemessene Entscheidungsart und Entscheidungswirkung.1052 Das sich aus Art. 19 Abs. 4 GG ergebene Gebot der Rechtswegklarheit gebietet die ausreichende Bestimmtheit der Rechtsschutz gewährenden Vorschriften; Unklarheiten bei der Bestimmung des Rechtswegs dürfen nicht zu Lasten des Bürgers gehen.1053 Gegenüber privaten Eingriffen versagt der Schutz des Art. 19 Abs. 4 GG zwar, jedoch gewährt der allgemeine Justizgewährleistungsanspruch (Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip) vergleichbaren Schutz.1054 Seine verfassungsrechtliche Grundlage findet er im Rechtsstaatsprinzip i.  V.  m. Art. 2 Abs. 1 GG.1055 Im Folgenden wird überblicksartig auf das Rechtsschutzsystem in der Transplantationsmedizin (aa)) sowie auf ausgewählte gerichtliche Entscheidungen im Bereich der Organverteilung eingegangen (bb)), um die vorhandenen Defizite aufzuzeigen. aa) Das Rechtsschutzsystem in der Transplantationsmedizin Gerade transplantationsrechtliche Verteilungsentscheidungen betreffen die Schicksale der Betroffenen in höchst grundrechtsrelevanter Weise. Daher müssen sie rechtlicher Kontrolle unterliegen, wobei die gerichtliche Überprüfung grundsätzlich in vollem Umfang gewährleistet werden muss. Etwaig propagierten Beurteilungsspielräumen aufgrund von Entscheidungen nach medizinischen Kriterien muss regelmäßig eine Absage erteilt werden, da normative Wertungen bei den vermittlungsrelevanten Entscheidungen im Vordergrund stehen.1056 Eine möglichst umfassende Kontrolle sicherzustel1051  Siehe dazu BVerfGE 39, 1, 42; 88, 203, 255; BSGE 57, 9, 22; Engels, DV 44 (2011), S. 346, 370; Lang, in: Höfling (Hrsg.), TPG, Einf. IV. Rn. 74. 1052  BVerfGE 60, 253, 297; siehe auch BVerfGE 101, 106, 123; 103; 142, 156; 129, 1, 20. 1053  BVerfGE 57, 9, 22; Jarass, in: Jarass / Pieroth (Hrsg.), Kommentar zum GG, Art. 19 Rn. 55; Lang, in: Höfling (Hrsg.), TPG, Einf. IV. Rn. 76; vgl. auch Neft, NZS 2010, S. 16, 21; eine Rechtswegspaltung wird jedoch grds. als zulässig angesehen, BSGE 75, 97, 137 ff. 1054  BVerfG NZA 2009, S. 53; Lang, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 2 Rn. 6; ders., in: Höfling (Hrsg.), TPG, Einf. IV. Rn. 64. 1055  BVerfGE 54, 277, 291; 85, 337, 345; 88, 118, 123. 1056  So schon Lang, in: Höfling (Hrsg.), TPG, Einf. IV. Rn. 59 ff.; siehe auch Neft, NZS 2010, S. 16, 21; vgl. zur Anerkennung von Beurteilungsspielräumen aber auch Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen413

len, ist Aufgabe des Gesetzgebers. Dass er dieser Pflicht jedoch keinesfalls in ausreichendem Maße nachgekommen ist, wird heute kaum noch bestritten.1057 Es bietet sich dem Rechtsschutzsuchenden ein desaströses Bild unterschiedlichster Literaturmeinungen, ohne dass eine gefestigte Rechtsprechung seit der Normierung des Transplantationsgesetzes Klarheit ins Dunkel gebracht hätte. Entgegen dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes ist im Hinblick auf die verteilungsrelevanten Regelungen bereits fraglich, wogegen der Patient genau zu klagen hat (die Richtlinien der Bundesärztekammer, die Festlegungen der Verteilungsregeln im Vermittlungsstellenvertrag, die Anwendungsregeln Eurotransplants?).1058 Ferner sind die Schwierigkeiten bei der Bestimmung des richtigen Rechtwegs im Hinblick auf das Gebot der Rechtswegklarheit dringend änderungsbedürftig. Der Gesetzgeber sollte klarstellen, welcher Rechtsweg bei Streitigkeiten im Transplantationsrecht zu beschreiten ist. Die in transplantationsrechtlichen Bereichen typische Zeitknappheit darf nicht zu Lasten der Beteiligten gehen. Langwierige Rechtswegverweisungen bei Fragen der Organzuteilung können lebensbedrohend wirken.1059 Rechtschutzmöglichkeiten müssen zu jedem Zeitpunkt gegen alle rechtserheblichen Maßnahmen sämtlicher Beteiligter gewährleistet werden, vor allem gegen die Transplantationsrichtlinien ((1)), die Entscheidungen der Transplantationszentren ((2)), die Vermittlungsentscheidungen Eurotransplants ((3)) und die Deutsche Stiftung Organtransplantation ((4)).1060

Gesundheitswesen, S. 113 f.; ausführlich zur Kontrolldichte gerichtlicher Entscheidungen siehe auch Clement, Der Rechtsschutz potentieller Organempfänger nach dem Transplantationsgesetz, S. 187 ff.; speziell im Hinblick auf Eurotransplant Krüger, Die Vermittlungstätigkeit Eurotransplants im Sinne des § 12 TPG, S. 340 ff. 1057  Vgl. nur Gutmann, in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin, S. 113, 121 ff.; Lang, in: Höfling (Hrsg.), TPG, Einf. IV. Rn. 1 ff.; ders., in: Höfling (Hrsg.), TPG, Einf. IV. Rn. 59 ff.; Schmidt-Aßmann, NVwZ 2001, Sonderheft, S. 59 ff.; eingehend Clement, Der Rechtsschutz potentieller Organempfänger nach dem Transplantationsgesetz. 1058  Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 39; ders., Für ein neues Transplantationsgesetz, S. 130; ders., in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 17, 25; Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 68; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 135; vgl. auch Engels, DV 44 (2011), S. 346, 369; Höfling, Patientenschutz-Info-Dienst 3 / 2011, S. 6; ders. / Lang, NJW 2014, S. 3398, 3401. 1059  Vgl. Höfling / Lang, NJW 2014, S. 3398, 3401 f.; Lang, in: Höfling (Hrsg.), TPG, Einf. IV. Rn. 78 ff. 1060  Für eine umfassende Darstellung des Rechtsschutzsystems siehe Clement, Der Rechtsschutz potentieller Organempfänger nach dem Transplantationsgesetz, S.  149 ff.; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S.  217 ff.; Lang, in: Höfling (Hrsg.), TPG, Einf. IV. Rn. 1 ff.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

(1) R  echtsschutz gegen die Transplantationsrichtlinien der Bundesärztekammer Im Hinblick auf die Organzuteilung stellt ein Vorgehen gegen die Bundesärztekammer den ersten Anknüpfungspunkt des Rechtsschutzes dar. Die Richtlinien des ärztlichen Gremiums beeinflussen die konkrete Vermittlungsentscheidung enorm, indem sie die spärlichen gesetzlichen Vorgaben für die Wartelistenentscheidungen sowie die Allokation eines Organs durch Eurotransplant inhaltlich spezifizieren und weiterentwickeln, sodass diese überhaupt erst anwendbare Gestalt annehmen. Die Ausübung hoheitlicher Funktion durch die Richtliniengestaltung führt den Kläger zu den Verwaltungsgerichten (§ 40 Abs. 1 S. 1 VwGO). Da die Transplantationsrichtlinien exekutivisches Recht darstellen, scheidet allerdings ein Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO aus.1061 Ferner unzulässig ist eine abstrakte Feststellungsklage auf Unwirksamkeit oder Rechtswidrigkeit untergesetzlicher Normen.1062 Damit ist lediglich eine inzidente Überprüfung der Transplantationsrichtlinien im Rahmen einer konkreten Einzelfallentscheidung möglich,1063 was mit dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes grundsätzlich in Einklang steht. Auf diesem Wege nicht überprüfbar sind allerdings die enorm grundrechtsrelevanten Richtlinien nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 TPG, da die gerichtliche Kontrolle einer konkreten Vermittlungsentscheidung der ausländischen Stiftung Eurotransplant bisher nicht gewährleistet ist.1064 Grundsätzliche gerichtliche Äußerungen zur Verfassungswidrigkeit bestehender Richtlinienbestimmungen gab es bereits, zeitigten jedoch mangels Relevanz für die Entscheidung keine Folgen.1065 1061  Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S. 130; Clement, Der Rechtsschutz potentieller Organempfänger nach dem Transplantationsgesetz, S. 182. 1062  Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S. 130; Clement, Der Rechtsschutz potentieller Organempfänger nach dem Transplantationsgesetz, S. 182; anders Taupitz, NJW 2003, S. 1145, 1150 der (aufgrund seiner Einordnung der Richtlinien als antizipierte Sachverständigengutachten) eine Feststellungsklage nach § 43 VwGO für zulässig hält; von einer Zulässigkeit geht auch aus Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 249 f.; unter weitem Verständnis der Definition des feststellungsfähigen Rechtsverhältnisses im Rahmen der Feststellungsklage kommt auch Schmidt-Aßmann, NVwZ 2001, Sonderheft, S. 59, 61, zu ihrer Zulässigkeit; ders., Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 111; für eine Feststellungsklage auch Gutmann, in: Schroth / König /  Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 41. 1063  Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S. 130 f.; Clement, Der Rechtsschutz potentieller Organempfänger nach dem Transplantationsgesetz, S. 183 ff. 1064  Siehe Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S. 130 f.; zu den Problemen gegen die konkrete Vermittlungsentscheidung vorzugehen siehe S. 416 ff. 1065  Etwa das Landgericht Göttingen (Az. 6 Ks 4 / 13) hat bei seinem Freispruch des Göttinger Transplantationschirurgen seine Überzeugung von der Verfassungswid-



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Keine spürbare Auswirkung auf die Wirksamkeit des Rechtsschutzsystems dürfte die Einführung des Genehmigungsvorbehalts durch das Gesundheitsministerium für die Richtlinien haben. Auch wenn man die Drittwirkung des durch das Ministerium ergehenden Rechtssakts annimmt, kommt eine Überprüfung der Genehmigung – und damit die Inzidentkontrolle der jeweiligen Richtlinie – nur anhand eines konkreten Einzelfalls eines durch die Genehmigung benachteiligten Betroffenen in Betracht. (2) Rechtsschutz gegen die Entscheidungen der Transplantationszentren Die wartelisterelevanten Entscheidungen der Transplantationszentren stellen einen weiteren Anknüpfungspunkt bei der Rechtsschutzsuche dar. Nach herrschender Meinung bestimmt sich die Art der Streitigkeit nach der Natur des Rechtsverhältnisses, solange keine ausdrückliche Zuweisung des Rechtswegs erfolgt ist.1066 Bei der Bestimmung des Rechtswegs sowie der Klageart wird daher vornehmlich auf das Behandlungsverhältnis zwischen Patient und Klinik abgestellt.1067 Relevant sind in diesem Fall die Bestimmung der Trägerschaft des Transplantationszentrums (öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich) sowie der Versicherungsstatus des Patienten (gesetzlich oder privat). Bei öffentlich-rechtlicher Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen ist streitig, ob der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist1068 oder aufgrund einer analogen Anwendung von § 51 SGG die Sozialgerichte zuständig sind.1069 Bei privatrechtlicher Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen ist der Zivilrechtsweg zu bestreiten (§ 13 GVG).1070 Richtig ist es aber, den Rechtsschutz derjenigen Entscheidungen, die sich auf die Warteliste beziehen und sich daher als verteilungsrelevant erweisen (z. B. Aufnahme, Herausnahme, Dringlichkeitsstatus, Einstufung als nicht transplantabel) insgesamt dem Verwaltungsrechts-

rigkeit der Aufnahmebestimmungen für die Lebertransplantationswarteliste kundgetan. Ebenso hat das Bundesverfassungsgericht (Beschl. v. 28.01.2013 – 1 BvR 274 / 12) ungeklärte Rechtsfragen in Bezug auf die Richtliniengestaltung angenommen. 1066  SGE 53, 62, 63; Schmidt-Aßmann, NVwZ 2001, Sonderheft, S. 59, 60. 1067  Vgl. Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 10 Rn. 14; Lang, in: Höfling (Hrsg.), TPG, Einf. IV. Rn. 6 ff.; Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 101. 1068  So Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S. 129; Clement, Der Rechtsschutz potentieller Organempfänger nach dem Transplantationsgesetz, S. 165 f.; Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 10 Rn. 14; Lang, in: Höfling (Hrsg.), TPG, Einf. IV. Rn. 34; Schmidt-Aßmann, NVwZ 2001, Sonderheft, S. 59, 60. 1069  Baltzer, SGb 1998, S. 437, 441; Zuck, GesR 2006, S. 244, 248. 1070  Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S.  129; Lang, in: Höfling (Hrsg.), TPG, Einf. IV. Rn. 44 bzgl. der Aufnahmeentscheidung in die Warteliste.

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weg zuzuweisen.1071 Die Auswahlentscheidung des Transplantationszentrums stellt sich insoweit als eine hoheitliche Entscheidung dar und ist als Verwaltungsakt zu qualifizieren.1072 Rechtswegunklarheiten können die Suche nach effektivem Rechtsschutz erheblich erschweren, was im Bereich der Verteilung von Lebenschancen nur schwer hinnehmbar ist.1073 Bisher nur unzureichend normierte Auskunftspflichten der Transplanta­ tionszentren erschweren die Beschreitung des Rechtswegs zusätzlich und sind zumindest optimierbar. (3) Rechtsschutz gegen die Vermittlungsentscheidung Eurotransplants Will sich ein Betroffener gegen die eigentliche Vermittlungsentscheidung wehren, wird er sowohl mit rechtlichen als auch tatsächlichen Hindernissen konfrontiert. Die hoheitlich wirkenden Entscheidungen einer privaten Stiftung ausländischen Rechts können von deutschen Gerichten nicht nach dem deutschen öffentlichen Recht überprüft werden.1074 Da der Patient selbst auch keine vertragliche Beziehung zu Eurotransplant eingeht, ist der Rechtsweg zu deutschen Gerichten insgesamt abgeschnitten.1075 Den Vermittlungsstellenvertrag in Teilen als einen Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (der Patienten) zu qualifizieren, dürfte sich als schwierig erweisen.1076 Theoretisch möglich bleibt die Verfolgung der Rechtssache vor niederländischen Gerichten. Der Richterspruch ausländischer Gerichte genügt dem Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes jedoch nicht.1077 Zusätzlich kommt es zu erheblichen Unsicherheiten über den Gegenstand, den Ort und die Modalitäten der Klage sowie die Vollstreckbarkeit der Entscheidung, was gegen 1071  So schon Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 10 Rn. 13; zustimmend Schneider, Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Organallokation, S.  98 f. 1072  Zur hoheitlichen Tätigkeit der Transplantationszentren siehe S. 382 ff. 1073  Siehe dazu auch die Ausführungen zu ausgewählten Gerichtsentscheidungen, S.  419 ff. 1074  Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 40; ders., Für ein neues Transplantationsgesetz, S. 130; ders., in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 17, 25; Höfling / Lang, NJW 2014, S. 3398, 3402; vgl. auch Lang, VSSR 2002, S. 21 ff. 1075  Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 67; zur Beschreitung des Verwaltungsrechtswegs gegen die Vermittlungsentscheidung siehe aber auch Clement, Der Rechtsschutz potentieller Organempfänger nach dem Transplantationsgesetz, S.  149 ff.; Krüger, Die Vermittlungstätigkeit Eurotransplants im Sinne des § 12 TPG, S.  335 ff. 1076  Diese Überlegung wirft in den Raum Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 40. 1077  BVerfGE 4, 74, 94 f.; 11, 232, 233; Höfling / Lang, NJW 2014, S. 3398, 3402.



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die erforderliche Rechtswegklarheit spricht.1078 Dem deutschen Staat ist es jedoch verwehrt, Rechtsbeeinträchtigungen in der Bundesrepublik zuzulassen, ohne für einen ausreichenden Rechtsschutz zu sorgen.1079 Einem Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG könnten jedoch möglicherweise tatsächliche Gründe entgegengehalten werden. Rechtsschutz gegen eine konkrete Vermittlungsentscheidung wird aufgrund der kurzen Ischämiezeit von Organen nicht möglich sein. Auch im einstweiligen Rechtsschutz wäre die Gefahr zu groß, dass ein Organ verfallen würde.1080 Tatsächlich müssen Organe aus medizinischen Gründen alsbald nach der Hirntodfeststellung transplantiert werden, um eine möglichst gute Organfunktion zu sichern. Die Zulassung eines Rechtsschutzantrags, der darauf zielt die Durchführung der konkreten Vermittlungsentscheidung zu verhindern, ist daher aus tatsäch­ lichen Gründen abzulehnen. Das gilt jedoch nicht für den nachgehenden Rechtsschutz. Ein zu Unrecht benachteiligter Patient muss die Möglichkeit haben, mittels einer Fortsetzungsfeststellungs- oder Schadensersatzklage vor Gericht gehört zu werden.1081 Um diese in der Praxis realisieren zu können, 1078  Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 68; Schmidt-Aßmann, NVwZ 2001, Sonderheft, S. 59, 61; vgl. auch Engels, DV 44 (2011), S. 346, 369; Gutmann, in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin, S. 113, 122. 1079  BVerfGE 58, 1, 40 f.; 89, 155, 174; Gutmann, Für ein neues Transplantationsgesetz, S. 130; ders., in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 17, 25; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 135; Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 112 f. 1080  Baltzer, SGb 1998, S. 437, 438; Clement, Der Rechtsschutz potentieller Organempfänger nach dem Transplantationsgesetz, S. 158; Engels, DV 44 (2011), S. 346, 368; Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 39; ders., Für ein neues Transplantationsgesetz, S. 130; ders., in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 17, 25; Lang, in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin in Deutschland, S. 61, 63; Neft, NZS 2010, S. 16, 21; Nickel / Schmidt-Preisgke / Sengler, TPG, § 12 Rn. 1; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 134; vgl. auch Holznagel, DVBl 1997, S. 393, 396 f.; Krüger, in: Charbonnier / Laube (Hrsg.), Organ- und Gewebetransplantation, S. 13, 15; Lang, in: Höfling (Hrsg.), TPG, Einf. IV. Rn. 66; kritisch jedoch unter Hinweis auf innerhalb kurzer Fristen getroffenen Eilentscheidungen im Demonstrationsrecht Höfling / Lang, NJW 2014, S. 3398, 3402, jedoch dürfte die Entscheidungskomplexität im Transplantationsrecht diejenige von üblichen und den Gerichten geläufigen Demonstrationsentscheidungen übersteigen. 1081  Vgl. Clement, Der Rechtsschutz potentieller Organempfänger nach dem Transplantationsgesetz, S. 158; Gutmann, Für ein neues Transplantationsgesetz, S. 130; ders., in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin, S. 113, 122; Lang, in: Höfling (Hrsg.), TPG, Einf. IV. Rn. 87; dagegen jedoch Krüger, in: Charbonnier / Laube (Hrsg.), Organ- und Gewebetransplantation, S. 13, 15, mit dem Argument, dass ein solcher Rechtsschutz für die Beteiligten unzumutbar wäre und der übergangene Patient ohnehin einen der oberen Plätze auf der Warteliste

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müssen jedoch Informationspflichten gegenüber den Patienten etabliert werden. Da ein übergangener Patient nach der heutigen Rechtslage von der konkreten Allokationsentscheidung nichts erfährt, wird ihm das Ersuchen von Rechtsschutz von vornherein unmöglich gemacht.1082 Ebenso installiert werden muss ein präventiver Rechtsschutz, mit dem sich der Bürger gegen die Handlungen Eurotransplants im Vorfeld der konkreten Vermittlung, insbesondere den Erlass der Anwendungsregeln, wenden kann.1083 Insgesamt zeigt sich in der mangelnden Angreifbarkeit der Vermittlungsentscheidung Eurotransplants ein deutliches Rechtsschutzdefizit im System der Organtransplantation.1084 (4) Rechtsschutz gegen die Deutsche Stiftung Organtransplantation Nicht in die Vermittlungsentscheidung eingebunden, aber dennoch mit grundrechtsrelevanten Aufgaben betraut, ist die Koordinierungsstelle. Die Handlungen der als solche agierenden privaten Institution Deutsche Stiftung Organtransplantation sind vornehmlich privatrechtlicher Natur.1085 Gegen diese ist der Zivilrechtsweg eröffnet. Als Achillesferse erweist sich jedoch belege. Diese Argumentation geht jedoch fehl. Es ist nicht ersichtlich, wer von der Entscheidung des Betroffenen, Rechtsschutz zu suchen, unzumutbar schwer betroffen sein soll. Der zu Unrecht Begünstigte muss im Nachgang das erhaltene Organ keinesfalls mehr abgeben; auf eine Unzumutbarkeit für Eurotransplant wird man wohl kaum ernsthaft abstellen können. Dass der negativ betroffene Patient einen oberen Listenplatz einnimmt, kann sein Rechtsschutzbedürfnis nicht schmälern. An ein fehlendes Feststellungsinteresse könnte allenfalls bei einer erfolgreichen Organzuteilung gedacht werden (ähnlich das VG München, Urt. v. 26.06.2014, Az. M 17 K 13 / 808, das ein Feststellungsinteresse bei einer Klage gegen die Herausnahme aus der Warteliste aufgrund einer erfolgten Transplantation verneint hat). 1082  Kritisch bereits Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S. 131; Gutmann, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 17, 26; Krüger, Die Vermittlungstätigkeit Eurotransplants im Sinne des § 12 TPG, S. 337; Zuck, GesR 2006, S. 244, 248; anders aber Clement, Der Rechtsschutz potentieller Organempfänger nach dem Transplantationsgesetz, S. 164 f., der bei seinem Rechtsschutzsystem schon mit der Prämisse einer Bekanntgabe arbeitet. 1083  Vgl. Gutmann, in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin, S. 113, 121 f.; Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 113. 1084  Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 68; Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 112  f.; ders., NVwZ 2001, Sonderheft, S. 59, 61; siehe auch Gutmann, Für ein neues Transplantationsgesetz, S.  139 f.; Krüger, Die Vermittlungstätigkeit Eurotransplants im Sinne des § 12 TPG, S. 334 ff.; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 134 ff. 1085  Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S.  132; Lang, in: Höfling (Hrsg.), TPG, Einf. IV. Rn. 23; anders aber Baltzer, SGb 1998, S. 437, 441, der von



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen419

die Tatsache, dass die Patienten keine vertraglichen Bindungen mit der Koordinierungsstelle eingehen. Eine vertragliche Ausgestaltung der Beziehungen findet sich nur zu den Krankenhäusern und Transplantationszen­ tren. Denkbar wäre allenfalls eine Konstruktion über § 278 BGB, in der die Deutsche Stiftung Organtransplantation als Erfüllungsgehilfe der Kliniken angesehen würde.1086 Bei Erlass der verbindlichen Verfahrensanweisungen (§ 11 Abs. 1a S. 2 Nr. 1–9 TPG) wird die Koordinierungsstelle jedoch hoheitlich tätig. Diese sind als untergesetzliche Rechtsnormen zu qualifizieren.1087 Wie bei der Überprüfung der Transplantationsrichtlinien der Bundesärztekammer kommt lediglich eine inzidente Überprüfung im Rahmen einer konkreten Einzelfallentscheidung in Frage, da ein Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO und eine abstrakte Feststellungsklage ausscheiden. bb) Exkurs: ausgewählte Gerichtsentscheidungen Die Versäumnisse des Gesetzgebers gegenüber dem effektiven Rechtsschutz in der Transplantationsmedizin konnte auch durch die Gerichte nicht ausgeglichen werden. Eine einheitliche Rechtsprechungslinie hat sich bisher nicht entwickelt. Exemplarisch seien einige Rechtsstreitigkeiten zur Verdeutlichung der herrschenden Unsicherheiten und den verfassungsrechtlichen Problemen des Transplantationswesens herausgegriffen. Besondere Unklarheit herrscht bezüglich der Bestimmung des richtigen Rechtswegs für verteilungsrelevante Entscheidungen. Obwohl die Rechtswissenschaft für diese Art von Streitigkeiten zu weiten Teilen den Verwaltungsrechtsweg eröffnet sieht, hat sich das LG Essen in einer Streitigkeit um eine wartelisterelevante Entscheidung eines Transplantationszentrums für zuständig erklärt.1088 Das LG Essen (Urt. v. 21.11.2007, Az. 1 O 312 / 07) befasste sich mit einem Fall, in dem eine Israelin zunächst auf die Warteliste angemeldet, nach einer Beschwerde von Eurotransplant aufgrund ihres Non-Resident-Status (fehlender Wohnsitz in einem Eurotransplant Mitgliedsland) jedoch wieder abgemeldet wurde. Das Gericht entschied, dass ein Anspruch auf Aufnahme in die Warteliste grundsätzlich aus dem Behandlungsvertrag zwischen Patient und Transplantationszentrum folge. Auf den möglichen einer Verwaltungsaktsqualität der Maßnahmen ausgeht und die einschlägigen Streitigkeiten der Sozialgerichtsbarkeit zuweisen will. 1086  Siehe Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S. 132. 1087  Zur verfassungsrechtlichen Problematik der Rechtsetzungskompetenz der Koordinierungsstelle siehe S. 392 ff., zur rechtspolitischen Betrachtung siehe S. 567 ff. 1088  Dies bemerkt schon Gutmann, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 17, 27.

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hoheitlichen Charakter der Aufnahmeentscheidung ging es nicht ein. Soweit die Voraussetzungen für eine Aufnahme vorlägen, bestehe der Anspruch, unabhängig davon, ob es sich beim Patienten um einen Non-Resident handelt. Dies folge daraus, dass die „internen Vorschriften“ der Vermittlungsstelle zur Nichtberücksichtigung von Non-Residents für die Transplantationszentren allenfalls im Verhältnis zu Eurotransplant bindend seien.1089 Als eine Frau aufgrund einer Beschwerde-E-Mail ihres Ehemanns von der Warteliste gestrichen wurde hat das VG München (Urt. v. 26.06.2014, Az. M 17 K 13 / 808) seine Zuständigkeit angenommen und damit den Verwaltungsrechtsweg für eine wartelisterelevante Entscheidung für eröffnet erklärt. Es hat jedoch von einem Urteil in der Sache abgesehen und die Klage wegen eines fehlenden Fortsetzungsfeststellungsinteresses als unzulässig abgewiesen, da der Klägerin in einem anderen Zentrum bereits eine Niere transplantiert worden war.1090 Obwohl das VG München eine Sachentscheidung nicht getroffen hat, benennt es verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber dem geltenden Transplantationsrecht. Es führte jedoch aus, dass die Klägerin während des Zeitraums, in dem sie nicht auf der Warteliste bei Eurotransplant aufgeführt war, hätte ohne Weiteres „grundsätzlich Rechtsschutz“ erlangen können.1091 Allerdings ist dieser Weg heute ein höchst beschwerlicher. Bereits das VG München hat für die Entscheidung über den Rechtsweg knapp 13 Monate gebraucht.1092 Diese gerichtliche Bewertung zeigt, dass Rechtsschutzun­ sicherheiten nach der heutigen Rechtslage zu Lasten der Rechtsschutzsuchenden gehen.1093 Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof ließ die Berufung nicht zu (Az. 5 ZB 14.1919). Gegen die gerichtlichen Entscheidungen richtete sich eine Verfassungsbeschwerde.1094 Sie trug die vage 1089  Eingehend zur Entscheidung siehe Augsberg, GesR 2009, S. 78; mit Blick insbesondere auf das verfassungsrechtliche Problem der Zugangsbeschränkung für Non-Residents Engels, MedR 2011, S. 541 ff.; im internationalen Kontext siehe Bulbach, in: Höfling (Hrsg.), TPG, Einf. II. Rn. 31 ff. 1090  Kritisch im Hinblick auf die Verneinung des Fortsetzungsfeststellungsinteresses und weiteren Unwägbarkeiten des Urteils Höfling / Lang, NJW 2014, S. 3398, 3399 ff. 1091  VG München NJW 2014, S. 3367 Rn. 52; kritisch zu dieser Wertung Höfling / Lang, NJW 2014, S. 3398, 3400. 1092  Vgl. den Bericht der medstra, abrufbar unter: https: /  / www.medstra-online.de /  news / strafrechtslehrer-erheben-verfassungsbeschwerde-gegen-organvergabesystem (zuletzt abgerufan am 30.06.2017). 1093  Zur Kritik siehe schon Höfling / Lang, NJW 2014, S. 3398, 3399. 1094  Eingelegt wurde die Verfassungsbeschwerde durch die Juraprofessoren Wolfram Höfling und Heinrich Lang, vgl. die Berichterstattung der Ärztezeitung, abrufbar unter: http: /  / www.aerztezeitung.de / politik_gesellschaft / medizinethik / article / 8940 48 / nicht-transplantabel-verfassungsbeschwerde-wegen-vermerk.html (zuletzt abgerufen am 30.06.2017).



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Hoffnung in sich, endlich die verfassungsrechtlich dringend notwendigen Klarstellungen von höchstrichterliche Stelle einfordern zu können. Wenn das Bundesverfassungsgericht in der Sache entschieden hätte, wäre wohl ein entscheidender Wendepunkt für die gesamte Transplantationsmedizin erreicht worden. Die zweite Kammer des Ersten Senats hat in ihrem Nichtannahmebeschluss jedoch eine Grundrechtsverletzung der Beschwerdeführerin ausgeschlossen (BVerfG, Beschl. v. 06.07.2016, Az. 1 BvR 1705 / 15). Es hat die Ansicht des Instanzgerichts bestätigt, dass Fachgerichte das Rechtsschutzbegehren vom Vorliegen eines schutzwürdigen Interesses abhängig machen dürfen. Art. 19 Abs. 4 GG garantiert den Rechtsweg zwar nicht nur bei gegenwärtigen, sondern grundsätzlich auch bei vergangenen Rechtsverletzungen, allerdings unter dem Vorbehalt eines darauf bezogenen Rechtsschutzbedürfnisses.1095 Mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes sei es demgemäß grundsätzlich vereinbar, wenn die Fachgerichte ein Rechtsschutzinteresse nur so lange als gegeben ansehen, wie ein gerichtliches Verfahren dazu dienen kann, eine gegenwärtige Beschwer auszuräumen, einer Wiederholungsgefahr zu begegnen oder eine fortwirkende Beeinträchtigung durch einen an sich beendeten Eingriff zu beseitigen.1096 Einen Fall des sich typischerweise kurzfristig erledigenden Grundrechtseingriffs konnte das Gericht nicht ausmachen, da das ursprüngliche Rechtsschutzziel der Patientin – die Änderung ihres Status von „nicht transplantabel“ zu „transplantabel“ – eine gewisse Zeitspanne betraf und infolgedessen einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich war. Die Kammer führt aus, für die Patientin habe die Möglichkeit der Erlangung von Eilrechtsschutz ausgereicht. Die Ungewissheit, welches Gericht überhaupt nach (einstweiligem) Rechtsschutz ersucht werden könne, befand das Bundesverfassungsgericht als unberechtigten Einwand. Solchen Schwierigkeiten sei von Verfassungs wegen dadurch Rechnung getragen, dass der Rechtsweg durch verbindliche Verweisung an das zuständige Gericht einer Klärung zugeführt würde (insbesondere durch § 17a GVG). Die Fachgerichte könnten in dringenden Fällen binnen kürzester Zeit Eilrechtsschutz gewähren, indem sie den Rechtsstreit sogleich an das zuständige Gericht verwiesen. Ein offenes Zeitfenster für die Patientin mag im vorliegenden Fall – und nur diesen hatte das Gericht zu entscheiden – zur Verfügung gestanden haben. Dieser Umstand darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass andere Ausgangslagen, insbesondere bei anderen Organen als der Niere, nicht nur theoretisch denkmöglich sind. In diesem Fall bedeuten auch kurzfristigere Rechtswegverweisungen für Patienten tiefgreifende Grundrechtsbeschneidungen, die im schlimmsten Fall ihren Tod bedeuten könnten, weil sie eine erfolgreiche Organzuteilungschance in diesem Zeitfenster verpassen. 1095  BVerfGE 1096  BVerfGE

110, 77, 85. 110, 77, 85.

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Das Kernstück des effektiven Rechtsschutzes umfasst gerade auch die Rechtssicherheit, durch welches Vorgehen eine (vorläufige) gerichtliche Klärung am zügigsten ohne – lebensgefährdenden – Zeitverlust durch notwendig werdende justizinterne Maßnahmen – wie die einer Verweisung – zu erlangen ist. Die Klarheit und Bestimmtheit von Rechtswegvorschriften hat das Bundesverfassungsgericht schließlich selbst zur unabdingbaren Anforderung an eine rechtsstaatliche Ordnung erhoben.1097 Ein jüngeres Instanzurteil in der Sache betraf erneut eine Ablehnung der Aufnahme in die Warteliste und wurde wieder auf dem Zivilrechtsweg ausgefochten. Das OLG Hamm (Urt. v. 25.03.2014, Az. 26 U 135 / 13) gab der Transplantationsklinik in vollem Umfang Recht. Es entschied, dass die Nichtanmeldung des an Leberkrebs erkrankten Patienten bei Eurotransplant kein Behandlungsfehler gewesen sei, da keine reelle Chance auf eine erfolgreiche Transplantation bestanden hätte. Auch eine Lebendtransplantation durften sie aufgrund der nicht geringen Risiken für den Spender ablehnen. Ohne Sachentscheidung endete die Klage eines Iraners vor dem LG Bielefeld (Az. 4 O 106 / 11), folglich wieder auf dem Zivilrechtsweg. Aufgrund seiner mangelhaften Deutschkenntnisse hatte ihm das Herz-Nierenzentrum Bad Oeynhausen einen Platz auf der Warteliste verweigert. Begründet wurde dies mit einer mangelnden Mitwirkungsmöglichkeit (Compliance) des Pa­ tienten im Zuge der Transplantation sowie deren Nachsorge. Über die Schmerzensgeldforderung des Klägers wurde sich verglichen. Jedoch hat das Bundesverfassungsgericht (Beschl. v. 28.01.2013  – 1 BvR 274 / 12) im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde des Patienten auf Prozesskostenhilfe angedeutet, dass die Ausgangsgerichte schwierige, bislang ungeklärte Rechtsfragen zu entscheiden hätten und führte den Streit um die Richtlinienermächtigung der Bundesärztekammer und ihre inhaltliche Ausgestaltung an. Die Wartelisten-Zugangsvoraussetzung der Compliance steht schon seit Jahren in der Kritik. Es ist zu erwarten, dass sich die dahingehende Debatte nach der Gerichtsentscheidung in der Literatur weiter verschärft. Dass in der Transplantationsmedizin verfassungsrechtlich einiges im Argen liegt, wurde nun auch von höchstrichterlicher Seite angedeutet, auch wenn das Bundesverfassungsgericht darüber im Einzelnen nicht zu entscheiden hatte. Besondere mediale Aufmerksamkeit wurde dem Fall eines türkischen Jungen gewidmet, der während einer unkontrollierten Reanimation e­inen irreversiblen Hirnschaden erlitten hatte und vom Kinderherzzentrum I­stanbul nach Deutschland eingeflogen wurde. Da er ein neues Herz brauchte, forderten die Eltern seine Aufnahme in die Warteliste, was das Universitätsklinikum Gießen-Marburg jedoch ablehnte. Die Entscheidung wurde von einer 1097  BVerfGE

57, 9, 22.



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen423

nach den Richtlinienvorgaben der Bundesärztekammer besetzten Transplantationskonferenz getroffen und damit begründet, dass der gravierende Hirnschaden eine Aufnahme mangels langfristiger Erfolgsaussichten nicht mehr zulasse. Genauso verweigerten andere Zentren die Listung des Jungen wegen der Kontraindikation. Seine Eltern reichten einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen das Universitätsklinikum beim Landgericht Gießen ein. Das Gericht bestätigte die Entscheidung der Ärzte jedoch (Urt. v. 24.10.2014, Az. 3 O 290 / 14). Es wies auch den Vorwurf der Behindertendiskriminierung zurück. Nicht die Hirnschädigung an sich stelle das Transplantationshindernis dar, sondern die sich aus dieser ergebenden Operationsrisiken. Das Schicksal des Kindes sei kein ungewöhnlicher Einzelfall; vielmehr gebe es viele Patienten, für die eine Transplantation zwar medizinisch notwendig, aber nicht mit ausreichenden Erfolgsaussichten verbunden ist, sodass diesen ein Zugang zur Transplantation verwehrt bleibt.1098 cc) Ergebnis Die Darstellungen der bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten und die mit ihnen verbundenen Unsicherheiten belegen die Verfassungswidrigkeit des geltenden Systems. Der Gesetzgeber hat die grundgesetzlichen Rechtsschutzgarantien, Art. 19 Abs. 4 GG und den allgemeinen Justizgewährleistungsanspruch im Transplantationsgesetz unterminiert, sodass dringender Reformbedarf besteht.1099 i) Entscheidungsmaßstäbe der verteilungsrelevanten Entscheidungen Im Rahmen der Aufgabenanalyse der in das Transplantationswesen eingebundenen Akteure wurde bereits aufgezeigt, dass sich staatliche Stellen bei den Bestimmungen über die Verteilung der knappen Ressource „Organ“ weitgehend aus der Entscheidungsverantwortung zurückgezogen haben.1100 1098  Zum Fall des türkischen Jungen siehe die regelmäßige Berichterstattung des DÄBl zur Gerichtsentscheidung insbesondere http: /  / www.aerzteblatt.de /nachrichten/  60602 / Urteil-Herzkranker-Junge-kommt-nicht-auf-Transplantationsliste (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 1099  Siehe dazu S. 573 ff.; Schneider, Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Organallokation, S. 91 ff. hingegen sieht, bis auf die konkrete Vermittlungsentscheidung Eurotransplants, ausreichenden Rechtsschutz im Transplantationssystem gewährleistet, verkennt dabei jedoch die zahlreichen aufgezeigten Rechtsunsicherheiten. 1100  Vgl. zur kritischen Analyse der Übertragung wesentlicher Entscheidungen auf die Bundesärztekammer schon S. 351 ff.; a. A. im Hinblick auf die Verteilungsregelungen aber Woinikow, Richtlinien der Transplantationsmedizin, S. 346 ff.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

Die Herleitungsgrundlage der Kriterien zur Aufnahme in die Warteliste und der konkreten Organvermittlung soll, nach dem Willen des Gesetzgebers, der Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft sein. Die Bundesärztekammer wurde beauftragt, diesen für die Wartelistenführung sowie die Organallokation in Richtlinien festzustellen (§ 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Nr. 3 TPG). Entgegen dem Wortlaut werden dem Gremium normative Entscheidungen über die Versorgung von Patienten mit Organen aufgebürdet. Eine gesetzliche Vorsteuerung existiert mit der pauschalen Vorgabe einer Entscheidung nach dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft – bei der Aufnahme auf die Warteliste insbesondere nach „Notwendigkeit und Erfolgsaussicht“ (§ 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG) und bei der Zuteilung eines Organs insbesondere nach „Erfolgsaussicht und Dringlichkeit“ (§ 12 Abs. 3 S. 1 TPG) – nur rudimentär.1101 Die Richtlinien formulieren damit die ausschlaggebenden normativen Leitlinien in der Transplantationsmedizin.1102 Hinzu kommen die nicht unwesentlichen Handlungsspielräume der Transplantationszentren bei den wartelisterelevanten Entscheidungen sowie die von Eurotransplant aufgestellten Anwendungsregeln bei der Organalloka­ tion.1103 Das derivative Teilhaberecht der erkrankten Patienten aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG verpflichtet den Staat zur Ermöglichung eines willkürfreien, gleichberechtigten Zugangs zum Allokationssystem.1104 Da sich die Teilhabe in der leistungsrechtlichen Dimension der Grundrechte abspielt, ist der Staat in seiner Schutzpflicht angesprochen. Bei Wahrnehmung dieser grundrechtlichen Schutzverpflichtung hat er einen weiten Ge-

1101  Vgl. Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 20; Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 2, § 16 Rn. 25. Eine ähnliche Rechtslage findet sich in Österreich. Nach den Vorgaben des § 10 Nr. 4 OTPG hat die Gesundheit Österreich GmbH wissenschaftliche Empfehlungen für alle Phasen des Transplantationsprozesses aufzustellen. Diese haben Verfahrensanweisungen hinsichtlich der „Regeln für die Zuteilung von Organen, die dem Stand der medizinischen Wissenschaft, insbesondere nach Erfolgsaussicht und Dringlichkeit für geeignete Patientinnen / Patienten, zu entsprechen haben, unter Berücksichtigung der Kriterien der Stiftung Eurotransplant International, (…) zu enthalten“. 1102  Augsberg, in: Pühler / Middel / Hübner, Praxisleitfaden Gewebegesetz, S. 103, 105; so auch Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 6; zustimmend Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 2, 13; ähnlich Lang, MedR 2005, S. 269, 270. 1103  Zu den Entscheidungen der Transplantationszentren siehe S. 385 ff.; für die Entscheidungsspielräume Eurotransplants siehe S. 403 ff. 1104  Eingehend zu den Leistungs- und Teilhaberechten in der Transplantationsmedizin Krüger, Die Vermittlungstätigkeit Eurotransplants im Sinne des § 12 TPG, S. 152 ff.; zum derivativen Teilhaberecht im Transplantationssystem siehe auch Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 297 ff.



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staltungspielraum, der lediglich durch das Untermaßgebot begrenzt wird.1105 Staatliche Stellen sind jedoch verpflichtet, notwendige Strukturen, eine ausreichende Organisation sowie inhaltliche Vorgaben zur Gewährleistung einer effektiven Grundrechtswahrnehmung bereitzustellen.1106 Sie haben sich dabei am Ziel einer möglichst gerechten Organallokation zu orientieren.1107 Während die Arbeit mit den im Transplantationswesen etablierten Akteuren insbesondere die Struktur und Organisation dieses Versorgungsbereichs in den Blick genommen hat, sollen nun die inhaltlichen Vorgaben der Verteilungsentscheidungen im Vordergrund stehen. Seit der Verabschiedung des Transplantationsgesetzes im Jahre 1997 herrscht nicht nur eine kontroverse Debatte um den Rückzug des Staates aus seiner Entscheidungsverantwortung in Bezug auf die Organisation der transplantationsrechtlichen Allokationsentscheidungen, sondern auch über die inhaltliche Ausgestaltung der Verteilungsregelungen. Dies betrifft einmal die gesetzlichen Vorgaben zur Wartelistenführung und Organverteilung sowie zum anderen die Ausgestaltung der Transplantationsrichtlinien. Da weder die Gesetzesreformen noch die Überarbeitung der Richtlinien durch die Bundesärztekammer in den letzten Jahren wesentliche Neuerungen gebracht haben, sollen die Grundlagen der Verteilung nur überblicksartig behandelt werden.1108 Kontroverse Punkte, wie die Verfassungsmäßigkeit der Berücksichtigung von Erfolgsaussichten, werden hingegen näher betrachtet. Im Zentrum steht die Betrachtung der Vereinbarkeit der Allokationskriterien des Transplantationsgesetzes mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben ((aa)) und die Konformität der Kriterien in den Richtlinien mit dem Transplantationsgesetz ((bb)).

1105  Vgl. BVerfGE 88, 203, 254 f.; 92, 26, 46; BVerfGE, NVwZ 2011, S. 991, 994; Lang, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 2 Rn. 76; zum Erfordernis einer sachgerechten Ausgestaltung von Krankeneinrichtungen und Ausgestaltung von Teilhabemöglichkeiten BVerfGE 57, S. 70, 99. 1106  Ausführlich zu den staatlichen Schutzpflichten bei der Organvermittlung siehe Krüger, Die Organvermittlungstätigkeit Eurotransplants im Sinne des § 12 TPG, S.  127 ff. 1107  Zum Grundsatz einer gerechten Organverteilung siehe im ethischen Teil S.  255 ff. 1108  Ausführlich zu den rechtlichen Grundsätzen der Organverteilung Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 289 ff.; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S.  40 ff.; Opper, Die gerechte und rechtmäßige Verteilung knapper Organe, S. 112 ff.; Ulrich, Durchbrechungen der Allokationskriterien des § 12 Abs. 3 TPG, S. 79 ff.

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aa) Verfassungsmäßigkeit der verteilungsrelevanten Vorgaben des Transplantationsgesetzes Zur Analyse der Verfassungsmäßigkeit der Allokationskriterien des Transplantationsgesetzes sollen zunächst die relevanten verfassungsrechtlichen Grundlagen – in gebotener Kürze – vorgestellt ((1)) und sodann anhand von diesen eine Bewertung des Transplantationsgesetzes vorgenommen werden ((2)). (1) Verfassungsrechtliche Grundlagen Das Grundgesetz enthält keine konkreten Vorgaben für einen Verteilungsmodus begrenzter Ressourcen im Gesundheitswesen. Allerdings formen seine Wertentscheidungen einen Rahmen, innerhalb dessen sich die Allokationsanweisungen des einfachen Gesetzgebers zu halten haben. Der Staat ist bei der normativen Regelung von Verteilungsentscheidungen vielfältigen grundrechtlichen und sozialstaatlichen Bindungen unterworfen, denn wenn er sich entscheidet, Allokationsregeln für einen grundrechtsrelevanten Bereich aufzustellen, unterliegt er auch den Bindungen rechtsstaatlichen Handelns.1109 Elementares Gewicht erhält vor allem die subjektive Rechte gewährende Seite der Grundrechte.1110 In Bezug auf endliche Ressourcen kann es jedoch keine unbegrenzten Leistungsansprüche geben. Obwohl regelmäßig das Leben als „Höchstwert der Verfassung“1111 sowie das elementare Recht der körperlichen Unversehrtheit betroffen sind, wird das Gesundheitswesen seit jeher neben der Allokation von Rationierung und Priorisierung dominiert. Letzteres bezeichnet die Zuteilung knapper Güter nach bestimmten Kriterien sowie einer bestimmten Rangfolge und beschreibt damit ein wesentliches Dilemma in der Transplantationsmedizin.1112 Priorisierungen in der Gesundheitsversorgung sind grundrechtlich wesentliche Entscheidungen, denn die Versorgung mit notwendigen gesundheitlichen Leistungen ist Voraussetzung für eine Freiheits- und Persönlichkeitsentfaltung.1113 1109  Mit Bezug zur Organallokation Gutmann / Fateh-Moghadam, in: Gutmann /  Schneewind / Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen gerechter Organverteilung, S. 59, 70. 1110  Gutmann / Fateh-Moghadam, in: Gutmann / Schneewind / Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen gerechter Organverteilung, S. 59, 61. 1111  BVerfGE 39, 1, 42; 49, 24, 53. 1112  Ausführlich zur Rationierung und Priorisierung im Gesundheitswesen Ahlert / Kliemt, in: Hensen / Kölzer (Hrsg.), Die gesunde Gesellschaft, S. 249 ff.; Oduncu, MedR 2012, S. 359 ff. sowie Welti, MedR 2010, S. 379 ff. 1113  Vgl. Gutmann / Fateh-Moghadam, in: Gutmann / Schneewind / Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen gerechter Organverteilung, S. 59, 71; Neumann, NZS 2006, S. 393, 396; Welti, MedR 2010, S. 379, 384; ders., GesR 2015, S. 1; von der Gesund-



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Daher muss der Gesetzgeber die Ziele, die Kriterien und das Verfahren der Priorisierungen selbst festlegen.1114 Die inhaltliche Ausgestaltung der Vorgaben ist vornehmlich am Maßstab der Grundrechte zu messen.1115 Zwar haben die Patienten schon mangels ausreichender Verfügbarkeit der Ressource keinen Anspruch auf den Erhalt eines Organs, allerdings verbinden sich Freiheits- und Gleichheitsgrundrechte (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG) zu einem derivativen Teilhabeanspruch an den verfügbaren Ressourcen.1116 Dieses Teilhaberecht an den vorhandenen Versorgungskapazitäten wird durch ethische Prinzipien wie Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität angereichert, die im Sozialstaatsprinzip verankert sind.1117 Die Menschenwürde garantiert zudem einen Anspruch auf soziale Gerechtigkeit, die sich in Chancengleichheit und Bedürfnisgerechtigkeit ausdrückt.1118 Differenzierungen nach einem bestimmten Wert eines Lebens (Lebenswertdifferenzierungen) sind unzulässig.1119 Der Grundsatz der Lebenswertindifferenz aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verbietet damit alle Allokationskriterien, die an eine unterschiedliche Bewertung des Lebensrechts der Patienten anknüpfen.1120 Eine rein utilitaristische Betrachtung im Sinne einer Kosten-Nutzen-Rechnung der Priorisierungen würde zu einer heit als „Voraussetzung für die Verwirklichung aller persönlichen Lebensentwürfe“ spricht auch Schmitz-Luhn, Priorisierung in der Medizin, S. 121; ähnlich auch Kreß, Ethik der Rechtsordnung, S. 220. 1114  Welti, MedR 2010, S. 379, 384. 1115  Katzenmeier, ZEFQ 104 (2010), S. 364; ders., in: Schmitz-Luhn / Bohmeier (Hrsg.), Priorisierung in der Medizin, S. 1, 3. 1116  Dannecker / Streng, JZ 2012, S. 446; Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 43; ders. / Fateh-Moghadam, in: Gutmann / Schneewind /  Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen gerechter Organverteilung, S. 59, 68 ff.; SchulzeFielitz, in: Dreier (Hrsg.) GG-Kommentar, Art. 2 Abs. 2 Rn. 96; Starck, in: Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 2 Rn. 211; ausführlich Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 297 ff. 1117  Vgl. allgemein zum sozial-ethischen Rahmen bei Verteilungsentscheidungen im Gesundheitswesen Oduncu, MedR 2012, S. 359, 362. 1118  Oduncu, MedR 2012, S. 359, 362; zur sozialen Gerechtigkeit vgl. auch Gutmann / Fateh-Moghadam, in: Gutmann / Schneewind / Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen gerechter Organverteilung, S. 59, 73; Sommermann, in: Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 20 Rn. 103 ff.; näher zu diesen Erwägungen siehe auch bei der ethischen Betrachtung der Verteilungsgerechtigkeit S. 255 ff. 1119  Künschner, Wirtschaftlicher Behandlungsverzicht und Patientenauswahl, S. 29; Oduncu, MedR 2012, S. 359, 362; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 172; Schmitz-Luhn, Priorisierung in der Medizin, S. 125; näher zum Verbot der Differenzierung nach dem Lebenswert in der Transplantationsmedizin Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 314 ff. 1120  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 316; vgl. auch Gutmann / FatehMoghadam, in: Gutmann / Schneewind / Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen gerechter Organverteilung, S. 59, 80.

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ökonomischen Bewertung des menschlichen Lebens führen und ist unter dem Grundgesetz daher nicht haltbar.1121 Das Gleichheitsgebot verlangt eine Patientenauswahl nach sachlich gerechtfertigten und die Wertentscheidungen des Grundgesetzes berücksichtigenden Kriterien.1122 Der individuelle Anspruch auf Gleichbehandlung verschafft dem Einzelnen einen derivativen Teilhabeanspruch an der vorhandenen Gesundheitsleistung, solange sie anderen Patienten in einer vergleichbaren Situation zur Verfügung gestellt wurde.1123 Ungleichbehandlungen bei der Verteilung knapper Güter sind jedoch unumgänglich, dürfen die vorstehenden Prinzipen allerdings nicht torpedieren. Daher muss jede Ungleichbehandlung gerechtfertigt sein, was bedeutet, dass sie, wenn sie sich negativ auf den Gebrauch von Freiheitsrechten auswirkt, verhältnismäßig sein muss (sog. Neue Formel).1124 Bei der Verteilung medizinischer Ressourcen sind bei der Abwägungsentscheidung insbesondere die Wertungen des Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und des Sozialstaatsprinzips zu berücksichtigen.1125 Ein derivatives Teilhaberecht an den vorhandenen Ressourcen zwingt staatliche Stellen folglich zur Gleichbehandlung von vergleichbaren Sachverhalten. Allerdings gewährt es keinen Anspruch des Einzelnen auf die Schaffung weiterer Kapazitäten.1126 Ein Anspruch auf Ausschöpfung vorhandener Kapazitäten besteht jedoch.1127 Hinzu kommt das Gebot der effektiven Nutzung der vorhandenen Ressourcen,1128 welches sich bei der Bewertung des 1121  Katzenmeier, in: Schmitz-Luhn / Bohmeier (Hrsg.), Priorisierung in der Medizin, S. 1, 4; Vosteen, Rationierung im Gesundheitswesen und Patientenschutz, S. 361; Welti, MedR 2010, S. 379. 1122  Brech, Triage und Recht, S. 199; Gutmann / Fateh-Moghadam, in: Gutmann /  Schneewind / Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen gerechter Organverteilung, S. 59, 72; Schott, Patientenauswahl und Organallokation, S. 88. 1123  Vgl. Brech, Triage und Recht, S. 199; Francke, Ärztliche Berufsfreiheit und Patientenrechte, S.  84 f.; Osterloh / Nußberger, in: Sachs (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 3 Rn. 53; Schott, Patientenauswahl und Organallokation, S. 87; Seewald, Gesundheit als Grundrecht, S. 41 ff. 1124  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 303; zur Neuen Formel siehe BVerfGE 60, 123, 134; 82, 126, 146; 88, 87, 96; 112, 164, 174. 1125  Brech, Triage und Recht, S. 204. 1126  BVerfGE 303, 333, 334 f.; Osterloh / Nußberger, in: Sachs (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 3 Rn. 56; Vosteen, Rationierung im Gesundheitswesen und Patientenschutz, S. 350; vgl. auch Murswiek, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, § 192 Rn. 85. 1127  Siehe BVerfGE 33, 303, 338; 43, 291, 313 f.; Brech, Triage und Recht, S. 199. 1128  Brech, Triage und Recht, S. 199; Francke, Ärztliche Berufsfreiheit und Pa­ tientenrechte, S. 84; Vosteen, Rationierung im Gesundheitswesen und Patientenschutz, S. 351.



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geltenden Organallokationssystems als entscheidend erweisen wird. Um der Wertentscheidung des Grundgesetzes, Leib und Leben des Einzelnen als elementare Grundvoraussetzungen menschlicher Existenz zu schützen und dem Sozialstaatsprinzip gerecht zu werden, bedarf es der Etablierung eines Versorgungssystems, das sich als effektiv funktionsfähig erweist.1129 (2) V  erwirklichung der verfassungsrechtlichen Grundlagen bei der Organzuteilung gemäß § 12 Abs. 3 S. 1 TPG Der Gesetzgeber stellt bei der Organallokation auf eine Verteilung nach Regeln ab, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen sollen, insbesondere auf „Erfolgsaussicht und Dringlichkeit“ (§ 12 Abs. 3 S. 1 TPG). Diese Kriterien werden in der Gesetzesbegründung um das Merkmal der Chancengleichheit ergänzt.1130 Trotz der auf die medizinische Wissenschaft abstellenden Gesetzesformulierung werden durch die Organverteilung hauptsächlich normative Wertungen nicht-medizinischer Art getroffen.1131 Das Verteilungskriterium der Dringlichkeit ((a)) lässt sich – in Anlehnung an die Grundsätze des Polizei- und Strafrechts – durch Art und Rang des gefährdeten Rechtsguts, die zeitliche Nähe und Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sowie das zu erwartende Ausmaß des Schadens bestimmen.1132 Laut Gesetzesbegründung muss der Gesundheitszustand des Patienten im Hinblick auf seine verbleibenden Überlebenschancen bewertet werden.1133 Die Allokationsrichtlinien definieren den „Grad der Dringlichkeit nach dem gesundheitlichen Schaden, der durch die Transplantation verhindert werden soll. Patienten, die ohne Transplantation unmittelbar vom Tod bedroht sind, werden bei der Organvermittlung vorrangig berücksichtigt.“1134 Allerdings sind dies auch regelmäßig diejenigen Aspiranten, denen eine Transplanta1129  Näher dazu bei der verfassungsrechtlichen Bewertung der Einbeziehung der Erfolgsaussichten in den Allokationsprozess S. 433 ff. 1130  BT-Drs. 13 / 4355, S. 26; die Erwähnung des Merkmals Chancengleichheit erweist sich aber lediglich als deklaratorisch, da seine Berücksichtigung bereits verfassungsrechtlich geboten ist, Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 322. 1131  Lang, MedR 2005, S. 269, 276 f. spricht von „verdeckten“ und „offenen“ Gerechtigkeitskriterien und subsumiert die geltenden Verteilungskriterien unter den jeweils gültigen Gerechtigkeitsmaßstab. 1132  Vgl. Bader, Organmangel und Organverteilung, S.  328; Gutmann / FatehMoghadam, in: Gutmann / Schneewind / Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen gerechter Organverteilung, S. 59, 92 ff.; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 171. 1133  BT-Drs. 13 / 4355, S. 26. 1134  Vgl. die allgemeinen Grundsätze in den Allokationsrichtlinien der BÄK.

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tion – im Vergleich zu anderen Konkurrenten – keinen großen Nutzen mehr bringt. Ihr Gesundheitszustand ist bereits derart in Mitleidenschaft gezogen, dass ihre Überlebenswahrscheinlichkeit oder die Dauer der erwarteten Transplantatfunktion eher niedrig ausfällt.1135 Als Korrektiv hat der Gesetzgeber das Kriterium der Erfolgsaussicht ((b)) hinzutreten lassen. Dieses verhält sich grundsätzlich umgekehrt proportional zur Dringlichkeit.1136 Ein weniger dringender Patient hat aufgrund seines insgesamt stabileren Gesundheitszustands regelmäßig höhere Erfolgsaussichten. „Kriterien des Erfolgs einer Transplantation sind die längerfristig ausreichende Transplantatfunktion und ein damit gesichertes Überleben des Empfängers mit verbesserter Lebensqualität. Die Erfolgsaussichten unterscheiden sich nach Organen, aber auch nach definierten Patientengruppen.“1137 Gemäß der Gesetzesbegründung beispielhaft zu berücksichtigende Parameter sind die Blutgruppe, der HLA-Status sowie die Größe und das Gewicht des Spenderorgans.1138 Es wird deutlich, dass die beiden Kriterien Erfolgsaussicht und Dringlichkeit in einem problematischen Spannungsverhältnis stehen, das durch eine Abwägungsentscheidung aufgelöst werden muss. Es sind gerade nicht die dringlichsten Patienten, denen durch eine Transplantation am meisten geholfen werden kann. Vielmehr sind es die Gesünderen, die einen längerfristigen Transplantationserfolg erwarten lassen. Bedürftigkeit und „ökonomische Effizienz“ im Sinne eines nutzenoptimalen Einsatzes der Ressource widersprechen sich.1139 Da zwingend eine Auswahl von Patienten getroffen werden muss, stellt sich die Frage, welche Zielsetzung über die Anwendung der beiden Kriterien verfolgt werden soll. Die Lebensrettung der Bedürftigsten? Eine quantitative Nutzenmaximierung des Ressourceneinsatzes zur Maximierung der kollektiv gewonnen Lebensjahre oder Organfunktionsraten? Oder etwa die Rettung möglichst vieler Patientenleben? Hinzu kommen grundsätzliche Gerechtigkeitsaspekte, wie jenes der Chancengleichheit ((c)).

1135  Vgl. Bader, Organmangel und Organverteilung, S.  332; Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 24; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 170; Lang, MedR 2005, S. 269, 277 f.; Nickel / Schmidt-Preisigke / Sengler, TPG, § 12 Rn. 9. 1136  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 332; Dannecker / Streng / Ganten, in: Schmitz-Luhn / Bohmeier (Hrsg.), Priorisierung in der Medizin, S. 147, 148; Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 24. 1137  Vgl. die allgemeinen Grundsätze in den Allokationsrichtlinien der BÄK. 1138  BT-Drs. 13 / 4355, S. 26. 1139  Gutmann / Fateh-Moghadam, in: Gutmann / Schneewind / Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen gerechter Organverteilung, S. 59, 74 f.



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen431

(a) Ressourcenverteilung nach Dringlichkeit Der Vorzug dringlicher Patienten entspricht der Logik der staatlichen Schutzpflicht für Leben und Gesundheit.1140 Das gilt unabhängig davon, ob eine Ungleichbehandlung der geeigneten und bedürftigen Wartelistenkandidaten angenommen wird1141 oder Patienten unterschiedlicher Dringlichkeitsstufen nicht als vergleichbare Personengruppe eingestuft werden.1142 Da der Gleichheitssatz den Zugang zu medizinischen Maßnahmen entsprechend der Schutzbedürftigkeit für jeden Patienten in gleichem Maße gewährleistet, markieren die Eintrittswahrscheinlichkeit und die Intensität drohender Schäden essentielle Anknüpfungspunkte für die Ressourcenverteilung.1143 Die Schutzpflicht des Staates für das Leben und die körperliche Unversehrtheit des Einzelnen verstärkt sich mit der Verdichtung der Gefahr. Sie stellt als Ausdruck individueller Bedürftigkeit ein verfassungsrechtlich gebotenes Vergabekriterium dar.1144

1140  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 352, der von einer Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung von geeigneten und bedürftigen Patienten ausgeht. Gutmann / Fateh-Moghadam, in: Gutmann / Schneewind / Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen gerechter Organverteilung, S. 59, 93 hingegen gehen von einer mangelnden Vergleichbarkeit der Patienten aus, da die Nichtberücksichtigung unterschiedlicher Bedrohungslagen eine Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem bedeuten würde. 1141  So Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 351. 1142  So Gutmann / Fateh-Moghadam, in: Gutmann / Schneewind / Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen gerechter Organverteilung, S. 59, 93. 1143  Bohmeier / Schmitz-Luhn, in: Schmitz-Luhn / Bohmeier (Hrsg.), Priorisierung in der Medizin, S. 125, 126; Katzenmeier, ZEFQ 104 (2010), S. 364, 365; ders., in: Schmitz-Luhn / Bohmeier (Hrsg.), Priorisierung in der Medizin, S. 1, 4 f.; siehe auch Schreiber, in: Nagel / Fuchs (Hrsg.), Soziale Gerechtigkeit im Gesundheitswesen, S. 302; Taupitz, in: Nagel / Fuchs (Hrsg.), Rationalisierung und Rationierung im deutschen Gesundheitswesen, S. 86, 99. 1144  Vgl. Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 352; Bohmeier / SchmitzLuhn, in: Schmitz-Luhn / Bohmeier (Hrsg.), Priorisierung in der Medizin, S. 125; Brech, Triage und Recht, S. 258; Gutmann, Für ein neues Transplantationsgesetz, S. 134; ders. / Land, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 87, 95 f.; ders. / Fateh-Moghadam, in: Gutmann / Schneewind / Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen gerechter Organverteilung, S. 59, 92 ff.; Katzenmeier, ZEFQ 104 (2010), S. 364, 365; ders., in: Schmitz-Luhn / Bohmeier (Hrsg.), Priorisierung in der Medizin, S. 1, 4; Oduncu, MedR 2012, S. 359, 363; Schmitz-Luhn, Priorisierung in der Medizin, S. 125; Taupitz, in: Nagel / Fuchs (Hrsg.), Rationalisierung und Rationierung im deutschen Gesundheitswesen, S. 86, 99; ausführlich zu den Richtlinienkriterien zur Gewährleistung einer Behandlung nach Dringlichkeit Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 390 ff., vgl. auch schon die ethische Betrachtung der medizinischen Bedürftigkeit als maßgebliches Verteilungskriterium auf S. 258.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

Umstritten ist allerdings, ob die Dringlichkeit zeitpunkt- oder zeitraumbezogen definiert werden soll. Fakt ist, dass bei der Transplantation eines bestimmten Patienten die Ressource „Organ“ für jeden anderen Bedürftigen verloren ist. Da die Organangebote knapp bemessen sind, ist absehbar, dass es eine erneute Zuteilungschance nicht für jeden Patienten geben wird, einige folglich versterben werden. Vertreten wird daher teilweise ein zeitraumbezogener Dringlichkeitsbegriff, der alle Patienten in die gleiche Dringlichkeitsstufe einordnet, denen nach gleicher Wahrscheinlichkeit in der Zukunft keine lebensrettende Behandlung mehr zukommt.1145 Andere hingegen bestimmen das Dringlichkeitskriterium zeitpunktbezogen bei der einzelnen Auswahlentscheidung. Es könne für die Gefahr ausschließlich auf das konkret bedrohte Leben ankommen.1146 Allerdings lässt sich dem zeitraumbezogenen Dringlichkeitsbegriff seine normative Plausibilität nicht absprechen. Angesichts der enormen Knappheit von Spenderorganen erweist es sich als reiner Zufall, welcher Aspirant von vergleichbar dringlichen Wartelistenkandidaten gerade die höchste Dringlichkeit aufweist. Ergeht kein erneutes Organangebot, versterben die nichtberücksichtigten Patienten alle gleichermaßen. Ein zeitpunktbezogenes Dringlichkeitskriterium kann diese Sachlage nicht vollständig erfassen, sodass sich die zeitraumbezogene Betrachtung als vorzugswürdig erweist. Danach sind all diejenigen Patienten in die gleiche Dringlichkeitsgruppe einzustufen, denen nach statistischer Prognose die gleiche Wahrscheinlichkeit zukommt, in Zukunft nicht rechtzeitig ein lebensrettendes Transplantat zu erhalten.1147 Es kann keinen Unterschied machen, ob ein Patient unmittelbar vom Tode bedroht ist oder sein Tod wegen der Aussichtslosigkeit einer Organzuteilung ex ante ebenso wahrscheinlich ist. Den Staat treffen in Ansehung all dieser Patienten die gleichen Schutzpflichten.1148

1145  Für den zeitraumbezogenen Dringlichkeitsbegriff Brech, Triage und Recht, S.  260 f.; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 92; Schneider, Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Organallokation, S. 159; Schott, Patientenauswahl und Organallokation, S. 374. 1146  Für den zeitpunktbezogenen Dringlichkeitsbegriff Bader, Organmangel und Organverteilung, S.  329 ff.; Gutmann / Fateh-Moghadam, in: Gutmann / Schneewind /  Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen gerechter Organverteilung, S. 59, 95 ff., die auch auf die Schwierigkeit der Prognoseentscheidung hinweisen. Organzuteilungen sind jedoch ständig auf verschiedenste Prognoseentscheidungen angewiesen, sodass die Abhängigkeit von statistischen Aussagen kein durchgreifendes Argument gegen den zeitraumbezogenen Dringlichkeitsbegriff sein kann. Auch die Einordnung eines Patienten als dringlichsten Kandidaten beruht auf von Statistiken abhängigen Prognosen. 1147  Brech, Triage und Recht, S. 260; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 92. 1148  Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 92.



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen433

(b) D  ie verfassungsrechtliche Problematik der Berücksichtigung von Erfolgsaussichten Im Hinblick auf die Berücksichtigung der Erfolgsaussichten einer Transplantation besteht weit größerer verfassungsrechtlicher Diskussionsbedarf. Möglicherweise findet über dieses Kriterium eine unzulässige Diskriminierung nach einem festgesetzten Lebenswert statt, was gegen den Grundsatz der Lebenswertindifferenz verstoßen würde. Dieser Grundsatz verlangt qualitativ, dass eine unterschiedliche Behandlung von Menschen aufgrund eines – nach welchen Kriterien auch immer – festgelegten Wertes unterbleibt.1149 Hinzu kommt in quantitativer Hinsicht, dass auch die restliche Dauer des Lebens unberücksichtigt bleiben muss.1150 An diesen Maßstäben zeigt sich, dass die Anwendung der Erfolgsaussicht, wenn sie auf eine längerfristige Transplantatfunktion und ein damit gesichertes Überleben des Empfängers mit verbesserter Lebensqualität abstellt, verfassungsrechtlich problematisch ist. Als Verteilungskriterium zur Maximierung des aggregierten Gewinns an Lebensjahren, Organfunktionsraten und quantifizierbarer Lebensqualität des Patientenkollektivs eingesetzt, arbeitet sie mit der utilitaristischen Zielsetzung, das einzelne Organ möglichst effizient einzusetzen. Es wird darauf abgestellt, wie viele (qualitativ bereinigte) Lebensjahre mit dem Organ gerettet werden können bzw. wie lange dieses Organ voraussichtlich funktionstüchtig bleiben wird. Diese Analyse steht aber in einem Spannungsverhältnis zum grundsätzlich egalitären Teilhabeanspruch aller Patienten. Sie kollidiert so mit der individuellen Ausrichtung des Grundrechtsschutzes.1151 Die staatliche Schutzpflicht besteht gegenüber jedem einzelnen

1149  Die qualitative Wertungsfreiheit firmiert schon als allgemeine strafrechtliche Grundregel, Eser / Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder (Hrsg.), StGB-Kommentar, Vor. §§ 211 ff. Rn. 14; siehe auch Dürig, in: Maunz / Dürig u. a. (Hrsg.), GGKommentar, Art. 2 Abs. 2 S. 1 (2009), Rn. 10; mit Bezug zum Transplantationsrecht Augsberg, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 163, 165; Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 337 ff.; Gutmann, Für ein neues Transplantationsgesetz, S. 133 f. 1150  Exemplarisch dazu die Entscheidung des BVerfG zum Luftsicherheitsgesetz, BVerfGE 115, 118, 158; siehe auch Dürig, in: Maunz / Dürig u. a. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 2 Abs. 2 S. 1 (2009), Rn. 10; mit Bezug zum Transplantationsrecht Augsberg, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 163, 165; Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 337 ff.; Gutmann, Für ein neues Transplantationsgesetz, S. 133 f. 1151  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 343; vgl. auch Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 44; ders., Für ein neues Transplantationsgesetz, S. 133; ders., in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin, S. 113, 130  f.; ders. / Fateh-Moghadam, in: Gutmann / Schneewind /  Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen gerechter Organverteilung, S. 59, 73 ff.; weniger

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

Leben und nicht gegenüber dem Leben allgemein.1152 Unter diesem Aspekt wird regelmäßig vorgeschlagen, das Allokationskriterium verfassungskonform so auszulegen, dass lediglich minimale Erfolgsaussichten Berücksichtigung finden; d. h. es dürften nur solche Patienten posteriorisiert werden, die letztlich keinen Nutzen mehr von dem Transplantat haben.1153 Andererseits könnte sich die Erfolgsaussicht als integraler Bestandteil eines Verteilungssystems zur Maximierung der überlebenden Organempfänger als zulässig erweisen, wenn man die Zielerreichung an bestimmte Vo­ raussetzungen knüpft.1154 Es sei hier unbestritten, dass unter der Herrschaft des Grundgesetzes ausschließlich lebenswertindifferente Kriterien zur Organverteilung herangezogen werden dürfen sowie auch, dass das Erfolgskriterium verfassungsrechtlich nicht unbedenklich ist, wenn es zur „Maximierung des aggregierten Gesamtnutzens des Patientenkollektivs“1155 eingesetzt wird, das die Organüberlebensraten oder verbleibenden Lebensraten der Aspiranten vergleicht.1156 Eine Negation des Individualschutzes unter dem Grundgesetz würde seinem anti-utilitaristischen Charakter zuwider lau-

skeptisch im Hinblick auf das Prinzip der Lebenswertindifferenz jedoch Woinikow, Richtlinien der Transplantationsmedizin, S. 343. 1152  BVerfGE 88, 203, 252. 1153  Vgl. Bader, Organmangel und Organverteilung, S.  344  f.; Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 10 Rn. 10; ders., in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin, S. 113, 130; ders. / Fateh-Moghadam, in: Gutmann / Schneewind / Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen gerechter Organverteilung, S. 59, 73 ff., 92 ff.; Schneider, Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Organallokation, S. 165 f.; vgl. auch Schreiber, in: Nagel / Fuchs (Hrsg.), Soziale Gerechtigkeit im Gesundheitswesen, S. 302, 308. Höfling, JZ 2007, 481, 486 hält zumindest die generelle Zulässigkeit der Berücksichtigung von Erfolgsaussichten für verfassungsrechtlich fraglich und plädiert für die Festsetzung einer Vorrangstellung der Dringlichkeit im TPG. Für einen Vorrang des Dringlichkeitsfaktors auch Gutmann, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 17, 20; Taupitz, ZEFQ 104 (2010), S. 400, 403. Das Abstellen auf die Maximierung der Organfunktionsraten im Sinne einer utilitaristischen Nutzenmaximierung hält Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 45 ff. dagegen für zulässig. Er sieht den Utilitarismus jedoch durch das Sozialstaatsprinzip und die Menschenwürde begrenzt, S. 60 ff. Zur Untersuchung von Zuteilungskriterien anhand der Minimalnutzenschwelle siehe jüngst Schneider, Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Organallokation, S. 166 ff. 1154  So Dannecker / Streng, JZ 2012, S. 444 ff.; auch Schneider, Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Organallokation, S. 151 erkennt an, dass eine Nutzenmaximierung den Grundrechten nicht per se entgegensteht, solange die Lebenswertindifferenz gewahrt bleibt. 1155  Gutmann / Fateh-Moghadam, in: Gutmann / Schneewind / Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen gerechter Organverteilung, S. 59, 80. 1156  Das bestreiten auch nicht Dannecker / Streng, JZ 2012, S. 444, 446.



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen435

fen.1157 Eine ökonomische Bewertung des Lebens kennt dieses nicht.1158 Eine Posteriorisierung von Bedürftigen, die ausschließlich drauf basiert, dass diese in geringerem Umfang von einem Transplantat profitieren würden, ist folglich verfassungswidrig. Wendet man die Blickrichtung auf eine andere Auswirkung der Einbeziehung von Erfolgsaussichten bei der Ressourcenvergabe, zeigt sich Folgendes: Die Vergabe von Organen an Patienten mit einer höheren Erfolgsaussicht führt zu einem effizienten Einsatz des gesamten knappen Organbestands, sodass die Zahl der profitierenden Individuen im Vergleich zur reinen Dringlichkeitsallokation gesteigert wird.1159 Dies ergibt sich daraus, dass mit höherer Erfolgsaussicht die Retransplantationsbedürftigkeit des Patienten sinkt und er daher erst zu späterer Zeit ein neues Spenderorgan benötigt. Dadurch erhalten auch die nicht berücksichtigten Patienten auf der Warteliste einen Vorteil. Bei der Anwendung des Dringlichkeitskriteriums können zwar unmittelbar drohende Todesfälle abgewehrt werden; dadurch werden andere Patienten jedoch nur aufgeschoben bis sie schließlich auch in unmittelbarer Todesgefahr schweben.1160 Ein baldiges Retransplantationsbedürfnis versperrt zusätzlich den Rettungsweg für einen weiteren Patienten. Das Ziel, vorhandene Ressourcen so einzusetzen, dass möglichst viele Menschen vor dem Tod bewahrt werden, erweist sich als effizienzgesteuert. Effizienzgesichtspunkte, als Teil der Funktionsfähigkeit eines Systems, müssen jedoch nicht zwingend ein Ausdruck von reinem Utilitarismus sein, sondern können auch in einer primär deontologisch und gerechtigkeitstheoretisch ausgerichteten Ethik Beachtung finden.1161 Die Etablierung eines Ver1157  Vgl. Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 44; ders. / Fateh-Moghadam, in: Gutmann / Schneewind / Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen gerechter Organverteilung, S. 59, 73 ff. 1158  Katzenmeier, ZEFQ 104 (2010), S. 364, 366; Vosteen, Rationierung im Gesundheitswesen und Patientenschutz, S. 361. 1159  Vgl. Dannecker / Streng, JZ 2012, S. 444, 451; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 93, 171. Die nicht unerhebliche Anzahl der Wartelistekandidaten, die bereits transplantiert wurden, belegen, dass Retransplanta­ tionen keine Ausnahmekonstellation bilden, vgl. ebda., S. 119. 1160  Vgl. dazu Ahlert / Granigg / Greif-Higer u. a., FOR 655 Working Paper Nr. 08 / 2008, S. 6. Eine Änderung der Regeln zur Leberallokation, bei der maßgeblich nach Dringlichkeit alloziert wird, fordern zur Wiederherstellung eines Gleichgewichts mit der Erfolgsaussicht Benckert / Quante / Jonas ZEFQ 104 (2010), S. 397, 398 f. 1161  Quante, in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin, S. 101, 109; auch Gutmann / Land, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 87, 111 erkennen an, dass ein legitimes Allokationsmodell auch Effi­ zienzgesichtspunkte angemessen berücksichtigen muss; eine Verbindung des Dringlichkeitskriteriums befürwortet auch Schreiber, in: Nagel / Fuchs (Hrsg.), Soziale Gerechtigkeit im Gesundheitswesen, S. 302, 309.

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sorgungssystems, das sich als besonders effektiv und damit gut funktionsfähig zeigt, entspricht der Wahrnehmung der staatlichen Schutzpflicht gegenüber allen bedürftigen Individuen. Diese Schutzpflichten können sich zu konkreten Leistungspflichten verdichten.1162 Aus der Wertentscheidung des Grundgesetzes, Leib und Leben des Einzelnen zu schützen, und dem Sozialstaatsprinzip, ergibt sich das Recht eines jeden auf ein funktionsfähiges Gesundheitssystem;1163 folglich auch auf ein funktionsfähiges Transplanta­ tionswesen als Teil der öffentlichen Gesundheitsfürsorge.1164 Dies gilt umso mehr, als der Staat ein Monopol für sich beansprucht und eine Selbstbeschaffung von Organen verbietet. Die Schutzpflicht des Staates und der Teilhabeanspruch des Einzelnen gebieten daher sogar die Verwirklichung eines möglichst effizienten – viele Menschenleben rettenden – Allokationssystems.1165 Grundpfeiler dieses Gebots ist das menschliche Existenzminimum. Jeder Mensch hat unter dem Grundgesetz einen Anspruch auf die Gewährleistung seines Existenzminimums.1166 Dieser geht mit einem subjektiven Recht auf 1162  Vgl. Brech, Triage und Recht, S. 183; Seewald, Gesundheit als Grundrecht, S. 71; Schreiber, in: Nagel / Fuchs (Hrsg.), Soziale Gerechtigkeit im Gesundheitswesen, S. 302. 1163  Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 2 Rn. 225; siehe auch Oduncu, MedR 2012, S. 359, 364; näher zum Gesundheitssystem im Sozialstaat Götz, Sozialstaatsprinzip und Gesundheitssystem. 1164  Ein Gebot zur effizienten Ausgestaltung des Allokationssystems sehen auch Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 322 und Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 93. 1165  Vgl. Brech, Triage und Recht, S. 238; Dannecker / Streng, JZ 2012, S. 447; Holznagel, DVBl 1997, S. 393, 399; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S.  45 ff.; Kaatsch, in: Menschenwürde, Medizin und Bioethik, S. 114, 118, 119; Quante, in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin, S. 101, 109; Seewald, VerwArch 88 (1997), S. 199, 205 ff. Angeführt wird weiterhin, dass schon in anderen Bereichen der derivativen Teilhabe an staat­ licher Versorgung – etwa im Bereich der Hochschulzulassung – ein über die Gleichbehandlung hinausgehender Anspruch auf erschöpfende Kapazitätsausnutzung bejaht wurde (siehe Dannecker / Streng, JZ 2012, S. 444, 447 m. w. N. unter Berufung auf BVerfGE 33, 303). Allerdings dürfte dieser Hinweis der Verfassungsmäßigkeit des Erfolgskriteriums bei der Organallokation wenig Vorschub leisten, da auch bei einer rein nach Dringlichkeit vorgenommenen Allokation die Kapazität der zur Verfügung stehenden Organe voll ausgenutzt wird. Jedes geeignete Organ wird alloziert. Die Ressourcen werden nur nicht gleich effizient eingesetzt. Es handelt sich damit nicht um ein Problem der Kapazitätsausschöpfung, sondern der Effizienzminderung. 1166  Ein subjektives Recht auf das staatlicherseits gewährleistete Existenzminimum wurde schon früh formuliert, Dürig, in: Maunz / Dürig u. a. (Hrsg.), GG-Kommentar, 1958, Art. 1 Abs. 1, Rn. 43 ff.; siehe ebenso Höfling, in: Sachs (Hrsg.), GGKommentar, Art. 1 Rn. 30 ff., 50; Jarass, in: Jarass / Pieroth (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 1 Rn. 15; vgl. auch BVerfGE 40, 121, 133; 82, 60, 85; 89, 346, 353; 113, 88, 108 f.; 125, 175, 222.



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen437

eine medizinische Minimalversorgung einher.1167 Ein medizinischer Behandlungsanspruch aus Art. 1 Abs. 1 GG besteht dort, wo seine Vorenthaltung die elementaren Voraussetzungen für ein autonomes Leben und die freie Entfaltung des Individuums und damit Lebenschancen vereitelt,1168 wobei das subjektive Recht durch Art. 2 Abs. 2 GG verstärkt wird.1169 Beschränkt wird der Anspruch durch die faktisch vorhandenen Kapazitäten sowie die Angemessenheit der Verpflichtung, die nicht dasjenige überschreiten darf, was der Einzelne von der Gesellschaft verlangen kann.1170 Wird einem Bedürftigen eine prinzipiell zugängliche medizinische Therapie zur Lebensverlängerung oder nicht unwesentlichen Leidensminderung versagt, ist sein Grundrecht auf Schutz von Leib und Leben berührt.1171 Bei genügend vorhandenen Kapazitäten und einer nicht übermäßigen Staatshaushaltsbelastung muss sich der Teilhabeanspruch des Patienten dementsprechend in einen originären Leistungsanspruch wandeln. Dieser besteht zunächst auf eine gesundheitliche Minimalversorgung.1172 Bei der existenzentscheidenden Versorgung mit Spenderorganen – als regelmäßig einzig lebensrettender Therapie – muss dem Einzelnen jedoch vom Prinzip her ein originärer Leistungsanspruch 1167  Brech, Triage und Recht, S. 186; Lang, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), GGKommentar, Art. 2 Rn. 82; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 2 Abs. 2 Rn. 96; Zentrale Ethikkommission bei der Bundesärztekammer, Priorisierung medizinischer Leistungen im System der Gesetzlichen Krankenversicherung, S. 16. 1168  Brech, Triage und Recht, S. 186; vgl. auch Schott, Patientenauswahl und Organallokation, S. 117, 390; Taupitz, in: Nagel / Fuchs (Hrsg.), Rationalisierung und Rationierung im deutschen Gesundheitswesen, S. 86, 95. 1169  Vgl. Brech, Triage und Recht, S. 192; Taupitz, in: Nagel / Fuchs (Hrsg.), Rationalisierung und Rationierung im deutschen Gesundheitswesen, S. 86, 91 f. 1170  BVerfG NJW 1972, S. 1561, 1564 f.; Brech, Triage und Recht, S. 188 f., 193; Katzenmeier, ZEFQ 104 (2010), S. 364, 366; Murswiek, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, § 192 Rn. 64; Sachs, in: Sachs (Hrsg.), GG-Kommentar, Vor. Art. 1 Rn. 49; vgl. auch BVerfGE 33, 303, 333; 97, 332, 349. 1171  BVerfG NJW 1999, S.  3399, 3400; ebenso Dannecker / Streng, JZ 2012, S. 444, 448; in diese Richtung auch Gutmann / Fateh-Moghadam, in: Gutmann / Schneewind / Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen gerechter Organverteilung, S. 59, 69; vgl. auch P. Kirchhof, MMW 1998, S. 200 ff., der aus der Menschenwürde einen Anspruch auf die Wiederherstellung eines heilbaren Zustands und die Linderung von Schmerzen bei jedem Patienten ableitet. 1172  Für einen originären Individualanspruch auf eine gesundheitliche Minimalversorgung auch Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 358; Brech, Triage und Recht, S. 186; Dürig, in: Maunz / Dürig u. a. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 2  Abs. 2 S. 1 (2009), Rn. 27; Schwabe, NJW 1969, S. 2274 f.; Welti, GesR 2015, S. 1, 2; lediglich eine institutionelle Gewährleistung medizinischer Minimalversorgung nehmen an Haverkate, in: Häfner (Hrsg.), Gesundheit – unser höchstes Gut?, S. 120 f.; Jarass, in: Jarass / Pieroth (Hrsg.), Kommentar zum GG, Art. 2 Rn. 93; skeptisch auch Katzenmeier, ZEFQ 104 (2010), S. 364, 365.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

auf eine Transplantation zustehen.1173 Diese ist die Minimalversorgung zur ­Sicherung seiner Existenz. Nur aufgrund der Unmöglichkeit einer umfassenden Patientenversorgung reduziert sich dieser Anspruch auf einen derivativen Teilhabeanspruch. Dieser wird durch den „Vorbehalt des Möglichen“ begrenzt.1174 Ein ausschließlich an der Dringlichkeit orientiertes medizinisches Leistungssystem erweist sich immer dann – aber auch nur dann – als problemlos, wenn den posteriorisierten Bedürftigen ein Abwarten ihrer Behandlung zumutbar ist.1175 Das ist aufgrund der Knappheitssituation im Transplantationswesen und der oft lebensbedrohlichen Folgen einer Posteriorisierung nicht der Fall. Die Anwendung des Dringlichkeitskriteriums darf keinesfalls dazu führen, dass „durchschnittliche“ Patienten faktisch keine Chance mehr auf eine zeitnahe Transplantation haben.1176 Die staatliche Schutzpflicht gegenüber dem Leben und der körperlichen Unversehrtheit besteht nicht nur gegenüber dem Einzelnen, sondern ebenso gegenüber der Gesamtheit der Bevölkerung.1177 Obwohl das Leben als verfassungsrechtlicher Höchstwert eingeordnet wird, wird das individuelle Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG dennoch „in den Rahmen und die Grenzen des Lebenserhaltungsinteresses aller Mitglieder der Gemeinschaft gestellt“.1178 Dies folgt aus der Tatsache, dass die Schutzpflichten in Bezug auf alle Grundrechtsberechtigten bestehen.1179 Das Menschenbild des Grundgesetzes sieht den Einzelnen nicht als isoliertes Wesen, sondern als in die Gemeinschaft eingebundenes und dieser verpflichtetes Individuum. Insofern wird die Spannung zwischen Individual- und Gemeinschaftsinteresse zuguns1173  Vgl. Dannecker / Streng, JZ 2012, S. 444, 448, die aufgrund der Monopolstellung des Staates, der überragenden Bedeutung der Versorgung für den Patienten und der geringen Haushaltsbelastung ebenfalls von einem originären Leistungsanspruch ausgehen, würden genügend Organe zur Verfügung stehen. Wird dagegen angeführt, dass bei einem Nierenversagen auch eine Dialysebehandlung als lebensrettende Minimalversorgung angesehen werden kann, muss auf die wesentlich höheren Kosten dieser Behandlung verwiesen werden, sodass die kostengünstigere Variante zu wählen ist, vgl. Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 459 f. 1174  Brech, Triage und Recht, S. 198; Seewald, Gesundheit als Grundrecht, S. 44. 1175  Schöne-Seifert / Friedrich, in: Schmitz-Luhn / Bohmeier (Hrsg.), Priorisierung in der Medizin, S. 109, 112. 1176  So schon Augsberg, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 163, 165. 1177  Brech, Triage und Recht, S. 193  f.; vgl. auch Schreiber, in: Nagel / Fuchs (Hrsg.), Soziale Gerechtigkeit im Gesundheitswesen, S. 302. 1178  Schreiber, in: Nagel / Fuchs (Hrsg.), Soziale Gerechtigkeit im Gesundheitswesen, S. 302, 303. 1179  Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 226; Seewald, Zum Verfassungsrecht auf Gesundheit, S. 110.



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen439

ten der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit des Menschen aufgelöst, solange der Eigenwert der Person dabei nicht angetastet wird.1180 Diese Überlegungen gelten auch für das individuelle Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, das seinen Rahmen und seine Grenzen in der Gemeinschaft findet.1181 Um dem subjektiven Recht aller Patienten auf Versorgung bestmöglich gerecht zu werden, bedarf es eines effizienten Umgangs mit einer knappen medizinischen Ressource, sodass eine Vielzahl von Anspruchsinhabern befriedigt werden kann.1182 Es besteht insofern ein Gebot der effizienten Nutzung und damit möglichst optimaler Allokation von Ressourcen.1183 Gerade beim Transplantationswesen handelt es sich um ein „öffentliches Gut, dessen gesellschaftlicher Nutzen über die Summe der je individuellen Nutzen herausreicht.“1184 Gegen Quantifizierungsüberlegungen wird durch Anhänger der Lehre von der „Heiligkeit des Lebens“ vorgebracht, dass jedem Menschen ein absoluter Eigenwert zukomme und er keiner Güterabwägung zugänglich sei.1185 Der individuelle Grundrechtsschutz dürfe nicht der Effizienz einer Regelung im Ganzen zum Opfer fallen.1186 Unter dieser Prämisse könnte postuliert werden, dass es bei der Patientenauswahl keine Rolle spielen dürfe, ob nur ein Menschenleben oder viele gerettet werden. Damit würde die Unerschütterlichkeit des absoluten Wertes des einzelnen Menschenlebens in den Vordergrund gestellt. Allerdings existieren in unserer Rechtsordnung bereits Einschränkungen des absoluten Lebensschutzes, wie etwa Ausnahmen vom Tötungsverbot, z. B. durch die Notwehrregelung nach § 32 StGB oder die 1180  St. Rspr. BVerfGE 4, 7, 15 f.; 45, 187, 227; 65, 1, 44; Brech, Triage und Recht, S. 194; P. Kirchhof, in: Kern / Wadle / Schroeder u. a. (Hrsg.), FS Laufs, S. 931, 939; Künschner, Wirtschaftlicher Behandlungsverzicht und Patientenauswahl, S. 274. 1181  Brech, Triage und Recht, S. 194; vgl. auch Schreiber, in: Nagel / Fuchs (Hrsg.), Soziale Gerechtigkeit im Gesundheitswesen, S. 302, 303. 1182  Dannecker / Streng, JZ 2012, S. 444, 448 sprechen von dem „Gebot zur Maximierung der überlebenden Organempfänger“ und berufen sich dabei auch auf die Kollision zweier Handlungspflichten, bei denen der Täter gerechtfertigt werde, wenn er die Rettung der größeren Anzahl von Menschen vornimmt; grundsätzlich für eine Berücksichtigung von Effizienzgesichtspunkten im Gesundheitssystem auch Welti, MedR 2010, S. 379, 383. 1183  Brech, Triage und Recht, S. 199; Francke, Ärztliche Berufsfreiheit und Pa­ tientenrechte, S. 84; Holznagel, DVBl 1997, S. 393, 399; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 93; Vosteen, Rationierung im Gesundheitswesen und Patientenschutz, S. 351. 1184  Vgl. Welti, GesR 2015, S. 1, 2, der diese Aussage in Bezug auf das soziale Gesundheitswesen traf. 1185  Vgl. zum „Höchstwert Leben“ nur BGHSt 1, 321, 334 f.; 2, 117, 121 ff.; BGH NJW 1953, 513 f.; BGHSt 35, 347, 350; BVerfGE 115, 151 ff.; Perron, in: Schönke /  Schröder (Hrsg.), StGB-Kommentar, Vor. §§ 211 ff. Rn. 16. 1186  Vgl. BVerfGE 39, 1, 59.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

„Staatsnotwehr“ gemäß Art. 51 UN-Charta, dem Schwangerschaftsabbruch nach § 218 StGB oder die Forderung des Einsatzes ihres Lebens von besonderen Berufsgruppen wie Soldaten, Polizisten oder Feuerwehrleuten. Insbesondere im Gesundheitssystem muss der absolute Schutz des Lebens zwingend relativiert werden, da die Gemeinschaft nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, um jeden Patienten optimal zu versorgen. Leisten muss sie nur das, was ihr zumutbar ist, sodass Rationierungs- und Priorisierungsentscheidungen fester Bestandteil der Distribution medizinischer Leistungen sind.1187 Abwägungsentscheidungen, auch im Hinblick auf das Lebensrecht, sind unumgänglich. Bei diesen darf das Leben nicht zu einem aufopferungsfähigen Gut zum Nutzen eines Kollektivs degradiert werden; kollidierende Interessen bedürfen dennoch eines Ausgleichs.1188 Sind nicht genügend Ressourcen vorhanden, um alle Patienten mit lebenswichtigen Leistungen zu versorgen, muss eine Entscheidung darüber getroffen werden, wer leben darf und wer sterben muss. Selbst wenn man der Verfassung kein Gebot zum effizienten Einsatz von knappen Ressourcen zur Maximierung der Überlebendenanzahl entnehmen will, so ist diese Zielsetzung dennoch verfassungskonform.1189 Ein Verstoß gegen die Lebenswertindifferenzkonzeption durch die Berücksichtigung einer Systemeffizienz und damit der Beachtung von Erfolgsaussichten liegt nicht vor. Der Grundsatz verbietet nicht generell eine Bewertung und Abwägung, sondern lediglich die Leugnung der Gleichwertigkeit menschlicher Existenz.1190 Die Berücksichtigung der Erfolgsaussicht bei der Organallokation bewertet, auf richtige Weise in die Abwägung eingestellt, ein kränkeres oder kürzeres Leben aber nicht als weniger wertvoll. Vielmehr trägt es der Gleichwertigkeit der menschlichen Existenz insofern Rechnung, als dass möglichst viele – gleich wertvolle – Leben gerettet werden sollen.1191 Der 1187  Eingehend zu den Ausnahmen des absoluten Lebensschutzes Brech, Triage und Recht, S. 217 ff. 1188  Vgl. Brech, Triage und Recht, S. 236. 1189  Dannecker / Streng, JZ 2012, S. 444, 449. 1190  Ebda., S. 444, 449. Dies erkennen auch an Gutmann / Fateh-Moghadam, in: Gutmann / Schneewind / Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen gerechter Organverteilung, S. 59, 80, die darauf abstellen, dass nur bestimmte Entscheidungsgründe gesperrt seien, wie etwa die Berücksichtigung einer höheren Lebenserwartung oder besseren Lebensqualität. Diese Differenzierungskriterien stehen in der vorliegenden Diskussion zur Verteidigung der Erfolgsaussichten jedoch gar nicht in Rede. Ihre Verfassungswidrigkeit sei hier unbestritten. 1191  Dannecker / Streng, JZ 2012, S. 444, 449; dies. / Ganten u. a., Jahresbericht 2011 / 2012 Marsilius-Kolleg, S. 47; vgl. auch Brech, Triage und Recht, S. 246 ff.; Harris, Der Wert des Lebens, S. 52 f.; ebenso stellt Schneider, Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Organallokation, S. 138 f. darauf ab, dass es dem grundrechtlichen Optimierungsgedanken entspricht, möglichst viele Leben zu retten. Auch Gutmann / 



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen441

Eigenwert einer Person wird damit nicht in Frage gestellt. Bei der Bestrebung die Gesamtanzahl der Überlebenden zu maximieren wird zunächst der individuelle Nutzen für jeden Geretteten in Form seines Überlebens in den Fokus gestellt, sodass darin gerade nicht die utilitaristische Gesamtnutzenmaximierung gesehen werden kann.1192 In dieser Weise wird individuelles Leben in größtmöglichen Umfang erhalten und die Höchstwertigkeit des Lebens geachtet.1193 Die Einstellung dieser Überlegung in die Abwägungsentscheidung ist nicht durch das Prinzip der Lebenswertindifferenz gesperrt. Eine unterschiedliche Bewertung des Lebensrechts der Beteiligten findet nicht statt. Gegen das Ziel, ein effizientes Organverteilungssystem durch die Rettung vieler Menschenleben zu errichten, kann auch nicht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz angeführt werden, in der die Zielsetzung der Maximierung der geretteten Menschen durch einen Flugzeugabschuss als grundgesetzwidrig eingestuft wurde.1194 Bei der Tötung Unschuldiger, zur Bewahrung anderer vor dem Tod, würden in der Tat die Würde und das Grundrecht auf Leben der Getöteten negiert. Allerdings bestimmt sich der Inhalt der Menschenwürde „in Ansehung des konkreten Falls.“1195 Im Fall der Organallokation missbraucht der Staat die versterbenden Wartelistenpatienten jedoch ebenso wenig als Mittel zum Zweck zur Rettung der Transplantierten, wie er selbst eine aktive Tötungshandlung vornimmt.1196 Die Patienten sterben nicht aufgrund eines Staatsakts, sondern an ihrer Erkrankung. Eine Lebensrettung wird nur unterlassen, weil die nötigen Mittel zur ausreichenden Versorgung aller Bedürftigen fehlen. Die Schlussfolgerungen des Urteils sind daher nicht auf die hier besprochene Konstellation der Lebensrettung übertragbar.

Fateh-Moghadam, in: Gutmann / Schneewind / Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen gerechter Organverteilung, S. 59, 94 erkennen an, dass die Zahl der geretteten individuellen Leben (und eben nicht die Zahl der Lebensjahre) das primär zu optimierende Gut darstellt. 1192  Brech, Triage und Recht, S. 238. 1193  Ebda., S. 245; kritisch zum Dringlichkeitskriterium auch Schöne-Seifert / Friedrich, in: Schmitz-Luhn / Bohmeier (Hrsg.), Priorisierung in der Medizin, S. 109 ff.; siehe ferner Bohmeier / Schmitz-Luhn, in: Schmitz-Luhn / Bohmeier (Hrsg.), Priorisierung in der Medizin, S. 125 ff. 1194  BVerfGE 115, 118, 158. 1195  BVerfGE 30, 1, 25. 1196  Vgl. Dannecker / Streng, JZ 2012, S. 449 f.; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 57 stellt in diesem Zusammenhang auf eine fehlende Verletzung der Objektformel ab sowie auf die Unterscheidung zwischen einer Lebensbeendigung durch aktives Tun und dem Unterlassen einer Heilbehandlung; kritisch dazu jedoch Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 343 f.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

Ebenso wenig kann eine unzulässig saldierende Betrachtung des Lebensgrundrechts angenommen werden. Es ist richtig, dass jedes menschliche Leben gleich wertvoll ist und keiner unterschiedlichen Bewertung oder zahlenmäßigen Abwägung unterworfen werden darf.1197 Dies geschieht durch die richtige Einstellung der Erfolgsaussicht in den Zuteilungsprozess auch nicht. Das knappe Gut „Organ“ kann nur so verteilt werden, dass eine einzige konkrete Person unmittelbar durch das Transplantat gerettet wird. Nicht berücksichtigte Wartelistenkandidaten sterben aufgrund der enormen Mangelsituation zwangsläufig. Nun könnte die Auswahl der Person, durch die eine Maximierung der insgesamt geretteten Leben angestrebt wird, tatsächlich eine Saldierung von Lebensrechten – die Opferung des höchst dringlichen Patienten zum Wohl der Gesamtzahl der Bedürftigen – darstellen. Dies gilt aber nicht, wenn die Auswahl des transplantierten Patienten nicht ausschließlich vom Erfolgskriterium, sondern zusätzlich von seinem Dringlichkeitsstatus her geschieht. An dieser Stelle muss die Tatsache Beachtung finden, dass einem Organangebot stets mehrere Patienten ähnlich hoher Dringlichkeit gegenüberstehen. Es sind all diejenigen Patienten in die gleiche Dringlichkeitsgruppe einzustufen, denen nach statistischer Prognose die gleiche Wahrscheinlichkeit zukommt, in Zukunft nicht rechtzeitig ein lebensrettendes Transplantat zu erhalten.1198 Ihre Sterbewahrscheinlichkeit ist prognostisch gleich hoch. Welcher geeignete Wartelistenkandidat zum konkreten Zeitpunkt der Organzuteilung die höchste Bedürftigkeit aufweist, ist eine reine Zufälligkeitsfrage. Sein Dringlichkeitsstatus ändert nichts daran, dass die Patienten aus derselben Dringlichkeitsgruppe ebenso wahrscheinlich versterben werden, wie der tatsächliche Empfänger verstorben wäre, hätte er kein Organ erhalten. Genügend Organangebote, die alle Bedürftigen aus derselben Dringlichkeitsgruppe versorgen, wird es auf absehbare Zeit nicht geben, sodass die potentiellen Empfänger letztlich auf derselben Bedürftigkeitsstufe stehen. Gegenüber diesen Patienten trifft den Staat die Schutzpflicht in gleicher Intensität. Wählt man nun aus dem betreffenden Dringlichkeitspool denjenigen aus, dessen Transplantation die Zahl der Todesfälle auf der Warteliste insgesamt möglichst stark limitiert, kann hierin keine unzulässige Bewertung oder zahlenmäßige Abwägung des Lebensrechts erblickt werden. Die individuelle Bedürftigkeit eines Patienten wird nicht negiert. Schließlich wird ein Wartelistenkandidat ausgewählt, dem mit gleicher Wahrscheinlichkeit der Tod droht wie dem zum Zeitpunkt der Organzuteilung dringlichsten Patienten. Der Staat ist hier – von der Warte seiner gegenüber den Individuen bestehenden Pflicht – frei in der Wahl des Begünstigten, weil seine Schutz1197  Vgl. BVerfGE 39, 1, 58 f.; gegen die Übertragung der Ausgangssituation des Urteils zum Schwangerschaftsabbruch auf die Situation der Verteilung knapper Güter vgl. Brech, Triage und Recht, S. 254 f. 1198  Vgl. zu diesem zeitraumbezogenen Dringlichkeitskriterium schon S. 432 f.



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen443

pflicht beide Aspiranten gleichermaßen betrifft. Da er, wie dargelegt, jedoch jedem Bedürftigen auf der Warteliste verpflichtet ist und somit ein möglichst effizientes Transplantationssystem zu schaffen hat, das auf die Maximierung der Lebensrettungen gerichtet ist, hat er unter Hinzuziehung des Erfolgskriteriums denjenigen Patienten auszuwählen, der eine solche Maximierung am ehesten verspricht. Das ist grundsätzlich ein Patient mit einer insgesamt höheren Erfolgsaussicht. Durch diese Vorgehensweise kann zwischen dem Bedürftigkeitsprinzip und dem Prinzip der Rettung einer größtmöglichen Anzahl von Leben ein sachgerechter Ausgleich erzielt werden. Eine utilitaristische Rückstellung des Dringlichkeitskriteriums gegenüber der Entwicklung des Patientenkollektivs findet in diesem Modell nicht statt. Die Berücksichtigung der Erfolgsaussicht im Allokationssystem erweist sich nach den vorstehenden Überlegungen nicht als per se verfassungswidrig. Es wurde jedoch bereits klargestellt, dass diesem Kriterium nun nicht einfach Vorrang gegenüber der Dringlichkeit der Patientenversorgung eingeräumt werden darf. Zwischen den beiden Kriterien ist vielmehr ein ausgewogenes Verhältnis von akuter Lebensrettung und Funktionsfähigkeit des Systems herzustellen. Weder die einseitige Berücksichtigung von den dringlichsten Fällen noch das alleinige Abstellen auf Erfolgsraten wird bestmögliche Ergebnisse im Sinne einer Optimierung der Anzahl geretteter Patienten bewirken.1199 Um einen angemessenen Ausgleich beider Kriterien zu bewerkstelligen, bietet sich die Installation eines Punktesystems an.1200 Dieses müsste in seinen Wertungen so beschaffen sein, dass die personenbezogene Ungleichbehandlung, die aufgrund der Berücksichtigung der Erfolgsaussicht stattfindet, gerechtfertigt wird. Dies ist nur der Fall, wenn der Verteilungsmodus den Unterschieden zwischen den aufgrund der Erfolgsaussichten ­priorisierten und posteriorisierten Patienten in angemessenem Umfang Rechnung trägt.1201 Das verfassungsrechtlich zwingend zu berücksichtigende Kriterium der Dringlichkeit stellt hieran aber strenge Anforderungen. Ausgangspunkt des Vergleichs und damit der Abwägung wird die jeweilige Dringlichkeitsgruppe darstellen müssen, d. h. betrachtet werden jene Patienten, denen die gleiche Wahrscheinlichkeit zukommt, in Zukunft nicht rechtzeitig mit einem lebensrettenden Organ versorgt zu werden. Die Wahrscheinlichkeit ein Spenderorgan zu erhalten steigt innerhalb dieser Gruppe proportional mit den Erfolgsaussichten, denn es ist derjenige Patient auszuwählen, der zum legitimen Ziel der Erfolgsmaximierung am besten beiträgt: Die 1199  So bereits Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 172. 1200  Ebda., S. 92 ff.; grundsätzlich für ein Punktesystem zur Operationalisierung der Verteilungskriterien auch Gutmann / Land, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 87, 111. 1201  Dannecker / Streng, JZ 2012, S. 444, 451.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

Maximierung der geretteten Leben. Es ist möglich, innerhalb dieser Gruppe eine verhältnismäßige Bevorzugung von solchen Patienten vorzunehmen, die den Eingriff mit höherer Wahrscheinlichkeit überleben oder von solchen, bei denen eine längere Transplantatfunktion erwartet wird, wenn dadurch ein Retransplantationsbedürfnis (und damit eine erneute Belastung der Warteliste mit dem gleichen Patienten) ausgeschlossen oder verzögert würde.1202 Aufgrund eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Lebenswertindifferenz nicht rechtfertigungsfähig ist allerdings eine Posteriorisierung von Patienten, die aufgrund ihres hohen Alters oder einer chronischen Grunderkrankung eine geringere Lebenserwartung haben und infolgedessen ein geringeres Transplantatüberleben zu erwarten ist.1203 Dauer und Qualität des verbleibenden Lebens dürfen nicht Bewertungsmaßstab der Allokationsentscheidung sein. Eine Benachteiligung der Patienten mit ohnehin geringer Überlebensdauer würde lediglich die Gesamtfunktionsrate des Patientenkollektivs, nicht jedoch die Zahl der transplantierten Patienten erhöhen.1204 Die Berücksichtigung der Erfolgsaussicht des operativen Eingriffs ist aber nur zulässig, wenn er sich nicht als „utilitaristische personenindifferente Maximierung der Gesamtorganfunktionsdauer“1205 darstellt. Als integraler Bestandteil eines Verteilungsmodus, der darauf abzielt, eine möglichst große Zahl an Menschen vor dem Tode zu bewahren, ist ihre Einbeziehung jedoch nicht zu beanstanden;1206 diesem Vorgehen gebührt gegenüber allen anderen Lösun1202  Durch eine Retransplantation wird einem Patienten erneut ein Organ zugeteilt. Durch die Vermeidung von Retransplantationen erhalten auch die nicht berücksichtigten Patienten auf der Warteliste einen Vorteil, die dann eher zum Zuge kommen. 1203  Dies dürfte unbestritten sein vgl. Dannecker / Streng, JZ 2012, S. 444, 451 f.; Gutmann, in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin, S. 113, 133. Eine Posteriorisierung ist jedoch wiederum zulässig, wenn das Alter oder die Grunderkrankung nicht nur die Lebenserwartung des Patienten schmälert, sondern zudem ein erhöhtes Mortalitätsrisiko bei der Transplantation oder eine erhöhte Abstoßungsgefahr bedingt, Dannecker / Streng, JZ 2012, S. 452; vgl. zur unzulässigen Bewertung von Überlebenschancen auch Brech, Triage und Recht, S. 262 f. sowie Künschner, Wirtschaftlicher Behandlungsverzicht und Patientenauswahl, S. 327. 1204  Ausführlich zu zulässigen und unzulässigen Posteriorisierungen Dannecker / Streng, JZ 2012, S. 444, 450 ff. 1205  Dannecker / Streng, JZ 2012, S. 444, 452. 1206  Ebda., S. 452. Ablehnend gegenüber dem Erfolgskriterium allerdings Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 349, der bemängelt, dass es bei der Berücksichtigung der Erfolgsaussichten einer Transplantation zynisch anmuten würde, dem dringend Bedürftigen ein Organ mit dem Argument seines eigenen Interesses an einem möglichst passenden Transplantat zu verweigern. Ähnlich Gutmann / FatehMoghadam, in: Gutmann / Schneewind / Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen gerechter Organverteilung, S. 59, 97 ff. Allerdings wird – bei richtiger Anwendung des Kriteriums der Erfolgsaussicht – dem unberücksichtigten Patienten ein Organ nicht verweigert, weil ihm das Transplantat keine vergleichbar lange Lebensdauer oder Lebensqualität verschaffen würde wie dem bevorzugten Konkurrenten, sondern weil durch



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen445

gen sogar der Vorzug.1207 Ceterum censeo kommt es auf die Art der Anwendung des Erfolgskriteriums an. Bei der zurzeit praktizierten Handhabung des Allokationsmerkmals bestehen jedoch verfassungsrechtliche Bedenken.1208 (c) Hinzutreten des Verteilungskriteriums der Chancengleichheit Laut Gesetzesbegründung soll bei der Organallokation auch auf das – nicht medizinische1209 – Prinzip der Chancengleichheit abgestellt werden.1210 Ihre Berücksichtigung als zusätzliches Verteilungsprinzip für jegliche Auswahlentscheidungen wurde bereits vom Bundesverfassungsgericht vorgegeben, um jedem zulassungsberechtigten Bewerber eine Chance auf tatsächliche Teilhabe zu gewähren.1211 Sie ist damit Ausdruck des egalitären Teilhabeanspruchs aller Patienten. Im Gesundheitswesen hat sich die Chancengleichheit längst als signifikanter Faktor der Leistungsvergabe etabliert.1212 Im Rahmen den Vorzug des anderen (der nach der hier vertretenen Lösung derselben Dringlichkeitsgruppe angehören muss) weniger Individuen auf der Warteliste versterben. Würde der übergangene Patient transplantiert, würde ein anderer potentieller Empfänger auf der Warteliste statt seiner versterben und aufgrund der höheren Wahrscheinlichkeit einer Retransplantation zusätzlich ein weiterer Patient, der bei der zweiten Transplantation des Erstempfängers übergangen würde. Richtig stellen Gutmann /  Fateh-Moghadam, in: Gutmann / Schneewind / Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen gerechter Organverteilung, fest, dass die Zahl der geretteten Leben das primär zu optimierende Gut darstellt. Allerdings sehen sie in der Einstellung der Erfolgsaussichten in die Abwägungsentscheidung eine unzulässige saldierende Betrachtung von Leben, S. 59, 96. Dem kann sich jedoch aus den oben genannten Gründen nicht angeschlossen werden. 1207  Brech, Triage und Recht, S. 273; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 172; Schott, Patientenauswahl und Organallokation, S. 374. 1208  Ungereimtheiten bei der Anwendung der beiden vom TPG vorgegebenen Kriterien Erfolgsaussicht und Dringlichkeit finden sich z. B. bei der Nierenallokation, bei der die Dringlichkeit der Patienten (abgesehen von den HU-Fällen) regelmäßig eine untergeordnete Rolle spielt, dazu Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 169; Zuck, GesR 2006, S. 244, 246. Bei der Leberallokation hingegen bildet die Dringlichkeit das maßgeblichste Kriterium, das die Erfolgsaussichten völlig in den Hintergrund rücken lässt, dazu Dannecker / Streng, JZ 2012, S. 444; dies. / Ganten, in: Schmitz-Luhn / Bohmeier (Hrsg.), Priorisierung in der Medizin, S. 147, 148; Lauerer / Baier / Alber u. a., in: Schmitz-Luhn / Bohmeier (Hrsg.), Priorisierung in der Medizin, S. 161; ausführlich zu den einzelnen Richtlinienkriterien zur Gewährleistung der Erfolgsaussicht Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 374 ff. 1209  Gutmann / Fateh-Moghadam, in: Gutmann / Schneewind / Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen gerechter Organverteilung, S. 37, 45. 1210  BT-Drs. 13 / 4355, S. 26. 1211  BVerfGE 33, 303, 345. 1212  Vgl. nur BVerfG NJW 1977, 569, 570; NJW 1972, 1561, 1567; Schmitz-Luhn, Priorisierung in der Medizin, S. 125.

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der Organallokation ist sie als ein verfassungsrechtlich gebotenes Leitprinzip zu begreifen.1213 Laut den Richtlinien der Bundesärztekammer bedeutet die Berücksichtigung der Chancengleichheit bei der Organzuteilung „zum einen, dass die Aussicht auf ein vermitteltes Organ insbesondere nicht von Wohnort, sozialem Status, finanzieller Situation und der Aufnahme in die Warteliste eines bestimmten Transplantationszentrums abhängen darf. Zum anderen sollen schicksalhafte Nachteile möglichst ausgeglichen werden.“1214 Bei der Berücksichtigung der Chancengleichheit steht vor allem der Minderheitenschutz im Vordergrund. Durch einen Verteilungsmodus sollen keinesfalls bestimmte Gruppen von Bedürftigen von vornherein auf aussichts­ losem Posten stehen.1215 An einer Stelle vorhandene Anforderungsdefizite können durch die auf Chancengleichheit zielenden Maßstäbe ausgeglichen werden. Besonders relevant ist das für Patienten, die – beispielsweise wegen ihrer Blutgruppe oder aufgrund der Tatsache, dass sie hochimmunisiert sind – überdurchschnittlich große Schwierigkeiten haben, ein passendes Organ zu finden. Da jeder geeignete Patient grundsätzlich die gleiche Chance auf eine Zuteilungschance haben muss, wird die schlechte Ausgangsposition der biologisch benachteiligten Kandidaten durch einen Bonus erhöht.1216 Ebenso trägt die Berücksichtigung der Wartezeit bei der Organvergabe dazu bei, dass alle gelisteten Patienten mit zunehmender Dauer eine höhere Chance auf eine positive Vermittlungsentscheidung haben.1217 (3) U  nzulässige Zugangssperre zur Warteliste durch das Merkmal der Erfolgsaussicht in § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG Eine andere Bewertung des Kriteriums der Erfolgsaussicht ergibt sich bei der Betrachtung der Zugangsvoraussetzungen zur Warteliste. Gemäß § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG kommt eine Aufnahmeentscheidung nach dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft nur in Betracht, wenn neben der Notwendigkeit der Transplantation auch deren Erfolg zu erwarten ist. 1213  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 353; Gutmann / Fateh-Moghadam, in: Gutmann / Schneewind / Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen gerechter Organverteilung, S. 59, 77 f. 1214  Siehe im Allgemeinen Teil der Richtlinien zur Organverteilung. 1215  Siehe Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 310; Gutmann / FatehMoghadam, in: Gutmann / Schneewind / Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen gerechter Organverteilung, S. 59, 77 f., 99. 1216  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 287. 1217  Ebda.; zur Wartezeit auch Schmitz-Luhn, Priorisierung in der Medizin, S. 128 f.; eingehend zu den einzelnen Richtlinienkriterien, die die Chancengleichheit gewährleisten sollen Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 394 ff.



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Angestrebt wird, die Entscheidung nach medizinisch begründeten Regeln vorzunehmen. Nichtmedizinische Kriterien sollen als Auswahlkriterien ausscheiden; vielmehr habe die Bestimmung, angesichts der Knappheit der Organe, der Chancengleichheit nach medizinischen Gesichtspunkten Rechnung zu tragen.1218 Bei den allgemeinen Grundsätzen zur Aufnahme in die Warteliste heißt es in den Richtlinien der Bundesärztekammer, dass Patienten in die Warteliste aufgenommen werden können, wenn die Organtransplantation mit größerer Wahrscheinlichkeit eine Lebensverlängerung oder eine Verbesserung der Lebensqualität erwarten lässt als die sonstige Behandlung. Der erwünschte Erfolg der Transplantation bemisst sich vor allem am längerfristigen Überleben des Patienten, einer längerfristig ausreichenden Transplantatfunktion und einer verbesserten Lebensqualität. Eine allgemeine Definition zur Notwendigkeit einer Organübertragung findet sich in den Richtlinien nicht. Vielmehr werden für jedes Organ spezielle Kriterien aufgestellt. Für alle Bedürftigen besteht aufgrund ihres derivativen Teilhaberechts ein Anspruch auf gleichberechtigten Zugang zur Transplantationsmedizin und folglich ein subjektives Recht auf die Aufnahme in die Warteliste.1219 Vo­ raussetzung für den Anspruch ist lediglich, dass die Transplantation medizinisch indiziert ist und keine Aussichtslosigkeit der Behandlung besteht, folglich überhaupt ein Erfolg zu erwarten ist.1220 Andernfalls würden selbst bei ausreichender Organversorgung Patienten von einer Transplantation ausgeschlossen, obwohl sie einen Nutzen aus dem Eingriff ziehen würden, was mit ihrem Teilhabeanspruch nicht zu vereinbaren wäre.1221 Schließlich besteht neben dem Anspruch auf einen chancengleichen Zugang zu medizinischen Ressourcen auch ein solcher auf erschöpfende Kapazitätsaus­ nutzung.1222 Dementsprechend bedarf es für einen Anspruch auf die Aufnahme in die Warteliste lediglich der Notwendigkeit einer Transplantation, 1218  BT-Drs.

13 / 8017, S. 42.

1219  Dannecker / Streng / Ganten,

in: Schmitz-Luhn / Bohmeier (Hrsg.), Priorisierung in der Medizin, S. 147, 153; Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 10 Rn. 10, § 16 Rn. 13; ders., Für ein neues Transplantationsgesetz, S. 132 f.; ders., in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin, S. 113, 130. 1220  Vgl. Brech, Triage und Recht, S. 262 f.; im Ergebnis ebenso Conrads, Rechtliche Grundlagen der Organallokation, S. 130; siehe auch Dannecker / Streng / Ganten, in: Schmitz-Luhn / Bohmeier (Hrsg.), Priorisierung in der Medizin, S. 147, 153; Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 10 Rn. 11. 1221  Dannecker / Streng / Ganten, in: Schmitz-Luhn / Bohmeier (Hrsg.), Priorisierung in der Medizin, S. 147, 153. 1222  Vgl. ebda., S. 154; Murswiek, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, § 192 Rn. 85; vgl. zu den parallelen Erwägungen bei der Berufsfreiheit Mann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 12 Rn. 161.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

die schon dann vorliegt, wenn der Eingriff dem Patienten überhaupt nützen würde.1223 Gegen eine Berücksichtigung der Erfolgsaussichten auf einer der eigent­ lichen Allokation vorgelagerten Ebene spricht zudem, dass diese personen­ bezogene Ungleichbehandlung von Patienten gegen das Gebot der Gleichbehandlung verstößt. Der rechtfertigende Grund und der Grad der Ungleich­ behandlung müssen in einem angemessenen Verhältnis zueinanderstehen.1224 Jedoch rechtfertigen die unterschiedlichen Ausgangslagen der Bedürftigen keinesfalls eine Zugangssperre gegenüber solchen Patienten, für die kein längerfristiges Überleben oder eine längerfristig ausreichende Transplantatfunktion wahrscheinlich ist. Eine (auch) erfolgsorientierte Vergabe von Organen verlangt eine angemessene Gewichtung des Kriteriums der Erfolgsaussicht bei der Posteriorisierungsentscheidung. Das Ausmaß der Nachrangigkeit darf zwischen Personen, die einen Zugang zur Warteliste erhalten und solchen, denen der Zugang verwehrt wird, nicht außer Verhältnis stehen. Dieser Voraussetzung kann nur ein Bewertungsmodus genügen, der durch Bonus- /  Malus-Punkte gewährleistet, dass die Wahrscheinlichkeit, ein Spenderorgan zu erhalten, proportional mit den Erfolgsaussichten steigt. Ein System, das jedem Patienten ohne längerfristige Erfolgsaussichten die Therapie kategorisch verweigert, kann den Anforderungen an einen gleichen Zugang zu medizinischer Versorgung nicht gerecht werden.1225 Richtig ist es, bei der Begutachtung des Zustandes eines Patienten bei der ärztlichen Prognose bezüglich seiner Eignung für eine Transplantation ausschließlich auf seine individuelle Situation abzustellen, was bedeutet, dass Vergleiche zu anderen Patienten zu unterlassen sind.1226 Für die Aufnahme eines Kandidaten in die Warteliste kann es nur auf seine konkrete Kosten-Nutzen-Bilanz ankommen, die feststellt, ob der Nutzen der Transplantation die mit ihr verbundenen Risiken und Belastungen übersteigt. Der Maßstab für die zu berücksichtigenden Erfolgsaussichten muss verfassungskonform dahingehend ausgelegt werden, 1223  Siehe Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 359, 377; vgl. auch Dannecker / Streng / Ganten, in: Schmitz-Luhn / Bohmeier (Hrsg.), Priorisierung in der Medizin, S. 147, 153; Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 10 Rn. 10 f., § 12 Rn. 45, 48; ders., in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Trans­ plantationsmedizin, S. 113, 131; ders. / Fateh-Moghadam, in: Gutmann / Schneewind /  Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen gerechter Organverteilung, S. 59, 73. 1224  BVerfGE 91, 346, 362 f.; 99, 341, 355 f.; 103, 310, 318 f.; 116, 135, 160; Jarass, in: Jarass / Pieroth (Hrsg.), Kommentar zum GG, Art. 3 Rn. 18. 1225  Ausführlich zur personenbezogenen Ungleichbehandlung Dannecker /  Streng / Ganten, in: Schmitz-Luhn / Bohmeier (Hrsg.), Priorisierung in der Medizin, S. 147, 154 f.; zu einem Punktesystem siehe auch Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 64. 1226  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 377; Lang, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 10 Rn. 26; Woinikow, Richtlinien der Transplantationsmedizin, S. 342.



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen449

dass solche lediglich dann nicht bestehen, wenn die Transplantation mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht ausgeführt werden kann, was der Fall wäre, wenn die Transplantation keinen Nutzen für den Patienten hat oder ihm gar zum Nachteil gereichen würde.1227 Ein eingängiges Beispiel für die fatalen Folgen der Ungleichbehandlung bei der Lebertransplantation zeigt sich bei Patienten, die an einem hepatozulärem Karzinom (HCC) leiden. Ihr Wartelistenzugang wird von den MilanKriterien bestimmt, die besagen, dass ein Tumor einen Durchmesser von fünf Zentimetern nicht überschreiten darf; bei maximal drei Tumoren dürfen diese nicht mehr als drei Zentimeter Durchmesser aufweisen. Die fünf-Jahres-Überlebensrate von transplantierten HCC-Patienten liegt bei über 70 % mit Rezidivraten um die 15 %. Patienten, die unter einen Tumor mit 6,5 Zentimetern Durchmessern oder vier kleineren Tumorherden leiden und somit nicht auf die Warteliste in deutschen Transplantationszentren gelangen, liegt die fünf-Jahres-Überlebensrate noch bei 50 %. Dagegen liegt die fünf-JahresÜberlebensrate ohne Transplantation lediglich bei 10 %. Eine Transplantation ist daher auch bei diesen Patienten medizinisch angezeigt.1228 Die Knappheit an Organen wird jedoch zum Anlass genommen, zwischen den Patienten „einen Schnitt“ zu machen und lediglich denjenigen eine Chance einzuräumen, die besonders von dem Eingriff profitieren.1229 Dieser Umstand veranschaulicht eine beachtliche Tendenz, die Erfolgsaussichten in der Praxis mit hohem Gewicht in die wartelisterelevanten Entscheidungen mit einzubeziehen. Dies ist auch nicht verwunderlich, denn ein Transplantationsteam wird eher gewillt sein, möglichst erfolgsversprechende Eingriffe vorzunehmen, um damit das Renommee als auch die Finanzierung der Klinik zu sichern.1230 Die extrem schlechten mittel- und langfristigen Erfolgsraten, gerade bei der Lebertransplantation, die sich aus dem strikt an 1227  Vgl. Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 377, der die Berücksichtigung der Erfolgsaussichten jedoch auf allen Ebenen der Allokation ablehnt; gegen eine ausschlaggebende Berücksichtigung der Erfolgsaussicht auch Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 13; Woinikow, Richtlinien der Transplantationsmedizin, S. 342; ebenso strenge Anforderungen an etwaige Kontraindikationen, als Ausfluss der Berücksichtigung von Erfolgsaussichten, stellen Gutmann / Land, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 87, 91. 1228  Zu den Bedenken der Behandlung von HCC-Patienten siehe Dannecker /  Streng / Ganten, in: Schmitz-Luhn / Bohmeier (Hrsg.), Priorisierung in der Medizin, S. 147, 159. 1229  Siehe dazu Bruix / Shearman, Hepatology 42 (5), S. 1208 ff.; Lauerer / Baier / Alber u. a., in: Schmitz-Luhn / Bohmeier (Hrsg.), Priorisierung in der Medizin, S. 161, 167; Timm, Bayrisches Ärzteblatt 7–8 (2006), S. 355 ff.; kritisch auch Umgelter, in: Haarhoff (Hrsg.), Organversagen, S. 179, 214. 1230  Dannecker / Streng / Ganten, in: Schmitz-Luhn / Bohmeier (Hrsg.), Priorisierung in der Medizin, S. 147, 158 f.

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der Dringlichkeit orientierten MELD-Score (Model for Endstage Liver Disease)1231 als Zuteilungsmodus ergeben, dürften bei der Ärzteschaft beinahe zu einer Art „Notstand“ führen, der diese motiviert, zumindest auf der Ebene der Warteliste maßgeblich nach den Erfolgsaussichten zu entscheiden.1232 Dabei kommt den vor Ort handelnden Ärzten ein erheblicher Ermessensspielraum zu.1233 Wie bereits aufgezeigt, besteht jedoch eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Möglichkeit, die Erfolgsaussichten im eigent­ lichen Allokationsverfahren zu berücksichtigen. Es ist daher nicht notwendig, Grundrechtsverletzungen auf der Ebene des Wartelistenzugangs zu begehen, um die Erfolgszahlen nicht völlig aus den Augen zu verlieren. Die Aufnahme in die Warteliste kann daher nur davon abhängig gemacht werden, dass der Patient für eine Transplantation geeignet ist und ihm diese voraussichtlich nützt. Wurde seinem Anspruch entsprochen, befindet sich der Kandidat auf der Warteliste des jeweiligen Transplantationszentrums, wobei die Listungen aller deutschen Zentren als einheitliche Warteliste behandelt werden.1234 In diesem Stadium der Allokation ist die Mitberücksichtigung der Erfolgsaussichten rechtlich nicht zu beanstanden, sondern vielmehr geboten. bb) Inhaltliche Bedenken gegen die Richtliniengestaltung Die Richtlinien zur Wartelistenführung und Organvermittlung sind nicht nur unter formell verfassungswidrigen Umständen zustande gekommen, sondern stehen zudem inhaltlich in Konflikt mit den Vorgaben des Transplantationsgesetzes sowie grundgesetzlichen Wertentscheidungen. Diese wurden in der Literatur bereits umfangreich bearbeitet.1235 An dieser Stelle soll daher nur überblicksartig auf die Prinzipien der Organallokation ((1)) sowie auf 1231  Näher zur Problematik des MELD-Score siehe im rechtspolitischen Teil die Problematisierung der Überbetonung des Dringlichkeitskriteriums, S. 580 ff. 1232  Dannecker / Streng / Ganten, in: Schmitz-Luhn / Bohmeier (Hrsg.), Priorisierung in der Medizin, S. 147, 160. 1233  Zu den Ermessensspielräumen der Ärzte in den Transplantationszentren siehe schon S.  382 ff. 1234  Zu einheitlichen Warteliste Bader, Organmangel und Organverteilung, S.  364 ff.; Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 34 f.; Lang, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 10 Rn. 7 ff.; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 171 f. 1235  Zu den Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der geltenden Allokationskriterien und insbesondere gegen die inhaltliche Ausgestaltung der Richtlinien siehe etwa Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 369  ff.; Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 13 ff.; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 66 ff.; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 164 ff. Zur Kritik bzgl. einer Un-



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einige in jüngster Zeit vermehrt diskutierte Einzelfragen, nämlich den medizinischen Hintergrund der Richtlinienregelungen ((2)) sowie zweifelhafte Kontraindikationen ((3)), eingegangen werden. (1) D  ie Prinzipien der Organverteilung nach den Transplantationsrichtlinien Vorliegend sollen, in gebotener Kürze, die geltenden Verteilungsprinzipien der Transplantationsrichtlinien thematisiert werden.1236 Diese greifen die gesetzlichen Vorgaben auf und füllen diese durch Konkretisierungen und normative Folgeüberlegungen mit Leben. Der allgemeine Teil der Richtlinien bestimmt, dass die vermittlungspflichtigen Organe jeweils nach spezifischen Kriterien alloziert werden. Die Bundesärztekammer hat daher für jedes Organ Indikationen erarbeitet, die eine Transplantation notwendig machen und damit Voraussetzung für die Aufnahme in die Warteliste sind. Begrenzt wird der Wartelistenzugang über die Erfolgsaussichten des Eingriffs. Hier stellen die Richtlinien Kontraindika­ tionen auf. Ebenso ist die konkrete Organallokation von den Erfolgsaussichten abhängig. Maßgebliche Berücksichtigung findet in diesem Zusammenhang insbesondere die Kompatibilität zwischen Spenderorgan und Empfänger (z. B. Blutgruppenkompatibilität, HLA-Kompatibilität, Alters- und Größenkompatibilität). Genauso basieren die Sonderregelungen für die Nierentransplantation bei über 65-Jährigen im Eurotransplant Senior Program vor allem auf einer höheren Erfolgsrate des Eingriffs, die allerdings nicht in den Richtlinien, sondern im Manual von Eurotransplant enthalten sind. Die Dringlichkeit der Transplantation wird maßgeblich über die verschiedenen Dringlichkeitsstufen bei der Organverteilung berücksichtigt. Hochdringliche Patienten werden vorrangig transplantiert. Ebenso spiegelt sich die Dringlichkeit in vielen sonstigen Zuteilungskriterien wieder. Die Leberallokation etwa richtet sich nach dem MELD-Score, der das Ausmaß der Dringlichkeit über die Bestimmung von bestimmten Laborwerten (Serumkreatinin, Serumbilirubin, Prothrombinzeit) bestimmt. Außerdem beruht die bevorzugte Berücksichtigung von Kindern – trotz der Zuordnung der Bevorzugung zur klarheit und Widersprüchlichkeit der Richtlinien vgl. Gutmann, in: Haarhoff (Hrsg.), Organversagen, S. 143, 172 f. 1236  Für eine umfassende Erläuterung kann auf bereits vorhandene Literatur verwiesen werden, vgl. nur Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 202 ff.; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 7 ff.; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 176 ff.; Schneider, Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Organallokation, S. 107 ff.; Woinikow, Richtlinien der Transplantationsmedizin, S. 325 ff.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

Chancengleichheit in den Richtlinien – auf Dringlichkeitserwägungen, da Kindern zusätzliche Entwicklungsschäden drohen. Dies gilt ebenso für Pa­ tienten, die eine kombinierte Transplantation (etwa eine Herz-Lungen-Transplantation) benötigen. Das Prinzip der Chancengleichheit, das Nachteile durch schicksalhaft ungleiche Ausgangschancen ausgleichen soll, findet sich in den Richtlinien vor allem in der Berücksichtigung der Wartezeit bei der Organallokation. Zudem wurden Sonderregelungen für strukturell benachteiligte Patientengruppen geschaffen. Dazu zählen potentielle Empfänger mit den Blutgruppen 0 und B und bei der Nierenallokation solche mit hoher Mismatch-Wahrscheinlichkeit sowie hochimmunisierte und homozygote Patienten. Ebenfalls wird auch das Gebot der einheitlichen Warteliste aller Transplantationszentren der Chancengleichheit zugeordnet. Niemand soll aufgrund seines Behandlungsortes Nachteile erleiden. Zusätzlich wurden die Allokationsregelungen des Transplantationsgesetzes und der Richtlinien durch weitergehende Bestimmungen Eurotransplants ergänzt. Diese dienen vor allem der Erhaltung der strukturellen Funktionsfähigkeit des länderübergreifend organisierten Transplantationssystems. Berücksichtigung finden daher auch nationale Austauschbilanzen. Ebenso dient die Berücksichtigung der Distanz zwischen Spender- und Empfängerzentrum nicht nur der Verkürzung der kalten Ischämiezeit, sondern zugleich dem Ziel, die Akzeptanz des Transplantationssystems durch die Nationen und Zentren zu fördern. Da diese Regelungen aber nicht den Richtlinien der Bundesärztekammer entspringen, soll nicht weiter auf diese eingegangen werden.1237 (2) F  eststellung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft? Die Richtlinien der Bundesärztekammer sollen den Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaften aufzeigen, an dem wartelisterelevante Entscheidungen und die konkrete Organallokation zu orientieren sind. Im Vordergrund steht nicht nur die Sicherung von Verteilungsgerechtigkeit, sondern gleichzeitig die Schaffung von Transparenz.1238 In den Richtlinien finden sich jedoch nicht nur eine Reihe deutungsoffener Begriffe, die den Ärz1237  Zu den vorstehenden Ausführungen bzgl. der Allokationsprinzipien vgl. bereits Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 282 ff.; siehe auch Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 66 ff.; Schneider, Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Organallokation, S. 107 ff.; Wiesing, in: Engels / Badura-Lotter / Schicktanz (Hrsg.), Neue Perspektiven der Transplantationsmedizin im interdisziplinären Dialog, S. 26, 28. 1238  Vgl. Lang, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 10 Rn. 35.



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen453

ten in den Transplantationszentren einen nicht unerheblichen Ermessenspielraum einräumen, sondern auch solche, die recht eindeutig mit der Verfassung in Konflikt geraten. Das gilt beispielsweise für die Definition der Erfolgsaussichten für die Aufnahme in die Warteliste als auch der Organallokation, die vom Erreichen einer „verbesserten Lebensqualität“ spricht. Hier stellt sich nicht nur die Frage, wie eine solche Verbesserung pauschal für alle Patienten in gleicher Weise überhaupt festgestellt werden soll, sondern es bestehen auch massive Bedenken gegenüber der Lebenswertindifferenz. Ein Abstellen auf ein (nach welchen Kriterien auch immer bewertetes) qualitativ hochwertiges Leben ist kein Topos, auf den im Rahmen der Erfolgsaussicht legitimerweise unter dem Grundgesetz abgestellt werden darf, da er den Wert eines Lebens beurteilt.1239 Seine Aufnahme verdeutlicht jedoch, dass die Richtlinienkriterien bei weitem nicht alle rein medizinischer Natur sind.1240 Es finden – durch die Knappheit der Organe bedingt – bereits auf der Ebene des Wartelistenzugangs breite Selektionen statt, die sich nur normativ erklären lassen. Dies belegt nicht nur die eben dargestellte massive Zugangsbeschränkung von HCC-Patienten aufgrund ihrer Erfolgsaussichten,1241 sondern auch die Konkretisierung des Begriffs der Notwendigkeit, beispielsweise bei der Nierenund Herztransplantation. Die Notwendigkeit fordert in diesen Richtlinien eine zumindest „mittelfristige Lebensgefahr“1242 für den Patienten im Fall einer unterlassenen Transplantation bzw. Dialyse.1243 Sie stellen dementsprechend nicht bloß auf eine medizinische Indikation, sondern bereits auf die erst bei der tatsächlichen Organzuteilung berücksichtigungsfähige Dringlichkeitserwägungen ab. Medizinisch lässt sich diese Erwägung nicht begründen, weshalb sie gegen das in § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 GG normierte Gebot der Entscheidung nach dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissen1239  Siehe

schon ebda., § 10 Rn. 24. BÄK als auch die Transplantationszentren treffen folglich schwerwiegende normative Entscheidungen, vgl. zu den Entscheidungen der BÄK schon S. 351 ff., zu den Zentren vgl. S. 383 ff. 1241  Siehe dazu S. 449 f. 1242  Bei der Nierentransplantation muss z. B. ein nicht rückbildungsfähiges, terminales Nierenversagen vorliegen, das zur Erhaltung des Lebens eine Dialysebehandlung erforderlich macht oder in Kürze erforderlich machen wird (besonderer Teil der Richtlinien zur Nierentransplantation, III.1.), während die Herztransplantation medizinisch indiziert sein kann, wenn eine hochgradige Herzschwäche trotz Ausschöpfung aller anderen Behandlungsoptionen nicht rückbildungsfähig ist und deshalb mit einer sehr begrenzten Lebenserwartung und hochgradig eingeschränkten Lebensqualität verbunden ist (besonderer Teil der Richtlinien zur Herz- und Herz-Lungen-Transplantation, III.1.). 1243  Vgl. dazu kritisch schon Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 371. 1240  Die

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schaft verstößt.1244 Hinsichtlich des derivativen Teilhabeanspruchs auf Zugang zur Transplantation eines jedes Bedürftigen bestehen insofern verfassungsrechtliche Bedenken, als dass Patienten trotz medizinischer Indikation von der konkreten Organzuteilung von vornherein ausgeschlossen werden. Da dies – ebenso wie die maßgebliche Berücksichtigung von Erfolgsaussichten – Bedürftige auch bei einer ausreichenden Organversorgung von der Heilbehandlung ausschließen würde, sind Dringlichkeitserwägungen erst auf der Ebene der tatsächlichen Organverteilung verfassungsrechtlich unbedenklich.1245 Insgesamt zeigt sich deutlich, dass die Richtlinien über eine bloße Feststellung der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft hinausgehen. Sie legen unter starkem Einfluss des Ressourcenmangels normative Kriterien zur Organverteilung fest. (3) Zweifelhafte Kontraindikationen Im Folgenden soll auf zwei in letzter Zeit vermehrt kontrovers diskutierte Kontraindikationen eingegangen werden, die mit dem Richtlinienerfordernis einer Gewährleistung längerfristiger Erfolgsaussichten zusammenhängen: Die Compliance ((a)) und die Alkoholabstinenzzeit von sechs Monaten bei der Lebertransplantation ((b)), die auch im Prozess um die „Göttinger Manipulationsskandale“ eine Rolle gespielt hat ((c)). (a) Die Compliance als absolute Kontraindikation Als Compliance wird die Bereitschaft und Fähigkeit des Empfängers bezeichnet, an den erforderlichen Vor- und Nachuntersuchungen und -behandlungen mitzuwirken.1246 Ihr anhaltendes Fehlen stellt eine absolute Kontraindikation dar, die den Zugang zur Warteliste versperrt. Typischerweise wird unter einem non-compliant-Verhalten ein sorgloser Umgang mit Immunsup1244  Siehe

ebda., S. 371 f. jedoch ebda., S. 372 ff. Bader sieht bei einer Aufnahmeablehnung den Patienten nicht von der Organverteilung ausgeschlossen, da das Verteilungsverfahren auf der ersten Stufe schon in der Aufnahmeentscheidung bestünde. Das ändert aber nichts daran, dass der abgelehnte Patient chancenlos gestellt wird, ein Organ zu erhalten. Die Möglichkeit einer Neuvorstellung in einem Transplantationszentrum ist keine ausreichende Kompensation. Dem Bedürftigen steht bei einer medizinischen Indikation eine angemessene Berücksichtigung innerhalb des konkreten Verteilungsverfahrens zu. Nur dann hat er eine tatsächliche Chance auf eine Teilhabe an den vorhandenen Ressourcen. 1246  Vgl. die Richtlinien zur Wartelistenführung und die Organvermittlung, die ­allesamt auf das Kriterium der Compliance abstellen. 1245  Anders



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen455

pressiva, die Überschreitung von Lebensstil- und Ernährungsvorschriften sowie das Nichteinhalten von Untersuchungsterminen verstanden.1247 Dementsprechend handelt es sich um einen psycho-sozialen Faktor, der allerdings medizinisch begründbar ist und damit durchaus eine Regel der medizinischen Wissenschaft darstellt.1248 Auch wenn die Non-Compliance häufig mit einem vorwerfbaren Verhalten des Patienten in Verbindung gebracht wird,1249 kommt es auf ein Verschulden des Betroffenen nicht an; wird das Transplantat mangels ausreichender ­Kooperation des Patienten zerstört oder abgestoßen, erweist sich eine Transplantation unabhängig von der Schuldfrage als erfolglos.1250 Da die Compliance an die Erfolgsaussichten der Transplantation anknüpft, die auf der Ebene des Wartelistenzugangs nur im Sinne einer Minimalforderung Berücksichtigung finden dürfen, darf die Non-Compliance einer Listung nur entgegenstehen, wenn die Transplantation mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht durchgeführt werden kann, weil der Patient nicht nennenswert von ihr profitieren würde.1251 Schwierigkeiten bereitet vor allem die Operationalisierbarkeit der ärzt­lichen Prognose des postoperativen Patientenverhaltens.1252 Die Unsicherheiten einer zuverlässigen Vorhersage der Compliance dürfen nicht zu Lasten des Behandelten gehen, sodass von einer ausreichenden Sicherheit der Prognose nur in seltenen Ausnahmefällen ausgegangen werden dürfte.1253 Richtig halten die 1247  Schmidt, in: Engels / Badura-Lotter / Schicktanz (Hrsg.), Neue Perspektiven der Transplantationsmedizin im interdisziplinären Dialog, S. 35, 44. 1248  Siehe Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 379; Holznagel, DVBl 1997, S. 393, 400; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 117; anders Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 175. 1249  Schmidt, in: Engels / Badura-Lotter / Schicktanz (Hrsg.), Neue Perspektiven der Transplantationsmedizin im interdisziplinären Dialog, S. 35, 44. 1250  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 379; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 117 f.; anders aber Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 174 f., die den Ausschluss des Patienten von seinem Verschulden abhängig machen will. 1251  Vgl. Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 378; siehe auch Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 13, 16; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 118 spricht von der ultima ratio zur Sicherung des Behandlungserfolgs. 1252  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 378; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 118; Opper, Die gerechte und rechtmäßige Verteilung knapper Organe, S. 191; Schmidt, in: Engels / Badura-Lotter / Schicktanz (Hrsg.), Neue Perspektiven der Transplantationsmedizin im interdisziplinären Dialog, S. 35, 44. 1253  Vgl. Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 378; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 119; Dannecker / Streng / Ganten,

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Richtlinien auch fest, dass es sich nicht um ein unveränderliches Persönlichkeitsmerkmal handelt, sondern schwanken kann. Nur anhaltende Non-Compliance darf die Transplantation ausschließen. Vor ihrer Feststellung ist, laut Richtlinien, der Rat einer weiteren, psychologisch erfahrenen Person einzuholen, wobei allerdings im Dunkeln bleibt, welche genaue Qualifikation diese haben muss. Ein studierter Psychologe oder Psychiater dürfte die Anforderungen ohne Weiteres erfüllen. Die vage Formulierung legt jedoch nahe, dass eine Unterschreitung dieses Qualitätsrahmens möglich ist. Denkbar ist auch der Einsatz einer im Klinikalltag regelmäßig mit der (auch) zwischenmensch­ lichen Betreuung schwerkranker Patienten und deren Angehörigen befassten Person. Aufgrund des unklaren Wortlauts dürften die Transplantationszentren in der Praxis einen weiten Ermessensspielraum haben. Dieser sollte jedoch konkretisiert werden, um den Sinn der Regelung nicht leerlaufen zu lassen.1254 Die behandelnden Ärzte müssen auf die Compliance achten und auf sie hinwirken. Dazu gehört, psychologische und edukative Hilfe anzubieten.1255 Ursache einer mangelndem Compliance können nicht nur Persönlichkeitsstörungen, Suchtverhalten, junges Lebensalter, edukative Eigenschaften,1256 sondern laut Richtlinien auch sprachliche Umstände umfassen. Aufsehen erregte in diesem Zusammenhang jüngst der Fall eines Iraners, dessen Aufnahme in die Warteliste von einem Transplantationszentrum aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse verweigert wurde. Über die Schmerzensgeldforderung des Klägers wurde sich vor dem LG Bielefeld (Az. 4 O 106 / 11) verglichen, sodass eine Entscheidung in der Sache ausblieb. Die Richtlinien führen sprachliche Verständigungsschwierigkeiten zwar als (überbrückbares) Compliancehindernis auf, konkretisieren den Ausschlussgrund jedoch nicht näher. Es ist daher fraglich, welche Möglichkeiten – wie etwa die Hinzuziehung eines Dolmetschers1257 – ausgeschöpft sein müssen. Im Zusammenhang mit der grundgesetzlichen Wertentscheidung aus Art. 3 Abs. 3 GG, der Diskriminierungen wegen der Sprache ausdrücklich verbietet, ist die Hinzuziehung eines Übersetzers vor der Feststellung einer Non-Compliance zwingend in: Schmitz-Luhn / Bohmeier (Hrsg.), Priorisierung in der Medizin, S. 147, 156; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 176; Schott, Patientenauswahl und Organallokation, S. 365 lehnt die Compliance als Ausschlusskriterium sogar gänzlich ab, da er eine sichere Prognostizierbarkeit für unmöglich hält. 1254  Vgl. Greif-Higer, Wer bekommt ein Organ?, Vortrag im Rahmen der Plenarsitzung vor dem Deutschen Ethikrat am 26.9.2013, abrufbar unter: http: /  / www. ethikrat.org / dateien / pdf / plenarsitzung-26-09-2013-greif-higer.pdf (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 1255  Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 118. 1256  Vgl. ebda., S. 116. 1257  Im Einwanderungsland USA z.  B. ist der Einsatz von Dolmetschern eine Selbstverständlichkeit, Stenner, WzS 2014, S. 67, 73.



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zu fordern. In den meisten Fällen dürfte sich die notwendige Kooperationsmöglichkeit des Aspiranten auf diese Weise herstellen lassen. Unabhängig davon, ob dem iranischen Patienten der Zugang zur Warteliste zu Unrecht verweigert wurde, belegt der Fall die enorme Herausforderung, die das Merkmal der Compliance der Ärzteschaft abverlangt. Die Gefahr der Vornahme unzulässiger subjektiver Wertungen liegt bei einem solch unbestimmten, an psychisch-soziale Kriterien anknüpfenden Faktor nahe. Soziale Eigenschaften des Betroffenen dürfen aber ausschließlich dann Berücksichtigung finden, wenn diese medizinische Folgen zeitigen.1258 Trotzdem ist die Gefahr der Benachteiligung gerade sozial schwacher Bevölkerungsschichten allgegenwärtig.1259 In der Praxis zeigt sich entgegen der hiesig festgestellten Voraussetzungen zur Berücksichtigung der Compliance eine eher weitreichendere Handhabung des Zugangskriteriums.1260 Die Ursache für den weniger restriktiven Umgang mit dem Kooperationserfordernis dürfte vor allem in der Unbestimmtheit der Richtlinienformulierung liegen.1261 Diese stellt lediglich allgemein auf die Bereitschaft und Fähigkeit des Empfängers ab, an den erforderlichen Vorund Nachuntersuchungen und -behandlungen mitzuwirken, ohne hinsichtlich des Ausmaßes der infolge der geminderten Compliance bestehenden Erfolgsaussichten zu differenzieren. Dies ist schon mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG bedenklich, der fordert, dass der rechtfertigende Grund und der Grad der personenbezogenen Ungleichbehandlung in einem angemessenen Verhältnis zueinanderstehen.1262 Allerdings lässt sich das Merkmal verfassungskonform dahingehend auslegen, dass eine negative Wartelistenentscheidung nur ergehen darf, wenn die Transplantation mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht durchgeführt werden kann, da der Patient von dieser nicht nennenswert profitieren würde.1263 Diese Fälle sind ab einem gewissen Ausmaß der Non-Compliance, die beispielsweise akute Abstoßungsreaktionen hervorrufen kann, durchaus denkbar.1264 1258  Siehe Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 380; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 117. 1259  Vgl. Dannecker / Streng / Ganten, in: Schmitz-Luhn / Bohmeier (Hrsg.), Priorisierung in der Medizin, S. 147, 156; kritisch zur subjektiven Färbung des Compliance-Kriteriums Lang, MedR 2005, S. 269, 278; positiver aber Opper, Die gerechte und rechtmäßige Verteilung knapper Organe, S. 194. 1260  Vgl. Dannecker / Streng / Ganten, in: Schmitz-Luhn / Bohmeier (Hrsg.), Priorisierung in der Medizin, S. 147, 156. 1261  Ebda., S. 157. 1262  Ebda., S. 156. 1263  Vgl. ebda. 1264  Vgl. Lauerer / Baier / Alber u. a., in: Schmitz-Luhn / Bohmeier (Hrsg.), Priorisierung in der Medizin, S. 161, 163.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

(b) Die Abstinenzklausel bei der Leberallokation Eine weitere problematische Kontraindikation betrifft die Alkoholabstinenzklausel bei der Leberallokation. Aufgrund der Bestimmungen in der Richtlinie wird Patienten mit alkoholinduzierter Zirrhose der Zugang zur Warteliste erst nach einer sechs-monatigen völligen Abstinenz gewährt. Hintergrund dieser Regelung ist vor allem die Sicherung des Erfolgs der Transplantation. Bis zur Richtlinienänderung im Sommer 2015 handelte es sich um eine zwingende Kontraindikation. Es wurde allerdings bereits festgestellt, dass jeder Bedürftige einen Anspruch auf Zugang zur Warteliste hat, solange er von einer Transplantation profitiert. Dass sich eine strikte Alkoholabstinenzklausel daran messen lassen kann, ist mehr als zweifelhaft. Der durch den Patienten betriebene Alkoholkonsum oder seine weniger als sechs Monate anhaltende Abstinenz müssten dazu führen, dass sich für ihn mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Transplantationserfolg ergeben wird. Denkbar ist dies in Fällen, in denen das Suchtverhalten des Empfängers die Kooperationsfähigkeit oder -bereitschaft ausschließt. Würde der Patient jedoch trotz seines Alkoholkonsums einen Vorteil aus einer Transplantation ziehen, besteht sein Anspruch auf Aufnahme in die Warteliste ungeschmälert.1265 Die aktuelle Richtlinie der Bundesärztekammer benennt in ihrer Begründung einen geminderten Langzeittransplantationserfolg bei fortgeführtem Alkoholkonsum im Vergleich zur Abstinenz, jedoch nicht eine Erfolglosigkeit der Therapie.1266 Tatsächlich wird in der medizinischen Wissenschaft mittlerweile in Frage gestellt, ob selbst starker Alkoholkonsum nennenswerte Auswirkungen auf den Erfolg der Transplantation samt Transplantatsüberlebensdauer hat. Daneben wird daran gezweifelt, ob von einer sechsmonatigen Abstinenz auf eine Heilung der Suchterkrankung geschlossen werden kann.1267 Es müssen jedoch medizinische bzw. medizinisch begründete Tatsachen vorliegen, um einem Bedürftigen die Chance auf eine Transplantation rechtmäßig verweigern zu können.1268 1265  Vgl. Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 380; Dannecker / Streng /  Ganten, in: Schmitz-Luhn / Bohmeier (Hrsg.), Priorisierung in der Medizin, S. 147, 155. 1266  Die BÄK präsentiert Ergebnisse von Untersuchungen an 300 Teilnehmern nach denen das 10-Jahresüberleben bei 82 % der abstinenten Patienten gegeben war, aber nur bei 47 % der weiter Alkohol konsumierenden und 20 % bei alkoholabhängigen Transplantierten, vgl. die Begründung der Richtlinie zur Lebertransplantation, II.2.2. 1267  Siehe Dannecker / Streng / Ganten, in: Schmitz-Luhn / Bohmeier (Hrsg.), Priorisierung in der Medizin, S. 147, 155; ausführlich zum medizinischen Hintergrund Mathurin / Moreno / Samuel u. a., in: New England Journal of Medicine 365 (2011), S.  1790 ff.; Weinrieb / Van Horn / McLellan u. a., in: Liver Transplant Patient 6 (2000), S.  769 ff. 1268  Dass medizinische Gründe einer Aufnahme auf die Warteliste nicht entgegenstehen und die Richtlnie daher die Ermächtigung gem. § 16 Abs. 1 TPG überschreitet,



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen459

Keinesfalls dürfen Erziehungs- oder Gerechtigkeitserwägungen den Patien­ ten aufgrund unterstellter Behandlungsunwürdigkeit ausschließen.1269 Dies würde ein rein ethisches Allokationskriterium darstellen, das von § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG nicht gedeckt wäre und außerdem immense verfassungsrechtliche Zweifel aufkommen ließe. Aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG lässt sich keine kehrseitige Pflicht des Einzelnen zur Gesunderhaltung ableiten.1270 Es mag zwar das Gerechtigkeitsempfinden vieler befriedigen, wenn die eigene Provokation der Behandlungsbedürftigkeit einen sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung darstellen würde; die Berücksichtigung des Selbstverschuldens verstößt jedoch gegen das Prinzip der Lebenswertindifferenz.1271 Durch die Posteriorisierung Alkoholkranker aufgrund des Selbstverschuldensgedankens wird der Wert ihres Lebens zwangsläufig geringer geschätzt als jener von nicht suchtkranken Patienten. Eine Verweigerung der Aufnahme in die Warteliste bedeutet für die nicht abstinenten Bedürftigen dann gleichsam die Verhängung eines Todesurteils aufgrund ihres Lebensstils.1272 Ohnehin ist angesichts der Abhängigkeit dieser Handlungsmuster von sozialen und genetischen Faktoren höchst zweifelhaft, inwiefern bei typischerweise organschädigenden Verhaltensweisen, wie Schmerzmittelmissbrauch oder eben Alkoholismus, der Gedanke des Selbstverschuldens fruchtbar gemacht werden kann.1273 Ein Unwerturteil wird man über diese Personen keinesfalls fällen stellt in erfreulicher Klarheit der 5. Strafsenat in seinem Urt. v. 28.6.2017 – Az. 5 StR 20 / 16 dar. 1269  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 380; Gutmann / Fateh-Moghadam, in: Gutmann / Schneewind / Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen gerechter Organverteilung, S. 59, 84 f. 1270  Schmitz-Luhn, Priorisierung in der Medizin, S. 129; Steiner, NJW 1991, S. 2729, 2734; eingehend auch zu ethischen Überlegungen zum Selbstverschulden Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 460 ff. 1271  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 467; Dannecker / Streng-Baunemann, NStZ 2014, S. 673, 677; ders. / Streng / Ganten, in: Schmitz-Luhn / Bohmeier (Hrsg.), Priorisierung in der Medizin, S. 147, 155 f.; Gutmann, in: Schroth / König /  Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 15; Gutmann / Fateh-Moghadam, in: Gutmann /  Schneewind / Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen gerechter Organverteilung, S. 59, 88; a. A. jedoch Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 112; grundsätzlich kritisch zur Einbeziehung von Selbstverantwortung in Priorisierungsentscheidungen Welti, MedR 2010, S. 379, 383. 1272  Vgl. Bader, Organmangel und Organverteilung, S.  467; Dannecker /  Streng / Ganten, in: Schmitz-Luhn / Bohmeier (Hrsg.), Priorisierung in der Medizin, S. 147, 155; Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 15; ders., in: Haarhoff (Hrsg.), Organversagen, S. 143, 160; Schott, Patientenauswahl und Organallokation, S. 336; ebenso kritisch Umgelter, in: Haarhoff (Hrsg.), Organver­ sagen, S. 179, 226 ff., der von „mörderischen Vorurteile(n)“ bei einem Alkoholkonsum durch Leberkranke spricht; anders aber Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 113. 1273  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 464 f.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

können. In der Praxis würden derartige Überlegungen schon am Nachweis der Zurechnung des Verhaltens regelmäßig scheitern.1274 Nach der geltenden Rechtslage würde die Entscheidung über die Zugangsversagung sogar aufrechterhalten, wenn genügend Spenderorgane zur Verfügung stünden.1275 Die Beschränkungsregelung wurde aber vor allem aufgrund der Knappheitssituation des Organbestands eingeführt und bildet so – entgegen den Vorgaben des § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG – ein normatives Krite­ rium.1276 Rein medizinische Gründe den Betroffenen eine Transplantation zu verweigern gibt es nicht. Selbstverständlich sprechen auch medizinische Zusammenhänge für das Verlangen einer gewissen Abstinenzzeit. Schließlich erhöht sich mit zunehmender Zeit des Alkoholverzichts die Wahrscheinlichkeit, auch nach der Transplantation abstinent zu bleiben. Eine dadurch bedingte Verbesserungsmöglichkeit der Nachbehandlung und eine erhöhte Chance auf ein Langzeitüberleben des Transplantats erscheinen plausible Folgen. Dies gilt jedoch nicht für die Starrheit der sechs-Monatsfrist.1277 Eine solch immense personenbezogene Ungleichbehandlung lässt sich vor dem Hintergrund eines angemessenen Verhältnisses zum rechtfertigenden Grund nicht aufrechterhalten. Der grundsätzliche Ausschluss nicht abstinenter Patienten von dem Verteilungsverfahren steht außer Verhältnis zu dem bisher dürftigen medizinischen Faktenwissen. Das alles-oder-nichts-Prinzip benachteiligt einen fünf Monate abstinenten Patienten unangemessen gegenüber einem sieben Monate „trockenen“ Wartelistenkandidaten. Eine Berücksichtigung eventueller medizinisch relevanter Nebenwirkungen des Alkoholkonsums kann allenfalls im Sinne einer schwachen Posteriorisierung auf der Ebene der konkreten Organzuteilung Berücksichtigung finden.1278 Für eine zunehmende Zeit der Abstinenz könnten in regelmäßigen Abständen, korrelierend mit einer steigenden Erfolgsaussicht, Bonuspunkte vergeben werden. 1274  Ebda., S. 465; Gutmann / Land, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 87, 101; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplanta­ tionsmedizin, S.  113 f.; Opper, Die gerechte und rechtmäßige Verteilung knapper Organe, S. 173; Schott, Patientenauswahl und Organallokation, S. 336 f. 1275  Dannecker / Streng / Ganten, in: Schmitz-Luhn / Bohmeier (Hrsg.), Priorisierung in der Medizin, S. 147, 155. 1276  Dannecker / Streng-Baunemann, NStZ 2014, S. 673, 675. 1277  Vgl. Lauerer / Baier / Alber u. a., in: Schmitz-Luhn / Bohmeier (Hrsg.), Priorisierung in der Medizin, S. 161, 166. Auch das LG Göttingen (Az. 6 Ks 4 / 13) kam in seinem Urteil in Bezug auf die Wartelistenmanipulationen des Transplantationschirurgen zu einer Verfassungswidrigkeit der Abstinenzklausel. 1278  Vgl. Dannecker / Streng-Baunemann, NStZ 2014, S. 673, 677; ders. / Streng /  Ganten, in: Schmitz-Luhn / Bohmeier (Hrsg.), Priorisierung in der Medizin, S. 147, 155; Lang, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 10 Rn. 41; siehe auch Lauerer / Baier / Alber u. a., in: Schmitz-Luhn / Bohmeier (Hrsg.), Priorisierung in der Medizin, S. 161, 166.



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen461

Die Bundesärztekammer hat nach langanhaltender Kritik gegenüber der Bestimmung eine Änderung ihrer Richtlinie beschlossen, sich jedoch für ein anderes Vorgehen entschieden. Sie hält im Grundsatz an der sechsmonatigen Alkoholkarenzzeit fest, lockert jedoch deren Verbindlichkeit. Bestehen in begründeten Ausnahmefällen, die insbesondere bei akut dekompensierter alkoholischer Lebererkrankung vorliegen sollen, Notwendigkeit und Erfolgsaussicht für die Transplantation, ist die interdisziplinäre Transplantationskonferenz befugt, von der Abstinenzzeit abzuweichen. Voraussetzung ist, dass eine spezielle, von der Ständigen Kommission Organtransplantation besetzte Sachverständigengruppe dazu Stellung genommen hat.1279 Die seit der jüngsten Reform des Transplantationsgesetzes notwendige Richtlinienbegründung hält eine Lebertransplantation erst für angezeigt, wenn die konservativen Therapiemöglichkeiten ausgeschöpft sind. Durch einen vollständigen Alkoholverzicht könne bei Patienten mit einer Leberzirrhose erreicht werden, dass sie durch die Regeneration ihres eigenen Organs für viele Jahre noch in guter Lebensqualität leben, sodass eine Transplantation nicht notwendig sei. Zeichne sich jedoch ab, dass ein Organaustausch unumgänglich wird, biete die Alkoholabstinenzzeit die beste Voraussetzung für den Transplantationserfolg und das Überleben des Patienten. Diese Überlegungen verfangen jedoch ausschließlich in Fällen, in denen eine konventionelle Therapie ohne die Risiken einer Lebertransplantation und der anschließenden Immunsuppression für den Patienten vorteilhafter ist als ein Organaustausch. Ein grundsätzliches Festhalten an der bisherigen Regelung lässt sich durch den Hinweis auf die hervorragenden Möglichkeiten der konventionellen Methoden daher nicht rechtfertigen. Vielmehr bedarf es einer Prognose im Einzelfall bei Vorstellung des Patienten im Transplantationszentrum. Ebenso ist der Verweis auf verminderte Langzeiterfolge bei der Transplantation wenig überzeugend, da er nicht mit einem Vergleich zu den Erfolgen eines konventionellen Vorgehens aufwartet. Die neu geschaffene Ausnahmeregelung, die neuen Handlungsspielraum für die Zentren eröffnet, kann den tiefgreifenden Verfassungskonflikt der Regelung nicht beseitigen. Einer verfassungskonformen Auslegung war die starre sechsmonatige Grenze bisher nicht zugänglich.1280 Kein anderes Ergebnis ergibt sich unter Einbeziehung der Ausnahmeregelung, da diese darauf ausgelegt ist, lediglich 1279  Vgl.

den besonderen Teil der Richtlinie zur Lebertransplantation, III.2.1. Verfassungswidrigkeit gelangen auch Bader, Organmangel und Organverteilung, S.  247 ff.; Dannecker / Streng-Baunemann, NStZ 2014, S. 673 ff.; ders. / Streng /  Ganten, in: Schmitz-Luhn / Bohmeier (Hrsg.), Priorisierung in der Medizin, S. 147, 155; Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 15; ders., in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin, S.  113, 128  f.; ders. / Fateh-Moghadam, in: Gutmann / Schneewind / Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen 1280  Zur

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

in begründeten Sonderfällen von dem grundgesetzwidrigen Prinzip abzuweichen, ohne dass sie sich im Richtlinienkontext dahingehend auslegen lässt, dass jeder Patient, der bei seiner Vorstellung im Transplantationszentrum von einer Transplantation profitieren würde, zwingend einen Ausnahmefall darstellt. Die Abstinenzklausel bleibt folglich aufgrund ihres Verstoßes gegen das Prinzip der Lebenswertindifferenz und den Gleichbehandlungsgrundsatz grundgesetzwidrig. (c) D  ie Abstinenzklausel vor Gericht – der „Göttinger Manipulationsskandal“ In seinem Urteil zu den „Göttinger Manipulationsskandalen“ legt der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs erstmals eine höchstrichterliche Bewertung der Transplantationsrichtlinien vor. Sie teilt maßgebliche Bedenken aus der Literatur. Der Bundesgerichtshof hatte zu entscheiden, ob die Weiterleitung wahrheitswidriger Angaben an Eurotransplant, die eine Verdrängung des hypothetisch vorrangigen Patienten auf der Warteliste bewirkt, eine Strafbarkeit wegen eines versuchten Tötungs- oder Körperverletzungsdelikt begründet. Dem angeklagten Transplantationschirurgen wurde unter anderem vorgeworfen, Patienten mit alkoholinduzierter Leberzirrhose ohne Einhaltung der mindestens sechsmonatigen Alkoholabstinenz in die Warteliste aufgenommen und so die zur Tatzeit gültigen Richtlinien der Bundesärztekammer verletzt zu haben. Dadurch habe er seinen Patienten Listenplätze verschafft, die ihnen nicht zugstanden hätten. In der Folge seien andere Wartelistenkandidaten benachteiligt worden, die eigentlich zum Zuge gekommen wären. Ihm sei bewusst gewesen, dass ein eigentlich „vorrangiger“ Patient wegen seiner Angaben Gefahr laufen könnte, nicht mehr rechtzeitig ein anderes passendes Organangebot zu erhalten und aufgrund dessen zu versterben. Eine Bestrafung des angeklagten Arztes wegen (versuchten) Totschlags oder (versuchter) Körperverletzung scheidet nach dem Bundesgerichtshof jedoch bereits mit Blick auf das in Art. 103 Abs. 2 GG garantierte Gesetzlichkeitsprinzip aus. Zudem könne die Richtlinienbestimmung wegen Überschreitung der Ermächtigungsnorm des § 16 Abs. 2 Nr. 2 TPG sowie wegen inhaltlicher Mängel keine strafrechtsbegründende Wirkung entfalten. Die gegenläufigen Kriterien der „Notwendigkeit und Erfolgsaussicht“ einer Transplantation (§ 16 Abs. 2 Nr. 2 TPG), die überdies nur beispielhaft genannt („insbesondere“) und in eine Vermutungsregel eingestellt seien (§ 16 gerechter Organverteilung, S. 59, 88; Lang, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 10 Rn. 41; Schroth, NStZ 2013, S. 437, 441.



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen463

Abs. 1 S. 2 TPG), ließen bereits nicht erkennen, welche konkreten Handlungs- oder Unterlassungspflichten hieran geknüpft sein könnten. Einen annähernd bestimmten gesetzgeberischen Auftrag für die Normierung eines strikten und mit repressiver Sanktion zu bewehrenden Ausschlusstatbestands betreffend Alkoholkranker enthielte die Regelung nicht. Es gebe keine medizinischen Gründe, die den in den Richtlinien der Bundesärztekammer vorgenommenen strikten Ausschluss von Alkoholkranken vor Ablauf einer sechsmonatigen Abstinenzzeit zu rechtfertigen vermögen. Daraus folge, dass die „Karenzklausel“ die auf die Festlegung von „Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft“ zielende Ermächtigungsnorm des § 16 Abs. 1 TPG überschreite und somit bereits aus diesem Grunde nicht strafrechtsbegründend wirken könne. Der Bundesgerichtshof führt weiter treffend aus, dass die Karenzklausel „wegen der auch bei einem Alkoholrückfall bestehenden Überlebenschancen jedenfalls insoweit unter dem Blickwinkel von Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG durchgreifenden Bedenken ausgesetzt sei, als dadurch auch Pa­ tienten ausgeschlossen werden, die (…) die Frist von sechs Monaten ohne Transplantation nicht überleben würden.“1281 Die verfassungsrechtlichen Problematiken rund um die Richtlinien der Bundesärztekammer sind mit diesem Urteil nun endgültig in der Rechtsprechung angekommen. cc) Exkurs: Weitere problematische Verteilungskriterien und -modelle Vorgehend wurde aufgezeigt, dass die zurzeit geltenden Verteilungsfaktoren eine verfassungsrechtlich konforme Ausgestaltung des Allokationsverfahrens gewährleisten. In ihrer heutigen Anwendung ist jedoch zumindest das Merkmal Erfolgsaussicht keinesfalls frei von verfassungsrechtlichen Bedenken. Diskutiert werden noch weitere Allokationskriterien, die in der Literatur mehr oder minder starken Rückhalt finden. Dazu zählen insbesondere soziale Kriterien ((1)), Retransplantationen ((2)), Reziprozitätsmodelle ((3)) und eine reine Verfahrensgerechtigkeit ((4)). Sie wurden bereits umfassend aufbereitet1282 und stehen in Deutschland schon aus dem Grund nicht auf der politischen Agenda, als sie allesamt offensichtlich entgegen § 12 Abs. 3 S. 1 TPG auf nichtmedizinische Kriterien abstellen. Es soll daher nur überblicksartig 1281  BGH

Urt. v. 28.06.2017 – Az. 5 StR 20 / 16. nur die Auseinandersetzungen mit zahlreichen Verteilungskriterien in den Dissertationen von Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 369 ff.; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 66 ff.; Schneider, Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Organallokation, S. 107 ff. 1282  Vgl.

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auf einige weitere, regelmäßig diskutierte Verteilungskriterien eingegangen werden.1283 (1) Soziale Kriterien Soziale Kriterien orientieren die Verteilungsentscheidung an einem in unterschiedlicher Art festgelegten Wert oder Nutzen einer Person.1284 Der „soziale Wert“ wird typischerweise über bestimmte Eigenschaften bestimmt. Dies kann etwa ein „moralisch wertvolles Leben“, besondere Nützlichkeit für die Gesellschaft oder die Verantwortlichkeit für Drittinteressen (z. B. bei einer Mutter minderjähriger Kinder) sein. Ebenso diskutiert wird eine Altersrationierung, die den Zugang zu Organen nur bis zu einer bestimmten Altersgrenze ermöglicht oder aber das Abstellen auf die restlichen Quality Of Life Adjusted Life-Years (QUALYs) durch die Prognose der postoperativen Lebenszeit und -qualität. Sogar die Finanzkraft eines potentiellen Empfängers wurde in der Literatur bereits als mögliches Verteilungskriterium erörtert. Besondere Prominenz kommt dem Risikoverhalten des Patienten zu, dessen Verantwortung für seine Bedürftigkeit Anlass zu seiner Benachteiligung sein sollen. Die gesamte Zahl der sozialen Kriterien unterliegt jedoch einer einheitlichen verfassungsrechtlichen Bewertung, sodass sich eine gemeinsame Darstellung anbietet. Die Bemessung eines irgendwie gearteten sozialen Werts oder Nutzens einer Person als Voraussetzung zum Erhalt einer medizinischen Leistung verstößt evident gegen das Prinzip der Lebenswertindifferenz und den Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes.1285 Daneben ist er mit kaum überwindbaren Operationalisierbarkeitsschwierigkeiten behaftet (was soll ein moralisch wertvolles Leben sein?).1286 Auch Drittinteressen oder finanzielle Potenz können den Wert einer Person unter dem Grundgesetz ­ nicht steigern und so eine vorrangige Berücksichtigung des Patienten beför1283  Eine umfassende Aufbereitung sonstiger Allokationskriterien findet sich etwa bei Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 422 ff. m. w. N.; vgl. auch Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 96 ff. 1284  So schon Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 422. 1285  Ebda., S.  428 ff.; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 99 stellt allgemein auf die Verletzung des Menschenwürdegrundsatzes ab; vgl. auch die Erwägungen von Brech, Triage und Recht, S. 288 f.; Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 46; Gutmann / Land, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 87, 100 f.; ders. / Fateh-Moghadam, in: Gutmann / Schneewind / Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen gerechter Organverteilung, S. 59, 86 ff. 1286  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 425 f.; Gutmann / Land, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 87, 101.



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen465

dern.1287 Scheitern müssen zudem Ansätze, die auf das Lebensalter oder die verbleibende Lebenszeit und -qualität abstellen. Eine bestimmte Lebens­ qualität ist einer objektivierenden Bestimmung ohnehin entzogen.1288 Als Gründe für eine Altersrationierung wird aus utilitaristischer Sichtweise angeführt, dass die Vergabe von Ressourcen an Patienten mit einer ohnehin geringeren Lebenszeit vom Standpunkt einer medizinischen Nützlichkeitsbetrachtung her suboptimal erscheint.1289 Ein anderer Begründungsansatz stellt aus gleichheitsbezogener Perspektive auf die bereits verlebten Jahre ab und kommt zu dem Schluss, dass jeder Mensch ein berechtigtes Interesse an einer angemessenen Dauer seines Lebens hat; ein Privileg, dass älteren Patienten bereits zu Teil geworden sei.1290 Danach müssten jüngere Wartelistenkandidaten stets den Älteren vorgezogen werden. Das Abstellen auf ein kalendarisches Alter oder eine bestimmte postoperativ verbleibende Lebenszeit und -qualität bei der Organzuteilung würde jedoch wiederum gegen den Grundsatz der Lebenswertindifferenz verstoßen.1291 Eine besondere Form der sozialen Auswahlkriterien stellt ein risikoreiches Vorverhalten des Bedürftigen in den Fokus. Die Einbuße der Funktionstüchtigkeit eines Organs beruht in nicht seltenen Fällen auf Risiken, die der Betroffene in der Vergangenheit eingegangen ist. Prominenstete Beispiele sind 1287  Siehe zur Bewertung möglicher Drittinteressen Bader, Organmangel und Organverteilung, S.  432 ff.; Brech, Triage und Recht, S. 290 mit Berücksichtigung der speziellen Situation des Masseanfalls Hilfsbedürftiger (etwa nach einer Katastrophe); Gutmann / Land, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 87, 100; Harris, Der Wert des Lebens, S. 158 ff. Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 110 hingegen will in einer Verhältnismäßigkeitsprüfung klären, welche Drittinteressen Berücksichtigung finden können. Speziell zur Unzulässigkeit des Allokationskriteriums der Finanzkraft siehe Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 456; Brech, Triage und Recht, S. 285 ff.; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 122 ff. 1288  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 450; Brech, Triage und Recht, S. 266; skeptisch auch Rahmel, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 127, 135; Ulrich, Durchbrechungen der Allokationskriterien des § 12 Abs. 3 TPG, S. 35. 1289  Vgl. zum QUALYs Modell Singer / McKie / Kuhse et.al., in: Journal Of Medical Ethics, 21 (1995), S. 144 ff. 1290  Ausführlich zu den Nuancen einer egalitären Begründung der Altersrationierung siehe Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 439 ff. sowie Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 103 ff.; vgl. dazu auch Gutmann / Land, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 87, 99. 1291  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 446 f., 451 f.; eine Menschenwürdeverletzung bei einer Altersrationierung bzw. der Anwendung des QUALYsKriteriums sieht Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 107, S. 121 f.; vgl. ebenso Gutmann / Land, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S.  87, 99; ausführlich zum QUALYs-Kriterium und zur Altersratio­nierung zudem Brech, Triage und Recht, S. 266 ff. bzw. S. 275 ff.

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der Medikamentenmissbrauch bei der Niereninsuffizienz, das Rauchen bei Herz- und Lungenkrankheiten und der Alkoholismus beim Leberversagen.1292 Hierin werden teilweise eigenverantwortlich eingegangene Risiken gesehen, für die der Betroffene die Verantwortung zu tragen habe. Über ihn wird gleichsam ein Unwerturteil gefällt. Stellt man auf das Recht eines jeden Patienten auf Chancengleichheit ab, könnte sich die Berücksichtigung von selbstschädigenden Verhalten als nicht nur zulässig, sondern sogar geboten erweisen. Die Annahme, dass Gesundheitsschädigungen stets auf zurechnungsfähigen individuell-autonomen Entscheidungen beruhen, erweist sich jedoch als Fehlschluss. Ohnehin wurden Erziehungs- und Gerechtigkeits­ erwägungen bereits bei der Betrachtung der in den Richtlinien normierten Alkoholkarenzzeit bei alkoholbedingter Leberinsuffizienz eine verfassungsrechtlich bedingte Absage erteilt.1293 Ein Unwerturteil über einen Patienten, das dessen Versorgungspriorität beschränkt, ist unzulässig, da die Berücksichtigung des Selbstverschuldens gegen das Prinzip der Lebenswertindifferenz verstößt.1294 (2) Retransplantation Der Verlust eines implantierten Organs, das eine Retransplantation notwendig macht ist keine Seltenheit. Man könnte vertreten, dass Patienten, die ihre „Chance“ schon hatten, nun nicht mehr oder zumindest nachrangig berücksichtigt werden sollten. Diese Fairnessüberlegung kann jedoch nicht überzeugen. Der transplantierte Patient hat weder Einfluss auf die Qualität des implantierten Organs noch auf diejenige der chirurgischen Abläufe der Ex- und Implantation oder den Transport.1295 1292  Bader,

Organmangel und Organverteilung, S. 460 f. Abstinenzklausel siehe bereits S. 458 ff. 1294  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 467; Dannecker / Streng-Baunemann, NStZ 2014, S. 673, 677; ders. / Streng / Ganten, in: Schmitz-Luhn / Bohmeier (Hrsg.), Priorisierung in der Medizin, S. 147, 155 f.; Gutmann, in: Schroth / König /  Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 15; ders. / Fateh-Moghadam, in: Gutmann /  Schnee­wind / Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen gerechter Organverteilung, S. 59, 88; a. A. jedoch Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 112; mit allgemeinen Überlegungen zum Selbstverschuldensprinzip im Gesundheitswesen Brech, Triage und Recht, S. 292 ff.; grundsätzlich kritisch zur Einbeziehung von Selbstverantwortung in Priorisierungsentscheidungen Welti, MedR 2010, S. 379, 383. 1295  Vgl. zur mangelnden Überzeugungskraft der Gerechtigkeitserwägungen schon Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 507; Gutmann / Land, in: Brudermüller /  Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 87, 101; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 119; Schott, Patientenauswahl und Organallokation, S. 342. 1293  Zur



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen467

In verfassungsrechtlicher Hinsicht fehlt es an einem sachlichen Grund für eine Benachteiligung bereits transplantierter Patienten. Selbst wenn der Pa­ tient den Organverlust durch mangelnde Compliance selbst herbeigeführt hat, ist das noch kein grundsätzlicher Ausschlussgrund für eine weitere Transplantation, da eine bloße Sanktionierung des Verhaltens gegen das Prinzip der Lebenswertindifferenz verstoßen würde.1296 Soweit mit einer bereits erfolgten Ersttransplantation die Erfolgsaussichten für eine weitere Transplantation gemindert wurden (etwa aufgrund eines nun erhöhten Abstoßungsrisikos), ist dies kein Sonderproblem einer Retransplantation. Vielmehr ist diese Tatsache bei der Berücksichtigung des Transplantationserfolgs in den Abwägungsprozess bei der Verteilungsentscheidung mit einzubeziehen.1297 (3) Reziprozitätsmodelle Reziprozitätsmodelle erfreuen sich in der wissenschaftlichen Diskussion großer Popularität.1298 Sie stellen auf einen Verdienst-Gedanken ab, der die eigene Spenderbereitschaft mit dem Empfängerstatus verknüpft. Dies geschieht je nach Modell in unterschiedlicher Weise. Differenziert werden können Clubmodelle, die den Vorzug spendebereiter Patienten über die Einrichtung von Organspenderclubs sicherzustellen suchen sowie Solidarmodelle, die lediglich eine Modifikation der bisherigen Verteilungskriterien fordern. Verfechter eines Organspenderclubs wollen entweder in radikaler Form gespendete Organe zu einem „Clubgut“ erklären, das ausschließlich Mitgliedern, die allesamt erklärte Organspender sind, zur Verfügung stehen soll.1299 Weniger strikt wird von anderer Seite lediglich eine Bevorzugung von Clubmitgliedern bei der Allokation vorgeschlagen.1300 Innerhalb dieses Modells 1296  So bereits Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 507; zur Legitimität der Berücksichtigung des Merkmals Compliance siehe schon S. 454 ff. 1297  So bereits Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 120; in diese Richtung auch Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 504. 1298  Befürwortet wird die Berücksichtigung des Reziprozitätsgedankens etwa von Bausch / Kohlmann, NJW 2008, 1562 ff.; Blankart, in: Breyer / Engelhard (Hrsg.), Anreize zur Organspende, S. 27 ff.; Breyer, ZME 48 (2002), S. 111 ff.; ders., in: Haarhoff (Hrsg.), Organversagen, S. 27, 45 ff.; ders. / Kliemt, in: Oberender (Hrsg.), Transplantationsmedizin, S.  135 ff.; Kliemt, in: Nagel / Fuchs (Hrsg.), Rationalisierung und Rationierung im deutschen Gesundheitswesen, S. 262, 269 ff.; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 155; Ulrich, Durchbrechungen der Allokationskriterien des § 12 Abs. 3 TPG, S. 89 ff. 1299  Vgl. dazu Gutmann / Land, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 87, 102 f. 1300  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 469.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

könnten gleichzeitig ehemalige Lebendspender eingebettet werden, die sich durch ihre Spende einen Vorzug bereits verdient hätten. In Betracht kommt sowohl eine privatrechtlich verfasste Ausgestaltung der Spenderclubs als auch eine öffentlich-rechtliche Organisation im Sinne einer monopolistischen Transplantationsversicherung.1301 Eine weniger einschneidende Maßnahme für das deutsche Transplanta­ tionssystem würde die Verankerung des Reziprozitätsgedankens im bisherigen Allokationssystem bedeuten. Nach „spenderbezogenen Solidarmodel­ len“1302 könnte die Bevorzugung von erklärten Organspendern von einem dahingehend dokumentierten Willen des Verstorbenen abhängig gemacht werden. Eine entsprechende Frage, ob eine Bevorzugung von Spendewilligen bei der eigenen Organspende gewünscht ist, könnte in den Organspendeausweis eingefügt werden. Denkbar ist zudem eine noch verstärkte Anwendung des Solidargedankens durch einen allgemein gesetzlich angeordneten Vorrang spendebereiter Personen, wobei ein absoluter Vorrang (und eine damit nur subsidiäre Versorgung anderer Patienten) als auch eine relative Besserstellung über Bonuspunkte denkbar scheinen.1303 Diese Bevorzugungsmethoden sind auch im Hinblick auf die Honorierung ehemaliger Lebendspender denkbar. Reziprozitätsmodelle mögen auf den ersten Blick einleuchten, möglicherweise für die herrschende Gerechtigkeitsintuition sogar vorzugswürdig sein. Schließlich könnten sie, durch den individuellen Anreiz Organe zu spenden, sowohl das Spenderaufkommen erhöhen als auch dem gesellschaftlich verankerten Verständnis von „Tauschgerechtigkeit“ Rechnung tragen. Dennoch sehen sie sich praktischen ((a)), sozialpolitischen ((b)) sowie nicht zuletzt verfassungsrechtlichen Problemen ((c)) ausgesetzt.

1301  Ebda., S. 469  f.; näher zum Clubmodell vgl. Breyer / Kliemt, in: Oberender (Hrsg.), Transplantationsmedizin, S.  135 ff.; Kliemt, in: Nagel / Fuchs (Hrsg.), Rationalisierung und Rationierung im deutschen Gesundheitswesen, S. 262, 269 ff. 1302  So die treffende Bezeichnung von Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 470. 1303  Vgl. zu den Ausprägungen des Solidarmodells ebda., S. 470 ff.; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 132 ff. In Israel besteht bereits eine Lösung auf Grundlage des Solidarmodells, bei dem Wartelistekandidaten bevorzugt werden, die seit mindestens drei Jahren einen Organspendeausweis besitzen, wobei die Regelung bei einem dringenden Organbedarf außer Kraft setzt wird. Tatsächlich konnten durch diese Maßnahme Erfolge verzeichnet werden; siehe zum Ansatz Israels Lavee / Brock, in: Current Opinion in Critical Care 18 (2012), S. 707 ff.; Wright, The Lancet 375 (2010), S. 1233 ff.



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen469

(a) Praktische Hürden In praktischer Hinsicht bedarf eine Systemänderung vorliegender Art einer umfangreichen Organisation nebst Übergangsregelungen und umfassender öffentlicher Aufklärung. Insbesondere wird die Errichtung eines Spenderregisters, wie es schon in § 2 Abs. 3 TPG vorgesehen ist, zwingend notwendig, um die Entscheidungen mit ausreichender Sicherheit zu dokumentieren.1304 Problematisch erweist sich der Umgang mit minderjährigen bzw. geschäftsunfähigen Personen, die eine Erklärung (noch) nicht abgeben können.1305 Richtigerweise sind sie aus dem Reziprozitätsmodell herauszunehmen.1306 Elementares Anliegen bei der Einführung des Reziprozitätsgedankens muss die Bekämpfung von Missbrauch sein. Durch die Berücksichtigung der eigenen Spendebereitschaft soll neben der Steigerung der Organspenderrate zuvörderst der Ausnutzung des Transplantationssystems durch „Trittbrettfahrer“ entgegengewirkt werden.1307 Um diese Zielsetzung nicht zu gefährden, muss die Exploitation von „Lücken“, die die Reziprozitätsmodelle lassen, verhindert werden. Als missbräuchliches Verhalten denkbar, ist etwa der Widerruf der eigenen Spendebereitschaft nach Erhalt eines Organs oder bei Absehbarkeit mangelnder eigener Bedürftigkeit am Lebensende.1308 Vorgeschlagen wird – verfassungsrechtlich problematisch und wenig motivierend – den Widerruf auszuschließen.1309 Weniger extrem, wird die Einführung einer Übergangsfrist für das Wirksamwerden der Willenserklärung angeregt.1310 1304  Zu organisatorischen Herausforderungen siehe Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 474. 1305  Bedenken gelten hier nicht nur bei den unter 16-jährigen Minderjährigen, die noch nicht befugt sind eine Erklärung abzugeben, sondern auch bei den älteren Jugendlichen, denen eine solch schwerwiegende Entscheidung noch nicht unter „Sanktionsdruck“ zugemutet werden kann. 1306  So auch Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel, S. 221; Hohmann, Das Transplantationswesen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, S. 79; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 139 f.; Kühn, Motivationslösung, S.  169 f.; 180 ff.; Wille, Die Organknappheit im Spannungsverhältnis zwischen Sozialpflicht und Selbstbestimmung, S. 98 ff. 1307  Ahlert / Kliemt, in: Hensen / Kölzer (Hrsg.), Die gesunde Gesellschaft, S. 249, 256; Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 476. 1308  Siehe dazu Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 476 f.; Hohmann, Das Transplantationswesen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, S. 79; Schott, Patientenauswahl und Organallokation, S. 349 f.; Wille, Die Organknappheit im Spannungsverhältnis zwischen Sozialpflicht und Selbstbestimmung, S. 95 f. 1309  Vgl. dazu Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel, S. 221  f.; Wille, Die Organknappheit im Spannungsverhältnis zwischen Sozialpflicht und Selbstbestimmung, S.  95 ff. 1310  So der Vorschlag von Breyer / Kliemt, in: Oberender (Hrsg.), Transplantationsmedizin, S. 135, 143.

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Missbrauchsmöglichkeiten bestünden zudem, wenn Patienten ihre eigene Spendebereitschaft erst bei Absehbarkeit ihrer Bedürftigkeit erklären könnten.1311 Da dieser genaue Zeitpunkt schwerlich nachweisbar sein dürfte, müsste auf alternative Stichtage, wie die Registrierung auf der Warteliste,1312 abgestellt oder Karenzzeiten zwischen Erklärungsabgabe und ihrer Wirkung eingeführt werden.1313 Denkbar ist in dieser Hinsicht auch ein stufenweiser Eintritt der Privilegierung oder die Berechnung des Vorzugs anhand der „Netto-Spenderjahre“.1314 Missbräuchlich wäre auch die Abgabe einer Spendeerklärung im offiziellen Register, obwohl ein verdeckter Widerspruch, etwa auf einem Organspendeausweis, formuliert wurde.1315 Da sich der Patient jedoch bewusst widersprüchlich verhält, kann ihm der Grundsatz venire contra factum proprium entgegengehalten werden. Er wäre daher an seiner offiziellen Erklärung festzuhalten.1316 (b) Sozialpolitische Überlegungen Für die Politik sind Reziprozitätsgedanken insofern attraktiv, als sie in der Lage wären, den Einzelnen zur Abgabe einer Spendererklärung zu motivieren, sodass die Zahl der zur Verfügung stehenden Organe erhöht werden könnte.1317 Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich die Bevölkerung in großen Teilen von dem Wunsch leiten ließe, sich eine möglichst optimale Gesundheitsversorgung zu sichern und einer Spende daher mehrheitlich zustim1311  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 477; Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel, S. 164; auf den Zeitpunkt der Bedürftigkeit abstellen wollen Breyer / Kliemt, in: Oberender (Hrsg.), Transplantationsmedizin, S. 135, 153; siehe auch Kliemt, in: Nagel / Fuchs (Hrsg.), Rationalisierung und Rationierung im deutschen Gesundheitswesen, S. 262, 269. 1312  So Kühn, Motivationslösung, S. 170, der vorschlägt, dass die Spendeerklärung spätestens zwei Jahre vor der ersten Registrierung abgegeben worden sein muss. 1313  Vgl. Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel, S. 118. 1314  Vgl. ebda., S. 118, 222. 1315  Vgl. Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 478; Schott, Patientenauswahl und Organallokation, S. 350. 1316  So auch Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 478; anders jedoch Schott, Patientenauswahl und Organallokation, S. 350. 1317  Eine Verbesserung der Versorgungssituation durch die Einbringung des Reziprozitätsgedankens erhoffen sich etwa Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 479; Bausch / Kohlmann, NJW 2008, 1562, 1566; Blankart, in: Breyer / Engelhard (Hrsg.), Anreize zur Organspende, S. 27, 44 ff.; Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel, S. 119 f.; Kliemt, in: Nagel / Fuchs (Hrsg.), Rationalisierung und Rationierung im deutschen Gesundheitswesen, S. 262, 270; Kühn, Motivationslösung, S.  142, 190 ff.



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen471

men würde. Dies wäre auch ein Mittel gegen die kritisierte „TrittbrettfahrerMentalität“. In rechtspolitischer Hinsicht darf die Frage der Akzeptanz des „Leistungsprinzips“ im Bereich der bisher altruistisch-solidarisch ausgestalteten Organspende jedoch nicht außer Acht gelassen werden.1318 Durch die Statuierung eines Gegenseitigkeitsverhältnisses wird das Solidarmodell durch das persönliche Leistungsprinzip ersetzt oder zumindest angereichert.1319 Der Rückgriff auf den Gedanken der Tauschgerechtigkeit mag dabei vielen einsichtig erscheinen. Probleme ergeben sich jedoch im Rahmen der Finanzierung des Transplantationssystems durch die Steuer- und Beitragszahler.1320 Ein Ausschluss von Nichtspendern erscheint unter diesem Aspekt höchst problematisch. Eine Bevorzugung von erklärten Organspendern dürfte sich nur über den Gedanken rechtfertigen lassen, dass die eigene Spendebereitschaft und die Beitragsleistung des Versicherten insofern in einem Ergänzungsverhältnis stünden, als dass die Spendeerklärung als zusätzlicher Beitrag zur Versicherung ausgelegt würde, der zu einem Mehr an Leistung berechtige.1321 Diese Auffassung würde jedoch zu einer kaum wünschenswerten weiteren Zersplitterung und Desolidarisierung des Gesundheitssystems führen.1322 Außerdem gehen gerade Clubmodelle an der gesellschaftlichen Gerechtigkeitsintuition vorbei. Der Solidaritätsgedanke ist in der öffentlichen Meinung stark verankert und steht einer Organisation von Exklusiv- oder Vorzugsgruppen in „Clubform“ entgegen – umso mehr, wenn diese privatrechtlich geführt werden. Insbesondere nach den jüngsten Organspendeskandalen ist das Misstrauen der Öffentlichkeit gegenüber dem Organmissbrauch gewachsen, der staatliche Stellen dazu veranlasst hat, ihre Kontrollen zu verschärfen. 1318  Schott, Patientenauswahl und Organallokation, S. 353 befürchtet etwa Trotz­ reaktionen in der Bevölkerung, die sogar negative Auswirkungen mit sich bringen könnten; Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel, S. 168 halten zumindest eine Regelung, die nicht-spendebereite Patienten von einer Organzuteilung ausschließt für offensichtlich nicht mehrheitsfähig. 1319  Siehe dazu schon Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S.  138 f. 1320  Kritisch insoweit schon Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 482; Gutmann / Land, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 87, 102; Hohmann, Das Transplantationswesen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, S. 79. 1321  So die Rechtfertigung von Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 133; ähnlich Breyer / Kliemt, in: Oberender (Hrsg.), Transplantationsmedizin, S. 135, 147, die Organspenderclubs als eine Art Zusatzversicherung ansehen. 1322  So schon Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 482; weniger kritisch sehen das Breyer / Kliemt, in: Oberender (Hrsg.), Transplantationsmedizin, S. 135, 147.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

Der damit verbundene Zweck, das Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen, würde durch die Abschottung von Empfängerkreisen durch Clubmodelle gleichsam torpediert.1323 (c) Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Modelle Ein Problem, das alle öffentlich-rechtlich organisierten Reziprozitätsmodelle vereint, ist die Druckausübung auf den Einzelnen. Durch die drohenden Nachteile einer unterlassenen Erklärung gerät der Bürger in eine Zwangssituation, sich mit seiner Spendebereitschaft befassen zu müssen, wodurch sein negatives Selbstbestimmungsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG berührt wird. Da die Verweigerung der Zustimmung sanktioniert wird, liegt gleichzeitig ein Eingriff in das postmortale Selbstbestimmungsrecht vor.1324 Ziel der Verbindung von Spendebereitschaft und bevorzugter Behandlung im Fall eigener Bedürftigkeit, ist vor allem die Erhöhung der Organspenderrate und dementsprechend die Erfüllung der Schutzpflicht des Staates gegenüber den erkrankten Personen. Die Rettung von Menschenleben und die Leidensminderung schwerkranker Patienten können im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsabwägung als legitime Zwecke herangezogen werden. Die Einführung des Reziprozitätsgedankens stellt in diesem Bezug ein geeignetes, erforderliches und auch angemessenes Mittel zur Zweckerreichung dar.1325 Sie nimmt dem Einzelnen nicht die Entscheidungsfreiheit, sondern verlangt lediglich eine konsequente Handlung.1326 Als ebenso verhältnismäßig erweist sich die Benachteiligung aufgrund einer religiösen Überzeugung, die den Betroffenen davon abhält, seine Spendebereitschaft zu erklären.1327

1323  Dass Clubmodelle an der gesellschaftlichen Realität vorbeigehen sehen auch Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel, S. 169. 1324  Siehe Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 487 f.; Bausch / Kohlmann, NJW 2008, 1562, 1566, wobei letztere genereller auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht abstellen. 1325  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 490; vgl. auch Bausch / Kohlmann, NJW 2008, 1562, 1566 sowie Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 138 f. und Ulrich, Durchbrechungen der Allokationskriterien des § 12 Abs. 3 TPG, S. 90, die beide eine Benachteiligung erwachsener Nichtspender insgesamt für verfassungsgemäß halten. 1326  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 490; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 138; nach Blankart, in: Breyer / Engelhard (Hrsg.), Anreize zur Organspende, S. 27, 44 kann das Individuum so in Selbstverantwortung die positiven sowie negativen Folgen seines Handelns abwägen. 1327  Ausführlich zur Kollision mit der Religionsfreiheit Bader, Organmangel und Organverteilung, S.  490 ff.



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen473

Noch nicht entschieden ist damit aber, ob die tatsächliche Benachteiligung ihrerseits zulässig ist. Tatsächlich verstößt das öffentlich-rechtlich organisierte Reziprozitätsmodell gegen den Grundsatz der Lebenswertindifferenz.1328 Ist ein Patient auf eine medizinische Behandlung angewiesen, darf sein Vorverhalten, sei es die Verursachung seiner Bedürftigkeit, eine Organspendeverweigerung oder eine Lebendspende, keine Beachtung mehr finden. Niemand muss sich eine Heilbehandlung unter dem Grundgesetz verdienen, sondern ein jeder kommt im Bedarfsfall voraussetzungslos in den Genuss eines gleichberechtigten derivativen Teilhabeanspruchs.1329 Anders verhält es sich jedoch mit privaten Organspenderclubs, da diese nicht an Grundrechte gebunden wären und eine Bevorzugung von erklärten Organspendern daher in ihrem freien Belieben stünde. Auch eine mittelbare Drittwirkung der Grundrechte kann das Prinzip der Lebenswertindifferenz nicht ohne Weiteres ins Private übertragen; vielmehr ist dieser Sphäre die unterschiedliche Bewertung von Leben allgemein bekannt und wird von der Rechtsordnung akzeptiert.1330 Genauso ist die prinzipielle Verfügungsbefugnis des Einzelnen über seine Organe anzuerkennen, die nach der bisherigen Rechtslage im Interesse einer fairen Organverteilung eingeschränkt wurde, aber zugunsten erklärter Organspender durchaus wieder aktiviert werden könnte.1331 Dabei kann der Gedanke einer gesundheitlichen Absicherung 1328  Ebenso Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 493; Gutmann / FatehMoghadam, in: Gutmann / Schneewind / Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen gerechter Organverteilung, S. 59, 87 ff.; Gutmann / Land, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 87, 103; dies verkennen Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 155 und Ulrich, Durchbrechungen der Allokationskriterien des § 12 Abs. 3 TPG, S. 92 ff. 1329  Vgl. Bader, Organmangel und Organverteilung, S.  493; Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 47; ders. / Fateh-Moghadam, in: Gutmann / Schneewind / Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen gerechter Organverteilung, S. 59, 86 f.; anders etwa Bausch / Kohlmann, NJW 2008, 1562, 1567, die das Gleichheitsgebot im Transplantationsrecht (z. B. durch die bevorzugte Berücksichtigung hochdringlicher Patienten) ohnehin schon durchbrochen sehen. In der Berücksichtigung der Spenderbereitschaft sehen sie einen sachlichen Differenzierungsgrund. Vgl. auch die Ausführungen der anderen Befürworter der Reziprozitätsmodelle Breyer / Kliemt, in: Oberender (Hrsg.), Transplantationsmedizin, S. 135 ff.; Kliemt, in: Nagel / Fuchs (Hrsg.), Rationalisierung und Rationierung im deutschen Gesundheitswesen, S. 262, 269 ff.; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S.  132 ff.; Wille, Die Organknappheit im Spannungsverhältnis zwischen Sozialpflicht und Selbstbestimmung, S. 98. 1330  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 500. 1331  Die Herleitung dieser Verfügungsbefugnis ist jedoch streitig. Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 496 f. stellt dahingehend auf das postmortalen Selbstbestimmungsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG ab; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 134 bemüht die Privatautonomie aus Art. 2 Abs. 1 GG; Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel,

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

durch den erklärten Organspender als Motivation für die Begründung des Gegenseitigkeitsverhältnisses nicht als Sittenverstoß gewertet werden.1332 Keinesfalls ist die Organallokation eine zwingende Staatsaufgabe. Wie bereits festgestellt, hat der Staat die Möglichkeit, Private in die Aufgabenerfüllung einzubeziehen.1333 Die prinzipielle verfassungsrechtliche Zulässigkeit der privaten Spenderclubs, kann jedoch die mit diesem Modell verbundenen sozialpolitischen Bedenken nicht ausräumen.1334 (4) Reine Verfahrensgerechtigkeit Neben all den umfangreichen Modellen zur Erreichung einer verfassungsrechtlich einwandfreien und möglichst gerechten Organverteilung kommt auch ein einfaches Konzept in Frage: das Losverfahren. Es würde die formale Gleichheit aller Patienten durch ihre personelle Abstraktion und damit eine Verfahrensgerechtigkeit in Reinform sicherstellen.1335 Problematisch ist jedoch die Blindheit des Zufälligkeitsprinzips gegenüber sachlichen Differenzierungen.1336 Ungleiche Sachverhalte dürfen nicht gleich behandelt werden. Im Bereich der Organtransplantation müssten Sonderregeln für hochdringliche Patienten entwickelt werden, um überhaupt ein verhältnismäßiges S. 110 bilden eine Parallele zum Erbrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG; kritisch zu letzerem jedoch Conrads, Rechtliche Grundlagen der Organallokation, S. 142 f. Ulrich, Durchbrechungen der Allokationskriterien des § 12 Abs. 3 TPG, S. 99 will aus der Verfügungsbefugnis des Spenders sogar ein verfassungsrechtliches Gebot zur Zulassung einer gerichteten Spende herleiten. 1332  Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 134; in diese Richtung auch Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 500. Vgl. auch Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel, S. 118, die auf den moralischen Respekt gegenüber einer Entscheidung abstellen, die Trittbrettfahrern entgegenwirken und der Bevölkerung Anreize setzen will, ebenfalls zur Wahrung des allgemeinen Wohls beizutragen. 1333  Zu Einordnung des Transplantationswesens als öffentliche Aufgabe, aber nicht als zwingende Staatsaufgabe siehe S. 347 ff. 1334  Zu weiteren vor allem ethischen Problemen bei der Einführung von Reziprozitätsmodellen siehe Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 479 ff. Zu einer Kollision der Modelle mit dem ärztlichen Ethos siehe Beckmann, in: Beckmann /  Kirste / Schreiber (Hrsg.), Organtransplantation, S. 93, 139 f. 1335  Vgl. Bader, Organmangel und Organverteilung, S.  510; Gutmann / FatehMoghadam, in: Gutmann / Schneewind / Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen gerechter Organverteilung, S. 59, 101; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 153. 1336  Gutmann / Land, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 87, 104; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 153; Rahmel, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 127, 133.



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen475

Ergebnis erzielen zu können.1337 Fraglich ist aber, ob nicht noch weitere Sonderfälle einer anderen Behandlung bedürften. Nicht vergessen werden darf zudem der Anspruch des Einzelnen auf einen möglichst effizienten Einsatz der vorhandenen Kapazitäten.1338 Eine optimale Versorgung der Bedürftigen durch die Rettung einer möglichst großen Anzahl von Menschenleben kann ausschließlich über ein durch sachliche Kriterien bestimmtes Alloka­ tionssystem sichergestellt werden.1339 Die Einbringung von sachlichen Abwägungen würde das Losverfahren jedoch ad absurdum führen. Ihre Notwendigkeit beweist letztlich die Unbrauchbarkeit des reinen Zufälligkeitsprinzips bei Verteilungsentscheidungen, die einer normativen Bewertung zugänglich sind. Die Anwendbarkeit des zufälligen Losverfahrens erscheint lediglich gerechtfertigt, wenn durch die Abwägung sachlicher Gründe keine eindeutigen Ergebnisse erzielt werden können oder die Berücksichtigung von sachlichen Kriterien in keinem Verhältnis zum Differenzierungsergebnis steht.1340 Keinesfalls konsequent erscheint der Vorschlag, die Zufallsgerechtigkeit mit sachlichen Gründen zu kombinieren, indem Loschancen propor­ tional zu materiellen Kriterien wie der Bedürftigkeit oder der Erfolgsaussicht vergeben werden. Wenn sachliche Kriterien vorliegen, dann darf ihre Berücksichtigung nicht vom Zufall abhängen.1341 Es zeigt sich dementsprechend, dass die Legitimationskraft des Zufalls begrenzt bleibt.1342 dd) Ergebnis Die Betrachtung der in Deutschland geltenden Verteilungskriterien hinterlässt das Bild eines von der medizinischen Wissenschaft substituierten, Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 511. Anspruch des Bürgers auf eine möglichst effiziente Kapazitätennutzung siehe die Ausführungen zu den Erfolgsaussichten bei der Organallokation S. 433 ff. 1339  Konflikte mit dem Optimierungsgebot sehen auch Brech, Triage und Recht, S. 302 und Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 154. 1340  Vgl. schon Gutmann / Land, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 87, 104; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 153. 1341  So auch Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 509; Gutmann / Land, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 87, 104; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 154; für eine proportionale Verteilung der Loschancen jedoch Sellmaier / Vossenkuhl, in: Oduncu / Schroth / Vossenkuhl (Hrsg.), Transplantation, S. 131, 139. 1342  Vgl. Gutmann / Land, in: Brudermüller / Seelmann (Hrsg.), Organtransplantation, S. 87, 104; positiv im Hinblick auf eine „verfassungsrechtliche Pattsituationen“ zwischen verschiedenen Patienten ders. / Fateh-Moghadam, in: Gutmann / Schneewind / Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen gerechter Organverteilung, S. 37, 100 ff. 1337  So

1338  Zum

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phlegmatischen Gesetzgebers. Dies ergibt sich zunächst aus der Tatsache, dass er die Organallokation nur rudimentär geregelt hat und seinen gesetzgeberischen Pflichten aus dem Wesentlichkeitsgrundsatz nicht nachgekommen ist. Zwar sind die von ihm aufgestellten Kriterien für die Organzuteilung „Erfolgsaussicht und Dringlichkeit“ und die Zugangsentscheidung zur Warteliste „Notwendigkeit und Erfolgsaussicht“ grundsätzlich verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, sofern sie richtig ausgelegt und angewendet werden. Die aus den spärlichen Vorgaben resultierenden Anwendungsprobleme lassen die Vorgaben in ihrer praktischen Handhabung zum Teil gleichwohl mit dem Grundgesetz in Konflikt geraten. Die deutsche Verfassung enthält keine konkreten Vorgaben für einen Organverteilungsmodus, gibt jedoch Wertentscheidungen vor, an denen sich die Ausgestaltung des Allokationssystems zu orientieren hat. Zu diesen zählen insbesondere das Prinzip der Lebenswertindifferenz sowie der derivative Teilhabeanspruch aller Patienten aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG. Letzterer gewährt einen Anspruch des Einzelnen auf chancengleiche Teilhabe an den zur Verfügung stehenden Mitteln und auf Ausschöpfung der vorhandenen Kapazitäten. Ebenso geboten ist die effektive Nutzung der vorhandenen Ressourcen. Die beiden Organverteilungskriterien der Dringlichkeit und der Erfolgsaussicht kennzeichnen zwar beide verfassungsrechtlich legitime Allokationsfaktoren, stehen jedoch in Widerspruch zueinander, da die Erfolgsaussichten einer Transplantation mit zunehmender Dringlichkeit sinken. Die Dringlichkeit ist ein verfassungsrechtlich zwingend zu berücksichtigendes Kriterium zur Lebensrettung, gerade von unmittelbar vom Tode bedrohten Patienten. Die Erfolgsaussicht wird hingegen vielfach mit verfassungsrechtlicher Skepsis betrachtet. Tatsächlich kommt ihre Beachtung zur utilitaristischen Maximierung der Organfunktionsraten im Patientenkollektiv unter dem Grundgesetz nicht in Betracht. Als integraler Bestandteil eines Verteilungsmodus, der darauf abzielt, eine möglichst große Zahl an Menschen vor dem Tode zu bewahren, ist ihre Einbeziehung jedoch sogar gegenüber anderen Konzeptionen vorzugswürdig. Ergänzt durch die Berücksichtigung der Chancengleichheit aller bedürftigen Patienten, stellen die in § 12 Abs. 3 S. 1 TPG zugrunde gelegten Verteilungskriterien in ihrer Kombination eine verfassungsrechtlich zulässige Grundlage eines Allokationsmodus dar. Im Hinblick auf die Wartelistenaufnahme kann dieses Ergebnis jedoch nur für das Kriterium der Notwendigkeit einer Transplantation vorbehaltlos bestätigt werden. Im Hinblick auf die nach § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG zudem zugrunde zulegende Erfolgsaussicht ergeben sich erhebliche verfassungsrechtliche Zweifel. Eine übermäßige Berücksichtigung dieses Kriteriums verstößt gegen den derivativen Teilhabespruch aller einer Transplantation



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen477

bedürfenden Patienten. Ihr Anspruch besteht bereits bei einer medizinischen Indikation des Eingriffs. Der Begriff des Erfolgs im Zusammenhang mit der Wartelistenentscheidung bedarf daher einer verfassungskonformen restriktiven Auslegung in der Art, dass lediglich solchen Patienten der Zugang zur Warteliste verwehrt werden darf, bei denen die Transplantation mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht durchgeführt werden könnte, weil diese nicht nennenswert profitieren würden. In ihren Richtlinien konkretisiert und entwickelt die Bundesärztekammer die vom Gesetzgeber vorgegebenen Allokations- und Zugangsprinzipien. Jedem Kriterium werden Faktoren zugeteilt, die es bei der Auswahlentscheidung zu berücksichtigen gilt. Dabei soll die Bundesärztekammer laut Gesetzeswortlaut den Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft feststellen. In den Richtlinien finden sich jedoch vermehrt normative Kriterien; unter ihnen auch eine Reihe deutungsoffener Begriffe sowie solche, die recht eindeutig mit der Verfassung in Konflikt geraten. Die bisherige Handhabung der Erfolgsaussicht, die etwa eine verbesserte Lebensqualität nach der Transplantation verlangt, ist mit dem Prinzip der Lebenswertindifferenz nicht vereinbar. Es bedarf einer Restriktion der vorhandenen Definition. Nicht nur das Begriffsverständnis der Erfolgsaussicht in den Richtlinien, sondern auch die beiden Kontraindikationen Compliance und Alkoholabstinenzzeit belegen jedoch, dass die Erfolgsaussichten in der bisherigen Praxis der Wartelistenhandhabung großzügig ausgelegt wurden. Während die Fähigkeit und die Bereitschaft zur Kooperation im Sinne der Compliance noch verfassungskonform dahingehend ausgelegt werden kann, dass ein Ausschluss von der Warteliste nur erfolgen darf, wenn der Patient voraussichtlich nicht von dem Eingriff profitieren würde, ist die Abstinenzklausel wegen eines Verstoßes gegen das Prinzip der Lebenswertindifferenz und der Gleichbehandlung schlicht unzulässig. Weitere in der Literatur diskutierte Verteilungskriterien sind vor allem soziale Kriterien, das Merkmal der Retransplantation, Reziprozitätsmodelle sowie eine reine Verfahrensgerechtigkeit. Ihnen allen ist gemein, dass sie sich bemühen, weitere Gerechtigkeitsüberlegungen in den Allokationsprozess einzubringen. Allerdings erweist sich keines dieser Modelle als erstrebenswerte Ergänzung des heutigen Verteilungsmodus, da sie nicht nur mit rechtlichen, sondern auch praktischen und sozialpolitischen Problemen behaftet sind. j) Ergebnis In den vorstehenden Ausführungen wurde der systematische Rückzug des Staates aus der Verantwortung für das Transplantationswesen dargelegt. Die

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

Organisation aller wesentlichen Schritte ist von einer immensen Verantwortungsdiversifizierung zwischen unterschiedlichen, meist privatrechtlichen Institutionen geprägt. Schlüsselpositionen bekleiden insbesondere die Entnahmekrankenhäuser und Transplantationszentren, die Deutsche Stiftung Organtransplantation, Eurotransplant sowie auch, im Vorfeld der eigentlichen Spende- und Verteilungsakte, die Bundesärztekammer. Durch die ausufernde Aufgaben- und Verantwortungsdelegation hat der Gesetzgeber jedoch den Boden des Grundgesetzes verlassen und sieht sich zu Recht mit ernster Kritik an grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Fehlentscheidungen konfrontiert. Zwar lässt sich die Organisation des Transplantationswesens als öffent­ liche Aufgabe einordnen; das bedeutet jedoch nicht, dass der Staat die erforderlichen Erfüllungshandlungen selbst vornehmen muss. Grundsätzlich spricht nichts dagegen, dass er sich zur Aufgabenerledigung Privater bedient. Das Konzept der regulierten Selbstregulierung ist nicht per se dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit ausgesetzt. Der Staat ist bei der Gestaltung des Systems jedoch seiner Rahmen-, Überwachungs- und Auffangverantwortung nicht gerecht geworden. Die Beauftragung der Bundesärztekammer mit der Erstellung höchst grundrechtsrelevanter Richtlinien genügt den vom Grundgesetz aufgestellten Grundsätzen nicht. Die Ausstattung des ärztlichen Gremiums widerspricht bereits den Delegationsanforderungen gemäß Art. 80 Abs. 1 GG. Ferner weist sie weder eine ausreichende demokratische Legitimation auf noch genügen ihre Entscheidungen dem Parlamentsvorbehalt. Die Schlüsselstellung der Entnahmekrankenhäuser bei der Organspende wird seit der Reform von 2012 im Transplantationsgesetz deutlich hervorgehoben. Der neue § 9a Abs. 2 Nr. 1–4 TPG schreibt deren Hauptaufgaben fest. Darüber hinaus bestimmt der zusätzlich eingefügte § 9b TPG die verpflichtende Bestellung von Transplantationsbeauftragten, um die Organisationsstruktur der Organspende zu verbessern. Seine Einführung macht den ersten Schritt zu einer verbesserten Wahrnehmung der Meldepflicht durch die Entnahmekrankenhäuser. Die Transplantationszentren wurden durch die Ermächtigung des Transplantationsgesetzes, über die Listung der Patienten auf der Warteliste zu entscheiden (§ 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 TPG), mit einer hoheitlichen Aufgabe betraut. Zum Erlass der betreffenden Verwaltungsakte bedürfen die Transplantationszentren einer ausreichenden demokratischen Legitimation. Den Ärzten vor Ort verbleibt jedoch ein solch wesentlicher Wertungsspielraum normativer Art, der weder mit einer ausreichenden inhaltlichen demokratischen Vorsteuerung noch mit dem Wesentlichkeitsgrundsatz in Einklang zu bringen ist. Daran haben die Reaktionen auf die Manipulationsskandale



III. Verfassungsrechtliche Fragestellungen479

nichts geändert. Die neuen verfahrensrechtlichen Absicherungen, die wartelisterelevante Entscheidungen in die Hände einer Transplantationskonferenz legen, tragen jedoch ein Stück weit zur transparenten Ausgestaltung der verteilungsrelevanten Verfahren in den Zentren bei. Dies gilt ebenso für die intensivierten, nun auch verdachtsunabhängig durchgeführten, Kontrollen der Zentren. Durch den Vermittlungsstellenvertrag wurde die Deutschen Stiftung Or­ gantransplantation, eine private Institution, mit der Koordinierung der Organspende beauftragt. Zwar erweist sich dieser Umstand als grundsätzlich verfassungsrechtlich unbedenklich, allerdings hat der Gesetzgeber der Koordinierungsstelle nicht nur mit einem Anforderungsprofil bedacht, sondern ihr einen umfangreichen Handlungsbereich zugewiesen. Die Ermächtigung der Stiftung zum Erlass von verbindlichen Verfahrensanweisungen überträgt die massiven verfassungsrechtlichen Probleme, die sich bei der Richtlinientätigkeit der Bundesärztekammer stellen, auf die Koordinierungsstelle. Eine ausreichende Legitimation der Deutschen Stiftung Organtransplantation für den Erlass der untergesetzlichen Normen besteht nicht. Hinzu kommen durch die Reform nicht behobene Kontrolldefizite. Zwar wurde die Rolle der Überwachungskommission gestärkt, doch fehlen bis heute wirksame Durchgriffsrechte für ihre Aufgabenwahrnehmung. Eurotransplant entscheidet als privatrechtliche Stiftung niederländischen Rechts über die konkrete Allokation der zur Verfügung stehenden Organe an einen Patienten auf der einheitlichen Warteliste. Durch die Einräumung eines erheblichen Entscheidungsspielraums sind ihre Handlungen quasi Ausübung öffentlicher Gewalt. Die Übertragung deutscher Hoheitsrechte an Eurotransplant verstößt in ihrer heutigen Ausgestaltung jedoch gegen Art. 24 Abs. 1 GG. Ebenso fehlt eine sachlich-inhaltliche sowie personell-organisatorische Legitimation der Vermittlungsstelle. Der Gesetzgeber hätte überdies, unter Beachtung des Wesentlichkeitsgrundsatzes, weitreichendere Regelungen zur Organverteilung treffen müssen. Hinzu kommt ein unzureichendes Überwachungssystem, das auch nach der Gesetzesnovellierung keine ausreichenden Eingriffsbefugnisse der Kontrolleure Eurotransplants vorsieht. Als weiterhin defizitär erweisen sich die bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten innerhalb des Transplantationssystems. Der Gesetzgeber hat aufgrund seiner Regelungsabstinenz die Gewährleistungen aus Art. 19 Abs. 4 GG sowie den allgemeinen Justizgewährleistungsanspruch verletzt. Ein Hoffnungsschimmer am Horizont der rechtsstaatlichen Verwahrlosung des Rechtsschutzsystems ging von der jüngst eingelegten Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidungen des VG München und des Bayrischen Verwaltungsgerichtshofs in Bezug auf die „nicht transplantabel“-Meldung einer Patientin durch das Transplantationszentrum München aus. Mit der Entschei-

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

dung des Bundesverfassungsgerichts, die Verfassungsbeschwerde nicht zuzulassen, ist er jedoch schnell verblasst. Der weitgehende Rückzug des Staates aus der Regelung des Wartelistenzugangs und der Organallokation wurde maßgeblich durch die Richtlinien der Bundesärztekammer „kompensiert“. Diese haben die im Transplantationsgesetz vorgegebenen Prinzipien für den Zugang zur Warteliste, Notwendigkeit und Erfolgsaussicht, sowie jene für die konkrete Organallokation, Erfolgsaussicht und Dringlichkeit, mit „Leben gefüllt“ und so für die Praxis anwendbar gemacht. Ebenso Berücksichtigung findet das Prinzip der Chancengleichheit, das schon in der Gesetzesbegründung angeführt wird. Während gegen die Kriterien Notwendigkeit, Dringlichkeit und Chancengleichheit keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen, bedarf es eines behutsamen Umgangs mit der Erfolgsaussicht in Anbetracht des Prinzips der Lebenswertindifferenz und des Gleichbehandlungsgebots des Grundgesetzes. Aufgrund des derivativen Teilhabeanspruchs eines jeden Organaspiranten dürfen auf der Ebene des Wartelistenzugangs nur minimale Erfolgsaussichten berücksichtigt werden. Innerhalb der konkreten Organzuteilung darf der Parameter nicht für eine utilitaristische personenindifferente Maximierung der Gesamtfunktionsdauer im Patientenkollektiv missbraucht werden, sondern muss dem Zweck dienen, die Zahl der geretteten Organempfänger zu maximieren. In der praktischen Anwendung besteht noch Nachholbedarf bei einer verfassungskonformen Auslegung der Erfolgsaussichten.

IV. Rechtspolitische Gestaltungsmöglichkeiten Die Frage, wie die Organspende und die anschließende Transplantation sinnvoll organisiert werden, kann nicht bloß mit Hilfe der ethischen und rechtlichen Wissenschaft beantwortet werden. Sie stellt sich zuvörderst als politische Herausforderung dar, die allein durch einen diskursiven parlamentarischen Prozess bewältigt werden kann.1343 Unstreitig markieren ethische Wertvorstellungen und verfassungs-rechtliche Gegebenheiten eine wesentliche Ausgangslage für die legislativen Entschlüsse; ohne die parlamentarische Konkretisierung im öffentlichen politischen Prozess sind sie ihrer Wirkkraft jedoch beraubt. Dies ist bei so lebensentscheidenden Angelegenheiten, wie sie sich in der Transplantationsmedizin ergeben, nicht hinnehmbar. Die progrediente Herrschaft privatrechtlich organisierter Institutionen über das Transplantationswesen veranschaulicht jedoch die Gefahr der Erosion 1343  Allgemein zu den Herausforderungen der Politik im Bereich ethischer Entscheidungen vgl. S. 190 ff.; konkreter zu den politischen Konsequenzen der Manipulationsskandale, insbesondere zur „Blitzreform“ aus dem Jahre 2013 siehe S. 159 ff.



IV. Rechtspolitische Gestaltungsmöglichkeiten481

demokratischen Einflusses auf diesen Part des Gesundheitssektors. Das Transplantationsrecht illuminiert eine Regelungsscheu des Gesetzgebers in Bezug auf zwangsläufig tragische Entscheidungen. Die politischen Akteure sehen sich wenig Anreizen ausgesetzt, durch rechtliche Vorgaben in eine Triagesituation einzugreifen, die unausweichlich – unabhängig von der exakten inhaltlichen Ausgestaltung der politischen Entscheidung – schicksalhafte Opfer fordern wird. Die Bindung des Politikers an die Medien zwingt ihn, sich zum Berufserhalt publizistisch geschickt zu vermarkten.1344 Seine Handlungsmotive werden maßgeblich vom Gedanken an die nächste Wahl und somit dem Wettbewerb um Zustimmung getragen.1345 Für Politiker gibt es bei tragischen Regelungsmaterien, denen sie durch bloßen Parlamentarismus nicht Herr werden können, viel zu verlieren. Die Verantwortungsübernahme für eine Entscheidung, die zwangsläufig Patienten zum Tode verurteilt, ist im Hinblick auf den Mandatserhalt eher schädlich. Keine Entschließung zu treffen bedeutet, dem gesellschaftlichen Urteil über Moralität, rechtliche Konsistenz und politische Wirksamkeit der getroffenen Regelung zu entgehen. Diese Haltung steht jedoch im Widerspruch zu elementaren Kerngedanken des Grundgesetzes, welches das Parlament in den Mittelpunkt wesentlicher Entscheidungen gerückt hat. Anhand des Transplantationswesens lässt sich dieses grundsätzliche politiktheoretische Problem verdeutlichen.1346 Trotz des parlamentarischen Gestaltungsauftrags wird zur „Entlastung der Politik von den Zumutungen des Normativen“1347 die Reformbedürftigkeit des bedeutsamen Medizinsektors weitgehend negiert. Die Rückkopplung an die staatsbürgerliche Meinung ist jedoch ein Essential des demokratischen Systems, mit dem die Politik umgehen muss. Dieser Umstand sollte die parlamentarische Elite nicht von Entscheidungen abhalten, sondern darin bestärken, mehrheitsfähige Entscheidungen innerhalb eines autonomen Verständigungsprozesses zu erarbeiten. Indem er eine offene demokratische Diskussionskultur fördert, schafft der Gesetzgeber die besten Voraussetzungen für tragfähige Lösungen. Dass es sich dabei vielfach um hart umkämpfte Kompromisse handeln wird, die in ihrer Konsistenz und Konsequenz nicht an eine rein rational-wissenschaftliche Argumentation heranreichen, ist der Natur der Politik geschuldet. Diese Tatsache ist lebendiger Demokratie inhärent und sollte das Parlament bei der Wahrnehmung seines Mandats nicht hemmen, sondern vielmehr Gestaltungswillen wecken. 1344  v.

Münch, Der Staat 45 (2006), S. 83, 92. in: Dreier / Willoweit (Hrsg.), Wissenschaft und Politik, S. 219,

1345  Kielmansegg,

222 f.

1346  Kritisch zu einem demokratiepolitischen Problem im Transplantationswesen schon Gutmann, in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin, S. 113, 117. 1347  Ebda., S. 113, 117.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

Im Rahmen des Transplantationsrechts besteht hier noch einiger Nachholbedarf, der im Folgenden aufgezeigt werden soll. Spiegelbildlich zum vorhergehenden Teil der Rechtsbetrachtung soll nun eine rechtspolitische Bewertung samt Ausblick in Bezug auf das Hirntodkonzept (1.), die organprotektiven Maßnahmen (2.), die Entscheidungslösung (3.) sowie den Rückzug des Staates aus der Entscheidungsverantwortung (4.) vorgenommen werden. 1. Hora certa – Der Hirntod als sicherer Todeszeitpunkt Die postmortale Organtransplantation in Deutschland ruht auf dem Grundpfeiler des Hirntodnachweises beim potentiellen Spender. Eine Entnahme lebenswichtiger, funktionsfähiger Organe kommt ohne seine sichere Diagnose unter Beachtung des Transplantationsgesetzes nicht in Betracht. Durch die gleichzeitige Installation der Dead-Donor-Rule hat der Gesetzgeber den Hirntod als sicheres Todeskriterium anerkannt. Dabei sprechen weder ethische noch verfassungsrechtliche Gesichtspunkte gegen die Aufrechterhaltung dieser rechtlichen Rahmenbedingungen. Möglicherweise besteht dennoch Verbesserungspotential bei der rechtlichen Koordinierung des Zusammenhangs von Hirntod und Organexplantation. Im Folgenden wird diesbezüglich auf die Beibehaltung des Hirntodkonzepts (a)), die Ausgestaltung des Feststellungsverfahrens (b)) sowie eine Zulassung der Organentnahme bei Patienten mit Herz-Kreislaufstillstand (c)) eingegangen. a) Die Beibehaltung des Hirntodkonzepts Mit der Reform des Transplantationsgesetzes hatte der Gesetzgeber die Möglichkeit, seine gesetzliche Regelung von Grund auf zu überdenken. Allerdings durfte es wohl kaum überraschen, dass er sich für die Beibehaltung des Hirntodkonzepts entschieden hat. Schon bei den lange im Vorfeld stattfindenden Debatten um den Novellierungsbedarf des Transplantationsgesetzes stand das Hirntodkriterium, verdrängt vor allem durch virulente Fragen zum Spendermangel, deutlich im Hintergrund. Ein allgemeiner Konsens über das Hirntodkriterium wurde schon früh formuliert.1348 Dementsprechend kurz widmete sich die Anhörung im Gesundheitsausschuss vom 29. Juni 2011 der Frage nach der Gültigkeit des Hirntodkonzepts.1349 Anders gestaltete sich die Kontroverse vor der Verabschiedung des Transplantationsgesetzes im Jahre 1997 (aa)), die zu einer recht verklausulierten Lösung des Konflikts um den Todesbegriff führte, obwohl der Rechtssicherheit in diesem 1348  Gosling, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 39, 40. 1349  Ausschuss für Gesundheit, Protokoll 17 / 46 vom 29.06.2011.



IV. Rechtspolitische Gestaltungsmöglichkeiten483

grundrechtsrelevanten Bereich eine herausragende Bedeutung zukommt. Der Gesetzgeber sollte aus diesem Grund eine Novellierung der gesetzlichen Regelung in Angriff nehmen (bb)) und die Notwendigkeit des zustande gekommenen rechtspolitischen Kompromisses damit für überholt erklären (cc)). aa) Das Ringen um den Todesbegriff § 3 TPG regelt die Voraussetzungen der Zulässigkeit von Organentnahmen. Der Beurteilung des zeitlichen Moments der Explantation war zwangsläufig eine Auseinandersetzung mit dem Todesbegriff immanent.1350 Schon im Gesetzgebungsverfahren zum Transplantationsgesetz aus dem Jahre 1997 wurde erkannt, dass die Todesfrage keinesfalls offen bleiben konnte. Genauso wenig attraktiv schien es den Abgeordneten am Ende, einen Rechtfertigungsversuch für eine Entnahme lebenswichtiger Organe bei noch lebenden Spendern zu unternehmen. Eine billigende Inkaufnahme der Tötung von Patienten, wegen des Verzichts einer Klärung des Todesbegriffs oder aufgrund einer ausdrücklichen Duldung, hätte zu verfassungspolitisch höchst problematischen Ergebnissen geführt. Während zu Anfang noch von einer Organentnahme bei Lebenden mit Hirnausfall ausgegangen wurde,1351 entschieden sich die Abgeordneten vor diesem Hintergrund schlussendlich dafür, die Todesfeststellung zur Zulässigkeitsvoraussetzung zu erheben. Ein wichtiger Schritt in Richtung der Aufstellung des Todeskriteriums im Gesetzgebungsverfahren war die Änderung der Betitelung des zweiten Gesetzesabschnitts von „Organentnahme nach endgültigem, nicht behebbarem Ausfall der gesamten Hirnfunktion oder Stillstand von Herz und Kreislauf“1352 in „Organentnahme bei toten Organspendern“.1353 Die endgültige Ausfüllung des § 3 TPG zur Regelung der Entnahmevoraussetzungen konnte aber erst später durch eine Beschlussfassung im Plenum des Bundestages erreicht werden, die der Gesundheits1350  Zu

den Diskussionen um den Todesbegriff siehe etwa BT-Dr. 13 / 2926. des Gesetzesentwurfes vom 07.11.1995 unter Federführung von Monika Knoche (Bündnis90 / Die Grünen), BT-Dr. 13 / 2926, S. 5, 10 ff.; die Gleichsetzung von Hirntod und Tod des Menschen akzeptierten ebenso wenig ein Antrag von den Abgeordneten der SPD-Fraktion, BT-Drs. 13 / 4114 (Wodarg-Antrag), sowie ein Antrag aus den Reihen der CDU / CSU und FDP, BT-Drs. 13 / 6591. 1352  So noch im Gesetzesentwurf vom 16.04.1996 der Fraktionen CDU / CSU, SPD und FDP, BT-Dr. 13 / 4355, der aufgrund der unterschiedlichen Bewertung des Hirntodes keine verbindlichen Festlegungen treffen, sondern diese dem weiteren Gesetzgebungsverfahren überlassen wollte. 1353  Ausschlaggebend für die Lückenfüllung des vorgehenden Gesetzesentwurfs (BT-Dr. 13 / 4355) war ein interfraktioneller Gesetzesentwurf vom 24.06.1997, BT-Dr. 13 / 8027, der den Hirntod als materielles Todeszeichen festlegte. 1351  § 15 Abs. 1

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ausschuss zuvor gefordert hatte.1354 Die wenig gelungene Zusammenfügung der Begehren, den Todesnachweis und den Hirntod zur Entnahmevoraussetzung zu erklären, führte zu der noch heute bestehenden hölzernen Regelungstechnik.1355 Sie wird vielfach als Formelkompromiss kritisiert, der dem Gesetz eine breite Zustimmung im Parlament sichern sollte.1356 In letzter Konsequenz hat der Gesetzgeber den Hirntod dadurch als sicheres Todeszeichen identifiziert. Zu einer Legaldefinition des Todes konnte er sich jedoch nicht durchringen. bb) Die Definition des Todes als staatliche Aufgabe Obwohl sich das Sterben des Menschen als Prozess darstellt, bedarf das Recht um der Rechtsfolgen willen einer klaren Zäsur. Der Hirntod als Anknüpfungskriterium betrifft nicht nur die Transplantationsmedizin, sondern auch Rechtsgebiete wie das Betreuungs-, Erb-, Persönlichkeits- oder Strafrecht.1357 Die These des Staatsrechtlers Hans-Ullrich Gallwas im Zuge einer Stellungnahme vor dem Gesundheitsausschuss, in der er behauptete, es sei nicht Sache des Staates zu entscheiden, wann das Leben ende und ob der Hirntote ein Toter oder erst ein Sterbender sei,1358 überzeugt nicht. In Einklang mit Gallwas kann festgestellt werden, dass es dem Staat von Verfas1354  BT-Dr. 13 / 8017; näher zu den Gesetzesentwürfen siehe Mohammadi-Kangarani, Die Richtlinien der Organverteilung im Transplantationsgesetz, S. 18 ff.; Rixen, in: Höfling (Hrsg.), TPG, Einf. I. Rn. 1 ff. 1355  Zur Kritik der Gesetzesbegründung, die die vorgenommene Regelungstechnik nicht zufriedenstellend begründen kann, siehe Höfling / Rixen, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 3 Rn. 8. 1356  Kritisch insoweit schon ebda., § 3 Rn. 11, die den in letzter Minute eingebrachten Gesetzesentwurf als lex Süßmuth bezeichnen (Fn. 26); von einem Formelkompromiss sprechen auch schon Middel / Scholz, in: Spickhoff (Hrsg.), TPG, § 3 Rn. 4. 1357  Siehe nur den Fall eines verunfallten und später hirntoten Mannes, dessen Ehefrau vor dem Unglück einen Scheidungsantrag gestellt und diesen aber nach Feststellung des Hirntodes, jedoch vor Beendigung der intensivmedizinischen Maßnahmen, zurückgenommen hatte. Das OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 11.07.1997 (20 W 254 / 95), NJW 1997, S. 3099 ff., entschied im Sinne des Hirntodkonzepts. Der Scheidungsantrag war folglich noch gültig. Andernfalls würden zivilrechtliche Anreize bestehen, Intensivmaßnahmen länger als medizinisch angezeigt aufrechtzuerhalten; für eine weitergehende Auseinandersetzung mit dem fehlenden Todesbegriff in der deutschen Rechtsordnung siehe Schmidt-Recla, MedR 2004, S. 672 ff. 1358  Gallwas, Stellungnahme zur Anhörung des Gesundheitsausschusses im Deutschen Bundestag am 28.06.1995, Protokoll Nr. 17, S. 8 f.; auch der Änderungsantrag BT-Drs. 13 / 8025, S. 5 geht davon aus, dass dem Gesetzgeber die Festlegung einer Todesdefinition nicht zusteht; gegen eine Feststellungsbefugnis zudem Woinikow, Richtlinien der Transplantationsmedizin, S. 310; zur damaligen Diskussion siehe Rixen, Lebensschutz am Lebensende, S. 383 ff.



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sungs wegen verwehrt ist, menschliches Leben zu bewerten. Die Frage nach einem angemessenen Todesbegriff betrifft jedoch nicht den Fall eines Werturteils über vorhandenes Leben; es wird lediglich anhand einer Grenzlinie zum Tod definiert. Es ist daher geradezu angezeigt, die normativen Begriffe von Leben und Tod gegeneinander abzugrenzen, damit der Schutzgehalt des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zur vollen Entfaltung gelangen kann. Eine allgemeingültige Festsetzung kann, unter Hinzuziehung externen Sachverstands, nur von staatlicher Seite erfolgen. Die Behauptung des damaligen Bundesgesundheitsministers, Horst Seehofer, es obliege dem Gesetzgeber, „verläss­ liche medizinische und naturwissenschaftliche Kriterien zum Nachweis des eingetretenen Todes zu benennen und nicht die theologische oder philosophische Dimension des Todes zu beschreiben“,1359 ist insofern irreführend, als die Bestimmung sicherer Todeszeichen eine Todesdefinition zwingend voraussetzt und dieser daher erst nachgeht. Eine solche Definition wurde im Transplantationsgesetz durch die Anerkennung des Hirntodes als sicheres Todeszeichen auch vorgenommen. Zu Schaffung von Rechtssicherheit ist ein einheitlicher Todesbegriff rechtspolitisch zu begrüßen.1360 Zwar kann im Rahmen von normativen Entscheidungen, insbesondere mit philosophisch-anthropologischem Einschlag, kein allgemeiner gesellschaftlicher Konsens erwartet werden. Pluralismus zwingt jedoch nicht zu einem unauflösbaren Relativismus.1361 Es wäre im Rahmen der Reform des Transplantationsgesetzes ein mutiger Schritt gewesen, die implizite Anerkennung des Hirntodes zu einer expliziten Definition heranwachsen zu lassen, um dadurch den legislativen Tauchgang zu beenden. Insofern hätte in § 3 Abs. 1 TPG formuliert werden können: § 3 Entnahme mit Einwilligung des Spenders (1) 1Die Entnahme von Organen oder Geweben ist, soweit in § 4 oder § 4a nichts Abweichendes bestimmt ist, nur zulässig, wenn (…) der Tod des Organ- oder Gewebespenders nach den Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, festgestellt wird. (…)

1359  BT-PlPr.

13 / 99, S. 8817 ff., 8833 (A, C, D). die Schaffung eines eigenen Gesetzes (Todesbestimmungsgesetz) mit entsprechendem Formulierungsvorschlag, Kloth, Todesbestimmung und postmortale Organentnahme, S.  122 f. 1361  So auch schon Birnbacher, in: Esser / Kersting / Schäfer (Hrsg.), Welchen Tod stirbt der Mensch?, S. 19, 24, der nicht sicher ist, ob es möglich ist, eine einzige Todesdefinition verbindlich zu machen, jedoch den Gestaltungsspielraum für eine geeignete Definition eingrenzen will. 1360  Für

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2 Mit dem endgültigen, nicht behebbaren Ausfall des Großhirns, Kleinhirns und des Hirnstamms (irreversibler Hirnfunktionsausfall) ist der Tod des Menschen festgestellt. (…)

cc) Die Mindestvoraussetzung „Hirntod“ als rechtspolitischer Kompromiss Der Gesetzgeber hat auf eine Änderung des § 3 TPG jedoch verzichtet und hält weiter an seiner verklausulierten Regelung fest. Das Transplantationsgesetz hat auch mit ihr eine eindeutige Antwort auf die Frage gefunden, ab wann eine Entnahme lebenswichtiger Organe zulässig ist: Nach Feststellung des Todes und keinesfalls vor Nachweis des Hirntodes. Eine Legaldefinition erweist sich für die Transplantationsmedizin nicht als systementscheidend.1362 Die Regelungstechnik des Gesetzes verwirrt dennoch, wenn in § 3 Abs. 1 Nr. 2 TPG als Entnahmevoraussetzung der Tod und in § 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG als Mindestvoraussetzung der Ausfall der Gesamthirnfunktionen formuliert wird. Die Kritik an dem Misslingen des Gesetzgebers, eine klare Position zum Todeseintritt des Menschen zu beziehen1363 oder gar der Vorwurf, im Transplantationsgesetz mit zwei Todesbegriffen zu arbeiten1364 sind betagt und werden nach dem Reformverzicht noch weiter altern. Auch wenn das Hirntodkriterium letztendlich im Gesetz verankert wurde, sprachen politisch-taktische Erwägungen am Ende der neunziger Jahre für eine zurückhaltende Formulierung, um sich der Zustimmung der hirntodkritischen Stimmen aus dem Parlament für den Gesetzesvorschlag zu sichern.1365 Das Scheitern des Transplantationsgesetzes an der Formulierung des Todeskriteriums wurde richtigerweise vermieden, sodass die Kompromissentscheidung rechtspolitisch einleuchtend war. Sie beweist, dass in einer pluralistischen Demokratie eine ausgefeilte Regelungstechnik oder die Konsistenz einer Norm zugunsten der Beteiligung vielfältiger Interessenlagen und Anschauungen manches Mal zurücktreten muss. Im Bereich der Formulierung des Hirntodkriteriums hatte sich die Politik mit einem für sie neuartigen und philosophisch-anthropologisch höchst aufgeladenen Themenkomplex zu be1362  Vgl. hierzu Schmidt-Recla, MedR 2004, S. 672, 673, 677, der das Räsonieren über das Hirntodkonzept im Rahmen der Organspende als mittlerweile sinnlos bezeichnet. 1363  Lilie, in: Orsi / Seelmann / Smidt u. a. (Hrsg.), Medizin-Recht-Ethik, Bd. VIII, S. 89, 94. 1364  Deutsch, NJW 1998, S. 777, 778; ders. / Spickhoff, Medizinrecht, S. 826; dagegen aber Merkel, Jura 1999, S. 313, 315. 1365  Vgl. zur Kompromisslösung Haupt / Höfling, Fortschritte in der Neurologie /  Psychiatrie 70 (2002), S. 583, 585; Mohammadi-Kangarani, Die Richtlinien der Organverteilung im Transplantationsgesetz, S. 18 ff.



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schäftigen, der einvernehmliche Lösungen geradezu unrealistisch erscheinen ließ. Ebenso verwundert das mangelnde Tätigwerden des Gesetzgebers während der Überarbeitung des Transplantationsgesetzes nicht. Für die im Fokus stehende Zielsetzung des Gesetzgebers, die Bereitschaft zur Organspende zu steigern, war eine Novellierung des § 3 TPG nicht notwendig; möglicherweise wäre eine Formulierungsänderung im sensiblen Bereich der Todesbestimmung sogar kontraproduktiv gewesen. Eine Skandalberichterstattung hätte dem Ruf der Transplantationsmedizin zu Unrecht geschadet, wenn behauptet würde, der Gesetzgeber hätte zur Beförderung der Ziele der Organspende eine „Neudefinition“ des Todes vorgenommen und im Transplanta­ tionsgesetz verankert. Jedoch legt das Beispiel der Schweiz nahe, die in Art. 9 S. 1 ihres Transplantationsgesetzes eine Todesdefinition festgeschrieben hat,1366 dass die Angst vor übermäßig negativer Öffentlichkeitswirkung übertrieben sein dürfte. b) Die Überwachung der Hirntoddiagnostik Sogar über zehn Jahre nach Inkrafttreten des Transplantationsgesetzes hat die Bundesregierung betont, keinen Anlass zu haben, die Hirntoddiagnostik in Frage zu stellen.1367 Dennoch herrscht ein Konsens dahingehend, dass die Richtlinie fortlaufend die Grundlage für eine im Einzelfall höchst sichere Diagnoseentscheidung sein muss und demzufolge eine kontinuierliche Überprüfung und Aktualisierung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft unerlässlich ist.1368 Es war einige Jahre fraglich, ob die Richtlinie der Bundesärztekammer von 1997 dieser Anforderung noch uneingeschränkt gerecht werden konnte. Durch die Novellierung der Regeln zur Hirndiagnostik im Jahre 2015 wurden jedoch bestehende Versäumnisse nachgeholt. Die Richtlinie wird im Vorstand des Wissenschaftlichen Beirats nunmehr spätestens alle zwei Jahre bezüglich ihres Aktualitätsgrades geprüft.1369 Eine zusätzliche Absicherung bietet eine gesetzliche Verankerung dieser regelmäßigen Richtlinienüberprüfung durch die Bundesärztekammer. Diese „Instandhaltung“ der Richtlinien stellt eine signifikante Determinante zur Gewährleistung eines adäquaten Grundrechtsschutzes der betroffe1366  Art. 9 S. 1 des Bundesgesetzes über die Transplantation von Organen, Geweben und Zellen statuiert: „Der Mensch ist tot, wenn die Funktionen seines Hirns einschließlich des Hirnstamms irreversibel ausgefallen sind.“ 1367  BT-Dr. 16 / 13740, S. 2. 1368  Nickel, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 9, 13. 1369  Vgl. die Richtlinie gem. § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG, S. 17.

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nen Patienten dar. Eine Überalterung der Anforderungen ist im sensiblen Bereich der Todesfeststellung inakzeptabel, weshalb sich die lange Ruhezeit von 18 Jahren nicht wiederholen darf. Zur Erfüllung der staatlichen Schutzpflicht gegenüber dem Leben und der körperlichen Unversehrtheit potentieller Organspender, ist die Genehmigung der Richtlinie durch den Bundes­ minister der Gesundheit ein unerlässlicher Beitrag. Unabhängig von der ­Monopolkompetenz der medizinischen Wissenschaften im Bereich des Diagnoseverfahrens ist es dem Staat in diesem grundrechtsrelevanten Sektor verwehrt, sich auf eine bloß passive Position zurückzuziehen. Durch das Genehmigungserfordernis der Richtlinien des Transplantationsgesetzes gemäß § 16 Abs. 2 S. 2 TPG hat das Bundesgesundheitsministerium leider nur ansatzweise die Möglichkeit erhalten, die staatliche Kontrollpflicht zu erfüllen.1370 Insbesondere wird es aufgrund der restriktiven gesetzlichen Regelung lediglich punktuell bei Erlass neuer Regelungen beteiligt. Angeregt sei an dieser Stelle ein kontinuierliches Beanstandungsrecht von Seiten des Bundesministeriums, um nicht nur Aktualisierungsbestrebungen der Bundesärztekammer nachzuvollziehen, sondern der Überalterung der Diagnosemethodik und der Qualifikationsanforderungen vorzubeugen. Durch die Möglichkeit, eine Überarbeitung der Richtlinie zu fordern, wäre eine fortlaufende Aktualisierung nicht nur von Seiten des Selbstverwaltungsgremiums sichergestellt, sondern ihre Überwachung läge zusätzlich in der Hand einer demokratisch legitimierten Stelle. Die Einbeziehung des Bundesgesundheitsministeriums sollte de lege ferenda dementsprechend ein Beanstandungsrecht vorsehen.1371 c) Das Spenderherz muss schlagen Aufgrund des Organmangels ist es nicht verwunderlich, dass die Politik nach Wegen sucht den Spenderkreis zu erweitern, um mehr Patienten mit Transplantaten versorgen zu können. Die Zulassung von Non-Heart-BeatingDonors als Organspender schien vielen Staaten das richtige Vorgehen, um der Ressourcenknappheit zumindest ein Stück weit zu begegnen. Es lässt sich ohne Weiteres behaupten, dass die Organentnahme von Spendern mit Herz-Kreislaufstillstand seit Ende der neunziger Jahre einen Siegeszug feiert, dessen Abreißen noch nicht in Sicht ist. Ob die euphorischen Prognosen ei1370  Eine inhaltliche Kontrolle der Regelungen der BÄK ist unerlässlich, was sich jedoch bei der Ausgestaltung des Genehmigungsvorbehalts als schwierig erweist; zur Problematik seines rechtlichen Gehalts siehe S. 363 ff. Ein Änderungsvorschlag des TPG findet sich folgend bei der Betrachtung der Stellung der Bundesärztekammer, S.  543 f. 1371  Zu einem Gesetzesvorschlag zum Erlass der „Richtlinien“ siehe S. 542 ff.



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ner Steigerung des Organaufkommens von 20–50 %1372 wirklich realistisch waren, ist zweifelhaft. Jedoch nimmt die Spende von Non-Heart-BeatingDonors in vielen Ländern mittlerweile eine namhafte Größe ein. So stammten im Jahre 2008 in den USA ca. 8 % der Organspenden von solchen Spendern; in der Schweiz waren es sogar rund 11 %.1373 Trotz der längeren warmen Ischämiezeit werden heute zufriedenstellende Ergebnisse mit einschlägigen Organen erzielt.1374 Gegen eine Einführung der Non-Heart-Beating-Donation sprechen zurzeit jedoch durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf die Menschenwürde und das Lebensrecht der Patienten;1375 ihre gesetzliche Verankerung steht auch deshalb nicht auf der politischen Agenda. Wird der wissenschaftliche Nachweis der Irreversibilität des Hirnfunktionsausfalls nach einer bestimmten Zeitspanne allerdings erbracht, ist mit einer zumindest mittelfristigen Einbeziehung von Non-Heart-Beating-Donors zu rechnen. Ab diesem Zeitpunkt stellt sich die Frage der rechtspolitischen Durchsetzbarkeit einer Erweiterung des Spenderpools. Unstreitig ist der Einbeziehung neuer „Organquellen“ das Potential zur Steigerung der Organspenderrate inhärent. Die eigentliche Triebfeder des Transplantationsgesetzes zur Steigerung des Organaufkommens war gemäß seines § 1 Abs. 1 S. 1 TPG jedoch die Erhöhung der Spendebereitschaft der Bevölkerung. Diesen Fokus legte der Gesetzgeber zu Recht, denn nur eine breite Akzeptanz der Organspende einschließlich dokumentierter Spendebereitschaft führt summa summarum wirklich zu einer erfolgreicheren Organgewinnung. Durch eine Erweckung der menschlichen Urangst „zu früh für tot erklärt zu werden“, liefe die gesamte Transplanta­tionsmedizin Gefahr, das ohnehin durch die Transplantationsskandale bereits geschädigte Vertrauen der Bevölkerung gänzlich einzubüßen. Gerade Reanimationsversuche machen das Dilemma zwischen zwei medizinischen Grenzfällen eindringlich evident. Obwohl der handelnde Arzt primär dem Wohl seines wiederzubelebenden Patienten verpflichtet ist, muss 1372  De

Vita / Snyder, Kennedy Institute of Ethics Journal, 1993, S. 131 ff. DÄBl 105 (2008), A-832. Deutlich wird der Siegeszug des Non-Heart-Beating-Donor-Konzepts, wenn man beachtet, dass Ende der neunziger Jahre der Anteil an Non-Heart-Beating-Donors in den USA lediglich 1 % am Organspenderaufkommen ausgemacht hat, vgl. Herdman / Beauchamp /  Potts, Kennedy Institute of Ethics Journal, 1998, S. 83, 89; auch in der Schweiz gehörten zwischen 1994 und 2000 mit durchschnittlich sechs Personen nur wenige zur Kategorie Spender ohne Herzschlag, vgl. Botschaft zum Bundesgesetz über die Transplantation von Organen, Geweben und Zellen vom 12.09.2001, S. 91; auch die Zahl der über Eurotransplant vermittelten Organe von Non-Heart-Beating-Donors nimmt in der Tendenz zu: 123 (2008), 144 (2009), 118 (2010),178 (2011), 178 (2012), vgl. Eurotransplant Jahresbericht von 2012, S. 48. 1374  Siegmund-Schultze / Zylka-Menhorn, DÄBl 105 (2008), A-832. 1375  Zur verfassungsrechtlichen Problematik siehe S. 278 ff. 1373  Siegmund-Schultze / Zylka-Menhorn,

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er doch als Verfechter der Interessen auch des Organaspiranten so schnell wie möglich die Explantation einleiten. Sogar die schonendste rechtliche Ausgestaltung wird Skeptiker nicht überzeugen können. Aus Furcht vor einem möglichen Schüren von Misstrauen in der Bevölkerung wird daher teilweise erwogen, die Thematik der Non-Heart-BeatingDonation gänzlich aus der Diskussion zu streichen.1376 Ein Verharren in Passivität und eine dadurch bedingte Versteinerung der Rechtslage würde jedoch einer Kapitulation vor den Realitäten der Transplantationsmedizin gleichkommen. Vielmehr muss beim sensiblen Thema der Todesfeststellung der Fokus auf eine intensive Aufklärung der Bevölkerung gelegt werden. Dem Gesetzgeber ist in diesem Zuge – will er sein Ziel der Förderung der Bereitschaft zur Organspende nicht selbst torpedieren – anzuraten, eine eventuelle Gesetzesnovelle sorgsam zu planen. In einer Zeit der Skandale rund um die Transplantationsmedizin könnte eine derart durchgreifende Änderung der Spendevoraussetzungen falsche Signale senden. Keinesfalls darf der Eindruck einer Organgewinnung um jeden Preis entstehen. Die medizinischen Zeichen stehen aber zurzeit ohnehin nicht auf Veränderung. d) Ergebnis Die gesetzgeberischen Reformen haben den § 3 TPG unberührt gelassen. Es bleibt unverändert bei der Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms als Mindestvoraussetzung für die Entnahme lebenswichtiger Organe, ohne den Hirntod ausdrücklich als sicheres Todeszeichen anzuerkennen. Es ist zu hoffen, dass der Gesetzgeber bei der nächsten Reform des Transplantationsgesetzes nicht mehr vor einer klaren normativen Entscheidung zurückschreckt. Um die Feststellung des Hirntodes herrschte in den letzten Jahren vergleichsweise großes Aufsehen. Einigkeit besteht darin, dass der Hirntod „die sicherste medizinische Diagnose“ sein und auch bleiben muss. Trotz stets fortbestehenden weiteren Forschungsbedarfs kann ein Defizit der in der Bundesrepublik geltenden Standards nicht festgestellt werden. Zu begrüßen wäre 1376  So etwa Gosling, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 39, 40, der befürwortet, das Non-Heart-Beating-DonorKonzept erst gar nicht in der Öffentlichkeit zu diskutieren, um „Horrormeldungen“ zu vermeiden; andere wiederum fordern trotz zugegebenen Zweifeln am Todeszeitpunkt die Einführung der Non-Heart-Beating-Donation in Fällen der erlaubten Sterbehilfe, da sich diese Patienten schon gegen das Leben entschieden hätten, Halle, ZfL 2011, S. 88 ff. Dieses Vorgehen dürfte dem Vertrauen der Bevölkerung in die Organspende jedoch massiv abträglich sein.



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allerdings eine engmaschigere Kontrolle der Richtlinien der Bundesärztekammer durch das Bundesgesundheitsministerium. Eine Organentnahme bei Non-Heart-Beating-Donors bleibt in Deutschland, entgegen dem internationalen Trend, weiterhin verboten. Ihre Einführung ist mit steigendem medizinischem Erkenntnisgewinn hinsichtlich der Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls jedoch konsekutiv zumindest im längerfristigen Zeitrahmen zu erwarten. Aus rechtspolitischer Vorsicht ist vor einer Änderung des Transplantationsgesetzes eine verstärkte Aufklärung der Bevölkerung dringend erforderlich, um die Akzeptanz der Organspende nicht zu gefährden. 2. Regelungsempfehlungen in Bezug auf die spendezentrierte Behandlung von Patienten im Präfinalstadium Bisher hat es der Gesetzgeber versäumt, sich der Realität der präfinalen Spenderkonditionierung einschließlich der spendezentrierten Hirntoddiagnostik zu stellen. Das Transplantationsgesetz spart dieses medizinische Vorgehen völlig aus, obwohl eine Regelung dringend geboten wäre.1377 Zwar wurde aufgezeigt, dass die fremdnützige Behandlung eines sterbenden Patienten auch nach der heutigen Rechtslage nicht per se ausgeschlossen ist, jedoch kann keinesfalls von Rechtssicherheit in diesem Bereich gesprochen werden.1378 Im Folgenden soll daher eine Empfehlung für eine gesetzliche Normierung de lege ferenda gegeben werden, die sowohl die Voraussetzungen und das Verfahren der Spenderkonditionierung (a)), eine repressive Absicherung der Vorgaben (b)) als auch die Anpassung der Aufklärungsmaßnahmen (c)) betrifft. a) Voraussetzungen der Durchführung spendezentrierter Maßnahmen Der zweite Abschnitt des Transplantationsgesetzes befasst sich mit der Entnahme von Organen und Geweben bei toten Spendern. Zunächst regeln §§ 3 und 4 TPG die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Explantation mit Einwilligung des potentiellen Spenders bzw. seiner entscheidungsberechtigten Angehörigen.1379 § 5 TPG bestimmt das Nachweisverfahren der Todesfest1377  Eine normative Regelung fordert auch Engels, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 2 Rn. 14. Eine solche findet sich mittlerweile auch im Transplantationsgesetz der Schweiz. Seit dem 19.06.2015 regelt dessen Art. 10 die Zulässigkeit vorbereitender medizinischer Maßnahmen. 1378  Eingehend zu den rechtlichen Problemen der spendezentrierten Behandlung von Patienten im präfinalen Stadium siehe S. 282 ff. 1379  Eine Sonderregelung für Embryonen und Föten findet sich in § 4a TPG.

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stellung im Einzelnen, woraufhin § 6 TPG die ständige Beachtung der Würde des Verstorbenen bei allen Maßnahmen im Rahmen der Spende vorschreibt. § 7 TPG thematisiert die Datenerhebung und -verwendung sowie diverse Auskunftspflichten. Systematisch fügt sich eine Regelung zu vorbereitenden Maßnahmen nach Feststellung der Entnahmevoraussetzungen und der Spezifikation des Todesnachweisverfahrens ein, um so von der konkreten, im Fokus der Organspende stehenden, Explantation auf deren Vorbereitung einzugehen. Gleichzeitig würde verdeutlicht, dass die Würde des Spenders gemäß § 6 TPG selbstverständlich auch für die spendezentrierte Behandlung zu achten ist.1380 Entsprechend ist, unter Berücksichtigung der Änderungen in § 3 Abs. 1 TPG-E,1381 ein neuer § 5a TPG einzufügen: § 5a Vorbereitende Maßnahmen (1) 1Medizinische Maßnahmen vor der Feststellung des Todes, die ausschließlich der Vorbereitung des Patienten auf eine Organentnahme dienen, dürfen nur vorgenommen werden, wenn 1. ein Therapieabbruch bereits erfolgt ist und der irreversible Hirnfunktionsausfall vermutet oder alsbald erwartet wird und 2. die Maßnahmen für den Erfolg einer, im konkreten Fall realistischen, Organentnahme und Transplantation erforderlich sind, 3. die Behandlung nur minimale Risiken und Belastungen verursacht, 4. eine Einwilligung des potentiellen Spenders vorliegt oder 5. wenn seine Einwilligung nicht vorliegt, die Einwilligung durch den gewillkürten oder gesetzlichen Vertreter erteilt wurde. 2Der Vertreter hat dem bekannten oder mutmaßlichen Willen des potentiellen Spenders zu entsprechen. 3Hat der potentielle Spender weder eine Zustimmung noch einen Widerspruch zur Organspende erklärt, muss zugleich die Zustimmung der nächsten Angehörigen zur Organspende eingeholt werden. 4Hat der potentielle Spender eine bestimmte Person zur Entscheidung über die Organspende berufen, so ist deren Zustimmung einzuholen. 5 Das Recht auf die Vereinbarung eines Widerrufrechts mit dem Arzt gemäß § 4 Abs. 1 S. 6 bleibt unberührt. 6Hat der potentielle Spender einen Widerspruch zur Organspende erklärt oder widersprechen die Angehörigen der Organentnahme, haben vorbereitende Maßnahmen zu unterbleiben. 7Dies gilt ebenso, wenn der potentielle Spender die Unterlassung lebensverlängernder Maßnahmen in einer Patientenverfügung verfügt hat und dem sein mutmaßlicher Wille, eine kurzzeitige Lebensverlängerung zur Ermöglichung einer Organspende zu dulden, nicht entgegensteht. 1380  Zwar spricht § 6 Abs. 1 TPG von Organ- und Gewebeentnahmen bei „verstorbenen Personen“, bezieht sich jedoch auf „alle mit ihr zusammenhängenden Maßnahmen“. Nach der Zweckrichtung der Regelung sind daher auch Behandlungen vor dem Nachweis des Todes erfasst. 1381  Zu einem Änderungsvorschlag des § 3 Abs. 1 TPG siehe bereits S. 485.



IV. Rechtspolitische Gestaltungsmöglichkeiten493 (2) 1Die erforderlichen Einwilligungen sind vor dem Übergang der patientenzen­ trierten in die spendevorbereitende Behandlung einzuholen. 2Ist die Einholung der Einwilligung zu diesem Zeitpunkt nicht möglich, dürfen intensivmedizinische Maßnahmen lediglich bis zum nächstmöglichen Zeitpunkt der Erlangung der Einwilligung, maximal jedoch 24 Stunden, aufrechterhalten werden. 3Mit Einwilligung darf die vorbereitende Behandlung nicht länger als drei Tage andauern.

Durch diese gesetzliche Regelung würde die spendezentrierte Behandlung an klare Voraussetzungen geknüpft, die durch die Fokussierung auf eine patientenzentrierte Behandlung dem Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung Rechnung trägt, aber gleichzeitig keine unüberwindlichen Hürden für die in der Praxis elementare Spenderkonditionierung aufstellt. Durch das Erfordernis des Therapieabbruchs samt der Vermutung des Hirntodes oder dessen alsbaldigem Eintritt wird sichergestellt, dass der Patient bis zur Feststellung einer hoffnungslosen Lage ausschließlich patientenzentriert behandelt wird. Bei Umstellung der Therapie rechtfertigt nur eine realistische Chance auf eine Organspende die minimalen Risiken und Belastungen für den Betroffenen. In der heutigen Zeit des Spendermangels kann davon ausgegangen werden, dass eine Organspende stets geeignet und notwendig ist, um den Gesundheitszustand eines schwer kranken Patienten zu verbessern oder gar sein Leben zu retten, solange keine Kontraindikationen für eine Organentnahme vorliegen (d. h. die Organe für eine Transplantation nicht unbrauchbar sind). Die Begrifflichkeiten des minimalen Risikos und der minimalen Belastungen bedürfen für eine einheitliche praktische Anwendung weiterer Konkretisierung, die gemäß des hiesigen Vorschlags zur gesetzlichen Modifizierung der Richtlinientätigkeit der Bundesärztekammer1382 als verbindliche Anweisungen durch das Bundesministerium für Gesundheit erfolgen sollen, wobei das Ministerium seine Ermächtigung an die Ständige Kommission Organtransplantation übertragen kann. Die frühzeitige Einbeziehung der zur Entscheidung über die Spende berufenen Angehörigen sichert die Zweckhaftigkeit der spendezentrierten Behandlung zusätzlich ab. Trotz enormer Belastung durch die Konfrontation mit einem baldigen oder bereits vermuteten Todeseintritt des Patienten empfiehlt sich zum Schutz seiner medizinischen Selbstbestimmung ihre frühestmögliche Einbeziehung. Zur Wahrung der Autonomie des potentiellen ­Spenders ist es zudem notwendig, sicherzustellen, dass er die vorbereitenden Maßnahmen durch einen Widerspruch zur Organspende oder durch eine ­Patientenverfügung ausschließen kann. Da die Informationskampagnen das Verhältnis von Organspende und dem Entsagen einer medizinischen Intensivtherapie erst kürzlich thematisierten, jedoch viele Bürger bereits durch eine 1382  Zum Gesetzesvorschlag betreffend die Neufassung des § 16 TPG siehe weiter unten S.  542 ff.

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Patientenverfügung vorgesorgt haben, sollte der mutmaßliche Wille des Pa­ tienten im Hinblick auf eine Organspende trotz Ausschlusses einer intensivmedizinischen Therapie zusätzlich geklärt werden, um seinem tatsächlichen Willen bestmöglich gerecht zu werden.1383 Dass die Einwilligung in die vorbereitenden Maßnahmen grundsätzlich vor ihrer Einleitung einzuholen ist, versteht sich von selbst. Eine Erkundigung nach dem (mutmaßlichen) Willen sollte daher schon bei Absehbarkeit eines zeitnahen Therapieabbruchs erfolgen. Jedoch muss auch Fällen Rechnung getragen werden, in denen die vertretungsberechtigte Person – und im Fall einer fehlenden Willenserklärung bezüglich einer Organspende zudem der nächste Angehörige – kurzzeitig nicht erreichbar sind oder Bedenkzeit für eine Entscheidung brauchen. Dabei scheint eine Begrenzung auf 24 Stunden für die Einholung der Entschließung angemessen. Zum Schutz des Persönlichkeitsrechts des Patienten ist eine zeitliche Begrenzung der fremdnützigen Therapie sicherzustellen.1384 Der Leitlinien-Entwurf des Universitätsklinikums Münster sieht drei Tage als eine sachgerechte Frist an.1385 Dies bietet einen angemessenen Zeitraum, um über die Durchführung einer Organentnahme zu entscheiden und diese gegebenenfalls einzuleiten. Das Erfordernis einer Einwilligung des gewillkürten oder gesetzlichen Vertreters muss auch bei einer Inanspruchnahme des Patienten aufgrund einer solidarischen Verpflichtung gegenüber den Organaspiranten bestehen bleiben. Zwar bildet die konstitutive Zustimmung des Vertreters dann nicht die verfassungsrechtliche Legitimationsbasis für die ärztlichen Maßnahmen, – diese findet sich in der Sonderpflicht des Patienten – dient jedoch einer Kontrolle der Wahrung der Patienteninteressen. Sie ist zusätzlich für die Effizienz des gesamten Organspendesystems essentiell, denn ein Handeln ohne oder gar gegen den Willen der vertretungsberechtigten Person würde dem Ruf der Organspende in hohem Maße Schaden zufügen.1386 Dem Betroffenen dürfen höchstens minimale Risiken und Belastungen drohen. Das gilt für Patienten, deren Willen nicht bekannt ist bereits aufgrund der Tatsache, dass sie zur eigenen Aufopferung für die fremden Inte­ ressen der potentiellen Empfänger nicht verpflichtet werden dürfen. Aber auch in Fällen ihrer Einwilligung in weitergehende Maßnahmen müssen die Risiken und Belastungen – nicht nur zu ihrem Schutz – minimal gehalten 1383  Vgl. zum problematischen Verhältnis von Patientenverfügung und Organspende weiter unten S. 507 ff. 1384  Guillod / Mader, Vorbereitende medizinische Maßnahmen im Hinblick auf eine Organentnahme, S. 82. 1385  Schöne-Seifert / Prien / Rellensmann u. a., Behandlung potentieller Organspender im Präfinalstadium, S. 8. 1386  Zu den erforderlichen Schutzmaßnahmen siehe bereits S. 323 ff.



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werden. Bei einer Realisierung von über die gesetzte Grenze hinausgehenden Gefahren, würde das Ansehen der gesamten Transplantationsmedizin enormen Schaden erleiden.1387 Die Abschätzung der verursachten Risiken und Belastungen muss anhand der erteilten Anweisungen von Seiten des Bundesministeriums für Gesundheit bzw. der Ständigen Kommission Organtransplantation von einem Arzt vorgenommen werden, der die individuelle Lage des Patienten in den Fokus zu nehmen hat. b) Anpassung der Strafvorschriften Die Strafvorschriften des Transplantationsgesetzes enthalten neben ausführlichen Regelungen zum Organ- und Gewebehandel (§ 17, 18 TPG) weitere Straftatbestände bei Verstößen gegen ausgewählte Vorschriften. So wird beispielsweise gemäß § 19 Abs. 2 Var. 1 TPG mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer ein Organ oder Gewebe entnimmt, obwohl der Organ- oder Gewebespender nicht in die Entnahme eingewilligt hatte, der Tod des Organ- oder Gewebespenders nicht nach Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, festgestellt oder der Eingriff nicht durch einen Arzt vorgenommen wurde. Ebenso wird bestraft, wer weitere relevante Entnahmevorschriften verletzt (vgl. § 19 Abs. 2 TPG). Da die Vorbereitung auf die Organspende der Entnahme vo­ rausgeht, könnte systematisch ein neuer § 19 Abs. 1a TPG geschaffen und eine Ergänzung des aktuellen, die Fahrlässigkeitsstrafbarkeit regelnden Abs. 5 vorgenommen werden. § 19 Weitere Strafvorschriften (…) (1a) Wer entgegen § 5a Abs. 1 Satz 1, Satz 3, Satz 4, Satz 6 oder Satz 7, oder entgegen Abs. 2 Maßnahmen durchführt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (…) (5) Handelt der Täter in den Fällen des Absatzes 1a und des Absatzes 2 fahrlässig, ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.

Der neue Straftatbestand mit dem Strafmaß eines einfachen Körperverletzungsdelikts würde die besondere Bedeutung des Schutzes der Rechte von Patienten im Präfinalstadium hervorheben und deren Missachtung spezialgesetzlich unter Strafe stellen. Auf diese Weise könnte das Selbstbestimmungsrecht des potentiellen Spenders und die Vermeidung seiner übermäßigen ­Inanspruchnahme besonders abgesichert werden.

1387  Vgl.

ebenfalls bereits S. 323 ff.

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Regelungsbedarf ergibt sich insbesondere aus dem Schutz der Autonomie des Patienten als auch insofern, dass in einer physischen Inanspruchnahme eines lebenden Patienten ohne Einwilligung zwar regelmäßig die Verwirk­ lichung eines Körperverletzungsdelikts (§ 223 ff. StGB) liegt, eine solche für einen spendezentrierten Zugriff aber nicht zwingend erforderlich ist. Denkbar ist etwa, dass die fremdnützige Blutentnahme über einen bereits gelegten Zugang erfolgt. Strafwürdiges Unrecht ist bei der Vornahme einer solchen Handlung unter Missachtung der in § 19 Abs. 1a TPG-E aufgezählten Bestimmungen des § 5a TPG-E dennoch gegeben. Ein solches liegt ebenso bei der fahrlässigen Verwirklichung des Delikts vor, sodass durch die Ergänzung des Absatzes 5 systematisch an die Fahrlässigkeitsstrafbarkeit des Absatzes 2 angeknüpft werden kann, wobei das bereits festgesetzte Strafmaß angemessen erscheint. Da der Sinn der neuen Strafbestimmung nicht einem Schutz des Arztes vor anderweitigen Strafbarkeitsrisiken liegt, kann eine spezialgesetzliche Verdrängung der Körperverletzungsdelikte nicht angenommen werden. Es liegt vielmehr Idealkonkurrenz vor.1388 c) Anpassung der Aufklärungsmaßnahmen Die Probleme rund um die spendezentrierte Behandlung von Patienten im Endstadium sind mit der Einführung einer gesetzlichen Regelung zu den vorbereitenden medizinischen Maßnahmen und einer strafrechtlichen Kautel natürlich noch nicht behoben. Der Idealfall einer freien und informierten Entscheidung des Betroffenen ist in der heutigen Situation eine Utopie. Selbst ein Bürger, der sich über die einschlägigen Broschüren der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, der Deutschen Stiftung Organtransplantation oder der Krankenkassen über die Organspende ausführlich informiert hat, ist bezüglich der vorbereitenden medizinischen Maßnahmen noch defizitär aufgeklärt. Genauso wenig sind im Organspendeausweis Zustimmungs- bzw. Ablehnungsmöglichkeiten vorgesehen oder Patientenverfügungen vollumfänglich auf diese Fragen am Lebensende eingestellt. Die Maßnahmen jenseits einer kurzzeitigen Lebenserhaltung und anschließenden Hirntoddiagnostik sind nicht Teil der bisherigen Aufklärungskampagne. In Bezug auf die Todesfeststellung werden die damit zusammenhängenden ­Risiken und Belastungen ebenso weitgehend verschwiegen. Um eine freie und informierte Einwilligung zu ermöglichen, bedarf es daher verstärkt Aufklärungskampagnen, die die spenderzentrierte Behandlung thematisieren. Natürlich birgt die Information über rein fremdnützige 1388  Dieses Konkurrenzproblem stellt sich in ähnlicher Form bereits in § 19 Abs. 1 TPG, der die Verstöße gegen Vorschriften zur Lebendspende sanktioniert, vgl. Bernsmann / Sickor, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 19 Rn. 98 ff.



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Maßnahmen am Lebensende die Gefahr, weiteres Misstrauen in der Bevölkerung zu schüren. Desinformation ist jedoch mit Blick auf das Selbstbestimmungsrecht der Bürger nicht akzeptabel. Eine vollständige und aufrichtige Aufklärung ist dagegen geeignet, der Bevölkerung ein realistisches Bild der Spendevorbereitung zu vermitteln und unbegründeten Ängsten entgegenzuwirken. Eine Angleichung des § 2 Abs. 1 TPG, der die Aufklärungsschwerpunkte benennt, bietet sich an. § 2 Aufklärung der Bevölkerung, Erklärung zur Organ- und Gewebespende, Erklärung zu vorbereitenden medizinischen Maßnahmen, Organ- und Gewebespende­ register, Organ- und Gewebespendeausweise (1) 1Die nach Landesrecht zuständigen Stellen, die Bundesbehörden im Rahmen ihrer Zuständigkeit, insbesondere die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, sowie die Krankenkassen sollen auf der Grundlage dieses Gesetzes die Bevölkerung aufklären über 1. (…) 2. (…) 3. (…) 4. vorbereitende medizinische Maßnahmen nach einem Therapieabbruch für die Organentnahme bei toten Spendern einschließlich der Bedeutung einer zu Lebzeiten abgegebenen Erklärung zu den vorbereitenden medizinischen Maßnahmen, auch im Verhältnis zu einer Patientenverfügung und der Rechtsfolge einer unterlassenen Erklärung im Hinblick auf das Entscheidungsrecht des gewillkürten oder gesetzlichen Vertreters nach § 5a. 2Insbesondere ist auch auf die Art möglicher Risiken und deren Eintrittswahrscheinlichkeit im Zusammenhang mit den vorbereitenden Maßnahmen einzugehen. (…)

Im Zuge dieser Kampagne ist es zudem ratsam, den Organspendeausweis anzugleichen und dort die Möglichkeit einzuräumen, bestimmten vorbereitenden medizinischen Maßnahmen zuzustimmen oder diese abzulehnen. Genauso ist eine umfassende Anpassung der Vordrucke von Patientenverfügungen als auch Vorsorgevollmachten empfehlenswert. d) Ergebnis Regelungen zur Spenderkonditionierung sind de lege ferenda dringend im Transplantationsgesetz zu verankern. Ein neuer § 5a TPG könnte die Voraussetzungen und Modalitäten der Anwendung vorbereitender Maßnahmen festschreiben und so für Rechtssicherheit im Umgang mit Patienten im präfinalen Stadium sorgen sowie einen gerechten Ausgleich zwischen Spenderund Empfängerinteressen herstellen. Eine Ergänzung des § 19 TPG durch einen neuen Abs. 1a sowie eine Modifikation seines Absatzes 5 würde den

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Schutz des potentiellen Spenders über die Regelungen des Kernstrafrechts hinaus spezialgesetzlich sicherstellen. Durch eine Modifikation des § 2 TPG müssen unerlässliche Aufklärungsmaßnahmen zur Spendevorbereitung auf gesetzlicher Ebene abgesichert werden. 3. Die Einführung der Entscheidungslösung Seit der Verabschiedung des Transplantationsgesetzes im Jahre 1997 mit der Festschreibung der erweiterten Zustimmungslösung als elementaren Teil der rechtlichen Organentnahmebedingungen wurden die verschiedenen Regelungsmodelle fortwährend diskutiert und international verglichen. Trotz immer wieder aufflammender Kritik an der Ineffizienz der Zustimmungs­ variante bei der Organbeschaffung und der Forderung einer patientenfreundlicheren Widerspruchslösung sah das Bundesministerium für Gesundheit lange keinen Handlungsbedarf in dieser Frage.1389 Eine Veränderung der Einwilligungsvariante wurde auf der politischen Bühne während des Reformverfahrens in konkreter Form erst seit der 84. Sitzung der Gesundheitsministerkonferenz im Juni 2011 ernsthaft diskutiert.1390 Der Bundesrat brachte in einer Stellungnahme vom 23. September 2011 die von der Konferenz favorisierte Variante der Erklärungslösung nun auf Bundesebene ins Spiel.1391 Er wollte erreichen, dass jeder Krankenversicherungsnehmer nach der Gesetzesreform in einem geregelten Verfahren über die Organspende informiert und zu der Äußerung aufgefordert wird, ob er zur Spende bereit bzw. nicht bereit sei oder sich nicht erklären wolle. Dadurch sollte die Bevölkerung unter Wahrung ihres Selbstbestimmungsrechts in die Pflicht genommen werden, sich zu ihrer Spende­bereitschaft zu verhalten. Dem Ansinnen des Bundesrates, eine vermehrte Auseinandersetzung des Einzelnen mit dem Thema zu fördern, stand die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung grundsätzlich positiv gegenüber.1392 Eine geeignete Lösung sollte auf dieser Basis erarbeitet werden. Das Ergebnis war die heute gültige Entscheidungslösung (a)), die auf eine umfassende Information und eine regelmäßige Erklärungsaufforderung setzt. Im Mittelpunkt steht damit die Motivation des Einzelnen zu einer freiwilligen Willensdokumentation. Nicht durchsetzen konnte sich die in breiten Kreisen ebenso verfochtene Widerspruchslösung (b)), deren Einfüh1389  BT-Drs.

16 / 1370, S. 3. der 84. Gesundheitsministerkonferenz, Lfd. Nr. L-5-18, TOP 10.3. Zuvor kamen aus verschiedenen politischen Ecken noch eher rudimentäre Vorschläge zur Abfrage der Spendebereitschaft und deren Dokumentation etwa auf dem Personalausweis oder Führerschein, vgl. dazu die kontinuierliche Berichterstattung des Deutschen Ärzteblatts zum Reformvorhaben. 1391  BR-Drs. 457 / 11 (B). 1392  BT-Drs. 17 / 7376, S. 29, 36. 1390  Beschlüsse



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rung rechtspolitisch in Deutschland zurzeit nur schwer möglich erscheint. Dieser Umstand hat letztlich zu einer Kompromisslösung zwischen den konservativen und progressiven Stimmen geführt (c)). a) Die Entscheidungslösung im Kampf gegen den Organmangel Der Gesetzgeber hat sich mit der Reform des Transplantationsgesetzes vor allem zum Ziel gesetzt, den Organmangel zu bekämpfen und hat die Erhöhung der Spendebereitschaft als seinen wichtigsten Ausgangspunkt genommen (aa)). Sein prominentester Ansatz zur Eindämmung des Mangels war die Veränderung des in Deutschland bis dahin geltenden Regelungsmodells in die Entscheidungslösung; ihr Herzstück ist die direkte und kontinuierliche Konfrontation des Einzelnen mit der Organspende (bb)). Die Gesetzesbegründung spricht von einer „Umwandelung“ des ehemals bestehenden Modells. Jeder Mensch soll nun in die Lage versetzt werden, sich ernsthaft mit seiner Spendebereitschaft auseinanderzusetzen, um eine informierte sowie unabhängige Entscheidung treffen zu können.1393 Dabei sollen nicht nur die Bedeutung der Organspende und die Konsequenzen eines Nichthandels aufgezeigt, sondern zusätzlich Konfliktpunkte, insbesondere zum Verhältnis einer Entscheidung zur Patientenverfügung, aufgezeigt werden (dd)). Auswirkungen zeitigt die neue Gesetzeslage zudem bei der noch immer für die Organspende höchst relevanten Einbeziehung der Angehörigen in den Entscheidungsprozess (cc)). Ob dem neuen Regelungsmodell tatsächlich ein ausreichender Impetus zur Steigerung der Spenderzahlen innewohnt, wird sich in der Praxis noch zeigen müssen (ee)). aa) Die Erhöhung der Spendebereitschaft als rechtspolitisch legitimes Ziel? Eine verfassungspolitisch tragfähige Lösung darf die Erhöhung der Spenderzahlen gleichwohl nicht zu einem willfährig verfolgten Dogma erheben und die Normierungen in der Transplantationsmedizin zu einem „Organ­ beschaffungsgesetz“1394 modifizieren. Diese Gefahr zeigt sich in der durchaus beengten Formulierung der Zielsetzung des Transplantationsgesetzes, die Spendebereitschaft zu fördern (§ 1 Abs. 1 S. 1 TPG). Ein noch so ehrbarer, legitimer Zweck darf nicht dazu missbraucht werden, blinden Aktionismus oder gar unlautere Mittel zu rechtfertigen. In der rechtspolitischen Diskussion ist jenes Modell vorzugswürdig, dass die gegenläufigen Interessen auf Spender- und Empfängerseite am besten in einen gerechten Ausgleich 1393  BT-Drs.

17 / 9030 S. 14.

1394  Schachtschneider / Siebold,

DÖV 2000, S. 129, 135.

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bringt.1395 Dabei ist es nicht grundsätzlich falsch, der durch die Zielsetzung des Gesetzgebers in den Blick genommenen bestmöglichen Patientenversorgung einen elementaren Rang bei der Bewertung der Regelungsvarianten zuzugestehen. Der Reformschöpfer hat sich insofern bei der Änderung des Transplantationsgesetzes von einem legitimen Zweck leiten lassen. Die Spendebereitschaft ist jedoch kein Wert an sich, sondern lediglich eine Vo­ raussetzung, um Organtransplantationen zu ermöglichen.1396 Diese sind zum Schutz von Leib und Leben der potentiellen Empfänger ohne Zweifel erstrebenswert. Ihnen vorgeschaltet ist jedoch zwingend die Frage des „Preises“ auf Seiten der Bevölkerung, die sich mit einer intensivierten Einwirkung konfrontiert sieht. bb) Sublime Nötigung durch moralischen Paternalismus? Mit der Reform des Transplantationsgesetzes durch das Gesetz zur Regelung der Entscheidungslösung wurden die Aufklärungspflichten in Bezug auf die Organspende inhaltlich und in ihrer zeitlichen Taktung konkretisiert, um auf diese Weise die Spendebereitschaft zu fördern. Für einschlägige Informationskampagnen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung wurde allein vom Bundesgesundheitsministerium im Jahre 2014 die Summe von 7,5 Millionen Euro und im Jahre 2015 nochmals 6,5 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Die Beitragszahler der Krankenkassen wurden durch die Aufklärungsaktionen mit insgesamt rund 60 Millionen Euro belastet.1397 Die gesetzlichen Handlungsanleitungen setzen sich in diesem Zusammenhang nur marginal mit dem Selbstbestimmungsrecht des einzelnen Bürgers aus­ einander ((1)) und überlassen die verpflichteten Stellen überwiegend sich selbst. Diese erfüllen ihren Auftrag mit ihrem beträchtlichen Handlungsspielraum jedoch bislang unzureichend ((2)). (1) Die gesetzliche Zielsetzung im Konflikt mit dem Selbstbestimmungsrecht Im Vergleich zur Vorgängerregelung wird der Einzelne durch eine Intensivierung der Aufklärungskampagnen sowie konkreten Entscheidungsaufforderungen nur marginal mehr beschwert. Bereits vorher sah er sich einer Bitte 1395  Nach Maurer, DÖV 1980, S. 7, 9 muss nach der verfassungsnächsten Lösung gesucht werden, um den Intentionen des Verfassungsgebers größtmögliche Realisierung einzuräumen; so auch Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 60 f. 1396  Augsberg / Brysch, Patientenschutz-Info-Dienst 1 / 2012, S. 7. 1397  Vgl. den Bericht der ÄrzteZeitung, abrufbar unter: http: /  / www.aerztezeitung. de / politik_gesellschaft / organspende / article / 903242 / organspende-teures-fehlendesvertrauen.html?sh=1&h=2079946104 (zuletzt abgerufen am 30.06.2017).



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zur Entscheidungsdokumentation (§ 2 Abs. 2a TPG a. F.) von gesetzlicher Seite her ausgesetzt. Man mag nun konstatieren, dass mit der Formulierungswandlung eine andere ethische Dimension erreicht sei, weg von der Freiwilligkeit hin zu einer allgemein akzeptierten Erwartungshaltung.1398 Die Umwandlung der bittenden Konfrontation in eine Aufforderung erscheint gleichwohl als ein wenig explosives Szenario. Bei genauer Betrachtung wird die Bevölkerung allerdings mit einem spannungsgeladenen Dualismus zwischen Spender- und Empfängerseite belastet, den sie in ihrer Entscheidung aufzulösen hat. Die Klärung der Dimension aller konfligierenden Interessen wird im Transplantationsgesetz ausgespart. In der Gesetzesbegründung wird sie durch den Hinweis, dass die Aufklärung auch solche Aspekte einbeziehen soll, die einer Spende möglicherweise entgegenstehen,1399 höchstens angedeutet. Dies gilt umso mehr, als das Gesetz in § 2 Abs. 1 Nr. 1 TPG ausdrücklich fordert, dass über die „Möglichkeiten der Organ- und Gewebespende“ aufgeklärt wird, die Risiken jedoch aus der Formulierung ausgespart wurden.1400 Eine pauschale Betonung der Freiwilligkeit und der auf einer ergebnisoffenen Aufklärung beruhenden Entscheidung verschleiern diese Konflikte mehr, als dass sie normativ aufgelöst oder zumindest benannt werden.1401 In Verbindung mit dem Ziel, die Bereitschaft zur Organspende zu fördern, wirken die gesetzlichen Kautelen eher wie ein Lippenbekenntnis. Mit dieser Normierungsvariante hat der Gesetzgeber das Transplantationsgesetz in die vollständige Abhängigkeit zu den Aufklärungsstellen manövriert.1402 Umfassende Information fungiert als elementarstes Fundament der Neuregelung. Die Entscheidungslösung ist nur so gut, wie es die auf ihrer Grundlage konzipierten Aufklärungsunterlagen sind. Der Gesetzgeber selbst hat sich schon längst entschieden; in seinem Interesse liegt die Erhöhung der Transplantationsrate, die er durch eine Förderung der Spendebereitschaft zu erreichen sucht. Politiker sprechen offen von einer Werbung für die Organspende und davon, dass es ein Recht auf Gleichgültigkeit nicht geben dürfe.1403 Fraglich ist, wo dort Raum für eine ergebnisoffene, unabhängige Entscheidung des Bürgers bleibt. Eine auch seine Interessen berücksichtigende Tolmein, Pflicht zur Selbstbestimmung?, FAZ v. 11.10.2011, S. 33. 17 / 9030, S. 16. 1400  Aufgrund dieser Formulierung schon kritisch Deutsch / Spickhoff, Medizinrecht, S. 828. 1401  Augsberg / Brysch, Patientenschutz-Info-Dienst 1 / 2012, S. 7. 1402  Etwas zurückhaltender spricht der Deutsche Ethikrat, Hirntod und Entscheidung zur Organspende, S. 119 von einem „großen Spielraum bei der Kommunika­ tionsgestaltung“. 1403  So etwa der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier, Plenarprotokoll 17 / 182, S. 21687; vgl. auch die Rede des ehemaligen Gesundheitsministers, Daniel Bahr, der davon spricht, dass man die Bevölkerung am besten dazu anhalten 1398  So

1399  BT-Drs.

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sowie treffendere Formulierung hätte zum einen auf die Ausschöpfung der bereits vorhandenen passiven Spendebereitschaft abgestellt. Gegen eine Motivation zur Erklärungsabgabe jener Menschen, die einer Organspende bereits theoretisch offen gegenüberstehen, ist nichts einzuwenden. Zum anderen kann gleichsam die Konfrontation von Unentschlossenen dem Gesetzgeber nicht zum Vorwurf gemacht werden. Zwecksetzung darf hier aber nicht stur die Gewinnung von Organen sein. Vielmehr ist die Behelligung des Bürgers dualistisch zu betrachten, sodass es auch darum gehen muss, ihn vor einer möglicherweise nicht in seinem Sinn stehenden Organentnahme zu bewahren. Im Fokus des Gesetzgebers muss dessen Selbstbestimmungsrecht stehen. Schließlich ist seine freiwillige Aufopferung im Idealfall der Ausgangspunkt einer jeden Transplantation. Dieses Selbstbestimmungsrecht mag der Gesetzgeber durch die Forderung einer aufgeklärten, unabhängigen Entscheidung im Grundsatz respektieren; die Bedeutung der grundrechtlichen Gewährleistung sollte ihn jedoch veranlassen, diese noch mehr ins Zentrum seiner Handlungsmotivation zu stellen. Durch die Bündelung der Einwilligungsmodifikation auf dem Pfeiler einer Erhöhung der Spendebereitschaft, schwingt sich der Gesetzgeber zu einem moral-pädagogischen Paternalismus auf, der den Interessenausgleich in rechtspolitisch nicht zufriedenstellender Weise sehr einseitig vornimmt.1404 (2) Die Realität der Informationspolitik Das Defizit der einseitigen Zielsetzung schlägt sich gleichzeitig in den gesetzlichen Vorgaben für die Informationskonkretisierung sowie den bisher vorhandenen Aufklärungsmaterialien nieder. An die Informationsweise müssen hohe Anforderungen gestellt werden, denn eine Entscheidung für oder gegen eine Organspende betrifft einen elementaren Kern des Persönlichkeitsrechts. Eine ergebnisoffene Aufklärung ermutigt zu einer selbstbestimmten Entscheidung, ohne die bestehenden Spannungen in der Transplanta­ tionsmedizin zu verschweigen. Es darf keine Suggestion einer irgendwie gearteten moralischen Handlungsverpflichtung erfolgen, denn die Einwilligung in eine Organspende ist eine supererogatorische Entscheidung.1405 Dem Einzelnen muss ein individueller Abwägungsprozess ermöglicht werden. Nur unter diesen Voraussetzungen kann er seine Autonomie umfänglich wahrnehmen. Auf ihre Achtung hat er einen Anspruch, unabhängig von jeder Nutzenerwägung.1406 sollte, einer Organspende zuzustimmen, Plenarprotokoll 17 / 182, S. 21688 sowie Plenarprotokoll 17 / 168, S. 19869. 1404  Zum moralischen Druck durch die Entscheidungslösung siehe bereits im ethischen Teil S.  250 ff. 1405  Zur ethischen Pflicht zur Organspende siehe bereits S. 250 ff.



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Leider bleibt das Transplantationsgesetz in diesem Punkt mehr als vage. Eine umfassende Aufklärung über Möglichkeiten, Voraussetzungen und Bedeutung für die Empfänger wird vorgesehen (§ 2 Abs. 1 TPG), über deren genaue Art und konkreten Umfang jedoch geschwiegen. Was „geeignete“ Aufklärungsunterlagen sind, die von den im Gesetz benannten Stellen bereitzuhalten sind, unterliegt keiner gesetzlichen Konkretisierung. Einzige Kriterien sind die Umfassung der gesamten Tragweite der Organspende sowie ihre Ergebnisoffenheit. Dass auch Gesichtspunkte angeführt werden sollen, die einer Spendebereitschaft möglicherweise entgegenstehen, ergibt sich, wie gesagt, nur aus der Gesetzesbegründung. Inwiefern diese Berücksichtigung stattzufinden hat, findet nirgendwo Erwähnung. Leider beleuchten die gängigen Informationshefte der Bundeszentrale „Wie ein zweites Leben“ oder „Organspende?! – Ich habe mich entschieden“1407 die Thematik eher einseitig als umfassend.1408 Ebenso erweist sich eine von den Krankenkassen ­versendete Informationsbroschüre in der Regel als eher ertragsarm. Die Gewährleistung einer neutralen, ergebnisoffenen Aufklärung ist nur wenig ­geglückt. Regelmäßig Erwähnung finden floskelartige Formulierungen, die darauf hinweisen, dass keine Beeinflussung der Entscheidung des Angesprochenen gewollt sei oder diesem auch das Recht offenstehe, sich gegen eine Organspende zu entscheiden. Kritische Einwände gegen eine Einwilligung in eine Explantation werden jedoch sodann nicht mehr hinreichend aufgegriffen.1409 Erklärt wird dagegen regelmäßig, was unter einer Organspende verstanden wird, unter welchen Voraussetzungen sie zulässig und möglich ist sowie das Verhältnis einer Erklärung zur Patientenverfügung und der Angehörigenentscheidung. Der Deutsche Ethikrat kritisiert in diesem Bereich zu 1406  Rehbock,

DZPhil 61 (2013), S. 143. ein Beispiel sei herausgegriffen: Obwohl die Broschüren für sich in Anspruch nehmen, den Ablauf einer Organspende darzustellen, umfasst keine von ihnen Informationen zu spendezentrierten Maßnahmen vor der Feststellung des Hirntodes. 1408  Höfling, Patientenschutz-Info-Dienst 3 / 2011, S. 12 bezeichnet die bisherigen Aufklärungsarbeiten sogar als Desinformationskampagnen; Kritik an den Aufklärungsmaßnahmen auch bei Kirste, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 75 ff.; ders., in: Kongressband zum 8. Jahreskongress der Deutschen Stiftung Organtransplantation, S. 47 stellte fest, dass es für den Einzelnen noch immer schwierig sei, die nötigen Informationen für eine Entscheidung zur Organspende zu erlangen. Auch wenn er davon ausgeht, dass es letztlich möglich wäre diese – mit Aufwand – zu beschaffen; kritisch ebenso Lilie, in: Jung / Luxenburger / Wahle (Hrsg.), FS E. Müller, S. 395, 406; zu Vorschlägen bzgl. der Aufklärungsarbeit siehe Meiser / Sengler, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.) Förderung der Organspende, S. 29 ff. 1409  Der Deutsche Ethikrat, Hirntod und Entscheidung zur Organspende, S. 124 kritisiert besonders, dass häufig vorgebrachte Ablehnungsgründe, wie die Beeinträchtigung der körperlichen Integrität oder die Erschwerung des persönlichen Abschieds vom Verstorben nicht ausreichend berücksichtigt wird. 1407  Nur

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Recht eine nur unzureichende Information über die Variationen, einen Organspendeausweis auszufüllen, insbesondere eine Ablehnung zu bekunden oder eine Vertrauensperson zu beauftragen sowie auch die mangelhafte Darstellung der genauen Angehörigenrolle.1410 Tatsächlich war im Jahre 2013 45 % der Befragten im Rahmen einer Studie der Bundeszentrale für gesundheit­ liche Aufklärung nicht bewusst, dass auf einem Organspenderausweis auch ein Widerspruch eingetragen werden kann.1411 Ausführlich fallen jedoch regelmäßig Versicherungen aus, die eine optimale Versorgung im Bedürftigkeitsfall und die zweifelsfreie Feststellung des Hirntodes auch bei positiver Organspendeerklärung bestätigen. Betont wird ebenfalls, dass die Organe in einem auf Chancengleichheit beruhendem System zugeteilt werden. Die Suche nach einer Beschreibung des genauen physischen Zustands eines Hirntoten, den Kritikpunkten am Todeskonzept oder Erklärungen in Bezug auf eine präfinale Spenderkonditionierung, erweist sich jedoch zumeist als vergebens.1412 Von Spannungen oder Interessenkonflikten findet sich regelmäßig nichts, sondern lediglich ein Hinweis auf ein gebührenfreies Informationstelefon1413 sowie auf die Broschüren der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Eine offene und ehrliche Aufklärung muss aber ab dem ersten Kontakt mit dem Adressaten auf den Grad seiner Informiertheit zugeschnitten sein. Fundiertes Wissen rund um die Transplantationsmedizin kann von niemandem erwartet werden. Angenommene Entschließungsanträge, wie jener von CDU / CSU, SPD und FDP, der weitergehende Informationskampagnen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sowie die Aufnahme des Themas Organspende in die Erste-Hilfe-Kurse verlangt,1414 nützen nichts, wenn die inhaltliche Ausgestaltung der Auskünfte mangelhaft bleibt. Als problematisch erweist sich ferner die bisherige Einbeziehung der privaten Organisation Deutsche Stiftung Organtransplantation in die Informa­ tionsarbeit, die über die bei ihr angesiedelte Treuhandstiftung „Für’s Leben, für Organspende“ für die Spendebereitschaft warb. Ihre Doppelrolle als er1410  Deutscher

Ethikrat, Hirntod und Entscheidung zur Organspende, S. 122. die Repräsentativbefragung der BZgA von 2013, S. 45. 1412  Kritisch zu Mängeln bei der Darstellung des Hirntodes und dem Aussparen einer Beschreibung organprotektiver Maßnahmen mittlerweile auch der Deutsche Ethikrat, Hirntod und Entscheidung zur Organspende, S. 122 f. 1413  Seine Einrichtung erfolge zur Erfüllung der Verpflichtung aus § 2 Abs. 1a S. 5 TPG, nach dem fachlich qualifizierte Ansprechpartner zur Verfügung zu stellen sind. Zur Qualifizierung der Ansprechpartner vgl. die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Fraktion Die Linke, BT-Drs. 18 / 1254. Nur die wenigsten Versicherungen haben eine spezialisierte Informationshotline eingerichtet. Die meisten verweisen auf ihre bestehende Kundenberatungsnummer oder das Informations­ telefon der BZgA, vgl. Deutscher Ethikrat, Hirntod und Entscheidung zur Organspende, S. 121. 1414  BT-Drs. 17 / 9777, S. 2. 1411  Vgl.



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klärte Vertreterin der Interessen auf Organempfängerseite auf der einen und die Vornahme einer neutralen Aufklärung der Bevölkerung auf der anderen Seite scheint hier in der Praxis widersprüchlich, zumindest aber nicht vertrauenserweckend.1415 Vertrauen jedoch stellt einen elementaren Faktor bei der Entscheidung für eine Spende dar. Daher ist es zu begrüßen, dass die Stiftung im Jahre 2014 eine Kurskorrektur zur Auflösung ihrer Dichotomie beschlossen hat und sich nun auf ihre Kernaufgabe der Spendekoordinierung besinnt. Die Organspende ist eine besondere kommunikative Herausforderung. Bereits die Frage, welche Informationen im Kontext einer ausgewogenen Aufklärung von Relevanz sind, ist Gegenstand anhaltender Kontroversen.1416 Diese Hürden entbinden die Politik jedoch nicht von der Pflicht einer ernsthaften Unternehmung, das Selbstbestimmungsrecht des Bürgers zu fördern. Gefordert wird daher zu Recht, die Erstellung des Informationsmaterials nicht nur an eine erfahrene und kompetente Organisation wie die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zu delegieren, sondern ihre Arbeit auch durch einen interdisziplinär zusammengesetzten wissenschaftlichen Beirat begleiten zu lassen, der hinsichtlich sachlicher Korrektheit sowie Ausgewogenheit der Darstellung berät.1417 Dies dürfte einer Steigerung der Zustimmungsrate entgegenkommen. Studien belegen, dass gut aufgeklärte Personen einer Organspende eher aufgeschlossen gegenüberstehen als jene mit Wissensdefiziten.1418 Allerdings darf das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen auch im Angesicht der Gefahr, ihn möglicherweise durch Details abzuschrecken, nicht unterminiert werden. Mit einer bloßen Betonung der Freiheit als gesetzlicher Leerformel ist diese nicht tatsächlich gewährleistet. Das rechte Maß der Aufklärung muss noch gefunden werden. Dabei sollte sich die Politik nicht auf gesetzgeberische Förmeleien zurückziehen, sondern klare Handlungsanweisungen erteilen, die als eine ernst gemeinte Grundlage für den höchstpersönlichen, informierten Entscheidungsprozess des Bürgers dienen können.

1415  So auch schon Denkhaus / Dabrock, ZME 58 (2012), S. 135, 145; vgl. dazu auch den Bericht der Bundesregierung BT-Drs. 16 / 13740, S. 27–34 sowie die Beantwortung der Anfrage der Fraktion Die Linke BT-Drs. 18 / 1254. 1416  Denkhaus / Dabrock, ZME 58 (2012), S. 135, 137. 1417  Ebda., S. 135, 145; zu den Vorstellungen einer effizienten Aufklärung aus Sicht der BZgA siehe Pott, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 67 ff. 1418  Dies stellen Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel, S. 152 mit Blick auf eine Forsa-Studie von 1999 fest.

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cc) Das Fortbestehen und die Veränderung der Angehörigeneinbeziehung Als neuralgischer Punkt bestehen bleibt die Angehörigenbeteiligung bei Nichtvorliegen einer Äußerung des Betroffenen, sodass eine Entscheidung gegen den Willen des Spenders – und damit die Beeinträchtigung seines Selbstbestimmungsrechts – möglich bleibt. Dieser Eingriff kann jedoch, wie in der verfassungsrechtlichen Diskussion aufgezeigt, gerechtfertigt werden.1419 Durch die mit dem Hinweis auf das subsidiäre Entscheidungsrecht der Angehörigen verbundene Entscheidungsaufforderung hat sich bereits eine Verbesserung des Persönlichkeitsschutzes eingestellt.1420 Im Zuge einer gezielten Information kann der Einzelne sein Selbstbestimmungsrecht bewusster wahrnehmen. Einen Ausschluss der Angehörigenbeteiligung wird es in absehbarer Zeit zu Recht nicht geben. Ein Modell, das die Hinterbliebenen übergeht, würde voraussichtlich nicht von der Bevölkerung akzeptiert werden und dem Ruf der Transplantationsmedizin erheblichen Schaden zufügen.1421 Die Entscheidungslösung belässt die Hinterbliebenen in ihrer bereits eta­ blierten Rolle als Boten und vor allem subsidiäre Entscheidungsinstanz. Ihre Interessenswahrnehmung könnte sich mit der Neuregelung jedoch vermehrt zuungunsten der Organspende auswirken. Im Unterschied zur vorherigen Gesetzeslage kann sich der Bürger einer Befassung mit seiner Spendebereitschaft nicht so leicht entziehen, was die Bewertung einer Nichtäußerung beeinflussen könnte.1422 Ein Schweigen des Verstorbenen wird gesetzlich zwar 1419  Näher zur verfassungsrechtlichen Bewertung der Angehörigeneinbeziehung siehe bereits S. 327 ff. sowie S. 333 ff. 1420  Dagegen sehen Höfling / Engels, GesR 2012, S. 532 die verstärkte Aufklärungsverpflichtung hinsichtlich des subsidiären Entscheidungsrechts der Angehörigen als „edukatorische Drohung“. In diese Richtung ebenso Kreß, in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 281, 290 f. Dem ist nicht zuzustimmen. Das Mitspracherecht der Hinterbliebenen wird nicht als Drohkulisse instrumentalisiert, sondern dient der umfassenden Aufklärung des Bürgers über die Gesetzeslage, die sehr zu begrüßen ist. 1421  So auch schon Martorell, in: Lilie / Rosenau / Hakeri (Hrsg.), Die Organtransplantation, S. 11, 49 für den spanischen Rechtskreis. Die Notwendigkeit der Angehörigenbeteiligung erkennen auch der Nationale Ethikrat, Die Zahl der Organspenden erhöhen, S. 34 f. und der 110. Deutsche Ärztetag, Beschlussprotokoll, S. 10 f. an. 1422  Diese Gefahr andeutend Schroth, MedR 2012, S. 570, 576; schon Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 145 spricht viele Jahre vor dem Reformvorhaben von einer Erhöhung des Bewusstseinsgrads durch intensivere Aufklärung, die bei einer Nichterklärung die Wahrscheinlichkeit eines der Spende entgegenstehenden Willens nahelege. Auch der Deutsche Ethikrat lässt das Problem anklingen, indem er festhält, dass die Entscheidung nach dem mutmaßlichen Willen des Verstorbenen „nicht leichter“ falle, wenn dieser trotz mehrfacher Aufforderung seinen Willen nicht zum Ausdruck gebracht habe; er bringt diese Tatsache



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nicht als Widerspruch, sondern als Nichterklärung gewertet. Das Framing in der Bundesrepublik bleibt jedoch auch nach Einführung der Entscheidungslösung ein negatives: Die Organexplantation ist verboten, solange keine Einwilligung erteilt wurde. Mit der Reform sollte der Bürger motiviert werden, seine Spendebereitschaft nach einer Aufforderung zu dokumentieren. Hat er das nicht getan, könnte seinem Verhalten bei der Interpretation seines mutmaßlichen Willens eine andere Bedeutung zukommen. Obwohl ihm durch die neue Aufklärungskampagne die Möglichkeit der Zustimmung sozusagen auf dem Silbertablett serviert wurde, hat er sich zu einer Einwilligung nicht durchringen können. Diesem Umstand kommt mit der Entscheidungslösung eine gewichtige Bedeutung zu. Die Angehörigen könnten in der fehlenden Abgabe einer Erklärung nicht nur einfache Lethargie, sondern einen Entscheidungskonflikt erblicken. Die simple These, dass sich der Verstorbene, wäre er zu Lebzeiten mit der Organspende konfrontiert worden, sicherlich für die Rettung schwerkranker Menschen ausgesprochen hätte, ist mit der Neuregelung obsolet. Beziehen die Angehörigen diese neue Ausgangslage in ihre Überlegungen mit ein, dürfte eine neue Welle der Zurückhaltung bei der Freigabe des Hirntoten entstehen. Insofern ist eine Nichtentscheidung mit der Entscheidungs­ lösung bei der Angehörigenbefragung explosiver geworden. Ob sich in der Praxis langfristig tatsächlich eine Veränderung der Wahrnehmung des mutmaßlichen Willens ergibt, bedarf näherer empirischer Untersuchung. Unterschätzt werden sollte die Problematik im Hinblick auf die erstrebte Steigerung der Organspenderrate nicht. dd) Das Verhältnis der Organspendeerklärung zur Patientenverfügung Mit der Erhöhung der Anzahl an dokumentierten Willensentscheidungen wird auch die Frage einer Kollision zwischen Organspende und Patientenverfügung drängender. Immer häufiger werden in Deutschland Therapielimitierungen verfügt, in denen bei infauster Prognose palliativmedizinisches Vorgehen gegenüber intensivtherapeutischen Maßnahmen priorisiert wird. Da Patientenverfügungen verbindlich sind (§ 1901a BGB), stellen sie in der Praxis einen enormen Hinderungsgrund für die Einleitung eines Spendeprozesses dar, der die Ärzteschaft dazu verleitet, Spenderpotential von vornherein auszuschließen. Die vermehrte Bevorzugung von Therapiebegrenzungen jedoch nicht direkt mit einer negativen Angehörigenentscheidung in Verbindung, siehe Deutscher Ethikrat, Hirntod und Entscheidung zur Organspende, S. 139. Kreß, in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 281, 290 sieht aufgrund dieser Problematik in der Entscheidungslösung eine Verschärfung der Zumutung für die Angehörigen.

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wird als ein Grund für das schwache Organaufkommen im Jahre 2011 verantwortlich gemacht.1423 Auf den ersten Blick besteht tatsächlich ein unauflöslicher Widerspruch zwischen der Begrenzung oder dem Verzicht auf lebenserhaltende Maß­ nahmen und der Einwilligung in eine Organentnahme, die die Fortführung organprotektiver Maßnahmen notwendig macht.1424 Dabei könnte es sich in einigen Situationen jedoch um eine nur vermeidliche Unauflösbarkeit der Konfliktlage handeln, in der es möglich ist, die beiden Willenserklärungen durch Auslegung in Einklang zu bringen.1425 Bei der Vorbereitung auf eine Organexplantation werden zwar intensivmedizinische Maßnahmen fortgeführt. Erfolgen diese jedoch lediglich innerhalb eines kurzen Zeitrahmens, ohne dass die Willensentscheidung des potentiellen Spenders für einen Verzicht auf künstlichen Lebenserhalt von Grund auf unterminiert wird, könnten sich diese als mit dem Patientenwillen vereinbar erweisen.1426 Als unproblematisch sind Maßnahmen nach dem Eintritt des Hirntodes zu bewerten, bei denen eine Lebens- und Leidensverlängerung nicht stattfindet. Diffiziler gestalten sich präfinale Behandlungen, die der Todesfeststellung vorausgehen. Hier kann es zu einer nicht mehr gewollten Protrahierung des Sterbeprozesses kommen. In einer Situation, in der der Hirntod noch nicht eingetreten ist, kann auch bei Vorliegen eines Organspendeausweises nicht davon ausgegangen werden, dass der Patient zur Vorbereitung einer Explantation weitere lebensverlängernde Behandlungen dulden möchte.1427 Einen 1423  Tolmein, FAZ v. 13.12.2011, S. 31; auch beim Pilotprojekt „Inhousekoordination“ wurde in Patientenverfügungen ein wichtiger Faktor für die mangelnde Abklärung und Durchführung einer Organspende gesehen, vgl. Blum, Inhousekoordination bei Organspenden, S. 96 ff.; ders., in: Kongressband zum 8. Jahreskongress der Deutschen Stiftung Organtransplantation, S. 53; ders. / Beck / Metzinger, Das Krankenhaus 2012, S. 227, 232. 1424  Verrel, in: Kongressband zum 8. Jahreskongress der Deutschen Stiftung Or­ gantransplantation, S. 45; zum Konfliktpotential siehe ferner Zimmermann, in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 112 ff. 1425  Verrel, in: Kongressband zum 8. Jahreskongress der Deutschen Stiftung Or­ gantransplantation, S. 45; einen grundsätzlichen Ausschluss der Organspende im Rahmen der palliative Pflege verneint auch Zimmermann, in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 112, 119. 1426  So Verrel, in: Kongressband zum 8. Jahreskongress der Deutschen Stiftung Organtransplantation, S. 45. 1427  So auch die BÄK in ihrem Arbeitspapier zum Verhältnis von Patientenverfügung und Organspendeerklärung, S. 3 in der Situation, in der der Hirntod erst noch erwartet wird. Anders aber im Fall eines vermuteten Hirntodes. Die BÄK hält hier die Aufrechterhaltung intensivmedizinischer Maßnahmen für zulässig, um die Hirntod­ diagnostik durchzuführen, da davon auszugehen sei, dass dies mit dem Willen des potentiellen Spenders in Einklang steht, vgl. Arbeitspapier, S. 2 f.; dagegen jedoch mangels Erklärung auf dem Organspendeausweis und fehlender Aufklärung zu Recht



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solchen Umfang hat die abgegebene Erklärung keinesfalls. Eine Weiterbehandlung trotz einer Entscheidung gegen die Einleitung oder Fortführung einer intensivmedizinischen Therapie darf nicht ohne Weiteres erfolgen. Selbst wenn die Patientenverfügung organprotektive Maßnahmen ausdrücklich zulässt, hängt ihre Wirksamkeit nach dem Willen des Gesetzgebers von einer vorausgegangenen ärztlichen Aufklärung oder einem erklärten Verzicht auf eine solche ab, da ärztliche Eingriffe durch die Verfügung erlaubt und nicht nur versagt werden.1428 Immerhin wird die Patientenverfügung beim Fehlen eines ausdrücklich erklärten Verzichts auf eine ärztliche Aufklärung zumindest als Indiz für den mutmaßlichen Willen des Betroffenen gewertet werden können. Hat sich der Patient in seiner Verfügung nicht über die organprotektive Therapie geäußert, ist die Tür zum Organerhalt und damit zur Organspende aber noch nicht endgültig verschlossen. Wurde die Patientenverfügung zu einem Zeitpunkt verfasst, an dem die Aufklärungssituation noch nicht an die Bedürfnisse des Erklärungskonflikts angepasst war, drängt es sich nahezu auf, dass der Betroffene keine Abwägung mit den Vorkehrungen für eine Organspende vorgenommen hat. Daher kann unter Einbeziehung der Angehörigen und des Patientenvertreters ermittelt werden, ob die Fortführung intensivmedizinischer Maßnahmen unter den gegebenen Umständen doch dem Willen des Patienten entsprechen würde.1429 Eine effiziente Wahrnehmung des Persönlichkeitsrechts ist nur möglich, wenn eine ordnungsgemäße Aufklärung über den Ablauf einer Organspende und ihr Verhältnis zu den Erklärungen aus einer Patientenverfügung erfolgt. Eine solche sieht der Gesetzgeber in § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG auch vor. Leider hat er jedoch die Gelegenheit verpasst, die Spannungslage zwischen Patientenverfügungen und Organspendeerklärungen selbst offen anzusprechen.1430 Das Aufklärungsmaterial der Krankenkassen stellt bisher regelmäßig nur die Notwendigkeit einer Übereinstimmung von Patientenverfügung Tolmein, in: Haarhoff (Hrsg.), Organversagen, S. 57, 74. Eine Reanimation allein zum Zwecke der Organspende sieht aber auch die BÄK als unvertretbar an, S. 3 f. Arbeitspapier abrufbar unter: http: /  / www.bundesaerztekammer.de / downloads / Arbeitspapier_ Patientenverfuegung_Organspende_18012013.pdf (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). Näher zur Frage, ob die Einwilligung in eine Organentnahme auch eine Einwilligung in eine spendezentrierte Behandlung umfasst, siehe S. 288 ff. 1428  Zu den Wirksamkeitsvoraussetzungen der Patientenverfügung vgl. BT-Drs. 17 / 10488, S. 23 sowie deren Betrachtung bei der Behandlung der Spenderkonditionierung in dieser Arbeit, S. 289 f. 1429  Verrel, in: Kongressband zum 8. Jahreskongress der Deutschen Stiftung Or­ gantransplantation, S. 46. Zu den Handlungsmöglichkeiten bei einem Scheitern der Willensermittlung siehe S. 303 ff. 1430  Das auch kritisch hervorhebend Höfling / Engels, GesR 2012, S. 532.

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und Organspendeausweis heraus.1431 Zu ihrer Gewährleistung verweist es sodann auf vorgefertigte Formulierungsvorschläge, wie jene des Bundesministeriums für Justiz. Mittlerweile hat sich tatsächlich bereits fast die Hälfte (44 %) derjenigen, die eine Patientenverfügung besitzen, darin zur Organund Gewebespende geäußert.1432 Der Vordruck des Ministeriums enthält jedoch keine inhaltliche Aufklärung über den möglichen Widerspruch, sondern fordert den Patienten lediglich dazu auf, anzugeben, ob die Bereitschaft zur Organspende oder die Bestimmungen der Patientenverfügungen vorgehen sollen, wenn zur Spendevorbereitung Maßnahmen ergriffen werden müssten, die der Patientenverfügung grundsätzlich entgegenstehen.1433 Verständlich ist dieser Vorschlag nur, wenn dem Betroffenen die Geschehnisse rund um die Vorbereitung einer Organexplantation vorab erläutert wurden. Hier besteht noch dringender Nachholbedarf. Einem solchen Vorgehen wohnt natürlich die Gefahr inne, eine Ablehnungshaltung bei Teilen der Bevölkerung hervorzurufen. Wer möglichst unter Verzicht auf intensivmedizinische Maßnahmen auf einer Palliativstation sterben möchte, wird eine Organspende eher ablehnen. Diese Konsequenzen sind in einem die Selbstbestimmung des Einzelnen gewährenden Rechtsstaat allerdings hinzunehmen. ee) Die Entscheidungslösung als Erfolgskonzept für die Organspende? Fraglich ist schlussendlich natürlich, ob der Entscheidungslösung ein ausreichender Impetus innewohnt, um eine Steigerung der Spendebereitschaft zu bewirken. Als Kernproblem der bisherigen erweiterten Zustimmungslösung wurde immer wieder ihre nur unvollständige Ausschöpfung des passiven Spenderpotentials angeführt, weil sie lediglich die aktive Akzeptanz des potentiellen Spenders bzw. seiner Angehörigen in den Fokus nehme.1434 An der Grundentscheidung des Einwilligungserfordernisses ändert die Entschei1431  Kritisch insoweit schon der Deutsche Ethikrat, Hirntod und Entscheidung zur Organspende, S. 123; die Notwendigkeit einer Verbesserung der Aufsichtssituation sieht auch Tolmein, in: Haarhoff (Hrsg.), Organversagen, S. 57, 78. 1432  Vgl. die Befragung der BZgA von 2013, S. 66. 1433  Der Formulierungsvorschlag des Bundesministeriums für Justiz ist abrufbar unter: http: /  / www.bmjv.de / SharedDocs / Downloads / DE / Broschueren / Anlagen / Pati entenverfuegung_Textbausteine_pdf.pdf?__blob=publicationFile (zuletzt abgerufen am 30.06.2017); zur Kritik an der Formulierung eines Rangverhältnisses siehe Verrel in: Kongressband zum 8. Jahreskongress der Deutschen Stiftung Organtransplantation, S. 45 f. Eine etwas bessere Vorstellung über den Spendevorgang vermittelt die Christliche Patientenvorsorge, die die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung des Kreislaufes und Vornahme intensivmedizinischer Maßnahmen anspricht, abrufbar unter: http: /  / www.ekd.de / download / patientenvorsorge.pdf (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 1434  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 26.



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dungslösung nichts. Einige Stimmen bezweifeln, dass mit vermehrter Öffentlichkeitsarbeit eine Erhöhung der Zahl an Ausweisträgern erzielt werden kann.1435 Es sei schon fraglich, ob eine generelle Beschäftigung des Einzelnen mit der Organspende überhaupt umsetzbar ist.1436 Bisher wurde tatsächlich durch keine Studie oder anderweitige Datenerhebung belegt, dass überhaupt in der Vergangenheit unternommene Aufklärungskampagnen die Spenderrate entscheidend erhöht hätten.1437 Bisher wurden dennoch jährlich mehr als 100 Millionen Euro für einschlägige Werbung ausgegeben, ohne dass die Willensdokumentation wesentlich angestiegen wäre.1438 Das lässt Zweifel aufkommen, ob die Entscheidungslösung geeignet ist, eine Kehrtwende einzuläuten. Das neue Regelungsmodell zeichnet ein bisher ungekannter Erklärungsappell aus, der in regelmäßigen Abständen persönlich an den Einzelnen gerichtet wird. Durch das unkomplizierte Ausfüllen eines von den Krankenkassen zugesendeten Organspendeausweises soll dem Bürger eine einfache und praktikable Dokumentationsmöglichkeit an die Hand gegeben werden. Es wird sich insbesondere erhofft, mit dieser Methode die Lethargie des Angesprochenen zu überwinden, sodass dieser seine passive Akzeptanz in aktive Handlungsbereitschaft umwandelt. Geht man davon aus, dass hinter der undokumentierten Befürwortungsrate tatsächlich wahre Spendebereitschaft steckt, erscheint eine gezielte Konfrontation nicht von vornherein aussichtslos, eine erhebliche Steigerung der abgegebenen Erklärungen zu erreichen. Im Idealfall würde jeder von den drei Vierteln der in Deutschland vorhandenen Organspendebefürworter eine zustimmende Dokumentation in nächster 1435  Kritisch angeführt werden hier etwa schlechte Erfahrungen aus Spanien, vgl. Heemann, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 7, 12; Lilie, in: Lilie / Rosenau / Hakeri, (Hrsg.), Die Organtransplantation, S. 55, 58. Eher skeptisch mag auch das Beispiel der Niederlande stimmen, die sich im Rahmen einer Aufklärungsaktion bemüht haben, die Bevölkerung dazu zu bewegen, sich in ein Register eintragen zu lassen. Dessen Registrierungsquote ist mit ca. 36 % (Stand 2011) jedoch sehr mäßig, siehe Kirste, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 75. Die Wirkkraft einer bloß „moralische(n) Aufforderung“ bezweifelt auch Stenner, WzS 2014, S. 67, 70; ebenso skeptisch Schroth, MedR 2012, S. 570, 576. Positiver jedoch Resch, Die empfängergerichtete Organspende, S. 53. 1436  Kirste, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 75. 1437  Otto, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 149, 153. 1438  Zu dieser Kritik siehe die Anmerkung der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung, abrufbar unter: http: /  / www.organspende-aufklaerung.de /  organspende_news-organspenderegelung-verabschiedet-26-05-12.html (zuletzt abgerufen am 30.06.2017).

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zeitlicher Nähe vornehmen. Vor der Reform war es nur rund ein Viertel.1439 Dass ein solches Ergebnis utopisch ist, leuchtet ein. Anhand von Statistiken wird der Öffentlichkeit regelmäßig die enorm positive Grundhaltung der Bevölkerung vor Augen geführt und das Kernproblem der Organspende bei der mangelhaften Ausschöpfung der passiven Spendebereitschaft verortet.1440 Bezieht man aber die Tatsache mit ein, dass der Großteil der Befragten nicht über den genauen Ablauf einer Spendevorbereitung und -durchführung aufgeklärt ist, erweist sich die optimistische Feststellung einer grundsätzlichen Spendebereitschaft von drei Vierteln der Bevölkerung als höchst zweifelhaft. Laut einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung fühlten sich 57 % der Befragten im Jahr 2014 wenig bis schlecht informiert; diese Einschätzung entsprach in etwa der tatsächlichen Wissensermittlung durch die Umfrage (51 % der Befragten war mäßig bis schlecht informiert).1441 Authentische Erhebungen zur tatsächlichen Spendebereitschaft können nur nach eingehender Aufklärung der Befragten erfolgen. Alles andere stellt sich letztlich als eine Art der Täuschung dar und zwar nicht nur der Umfrageteilnehmer, sondern gerade auch der die Ergebnisse rezipierenden Öffentlichkeit. Die bestehende Barriere zwischen grundsätzlich positiver Einstellung zur Organspende und tatsächlich festgehaltener Spendebereitschaft besteht nicht grundlos. Die wirkliche Entschließung für die Organentnahme fällt erst mit der tatsächlichen Abgabe einer Erklärung, da eine Entscheidung, die der Mitwirkung anderer bedarf, stets nach außen kundgegeben werden muss, um wirksam zu werden. Die Artikulation der „sozial erwünschten“ Einstellung in einer Befragung fällt leichter als der tatsächliche Vollzug der korrespondierenden Handlung. Der Grund fehlender Dokumentation mag vielfach tatsächlich in der Lethargie des Einzelnen liegen, sich um eine Angelegenheit zum Wohle anderer zu kümmern. Hier kann eine Konfrontationskampagne über Behörden und insbesondere über Anschreiben der Krankenkassen sinnvoll sein. Im Zuge dessen darf der fehlende Anreiz zur Entscheidungsdokumentation nicht unterschätzt werden.1442 Will man eine Kundgabe einer Einstellung erreichen, muss der Weg dorthin so einfach wie möglich gestaltet werden. Die Zusendung eines Organspendeausweises, auf dem der persönliche Wille nur 1439  BT-Drs.

17 / 9030, S. 14. Repräsentativbefragung der BZgA von 2014 ergab eine positive Grundhaltung zur Organspende bei 80 % der Befragten, 71 % wären sogar grundsätzlich bereit, Organe zu spenden, S. 31, 33. 1441  Vgl. die Repräsentativbefragung der BZgA von 2014, S. 44 f. 1442  Es werden daher auch Anreizmodelle diskutiert, die dem Bürger einen Vorteil verschaffen, wenn er seine Spendebereitschaft erklärt, siehe dazu bereits S. 262 ff. sowie Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 66 ff.; Buyx, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 117 ff. 1440  Die



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noch der Artikulierung mittels eines Kreuzes bedarf, macht die Erklärungsabgabe denkbar unkompliziert. Neben der Trägheit spielen aber auch das Erfordernis, sich im Rahmen einer Erklärungsabgabe mit dem eigenen Tod auseinanderzusetzen sowie Ängste rund um die Explantation als Handlungshemmnis eine nicht unwesentliche Rolle.1443 Ihnen ist nicht mit der Zusendung eines Organspendeausweises abzuhelfen. Ohnehin darf der Adressat zum Schutz seines Selbstbestimmungsrechts nicht mit einem bloßen Ausweis überrumpelt werden. Vielmehr muss seine Darreichung mit Übergabe von umfassendem Aufklärungsmaterial verbunden werden. Jedoch kann auch eine offene, vertrauensschaffende Informationskampagne dort keine Einwilligung zur Organentnahme abschöpfen, wo letztlich keine Zustimmung vorhanden ist. Neben möglicherweise irrationalen Ängsten rund um den Explantationsprozess sprechen einsichtige Gründe für eine Versagung der Entnahmeerlaubnis. Dazu zählt vor allem der Wunsch Vieler, den Sterbeprozess bei infauster Prognose nicht zu verlängern.1444 Eine intensive Aufklärung, die auch die Organprotektion und die Risiken einer Hirntoddia­ gnostik in den Blick nimmt, könnte für das Spenderaufkommen daher durchaus kontra­produktiv sein. Verlangt ein Patient die zügige Abschaltung der apparativen Lebenserhaltungsmaschinerie, kommt eine Organspende nicht mehr in Frage. Stellt er diesen legitimen Wunsch vor das Interesse der Pa­tienten auf der Warteliste, kann seine Einstellung zur Organspende grundsätzlich positiv sein, ein realistisches Spenderpotential lässt sich in diesen Fällen nicht ausmachen. Ob das Konzept der Entscheidungslösung vor diesem Hintergrund langfristig trägt, wird sich erst durch kontinuierliche Beobachtungen der Transplantationsmedizin in den nächsten Jahren feststellen lassen. Kurzfristig hat sich die Zahl der geführten Gespräche durch die Beratungsstellen seit der Versendung von Aufklärungsmaterial durch die Krankenkassen laut der Bundesregierung verdreifacht.1445 Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung stellte zudem einen positiven Dokumentationstrend fest. Bereits im Sommer 2013 war die Zahl der ausgefüllten Organspendeausweise im Vergleich zum Vorjahr um 6 % auf insgesamt 28 % gestiegen, was 2014 durch eine Steigerung von weiteren 7 % auf 35 % noch übertroffen wurde.1446 Von diesen 35 % haben 86 % eine Zustimmung zur Organspende erklärt. Insofern ist es tatsächlich gelungen, nicht nur eine Steigerung der ausgefüllten Or1443  Beispielhaft dazu siehe eine innere Auseinandersetzung von Weber, in: Sterzik (Hrsg.), Zweites Leben, S. 78 ff. 1444  Näher zu dem Wunsch ohne apparative Hilfsmittel sterben zu dürfen siehe Gern, in: Sterzik (Hrsg.), Zweites Leben, S. 86 ff. 1445  BT-Drs. 18 / 1254 S. 6. 1446  Vgl. die Repräsentativbefragung der BZgA von 2014, S. 8.

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ganspendeausweise, sondern auch einen Zustimmungszuwachs zu erzielen.1447 Allerdings darf nicht verschwiegen werden, dass auch ein nach dem Erlass des Transplantationsgesetzes im Jahre 1997 in Gang gesetzter Impetus der Aufmerksamkeit in Bezug auf die Organspende recht schnell wieder verpufft ist.1448 Eine langfriste positive Einwirkung auf die Spenderrate ist nicht sicher prognostizierbar.1449 Trotzdem lassen die ersten positiven Rückmeldungen hoffen, die passive Organspendebereitschaft in Deutschland besser für die Organspende ausschöpfen zu können. Gleichzeitig scheint auch eine Motivation von bislang Unentschlossenen oder von bisherigen Skeptikern zu einer Entscheidungsdokumentation nicht abwegig. Unabhängig vom Inhalt der Äußerung würde eine nach außen sichtbare Entscheidung Sicherheit im Organspendeprozess schaffen und ist daher zu begrüßen. Dass es jedoch durch eine vermehrte und andauernde, möglicherweise als moralischer Druck empfundene, Konfrontation mit der Organspende noch zu einer Abwehrreaktion der Bevölkerung kommen könnte, mag nicht gänzlich auszuschließen sein. Im Hinblick auf das Ziel, die Bereitschaft zur Organspende zu steigern, dürfte dies allerdings als die geringere Gefahr im Vergleich zum bloßen Nichthandeln bewertet werden. An einer Übersättigung der Öffentlichkeit scheint zumindest ein anfänglicher Erfolg nicht zu scheitern. b) Die Widerspruchslösung als adäquater Ausweg aus dem Organmangel? Die „Einbußen“ an Autonomie durch die Konfrontation mit dem Thema Organexplantation auf der Spenderseite gehen einem Großteil der Literatur und vielen Vertretern der Ärzteschaft nicht weit genug.1450 Propagiert wird daher vermehrt die Einführung der Widerspruchslösung.1451 Diese verschärft 1447  Näher zur Entwicklung der Dokumentationsrate siehe bei der Betrachtung der ersten Auswirkungen der Gesetzesnovelle, S. 174 ff. 1448  Zur negativen Bewertung des ersten Aufklärungsprozesses vgl. Holznagel, DVBl 2001, S. 1629, 1632, Krüger, in: Charbonnier / Laube (Hrsg.), Organ- und Gewebetransplantation, S. 13, 21; Kühn, MedR 1998, S. 455, 459 f. 1449  Zu einer negativen Einschätzung kommen Dannecker / Streng / Ganten, in: Schmitz-Luhn / Bohmeier (Hrsg.), Priorisierung in der Medizin, S. 147. 1450  Neft, MedR 2013, S. 82, 84 spricht etwa vom Verpassen eines „großen Wurfs“ durch die Einführung der Entscheidungslösung. 1451  Gefordert wird vielfach die Einführung der engen Widerspruchslösung, siehe Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 63 f.; Gutmann, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 17, 35 f.; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 320 ff.; mit dieser Konsequenz auch Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel, S. 219 f., 232; Hirsch / Schmidt-Didczuhn, Transplantation und Sektion, S. 63.



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den Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der potentiellen Spender, indem sie eine Organentnahme bei fehlendem Widerspruch grundsätzlich erlaubt. Dieses Framing käme dem Ziel des Gesetzgebers, mehr Organe zu akquirieren, gefälliger entgegen als die aktuelle Lösung. Eine Steigerung der Spenderzahlen im Vergleich zur alten Rechtslage, aber auch gegenüber der Entscheidungslösung, wird von ihren Befürwortern als höchstwahrscheinlich, wenn nicht sogar als zweifelsfrei erwiesen, angesehen.1452 Angeführt wird vor allem, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen, die für die Verwirklichung der Selbstbestimmung des Einzelnen gesetzt werden, die Spendebereitschaft erheblich beeinflussen würden.1453 In der Tat zeigt die recht dürftige Anzahl der Widersprüche in den Nachbarländern, die das Widerspruchsmodell gesetzlich verankert haben, dass zumindest das Organspendepotential bei konsequenter Anwendung des Regelungsmodells steigen würde.1454 Insofern ist die Frage nach einer Vorbildfunktion der Länder mit Widerspruchslösung durchaus legitim (aa)). Umgekehrt müssen allerdings gleichsam Schwierigkeiten bei der politischen Durchsetzbarkeit eines solch eingriffsintensiven Regelungsmodells hinterfragt werden (bb)); ebenso wie die These einer enormen Steigerung der Organspenderrate kritisch beleuchtet werden muss (cc)).

Für ihre erweiterte Variante der Nationale Ethikrat, Die Zahl der Organspenden erhöhen, S. 53 in Kombination mit einer vorhergehenden Information und Erklärungsaufforderung; Kreß, in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 281, 293; Neft, MedR 2013, S. 82, 84; Rosenau, in: Lilie / Rosenau / Hakeri (Hrsg.), Die Organtransplantation, S. 72; Schroth, NStZ 2013, S. 437 f.; Vogel, NJW 1980, S. 625, 628. 1452  Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel, S. 114; Gutmann, Für ein neues Transplantationsgesetz, S. 156; Martorell, in: Lilie / Rosenau / Hakeri (Hrsg.), Die Organtransplantation, S. 11, 13; Rosenau, in: Lilie / Rosenau / Hakeri (Hrsg.), Die Organtransplantation, S. 61, 72; Quante, DZPhil 60 (2013), S. 432. 1453  Schroth, NStZ 2013, S. 437 führt als Beleg für diese These den sog. FramingEffekt der verhaltensökonomischen Forschung an. Hiernach kommt es für eine Präferenzbildung und Auswahlentscheidung innerhalb einer Konfliktlage stark auf den Darstellungsrahmen eines Problems an. Bei der Widerspruchslösung steht der Staat der Organspende bereits positiv gegenüber und kann die Entscheidung des Einzelnen so in die „richtige Richtung“ anstoßen. 1454  In Österreich haben z. B. nur ca. 1 ‰ der Bevölkerung einen Widerspruch eintragen lassen (Stand 2006), Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel, S. 115; in Belgien auch nur ca. 1 % der Bevölkerung (Stand 2011), Martorell, in: Lilie / Rosenau / Hakeri (Hrsg.), Die Organtransplantation, S. 11, 49. Eine andere Einschätzung findet sich aber bei Lilie, in: Lilie / Rosenau / Hakeri (Hrsg.), Die Organtransplantation, S. 55, 58, der aufgrund einer Befragung davon ausgeht, dass die Widerspruchslösung zu einem Rückgang der Organspende führen würde; so auch Gosling, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplanta­ tionsrechts, S. 39.

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aa) Die Widerspruchslösung als Vorbildmodell für Deutschland? Wie bereits dargelegt, kann die bloße Akquise von Organen nicht das Maß der Dinge im Transplantationsprozess sein. Oberste Priorität muss einem gerechten Ausgleich von Spender- und Empfängerinteressen eingeräumt werden. In diesem Dualismus verschiebt die Widerspruchslösung die Gewichtung im Vergleich zur Zustimmungs- oder Entscheidungslösung mehr auf die Seite der Empfängerbedürftigkeit. Sie ist in Deutschland bisher vermehrt auf Skepsis gestoßen, auch innerhalb der Ärzteschaft. Erst 2010 sprach sich der Deutsche Ärztetag für die Widerspruchslösung aus.1455 Zuvor war sein Beschluss von 2007 noch zurückhaltend und beinhaltete einen Prüfauftrag an die Bundesärztekammer, ob die Änderung des Regelungsmodells tatsächlich Vorteile brächte.1456 Inzwischen ist der Deutsche Ärztetag von seiner Favorisierung der Widerspruchsvariante wieder abgerückt und propagierte zuletzt das Modell einer Selbstbestimmungslösung mit Information und Erklärungspflicht. Dadurch sollen die positiven Aspekte der Zustimmungs- und Widerspruchslösung vereint werden.1457 Der Nationale Ethikrat hatte sich bereits im Jahre 2007 für ein Zweistufenmodell ausgesprochen, das nach einer umfassenden Aufklärungsaktion die gesetzliche Festschreibung der Widerspruchslösung vorsah.1458 Da auch die Widerspruchsvariante die verfassungsmäßig verbürgten Spenderinteressen nicht verletzt, darf ihre Einführung keinesfalls von vornherein zurückgewiesen werden. Ihre Verankerung im Transplantationsgesetz muss aber strengen Voraussetzungen unterliegen. Wie der Ethikrat betont, ist eine solche ohne umfassende Informationsaktion nicht denkbar. Dass momentane Kampagnen jedoch einer ausgewogenen Aufklärung nicht entsprechen, wurde bereits dargelegt.1459 Verpflichtend muss ferner die Erstellung eines verlässlichen und datenschutzrechtlich einwandfrei gestalteten Registers sein, in dem Widersprüche unkompliziert jederzeit eingetragen und gelöscht werden 1455  Beschlussprotokoll

des 113. Deutschen Ärztetags, S. 105 f. des 110. Deutschen Ärztetags, S. 10 f., 15. 1457  Beschlussprotokoll des 114. Deutschen Ärztetags, S. 2, in dem festgehalten wird, dass die Information der Bürger intensiviert und institutionalisiert werden sollte, sodass sich diese möglichst im Sinne einer Zustimmungslösung erklären. Liegt keine Erklärung vor, könnten dem Verstorbenen, unter Ermittlung seines mutmaßlichen Willens, Organe entnommen werden. Im Oktober 2011 stellte die Bundesärztekammer daraufhin das Modell einer „Selbstbestimmungslösung zur Einwilligung in die Organ- und Gewebespende“ vor, abrufbar unter: http: /  / www.bundesaerztekammer. de / fileadmin / user_upload / downloads / BAeK-Modell_SB-Organspende_11102011. pdf (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 1458  Vgl. zum Zwei-Stufen-Modell den Vorschlag des Nationalen Ethikrats, Die Zahl der Organspenden erhöhen, S. 33 ff. 1459  Zur unbefriedigenden Aufklärungssituation siehe S. 500. 1456  Beschlussprotokoll



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können.1460 Nur durch diesen organisatorischen Überbau wird eine sichere Ermittlung des Spenderwillens sowie die flexible Handhabung einer Entscheidungsänderung zu Lebzeiten gewährleistet. Die vorgesehene Erstellung der Datenbank nach § 2 Abs. 3 S. 1 TPG steht allerdings noch aus. Aufgrund der Konkurrenz der Spendererklärung mit der Patientenverfügung wird naheliegend vorgeschlagen, das Zentrale Vorsorgeregister bei der Bundesnotarkammer nach § 78 Abs. 2 Nr. 1 BnotO i. V. m. der VRegV entsprechend zu erweitern.1461 Würde ein Widerspruchsrecht der Angehörigen implementiert, müsste zudem die Verfahrensweise einer Kontaktaufnahme und Entscheidungsfindung hinreichend gesetzlich fixiert werden.1462 Ohne die beiden Grundvoraussetzungen einer adäquaten Aufklärung sowie der Einrichtung eines Organspenderregisters kann die Einführung der Widerspruchslösung in Deutschland nicht ernsthaft diskutiert werden. Ein gerechter Interessenausgleich wird nach heutigem Stand der Dinge nicht erreicht. Insofern erscheint auch das Postulat einer sich aus den Grundrechten ergebenen Verpflichtung zur alsbaldigen Einführung der Widerspruchslösung1463 als fernliegender verfassungsrechtlicher Populismus. bb) Die rechtspolitische Durchsetzbarkeit der Widerspruchsvariante Neben der Tatsache, dass die gesetzliche Festschreibung des Widerspruchsmodells nach den heute vorliegenden Realitäten keinesfalls erstrebenswert wäre, muss auch dessen rechtspolitische Durchsetzbarkeit zum jetzigen Zeitpunkt kritisch betrachtet werden. Schon bei Entstehung des Transplantationsgesetzes war die Widerspruchslösung nicht konsensfähig.1464 Daran hat sich 1460  Die Forderung nach einem Register besteht schon seit Verabschiedung des Transplantationsgesetzes, siehe Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel, S. 80; Rixen, NJW 1999, S. 3389; Schmidt-Didczuhn, ZRP 1991, S. 264, 268; Seewald, VerwArch 88 (1997), S. 199, 226; kritisch zur Einrichtung eines Registers aber Taupitz, JuS 1997, S. 203, 204. 1461  Middel / Scholz, in: Spickhoff (Hrsg.), TPG, § 2 Rn. 5. 1462  In diesem Zusammenhang verurteile der Europäische Grichtshof für Menschenrechte Lettland im Jahr 2014 zur Zahlung von Schadensersatz an eine Angehörige wegen Verletzung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 der Europäsischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte), Urt. v. 24.06.2014, Bsw.  4605 / 05. Das lettische Gesetz sehe zwar ein Widerspruchsrecht der Angehörigen vor, ließe jedoch völlig unklar, inwieweit eine Kontaktaufnahme durch die Kliniken erfolgen müsse und verhindere dadurch die adäquate Wahrnehmung des eingeräumten Rechts. 1463  So Spilker, ZRP 2014 S. 112, 115. 1464  Der Gesetzgeber sah damals eine unverhältnismäßige Beschränkung des Selbstbestimmungsrechts in einem Modell, bei dessen Anwendung sich aktiv gegen

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im Reformverfahren nichts geändert.1465 Maßgeblich ist dieser Befund auf die anhaltende Skepsis in der Bevölkerung zurückzuführen, die zwar Großteils gegenüber einer Spende positiv eingestellt ist, jedoch den Rahmenbedingungen, insbesondere dem komplizierten Verteilungsprozess, eher misstrauisch begegnet.1466 Die Einführung einer Widerspruchslösung befürworten die Wenigsten.1467 Der Gesetzgeber hütet sich, in einem sensiblen bioethischen Bereich bedeutsame Regelungen gegen die öffentliche Stimmung durchzusetzen. Eine Abwehrreaktion der Bevölkerung würde sein Ziel, die Bereitschaft zur Organspende zu fördern, torpedieren. Ob mit einer solchen Antwort wirklich zu rechnen ist, mag fraglich sein. Eine Umfrage legt einen Rückgang der Spendebereitschaft nahe.1468 Vergleichende Blicke ins benachbarte Ausland lassen eher das Gegenteil vermuten.1469 Gleichwohl muss an die Proteste aus Rheinland-Pfalz erinnert werden, als ein Gesetzesvorhaben eine Organentnahme gewehrt werden müsse und eine Spendebereitschaft angeblich unterstellt würde, BT-Drs. 13 / 4355, S. 13. 1465  Siehe dazu die einhellige Ablehnung der Widerspruchslösung durch die Abgeordneten des Deutschen Bundestags, BT-Drs. 17 / 182 oder die Stellungnahme der ehemaligen Gesundheitsministerin Nordrhein-Westfalens, Barbara Steffens, ZRP 2011, S. 255; eine allgemeine Akzeptanz der Widerspruchslösung hat auch die Bundesregierung in ihrem Bericht im Jahre 2009 nicht gesehen, BT-Drs. 16 / 13740 S. 3; sogar der Präsident der BÄK, Frank Ulrich Montgomery, räumt ein, dass eine Widerspruchslösung in Deutschland rechtspolitisch nicht umsetzbar wäre, siehe das Statement zur Novelle des Transplantationsgesetzes aus Sicht der Bundesärztekammer, S. 23. 1466  Das Bundesärzteblatt berichtete am 26.07.2013, dass nur noch etwa ein Drittel der Bevölkerung Vertrauen in das Organspendesystem hätte, während die anderen nach den Transplantationsskandalen nicht mehr sicher seien, ob alles mit rechten Dingen zugehe. Bericht abrufbar unter: http: /  / www.aerzteblatt.de / nachrichten / 55302 / Umfrage-Nur-knapp-jeder-Dritte-hat-Vertrauen-in-Organspende-System (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). Dabei stützte sich das Deutsche Ärzteblatt auf eine Umfrage der Leipziger Volkszeitung. 1467  Nach einer repräsentativen Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach, Allensbacher Archiv, IfD-Umfrage 7057 von Juni 2004, favorisierten nur 34 % der Deutschen das österreichische Modell der Widerspruchslösung, während 46 % die deutsche Regelung bevorzugten. Die Ablehnungshaltung beweist auch die Reaktion der Öffentlichkeit auf das Stufenmodell des Nationalen Ethikrats, vgl. SZ v. 25.04.2007, S. 5; Kritik zudem bei Lilie, in: Jung / Luxenburger / Wahle (Hrsg.), FS E.  Müller, S.  395, 402 ff. 1468  Lilie, in: Lilie / Rosenau / Hakeri, (Hrsg.) Die Organtransplantation, S. 55, 58; die Gefahr vermehrter aus Vorsicht erfolgender Widersprucheintragungen sieht auch Krüger, in: Charbonnier / Laube (Hrsg.), Organ- und Gewebetransplantation, S. 13, 22. 1469  Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel, S. 114; Quante, DZPhil 60 (2013), S. 433; Wille, Die Organknappheit im Spannungsverhältnis zwischen Sozialpflicht und Selbstbestimmung, S. 93. Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel, S. 177 gehen insgesamt davon aus, dass die Widerspruchslösung, obwohl nicht im Einklang mit den intuitiven Urteilen der Mehrheit, von dieser aber „durchgelassen“ würde.



IV. Rechtspolitische Gestaltungsmöglichkeiten519

die Widerspruchslösung favorisierte.1470 Die Schlagkraft der Einführung dieses Regelungsmodells darf gerade vor dem Hintergrund der Transplantationsskandale nicht unterschätzt werden.1471 Das Thema Organspende hat in der öffentlichen Meinung seit Bekanntwerden der Unregelmäßigkeiten im Allokationsverfahren stark gelitten. Die gesetzliche Verankerung der Widerspruchsvariante zu einem Zeitpunkt, an dem die Transplantationsmedizin erst wieder um neues Vertrauen werben muss, dürfte ein falsches gesetzgeberisches Signal sein. Das gilt unabhängig davon, dass die Missstände die Organverteilung, nicht aber die Organgewinnung betrafen. Es kann nicht erwartet werden, dass die Öffentlichkeit das Verfahren in die exakten Transplantationsschritte unterteilt. Bei der Festschreibung einer Notwendigkeit zum Widerspruch könnte sich die Bevölkerung von Politik und Medizin um ihre Integrität betrogen fühlen. Eine mediale Aufladung der fiktiven Gesetzesverabschiedung würde die Gefahr bergen, dass die Einführung der Widerspruchslösung als Versuch wahrgenommen würde, die Trägheit des Einzelnen auszunutzen. Es könnte das Flair einer „Transplantationsmedizin auf Kosten der Bequemlichen“ vermittelt werden.1472 Dass eine vergleichbare mediale Darstellung nicht unrealistisch ist, belegt die bekannte Presse zu Hirntododer Manipulationsskandalen. In Anbetracht dieser Ausgangslage erweist sich die rechtspolitische Durchsetzbarkeit der Widerspruchslösung in Deutschland zum jetzigen Zeitpunkt als sehr zweifelhaft. cc) Die Erhöhung der Organspenderzahlen durch das Widerspruchsmodell Fraglich sind des Weiteren die tatsächlichen praktischen Auswirkungen der Einführung einer Widerspruchslösung. Es darf keinesfalls verdrängt werden, dass der Erfolg der Organspende nicht nur vom jeweiligen Regelungsmodell abhängt, sondern sich aus der Gesamtheit der vorgefundenen Rahmenbedingungen ergibt.1473 Wird auf die Erfolge aus Spanien verwiesen, ist klar, dass 1470  Zum Proteststurm gegen das Gesetzesvorhaben vgl. Laufs, NJW 1995, S. 2398. 1471  Auch Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel, S. 115, 116 weisen auf die Gefahr einer Ablehnung durch die Bevölkerung hin. 1472  Gosling, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 39 spricht davon, dass sich der Bürger übers Ohr gehauen fühlen könnte; eine destruktive Zwangsempfindung befürchtet auch Bublak, ÄrzteZeitung 115 (2015), S. 2. 1473  Lilie, in: Lilie / Rosenau / Hakeri, (Hrsg.), Die Organtransplantation, S. 55, 56 verweist auch auf die einschlägigen Erfahrungen, die die zwingende Kausalität von Regelungsgrundlage und Zahl der Spenden widerlegen, wozu er auf die regional unterschiedlichen Organspenderraten aufmerksam macht. Auch für Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 318 greift die

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die hohe Spenderquote nicht ausschließlich auf die Wirkungen des Widerspruchsmodells zurückgeführt werden kann. Wesentliche Grundlagen des spanischen Transplantationswesens sind umfassende Good-Practice-Guide­ lines, administrative Arbeiten von Transplantationskoordinatoren, hervorragend ausgebildetes medizinisches Personal und eine adäquate Aufwands­ erstattung der Krankenhäuser.1474 Dass weniger das Regelungsmodell, als die Organisa­ tionsmaßnahmen den „Spanischen Höhenflug“ verursacht haben, belegt die Beobachtung der Spenderquote, die nicht bei der Einführung der Widerspruchslösung im Jahre 1979 signifikant anstieg, sondern erst mit der Gründung der Nationalen Organisation für Organtransplantation im Jahre 1990 stark zunahm.1475 Erwiesen ist auch, dass Bremen,1476 MecklenburgVorpommern1477 und Hamburg,1478 trotz der Geltung der erweiterten Zustimmungslösung, aufgrund von hervorragender Organisation und Engagements vergleichbar hohe Spenderzahlen erreichen konnten. Ähnliches gilt für Norwegen.1479 Ohnehin wird die Widerspruchslösung in Spanien bei der praktischen Durchführung einer Spende nicht angewandt. De facto findet keine Organentnahme ohne Zustimmung der Angehörigen statt.1480 Das gleiche gilt für andere Länder wie Frankreich und Österreich, trotz der dort normierten engen Widerspruchsvariante.1481 Folglich gleichen die Realitäten der damalischlichte Gleichsetzung von Einführung der Widerspruchslösung und Erhöhung der Organspenderzahlen zu kurz. Genauso Kirste, in: Becchi / Bondolfi / Kostka u. a. (Hrsg.), Organallokation, S. 91. Skeptisch auch Krüger, in: Charbonnier / Laube (Hrsg.), Organ- und Gewebetransplantation, S. 13, 22 f.; Resch, Die empfängergerichtete Organspende, S. 50 f. 1474  Vgl. zum spanischen Modell Blum, Inhousekoordination bei Organspenden, S. 110. 1475  Vgl. Bublak, ÄrzteZeitung 115 (2015), S. 2. 1476  Bremen erreichte im Jahre 2008 insgesamt 28,7 Spender pro mio. Einwohner, siehe DSO, Jahresbericht 2008, S. 20. 1477  Mecklenburg-Vorpommern erreiche im Jahre 2010 insgesamt 23,1 Spender pro mio. Einwohner, siehe DSO, Jahresbericht 2010, S. 21; vgl. auch Bender, GPK 12 / 2011, S. 11, 12. 1478  Hamburg erreichte im Jahre 2010 insgesamt 34, 3 Spender pro mio. Einwohner, siehe DSO, Jahresbericht 2010, S. 21. 1479  Lotter, GPK 7 / 2011, S. 7, 8. 1480  Martorell, in: Lilie / Rosenau / Hakeri (Hrsg.), Die Organtransplantation, S. 11, 43 ff., die als Begründung die Vermeidung einer Rufschädigung der Organspende anführt; Nationaler Ethikrat, Die Zahl der Organspenden erhöhen, S. 30; daher auch skeptisch bzgl. der Steigerung der Organspenden durch die Widerspruchslösung Boltz, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 29, 32 f. Damit zerschlägt sich auch die Hoffnung, durch die Einführung der Widerspruchslösung die Angehörigen in der Praxis von der Entscheidungsfindung entlasten zu können, siehe Bender, GPK 12 / 2011, S. 11, 12. 1481  Vgl. Becker, Die Herausforderung annehmen, S. 69; Kopetzki, in: Kröll /  Schaupp (Hrsg.), Hirntod und Organtransplantation, S. 35, 41 f.; Martorell, in: Lilie / 



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gen und – vom Vorschaltmodell der Entscheidungsaufforderung einmal abgesehen – der heutigen Rechtslage in Deutschland. Außerdem fällt auf, dass die Spenderraten unter den Ländern mit einer gesetzlich verankerten Widerspruchslösung stark variieren.1482 In sechs der acht Mitgliedsländer von ­Eurotransplant wurde gesetzlich eine Widerspruchslösung verankert. Jedoch reichen nur die Zahlen Kroatiens an jene Spaniens heran, während etwa ­Ungarn trotz Widerspruchslösung bei den Spenderzahlen nur auf das Niveau von Deutschland und den Niederlanden gelangt, wo die Entscheidungs- bzw. Zustimmungslösung gilt.1483 Eine mangelnde Monokausalität zeigt sich zudem daran, dass die Organspenderrate in Österreich nach der Einführung der Widerspruchslösung im Jahr 1982 in einem überprüften Transplantationszentrum zwar gestiegen war, einen wesentlich deutlicheren Sprung nach oben machten die Spenderzahlen jedoch bei der Einführung eines hauptamtlichen Transplantationskoordinators.1484 Diese Umstände verdeutlichen, dass das Wohl und Wehe der Transplantationsmedizin nicht ausschließlich am Regelungsmodell hängt, sondern darüber hinaus noch intensiver mit der Organisation der Entnahmekrankenhäuser verzahnt ist.1485 Allerdings könnte sich die Widerspruchslösung als sinnvoller Rahmen für die Organisation in den Kliniken erweisen. Bei der Frage, ob ein Spendeprozess eingeleitet wird, mag ihr ein größeres Motivationspotential innewohnen, da der zuständige Arzt zunächst jeden als potentiellen Spender begreifen könnte.1486 Tatsächlich hat das Projekt der Inhousekoordination in 112 Kliniken aufgezeigt, dass fehlende Zustimmungen die Aufnahme von SpendeproRosenau / Hakeri (Hrsg.), Die Organtransplantation, S. 11, 50; Nationaler Ethikrat, Die Zahl der Organspenden erhöhen, S. 30. Eine nur inkonsequente Umsetzung der engen Widerspruchslösung findet sich z. B. zudem in Tschechien, wo eine Organentnahme ebenfalls nicht bei Widerspruch der Angehörigen stattfindet, siehe Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 316. 1482  So angemerkt schon von Terpe, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 59. Slowenien lag im Jahre 2011 trotz seiner Widerspruchslösung mit 15,5 Spendern pro Mio. Einwohnern nur marginal über dem deutschen Schnitt (14, 7 Spender), siehe DSO, Jahresbericht 2012, S. 24. 1483  Vgl. Bublak, ÄrzteZeitung 115 (2015), S. 2. 1484  Conradi / Deuse / Reichenpurner, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 183, 187. 1485  Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 329 geht sogar davon aus, dass die Einführung der Praxis einer erweiterten Widerspruchslösung keinerlei Auswirkungen haben würde. 1486  Martorell, in: Lilie / Rosenau / Hakeri (Hrsg.), Die Organtransplantation, S. 11, 51 f.; vgl. auch Neft, in: Charbonnier / Laube (Hrsg.), Organ- und Gewebetransplantation, S. 83, 90, der auf die Reduzierung der psychologischen Belastung eines Arztes beim Angehörigengespräch abstellen will.

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zessen hemmen können.1487 Inwiefern sich die Gesetzeslage flächendeckend auf das Handeln eines Arztes im Meldekrankenhaus auswirken würde, ist empirisch bisher nicht ermittelt; eine Untersuchung jedoch empfehlenswert. Freilich ist ein gewisses Agens der Widerspruchslösung bereits ohne nähere Studien anzuerkennen; die Erwartung sprunghafter Anstiege der Spenderzahlen muss gleichwohl gedämpft werden. In Deutschland wird ein vorausschauender Umgang mit möglichen Spendern, etwa durch eine frühzeitige präfinale Spenderkonditionierung, als routinemäßige Behandlung eines Pa­ tienten mit bald zu erwartendem Hirntod angesehen.1488 Inwiefern die Widerspruchslösung eine – nicht erwiesenermaßen bestehende – Zurückhaltung in manchen Kliniken auflösen könnte, ist nur auf sicherer Tatsachengrundlage prognostizierbar, die es zu ermitteln gilt. Ebenso wie bei der Ärzteschaft sind organspendefreundliche Lenkungseffekte bei den Angehörigengesprächen denkbar.1489 Geht man davon aus, dass die Widerspruchslösung nicht zu einem verstärkten Gebrauch eines Widerspruchregisters führt, würde durch die Angehörigengespräche weiterhin die elementare Weichenstellung im Spendeprozess vorgenommen. Werden die entscheidungsberechtigten Hinterbliebenen nicht nach ihrer Zustimmung, sondern nach einer Ablehnung der Spende gefragt, könnte sich durch die gesetzliche Vorentscheidung pro Organspende ein positiveres Framing für die Entscheidung ergeben. Psychologischer Hintergrund ist die natürliche Hemmschwelle des Menschen „aktiv zu werden“ und der Vorzug passiven Verhaltens. Über die tatsächliche Auswirkung dieses Lenkungseffekts im Bereich der Organspende ist jedoch für eine abschließende Beurteilung zu wenig bekannt. An dieser Stelle sei jedoch davor gewarnt, das Ausnutzen menschlicher Zurückhaltung als tragfähiges Argument für eine Widerspruchslösung zu begreifen. „Psychologische Manipulationen“ werden in der Bevölkerung eher auf Skepsis stoßen und das Bild eines willfährigen Transplantationswesens fördern. Sie lenken zudem von einer nicht als bloßen Nebenschauplatz zu begreifenden Kollisionslage ab. Vorderste Zielbestimmung bleibt trotz akuten Organmangels der gerechte Ausgleich zwischen Spenderund Empfängerinteressen, deren Fundament aus einer freien, unabhängigen Entscheidung des Einzelnen für oder gegen die Spende bestehen muss. Diese ist selbstverständlich auch bei Einführung einer Widerspruchslösung noch 1487  Zum Projekt der Inhousekoordination siehe bei den Entnahmekrankenhäusern, S.  105 ff., 544 ff. 1488  Zur präfinalen Spenderkonditionierung siehe S. 480. 1489  Vgl. dazu Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel, S. 114; diese Lenkungseffekte positiv hervorhebend Schroth, MedR 2013, S. 570, 575. Dagegen glaubt Lilie, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 17 nicht, dass durch die Widerspruchslösung die hohe Ablehnungsrate bei Angehörigengesprächen überwunden werden kann.



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möglich, da lediglich der gesetzliche Kontext in eine grundsätzliche Entnahmeerlaubnis gewandelt wird; psychologische Einwirkungen sollten jedoch nicht zu einer maßgeblichen Motivation einer Gesetzesänderung erklärt werden. Ein weiterer neuralgischer Hinderungsgrund einer Organentnahme kann nicht über positive Lenkungseffekte der Ärzteschaft oder der Angehörigen überwunden werden. In Deutschland ist es in den letzten Jahren zu einem Zuwachs an Therapielimitierungen gekommen.1490 Das Vorliegen verbindlicher Patientenverfügungen, die ein palliatives Vorgehen ohne organspendebezogenem Vorbehalt gegenüber einer intensivmedizinischen Therapie priorisieren, bedingt in der Praxis nicht selten einen Verzicht auf Gespräche mit Angehörigen oder Meldungen an die Koordinierungsstelle.1491 An dieser Stelle greifen die Aufklärungsmaßnahmen der Entscheidungslösung. Die vorstehenden Überlegungen lassen bei der Widerspruchsvariante durchaus ein gewisses Potential für eine Steigerung der Organspenderzahlen erkennen. Alleiniger Heilsbringer für die Steigerung der Spenderzahlen wird sie allerdings nicht sein. Ohnehin verbietet sich die Bewertung eines Regelungsmodells allein anhand seines Erfolgs bei der Organakquise; sie hat sich vor allem am Maß der Auflösung grundrechtlicher Konfliktlagen zu orientieren. c) Die Entscheidungslösung als rechtspolitischer Kompromiss Die Verabschiedung der Entscheidungslösung resultierte aus einem fraktionsübergreifend befürworteten Kompromiss zwischen der Zielsetzung, die Organspenderzahlen im Sinne der Empfänger zu erhöhen und gleichzeitig den Spenderinteressen gerecht zu werden. In dieser Konsequenz soll sie einen gesellschaftsfähigen Ausgleich zwischen Verfechtern der Zustimmungsund Widerspruchslösung herbeiführen. Während das Entscheidungsmodell von der Politik vermehrt als großer Erfolg gefeiert wurde,1492 fällt die Resonanz keinesfalls durchweg positiv aus. Von einem Etikettenschwindel durch eine Entscheidungsaufforderung ohne Äußerungsverpflichtung,1493 einem 1490  Zur den Zusammenhängen von Organspende und Patientenverfügung siehe S.  507 ff. 1491  Siehe zum Konflikt mit Patientenverfügungen bereits S. 507 f. 1492  Unterstützung fand die Politik auch bei der BÄK, die die Entscheidungs­ lösung in einer Stellungnahme ausdrücklich begrüßte, abrufbar unter: http: /  / www. bundesaerztekammer.de / downloads / StellBAeK_zu_Gesetzentwurf_TPG_21032012. pdf (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 1493  BR-Drs. 457 / 2 / 11, S. 382.

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mutlosen Vorschlag,1494 einer Mogelpackung1495 oder reiner Symbolpolitik1496 ist die Rede. Auf der anderen Seite wird eine moralische Bedrängung durch die Statuierung einer „ethischen Nötigung“ moniert.1497 Trotz der erheblichen Kritik aus beiden Lagern kann die Entscheidungs­ lösung unter keinen Umständen als bloßer Formelkompromiss desavouiert werden. Sie ist nicht als dilatorische Verlegenheitslösung entstanden, sondern wurde in einem umfassenden parlamentarischen Abwägungsprozess geboren. Dieser hat die konfligierenden Interessen – von handwerklichen Missgeschicken bei der gesetzlichen Verankerung der Informationspflichten abgesehen – in einen angemessenen Ausgleich gebracht und zu einer verantwortbaren, von der Mehrheit getragenen Auflösung des Meinungskonflikts geführt. Die gefundene Neuregelung ist die Abbildung des in Deutschland rechtspolitisch durchsetzbaren Handlungspotentials und zeigt auf, dass sich der Gesetzgeber – im Gegensatz zur freien Wissenschaft – bei der Erarbeitung seiner Konzeptionen an gesellschaftlichen und politischen Realitäten orientieren muss. Dabei mag es verwundern, dass sich bei einer bioethischen Fragestellung so frühzeitig um ein geschlossenes Vorgehen aller Fraktionen bemüht wurde,1498 während aus anderen Debatten des lebenswissenschaftlichen Bereichs das Einbringen mehrerer Gesetzesentwürfe durch verschiedene Abgeordnetengruppierungen bekannt ist.1499 Dieses Vorgehen hat die grundsätzliche politische Auseinandersetzung im Vorfeld jedoch keineswegs blockiert; eine Scheu, innerhalb der zwei Diskussionsjahre differierende Positionen in Grundsatzfragen und Detailregelungen vorzubringen, war nicht auszumachen. Dass die Widerspruchslösung in der Debatte recht zügig ad acta gelegt wurde, liegt weniger an einer erzwungenen Unterdrückung der inhaltlichen Auseinandersetzung, sondern vielmehr daran, dass alle Fraktionen des Bundestages ihre mangelnde rechtspolitische Durchsetzbarkeit entgegen dem Willen der Bevölkerung rasch erkannten. Der gemeinsame Antrag wurde als 1494  Rosenau,

73.

1495  So

in: Lilie / Rosenau / Hakeri (Hrsg.), Die Organtransplantation, S. 61,

der Präsident von Eurotransplant, SZ v. 07.03.2012, S. R 7. in: Haarhoff (Hrsg.), Organversagen, S. 27, 53. 1497  Pressemitteilung der CDL vom 25.05.2012, abrufbar unter: http: /  / www.cdlrlp.de / Pressespiegel / Text / CDL-2012-05-25.html (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 1498  Vgl. den Wunsch des CDU / CSU-Fraktionsvorsitzenden, Volker Kauder, nach einem einvernehmlichen Gesetzesbeschluss ohne konkurrierende Anträge, Presse­ information der CDU / CSU-Bundestagsfraktion vom 11.01.2011, abrufbar unter https: /  / www.cducsu.de / themen / recht / entscheidungsloesung-bei-der-organspende (zuletzt abgerufen am 30.06.2017); vgl. ebenso die Aussage des SPD-Fraktionsvorsitzenden, Frank-Walter Steinmeier, im DÄBl 108 (2011), A-442 zum Verzicht auf Gruppenanträge im Vorfeld der Expertenanhörungen. 1499  Kritisch zu diesem Vorgehen insgesamt Wuttke, in: Haarhoff (Hrsg.), Organversagen, S. 267, 272 ff. 1496  Breyer,



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ein „starkes Signal“ dafür gewertet, dass sich der Bundestag über die Parteigrenzen hinweg für die Organspende einsetzt.1500 Nicht zuletzt versprach man sich daraus die Förderung einer positiven Haltung der Bevölkerung gegenüber einer Spende sowie bestenfalls deren Motivation, diese Geschlossenheit als Anlass für eine ausdrückliche Erklärung zu nehmen. Dass auch der untätige Verbleib bei der bisherigen erweiterten Zustimmungsvariante keine Lösung sein konnte, ergab sich bereits zu Beginn der Debatte aus der Tatsache, dass Deutschland trotz prinzipiell positiver Grundhaltung der Öffentlichkeit sehr mäßige Spenderzahlen aufwies, obwohl der Organbedarf jährlich gestiegen war. Mit Einführung der Entscheidungslösung hat der Gesetzgeber am Ende die vorhandenen Spielräume genutzt. Die Kunst einer modernen Politikkultur macht es aus, Lösungen zwischen zwei sich unversöhnlich gegenüberstehenden Meinungen in Fachkreisen oder Öffentlichkeit zu entwickeln und in rechtlich handhabbare Form zu gießen. Das Parlament ist in einer pluralistischen Demokratie gerade der geeignete Schauplatz für das Streiten unterschiedlicher Anschauungen. Wer ihr Gipfeln in Kompromissentscheidungen missbilligt und diese kategorisch als halbherzige Lösungen ablehnt, verkennt ihren Wert für die Demokratie. Kompromisse sind dieser inhärent. Insofern befindet sich der Gesetzgeber mit der Entscheidungslösung cum grano salis auf einem guten Weg. In der Sache lobenswert ist die Entscheidungsvariante als ein Bemühen der Politik um eine ausdrückliche Äußerung des Einzelnen, denn seine höchstpersönliche Einwilligung verschafft der Organentnahme die größtmögliche Legitimation. Eine zukünftige Bewertung von Seiten der Ärzteschaft und ebenso der Politik wird sich aber maßgeblich an der Statistik der Spenderzahlen orientieren. Eine Widerspruchslösung wird im Fall stagnierender Ergebnisse daher wohl nur mittelfristig von der politischen Agenda verschwinden. Es wurde jedoch bereits betont, dass die Evaluation des Regelungsmodells nicht allein von den Spenderzahlen anhängig gemacht werden darf. Der maßgebliche Erfolg der gesetzlichen Neuregelung muss in der verbesserten Möglichkeit der Entscheidungsfindung und Willensdokumentation, nicht in einer bloßen Erhöhung der ausdrücklichen Zustimmungen, gesehen werden.1501 1500  Vgl. die Rede des ehemaligen Gesundheitsministers, Daniel Bahr, Plenarprotokoll 17 / 182, S. 21688. 1501  Daher verfängt auch die Kritik von Rosenau, in: Lilie / Rosenau / Hakeri (Hrsg.), Die Organtransplantation, S. 61, 73 nicht, der das Modell der Entscheidungsaufforderung mit einem Blick in die USA kritisiert und feststellt, dass dort lediglich 43 % der Führerscheinbesitzer das Kästchen für eine Organspendebereitschaft angekreuzt haben, obwohl die allgemeine Zustimmung bei über 97 % liegt. Eine allgemein

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Die Entscheidung für oder gegen die Organspende kann nur in einem persönlichen Prozess getroffen werden. Der Vorteil der Entscheidungslösung gegenüber der eingriffsintensiven Widerspruchslösung liegt in einer nur marginalen Mehrbelastung des Bürgers im Vergleich zur Vorgängerregelung. Es bleibt in diesem Zusammenhang jedoch zu hoffen, dass das bisher unbefriedigende Niveau der Aufklärungsunterlagen alsbald angehoben wird, um eine freie, informierte Entscheidung des Einzelnen tatsächlich zu ermöglichen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass infolgedessen in Zukunft mehr Organspender als vorher zur Verfügung stehen – oder noch viel wichtiger, viele Entscheidungen in Ausübung des eigenen Selbstbestimmungsrechts dokumentiert werden, unabhängig von einer Bejahung der Spendebereitschaft. d) Ergebnis Bei dem gesetzgeberischen Wunsch zur Verbesserung der Patientenversorgung, die Bereitschaft zur Organspende zu steigern, handelte es sich um ein legitimes Ziel bei der Reform des Transplantationsgesetzes. Allerdings darf diese Zwecksetzung die kollidierenden Rechte auf der Spenderseite nicht verdrängen. Aus der durch die Entscheidungslösung eingeführten, vermehrten Konfrontation des Bürgers mit der Organspende erwächst ein höherer Einwirkungsgrad auf dessen Selbstbestimmung als bisher. Die Realität der Informationspolitik erweist sich durch die noch recht einseitige und oberflächliche Betrachtung der Organspende als mängelbehaftet. So fatalistisch die diagnostizierte Ausweglosigkeit aus dem Organmangel erscheinen mag, sie entbindet nicht von der Pflicht ausreichende Kautelen zugunsten der Selbstbestimmung des Bürgers zu schaffen. Die Unabhängigkeit des Einzelnen wird durch die gesetzliche Regelung sowie die aus ihr resultierende Praxis der Aufklärung zurzeit übermäßig relativiert. Das neue Regelungsmodell wirkt sich ferner auf die Stellung der Angehörigen aus. In Ausübung ihres Entscheidungsrechts könnten sie bei der Interpretation des mutmaßlichen Willens des Verstorbenen eher zu dessen ablehnender Einschätzung gelangen, da sich dieser zu Lebzeiten trotz Konfrontation mit einer postmortalen Spende nicht geäußert hat. Ebenso wird sich mit einer erhöhten Zahl an dokumentierten Zustimmungen zur Organexplantation die Frage nach einem möglichen Konflikt der Erklärung mit einer vorhandenen Patientenverfügung verstärkt stellen. Eine Willensermittlung ist unter Einbeziehung der zuständigen Vertreter und Angehörigen möglich. Der Fokus der Anstrengungen muss allerdings auf einer umfassenpositive Einstellung zur Organspende präjudiziert noch nicht die tatsächliche eigene Spendebereitschaft. Diese muss vielmehr in einem persönlichen Entscheidungsprozess getroffen werden, den der Staat anregen, aber nicht vorwegnehmen kann.



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den Aufklärung der Bevölkerung liegen, um entgegenstehende Erklärungen zu vermeiden. Ob die Entscheidungslösung am Ende tatsächlich zu einer langfristig spürbaren Erhöhung der Dokumentations- oder gar Spenderrate führt, ist nicht sicher prognostizierbar, auch wenn die Zahl der ausgefüllten Ausweise bislang tatsächlich gestiegen ist. Bleibt der Erfolg aus, wird sich die Politik erneut mit der Widerspruchslösung beschäftigen. Ihre Einführung ist zum heutigen Zeitpunkt jedoch abzulehnen. Zwar ist eine Steigerung der Spenderrate durch die Anwendung des Modells durchaus möglich, noch liegen aber nicht die rechtlichen Rahmenbedingungen vor, in die die Widerspruchslösung eingebettet werden müsste. Sie wäre aktuell zudem nur schwer rechtspolitisch durchsetzbar. Die Entscheidungslösung wurde als rechtspolitischer Kompromiss im Konflikt zwischen Empfänger- und Spenderinteressen geboren. Werden die flächendeckenden Informationskampagnen alsbald überarbeitet, erweist sie sich tatsächlich als lohnenswerter Versuch über die Motivation einer selbstbestimmten Entscheidung des Aufklärungsadressaten eine Steigerung der dokumentierten Bereitschaft zur Organspende zu bewirken. 4. Der Rückzug des Staates aus seiner Entscheidungsverantwortung Die Organisationsregeln des Transplantationsgesetzes sind ein parlamentarischer Beweis für die Regelungsverdrossenheit des Staates im Hinblick auf die ethisch aufgeladenen Fragestellungen im Bereich des Transplantationswesens. Nur allzu gern floh sich der Gesetzgeber durch ein „wahres publicprivate-crossover“1502 in die bereits etablierten Strukturen der „regulierten Selbstregulierung“ und überließ die Transplantationsmedizin weitgehend sich selbst. Dabei ist der Ausgleich widerstreitender Interessen jedoch ureigene Aufgabe der Legislative. Die verfassungsrechtliche Analyse der Einbindung privater Akteure hat gezeigt, dass dem Gesetzgeber sowohl bei der Konstruktion als auch den Reformierungen des Transplantationsgesetzes legislatorisches Versagen vorgeworfen werden muss, das die demokratischen und rechtsstaatlichen Strukturen des Gesundheitsrechts einmal mehr gefährdet. Eine derart weitreichende Kompetenzübertragung an nicht ausreichend ­legitimierte Institutionen grenzt an verfassungsrechtlichen Analphabetismus. Eine erneute Reform des Transplantationsgesetzes ist demzufolge unausweichlich. Sie muss den Gesetzgeber zu seiner ihm genuin obliegenden Verantwortung zurückführen, die in der Normierung der wesentlichen Grundsätze zur Lösung von Grundrechtskollisionen liegt. Diese Forderungen stehen 1502  Höfling,

JZ 2007, S. 481, 482.

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in einer Traditionslinie, deren Anfänge bis zur Entstehung des Transplanta­ tionsgesetzes zurückreichen. Die Wissenschaft darf auch heute nicht müde werden, die Politik an ihre Pflichten zu erinnern. In diesem Sinne seien ihr auch an dieser Stelle rechtspolitische Gedankenanstöße mit auf den Weg gegeben. Jene betreffen zunächst die Rolle der Bundesärztekammer im Vorfeld der eigentlichen Organtransplantation (a)), um dann das Verbesserungspotential der in den Prozess der Spende und Transplantation involvierten Institu­ tionen, wie der Entnahmekrankenhäuser (b)), der Transplantationszentren (c)), der Deutsche Stiftung Organtransplantation als Spenderkoordinatorin (d)) und Eurotransplant als Vermittlungsstelle (e)) in den Blick zu nehmen. Hinzu kommt ein Appell an die Politik zur Verbesserung der Organisation des Rechtsschutzes im Transplantationswesen (f)) und eine der Wesentlichkeit der Organverteilung entsprechende gesetzliche Steuerung der Organverteilung (g)). a) Die Einbindung der Bundesärztekammer Im Folgenden soll der konkrete Reformbedarf bezüglich der Richtlinientätigkeit der Bundesärztekammer im Bereich der Transplantationsmedizin aufgezeigt werden, indem auf die auch nach den Reformen (bb)) noch spürbaren Versäumnisse des Gesetzgebers (aa)) sowie den notwendigen Nachholbedarf eingegangen wird (cc)). Am Schluss steht ein Vorschlag für eine Neunormierung der einschlägigen Regelungen in § 16 TPG (dd). aa) Die freiwillige Selbstentmachtung des Gesetzgebers Angesichts der Modernität der bioethischen Herausforderung erweist sich die Beteiligung von Sachverständigen sowohl auf gesetzlicher als auch untergesetzlicher Ebene als unerlässlich.1503 Dennoch muss der Gesetzgeber die wesentlichen Entscheidungen im grundrechtlichen Bereich selbst treffen sowie die grundlegenden Weichen für die Heranziehung von außenstehendem Sachverstand stellen. Vor diesem Hintergrund ist die Art und Weise der Einbeziehung von Entscheidungen der Bundesärztekammer über die Richtlinien derzeit verfassungswidrig.1504 Die Tatsache, dass sich die „politische Out-

1503  Allgemein zur Einbeziehung ethischer Fachgremien siehe bereits S. 187  ff. Ausführlich zu den Problemen von medizinethischen Gremien siehe Ammann, Medizinethik und medizinethische Expertengremien im Licht des öffentlichen Rechts, insbes. S.  319 ff. 1504  Zur verfassungsrechtlichen Bewertung der demokratischen Legitimation der Richtlinientätigkeit der Bundesärztekammer siehe S. 359 ff.



IV. Rechtspolitische Gestaltungsmöglichkeiten529

sourcing-Praxis“1505 dennoch weit über ein Jahrzehnt hat halten können, verdeutlicht eine gefährliche Entwicklung des Politikgeschäfts zur Regelungsverdrossenheit. Dass das Institut der Selbstverwaltung nicht dafür herhalten kann, zwischen grundrechtlich gewichtigen gegenläufigen Interessen einen Ausgleich herzustellen, den sich der Gesetzgeber nicht zutraut, wird nicht nur im Transplantationswesen auf weiter Flur kritisiert. Eine ähnliche Ausgangslage findet sich etwa bei dem Gemeinsamen Bundesauschuss als oberstem Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen in Deutschland.1506 Diese Realitäten offenbaren die Abhängigkeit moderner staatlicher Tätigkeit von externer Expertise als einem verfassungsrechtlich tiefgreifenden Problem. Während die demokratische Legitimation von so manchem Sachverständigengremium der Wissenschaft Kopfschmerzen bereitet, mag es aus rechtsstaatlichen Effektivitäts- und Sachgerechtigkeitsgeboten sogar höchst wünschenswert erscheinen, gesellschaftliche Referenzen mit in wesentliche Entscheidungsfindungen einzubeziehen.1507 Es wäre realitätsfern zu behaupten, das Parlament könnte das einzig richtige Gremium für Grundsatzdebatten sein. Der faktische Einfluss von Experten befördert allerdings Diskussionen um ein politisches System, dessen Entscheidungen von einer „Vierten Gewalt“1508 diktiert werden und einer Technokratie oder „Sachverständigendemokratie“1509 Vorschub leisten. Gefürchtet wird, dass „Diskussions- und Entscheidungsstrukturen der rechtsstaatlich-freiheitlichen Demokratie in immer massiverer Weise unterlaufen werden und einem Regime Platz zu machen drohen, das, undurchsichtig und fern der Öffentlichkeit, als Marktkartell der politischen und gesellschaftlichen Eliten fungiert […].“1510 Es wird eine Verlagerung staatlicher Entschlussfindung in para­

1505  Vgl. Ammann, Medizinethik und medizinethische Expertengremien im Licht des öffentlichen Rechts, S. 340, der mit dem Terminus „politische Outsourcing-Praktiken“ auch vor der Gefährdung demokratiestaatlicher Strukturen durch reine Beratungsgremien warnt. 1506  Die verfassungsrechtliche Legitimation des GBA wurde immer wieder in Frage gestellt; vgl. zur Legitimationsfrage etwa Holzner, SGb 2015, 247 ff.; Kingreen, NZS 2007, 113 ff.; Seeringer, Der gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, S.  149 ff.; Vießmann, Die demokratische Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Entscheidungen nach § 135 Abs. 1 S. 1 SGB V, S. 127 ff. 1507  Vgl. dazu schon die Ausführungen zu den Herausforderungen der Rechtspolitik im Angesicht von Politikberatung, S. 190 ff.; vgl. insbesondere Vierhaus, NVwZ 1993, S. 36, 37; ebenso Freitag, Das Beleihungsverhältnis, S. 80. Näher zur Einbeziehung externen Sachverstands auch Di Fabio, VerwArch 81 (1990), S. 193, 210 ff. 1508  Vierhaus, NVwZ 1993, S. 36, 37. 1509  Vierhaus, ZRP 1991, S. 468, 470. 1510  Rupp, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. II, § 31 Rn. 55.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

konstitutionelle Gremien als eine krisenhafte Entparlamentarisierung kritisiert.1511 Die Ausgliederung von unangenehmen, öffentlichkeitswirksamen Fragestellungen ethischer Natur durch freiwilligen Regelungsverzicht des Parlaments ist realpolitisch nicht selten verlockend. In der Transplantations­medizin betreffen sie insbesondere die Allokationsbestimmungen von der Aufnahme in die Warteliste bis zur konkreten Organzuteilung, durch die zwangsläufig Versorgungslücken entstehen. Rationierungsentscheidungen sind unpopulär. Dem Gesetzgeber ist es insofern gar nicht so unlieb, sich in legislatorische Lethargie zu flüchten.1512 Vor dem Hintergrund der Gefahr einer vollständigen Bevormundung der Politik von Seiten wissenschaftlicher oder praktischer Beratung liegt es auf der Hand, dass die Einbindung von Sachverständigen in politische Entscheidungen mit strengen verfassungsrechtlichen Auflagen verbunden werden muss. Vice versa verbietet sich eine grundsätzliche Verteufelung von externen Beratungs- und Entscheidungsgremien. Vielmehr sind diese als politische Realität anzuerkennen und in rechtskonformer Weise in den gesetzgeberischen Alltag einzubinden, ohne dass eine Surrogation oder sichere Antizipation legislativer oder exekutivischer Entscheidungen stattfindet. Die Einbeziehung der Expertise Privater in staatliche Entscheidungsprozesse ist nicht als Fremdkörper, sondern Nutzbarmachen gesellschaftlichen Sachverstands zu begreifen.1513 Dennoch darf nicht in Vergessenheit geraten, dass einem Parlamentarier seine „hinreichende Sachkunde und seine Unbefangenheit in Verantwortung für das gesamte deutsche Volk durch seine Wahl bestätigt […] [wurde].“1514 Er ist der demokratisch legitimierte Entscheidungsverantwortliche für wesentliche Grundrechtsfragen. Die Lösung des Dilemmas zwischen erhöhtem Sachverstand und ausreichender Rückbindung an das Volk liegt im Ausgleich zwischen der rechtsstaatlich gebotenen sachgerechten Entscheidung einerseits und dem erforderlichen Maß an demokratischer Legitimation andererseits.1515 Sachverstand kann sich das Parlament aber 1511  Vgl. P. Kirchhof, NJW 2001, S. 1332 ff.; Klein, Gesetzgebung ohne Parlament?, S.  6 f.; Papier, FAZ v. 31.01.2003, S. 8. 1512  Zur Regelungsverdrossenheit der Politik vgl. Gutmann, in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin, S. 113, 117, der von einem „Entsorgungsmechanismus“ der Entscheidung durch eine Umetikettierung der Rationierung und Zuteilung in „medizinische“ Fragen spricht. 1513  Ähnlich Schmidt-Aßmann, in: Kern / Wadle / Schroeder u. a. (Hrsg.), FS Laufs, S. 1049, 1053; siehe zur Politikberatung bereits die Erörterungen zur Einbeziehung der Ethik in Recht und Rechtspolitik S. 180 ff. 1514  P. Kirchhof, NJW 2001, S. 1332, 1333. 1515  In diese Richtung schon Krüger, Die Vermittlungstätigkeit Eurotransplants im Sinne des § 12 TPG, S. 307 in Bezug auf die mangelhafte gesetzliche Steuerung der



IV. Rechtspolitische Gestaltungsmöglichkeiten531

auch außerhalb der Entscheidungsverlagerung auf externe Gremien, etwa durch die Spezialisierung in Parlamentsausschüssen oder Expertenanhörungen, beschaffen.1516 Nachdem der Gesetzgeber die wesentlichen Dezisionen selbst vorgenommen hat, ist es ihm jedoch gleichsam freigestellt, externe Gremien mit weiterführenden Konkretisierungen zu beauftragen. Mangels direkter demokratischer Verantwortung der Experten gewinnt hier die rechtliche Ausgestaltung ihrer Arbeitsweise eine besondere Bedeutung.1517 Es sei im Ergebnis dementsprechend nicht bestritten, dass sich der Gesetzgeber der Kompetenz der Bundesärztekammer bedienen darf, solange grundlegende Wertentscheidungen zur Entlastung der Politik nicht an Sachverständige abgegeben werden und der Entscheidungsträger das letzte Glied einer vom Volk ausgehenden ununterbrochenen Legitimationskette darstellt.1518 Würde dem Richtlinienerlass eine solche demokratische Dignität eingeräumt, wäre ein signifikantes Regelungsdefizit in der Transplantationsmedizin beseitigt. Erreicht würde dies durch eine neue, transparente Organisation des Entscheidungsprozesses. Es bedarf auf personell-organisatorischer Ebene zunächst eines im Transplantationsgesetz geregelten Besetzungsverfahrens der für die Richtlinien zuständigen Arbeitsgruppe, genauso wie verbindliche Vorgaben zur Annahme eines Richtlinienvorschlags durch das Gremium. In sachlich-inhaltlicher Hinsicht müsste nach einer Vorsteuerung wesentlicher Regelungsentscheidungen sodann für eine ausreichende Kontrolle der Konkretisierungen gesorgt werden.

Organvermittlung; grundlegend zur Einbeziehung von Sachkompetenz in die demokratisch legitimierte Entscheidungskompetenz Habermas, Technik und Wissenschaft als „Ideologie“. 1516  P. Kirchhof, NJW 2001, S. 1332, 1333; siehe auch Schulze-Fielitz, JZ 2004, S.  862, 867 f. 1517  Vgl. Vierhaus, NVwZ 1993, S. 36, 37; Voßkuhle, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd.  III, §  43 Rn.  60, 66; siehe auch Schmidt-Aßmann, in: Kern / Wadle / Schroeder u. a. (Hrsg.), FS Laufs, S. 1049, 1053 f., der es in diesen Fällen als vorrangige Aufgabe des Gesetzgebers ansieht, das Verfahren der beteiligten Gremien zu regeln und für die erforderliche Neutralität und Unabhängigkeit der ­Mitglieder gesetzlich Sorge zu tragen; zum Erfordernis der Gestaltung der Entscheidungsfindung unter dem Aspekt des Vorbehalts des Gesetzes im Hinblick auf das Verwaltungsverfahren vgl. auch Kunig / Rublack, Jura 1990, S. 1, 7; Clement, Der Rechtsschutz potentieller Organempfänger nach dem Transplantationsgesetz, S. 130 fordert einen angemessenen und wirksamen Grundrechtsschutz durch Verfahren bei Privatisierung staatlicher Aufgaben insgesamt. 1518  Die Notwendigkeit einer ununterbrochenen Legitimationskette betonen schon Kunig / Rublack, Jura 1990, S. 1, 8; Vierhaus, NVwZ 1993, S. 36, 39.

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bb) Zementierung des Demokratiedefizits Den gestellten Anforderungen wurde weder das TPGÄndG von 2012 noch der parlamentarische Schnellschuss aus dem Jahre 2013 gerecht. Die Gesetzesänderungen verfolgen geradezu propagandistisch Legitimationsinteressen, vermögen die Rechtfertigungsanforderungen jedoch nicht zu erfüllen. Die Tätigkeit der Bundesärztekammer verbleibt damit weiterhin in ihrer Verfassungswidrigkeit. Gerade die Einführung des Begründungs- und Genehmigungserfordernisses als Reaktion auf die zahlreichen Manipulationsskandale wirkt mehr als ein Beruhigungs- oder gar Betäubungsmittel für alle Kritiker und wird sich in der Praxis aller Wahrscheinlichkeit nach über die Jahre als überwiegend leeres Kontrollversprechen erweisen. Zwar besteht an der inhaltlichen Kompetenz des Referats für Transplantation beim Gesundheitsministerium kein Zweifel, wohl aber an dessen Motivation, die Bestimmungen der Bundesärztekammer öffentlich zu kassieren. Wie viel tatsächlichen Einfluss das Ministerium im Hintergrund bei der Richtlinienerstellung ausübt, kann nur gemutmaßt werden; dieser Faktor darf für eine rechtliche Bewertung der Gesetzeslage aber ohnehin keine Rolle spielen. Es ist absehbar, dass das Gesundheitsministerium bei der Ausübung seiner offiziellen Befugnisse die Gestalt einer bloßen „Ratifizierungsinstanz“ annehmen wird. Ein „Durchwinken“ von neuen oder geänderten Richtlinien dürfte daher mehr zu einem Formalakt verkommen, anstatt sich als wahre Hürde zu erweisen. Tatsächlich wurden die bisherigen Richtlinienänderungen innerhalb von kurzer Zeit beanstandungslos genehmigt.1519 Auf diese Weise bleibt der letzte Entscheidungsakt zwar formal in den Händen staatlich legitimierter Institutionen, materiell liegt die Macht jedoch beim Richtlinienersteller. Die Bundesärztekammer ist damit ein prominentes Beispiel für die oftmals kritisierte faktische Bindungswirkung der Standpunkte von Expertengremien.1520 Immerhin jedoch scheint dem Gesetzgeber klar geworden zu sein, dass ein völliger Verzicht auf eine demokratische Rückkopplung nicht mehr vermittelbar ist. Trotz eher mäßiger Aussichten bleibt zu hoffen, dass diese Einsicht die praktische Wirklichkeit mittelfristig weiter beflügeln wird und ein kritischer inhaltlicher Diskurs um die Richtlinien nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in der Politik ins Rollen gelangt. 1519  Vgl.

BT-Drs. 18 / 7269, S. 12 ff. Ammann, Medizinethik und medizinethische Expertengremien im Licht des öffentlichen Rechts, S. 336 ff.; Vierhaus, NVwZ 1993, S. 36, 40. Besonders eine mangelnde fachliche Kompetenz zur Überprüfung einer Expertenentscheidung sieht Di Fabio, VerwArch 81 (1990), S. 193, 217; im Hinblick auf die Organtransplantation wird eine staatliche Überprüfungskompetenz in Frage gestellt von Lilie, in: Middel /  Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 41, 48. 1520  Vgl.



IV. Rechtspolitische Gestaltungsmöglichkeiten533

cc) Lösungsmöglichkeiten des Gesetzgebers Parlamentarische Gesetze, als wichtigstes politisches Gestaltungsmittel, dienen dem Ausgleich privater Interessenkollisionen und sollen den Rahmen für eine freiheitliche Entfaltung im Staat vorgeben.1521 Der Legitimationswert eines Parlamentsgesetzes bemisst sich maßgeblich an seiner Regelungsdichte.1522 Ein Kernelement parlamentarischer Neunormierung muss daher die Anreicherung des Transplantationsgesetzes mit wesentlichen Vorgaben sein. Das betrifft insbesondere Vorgaben zur inhaltlichen Konkretisierung der Richtlinien; allem voran die Spezifizierung der Voraussetzungen zur Aufnahme in die Warteliste sowie zur Organallokation.1523 Die genaue Ausgestaltung der Aufstellung und Gewichtung der ethisch hoch aufgeladenen Kriterien muss einer wohl abgewogenen parlamentarischen Grundsatzentscheidung vorbehalten bleiben, um dem Parlamentsvorbehalt zu genügen und legitimationsfähig zu sein. Hat der Gesetzgeber die wesentlichen Inhalte der Richtlinien selbst geregelt, bedarf es zusätzlich organisatorischer Regelungen zur Garantie eines ausreichenden Legitimationsniveaus. Die Möglichkeiten zur Behebung des legitimatorischen Defizits der Richtlinienerstellung sind – aufgrund des erheblichen Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers1524 – mannigfaltig. Sie reichen von einer Herausnahme der Richtlinienkompetenz aus dem privaten Sektor samt einer naheliegenden Beauftragung des Bundesministeriums für Gesundheit mit einem Verordnungserlass ((1)) bis hin zu einer bloßen Korrektur einiger – wenn auch elementarer – Stellschrauben der bisherigen Richtungsentscheidung, die in letzter Konsequenz die Zuständigkeit der Expertenkommission beibehalten würde ((2)). Letzteres erweist sich zumindest bei einer strikten gesetzlichen Absicherung des Einflusses demokratisch legitimierter Stellen als gangbarer Weg ((3)). (1) Verordnungsermächtigung des Bundesministeriums für Gesundheit Größtmögliche demokratische Dignität erhielte die weitergehende Präzisierungsarbeit bei einer Übernahme durch das zuständige Bundesministerium. Der Bundesminister für Gesundheit könnte ermächtigt werden, einschlägige 1521  Schmidt-Aßmann,

1050.

in: Kern / Wadle / Schroeder u. a. (Hrsg.), FS Laufs, S. 1049,

1522  Gersdorf, Öffentliche Unternehmen im Spannungsfeld zwischen Demokratieund Wirtschaftlichkeitsprinzip, S. 37; Krüger, Die Vermittlungstätigkeit Eurotransplants im Sinne des § 12 TPG, S. 285. 1523  Für Näheres zur Reformbedürftigkeit der Allokationskriterien siehe S. 575 ff. 1524  Zum Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers vgl. BVerfGE 83, 238, 334.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

Regelungen durch Rechtsverordnung gemäß Art. 80 Abs. 1 GG zu erlassen. Für die inhaltliche Ausgestaltung würde eine Arbeitsgruppe aus Sachverständigen berufen. Diese könnte entweder direkt an das Ministerium angebunden oder beim Paul-Ehrlich-Institut1525 angesiedelt werden.1526 Ein Anhörungs­ erfordernis der Ständigen Kommission Organtransplantation bei der Bundesärztekammer würde zusätzliche Expertise sicherstellen, die die administrative Normsetzung optimieren könnte. Diese Lösung dürfte jedoch in Anbetracht der bisherigen – politisch stark befürworteten – Beauftragung der Bundesärztekammer keine parlamentarische Mehrheit finden. Zwar finden sich in § 12 TFG sowie § 16a TPG bereits Verordnungsermächtigungen; diese sind jedoch mehr einer europarechtlichen Anpassungspflicht als dem Willen zur Sicherstellung demokratischer Legitimation entsprungen.1527 (2) Subdelegation an die Ständige Kommission Organtransplantation Es ist daher wahrscheinlicher, dass sich der Gesetzgeber bei einer Reform weiterhin der verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässigen Normkonkretisierung durch Expertengremien1528 bedienen will. Während die Kerngehalte von Zielen, Kriterien und Verfahren von Priorisierungsentscheidungen in der Gesundheitsvorsorge vom Gesetzgeber zu treffen sind,1529 können für deren 1525  Das Paul-Ehrlich-Institut ist das Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel. Es gehört als Bundesoberbehörde dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit an. 1526  Einen Rückgriff auf das Paul-Ehrlich-Institut zieht auch Mohammadi-Kangarani in Betracht, der die Errichtung einer Arbeitsgruppe aber lediglich zur Überprüfung der von der BÄK verabschiedeten Richtlinien zum Einsatz kommen lassen will. Eine Ansiedlung beim Paul-Ehrlich-Institut bietet sich insofern an, als dass schon § 16b Abs. 1 S. 1 TPG i. V. m. § 21 TPG Bezug auf das Institut nimmt, vgl. Mohammadi-Kangarani, Die Richtlinien der Organverteilung im Transplantationsgesetz, S.  148 f. 1527  Augsberg, in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin in Deutschland, S. 45, 56 ff.; Höfling, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.); Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 63, 67 f. 1528  Diese Zulässigkeit bejaht auch Neft, NZS 2010, S. 16, 19; die grundsätzliche Einbeziehungsmöglichkeit der BÄK bestätigen daher auch viele Kritiker des heutigen Delegationsvorgehens; vgl. Parzeller / Henze, ZRP 2006, S. 176, 179; Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 63; ders., in: Kern / Wadle / Schroeder u. a. (Hrsg.), FS Laufs, S. 1049, 1067 f.; Taupitz, ZEFQ 104 (2010), S. 400, 403. Unter Hinweis auf zu befürchtende Rationalitätseinbußen bei einer Reparlamentarisierung plädiert Wenner, in: Fachbereich Rechtswissenschaft Universität Frankfurt (Hrsg.), 100 Jahre Rechtswissenschaft in Frankfurt, S. 245, 259 f. für eine Beauftragung einer fachlich kompetenten Institution. 1529  Welti, MedR 2010, S. 379, 384.



IV. Rechtspolitische Gestaltungsmöglichkeiten535

Konkretisierung gesellschaftliche Kräfte herangezogen werden, die mit Sachkunde und Partizipation der an der Gesundheitsversorgung beteiligten Inte­ ressen ausgestattet sind.1530 Als verfassungsrechtlich prekär erweist sich jedoch die direkte Beauftragung der Bundesärztekammer mit der Richtlinienerstellung durch das Parlamentsgesetz, die nichts anderes als eine Beleihung mit Normsetzungskompetenzen bedeutet. Eine Umgehung der in Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG genannten Erstdelegatare ist mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbaren.1531 Es muss folglich tatsächlich der Weg über die Ermächtigung des Bundesministers für Gesundheit zum Erlass von Rechtsverordnungen nach Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG gewählt werden. Eine Subdelegation der Ermächtigung ist nach Art. 80 Abs. 1 S. 4 GG jedoch möglich, wenn sie durch das Gesetz gestattet wurde. Eine solche Weiterübertragung wird gesetzlich regelmäßig vorgesehen, „wenn es als zweckmäßig erscheint, die Regelung von Sonderfragen sach[näheren] Stelle zu überlassen.“1532 Eine solche Sachnähe kann der mit den betroffenen Fach- und Verkehrskreisen besetzten Ständigen Kommission Organtransplantation bei der Bundesärztekammer durchaus bescheinigt werden. Zum Teil wird mit Blick auf den systematischen Zusammenhang zwischen Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG und S. 4 jedoch angenommen, dass Subdele­ gatare nur den Erstdelegataren unmittelbar nachgeordnete Behörden sein könnten.1533 Jedenfalls scheide eine Kompetenzübertragung auf Private aus, da Art. 80 Abs. 1 GG das Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft nicht regeln wolle.1534 Das kann jedoch nicht gelten, wenn ein Privater mit der Kompetenz zum Erlass einer Rechtsverordnung beliehen wird, solange das Gesetz diese Weiterübertragung zulässt.1535 Als Beliehener steht er nicht mehr außerhalb der Verwaltung, sondern ist organisatorisch in diese einge1530  Vgl.

BVerfGE 107, 59. Verstoß gegen Art. 80 Abs. 1 GG siehe bereits S. 358 f. 1532  Remmert, in: Maunz / Dürig u. a. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 80 Rn. 82. Beispiele finden sich bei Schneider, Gesetzgebung, S. 159 f. 1533  Vgl. Freitag, Das Beleihungsverhältnis, S. 43; Schmidt am Busch, DÖV 2007, S. 533, 536. 1534  Vgl. Brenner, in: Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 80 Rn. 61; Ossenbühl, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. V, § 103 Rn. 36; Uhle, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 80 Rn. 34; Wiegand, Die Beleihung mit Normsetzungskompetenzen, S. 142 (Fn. 10) m. w. N. 1535  So Remmert, in: Maunz / Dürig u. a. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 80 Rn. 84, der die gesetzliche Ermächtigung zur Weiterübertragung an Private richtigerweise als gesetzliche Zulassung einer Beleihung deutet. Ebenso Dittmann, in: Biernat / Hendler / Schoch u. a. (Hrsg.), Grundfragen des Verwaltungsrechts und der Privatisierung, S. 107, 110; Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 538; Ramsauer, in: Stein / Denninger / Hoffmann-Riem (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 80 Rn. 46; Uhl, Richtlinien der Bundesärztekammer, S. 318. 1531  Zum

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bunden.1536 Ebenso steht dem das Demokratieprinzip nicht zwingend entgegen, wenn das parlamentarische Gesetz selbst ausreichende Kautelen zur Sicherung der demokratischen Legitimation der Entscheidungen des Subdelegatars vorsieht. Insofern wäre eine Ermächtigung der Bundesärztekammer in Zukunft möglich, wobei aufgrund ihrer Expertise sogleich die Ständige Kommission Organtransplantation mit der Richtlinienerarbeitung beliehen werden sollte.1537 Die Möglichkeit einer Weiterübertragung der Kompetenz zur Rechtsetzung auf dieses Gremium könnte das den Bundesminister ermächtigende Gesetz selbst vorsehen.1538 Eine Übertragung seiner Verordnungsermächtigung nach Art. 80 Abs. 1 S. 4 GG müsste der Bundesminister in der Form der Rechtsverordnung vornehmen, die den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG entspricht und nach Art. 82 Abs. 1 S. 2 GG publiziert wird.1539 Ob er die Erlaubnis zur Subdelegation tatsächlich wahrnimmt, ist jedoch in sein Ermessen gestellt.1540 Wird eine solche vorgenommen, ist nicht abschließend geklärt, ob der Erstdelegatar bei Übertragung der Verordnungsbefugnis sein exekutives Gesetzgebungsrecht verliert, die Weiterdelegation folglich devolvierend und nicht bloß konservierend wirkt.1541 Richtigerweise ist die Wirkung der Kompetenzübertragung im Einzelfall der Interpretation der Norm zu entnehmen, die zur Subdelegation ermächtigt.1542 Das Transplantationsgesetz kann dahingehend eindeutige Lösungen treffen. Bei einer Ermächtigung Privater liegt es bereits aus inhaltlichen Kontrollgesichtspunkten nahe, ein jederzeitiges Rückholrecht der Verordnungskompe1536  Remmert, in: Maunz / Dürig u. a. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 80 Rn. 84 m. w. N. 1537  Für eine Normierung der Zuständigkeit der Ständigen Kommission Organtransplantation auch Uhl, Richtlinien der Bundesärztekammer, S. 320. 1538  Die Zulässigkeit der Benennung eines konkreten Subdelegatars bejahen etwa auch Brenner, in: Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 80 Rn. 59; Uhle, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 80 Rn. 34. Dagegen jedoch Mohammadi-Kangarani, Die Richtlinien der Organverteilung im Transplantationsgesetz, S. 111 f. Eine Subdelegation durch das Bundesministerium an die Bundesärztekammer befürwortet schon Uhl, Richtlinien der Bundesärztekammer, S. 317 f. 1539  Remmert, in: Maunz / Dürig u. a. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 80 (2013) Rn. 84. 1540  Ossenbühl, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. V, § 103 Rn. 37; Remmert, in: Maunz / Dürig u. a. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 80 (2013), Rn. 82. 1541  Vgl. Remmert, in: Maunz / Dürig u. a. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 80 (2013) Rn. 87; für eine bloße Konservierung Ossenbühl, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. V, § 103 Rn. 37; Rubel, in: Umbach / Clemens, GG-Kommentar, Art. 80 Rn. 45; Schneider, Gesetzgebung, S.  160. Dagegen nimmt Brenner, in: Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 80 Rn. 63 den Verlust des Verordnungsrechts an. 1542  Remmert, in: Maunz / Dürig u. a. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 80 (2013) Rn. 82.



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tenz durch die zunächst ermächtigte Behörde vorzusehen. Das ergibt sich schon daraus, dass eine Subdelegation der „Richtlinien“-Erstellung an einen Beliehenen staatliche Stellen nicht davon befreit, den Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft selbst kontinuierlich im Blick zu behalten und deren Einhaltung im Zweifelsfall zu fordern. (3) Gesetzliche Kautelen zur Gewährleistung demokratischer Legitimation Konsequenz der Subdelegation der Verordnungsermächtigung ist eine Rechtsnormsetzung durch einen Privaten. Bereits vorher waren die als bloße Richtlinien bezeichneten Regelungen der Bundesärztekammer Teil der exekutivischen Rechtsetzung. Ihr verbindlicher Charakter tritt durch die Verordnungsermächtigung stärker hervor und macht deutlich, dass die Begrifflichkeit der „Richtlinien“ überholt ist. Um ihre bindende Wirkung herauszustellen, sollte bei den Regelungen der Verordnung von „Anweisungen“ gesprochen werden. Wird die Erarbeitung und der Erlass der Anweisungen der Ständigen Kommission Organtransplantation überlassen, müssen sowohl die Legitimationskette zu demokratisch legitimierten Stellen (personell-organisatorische Legitimation) als auch die inhaltliche Rückführbarkeit der Entscheidungen (sachlich-inhaltliche Legitimation) zumindest gemeinsam ein solches Legitimationsniveau erreichen, dass sie sich als ausreichend effektiv erweisen. Im Hinblick auf die organisatorisch-personelle Legitimation wurde bereits dringender Verbesserungsbedarf der Rechtslage de lege lata aufgezeigt.1543 Zwar hat der Gesetzgeber im Zuge der Reform durch das TPGÄndG in § 16 Abs. 2 S. 2 TPG genauere Vorgaben zu den bei der Richtlinienerarbeitung zu beteiligenden Personenkreisen formuliert, bleibt jedoch noch weit hinter dem eigentlichen Regelungsbedarf zurück. Anstatt pauschalisiert festzulegen, welche Expertenkreise „angemessen“ zu beteiligen sind, sollte der Gesetzgeber die Repräsentanz dieser Gruppen im konkret benannten Arbeitsgremium in Herkunft und Anzahl ausdrücklich benennen. Bei seiner Besetzung wäre es möglich, auf eine im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Gesundheit erfolgende Ernennung durch im Gesetz benannte Personenkreise zurückzugreifen.1544 Pate für diese Zwecke könnte der § 2 des Status der Ständigen Kommission Organtransplantation stehen, der die Zusammenset1543  Siehe zur mangelhaften organisatorisch-personellen Legitimation bereits S.  365 ff. 1544  So schon Uhl, Richtlinien der Bundesärztekammer, S. 323; für die Notwendigkeit der Konkretisierung der Delegation auch Parzeller / Henze, ZRP 2006, S. 176, 179; Schmidt-Aßmann, in: Kern / Wadle / Schroeder u. a. (Hrsg.), FS Laufs, S. 1049, 1067 f.; Taupitz, NJW 2003, S. 1145, 1150.

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zung der Kommission und die Benennungsrechte der dort näher bestimmten beteiligten Fach- und Verkehrskreise genau vorgibt.1545 Insgesamt muss gewährleistet werden, dass „die in den beteiligten Kreisen vertretenen Auffassungen zumindest tendenziell vollständig erfaßt [sic!] werden“1546. Der Gesetzgeber hat bei seiner Wahl der speziell zu beteiligenden Expertengruppen ferner darauf zu achten, dass diese zur Richtlinienerstellung ausreichend qualifiziert sind,1547 wovon bei den in § 2 Abs. 2 des Status genannten Kreisen ausgegangen werden kann. Erforderlich ist vor allem die in § 2 Abs. 1 vorgesehene Beteiligung unabhängiger Ärzte sowie von Personen mit der Befähigung zum Richteramt. Durch die Sicherstellung einer Mitwirkung von Vertretern aus dem Kreis der Patienten sowie der Angehörigen werden nicht nur fachlich versierte Institutionen, sondern zugleich die speziell von einer Transplantation betroffenen Verkehrskreise aus der Bevölkerung an den Entscheidungen beteiligt.1548 Über die Gesundheitsministerkonferenz und dem mit öffentlichen Aufgaben beliehenen Spitzenverband Bund der Krankenkassen wurde zudem öffentlich-rechtlich geprägten Stellen eine Verfahrensposition im Gremium gesichert. Das Erfordernis eines Einvernehmens mit dem Bundesministerium für Gesundheit sorgt für ein Mindestmaß an personeller Rückbindung an den demokratisch legitimierten Erstdelegatar.1549

1545  Besetzt wird die Kommission durch die Deutsche Krankenhausgesellschaft, den Spitzenverband Bund der Krankenkassen, die Bundesärztekammer, die Gesundheitsministerkonferenz, die Koordinierungsstelle, die Vermittlungsstelle, die Deutsche Transplantationsgesellschaft, den Kreis der Patienten und der Angehörigen sowie der Akademie für Ethik in der Medizin. Näher zur Besetzung der Kommission S. 352 f. 1546  BVerfGE 83, 130, 149 ff.; vgl. auch Schmidt-Aßmann, in: Kern / Wadle / Schroe­ der u. a. (Hrsg.), FS Laufs, S. 1049, 1058, 1067, der dieses „Konsistenzgebot“ bei der Verabschiedung der Transplantationsrichtlinien gewahrt wissen will; vgl. Kunig / Rublack, Jura 1990, S. 1, 8 im Hinblick auf die Notwendigkeit einer pluralistischen Interessenvertretung auch im Verwaltungsverfahren. 1547  Dies verlangte das BVerfG bereits bei der Besetzung der „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften“, BVerfGE 83, 130, 151; ebenso Uhl, Richtlinien der Bundesärztekammer, S. 320. 1548  Insofern kann der Gedanke des Korrespondenzgebots fruchtbar gemacht werden, der im Rahmen der autonomen Legitimation funktionaler Selbstverwaltungsträger entwickelt wurde. Danach muss sich bei der Entscheidung des Selbstverwaltungsträgers der Kreis der Adressaten mit dem Kreis der an der Rechtsetzung Beteiligten decken, vgl. zum Korrespondenzgebot Ossenbühl, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. V, § 105 Rn. 25 f.; Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 76 f.; mit Bezug zur Richtlinien­ erarbeitung Uhl, Richtlinien der Bundesärztekammer, S. 319 ff. 1549  Ein Einvernehmen des Bundesministeriums mit der Besetzung der Ständigen Kommission Organtransplantation möchte auch Mohammadi-Kangarani gesetzlich installieren, statuiert in seinem alternativen Gesetzesvorschlag jedoch lediglich die Beteiligung von Ärzten, Personen mit Befähigung zum Richteramt sowie Personen



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Nicht genügt wird nach diesem Konzept dem Erfordernis der „doppelten Mehrheit“, wonach eine demokratische Legitimation erst gegeben sein soll, wenn die Mehrzahl der Mitglieder des Gremiums, die eine Entscheidung trägt, personell-organisatorische Amtswalter sind.1550 „Uneingeschränkte personelle Legitimation besitzt ein Amtsträger dann, wenn er verfassungsgemäß sein Amt im Wege einer Wahl durch das Volk oder das Parlament oder dadurch erhalten hat, daß [sic!] er durch einen seinerseits personell legitimierten, unter Verantwortung gegenüber dem Parlament handelnden Amtsträger oder mit dessen Zustimmung bestellt worden ist.“1551 Aufgrund der enormen Grundrechtsrelevanz der Entscheidungen ist hieran ein strenger Maßstab anzulegen.1552 Eine zwingende Notwendigkeit der Erfüllung einer uneingeschränkten personellen Legitimation durch das Expertengremium ist jedoch abzulehnen.1553 Dies gilt zumindest solange das Defizit durch andere gesteigerte Legitimationskomponenten kompensiert wird.1554 Schon das Bundesverfassungsgericht betonte, dass das Erfordernis einer lückenlosen personellen demokratischen Legitimation nicht zwingend in jedem Falle zu gewährleisten, sondern das Demokratieprinzip für abweichende Formen der Organisation und Ausübung von Staatsgewalt offen sei.1555 Es gilt lediglich, ein adäquates Legitimationsniveau zu erreichen. Ein Ausgleich durch andere Absicherungen staatlichen Einflusses erweist sich bei der Erstellung der Anweisungen für die Organtransplantation folglich als möglich und sinnvoll. Würde man zusätzlich zu den Sachverständigen der betroffenen Fach- und Verkehrskreise noch eine zahlenmäßig überlegene Repräsentation demokratisch legitimierter – etwa durch das Bundesministerium für Gesundheit entsandter – Vertreaus dem Kreis der Patienten und Angehörigen, Mohammadi-Kangarani, Die Richt­ linien der Organverteilung im Transplantationsgesetz, S. 150 ff. 1550  Zum Begriff der doppelten Mehrheit siehe Böckenförde, in: Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. II, § 24 Rn. 19; dagegen wird in der Literatur auch die einfache Mehrheit für ausreichend erachtet, siehe Wittreck, Die Verwaltung der Dritten Gewalt, S. 121 ff. und zuletzt Minkner, Die Gerichtsverwaltung in Deutschland und Italien, S.  150 ff. 1551  BVerfGE 93, 37, 67; vgl. auch BVerfGE 83, 60, 73. 1552  Uhl, Richtlinien der Bundesärztekammer, S. 322 will daher im Hinblick auf die enorme Gemeinwohlrelevanz der Tätigkeit nur allgemeine Wahlen gelten lassen, kommt im Ergebnis aber zu einem Verzicht auf eine ununterbrochene personelle Legitimation. 1553  Gegen die Notwendigkeit der Erfüllung des Kriteriums der „doppelten Mehrheit“ auch Mohammadi-Kangarani, Die Richtlinien der Organverteilung im Transplantationsgesetz, S. 149 f.; ebenso Uhl, Richtlinien der Bundesärztekammer, S. 320 ff. 1554  Eine Kompensation hält bereits Uhl, Richtlinien der Bundesärztekammer, S. 322 bei der Modifizierung des § 16 TPG für möglich. 1555  BVerfGE 107, 59, 91.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

ter fordern, hätte das ein wenig förderliches Anwachsen der Kommission zur Folge.1556 Zur Sicherstellung eines ausreichenden Legitimationsniveaus bedarf es folglich vermehrter, alternativer legitimatorischer Gewährleistungen. Die Notwendigkeit einer ausreichenden inhaltlichen Vorbestimmung der Anweisungen auf sachlich-inhaltlicher Legitimationsebene wurde bereits betont. Inhalt, Zweck und Ausmaß der Verordnungsermächtigung müssen dem Verordnungsgeber gemäß Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG hinreichend bestimmte Handlungsanweisungen geben. Insbesondere bei den Regeln zur Aufnahme in die Warteliste gemäß § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG (§ 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG) sowie den konkreten Allokationsentscheidungen nach § 12 Abs. 3 S. 1 TPG (§ 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 TPG) müssen im Gesetzestext aussagekräftige Vorgaben verankert werden, um dem Verordnungsgeber die Grenzen seiner Rechtsetzung aufzuzeigen.1557 Darüber hinaus bedarf das Verfahren für die Erarbeitung der Anweisungen und der Beschlussfassung zusätzlicher Normierung. Diese Aufgabe darf keinesfalls wie bisher durch § 16 Abs. 2 S. 1 TPG ausschließlich auf die Bundesärztekammer abgewälzt werden. Dabei ist der Gesetzgeber nicht verpflichtet, eine „quasi-Satzung“ vorzugeben, muss jedoch die organisatorische Ausgestaltung von Verfahrensstruktur und Entscheidungsfindung vornehmen.1558 Um die Rechtmäßigkeit als auch die Orientierung der Anweisungen am Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft garantieren zu können, ist die Gewährleistung einer ausreichenden Fachaufsicht des Bundesministeriums für Gesundheit erforderlich.1559 Die bereits durch § 16 Abs. 3 1556  Kritisch im Hinblick darauf bereits Mohammadi-Kangarani, Die Richtlinien der Organverteilung im Transplantationsgesetz, S. 151. 1557  Vgl. schon Uhl, Richtlinien der Bundesärztekammer, S. 323 f. Zur Funktionssicherungs- und Begrenzungsfunktion von Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG siehe Bauer, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 80 Rn. 12; Brenner, in: Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 80 Rn. 9. 1558  Vgl. Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 29; ders., Für ein neues Transplantationsgesetz, S. 125; Gutmann, in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin, S. 113, 118; Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 16 Rn. 22; Holznagel, DVBl 1997, S. 393, 400; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 202; Parzeller /  Henze, ZRP 2006, S. 176, 180; Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 104  f.; Taupitz, NJW 2003, S. 1145, 1150; Uhl, Richtlinien der Bundesärztekammer, S. 325. 1559  Entgegen Woinikow, Richtlinien der Transplantationsmedizin, S. 386 ff. steht das Urteil des Bundessozialgerichts (Urt. v. 06.05.2009, Az. B 6 A 1 / 08 R) einer Fachaufsicht über die Richtlinientätigkeit der BÄK nicht entgegen. In diesem hat das Gericht eine Zweckmäßigkeitskontrolle des Bundesministeriums für Gesundheit ge-



IV. Rechtspolitische Gestaltungsmöglichkeiten541

TPG eingeführte, nachgehende rechtliche Kontrolle der Richtlinien in Form eines Genehmigungsvorbehalts von Seiten des Bundesministeriums muss aufgrund dessen durch eine Zweckmäßigkeitsüberprüfung erweitert werden. Nur diese ist dazu in der Lage, den Anweisungen weitere sachlich-inhaltliche Legitimation zu verschaffen. Da die lange überalterte Richtlinie zur Feststellung des Hirntodes1560 bewiesen hat, dass nicht nur der Erlass oder die Änderung einer Richtlinie, sondern auch deren Nichtaktualisierung verfassungsrechtlich problematisch werden kann, muss eine kontinuierliche Überwachung der Bestimmungen, etwa in Form eines dauerhaften Beanstandungsrechts durch das Bundesministerium, eingerichtet werden. Die bereits angesprochene Arbeitsgruppe könnte auch hier zur Vorbereitung der Entscheidung des Ministers bezüglich einer Genehmigung oder einer Beanstandung tätig werden, wobei durch eine professionalisierte Ausgestaltung einer bloßen Übernahme des Expertenvorschlags vorgebeugt werden muss.1561 Nur eine dauerhafte Einrichtung der Arbeitsgruppe als „staatliches Sachverständigengremium“, das den Transplantationsprozess fortwährend begleitet, kann diesen Anforderungen gerecht werden.1562 Genauso muss die Ausformung der Überwachung in Angriff genommen werden. Bei der Erarbeitung der Anweisungen wird die Ständige Kommission Organtransplantation als Beliehene tätig und unterliegt deshalb grundsätzlich der Staatsaufsicht. Diese sollte im Rahmen des Transplantationsgesetzes konkretisiert werden. Nahe liegt die Einführung des Rechts einer Ersatzvornahme durch das Bundesministerium, sollte die Ständige Kommission genüber dem Gemeinsamen Bundesausschuss in Bezug auf den Erlass einzelner Richtlinien abgelehnt und lediglich eine Rechtsaufsicht zugelassen. Ein Vergleich mit der Tätigkeit des Gemeinsamen Bundesausschusses ist allerdings nicht statthaft, da die beiden Gremien nicht vergleichbar sind, wie Woinikow selbst einräumt, S. 115. Das Urteil bezog sich auf das spezielle System der Selbstverwaltung in der gesetz­ lichen Krankenversicherung. Würde das Bundesministerium die Inhalte der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses selbst detailliert festlegen und damit seine Gestaltungsfreiheit aushöhlen, könnte dies zu einem Konflikt mit der grundgesetz­ lichen Verankerung der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung führen. Die Ausgangslage ist bei der BÄK aber eine ganz andere. Ohnehin schließt das Bundessozial­ gericht eine Fachaufsicht bei ausdrücklicher Normierung in seinem Urteil nicht aus. Auch ein Konflikt mit der Gesetzgebungskompetenz des Bundes ergibt sich dadurch nicht. Damit ist die Installation einer Fachaufsicht über die Richtlinientätigkeit der BÄK gleichsam möglich wie geboten. 1560  Zu der rechtlichen Problematik der Überalterung der Richtlinie zur Feststellung des Hirntodes siehe S. 276 ff.; für den Vorschlag einer Installation gesetzlicher Kautelen siehe bereits im rechtspolitischen Teil S. 487 ff. 1561  Einen umfassenden dahingehenden Normierungsvorschlag bietet MohammadiKangarani, Die Richtlinien der Organverteilung im Transplantationsgesetz, S. 147 ff. 1562  Vgl. zur dauerhaften Einrichtung einer Arbeitsgruppe Mohammadi-Kangarani, Die Richtlinien der Organverteilung im Transplantationsgesetz, S. 148.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

Organtransplantation ihrer Pflichtaufgabe trotz rechtmäßiger Subdelegation der Ermächtigung nicht nachkommen (so jahrelang durch die Bundesärztekammer in Bezug auf ihre Regelungspflicht aus § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 TPG geschehen). Die Installation eines Rechts zur Ersatzvornahme findet sich bereits in Bezug auf die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (§ 92 SBG V, § 94 Abs. 1 S. 3 SBG V).1563 Durch die vorstehenden Gewährleistungen werden der Ständigen Kommission Organtransplantation sowohl personell-organisatorische als auch sachlich-inhaltliche Aspekte des Legitimationsgedankens in ausreichendem Maße vermittelt. Auch ohne Herausnahme der „Richtlinien“-Erstellung aus dem privaten Sektor kann auf diese Weise ein effektives Legitimationsniveau zur Erarbeitung der grundrechtsrelevanten Anweisungen im Organtransplantationsrecht hergestellt werden. dd) Die Verordnungsermächtigung de lege ferenda Schon der Bundesrat erkannte während des Reformvorhabens, dass eine Legitimationsverstärkung der Bundesärztekammer notwendig ist, da die Richtlinien echte rechtserhebliche und vor allem grundrechtsrelevante Feststellungen treffen.1564 Damit wird er der von der Bundesregierung in der Gegenäußerung noch geleugneten1565 Realität gerecht, dass die Richtlinien faktisch verbindliche Regelungen statuieren, die über ein bloßes Feststellen medizinischen Fachwissens hinausgehen. Der Entwurf des Bundesrats gibt insbesondere die Einrichtung der Ständigen Kommission Organtransplantation und deren Zusammensetzung vor, verstößt durch die Benennung des Privaten ohne Rücksicht auf den nummerus clausus der Erstdelegatare jedoch gegen Art. 80 Abs. 1 GG. Zusätzlich zur Ermächtigung des Expertengremiums trifft der Bundesrat Verfahrensbestimmungen; weiter wird jedoch lediglich eine Rechtsaufsicht des Bundesministeriums für Gesundheit vorgesehen. Es wurde bereits aufgezeigt, dass die Neuregelung des § 16 TPG wesentlich weiter gehen muss. Nimmt man den erneuerten § 2 des Status der Ständigen Kommission Organtransplantation sowie einschlägige Regelungen in Bezug auf die Richtlinienerstellung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss nach § 92 SGB V zum Vorbild, könnte die folgende Regelung den heutigen § 16 TPG ersetzen: § 16 Anweisungen zum Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft bei Organen, Verordnungsermächtigung 1563  Siehe zum Vorschlag einer Staatsaufsicht auch Uhl, Richtlinien der Bundesärztekammer, S. 326. 1564  BT-Drs. 17 / 7376, S. 33. 1565  BT-Drs. 17 / 7376, S. 36 f.



IV. Rechtspolitische Gestaltungsmöglichkeiten543 (1) 1Das Bundesministerium für Gesundheit erlässt durch Rechtsverordnung nach Anhörung der Ständigen Kommission Organtransplantation Anweisungen für ­[1.–8.]1566 2 Beim Erlass der Anweisungen ist der Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft zugrunde zulegen.

(2) Das Bundesministerium für Gesundheit kann die Ermächtigung nach Abs. 1 durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates auf die Ständige Kommission Organtransplantation übertragen. (3) 1Bei der Bundesärztekammer wird die Ständige Kommission Organtransplantation eingerichtet. 2Die Ständige Kommission Organtransplantation repräsentiert medizinische, ethische, ökonomische und rechtliche Belange, die von den Sachverständigen der betroffenen Fach- und Verkehrskreise sichergestellt werden. 3Zusätzlich ist die Beteiligung von Ärzten, die weder an der Entnahme noch an der Übertragung von Organen beteiligt sind, noch Weisungen solcher Ärzte unterstehen, die an solchen Maßnahmen beteiligt sind, sicherzustellen. 4Die Kommission setzt sich zusammen aus 1. sechs Vertretern der Bundesärztekammer, davon drei Ärzte und drei Personen mit der Befähigung zum Richteramt, 2. zwei Vertretern der Deutschen Transplantationsgesellschaft, 3. zwei Vertretern der Koordinierungsstelle, 4. zwei Vertretern der Vermittlungsstelle, 5. jeweils einem Vertreter aus dem Kreis der Patienten und der Angehörigen, 6. drei Vertretern der Deutschen Krankenhausgesellschaft, 7. drei Vertretern des Spitzenverbands Bund der Krankenkassen, 8. zwei Vertretern der Länder, die von der Gesundheitsministerkonferenz berufen werden, 9. einem Vertreter der Akademie für Ethik in der Medizin. 5

Die Mitglieder und die stellvertretenden Mitglieder werden im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Gesundheit ernannt. 6Ihre Amtszeit beträgt vier Jahre. 7 Eine Wiederernennung ist zulässig. (4) 1Die Ständige Kommission Organtransplantation beschließt in Sitzungen. 2Beschlüsse der Ständigen Kommission Organtransplantation werden mit der Mehrheit der gesetzlichen Mitglieder gefasst. 3Die Ständige Kommission Organtransplanta­ tion gibt sich eine Geschäftsordnung, in der das weitere Verfahren für die Erarbeitung der Anweisungen nach Abs. 1 und für die Beschlussfassung festgelegt werden. 4 Die Geschäftsordnung bedarf der Genehmigung durch das Bundesministerium für Gesundheit.

1566  Die gesetzlich bisher nicht vorgesehene Nr. 8 des ersten Absatzes ist für eine nähere Bestimmung der minimalen Risiken und minimalen Belastungen bei der Vornahme vorbereitender Maßnahmen vorgesehen.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

(5) 1Die Anweisungen nach Abs. 1 sind zu begründen; dabei ist insbesondere die Feststellung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft nachvollziehbar darzulegen. 2Die Anweisungen und ihre Änderungen bedürfen der Genehmigung des Bundesministeriums für Gesundheit. 3Die Prüfung des Bundesministeriums erstreckt sich auf die Beachtung der Vorschriften dieses Gesetzes und sonstigen Rechts sowie auf die Zweckmäßigkeit der Bestimmungen. 4Die Ständige Kommission Organtransplantation hat dem Bundesministerium als Aufsichtsbehörde auf Verlangen alle Unterlagen vorzulegen und alle Auskünfte zu erteilen, die zur Ausübung des Genehmigungsrechts aufgrund dessen pflichtgemäßer Prüfung gefordert werden. 5Insbesondere kann das Bundesministerium von der Ständigen Kommission Organtransplantation zusätzliche Informationen und ergänzende Stellungnahmen anfordern. (6) 1Die Genehmigung einer Anweisung kann vom Bundesministerium für Gesundheit mit Auflagen verbunden werden. 2Die Anweisungen können jederzeit durch das Bundesministerium beanstandet oder durch den Gebrauch seiner Verordnungsermächtigung ersetzt werden; insbesondere, wenn sie dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft nicht mehr entsprechen. 3Das Bundesministerium kann zur Erfüllung einer Auflage eine angemessene Frist setzen. 4Kommen die in Abs. 1 vorstehenden Anweisungen oder die aufgrund einer Beanstandung erforderlichen Änderungen nicht oder nicht innerhalb einer vom Bundesministerium für Gesundheit gesetzten Frist zustande oder werden die Auflagen des Bundesministeriums nicht innerhalb der von ihm gesetzten Frist erfüllt, erlässt das Bundesministerium die Anweisungen gemäß seiner Ermächtigung nach Abs. 1.

b) Der Schlüsselrolle der Entnahmekrankenhäuser gerecht werden Die Entnahmekrankenhäuser eröffnen den Zugang der Gesellschaft zur knappen Ressource Organ. Mit der Identifizierung und Meldung eines potentiellen Organspenders beginnt das Verfahren zur Lebensrettung der Patienten auf der Warteliste. Dieser Schlüsselstellung sollte im Interesse einer möglichst umfassenden Versorgung der Bevölkerung ausreichend Rechnung getragen werden. Die Beseitigung von hinderlichen Rahmenbedingungen, die Förderung von Initiativbereitschaft und einer reibungslosen Organisation der Organspende sollten daher intensiver in den Fokus genommen werden. Während mit der verpflichtenden Einführung von Transplantationsbeauftragten ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung unternommen wurde (cc)), bedarf nicht nur die grundsätzliche Motivation der Krankenhäuser zunehmender Aufmerksamkeit (aa)), sondern auch die tatsächlichen organisatorischen Rahmenbedingungen der Organspende in Deutschland (bb)). aa) Neuer Motivationsrahmen für die Entnahmekrankenhäuser Die Forderung nach einer Förderung der Meldungen von potentiellen Organspendern durch die Entnahmekrankenhäuser war während der letzten



IV. Rechtspolitische Gestaltungsmöglichkeiten545

beiden Dekaden in der Diskussion über die Transplantationspraxis omnipräsent.1567 Obwohl die Kliniken gemäß § 9a Abs. 2 Nr. 1 TPG verpflichtet sind, den Hirntod von Patienten, die als Organspender in Betracht kommen, festzustellen und der Koordinierungsstelle mitzuteilen, wurde die umfängliche Erfüllung dieser Pflicht immer wieder in Zweifel gezogen. Das nicht ausgeschöpfte Spenderpotential wurde als enorm hoch eingeschätzt.1568 Das aus diesem Grunde durchgeführte Projekt der Inhousekoordination zwischen den Jahren 2010 und 2012 brachte jedoch ans Licht, dass die unterdurchschnittliche Spenderrate in Deutschland zumindest nicht maßgeblich auf die unzureichende Meldung von potentiellen Spendern durch die untersuchten Krankenhäuser der Kategorie A (Universitätskliniken) und B (Kliniken mit Neurochirurgie) zurückzuführen ist.1569 Allerdings wurde die bei weitem größte Gruppe der 1.326 Entnahmekrankenhäuser, die C-Kliniken (Kliniken ohne Neurochirurgie) mit 1.164 Häusern, nicht in die Inhousekoordination einbezogen. Ob sich ihre Meldequoten von denen der A- und B-Klinken unterscheiden, wurde dementsprechend nicht analysiert. Das ist jedoch anzunehmen. Gerade bei den kleineren unerfahrenen Klinken aus der Kategorie C ist eine Organspende mit vielen Widrigkeiten verbunden. Dennoch scheint ihr Einsatz zuzunehmen. Die „organspendebezogenen Kontakte“ der Krankenhäuser sind im Jahre 2015 insgesamt um 3,4 % auf 2.244 gestiegen, was maßgeblich auf das Engagement der C-Kliniken zurückgeführt wird.1570 Die Optimierungsvorschläge bezüglich der Krankenhausbeteiligung sind dennoch keinesfalls obsolet; unterschiedlich sind jedoch die Vorschläge geeigneter Mittel zur Motivationsförderung. Im Fokus der Missstandsbekämpfung stehen sowohl Anreizstrukturen als auch Sanktionen der Nichtbeteiligung. Unabdingbar für einen ordnungsgemäßen Einsatz im Sinne der Organspende ist eine angemessene Refinanzierung der Krankenhäuser, die in ihrem Handeln faktisch dem Diktat der Wirtschaftlichkeit unterworfen sind. Der Aufwand für die Vorbereitung und Durchführung einer Organspende, der besonders in einer finanziellen und organisatorischen Belastung besteht, ist der Einrichtung in einer Weise zu vergüten, die keine Motivationshemmung befürchten lässt.1571 Werden Entnahmekrankenhäuser durch Kostenrisiken, 1567  Zur

Situation der Meldepflicht in der Praxis siehe schon S. 107 f. Kritik an den Entnahmekrankenhäusern siehe bereits S. 105 ff. 1569  Blum, Inhousekoordination bei Organspenden, S. 103. 1570  Vgl. die Informationen der DSO unter http: /  / www.dso.de / dso-pressemitteilun gen / einzelansicht / article / organspenden-im-jahr-2015-stabil-geblieben.html (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 1571  Insbesondere auf das finanzielle Risiko weisen vor allem hin Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel, S. 66 ff.; unabhängig von möglicherweise bestehenden Defiziten betonte der damalige Gesundheitsminister Daniel Bahr die Signifi1568  Zur

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

blockierte Operationssäle und personellen Mehraufwand von einem Einsatz für die Organspende abgehalten, kann dies auch die Einführung der Entscheidungslösung in Begleitung mit den zahlreichen Werbekampagnen nicht kompensieren. Eine Organspende darf sich keinesfalls erst dann als kostendeckend erweisen, wenn eine solche auch tatsächlich realisiert wird, denn der Misserfolg der Bemühungen wird durch eine solche Handhabe demotivierend auf die Initiatoren des Spendeprozesses abgewälzt.1572 Tatsächlich anfallende Kosten müssen in jedem Fall erstattet werden.1573 Genauso wenig sollte die Einführung von moderaten ökonomischen Anreizen tabuisiert werden. Honoriert werden darf aufgrund der offensichtlichen Missbrauchsgefahr selbstverständlich nicht der Erfolg einer Organspende, sondern lediglich die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der Krankenhäuser, allem voran die Einhaltung der Meldeverpflichtung.1574 Dieser Ansatz erscheint auch insofern attraktiver als die Einführung von Sanktionen bei Verstößen gegen die Meldepflicht, als dass die Organspende auf diesem Wege keine negative Konnotation in den Krankenhäusern erhält; ein psychologischer Faktor, der nicht unterschätzt werden darf. Außerdem setzen einschlägige Sanktionen, wie etwa eine Mittelkürzung bei einem Meldeverstoß, entsprechende Nachweise voraus. Diese dürften in Anbetracht des umfassend medizinisch zu würdigenden und Einschätzungsspielräume eröffnenden Sachverhalts nur schwerlich sicher zu führen sein.1575 Daher sollte die Etablierung von Sanktionen hinter der Schaffung sinnvoller Motivationsstrukturen zurückstehen und zunächst deren Effizienz abgewartet werden.1576 kanz der finanziellen Unterstützung der Krankenhäuser im Allgemeinen, siehe Bahr, in: Kongressband zum 8. Jahreskongress der Deutschen Stiftung Organtransplantation, S. 21, 22; eingehender zum Vergütungssystem mit Fallpauschalen Helling / Bunzemeier / Roeder, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.) Förderung der Organspende, S.  99 ff. 1572  Kritisch dazu bereits Heemann, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 7, 12 f. 1573  Für die Etablierung eines angemessenen Vergütungssystems schon Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel, S. 78 ff.; Gutmann, Für ein neues Transplantationsgesetz, S.  144 ff.; Neft, in: Charbonnier / Laube (Hrsg.), Organ- und Gewebetransplantation, S. 83, 86 f.; Vilmar, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.) Förderung der Organspende, S. 27, 28; Windhorst, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.) Förderung der Organspende, S. 55, 56. 1574  Gutmann, Für ein neues Transplantationsgesetz, S. 145; Schroth, in: Gutmann / Schneewind / Schroth u. a. (Hrsg.), Grundlagen gerechter Organverteilung, S.  115, 126 f. 1575  Kritisch insofern schon Neft, in: Charbonnier / Laube (Hrsg.), Organ- und Gewebetransplantation, S. 83, 87. 1576  Eher skeptisch gegenüber Sanktionen auch Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel, S. 76 ff.; Krüger, Die Organvermittlungstätigkeit Eurotransplants im Sinne des § 12 TPG, S. 13, 18; Neft, in: Charbonnier / Laube (Hrsg.), Organ- und



IV. Rechtspolitische Gestaltungsmöglichkeiten547

bb) Die Rahmenbedingungen in Deutschland als organisatorische Hindernisse Es ist zwar wenig wahrscheinlich, jedoch nicht ausgeschlossen, dass eine Inhousekoordination der C-Kliniken zu vergleichbaren Ergebnissen kommen würde wie bei den Universitätskliniken und den Krankenhäusern mit Neurochirurgie. Dann aber bestünde das Hauptproblem der Entnahmekrankenhäuser scheinbar nicht in monetären Widrigkeiten, sondern in grundsätzlicheren Hürden, das niedrige Spenderpotential überhaupt zu aktivieren. Die Inhouse­ koordination hat festgestellt, dass die teilnehmenden Krankenhäuser der Meldeverpflichtung zwar nicht vollständig, aber weitgehend nachgekommen sind und das zusätzliche Spenderpotential bei den Kliniken, die am Förderprogramm teilgenommen haben, eher moderat ausfiel. Um rund 31 % höher lag jedoch die Zahl der Patienten, bei denen eine Hirntoddiagnostik sinnvoll gewesen wäre, aber nicht eingeleitet wurde. Dieser Prozentsatz ist laut Abschlussbericht allerdings nicht damit gleichzusetzen, dass ein Drittel mehr Spender hätten rekrutiert werden können, da es an der Klärung der medizinischen und rechtlichen Spendevoraussetzungen gefehlt hat. Insgesamt förderte das Programm die Erkenntnis zutage, dass die zusätzlichen faktischen Spender der Bundesrepublik keinesfalls zu einer Spenderzahl im europäischen Durchschnitt verhelfen würden.1577 Die größten Hindernisse bei der Realisierung von Organspenden stellen gemäß den Ergebnissen der Inhousekoordination fehlende Zustimmungen und Therapiebegrenzungen dar. Der Entschluss zum Verzicht auf eine Spendermeldung beruhte nach Angaben des Abschlussberichts maßgeblich auf einer fehlenden Zustimmung der Angehörigen.1578 Insbesondere frühzeitige Ablehnungen der Spende durch die Hinterbliebenen dürfte den Krankenhäusern eine Meldung als sinnlos erscheinen lassen; zusätzliches Spenderpotential ist dann nicht gegeben. Die tatsächlichen Ablehnungsraten liegen nach Schätzungen des Berichts deutlich höher als die Statistiken glauben machen, da diese lediglich die gemeldeten Fälle potentieller Spender erfassen; Meldungen unterbleiben jedoch bei frühzeitiger Ablehnung einer Organ­ explantation. Zudem werden immer häufiger, vor allem durch Patientenverfügungen, Therapielimitierungen unter Verzicht oder Begrenzung intensivmedizinischer Maßnahmen angestrebt, sodass die medizinischen Voraussetzungen für eine Organentnahme nicht ohne Weiteres hergestellt werden Gewebetransplantation, S. 83, 87; aufgeschlossen jedoch Boltz, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 29, 33; der Nationale Ethikrat, Die Zahl Organspenden erhöhen, S. 23. 1577  Blum, Inhousekoordination bei Organspenden, S. 95. 1578  Ebda., S. 94.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

können.1579 Diese Hindernisse sind allein durch die Bemühungen der Entnahmekrankenhäuser nicht zu bezwingen. Andere Problemfelder lagen in der Beschaffenheit und Organisation der Kliniken. Personalmangel und -belastung, mangelhafte Problemsensibilität, fehlende Standards im Organspendeprozess und Kompetenzdefizite sind nur einige Hindernisse zur optimalen Spenderabschöpfung. Maßgeblich ins Auge springt zudem ein Mangel an Kapazitäten in der organprotektiven Intensivtherapie.1580 Diese können letztlich nur durch eine gezielte Förderung der Krankenhäuser geschaffen werden. Trotz dieser ernüchternden Resultate konnte das Förderprogramm die Organisation und Prozesse der Organspende in den teilnehmenden Krankenhäusern maßgeblich verbessern. Dass die getroffenen Maßnahmen jedoch keine erhebliche Auswirkung auf die Spenderzahlen hatten, belegt dem Abschlussbericht zufolge, dass kein wesentliches zusätzliches Spenderpotential vorhanden sei.1581 Da allerdings zudem festgestellt wurde, dass das vorhandene Potential noch nicht vollumfänglich ausgeschöpft wurde und die C-Kliniken nicht an der Inhousekoordination teilgenommen haben, ist in jedem Fall eine Neu­ auflage des Förderprogramms zu empfehlen. Es könnte einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, ein bestmögliches Engagement für die Organspende in jeder Klinik sicherzustellen. Außerdem würde es den Blick auf weitergehende Störfaktoren der Organspende in Deutschland lenken, die abseits der bisher ausgiebig diskutierten Problemfelder im Verantwortungsbereich der Entnahmekrankenhäuser liegen. Bereits die hohe Krankenhausdichte in Deutschland begünstigt unterdurchschnittliche Spenderraten.1582 In anderen Ländern, wie dem Spitzenreiterland Spanien, ist zudem die gesamte Organisation der Organspende anders gelagert. Auf dem Fundament der GoodPractice-Guidelines fußt in Spanien das gesamte Spendeprozedere. Sie sehen unter anderem eine gezielte Einweisung von Patienten mit einschlägiger Indikation in Spender- oder Schwerpunktkrankenhäuser vor, regeln ein kontinuierliches Monitoring von Patienten auf Normalstationen und die frühzeitige Zusammenarbeit mit den Intensivstationen sowie eine weitgehende Spenderkonditionierung.1583 Solche Standards wären nur mit einem umfassenden politischen Maßnahmenkatalog zu verwirklichen, wobei stets wachsam zu analysieren ist, welche Vorgehensweisen einen gerechten Ausgleich zwischen 1579  Vgl. zu den beiden Hauptproblemen Blum, Inhousekoordination bei Organspenden, S.  96 ff. 1580  Ebda., S. 96. 1581  Ebda., S. 100. 1582  Ebda., S. 110. 1583  Ebda., S. 110.



IV. Rechtspolitische Gestaltungsmöglichkeiten549

Spender- und Empfängerinteressen garantieren. Ebenso wird zu prüfen sein, welche Vorkehrungen das Vertrauen der Bevölkerung in die Seriosität der Transplantationsmedizin möglicherweise weiter erschüttern würden. cc) Der Transplantationsbeauftragte als neuer Hoffnungsträger Auch wenn das nicht realisierte tatsächliche Spenderpotential niedriger sein mag als noch vor Jahren angenommen, ist eine bestmögliche Ausschöpfung zugunsten der Patienten auf der Warteliste geboten. Außerdem darf unter dem Eindruck der Ergebnisse des Förderprogramms nicht vergessen werden, dass einige Bundesländer, aufgrund von hervorragender Organisation und Engagements, bereits ähnlich hohe Spenderzahlen erreichen konnten wie Spanien.1584 Eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Organspende in den Kliniken sollte daher nicht aus dem Blickfeld geraten. Ein erster rechtlicher Ansatz war die Einführung von Transplantationsbeauftragten in jedem Entnahmekrankenhaus ((1)), die das Potential in sich trägt, nicht nur positiv auf die Organisation des Spendeablaufs am Krankenbett einzuwirken, sondern auch die Angehörigenbetreuung zu verbessern ((2)). Der grundlegende Ausgangspunkt für diese Erfolgsprognose ist eine ausreichende Fortbildung der berufenen Transplantationsbeauftragten ((3)). (1) D  ie Reform des Transplantationsgesetzes und der Landesausführungsgesetze Als Erfolgsmoment für die Verbesserung der Organisation in den Entnahmekrankenhäusern ist die gesetzliche Etablierung von Transplantationsbeauftragten in § 9b TPG zu bewerten, die bereits lange gefordert wurde.1585 Die Deutsche Stiftung Organtransplantation und ihre Auftraggeber haben am 24. November 2014 die Vereinbarung zur Tätigkeit und Finanzierung von Transplantationsbeauftragten gemäß § 7 Abs. 5 DSO-Vertrag unterzeichnet. Um den Entnahmekrankenhäusern die Kalkulation der Finanzierung der Transplantationsbeauftragten, besonders im Hinblick auf deren Freistellung, zu erleichtern und dadurch eine längerfristige Freistellung zu ermöglichen, wurde eine Vereinbarung mit einer dreijährigen Laufzeit beschlossen. Sie regelt insbesondere die Höhe der Aufwandserstattungen, die die Entnahmekrankenhäuser für die Bestellung bzw. Freistellung von Transplantationsbeauftragten erhalten, sowie deren Abrechnungsmodalitäten.1586 1584  Siehe 1585  Vgl.

bereits S. 520. nur die Forderung des 110. Deutschen Ärztetag, Beschlussprotokoll,

1586  Vgl.

BT-Drs. 18 / 7269, S. 16.

S. 11.

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Bereits Ende des Jahres 2014 waren ca. 1.600 solche Stellen in den 1.253 Entnahmekliniken besetzt und wurden mit 12 Millionen Euro finanziert. 2015 und 2016 stieg die Finanzierung auf jeweils 18 Millionen Euro.1587 Die Länder, in denen bereits Transplantationsbeauftragte tätig waren, mussten ihre Regelungen überprüfen und anpassen. Zusätzlich war ein neuer Bestellungsakt gemäß § 9b Abs. 1 S. 1 TPG erforderlich, da es an einer Fortgeltungsanordnung fehlt.1588 Obwohl bereits kurz nach der Reform des Transplantationsgesetzes gemäß der Auskunft der Länder davon auszugehen war, dass sämtliche Entnahmekrankenhäuser zumindest über einen Transplantationsbeauftragten nach § 9b TPG verfügen, verlief die tatsächliche Umsetzung der gesetzlichen Verpflichtung eher schleppend.1589 Die Bundesländer monierten das Fehlen sowohl einer langfristigen Finanzierungsregelung als auch nachvollziehbarer Parameter als Grundlage für die Berechnung der angemessenen Finanzierungshöhe. Noch bis ins Jahr 2016 waren nicht alle gesetz­ lichen Anpassungen vorgenommen worden.1590 Strukturelle Interessenvertretungen befinden sich dagegen in stetigem Ausbau (z. B. die Arbeitsgemeinschaft der Transplantationsbeauftragten in NRW e. V.), auch wenn sich eine bundesweite Vertretung der Transplantationsbeauftragten zur Kooperation, zum Erfahrungsaustausch und als Ansprechpartner für die Gremien der Selbstverwaltung bisher noch nicht etabliert hat.1591 Durch die Konzentration der organisatorischen Verantwortung bei einer dafür qualifizierten Person können Defizite in Zuständigkeitsfragen sowie den Handlungsabläufen aufgedeckt und beseitigt werden. Insbesondere die Aufklärung des medizinischen und pflegerischen Personals über die Bedeutung und die Belange der Organspende kann dazu beitragen, das diesbezügliche Klima im Krankenhaus zu verbessern und so ein größeres Engagement des Einzelnen sowie ein grundsätzliches Bewusstsein für die Organspende zu fördern. Tatsächlich fühlen sich viele Ärzte und Pflegekräfte nicht genügend über die Organspende informiert;1592 Unsicherheiten im Umgang mit den Abläufen einer Organspende standen folglich zwingend auf der Tagesord1587  Vgl. DÄBl 111 (2014), A-2039 sowie die Unterrichtung der Bundesregierung BT-Drs. 18 / 3566, S. 14 und BT-Drs. 18 / 7269, S. 16. 1588  Rixen, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 9 Rn. 2. 1589  Vgl. BT-Drs. 18 / 7269, S. 17. 1590  Vgl. zuletzt die Unterrichtungen der Bundesregierung BT-Drs. 18 / 3566, S. 14 f. sowie Vgl. BT-Drs. 18 / 7269, S. 17. 1591  Vgl. BT-Drs. 18 / 7269, S. 17. 1592  Siehe dazu eine empirische Studie von J. Müller / Behrens, in: Oduncu /  Schroth / Vossenkuhl (Hrsg.), Transplantation, S. 36, 46; Wissensdefizite sieht auch eine Umfrage der BZgA von 2011, S. 21, abrufbar unter: http: /  / www.organspendeinfo.de / sites / all / files / files / files / Pflegestudie-Veroeffentlichung-final.pdf (zuletzt abgerufen am 30.06.2017).



IV. Rechtspolitische Gestaltungsmöglichkeiten551

nung.1593 Bereits die Einführung von Transplantationsbeauftragten in einigen Bundesländern vor der Gesetzesnovelle von 2012 hat eine Steigerung der Meldungen sowie von erfolgreichen Organspenden belegt.1594 Aufgrund der partiellen Freistellung des Transplantationsbeauftragen von seinen sonstigen Tätigkeiten, der verpflichtenden organisatorischen Unterstützung durch das Krankenhaus (§ 9b Abs. 1 S. 4 TPG) sowie seiner Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit (§ 9b Abs. 1 S. 3 TPG) als auch aufgrund der Sicherstellung seiner Finanzierung (§ 11 Abs. 2 S. 2 Nr. 5 TPG), steht die ordnungsgemäße Erfüllung der Verpflichtungen bundesrechtlich auf solidem Fundament.1595 Aufgrund der Zuständigkeit der Länder für die Krankenhausplanung und die Krankenhausorganisation liegt die tatsächliche Effizienz der Tätigkeit der Transplantationsbeauftragten jedoch maßgeblich in ihren Händen. Landesrechtliche Unterschiede ergeben sich bei der Art der Ausgestaltung von Rechtsstatus und Aufgabenbereich. In den bisher zum Transplantationsgesetz erlassenen Landesausführungsgesetzen ist die Position meist durch einen Arzt, Facharzt oder Arzt in Leitungsposition besetzt. Dagegen kann in einigen Bundesländern, etwa in Sachsen oder dem Saarland, zusätzlich oder in Schleswig-Holstein ausschließlich, auch eine Pflegekraft die Aufgabe wahrnehmen. Verpasst wurde in den einschlägigen Ausführungsgesetzen regelmäßig die Implementierung einer konkreten Fortbildungspflicht.1596 Eine solche wäre insofern wünschenswert, als dass aktuelle Erfahrungen mit Intensiv­ patienten nicht bei jedem Facharzt gleichermaßen vorhanden sind. Neben Unterschieden in der Qualifikation ergeben sich solche auch bei Art und Umfang der Freistellung sowie der Vergütung.1597 Auffällig ist eine regelmäßig defizitäre Regelung der Freistellung des Beauftragten für seine spezifi1593  Kritisch zu den vergangenen Unsicherheiten und dem fehlenden Bewusstsein für die Spendemöglichkeiten bereits Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel, S.  53 f. 1594  Siehe zur Etablierung von Transplantationsbeauftragten insbesondere in Bayern Bösebeck, in: Oduncu / Schroth / Vossenkuhl (Hrsg.), Transplantation, S. 20, 22; Neft, in: Charbonnier / Laube (Hrsg.), Organ- und Gewebetransplantation, S. 83, 87. 1595  Positiv im Hinblick auf die bundesweite Etablierung von Transplantationsbeauftragen auch die BÄK, Tätigkeitsbericht 2012, S. 293; Neft, MedR 2013, S. 82, 84 f. 1596  § 3 Abs. 3 S. 3 AG-TPG in NRW spricht z. B. nur davon, dass Transplanta­ tionsbeauftragte für regelmäßige Fortbildungen freizustellen sind. Anders noch der Gesetzesentwurf der Landesregierung, der die Transplantationsbeauftragten zur Sicherstellung ihrer Qualifikation verpflichten wollte, innerhalb von drei Jahren nach ihrer Benennung (oder für bereits bestellte Transplantationsbeauftragte drei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes) eine curriculäre Fortbildung zum Thema Organspende nachzuweisen, vgl. den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Transplantationsgesetzes (AG-TPG), Vorlnr. 16 / 3182. 1597  Vgl. Deutscher Ethikrat, Hirntod und Entscheidung zur Organspende, S. 34.

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schen Aufgaben. Häufig findet sich lediglich eine pauschale Formulierung.1598 Die genaue Regelung des Zeitbudgets obliegt grundsätzlich jeder einzelnen Klinikleitung, was absehbar zu höchst unterschiedlichen und im Zweifel auch unzureichenden Ausgestaltungen der Freistellung führen wird. Da der Erfolg der Tätigkeit von Transplantationsbeauftragten maßgeblich von deren Motivation abhängt, sollte sich auch bei ihrer Vergütung nicht vor möglichen moderaten Anreizmodellen verschlossen werden, solange diese die Erfüllung der gesetzlichen Verpflichtungen und nicht die erfolgreiche Organspende belohnen. Eine nur pauschale Vergütung von nebentätigen Transplantationsbeauftragten stellt einen wesentlichen Unterschied zum Erfolgsmodell in Spanien dar, an das Deutschland mit der Schaffung des § 9b TPG ersichtlich anknüpfen wollte.1599 (2) Das Angehörigengespräch Eine Verbesserung der Gegebenheiten durch den Transplantationsbeauftragten ist nicht nur im Rahmen des organisatorischen Ablaufs einer Spendererkennung, -versorgung und -meldung zu erwarten, sondern auch bei der Kommunikation mit den Angehörigen und den rechtlichen Vertretern des poten­ tiellen Spenders. Gespräche über spendezentrierte Maßnahmen, den Hirntod ­sowie eine mögliche Organspende verlangen hohe qualitative Standards der Kommunikationsgestaltung. Zu ihnen gehört nicht nur eine empathisch-emotionale Begleitung und Beratung, sondern zusätzlich sachlich verständliche Information, die in einem geeigneten Rahmen vermittelt wird.1600 Ein geschulter Transplantationsbeauftragter ist dazu in der Lage, diese sachgerechte Kommunikationsweise sicherzustellen. Er kann die Rolle eines Betreuers des Begleitungsprozesses als „neutrales Glied“ des Krankenhauses wesentlich zuverlässiger im Geist des Transplantationsgesetzes wahrnehmen als die oft entsendeten Koordinatoren der Deutschen Stiftung Organtrans­ plantation,1601 die naturgemäß als Anwälte der Patienten auf der Warteliste 1598  Vgl. etwa § 3 Abs. 3 S. 3 AG-TPG in NRW, der nur bestimmt, dass die Transplantationsbeauftragten für ihre Tätigkeit und Fortbildungen freizustellen sind. Das bayrische AG-TPG spricht noch nicht einmal explizit von einer Freistellung, sondern regelt nur, dass der Transplantationsbeauftragte in Nebentätigkeit tätig und vom Krankenhaus unterstützt wird, wobei die Klinikleitung die kontinuierliche Aufgabenerfüllung sicherzustellen hat, vgl. Art. 8 Abs. 2 AG-TPG sowie Art. 6 Abs. 3 S. 2 AGTPG. 1599  Kritisch zur nur teilweisen Umsetzung von Regelungen aus dem spanischen Modell schon Gutmann, Für ein neues Transplantationsgesetz, S. 151 f. 1600  Vgl. Deutscher Ethikrat, Hirntod und Entscheidung zur Organspende, S. 126 f. 1601  Vgl. für die Unterstützungsangebote der DSO den DSO-Jahresbericht 2014, S. 20.



IV. Rechtspolitische Gestaltungsmöglichkeiten553

zu begreifen sind. Schließlich hat sich die Koordinierungsstelle in ihrer Satzung dem Einsatz für die Wartelistenkandidaten verpflichtet und erhält für jedes transplantierte Organ eine Organisationspauschale, was eine nicht vertrauenserweckende ideelle und finanzielle Verquickung verursacht.1602 Schon in der Vergangenheit wurde bezweifelt, dass diese Gespräche wirklich ergebnisoffen und nondirektiv geführt werden.1603 Im Fall der Hinzuziehung von Koordinatoren liegt die Zustimmungsrate im Vergleich zu den Gesprächen ohne ihre Anwesenheit tatsächlich höher.1604 Die geführten Angehörigengespräche sind ein bedeutungsvoller Dreh- und Angelpunkt im Geschehen der Organspende, in denen meist eine entscheidende Weichenstellung vorgenommen wird. Die Ergebnisse der Inhousekoordination unterstreichen diesen bereits lange bekannten Befund sogar noch, indem sie eine Ablehnung der Organspende als frühzeitige Hürde im Spendeprozess identifizieren. Jedoch vermag nur eine ergebnisoffene Beratung der Angehörigen ihrem Selbstbestimmungsrecht und demjenigen des potentiellen Spenders gerecht zu werden. Ein neuer Organisationsrahmen der Kommunikation unter maßgeblicher Leitung eines Transplantationsbeauftragten könnte dementsprechend zusätzliches Vertrauen schaffen und die Qualität der Gespräche stärken. (3) Die fachliche Qualifikation der Transplantationsbeauftragten Eine förderliche rechtliche Regelung kann zudem nicht allein Garant für ein funktionierendes Organspendemanagement vor Ort sein. Neben der notwendigen Motivation des Transplantationsbeauftragten bedarf es auch einer hinreichenden fachlichen Qualifikation. In diesem Feld sind die Ärzteschaft 1602  Vgl.

§ 2 der DSO-Satzung sowie § 7 DSO-Vertrag. BT-Drs. 17 / 11308, S. 4; Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel, S. 73; Lang, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 11 Rn. 29; gegen einen Einsatz von DSO-Koordinatoren auch der Deutsche Ethikrat, Hirntod und Entscheidung zur Organspende, S. 131 f. Eine ergebnisoffene Gesprächsführung sieht auch die Bundes­ regierung als unerlässlich an BT-Drs. 17 / 9334, S. 4; eine unkritische Feststellung der Zuständigkeit der DSO findet sich dagegen bei Middel / Scholz, in: Spickhoff (Hrsg.), TPG, Vor Rn. 18. 1604  Die Zustimmungsrate bei einer Koordinatorenbeteiligung beträgt nach der Aussage von Kirste, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.) Förderung der Organspende, S. 33, 36 f. eindrucksvolle 75,5 %, während sie bei der Gesprächsführung durch Klinikärzte lediglich 57,6 % betragen würde. Lilie, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 17 spricht von einer höheren Zustimmungsrate von 25 %, sofern das Gespräch von ausgebildeten Koordinatoren geführt wird; eine zumindest grundsätzlich höhere Zustimmungsrate bei Hinzuziehung von DSO Koordinatoren bestätigen auch Breyer / van den Daele / Engelhart u. a., Organmangel, S. 57. 1603  Vgl.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

sowie die Koordinierungsstelle gefordert, einen Beitrag zu leisten. Es bestand bereits seit August 2008 ein von der Bundesärztekammer und der Deutschen Stiftung Organtransplantation ausgearbeitetes Fortbildungsprogramm „Curriculum Organspende“, das aus einem theoretischen und praktischen Teil sowie einer Prüfung besteht.1605 Auf diesem Weg wird medizinischem und ärztlichem Personal das nötige Wissen im Bereich der Organspende vermittelt, damit sie ihren Aufgaben gerecht werden können. Aufgrund der nun verpflichtenden Ernennung von Transplantationsbeauftragten wurde bereits im Jahr der Gesetzesreform eine Weiterentwicklung und Ausrichtung auf die Bedürfnisse dieser Zielgruppe in Aussicht gestellt.1606 Den Weg zu einem qualifizierten Management soll künftig das auf Grundlage des Programms aus dem Jahre 2008 überarbeitete bundeseinheitliche Curriculum für Transplantationsbeauftragte ebnen.1607 Im Mai 2015 wurde von der Bundesärztekammer bereits ein „Curriculum Transplantationsbeauftragter Arzt“ vorgestellt und den Landesärztekammern zur Anwendung empfohlen.1608 Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat zudem jüngst eine Austauschplattform für Transplantationsbeauftragte eingerichtet, über die diese kommunizieren oder Informationen herunterladen können.1609 Diese Maßnahmen zielen in erfreulicher Weise auf eine Vereinheitlichung der Standards der bundesweit tätigen Transplantationsbeauftragten, die sowohl für allgemeine organisatorische Rahmenbedingungen als auch für die Qualität der Angehörigengespräche von Vorteil sein wird.

1605  Das „Curriculum Organspende“ ist abrufbar unter: http: /  / www.bundes aerztekammer.de / fileadmin / user_upload / downloads / CurrOrganspende.pdf (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). Zur curricularen Fortbildung siehe Wirges, in: Kongressband zum 8. Jahreskongress der Deutschen Stiftung Organtransplantation, S. 56 f. 1606  BÄK, Tätigkeitsbericht 2012, S. 293. 1607  Vgl. die Berichterstattung des Deutschen Ärzteblatts, http: /  / www.aerzteblatt. de / nachrichten / 63690 / Qualifizierte-Transplantationsbeauftragte-sollen-Vertrauen-indie-Organspende-festigen (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 1608  Das „Curriculum Transplantationsbeauftragter Arzt“ ist abrufbar unter: http: /  / www.bundesaerztekammer.de / fileadmin / user_upload / downloads / pdf-Ordner /  Fortbildung / Curr-Transplantationsbeauftragter-Arzt.pdf (zuletzt abgerufen am 30.06. 2017). 1609  Siehe DÄBl 112 (2015), A-1054; Programme speziell zur Klinikkommunikation und den Angehörigengesprächen sind der Workshop „Entscheidungsbegleitung für Angehörige“ der DSO sowie das vom Bundesgesundheitsministerium geförderte Modellprojekt „Interprofessionelle Kommunikation und Kooperation“, vgl. Deutscher Ethikrat, Hirntod und Entscheidung zur Organspende, S. 149 ff.



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c) Verstärkung der Steuerung und Überwachung der Transplantationszentren Den Transplantationszentren kommt als „Herren über die Warteliste“ eine zentrale Rolle bei der Organzuteilung zu. Ohne ihr Votum, das eine Transplantation für notwendig und erfolgsversprechend erklärt, erhält ein Patient keinen Zugang zu den von Eurotransplant allozierten Organen. Ihre wartelistenrelevanten Entscheidungen haben hoheitlichen Charakter und bedürfen einer angemessenen Steuerung im Vorhinein (aa)) sowie einer effizienten Kontrolle im Nachgang (bb)), die sich in der Praxis als tauglich beweisen muss (cc)).1610 aa) Die Entscheidungsprozesse der Transplantationszentren Zuvörderst ist der Gesetzgeber gefragt, den Transplantationszentren klare Urteilsmaßstäbe für ihre die Warteliste betreffenden Entscheidungen an die Hand zu geben. Die im Anschluss an das gesetzliche Tätigwerden aufgestellten normkonkretisierenden Regelungen müssen sich sodann als klare und widerspruchsfreie Zusammenfassung der aktuellen medizinischen Erkenntnisse darstellen, die die staatlich vorgegebenen Parameter möglichst konkret abbilden. Den Zentren dürfen keine maßgeblichen Unsicherheiten und Entscheidungsspielräume aufgedrängt werden. Die Steuerung der ärztlichen Einordnung des Patienten, als für diesen höchst wesentliche Entscheidung, muss so vorstrukturiert sein, dass eindeutige Handlungsmaßstäbe vorgegeben werden und ärztliche Spielräume nur dort bestehen, wo Fragen des Vorliegens eines bereits vorgegebenen Entscheidungskriteriums durch eine „VorOrt-Expertise“ geklärt werden müssen. Der Rückzug auf die ausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriffe „Notwendigkeit“ und „Erfolgsaussicht“ setzt keine adäquate Entscheidungsgrundlage für den konkreten Entschluss über die Aufnahme eines Patienten in die, oder seine Herausnahme aus der Warteliste durch. Ebenso haben die erfolgten Überprüfungen der Transplantationszen­ tren im Rahmen der Entdeckung zahlreicher Unregelmäßigkeiten enthüllt, dass die Richtlinien der Bundesärztekammer dringend einer Präzisierung und Aktualisierung bedürfen, um Fehlinterpretationen zu vermeiden.1611 Nur nach einer entsprechenden Überarbeitung können bewusste Richtlinienver1610  Zur

Analyse des Rechtsrahmens der Transplantationszentren siehe S. 382 ff. hat bereits die BÄK selbst in ihrem Tätigkeitsbericht von 2013, S. 23 festgestellt. Sehr kritisch zur Klarheit der Richtlinien Gutmann, in: Haarhoff (Hrsg.), Organversagen, S. 143, 172 f. Die Mehrdeutigkeit der Richtlinien war zudem ein wichtiges Motiv der Staatsanwaltschaft, die Ermittlungen gegen das Transplantationszentrum Münster einzustellen, vgl. die Unterrichtung der Bundesregierung, BT-Drs. 18 / 3566, S. 10. 1611  Das

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

stöße von bloßen Missverständnissen oder differierenden Interpretations­ ansätzen unterschieden werden. Für die Transplantationszentren würde dies einen unerlässlichen Zuwachs an Rechtssicherheit bedeuten. Zudem ist die Einrichtung des Arbeitsgruppenkonsiliums als Ad hoc-Gremium bei der Bundesärztekammer zu begrüßen, das konkrete Anfragen hinsichtlich der Richtlinienanwendung beantwortet, die Entscheidung aber den Ärzten in den Transplantationszentren überlässt (§ 14 des Statuts der Ständigen Kommission Organtransplantation).1612 Bis Ende September 2015 hat das Konsilium bereits 30 Eingaben beantwortet.1613 Zugleich sollte bei der Anpassung der Richtlinien bedacht werden, dass die vor Ort tätigen Ärzte nicht selten in Dilemmasituationen manövriert werden, in denen eine optimale Therapie dem Patienten schadet, da sie seine medizinischen Werte zwar verbessert, seine Aussicht auf ein Organ jedoch gleichzeitig schmälert. Aus diesem Grund werden vermehrt Sonderregelungen gefordert, die eine bestmögliche Behandlung des Patienten im Vorfeld der Transplantation unterstützen.1614 Konkrete Anpassungsvorschläge könnten bei der aktuellen Richtlinienüberarbeitung1615 von der Ständigen Kommission Organtransplantation bereits alsbald unterbreitet werden. Um den Gefahren der subjektiv konnotierten Wartelistenentscheidungen gegenzusteuern, sind zusätzlich verfahrensrechtliche Absicherungen wie Dokumentations- und Begründungsauflagen, umfassende Aufklärung sowie Gewährung von Akteneinsicht und Rechtsschutz notwendig.1616 Das in den Richtlinien eingeführte Mehraugenprinzip bei der Listung eines Patienten durch das Erfordernis der Entscheidung einer Transplantationskonferenz sowie ihre Unterrichtung über alle relevanten Behandlungen, Ergebnisse und Entscheidungen stellen bei der Zentrenkontrolle einen Schritt in die richtige Richtung dar. Eine elementare Neuausrichtung der Entscheidungsfindung wird man von der Neuregelung allerdings nicht erwarten dürfen, denn die einschlägigen Entschlüsse wurden auch in der Vergangenheit nicht von einem Arzt im Alleingang getroffen. Transplantationskonferenzen waren bereits vorher eine nicht unübliche Praxis.1617 Nun ist jedoch immerhin die 1612  Vgl. BT-Drs. 18 / 7269, S. 12, 22; Siegmund-Schultze, DÄBl 45 (2014), A-1939. 1613  BT-Drs. 18 / 7269, S. 12. 1614  Vgl. Umgelter, in: Haarhoff (Hrsg.), Organversagen, S. 179, 211. 1615  Eine Gesamtrevision der Allokationsrichtlinien befindet sich in Arbeit, vgl. die Unterrichtung der Bundesregierung BT-Drs. 18 / 3566, S. 11. 1616  Siehe Lang, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 10 Rn. 31; Schmidt-Aßmann, in: Kern / Wadle / Schroeder u. a. (Hrsg.), FS Laufs, S. 1049, 1062. 1617  Siehe Patientenschutz-Info-Dienst vom 24.06.2013, S. 4; von Transplantationskonferenzen zur Entscheidungsfindungen bzgl. der Warteliste spricht auch schon BT-Drs. 15 / 4542, S. 28.



IV. Rechtspolitische Gestaltungsmöglichkeiten557

Festlegung ihrer Mindestbesetzung unter Beteiligung von einer nicht unmittelbar am Transplantationswesen beteiligten und damit weitgehend unabhängigen Person erfolgt. bb) Die rechtliche Ausgestaltung der Entscheidungskontrolle im Transplantationsgesetz Die rechtlichen Bemühungen dürfen sich natürlich nicht auf eine Intensivierung der klinikeigenen Aufsicht beschränken, sondern sind im System des Transplantationswesens insgesamt zu verankern, was bisher nur mäßig gelungen ist ((1)). In Zukunft ist die Überwachung des gesamten Transplanta­ tionssystems in einen fundierten Rechtsrahmen einzubetten ((2)). (1) Die bisherigen Versäumnisse des Gesetzgebers Bereits vor der Reform im Jahre 2012 herrschte nicht nur in der Wissenschaft weitgehend Einigkeit über den Novellierungsbedarf des transplanta­ tionsrechtlichen Überwachungssystems; auch die Politik erkannte eine grundsätzliche Revisionsnotwendigkeit. So stellte der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum Gewebegesetz fest, dass eine ausreichend wirkungsvolle Aufsicht über die am Transplantationsprozess beteiligten Institutionen nicht gewährleistet sei. Sie wäre nicht geeignet, die Einhaltung der Vorschriften zu Qualität und Sicherheit notfalls staatlicherseits zu erzwingen. Der Bundesrat forderte im Zuge der Gesetzesänderung zur Anpassung des Transplantationsgesetzes an die RL 2004 / 23 / EG1618 im Jahre 2006 daher die Schaffung neuer rechtlicher Rahmenbedingungen für eine effektive Überwachung der beteiligten Institutionen. Die Bunderegierung zeigte sich grundsätzlich offen für die Novellierungsforderung des Bundesrats, vertröstete diesen jedoch auf eine grundsätzliche Reformierung des Transplantationsgesetzes, da vorerst lediglich die zwingenden Änderungen aufgrund der EG-Geweberichtlinie Berücksichtigung finden sollten.1619 Im Bericht zum 10-jährigen Bestehen des Transplantationsgesetzes räumte die Bundesregierung später ein, dass zumindest die Pflicht zur Kooperation im Vertragswerk konkretisiert werden sollte, um die Effektivität der Kommission zu stärken.1620

1618  RL  2004 / 23 / EG zur Festlegung von Qualitäts- und Sicherheitsstandards für die Spende, Beschaffung, Testung, Verarbeitung, Konservierung, Lagerung und Verteilung von menschlichen Geweben und Zellen. 1619  BT-Drs. 16 / 3146, S. 56 und S. 59. 1620  BT-Drs. 16 / 13740, S. 8; siehe auch die Einschätzung des Vertreters des Bundesgesundheitsministeriums Nickel, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), S. 9, 12.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

Durch die Reform des Transplantationsgesetzes im Jahre 2012 hat der Gesetzgeber einen Schritt in die richtige Richtung unternommen und die Stellung der Überwachungs- und Prüfungskommission gestärkt. Von Seiten der Gremien ist zu begrüßen, dass die Abschottung der Kommissionsarbeit mit den Manipulationsskandalen endlich ein Ende gefunden hat, indem ihre Berichte nun der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.1621 Eine gesetzliche Verankerung dieser Transparenz wäre zu ihrer Absicherung allerdings wünschenswert, denn sie ist elementare Voraussetzung für ein Klima des Vertrauens in die Transplantationsmedizin. Es ist zudem rechtsstaatlich bedenklich, dass die Kontrolle der Transplantationszentren nicht umfassender Eingang in das Transplantationsgesetz gefunden hat.1622 Aufgrund der sehr speziellen und missbrauchsanfälligen Materie wären konkrete transplantationsrechtliche Regelungen wünschenswert, die den mit Experten besetzten Kontrollkommissionen Einwirkungs- und Durchsetzungsbefugnisse einräumten. Für einen effektiven Grundrechtsschutz keinesfalls ausreichend sind informelle Einflussmöglichkeiten von am Transplantationssystem beteiligten Akteuren wie etwa die unverbindliche Bitte an eine Klinikleitung, Missstände zu beheben.1623 Zudem hätten die regelmäßigen verdachtsunabhängigen sowie die verdachtsabhängigen Visitationen der Transplantationszentren im Transplantationsgesetz oder in einer Rechtsverordnung festgeschrieben werden sollen. Gleiches gilt für die Sanktionsmöglichkeiten und die staatlichen Einwirkungskompetenzen im Fall einer Schlechterfüllung der Aufsicht durch die Überwachungsgremien. Die neuerliche Reform aus dem Jahre 2013 hätte eine Gelegenheit geboten, den von der Politik angekündigten Maßnahmen für ein transparentes und vertrauenswürdiges Transplantationssystem einen gesetzlichen Rahmen zu geben. In Anbetracht der weitreichenden Erklärungen kann die Unberührtheit der mittlerweile prominenten Überwachungs­ paragrafen des Transplantationsgesetzes nur verwundern.

1621  Dies wurde z. B. schon gefordert durch Verrel, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 199, 205; skeptisch bzgl. einer öffentlichen Faktenbekanntgabe aufgrund der Gefahr von schwerwiegenden Missverständnissen jedoch Angstwurm, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 239, 241. 1622  Zur rechtlichen Kritik an der fehlenden gesetzlichen Verankerung der Kon­ trollintensivierung siehe bereits S. 388 ff. 1623  Auf diese Möglichkeit verweist Verrel, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 199, 202; auch er sieht jedoch einen Mangel an rechtlichen Einwirkungsmöglichkeiten.



IV. Rechtspolitische Gestaltungsmöglichkeiten559

(2) Perspektiven einer Gesetzesnovellierung Will man die Kompetenz gesellschaftlicher Kräfte nutzen, kommt eine Überführung der Kontrolle in das staatliche Aufsichtsregime nicht in Betracht.1624 Eine besondere Flexibilität und ein hohes Maß an Sachkunde sind gewichtige Argumente für einen eher berufsrechtlichen Ansatz.1625 Durch die Beibehaltung des bereits etablierten Systems würde zudem die Übertragung der Probleme einer klassischen Aufsichtsverwaltung mit ihrer Bürokratie verhindert.1626 Vorschläge für eine effiziente Ausgestaltung des Systems wurden in der Literatur bereits unterbreitet. In Betracht kommt beispielsweise eine Beleihung der Beteiligten mit der Überwachung,1627 sodass sich die Kontrollinstanz staatlicher Durchsetzungsmittel bedienen könnte. Gleichzeitig bestünde eine neue Rechtssicherheit durch die Bindung des Aufsichtsgremiums an die verwaltungsrechtlichen Anforderungen. Schlussendlich wäre der Staat bei einer ordnungsgemäßen Beleihung auch verpflichtet, den Beliehenen zu beaufsichtigen, sodass er die Möglichkeit hätte, bei einer Schlechterfüllung der Aufsichtstätigkeit einzugreifen.1628 Ein anderes denkbares Konzept ist die Einführung einer Aufsichtskon­ struktion, die sich am Recht der Wirtschaftsprüfer orientiert. Die Wirtschaftsprüfverordnung regelt ein kammerrechtliches Modell, bei der die Berufskammern als Körperschaften des öffentlichen Rechts organisiert sind. Das Ordnungssystem sieht umfassende Ermittlungs- und Sanktionsmöglichkeiten der 1624  Ein staatliches Aufsichtssystem mit weitreichenden Eingriffsbefugnissen der zuständigen Stellen findet sich jedoch beispielsweise in der Schweiz nach §§ 63 ff. des Schweizer TPG. 1625  So schon Lilie, in: Ahrens / Bar / Fischer u. a. (Hrsg.), FS Deutsch 80. Geburtstag, S. 331, 340, der vor allem auf die Überforderung staatlicher Stellen bei der Bewertung medizinischer Sachverhalte abstellt; die Vorzüge selbstregulativer Strukturen erkennt auch an Augsberg, Gesetzliche Regelungen zur Organ- und Gewebespende, S. 16 ff., der zusätzlich auf die Erhöhung der Akzeptanz entsprechender Regelungen in den betroffenen Berufskreisen abstellt; für eine Beibehaltung der selbstverwalteten Kontrolle auch Verrel, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 199, 206. Teilweise wird die Schaffung einer unabhängigen, zumindest halbstaatlichen Stelle auf Bundesebene zur umfassenden Organisation und Qualitätskontrolle der Transplantationsmedizin gefordert, vgl. Hacker (Hrsg.), Transplantationsmedizin und Organallokation in Deutschland, S. 11 f. Für die Etablierung einer staatlichen Behörde mit Regulierungs-, Aufsichts- und Kontrollfunktionen Kreß, in: Hilpert / Sautermeister (Hrsg.), Organspende, S. 281, 292. 1626  Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S. 164. 1627  Die Möglichkeit der Beleihung mit Vollzugsaufgaben findet sich beispielsweise in § 54 des Schweizer TPG. 1628  Ausführlich zu der Möglichkeit der Beleihung Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S.  165 f.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

Berufskammer vor (§ 62 ff. WPO). Die statuierten Mitwirkungspflichten, wie beispielsweise Auskunfts- und Vorlagepflichten oder die Pflicht persönlich zu erscheinen, können mittels Zwangsgeld durchgesetzt werden (§ 62a WPO). Hinzu kommen ein Betretungsrecht für Grundstücke und Geschäftsräume und das Recht, Einsicht in die Unterlagen zu nehmen und Kopien von diesen zu verlangen (§ 62 Abs. 4 WPO). Zudem werden anlassunabhängige Sonderuntersuchungen zugelassen (§ 62b WPO). Ebenso normiert ist ein von der Wirtschaftsprüferkammer zu beachtendes Verfahrensrecht (z. B. ein Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 62 Abs. 2 WPO oder ein Verwertungsverbot nach § 62 Abs. 5 WPO). Das etablierte Aufsichtssystem ist demzufolge mit den notwendigen Mitteln ausgestattet, um Sicherheit und Transparenz zu garantieren. Eine Orientierung an seinen Vorgaben scheint bei einer Reformierung des Transplantationsgesetzes wünschenswert.1629 Die Umsetzung dieser Modelle scheint jedoch in naher Zukunft sehr unwahrscheinlich. Weder Politik noch Selbstverwaltung machen Anstalten, solche Vorschläge auch nur ernsthaft zu diskutieren. Vielmehr wird sich ein etwaiger – zwingend notwendiger – Reformvorstoß innerhalb der gewohnten Strukturen halten. Unabhängig vom Ansatzpunkt des Gesetzgebers, muss eine ausreichende und vor allem praxistaugliche Überwachungsstruktur geschaffen werden. Aber auch solche moderat intensiven Eingriffe in das Kontrollsystem sind kurzfristig nicht zu erwarten. cc) Die Durchführung der Kontrollmaßnahmen Dass gerade bei der Überwachung von Allokationsauffälligkeiten Nachbesserungsbedarf bestand, haben die vergangenen Manipulationen der Warteliste in mehreren Transplantationszentren eindrucksvoll belegt. Diese Skandale waren jedoch nicht die einzigen Unregelmäßigkeiten in der Geschichte der Transplantationsmedizin in Deutschland. Sie drangen jedoch nur vereinzelt an die Öffentlichkeit. So der Fall einer Nierenzuteilung „auf dem kleinen Dienstweg“. Bei diesem Vorfall wurde der Ehefrau eines Verstorbenen dessen Niere zugesprochen, um sie als Angehörige zu einer Zustimmung zur Organentnahme zu bewegen. Eine solche „gerichtete Organspende“ unter Umgehung des Allokationsverfahrens ist nach den Regelungen des Transplanta­ tionsgesetzes nicht gestattet. Dennoch hatte die Prüfungskommission den 1629  Eingehend zur Übertragung der Grundsätze der WPO auf das Transplanta­ tionswesen Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S. 166 ff.; zustimmend Lilie, in: Ahrens / Bar / Fischer u. a. (Hrsg.), FS Deutsch 80. Geburtstag, S. 331, 340 f.; etwas zurückhaltender im Hinblick auf die Einführung von Zwangsbefugnissen und Sank­ tionen für Fehlverhalten dann jedoch ders., in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 17, 19.



IV. Rechtspolitische Gestaltungsmöglichkeiten561

zustimmenden Beschluss des Transplantationszentrums als „vertretbare Einzelfallentscheidung“ gewertet und das Vorliegen einer Allokationsauffälligkeit verneint. Dieses Vorgehen erscheint trotz des ethischen Dilemmas, das diesem Fall unzweifelhaft innewohnt, nicht angemessen.1630 Genauso wenig überzeugend ist der Verzicht einer Information der Bußgeldstelle nachdem ein Transplantationszentrum ein für einen bestimmten Patienten vorgesehenes Organ einem anderen Wartelistekandidaten transplantiert hat.1631 Ebenso kann ein bloßes In Kenntnis setzen der Landesärztekammer nicht genügen, wenn ein deutsches Ärzteteam, aufgrund eines geplanten Ausbildungsabkommens mit einem polnischen Klinikum, Lungen aus Polen an der Warteliste vorbei verpflanzt.1632 Diese Vorkommnisse seien nur als Beispiele genannt. Die mangelnde strikte Ahndung von manches Mal zwar menschlich nachvollziehbaren, aber rechtlich missbilligten Handlungsweisen gefährdet die Rationalität des Gesamtverteilungsverfahrens und entwertet die Grundidee einer effektiven Aufsicht durch das Institut der regulierten Selbstregulierung.1633 Eine umfassende gutachterliche Stellungnahme zum transplanta­ tionsrechtlichen Kontrollsystem, das im Zuge der Manipulationsskandale vom Bundesministerium für Gesundheit in Auftrag gegeben wurde, bescheinigt der Verfahrensarbeit der Überwachungsinstitutionen zu Recht noch einigen Nachbesserungsbedarf. Probleme bereiten etwa die Uneinheitlichkeit der Verfahrensgestaltung, die nicht immer einen formalisierten Abschluss eines Falles – etwa im Sinne eines finalen Berichts – vorsieht oder auch der große zeitliche Abstand der Kommissionsentscheidungen zu den untersuchten Handlungen. Zudem erweist sich die Prüfungskommission als sehr zurückhaltend, was die Weiterleitung gewonnener Erkenntnisse an die staatlichen Behörden angeht. Wird von deren Information abgesehen, werden staatliche Sanktionsmechanismen von vornherein lahmgelegt.1634 Es fehlt insgesamt an 1630  So auch Augsberg, Gesetzliche Regelungen zur Organ- und Gewebespende, S. 44; kritisch zu diesem Fall zudem Lang, in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin in Deutschland, S. 61, 64 ff.; Höfling, Patientenschutz-InfoDienst 3 / 2011, S. 7; weniger kritisch dagegen Lilie, in: Ahrens / Bar / Fischer u. a. (Hrsg.), FS Deutsch 80. Geburtstag, S. 331 f. 1631  Augsberg, Gesetzliche Regelungen zur Organ- und Gewebespende, S. 46. 1632  Kritisch zu diesem Vorfall Haarhoff, in: Haarhoff (Hrsg.), Organversagen, S.  237, 262 f. 1633  Augsberg, Gesetzliche Regelungen zur Organ- und Gewebespende, S. 45 f.; Mängel durch die Nichtnutzung bestehender Kontroll- und Aufsichtsrechte sieht Krüger, Die Vermittlungstätigkeit Eurotransplants im Sinne des § 12 TPG, S. 316 ff.; sehr kritisch bzgl. der Kontrolltätigkeit auch Haarhoff, in: Haarhoff (Hrsg.), Organversagen, S. 237, 256 ff.; die aktuellen Prüfungsverfahren nach den Manipulationsskandalen kritisiert Gutmann, in: Haarhoff (Hrsg.), Organversagen, S. 143, 167 ff. 1634  Zu den unzureichenden Konsequenzen der Kommissionstätigkeit siehe das Gutachten von Augsberg, Gesetzliche Regelungen zur Organ- und Gewebespende, S.  53 ff.

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einer systematischen Durchdringung der Vorgänge mittels einer etablierten Prüfungsstruktur und an einer konsequenten Nachsorge bzw. Verfolgung von aufklärungsbedürftigen Ungereimtheiten, da der Fokus der Prüfungskommission zu sehr auf eine Betrachtung des Einzelfalls gerichtet ist. Die Konzipierung einer klaren Verfahrensordnung könnte dem entgegenwirken. Unerlässlich für die Funktionsfähigkeit des Transplantationssystems ist zudem eine effiziente Aufgabenwahrnehmung durch die einzelnen Mitglieder der Kontrollkommissionen. Ins Blickfeld gerät an dieser Stelle die bloß ehrenamtliche Tätigkeit der Gremienvertreter. Diese sichert zwar eine gewisse Flexibilität im Rahmen der Prüfungsdurchführung;1635 staatliche Stellen haben jedoch kontinuierlich zu überprüfen, ob das Ehrenamt einen adäquaten Kontrolleinsatz sicherstellt.1636 Bedenken bereitet schließlich eine gewisse personale Verquickung der Beteiligten, gerade wenn ein bereits als Fachgutachter bestellter Arzt selbst für Allokationsauffälligkeiten verantwortlich gemacht wird. Wenn sich die mediale und mittlerweile auch vermehrt wissenschaftliche und politische Aufmerksamkeit auf die Verflechtungen der Organisationsstrukturen in der Selbstverwaltung der Transplantationsmedizin richtet und sowohl Interessenkonflikte als auch Abhängigkeiten moniert, sind die Vorwürfe ernst zu nehmen1637 und nicht durch eine bloße Berufung der Kommissionen auf Inkompatibilitätsregeln bereits entkräftet.1638 Noch immer sind die Auftraggeber selbst maßgebliche Kontrolleure ihrer eigenen Vertragspartner. Zudem macht der nur kleine elitäre Kreis der Experten der Transplantationsmedizin1639 eine 1635  So der Tätigkeitsbericht der Überwachungs- und Prüfungskommission von 2014 / 15, S. 28, abrufbar unter: http: /  / www.bundesaerztekammer.de / fileadmin / user_ upload / downloads / pdf-Ordner / Transplantation / 2015_09_26_BerPKUEK201415mit KB.pdf (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 1636  Die Bundesregierung sieht jedoch selbst bei den aufwändigen Vor-Ort-Prüfungen keine Gefahr der Prüfqualität, sondern hebt die Flexibilität, die Praxiserfahrung sowie das hohe Maß an Sachverstand der Prüfer hervor, vgl. BT-Drs. 18 / 1395, S. 6. 1637  Zuletzt Haarhoff, in: Haarhoff (Hrsg.), Organversagen, S. 237, 253 ff.; Wuttke, in: Haarhoff (Hrsg.), Organversagen, S. 267, 295; Gutmann, in: Haarhoff (Hrsg.), Organversagen, S. 143, 173 beschreibt den Transplantationssektor sogar als „Interessenbasar“. Bereits im Bericht zum zehnjährigen Bestehen des Transplantationsgesetzes haben einige Bundesländer das Aufsichtssystem kritisiert. Eine Überwachung der Koordinierungsstelle nur durch die Auftraggeber sei aufgrund potentieller Abhängigkeiten und „personeller Gemengelagen“ nicht ausreichend, zur Kritik vgl. BT-Drs. 16 / 13740, S. 52 f. 1638  Auf Inkompatibilitätsregeln weist der Tätigkeitsbericht der Überwachungsund Prüfungskommission von 2014 / 15 hin, S. 28, abrufbar unter: http: /  / www.bundes aerztekammer.de / fileadmin / user_upload / downloads / pdf-Ordner / Transplan tation / 2015_09_26_BerPKUEK201415mitKB.pdf (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 1639  Tatsächlich sind die Experten auf dem Gebiet der Transplantationschirurgie eher rar. Während die Deutsche Transplantationsgesellschaft nur ca. 700 Mitglieder



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„Ämterhäufung“ zur Sicherung der Sachkunde in verschiedenen Gremien fast zu einer Selbstverständlichkeit. Da man auf die Expertise von im Transplantationswesen tätigen Medizinern keinesfalls verzichten kann, erscheint es nicht nur hinnehmbar, sondern erforderlich, dass einige Mitglieder der Kommissionen in weiterer Weise mit dem Transplantationssystem verbunden sind.1640 Diese Konstellation macht jedoch ein Gegengewicht in den Gremien erforderlich, das nur von staatlichen Vertretern sichergestellt werden kann, die die Entscheidungsvorgänge innerhalb der Kommissionen ihrerseits überwachen. Nur ihre höchst engagierte Beteiligung sowie der hinzugezogenen staatlichen Behörden überhaupt kann das notwendige Vertrauen in die Sys­ tementscheidungen des Transplantationsrechts sicherstellen. Den Vorwurf einer weitreichenden Untätigkeit der Kontrolleure sowie die Vorstellung, die Prüfungen würden „im Bereich korporatistischer Opportunität und des internen Interessenausgleichs der beteiligten Organisationen“1641 verbleiben, konnte das Gutachten jedoch wiederlegen. Eine bewusst reduzierte „kontrollierte Kontrolle“ hat in dieser Weise nicht stattgefunden. Insgesamt beweist die Aufdeckung und Ahndung des Manipulationsskandals in Göttingen im Sommer 2012, dass die Kontrollen der Selbstverwaltung, trotz einigen Nachbesserungsbedarfs, im Grundsatz funktionstüchtig sind.1642 Nach einer Weiterleitung der Informationen aus dem anonymen Anruf bei der Koordinierungsstelle im Juli 2011 haben die Untersuchungen der Komzählt, sind es bei der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin ca. 22.000, vgl. Haarhoff, in: Haarhoff (Hrsg.), Organversagen, S. 237, 254. 1640  Kritisch zu der Tatsache, dass Vertreter der StäKo durch ihre gleichzeitige Mitgliedschaft in der Überwachungs- und Prüfungskommission nicht nur an der Erstellung, sondern auch Kontrolle der Einhaltung der Transplantationsrichtlinien beteiligt sind, äußert sich die Deutsche Stiftung Patientenschutz, Patientenschutz-InfoDienst vom 24.06.2013, S. 7. Im Gegensatz zur Kontrolle der Einhaltung der Richt­ linien durch die aktiv in Transplantationszentren tätigen kontrollierten Mediziner, scheint das Konfliktpotential in diesem Fall jedoch gering. 1641  Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 55. 1642  Für ein ausführliches Zwischenfazit über das Funktionieren des Selbstüberwachungskonzepts siehe die kritischen Anmerkungen von Augsberg, Gesetzliche Regelungen zur Organ- und Gewebespende, S. 63 f.; Lilie, in: Ahrens / Bar / Fischer u. a. (Hrsg.), FS Deutsch 80. Geburtstag, S. 335 f. und Verrel, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 199, 204 f. (beide in das Transplantationswesen betreffende Gremien der BÄK eingebunden) kommen, trotz Bemängelung der rechtlich schwachen Ausgestaltung der Eingriffsbefugnisse der Kommissionen, hingegen zu einem positiveren Ergebnis bei der Bewertung der Kommissionstätigkeit in der Praxis; ein positives Fazit aus der Kommissionsarbeit zieht auch der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, nach der Überprüfung der Lebertransplantationsprogramme in einem Kurzstatement. Das Statement ist abrufbar unter: http: /  / www.bundesaerztekammer.de / page.asp?his=0.6. 3285.11639.11640.11641 (zuletzt abgerufen am 30.06.2017).

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missionen eingesetzt, wenn auch staatliche Stellen erst im folgenden Jahr und damit zu einem recht späten Zeitpunkt informiert wurden. Im Hinblick auf vergangenes Kontrollverhalten scheinen aber auch Vorwürfe an staatliche Behörden berechtigt. Völlig verstörend wirkt ein Fall des Transplantationszentrums Regensburg aus dem Jahre 2005, an dem zum Zweck der Organ­ zuteilung eine Patientin aus Jordanien gemeldet wurde. Ein Ärzteteam reiste mit der allozierten Leber ins Ausland und nahm die Transplantation vor.1643 In dieser Angelegenheit wurde der Sachverhalt tatsächlich an das zuständige Ministerium und die Staatsanwaltschaft weitergegeben, die jedoch keine maßgeblichen Konsequenzen zogen.1644 Die im Zuge der neuesten Unregelmäßigkeiten intensivierten Kontrollen der Transplantationszentren werden nun von organspezifischen Prüfungsgruppen vorgenommen, in denen jeweils zwei Mitglieder der Prüfungs- oder der Überwachungskommission sowie zwei für das jeweilige Transplanta­ tionsprogramm unabhängige sachverständige Ärzte vertreten sind. Begleitet wird die Prüfungsgruppe von Mitarbeitern der zuständigen Landesministe­ rien.1645 Insbesondere die Landesvertreter sind Essentialia zur Gewährleistung der staatlichen Überwachungspflicht. Ihre ausreichende Qualifikation zur Durchdringung der Materie ist unbedingt sicherzustellen, um das Vertrauen in die Prüfungstätigkeit nicht zu gefährden. Die bei der Transplantationszentrenüberprüfung unmittelbare staatliche Kontrollbeteiligung durch die Vertreter der Länder stellt aus diesen Gründen einen lohnenswerten Kompromissversuch zwischen Expertisensicherung und staatlicher Überwachungsverpflichtung dar. Der Vorwurf einer Prüfung anhand undurchsichtiger Bewertungskriterien und willkürlichen Bewertungsmaßstäben durch die Selbstverwaltung ist trotz staatlicher Beteiligung bereits erhoben worden.1646 Fehler 1643  Vgl. Siegmund-Schultze, DÄBl 109 (2012), A-1534, 1536. Bei dem maßgeblich handelnden Arzt handelte es sich um jenen, der später aufgrund der „Göttinger Manipulationen“ vor Gericht stand. Zu Unregelmäßigkeiten bzgl. „Auslandstransplantationen“ vgl. auch Lilie, in: Ahrens / Bar / Fischer u. a. (Hrsg.), FS Deutsch 80. Geburtstag, S. 332 f. 1644  Vgl. Siegmund-Schultze, DÄBl 109 (2012), A-1534, 1536. 1645  Zu den flächendeckenden Kontrollen siehe BÄK, Tätigkeitsbericht 2012, S. 303. 1646  Zu den Vorwürfen siehe Gutmann, Rechtswissenschaftliches Gutachten zu dem „Kommissionsbericht der Prüfungs- und der Überwachungskommission“ gemäß § 11 Abs. 3 und § 12 Abs. 5 TPG vom 28.08.2013 über das Lebertransplantationsprogramm des Universitätsklinikums Münster. In diesem Gutachten bescheinigt Gutmann dem Prüfbericht, der dem Universitätsklinikum Münster systematische Richtlinienverstöße vorwirft, schwerwiegende Mängel. Die Transplantationszentren seien vor allem nicht nach „einheitlichen Kriterien“ untersucht und es sei richtlinienfremdes Material zur Begründung eines Richtlinienverstoßes herangezogen worden. Zu den „einheitlichen Kriterien“ der Prüfung sowie der Definition der Begriffe „systematische“ und „schwerwiegende“ Richtlinienverstöße vgl. die Antwort der Bundesregie-



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bei den Prüfungen wurden in der Tat bereits von den Kommissionen selbst eingeräumt.1647 Ebenso aktuell ist die Unterstellung einer volitiv oberfläch­ lichen Untersuchung in einzelnen Transplantationszentren.1648 Nur eine qualifizierte staatliche Begleitung des gesamten Aufklärungsprozesses kann dazu beitragen, solche Vorwürfe überzeugend zu entkräften oder die Voraussetzungen der Überprüfungen zu verbessern. Umso ernüchternder ist die Nachricht, dass die zuständigen Behörden zweier Bundesländer darauf verzichtet haben, eigene Vertreter zu den Vor-Ort-Prüfungen zu entsenden.1649 d) Die Deutsche Stiftung Organtransplantation – ein Modell mit Zukunft? Nach dem Bekanntwerden der Manipulationsskandale im Sommer 2012 ist die in der Wissenschaft von mancher Seite schon lange anhaltende Kritik an der primär privatrechtlichen Ausgestaltung des Transplantationswesens von der Politik aufgegriffen worden. Im Jahre 2013 wurde der Vorschlag in den Bundestag eingebracht, die Koordinierungsstelle in eine juristische Person des öffentlichen Rechts unter Rechtsaufsicht des Bundesministeriums für Gesundheit zu überführen1650 oder diese als Körperschaft des öffentlichen Rechts oder Institution des öffentlichen Rechts unter der Fachaufsicht eines Bundesministeriums zu organisieren.1651 Durchgesetzt haben sich diese Forderungen im Parlament jedoch nicht. Ob dieser Umstand rechtspolitisch zu beanstanden oder eine rechtlich einwandfreie Gestaltung des Transplanta­ tionswesens auch unter Beibehaltung der jetzigen Organisationsform der Koordinierungsstelle möglich ist, muss untersucht werden (aa)). Unabhängig davon ist aus verfassungsrechtlichen Gründen jedenfalls der Erlass der Verrung auf eine kleine Anfrage der Fraktion Bündnis90 / Die Grünen BT-Drs. 18 / 1395, S. 3 sowie S. 10. Laut Auskunft der Kommissionen sei richtlinienfremdes Material nur ergänzend herangezogen worden, vgl. BT-Drs. 18 / 1395, S. 10. 1647  Die Kommissionen erklärten durchgeführte Dialysen im Zentrum Münster zu einem Richtlinienverstoß, während sie einen solchen bei einem ähnlichen Vorgehen des Zentrums München rechts der Isar verneinten. Nach Angaben der Kommissionen wurde erst nach der Veröffentlichung der Prüfberichte die unterschiedliche Bewertung der beiden Fälle aufgedeckt, vgl. BT-Drs. 18 / 1395, S. 11. 1648  Siehe Wuttke, in: Haarhoff (Hrsg.), Organversagen, S. 267, 296; kritisch dahingehend auch eine kleine Anfrage der Fraktion Bündnis90 / Die Grünen; die Bundesregierung maßt sich jedoch kein Urteil über den Zeitaufwand der Prüfungen an, der im Schnitt bei sechs Stunden pro Transplantationsprogramm lag, vgl. BT-Drs. 18 / 1395, S. 5. 1649  Vgl. die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Fraktion Bündnis90 / Die Grünen, BT-Drs. 18 / 1395, S. 5, 6. 1650  Antrag der Fraktion Bündnis90 / Die Grünen, BT-Drs. 17 / 11308, S. 1. 1651  Antrag der Fraktion Die Linke, BT-Drs. 17 / 12225, S. 3.

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fahrensanweisungen anders zu organisieren; seit der Novelle aus dem Jahre 2012 werden diese durch die Koordinierungsstelle kreiert (bb)). Ebenso als reformbedürftig erweisen sich die geltenden Überwachungsstrukturen (cc)). aa) Die Beibehaltung der privatrechtlichen Ausgestaltung der Koordinierung Es wurde bereits festgestellt, dass es sich beim Transplantationswesen um eine öffentliche Aufgabe handelt, die der Staat Privaten zur Erfüllung übertragen darf, solange er Vorkehrungen zur Wahrung der Funktionsfähigkeit des privatrechtlich ausgestalteten Regimes trifft. Seiner Verantwortung für eine ordnungsgemäße Organisation muss er durch die Gewährleistung eines rechtlichen Rahmens und ausreichender Überwachungs- und Eintrittsrechte gerecht werden.1652 Hier wurden insbesondere im Bereich der repressiven Kontrolle der Stiftung einige Mängel aufgezeigt, die auch mit der Reform durch das TPGÄndG nicht behoben wurden.1653 Die Überführung der Koordinierungsstelle in den Bereich des öffentlichen Rechts würde ihr durch die Installation sachlich-inhaltlicher und personellorganisatorischer Steuerung erst einmal einen hohen Legitimationsgrad verschaffen. Jedoch darf nicht vergessen werden, dass der Erfolg des Transplantationswesens zu weitreichenden Teilen an die Expertise gesellschaftlicher Kräfte gekoppelt ist. Das System der regulierten Selbstregulierung war seit jeher kein Geschenk an privatrechtliche Akteure, sondern dient vor allem dem Zweck der Nutzbarmachung ihrer Kompetenzen. Es ist von der Hoffnung getragen, dass sich die mit dem Transplantationswesen vertrauten Experten selbst organisieren, um die Organversorgung möglichst optimal zu gestalten. Ein abrupter Systemwechsel innerhalb der Spendenkoordinierung würde den Verzicht auf gesellschaftliche Motivation und Innovation in einem sensiblen Bereich bedeuten und die Probleme der klassischen staatlichen Bürokratie in das Transplantationswesen transformieren.1654 Als vorzugswürdig erweist sich demgemäß eine effiziente Ausgestaltung des Kompetenzbereichs der Koordinierungsstelle und des Überwachungsregimes, die genügend staatlichen Einfluss zulässt. Es bedarf einer klaren Verankerung der Aufgabenzuweisung an die Deutsche Stiftung Organtransplantation, insbesondere in Abgrenzung zu den Entnahmekrankenhäusern. In diese Kerbe schlagen die von der Deutschen Stiftung Organtransplantation im November 2015 erlassenen und im Jahre 2016 bereits punktuell refor1652  Zu

den Pflichten des Gewährleistungsstaates siehe S. 347 ff. den Kontrolldefiziten siehe S. 394 ff. 1654  Ähnlich schon Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S. 164 in Bezug auf die Einrichtung einer staatlichen Aufsichtsbehörde. 1653  Zu



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mierten Verfahrensanweisungen. Sie verfolgen die übergeordneten Ziele, das Potential der Organspenden unter Geringhaltung der Risiken für die Organempfänger auszuschöpfen und die Abläufe der Handlungsprozesse zu optimieren.1655 Im Vordergrund steht, alle maßgeblichen Schritte der Organspende zu begleiten. Durch die für alle Beteiligten verbindliche Festlegung von konkreten Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten innerhalb der Betreuung von Spendern und Organen soll Transparenz sowie Handlungssicherheit geschaffen werden, die lange vermisst wurden.1656 Ob die Verfahrensanweisungen zu einer maßgeblichen Verbesserung der Lage beitragen werden, bleibt abzuwarten. Auffällig ist jedenfalls ihre oftmals eher weiche Formulierung, die sich teilweise in der bloßen Wiedergabe der Bestimmungen des Transplantationsgesetzes sowie zahlreicher „Soll-Vorschriften“ erschöpft. So etwa bei der Anweisung zur Überprüfung der Einwilligung des Spenders oder der Zustimmung der Angehörigen, die auch inhaltlich insofern nicht überzeugt, als dass ein Koordinator der Deutschen Stiftung Organtransplantation zu dem Angehörigengespräch hinzugezogen werden „sollte“. Die durch den Interessenkonflikt der Koordinierungsstelle ausgelösten Spannungen wurden folglich nicht gelöst.1657 bb) Die verfassungsgemäße Ausgestaltung des Erlasses der Verfahrensanweisungen Die mit der Novelle aus dem Jahre 2012 eingeführte Kompetenz der Koordinierungsstelle, verbindliche Normsetzung zu betreiben, hat zu einer verfassungsrechtlich bedenklichen Aufwertung der Deutschen Stiftung Organtransplantation geführt.1658 Tatsächlich scheint es erstaunlich, dass der Gesetzgeber, trotz vehementer Kritik aus der Wissenschaft in Bezug auf die Rechtsetzungskompetenzen der Bundesärztekammer und Eurotransplant nicht nur an dem bisher etablierten Konzept dieser Rechtsetzung festgehalten, sondern dieses auf eine weitere Institution ausgeweitet hat.1659

1655  Zu den Verfahrensanweisungen vgl. DÄBl 112 (2015), A-1824. Die Verfahrensanweisungen sind abrufbar unter: http: /  / www.dso.de / uploads / tx_dsodl / Verfahre nsanweisungen_29_10_2015.pdf (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 1656  Kritisch zu den bisherigen Unsicherheiten des Organspendeprozesses Rosenberg, Die postmortale Organtransplantation, S. 61 ff.; ders., GesR 2009, S. 73, 74 ff.; ders., Transplantationsbeauftragte stärken, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Förderung der Organspende, S. 109, 110 ff. 1657  Wesentlich besser zur Führung des Angehörigengesprächs geeignet ist der Transplantationsbeauftragte gem. § 9b TPG, vgl. dazu schon S. 552 ff. 1658  Zur verfassungsrechtlichen Analyse siehe S. 392 ff. 1659  Kritisch insofern bereits Lang, in: Höfling (Hrsg.), TPG, § 11 Rn. 25.

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Inhaltlich betreffen die Verfahrensanweisungen vor allem Bereiche, die bereits in dem als Fachinformationsbroschüre ausgegebenen „DSO-Leitfaden Organspende“ geregelt sind. Durch ihre neue Aufbereitung wird diese Art von Bestimmungen zu Rechtsnormen aufgewertet, ohne dass damit jedoch weitreichende Änderungen im Ablauf der Organspende zu erwarten sind. So verfassungsrechtlich unbedenklich diese unverbindlichen Anleitungen ohne Rechtsnormqualität sind, so alarmierend ist ihre neue Wirkkraft. Sie bricht, wie bereits festgestellt, mit wesentlichen demokratischen Grundsätzen. Der Grund für die neue Ausgestaltung der Leitlinien liegt in den europarechtlichen Vorgaben durch die RL 2010 / 53 / EU zur Sicherstellung der Qualitäts- und Sicherheitsstandards, die über die Verfahrensanweisungen umgesetzt werden sollte. Es war offensichtlich der Wunsch des Gesetzgebers, eine Bindungswirkung Dritter zur Erreichung der Richtlinienziele zu statuieren.1660 Es wären jedoch durchaus andere Wege in Betracht gekommen, die europarechtlichen Vorgaben umzusetzen. Denkbar wäre etwa der Erlass einer Rechtsverordnung gemäß Art. 80 Abs. 1 GG durch das Bundesministerium für Gesundheit. Für die Ausarbeitung der bindenden Anweisungen könnte die in dieser Arbeit bereits für die Richtlinienerstellung nach § 16 Abs. 1 S. 1 TPG in Betracht gezogene Arbeitsgruppe aus Sachverständigen ins Spiel kommen.1661 Durch deren permanente Einrichtung ließen sich auch eine ­regelmäßige Revision des Inhalts der Verfahrensregelungen und damit ihre notwendige Flexibilität sicherstellen. Entsprechende Anhörungserfordernisse der in die Organtransplantation involvierten privaten Akteure wären dazu in der Lage, die ebenso erforderliche Praxisnähe sicherzustellen. Will der Gesetzgeber jedoch an der Rechtsetzungskompetenz der Koordinierungsstelle als „sachnächsten Interessenverwalter der Organspende“ festhalten, muss er dieser eine ausreichende Legitimation verschaffen, wie sie schon bei den Ausführungen zur Bundesärztekammer gefordert wurde.1662 Eine Einbettung der Koordinierungsstelle in feste Strukturen des öffentlichen Rechts samt einer fachaufsichtsrechtlichen Kontrolle wäre dann unumgänglich. cc) Die Behebung der defizitären Überwachung der Koordinierungstätigkeit Es wurde bereits festgestellt, dass die enorme Grundrechtsbetroffenheit der Beteiligten nach einer intensiven Überwachung der im Transplantationswesen tätigen Akteure verlangt. Dabei ist eine Übertragung auf privatrechtliche 1660  So

schon ebda., § 11 Rn. 14 und 37. Arbeitsgruppe siehe S. 533. 1662  Zur verfassungsgemäßen Ausgestaltung der Richtlinienkompetenz der BÄK siehe S.  528 ff. 1661  Zur



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Institutionen durchaus denkbar, solange die Prüfungstätigkeit ein von staat­ licher Seite sichergestelltes ausreichendes Schutzniveau erreicht. Die Kon­ trolle der Koordinierungsstelle durch die Überwachungskommission erweist sich allerdings zurzeit als defizitär.1663 Der gesetzliche Rahmen der Prüfstrukturen ist derselbe, in dem auch die Transplantationszentren eingebunden sind. Nur eine grundlegendere Revision des gesamten Überwachungssystems über die am Transplantationswesen beteiligten Institutionen kann rechtsstaatlichen Anforderungen genügen. Es wurde bereits vorgeschlagen, das staat­ liche Engagement in den Überwachungsstrukturen auszuweiten und den Kommissionen weitergehende Kontroll- und Zwangsbefugnisse einzuräumen, wenn sich der Gesetzgeber schon nicht zu einer grundsätzlichen Umstrukturierung des Systems im Sinne der Überführung in eine Beleihung oder ein kammerrechtliches Modell durchringen kann.1664 e) Die Beteiligung Eurotransplants auf neuem Fundament Die Einbeziehung Eurotransplants in die Organallokation ist seit ihrer Etablierung in Deutschland in der Praxis nicht mehr wegzudenken. Durch das die Mitgliedstaaten verbindende Spendenmelde- und Verteilungssystem werden die Chancen der schwer kranken Wartelistenpatienten erhöht, ein immunologisch passendes Organ zu erhalten sowie bei akuter Lebensgefahr schneller transplantiert zu werden. Genauso wird die knappe Ressource effizienter genutzt, da die Gefahr eines Organverlusts mangels geeigneten Spenders minimiert wird.1665 Insbesondere Deutschland profitiert als „Importland“ von den im Ausland gespendeten Organen. Obwohl hierzulande im Jahre 2014 lediglich 2.989 Organe gespendet wurden, konnten durch den länder­ übergreifenden Austausch 3.851 Organe transplantiert werden.1666 Dieser unverkennbar hohe praktische Nutzen der Einbeziehung Eurotransplants in das hiesige Allokationssystem kann jedoch die bestehenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Art und Weise der Beteiligung der Vermittlungsstelle nicht ausräumen. Die Zuteilungsentscheidung Eurotransplants 1663  Zu den verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Überwachung der Koordinierungsstelle siehe S. 394 ff. 1664  Zu den Versäumnissen des Gesetzgebers und möglichen Umstrukturierungen – auch um die Überwachung in der Praxis zu verbessern – siehe bei der rechtspolitischen Betrachtung der Transplantationszentren S. 557 ff. 1665  Vgl. Holznagel, DVBl 1997, S. 393, 394; Molnár-Gábor, in: Vöneky / Beylage-Haarmann / Höfelmeier u. a. (Hrsg.), Ethik und Recht, S. 325, 326; Rissing-van Saan, NStZ 2014, S. 233. 1666  DSO, Jahresbericht 2014, S. 56, 62. Ebenso wurden im Jahre 2015 insgesamt 183 Organe mehr transplantiert, als hierzulande gespendet wurden, vgl. die Informationen der DSO unter http: /  / www.dso.de / dso-pressemitteilungen / einzelansicht / article/ organspenden-im-jahr-2015-stabil-geblieben.html (zuletzt abgerufen am 30.06.2017).

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muss in die grundgesetzlichen Vorgaben eingebettet werden (aa)). Zudem bedarf es der Etablierung einer ausreichenden staatlichen Steuerung des Vermittlungsvorgangs durch den Gesetzgeber (bb)) und die Installation eines angemessenen Überwachungssystems (cc)). aa) Die Etablierung Eurotransplants als zwischenstaatliche Einrichtung Die Einbeziehung Eurotransplants verstößt in ihrer jetzigen Form gegen Art. 24 Abs. 1 GG.1667 Um den Widerspruch zu den grundgesetzlichen Vorgaben aufzulösen, bleiben dem Gesetzgeber nur zwei Möglichkeiten. Entweder er überträgt die Organvermittlung an eine national verfasste Vermittlungseinrichtung oder er schafft durch einen völkerrechtlichen Vertrag eine internationale Vermittlungsstelle.1668 Um die bisherigen Vorteile einer Organvermittlung über die Landesgrenzen hinweg nicht einzubüßen, müsste eine national organisierte Vermittlungsstelle umfassend transnational kooperieren. In Anbetracht der mit einem Aufbau eines solchen Kooperationssystems verbundenen Schwierigkeiten erscheint eine Weiterführung der Beziehungen zu Eurotransplant erstrebenswert. Die Stiftung könnte durch einen völkerrecht­ lichen Vertrag neu gegründet und ihr die entsprechenden Hoheitsrechte übertragen werden. In der Praxis könnte die Vermittlungstätigkeit so nahtlos fortgeführt werden, ohne dass negative Auswirkungen auf die Patientenversorgung zu erwarten wären. Im Zuge der Festlegung auf Eurotransplant als Vermittlungsstelle ist eine namentliche Verankerung der Einrichtung in § 12 TPG anzustreben. Die vom Gesetzgeber von Anfang an beabsichtigte Einbindung Eurotransplants würde durch diese Vorkehrungen auf eine legitime rechtliche Grundlage gestellt.1669 bb) Die Etablierung einer ausreichenden Steuerung der Allokation durch den Gesetzgeber Es wurde bereits aufgezeigt, dass die gesetzliche Steuerung der Organallokation inhaltlich in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise dürftig ausfällt.1670 § 12 Abs. 3 TPG wirft eine Vielzahl von Schwierigkeiten auf. Diese 1667  Zur

verfassungsrechtlichen Prüfung siehe S. 400 ff. Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 198; Gutmann, in: Schroth /  König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 12; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 136 f. 1669  Für eine nationale Vermittlungsstelle jedoch Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 136 f. 1670  Zu den verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich der unzureichenden gesetzlichen Allokationsvorgaben siehe S. 403 ff. 1668  Vgl.



IV. Rechtspolitische Gestaltungsmöglichkeiten571

beginnen mit der Fundamentierung des Kategorienfehlers, Organe würden nach rein medizinischen Kriterien verteilt; sie setzen sich fort bei der Normierung der konfligierenden Allokationskriterien, Erfolgsaussicht und Dringlichkeit, und gipfeln in der Frage nach einer gerechten Organverteilung. Zuvörderst ist dem Gesetzgeber zu raten, mit dem in der Politik vorherrschenden und im Transplantationsgesetz zementierten Kategorienfehler aufzuräumen. Das Vortäuschen einer ausschließlich an medizinische Voraussetzungen geknüpften Organallokation ist nicht dazu geeignet, das Vertrauen der Bevölkerung in ein transparentes Transplantationssystem zu stärken. Sie steht einem offenen und ehrlichen Umgang mit der Verteilung knapper medizinischer Ressourcen entgegen. Insofern muss eine gesetzliche Klarstellung erfolgen, dass ethische Prinzipien die Grundlagen der Verteilungsentscheidung bestimmen. Den Modus der Allokation selbst muss der Gesetzgeber nach seinen Wertentscheidungen treffen. Ein Abstellen auf die Kriterien der Erfolgsaussicht und Dringlichkeit mag dabei als legitimer Ausgangsposten der Verteilung fungieren. Jedoch hat der Gesetzgeber diese Positionen mit Inhalt zu füllen und ein Rangverhältnis zwischen den sich widersprechenden Parametern festzusetzen. Innerhalb des vom Grundgesetz vorgegebenen verfassungsrechtlichen Rahmens ist der Gesetzgeber frei in seiner Regelungsausgestaltung. Bei der nachträglichen Spezifizierung des Transplantationsgesetzes kann er sich an den verfassungsrechtlich unbedenklichen Teilen der Richtlinien der Bundesärztekammer orientieren, solange er eine eigene Wert­ entscheidung trifft. Ebenso wichtig wie die Detailregelung im Einzelnen stellt sich der vorab geführte Diskussions- und Verständigungsprozess dar, an dem die Öffentlichkeit zu Recht Teilnahme beanspruchen wird. Am Ende einer demokratischen Diskussion sollte ein Ergebnis stehen, das nicht nur verfassungsrechtlich legitim ist, sondern auch dem Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung Rechnung trägt. Eine breite Einbeziehung von Experten und gesellschaftlichen Kräften bei der Abwägungsentscheidung stellt dafür die beste Grundlage dar.1671 Die so vollzogene Kurskorrektur dürfte Eurotransplant wieder die Rolle verschaffen, die der Gesetzgeber der Stiftung eigentlich zukommen lassen wollte. Die Regelungstechnik des Transplantationsgesetzes macht deutlich, dass Eurotransplant als vollziehende Institution gedacht war. Das Gesetz unterscheidet deutlich zwischen der inhaltlichen Gestaltung der Allokationskriterien durch die Bundesärztekammer (§ 16 Abs. 1 S. 1 TPG) und der Or1671  Anregungen zu Verfahren und Öffentlichkeitsbeteiligung im Rahmen von Priorisierungen im Gesundheitssystem insgesamt finden sich bei Schutz-Luhn, Priorisierung in der Medizin, S. 135 ff.; Zentrale Ethikkommission bei der Bundesärztekammer, Priorisierung medizinischer Leistungen im System der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), S. 16.

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ganvermittlung durch die Vermittlungsstelle (§ 12 TPG). Letzterer wird durch das Gesetz keine Kompetenz zur normativen Konkretisierung oder gar Erweiterung der vorgegebenen Allokationskriterien eingeräumt, sondern vielmehr ihre Bindung an die Vorgaben einer Verteilung nach Erfolgsaussicht und Dringlichkeit statuiert (§ 12 Abs. 3 S. 1 TPG).1672 Die inhaltliche Ausgestaltung der Allokationsregeln durch Eurotransplant verstößt derzeit gegen das Transplantationsgesetz. Dies gilt unabhängig davon, ob die Beauftragung der Vermittlungsstelle mit spezifischen Feinsteuerungen der Organallokation sinnvoll wäre. Will der Gesetzgeber diese Entscheidungsspielräume legitimieren, muss er diese im Gesetz konkret anerkennen und präzisieren.1673 In der Tat scheint es unrealistisch, dass eine Einrichtung, die für mehrere Na­ tionen Organe nach einem möglichst einheitlichen System vermittelt, gänzlich ohne eigene Wertentscheidungen auskommen soll. Allerdings muss dieser Entscheidungsspielraum formell-gesetzlich derart vorgesteuert sein, dass die Vermittlungsstelle keine wesentlichen eigenen Normierungen mehr vornimmt.1674 cc) Die Behebung der defizitären Überwachung der Vermittlungstätigkeit Die hohe Grundrechtsrelevanz der Allokationsentscheidungen von Eurotransplant fordert eine intensive Überwachung der Vermittlungstätigkeit. Mit der Reform aus dem Jahre 2012 wurden jedoch bei Weitem nicht alle Mängel der Kontrolle behoben.1675 Der neuralgische Punkt findet sich nicht in der Übertragung der Aufsicht auf privatrechtliche Institutionen,1676 sondern in deren äußerst schwach ausgeprägten Handlungsbefugnissen und mangelnden staatlichen Einwirkungsmöglichkeiten. Trotz Einbettung der Überwachung in das System der regulierten Selbstregulierung muss ein ausreichendes Schutzniveau von Seiten des Staates zwingend sichergestellt werden. Kommt die Stiftung Eurotransplant ihren Verpflichtungen nicht in ausreichendem Maße nach, muss ihr Handeln mit Konsequenzen verbunden sein. Insbesondere bei 1672  Siehe Krüger, Die Organvermittlungstätigkeit Eurotransplants im Sinne des § 12  TPG, S. 311; Molnár-Gábor, in: Vöneky / Beylage-Haarmann / Höfelmeier u. a. (Hrsg.), Ethik und Recht, S. 325, 338 f. 1673  Vgl. Molnár-Gábor, in: Vöneky / Beylage-Haarmann / Höfelmeier u. a. (Hrsg.), Ethik und Recht, S. 325, 344. 1674  Krüger, Die Organvermittlungstätigkeit Eurotransplants im Sinne des § 12 TPG, S. 259. 1675  Zu den verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Überwachung der Vermittlungstätigkeit von Eurotransplant siehe S. 406 ff. 1676  Zu den Vorteilen sowie Bedingungen einer vorwiegend gesellschaftlichen Kontrolle vgl. schon die Ausführungen zur Überwachungskommission, S. 568 ff.



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der Plausibilitätskontrolle der von Seiten der Transplantationszentren gemeldeten medizinischen Daten kommen Zweifel an der lückenlosen gewissenhaften Wahrnehmung ihrer Pflichten auf. Es mutet unwahrscheinlich an, dass die Vermittlungsstelle bei keiner manipulativ bedingten Unregelmäßigkeit deutscher Transplantationszentren zu Verdachtsmomenten gelangen konnte. Selbst wenn nicht der Vorwurf einer bewussten Datenmanipulation im Raum stand, hätte die Stiftung bei Vorliegen eines differierenden Verständnisses der Richtlinien, ihre Auffassung kundtun müssen. Tatsächlich hat Eurotransplant über Jahre hinweg, unter Kenntnis der medizinischen Werte, Meldungen von Dialysen unbeanstandet hingenommen, die bei der Zentrenkontrolle als Richtlinienverstoß gewertet wurden.1677 Eine Unterlassung der Beanstandung gegenüber den Transplantationszentren stellt die Verletzung einer maßgeb­ lichen Rechtspflicht dar. Diese Vernachlässigung der Plausibilitätsprüfung selbst oder der Geltendmachung ihrer Konsequenzen ist jedoch anscheinend über Jahre völlig an der Systemüberwachung vorbeigegangen. Eine andere Erklärung könnte nur die – dann reihenweise – fehlerhafte Einschätzung der Fälle durch die Überwachungsgremien sein. Die vorstehenden Ereignisse belegen, dass die bereits aufgezeigten Möglichkeiten einer Verbesserung der Überwachungsstrukturen auch die Vermittlungsstelle einbeziehen müssen, um ein ausreichendes Kontrollniveau sicherzustellen.1678 f) Defizitärer Rechtsschutz als politisches Programm Die Skizzierung der transplantationsrechtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten und die Darstellung jüngster gerichtlicher Entscheidungen verdeutlichen die elementaren Probleme von Betroffenen bei der Suche nach angemessen ausgestaltetem Rechtsschutz.1679 Dabei gehören effektive Rechtsschutzmöglichkeiten zum Anforderungsprofil komplexer Systeme kooperativer Regulierungsstrukturen.1680 Der Gesetzgeber hat jedoch ein gegenteiliges Szenario geschaffen. Seine Bemühungen lagen bei der Schaffung des Transplanta­ 1677  Vgl. Gutmann, Rechtswissenschaftliches Gutachten zu dem „Kommissionsbericht der Prüfungs- und der Überwachungskommission“ gemäß § 11 Abs. 3 und § 12 Abs. 5 TPG vom 28.08.2013 über das Lebertransplantationsprogramm des Universitätsklinikums Münster, S. 3. 1678  Zu den Versäumnissen des Gesetzgebers und Modifizierungserfordernissen der Überwachung siehe bereits bei der rechtspolitischen Betrachtung der Transplantationszentren S.  557 ff. 1679  Zur verfassungsrechtlichen Bewertung des Rechtsschutzsystems siehe S.  411 ff. 1680  Unter Bezugnahme auf die Rechtsschutzmöglichkeiten im Transplantationsrecht schon Engels, DV 44 (2011), S. 346, 367.

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tionsgesetzes mehr auf dem Systemerhalt der privatrechtlichen Organisation des Transplantationswesens als auf seiner Kontrolle; respektive hat er sehenden Auges in Kauf genommen, den Betroffenen die Erlangung von Rechtsschutz unnötig zu erschweren und sie in Teilen sogar gänzlich schutzlos zu stellen. Diese legislative Nachlässigkeit und die Behauptung, ein Reformbedarf würde nicht bestehen,1681 lässt anmuten, dass Rechtsschutzverweigerung zum transplantationspolitischen Programm gehört.1682 Effektiven Rechtsschutz von vornherein einzuschränken unterwirft das Transplantationsrecht dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit. Zwar mag aus tatsächlichen Gründen ein Eilrechtsschutz gegen die konkreten Zuteilungsentscheidungen Eurotransplants unmöglich sein; umso wichtiger ist dann jedoch die Überprüfbarkeit der vorhergehenden Phasen der Organallokation.1683 Die vermehrten Klagen gegen wartelisterelevante Entscheidungen belegen, dass bloße Reevaluierungen durch die Transplantationszentren nach Beschwerden von Patienten keinesfalls als ausreichende Überprüfung des Sachverhalts angesehen werden. Das können sie im Hinblick auf einen effektiven Rechtsschutz auch nicht sein. Dieser verlangt angemessenen Zugang zu gerichtlicher Kontrolle. Aufgrund des Gebotes der Rechtswegklarheit ist der Gesetzgeber gehalten, im Transplantationsgesetz eine eindeutige Rechtswegzuweisung vorzunehmen.1684 Für die hoheitlichen verteilungsrelevanten Entscheidungen bietet sich eine ausdrückliche Zuweisung an den Verwaltungsrechtsweg an.1685 Zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes gehört es zudem, den Betroffenen überhaupt erst in die Lage zu versetzen, seine Rechte wahrzunehmen. Insofern besteht ein Nachbesserungsbedürfnis bei den Informationspflichten der Transplantationszentren sowie Eurotransplant. Relevante Entscheidungen müssen den Patienten unter Anführung von Gründen dargelegt werden. 1681  Siehe

nur BT-Drs. 15 / 4542 S. 28 f. einer systematischen Erschwerung der Rechtsschutzsuche und einer Ausrichtung des Rechts auf Rechtsschutzerschwerung sprechen schon Gutmann, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 17, 23 f.; Höfling, Patientenschutz-Info-Dienst 3 / 2011, S. 6; ders. / Lang, NJW 2014, S. 3398, 3401; vgl. auch Engels, DV 44 (2011), S. 346, 370. 1683  Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 39; ders., Für ein neues Transplantationsgesetz, S. 130; ders., in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 17, 25; Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 113; ders., NVwZ 2001, Sonderheft, S. 59, 60. 1684  Gutmann, Für ein neues Transplantationsgesetz, S. 131; ders., in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 17, 26; Höfling / Lang, NJW 2014, S. 3398, 3402; Neft, NZS 2010, S. 16, 21. 1685  Gutmann, in: Schroth / König / Gutmann u. a. (Hrsg.), TPG, § 10 Rn. 13; Neft, NZS 2010, S. 16, 21. 1682  Von



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Gegenüber der Vermittlungsstelle muss ein Mechanismus zur Sicherung der Rechtsschutzgarantie geschaffen werden, indem im Transplantationsgesetz der Rechtsweg gegen ihre Entscheidungen expressis verbis eröffnet wird. Die Stiftung Eurotransplant muss in Zukunft derart in das Rechtssystem eingebettet sein,1686 dass die gerichtliche Überprüfung ihrer Handlungen vor deutschen Gerichten jederzeit möglich ist. Durch einen ausgeprägten nachgehenden Rechtsschutz würde eine rechtswidrige Organzuteilung zwar nicht verhindert, wäre jedoch mit bisher fehlenden Konsequenzen verbunden. Mit der Schaffung eines Rechtsschutzsystems im Transplantationsgesetz bestünde die Chance, dass die nur vereinzelten Gerichtsentscheidungen in der Sache von einer flächendeckenden Kontrolle des Transplantationswesens abgelöst würden. Viel Hoffnung auf die notwendigen Reformschritte besteht in Anbetracht der bisherigen Weigerung des Gesetzgebers, sich der Thematik überhaupt anzunehmen, allerdings nicht. g) Handlungsbedarf bei der Ausgestaltung der verteilungsrelevanten Entscheidungen Die Aufstellung eines Verteilungsmodus, der eine Rangordnung von Bedürftigen festlegt, die zwangsläufig einige Patienten „zum Tode verurteilen“ wird, ist selbstverständlich ein schwieriges Geschäft. Die Urheber des Allokationskonzepts erhoffen sich, eine „gerechte Entscheidung“ vorgesteuert zu haben, und doch wird es einen allgemeinen Konsens über die Verteilungsgerechtigkeit in einer pluralen Gesellschaft kaum geben können. Diese unangenehme Ausgangsposition nimmt der Gesetzgeber zum Anlass, sich zurück­ zuziehen und seine Entscheidungsverantwortung an die medizinische Fachwelt abzugeben. Allokationskriterien im Gesundheitswesen sind jedoch keine medizinwissenschaftlichen Erkenntnisse, sondern Wertentscheidungen.1687 Bei der Bestimmung von adäquaten Verteilungsregelungen stehen die Disziplinen der Ethik und des Rechts im Vordergrund.1688 Selbst wenn mit der rechtlichen Vorsteuerung nicht alle Gerechtigkeitsempfindungen befriedigt werden können, hat der Gesetzgeber immerhin die Möglichkeit, durch materielle Kriterien Rechtssicherheit zu schaffen.1689 Dafür bedarf es gesetzlicher 1686  Zu den politischen Gestaltungsmöglichkeiten im Hinblick auf die Einbindung Eurotransplants in das deutsche Transplantationssystem siehe S. 569 ff. 1687  Vgl. Ach / Anderheiden / Quante, Ethik der Organtransplantation, S. 182; Brech, Triage und Recht, S. 101; Taupitz, in: Nagel / Fuchs (Hrsg.), Rationalisierung und Rationierung im deutschen Gesundheitswesen, S. 86, 102. 1688  Zum Vorliegen schwerwiegender Wertentscheidungen siehe bereits S. 355. 1689  Brech, Triage und Recht, S. 144; Künschner, in: Nagel / Fuchs (Hrsg.), Rationalisierung und Rationierung im deutschen Gesundheitswesen, S. 286.

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Neuregelungen im Transplantationsgesetz (aa)) ebenso wie Anpassungen auf der untergesetzlichen Ebene der Richtlinien (bb)). aa) Notwendige Neuregelungen auf Gesetzesebene Erste Pflicht des Gesetzgebers ist es, die von ihm gewählten Leitprinzipien der konkreten Organallokation sämtlich ausdrücklich zu normieren, um seinen Regelungen einen Transparenzgewinn zu verschaffen. Aus diesem Grund muss neben der Dringlichkeit und Erfolgsaussicht zusätzlich das Kriterium der Chancengleichheit Eingang in den Gesetzestext erhalten. Schließlich ist es ein verfassungsrechtlich zwingendes Verteilungskriterium, das ohne seine ausdrückliche Normierung bereits in den Zuteilungsprozess integriert wurde.1690 Er muss die Leitprinzipien der Organverteilung darüber hinaus nicht nur ausdrücklich benennen, sondern zudem festlegen, was er unter den aufgestellten Auswahlmodi versteht. Das gilt nicht nur bei der konkreten Organ­ allokation nach Erfolgsaussicht, Dringlichkeit und Chancengleichheit, sondern genauso für die Wartelistenentscheidungen, die nach der heutigen Gesetzesfassung neben dem Erfolg eines Eingriffs die Notwendigkeit einer Transplantation in den Blick nehmen. Die im Transplantationsgesetz bisher niedergelegten Kriterien zur Organvergabe, Erfolgsaussicht und Dringlichkeit, sind grundsätzlich dazu geeignet, eine systematische Benachteiligung alter, chronisch kranker oder behinderter Menschen herbeizuführen.1691 Insbesondere das Kriterium der Erfolgsaussicht ist in hohem Maße unbestimmt und erfordert weitere Konkretisierung, die nicht erst in die Richtlinien verschoben werden darf.1692 Seine heutige Anwendung hat über die Ausformung durch die Bundesärztekammer den bitteren Beigeschmack einer utilitaristischen Maximierung der Organfunk­ tionsraten im Patientenkollektiv erhalten. Der Gesetzgeber hat die Gefahr zu bannen, dass das Kriterium als Einfallstor für unzulässige Selektionsentscheidungen (z. B. im Rahmen von Altersrationierungen o. ä.) missbraucht wird.1693 1690  Zu den vorzunehmenden Normierungen schon Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 33; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 201. 1691  Dannecker / Huster / Katzenmeier u. a., DÄBl 106 (2009), A-2007; Katzenmeier, ZEFQ 104 (2010), S. 364, 366; ders., in: Schmitz-Luhn / Bohmeier (Hrsg.), Priorisierung in der Medizin, S. 1, 5. 1692  Zu den verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten der Erfolgsaussicht Dannecker / Streng, JZ 2012, S. 444; siehe auch Schroth, NStZ 2013, S. 437, 440. 1693  Diese Gefahr sieht schon Höfling, in: ders. (Hrsg.), TPG, § 12 Rn. 33.



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Von Rechts wegen darf bei einer Erfolgsanalyse zunächst lediglich auf den konkreten Patienten abgestellt werden. Für seine Aufnahme in die Warteliste kann es nur auf eine individuelle Kosten-Nutzen-Bilanz ankommen, die feststellt, ob der Nutzen der Transplantation, die mit ihr verbundenen Risiken und Belastungen übersteigt. Nach einer Transplantation ist das Operationsüberleben des individuellen Empfängers maßgeblicher Erfolg, wodurch seinem Anspruch auf Schutz von Leib und Leben entsprochen wird. Ziel der gesetzgeberischen Aktivität sollte eine möglichst vollständige Erfüllung der gegenüber jedem Patienten bestehenden staatlichen Schutzpflicht, folglich die Maximierung der Überlebendenanzahl, sein.1694 An dieser Stelle kommt das Kriterium der Dringlichkeit ins Spiel. Eine Optimierung der Anzahl geretteter Patienten lässt sich nicht allein durch die Berücksichtigung der Erfolgsaussichten erreichen, sondern die Bedürftigkeit der Wartelistenkandidaten ist zusätzlich maßgeblich zu berücksichtigen. Es steht außer Frage, dass hochdringliche Fälle (aus normativen und nicht medizinischen Gründen) weiterhin vorderste Berücksichtigung finden müssen. Um einen angemessenen Ausgleich beider Kriterien zu bewerkstelligen, bietet sich die Installation eines Punktesystems auf Richtlinienebene an.1695 Vorab obliegt die Gewichtung der Faktoren einer normativen Abwägungsentscheidung des Gesetzgebers. Zur gesetzlichen Formulierung klarer Maßstäbe gehört die Aufstellung von Subkriterien im Transplantationsgesetz, die bei der Allokation zu beachten sind. Das gleiche gilt für die Aufzählung von Diskriminierungsfaktoren, deren Berücksichtigung ausgeschlossen werden soll. Stimmen, die in dieser Konkretisierung des Transplantationsgesetzes eine Lähmung der Flexibilität bei der Anpassung an den medizinischen Fortschritt sehen, verkennen, dass zwar medizinische Erkenntnisse einer wissenschaftlichen Weiterentwicklung unterliegen, die Entscheidung, welche Allokationsfaktoren wie zu gewichten sind, jedoch eine davon unabhängige ethische Vorbestimmung erfordert.1696 Dass die Erfüllung der hiesigen Vorgaben möglich ist, beweist das Schweizer Transplantationsgesetz, das sowohl Definition und Gewichtung der Alloka­

1694  Näher zur verfassungsrechtlichen Herleitung des Ziels der Maximierung der Überlebendenanzahl siehe die Diskussion um die Einbeziehung der Erfolgsaussichten in die Allokationsentscheidung S. 433 ff. 1695  Vgl. zur Ausgestaltung eines Punktesystems schon die Ausführungen im verfassungsrechtlichen Teil S. 443 ff. sowie weiter unten bei der Anpassung der Richtlinien S.  578 ff. 1696  Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S. 40; eine untergeordnete Rolle der Flexibilität sehen auch Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 200 f. und Taupitz, ZEFQ 104 (2010), S. 400, 403.

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tionskriterien dem Bundesrat überträgt, als auch verbotene Diskriminierungstatbestände formuliert.1697 Am Ende der Gesetzesreform müssen klare Maßstäbe stehen, an denen sich die Ärzteschaft orientieren kann. Haben die verschiedenen Transplantationszentren etwa unterschiedliche Erfolgskriterien und divergierende Gewichtungen von Erfolgsaspekten vor Augen, kommt es zu nicht rechtfer­ tigungsfähigen Ungleichbehandlungen wesentlich gleicher Sachverhalte. Es mag einen Drahtseilakt darstellen, explizite Vorgaben zu formulieren und gleichzeitig eine individuelle ärztliche Begutachtung des Patienten und die Einschätzung des Arztes vor Ort zu berücksichtigen. Gesetz und Richtlinien müssen diese Herausforderung jedoch annehmen. Über die grundlegenden normativen Bestimmungen hinaus ist eine Delegation an ein medizinisches Fachgremium nicht zu beanstanden,1698 um durch flexible Strukturen stets hinreichende Aktualität der Praxis zu sichern. Für die Festlegung der geeigneten medizinischen Voraussetzungen im Einzelfall, die die Verteilungskriterien „mit Leben füllen“, sind Sachverständige unabkömmlich. Staatliche Legislativorgane müssen jedoch die normativen Vorentscheidungen treffen. bb) Die Anpassung der Richtlinien Wurden die Regelungen mit den verfassungsrechtlichen Direktiven abgestimmt, müssen die Richtlinien die neuen Vorgaben verarbeiten, indem sie diese medizinisch abbilden ((1)). Dazu ist eine angemessene Übergangsfrist vorzusehen, um qualitativ fragwürdige Schnellschüsse zu vermeiden. Schon zurzeit befinden sich die Richtlinien in einer wichtigen Revisionsphase.1699 Ein maßgeblicher Auslöser war insbesondere die Gesetzesreform von 2013, die der Bundesärztekammer eine wissenschaftliche Begründungspflicht der Richtlinien auferlegt hat. Insbesondere nach den Allokationsskandalen ist die öffentliche Meinung im Bereich von Verteilungsregeln sensibilisiert. Die politisch-gesellschaftliche Relevanz der Richtlinien rückt die Bundesärztekammer in die öffentliche Wahrnehmung wie nur selten zuvor – eine gute Zeit für Kritiker, ihre Stimmen laut werden zu lassen. Tatsächlich hat es in der Ständigen Kommission Organtransplantation bereits verstärkte Kontroversen gegeben, etwa in Bezug auf die Gewichtung des Dringlichkeitskriteriums im Vergleich zur Erfolgsaussicht ((2)) und den Zugang zur Warte1697  Vgl.

den vierten Abschnitt des Schweizer TPG zur Zuteilung von Organen. Gesetzesvorschlag zur Einbeziehung der Ständigen Kommission Organtransplantation findet sich bereits auf S. 542 f. 1699  Vgl. zu dem Revisionsvorhaben Siegmund-Schultze, DÄBl 45 (2014), A-1938 f. 1698  Ein



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liste  (3)). Ein Kulminationspunkt der Diskussion dürfte die in der Richtlinie zur Lebertransplantation formulierte starre Alkoholabstinenzklausel für einen Listenplatz sein.1700 Die Darstellung beweist, dass bereits heute Bewegung in die Richtliniengestaltung kommt. Es lässt sich aber voraussagen, dass eine erneute Überarbeitung notwendig sein wird. Den Anforderungen an ein verfassungsrechtlich einwandfreies Allokationssystem werden die Richtlinien auch nach der neuesten Novelle nicht gerecht werden. Ohne Anleitung durch das Transplantationsgesetz kann dies auch kaum eine realistische Forderung sein. (1) Die Richtlinien als Abbild der gesetzlichen Vorgaben Es wurde bereits herausgearbeitet, dass ein adäquater Grundrechtsschutz aller Patienten bei der Organallokation nach einem ausgewogenen Verhältnis von Erfolgsaussichten und Dringlichkeit der Behandlung verlangt. Nachdem der Gesetzgeber normativ vorgegeben hat, was er unter seinen Leitprinzipien versteht, gilt es, diese Kriterien medizinisch darzustellen. Insbesondere Formulierungen der Richtlinien in Bezug auf die Anwendung des Erfolgskriteriums genügen den Anforderungen, die das Prinzip der Lebenswertindifferenz an das Allokationssystem stellt, nicht. Die Richtlinien haben – im Gleichklang mit dem gemäß hiesiger Vorschläge novellierten Transplantationsgesetz – die grundgesetzliche Absage an eine utilitaristische Maximierung der Organfunktionsraten im Patientenkollektiv herauszustellen. Die im Zuge dieser Forderung neu aufgestellten gesetzlichen Vorgaben würden eine Änderung der heutigen in den Richtlinien niedergeschriebenen ­Allokationsrealität bedeuten. Pauschale Anknüpfungen an eine längerfristig ausreichende Transplantatfunktion, die darauf abzielt, dem Empfänger ein gesichertes Überleben mit verbesserter Lebensqualität zu ermöglichen, müssen in Zukunft gänzlich durch das Bestreben ersetzt werden, die Überlebenszahl der Patienten zu maximieren. Ebenso werden weitere Subkriterien der Erfolgsaussichten, wie beispielsweise die Berücksichtigung der Compliance und einer Alkoholkarenzzeit, einer Überholung bedürfen. Auch wenn zu­ mindest das Compliance-Kriterium verfassungskonform ausgelegt werden kann,1701 wären Klarstellungen innerhalb der Richtlinie schon aus Transparenzgesichtspunkten rechtspolitisch wünschenswert.

1700  Für einen verfassungsrechtlich kritischen Überblick zur Abstinenzklausel siehe S.  458 ff. 1701  Zur verfassungsrechtlichen Bewertung des Compliance-Kriteriums siehe S.  454 ff.

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Ebenfalls ist in Bezug auf das Dringlichkeitskriterium eine Revision mancher Richtlinien angezeigt. Es gilt vor allem, geeignete Subkriterien zu entwickeln, die eine High-Urgency-Allokation nicht zum Regelfall werden lassen.1702 Vielmehr sollte das Standardvermittlungsverfahren derart modifiziert werden, dass es eine ausreichende Steuerungsleistung im Hinblick auf die unterschiedlichen Dringlichkeitsstadien entfalten kann. Keinesfalls darf die vermehrte Sonderallokation an hochdringliche Patienten als Konsequenz eines unterkomplexen Regelungssystems hingenommen werden.1703 Dies ­ würde dem Recht der Patienten auf ein funktionsfähiges Transplantationssystem zuwiderlaufen. (2) D  ie Abwägung zwischen Erfolgsaussicht und Dringlichkeit – dringende Aufwertung des Erfolgsmoments Insgesamt lässt die heute vorherrschende Verteilungsstrategie in mancher Hinsicht Zweifel an der Wahrung der Funktionsfähigkeit des Versorgungssystems aufkommen. Fairerweise wird man dafür nicht nur kritisch auf die hiesigen Richtlinienregelungen, sondern vor allem auf den Organmangel verweisen müssen. Dennoch sind die etablierten Allokationskriterien kritisch unter die Lupe zu nehmen. Erweist sich die Anwendung eines Verteilungskonzepts nicht (mehr) als sachgerecht, muss mit einer Richtlinienänderung reagiert werden. In letzter Zeit – gerade aus medizinischer Perspektive – vermehrt in Kritik geraten, ist das Verfahren zur Leberallokation.1704 Internationale Statistiken belegen, dass die Erfolgsraten in Deutschland vergleichsweise unterdurchschnittlich sind. Als Ursache gilt die (aufgrund von normativen Erwägungen beschlossene) Einführung der Organallokation nach dem MELD-Score, der das sickest-first-Prinzip umsetzt.1705 Nach diesem Verfahren wird die Wahr1702  Die Gefahr einer Umkehrung des Regel-Ausnahme-Prinzips zwischen der HU-Allokation und dem üblichen Verteilungsverfahren diskutieren schon Augsberg, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S.  163 ff.; Conradi / Deuse / Reichenpurner, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 183, 184.; zur Kritik am Dringlichkeitsbegriff bei der HU-Nierenallokation Ulrich, Durchbrechungen der Allokationskriterien des § 12 Abs. 3 TPG, S. 123. 1703  Diese Gefahr sieht zurzeit Augsberg, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 163, 176. 1704  Vgl. nur Benckert / Quante / Jonas, ZEFQ 104 (2010), S. 397, 398 f. 1705  Siehe Dannecker / Streng / Ganten, in: Schmitz-Luhn / Bohmeier (Hrsg.), Priorisierung in der Medizin, S. 147 ff.; eine Erläuterung der Grenzen des Leberzuteilungsverfahrens nach dem MELD-Score findet sich bei Umgelter, in: Haarhoff (Hrsg.), Organversagen, S. 179, 203 ff.



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scheinlichkeit abgebildet, mit der der Patient innerhalb von drei Monaten ohne Transplantation an Leberversagen verstirbt und die Organe sodann in erster Linie nach dem Dringlichkeitskriterium vergeben. Die Veränderung des Allokationsschwerpunktes durch den MELD-Score führte zwar dazu, dass die Mortalität auf der Warteliste signifikant gesenkt werden konnte; das Einjahresüberleben der Empfänger ist jedoch vermehrt zurückgegangen, in einigen Zentren sogar von 90 % auf 50–60 %.1706 Langfristig wird man mit diesem Allokationsmodus die Gesamtzahl der Todesfälle auf der Warteliste nicht verringern können. Diese werden im Gegenteil zunehmen, da immer mehr Patienten ins Stadium der unmittelbaren Todesbedrohung gelangen müssen, um transplantiert zu werden. Die gesünderen elektiv transplantablen Patienten erhalten kaum noch akzeptable Organangebote.1707 Die als hochdringlich transplantierten Empfänger werden wegen ihres schlechten Gesundheitszustands rasch wieder einer Retransplantation bedürfen. Eine Erhöhung der Spenderorgane wird durch die Veränderung des Allokationsmodus natürlich nicht erreicht, sodass auch für die Retransplantationen nur die vorhandenen Organe zur Verfügung stehen.1708 Ähnlich schlechte Ergebnisse zeigen sich bei den in Deutschland durchgeführten Herztransplantationen. Im Jahre 2000 und nochmals 2005 wurden aufgrund des eklatanten Spendermangels die Verteilungskriterien modifiziert, sodass im Jahr 2009 ca. 80 % aller Herzen an hochdringliche Patienten mit eher schlechter Erfolgsprognose alloziert wurden. Das Ein-Jahres-Überleben der Empfänger liegt – weit unter dem internationalen Niveau – nur noch bei 77 %.1709 Ebenso erfolgte bei der Lunge lange Zeit eine Organzuteilung unter 1706  Neuhaus, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 179, 180; Bedenken gegen die Absenkung der Erfolgsaussichten durch den MELD-Score bei Ahlert / Granigg / Greif-Higer u. a., FOR 655 Work­ing Paper Nr. 08 / 2008, abrufbar unter: http: /  / www.priorisierung-in-der-medizin. de / documents / FOR655_Nr08_Ahlert_Granigg_Greif-H.pdf (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 1707  Siegmund-Schultze, DÄBl 107 (2010), A-2367, 2368. 1708  Zu dieser Überlegung siehe Ahlert / Granigg / Greif-Higer u. a., FOR 655 Working Paper Nr. 08 / 2008, S. 6; daher unterliegt Ulrich, Durchbrechungen der Allokationskriterien des § 12 Abs. 3 TPG, S. 39 einem Irrtum, wenn er meint, dass das Dringlichkeitskriterium (allein) das Ziel verfolge, eine maximale Anzahl an Leben zu retten. Vielmehr ist dieses Ziel nur durch ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Dringlichkeits- und Erfolgskriterium zu erreichen. Die Dringlichkeit stellt nur darauf ab, den unmittelbar am stärksten bedrohten Wartelistenkandidaten zu versorgen, nicht aber darauf, eine Vielzahl von Patienten zu retten. 1709  Conradi / Deuse / Reichenpurner, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 183, 185. Zurzeit befindet sich die Herz-Allokationsrichtlinie in Überarbeitung. Geplant ist die Einführung eines Scores, wie er auch bei Lebern und Lungen existiert, vgl. die Pressemitteilung der BÄK zur Überprüfung der Transplantationszentren, S. 2, abrufbar unter: http: /  / www.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

Fokussierung des Dringlichkeitskriteriums erst dann, wenn sich der Zustand des Patienten gravierend verschlechtert hatte.1710 Insgesamt erweist sich diese rein an der Dringlichkeit orientierte Allokation der Spenderorgane als reformbedürftig.1711 Die Erfolgsaussicht muss in den Richtlinien erneut mehr in den Fokus der Patientenversorgung rücken. Es herrscht bereits Unmut über die – „ja vielleicht sogar unverhältnis­ mäßigen“1712 – Einbußen beim Transplantationserfolg. Solange nicht genügend Spenderorgane zur Verfügung stehen sind die vom Gesetzgeber vorgegebenen Verteilungsfaktoren, Erfolgsaussicht und Dringlichkeit, in eine Abwägungsentscheidung einzustellen, die kein Kriterium letztlich ausschließt. Mit der Einführung des Lung Allocation Scores (LAS) im Jahre 2011 wurde die Situation der Dringlichkeitsfokussierung bei der Lungentransplantation bereits entschärft.1713 Eine Aktualisierung der Herzallokationsrichtlinie steht zurzeit auf der Agenda der Ständigen Kommission Organtransplantation. Es wird die Einführung eines vergleichbaren Systems, des Cardiac Allocation Scores (CAS), erwartet.1714 Die Novellierungen dürfen jedoch die verfassungsrechtlichen Bindungen nicht außer Acht lassen. Es bietet sich auf der vorstehenden Grundlage an, rein dringlichkeitsorientierte Verteilungssysteme, wie den MELD-Score, durch Allokationskriterien bundesaerztekammer.de / fileadmin / user_upload / downloads / PM_von_PK_und_ UeK_300920141.pdf (zuletzt abgerufen am 30.06.2017). 1710  Kritisch dazu Greif-Higer bei der Plenarsitzung des Deutschen Ethikrats, Wer bekommt ein Organ? Zuteilungskriterien in der Transplantationsmedizin im Streit, S. 8; zu den schlechten Ergebnissen der Lungentransplantation bei Hochdringlichkeitspatienten siehe Strüber, Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 191, 192 f. 1711  Zumindest als Orientierungshilfe für die beiden konfligierenden Paramater Erfolgsaussicht und Dringlichkeit wird das in den USA bereits eingesetzte Net-benefit-Konzept (Nettonutzen-Konzept) vorgeschlagen. Auf seiner Grundlage werden das Risiko, auf der Warteliste zu versterben und die Wahrscheinlichkeit, die Transplantation zu überleben, zueinander in Beziehung gesetzt, vgl. zum Net-benefit-Konzept Rahmel, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 127, 143 f. Für denkbar wird gehalten, die Erfolgsaussicht bei hoher Dringlichkeit des Patienten weniger stark in die Allokationsentscheidung einzustellen als bei einer niedrigeren Dringlichkeit. Zur verfassungsrechtlichen Analyse der Einbringung von erfolgsbezogenen Kriterien gegenüber Dringlichkeitserwägungen nach der hiesigen Ansicht vgl. S. 433 ff. 1712  Gutmann, in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin, S. 113, 134; von einem nicht hinnehmbaren Ergebnis bei der Verteilung medizinischer Güter allein nach der Dringlichkeit spricht auch Brech, Triage und Recht, S. 272; ähnlich Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 92. 1713  Vgl. die Richtlinie zur Wartelistenführung und die Organvermittlung der Lunge. 1714  Warnecke / Haverich, herzmedizin 06 / 2015, S. 18, 20.



IV. Rechtspolitische Gestaltungsmöglichkeiten583

zu ergänzen, welche die Erfolgsaussichten der Transplantation erfassen.1715 Dabei darf, wie bereits festgestellt, nicht die „utilitaristische personenindif­ ferente Maximierung der Gesamtorganfunktionsdauer“1716 ins Auge gefasst werden; vielmehr geht es um die Maximierung der Anzahl geretteter Organempfänger. Um das Ziel der Rettung möglichst vieler individueller Patientenleben zu realisieren, müssten die Dringlichkeit und die Erfolgsaussicht in ein optimales Ergänzungsverhältnis gesetzt werden. Angestrebt werden muss die Rettung der maximalen Anzahl von Dringlichkeitsfällen bei gleichzeitiger maximaler Erfolgssteigerung hinsichtlich der Überlebendenanzahl.1717 Dabei muss der Verteilungsmodus den Unterschieden zwischen den aufgrund der Erfolgsaussichten priorisierten und posteriorisierten Patienten in angemessenem Umfang Rechnung tragen.1718 Dieser Abwägungsentscheidung diktiert das verfassungsrechtlich gebotene Dringlichkeitskriterium strikte Grenzen. Ausgangspunkt des Vergleichs und damit der Abwägung wird die jeweilige Dringlichkeitsgruppe darstellen müssen, d. h. betrachtet werden jene Patienten, denen die gleiche Wahrscheinlichkeit zukommt, in Zukunft nicht rechtzeitig mit einem lebensrettenden Organ versorgt zu werden. Innerhalb dieser Gruppe sind die Aspekte der Erfolgsaussicht in die Abwägung einzubeziehen, die zu einer Maximierung der Überlebendenanzahl beitragen. Durch ein mit Bonus-Malus-Punkten operierendes Verteilungssystem scheint die Herstellung des angemessenen Verhältnisses von Erfolgsaussicht und Dringlichkeit möglich. Die optimale Gewichtung der Kriterien sollte über ein Vorhersagemodell abgeschätzt werden.1719 Eine elementare Rolle zur optimalen Gewichtungsermittlung dürften insbesondere Simulationsstudien spielen.1720 An dieser Stelle wird die Notwendigkeit einer umfassenden Datensammlung und -analyse offensichtlich. Ohne Bezug zu – für den hiesigen Allokationskreis gültigen – Erfahrungssätzen scheint die inhaltliche Ausfüllung der erforderlichen Parameter in der Praxis schwerlich möglich.1721 1715  Dannecker / Streng,

JZ 2012, S. 446, 452. S. 446, 452. 1717  Brech, Triage und Recht, S. 272; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 94. 1718  Dannecker / Streng, JZ 2012, S. 444, 451. 1719  Ein Vorhersagemodell fordert auch Rahmel, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 127, 136, der die mangelnde Datenerfassung in den meisten Ländern Europas kritisiert. 1720  Lauerer / Baier / Alber u. a., in: Schmitz-Luhn / Bohmeier (Hrsg.), Priorisierung in der Medizin, S. 161, 170; siehe bzgl. möglicher Konzepte zum Ausgleich des Spannungsverhältnisses zwischen Erfolgsaussicht und Dringlichkeit auch die Darstellung von Benckert / Quante / Jonas, ZEFQ 104 (2010), S. 397, 398 f. 1721  Kritisch dazu schon Otto, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 149, 154, der allerdings nicht auf das Überleben der konkreten Operation abstellt, sondern ein fünf-Jahres-Überleben als 1716  Ebda.,

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

(3) Die Reformierung der Zugangsregelungen zur Warteliste Gleichzeitig müssen die Regelungen zum Wartelistenzugang in den Richtlinien reformiert werden. Die Ärzteschaft in den Transplantationszentren darf keinesfalls als Gatekeeper instrumentalisiert werden. Jedem, der voraussichtlich einen Nutzen aus einer Transplantation ziehen würde, ist aufgrund seines derivativen Teilhabeanspruchs der Zugang zur Warteliste zu gewähren.1722 Die maßgebliche Selektion der Patienten darf erst auf der tatsächlichen Allokationsebene stattfinden, ohne einem Patienten pauschal die Therapie zu versagen. Dahingehende Richtlinienänderungen würden selbstverständlich zu einem dramatischen Anstieg der Wartelistekandidaten führen. Die Zahl der Bedürftigen ändert sich durch diese Praxis jedoch nicht. Bisher spiegeln die Wartelisten den tatsächlichen Bedarf an Organen schlicht nicht adäquat wider.1723 Statt geschönter Statistiken sollte Transparenz geschaffen werden. Sowohl in den Medien als auch in der Politik wurde die Erfolgsaussicht als Zugangskriterium in letzter Zeit intensiv diskutiert. Anlass war die Ablehnung der Aufnahme eines türkischen Jungen in die Warteliste zur Herztransplantation durch mehrere deutsche Transplantationszentren.1724 Die Eltern hatten ihren Sohn aus der Türkei nach Deutschland verbracht, weil sie auf eine rasche Transplantation hofften. Jedoch war nach Einschätzung der Ärzteschaft aufgrund eines irreversiblen Hirnschadens kein langfristiger Erfolg zu erwarten, sodass eine Listung unterblieb. Das Landgericht Gießen bestätigte diese Entscheidungen (Urt. v. 24.10.2014, Az. 3 O 290 / 14). Zwar wies das Gericht den Vorwurf der Behindertendiskriminierung zurück, da nicht die Hirnschädigung an sich als Transplantationshindernis bewertet werde, sondern die sich aus dieser ergebenden Operationsrisiken. Jedoch war die gesellschaftliche ebenso wie die politische Debatte über Recht und Unrecht der transplantationsrechtlichen Auswahlentscheidungen bereits entflammt.1725 Das Schicksal des Jungen ist nur ein Beispiel für eine hohe Beispiel nennt; für das Erfordernis einer umfassenden Datensammlung auch Rahmel, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 127, 144; ders., in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Förderung der Organspende, S. 13, 24. 1722  Zur Unzulässigkeit der Berücksichtigung der Erfolgsaussicht auf der Ebene der Warteliste siehe S 446 ff. 1723  Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 358; Taupitz, ZEFQ 104 (2010), S. 400, 401. 1724  Siehe zu diesem Fall schon S. 422 f. 1725  Vgl. nur die Berichterstattung der FAZ v. 01.09.2014, abrufbar unter: http: /  / www.faz.net / aktuell / rhein-main / fall-muhammet-in-giessen-eltern-wollenherz-transplantation-erzwingen-13129675.html (zuletzt abgerufen am 30.06.2017).



IV. Rechtspolitische Gestaltungsmöglichkeiten585

Anzahl an Patienten, für die eine Transplantation zwar medizinisch notwendig, aber nach heutiger Richtlinienvorgabe nicht mit ausreichenden Erfolgsaussichten verbunden ist, sodass ihnen ein Zugang zur Transplantation von vornherein verwehrt wird. Ob die medial intensiv verfolgte Debatte um die Verweigerung der Transplantation im Fall des türkischen Jungen einen langfristigen Effekt auf den politischen Handlungswillen haben wird, darf bezweifelt werden. Er führt jedoch die dringende Reformbedürftigkeit der Aufnahmeentscheidungen vor Augen – ganz unabhängig davon, ob der Junge nach der Aufnahme auf die Warteliste mangels, sodann berücksichtigungs­ fähiger, Erfolgsaussichten dennoch nicht transplantiert worden wäre. cc) Zwischenergebnis Die vorstehenden Erwägungen zur Reform des Verteilungssystems belegen den massiven Änderungsbedarf der Verteilungsregelungen; eine Aufgabe, die der Gesetzgeber bislang scheut. Um den zahlreichen verfassungsrechtlichen Bindungen gerecht zu werden, sind jedoch Reformen dringend notwendig. Insbesondere die Achtung des Prinzips der Lebenswertindifferenz und des Grundsatzes der Gleichbehandlung müssen im Transplantationsgesetz ihren einfach-gesetzlichen Niederschlag finden. Ins Zentrum der Neuregelungen in Gesetz und Richtlinien sind das richtige Maß von Erfolgsaussicht und Dringlichkeit sowie ein gesicherter Zugang zur Warteliste bei der Notwendigkeit einer Transplantation zu rücken. h) Ergebnis  – Verstaatlichung des Transplantationssystems? Die vorausgehenden Ausführungen exemplifizieren, dass der Rückzug des Staates aus den wesentlichen Bereichen des Transplantationswesens dringend reformbedürftig ist. Sein Konzept, die bereits etablierten Strukturen der „regulierten Selbstregulierung“ zu nutzen und sie weitgehend sich selbst zu überlassen, war weder ein verfassungsrechtlich gangbarer noch rechtspolitisch empfehlenswerter Weg. Durch seine legislatorische Lethargie hat der Gesetzgeber maßgeblich zur herrschenden Vertrauenskrise der Bevölkerung beigetragen. Das Transplantationsgesetz erteilt großzügig Handlungsermächtigungen an vielfach privatrechtlich organisierte Institutionen, die diese weitreichend – teilweise sogar über die Ermächtigung hinaus – genutzt haben. Nun steht der Staat vor der Aufgabe, „die Geister, die er rief“ zu bändigen. Ob er es zu einer grundlegenden Neustrukturierung kommen lässt oder das System punktuell reformiert, bleibt seine Entscheidung. Beide Wege sind mit Blick auf das Verfassungsrecht vorstellbar.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

Einige lauter werdende Stimmen fordern eine grundsätzliche Neustrukturierung der Organisation des Transplantationswesens im Sinne einer Überführung des Systems in staatliche Hände. Prognostiziert wird ein damit einhergehender entscheidender Vertrauensgewinn in der Bevölkerung.1726 Die Erfüllung der öffentlichen Aufgabe „Organtransplantation“ durch den Staat als Voraussetzung für einen vertrauenserweckenden Eindruck zu beschreiben, dürfte sich jedoch als Trugschluss erweisen. Sie ist keine notwendige, geschweige denn eine hinreichende Bedingung für das Funktionieren des Systems. Vielmehr ist es das skandalfreie, transparente und möglichst effiziente Wirken der Transplantationsmedizin, das einen Vertrauensgewinn verspricht. Dieser Effekt kann ebenso in Kooperation mit privaten Stellen erreicht werden, sodass kein zwingender Grund besteht, die bisherige Organisation rabiat zu sprengen. Eine Radikalreform des deutschen Transplantationswesens im Sinne einer umfangreichen Verstaatlichung ist weder verfassungsrechtlich geboten noch rechtspolitisch eindeutig empfehlenswert.1727 Eine Novellierung, die die mannigfachen Problemfelder des Transplantationsgesetzes angeht, muss jedoch eine grundlegende Neuorientierung des Gesetzgebers im Hinblick auf die Verantwortung des Staates in der Transplantationsmedizin erkennen lassen. Der Gesetzgeber hat sich allerdings bisher einer profunden Neuausrichtung, ja sogar verfassungsrechtlich gebotenen Anpassungen moderaten Maßes, verweigert. Als rechtspolitisch durchsetzbar dürfte sich mittelfristig daher ohnehin nur eine Befassung mit Einzelproblemen erweisen. Will der Gesetzgeber die grundsätzliche Systemorganisation und mit ihr die etablierten Institutionen beibehalten, muss er diese mit ausreichender Legitimation ausstatten. Es sei unbestritten, dass hoheitliches Handeln in einem auf medizinische Spezialisierung ausgerichteten Gemeinwesen einer institutionalisierten Beteiligung sachverständiger Akteure bedarf, die Aufgaben im Rahmen einer Normkonkretisierung übernehmen oder an der Organisation eines Medizinsektors maßgeblich mitwirken können. Es bedarf im Transplantationswesen allerdings einer massiven Verschärfung der staatlichen Lenkungskompetenzen. Dazu gehört nicht nur der Einfluss auf die personale Gestaltung der Entscheidungsträgerschaft, sondern darüber hinaus eine ausreichende inhaltliche Steuerung und Überwachung grundrechtsrelevanter Handlungen. Vorhandene Handlungsspielräume müssen klar benannt und eingegrenzt werden. 1726  Vgl. die Anträge der Fraktion Die Linke, BT-Drs. 17 / 12225 sowie der Fraktion Bündnis90 / Die Grünen, BT-Drs. 17 / 11308; siehe auch Deutsche Stiftung Patientenschutz, Patientenschutz-Info-Dienst vom 24.06.2013, S. 15. 1727  Gegen eine Radialreform u. a. auch Lilie, in: Middel / Pühler / Lilie (Hrsg.) Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 41, 42; Vilmar, in: Middel / Pühler / Lilie u. a. (Hrsg.), Organspende und Organtransplantation in Deutschland, S. 229.



IV. Rechtspolitische Gestaltungsmöglichkeiten587

Mit der „Richtlinienerstellung“ im Vorfeld des eigentlichen Spende- und Transplantationsprozesses sollte in Zukunft das Bundesministerium für Gesundheit betraut werden, das im Wege einer Rechtsverordnung entsprechende verbindliche „Anweisungen“ erteilen könnte. Daran anknüpfend besteht die Möglichkeit, die Ständige Kommission Organtransplantation als Subdelegatar zur Erstellung der Regelungen einzusetzen. Insbesondere die Bestimmung zur Wartelistenführung und Organzuteilung würden dadurch endlich ihre dringend notwendige demokratische Dignität erhalten. Deutschland profitiert als Nehmerland von dem transnational agierenden Vermittlungssystem. Empfehlenswert ist daher die grundsätzliche Beibehaltung des grenzüberschreitenden Organaustauschs mittels einer Einbindung der bisherigen Vermittlungsstelle durch einen völkerrechtlichen Vertrag. Hinzukommen muss eine Optimierung der gesetzlichen Überwachungsvorschriften. Dies gilt ebenso in Bezug auf die durch die Führung der Warte­listen in den Allokationsprozess eingebundenen Transplantationszentren. Bei der Organisation der von der Allokation zu trennendenden Organspende kann an der Beauftragung der privatrechtlichen Koordinierungsstelle, der Deutschen Stiftung Organtransplantation, festgehalten werden, um ihre langjährigen Erfahrungen und zahlreich erworbenen Kompetenzen für das Organspendesystem nutzbar zu machen. Gänzlich revidiert werden sollte hingegen die Ermächtigung der Koordinierungsstelle zum Erlass verbind­ licher Verfahrensanweisungen. Ersetzt werden könnten diese durch eine Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Gesundheit. Um die Organisation des Spendeprozesses zu optimieren, sind die eingefügten Regelungen betreffend die Aufgaben der Entnahmekrankenhäuser und der Einführung eines Transplantationsbeauftragten zu begrüßen. Bevor über weitergehende Schritte, wie Sanktionen bei Nichterfüllung der Meldepflicht, nachgedacht wird, sollte die Refinanzierung der Kliniken sowie adäquate Anreizsysteme auf den Prüfstand gestellt werden. Nicht aufschiebbarer Nachholbedarf bei der Organisation der Organspende besteht allerdings bei der Überwachung der Koordinierungsstelle, die durchgriffsstärker organisiert werden muss. Eine Kontrollverbesserung muss zudem durch die Installation eines effektiven Rechtsschutzes durch die deutsche Gerichtsbarkeit geschaffen werden. Um Rechtswegklarheit zu schaffen, sollte der Gesetzgeber die hoheitlichen verteilungsrelevanten Entscheidungen ausdrücklich an den Verwaltungsrechtsweg verweisen. Insbesondere müssen die Handlungen von Eurotransplant vor deutschen Gerichten angreifbar sein. Damit die Betroffenen effektiven Rechtsschutz tatsächlich beanspruchen können, ist es erforderlich, ihre Informationsrechte hinsichtlich der verteilungsrelevanten Entscheidungen zu verbessern.

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D. Würdigung des deutschen Transplantationssystems

Ein Veränderungserfordernis besteht ebenfalls bei den Regelungen über den Zugang zur Warteliste gemäß § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG und der Organ­ allokation nach § 12 Abs. 3 S. 1 TPG. Der Gesetzgeber muss die wesent­ lichen Entscheidungskriterien und deren Rangverhältnis selbst bestimmen. Erforderlich ist nicht nur die Festlegung von Leitprinzipien, sondern darüber hinaus weiteren, diesen zugeordneten Subkriterien, an denen sich die Normkonkretisierungsinstanz orientieren kann. Nachholbedarf ist nicht nur bei der Definition der Erfolgsaussichten zu vermelden, sondern gleichfalls in ihrer verhältnismäßigen Berücksichtigung in Bezug zur Dringlichkeit der Transplantation. Erstrebenswert ist ein Verteilungssystem, das beide Parameter in einen angemessenen Ausgleich bringt und eine möglichst hohe Zahl an ­Menschenleben rettet. Dies kann am besten durch ein System gewährleistet werden, das mit Bonus-Malus-Punkten arbeitet. Eine konkrete Abwägung zwischen den bedürftigen Patienten darf allerdings erst auf der Ebene der konkreten Organzuteilung erfolgen. Der Zugang zur Warteliste muss jedem Pa­tienten eröffnet werden, der von einer Transplantation voraussichtlich profitieren würde. Ein pauschaler Ausschluss mancher Patientengruppen erweist sich als unverhältnismäßig. Im Zentrum der notwendigen Reform muss die Rückkehr des Staates in seine Regelungsverantwortung stehen. Nur wenn wesentliche politische Entscheidungen wieder in die parlamentarische Debatte hinein verlagert werden und staatliche Stellen den gesamten Prozess der Transplantation unter Kon­ trolle haben, ist Gewähr für ein ordnungsgemäßes Funktionieren des Systems geboten. Dieses wiederum ist conditio sine qua non für die Spendebereitschaft der Bevölkerung und damit zwangsläufig auch für die Versorgung der Wartelistenpatienten.

E. Fazit der Untersuchung Die Möglichkeiten der modernen medizinischen Versorgung, wie die der Organtransplantation, erscheinen verlockend, da sie Menschenleben retten, aber dennoch sind sie – in Anbetracht der völlig neuartigen ethischen und rechtlichen Problemstellungen – verstörend zugleich. Der moderne Rechtsstaat ist gehalten, die von der biomedizinischen Entwicklung gestellten He­ rausforderungen anzunehmen. Er muss die Volatilität des medizinrecht­lichen Rechtsbereichs akzeptieren und sich in seinen Normierungen revi­sionsoffen zeigen. Grundlegende medizinische Revolutionen sind im Bereich der Or­ gantransplantation vorerst nicht zu erwarten – die Xenotransplantation oder die künstliche Züchtung von Organen scheinen noch allzu weit entfernt – doch wirft die Praxis des Transplantationswesens trotzdem regelmäßig neue Fragen auf. Seit nunmehr über 15 Jahren nimmt das Transplantationsgesetz in Deutschland diese Herausforderungen mehr oder minder gelungen an. Sein Regime hat im Jahre 1997 nach bereits Jahrzehnten ausgeübter Praxis erste Rechts­ sicherheit im Transplantationswesen geschaffen, auch wenn seine organi­ sationsrechtlichen Regelungen seit jeher starker Kritik ausgesetzt waren. Sein Ziel, die Spenderraten signifikant zu erhöhen, verfehlte es. Die erste Reform war lediglich eine Frage der Zeit. Anlässlich der Umsetzung der RL 2010 / 53 / EU hat der Gesetzgeber beschlossen, nicht nur die europarechtlichen Vorgaben an Qualität und Sicherheit in das Transplantationsgesetz zu überführen, sondern ist weitergehende Novellierungen angegangen. Mit dem Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes und dem Gesetz zur Regelung der Entscheidungslösung wurden einige strukturell-organisatorische Rahmenbedingungen der Transplantation leicht modifiziert sowie die Entscheidungslösung etabliert. Beide Novellierungen standen eng mit dem wohl prominentesten Thema der Transplantationsmedizin in Zusammenhang: der Bekämpfung des Organmangels. Dieses Ziel geriet gerade nach dem Bekanntwerden von mehreren Wartelistenmanipulationen durch unterschied­ liche Kliniken im Reformjahr in weite Ferne als die Spenderzahlen auf ein historisches Tief einbrachen. Die erneute Novelle aus dem Jahre 2013 sollte das Vertrauen der Bevölkerung in die Transplantationsmedizin wiederherstellen. Keine der Reformen führte jedoch zu einer – so oft geforderten – grundsätzlichen Neuausrichtung des Transplantationsrechts.

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E. Fazit der Untersuchung

Die vorhergehende Untersuchung hat ein zwiespältiges Bild des Rechtsregimes hinterlassen. Es konnte dargelegt werden, dass der Gesetzgeber cum grano salis ein Grundgerüst sinnvoller Regelungen erbaut hat; insbesondere was den Bereich des Organspendeprozesses anbelangt. Auch wenn gewisse gesetzestechnische Nachkorrekturen bei der Arbeit mit dem Todesbegriff wünschenswert wären, hat der Gesetzgeber gut daran getan, das Hirntodkonzept beizubehalten. Ebenso nachvollziehbar ist die Normierung der Entscheidungslösung, von der zu Recht gehofft werden darf, dass sie einen Beitrag zur Aufklärung der Bevölkerung und schlussendlich auch zur Steigerung der Spendebereitschaft leisten wird. Anfängliche Erfolge zeichnen sich nach den ersten Anschreibeperioden der Krankenkassen und privaten Krankenver­ sicherungsunternehmen bereits ab. Dringlicher Nachbesserungsbedarf besteht jedoch noch in der inhaltlichen Ausgestaltung der Aufklärung, die der Gesetzgeber nur lückenhaft vorbestimmt. Völlig unzureichend spart sie elementare Konfliktherde, wie Diskussionen um das Hirntodkonzept oder die spendezentrierten Maßnahmen, aus. Überhaupt wurde während der gesamten Reformwelle auf politischem Parkett zur Spenderkonditionierung geschwiegen. Die Einwirkung auf (möglicherweise) noch lebende Patienten ist jedoch ein ethisch sowie rechtlich höchst sensibles Thema, das dringend einer Normierung im Transplantationsgesetz bedarf. Aus Furcht vor einem etwaigen negativen Nachhall aus der Bevölkerung lebt die Politik in Sachen Risikomanagement samt dazugehöriger Aufklärung jedoch eine grundrechtsverachtende organempfängerfreundliche Sozialromantik. Die punktuellen Neuregelungen betrafen neben der Einführung der Entscheidungslösung vielmehr den organisatorischen Rahmen des Transplanta­ tionswesens. Dem Staat wird zu Recht seit vielen Jahren ein verfassungsrechtlich höchst bedenkliches Rückzugsverhalten attestiert. Das Motivationsdefizit der Politik, wesentliche Entscheidungen selbst zu treffen, speist den Legitimationsmangel des gesamten Rechtsregimes seit seiner Geburtsstunde. Die Novellierungen im Hinblick auf die Einbeziehung der das Transplanta­ tionsgeschehen dominierenden privatrechtlichen Institutionen bedeuten keine Kehrtwende des Gesetzgebers, sondern wirken als bloßes „Opium“ für die zahlreichen Kritiker. Insbesondere die Neufassungen der §§ 11, 12 und § 16 TPG sind nicht mehr als die kosmetische Behandlung einer tief liegenden Wunde. Der weitreichende Kompetenzzuwachs der Deutschen Stiftung Or­ gantransplantation streut geradezu noch Salz hinein. Als sehr sinnvolle organisatorische Neuerung erweist sich hingegen die verpflichtende flächendeckende Ernennung von Transplantationsbeauftragen, um die Koordinierung des Spendeprozesses in den Entnahmekrankenhäusern effizienter zu gestalten. Sie wird der Erkenntnis gerecht, dass das Organaufkommen wesentlich von der Mitarbeit der Kliniken und diese wiederum von der krankenhaus­ internen Organisationsstruktur abhängt.



E. Fazit der Untersuchung591

Eine weitere signifikante Determinante für das Organaufkommen stellt die Spendebereitschaft der Bevölkerung dar, die bereits durch die Entscheidungslösung gefördert werden sollte. Ob jedoch die einzelnen Modifizierungen des Transplantationsgesetzes nach den Manipulationsskandalen dazu in der Lage sind, das Vertrauen der Bevölkerung in die Integrität des Systems tatsächlich wiederherzustellen, ist fraglich. Die Systemfunktionalität der Transplanta­ tionsmedizin setzt Vertrauen zwingend voraus. Es ist der Nährboden der Spendebereitschaft, weshalb vom Gesetzgeber mehr Engagement in Bezug auf die Behebung der zahlreichen Verfassungskonflikte des Gesetzes zu erwarten gewesen wäre. Das Recht ist ein probates Mittel zur Förderung einer breiten Akzeptanz der Organspende, wenn es klare Strukturen und Grenzen des Transplantationswesens normiert. Einen an grundlegenden verfassungsnormativen Parametern orientierten Organisationsrahmen zu schaffen sowie dessen effiziente Überwachung sicherzustellen, ist eine staatliche Herausforderung höchster Priorität. Grundlegende Ansprüche wie Transparenz, Konsistenz und Legitimität werden durch die derzeitige Ausgestaltung des Transplantationsgesetzes allerdings nicht gewährleistet. Im Transplantationssystem scheinen zentrale grundgesetzliche Vorgaben eher Verfassungslyrik als gelebte Verfassungsrealität. Ausreichende Abhilfe können punktuelle Interventionen der Politik ohne prinzipielle Offenheit gegenüber einem grundsätz­ lichen Umdenken nicht schaffen. Schon gar nicht, wenn die politischen Akteure die Wunden erst lecken, wenn sie aufreißen, wie bei der Reform aus dem Jahre 2013 geschehen. Die Einführung des Genehmigungsvorbehalts für die Transplantationsrichtlinien oder die Verdichtung von Verfahrens- und Kontrollregelungen in Bezug auf die im System agierenden Institutionen sind ein Schritt in die richtige Richtung, aber noch lange nicht ausreichend. Insbesondere die völlige Ignoranz des Gesetzgebers gegenüber dem – Gerechtigkeitsfragen ins Mark treffenden – Verteilungssystem, das für das Vertrauen der Öffentlichkeit eine wahre Schlüsselposition einnimmt, ist unverständlich. Gleiches gilt für die Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes. Wird der moralische Anspruch der Bevölkerung nicht ausreichend bedient, stellt sich die Bemühung um die Akzeptanz der Transplantationsmedizin als ein Kampf gegen Windmühlen dar. Ceterum censeo entpuppen sich die Reformen des Transplantationsgesetzes nach eingehender Prüfung in einigen Teilen als begrüßenswerte Maßnahmen, jedoch keinesfalls als großer Durchbruch. Sie lassen berechtigte Novellierungsforderungen schlicht unbeachtet und vermachen den nächsten Legislaturperioden einen nicht unerheblichen Reformbedarf. An dieser Stelle ist die politische Klasse gefordert. Wissenschaftliche Beiträge zur Novellierungsdebatte können Problemstellungen des Transplantationswesens aufdecken und Lösungsvorschläge unterbreiten. Das Recht ändern können (und sollen) sie jedoch nicht, weshalb sie keinen Politikersatz bieten. Die vom

592

E. Fazit der Untersuchung

Wahlvolk abhängigen Repräsentanten im Parlament zögern jedoch, mit dem angewachsenen Geflecht von Missständen aufzuräumen, was schwerwiegende und zum Teil unpopuläre Dilemmaentscheidungen erfordern wird. Diese Unsicherheit im Umgang mit sensiblen Regelungsbereichen muss jedoch dringend überwunden werden. In der Transplantationsmedizin stellt die Vorgabe wesentlicher Leitprinzipien des Systems und die Etablierung eines demokratisch legitimierten, kontinuierlich kontrollierten organisatorischen Rahmens eine unübertragbare parlamentarische Pflicht dar. Eine Konsens­ erzielung mag hier nicht immer leichtfallen. Insbesondere die fraktionell unterschiedlichen Stoßrichtungen der Reformierung des Transplantationsgesetzes nach den Manipulationsskandalen belegt das hohe Erfordernis einer Bereitschaft zu Kompromissentscheidungen in ethisch spannungsgeladenen Regelungsfragen. Sie sind Ausdruck eines reflektierten Relativismus einer pluralistischen Gesellschaft.1 Das Parlament muss sich seiner Stellung als politisches Gravitationszentrum wieder bewusster werden. Dazu gehört es auch, Entscheidungsverantwortung zu übernehmen, anstatt gezielt einen parlamentarischen Einflussverzicht zu normieren. Ein solches Rückzugsverhalten entspricht nicht den legitimen Anforderungen an eine moderne Politikkultur. Da das praktizierte System jedoch als eine Entlastung der Politik von der Bürde der Entscheidungsmacht ausgestaltet worden ist, muss es weitgehend ohne ethische und rechtliche Reflexion auskommen und sich maßgeblich durch medizinischen Sachverstand lenken lassen. Die relevanten Verwerfungen des Transplantationswesens bestehen jedoch nicht im Medizinsystem, sondern im Normengeflecht des demokratischen Rechtsstaats.2 Da die eingebundenen privatrechtlichen Institutionen die lückenhafte Vorsteuerung schon längst inhaltlich umfassend ausfüllen, erscheint der Rückzug des Gesetzgebers als ein durch Gewohnheit gut versorgter Bruch des Verfassungsrechts. Eine funktionierende Praxis kann den Gesetzgeber jedoch nicht von seinen Pflichten entbinden. Sie zu erfüllen liegt in seinem eigenen Interesse, möchte er seine in § 1 Abs. 1 S. 1 TPG festgelegte Zielsetzung, die Bereitschaft zur Organspende in der Bevölkerung zu steigern, tatsächlich ernst nehmen. Die Berge unerledigter Hausaufgaben lassen die lebensnotwendige Transplantationsmedizin jedoch in ihrer Gesamtheit ins Zwielicht geraten. Solange es der Gesetzgeber verweigert, sich der progredient erosiven Folgen der Verfassungswidrigkeit des Transplantationsgesetzes anzunehmen, wird man das Vertrauen der Öffentlichkeit in ein legitimes und gerechtes Transplantationssystem kaum erwarten dürfen. Genau dieses wird jedoch tagtäglich eindringlich beschworen. Es bleibt insoweit zu hoffen, dass der Gesetzgeber die dauernde kritische Begleitung des Transplantationswesens durch 1  Kreß,

Ethik der Rechtsordnung, S. 253. zu den Verwerfungen des Transplantationssystems schon Gutmann, in: Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin, S. 113, 117, 135. 2  Vgl.



E. Fazit der Untersuchung593

die Wissenschaft nicht nur zur Kenntnis, sondern als Motivation für eine erneute Reform weniger zaghaften Charakters nimmt. Dahingehende Hoffnungen dürften jedoch mittelfristig eher enttäuscht werden. Am Ende mag eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts stehen, die ihn zu einem Umdenken verpflichtet. Bis dahin brauchen die Kritiker des Transplantationssystems jedoch höchstwahrscheinlich noch einen langen Atem.

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Sachwortverzeichnis Alkoholabstinenz  156, 458 ff., 562 f. –– Ablauf  102 ff. –– Allokation –– Reformbedarf  400 ff., 575 ff. Allokationskriterien  255 ff., 463 ff., 575 ff. Anencephalie  217 Angehörige  82 ff., 290 f., 299 ff., 326 ff., 339 ff. Apallisches Syndrom  217, 321 Ärztliches Handeln  206 Aufklärung  496, 502 ff. Bauchspeicheldrüse, siehe Pankreas Bedürftigkeit, siehe Dringlichkeit Beschleunigtes Vermittlungsverfahren  103, 125 ff. Bundesärztekammer (BÄK)  354 ff., 528 ff. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA)  89 ff., 158, 174 f. Chancengleichheit  258 f., 445 f. Clubmodelle  467 ff. Compliance  454 ff. Dead Donor Rule  70 Demokratische Legitimation  359 ff., 392 ff., 528 ff., 567 f. Deutsche Stiftung Organtransplantation –– Koordinationstätigkeit  116 f. –– Organisation und Funktion  114 f. –– Reformbedarf  390 ff., 565 ff. Deutsche Transplantationsgesellschaft  60, 100, 118, 159, 166, 205 Deutscher Ethikrat  188, 201 f., 251, 503 f., 516 f.

Dokumentationspflichten  556 Dringlichkeit  431 ff., 580 ff. Dünndarm  52 f. Einwilligung  82 ff., 325 ff. Entnahmekrankenhaus  105, 381, 544 ff. Entschediungslösung  89 ff., 250 ff. Erfolgsaussicht  433 ff., 580 ff., 325 ff., 498 ff. Erklärungslösung  87 f. Ethikkommission  187 ff. Europäische Grundrechtecharta  138 f. Europäische Union  133 ff. Eurotransplant International Foundation –– Organiation und Funktion  121 f. –– Reformbedarf  400 ff., 569 ff. –– Vermittlungstätigkeit  123 ff. Eurotransplant Manual  102, 123 f. Eurotransplant Senior Program (ESP)  401, 451 Framing Effekt  507, 514 f., 522 Geistigkeitstheorie  213 f. Gesamthirntod –– Feststellungsverfahren  232 ff. –– Hirntodkonzepte  213 f –– Rechtspolitische Gestaltungsmöglichkeiten  482 ff. –– Verfassungsrechtliche Bedenken  271 ff. Geschäftsstelle Transplantationsmedizin  164 Gesetz zur Änderung des Transplanta­ tionsgesetzes (TPGÄndG)  151 f., 153 Gesetz zur Regelung der Entscheidungslösung  151 f., 153

644 Sachwortverzeichnis Gewebegesetz  132 Gleichheitssatz  256 ff. Großhirntod  217 f. Herz  45 Herzkreislauftod  209 ff. Hirnstammtod  217 f. Hirntod, siehe Gesamthirntod Immunsuppression  36 f. Informationslösung  86 f. Inhousekoordinantion  107 ff., 140, 173, 521 f., 544 ff. Interationstheorie  214 f. Justified killing  215 Kommerzialisierung  262 ff. Kontraindikation  39, 454 ff. Koordinierungsstelle, siehe Deutsche Stiftung Organtransplantation Körperliche Unversehrtheit, Recht auf  82 ff., 284 ff., 381, 431 f. Länderausführungsgesetze  75, 549 ff. Lebensspende  38, 467 ff. Lebenswertindifferenz  258 ff., 426 ff., 575 ff. Leber  43 Legitimität der Organtransplantation  208 f. Losverfahren  474 f. Lunge  48 Maastricht-Kateogrien  80 Manipulationsskandal  155 ff. MELD Score  450, 580 ff. Meldepflicht  105, 381, 544 ff. Menschenwürde  272 ff., 278 ff., 284 ff., 316 ff., 327, 339 f. Nicht transplantabel (NT)  383, 387 Niere  41 No Touch-Phase  73

Non-Heart-Beating-Donor  278 ff., 408 f., 488 ff. Non Resident  162 Notstandslösung  88 f. Ökonomisierung, siehe Kommerzialisierung Ordre public  408 ff. Organhandel  262 ff. Organnischen  68 f. Organprotektion, siehe Spenderkonditionierung Organspendeausweis  89 f., 174 Organspenderrate  153, 262 ff., 510 ff., 519 ff. Organspendeskandal, siehe Manipula­ tionsskandal Pankreas  49 f. Persönlichkeitsrecht  284 ff., 326 ff., 329 ff. Presidentʼs Council on Bioethics  215 f. Prüfungskommission  128 ff., 406 ff., 572 f. Quality Of Adjusted Life Years (QUALYs)  260 f. Rechtsgrundlagen  97 ff. Rechtspolitik  180 ff., 480 ff. Rechtsschutz  412 ff., 573 ff. Reformen  132 ff. Regelungsmodelle  82 ff., 325 ff., 498 Regulierte Selbstregulierung, siehe Selbstverwaltung Rescue allocation  125 Reziprozitätsmodelle, siehe Clubmodelle Richtlinien der BÄK  351 ff., 528 ff. Risiken der Transplantationsmedizin  53 f. Selbstverwaltung  350 f. Solidaritätspflicht  303 ff. Solidarmodelle, siehe Clubmodelle Sozialpflicht, siehe Solidaritätspflicht

Sachwortverzeichnis645 Spenderkonditionierung  246 ff., 282 ff., 491 ff. Spendermeldung  105 ff., 381 f., 544 ff. Stammzelltherapie  62 ff. Ständige Kommission Organtransplantation  352 f. Teilhaberecht  385, 403 ff., 424 f., 427, 433 ff. Teilhirntod  217 f. Totensorgerecht  83, 299 ff. Transplantationsbeaufragter  381, 549 ff. Transplantationskoordinatoren  115, 552 Transplantationsregister  160 f. Transplantationsskandal, siehe Manipulationsskandal Transplantationszentren  109 ff., 382 ff., 555 ff.

Überwachungskommission  119 ff., 394 ff., 568 ff. Vermittlung, siehe Allokation Vermittlungsstelle, siehe Eurotransplant International Foundation Vertrauensstelle Transplantationsmedizin  164 Wachkoma, siehe apallisches Syndrom Warteliste  446 ff., 584 f. Widerspruchslösung  85 ff., 338 ff., 514 ff. Xenotransplantation  58 ff. Zustimmungslösung  82, 326 ff.