Erzähltes Wohnen: Literarische Fortschreibungen eines Diskurskomplexes im bürgerlichen Zeitalter [1. Aufl.] 9783839418994

Wohnen wird ab dem 18. Jahrhundert zu einem zentralen Thema der Selbstvergewisserung der bürgerlichen Gesellschaft: Insb

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Erzähltes Wohnen: Literarische Fortschreibungen eines Diskurskomplexes im bürgerlichen Zeitalter [1. Aufl.]
 9783839418994

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
1. Wohnen erzählen
1.1 Texturen des (bürgerlichen) Wohnens
1.2 Wohnen als Diskurskomplex
1.3 Vorbemerkungen zum Wandel im erzählten Wohnen
2. Bürgerliches Wohnen: Eine Entdeckung für die Literatur
2.1 Das Sprechen über das Wohnen am Ende des 18. Jahrhunderts (Moden und Bauen: Christian Garve, Journale, Bauschriften)
2.2 Wohnen im Zeichen der Seelenkunde (Magazin zur Erfahrungsseelenkunde: Einsiedler, gewohnte Räume)
2.3 Unbehauste Psyche: Eine Wohngeschichte (Moritz: Anton Reiser)
2.4 Lehrjahre des Wohnens und der Weg zum Wohn-Glück (Goethe: Wilhelm Meisters Lehrjahre)
2.5 Romantische Wohnexperimente: Die Kraft der eigenen Vorstellung (Hoffmann: Der Sandmann, Das Fräulein von Scuderi, Arnim: Die Majorats-Herren, Tieck: Des Lebens Überfluß)
3. Verdichtetes Wohnen: Der eingerichtete Diskurskomplex
3.1 Eingerichtetes Wohnen im Biedermeier (Adel und Bürgertum, Wohnräume von Huber und Stifter)
3.2 Geordnete Wohnzeichen: Biedermeierzeit und (Früh-)Realismus (Gotthelf: Die schwarze Spinne, Riehl: Die Lehrjahre eines Humanisten, Der Hausbau, Grillparzer: Der arme Spielmann, Stifter: Turmalin)
3.3 Medien der Sprache des Wohnens (Gartenlaube, Wohnanleitungen: Jakob von Falke, Georg Hirth)
3.4 Wohndichte und Raumspiele im Spätrealismus (Fontane: Irrungen, Wirrungen, Frau Jenny Treibel, L’Adultera)
3.5 Realistische Erzählexperimente des Wohnens (Storm: Ein Doppelgänger, Der Schimmelreiter, Raabe: Stopfkuchen)
4. Fragiles Wohnen: Inszenierungen um 1900
4.1 Erzählpotentiale: Richtiges Wohnen in Jugendstil und früher Moderne (Hermann Bahr, Adolf Loos, Georg Simmel)
4.2 Die soziale Radikalität der Wohnoberfläche (Holz/Schlaf: Ein Tod, Papa Hamlet, Kretzer: Meister Timpe)
4.3 Ästhetisierung und Psychologisierung des Wohnens (Freud, Hofmannsthal: Märchen, Beer-Hofmann: Der Tod Georgs)
4.4 Wohnen im Zeichen von Isolation und Zerstörung (Mann: Buddenbrooks, Sternheim: Busekow, Ulitz: Die vergessene Wohnung, Keyserling: Abendliche Häuser, Kubin: Die andere Seite)
5. Die Sprache des Wohnens: Über das Erzählen vom Wohnen
6. Literaturverzeichnis

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Norbert Wichard Erzähltes Wohnen

Lettre

Norbert Wichard (Dr. phil.) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für deutsche Sprache und Literatur I der Universität zu Köln.

Norbert Wichard

Erzähltes Wohnen Literarische Fortschreibungen eines Diskurskomplexes im bürgerlichen Zeitalter

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 transcript Verlag, Bielefeld

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Inhalt

Vorwort | 7

1.

Wohnen erzählen | 9

1.1 Texturen des (bürgerlichen) Wohnens | 9 1.2 Wohnen als Diskurskomplex | 28 1.3 Vorbemerkungen zum Wandel im erzählten Wohnen | 35

2.

Bürgerliches Wohnen: Eine Entdeckung für die Literatur | 47

2.1 Das Sprechen über das Wohnen am Ende des 18. Jahrhunderts | 47 (Moden und Bauen: Christian Garve, Journale, Bauschriften) 2.2 Wohnen im Zeichen der Seelenkunde | 63 (Magazin zur Erfahrungsseelenkunde: Einsiedler, gewohnte Räume) 2.3 Unbehauste Psyche: Eine Wohngeschichte | 73 (Moritz: Anton Reiser) 2.4 Lehrjahre des Wohnens und der Weg zum Wohn-Glück | 93 (Goethe: Wilhelm Meisters Lehrjahre) 2.5 Romantische Wohnexperimente: Die Kraft der eigenen Vorstellung | 111 (Hoffmann: Der Sandmann, Das Fräulein von Scuderi, Arnim: Die Majorats-Herren, Tieck: Des Lebens Überfluß)

3.

Verdichtetes Wohnen: Der eingerichtete Diskurskomplex | 137

3.1 Eingerichtetes Wohnen im Biedermeier | 137 (Adel und Bürgertum, Wohnräume von Huber und Stifter) 3.2 Geordnete Wohnzeichen: Biedermeierzeit und (Früh-)Realismus | 144 (Gotthelf: Die schwarze Spinne, Riehl: Die Lehrjahre eines Humanisten, Der Hausbau, Grillparzer: Der arme Spielmann, Stifter: Turmalin) 3.3 Medien der Sprache des Wohnens | 167 (Gartenlaube, Wohnanleitungen: Jakob von Falke, Georg Hirth) 3.4 Wohndichte und Raumspiele im Spätrealismus | 177 (Fontane: Irrungen, Wirrungen, Frau Jenny Treibel, L’Adultera) 3.5 Realistische Erzählexperimente des Wohnens | 205 (Storm: Ein Doppelgänger, Der Schimmelreiter, Raabe: Stopfkuchen)

4.

Fragiles Wohnen: Inszenierungen um 1900 | 217

4.1 Erzählpotentiale: Richtiges Wohnen in Jugendstil und früher Moderne | 217 (Hermann Bahr, Adolf Loos, Georg Simmel) 4.2 Die soziale Radikalität der Wohnoberfläche | 227 (Holz/Schlaf: Ein Tod, Papa Hamlet, Kretzer: Meister Timpe) 4.3 Ästhetisierung und Psychologisierung des Wohnens | 246 (Freud, Hofmannsthal: Märchen, Beer-Hofmann: Der Tod Georgs) 4.4 Wohnen im Zeichen von Isolation und Zerstörung | 268 (Mann: Buddenbrooks, Sternheim: Busekow, Ulitz: Die vergessene Wohnung, Keyserling: Abendliche Häuser, Kubin: Die andere Seite)

5.

Die Sprache des Wohnens: Über das Erzählen vom Wohnen | 285

6.

Literaturverzeichnis | 293

Vorwort

Die vorliegende Studie wurde Ende 2010 als Dissertation an der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln angenommen; Forschung, die später erschienen ist, konnte nur noch punktuell berücksichtigt werden. Für die langjährige Unterstützung – persönlich wie wissenschaftlich – danke ich sehr herzlich meinem Doktorvater Prof. Dr. Dr. h.c. Walter Pape. Insbesondere ihm verdanke ich die Kenntnisse und Anregungen, die zu dieser Studie führten. Ebenso bin ich dem zweiten Referenten der Dissertation, Prof. Dr. Günter Blamberger, zu Dank verpflichtet. In vielen Gesprächen bei Fachkonferenzen und Workshops habe ich zahlreiche nützliche Hinweise erhalten; besonders herausheben möchte ich aber die Hilfe, nicht nur bei der Einrichtung der Druckfassung, durch meine Kölner Kolleginnen und Kollegen: Dr. Antje Arnold, Dr. Hartmut Kircher, Agnes Figura und Kathrin Schuchmann. Ohne die Förderung durch das Cusanuswerk während meiner Studien- und Promotionszeit wäre vieles nicht möglich gewesen; die Schulung einer interdisziplinären Perspektive war stets hilfreich. Dem Verlag danke ich schließlich für die angenehme Zusammenarbeit.

1.

Wohnen erzählen

1.1 T EXTUREN

DES ( BÜRGERLICHEN )

W OHNENS

In seiner Anthropologie in pragmatischer Hinsicht berichtet Kant von einem deutschen Fürsten, der sich in eine bürgerliche Frau verliebt hat und auf Reisen geht, um diese nicht standesgemäße Liebe hinter sich zu lassen – aber ohne Erfolg: „der erste Anblick aber ihrer Wohnung bei seiner Wiederkehr erweckte weit stärker, als es ein anhaltender Umgang gethan hätte, die Einbildungskraft, so daß er der Entschließung ohne weitere Zögerung nachgab, die glücklicher 1 Weise auch der Erwartung entsprach.“ Kant möchte mittels dieses Beispiels die Funktionsweise der Einbildungskraft aufzeigen.2 Diese sei demnach besonders wirkungsmächtig, wenn der durch „Leidenschaft“ evozierte Gegenstand (wie die Geliebte) nicht in den Sinnen, also abwesend ist, und „etwas geschieht, was dessen Vorstellung, die eine Zeit lang durch Zerstreuungen getilgt zu sein schien, wiederum ins Gemüth zurückruft“.3 Interessant ist dabei Kants Wahl des Beispiels: Der Wohnraum wird als Raum der Imagination und Erinnerung verstanden, der auf seine Bewohnerin verweist und zugleich so viel Spielraum der Einbildungskraft belässt, dass sich diese voll entfalten kann. Die Veranschaulichung der Wirkung der Einbildungskraft durch das gewählte Beispiel verdeutlicht, inwieweit die Vorstellung von einer ‚Psychologie‘ des Wohnens Ende des 18. Jahrhunderts präsent ist. Auf welche Weise Wohnraum und Möbel Rückschlüsse auf das ‚Gemüth‘ des Bewohners zulassen, betont aber zu Beginn des 18. Jahrhunderts bereits Julius Bernhard von Rohr:

1

Vgl. Kant: Akademie-Ausgabe, Bd. 7, S. 180.

2

Ebenda.

3

Ebenda.

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„Ein jeder schaffet und kauffet sich die M e u b l e n in seiner Stube, und in seinem Hause nach seiner Neigung, und ordnet dieselben nach seinem Gefallen; Also kan, der hierauf genaue Acht hat, eines und das andere, so zu Erforschung des Gemüths des andern dienlich ist, daraus abnehmen.“4

Noch deutlicher als später Kant postuliert von Rohr eine reale psychologische Beziehung zwischen der Ausgestaltung des Wohnraumes und dessen Bewohnern, die durch eine entsprechende Aufmerksamkeit lesbar wird. Die Äußerungen Kants und von Rohrs implizieren damit auch die Erfahrung, dass der Wohnraum im Allgemeinen, aber auch bis in die Details des Interieurs hinein ‚Zeuge‘ des Lebens der Bewohner eines Raumes ist. Als bewusste und unbewusste Bezugspunkte der Bewohner nehmen sie jedoch ebenso eine entscheidende aktive Funktion ein. Damit sind zwei Perspektiven auf die zahlreichen Funktionen des Wohnraumes benannt, die ihn zu einem im eigentlichen Sinne ‚verdichteten Erzählraum‘ werden lassen: Dessen Potential entfaltet sich häufig – wenn auch in unterschiedlicher Form und unterschiedlichem Ausmaße – in der Literatur. Bevor sich diese Arbeit den Detailanalysen literarischer Werke und deren verschiedenen ästhetischen Funktionalisierungen des verdichteten Wohnraums und allgemein des Wohnens widmet, ist jedoch ein Blick auf das, was unter ‚Wohnen‘ verstanden wird, zu werfen und auf theoretischer Ebene ein systematischer Zusammenhang mit der Literatur herzustellen. In einem umfassenden, existentiellen Sinn beantwortet Martin Heidegger die Frage „Was ist das Wohnen?“5 in seinem Vortrag Bauen Wohnen Denken (1951). Wohnen sei nicht eine Tätigkeit unter vielen, sondern: „Das Wohnen ist die Weise, wie die Sterblichen auf der Erde sind.“6 Gemäß einer etymologischen Herleitung, die für Heidegger jedoch als ein Weg zum „Hören“ des entscheidenden ‚Zuspruchs‘ der Sprache weit mehr ist als eine sprachgeschichtliche Analyse, bedeute Wohnen ursprünglich „Schonen“;7 die Menschen wohnen bzw. sind

4

Rohr: Unterricht von der Kunst, S. 182.

5

Heidegger: Gesamtausgabe, Abt. I, Bd. 7, S. 147. Vgl. insgesamt und zu Heidegger Axel Beelmann: Art. Wohnen. – In: Wörterbuch der philosophischen Metaphern, S. 545–557. Zu Heidegger vgl. auch: Harries: Das Ding, bes. S. 296–299. Heideggers Verständnis vom Wohnen wird inzwischen sehr breit rezipiert, in der Philosophie (vgl. z.B. Barbaza: Heidegger), aber auch in der Architekturtheorie und in der Literatur- bzw. Kulturwissenschaft (vgl. z.B. Miller: Topographies, bes. S. 218–225).

6

Heidegger: Gesamtausgabe, Abt. I, Bd. 7, S. 150. Zu Heidgger vgl. auch Hasse: Un-

7

Heidegger: Gesamtausgabe, Abt. I, Bd. 7, S. 150f.

bedachtes Wohnen, S. 24f. und S. 36–40.

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als Sterbliche im „Geviert“: „Im Retten der Erde, im Empfangen des Himmels, im Erwarten der Göttlichen, im Geleiten der Sterblichen ereignet sich das Wohnen als das vierfältige Schonen des Gevierts. Schonen heißt: das Geviert in sei8 nem Wesen hüten.“ Die Existenzweise des Menschen im „Geviert“ als Wohnender, also als Schonender in der Konstellation von Erde, Himmel, der Erwartung auf das Göttliche und des eigenen ‚Todesvermögens‘, vollzieht sich jedoch nicht ohne die „Dinge“.9 Der Mensch muss die Dinge der Natur „hegen und pflegen“, und das, was nicht wächst, „errichten“, und ihr Wesen zulassen.10 Am Beispiel des Schwarzwaldhofes verdeutlicht Heidegger, dass das Vermögen zu wohnen Voraussetzung für das Bauen ist. Die Konstruktion des Hofes ist an die natürliche Umgebung angepasst: Er ist an der „windgeschützte[n] Berglehne“ gelegen, das „weit ausladende Schindeldach“ schützt vor den „Schneelasten“.11 Aber nicht nur die Forderung, Erde und Himmel in die ‚Dinge‘ und damit auch in den Schwarzwaldhof „einzulassen“, ist erfüllt; der „Herrgottswinkel“ und ein „Totenbaum“ gehören ebenso zu dem Haus wie die zwei anderen Dimensionen des Gevierts.12 Auch wenn die praktischen Hinweise für die Architekten, an die der Vortrag Heideggers adressiert ist, nicht so konkret sind, bleibt doch Heideggers nachdrückliche Vorgabe bestehen, dass vor dem Bauen eine denkende Annäherung an das eigentliche Wesen des Wohnens nötig ist. Für den hier verfolgten Zusammenhang verdeutlicht Bauen Wohnen Denken, dass das ursprüngliche Wohnen weit mehr die Seinsweise des Menschen bestimmen kann, als das Alltagsverständnis vermuten lässt.13

8

Ebenda, S. 153.

9

Vgl. ebenda, S. 152f.

10 Ebenda, S. 153. 11 Ebenda, S. 162. 12 Ebenda, S. 162. Zum Herrgottswinkel vgl. auch Meier-Oberist: Kulturgeschichte des Wohnens, S. 200. 13 Bekanntlich ist die Sprache als ‚Haus des Seins‘ bei Heidegger der Platz, an dem sich das Sein ‚entbirgt‘. Mit der (altgriechischen) Sprache ist nach Heidegger zudem das Wohnen verbunden. „In der deutschen Sprache, besonders aber in der Dichtung Hölderlins sei dieses Grundverhältnis von Wohnen, Existieren und Sprache wiedergeboren“, stellt Stephan Günzel zu Heidegger fest (Günzel: Einleitung, S. 119f., Zitat: S. 120). Da im Folgenden dieser Arbeit jedoch stärker auf einen ‚wirklichen‘ WohnRaum Bezug genommen wird, ist diese spezifische Verknüpfung von Sprache und ‚Wohnen‘ nicht Gegenstand der Untersuchung.

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In der Tradition phänomenologischen Philosophierens nach Husserl spielt nicht nur bei Heidegger Raum als „Erlebensraum“14 eine wichtige Rolle. Merleau-Ponty etwa spricht vom ‚Einwohnen‘ des Leibes in den Raum: Der Leib „wohnt Raum und Zeit ein“.15 Mit dem Begriff des ‚Wohnens‘ stellt sich Merleau-Ponty einer zergliedernden Raumerfahrung entgegen. Um den Körper im Raum lokalisieren zu können, muss man nicht die Einzelbewegungen addieren und das Ergebnis errechnen; der Leib bildet schließlich mit dem Raum eine Erfahrungseinheit. Vergleichbar sei dies mit einem Blindenstock, den sein Träger auch nicht mehr als „Gegenstand“ wahrnimmt, sondern „sein Ende ist zu einer Sinneszone geworden“.16 Gaston Bachelard spricht wiederum davon, dass das prägende „Elternhaus“ mittels der Erinnerungen „physisch in uns eingezeichnet“ ist: „Das Gefühl der kleinsten Klinke ist noch in unserer Hand.“17 Bachelard bestimmt so das Haus der Eltern als einen frühen Wahrnehmungsort, der die Träume und die Einbildungskraft des Einzelnen anstößt und steuert: „Das Haus, das Zimmer, der Speicher, wo man allein gewesen ist, geben den Rahmen ab für eine unbeendbare Träumerei, eine Träumerei, die allein die Dichtkunst in einem Werk beenden, vollenden könnte.“18 Wenngleich Bachelards psychologischer Zugang zur Literaturproduktion hier nicht weiter verfolgt werden soll, so deutet sich doch an, dass dem außerliterarischen Wohnen ein Potential des fortsetzenden Erzählens eigentümlich ist. Die phänomenologischen Perspektiven auf das Wohnen sollen nun durch die informationstheoretische Sichtweise Vilém Flussers ergänzt werden, die er in der Abgrenzung von Heimat, die für ihn als Migrant von großer Bedeutung ist, entwickelt: „Wohnen ist die Weise, in der ich mich überhaupt erst in der Welt befinde; es ist das Primäre.“19 Die Wohnung bzw. der Vorgang des Wohnens ist für Flusser das Beständige, nicht das, was man ‚Heimat‘ nennt. In der Wohnung sei

14 Günzel: Einleitung, S. 105. 15 Merleau-Ponty: Phänomenologie der Wahrnehmung, S. 169. 16 Ebenda, S. 173. Vgl. außerdem Waldenfels: Leibliches Wohnen im Raum. 17 Bachelard: Poetik des Raumes, S. 47. Es sei hier ergänzend auch auf die aktuelle kulturwissenschaftliche Forschung zum Gedächtnis verwiesen, grundlegend Assmann: Erinnerungsräume; das Lexikon von Pethes/Ruchatz: Gedächtnis und Erinnerung; sowie Erll: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Als Beispiel für eine jüngere Arbeit zum Verhältnis von erzähltem Dachboden und Erinnerung vgl. Griese: Inszenierte Privatheit, S. 231–241. 18 Bachelard: Poetik des Raumes, S. 48. Eine Verbindung von Bachelard mit der jüngsten Emotionsforschung stellt Lehnert her, vgl. Lehnert: Raum und Gefühl, S. 12. 19 Flusser: Bodenlos, S. 261.

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man von den Dingen umgeben, an die man gewöhnt ist. Je weiter man sich von dem eigenen Haus entfernt, umso ‚ungewöhnlicher‘ wird alles, was wahrgenommen wird. Der Medien- und Informationstheoretiker Flusser identifiziert eine spezifische Wahrnehmungsweise in der eigenen Wohnung: „Ich bin in Redundanz gebettet, um Geräusche als Informationen empfangen und um Informationen herstellen zu können.“20 Fehlt die eigene Wohnung, ist demnach die bewusste Aufnahme von neuen Eindrücken und Informationen nicht möglich, und in diesem Sinn ist der Mensch an das Wohnen untrennbar gebunden: „Ohne Wohnung wäre ich unbewußt, und das heißt, daß ich ohne Wohnung nicht eigentlich wäre.“21 Man sei an die in der Wohnung eingebundenen Dinge „gewöhnt“ und empfinde sie daher zudem als „hübsch“; durch eine „Verwechslung“ der Wohnung mit der Heimat empfinde man ebenso die Heimat als „hübsch“, was einerseits zu „Patriotismus“, andererseits aber auch zu einer Blindheit den eigenen gewohnten Missständen gegenüber führen kann.22 Die Sinne des Migranten bleiben jedoch für die Welt geschärft, gerade weil er heimatlos ist.23 An die Heimat ist der Mensch nicht existenziell gebunden, „aber man muß immer, gleichgültig wo, wohnen“.24 Heideggers und Flussers Bestimmungen des Wohnens seien hier als wichtige Beispiele genannt, die sich zwar in ihren Voraussetzungen unterscheiden, aber bei beiden manifestiert sich, dass sich das menschliche Leben dem Wohnen nicht entziehen kann. Wohnen ist damit als abwesend-anwesender Grundzug des Menschen und damit auch seiner Kultur zu verstehen. Es fällt daher leicht zu postulieren, dass Wohnen auch in der Kunst und damit ebenso in der Literatur eine zentrale, wenn auch nicht immer augenscheinliche Rolle einnimmt. Auf welche Weise Wohnen in ästhetischen Texten narrativ zur Entfaltung kommen kann, soll ein Beispiel von Peter Sloterdijk veranschaulichen. Sloterdijk greift zunächst Flussers Gedanken zur Wohnung ausdrücklich auf, indem er sie als „Redundanzgenerator“25 bezeichnet: Wohnen sei „gewöhnlich dethematisiert“.26 Die Wohnungen bilden demnach mit dem Bewohner eine „unbewußte Einheit“ und werden auf diese Weise zu „Abstumpfungsanlagen“,

20 Ebenda. 21 Ebenda. 22 Ebenda, S. 262. 23 Vgl. ebenda, S. 262f. 24 Ebenda, S. 260. 25 Sloterdijk: Sphären III, S. 520. 26 Ebenda, S. 527.

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die die Wahrnehmung für Unbekanntes öffnen.27 Sloterdijk stellt diese Funktion der Wohnung in den Kontext eines eigenen Aufrisses der Geschichte des Wohnens als einer zunehmenden „Explikation des menschlichen Aufenthalts“.28 Ursprünglich entspreche Wohnen dem bäuerlichen Warten auf die Ernte. In der Moderne werden die Wohnungen wartende „Empfänger“ auf neue, symbolische Zeichen, sie werden zu „Empfangsstationen für Botschaften aus dem Außergewöhnlichen“29 und Wohnende seien schließlich in ihre Gewöhnungen „eingebettet“.30 Sloterdijk stellt heraus, dass diese Einbettung durch die Funktionsweisen der Installationskunst bewusst werden kann,31 denn in der Kunst können das Wohnen bzw. die Gewohnheiten zum Gegenstand der Analyse und damit des Bewusstseins werden: Wenn der Wohnraum in einem Museum als Kunst – also z.B. im Rahmen einer Wohnrauminstallation – markiert ist und begehbar wird, wird das Eingebettete hervorgehoben und dem Besucher vor Augen geführt. In Sloterdijks Terminologie heißt das: „Die Emergenz der gewöhnlichen Wohnung im Museum hebt die Immersion des Besuchers in ihr ins Thema. Man müsste nur die Bewohner mit ausstellen, um die totale Ausstellung zu verwirklichen.“32 Sloterdijk stellt bei der Rekonstruktion seiner Wohngeschichte schließlich im 20. Jahrhundert eine Ausweitung der „Immersionsgestaltung – alias Innenarchitektur –“ fest.33

27 Ebenda, S. 521; vgl. auch Wichard: Wohnen und Identität, S. 67. Es sei hier außerdem auf Otto Friedrich Bollnow verwiesen, auf den sich auch Sloterdijk kurz bezieht (vgl. Sloterdijk: Sphären III, S. 516): Bollnow vermisst das Wohnen aus einer phänomenologischen Perspektive. Er untersucht dabei auch Kategorien wie ‚Wohnlichkeit‘ oder ‚Gemütlichkeit‘. Er betont, wie die Wohnung zur Einheit mit ihrem Bewohner bzw. „ein Raum gewordenes Stück dieses Menschen selbst“ wird (Bollnow: Mensch und Raum, S. 152). Bollnow stellt aber heraus, dass das „wahre“ Wohnen nicht in einer Einkapslung nach innen verharren darf. Der Mensch müsse sich als Wohnender auch dem „größeren Raum“ außerhalb des Hauses öffnen (ebenda, S. 310). Zur Thematik der Gemütlichkeit vgl. auch Schmidt-Lauber: Gemütlichkeit. 28 Sloterdijk: Sphären III, S. 503. 29 Ebenda, S. 516. 30 Ebenda, S. 523. 31 Sloterdijk nennt z.B. die Installation Die Toilette von Ilya Kabakov, vgl. ebenda, S. 523–529. Zu Kabakov und Wohnen nimmt auch eine aktuelle Studie mehrfach Bezug, vgl. Evans: Sowjetisch wohnen. 32 Sloterdijk: Sphären III, S. 527 (Sloterdijk mit Bezug auf Flusser). 33 Ebenda, S. 532.

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Für den hier verfolgten literarischen Kontext sei festgehalten, dass die Kunst das mit dem Menschen immer verbundene Wohnen zum Thema machen kann; der Mensch bleibt immer Teil einer Textur des Wohnens: Sich dem Wohnen zu entziehen, dessen fester Bestandteil man ist, ist anscheinend ausgeschlossen. Ein „[N]icht-wohnen“ ist nach Gert Selle nicht möglich: Wohnen gehört zu den unumgänglichen anthropologischen Grundkonstanten.34 Der Übergang von Gewöhnung zur Verwunderung als einer Form der Entwöhnung kann auch anhand eines literarischen Textes in einem narratologischen Kontext beschrieben werden, wenn man darunter das Überschreiten einer Erfahrungsgrenze versteht. Gerade die strukturalistische Narratologie stellt seit langem hierfür ein differenziertes Beschreibungsinventar bereit. Als eine prominente Position ist die von Jurij M. Lotman zu nennen, für den die Grenze das entscheidende Kennzeichen eines Raumes ist. Die Grenze bestimmt somit einerseits die Handlungsebene, wenn etwa zwei Helden verschiedenen ‚GesellschaftsRäumen‘ entstammen oder der Unterschied von städtischem und ländlichem Raum das erzählte Geschehen mitbestimmt.35 Narratologisch von besonderem Interesse ist jedoch das Ereignis „als Einheit des Sujetaufbaus“: „Ein Ereignis im Text ist die Versetzung einer Figur über die Grenze eines semantischen Feldes.“36 Diese Grenzüberschreitung stellt für Lotman das wichtige ‚Ereignis‘ als eigentliches narratives Charakteristikum eines Textes dar.37 Wird sich also eine literarische Figur der eigenen Wohnsituation bewusst, überschreitet sie eine Wahrnehmungsgrenze, wodurch der Text ein narratives Element, das dem Wohnen inhärent ist, ausspielt. Als kurzes Beispiel sei eine Episode aus Paul Zechs fast vergessenem Roman Die Geschichte einer armen Johanna (1925) ange-

34 Selle: Innen und außen, S. 223. Vgl. ergänzend zur Bedeutung von ‚housing‘ als Hintergrund für das Leben die Ausführungen bei King: The Common Place, bes. S. 64–69. 35 Vgl. Lotman: Struktur literarischer Texte, S. 337. Es sei hier nur angemerkt, dass auch psychologische Zugänge Polaritäten (und damit ähnliche Beschreibungsstrukturen) für das Verständnis von Wohnen annehmen, nämlich zum Beispiel „anregend – langweilig“ oder „vertraut – fremd“: Flade: Wohnen psychologisch, S. 17. 36 Lotman: Struktur literarischer Texte, S. 332. 37 Allerdings kann auch lediglich der Versuch eines Grenzüberschritts in einem ähnlichen Sinn verstanden werden. Vgl. Martinez/Scheffel: Erzähltheorie, S. 142. Vgl. zu Lotman jüngst auch Frank: Literaturwissenschaften und der spatial turn.

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führt.38 Die arme Näherin Johanna wohnt und arbeitet in einer kleinen Dachgeschosskammer, bis sie an einem Sonntag das Leben und die Sinnlichkeit für sich entdeckt und einige Liebschaften beginnt und der Enge ihrer Wohnung zeitweise entflieht. Der Erzähler schildert die veränderte Wahrnehmungsweise ihrer Wohnung: „Im ersten Augenblick warst Du ganz seltsam betroffen. Schienst Dich irgendwie hier in diesem Zimmer, das mit einem Male gotterbärmlich arm aussah, verlaufen zu haben. […] Du sahst Dich in Deiner kleinen Stube um, als wenn Du sie jahrelang nicht gesehen hättest, und die Tränen der kleinen Näherin stiegen Dir simpel in die Augen […].“39

Auf figuraler Ebene manifestiert sich das erzählerische Ereignis, welches an die Erfahrung gebunden ist, dass das Wohnen im Sinne Sloterdijks wieder zum ‚Thema‘ geworden ist. Für eine Thematisierung des Wohnens sind auch Wohnzonen besonders attraktiv, die einen besonderen Status in einem Haus haben können, dazu zählt zum Beispiel die Veranda, da sie zum Haus gehört, aber doch offener strukturiert ist und damit erweiterte Schnittstellen mit dem Außen hat. Die Veranda kann man daher auch als Übergangszone bezeichnen bzw. als Heterotopie – in Anlehnung an Foucault: „Heterotopien“ sind für diesen „Orte, die außerhalb aller Orte liegen, obwohl sie sich durchaus lokalisieren lassen“.40 Im Folgenden werden gerade solche Orte in der literarischen Inszenierung vor dem Hintergrund des Wohnens als besonders produktiv verstanden.41

38 Neuerdings stößt jedoch der „Ich-Du-Erzähler“ in Zechs Roman auf Interesse. Fludernik: Erzähltheorie, S. 113. Auch Petersen führt den Text als Beispiel für die Du-Form an; Petersen: Erzählformen, S. 97–99. 39 Zech: Geschichte einer armen Johanna, S. 74f. 40 Foucault: Schriften, Bd. 4, S. 931–942 (Von anderen Räumen), hier S. 935. Vgl. zur Funktion der Veranda auch die (Literatur-)Hinweise bei Fontane und Keyserling innerhalb dieser Arbeit, vgl. S. 182 und S. 275. 41 Jüngst hat Rainer Warning in einer umfassenden Studie Foucaults Heterotopie-Begriff für die Literatur fruchtbar gemacht und er stellt insbesondere Foucaults Funktionsbestimmung des Spiegels als Heterotopie heraus: „In der inversen Perspektive konstituiere ich mich als Spiegelbild, das heißt als Fiktion, und dies an dem realen Ort, von dem aus ich in den Spiegel blicke.“ (Warning: Heterotopien, S. 10–14, Zitat: S. 14). Es geht also um die „Gestaltwerdung des Imaginären“ (ebenda) und um die Heterotopien in der Literatur als „Räume einer ästhetischen Erfahrung, die sich gelöst hat von mimetischer Repräsentation“ (ebenda, S. 21); die Heterotopien erlangen in der

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Bei der Beschreibung von Räumen und eben auch von Wohnräumen ist offenbar ein entscheidendes Moment die Bewegung im Raum.42 Bei Lotman gilt dies insbesondere für die Überschreitung einer Grenze, bei Michel de Certeau wird die Bewegung bzw. die Aktivität zum Unterscheidungskriterium von Ort und Raum. Zeichnet sich der „Ort“ als „eine momentane Konstellation von festen Punkten“ aus, ist der „Raum ein Geflecht von beweglichen Elementen“: „Insgesamt ist der Raum ein Ort, mit dem man etwas macht.“43 Bemerkenswert ist nun die Verbindung dieses Entwurfs mit Alltags-Erzählungen. Im Rückgriff auf linguistische Untersuchungen unterscheidet de Certeau Beschreibungen von New Yorker Appartements in zwei Typen: Beim Typ „Karte“ werden die Räumlichkeiten relational zueinander beschrieben: ‚Raum x ist neben Raum y‘. Im Typ „Weg“ steht eine handlungsbestimmende Beschreibung im Vordergrund: ‚Wenn du an Raum x vorbeikommst, ist links Raum y‘.44 Der zweite Erzähltyp sei häufiger anzutreffen, wenngleich ersterer den zweiten bisweilen unterbricht, so dass es in der Terminologie de Certeaus zu einem produktiven Wechselspiel von Orten und Räumen kommt: „Das narrative Gewebe, in dem die Beschreiber von Routen überwiegen, wird also von Beschreibern vom Typus Karte punktiert unterbrochen, deren Aufgabe es ist, entweder auf eine Wirkung hinzuweisen, die durch die Wegstrecken erreicht wird (‚du siehst‘), oder auf eine Gegebenheit, die als Grenze (‚dort ist eine Mauer‘), beziehungsweise als Möglichkeit postuliert wird (‚dort ist eine Tür‘), oder auf eine Verpflichtung (‚das ist eine Einbahnstraße‘), etc.“45

Zwar stehen die Schlussfolgerungen aus der Analyse von Alltagserzählungen nicht zwingend in einem Zusammenhang mit einem literarisch inszenierten Erzählen, so sind doch Parallelen (oder bewusste Brüche) anzunehmen. Doch

ästhetischen Erfahrung einen eigenen Status, der nicht aus einer kulturellen Abbildung erwächst; diese Ebene untersucht Warning in seinen Literaturanalysen. 42 Vgl. auch den Sammelband Hallet/Neumann: Raum und Bewegung in der Literatur. 43 Certeau: Kunst des Handelns, S. 218. Zu de Certeau bezogen auf ‚Raum‘ vgl. auch Sasse: Literaturwissenschaft, S. 234f.; sowie Dünne: Einleitung, S. 300f. Vgl. zur Unterscheidung von Ort und Raum auch Scherpe: Ort oder Raum?, S. 163f. Vgl. auch die informative wie pragmatische Begriffsunterscheidung von Fulda: Himmel und Halle, S. 121–123. 44 Certeau: Die Kunst des Handelns, S. 220f. Gemeint sind linguistische Untersuchungen von Charlotte Linde und William Labov; vgl. ebenda, S. 376. 45 Ebenda, S. 222.

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eines mag sich bereits gezeigt haben, Wohnen ist nicht nur ein basaler, mit dem Menschen notwendig verbundener Prozess, es ‚sucht‘ seine sprachliche Repräsentation, also auch in der Literatur. Die folgenden Detailanalysen können – basierend auf der Systematisierung der verschiedenen Richtungen innerhalb der Erzählforschung durch Ansgar und Vera Nünning – zu der Reihe der ‚postklassischen‘ Ansätze gezählt werden.46 Der Einfluss des Wohnens – als wesentlicher Bestandteil jeder Kulturgeschichte – auf das Erzählen soll einbezogen werden. Eine damit verbundene Erzählanalyse darf folglich nicht nur nach der internen Textstruktur fragen, die im besonderen Fokus der klassischen strukturalistischen Positionen steht. Wenngleich natürlich auch Lotman von der Semantisierung literarischer Strukturen spricht, bleibt dessen Blick auf die inneren Funktionsweisen des Textes gerichtet und weniger auf außerliterarische Bedingungen; die Geschichte des Wohnens muss jedoch im Folgenden integriert werden. Die Einbindung kulturgeschichtlicher Positionen in die Erzähltextanalyse, die damit historische Dimensionen integriert, erscheint auch aus einer soziologischen Sichtweise sinnvoll: „Bei der Analyse des Wohnens von ahistorischen Befindlichkeiten auszugehen (‚wie wohnt der Mensch?‘), erweist sich als Unsinn. Abstrahiert man von den epochen-, kulturund schichtspezifischen Ausformungen des Wohnens, so bleibt als einzige Gemeinsamkeit nur die physische Schutzfunktion der Wohnung. Die aber unterscheidet menschliche Behausungen gerade nicht vom Fuchsbau oder der Bienenwabe. […] Soziologischer Gegenstand ist, was an den verschiedenen Ausformungen des Wohnens jeweils gesellschaftlich verursacht ist und was sich mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Formationen verändert, was also historisch wandelbar ist.“47

Auch wenn die Hinterfragung der wesenhaften Beziehungen zwischen dem Menschen und dem Wohnen bzw. seiner Wohnung zumindest außerhalb der Soziologie sehr wohl sinnvoll sein kann (man denke wiederum an Heidegger, dessen Perspektive als seins-geschichtlich, aber damit gerade nur in einem übergeordneten Sinn als historisch zu bezeichnen ist), ist der systematische Zugang auf die veränderlichen, historischen „Ausformungen des Wohnens“ für eine

46 Vgl. Nünning/Nünning: Narratologie, bes. S. 10, S. 22, S. 24. Vgl. auch jüngst Ansgar Nünning: Kulturen als Erinnerungs- und Erzählgemeinschaften. 47 Häußermann/Siebel: Soziologie des Wohnens, S. 12f. Vgl. auch die ältere soziologische Studie von Silbermann: Vom Wohnen der Deutschen. Zum Problem des Raums in der Soziologie vgl. grundlegend Löw: Raumsoziologie; sowie Schroer: Räume, Orte, Grenzen.

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‚kulturgeschichtliche Narratologie‘ von großer Bedeutung. Nur so kann die narratologische Untersuchung der Form von der Perspektive auf den Inhalt ergänzt werden.48 Es müssen daher zunächst einige Schlaglichter auf die deutsche bzw. westeuropäische Geschichte des Wohnens geworfen werden, damit der Beginn der spezifisch bürgerlichen Wohnkultur im 18. Jahrhundert deutlich werden kann. Die Geschichte des Wohnens und die mit ihr verbundene Kultur kann einer ‚Anonymen Geschichte‘ des Alltags zugerechnet werden, deren Ausprägungen kaum bewusst werden; dennoch ist der Einzelne von ihr gezeichnet.49 Die Wohngeschichte beeinflusst damit entscheidend die gesellschaftlichen Umwälzungen, die augenscheinlich werden. Gleichwohl treten Phasen aus dem historischen Verlauf hervor, in denen das Wohnen eine besondere Präsenz gewinnt. Dies ist dann der Fall, wenn die Funktionen des Wohnens weit über Behausung oder Schlafstelle usw. hinausgehen und zum Selbstvergewisserungs- und Abgrenzungsmechanismus mit einer breiten gesellschaftlichen Basis werden. Das Wohnen erfährt gerade in der bürgerlichen Kultur gegen Ende des 18. Jahrhunderts einen solchen einschneidenden Bedeutungswandel – zeitgleich zu der Phase, die auch von ästhetischen (und literaturgeschichtlichen) Umbrüchen stark geprägt ist; das Wohnen manifestiert sich insbesondere zu dieser Zeit als virulente ‚kulturelle Metapher‘.50 Es handelt sich um eine Entwicklung, die nach Walter Benjamin im „wohnsüchtig[en]“ 19. Jahrhundert51 kulminiert, deren Auswirkungen aber bis heute nachzuvollziehen sind (etwa anhand der räumlich markierten Schamgrenzen, die ein Schlafzimmer noch immer umgeben52). Im 19. Jahrhundert wird also gerade das bürgerliche Wohnen „normsetzend“53 über die bürgerliche Gesellschaft hinaus.

48 Vgl. zu dieser Unterscheidung Nünning/Nünning: Narratologie, S. 22. 49 Vgl. zur ‚Anonymen Geschichte‘ Giedion: Die Herrschaft der Mechanisierung, hier S. 19–21. 50 Vgl. zu diesem Begriff Selle: Die eigenen vier Wände, S. 9–29. Zur Metaphorik in der Philosophie vgl. auch Axel Beelmann: Art. Wohnen. – In: Wörterbuch der philosophischen Metaphern, S. 545–557. 51 Benjamin: Gesammelte Schriften, Bd. V.1, S. 292. Zum Wohnen im 19. Jahrhundert vgl. auch Selle: Die eigenen vier Wände, S. 73–77. 52 Vgl. Zinn: Wohngewohnheiten und Wohnstrukturen, S. 20f. 53 Nipperdey: Deutsche Geschichte, S. 137. Vgl. zur Geschichte des Wohnens zudem Saldern: Im Hause, zu Hause; Fuhrmann et al: Geschichte des Wohnens; Becher: Geschichte des modernen Lebensstils, S. 108–153; Petsch: Eigenheim und gute Stube; Gay: Zeitalter des Doktor Arthur Schnitzler, S. 299–328; Siebel: Der großbürgerliche

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Möchte man die Veränderungen in der Geschichte des Wohnens präziser systematisieren, kann die Herausstellung von vier Perspektiven nach Häußermann und Siebel hilfreich sein: „Diese Grundlinien sind einmal die Trennung von Wohnen und Arbeiten, zum zweiten die Ausgrenzung von Personen, zum dritten die Polarisierung von Öffentlichkeit und Privatheit und schließlich viertens die Entstehung des Wohnungsmarkts.“54 Insbesondere die ersten drei Betrachtungsweisen auf die Geschichte des Wohnens werden für die Literaturanalyse im Folgenden an Bedeutung gewinnen. Mit der Ausbreitung frühkapitalistischer Wirtschaftsformen (z.B. des Manufakturwesens) löst sich die bisweilen idealisierte Einheit vom ‚ganzen Haus‘55 auf. Das auch räumlich auf das engste verbundene Zusammenleben in einer großen Hausgemeinschaft mit Herrschaftsfamilie, weiteren Verwandten und dem Gesinde zerfällt, als die bürgerlichen Wirtschaftsformen die Trennung von Wohn- und Arbeitsort verlangten.56 Eine Haushaltsautonomie im Großbürgertum des 18. Jahrhunderts erhält sich aber partiell, wie zum Beispiel an der Vorratswirtschaft abzulesen ist: Die eingelagerten Waren entstammen zwar nicht mehr der eigenen Produktion, deren Verfügbarkeit über die Marktlage hinaus jedoch noch der Organisation des Haushaltes obliegt.57 Die Trennung von Arbeiten und Wohnen realisiert sich besonders offenkundig im 18. Jahrhundert in der Entstehung von bürgerlichen Landhäusern außerhalb der Stadt. Die Verbindung von Natur und Familie zeigt ein neues bürgerliches Lebensgefühl, das sich gegen die Erfahrung städtischer Entfremdung richtete.58 Die zweite Perspektive auf die Entstehung der bürgerlichen Wohnkultur, die Ausformung der Kleinfamilie, folgt aus der Neubestimmung der eigenen Wohnung, nachdem sie als Arbeitsort immer mehr tabuisiert wird. Bis ins 18. Jahrhundert hinein umfassten die Haushalte weit mehr Personen als die der eigentlichen Kleinfamilie; Verwandte weiteren Grades und auch die Dienerschaft zählten ebenso hinzu.59 Durch den ideologischen Wandel der Ständegesellschaft,

Salon; North: Genuß und Glück (bes. Kapitel IV); sowie die ältere Darstellung von Meier-Oberist: Kulturgeschichte des Wohnens; sowie Weber: Immer auf dem Sofa. 54 Häußermann/Siebel: Soziologie des Wohnens, S. 24. 55 Vgl. kritisch zum ‚ganzen Haus‘ Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1, S. 81–83. Siehe ebenso die kritische Auseinandersetzung mit Otto Brunner bei Groebner: Außer Haus. 56 Vgl. Petsch: Eigenheim und gute Stube, S. 26f. 57 Vgl. Häußermann/Siebel: Soziologie des Wohnens, S. 25–27, hier bes. S. 25. 58 Vgl. Petsch: Eigenheim und gute Stube, S. 14f. 59 Vgl. Häußermann/Siebel: Soziologie des Wohnens, S. 29–32.

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dass nämlich etwa Leistungsfähigkeit mehr als Geburt zu zählen beginnt – eine Entwicklung, der gerade bürgerliches Denken zu Grunde liegt –, war die soziale Trennung zum Personal nicht mehr gesichert. Als kompensatorische Strategien können räumliche Markierungen verstanden werden, die noch im Bürgertum des Deutschen Kaiserreichs sehr präsent sind: „Als Symbol dafür entstand die Klingelschnur im Wohnzimmer, mit der die Herrschaft ihre Bediensteten herbeirufen konnte.“60 Für das Dienstpersonal ergibt sich nun auch die Möglichkeit, seinerseits eigene Familien zu gründen, was allerdings durch rechtliche Bestimmungen (z.B. Ehefähigkeit) in der Praxis sehr eingeschränkt war.61 Die neue Intimität der bürgerlichen Familie ist schließlich drittens im Kontext des Verhältnisses von Privatheit und Öffentlichkeit zu bestimmen. Durch die neu gewonnene Privatheit des Wohnens, nachdem die Arbeit ‚ausgezogen‘ ist, konnte sich eine Intimität etablieren: Zunächst muss hierbei an die „repräsentative Öffentlichkeit“ im Sinne von Habermas erinnert werden.62 Er versteht darunter keine „Sphäre der Öffentlichkeit“, sondern „so etwas wie ein Statusmerkmal“, das der Statusinhaber, der adlige Herrscher, öffentlich repräsentiert; seine „Attribute“ sind „Insignien“, „Habitus“, „Gestus“ und „Rhetorik“.63 Durch frühkapitalistische Wirtschaftsformen erhält der Bürger des 18. Jahrhunderts die Möglichkeit, autonom gegenüber dem Staat zu wirtschaften. Dass sich die staatliche Herrschaftsstruktur im 18. Jahrhundert verändert und auch die repräsentative Öffentlichkeit sich zu wandeln beginnt, wird durch „die Trennung des öffentlichen Budgets vom privaten Hausgut des Landesherrn sichtbar markiert“.64 Der Bürger (und prototypisch der freie Kaufmann) kann nunmehr ‚privat‘ handeln: Dies ist eine wesentliche Grundbestimmung seiner Privatsphäre, die natürlich im politischen Kontext von ‚bürgerlicher Öffentlichkeit‘ von großer Bedeutung ist, diese ermöglicht jedoch zweitens auch überhaupt erst die Wohn-Intimität: „Die Privatsphäre umfaßt die bürgerliche Gesellschaft im engeren Sinne, also den Bereich des Warenverkehrs und der gesellschaftlichen Arbeit; die Familie mit

60 Zinn: Wohngewohnheiten und Wohnstrukturen, S. 19. Vgl. Häußermann/Siebel: Soziologie des Wohnens, S. 33; Becher: Geschichte des modernen Lebensstils, S. 133. 61 Vgl. Häußermann/Siebel: Soziologie des Wohnens, S. 30. 62 Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 60. Zu Habermas vgl. (auch zur Kritik seines Ansatzes) Schiewe: Öffentlichkeit, S. 249–279. Vgl. zu Habermas ähnlich – mit Bezug zu den Strukturen des Wohnens im Hotel – Wichard: Wohnen und Identität, S. 75. 63 Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 60–62 (Zitat: S. 60f.). 64 Ebenda, S. 67.

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ihrer Intimsphäre ist darin eingebettet.“65 Der (vornehmlich männliche) Bürger arbeitet im Rahmen früher Formen von Privatwirtschaftlichkeit, und durch die Verlegung dieser Arbeit außerhalb des Hauses entwickelt sich dort die intime Kleinfamilie. Die Auswirkungen und davon abhängige Wechselprozesse werden in der bereits dargelegten Distanzierung vom Personal und der weiteren Familie deutlich. Von besonderem Interesse sind jedoch auch die spezifischen Veränderungen des Wohnraumes. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist eine umfangreiche Ausdifferenzierung der Wohnräume nachweisbar: Aus Häusern mit wenigen Raumarten entstehen Wohnhäuser mit mehr als zehn Raumarten, dazu gehören Speisezimmer, Schlafzimmer, Empfangszimmer, Gesellschaftszimmer usw.66 War etwa die Küche zuvor Bestandteil der Diele, bekommt sie nun einen eigenen funktionalen Raum, in dem die Küchengeräte untergebracht wurden.67 Die Veränderung der Grundrisse bürgerlichen Wohnens war mit einer entsprechenden Diskussion in der zeitgenössischen Literatur des neuen bürgerlichen Bauens verbunden, im Laufe des 18. Jahrhunderts erlebten auf diese Weise Veröffentlichungen mit Titeln zum ‚bürgerlichen‘ Bauen eine Konjunktur.68 Die für die Gesellschaft öffentlichen Räume, darunter vor allem der Salon, befanden sich nun nach Möglichkeit im Erdgeschoss, die oberen Etagen des Hauses werden zum Refugium privater Intimität. Bekanntermaßen formuliert dies Habermas zugespitzt: „Die Linie zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit geht mitten durchs Haus.“69 So weit sei hier die Situation des bürgerlichen Wohnens im späten 18. Jahrhundert in Deutschland skizziert, wohl wissend, dass die geschilderten Veränderungen nicht simultan und auch nicht flächendeckend vonstattengingen. Es sind jedoch die prägenden Momente, die das bürgerliche Wohnen beeinflussten, sie sind damit auch wichtige Einflussfaktoren, die die bürgerliche Kultur allgemein bzw. das mitbestimmten, was ‚Bürgerlichkeit‘ genannt wird. Diese Faktoren bilden die Basis für ein kulturgeschichtlich geprägtes narratologisches Vorgehen. Hierzu gehören jedoch auch die ahistorischen anthropologischen Konstanten, die mit dem Wohnen verbunden sind, ist doch (wie gezeigt) der Mensch mit dem Wohnen untrennbar verbunden, unabhängig von seiner jeweils historischen Wohnsituation.

65 Ebenda, S. 90. 66 Vgl. Häußermann/Siebel: Soziologie des Wohnens, S. 34. 67 Vgl. Petsch: Eigenheim und gute Stube, S. 31. 68 Vgl. Kruft: Geschichte der Architekturtheorie, S. 208. 69 Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 109.

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Da das Wohnen ab dem 18. Jahrhundert in seiner bürgerlichen Ausprägung im Folgenden als außerliterarischer kulturgeschichtlicher Rahmen dient, muss zum einen erneut festgehalten werden, dass das bürgerlichen Wohnen besonders im 19. Jahrhundert zwar als Vorbild wahrgenommen wird, aber noch lange nicht in allen Gesellschaftsschichten praktisch verankert ist. Zum anderen ist das bürgerliche Wohnen selbst in sich heterogen, schließlich sind die Bevölkerungsschichten, die mit dem Begriff ‚Bürgertum‘ verbunden werden, in sich ebenso vielfältig. Hans-Ulrich Wehler spricht sich bereits für die Zeit vor 1800 für eine Differenzierung des „amorphen“ Begriffs aus: Er unterscheidet „Stadtbürgertum“, „die neuen ‚Bürgerlichen‘, unter ihnen vor allem die Bourgeoisie und das Bildungsbürgertum“, und drittens „die ‚Staatsbürger‘“.70 Das alte Stadtbürgertum erweist sich um 1800 als besonders traditionell, nach Wehler ist es „einem verkrusteten Lebensstil rückwärts gewandt hingegeben, wirtschaftlich und wirtschaftspolitisch orthodox auf der Überlieferung beharrend“.71 Mit dem Begriff des Staatsbürgers ist ein Bürger im Sinne einer „Rechtsfigur“ gemeint und dieser verweist damit auf den „Staatsbildungsprozeß“, aber nicht auf eine kulturell-historische Entwicklung, zum Beispiel hinsichtlich der wirtschaftlichen Funktionen, die Bürger jeweils wahrnehmen.72 Es sind hingegen die „neuen Bürgerlichen“, zu denen Beamte, Juristen, Ärzte und Gelehrte sowie fortschrittliche Unternehmer und Verleger zählen, die „im 18. Jahrhundert einen so bemerkenswerten Sprung nach vorne in das helle Licht jener Schauplätze taten, auf denen sich tiefreichender Wandel vollzog“.73 Die wirtschaftliche Kraft lag zunehmend in der aufstrebenden „Klasse bürgerlicher kapitalistischer Unternehmer“, dem „Grundstock der deutschen Bourgeoisie“.74 Die Mitglieder des neuen Bildungsbürgertums wurden durch die staatliche Integrierung als Beamte ebenso an entscheidender Stelle Funktionsträger für eine neue, bürgerlich geprägte Gesellschaft.75 Innerhalb dieser sich wandelnden bürgerlichen Schichten muss auch ein Kleinbürgertum Berücksichtigung finden, zu dessen Mitgliedern zum Beispiel Kleinunternehmer und untere Beamte zählen. Ihre Lebensführung ist von der Fortsetzung alter Traditionen, aber auch der

70 Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1, S. 203. 71 Ebenda. 72 Ebenda, S. 209. 73 Ebenda, S. 204. 74 Ebenda, S. 206. 75 Vgl. ebenda, bes. S. 211.

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Aufnahme neuer Gesellschaftsformen gezeichnet, die sich im Bereich der Innovation gerade an den führenden bürgerlichen Schichten orientiert.76 Die Problematik des Begriffs ‚Bürgertum‘ (und der mit diesem bezeichneten gesellschaftlichen Gruppen) ist durch die skizzierte Unterscheidung also nicht vollständig aufgehoben, auch nicht mit Blick auf das 19. Jahrhundert. Neben sozialgeschichtlichen Bestimmungen des Bürgertums ist die kulturgeschichtliche Formierung hervorzuheben: In Deutschland sorgt die Abgrenzung des Bürgertums vom Adel für eine Annäherung verschiedener bürgerlicher Schichten, etwa zwischen dem Bildungsbürgertum und dem wirtschaftlich-prosperierenden Bürgertum. Breite bürgerliche Einigkeit bestand in der „Hochschätzung von wirtschaftlichem Erfolg, Innovation, Bildung und kultureller Modernität, welche der Aristokratie allesamt weitgehend abgesprochen wurde“.77 Das Begriffskonzept ‚Bürgerlichkeit‘ empfiehlt sich als eine attraktive Ergänzung zum Konzept ‚Bürgertum‘, insbesondere wenn es um die Erfassung kultureller Praktiken wie der des Wohnens geht. Bürgerlichkeit lässt sich mit Lepsius als „typische Art der Lebensführung“ des Bürgertums verstehen, das sich über eine gemeinsame bürgerliche Kultur neu ‚vergesellschaftet‘ hat.78 Clemens Albrecht stellt heraus, dass zum Konzept von Bürgerlichkeit nicht nur „Leitideen“ wie „Selbständigkeit“, „Freiheit“ und „Toleranz“ zählen, sondern auch „Alltags-Formen bürgerlicher Kultur“79 – damit lässt sich konzeptionell auch die bürgerliche Wohnkultur integrieren. Mit der in den Geschichtswissenschaften viel diskutierten Auffassung, Bürgerlichkeit als eine Form der Kultur zu betrachten, wird zugleich die „Integrationsleistung von Kultur“ betont,80 da diese eine vermittelnde Funktion für die sozialen Strukturen einer Gesellschaft hat. ‚Bürgerlichkeit‘ kann damit nach Albrecht als ein „flexibles Scharnier“ verstanden werden, das zwischen ‚Bürgertum‘ und bürgerlicher Kultur vermittelt.81 Von Jürgen Kocka ist allerdings die Problematik angeführt worden, dass eine vermeintlich einheitliche bürgerliche Kultur nicht auf das vielschichtige Bürgertum anzuwenden sei. Außerdem gibt es wiederum gesellschaftliche Schichten,

76 Vgl. ebenda, S. 209. 77 Andreas Fahrmeir: Art. Bürgertum – In: Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 2, Sp. 583– 594, hier Sp. 590. 78 Lepsius: Soziologie des Bürgertums, S. 96. 79 Clemens Albrecht: Art. Bürgerlichkeit. – In: Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 2, Sp. 567–572, hier Sp. 568. Vgl. auch die Studie von Reitz: Bürgerlichkeit als Haltung. 80 Friedrich/Jannidis/Willems: Bürgerlichkeit im 18. Jahrhundert, S. XXXI. 81 Clemens Albrecht: Art. Bürgerlichkeit. – In: Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 2, Sp. 567–572, hier Sp. 568.

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die nicht dem Bürgertum zuzuordnen sind, die aber gleichwohl eine bürgerliche Lebensart praktizieren.82 Für die hier verfolgte literaturwissenschaftliche Analyse von Formen der Narrativierung des bürgerlichen Wohnens ergeben sich hieraus jedoch keine schwerwiegenden Folgen, da Untersuchungsbasis jeweils die literarische Darstellung des Wohnens ist; ein Anspruch, von dieser Darstellung auf außerliterarisch relevante Erkenntnisse über bürgerliche Sozialstrukturen zu schließen, kann nicht erhoben werden. Gleichwohl wird zum einen zu untersuchen sein, ob die Wohnraumdarstellungen in außerliterarischen Texten Beziehungen zur Literatur aufweisen. Zudem wird zu hinterfragen sein, ob das literarisch dargestellte Wohnen in einem ggf. bestätigenden oder oppositionellen Verhältnis zur bürgerlichen Wohnkultur steht. Wenn es etwa Adlige sind, die das bürgerliche Wohnen adaptiert haben – Bürgertum und Adel stehen gerade im 19. Jahrhundert in komplexen Beziehungen zueinander83 – wird dies auch für die Literaturanalyse nicht ohne Konsequenzen sein. Entscheidend ist jedoch, dass das bürgerliche Wohnen als Teil der bürgerlichen Kultur zumindest als Vorbild gesellschaftsprägend wird, und spätestens ab dann mal implizit, mal offensichtlich für die Literatur bedeutsam wird. Hierin erweist sich das Konzept ‚Bürgerlichkeit‘ in seiner ‚Scharnierfunktion‘ als besonders tragfähig: Nicht nur ‚Bürger‘ im engeren Sinne, sondern alle, die bürgerlich leben bzw. wohnen, werden auf die tatsächlichen Ausprägungen bürgerlicher Kultur bezogen. Um in dieser Arbeit die literarischen Texte mit Bezug auf das Wohnen zu analysieren, wird im Folgenden der Blick auf die Versprachlichung des Wohnens gerichtet werden. Die bürgerliche Kultur übt sprachliche ‚Wohnzeichen‘ ein, die in der Literatur zu Funktionsträgern werden. In der ‚Sattelzeit‘ (Koselleck) gerät die bürgerliche Kultur auch durch die Veränderungen der politischen Systeme in Europa in Bewegung. Ende des 18. Jahrhunderts werden die Veränderungen des bürgerlichen Wohnens in Deutschland manifest und zugleich zum Medium der Selbstreflexion einer bürgerlichen Öffentlichkeit, die in den Salons der Häuser zusammenkommt und aus den Journalen die neuesten Modetrends erfährt. Wohnen wird Teil eines bürgerlichen, bewussten Inszenierungsraums: Ähnlich im Sinne Sloterdijks, der von der Bewusstmachung und Thematisierung des Wohnens in einem Kunstwerk gesprochen hat, wird nun das Wohnen allgemein zum Thema. Besonders hervorzuheben ist hierbei Bertuchs Journal des

82 Vgl. die Zusammenfassung der Diskussion bei Friedrich/Jannidis/Willems: Bürgerlichkeit im 18. Jahrhundert, S. XXXIf. 83 Vgl. hierzu Bausinger: Bürgerlichkeit, S. 131f.; sowie Wehler: Kaiserreich, S. 258f. Siehe dazu mit Bezug zum Grandhotel auch Wichard: Wohnen und Identität, S. 68f.

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Luxus und der Moden als bedeutendste Modezeitung in Deutschland um 1800. Bereits zu Beginn des ersten Heftes zählt Bertuch zu den Gegenständen des Journals „Ammeublement“ und „Häuser- und Zimmer-Einrichtung und Verzierung“.84 Ebenso ist bereits im Eintrag zur ‚Mode‘ in Zedlers Universal-Lexicon die Rede von „Meublen“, „Zimmern“ und „Gebäuden“.85 Schließlich nimmt Christian Garve 1792 in seiner Schrift Über die Moden Bezug zum Wohnen. Die Auseinandersetzung mit dem Wohnen als Teil der Moden setzt sich im 19. Jahrhundert fort, zum Beispiel zum Ende des Jahrhunderts in Georg Hirths Das deutsche Zimmer vom Mittelalter bis zur Gegenwart oder Die Kunst im Hause von Jakob von Falke.86 Durch die stete Veränderung der bürgerlichen Moden wird ein dynamisches Inventar an kulturellen Zeichen generiert, die die Träger der bürgerlichen Kultur für sich nutzbar machen. Lange Zeit galt Kleidung als „transparentes Zeichen“ für eine spezifische ständische Zugehörigkeit.87 Derartige Zeichenkodierungen sind ab dem 18. Jahrhundert in Bewegung, und die neuen Wohnzeichen werden von der bürgerlichen Kultur nun verschieden in Gebrauch genommen. In einer frühen Form ist dies bereits in dem zu Anfang zitierten Auszug von von Rohr zu erkennen, wenn er anhand der Möblierung auf das Gemüt der Bewohner schließen will.88 Umgekehrt glaubt auch noch Goethe an den Einfluss der Möbel auf sein Inneres: „Eine Umgebung von bequemen geschmackvollen Meublen hebt mein Denken auf, und versetzt mich in einen behaglichen passiven Zustand.“89 Die sprachliche Funktionalisierung des Wohnens für das unter der Oberfläche Liegende, dem eigentlich Unsagbaren, ist nicht allein aus dem Interesse für psychologische Prozesse und anthropologische Fragestellungen im 18. Jahrhundert erwachsen, sondern aus den Wohndiskursen selbst: Das bürgerliche Woh-

84 Georg Melchior Kraus/Friedrich Justin Bertuch: Einleitung. – In: Journal des Luxus und der Moden [eigentlich: Journal der Moden] 1 (1786) Januar, S. 3–16, hier S. 12. Vgl. S. 53f. dieser Arbeit. 85 Art. Mode – In: [Zedler:] Universal-Lexicon, Band 21 (1739), Sp. 700–712, hier Sp. 700f. 86 Vgl. ergänzend insbesondere zur Bekleidungsmode und Literatur des 19. Jahrhunderts Bontrup: Mit der Moderne gehen. Vgl. mit Bezug auf die Gattung Komödie Kurth: Maskerade, bes. S. 48–54. 87 Brunhilde Wehinger: Art. Modisch/Mode. – In: Ästhetische Grundbegriffe, Bd. 4, S. 168–183, hier S.172f. (Zitat: S. 172), vgl. auch S. 168f. 88 Vgl. S. 10 dieser Arbeit. 89 Goethe: Sämtliche Werke, II. Abt., Bd. 39, S. 474 (zu Eckermann am 25. März 1831). Vgl. auch Pape: Was der Mensch sei, S. 133f.

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nen kann die alten kulturellen Kodierungen nicht mehr verbürgen. Das Wohnen (und nicht nur die damit verbundenen Moden) wird – so könnte man mit Roland Barthes sagen – Teil des „kollektiven Imaginären“: „nicht das Objekt, sondern der Name weckt das Begehren […].“90 Barthes stellt damit die Bedeutung der Sprache, die er im Medium der Modebeschreibungen thematisiert, heraus. Er sieht dabei auch Parallelen zur literarischen Sprache. Gemeinsam sei ihnen mittels der „Beschreibung“ die Absicht, „einen Gegenstand scheinbar in Sprache (language) zu verwandeln […]“.91 Der Unterschied besteht aber letztlich im Status der Fiktionalität von Literatur: Die Modeliteratur beschreibt einen tatsächlichen Gegenstand, die Literatur muss ihren Gegenstand erst hervorbringen.92 Die Literatur kann damit auch im Umgang mit dem Wohnen als Teil der Moden freier operieren und eigenen ästhetischen Prinzipien folgen, aber eben auch auf das außerliterarische Sprechen über das Wohnen und die Einrichtung von Wohnungen zurückgreifen. Die Zeichen des bürgerlichen Wohnens werden damit in eine Unbestimmtheit überführt, die zum Experiment, aber ebenso zur offenen Verwendung einlädt – und Wohnen wird damit (zum Beispiel) als äußerlicher Verweisungskomplex auf die Psyche lesbar. Es sind aber nicht nur die Moden, die mit dem Wohnen verbunden sind. Umberto Eco analysiert die (kommunikativen) Funktionen der Zeichen in der Architektur, wovon auch das Wohnen betroffen ist, schließlich bestimmt die Architektur die Art und Weise des Wohnens entscheidend mit.93 Wenn allerdings ein Haus „außerhalb jedes existierenden architektonischen Codes“ errichtet ist, kann es passieren, dass das Wohnen scheitert, weil die Wohnkompetenz fehlt.94 Eco stellt mit Aristoteles heraus, dass neue Informationen nur dann verstanden werden können, wenn sie sich auf „Redundanzstreifen“ beziehen.95 Wohnen ist damit ein „Redundanzgenerator“96 und abhängig von Erwartungen und Kenntnissen des potentiellen Bewohners. Anhand der Ausführungen zur Mode und Architektur, mit denen der Wohnkomplex verbunden ist, zeigt sich das Gestaltungspotential in der literarischen Umsetzung des Wohnens, nicht nur hinsichtlich der Konstruktion einer Verbindung von Psyche und Wohnraum. Wohnen in der Literatur kann vielmehr die Brüche im Wohnen inszenieren und ästhetisch funktionalisieren; es handelt sich

90 Barthes: Sprache der Moden, S. 10. 91 Ebenda, S. 22. 92 Vgl. ebenda. 93 Vgl. Eco: Einführung in die Semiotik, S. 301–356, hier S. 306. 94 Ebenda, S. 309. 95 Ebenda, S. 309f. sowie S. 146f. 96 Sloterdijk: Sphären III, S. 520. Vgl. S. 13f. dieser Arbeit.

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dabei um einen Prozess, der gerade dann historisch an Relevanz gewinnt, wenn das Wohnen als Thema außerhalb der Literatur – wie in Modezeitschriften – neu entdeckt wird.

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ALS

D ISKURSKOMPLEX

Um fundierte literarische Detailanalysen zu ermöglichen, muss das Wohnen und insbesondere das bürgerliche Wohnen in Beziehung zu Literaturtheorie und Narratologie gestellt werden. Es werden dabei vier Komponenten vorausgesetzt, die zwar auf unterschiedlichen theoretischen und systematischen Ebenen jeweils ihren Platz haben, aber hier als interagierend angenommen werden: Das außerliterarische Wohnen wird als Diskurskomplex (1) verstanden, den Literatur als Interdiskurs (2) fortschreibt; für eine adäquate Textbeschreibungsebene sollen Elemente einer traditionell strukturalistischen (3) und einer kulturgeschichtlich (4) orientierten Narratologie, die miteinander in Wechselbeziehungen stehen, in Bezug gesetzt werden. Wie aus der bereits umrissenen Geschichte des bürgerlichen Wohnens und der mit ihr verbundenen Funktionen von Bürgerlichkeit deutlich geworden ist, ist das Wohnen ein komplexer sozialer und individualpsychologischer Prozess, der Anteil nimmt an verschiedenen Diskursen.97 Als ein fundamentaler Diskurs kann der Identitätsdiskurs zählen, der auch die philosophischen Zugänge, die zu Beginn des Kapitels dargestellt wurden, berührt. Personale Identität ist für Jürgen Straub: „eine Einheit, die nicht unumstößliche Selbstgewißheit und Sicherheit bietet, sondern Orientierung in einem offenen und im ganzen unübersehbaren Raum von Möglichkeiten gewähren soll, in einem physikalischen, leiblichen, sozialen, moralischen und zeitlichen Raum, in dem Personen nun eben einmal wählen und handeln müssen.“98

Eine so verstandene Identität muss sich fortgesetzt behaupten und neu bestimmen, und zwar auch in einem „physikalischen“ Raum,99 also zum Beispiel in

97 Vgl. ergänzend die anregenden Ausführungen „Talking about houses“ von King, der das Verhältnis von Sprache, Diskursen und Wohnen problematisiert, wenngleich vor einem anderen theoretischen Hintergrund und ohne literaturwissenschaftliche Intention. King: Private Dwelling, S. 77–95. 98 Straub: Personale und kollektive Identität, S. 95. 99 Ebenda. Vgl. Wichard: Wohnen und Identität, S. 67f.

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einem Wohnraum. Beate Rössler charakterisiert Menschen als Wohnende in vergleichbarer Weise: Diese könnten „mit der Inszenierung des Raumes und der Art der Gegenstände in ihm zugleich ihre je individuelle Geschichte und damit ihre je eigene Identität zum Ausdruck bringen […]“.100 Dies bedeutet, dass das Wohnen eine grundlegende Identität beeinflussende Größe darstellt und dem erwähnten Diktum Gert Selles Rechnung trägt, dass ein „[N]icht-wohnen“ nicht möglich sei.101 Als ein weiterer wesentlicher Wohndiskurs ist – wie bereits erläutert – das Wechselverhältnis von Privatheit und Öffentlichkeit zu verstehen. Der Wandel in der Funktion von Räumen bzw. ihre Ausdifferenzierungen sind einerseits Ergebnisse gesellschaftlicher Veränderungen, gleichzeitig beeinflussen diese räumlichen Veränderungen andererseits die Bewohner und damit auch die Gesellschaft bzw. die bürgerliche Kultur. So gibt es eine Verschränkung mit den Identitätsdiskursen, da etwa das Vorhandensein von Privatheit natürlich auf den Bewohner einwirkt. Die räumlichen Veränderungen korrespondieren wiederum mit Veränderungen in der Baugeschichte bzw. Architekturtheorie. Da im Gefüge dieser Theorieentwicklungen das Wohnen ebenfalls betroffen ist, partizipiert das Wohnen wiederum an diesen Diskursen. Zu diesen komplexen diskursiven Strukturen zählt darüber hinaus der Gender-Diskurs.102 Er ‚befragt‘ genderspezifisch die Entwicklungen von Räumen bezüglich ihrer Veränderungen hinsichtlich von Privatheit und Öffentlichkeit. Gerade ab dem 19. Jahrhundert wird eine „Verräumlichung der Geschlechtsunterschiede“ deutlich;103 die Frau der bürgerlichen Kernfamilie findet ihr Betätigungsfeld nur noch in spezifischen intimisierten nicht-öffentlichen Bereichen der Wohnung und die Ehefrau tritt in den Gesellschaftsräumen (hochgradig

100 Rössler: Der Wert des Privaten, S. 260. Vgl. Wichard: Wohnen und Identität, S. 68. Vgl. auch King: Private Dwelling, z.B. S. 23; sowie ergänzend zu den Gefährdungen des Privaten Sofsky: Verteidigung des Privaten, bes. S. 76–90. Vgl. auch zur literarischen Inszenierung des Verhältnisses von (Wohn-)Raum und Identität Pape: Das Haus. 101 Vgl. Selle: Innen und außen, S. 223. 102 Vgl. für den literaturwissenschaftlichen Bereich die aufschlussreiche Studie mit dem Untertitel Topographien des Weiblichen im Roman von Autorinnen um 1800, in der auch das Wohnen bzw. bürgerliche Innenräume explizit thematisiert werden, von Michaela Krug: Auf der Suche nach dem eigenen Raum. Vgl. mit Beispielen aus der englischsprachigen Literatur auch Würzbach: Raumdarstellung, bes. S. 51–58. 103 Gestrich: Neuzeit, S. 469.

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konventionalisiert) in eine geschützte Öffentlichkeit hinaus.104 Geschlechtsspezifisch ist auch der Diskurs der Moden, an dem das Wohnen – wie skizziert – einen starken Anteil hat, organisiert: „Im Horizont der Wechselbeziehung von Mode und Weiblichkeit übernimmt das modische Zeichenrepertoire die vestimentäre Inszenierung der Geschlechterdifferenz.“105 Mit der Ausdifferenzierung von Räumen entstand auch eine Vervielfältigung der mobiliaren Ausprägungen, die sich geschlechtsspezifisch z.B. anhand von besonderen Stühlen äußert,106 aber auch allgemein in einem neuen Bewusstsein für Accessoires und Möbel, die die bürgerliche Wohnkultur mit Bedeutung auflädt. Diese Entwicklung lässt sich anhand von zahlreichen Beispielen im Journal des Luxus und der Moden dokumentieren.107 Es wird also deutlich, dass das bürgerliche Wohnen an einer Vielzahl von Diskursen partizipiert, die sich überlappen und wechselseitig beeinflussen. Terminologisch soll daher das bürgerliche Wohnen als ein ‚Diskurskomplex‘ bezeichnet werden, womit die erste der vier Komponenten im Zusammenspiel von Wohnen, Literatur und Narratologie skizziert ist. Die zweite Komponente, das Verständnis von Literatur als Interdiskurs, soll nun umrissen werden und die Zugänglichkeit vom Diskurskomplex ‚Bürgerliches Wohnen‘ zum Interdiskurs Literatur betont werden. Theoriegeschichtlich ist die Konzeption des ‚Interdiskurses‘ von Jürgen Link eine Weiterentwicklung von Foucaults Diskursbegriff und dessen literaturtheoretischen Ansätzen. Bekanntlich verwendet bereits Foucault den Begriff Diskurs nicht einheitlich; greift man jedoch auf ein Verständnis von Diskurs zurück, das diesen als ein ordnendes ‚régime‘ versteht, ist damit gemeint, dass ein Diskurs eine jeweils geregelte ‚Formation‘ von ‚Aussagen‘ bildet, die ein spezifisches Wissenssystem generieren und auch dispositive (Macht-)Strukturen etablieren; als Beispiel sei an den Diskurs der Psychoanalyse erinnert.108 Die literaturtheoretischen Äußerungen Foucaults sind außerdem nicht immer stringent und nicht als geschlossene Theorie zu bezeichnen; so verstand er zunächst spezifische Literaturen der Moderne, etwa die von Hölderlin, Mal-

104 Vgl. Gestrich: Neuzeit, S. 469f. 105 Brunhilde Wehinger: Art. Modisch/Mode. – In: Ästhetische Grundbegriffe, Bd. 4, S. 168–183, hier S. 178–180, Zitat: S. 178. 106 Vgl. Gestrich: Neuzeit, S. 468f. 107 Vgl. Kapitel 2.1 dieser Arbeit. 108 Vgl. Foucault: Archäologie des Wissens, S. 156; sowie Jürgen Fohrmann: Art. Diskurs. – In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Bd. I, S. 369–372, hier S. 370. Zum komplexen, veränderlichen Diskursbegriff bei Foucault vgl. z.B. auch Kammler: Historische Diskursanalyse.

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larmé und Artaud, in Ordnung der Dinge als „‚Gegendiskurs‘“.109 In der germanistischen Literaturwissenschaft wurden diese allerdings sehr anregenden Entwürfe Foucaults für eine literaturwissenschaftliche Diskursanalyse weiterentwickelt, auch von Jürgen Link.110 Link fasst die Literatur als Interdiskurs auf, der verschiedene Spezialdiskurse – wie etwa den medizinischen Diskurs – ‚re-integriert‘.111 Link unterscheidet „grundsätzlich zwischen spezialdiskursiven und interdiskursiven Elementen“: „Auf der Basis der für die Moderne fundamentalen Dialektik der Arbeitsteilung […] tendieren die diskursiven Formationen zum einen zu immanenter Spezialisierung, zur spezifischen und irreduktibel besonderen Konstituierung ihrer Gegenstände, zu eigenem ‚Lexikon‘ und eigener ‚Grammatik‘ – gegenläufig dazu tendieren sie jedoch gleichzeitig stets zu einem gewissen Maß an Reintegration, Kopplung mit anderen diskursiven Formationen, kultureller Verzahnung.“112

Sprachliche Elemente, die Link untersucht, sind vor allem so genannte Kollektivsymbole. Diese sind Teil der diskursiven Formation eines Spezialdiskurses, werden aber zu einem interdiskursiven Element in ‚populären‘ Medien wie journalistischen Texten und in der Literatur.113 Die Literatur als Interdiskurs sorgt somit für eine kulturelle Vermittlung. Link unersucht zum Beispiel das BallonSymbol hinsichtlich seiner kollektiven Verwendung in verschiedenen außerliterarischen Diskursen, aber gerade auch als ‚re-integriertes‘ Element in der Literatur. Die Kollektivsymbole aus den außerliterarischen Diskursen können auf diese

109 Foucault: Ordnung der Dinge, S. 76. Dieser frühe und später abgewandelte Literaturbegriff Foucaults betont vor dem Hintergrund moderner Literatur, wie sie sich seit dem 19. Jahrhundert entwickelt hat, deren sprachliche Selbstreferenz sowie ihre oppositionelle Autonomie gegenüber einer Vergewisserung auf eine (scheinbar) gesicherte Bedeutung. Vgl. ebenda sowie die Ausführungen von Geisenhanslüke: Literatur und Diskursanalyse, S. 67; vgl. auch jüngst Geisenhanslüke: Gegendiskurse, S. 53–55. Ebenda (insgesamt) siehe auch die Diskussion zur Stellung der Literatur bei Foucault. Zum „Konterdiskurs“ vgl. ergänzend Warning, z.B. Warning: Heterotopien, S. 24. 110 Vgl. Bogdal: Diskursanalyse, hier S. 154. 111 Vgl. z.B. U. Gerhard, J. Link und R. Parr: Art. Interdiskurs, reintegrierender. – In: Metzler Lexikon. Literatur- und Kulturtheorie, S. 281f. 112 Link: Literaturanalyse als Interdiskursanalyse, S. 285. Vgl. auch den neueren Aufsatz Link: Sprache, Diskurs, Interdiskurs und Literatur. 113 Vgl. ebenda, S. 123.

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Weise (‚künstlerisch-elaboriert‘) Eingang in die Literatur finden,114 der literarische Diskurs wird damit zu einem „elaborierte[n] Interdiskurs“.115 Der beschriebene Diskurskomplex116 ‚Bürgerliches Wohnen‘ soll nicht als Wissensdiskurs im Foucault’schen Sinne verstanden werden, auch ist er nicht einem technisierten Spezialdiskurs gleichzustellen. In einem gewissen Sinne trägt dieser außerliterarische Komplex aber interdiskursive Züge, da er aus verschiedenen Diskursen zusammengesetzt ist, auch wenn zu bedenken ist, dass die Diskurse von Identität oder Privatheit und Öffentlichkeit ebenfalls nicht in jeder Hinsicht mit dem Diskursbegriff Foucaults übereinstimmen. Nicht allein die diskursive Komplexität des Wohnens rückt es in die Nähe einer interdiskursiven Formation, auch das Charakteristikum der Popularität ist dem Diskurskomplex Wohnen eigen, da Wohnen jeden betrifft und anthropologisch basal ist. Es soll daher hier die These vertreten werden, dass der Diskurskomplex ‚Bürgerliches Wohnen‘ dem Interdiskurs Literatur besonders zugänglich ist. Die Aufnahme der Grundgedanken von Links Interdiskurs-Theorie (ohne ihre semiotischen Implikationen) ermöglicht die Etablierung eines dynamischen Gefüges zwischen außerliterarischen Diskursen – wie dem des Wohnens – und ihrer literarischen Funktionalisierungen, die letztlich zum Gegenstand der narratologischen Analyse werden.117 Diese Annahmen zum Diskurskomplex Wohnen sind grundsätzlich auch für andere hochgradig kulturell semantisierte Räume bzw. Orte denkbar. John Fiske hat – um ein Beispiel zu nennen – die „Lesarten des Strandes“ untersucht: „Semiotisch kann man den Strand als Text lesen, und mit Text meine ich ein signifizierendes Konstrukt potentieller Bedeutungen, die auf einer Mehrzahl von Ebe-

114 Vgl. Link: Elementare Literatur, S. 48–72; sowie auch U. Gerhard, J. Link und R. Parr: Art. Diskurs und Diskurstheorien. – In: Metzler Lexikon. Literatur- und Kulturtheorie, S. 115–117. 115 Link: Literaturanalyse als Interdiskursanalyse, S. 286. Es sei hier nur angemerkt: Als Interdiskurs ist Literatur wiederum ein Spezialdiskurs. Vgl. z.B. U. Gerhard, J. Link und R. Parr: Art. Diskurs und Diskurstheorien. – In: Metzler Lexikon. Literatur- und Kulturtheorie, S. 115–117, hier S. 116. 116 Auch Jürgen Link verwendet den Begriff ‚Diskurskomplex‘, wenn er zum Beispiel vom „Diskurskomplex des Normalen“ oder vom „Diskurskomplex Tod in Venedig“ spricht. Link: Versuch über den Normalismus, S. 215 und S. 460. 117 Eine kulturtheoretische Perspektive auf den Interdiskurs findet sich bei Fleischer: Kulturtheorie, hier z.B. S. 328 und S. 350. Im Folgenden dieser Arbeit dient jedoch der Begriff vom Diskurskomplex Wohnen als Zugang zur literarischen Analyse, so dass kein Anspruch auf weitergehende (außerliterarische) Implikationen besteht.

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nen operieren.“118 Entsprechend unterteilt Fiske den Strand in verschiedene Zonen (von der Uferstraße bis zum tiefen Wasser), denen jeweils unterscheidbare kulturelle und gesellschaftliche Bedeutungen und Funktionen zukommen und deren Grenzen (zwischen Natur und Kultur) zum Beispiel durch den Surfer produktiv überschritten werden, aber auch genderspezifisch markiert werden.119 Bezeichnenderweise wird aber auch der Strand zum Wohnort, wenn – wie Fiske herausstellt – die Strandbesucher ihren Hausstand zum Strand tragen und sich buchstäblich einrichten.120 Damit ist die Analyseebene bezüglich des Wohnens in der Literatur erreicht: Es erscheint sinnvoll – wie bereits erwähnt – auch traditionell strukturalistische narratologische Kategorien, die weniger nach dem Inhalt oder der kulturhistorischen Zeit fragen, aufzugreifen. Diese dritte Komponente muss jedoch systematisch um die vierte ergänzt werden: nämlich um die nach dem Inhalt fragende, kulturgeschichtlich orientierte narratologische Perspektivierung. Die „Kernkompetenzen“ der strukturalistischen Ansätze, „liegen in der formalen Analyse literarischer Texte, nicht in der Interpretation ihrer semantischen Dimension. Ein zentrales Problem der kulturgeschichtlichen Narratologie ist daher die Frage, wie von der Analyse formaler Elemente – etwa Auswahl und Anordnung von Handlungselementen und Schauplätzen, Figurenkonstellation, Plotstrukturen sowie narrative Perspektivierung (durch Narration und Fokalisierung) – Rückschlüsse auf die Bedeutungsebene gezogen werden können.“121

Diese Problematik einer kulturgeschichtlichen Narratologie soll in den folgenden Analysen mit dem Literaturbegriff als Interdiskurs aufgegriffen werden: Durch die theoretische Fundierung von außerliterarischen Diskursen in der Literatur als Interdiskurs lassen sich nämlich bereits auf der literarischen Ebene die kulturgeschichtlichen Faktoren, die auch das bürgerliche Wohnen bestimmen, narratologisch untersuchen. Die formale Ebene und die Bedeutungsebene begegnen sich im Interdiskurs gleichrangig. Dies erlaubt einen unmittelbaren interpretatorischen Zugang auf formaler und inhaltlicher Ebene.

118 Fiske: Lesarten des Populären, S. 51. 119 Vgl. ebenda, S. 51–85. Vgl. auch Rolf Parr, der mit Bezug auf John Fiske die Topographie des Strandes in Eduard von Keyserlings Roman Wellen untersucht. Parr: Topographien. Zu Keyserling vgl. S. 275–278 dieser Arbeit. 120 Vgl. Fiske: Lesarten des Populären, S. 52. 121 Erll/Roggendorf: Kulturgeschichtliche Narratologie, S. 82.

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Die Differenzierung der narratologischen Zugänge zwischen Form und Inhalt ist gleichwohl unerlässlich, gerade wenn historische Veränderungen bestimmbar werden sollen: Es wird erkennbar, ob bei einer Veränderung der bürgerlichen Kultur sich auch die Darstellungsformen dieser Kultur in der Literatur verändern. Als Beispiel, wie Form und Bedeutung miteinander verknüpft sind, kann die Metapher dienen: Bernhard Debatin verwendet in seiner Untersuchung Die Rationalität der Metapher den Begriff „semantische Tiefe“. Eine Metapher sei umso „resonanter“, „je mehr Dimensionen ein historisches Bildfeld aufweist“: Das Ineinandergreifen verschiedener Bildfelder bestimme die Qualität des metaphorischen Prozesses, der zudem auch davon abhängig ist, ob ein „spezifisches Vorwissen“ beim Rezipienten vorhanden ist.122 Diese außerliterarischen und zeitlich bedingten Konstellationen zeigen, inwiefern derartige Analysen mit einer kulturgeschichtlichen Narratologie korrespondieren. Dies soll auch im Diskurskomplex Wohnen verfolgt werden, auch wenn das Wohnen als Metapher in der Literatur gerade nicht im Fokus stehen wird. Vielmehr wird auf die konkreten Wohnräume der fiktiven Welt einzugehen sein. Die mit dem Wohnen naturgemäß verknüpfte Perspektive auf den Raum stellt auch eine Verbindung zu literatur- und kulturwissenschaftlichen Fragestellungen im Zeichen des ‚spatial turn‘ her.123 In jüngster Zeit rücken spezifisch narratologische Fragestellungen zur literarischen Raumdarstellung ins Zentrum des Interesses. Ansgar Nünning stellt dabei weiterhin „eine Reihe von Desideraten“ in der Forschung fest; gerade mögliche historische Veränderungen innerhalb der „Beschreibungen in Erzähltexten“ seien noch nicht hinreichend erschlossen.124 Einen umfassenden Überblick über die narratologische Raumforschung (mit einer Systematisierung der älteren Forschung), die außerdem präzisiert und weiterentwickelt wird, gibt Katrin Dennerlein in ihrer Narratologie des Raumes. Um den Raumbegriff zu präzisieren, beschränkt sie sich ebenfalls, wie im hier verfolgten Ansatz, auf den „konkreten Raum“ in der literarischen Darstellung.125 Sie legt dabei insbesonde-

122 Debatin: Rationalität der Metapher, S. 177. 123 Vgl. Bachmann-Medick: Cultural Turns, S. 284–328. Vgl. auch die jüngst erschienene Studie von Lauffer (2011), die den ‚architektonischen Wohndiskurs‘ an literarischen Beispielen der Neuen Sachlichkeit untersucht, und ihre Ausführungen zum ‚spatial turn‘. Vgl. Lauffer: Poetik des Privatraums, hier S. 49–62. 124 A. Nünning: Formen und Funktionen literarischer Raumdarstellung, S. 48. Vgl. zur Raumdarstellung aus einer gender-Perspektive speziell Würzbach: Raumdarstellung. 125 Dennerlein: Narratologie des Raumes, S. 5.

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re Wert auf die sprachliche Konstituierung von Raum sowie auf das diesbezügliche Verhältnis von Text und Leser-Rezeption.126 In den folgenden Analysen wird wiederholt auf narratologische Fragestellungen zum Raum Bezug genommen, etwa zum Begriff der Grenze oder zur Innenraumbeschreibung. Der Diskurskomplex Wohnen verschränkt sich regelmäßig mit der Inszenierung von Wohnräumen in der Literatur, dennoch ist die Perspektive offener, da mit dem Wohnen nicht allein dargestellte Räume verbunden sein müssen. Wohnen besitzt zwar stets eine konkrete räumliche (wenn auch hier fiktive) Referenz, diese muss aber nicht immer erzählt werden oder relevant sein: Zum Beispiel kann die Fortschreibung des Diskurskomplexes ‚Bürgerliches Wohnen‘ gerade außerhalb von Wohnräumen in eine kritische Pointierung münden. Außerdem wird die These vertreten, dass der Diskurskomplex selbst ein erzählerisches Potential birgt, das nicht allein vom Raum her betrachtet werden kann, sondern der Raum wird in der Folge zu einem (wichtigen) Träger der Wohndiskurse. Die vorliegende Untersuchung versteht sich daher nicht allein als spezifische raum-narratologische Untersuchung. Insgesamt ergibt sich somit eine dynamische Viererkonstellation zwischen dem Diskurskomplex ‚Bürgerliches Wohnen‘, dem Interdiskurs Literatur und einer integrierten sowohl traditionell strukturalistisch als auch einer kulturgeschichtlich orientierten narratologischen Analyseebene, die sich als flexibel genug erweist, die historischen Veränderungen außerhalb der Literatur und inner-literarische Entwicklungen zu erfassen. Zugleich ist sie aber auch bestimmt genug, um eine adäquate literaturwissenschaftliche Analyse des bürgerlichen Wohnens in der Literatur zu ermöglichen.

1.3 V ORBEMERKUNGEN ZUM W ANDEL IM ERZÄHLTEN W OHNEN Die Zusammenhänge zwischen dem Diskurskomplex Wohnen, dem Interdiskurs Literatur und seinen erzählerischen Funktionalisierungen äußern sich in ihrem historischen Kontext je verschieden. Es sollen daher im Folgenden bewusst unterschiedliche Phasen der Literaturgeschichte in den Blick genommen werden, damit vor dem Hintergrund zeitgenössischer Kunst- bzw. Literaturauffassungen Abweichungen und damit verschiedene narrative Verfahren erkenn- und analysierbar werden. Die Auswahl der zeitlichen Fokussierungen innerhalb der Untersuchung basiert entsprechend auf der These, dass zwischen den Zeiträumen

126 Vgl. ebenda, S. 7–9.

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jeweils Brüche anzunehmen sind. Als zeitlicher Rahmen insgesamt bietet sich die bürgerliche Kultur zwischen circa Ende des 18. Jahrhunderts und dem Ersten Weltkrieg an, so dass es die Kultur des langen 19. Jahrhunderts ist, die zur Kohärenz stiftenden Folie wird. Die Darstellung des Wohnens in der Literatur und natürlich auch in außerliterarischen Texten ist, wenn man das erzählte Wohnen in den Blick nimmt, sehr breit gefächert und daher ist eine vollständige Bestandsaufnahme nicht möglich. Die Auswahl der in dieser Arbeit untersuchten Texte erfolgt daher neben der bereits erwähnten zeitlichen Gliederung im literarischen Bereich orientiert an kanonischen erzählenden Texten (also vor allem Erzählungen bzw. Novellen und Romane127), da angenommen werden kann, dass die in ihnen verwendeten erzählerischen Verfahren und inhaltlichen Fokussierungen innovativ und/oder wirkungsmächtig sind; hierzu zählt zum Beispiel Goethes Roman Wilhelm Meisters Lehrjahre. Außerdem werden aber auch weniger bekannte Texte ergänzend herangezogen (etwa von Wilhelm Heinrich Riehl oder Arnold Ulitz), um die Breite der Sprache des Wohnens in der Literatur zu veranschaulichen. Die Konzentration auf deutschsprachige Texte ergibt sich – neben untersuchungspragmatischen Gründen – aus der Wahl des bürgerlichen Hintergrundes, wie dieser in Deutschland im 19. Jahrhundert ausgestaltet ist. Gleichwohl wäre eine komparatistische Perspektive, gerade für die Literatur des Realismus, eine lohnende, aber an anderer Stelle zu untersuchende Aufgabe.128 Die Wahl der herangezogenen

127 Die Untersuchung von dramatischen Werken wäre gleichwohl sicher auch lohnend, kann aber hier aus Gründen der Homogenität der zu untersuchenden Texte nicht verfolgt werden. Schließlich ist der Bühnenraum nicht nur sprachlich inszeniert, sondern auch konkret realisiert oder doch zumindest als konkreter Bühnenraum zu denken. Dies impliziert andere Mittel der Funktionalisierung des Wohnraums, wenn auch die Partizipation an den Wohndiskursen möglich ist. Vgl. die „Lokalisierungstechniken“ im Drama bei Pfister: Drama, S. 350–359, vgl. auch Anz: Textwelten, S. 121. 128 Vgl. z.B. die komparatistische Perspektive zum Interieur bei Becker: Zimmer; siehe auch die Arbeit von Schürmann: Tickende Gehäuseuhr; und ihr laufendes Projekt „Das Interieur als erzählstrukturierender Handlungsort des europäischen Realismus“ an der Friedrich Schlegel Graduiertenschule (Freie Universität Berlin). Vgl. www.geisteswissenschaften.fu-berlin.de/friedrichschlegel (abgerufen am 01.12.11). Siehe auch aktuell zur englischsprachigen Literatur Brown: Bourgeois Interior; nicht allein am Interieur interessiert sind z.B. Troy: In the First Person; oder Chandler: Dwelling in the Text. Zur französischen Literatur siehe z.B. Rech-Pietschke: Semiologie des transparenten Gebäudes.

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außerliterarischen Texte des Wohnens erfolgt aus den gleichen Gründen: Bekannte Journale, aber auch versteckte Einzeläußerungen sollen Breite und Tiefe der Verbreitung der ‚Wohnzeichen‘ verdeutlichen. Im Folgenden sei nun der engere Untersuchungsgegenstand zur Orientierung auf die folgenden drei Hauptkapitel umrissen. In Kapitel 2 (Bürgerliches Wohnen: Eine Entdeckung für die Literatur) wird die Zeit zwischen circa Ende des 18. Jahrhunderts und des Beginns des 19. Jahrhunderts (von Moritz bis Tieck) als Formierungsphase des bürgerlichen Wohnens in der Literatur rekonstruiert. Insbesondere die Situation des bürgerlichen Wohnens am Ende des 18. Jahrhunderts ist bereits umrissen worden, woran hier in aller Kürze angeknüpft werden kann: Ab Mitte des 18. Jahrhunderts formiert sich in Deutschland eine bürgerliche Wohnkultur – als Kennzeichen, aber auch als integrativer Bestandteil der politischen und gesellschaftlichen Veränderungen. Wie tief das Wohnen im bürgerlichen Bewusstsein verankert war, äußerst sich an einer Vielzahl von Publikationen, die die Baukunst bzw. die Architektur nunmehr unter dem Attribut ‚bürgerlich‘ thematisieren.129 Zur Klasse der „P ri va t ge b ä u d e [...], welche bloß zu Wohnungen bestimmt sind“, schreibt 1798 Lorenz Johann Daniel Suckow, zählen neben Schlössern und Palästen auch „gemeine b ü r ge rl i c h e G e b ä u d e “.130 Als wichtige Quelle lässt sich in diesem Zusammenhang Friedrich Justin Bertuchs Journal des Luxus und der Moden lesen. Bemerkenswert ist, dass Bertuch die verschiedenen Modewaren gerade nicht mehr von ihrer jeweils ständischen Funktion her kategorisiert, sondern sich am Bau des menschlichen Körpers orientiert. Den engsten Kontakt zum Körper hat demnach die Kleidung. Die Zimmereinrichtung habe zwar bereits eine größere Distanz zum Körper, ein Zusammenhang zum Bewohner bleibe jedoch bestehen.131 Der Maßstab zur Bewertung der neuen bürgerlichen Moden in der Baukunst ist die Funktionalität und der Nutzen für den Körper: „Ein Hauß sollte von Rechtswegen immer den Bedürfnissen der Lebensart und Verhältnisse des Hausherrn so angemessen seyn und anpassen, als der Rock seinem Leibe.“132 Unter dieser Voraussetzung ist, „schön wohnen zu wollen; eine Mode, die noch unter die besten gezählt werden

129 Vgl. auch Kruft: Architekturtheorie, S. 208. 130 Suckow: Erste Gründe der Bürgerlichen Baukunst, S. 3. 131 Vgl. Purdy: Modernität, S. 288. 132 Friedrich Justin Bertuch/Friedrich Christian Schmidt: Der bürgerliche Baumeister, oder, über Regelmäßigkeit, Bequemlichkeit und Eleganz in bürgerlichen Wohngebäuden. – In: Journal des Luxus und der Moden 3 (1788) Oktober, S. 381–401, hier S. 381f.

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kann“, wie Friedrich Christian Schmidt formuliert, dessen Einleitung zu seinem Werk Der bürgerliche Baumeister Bertuch abdruckt.133 Die Integration von Fachliteratur aus dem bürgerlichen Bauwesen in Bertuchs populäres Journal verdeutlicht das allgemeine Interesse an der neuen bürgerlichen Wohnkultur, die damit auch ihre Durchlässigkeit in andere Kontexte offenbart. Der Beginn des Kapitels widmet sich jedoch zunächst dem Popularphilosophen Christian Garve, der in seiner Abhandlung Über die Moden das Wohnen in die zeitgenössischen Mode-Diskurse integriert. Die Bau- und Modeliteratur setzt sich intensiv mit dem Wohnkomplex auseinander, aber auch die aufkeimende psychologische Literatur wie das Magazin zur Erfahrungsseelenkunde operiert erzählerisch mit den Wohndiskursen. Anhand von einigen Einzelanalysen wird deutlich werden, wie in Fallgeschichten die Versprachlichung des Wohnens Teil der psychologischen Diagnose und Sprache ist. Diese Verfahren und Perspektiven lassen sich in Karl Philipp Moritz’ Anton Reiser wiederfinden, schließlich sind Antons wechselnde Wohnstätten als Narrativierung seines Inneren, das sich an der ‚Umwelt‘ abarbeitet, zu begreifen. Im Anschluss an eine textnahe Analyse von Moritz’ Roman soll mit Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre ein weiterer grundlegender Text der Goethezeit aus der Perspektive der Wohndiskurse erschlossen werden. Im Zentrum steht zunächst das erste Buch, in dem die scheiternde Liebe von Mariane und Wilhelm inszenatorisch als Wohngeschichte etabliert wird. Goethes komplexer Roman verschränkt sich aber auch mit den ästhetischen Diskursen der Zeit, so dass Fragen der Schönheit, bezogen auf Kunst bzw. Architektur, in den Blick rücken: Der Bildungsweg Wilhelms wird auch vom Erlernen einer angemessenen Bauanschauung getragen (dies war nicht zuletzt ein Anliegen von Schmidts Bürgerlichem Baumeister). Wilhelms Werdegang kann im Folgenden somit als Glücksgeschichte des Wohnens gesehen werden; nicht bei Mariane, sondern bei Natalie und im Haus des Oheims wird er sein Wohnglück finden. Romantische Imagination bzw. Einbildungskraft wird die anschließende Leitperspektive auf die Literatur der Romantik sein. Untersucht werden tatsächliche Wohnräume als romantische Räume des Experimentierens mit der Einbildungskraft, insbesondere auf figuraler Ebene. Mit dem Vermögen der Einbildungskraft wird nicht nur ein ‚Raum‘ des Schwebens eröffnet, sondern im Vorgestellten der Einbildungskraft wird regelmäßig ein Wohnraum wahrgenommen, der produktiv die Wohndiskurse zusammenführt und fortschreibt. In Arnims Die Majorats-Herren sind der junge Majoratsherr und Esther nur von einem „kühnen

133 Schmidt: Der bürgerliche Baumeister, Teil I, S. 8.

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Sprunge“134 über die Gasse voneinander entfernt: Wie die höheren Stockwerke der Häuser über die Gasse immer mehr hinausragen und sich einander annähern, so nähern sich die Denk- und Imaginationsräume der beiden Protagonisten. Die Auflösung privater Wohnräume wird narrativ durch die dunkle Phantasie und Imagination des Majoratsherrn vollzogen. Und auch bei E.T.A. Hoffmann spielt die Darstellung von Wohnräumen und Häusern eine entscheidende Rolle (vgl. z.B. Der Sandmann).135 In Tiecks Novelle Des Lebens Überfluß ist es ebenfalls ein Haus, das zum poetisierten Rückzugsort der Liebenden im Zeichen der gemeinsamen Armut wird. Der Bauherr hat – wohl in „seltsamer, fast unbegreiflicher Laune“136 – das Gebäude derart konstruiert, dass der Blick vom zweiten Stock auf die Straße verwehrt ist; es ist geradezu abgeschottet vom Außen. Zum einen wird erkenntlich, inwieweit dieses literarische Haus im Kontrast zum rationalen neuen bürgerlichen Bauen steht und zum anderen wie auch bei Tieck Elemente der populären Wohndiskurse auf sprachlicher Ebene funktionalisiert werden, wenn etwa die durch die Fenster ersichtlichen „trübseligen Feuermauern“ zu „einer wunderbaren Klippengegend der Schweiz“ werden:137 Die Mauern werden so zur produktiven Assoziationsfläche des Figuren-Inneren. Die genannten Beispiele sollen verdeutlichen, dass eine systematische Inbezugsetzung des Wohnens als Diskurskomplex mit einer narrativen Funktion für die Literatur der Romantik aufschlussreiche Ergebnisse verspricht. Die vorgestellte Formierungsphase des bürgerlichen Wohnens soll als offen und durchaus heterogen vorgestellt werden: Abhängig von den jeweiligen literatur- und kunsttheoretischen Voraussetzungen erfährt das Wohnen eine vielseitige Literarisierung. Der kulturgeschichtliche Hintergrund einer sich formierenden bürgerlichen Wohnkultur lässt zum einen diese Vielfalt erkennbar werden, zum anderen lässt er sich aber auch als verbindender Fluchtpunkt verstehen. Das 3. Kapitel (Verdichtetes Wohnen: Der eingerichtete Diskurskomplex) fokussiert die Literatur von der Biedermeierzeit bis zum Spätrealismus und zeigt ihre enge Verzahnung mit dem Diskurskomplex Wohnen, ist doch die Wohnraumdarstellung der bürgerlichen Texte nunmehr sehr präsent. Mitte des 19. Jahrhunderts prägt Ludwig August von Rochau den Ausdruck ‚Realpolitik‘.138 Die Bürgerliche Revolution in Deutschland scheiterte und es sind viele progres-

134 A. v. Arnim: Werke, Bd. 4, S. 118. 135 Siehe unter anderen auch die Arbeiten von: Brüggemann: Das andere Fenster; oder Lehnert: Verlorene Räume. 136 Tieck: Schriften, Bd. 12, S. 217; vgl. auch Bachmaier: Nachwort, S. 70f. 137 Tieck: Schriften, Bd. 12, S. 218. 138 Vgl. Plumpe: Einleitung, S. 11.

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sive Hoffnungen zerstört worden. Fontane diagnostiziert 1853 in seiner programmatischen Schrift Unsere lyrische und epische Poesie seit 1848: „Was unsere Zeit nach allen Seiten hin charakterisiert, das ist ihr Realismus. Die Ärzte verwerfen alle Schlüsse und Kombinationen, sie wollen Erfahrungen; die Politiker (aller Parteien) richten ihr Auge auf das wirkliche Bedürfnis und verschließen ihre Vortrefflichkeitsschablonen ins Pult […].“139 Da das Bürgertum nun weiterhin von einer politischen Mitbestimmung ausgeschlossen bleibt, gewinnt die Wohnung als privater Rückzugsraum des Bürgers – die Kultur des Biedermeier ist hierbei besonders hervorzuheben – eine wichtige identifikatorische, selbstvergewissernde Rolle, die im ausufernden Wohnen des Historismus im späteren 19. Jahrhundert ihren Höhepunkt findet. Zu Beginn des Kapitels wird das Biedermeier-Wohnen und die Möblierung der Wohnungen vorgestellt und gezeigt, wie diese zum Beispiel in Briefen (etwa bei Therese Huber) beschrieben werden; dabei sind ebenso die kulturgeschichtlichen wie konservativen Kommentierungen eines Wilhelm Heinrich Riehls zu berücksichtigen. Im Anschluss werden im Einzelnen Erzählungen von Gotthelf, Riehl, Grillparzer und Stifter untersucht und es wird gezeigt, wie die Sprache des Wohnens in der Biedermeierzeit bzw. im (Früh-)Realismus bereits etabliert und geordnet ist. Dass auch im Laufe des 19. Jahrhunderts die außerliterarischen Diskurse vom Wohnen mitgeprägt sind, verdeutlich erneut der Blick auf die Medien der Sprache des Wohnens, wozu Familienzeitschriften wie Die Gartenlaube zählen, aber auch Anleitungen zum richtigen Wohnen und zur angemessenen Ausstattung der Innenräume, etwa von Jakob von Falke oder Georg Hirth. Die Verschränkung von außerliterarischem und literarischem Sprechen ist gerade im Medium der Zeitschriften im 19. Jahrhundert eng,140 wodurch die Popularität des Diskurskomplexes Wohnen deutlich wird – und ihn damit für die Literatur attraktiv werden lässt. Anhand von Fontane kann gezeigt werden, inwiefern die Wohndiskurse in die Literatur des Realismus eingegangen sind und für diese auch ein Lektüreschlüssel sein können. Bei Fontane erschöpft sich die Innenraumdarstellung nicht in einem Widerspiegeln des sozialen Status der Bewohner, sondern ist von subtilen Brüchen geprägt, die ihrerseits auf die Fragilität der Figurenidentitäten verweisen. Der Detailreichtum in den Raumbeschreibungen Fontanes lässt nicht unbedingt darauf schließen, dass die einzelnen Einrichtungsgegenstände auf eine spezifische

139 Fontane: Werke, Schriften und Briefe, Abt. III, Bd. 1, S. 236. 140 Vgl. grundlegend zum Verhältnis von Medien wie Zeitschriften zur Literatur im 19. Jahrhundert Günter: Im Vorhof der Kunst.

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Semantik festgelegt sind. Die Bedeutung konstituiert sich vielmehr aus der aktualisierten Perspektive der Figuren.141 Es sind die sprachlichen Mittel, die die Art der literarischen Fortschreibung der Wohndiskurse erst bestimmen. Es sei an die junge Braut Effi – Fontanes Roman Effi Briest soll allerdings im Folgenden nicht im Mittelpunkt stehen – erinnert, als diese in Kessin das landrätliche Haus erstmals betritt: Auf den ersten Blick täuscht der Detailreichtum der Raumbeschreibung eine Eindeutigkeit vor. Zwar werden ‚realistische‘ Raumgegenstände erwähnt, insbesondere deren Lokalisierung verbleibt aber vage, indem die Erzählperspektive teilweise in die Figur Effis verlagert wird. Damit wird deutlich, dass die Raumbeschreibung z.B. als metaphorisches bzw. narratives Mittel der Beschreibung von Effis Psyche funktionalisiert wird.142 Der Wohndiskurs von Privatheit und Öffentlichkeit (und der damit verbundene Identitätsdiskurs) ist, um ein weiteres Beispiel zu nennen, insbesondere in L’Adultera wirksam. Man kann regelrecht von einem Spiel der Räume sprechen: Dass Ezechiel van der Straaten gerade in Melanies Zimmer von ihrem neuen „Hausgenossen“ berichtet,143 verdeutlicht, dass nicht nur Tintorettos Ehebrecherin vieldeutig die weitere Handlung spiegelt, sondern auch räumlich motivierte Bedeutungszuschreibungen bestehen. Hugo Aust versteht den „mediale[n] Aspekt“ des Realismus als „eine Arbeit mit Zeichen, die nicht nur etwas bedeuten, sondern auch auf etwas Bezug nehmen“. Er unterscheidet im semiotischen Sinne hierbei zwischen ikonischen, indexikalischen sowie symbolischen Zeichen und nennt ausdrücklich die Wohnung im Kontext von indexikalisch geprägten „Darstellungsformen“.144 Damit wird im literarischen Wohnen eine unmittelbare und kausale Relation zwischen Zeichen und Bezeichnetem postuliert. Anhand der Innenausstattung von Treibels Wohnhaus – um mit Frau Jenny Treibel einen weiteren Roman Fontanes zu nennen – wird sein sozialer Status nicht nur ablesbar, der Wohnstil repräsentiert diesen Status auch überhaupt erst. Diese Überlegungen können verdeutlichen, dass ab der Mitte des 19. Jahrhunderts das bürgerliche Wohnen etabliert ist, da seine charakteristischen (kulturellen) Zeichen nun relativ festgeschrieben sind. Allerdings sind dennoch – wie bei Fontane bereits angedeutet – literarische Techniken festzustellen, die produktiv mit dem Diskurskomplex Wohnen umge-

141 Vgl. mit Bezug auf Ricœur einen Vortrag von Campanile: Wahrnehmung und Metaphorik von Innen-Räumen. 142 Vgl. hierzu ausführlich das Fontane-Kapitel bei Andermatt: Haus und Zimmer im Roman, z.B. S. 83. 143 Fontane: Werke, Schriften und Briefe, Abt. I, Bd. 2, S. 18. 144 Aust: Theodor Fontane, S. 16f.

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hen. Viele Erzählungen und Romane des Spätrealismus zeichnen sich durch komplexe Erzählkonstruktionen aus. Anhand von literarischen Beispielen von Theodor Storm (Ein Doppelgänger, Der Schimmelreiter) und Wilhelm Raabe (Stopfkuchen) soll in einem weiteren Abschnitt gezeigt werden, welche tragende Funktion dabei die Wohndiskurse haben können. Vor dem Hintergrund der erzählerischen Präsenz des Wohnens in der Literatur des 19. Jahrhunderts ist es nicht verwunderlich, dass bereits einzelne literaturwissenschaftliche Arbeiten verwandte Fragestellungen aufgegriffen haben: Claudia Becker stellt die zunehmende poetologische Bedeutung der Inneneinrichtung seit dem 19. Jahrhundert und deren Verknüpfung mit der Geschichte der Innerlichkeit heraus.145 Ihr Ansatz ist am ehesten dem Prozess der Lesbarmachung der Figurenpsyche zuzuordnen. Heinz Brüggemanns Analysen: rücken das moderne Subjekt ins Zentrum und verfolgen dessen Spuren in der Auseinandersetzung mit einer sich verändernden Lebenswelt im Kontext der Urbanisierung.146 Gerade die Grenzperspektive, ‚der Blick durch das Fenster‘, erweist sich dabei als ertragreich. Zu den Arbeiten, die sich ausführlicher mit der Inneneinrichtung und ihrer Funktion in literarischen Texten beschäftigen, zählen grundlegend Interior Meaning von Kirsten Belgum und jüngst von Uta Schürmann.147 Zu den älteren Arbeiten lässt sich Bedeutung und Beschreibung des Binnenraumes bei Storm, Raabe und Fontane von Karl Garnerus rechnen.148 Im Gegensatz zu den hier angegebenen Analysen werden nun aber die Bedeutung des Diskurskomplexes Wohnen in seiner kulturellen Gesamtheit und insbesondere die konkrete Inszenierung der ‚Wohn-Figuren‘ stärker berücksichtigt werden. Im 4. Kapitel (Fragiles Wohnen: Inszenierungen um 1900) wird die Literatur am Ende des langen 19. Jahrhunderts bezüglich des Wohnens zu untersuchen sein. Im späten 19. Jahrhundert ist die Wohnkultur vom Einrichtungsstil des Historismus geprägt: mit Möbeln überladene Zimmer, schwere Vorhänge und Teppiche und ein ausgeprägter Stilpluralismus in der Kunst, aber auch der Wunsch nach Komfort und Luxus gehören zu seinen Kennzeichen: „Grenzenlose, wild wuchernde Dekorationsliebe ergoß sich buchstäblich über zahlreiche

145 Vgl. Becker: Zimmer, bes. S. 11–30. Vgl. auch Becker: Innenwelten; sowie Fritz: Innerlichkeit und Selbstreferenz. 146 Vgl. Brüggemann: Das andere Fenster. 147 Vgl. Belgum: Interior Meaning (mit einem älteren Forschungsüberblick, ebenda, S. 8–11); sowie Schürmann: Tickende Gehäuseuhr. 148 Vgl. Garnerus: Bedeutung und Beschreibung.

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Wohnzimmereinrichtungen.“149 Ein gesteigertes, aber populäres Vorbild des Historismus fand sich schließlich im Wiener Atelier von Hans Makart.150 Der Bürger ersammelt sich einen Wohnraum, dessen Inventar größtenteils frei von einer konkreten Zweckbestimmung ist: „Der Sammler träumt sich nicht nur in eine ferne oder vergangene Welt sondern zugleich in eine bessere, in der zwar die Menschen ebensowenig mit dem versehen sind, was sie brauchen, wie in der alltäglichen, aber die Dinge von der Fron frei sind, nützlich zu sein.“151 Das „Interieur“ – so Walter Benjamin weiter – werde schließlich zum „Etui des Privatmanns“ 152 und die „Wohnung wird im extremsten Falle zum Gehäuse“.153 Die Referenz der kulturellen Zeichen des Wohnens erfährt vor diesem Hintergrund wiederum eine Erneuerung: Die poetische Wirklichkeitsverklärung im Realismus steigert sich im Ästhetizismus um die Jahrhundertwende bis zur Ablösung eines Wirklichkeitsbezuges, da die zunehmende Vielschichtigkeit der gesellschaftlichen Realitäten keinen adäquaten Ausdruck mehr in der bisherigen Literatur finden kann.154 Die Referenz der (Wohn-)Zeichen führt nunmehr vom konkreten Leben weg, hinein in die Innerlichkeit des Bewohners. Es sei an das einflussreiche Werk À rebours von Joris-Karl Huysmans erinnert,155 aber auch an Hofmannsthals Aufsatz Gabriele d’Annunzio. Wiederum erscheint hier das Wohnen speziell im Dienste der ästhetischen Diskurse: „Heute scheinen zwei Dinge modern zu sein: die Analyse des Lebens und die Flucht aus dem Leben. […] Modern sind alte Möbel und junge Nervositäten.“156 Die „ganze Arbeit dieses feinfühligen, eklektischen Jahrhunderts [habe] darin bestanden, den vergangenen Dingen ein unheimliches Eigenleben einzuflößen. […] Wir haben aus den Toten unsere Abgötter gemacht […]“.157 In der steten Selbstanalyse des Subjekts atomisiert es seine Seele selbst und fällt aus dem Leben allein auf sich selbst zurück – es ist die Existenz des dekadenten Dilettanten ohne einen festgelegten eigenen Standpunkt (vgl. die Arbeiten des um 1900 breit rezipierten Paul Bourgets). Die Inneneinrichtung kann nun nicht mehr die Teilnahme am Leben

149 Saldern: Im Hause, zu Hause, S. 180; vgl. auch Montenegro: Enzyklopädie der Wohnkultur, S. 197–215. 150 Vgl. Fischer: Imitieren und Sammeln, S. 376. 151 Benjamin: Gesammelte Schriften, Bd. V.1, S. 53. 152 Ebenda. Vgl. auch Praz: Inneneinrichtung, S. 25. 153 Benjamin: Gesammelte Schriften, Bd. V.1, S. 292. Vgl. Becker: Zimmer, S. 27–30. 154 Vgl. Plumpe: Einleitung, S. 40. 155 Vgl. auch Fritz: Innerlichkeit und Selbstreferenz, z.B. S. 100. 156 Hofmannsthal: Gesammelte Werke/Reden und Aufsätze, Bd. I, S. 176. 157 Ebenda, S. 174.

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verbürgen. Eine Erfahrung, die auch Claudio in Hofmannsthal Der Tor und der Tod machen muss: „Jetzt läßt der Lampe Glanz mich wieder sehen / Die Rumpelkammer voller totem Tand, / Wodurch ich doch mich einzuschleichen wähnte, / Wenn ich den graden Weg auch nimmer fand / In jenes Leben, das ich so ersehnte.“158 Die Untersuchung der Umbruchphase um 1900 beginnt in dieser Arbeit mit der nochmaligen Herausstellung der Erzählpotentiale des Wohnens. Dies wird anhand von Texten zum Wohnen und zur Architektur insbesondere der Wiener Moderne bzw. des Jugendstils verdeutlicht werden (zum Beispiel anhand von Texten von Hermann Bahr, Adolf Loos, aber auch Georg Simmel). Es soll aufgezeigt werden, wie präsent die Frage nach der Einrichtung und der Wohnung ist. Im Zuge einer sich rasch verändernden Gesellschaft sucht man nach neuen Lösungen für das Leben und Wohnen. Dieser Suche wird dabei nicht nur in Kunstausstellungen nachgegangen, sondern auch in Zeitschriften – in der sprachlichen Fortsetzung der Wohndiskurse – diskutiert, wodurch auch um 1900 eine außerliterarische Sprache des Wohnens vielschichtig realisiert ist. In der Literatur sind verschiedene Ausprägungen präsent: Zunächst ist die soziale Radikalität der erzählten Wohnoberflächen des Naturalismus in Augenschein zu nehmen. Die Weiterentwicklung des Realismus der älteren Autorengeneration führt zu einer Integration der sozialen Fragen, ohne gleich ‚Arbeiterliteratur‘ zu sein (Kretzer: Meister Timpe). Die Suche nach neuen Ausdrucksformen (Holz/Schlaf: Ein Tod, Papa Hamlet) lässt zwar neue Gestaltungsmöglichkeiten des Wohnens in der Literatur erkennen, kann aber nicht auf die etablierten Wohndiskurse verzichten. Die Krise der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Wohnkultur wird schließlich auch in der Psychoanalyse deutlich: in ihren WohnSettings, aber auch in ihrer Sprache. Wie in den architekturästhetischen Diskursen ein historistischer Stilpluralismus zunehmend abgelehnt wird, wird das Wohnen auf verschiedenen Ebenen der Psychoanalyse – in Anlehnung an Sloterdijk – „dethematisiert“.159 Die Sprache des Wohnens innerhalb der Psychoanalyse kann in dieser Form als Ästhetisierung verstanden werden. Also nicht nur in einem Modus der Psychologisierung ist die Psychoanalyse in Verbindung mit der Literatur des Ästhetizismus zu bringen, auch die Wohndiskurse greifen ineinander, wie die Untersuchung von Hofmannsthals Märchen und BeerHofmanns Der Tod Georgs zeigen soll. Der Tod der Figuren (Der junge Kaufmannssohn bzw. Georg) wird mit der Ästhetisierung der Wohnungen in enge

158 Hofmannsthal: Sämtliche Werke, Bd. III, S. 65. Vgl. u.a. Streim: Das ‚Leben‘ in der Kunst, S. 163–185. 159 Vgl. S. 13 dieser Arbeit.

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Verzahnung gebracht; die Fragilität der Figuren korrespondiert so mit einem defunktionalisierten Wohnen. Die Literaturströmungen um die Jahrhundertwende sind ebenso komplex wie oftmals heterogen. Der Zugriff auf die Literatur im letzten Abschnitt dieser Arbeit stellt die Isolation der Bewohner bzw. die konkrete Zerstörung der Wohnhäuser heraus. Die Protagonisten in den Buddenbrooks (Manns Roman bildet allerdings keinen Schwerpunkt der Analyse), in Sternheims Busekow, aber auch in Keyserlings Abendliche Häuser erleben eine zunehmende Isolation und Desintegration, die sich auch in der Wohnraum-Inszenierung erzählerisch widerspiegelt. Arnold Ulitz‘ Novelle Die vergessene Wohnung schließlich erzählt die Bedrohung der Wohnung zu Beginn des Ersten Weltkrieges. Auch ohne Zerstörung der Wohnung ist die Protagonistin wegen des Todes ihres Mannes paralysiert und in ihrer Wohnung nicht mehr tatsächlich wohnend. Alfred Kubins ‚phantastischer‘ Roman Die andere Seite vermag darüber hinaus weitere Akzente im Kontext des Diskurskomplexes Wohnen zu setzen. In Pateras Traumreich werden alte, anti-fortschrittliche Häuser mit individueller Vergangenheit aus Europa verbracht: „Die Häuser, das waren die starken, wirklichen Individuen.“160 Aber auch sie werden dem apokalyptischen Ende nicht entkommen können. Das hier geöffnete Panorama des ‚Wohnens‘ in der Literatur um 1900 verdeutlicht, dass (ähnlich wie in der Literatur während der Formierungsphase des bürgerlichen Wohnens von ca. Ende des 18. Jahrhunderts bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein) keine grundsätzlich festgelegten Funktionen und Referenzen der kulturellen Wohnzeichen bestehen. Der Diskurskomplex vom Wohnen verliert zwar zunehmend wieder an Kohärenz, das Erzählpotential selbst bleibt aber erhalten, denn für die „Dramatik des Wohnens“ gilt: „Nirgends sonst verdichten sich die Möglichkeiten und die Risiken für die einzelnen und für eine soziale Gruppe, mehr noch, für die ganze Gesellschaft und deren soziale und kulturelle Entwicklung, so sehr wie im Wohnen.“161

160 Kubin: Die andere Seite, S. 80. 161 Katschnig-Fasch: Möblierter Sinn, S. 20. Vgl. zu diesem Konzept mit Bezug zum Hotel Wichard: Wohnen und Identität, S. 82.

2.

Bürgerliches Wohnen: Eine Entdeckung für die Literatur

2.1 D AS S PRECHEN ÜBER DAS W OHNEN AM E NDE DES 18. J AHRHUNDERTS (Moden und Bauen: Christian Garve, Journale, Bauschriften) Das gesellschaftlich-kulturelle Bewusstsein vom Wohnen erfährt am Ende des 18. Jahrhunderts in Deutschland eine besondere Blüte. Durch die lebendigen Modediskurse der Zeit wird die Nachfrage nach Trends aus dem Ausland gesellschaftlich verankert und Modezeitschriften finden eine weite Verbreitung. So sind Berichte über neue Wohnstile im Journal des Luxus und der Moden von Anfang an ein nachgefragtes Thema in der Leserschaft. Bemängelt wird allerdings, dass die gewählten Beispiele des Journals für „den Maasstab eines bürgerlichen Ameublements zu kostbar und zu prächtig wären“.1 Man erkennt daran, dass ein bürgerlicher Wohnmarkt, der auch Modebedürfnisse befriedigen soll, gerade im Entstehen ist. Zeitgleich wird in Bauhandbüchern ebenfalls die Mode als Kriterium der Gestaltung von bürgerlichen Wohnhäusern diskutiert. 1792 stellt Franz Ludwig von Cancrin in seinem Bauhandbuch fest, „[dass] man ein Gebäude vornemlich ein Wohngebäude nach dem G e s c h m a c k d e r Z e i t , und d e r V e r ä n d e r t e n L e b e n s a r t d e r M e n s c h e n e i n r i c h t e n [muss]: Denn beyde der Geschmack im Bauen, und die Lebensart der Menschen sind eben dem Schicksal unterworfen, das unsere übrigen Moden betrift.“2

1

[Anonym:] Ueber bürgerliches Ameublement – In: Journal des Luxus und der Moden

2

Cancrin: Grundlehren der Bürgerlichen Baukunst, S. 57f.

2 (1787) Januar, S. 27–31, hier S. 27.

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Und Friedrich Christian Schmidt, dessen Werk auch in Auszügen in Bertuchs Journal des Luxus und der Moden gedruckt wurde, sieht eine Mode darin, „schön wohnen zu wollen“.3 Bevor der Diskurskomplex Wohnen in der Mode im Folgenden weiter veranschaulicht wird, soll zunächst der Modebegriff des späten 18. Jahrhunderts näher in den Blick gerückt werden. Einen Schlüssel für das zeithistorische Verständnis von Mode gibt das Journal des Luxus und der Moden in der Replik auf die oben erwähnten Leserwünsche selbst. Man solle doch bedenken, „daß Ameublement, seine Qualität, und Styl, gewiß eben so viele Grade und Verschiedenheiten nach den Verhältnißen der Stände hat, als Kleidung“.4 Die Erinnerung an die Leser, dass nicht nur Kleidung, sondern auch die Art und Weise des Wohnens ständisch codiert ist, zeigt, dass die Festschreibungen von kulturellen Zeichen auf einen Stand längst in Bewegung geraten sind. Das Bürgertum partizipiert an den neuen Prozessen der Selbstfindung und Selbstbestimmung auch im Medium der sie umgebenden Wohnzeichen, die nun ganz bewusst vom Bürgertum inszeniert werden: Sie sind Gegenstand der Mode geworden. Zunächst soll Christan Garves popularphilosophischer Mode-Ansatz thematisiert werden; dann wird im Einzelnen das Sprechen über das Wohnen im Journal des Luxus und der Moden sowie in der Zeitschrift London und Paris veranschaulicht. Eine bedeutende Position zur Mode hat Christian Garve in seiner Schrift Über die Moden (1792)5 herausgearbeitet, in der auch das Wohnen ganz selbstverständlich in den Bereich der Mode gerückt wird. Er unterscheidet die Moden in zwei Gegenstandsbereiche, in „Sachen, die zu Befriedigung unsrer körperlichen Bedürfnisse dienen, oder die gesellschaftlichen Gebräuche“.6 Der erste Gegenstandsbereich ist im Folgenden von besonderem Interesse: Es handelt sich hierbei um „Kleider, Wohnung, Hausgeräthe, Equipage, und alle Arten von Schmuck“.7 Die Bindung der Wohnung an die körperliche Funktion verpflichtet die Gestaltung der Wohnung zwingend an „ein älteres Gesetz für ihre Form, von

3 4

Schmidt: Der bürgerliche Baumeister, Teil I, S. 8. [Anonym:] Ueber bürgerliches Ameublement – In: Journal des Luxus und der Moden 2 (1787) Januar, S. 27–31, hier S. 27.

5

Vgl. auch die Garve-Kurzanalyse bei Brunhilde Wehinger: Art. Modisch/Mode. – In: Ästhetische Grundbegriffe. Bd. 4, S. 168–183, hier S. 173f.

6

Garve: Über die Moden, S. 143.

7

Ebenda. Vgl. auch zu Garves Text grundlegend Priester: Garve als Theoretiker der Moden; z.B. zur Modernität seiner Perspektive auf die „Funktionen“ der Moden, ebenda, S. 579. Einführend vgl. auch Pittrof: Nachwort.

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welchem die Mode nicht abweichen darf“.8 Die Ausgestaltung der Wohnung muss den Grundbedürfnissen des Menschen dienen, sie muss Schutz vor den Widrigkeiten des Wetters geben und geeignet sein, die notwendigen (körperlichen) Tätigkeiten des Lebens auszuüben: „Alles was uns umgiebt, und was unsre Wohnungen anfüllt und schmückt, sind Werkzeuge: aber nicht Werkzeuge besondrer Künste, sondern des allgemeinen menschlichen Lebens.“9 Trotz dieser funktionalen Einschränkungen der Wohnraumgestaltung hält Garve emphatisch fest, inwieweit die Moden dennoch das Wohnen mitbestimmen: „Aber innerhalb dieser Gränzen, welcher weite Spielraum zu Veränderungen bleibt nicht noch übrig!“10 Garve identifiziert die ästhetische Funktion der Mode in ihrer Fähigkeit zur Regulation der Unterscheidung zwischen dem „Schönen und Häßlichen“11 für das Feld von „kleinern Sachen“, wenn nämlich weder die übergeordneten „Regeln des Geschmacks noch der Zweckmäßigkeit“ eine vollständige Klärung bieten können.12 Mode zählt für Garve zum Bereich einer ‚subjektiven Schönheit‘;13 es gibt zwar Dinge, die von Natur aus bereits derartig vollständig bestimmt sind, dass diese unabhängig von der individuelle Einbildungskraft sind, doch es gibt „ein weites unabsehbares Gebieth von Formen, die mit keinem bestimmten Begriffe verknüpft, an keine, durch eigenthümlichen Bau und stets ähnliche Fortpflanzung, sich auszeichnende Natur gebunden sind“.14 Ein Urteil zwischen ‚schön‘ und ‚hässlich‘ ist abhängig vom sich verändernden, subjektiven Verhältnis zwischen dem ‚Geist‘ und den wahrgenommenen Formen und ist damit letztlich unentscheidbar: Diese Unterbestimmung des Geschmacks füllt die Mode aus: Der Geschmack – so Christan Garve – lässt sich von ihr durch „Beyspiel und die Gewohnheit mit fortreißen, und durch die Uebereinstimmung Vieler auf eine Zeit lang bestimmen“.15

8

Garve: Über die Moden, S. 143. Vgl. auch Kruft zum Verhältnis von Körper und Architektur mit Bezug auf Goethes Baukunst-Aufsatz (1795), Kruft: Architekturtheorie, S. 216.

9

Garve: Über die Moden, S. 144.

10 Ebenda. 11 Ebenda, S. 120. 12 Ebenda, S. 121f. 13 Vgl. ebenda, S. 154. Vgl. zu dem (folgenden) Komplex der ästhetischen Kategorie ‚subjektive Schönheit‘ in den Moden bei Garve Priester: Garve als Theoretiker der Moden, S. 580. 14 Garve: Über die Moden, S. 152. 15 Ebenda, S. 154f. (Zitat: S. 155).

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Das Streben nach Übereinstimmung gehöre zum Wesen des Menschen; er habe eine „gesellige[…] Natur“ und wolle mit seinem Gegenüber möglichst „gleichförmig“ sein und übereinstimmen, zumindest innerhalb einer bestimmten sozialen Gruppe.16 Eine Abweichung in der Wohnungsgestaltung wird somit zu einer Entfernung, die dem kommunikativen Austausch und der gegenseitigen „Zuneigung“ im Wege steht.17 Die veränderlichen Moden sind zudem Ergebnis des damit verbundenen Vergnügens an schönen Dingen sowie des Wunsches, „durch schöne Sachen andern zu gefallen“.18 Garve wählt wiederum auch ein Beispiel aus dem Bereich des Wohnens: Die Anstrengung, „die Zimmer, wo wir unsre Freunde aufnehmen, und die Tafel, an welcher wir sie bewirthen, geschmackvoll auszuputzen, ist weit größer, als das, was uns die Anschaffung der Nahrungsmittel kostet“.19 Er erklärt das Vergnügen an „Farben, Kleidungen und Meublen“ durch die Spezifika der sinnlichen Wahrnehmung. Besser als bei anderen Sinneseindrücken lässt sich der Gesichtssinn durch die Aufmerksamkeit beeinflussen: Länger, fast unmerklich wirken die sinnlichen Eindrücke, so dass genügend Zeit bleibt, diese ausgiebig zu „erforschen“.20 Zudem ermöglicht es die „Sanftheit“ dieser Erfahrungen der Einbildungskraft, unabhängig mit ihnen umzugehen und in einem „freyere[n] Spiel“ als beim Geschmack- oder Geruchssinn zu neuen Gewohnheiten und Bewertungen zu kommen.21 Christian Garves Modebegriff offenbart die Verschränkung der Modediskurse mit dem Diskurskomplex Wohnen. Er identifiziert für die Dynamik der Geselligkeit „den Wunsch nach Verbundenheit und den nach Absonderung“.22 Diese Polarität findet auch im Wohnen, etwa in der Dichotomie von innen und außen ihren Niederschlag.23 Die Wohnung als Teil der Moden ist damit auch für Garve Ausdruck menschlicher Lebensformen. Im Einführungskapitel dieser Arbeit ist bereits der Gedanke von Julius Bernhard von Rohr angeführt worden, dass von der Einrichtung einer Wohnung auf das Gemüt zu schließen ist. Es handelt sich um eine Vorstellung, die auch Garve für den Bereich der Mode wieder aktualisiert: „Wo Kleidung und Sitten einfach, gleichförmig und weniger veränderlich

16 Ebenda, S. 122. 17 Ebenda. 18 Ebenda, S. 146. 19 Ebenda, S. 147, vgl. ebenda auch S. 235. Vgl. auch vor allem mit Bezug auf Garves Schrift Uiber die Maxime Rochefaucaults Frühsorge: Vom Umgang, S. 75f. 20 Garve: Über die Moden, S. 148f. 21 Ebenda, S. 149f. 22 Göttert: Kommunikationsideale, S. 152. 23 Vgl. z.B. Selle: Innen und außen.

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sind: da herrscht sicher unter den Bürgern Ernsthaftigkeit des Charakters, und ein gewisser Geist der Gleichheit; aber auch vielleicht weniger Geselligkeit, und weniger Industrie.“24 Einzelpersonen wie Gelehrte können sich jedoch auch als unkundig in Modefragen erweisen und auf diese Weise erkennbar werden,25 wenn zum Beispiel die Regeln „für die Anordnung der Zimmer“ nicht beachtet werden.26 Ein weiterer anthropologisch bestimmter Faktor der Moden ist der Trieb des Menschen zur Nachahmung: Dieser strebe einer von ihm wahrnehmbaren, sozial übergeordneten Person nach; besonders produktiv sei daher die Ausbildung von Moden zur Zeit einer moderaten Monarchie, in der viele gesellschaftliche Stufen anzutreffen sind.27 Wegen der hohen Kosten für die Ausstattung der Wohnräume und ihre lange Haltbarkeit lässt sich jedoch insbesondere in weniger wohlhabenden Haushalten eine modische Veränderung trotz „Neuerungssucht“ seltener realisieren.28 Der Nachahmungstrieb offenbart aber auch eine der wichtigsten negativen Seiten der Moden: Die Begierde der Nachahmung kann niemals endgültig gestillt werden. Entdeckt man ein „geschmackvolleres oder bequemeres Meubel“, wird man „lüstern und unruhig“ oder – so Christian Garve – man wird bald nach der Renovierung seines Hauses ein weiteres finden, das bereits neuer, modischer ausgestaltet ist.29 Dieser Prozess lässt sich nicht aufhalten und das Bürgertum ist dafür besonders anfällig: „Kein Stand aber ist, dem der Hang zum Modischen so sehr schadet, und bey welchem dieser Luxus dem Glücke und der Ruhe der Menschen so gefährlich wird, als der Mittel- oder der gute Bürgerstand.“30 Es ist vor allem das Streben des Bürgertums nach galanten Umgangsformen und adligem Luxus, das Garve problematisiert. In den „Haupstädten Europens“ nähert sich das wohlhabende Bürgertum dem Adel zwar bezüglich der Kleidung und der Möbel an, in den spezifischen „Regeln der Höflichkeit“ gibt es jedoch große Differenzen.31 Die Ursache liegt dafür auch in der abweichenden Soziali-

24 Garve: Über die Moden, S. 218. 25 Vgl. Schulz in seiner Darstellung über Garve: Der Typus Gelehrte habe ein Problem im gesellschaftlichen Verkehr mit dem Adel durch den „Mangel an äußerer geselliger Kultur, an Geschmack“; Schulz: Bürgertum und Bürgerlichkeit, S. 259. 26 Garve: Über die Moden, S. 233. 27 Ebenda, S. 126. 28 Ebenda, S. 174. 29 Ebenda, S. 229f. 30 Ebenda, S. 239. 31 Ebenda, S. 179.

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sation: Der Bürger kann Luxus und adlige Wohnweisen erst sukzessiv kennen lernen, „stufenweise also staffirt er sich und seine Haushaltung aus“, und die „Spuren des ersten Zustandes“ halten stets die Erinnerung an die Veränderung wach.32 Garve betont daher bei aller Zugewandtheit zu den Fragen der Mode, dass die Standesgrenzen in den Moden nicht aufgehoben werden dürfen, vielmehr müsse maßvoll die „Mittelstraße“ beschritten werden und weder dem Alten noch dem Neuen der alleinige Vorzug gegeben werden.33 Garve erneuert damit die Empfehlung, die bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Moralischen Wochenschriften im deutschen Sprachraum ausgegeben haben. Der Umgang mit den Gütern des Lebens, aber auch speziell mit den Moden muss vernunftvoll erfolgen, ein ausgewogener Umgang mit den Moden ist dabei speziell für den Bürger, der in der gesellschaftlichen Mitte steht, der richtige, tugendhafte Weg.34 Zu den moralisch als negativ anzusehenden Folgen der Moden zählt schließlich Garve die Möglichkeit, dass ein Mitglied aus dem „bürgerlichen Mittelstande“ zu sehr nach Höherem und unstandesgemäßem Luxus strebt, obgleich ihm die notwendige „Muße“ hierfür fehlt und er damit sein eigentliches Erwerbsleben vernachlässigen muss;35 schlussendlich bereite er mit einem derartigen Streben „der Seinigen Verderben vor“.36 Das (bürgerliche) Wohnen wird damit auch zum Schauplatz moralischer Integrität. Bemerkenswert an Garves Mode-Abhandlung ist weiterhin, dass er die Zeichen der Moden mit dem Zeichensystem der Sprache integrierend vergleicht. Garve betont das arbiträre Verhältnis zwischen Zeichen und Bezeichnetem der Sprache.37 Bei der Entstehung der Sprache wird diese Beziehung konventionell festgelegt, der „Erfinder der Wohlstandssprache“ jedoch kann lediglich „w ä h l e n “: Er „wandte nur die schon allen verständlichen und von allen angenommenen Zeichen, in einer neuen Combination, zum Ausdrucke der Freundlichkeit, der bürgerlichen Achtung, oder der Ehrerbiethung gegen andre an“.38 Insbeson-

32 Ebenda, S. 241. 33 Ebenda, S. 272. Vgl. auch Priester: Garve als Theoretiker der Moden, S. 582. Außerdem zum Begriff ‚Bürger‘ bei Garve vgl. Schulz: Bürgertum und Bürgerlichkeit, z.B. S. 256f; sowie Vierhaus: Theorie des Umgangs, S. 544f. 34 Vgl. Martens: Botschaft der Tugend, S. 317, S. 322. 35 Garve: Über die Moden, S. 242. 36 Ebenda, S. 243. 37 Vgl. Priester: Garve als Theoretiker der Moden, S. 584f. 38 Garve: Über die Moden, S. 205. Anzumerken ist jedoch, dass trotz des Ausdrucks „Erfinder“ Garve keine naive Vorstellung von der Sprachentstehung hat, sondern von einem generationalen Prozess ausgeht, vgl. ebenda, S. 204.

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dere in der wohlhabenden Gesellschaft wird die Mode damit zu einer „Art von Sprache“ entwickelt.39 Eine solche Modesprache jedoch ist vor allem bezüglich einer „Geberdensprache“ bzw. der „Fo r me l n der Höflichkeit“ nicht so sehr auf streng willkürlich festgelegte Konventionen angewiesen, da es sich nunmehr um „natürliche“ oder „bekannte Zeichen“ handle. Daraus ergibt sich die Möglichkeit der Variation des modischen Umgangs durch Zufall oder Absicht, ohne dass das Ziel zu gefallen verloren ginge.40 Auf den Bereich des Wohnens lässt sich dies analog übertragen, da ja auch die Art und Weise des Wohnens und der Wohnraumgestaltung dem Zweck des Reizes, des Gefallens und damit einer sozial angenehmen wie erfolgreichen Kommunikation dienen soll. Der Popularphilosoph Christian Garve ist mit seiner Schrift Vorreiter in Deutschland41 und er hat so einen besonderen Einfluss auf die Etablierung eines entsprechenden Verständnisses von Moden in der bürgerlichen Gesellschaft am Ende des 18. Jahrhunderts. Nicht nur, dass er das Wohnen ganz selbstverständlich zum Bereich der Moden zählt,42 er schreibt damit dem Wohnen zeichentheoretisch wie auch differential- und sozialpsychologisch komplexe Funktionen zu. Nicht unbedingt weniger vielschichtig in ihrer sprachlichen Ausgestaltung, aber praktischer orientiert sind die meisten Berichte und Erörterungen in den Modezeitschriften und Journalen des späten 18. Jahrhunderts, die im Folgenden näher zu untersuchen sind. Im Journal des Luxus und der Moden, das (mit Variationen im Titel) zwischen 1786 und 1827 erschienen und vor allem von Friedrich Justin Bertuch geprägt worden ist,43 schreibt dieser in der Einleitung des ersten Heftes gemeinsam mit Georg Melchior Kraus: „[Der] W u n s c h z u g e f a l l e n , und sich a u s z u z e i c h n e n , ist der Geist, der mit dem Grundstoffe der menschlichen Natur bey allen Völkern der Erde innigst verwebt ist. Nur Materie und Zeichen sind verschieden. Je reicher und verfeinerter eine aufgeklärte Nation

39 Ebenda, S. 202. Vgl. dazu auch die Ausführungen zu Roland Barthes auf S. 27 dieser Arbeit. 40 Garve: Über die Moden, S. 206. 41 Vgl. Arburg: Alles Fassade, S. 254f. 42 Vgl. auch den Artikel über die Mode in Zedlers Universal-Lexicon. Vgl. S. 26 dieser Arbeit. 43 Vgl. auch die Gegenüberstellung von Bertuchs und Garves Anliegen bei Bertschik: Mode und Moderne, S. 38f.

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ist, desto bequemer, schöner, geschmackvoller und mannigfältiger sind auch ihre Moden.“44

Durch ihre Bezugnahme auf das Streben zu gefallen greifen sie auf identische anthropologische Annahmen in der Bestimmung des Modebegriffs zurück wie Christian Garve. Ebenso ist die angenommene Beziehung zwischen dem kulturellen Zustand einer Nation und dessen Originalität in der Mode ein Gedanke, der ähnlich bei Garve festzustellen war. Von besonderem Interesse ist in dem hier verfolgten Zusammenhang aber, dass sie auch das Wohnen explizit in den Kontext der Moden setzen. Das Journal, das auch als schnelllebiges Medium den Moden besonders gerecht wird,45 will sich folgenden gegenständlichen Themen widmen: „1) weibliche und männliche Kleidung; 2) Putz; 3) Schmuck; 4) Nippes; 5) Ammeublement; 6) alle Arten von Tisch- und Trinkgeschirre, als: Silber, Porzellan und Glas; 7) Equipage, sowohl Wagen als Pferdezeug und Livreen; 8) Häuser- und ZimmerEinrichtung und Verzierung; 9) Gärten- und Landhäuser.“46

Das Journal des Luxus und der Moden geht weiter als Garve, da es sehr konkret die Neuheiten in Bezug auf Wohnungseinrichtungen bzw. Mobiliar vorstellt und damit auch einen ökonomischen Markt bedient. Das Journal war nicht nur im Verkauf ein wirtschaftlicher Erfolg, sondern auch als Antriebsmotor für Bertuchs wirtschaftliche Geschäfte, schließlich konnten Hersteller in den beigefügten Intelligenz-Blättern inserieren und Bertuch stellte sich selbst als Importeur bzw. Vermittler der Modewaren zur Verfügung.47 In der Rubrik ‚Ammeublement‘ berichtet das Journal des Luxus und der Moden regelmäßig über neue Entwicklungen im Bereich der Möbel. Von Anfang an werden definitorische Merkmale normativ gesetzt, wie Möbel idealiter gestaltet sein sollten: „Ein Meuble muß e i n f a c h und s c h ö n von Form, b e q u e m und z w e c k mä ß i g zum Gebrauch, d a u e rh a f t und s a u b e r ge a rb e i t e t , und gu t

44 Georg Melchior Kraus/Friedrich Justin Bertuch: Einleitung. – In: Journal des Luxus und der Moden [eigentlich: Journal der Moden] 1 (1786) Januar, S. 3–16, hier S. 11. 45 Vgl. Borchert/Dressel: Einleitung, S. 14. 46 Georg Melchior Kraus/Friedrich Justin Bertuch: Einleitung. – In: Journal des Luxus und der Moden [eigentlich: Journal der Moden] 1 (1786) Januar, S. 3–16, hier S. 12. Vgl. auch Borchert/Dressel: Einleitung, S. 13. 47 Vgl. Emmrich/Schroeder: Weimarer historische Interieurs, S. 502; sowie Schneider: Geschichts-Schreiber des Luxus, S. 101.

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von Ma t e ri e seyn, wenn man es für vollkommen erkennen soll.“48 Als eines der ersten beschriebenen Möbel gehört dazu ein so genanntes ‚Englisches Canapee‘.49 Eine Auflistung der notwendigen Bestandteile eines Kanapees ist Bestandteil des Textes. Zum Beispiel müsse es über eine gepolsterte Rückenlehne verfügen, „bewegliche Kissen“ jedoch im Gegensatz zur „Causeuse“ bzw. zum „Faulbettechen“ dürfe es nicht haben, da diese „immer erst zurechte gelegt werden müssen, wenn sie ordentlich aussehn soll“ – die Platzierung des Englischen Kanapees im „B e s u c h -Zi m me r“ erfordert eine solche Eleganz.50 Die Ausführungen zu den Eigenschaften des Möbels greifen auf seine Geschichte zurück, um sogleich auch die Funktion festzuschreiben: „Es war nemlich von jeher ein bequemer Sitz, zum vertraulichen Gespräch zweyer Freunde bestimmt […]“.51 Eine Abbildung rundet diesen Möbelexkurs nicht nur ab, sondern es sind gerade die Anschaulichkeit und der praktische Nutzen dieser qualitätsvollen Stiche, die Bertuchs Journal zu seinem großen Erfolg geführt haben.52 1796 widmet sich das Journal des Luxus und der Moden einer ‚DamenBibliothek‘. Die Funktionen dieses Möbels werden einerseits als Teil zeitgenössischer Genderdiskurse fortgeschrieben: Jede Frau mit Bildungshintergrund habe ja Bücher: „zur Unterhaltung und Nahrung ihres Geistes in einsamen Stunden, und kann also, ohne sich das nachtheilige Ansehen zu geben, die gelehrte Frau zu spielen, einen kleinen Bücherschrank in ihrem Zimmer haben, der ihre litterarischen Lieblinge […] in sich faßt.“53

Andererseits wird nicht versäumt, den Schrank exakt zu beschreiben: relative Größe des Unterschranks, Farbe des Vorhangs, Schieber für ein integriertes Lesepult. Die beigegebene Abbildung sowie die kurze technische Erläuterung vermitteln insgesamt einen sehr plastischen Eindruck von dem gewünschten Aussehen der ‚Damen-Bibliothek‘.

48 [Anonym:] Ammeublement. Eine Damen-Bibliothek. – In: Journal des Luxus und der Moden [eigentlich: Journal der Moden] 1 (1786) Januar, S. 28–38, hier S. 29. 49 Vgl. zu diesem Text auch Emmrich/Schroeder: Weimarer historische Interieurs, S. 507. 50 [Anonym:] Ammeublement. – In: Journal des Luxus und der Moden [eigentlich: Journal der Moden] 1 (1786) Februar, S. 84–87, hier S. 85. 51 Ebenda, S. 84. 52 Vgl. z.B. Steiner/Kühn-Stillmark: Bertuch, S. 97f. 53 [Anonym:] Ameublement. – In: Journal des Luxus und der Moden. 11 (1796) Juli, S. 381.

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Eine „Englische Zimmer-Bibliothek, oder großer Studier-Tisch“54 ist 1792 Gegenstand eines Artikels im Journal des Luxus und der Moden. Besonders hervorgehoben wird dessen Multifunktionalität: Einerseits kann dieses Möbel in der Raummitte einer Bibliothek oder eines Lesezimmers aufgestellt werden. Die andere Verwendungsmöglichkeit richtet sich an „Herren“, „die gerne in ihrem Wohnzimmer gelehrte Arbeiten machen, und doch die dabey nöthigen Bücher, die sie aus der Bibliothek herbeygeholt, so wie auch ihre Papiere, Manuscripte, Charten, Plane und Zeichnungen nicht in dem Zimmer frey herumliegen lassen, und ihm dadurch das Anstehen eines Studier-Kobels geben wollen, gebraucht werden“.55

Die zweite Verwendungsart als „bequemer Studier-Tisch“ in einem Wohnzimmer ist deswegen akzeptabel, da die Arbeitsunterlagen verborgen werden können. Detailliert werden daher auch die Ablagemöglichkeiten im Folgenden (mit Bezug auf eine Abbildung) erwähnt und sprachlich präzise beschrieben, zum Beispiel: „mitten dazwischen liegt ein großes l a n ge s S c h u b f a c h welches quer durch den ganzen Tisch geht, zu großen Planen, Rissen, Charten und Kupfern.“56 Die zahlreichen Möbelbeschreibungen verdeutlichen, dass zum Ende des 18. Jahrhunderts Wohnen nicht nur von der Sache als Teil der Modediskurse etabliert ist, sondern inzwischen auch das Sprechen darüber; es werden Möbel und damit auch der Wohnraum mit Worten differenziert beschrieben, hinsichtlich ihrer Form und Ausgestaltung, aber auch hinsichtlich ihrer Funktion. Das letzte Beispiel zeigt dabei, wie selbstverständlich der kulturgeschichtliche Diskurs der Ausdifferenzierung der Räume sprachlich fortgeschrieben wird. Arbeiten wird aus dem Wohnraum gedrängt, und sei es durch die verdeckenden Schubladen und Fächer eines Möbels. Die Sprache ermöglicht dabei die Verständigung und damit die Sicherstellung dieses Prozesses. Es ist daher nicht verwunderlich, wenn nicht nur Möbel, sondern insgesamt Zimmer und schließlich Häuser zum Themenbestand der Mode- und allgemein der Wohndiskurse werden, schließlich ist auch das einzelne Möbel immer in seiner Funktion zum Raum bzw. Haus zu betrachten. Aber nicht nur von Möbeln, sondern auch von der Möblierung und der Ausgestaltung der Zimmer insgesamt wird in den zeitgenössischen Modezeitschrif-

54 [Anonym:] Ameublement. Englische Zimmer-Bibliothek, oder großer Studier-Tisch – In: Journal des Luxus und der Moden 7 (1792) März, S. 153–155, hier S. 153. 55 Ebenda, S. 154 56 Ebenda.

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ten berichtet. Als Beispiel kann ein Text von Johann Christian Hüttner in London und Paris dienen. Auch diese Zeitschrift, die 1798 gegründet wurde, ist ein erfolgreiches Projekt Bertuchs, das er gemeinsam mit Karl August Böttiger gestaltete; später wurde das Journal von Carl Bertuch fortgeführt. Nachrichten über Mode und Gesellschaft aus den beiden europäischen Hauptstädten fanden zwar auch Eingang in das Journal, die Korrespondenzberichte bildeten jedoch den Schwerpunkt, die zudem mit (politischen) Karikaturen bereichert wurden; allerdings wird eher publikumswirksam auf die politischen Dimensionen angespielt, als dass London und Paris eine ‚politische Zeitschrift‘ zu nennen wäre, vor allem berichtete sie nämlich von der städtischen Lebensweise und Kultur.57 Hüttners Bericht, der den Titel Einrichtung und Ameublierung eines Londoner Hauses durch das Beyspiel der Wohnung der Mrs Fitzherbert in Pallmall gezeigt trägt, wird schließlich der Neugier auf das gesellschaftliche Leben mehr als gerecht. Aus Anlass der Versteigerung des Interieurs der Wohnung der Geliebten und – wenn auch nicht vom Königshaus anerkannten – zeitweiligen Ehefrau des späteren englischen Königs George IV. erlangte Hüttner Zutritt zu diesem stadtbekannten Gebäude. Hüttner bemüht sich um eine objektive, nachvollziehbare Schilderung der Pracht dieses herrschaftlichen Hauses. Nach einer äußerlichen Charakterisierung, die die vornehme Lage betont, und der Feststellung, dass es sich zwar eher um ein kleines Haus handelt, „aber dennoch alle Bequemlichkeiten in sich [versammelt], die eine Dame mit einer Bedienung von zehn bis zwölf Personen erfodern kann“,58 betritt der Erzähler mit dem Leser das Haus: Der Eingangsbereich ist „geräumig“ mit „einem Feuerroste für die wartenden Bedienten“, aber auch mit dem Wappen der Bewohnerin versehene Stühle sind vorzufinden.59 Von dieser Position aus beginnt Hüttner seinen erzählerischen Rundgang: Er zeigt den Weg zum Esszimmer, die Wege über die Treppen des Hauses, in die Galerien usw., nicht ohne jeweils räumliche Besonderheiten und die Ausstattung zu benennen. Neben den unbedingt zu erwähnenden Highlights eines solchen Hauses ist auffällig, dass Hüttner Wert darauf legt, das Haus in seiner Vollständigkeit zu beschreiben. Selbstverständlich berücksichtigt er die Räume für den

57 Vgl. Schmidt-Funke: Bürgergesellschaft, S. 207–219, bes. S. 212. Vgl. ebenso zu London und Paris Steiner/Kühn-Stillmark: Bertuch, S. 108–112. 58 J. C. Hüttner: Einrichtung und Ameublirung eines Londoner Hauses durch das Beyspiel der Wohnung der Mrs Fitzherbert in Pallmall gezeigt. – In: London und Paris 5 (1800), S. 10–16, hier S. 11. 59 Ebenda.

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„Thüröffner“ oder „Mundschenken“ in der Nähe des Eingangs.60 Außerdem erfährt der Leser, dass eine weitere Treppe „nach der Attica“ hinaufführt,61 also zu einem aufgesetzten, kleinen Obergeschoss, in dem die Bediensteten ihr Quartier haben. Im Keller wiederum sind „eine große Küche“, „Kohlenkeller, Weinkeller u.s.w.“ anzutreffen.62 Hüttner nimmt das Haus also insgesamt als einen repräsentativen, aber auch ökonomisch und hierarchisch geregelten Organismus wahr, in dem die verschiedenen Raumfunktionen und die Sozialrollen der Bewohner ineinander greifen. Dies ist sicher auch dem Informationsbedürfnis des wohlhabenden bürgerlichen Leserkreises in Deutschland geschuldet, wie ein Haus in höheren, adligen Kreisen zu führen sei. Des Weiteren kann die Hausbeschreibung Hüttners trotz ihrer Informationsdichte, die in einem zweiseitigen Katalog der Gegenstände aus dem „S c h l a f ge m a c h e der Mrs Fitzherbert“ gipfelt,63 die Einbildungskraft des Lesers beflügeln; insofern funktioniert der Text auch als literarischer Bericht: Sprachlich wird dies durch Anspielungen und Vermutungen bezüglich der vormaligen Geschehnisse und Geheimnisse des Hauses realisiert, die nicht mehr objektiv zu berichten sind, jedoch vermeintlich erkennbare oder nicht mehr aufzufindende Spuren hinterlassen haben und zum Beispiel in Gestalt der Möbel zum Ausdruck kommen. Zur einstigen herausragenden Stellung des Hauses heißt es vielsagend: „Es würde sich verlohnt haben, dieses Haus in seinem Glanze zu sehen, etwa an einem Tage, wo Mrs Fitzherbert Gesellschaft hatte. Jetzt war nur ein Theil des Schmuckes zu sehen, nämlich das meiste von dem, was man hier in meublirten Häusern zu finden pflegt.“64 Das Haus kann aber auch ganz andere Geschichten bergen; auch wenn das Gerücht nicht bestätigt werden kann, in seiner Erwähnung wird es fortgesetzt: „Hier [im Keller] herum sollte sich auch ein geheimer Gang befinden, der mit einem nahen Pallaste in Verbindung stand. So sagte ganz London. Da ihn aber niemand gesehen hat, so ist es vermuthlich erdichtet.“65 Schließlich vermögen auch die Möbel die Atmosphäre im Hause von Mrs Fitzherbert anzudeuten. Die Eigenschaften einer großen Ottomane werden jedenfalls sehr anschaulich protokolliert: „Man sank gleichsam ein, wenn man sich

60 Ebenda. 61 Ebenda, S. 12. 62 Ebenda. 63 Ebenda, S. 15f. (Zitat: S. 15). 64 J. C. Hüttner: Einrichtung und Ameublirung eines Londner Hauses durch das Beyspiel der Wohnung der Mrs Fitzherbert in Pallmall gezeigt. – In: London und Paris, 5 (1800), S. 10–16, hier S. 13. 65 Ebenda, S. 12.

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setzte, und die sechs großen Kissen, mit Eyderdunen gefüllt, machten sie zum Sitze der wollüstigsten Gemächlichkeit“, ein Leben, das geradezu in lasterhafter Weise jeder Beschwerlichkeit aus dem Weg geht und das Vergnügen bevorzugt.66 Hüttners Text vereint die verschiedenen Diskurse des Wohnens: Er ruft die Grenzen und Funktionen zwischen den Räumen auf, er begreift das Haus als Lebensraum verschiedener sozialer Schichten, die dabei in einem unterschiedlichen Rahmen Privatheit realisieren, und schließlich erkennt er, wie mit dem Wohnraum immer schon Geschichten und Legenden verknüpft sind und mit seiner Hilfe erinnert werden. Sein Bericht ist damit ein außerliterarisches, aber mit ähnlichen sprachlichen Mitteln arbeitendes Zeugnis für das narrative Potential des Wohnens, wie es in der Literatur zu erwarten ist, und es verdeutlicht, wie präsent das Sprechen im Kontext der Wohndiskurse zum Ende des 18. Jahrhunderts geworden ist. Neben den Modezeitschriften etabliert aber auch die Entstehung von Fachliteratur zum spezifisch bürgerlichen Bauen die sprachliche Auseinandersetzung mit dem Wohnen.67 Die zeitgenössischen architekturtheoretischen Schriften bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts sind sowohl noch von den rationalistisch-mathematischen Zugängen Christian Wolffs als auch von der ständischen Gesellschaftsordnung geprägt: Einerseits wird nun die Funktionalität des Bauens stärker durch ästhetische Kategorien wie die des Geschmacks ersetzt, zum anderen rücken die bisher vernachlässigten bürgerlichen Gebäudetypen in den Fokus des Interesses.68 Sulzer stellt – wie Schütte anmerkt – dennoch fest: „Diejenigen, die über die Baukunst schreiben, versäumen insgemein am meisten, von dem Bau guter Wohnhäuser nöthigen Unterricht zu geben, indem sie hauptsächlich ihr Augenmerk auf Palläste und öffentliche Gebäude richten.“69 Es wird fortan

66 Ebenda, S. 13. Zur Konnotation von ‚wollüstiger Gemächlichkeit‘, die der Wohnerzählung eingeschrieben ist, vgl. auch Zedlers Art. Gemächlichkeit – In: [Zedler:] Universal-Lexicon, Bd. 10 (1735), Sp. 763: „Gemächlichkeit, ist diejenige Beschaffenheit eines wollüstigen Gemüths, da man vor alle dem, was denen äusserlichen Sinnen beschwerlich scheinet, einen Abscheu hat, und demselben zu entgehen suchet.“ Zwar sei die Abneigung gegen Beschwerlichkeiten in Ordnung, doch folgt man wie bei der Gemächlichkeit allein der Sinnlichkeit, kann diese „lasterhaft“ (ebenda) werden. 67 Vgl. zum bürgerliche Bauen Kruft: Architekturtheorie, S. 208. Vgl. grundlegend zur Geschichte des Architekten-Berufs Engelberg: Weder Handwerker noch Ingenieur. 68 Vgl. Schütte: Ordnung und Verzierung, S. 18–21. 69 Art. Haus. – In: Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Bd. 1, S. 524. Vgl. Schütte: Ordnung und Verzierung, S. 20.

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der Blick für die das Wohnen beeinflussenden Faktoren geschärft: zum Beispiel die Notwendigkeit von Hygiene sowie durchdachter Raumplanung. In verschiedenen Ausprägungen und im Rückgriff auf die lange Auseinandersetzung mit den Vorbildern von Vitruv bis Palladio orientieren sich die frühen Schriften zum bürgerlichen Bauen insbesondere an den Eckpfeilern Bequemlichkeit, Festigkeit und Schönheit/Zierlichkeit, die sich wechselseitig auch bedingen; Johann Baptist Izzo fasst dies 1773 in seinen Anfangsgründen der bürgerlichen Baukunst zusammen: „Es muß also jedes Gebäude fest, bequem und schön seyn, und dann wird es erst ein vollkommenes Gebäude genennet werden können.“70 Bequemlichkeit kann dann erreicht werden, wenn der Zweck des Gebäudes erfüllt werden kann. Für das Wohnen ist damit einerseits die Anzahl der Bewohner wichtig und zugleich die räumliche Struktur: Zum Beispiel müssten genügend Öffnungen, etwa Fenster, vorhanden sein, um ein gesundes Bewohnen zu ermöglichen. Die Folgen einer „ungeschickten Anordnung der Theile“ können zur Beeinträchtigung durch das äußerliche Wetter führen, aber auch im Inneren zu Geruchsbelästigung bis hin zu „Müdigkeit“.71 Neben der technischen Kategorie der Festigkeit, die die Voraussetzung zum sinnvollen Bauen überhaupt ist, gehört Schönheit zu einem vollkommenen Gebäude. Schönheit hängt jedoch „nicht vom Geschmacke einzelner Menschen, nicht vom Werthe des Stoffes, nicht von der Menge und Niedlichkeit der Zierate“ ab, sondern vor allem von einer „natürlichen und anständigen Ordnung der Theile“. 72 Es geht in den Bauschriften – wie hier bei Izzo – darum, objektive Kriterien einzuführen, die die Willkür des konkreten Baumeisters einschränken. Im Bereich der „innere[n] Verzierung“ wird die Diskussion auch auf das wohlproportionierte Verhältnis von innen und außen bezogen, wenngleich eine gewisse Abwechslung im Inneren dennoch geboten ist.73 Lorenz Johann Daniel Suckow fordert in seinem Werk Erste Gründe der bürgerlichen Baukunst ebenso Abwechslung in der Ausgestaltung des Inneren: Die Treppe sei unter anderem dann „schöner“ gebaut, wenn sie „aus vermischten Stufen bestehet, […] als eine solche, die aus einförmig gebogenen; und diese schöner, als deren Stufen aus geradlinigten Flächen bestehen“, denn: „D i e S c h ö n h e i t i s t g rö ß e r, w e n n Th e i l e , w e l c h e f ü r s i c h b e t r a c h t e t s c h ö n e s i n d , z u gl e i c h i n i h r e r V e r kn ü p f u n g a b w e c h s e l n .“74

70 Izzo: Anfangsgründe der bürgerlichen Baukunst, S. 6. 71 Ebenda, S. 73. Vgl. auch Kruft: Architekturtheorie, S. 209. 72 Izzo: Anfangsgründe der bürgerlichen Baukunst, S. 113. 73 Ebenda, S. 173. 74 Suckow: Erste Gründe der bürgerlichen Baukunst, S. 130.

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Bei Franz Ludwig von Cancrin wird 1792 in seinen Grundlehren der Bürgerlichen Baukunst – wie zuvor auch in anderen Bauschriften – die aktuelle Raumdifferenzierung des bürgerlichen Wohnens herausgestellt. Zu einem städtischen Bürgerhause zähle demnach unter anderem: „[…] eine B e s u c h s - und Wo h n s t u b e , eine S c h l a f ka m m e r, eine G e s i n d e s t u b e , und dann eine S t u b e f ü r G e s e l l e n u n d d e r gl e i c h e n Le u t e […].“75 Außer den erwähnten Kategorien von Festigkeit, Bequemlichkeit und Schönheit bzw. Zierlichkeit zählt er zusätzlich die ‚zweckmäßige Einrichtung‘ zu den Voraussetzungen eines vollkommenen Gebäudes, durch die er sich damit auch von anderen Bauschriften absetzen möchte: Zu den „Allgemeine[n] Regeln von der zweckmäsigen Einrichtung der Gebäude“ gehört,76 dass insbesondere Wohnhäuser nach den zeitgemäßen Moden einzurichten seien – wie die bereits zu Beginn des Kapitels zitierte Formulierung Cancrins verdeutlicht: „Denn beyde der Geschmack im Bauen, und die Lebensart der Menschen sind eben dem Schicksal unterworfen, das unsere übrigen Moden betrift.“77 Der Zusammenhang zu den bereits erwähnten Modezeitschriften, die zu gleicher Zeit erschienen sind, ist offensichtlich; Mode und Architekturtheorie sind als miteinander verschränkt zu sehen. Besonders augenscheinlich wird eine solche Verschränkung an dem Werk Der bürgerliche Baumeister des Gothaer Amtsverwesers Friedrich Christian Schmidt, das Bertuch im Journal des Luxus und der Moden mehrfach bespricht und in Auszügen (aus der Einleitung) vorab druckt.78 Schmidt möchte mit seinem Werk, das er trotz finanzieller Belastung bewusst besonders reich ausstattet, das Bauwesen auch in ländlicheren Regionen qualitativ stärken und den lokalen Bauherren Empfehlungen vorgeben, so dass die Privatbauten nunmehr nach wohlüberlegten Regeln und Grundsätzen errichtet würden: „mißrathene, geschmacklose und verhunzte Häuser“, wie Bertuch es ausdrückt, sollten in Zukunft vermieden werden.79 Schmidt orientiert sich in seinen Bauempfehlungen

75 Cancrin: Grundlehren der Bürgerlichen Baukunst, S. 127f. 76 Ebenda, S. 57. 77 Ebenda, S.58. Einen Mangel an der Orientierung an aktuellen Moden glaubt Cancrin bei Suckow feststellen zu können, vgl. ebenda, S. 301f. (bezogen auf die 3. Auflage von Suckows Baukunst). 78 In den Folgejahren erscheinen weitere Auszüge und Texte aus und zu den Schriften von Schmidt im Journal des Luxus und der Moden. Zu Schmidt vgl. auch Philipp: Um 1800, S. 145–152. 79 Friedrich Justin Bertuch/Friedrich Christian Schmidt: Der bürgerliche Baumeister, oder, über Regelmäßigkeit, Bequemlichkeit und Eleganz in bürgerlichen Wohngebäu-

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an den neuen Wünschen, die ja auch gerade in der Leserschaft von Bertuchs Journal wiederzufinden sind: „Der Luxus hat sich vermehrt, und mit diesem die Bedürfnisse, welche einen gewissen Raum zu ihrem Aufenthalt brauchen […].“80 Schmidt stellt fest: „schön wohnen zu wollen“ sei nun selbst Mode geworden und glaubt, hierfür die richtigen, vernünftigen Anweisungen zur Verfügung stellen zu können.81 Modern ist auch Schmidts explizite Bezugnahme auf Raumstruktur und Raumfunktion, wodurch einer der wichtigsten Wohndiskurse, der von Privatheit und Öffentlichkeit, seinen Ausdruck findet: Die „Wohnstube“ sei der Hauptteil eines Hauses, da „man den größten Theil des Tages darinne lebt […]“.82 Außerdem muss dieser Raum besonders eingerichtet sein, da er zugleich als Besuchsraum die Schnittstelle von Privatheit- und Öffentlichkeit repräsentiert. Die Wohnstube sei auch deswegen von besonderer Bedeutung, „weil jeder Fremde, welcher ohne vorhergegangene Anmeldung in gewissen Angelegenheiten erscheint, in dieselbe geführt werden muß“.83 Anders verhält es sich mit der Schlafstube. Es ist ein besonderes Charakteristikum der bürgerlichen Gesellschaft, dass das Schlafzimmer zum Ort höchster Intimität und Privatheit wird. Ende des 18. Jahrhunderts ist dies bereits sehr deutlich spürbar. Schmidt vermerkt, dass „fremden Personen […] nicht leicht ein Zutritt dahin gestattet“ wird.84 Auch die Anforderungen an das Kabinett, das mehr der Erholung der Bewohner dient, benötigt „keinen freyen Zugang von außen“, und die sonst gebotene Raumsymmetrie darf ein wenig vernachlässigt werden.85 Ist der Diskurs von Privatheit und Öffentlichkeit bei Schmidt erkennbar, so ist insgesamt der Diskurskomplex Wohnen in seiner Vielschichtigkeit ebenso präsent. Im Kontext nach der Forderung von Regelmäßigkeit und Bequemlichkeit erweiterte Schmidt seine Argumentation mit einem psychologischanthropologischen Argument:

den. – In: Journal des Luxus und der Moden 3 (1788) Oktober, S. 381–401, hier S. 382. 80 Schmidt: Der bürgerliche Baumeister, Teil I, S. 5. 81 Ebenda, S. 8. Vgl. auch Purdy: Modernität, S. 287. 82 Schmidt: Der bürgerliche Baumeister, Teil I, S. 69. 83 Ebenda. 84 Ebenda, S. 72. Im Gegensatz dazu steht bekanntlich das Schlafzimmer am Hof von Versailles. Vgl. Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 65. 85 Schmidt: Der bürgerliche Baumeister, Teil I, S. 75.

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„In vorigen Zeiten nahm man es freylich hierinne nicht so genau, sondern begnügte sich schon mit der Bequemlichkeit von vier Wänden; allein heutiges Tages ist man zu sehr überzeugt, daß die Heiterkeit der Seele gar sehr von einer heitern und zierlichen Wohnung mit abhängt, und verwirft die Sparsamkeit […]. Die Erfordernisse eines Wohnzimmers sind also Bequemlichkeit und Regelmäßigkeit.“86

Der Zusammenhang von Wohnumgebung und der Psyche des Bewohners wird hiermit wie schon bei von Rohr behauptet – und damit im allgemeinen bürgerlichen Verständnis verankert. Der Dialog zwischen Fachliteratur, die die (äußere) Gestaltung von Häusern und Wohnungen bestimmt, und der Modepresse, die die konkreten Produkte, insbesondere Möbel, vorstellt, macht das Wohnen damit zu einem breiten bürgerlichen Thema. Wohnen ist zwar immer schon eine notwendige, aber doch oftmals unbewusste Tätigkeit des Menschen. In der bürgerlichen Gesellschaft am Ende des 18. Jahrhunderts wird das Wohnen neu entdeckt: Man spricht und schreibt darüber und das literarische Potential des Wohnens wird verfügbar.

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IM Z EICHEN DER S EELENKUNDE (Magazin zur Erfahrungsseelenkunde: Einsiedler, gewohnte Räume)

Es ist Karl Philipp Moritz, der in seiner Zeitschrift ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde als ein Lesebuch für Gelehrte und Ungelehrte die Perspektive für psychologisch auffällige Fallgeschichten schärft. Zahlreiche im Magazin publizierte Beiträge öffnen den empirischen Blick auf die – pathologischen, aber auch ‚normalen‘87 – Strukturen der menschlichen Psyche. Der Rückgriff auf erprobte narrative Strukturen innerhalb der Gattung der Fallgeschichten am Ende des 18. Jahrhunderts erleichtert die Vermittlung neuen Wissens, das Teil der Spezialdiskurse (z.B. Medizin) ist, worauf Pethes hinweist:88 „Fallgeschichten sind populär, weil sie ein Genre bereitstellen, in dem Dilettantismus und Spekulation Raum finden. Sie werden einerseits geschrieben, um bestehendes Wissen anwendungsbezogen zu machen (Recht, Pädagogik), andererseits aber auch, um noch

86 Ebenda, S. 69. 87 Vgl. z.B. Pethes: Vom Einzelfall zur Menschheit, S. 78. 88 Vgl. ebenda, S. 73f.

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ungewisses Wissen empirisch zu dokumentieren (Medizin, Psychiatrie) oder eine noch nicht bestehende Wissenschaft vorzubereiten (Erfahrungsseelenkunde, Psychoanalyse).“89

Schließen also die Fallgeschichten mit narrativen Mitteln vom Einzelschicksal auf das Allgemeine, wird damit einerseits eine Normsetzung populär, zugleich aber auch der sich mit dem Inhalt identifizierende Leser ausgelotet.90 Im Folgenden sollen einige Beispiele vorgestellt werden, in denen gerade die Wohnräume und Einrichtungen in Fallgeschichten integriert werden, schließlich kann auch Wohnen als ‚populärer‘ Diskurskomplex aufgefasst werden. Die Fallgeschichten im Magazin zur Erfahrungsseelenkunde verweisen durch die Benennung von Wohnräumen und Einrichtungsgegenständen auf den möglichen Zusammenhang von Psyche und Bewohner, so dass über die vielfältige Beschreibung der Umwelt Einblick in das nicht unmittelbar Zugängliche, die Psyche, zumindest scheinbar möglich wird; Wohnräume werden damit zum narrativen Mittel des Ziels, dem sich gerade auch die Fallgeschichten verschrieben haben: den Blick in das Innere des Seelenlebens.91 Das Verhalten und die Handlungen, der Körper und sein erweiterter Bereich, die Wohnung, werden als Erkenntnisschlüssel der Psyche funktionalisiert. Gert Selle und Jutta Boehe vergleichen eine Wohnung, in die man als Fremder gelangt, mit einer „Bühne“: Man ist „mitten unter vielen Dingen“, „die ihre Geschichte nicht preisgeben. Man weiß nur, auf dieser Bühne werden ständig Aneignungsleistungen vollzogen […]. Erst die Lebensgeschichte macht die Randbeziehungen, besonders die auffälligen Verhältnisse zu den Dingen im Sinne einer Psychologie der Beziehungen von Subjekt und Objekt verständlich.“92

Fallgeschichten erhalten in diesem Sinne einen psychologischen Mehrwert, wenn sie die Biographie mit der Räumlichkeit des Wohnens verknüpfen.

89 Ebenda, S. 86. 90 Vgl. ebenda, S. 86–88 sowie S. 77f. 91 Vgl. auch Johnson zu Moritz’ Fallgeschichten: „Der Körper macht die Bewegungen des Geistes buchstäblich lesbar, d.h. der Körper zeichnet und ist selbst Zeichen, und sein Zeichnen kann folglich dekodiert bzw. entschlüsselt werden. Der Prozess des Protokollierens und der Veröffentlichung von Fallstudien ist folgendermaßen Teil des Dekodierens, Teil der ‚Seelenzeichenkunde‘.“ Johnson: Lesbarkeit des romantischen Körpers, S. 114. 92 Selle/Boehe: Leben mit den schönen Dingen, S. 53.

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Die ersten beiden Fälle aus Moritz’ Magazin, die hier vorgestellt werden sollen, zeigen auf, wie der seelische Rückzug räumlich manifestiert wird und auch im Erzählbericht viel Platz einnimmt. Es sind die Räume der Einsiedler, die ins psychologische Interesse rücken.93 In Der Einsiedler im Stadtgetümmel94 wird über einen geachteten Menschen des 17. Jahrhunderts berichtet; es handelt sich um Heinrich Wilby Esq. aus Lincolnshire, dessen Leben zurückgezogen in London in einem Haus enden wird, in das er sich 24 Jahre „eingesperrt“ hatte: „Bei seinem Tode war sein Haar und sein Bart so lang und dicht gewachsen, daß er einem Einsiedler aus der Wildniß ähnlicher sah, als einem Einwohner der größten Städte in der Welt.“95 In diesem Einsiedelei-Fall wird der Kontrast zwischen Zivilisation und unkontrollierter Natur betont. Der Einsiedler hat sich bewusst dem Städtischen auf Dauer entzogen und die Außengrenze bildet hierbei seine Wohnung. Der Auslöser für den Rückzug in die Wohnung ist ein nur angedeuteter Konflikt mit dessen Bruder: Nachdem Heinrich Wilby Esq. einen Schuss seines Bruders auf ihn überlebt, denkt er zunächst daran, dass es sich lediglich um einen Versuch des Bruders gehandelt habe, ihn zu erschrecken. Doch er stellt fest: In der Waffe waren tatsächlich Kugeln. Diese „Entdeckung“ machte „auf seine Seele solch einen starken Eindruck, daß er auf der Stelle den ausserordentlichen Entschluß faßte, sich völlig von der Welt zu entfernen […]“.96 Die Ausführung dieses Planes wurde ihm möglich durch die Wahl seiner Wohnung, die er selbst ausgestaltet hat: Er richtet „das Haus nach seinen Ideen“ ein und „wählte davon drei Zimmer für sich: das eine zum Speisezimmer, das zweite zur Wohnstube, und das dritte zum Studirzimmer“.97 Seine Zurückgezogenheit gipfelte nicht nur darin, dass er möglichst wenig Personal beschäftigte, sondern dass er auch bei dem Servieren des Essens oder dem Aufräumen des Schlafbereichs sich jeweils in einem benachbarten Zimmer, die „eins in’s andre

93 An der Lebensweise des Einsiedlers zeigt Selle am Beispiel von Montaigne dennoch die strukturelle Beziehung von innen und außen: „Die immer wieder aufgesuchte, selbst gewählte Einsamkeit ist ein Kennzeichen des sich entwickelnden modernen Individuums, aber sie bleibt im Grunde eine Sehnsucht, eine Fiktion.“ Selle: Innen und außen, S. 210. Ergänzend sei hier auch auf eine Studie verwiesen, die den Dachboden als literarisches Motiv untersucht: Rothe-Buddensieg: Spuk im Bürgerhaus. 94 [Anonym:] Der Einsiedler im Stadtgetümmel. – In: Moritz: ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ, Bd. VI (1788), S. 25–28. 95 Ebenda, S. 28. 96 Ebenda, S. 25. 97 Ebenda, 26.

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gingen“,98 aufhielt. Bemerkenswert ist weiterhin folgende Formulierung: „Aus diesen Zimmern kam er von der Zeit an, da er sie bezog, nie wieder heraus, bis er vierzig Jahre hernach auf den Schultern der Leichenträger herausgebracht wurde.“99 Zum einen wird die räumliche Situation durch die ineinander fließenden Räume konzentriert dargestellt, zum anderen wird die erzählte Zeit extrem gerafft, geradezu auf einen Punkt konzentriert – Raum und Zeit fallen in diesem Sinne zusammen. Im Anschluss führt der Erzähler dennoch ein wenig aus, wie der Einsiedler die vielen Jahre im Haus verlebt hat; es folgt somit eine (in diesem Fall: kurze) erzählerische Entfaltung. Trotz der selbst gewählten Eingeschlossenheit des Protagonisten erfährt der Leser dabei, dass dieser durch das Fenster seine Umwelt genau beobachtet, rechtschaffene und bedürftige Nachbarn ausfindig macht und diese mit Wohltaten bedenkt. Er wirkt somit über die Grenzen seiner eigenen Wohnung hinaus – wodurch, nachdem bereits zu Beginn der Fallgeschichte seine allgemeine Angesehenheit betont wurde, seine moralische Integrität erneut herausgestellt wird. Die seltsame Lebensweise als Einsiedler in der Großstadt London wird als fremdartig und exotisch verstanden; seine Haare und sein lang gewachsener Bart, der für die Öffentlichkeit ja erst nach seinem Tode sichtbar sind, werden mit „Wildniß“ assoziiert.100 Es werden somit zwei Perspektiven etabliert: Einerseits schaut der Einsiedler wertend hinaus durch das Fenster, andererseits schaut die Öffentlichkeit ihrerseits kategorisierend – hier wohlwollend, aber dennoch abgrenzend – auf die Einsiedelei, die sie jedoch auch nach dem Tod nicht genau zu bestimmen vermag. Dadurch dass Wilby die Wohnung „nach seinen Ideen“ (s.o.) eingerichtet hat, setzt der Erzähler aber einen expliziten Hinweis auf die Verbindung von Psyche und Wohnform. Hierin liegt auch gerade der Wert für eine psychologische Fallgeschichte: Über die empirisch wahrgenommenen (oder doch zumindest von Hörensagen bekannten) Fakten – also die Wohnumstände – wird versucht, die Persönlichkeit bzw. das Innere des Einsiedlers zu erkennen. Festzuhalten ist an dieser Fallgeschichte, dass erzählter Raum und erzählte Zeit stark verdichtet werden, um als äußere Beschreibungsebene für die Psyche des Bewohners funktionalisiert zu werden. Die vorhergehenden und folgenden Explikationen kann man als tastenden Versuch interpretieren, das wenig äußerlich Erkennbare greifbarer zu machen, ohne dass eine zu große Festlegung des psychologischen Falles erfolgt, was Moritz auch zu vermeiden suchte: Er wollte Fallgeschichten sammeln und räumte selbst die Möglichkeit ein, dass in späterer

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Ebenda.

99

Ebenda.

100 Ebenda, S. 28.

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Zeit eine mehr entwickelte Wissenschaft erst eine plausible Erklärung für (auffälliges) menschlichen Verhaltens liefern würde.101 Wie Wohnen und seine Bedingungen auch in anderen Fällen von psychisch vom Normalen abweichenden Personen in die Fallgeschichten integriert werden, zeigt auch der Fall des Johann Matthias Klug, der im Magazin zur Erfahrungsseelenkunde aufgezeichnet wurde.102 Der Bericht beginnt wiederum mit einer einordnenden Explikation: Klug stammt aus Soest, war unter anderem Sekretär „bei dem Englischen Kommissariat im letzten Kriege“; er gilt zudem als belesen, und als Klug mit sechzig Jahren stirbt, hinterlässt er eine „auserlesene Büchersammlung“.103 Sein Tod ist wiederum ein Ereignis, das in einem Rückzugsraum, einer Dachstube, eintritt. Auslöser für seine selbst gewählte Einsamkeit ist die eigene Vorstellung, dass er ein Buch geschrieben habe, das wider der königlichen „Gesinnungen in Ansehung der Religion“ ist.104 Nach einer Einladung zu einem Spaziergang von einem Freund in einem dichten Wald bei Arolsen vermutet er mit paranoiden Denkmustern einen Hinterhalt: „Er schlägt deswegen diesen Spatziergang nicht allein aus, sondern nimmt davon auch die Veranlassung, niemals wieder Gesellschaft zu suchen, sondern sich fest in seine Stube einzuschließen.“105 Der Berichterstatter legt daher das äußerlich Sichtbare, das Wohnen in der Dachstube, als Ort aus, an den ihn eine irrationale Angst treibt. Kennzeichnend ist dafür, dass er die Dachstube wehrhaft ausstattet, was auch im Detail Erwähnung findet: „Die Thüre war mit eisernen Stangen zugeriegelt: und konnte nur zum Theil aufgemacht werden, weil starke Stricke in die eine Wand und an die Thüre befestiget waren.“106 Aus Angst vor Eindringlingen versperrt er sogar künstlich den Ofen und errichtet sich einen unabhängigen Kachelofen im Zimmer. Die selbst gewählte Dachstuben-Autonomie zeigt sich auch in der Konstruktion eines Nachtstuhls, der mit Ventilen die Gerüche in sich einschließt. Der Erzähler vermutet, dass trotz der Einsamkeit des Bewohners dieser einer Gesellschaft nicht grundsätzlich abgeneigt sei: Ein junger Verwandter zog bis zu sei-

101 Vgl. Schrimpf: Karl Philipp Moritz, S. 36; Pethes: Vom Einzelfall zur Menschheit, S. 73; Meier: Moritz, S. 107; mit Bezug zu Anton Reiser vgl. auch Engel: Roman der Goethezeit I, S. 146; sowie jüngst Raguse: Karl Philipp Moritz, S. 42f. 102 [Anonym:] Einige Nachrichten von dem Leben des seeligen Herrn J o h a n n M a t t h i a s K l u g . – In: Moritz: ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ, Bd. I (1783), S. 11–17. 103 Ebenda, S. 11. 104 Ebenda, S. 12. 105 Ebenda. 106 Ebenda, S. 13.

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nem frühen Tod in die Dachstube ein, da er auf das reiche Erbe hoffen durfte; eine „französische Mademoiselle“, der er zugeneigt war, konnte sich für das Leben unter dem Dach allerdings nicht begeistern.107 Die auffällige Psyche Klugs erschließt sich für den Beobachter allein über sein Verhalten, so dass jedes beobachtbare Detail von Interesse wird, also hier die bemerkenswerte Wohnform. Die Grenzen der Wohnungen werden damit als Grenzen der Psyche nach außen lesbar; in einer Fußnote des Textes heißt es zum Verhältnis von Klug und der Mademoiselle: „Mit dieser Mademoiselle unterredete er sich auch oftmals, indem er alsdann seine Stubenthüre öffnete, und sich ihr präsentirte.“108 Die Dachstube wird auf diese Weise als erzählerisch funktionalisierte Schnittstelle zwischen innen und außen inszeniert und die Fallgeschichte wird nach der anfänglichen Explikation von der Wohnperspektive dominiert. Erst am Ende werden – gemäß der, wie erwähnt, nicht zu abschließenden Wertungen neigenden Gattung Fallgeschichte – vorsichtig mögliche Ursachen für das Verhalten Klugs in dessen Familiengeschichte, in der Melancholie vorgeherrscht haben soll, oder in dessen vorangegangener kopflastiger Arbeit als Sekretär gesehen.109 Die beiden Beispiele verdeutlichen, wie in den Berichten der Ort des Wohnens als Rückzugsraum bzw. Sicherheitszone aufgerufen wird, so dass dieser Wohndiskurs in seiner sprachlichen Konstruktion zum Tragen kommt. Es handelt sich dabei um eine der ältesten Wohnfunktionen überhaupt, die hier als Darstellungsmittel dienen; kulturgeschichtlich einordnend formuliert Gert Selle: „Im Abschließungsbedürfnis unterscheiden wir uns kaum von den Insassen einer frühmittelalterlichen Burg, die aus Sicherheitsgründen die Unbequemlichkeit eines engen Lebens im donjon, im Wohnturm, jeder freieren Form des Siedelns vorzogen (der deutsche Bergfried war unbewohnt). An diesen befestigten Adelssitzen vollzogen sich erste Binnendifferenzierungen des Wohnens, von denen wir heute noch zehren.“110

Eine weitere Fallgeschichte aus dem Magazin zur Erfahrungsseelenkunde – ein Selbstbericht von Marcus Herz,111 Freund und Arzt von Karl Philipp Moritz, über seine Krankheit – soll einen weiteren Diskurs des Wohnkomplexes in narra-

107 Ebenda, S. 15. 108 Ebenda. 109 Vgl. ebenda, S. 16f. 110 Selle: Die eigenen vier Wände, S. 13. 111 Marcus Hertz [sic!]: An Herrn Doktor J.. [sic!] in Königsberg. – In: Moritz: ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ, Bd. I (1783) S. 121–142.

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tiven Strukturen am Ende des 18. Jahrhunderts veranschaulichen: Es geht um die Bindung des Bewohners an seine Wohnumwelt, die wiederum einen Einblick in das Seelenleben und die damit verbundenen Implikationen für die körperliche Gesundheit geben kann. Verbunden ist damit die Gewöhnung und Erinnerung an die Wohnung, die insofern auch für ein individuelles, identitätsstiftendes Erinnern konstitutiv ist. Letzteres wird durch erzählte Erinnerungen an Kindheitserlebnisse deutlich, die ebenfalls im Magazin zur Erfahrungsseelenkunde zu finden sind; diese Beispiele folgen am Ende des Kapitels. Die Geschichte der Krankheit von Marcus Herz ist auch eine Geschichte des Wohnens, da die Wohnung nicht nur Ort der Krankheit ist, sondern auch als Auslöser ihrer Heilung verstanden wird. Für „psychosomatische Wechselphänomene“112 ist der ‚philosophische‘ Arzt Marcus Herz besonders empfänglich, so dass dieser das Wohnen in die Konfiguration zwischen Seele und Körper in seinem Selbstbericht aufnimmt. Er sei an „Faulfieber“ bzw. an einem „Katarrhalfieber“ oder „Nervenfieber“ erkrankt gewesen,113 genau konnten er und seine Kollegen es bis dato nicht klassifizieren, auch nicht als er den Bericht in Form eines Briefes an einen befreundeten „Herrn Doktor J.. in Königsberg“ verfasst.114 Herz habe nur wider Erwarten seine 17 Tage andauernde schwere Erkrankung überstanden. „Ich habe einen von allen Seiten betrachtet schrecklichen Sturm ausgehalten. Die Spitze des Mastes küßte schon die Wellen […]“, schreibt Herz und spinnt sogleich die Schiffsmetaphorik allegorisch fort: „Noch einige Augenblicke, und es wäre geschehn gewesen: und auf einmal heitres Wetter, Windstille […] und erwachend aus der Ohnmacht finde ich mich auf dem Trocknen!“115 Als Auslöser für den Sturm bzw. die Krankheit werden einerseits wiederum eine hohe Belastung durch geistige Arbeit, die Vorbereitung seiner Vorlesungen, aber auch reizvolle „praktische Geschäfte“ sowie die zusätzliche Vertretung seines Schwiegervaters als Arzt nahe gelegt.116 Der Krankheitsverlauf wird im Folgenden sehr ausführlich beschrieben und dies mit der bewussten Verortung innerhalb der Wohnung: Obgleich Herz „noch in der Stube herumging“, war der hinzugezogene Arzt

112 Bezold: Popularphilosophie und Erfahrungsseelenkunde, S. 117. Vgl. auch zu Hintergründen von Herz’ Erkrankung und deren Überlieferung Davies: Erfahrungsseelenkunde, S. 18f. 113 Marcus Hertz: An Herrn Doktor J.. in Königsberg. – In: Moritz: ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ, Bd. I (1783), S. 121–142, hier S. 122. 114 Ebenda, S. 121. 115 Ebenda. 116 Ebenda, S. 123f. (Zitat: S. 123).

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bereits sicher, das Schlimmste annehmen zu müssen.117 Am Tage, bevor die Krankheit die Oberhand über ihn gewinnt, kann er sich in der Wohnung noch frei bewegen: Er geht im Zimmer umher, „bald warf ich mich auf den Sopha, bald stand ich wieder auf; mein drückender Kopfschmerz hielt an“.118 Am folgenden Tag jedoch kann er das Studierzimmer nicht mehr verlassen, so kräftig ergreift ihn die fiebrige Krankheit, dass er dort zunächst provisorisch auf dem Sofa nächtigt. Am nächsten Abend bringt man ihm sein „Gardinenbett aus der Schlafstube“ in das Studierzimme, es wird dort statt des Tisches neben den Bücherschrank platziert; Herz betont „mit Bedacht diese Kleinigkeiten, denn die waren in der Folge meiner Krankheit von vielem Einflusse“.119 Diese Nebenbemerkung von Herz zeugt von der bewussten Integration des Wohnumfeldes in seinen Bericht und er merkt später zusätzlich an, dass es bekannt sei, dass „die erste Nacht in einem fremden Bette oder in einer fremden Stube, selbst im gesunden Zustande, schlaflos und unruhig“ verbracht werde.120 Für ihn ist diese Beobachtung deswegen wichtig, da er seine ausschweifende Einbildungskraft im Verlauf der Krankheit auch darauf zurückführt, dass es einen Wechsel seiner üblichen Schlafstätte gegeben habe. Er konnte sich nämlich – ein klares Bewusstsein verlierend – nicht davon überzeugen, dass er in seiner eigenen Wohnung sei. „Alle Beweißgründe“, seine „Bücher“ und „Kupferstiche“, auf die seine wohlwollenden Pfleger und Freunde hinwiesen, hielt er für „Betrug“.121 Als psychologische Erklärung führt Herz die fehlende Gewöhnung der Seele an die umgebenden Dinge an: Die Seele – was bereits für Gesunde kein leichtes „Geschäft“ sei122 – muss die lebhaften Ideen, die sich durch die Einbildungskraft aufdrängen, unterdrücken und kontrollieren. Das Fehlen der „Vorstellung“ an „gewöhnt[…] Gegenstände“ erschwert der Seele zudem die Bindung der Einbildungskraft.123 Hierdurch sei die unkontrollierte Verkettung von Ideen die Folge, unter der auch Herz litt. Seine „Grundidee“ war seine Vorstellung, aus dem Schlafzimmer weggebracht worden zu sein.124 Für Moritz ist der Krankheitszustand an ein „Ungleichgewicht der Seelenkräfte“125 gebunden:

117 Ebenda, S. 122. 118 Ebenda, S. 125. 119 Ebenda, S. 126. 120 Ebenda, S. 130. 121 Ebenda, S. 129f. 122 Ebenda, S. 130. 123 Ebenda. 124 Ebenda, S. 130. 125 Meier: Moritz, S. 112.

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der Grad der Erregung der Einbildungskraft wirkt auch bei gesunden, stabilen bzw. instabilen Gemütern verschieden. Die psychologische Argumentation von Herz führt automatisch zu der zentralen Bedeutung der Wohnung und damit werden auch für den Fallbericht die Wohndetails elementar. Außerdem ist auffällig, dass diese Denkfigur Verwandtschaft mit der Bedingung für das Bewusstsein vom Wohnen hat, wie es Vilém Flusser und Peter Sloterdijk verstehen. Das Wohnen wird nur dann bewusst bzw. zum Thema, wenn man in ein ungewohntes Wohnumfeld kommt oder Wohnen von außen betrachtet – sich zum Beispiel in einer Kunst-Installation das Wohnen vor Augen führt.126 Auch aus dieser Perspektive wird deutlich, warum die Wohnung für die Fallgeschichte von wesentlicher Bedeutung ist. Im Moment der Krankheit entsteht eine Distanz zur eigenen Wohnung, so dass der Vollzug des Wohnens sich thematisch aufdrängt und psychologische Relevanz beansprucht. Dies wird auch dadurch unterstrichen, dass die Heilung erst möglich wird, als das Wohnen sich als bewusstes Thema zurückzuziehen beginnt. Psychologisch wird dies im vorgestellten Paradigma entsprechend möglich, nachdem die Seele wieder einen neuen Reiz empfängt, der gewohnte Vorstellungen weckt und somit die Seele bei der Bändigung der Einbildungskraft stärkt. Nachdem die Krankheit weiterhin sehr kritisch verläuft, die Hoffnung auf Heilung fast aufgegeben worden ist, gab man Herz’ Wunsch nach, ihn in seine „Lesestube“ zu bringen: „Meine Phantasie lagerte mich gerade diesen Tag in der neuen Friedrichsstrasse auf irgend einen Boden. Als ich auf mein Bitten, man möchte Kutsch und Pferde holen, um mich nach meiner Lesestube zu bringen, von meiner lieben Schwiegermutter die Versicherung erhielt, daß es binnen einigen Stunden geschehen wird, so war ich ausser mir, und versicherte allen: daß ich da ruhig und gesund werde.“127

Der Effekt auf den Gesundheitszustand war durchschlagend, als er in das Zimmer mit einem anderen, frisch aufbereiteten Bett kam: „Mit dem Augenblick änderte sich mein ganzes innres Gefühl“,128 und innerhalb von zehn Minuten fiel

126 Vgl. S. 12–14 dieser Arbeit. 127 Marcus Hertz [sic!]: An Herrn Doktor J.. in Königsberg. – In: Moritz: ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ, Bd. I (1783) S. 121–142, S. 139. 128 Ebenda. Vgl. auch Roland Barthes, der das Bett eines Kranken als „stärkste, am intensivsten erlebte, oftmals bestorganisierte Proxemie“ (Barthes: Wie zusammen leben, S. 187) beschreibt. ‚Proxemie‘ ist für Barthes ein „Mikroraum“, „der dem sonst unbewegten Körper in Reichweite liegt“ (ebenda, S. 185). Vgl. Ankele: Be-

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er in einen entspannten Schlaf – von da erholte er sich stetig und wurde wieder vollkommen gesund. Es scheint so, dass durch den Wechsel in die Lesestube, „wo Wolfs und Neutons Bildnisse hängen“,129 die Einbildungskraft durch erwartete und gewohnte Eindrücke gedämpft wird und Erholung möglich wird. Die Umgebung tritt nun in der Wahrnehmung des Kranken ins Unbewusste zurück, so dass ein kontrolliertes Bewusstsein wieder möglich wird. Gerade schlafend vollzieht sich das Wohnen in einer besonders basalen Art, wie Walter Seitter zuspitzt: „Wo man schläft, da wohnt man.“130 Die Krankheitsgeschichte von Marcus Herz endet somit in diesem Sinne mit dem geglückten ‚Wiedereinzug‘ in die eigene Wohnung. Bindung und Gewöhnung an die Wohnumwelt wird damit als Teil des Diskurskomplexes Wohnen in die Erzählstruktur der Fallgeschichte von Marcus Herz eingebunden. Um die fortgesetzte Metapher zu Beginn des Briefberichtes ebenfalls fortzuschreiben: Das Meer ist wieder ruhig und ausglichen: genauso die Seelenkräfte, um deren Harmonie der ‚moralische Arzt‘ im Sinne Moritz’ sich zu bemühen hat.131 Mit den Diskursen von Privatheit und Öffentlichkeit bzw. mit dem Rückzug in die eigene Wohnung sowie der psychologischen Herausstellung der Bedeutung von Nähe und Entfernung zu der ,gewohnten‘ Wohnung schließt jedoch nicht das Repertoire ab, inwieweit Wohnen zum Bestandteil der Berichte im Magazin zur Erfahrungsseelenkunde wird und damit auch Erzählstrukturen anbahnen, wie sie in (späteren) Literaturen präsent sind. Es seien zwei weitere Typen kurz skizziert: In Moritz’ Magazin werden auch erzählte Kindheitserinnerung an räumliche Erlebnisse geknüpft: Zum Beispiel die Erinnerung an einen Schrank im Nachbarhaus, der dem erwachsenen Ich-Erzähler in der Rückschau „so ungeheuer groß vorkam, daß ich glaubte, es müßten nothwendig Menschen darinn wohnen […]“.132 Diese Beobachtungen werden in Überlegungen integriert, in denen dargelegt wird, wie und welche Erinnerungen der Kindheit erhalten bleiben. Die kleinen, oft nicht wahrgenommenen Dinge der Wohnumwelt

grenzter Raum, S. 21f. Mit dem frischen Bett erreicht – so könnte man sagen – Herz eine neue, von ihm akzeptierte und daher heilsame proxemische Zone. 129 Marcus Hertz [sic!]: An Herrn Doktor J.. in Königsberg. – In: Moritz: ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ, Bd. I (1783) S. 121–142, S. 139. 130 Seitter: Möbel als Medien, S. 183. 131 Vgl. Meier: Moritz, S. 112f. 132 M.[oritz]: E r i n n e r u n g e n aus den frühesten Jahren der Kindheit. – In: Moritz: ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ, Bd. I (1783), S. 50–54, hier S. 52. Vgl. ergänzend Schreiber: Pressing Matters, S. 151f. Vgl. auch Wingertszahn: Kommentarband, S. 597f.

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scheinen in diesen Berichten einen festen Platz zu haben,133 sie gehören als Speicher für Geschichten und Medien der Figurencharakterisierung in literarischen Texten zu verbreiteten narrativen Mitteln. Man denke etwa an Fontanes berühmte Schaukel in Effi Briest und in dem autobiographischen Werk Meine Kinderjahre.134 Für psychologische Fallgeschichten sind natürlich auch Träume und Nachtwandler von besonderer Bedeutung, die so ihren Platz im Magazin zur Erfahrungsseelenkunde gefunden haben: Zum Beispiel wird über den nächtlichen Gang von Johann Baptist Negretti – er sei der „seltsamste Nachtwandler, den man noch gefunden hat“ – durch das Haus berichtet.135 Von der diskursiven Zugänglichkeit der Textgattung Fallgeschichte wird auch der Diskurskomplex Wohnen positiv ‚angesprochen‘, der sich in ihr komplex entfalten kann. Da es – wie bereits erwähnt – eine Eigenschaft der Gattung Fallgeschichte ist, Wissen aus verschiedenen Spezialdiskursen zu popularisieren, verbindet sie diese integrierende Struktur in literaturtheoretischer Hinsicht mit Literatur als Interdiskurs. Auch vor dem Hintergrund einer solchen Strukturparallele ist das Wohnen hinsichtlich seiner möglichen narrativen Funktionalisierungen in literarischen Texten ein ertragreiches Untersuchungsfeld.

2.3 U NBEHAUSTE P SYCHE : E INE W OHNGESCHICHTE (Moritz: Anton Reiser) Die wohl umfangreichste Fallgeschichte von Moritz ist bekanntlich seine eigene, niedergeschrieben als Roman Anton Reiser.136 Im Folgenden wird zu zeigen sein, wie ähnlich bei den teils zeitgleich entstandenen Artikeln in Moritz’ Magazin das Thema Wohnen im Roman eine zentrale Rolle spielt und zu einer zentralen Vermittlungsinstanz wird, das Innenleben bzw. die Figurenpsyche darzustellen.

133 Weitere Beispiele finden sich hier: Fischer: Erinnerungen aus den ersten Jahren der Kindheit. – In: Moritz: ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ, Bd. I (1783), S. 148–156; sowie: [Anonym:] Erinnerungen, aus den ersten Jahren der Kindheit. – In: Moritz: ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ, Bd. III (1785), S. 223–226. 134 Vgl. Fontane: Werke, Schriften und Briefe, Abt. III, Bd. 4, S. 41f., und den Kommentar, S. 1080 (Meine Kinderjahre); sowie ebenda, Abt. I, Bd. 4, S. 7 und S. 281 (Effi Briest). Vgl. auch den Vortrag von Campanile: Wahrnehmung und Metaphorik von Innen-Räumen. 135 [Pockels:] Psychologische Bemerkungen über Träume und Nachtwandler. Fortsetzung. – In: Moritz: ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ, Bd. VII (1789), S. 140–164, hier S. 148. 136 Vgl. z.B. Wingertszahn: Kommentarband, S. 594–601.

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Außerdem ist bei Moritz zu berücksichtigen, dass er sich mit den zeitgenössischen Architekturdiskursen auseinandergesetzt und Fragen nach Geschmack und Ästhetik auf die Ornamentik übertragen hat.137 Im Zusammenhang mit den Wohndiskursen ist die Formulierung zu Beginn seiner Abhandlung Vorbegriffe zu einer Theorie der Ornamente (1793) aufschlussreich: „Der Mensch will in einem Gebäude nicht nur mit Wohlgefallen wohnen – er will es auch mit Wohlgefallen ansehen – und es arbeiten für die Nahrung des Auges fast eben so viele Hände als für die Ernährung des Körpers.“138 Wenn Moritz etwa die Wellenform für Möbel (wie im Barock typisch) ablehnt, weil die Verknüpfung von Form und Gegenstand widersinnig sei,139 stellt er damit aber auch den prinzipiellen Einfluss des Gebäudes bzw. allgemein der Wohnung für den Bewohner und sein „Wohlgefallen“ heraus. Die angemessen gewählte Ornamentik wird damit zum wesentlichen Bestandteil der Baukunst (und des Wohnens).140 Der „psychologische Roman“ Anton Reiser erforscht die „innere Geschichte des Menschen“ am Beispiel der Figur Anton Reisers.141 Dieser Geschichte soll im Folgenden nachgegangen werden; die Textchronologie wird dabei im Wesentlichen beizubehalten sein, da der Roman selbst gerade die Entwicklung der Seele ausmisst und damit in eben dieser Weise auch die innere Geschichte des Wohnens erzählt. Moritz’ Roman zeichnet sich im Gegensatz zur zeitgenössischen Erwartungshaltung an die Romangattung mit einer „Aufwertung des Alltags gegenüber dem Abenteuer“ und einer „Mikrologie des Individuellen gegenüber der expansiven Vielfalt“ aus.142 So kann sich im Anton Reiser die Perspektive auf die Alltäglichkeit der Wohnung programmatisch öffnen.143 Die Wohngeschichte Antons wird im Folgenden gegliedert in seine Braunschweiger Zeit im Hause Lobensteins, sein bedrückendes Leben zwischen den Freitischen in Hannover, seinen Aufstieg und Abschied aus Hannover und schließlich sein scheiterndes Wohnen in Erfurt.

137 Vgl. dazu Bisky: Poesie der Baukunst, S. 68. 138 Moritz: Vorbegriffe zu einer Theorie der Ornamente, S. 4. 139 Vgl. Kruft: Einführung, S. 14. 140 Vgl. Franke: Bausteine für eine Theorie ornamentaler Kunst, S. 95. 141 Moritz: Werke, Bd. 1, S. 86. 142 Müller: Moritz: Anton Reiser, S. 261. Vgl. ebenda, S. 278; zur „Wertschätzung des Details“ Engel: Roman der Goethezeit I, S. 147. Zum Autobiographischen des Romans vgl. Esselborn: Der gespaltene Autor. Zu den erinnerten Bezügen auf tatsächliche Wohnhäuser von Moritz vgl. Wingertszahn: Kommentarband, S. 597f. 143 Zu den bevorzugten Motiven von Moritz gehört „das des wohnlichen Hauses“, wie Christof Wingertszahn anmerkt, vgl. Wingertszahn: Kommentarband, S. 598.

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Wenn im ersten Teil des Romans der Erzähler die frühen Kindheitserinnerungen des Protagonisten in einer Digressio darlegt, offenbart sich bereits die fundamentale Bedeutung des Wohnens als Instrument des Ausdrucks der Gefühle, die dem Kind Anton zugeschrieben werden: „Wenn oft der Himmel umwölkt, und der Horizont kleiner war, fühlte er eine Art von Bangigkeit, daß die ganze Welt wiederum mit eben so einer Decke umschlossen sei, wie die Stube, worin er wohnte, und wenn er dann mit seinen Gedanken über diese gewölbte Decke hinausging, so kam ihm diese Welt an sich viel zu klein vor, und es deuchte ihm, als müsse sie wiederum in einer andern eingeschlossen sein, und das immer so fort.“144

Der Wohnraum wird damit als symbolischer Raum für den inneren Gemütszustand der Figur bereits zu Beginn des Romans explizit eingeführt, so dass Antons erzählte Wohngeschichte immer auch als Verweis auf sein Innenleben zu deuten ist. Insofern ist Antons Wohnung immer auch seine Welt ‚en miniature‘. Als Anton wieder auf die öffentliche Schule gehen muss, also sein privater Lateinunterricht abgesetzt worden ist, trifft dies den ehrgeizigen wie sensiblen Jungen sehr, schließlich hat er sich bereits ein Studium fest vorgenommen. Vorerst scheint der Beginn seiner Arbeit als bloßer Lehrjunge beim Hutmacher Lobenstein in Braunschweig sein Schicksal zu beschließen: Wie ein immerwährender Stachel muss ihm daher der Blick aus dem Handwerker-Haus vorgekommen sein: „Dem Hause des Hutmachers grade gegenüber war eine lateinische Schule, die Anton zu besuchen vergeblich gehofft hatte […] und wenn er gar etwa vor der großen Martinsschule vorbeiging, und die erwachsenen Schüler herauskommen sahe, so hätte er alles darum gegeben, dies Heiligtum nur einmal inwendig betrachten zu können.“145

Statt akademischer Ausbildung arbeitet und lebt er im Hause Lobensteins jenseits der (bildungs-)bürgerlichen Welt, in der ein anderes Verhältnis von Arbeiten und Wohnen bzw. freier Zeit sich durchzusetzen beginnt. Der Sonntag habe daher „für den Handwerksmann“ eine Bedeutung, die „den höheren Klassen von Menschen unbekannt“ ist.146 Auch räumlich ist Anton also weit entfernt, seinen eigenen bildungsbürgerlichen Ansprüchen zu genügen.

144 Moritz: Werke, Bd. 1, S. 113. Vgl. zum Verhältnis von Enge und der „Eigendynamik der Vorstellungskraft“ hier auch Müller: Die kranke Seele, S. 370. 145 Moritz: Werke, Bd. 1, S. 132. 146 Ebenda, S. 131.

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Der verbleibende Wohnraum wird zudem von der quietistisch-pietistischen Schwärmerei von Lobenstein in Anspruch genommen, der darüber hinaus das religiöse Arbeitsethos für sein Geschäft zu nutzen weiß, wenn er seine Handwerker mit religiösen Argumenten zur Arbeit nötigt.147 Höhepunkt von Antons Stellung ist der Einzug in Lobensteins Zimmer; dieser ist Hypochonder und leidet unter „Visionen“ und „Ahndungen“.148 Mit der Charakterisierung von Lobenstein sind damit auch wieder typische Themen aus Moritz’ Magazin zur Erfahrungsseelenkunde aufgerufen: Leopold Friedrich Günther von Goekingk berichtet dort etwa über sein „Ahndungsungsvermögen“ bzw. über plötzliche Ahndungen bei einem Spaziergang mit seiner Frau in Leipzig: Er werde gleich Bertuch begegnen und tatsächlich kann er weiterführend berichten, dass „Herr Bertuch mit einemmale vor uns stand, ob ich gleich weder wußte noch vermuthet hatte, daß er in Leipzig sey“.149 Im Anton Reiser verspricht sich Lobenstein durch die Anwesenheit Antons Sicherheit und Kontrolle über seine Gedanken und Vorstellungen. Morgens fragt er Anton dementsprechend, ob in der Nacht niemand in die Schlafkammer gekommen sei. Er befürchtet, eine ehemalige, verstorbene Mieterin würde ihn nächtens besuchen.150 So wenig Sicherheit die eigene Schlafkammer Lobenstein bereiten mag, so ist dieser Raum auch für Anton zwiespältig: Mit dem Einzug Antons in den Privatbereich seines Meisters erfährt er zwar einige Sonderbehandlungen. Von den schwersten Aufgaben bleibt er verschont oder er darf sich mit Lobenstein, der wie seine Eltern von dem Quietisten Fleischbein beeinflusst wird, abends in religiöse Gespräche vertiefen. Das laute abendliche Gebet wird für Anton aber zu einer Übung, deren Zweck nunmehr nur noch dem Wohlgefallen Lobensteins dienen soll. Die privilegierte Wohnsituation und Stellung im Haus korrespondiert somit mit einer von Anton bewusst äußerlich aufgesetzten Religionspraxis. Außerhalb des Zimmers, „in irgend einem Winkel der Werkstatt“, konnte er jedoch alleine, auf sich selbst bezogen im stillen Gebet, Gott bitten, er möge in ihm doch auch die „Veränderungen in seiner Seele hervorbringen“, von denen er während seiner religiösen Erziehung als Kind so viel gelesen und gehört hat.151

147 Vgl. Martens: Nachwort, S. 555. 148 Moritz: Werke, Bd. 1, S. 134. 149 Goekingk: Noch etwas über Ahndungsvermögen. – In: Moritz: ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ, Bd. II (1784), S. 285–288, hier S. 286. Die Debatte über Ahndungen bzw. Parapsychologie wird auch zu einem Konflikt zwischen Moritz und Carl Friedrich Pockels. Vgl. hierzu Meier: Moritz, S. 115f. 150 Vgl. Moritz: Werke, Bd. 1, S. 134f. 151 Ebenda, S. 135.

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Seine Einbildungskraft sorgt schließlich auch dafür, dass er die eine oder andere Veränderung an sich wahrzunehmen glaubt, über die er sich mit Lobenstein und auch brieflich mit Fleischbein auseinandersetzt. Hierdurch wird die kindliche Eitelkeit von Anton sehr genährt, die im Romanverlauf immer wieder abwechselnd Kränkungen und Bestätigungen erfahren wird.152 Als Anton jedoch zunehmend – angeheizt von seinen herabgesetzten Kollegen – bei Lobenstein in Misskredit gerät, muss er dessen Kammer wieder verlassen. Die Raumgrenzen werden nun als machtvoller Ausdruck des Missfallens etabliert. Die Wohnsituation in Lobensteins Kammer drückt zwar zunächst einen positiven Zustand aus, jedoch ist ihr schon durch die geheuchelte Frömmigkeit Antons in diesem Raum sowie die dortigen Angstzustände Lobensteins eine deutliche Fragilität eingeschrieben. Mit der Abneigung Lobensteins gegenüber Anton sowie der auch räumlich vollzogenen Ausgrenzung wird Antons Unbehaustheit nochmals Thema. Inwiefern Anton in Braunschweig insgesamt nicht heimisch wird, wird anhand der Schilderungen und – wiederum im Stile des Magazins zur Erfahrungsseelenkunde – mittels der psychologischen Erklärungen des Erzählers über die „Idee des Orts“ erkennbar.153 Insbesondere Kinder könnten noch nicht gut zwischen Traum- und Wachzustand unterscheiden, wenn sie den Wohnort wechseln. Die tagtäglichen Eindrücke müssten an Gewohntes angebunden werden können, ansonsten erscheint das Erlebte nicht als verifiziert und gleichsam als Traum. Daher – so der diagnostizierende Erzähler – habe Anton zu Beginn seiner Braunschweiger Zeit immer geglaubt, er träume. Dieser Effekt wird aber im Laufe des Lebens abgeschwächt; zum Beispiel gleichen sich die „Dächer, Fenster, Türen“154 aus verschiedenen Städten in der Wahrnehmung immer mehr, vor allem wenn man durch Reisen mehr Eindrücke erfahren hat. Die notwendige Verbindung der Eindrücke an einen spezifischen Ort verliert daher an Bedeutung.155

152 Vgl. Martens: Nachwort, S. 566. 153 Moritz: Werke, Bd. 1, S. 160. Vgl. auch Wagner-Egelhaaf: Die Melancholie der Literatur, S. 382f. 154 Moritz: Werke, Bd. 1, S. 160. 155 Vgl. ebenda, S. 159–162. Vgl. auch Wingertszahn, der in diesem Zusammenhang die bevorzugte Perspektive vom Wall auf die vollständige bzw. umgehbare Stadt von Anton Reiser hervorhebt. Dieser veränderte Ort kann dann für einen Moment ermöglichen, insgesamt das eigene Leben zu überschauen. Wingertszahn: Anton Reisers Welt, S. 32. Vgl. auch die Analyse von Brüggemann, der das Spazieren auf dem Wall und den Blick auf die Stadt untersucht, Brüggemann: Das andere Fenster, S. 44–68.

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Für Anton wird das Erkunden von Braunschweig vor diesem Hintergrund zu einem besonderen Reiz, seine Seeleneindrücke zu erweitern. Doch die Verbindung nach Hannover ist fest, so führen Ähnlichkeiten Braunschweigs mit Hannover dortige Erfahrungen unwillkürlich wieder vor Augen. Diese Form der Unbehaustheit (verbunden mit fehlenden intellektuellen Anforderungen, die er bei den Predigten von Pastor Paulmann zu schätzen gelernt hat156) führt schließlich auch dazu, dass er eine Rückkehr nach Hannover ersehnt; wie es auch wenig später kommen wird, nachdem er durch seinen Sturz als schlechtes Omen endgültig nicht mehr im Haus von Lobenstein toleriert wurde. Den Beginn seiner Zeit zwischen den verschiedenen Freitischen markiert die Ankunft von Anton bei seinen Eltern in Hannover,157 die wiederum bereits demonstriert, dass ein dauerhafter Wiedereinzug und eine psychische Stabilisation unwahrscheinlich sind. Die Schilderung der Ankunft bei seinen Eltern wird zum Ausdruck seiner Fremdheit und Entfernung: „[…] und alles war ihm neu – seine Eltern hatten eine andre kleinere und dunklere Wohnung auf einer abgelegenen Straße bezogen – das war ihm alles so fremd, indem er die Treppen hinaufstieg, als ob er da unmöglich zu Hause gehören könne. –“158 Die Wohnung spiegelt unverblümt den unsicheren Zustand seines Lebensweges wider; ein Zustand, der sich in den folgenden Jahren nicht wesentlich ändern wird: Seine Welt wird durch die ihn vor allem psychisch einengende Stube repräsentiert, die er zwar zu verlassen, aber nicht zu entfliehen vermag. Eine neue Wohnung wird sogleich wieder zu seiner neuen begrenzten Welt, die „viel zu klein“ ist.159 Wohn- und Welterfahrung Antons werden damit symbolisch bzw. erzählerisch miteinander verknüpft. Zu Beginn des zweiten Teils des Romans betont das ‚Erzähler-Vorwort‘ die Bedeutung des Alltäglichen für die biographische Entwicklung und erklärt es damit auch zu einem erzählerischen Prinzip von Anton Reiser: „[…] dies künstlich verflochtne Gewebe eines Menschenlebens [besteht] aus einer unendlichen Menge von Kleinigkeiten […], die alle in dieser Verflechtung äußerst wichtig werden, so unbedeutend sie an sich scheinen. – “160 Die Sprache des scheinbar Unbedeutenden und des im Alltag oftmals unbewussten Wohnens wird damit

156 Vgl. ergänzend auch Wingertszahn: Kommentarband, S. 617–619. 157 Es sei hier ergänzend auch auf eine soziale Rekonstruktion der Wohnverhältnisse von Anton Reiser bei seiner Familie in Hannover hingewiesen: Kunte: Anton Reiser aus der Sicht der Sozialisationstheorie, S. 40f. 158 Moritz: Werke, Bd. 1, S. 170. 159 Ebenda, S. 113. Vgl. S. 75 dieser Arbeit. 160 Moritz: Werke, Bd. 1, S. 186.

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zum Thema.161 Und es ist auch zunächst ganz offen eine Wohnungsfrage, die Anton beschäftigt, da er nach dem Wegzug der Eltern aus Hannover eine neue Bleibe benötigt. In dem glücklichen Moment, in dem Anton von dem Stipendium für seine Schulausbildung erfährt, wird er sogleich mit dieser existenziellen Frage konfrontiert.162 Trotz des finanziellen Rückhaltes kann Anton jedoch nicht über das Geld, das angespart werden soll, verfügen. Stattdessen gerät er in eine unmittelbare Abhängigkeit zu verschiedenen Hannoveraner Familien, die ebenso wie seine Eltern aus kleinbürgerlichen bzw. Handwerker-Verhältnissen stammen: Schuster, Oboisten, Seidensticker. Es beginnt die problematische Zeit der Freitische und der Unterkunft als Schläfer in fremden Wohnungen. Die erste Wohnstätte findet er bei dem Oboisten Filter und seiner Ehefrau. Bei der Darstellung des Wohnens in deren Haushalt wird das Wohnen sowohl für das Ehepaar Filter als auch für Anton zum Auslöser und Ausdruck von Unbehagen und seelische Verstimmungen. Das Ehepaar hat in seinem Zusammenleben das Wohnen stark ritualisiert und geordnet, das der Erzähler detailliert vor Augen führt: „Da war nichts, keine Bürste und keine Schere, was nicht seit Jahren seinen bestimmten angewiesenen Platz gehabt hätte. Da war kein Morgen, der anbrach, wo nicht um acht Uhr Kaffee getrunken, und um neun Uhr der Morgensegen gelesen worden wäre […]. Des Abends nach neun Uhr wurde auf eben die Art indem jeder vor seinem Stuhle kniete, auch der Abendsegen aus dem Schmolke gelesen, und dann zu Bette gegangen.“163

Diese zwanzigjährige, „unverbrüchliche Ordnung“164 ist nun unbeabsichtigt durch den Mitbewohner Anton gebrochen worden. Dieser muss aus Ermangelung anderer Räume in der Wohnstube schlafen. Allein durch den morgendlichen „Anblick der Unordnung“165 der Wohnstube gerät das gewohnte Gefüge des Ehepaar Filters ins Wanken. Das beschriebene Problem ist als Teil des Wohndiskurses von Privatheit und Öffentlichkeit zu identifizieren: Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass zum Beispiel der Gothaer Baumeister Schmidt das bürgerliche Diktum formuliert hat, dass die Wohnstube immer so hergerichtet sein sollte, dass Gäste empfangen werden könnten.166 Durch Antons Vereinnah-

161 Vgl. S. 12–14 dieser Arbeit. 162 Vgl. Moritz: Werke, Bd. 1, S. 195f. 163 Ebenda, S. 198. 164 Ebenda. 165 Ebenda, S. 198f. 166 Vgl. Schmidt: Der bürgerliche Baumeister, Teil I, S. 69. Vgl. S. 62f. dieser Arbeit.

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mung dieses halböffentlichen Raums reduziert sich aus dieser Perspektive zumindest temporär die Kommunikationsmöglichkeit des Ehepaars Filter mit der bürgerlichen Außenwelt. Außerdem steht mit der Konsistenz des Wohnens immer auch die Stabilität des eigenen Ichs auf dem Spiel. Versteht man das Wohnen auch als äußeren Ausdruck des Inneren, gerät hier mit dem Wohnen auch die personale Identität ins Wanken. In einem „unübersehbaren Raum von Möglichkeiten“, worunter auch der „physikalische[…]“ Raum zählt, der sich ja auch zum Beispiel als Wohnraum realisiert, ist das „Konstrukt“ Identität „etwas permanent Gefährdetes“.167 Eine solche Gefährdung ist durch Anton in der Wohnung präsent, so dass eine Störung der „Zufriedenheit“ der Gastgeber verständlich wird.168 Moritz spitzt dieses kleine Wohndrama jedoch weiter zu, da die Situation ebenfalls für Anton zum grundsätzlichen Problem wird, da „der Gedanke, lästig zu sein“, ihm so „peinlich“ war, „daß er sich oft kaum zu husten getrauete, wenn er an den Blicken seiner Wohltäter sahe, daß er ihnen im Grunde zur Last war. – Denn er mußte doch seine wenigen Sachen nun irgendwo hinlegen, und wo er sie hinlegte, da störten sie gewissermaßen die Ordnung, weil jeder Fleck hier nun schon einmal bestimmt war.“169

Anton darf nicht klagen, da er andernfalls undankbar erscheinen würde. Die täglichen Freitische verstärken diesen Effekt weiter, da er sich dort jedes Mal den Meinungen und Ansichten anzupassen hat: Die Situation bezüglich „Nahrung und Wohnung“ lässt ihn vielmehr „träge und mißmutig“ werden.170 Der die Psyche Antons analysierende Erzähler stellt fest, dass er als Lehrling bei Lobenstein und als Sohn bei seinen Eltern zumindest „ein gewisses Recht“ gehabt hätte, bei ihnen zu wohnen: „Hier aber war der Stuhl worauf er saß eine Wohltat.“171 Das fehlende Recht auf einen Stuhl wird zum Sinnbild von Antons Lebenslage und seiner prekären Wohnsituation. Walter Seitter zählt zu den medialen Funktionen des Stuhls die „Fixierung des Menschenkörpers“; wenn ein Stuhl erst einmal belastet ist, wird dieser unbeweglich und dient der „Speicherung“ des auf ihm Sitzenden. Eine weitere Funktion des Stuhls, so Seitter, die „Plazierung

167 Straub: Personale und kollektive Identität, S. 95. Vgl. auch S. 28 dieser Arbeit. 168 Moritz: Werke, Bd. 1, S. 198. 169 Ebenda, S. 199. 170 Ebenda, S. 222. 171 Ebenda, S. 199.

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des Menschen“, weise dem Sitzenden eine klare Lokalisierung zu, „in einem Raum und im Verhältnis zu anderen von Menschen besetzten oder unbesetzten Plätzen“.172 Dem jungen Reiser fehlt dieser Ort, was auch erzählerisch durch das bereits erwähnte Zitat explizit wird; in Filters Wohnung sei schließlich „jeder Fleck“ „schon einmal bestimmt“.173 Er wird daher selbst zu dem eigentlichen Möbel – einem Möbel ohne Heimat. Von dieser Perspektive aus wird auch der „angenehme[…] Eindruck“ erklärlich, der auf Antons Seele einwirkt, als er als Chorschüler zu Neujahr in den Hannoveraner Bürgerwohnungen zu Gast ist: „Alsdenn pflegt mancher Hauswirt so höflich zu sein, und die Chorschüler mit Wein oder Kaffee, und Kuchen zu bewirten. Diese Aufnahme in einer warmen Stube nachdem man oft lange in der Kälte gestanden hatte, und die Erfrischungen die einem gereicht wurden, waren eine solche Erquickung, und die Mannigfaltigkeit der Gegenstände, indem man an einem Tage wohl zwanzig und mehr verschiedene häusliche Einrichtungen und Familien in ihren Wohnzimmern versammlet sahe, machte einen so angenehmen Eindruck auf die Seele, daß man diese drei Tage über in einer Art von Entzückung und beständigen Erwartung neuer Scenen schwebte, und sich die Beschwerden der Witterung gern gefallen ließ.“174

Der große Kontrast zwischen dem anscheinend glücklichen, behüteten Familienleben in den Neujahrshäusern und dem eigenen abhängigen Wohnen verdeutlicht Anton wiederum, dass die Welt nicht auf sein eigenes Wohnen beschränkt ist, sondern dass auch andere Formen des Wohnens und andere Arten der Welterfahrung möglich sind. Das Durchbrechen der eigenen „Decke“175 unterbricht nicht das Wohnen, es ermöglicht aber erst ein anderes Wohnen. Anton ist somit einem Wohnungswechsel gar nicht abgeneigt und freut sich darüber, dass Frau Filter von sich aus die Wohnung nach einem Dreivierteljahr kündigt. Die Aussicht auf eine Wohnung ist vielversprechend: Er soll bei dem Rektor Sextroh einziehen. Im Modus seiner bekannten Wechselhaftigkeit der Psyche ist Anton ob der möglichen Aussichten nun wieder übertrieben hoffnungsvoll – „wie sehr schmeichelte dies seiner Eitelkeit!“.176

172 Seitter: Möbel als Medien, S. 181f. Zur Geschichte des Stuhls und seiner Ergonomie vgl. auch Cranz: The Chair. 173 Moritz: Werke, Bd. 1, S. 199. 174 Ebenda, S. 233f. 175 Ebenda, S. 113. Vgl. S. 75 dieser Arbeit. 176 Moritz: Werke, Bd. 1, S. 237.

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Wenn auch seine neue Kammer weit karger eingerichtet und weniger geheizt ist als der Wohnraum des Ehepaars Filter, erreicht er eine neue Form der Unabhängigkeit, da er einen Raum für sich allein bezieht. Die Einrichtung wird detailliert aufgezählt: Es gibt ein (gemietetes) Kopfkissen und Unterbett; ein „altes Klavier, das er hatte, diente ihm statt eines Tisches, dazu hatte er eine kleine Bank aus dem Auditorium des Rektors“. Hinzu kommen Koffer mit seiner „abgetragenen“ Kleidung und „über dem Bette ein kleines Bücherbrett an einem Nagel hängend“ – „das war seine ganze häusliche Einrichtung“, kommentiert der Erzähler.177 Die Nähe zum Rektor, dessen Zuneigung er ersehnt, und die scheinbar unabhängige Wohnlage ist für Anton eine „recht wohl[e]“ Situation.178 Antons Wahrnehmung scheint jedoch noch von den Problemen des vorhergehenden Quartiers gelenkt zu sein, so dass die positiven Eindrücke überwiegen. Die erzählten Details seiner kargen Kammer lassen sich jedoch auch aufgrund ihrer relativen Ausführlichkeit als negative Vorausdeutungen lesen: Die Möbel sind geliehen oder wie das Klavier zweckentfremdet, Antons Scheitern in dem Bemühen um stattliche (Schul-)Kleidung wird im Koffer in das neue Wohnen hineingetragen, und die beschriebene Konstruktion des Bücherbretts an einem Nagel erlaubt auch nicht die Aussicht auf eine besonders stabile Wohn-Zukunft. Als sich ein Schulerfolg und die gewünschte Anerkennung nicht einstellen, lässt sich dies auch anhand seiner Wohnsituation nachvollziehen: Selbstverständlich wird sein Zimmer im Winter nicht geheizt und er soll sich tagsüber in der Gesindestube aufhalten, was er wiederum als Kränkung erlebt. Anton liest zu dieser Zeit immer extensiver und kompensiert seine Leiden durch die Flucht in eine fiktive Welt. Mit dem Geld, das eigentlich für die Finanzierung des Abendbrots gewesen wäre, hat er sich Heinrich Wilhelm von Gerstenbergs Trauerspiel Ugolino ausgeliehen. Außerdem hat er sich „ein Licht gekauft, bei welchem er in seiner kalten Stube, in eine wollene Decke eingehüllt, die halbe Nacht aufsaß, und die Hungerscenen recht lebhaft mitempfinden konnte“.179 Bemerkenswert ist

177 Ebenda, S. 243f. 178 Ebenda, S. 244. 179 Ebenda, S. 255. Lothar Müller betont mehrfach den Einfluss der Lektüre auf Anton und spricht entsprechend von einer „Lektürebiographie“ (Müller: Erziehung der Gefühle, S. 13); an anderer Stelle (Müller: Moritz: Anton Reiser, S. 287): „Das Alte Testament, die antike Mythologie, die Trauerspiele und das christliche Epos sowie die Lyrik liefern seiner Einbildungskraft die Stoffe. Zumal die Literatur des Sturm und Drang macht er zum Material seiner Selbstvergrößerung, die vom moralischen Arzt konsequent in die Prosa des alltäglichen Elends rückübersetzt werden. Anton

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die identifikatorische Lesart der Tragödie: Wie Ugolino und seine Söhne befindet er sich an einem lebensabgewandten, isolierten Ort: diese in einem Hungerturm, er abgeschoben in seiner Kammer, aber auch als Leser aktiv von der Welt sich selbst abgrenzend („er vergaß sich und die Welt“).180 Gerstenberg legt bezeichnenderweise Ugolinos Sohn Francesco kurz vor seinem Tod die Worte in den Mund: „Schon ist’s seiner Wohnung [gemeint ist das Herz] zu groß. So ist deins. Freue dich. Die Gekerkerten sind am Ziele ihrer Freiheit.“181 Mit der Wohnung als Metapher182 für den körperlichen Sitz des Herzens (und damit des Lebens) wird das Wohnen ebenfalls als Begrenzungserfahrung etabliert, das mit dem Gefängnis des Hungerturms im Drama auch außerhalb der Metapher eine Entsprechung hat. Die metaphorische Durchbrechung der Grenzen des Herz-Wohnens führt zur Freiheit. Eine solche Freiheit bietet sich in der Weltflucht aus seiner isolierten Kammer ebenfalls Anton, aber nur im Moment der ästhetischen Erfahrung des Lesens. Äußerlich radikalisiert sich die Trennung von der (fiktiven) wirklichen Welt und seiner imaginierten, die auch mit zunehmender Intensität von seiner Theaterleidenschaft geprägt ist, durch den Umbau seines Zimmers im Haus des Rektors: „Er wäre den Abend nicht aus der Komödie geblieben, hätte es auch kosten mögen, was es gewollt hätte – da er nun zu Hause kam, so wurde die Stube, worin er schlief, geweißt, und etwas darin gebaut, wodurch sie ganz unbewohnbar gemacht wurde. – Dieser mißtröstende Anblick des Orts seines eigentlichsten Aufenthalts, trieb ihn noch mehr aus der wirklichen ihn umgebenden Welt hinaus – er schmachtete nach der Stunde, wann das Schauspiel anheben würde.“183

Die Weißung der Wand ist als Zeichen der Entwöhnung Antons von seinem Zimmer lesbar. Der Diskurs von Identität und Wohnen wird hier sehr deutlich: Die neue Wandgestaltung tilgt seine Gewöhnung an die Wand (und die Wohnung), aber auch ihre Individualisierung. Er muss sich also neu positionieren und findet keinen Trost in seiner Behausung, sondern eine kahle Wand, die ihn „aus

hungert mit Gerstenbergs Ugolino, wütet mit Klingers Guelfo gegen sein eigenes Spiegelbild und glaubt in Werthers Leiden seine eigenen dargestellt zu finden.“ 180 Moritz: Werke, Bd. 1, S. 255. 181 Gerstenberg: Vermischte Schriften, Bd. 1, S. 489. 182 Von ‚Herz-Kammer‘ ist z.B. auch im ‚Goethebuch‘ von Bettina von Arnim die Rede, vgl. Wichard: Eingerichtete Sehnsucht, S. 27f. Zum Wohnen als „kulturelle Metapher“ vgl. auch Selle: Die eigenen vier Wände, S. 9–29. 183 Moritz: Werke, Bd. 1, S. 269.

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der wirklichen ihn umgebenden Welt“ zu treiben scheint. Anton nutzt nämlich nicht mehr die produktive „ästhetische Neutralität“ – wie es Flusser ausdrückt – einer schlichten, reinen Wand, „welche sie befähigt, Träger eines beträchtlichen Teils der menschlichen bildenden Phantasie zu werden“,184 für ein neues Wohnen in seiner wirklichen Stube, sondern er radikalisiert das Potential seiner Einbildungskraft, indem er sie auf die Imaginationswelt der Literatur und des Theaters lenkt. In der Folge des Zimmerumbaus wird Anton ein paar Nächte auf dem Fußboden eines anderen Hauses schlafen müssen – wie das Zimmer nach dem Umbau hergerichtet ist, erfährt der Leser nicht mehr. Dies lässt sich erzählökonomisch damit erklären, dass nun die vorgestellte Theaterwelt im Vordergrund steht; auch auf der Handlungsebene ist das Theater schließlich für den Rektor der Grund, Anton eine neue Bleibe suchen zu lassen. Der erste Schritt für einen Erfolg im Felde des Wohnens bildet ein zunächst wenig verheißungsvoller Unterschlupf, den er bei einem Bürstenbinder findet; das dortige „Vierteljahr“ wird jedoch das „schrecklichste und fürchterlichste in seinem ganzen Leben“.185 Anton ist von seinen Gönnern vorerst aufgegeben worden und seine „Stubengesellschaft von drei der ärmsten Menschen“, „die vielleicht nur je zwischen vier Wänden eingeschlossen waren“, verspricht nichts Gutes.186 Zu seinen Wohngefährten gehört „G…“, der wenig später nach Antons Auszug wegen eines Kirchenraubes verhaftet wird. Die frühere Nähe zu „G…“ lässt Anton ein „Beben und Entsetzen“ erleben und sich hineinsteigernd als Mittäter fühlen.187 Die ehemalige räumliche Nähe erschwert es Anton, die Grenze zwischen sich und den anderen zu ziehen. Die durch das Wohnen beeinflussten Identitäten scheinen sich in seiner Wahrnehmung auf alle Mitbewohner übertragen zu haben, so dass eine Verwandtschaft im Geiste zu bestehen scheint. Seine psychische Innenschau erlaubt es dem jungen Anton nicht, genau zu differenzieren. Allgemein bestätigt dies auch der beobachtende Erzähler, der das Tagebuchschreiben von Anton zu dieser Zeit kommentiert: „Den Einfluß der äußern – würklichen Vorfälle auf den innern Zustand seines Gemüts zu beobachten, verstand Reiser damals noch nicht; seine Aufmerksamkeit auf sich selbst hatte noch nicht die gehörige Richtung erhalten.“188 Seine Geschichte des Wohnens erlebt Anton also passiv, nicht aktiv reflektierend.

184 Flusser: Dinge und Undinge, S. 29. 185 Moritz: Werke, Bd. 1, S. 273. 186 Ebenda, S. 279. 187 Ebenda, S. 292. 188 Ebenda, S. 294.

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Gleichwohl hatte sich seine Lage zunächst wieder verbessert und Pastor Marquard und ebenso der Prinz fördern ihn erneut: Zunächst wohnt Anton nun in der Wohnung eines Schneiders; das Ehepaar Filter versorgt ihn auch wieder mit Freitischen.189 Nach einem Jahr zieht er jedoch zu einem Fleischer „ins Haus, wo noch einige Schüler, nebst ein paar gemeinen Soldaten im Quartier lagen“.190 Seine Habe bleibt auf das alte Klavier und ein Bücherbrett beschränkt; jedoch kann er sich im Sommer in ein „Kämmerchen“ zurückziehen und „für sich allein sein“.191 Diese Form der Privatheit ist ein wertvolles Gut für Anton, schließlich muss man sich sein Wohnen als äußerst beengt vorstellen – so ist der Aufenthalt in der (allgemeinen) Stube mit „Geräusch und Lärmen“ verbunden, die ihm auch die Arbeit und sein Studium verleiden.192 Anton – von Kopfschmerzen geplagt – versucht sich durch Spaziergänge über die Stadt-Wälle dieser Situation zu entziehen. Der Gang nach draußen, das Verlassen der Wohnumgebung ist in diesem Fall auch mit einer Reflexion über das Wohnen und das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft verbunden. Der Ausbruch aus der räumlichen Enge eröffnet ihm erst den Blick auf das Wohnen und sein Leben. Der Erzähler berichtet über seine Gedanken von Stube und Welt: Anton sah auf die Häuser, stellt sich die mit Menschen belebten Zimmer vor und macht sich bewusst, „daß eine solche Stube also in dem Augenblick die Schicksale und das Leben und die Gedanken eines solchen Menschen, oder einer solchen Gesellschaft von Menschen in sich faßte; und daß er auch nun nach dem vollendeten Spaziergange in eine solche Stube wieder zurückkehren würde, wo er gleichsam hingebannt, und wo der eigentliche Fleck seines Daseins wäre […].“193

Deutlich legt der Erzähler den Zusammenhang von Räumlichkeit und conditio humana nahe. Der Raum begrenzt und bestimmt nicht nur rein körperlich den wohnenden Menschen, auch seine Gedanken werden von ihm erfasst. Dies erinnert an Antons „Bangigkeit“, von der der Erzähler zu Beginn des Romans berichtet,

189 Vgl. ebenda, S. 291f. 190 Ebenda, S. 304. 191 Ebenda. 192 Ebenda. 193 Ebenda, S. 305f.

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„daß die ganze Welt wiederum mit eben so einer Decke umschlossen sei, wie die Stube, worin er wohnte, und wenn er dann mit seinen Gedanken über diese gewölbte Decke hinausging, so kam ihm diese Welt an sich viel zu klein vor, und es deuchte ihm, als müsse sie wiederum in einer anderen eingeschlossen sein, und das immer so fort.“194

Die menschliche Begrenzung, die Anton körperlich und geistig bei seinen Spaziergängen erfährt, lässt ihn schließlich „eine sonderbare demütigende Empfindung“ erleben.195 Sein Wohnen wird damit auch wieder als existentiell in Moritz’ psychologischem Roman etabliert. Typisch sind für die Figur Antons die changierenden Empfindungen, Höhe und Tiefe, Schmach und eitler Triumph liegen bei ihr eng zusammen.196 Dies ist auch im Wohnkontext zu beobachten, schließlich ergibt sich Anton nicht der erfahrenen Demütigung. Er bleibt nicht dabei stehen, dass auch er lediglich ein einzelner Mensch oder Einzelschicksal in einem „unendlich[…] verwirrten Haufen“ ist. Die „Lichter in den einzelnen Stuben in den Häusern am Walle“ kräftigen auch „seinen Geist“, „wenn er einen Überblick des Ganzen daraus schöpfte […]“.197 Das Wissen um die Isoliertheit des Einzelnen scheint Anton von einer „einengenden Sphäre“ in eine höhere zu ziehen. Wohnen wird als Meta-Thema für ihn ein Zustand der Auszeichnung, eine „süße Vorstellung“, die „ihn aufs neue mit Hoffnung und Mut belebte“.198 Seine bescheidene Wohnsituation selbst ändert dies nicht. Als allerdings seine dichterischen Ambitionen und seine Gelegenheitsgedichte auf Wohlwollen treffen und er für das feierliche Vortragen eines Gedichtes aus Anlass des Geburtstages der Königin von Großbritannien – er befindet sich ja in Hannover – ausgewählt wird, steigen sein Ansehen und sein Selbstvertrauen. Seine reichen Schulkameraden besuchen ihn nun in seiner „schlechten Wohnung“ bei dem Fleischer, so dass er auch schon mal „ordentlich stolz“ auf sein Quartier ist.199 Sein öffentliches Ansehen verschafft ihm durch Unterrichtsstunden auch ein wenig Auskommen, so dass er auch „ein beßres Logie mieten“ und seine Schulkameraden dorthin einladen kann, und er lebte „für einen Primaner auf einen

194 Ebenda, S. 113. Vgl. S. 75 dieser Arbeit. 195 Moritz: Werke, Bd. 1, S. 306. 196 Vgl. Martens: Nachwort, S. 566. 197 Moritz: Werke, Bd. 1, S. 306; vgl. auch ebenda, S. 357f. 198 Ebenda, S. 306. Vgl. zu dieser ambivalenten Perspektive Antons auf die Häuser der Stadt, das Wohnen und das Leben ausführlich Brüggemann: Das andere Fenster, S. 56–60. 199 Moritz: Werke, Bd. 1, S. 360f.

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ganz ansehnlichen Fuß“.200 Bekanntlich wird Anton jedoch nicht in Hannover bleiben, er sucht die Nähe zum Theater und macht sich auf den Weg zu Ekhof. Antons Abschied von seiner Heimatstadt wird auch wieder mit Elementen der Wohndiskurse inszeniert und psychologisch vom Erzähler gedeutet. Antons Unterricht für einen jungen Adligen führt ihm den Standesunterschied vor Augen. Nicht nur der Mensch allgemein ist begrenzt, er als Bürger im Besonderen: Er empfand „das Gefühl, der durch bürgerliche Verhältnisse unterdrückten Menschheit“ und die Ungerechtigkeit einer unprivilegierten Geburt.201 Diese Gedanken beschäftigen – so der Erzähler – Anton auf dem Heimweg von dem jungen Adligen, als er von einem anderen Jungen hämisch provoziert wird. Seit diesem Zeitpunkt sind ihm die Straßen und Häuser Hannovers „ein Greuel“ – „so war es ihm, als ob die Häuser auf ihn fallen wollten – wohin er trat, glaubte er hinter sich den spottenden Pöbel, oder einen ungeduldigen Gläubiger zu hören“.202 Antons Wegzug aus Hannover wird aber noch weitergehend anhand der Wohndiskurse illustriert. Der Erzähler greift seine und Antons Exkurse über die ,Idee des Ortes‘ wieder auf. Als Anton nach einer Wanderung außerhalb der Stadt im Freien bei einem Friedhof übernachtet, gelangt er morgens sehr früh in die Stadt – in einem traumartigen Zustand. Nachts hatte die „Idee des Kleinen“203 ihn in Angst versetzt, die auch mit dem Gedanken des in der Masse sich verlierenden Individuums in Verbindung gesetzt werden kann und für Anton in der Erfahrung der Häuser und Wohnungen versinnlicht wurde. Auf dem Friedhof realisiert sich dies in der vom Erzähler vermittelten gedanklichen Sentenz: „das Grab ist das enge Haus, der Sarg ist eine Wohnung […]“.204 Eine Wohnung ist damit für Anton nunmehr auch in seinem eigenen Denken kein Ort der Sicherheit mehr, in das er sich zurückziehen kann. Morgens in der Stadt ist seine Wahrnehmung dementsprechend verändert: „Das Haus, die Stube, worin er wohnte, alles kam ihm anders, fremd, und sonderbar vor.“205 Anton kann die Eindrücke seiner Einbildungskraft nicht mehr an einen Ort binden, seine „Orts-

200 Ebenda, S. 364. 201 Ebenda, S. 400. Vgl. auch Bezold: Popularphilosophie und Erfahrungsseelenkunde, S. 157. 202 Moritz: Werke, Bd. 1, S. 400. 203 Ebenda, S. 404. 204 Ebenda, S. 405. 205 Ebenda, S. 407.

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ideen schwankten in seinem Kopf hin und her“.206 Der junge Erwachsene Anton wird damit in den kindlich-träumerischen Zustand zurückversetzt. In Braunschweig konnte das Kind Anton auf Dauer seine Ortseindrücke nicht an seinen neuen Wohnsitz binden, Hannover war noch fest in seiner Gedankenwelt verankert. Nunmehr scheint er aber auch in Hannover ‚verloren‘. Antons Weggang aus Hannover wird damit nicht allein mit seiner Sehnsucht nach dem Theater und seiner Unzufriedenheit mit der gesellschaftlichen Situation in Hannover erklärt. Psychologisch bindet der Roman auch in dieser Phase Antons Lebensgeschichte an das Wohnen bzw. erzählerisch an die Darstellung des Wohnens. Im letzten und vierten Teil des Romans wird Antons Wohnkrise in Erfurt fortgesetzt und radikalisiert, da Antons Wohnen vor dem neuerlichen Aufbruch, mit dem Ziel Schauspieler zu werden, in eine Einsiedelei mündet, die man als Wohndilettantismus bezeichnen kann. Nach Antons ernüchterndem Aufenthalt bei Ekhof, findet er eine positive Aufnahme an der Universität Erfurt. Besonders komfortabel sind seine Unterkünfte gleichwohl nicht: Nach einem kurzen Intermezzo bei einem Kommilitonen zieht er bei einem Brauer ein: Er erhielt „kein Zimmer für sich allein, sondern mußte, so wie der andre Student mit der Familie zusammenwohnen“.207 Der Vorzug des Hauses ist aber seine Lage neben kleineren Häusern, einem Bach und Bäumen. Auch die nahe alte verfallende Stadtmauer lädt zum Verweilen ein. Diese Situation und der Genuss eines „ordentlichen Freitisch[es] von der Universität“ lässt in Anton „die Idee des ruhigen Bleibens“ aufkeimen und seine Sehnsucht nach dem Theater verblasst.208 Anton lernt, „das Leben immer mehr im Ganzen“ zu sehen;209 die Lage seiner Wohnung hilft ihm dabei, seine Einbildungskraft an den Ort zu binden: „Die Aussicht über die Gärten nach dem Kartäuserkloster hin hatte nehmlich so etwas Romantisches, das Reisern unwiderstehlich anzog, und seine Blicke jenen stillen Sitz der Einsamkeit heftete, nach welcher er eine heimliche Sehnsucht empfand.“210 Antons Wahrnehmungen und Empfindungen sind trotz seiner vorläufigen Beruhigung nicht unproblematisch, hebt er doch implizit eine Extremform des Wohnens heraus: das Leben im Kloster oder allgemein die Einsamkeit. Diese Haltung Antons verbindet sich im Folgenden immer ausgeprägter mit seinen künstlerischen Ansprüchen. „Halbe Tage brachte er auf der alten Mauer hinter

206 Ebenda. 207 Ebenda, S. 473. 208 Ebenda. 209 Ebenda, S. 474. 210 Ebenda, S. 475.

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seiner Wohnung zu […]“, dichtend und die Einsamkeit des Klosters idealisierend.211 Im vierten Teil des Romans schiebt der Erzähler den ästhetischen Exkurs über die „Leiden der Poesie“ – der in Grundaussagen Schillers und Goethes Dilettantismus-Schemata ähnlich ist212 – in den Erzählfluss ein, der Anton als Dilettanten identifiziert. Bemerkenswert ist nun, dass Antons Neigung zum Dilettantismus erzählerisch in die Nähe des Wohnens gerückt wird. Der „Zustand eines Einsiedlers“ käme dem jungen Dilettanten besonders entgegen, da er schon stofflich poetische Qualitäten habe.213 Der Erzähler berichtet unmittelbar zuvor, dass Anton in seiner Wohnung nie allein ist, denn insbesondere wenn es kalt ist, ist die ganze Familie, er und ein weiterer Student „in der gemeinschaftlichen Stube“.214 Lärm, Zankerei, Schreie werden zum Kennzeichen dieser Wohnung. Philosophisches und poetisches Arbeiten scheinen an einem solchen Ort unmöglich: „Hier sollte also nun das Trauerspiel Siegwart geschrieben werden, das sich mit seiner Einkehr bei dem Einsiedler anhub […].“215 Die räumliche Enge, aber auch die Erinnerung aus seiner Kindheit, seinen Gastgebern gegenüber lästig zu sein, als sich seine finanzielle Situation wieder einmal verschlechtert hat, treibt ihn voller Unruhe nachts wie im Rausche eines Traums ins Freie. Den Gedanken, „in seine bisherige Wohnung zurückzukehren“,216 kann er nicht mehr ertragen, er möchte Erfurt verlassen. Dem dilettierenden Werther verwandt gelangt er am frühen Morgen zum gotischen Dom: Nicht nur dass er sich – mit „tausenderlei romanhafte[n] Ideen“217 im Kopf – mit Shakespeares Lear identifiziert, Anton erreicht mit dem Dom schließlich auch einen besonderen Raum, der zwar „Behausung“, aber „keine Wohnung für die

211 Ebenda, S. 478. 212 Ebenda, S. 496. Der letzte Teil des Romans ist von Moritz’ Begriff der KunstAutonomie geprägt, so dass die Dilettantismus-Problematik nun besonders virulent und die Einbildungskraft des Helden vom Erzähler kritisiert wird. Vgl. Schrimpf: Karl Philipp Moritz, S. 53; Wingertszahn: Kommentarband, S. 630; siehe zudem Esselborn: Der gespaltene Autor, S. 88f.; Wagner-Egelhaaf: Die Melancholie der Literatur, S. 370–377. Vgl. auch im Verhältnis zu Goethe Vaget: Dilettantismus und Meisterschaft, S. 70–77; sowie ausführlich Costazza: Genie und tragische Kunst. 213 Moritz: Werke, Bd. 1, S. 498. 214 Ebenda. 215 Ebenda. Vgl. ebenda den Herausgeberkommentar, S. 1109. 216 Ebenda, S. 501. 217 Ebenda, S. 500.

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Lebenden“218 sei. Anton verabschiedet sich räumlich von seiner Erfahrungswelt in einen Raum der Einsiedelei. Der Kirchenraum erzeugt in ihm eine „Art von Abgeschiedenheit und Stille“, „die etwas unbeschreiblich Angenehmes für ihn hatte“219 – eine Sprachlosigkeit, die der junge Goethe bereits zur Gotik des Straßburger Münsters notiert hat: „wohl schmecken und genießen, keineswegs aber erkennen und erklären“ könne er den tief empfundenen, seelischen „Eindruck“, den das Münster auslöst.220 Antons Empfindungen im Dom entlarven aber auch seine Neigung zum Wohn-Dilettanten. Ein Ort, der ja nur Behausung ist, träumerisch-transzendent als „majestätische Schlafkammer“221 zu bezeichnen, stellt einen reduzierten Begriff vom Wohnen dar; verwandt mit einem Dilettanten in den Künsten lässt er sich von inhaltlichen Vorstellungen hinreißen; wie etwa der von der Einsiedelei, aber auch von der harmonisch-dramatischen Form eines gotischen Doms am frühen Morgen. Diese Argumentation kann durch die ablehnende Haltung von Moritz gegenüber der Gotik gestützt werden: Anhand des Petersdoms in Rom, in dessen Zusammenhang er von „Wohnzimmer“ und vom „Wohnbaren“ spricht, grenzt er St. Peter von einer gotischen Kirche ab: „Bei dem gotischen Gebäude soll das Haus einer Felsenmasse, hier soll die Felsenmasse dem Hause ähnlich sehen.“222 Durch die Harmonie der Proportionen und den „Glanz und die Reinlichkeit“ entsteht so im Inneren des Petersdoms eine Empfindung, die Moritz mit der in einem „Wohnzimmer“ vergleicht.223 Auch aus dieser architekturästhetischen Perspektive wird also deutlich, dass der Dom in Anton Reiser lediglich eine felsenartige, das heißt ungeformte „Behausung“ zum Schutz vor Regen sein

218 Ebenda, S. 502. 219 Ebenda. 220 Goethe: Sämtliche Werke, I. Abt., Bd. 18, S. 114 (Von deutscher Baukunst). 221 Moritz: Werke, Bd. 1, S. 502. 222 Ebenda, Bd. 2, S. 514 (Reisen eines Deutschen in Italien). Vgl. Bisky: Poetik der Baukunst, S. 62, S. 65f.; Wingertszahn: Kommentarband, S. 1063. Vgl. zudem mit Bezug auf das Verhältnis von Moritz und Goethe Arburg: Alles Fassade, S. 181f. Mit Bezug auf die Funktion der „Andacht“ schließt Bollnow in seiner Terminologie „Wohnlichkeit“ für einen „Kirchenraum“ (baulich wird nicht unterschieden) allerdings aus, Bollnow: Mensch und Raum, S. 149. Vgl. auch Hasse: Unbedachtes Wohnen, S. 24f. 223 Moritz: Werke, Bd. 2, S. 514 (Reisen eines Deutschen in Italien).

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kann und „keine Wohnung für die Lebenden“;224 im gotischen Dom findet Anton kein „Wohlgefallen“.225 Auf Zureden und finanzielle Unterstützung hin zieht Anton Reiser noch ein Mal in seine bisherige Wohnung ein, doch er setzt den Modus der Abgeschiedenheit und der Isolation nun mit Nachdruck durch: „Nun bedung er sich aus, um allein sein zu können, einen Verschlag auf dem Boden des Hauses zu beziehen, wohin man ihm auch ein Bette gab, und wo er nun wieder, ganz sich selbst gelassen, ein paar nicht unangenehme Wochen zubrachte.“226 Antons Isolation auf dem Dachboden wird im nächsten Schritt noch durch das Wohnen in einem Gartenhaus radikalisiert und geradezu perfektioniert. Seine psychische, träumerische Verfassung hat ihn wieder für das Theaterspiel empfänglich gemacht; als er jedoch nicht auftreten darf, verschlechtert sich sein Gesundheitszustand, so dass seine Freunde in Erfurt ernstlich besorgt sind. Sie erfüllen ihm schließlich mit der Vermittlung des Gartenhauses als Unterkunft seinen Wunsch, eine „einsame[…] Wohnung“ als Quartier zu nehmen.227 Nach kurzer Zeit wird er dort wieder von einem „falschen Dichtungstrieb[…]“228 ergriffen und verbrüdert sich mit Werther. Im ‚Werther-Ton‘ schreibt er nach Hannover an den Schulfreund Philipp Reiser: „Ich habe die Schlüssel dieser einsamen Wohnung, und ich bin hier Herr im Haus’ und Garten, u.s.w.“229 Der Hypochonder und Melancholiker Anton wird rasch von der eigenen überflutenden Einbildungskraft erschöpft und eine „Art von Schlafsucht“230 überkommt ihn. Moritz’ Roman bricht mit Antons Ankunft in Leipzig ab; sein Protagonist kann in Erfurt nicht bleiben, nachdem selbst die Werther’sche Selbsttötung keinen Ausweg verspricht bzw. Antons Wohndrama beenden könnte: Als Anton noch mal die Schauspieltruppe in Erfurt anschaut, wird gerade Goethes Werther als Theaterstück aufgeführt. Der bühnentechnische Effekt des Werther-Schusses jedoch misslingt, die defekte Pistole muss spontan durch ein „Brotmesser“ ersetzt werden.231 Die Desillusionierung Werthers, die noch durch Wilhelms Ruf „Gott! ich hörte einen Schuß fallen!“ verstärkt wird, erreicht nicht Antons ‚Wohn-Bewusstsein‘, auch wenn er in Zukunft auf der Bühne „so etwas Unvoll-

224 Ebenda, Bd. 1, S. 502. 225 Moritz: Vorbegriffe zu einer Theorie der Ornamente, S. 4. Vgl. S. 74 dieser Arbeit. 226 Moritz: Werke, Bd. 1, S. 503. 227 Ebenda, S. 510. 228 Ebenda, S. 512. 229 Ebenda, S. 510. 230 Ebenda, S. 512. 231 Ebenda, S. 514.

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kommenes“ durch „etwas Vollkommenes“ austauschen will.232 Die misslungene Inszenierung führt Anton nicht in die (bürgerliche) Gesellschaft und ihre Vergesellschaftungsform des Wohnens zurück, sondern er beendet die Einsiedelei mit dem fest entschlossenen Wunsch, als Schauspieler und damit als Außenseiter in der bürgerlichen Gesellschaft seinen Weg zu machen. Er überführt damit das dilettantische Wohnen der Einsiedelei in eine andere Extremform, in die Unbehaustheit des Unterwegsseienden. Anton Reiser spiegelt und kommentiert bis zum Schluss Antons Weg mit einer Geschichte des Wohnens. Das für ihn unbefriedigende vorläufige Ende im Gasthaus in Leipzig versetzt Anton noch einmal an einen herausgehobenen, heterotopischen Wohnort: Dem Gasthaus sind traditionell viele neuen Begegnungen und Chancen, aber auch Gefahren eingeschrieben. Wie zu Beginn dieser Arbeit bereits zitiert, bezeichnet Foucault zum Beispiel Hotels (genauer: das Hotel der Hochzeitsreise) als „Krisenheterotopie“ – mit ihr sind Orte verbunden, an denen sich Menschen, „welche sich im Verhältnis zu der Gesellschaft oder dem Milieu, in denen sie leben, in einem Krisenzustande befinden“ (in Foucaults Beispiel ist dies die Frau, sexuell markiert durch die Hochzeitsnacht).233 Antons erzählte Wohngeschichte bricht genau an einem derartigen Krisenort ab. Ein eingerichtetes Wohnen bzw. eine psychische Orientierung ist für ihn noch nicht in Sicht – so wie er sie auch bisher nicht finden konnte.234 Karl Philipp Moritz hat – so konnte deutlich werden – mittels seines Magazin-Projektes zur Erfahrungsseelenkunde, aber auch mit dem Anton Reiser entscheidend die Darstellung des Wohnraumes mit der Vermittlung des Inneren bzw. des Seelenlebens verbunden. Wohnräume können auf der Ebene einer realen Person (vgl. z.B. Marcus Herz) wie einer fiktiven Inszenierung (vgl. z.B. Anton Reiser) Ausdruck einer stabilen oder auch fragilen Psyche sein. Unabhängig von einer tatsächlichen Bedeutung der Wohnräume für die Psyche erweisen sie sich für die narrative Gestaltung als günstig. Als populärer Diskurskomplex wird Wohnen so als populäre Fallgeschichte und erzählte ‚Bühne‘ fortgeschrieben.

232 Ebenda, S. 514. 233 Foucault: Schriften, Bd. 4, S. 931–942 (Von anderen Räumen), hier S. 936. Vgl. auch S. 16 dieser Arbeit. 234 Antons Lage ist damit mit der eines Hotelbewohners verwandt; gerade für die Literatur ist das Hotel ein strukturell attraktiver Wohnort. Vgl. Wichard: Wohnen und Identität; sowie Seger: Grand Hotel.

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2.4 L EHRJAHRE DES W OHNENS UND DER W EG ZUM W OHN -G LÜCK (Goethe: Wilhelm Meisters Lehrjahre) Eine weitere literarische Figur, die lange vom Theaterleben fasziniert ist, findet bekanntlich ein glücklicheres Ende als Anton Reiser: Wilhelm Meister, der sich zuletzt sicher ist, „daß ich ein Glück erlangt habe, das ich nicht verdiene, und das ich mit nichts in der Welt vertauschen möchte“.235 Wilhelms Glücksgeschichte236 soll im Folgenden auch als die Geschichte einer erfolgreichen Suche nach einer Lebens-‚Wohnung‘ gelesen werden. Die Lehrjahre beschränken sich jedoch in der Fortschreibung der Wohndiskurse nicht alleine auf die Psychologie der Figur Wilhelms, sondern es werden auch verstärkt die ästhetischen Diskurse des Wohnens, der Moden und der Architektur aufgenommen – und narrativ in die symbolischen Subtexte des Romans eingewoben. Goethes Lehrjahre üben einen kaum zu überschätzenden Einfluss auf die Entwicklung der Literatur und der Romangattung aus, nicht nur auf die der Romantiker; der Roman setzt aber auch bezüglich der Behandlung des Wohnkomplexes innovative Maßstäbe, nachdem Karl Philipp Moritz zuvor vor allem die psychische Relation von Raum und Figurencharakterisierung wirkungsmächtig vermessen hat. Den Hintergrund von Goethes literarischer Inszenierung des Wohnens bilden dessen intensive Beschäftigung mit Architektur und seine Auseinandersetzung mit Palladio. Aber auch Goethes eigene Bauprojekte in Weimar, wozu auch die Ausstattung des Hauses am Frauenplan gehört,237 zeugen von seinem Interesse am Wohnkomplex. Die grundlegende Bedeutung des Wohnens für den Menschen war Goethe sehr wohl bewusst: „Ich möchte aber auch beinah sagen die Baukunst ist der einzige Gegenstand über welchen man ein solches Buch [gemeint ist ein Werk von Vincenzo Scamozzi] schreiben kann, denn nirgends ist das erste Bedürfnis und der höchste Zweck so nah verbunden, des Menschen Wohnung ist sein halbes Leben, der Ort wo er sich niederläßt, die Luft die er einatmet bestimmen seine Existenz, unzählige Materialien, die uns die Natur anbietet,

235 Goethe: Sämtliche Werke, I. Abt., Bd. 9, S. 992. 236 Zur Interpretation der Lehrjahre als Glücksgeschichte vgl. z.B. Röder: Glück und glückliches Ende; Schings: Symbolik des Glücks; Schings: Wilhelm Meisters schöne Amazone; Bluhm: Du kommst mir vor wie Saul. 237 Vgl. dazu z.B. Ewald: Goethes Architektur; außerdem Jeziorkowski: Grammatik der Architektur; Pielmann: Goethes Treppenhäuser; Hocquél-Schneider: Innenräume um 1800 in Weimar.

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müssen zusammengebracht und genutzt werden wenn ein Gebäude von einiger Bedeutung aufgeführt werden soll.“238

In diesem Brief zum Jahreswechsel 1795/1796 an Johann Heinrich Meyer betont Goethe folglich, dass ein Haus bzw. die Wohnung aus einer Komposition von (natürlichen) Materialien besteht und zugleich diese Zusammenstellung einen existentiellen Einfluss auf den Bewohner ausübt. Dies ist auch eine der Grundkonstellationen des hier verfolgten Diskurskomplexes vom Wohnen, der sich schließlich erzählerisch entfalten kann. In Goethes Lehrjahren soll diese Entfaltung zunächst im ersten Buch anhand von Wilhelms Besuchen in Marianes Wohnung aufgezeigt werden.239 Das Buch wird gerahmt von zwei Sendungen Norbergs: Zu Beginn nimmt Barbara ein Paket in Empfang, am Ende findet Wilhelm den „niedrigen Brief“240 Norbergs. Mit dieser ‚Rahmung‘ wird jedoch auch zugleich der Bereich des Wohnens von Wilhelms Geliebter abgesteckt: Der erste Brief wird von Barbara in Marianes Zimmer hinaufgetragen. Der zweite, von ihm nach seiner Rückkehr in der eigenen Wohnung gefunden (nachdem Wilhelm ihn unwissentlich aus ihrer Wohnung mitgenommen hat), markiert die unüberwindliche Schwelle zu Mariane. Von Marianes Konflikt, das Versprechen und ihre Zuneigung zu zwei Männern und der finanziell orientierten, pragmatischen Sympathie von Barbara für Norberg erfährt der Leser gleich zu Beginn. Durch die erzählerische Inszenierung der Briefankunft trifft Wilhelm bereits in der ersten geschilderten Begegnung mit Mariane stellvertretend auf Norberg, und zwar in ihrer Wohnung. Als Erstes erreicht Norbergs Paket die Wohnung, von dem Barbara aufgrund eines darin für sie enthaltenen Geschenkes sogleich positiv eingenommen ist. Kurze Zeit später kommt Mariane vom Schauspiel zurück, das bekanntlich „sehr

238 Goethe: Sämtliche Werke, II. Abt., Bd. 4 (31), S. 152f. (Goethe an J.H. Meyer, Mi. 30.12.1795 – So. 3.1.1796). 239 Bereits Mannack stellt heraus, dass die Darstellung der Stadt zu Beginn auf die Wohnungen von Wilhelm und Mariane konzentriert ist (bzw. der „ganze Ort schrumpft“ auf diese Plätze zusammen) und insofern gerade auch die „menschliche Bewegung“ zwischen ihnen von Bedeutung ist. Mannack: Raumdarstellung, S. 82. Nach einer Analyse von Quellen zu Wohnungen und Häusern Goethes widmet sich Krines in einem kleineren Teil auch Goethes Literatur. Für den hier verfolgten Zusammenhang sei daher auch auf die nützliche Zusammenstellung und Einordnung von wichtigen Literaturstellen in den Wilhelm Meister-Romanen hingewiesen; vgl. Krines: Das häusliche Umfeld Goethes, S. 189–220. 240 F. Schlegel: KFSA, Bd. 2, S. 128.

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lange“ gedauert hatte.241 Die Bühne hat sich jedoch inzwischen in den Bereich der Wohnung verlagert und das Schauspiel wird fortgesetzt:242 Der Auftritt Marianes ist stürmisch und sie eilt über die Treppe, vorbei an Barbara „mit ungewöhnlicher Hast und Bewegung in das Zimmer“. Von ihrem wohlhabenden Geliebten und seinem Paket möchte sie nichts wissen: „Wenn Norberg zurückkehrt, bin ich wieder sein, […] aber bis dahin will ich mein sein […].“243 In typischer Dramentechnik erfolgt Wilhelms Vorstellung durch die Fremdcharakterisierung244 einer Dienerfigur. Auf die Ankündigung Marianes, dass sie noch Besuch erwarte, sagt Barbara skeptisch: „Doch nicht den jungen, zärtlichen, unbefiederten Kaufmannssohn?“245 Kurze Zeit später und ohne weitere Ankündigung, schließlich ist Wilhelm in Besitz eines Schlüssels, wie später zu erfahren ist, hat dieser seinen ersten Auftritt: „Wilhelm trat herein“, und jener und die noch kostümierte Mariane umarmen sich leidenschaftlich.246 Wilhelm und Norberg haben damit das Zimmer Marianes erreicht, wenngleich der Konflikt noch allein in Marianes Gedanken ausgetragen wird: Wilhelm vertraut der durch den intimen Wohnraum suggerierten ungestörten Nähe zu Mariane. Der räumliche Fluchtpunkt für Wilhelm ist im ersten Buch Marianes Wohnung, dorthin „schlich [er von seinem Elternhaus], wenn alles zu Bette war“.247 Er bringt die Puppen mit zu seiner Geliebten, die sogleich die Einbildungskraft beider anregen. In dem Zimmer in einer der oberen Etagen entsteht eine eigene Theater-Welt um die vieldeutigen Geschichten von König Saul und Samuel.248 Einzig lärmende Gäste aus dem nahen „Italiäner Keller“ draußen „auf der Straße“ holen sie zurück in die Gegenwart und binden sie wieder an die Gegenwart.249 Diese Technik der Rückbindung einer Wohnsphäre an die (fiktive) Wirklichkeit werden noch rund hundert Jahre später Arno Holz und Johannes

241 Goethe: Sämtliche Werke, I. Abt., Bd. 9, S. 359. 242 Der Schauspielcharakter des Anfangs ist bereits betont wurden, z.B. bei Reiss: Lustspielhaftes, S. 130–133, und auch von der Thüsen spricht vom „Nachspiel“ in Marianes Wohnung, Thüsen: Romananfang, S. 625. 243 Goethe: Sämtliche Werke, I. Abt., Bd. 9, S. 360. 244 Vgl. z.B. Pfister: Das Drama, S. 252. 245 Goethe: Sämtliche Werke, I. Abt., Bd. 9, S. 360f. 246 Ebenda, S. 361. Mariane ist als Offizier gekleidet und eröffnet damit die AmazonenMotivik des Romans. Vgl. z.B. grundlegend Schings: Wilhelm Meisters schöne Amazone. 247 Goethe: Sämtliche Werke, I. Abt., Bd. 9, S. 365. 248 Vgl. auch zum Saul-Komplex Bluhm: Du kommst mir vor wie Saul. 249 Goethe: Sämtliche Werke, I. Abt., Bd. 9, S. 366.

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Schlaf in Papa Hamlet anwenden.250 Die Störung wird in den Lehrjahren jedoch positiv genutzt; man besorgt sich eine Stärkung aus dem Gasthaus und das Zimmer wird zum Ort des Erzählens von Wilhelms Kindheitsgeschichte und seiner Leidenschaft für das Theater. Innerhalb des Wohnraumes entfaltet sich so eine Binnenerzählung, deren Inhalt jedoch nicht mehr die Zuhörer erreicht. Die Langatmigkeit des Erzählens und die Schläfrigkeit seiner Geliebten erkennt Wilhelm nicht, genauso wie er keinen Sinn für die versteckte Anwesenheit Norbergs in den Räumen Marianes hat. Diese Nähe von Mariane und Norberg realisiert er auch dann nicht, als ihm Mariane bei einem späteren Treffen „an der Treppe“ in einem „neuen weißen Negligé“ entgegenkommt und er „glaubte[,] sie noch nie so reizend gesehen zu haben“.251 Das Nachtgewand stammt aus Norbergs Paketsendung und ist in diesem Sinne bereits in die Wohnung eingezogen. Allerdings scheint Wilhelm zumindest unbewusst die Gefahr nun endlich zu spüren. Ein Traum, den er vor seiner ersten kleinen Kaufmannsreise neben seiner Geliebten schlafend durchlebt, weckt Ängste, Mariane zu verlieren.252 Der Schluss des ersten Buches der Lehrjahre spitzt die Dramatik um die Beziehung zwischen Wilhelm und Mariane zu und etabliert als Fluchtpunkt erneut Marianes Wohnung. Der Brief Wilhelms, mit dem er sie endgültig für sich gewinnen möchte und seine Zukunft am Theaterleben ausmalt, und seine Zustellung werden dabei zum Ausgangspunkt. Wilhelm möchte seinen Abschied inszenieren; „wider seine Gewohnheit“253 geht er bereits am frühen Abend zu Mariane, möchte er ihr dann nach kurzem Bleiben den Brief aushändigen und, in der Nacht wiederkommend, ihre positive Erwiderung in Empfang nehmen. Sein Plan läuft von Anfang an schief. Mariane erwartet heimlich Norberg; ihr Unbehagen nimmt zwar Wilhelm wahr, behält daher auch den Brief, möchte jedoch in der Nacht wiederkommen. Die erste Annäherung an die Wohnung und damit an die Geliebte ist damit mit Reserviertheit und einer Zurückweisung verbunden; dies stellt den ersten Akt des Schlussstücks des ersten Buches dar. Eingeklammert von der Annäherung und dem Widerstand zur ersehnten Wohnung wird im Folgenden die Begegnung mit dem Unbekannten. Das anschließende Gespräch und die damit verbundenen Kunstdiskurse sind somit erzählerisch in die inszenierte Wohndramatik eingebettet; im Verlaufe des Romans werden sie weiter an

250 Vgl. S. 235 dieser Arbeit. 251 Goethe: Sämtliche Werke, I. Abt., Bd. 9, S. 395. 252 Vgl. ebenda, S. 396. 253 Ebenda, S. 419f.

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Bedeutung gewinnen und auch mit Fragen der Architektur verknüpft, wie noch zu sehen sein wird. Nach der Unterhaltung mit dem Unbekannten trifft Wilhelm auf der Straße eine Musikantengruppe, und er bittet sie, ihm „zu Marianens Wohnung“ zu folgen und dort zu spielen; angekommen überlässt er „sich ganz den schwebenden Tönen, die in der labenden Nacht um ihn säuselten“.254 Er sucht die Nähe zur Geliebten, bleibt aber außerhalb der Wohnung distanziert und entfernt; doch er kann die Nähe in Gedanken evozieren. Erst als die Musik verstummt, scheint es ihm, „als wär’ er aus dem Elemente gefallen“.255 Die nächste Annäherungsstufe an Mariane ist das Herantreten an die Türschwelle des Hauses: „Er küßte den messingenen Ring, womit man an ihre Türe pochte, er küßte die Schwelle, über die ihre Füße aus und ein gingen, und erwärmte sie durch das Feuer seiner Brust. Dann saß er wieder eine Weile stille, und dachte sie hinter ihren Vorhängen, im weißen Nachtkleide mit dem roten Band um den Kopf in süßer Ruhe, und dachte sich selbst so nahe zu ihr hin, daß ihm vorkam, sie müßte nun von ihm träumen.“256

Zweifach werden soziale und historische Funktionen des Wohnens narrativ genutzt. Die Tür bzw. allgemeiner die Schwelle ist mit der Herausbildung der (bürgerlichen) Privatsphäre in der Geschichte des Wohnens immer stärker semantisiert worden.257 Die Tür bildet auch hier die erweiterte Außenhaut Marianes, die Schwelle ist die von außen noch erreichbare Zone, die greifbar und berührbar ist. Erzählerisch verknüpft sich so die Spannung zwischen Wilhelm und Mariane mit einem kulturgeschichtlich entfalteten Innen und Außen: „Schwellen sind Spuren-Bewahrer menschlicher Bewegungen […].“258 Der Lesbarkeit der Zeichen scheint auch Wilhelm sicher; der Kuss der Schwelle, „über die ihre Füße aus und ein gingen“, etabliert eine starke symbolische Nähe und zugleich eine Grenze, die nicht mehr überschritten werden kann. Dass die transitorische Funktion für Wilhelm in diesem Moment verloren gegangen ist und die Grenze zweier Räume, nämlich der des Lebens von Wilhelm und Mariane unüberwindlich ist, wird vordergründig dadurch ausgedrückt, dass Wilhelm den „Hauptschlüssel“259 nicht bei sich trägt. Symbolisch ist dies aber auch da-

254 Ebenda, S. 424f. 255 Ebenda, S. 425. 256 Ebenda, S. 426. 257 Vgl. Selle: Die eigenen vier Wände, S. 35. 258 Ebenda, S. 42. 259 Goethe: Sämtliche Werke, I. Abt., Bd. 9, S. 426.

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durch festgeschrieben, dass er nicht durch die Tür zum „Heiligtum der Liebe“ vordringen kann. Der Zutritt zum geheiligten Tempel-Raum ist ihm verboten.260 Wilhelm verlässt nur „langsam“ den Türbereich und „schwankte halb träumend unter den Bäumen hin“ in Richtung seines eigenen Hauses. Dabei blickt er jedoch mehrfach zurück, und entdeckt schließlich – die Katastrophe nimmt ihren Lauf –, wie „Marianes Türe sich öffnete, und eine dunkle Gestalt sich heraus bewegte“.261 Hatte Wilhelm kurz zuvor an der Schwelle sich Mariane noch im Nachtkleid vorgestellt und die symbolische Nähe Norbergs nicht erkannt, wird nun deutlich, dass dieser bereits in den geheiligten Bezirk eingedrungen ist. Außer Marianes Nachtkleid ist noch ein weiteres Kleidungsstück von Bedeutung: Als Wilhelm am frühen Abend seine Geliebte besucht hatte, „ergriff er im Taumel seiner ungenügsamen Liebe eines ihrer Halstücher“.262 Am frühen Morgen kommt schließlich Wilhelm voller Fragen, aber mit aufkeimender Hoffnung wieder bei sich zu Hause an: Dann ergreift er dieses Halstuch und ein Brief fällt heraus; es ist eine Nachricht von Norberg an Mariane, mit der das erste Buch der Lehrjahre endet. Gewissheit über Marianes Täuschung erlangt Wilhelm damit erst in seiner eigenen Wohnung – auch dorthin ist Norberg eingedrungen. Das Wohndrama dieser Nacht hat bereits Friedrich Schlegel für seine erzählerische Konstruktion gelobt: „Unvermerkt ist indes die Erzählung lebhafter und leidenschaftlicher geworden, und in der warmen Nacht, wo Wilhelm, sich einer ewigen Verbindung mit seiner Mariane so nahe wähnend, liebevoll um ihre Wohnung schwärmt, steigt die heiße Sehnsucht, die sich in sich selbst zu verlieren, im Genuß ihrer eignen Töne zu lindern und zu erquicken scheint, aufs äußerste, bis die Glut durch die traurige Gewißheit und Norbergs niedrigen Brief plötzlich gelöscht, und die ganze schöne Gedankenwelt des liebenden Jünglings mit einem Streich vernichtet wird.“263

Wilhelms Umschwärmen von Marianes Wohnung, das Spiel von Nähe und Distanz, das immer auch der liebenden Sehnsucht264 eingeschrieben ist, hebt Schlegel somit positiv als erzählerisches Gestaltungselement hervor. Der Diskurs

260 Ebenda. Vgl. auch Selle: Die eigenen vier Wände, S. 39. 261 Goethe: Sämtliche Werke, I. Abt., Bd. 9, S. 426. 262 Ebenda, S. 420. Zur Funktion des Halstuches vor dem Hintergrund einer SchleierSymbolik vgl. Kim: Der Schein des Seins, S. 72–78. 263 F. Schlegel: KFSA, Bd. 2, S. 128 (Über Goethes Meister). 264 Vgl. mit Bezug auf Bettina von Arnims Goethes Briefwechsel mit einem Kinde auch Wichard: Eingerichtete Sehnsucht.

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von Nähe und Distanz bzw. Privatheit und Öffentlichkeit ist aber nicht der einzige des Wohnkomplexes, den Goethe in den Lehrjahren wirkungsvoll ausspielt; auch die Einrichtung und Ausgestaltung des Wohnraumes rücken erzählerisch vielschichtig in den Fokus. Stand bisher das figurale Verhältnis von Mariane und Wilhelm im Vordergrund, das seinen inszenatorischen Höhepunkt auch mittels der Wohndiskurse findet, wird im Folgenden der Fokus auf die ästhetischen Diskurse im Roman gelegt, insbesondere der Baukunst. Am Ende der Lehrjahre wird Wilhelm noch ein glücklicher Einzug gelingen, nicht bei Mariane, sondern bei Natalie. Die Theaterleidenschaft Wilhelms ist von Kindheit an von einer falschen, das heißt idealisierenden Perspektive auf das Theaterleben geprägt: Über die Häuslichkeit seiner Geliebten „stutzte er“ zu Beginn, wenn er „auf Tische, Stühle und Boden sah“.265 Das Kostüm, seiner glanzvollen Funktion enthoben, liegt achtlos im Zimmer, Hygieneartikel wie etwa benutzte Seife sind „nicht versteckt“, sondern liegen offen im Raum. Das Leben Marianes „in wilder Unordnung“ steht zunächst in Kontrast zu Wilhelm bürgerlich geprägtem Ordnungsethos.266 Als Kind in einem „feinen Bürgerhause erzogen, war Ordnung und Reinlichkeit das Element, worin er atmete“, und mit der vom Vater geerbten „Prunkliebe“ richtete er sich sein Zimmer im kindlichen Schau-Spiel ein und stellte sich ein entsprechend prunkhaftes Wohnen eines Schauspielers vor.267 Bei Mariane lernt er die Schauspielrealität, auch bezüglich des Wohnens, kennen und – aus der Sicht des Liebenden – schätzen: Es war ihm – wenn er hier ihre Schnürbrust wegnahm, um zum Klavier zu kommen, dort ihre Röcke aufs Bette legte, um sich setzen zu können, wenn sie selbst mit unbefangener Freimütigkeit manches Natürliche, das man sonst gegen einen andern aus Anstand zu verheimlichen pflegt, vor ihm nicht zu verbergen suchte – es war ihm, sag’ ich, als wenn er ihr mit jedem Augenblicke näher würde, als wenn eine Gemeinschaft zwischen ihnen durch unsichtbare Bande befestigt würde.268

Ist die Anordnung der Möbel bzw. die Wohnrealität zunächst eine indexikalische Markierung269 des sozialen Status von Bürgerlichkeit bzw. des unbürgerlichen

265 Goethe: Sämtliche Werke, I. Abt., Bd. 9, S. 411. 266 Ebenda. Vgl. auch Mannack: Raumdarstellung, S. 93. 267 Goethe: Sämtliche Werke, I. Abt., Bd. 9, S. 410. 268 Ebenda, S. 411f. 269 Vgl. Aust: Theodor Fontane, S. 17.

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Theaterstandes,270 werden die Möbel erzählerisch nun neu semantisiert. Auf Bett und Klavier liegen deplatziert „Schnürbrust“ und „Röcke“, und doch werden sie und ihre ungewohnte Beseitigung vom Erzähler (und Wilhelm) als Zeichen von Natürlichkeit interpretiert. Vor dem Hintergrund der gewohnten Möbelfunktionen wird so die Überschreitung in eine Sphäre außerhalb des bürgerlichen „Anstand[s]“ lesbar, die zugleich aus Perspektive des Überschreitenden, also einzig Wilhelms eine „unsichtbare Bande“ etabliert. Die enttäuschten Erwartungen Wilhelms lassen sich einerseits als Folge eines bereits ausdifferenzierten bürgerlichen Raumkonzepts verstehen, das z.B. tabuisierte Bereiche von Körperhygiene kennt.271 Zudem werden die Möbel und die Einrichtung im Allgemeinen zum Medium des sprachlichen Ausdrucks des von Wilhelm gewünschten Liebesverhältnisses. Zum Medium intimer Nähe hat Goethe bereits im Werther ein Möbel erzählerisch stilisiert, das hier eine kurze Erwähnung verdient: Als Werther Lotte in Abwesenheit von Albert zu Hause überrascht, drängt er nicht nur sogleich die Treppe hinauf, so dass sich Lotte ihm nicht mehr entziehen kann, sondern er nimmt „seinen gewöhnlichen Platz auf dem Kanapee“ (Fassung B) ein.272 Das Eindringen in die als intim und privat codierte Zone des Sofas drückt seinen Anspruch auf ein „vertrauliche[s] Gespräch“273 aus, so wie es auch als Funktionsbestimmung eines solchen Möbels im Journal des Luxus und der Moden konventionalisiert ist. Lotte „nahm sich zusammen“ (so eine Formulierung in Fassung B)274 und setzt sich auch zu ihm. Nach der Ossian-Lektüre dramatisiert sich die Situation jedoch (zitiert nach Fassung A, aber ähnlich in B): „Das ist das leztemal! Werther! Sie sehn mich nicht wieder. Und mit dem vollsten Blick der Liebe auf den Elenden eilte sie in’s Nebenzimmer, und schloß hinter sich zu. Werther strekte ihr die Arme nach, getraute sich nicht sie zu halten. Er lag an der Erde, den Kopf auf dem Canapee, und in dieser Stellung blieb er über eine halbe Stunde, biß ihn ein Geräusch zu sich selbst rief.“275

270 Vgl. weiterführend auch Janz: Zum sozialen Gehalt. 271 Vgl. z.B. Zinn: Wohngewohnheiten und Wohnstrukturen, S. 20f.; sowie Schmidt: Zwischen Hygiene, Intimität und den „rosa Wangen“. 272 Goethe: Sämtliche Werke, I. Abt., Bd. 8, S. 231. 273 [Anonym:] Ammeublement. – In: Journal des Luxus und der Moden [eigentlich: Journal der Moden] 1 (1786) Februar, S. 84–87, hier S. 84. Vgl. S. 55 dieser Arbeit. 274 Goethe: Sämtliche Werke, I. Abt., Bd. 8, S. 231. 275 Ebenda, S. 246. Zur Konnotation des Kanapees als Verführungsort vgl. (auch zu dieser Stelle) Guderian: Die Couch, S. 135f.

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Das Möbel wird damit von einem Symbol der Vertrautheit zu einem der Trennung; Werther bleibt am Kanapee allein zurück, benommen seinen Kopf auf das Sofa gedrückt.276 Wilhelms Prägung ist – wie erwähnt – auch durch die „Prunkliebe“ des Vaters mitbestimmt.277 Nach dem Tod von Wilhelms Großvater hat dieser das Wohnhaus „nach dem neuesten Geschmacke von Grund aus aufgebaut und möbliert“.278 Obwohl er „Freund vom Prächtigen, von dem was in die Augen fällt“ war, sollte sein Hausstand dabei „solid und massiv“ sein.279 Mit dem Begriff vom ‚neuesten Geschmack‘ werden nicht nur Fragen der Ästhetik aufgerufen (ein „willkührlicher Modegeschmak“ habe – so heißt es bei Sulzer – „üble Folgen“280), sondern auch der Modediskurs der Zeit. Der alte Meister kann sich offenbar nicht gänzlich der Gefahr entziehen, mit der sich besonders das Bürgertum konfrontiert sah, nämlich dem Reiz des Modischen, wie Christian Garve festgestellt hat. Auch wenn die Ausprägung bei Wilhelms Vater durch den gleichzeitigen Anspruch auf Qualität und Beständigkeit abgemildert wird, kann die Neueinrichtung des Hauses als bürgerlicher Ausdruck der auch moralisch problematischen „Neuerungssucht“ im Sinne Garves verstanden werden.281 Aus ästhetischer Sicht wird die Mode-Problematik auch explizit in den Lehrjahren thematisiert. Der Marchese kritisiert die Künstler der Zeit: Die „Welt“ sei „sehr leicht zu befriedigen“, wodurch einerseits die Mittelmäßigkeit gefördert werde, zum Zweiten erkläre es, warum der Künstler „nicht lieber für Modewaren Geld und Lob eintauschen, als den rechten Weg wählen sollte, der ihn mehr oder weniger zu einem kümmerlichen Märtyrertum führt“.282 Der Abbé betont schließlich auch, dass nunmehr allein „auf den sogenannten Effekt“ geachtet wird, der schließlich jede Kunst relativiere.283 In diesem wichtigen Kunstgespräch der Lehrjahre erfährt damit vor allem der Dilettantismus eine Kritik. Auch wenn Goethe und Schiller in den Dilettantismus-Schemata, an denen auch

276 Vgl. auch zur Funktion des Sofas in Bettina von Arnims ‚Goethebuch‘ Wichard: Eingerichtete Sehnsucht, S. 29f. 277 Goethe: Sämtliche Werke, I. Abt., Bd. 9, S. 410. 278 Ebenda, S. 392. 279 Ebenda. 280 Art. Geschmak. – In: Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Bd. 1, S. 465. 281 Garve: Über die Moden, S. 174. Vgl. S. 51 dieser Arbeit. 282 Goethe: Sämtliche Werke, I. Abt., Bd. 9, S. 953. Vgl. auch Reincke: Goethes Roman, S. 174f. sowie Costazza: Genie und tragische Kunst, S. 263f. 283 Goethe: Sämtliche Werke, I. Abt., Bd. 9, S. 955.

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Meyer beteiligt war,284 dem Dilettantismus auch positive Wirkungen – wie etwa die Ausbildung des genauen Sehens in der Zeichenkunst285 – zugesprochen hat, widerspricht dieser der Ästhetik der Kunstautonomie gerade hinsichtlich seiner Zweckorientierung, z.B. seines Strebens nach Beifall. Den Zweck bzw. die Nützlichkeit der aufwendigen Innengestaltung des Hauses durch seinen Vater hinterfragt auch Wilhelm, als der Nutzen seiner Theaterliebe bezweifelt wird: „[…] ist denn alles unnütz, was uns nicht unmittelbar Geld in den Beutel bringt, was uns nicht den allernächsten Besitz verschafft? Hatten wir in dem alten Hause nicht Raum genug? und war es nötig ein neues zu bauen? Verwendet der Vater nicht jährlich einen ansehnlichen Teil seines Handelsgewinnes zur Verschönerung der Zimmer? Diese seidenen Tapeten, diese englischen Mobilien sind sie nicht auch unnütz? Könnten wir uns nicht mit geringeren begnügen? Wenigstens bekenne ich, daß mir diese gestreiften Wände, diese hundertmal wiederholten Blumen, Schnörkel, Körbchen und Figuren einen durchaus unangenehmen Eindruck machen. Sie kommen mir höchstens vor wie unser Theatervorhang.“286

Nur scheinbar ist Wilhelms emphatische Rede allein einer monetären Nützlichkeit gewidmet. Seine Bezugnahme auf das Theater stellt nämliche einer kaufmännischen Perspektive eine künstlerische gegenüber. Die Frage nach der modischen Gestaltung einer Wohnung wird von Wilhelm mit Bezug auf die Kunst ausgespielt. Möbel, Tapeten usw. erwirtschaften nicht nur kein Geld, sie erreichen auch nicht den Status von Kunst, der er sich im Theater vermeintlich ernsthaft widmen möchte.287 Mit seiner Rede über die moderne Ausgestaltung des Hauses durch den Vater ruft er implizit einen ästhetischen Diskurs ab, wie ein Bezug auf Kant zeigen kann. Gernot Böhme hat darauf hingewiesen, wie ertragreich es ist, in der Kritik der Urteilskraft die angeführten Beispiele, mit denen Kant in seiner Ästhetik operiert, herauszugreifen und zu betonen – und in diesem Zusammenhang findet der bürgerliche Rokoko-Stil auch bei Kant große Beachtung.288 Kant differen-

284 Vgl. z.B. grundlegend Vaget: Dilettantismus und Meisterschaft; sowie zur neueren Forschung den Sammelband von Blechschmidt/Heinz: Dilettantismus um 1800. 285 Vgl. Vaget: Dilettantismus und Meisterschaft, S. 139. 286 Goethe: Sämtliche Werke, I. Abt., Bd. 9, S. 362. Vor dem Hintergrund einer Analyse des Luxus in den Lehrjahren hat jüngst Drügh die Bedeutung der Möbel für den Roman herausgestellt, vgl. Drügh: Luxus der Lehrjahre, hier S. 148f. 287 Vgl. auch Pape: Was der Mensch sei, S. 123. 288 Vgl. Böhme: Kants Kritik der Urteilskraft in neuer Sicht, S. 9 und S. 22.

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ziert den Schönheitsbegriff: „Es giebt zweierlei Arten von Schönheit: freie Schönheit (p u l c h ri t u d o v a ga ), oder die bloß anhängende Schönheit (p u l c h ri t u d o a d h a e r e n s ).“289 Kants Analytik des Schönen führt bei der Bestimmung des Geschmacksurteils bzw. bei ihrer Untersuchung von Aussagen mit der Prädikation ‚schön sein‘ zu dem Problem, dass manche Objekte nicht frei von weiteren Bestimmungen beurteilt werden können; hierzu zählt er unter anderen bestimmte Bauwerke wie „Kirche, Palast, Arsenal oder Gartenhaus“: Diese setzen „einen Begriff vom Zwecke voraus, welcher bestimmt, was das Ding sein soll, mithin einen Begriff seiner Vollkommenheit, und ist also bloß adhärirende Schönheit.“290 Form und Funktion müssen demnach im Sinne des Begriffs von einer ‚anhängenden Schönheit‘ harmonieren.291 Bei Objekten, die freie Geschmacksurteile zulassen, ist die Situation anders: „So bedeuten die Zeichnungen à l a gr e c q u e , das Laubwerk zu Einfassungen oder auf Papiertapeten u.s.w. für sich nichts: sie stellen nichts vor, kein Object unter einem bestimmten Begriffe, und sind freie Schönheiten.“292 Wilhelm zählt damit Objekte auf, die dem ästhetischen Subjekt – hier also der literarischen Figur Wilhelms – sowohl freie als auch zweckgebundene bzw. begrifflich festgelegte Geschmacksurteile ermöglichen (z.B. Tapetenmuster oder Möbelverzierungen). Die fehlende ökonomische Nützlichkeit der Hauseinrichtung, die Wilhelm anmahnt, um seine Theaterleidenschaft zu rechtfertigen, führt jedoch auch bei ihm nicht dazu, aus Perspektive des ästhetischen Subjekts der Einrichtung einen eigenen ästhetischen Schönheitswert zuzusprechen, was im Sinne einer zweckfreien Rokoko-Ornamentik im Rahmen des kantischen Ansatzes möglich wäre. Böhme betont den kommunikativen Anteil von ästhetischen Urteilen, da in ihnen auch die Gefühle der Urteilenden zum Ausdruck kommen: „Wer also sein Gefühl nicht durch Produktion von Kunstwerken mitteilen kann, ist als Mensch von Geschmack gleichwohl in der Lage, andere an seinem Wohlgefallen an Dingen teilnehmen zu lassen, nämlich indem er sie sich beschafft. […] Der Mensch von Geschmack, der ‚feine Mensch‘, wie Kant sich ausdrückt […], verschönert seine Umge-

289 Kant: Akademie-Ausgabe, Bd. 5, S. 229. Vgl. die Inbezugsetzung dieser Äußerungen von Kant mit den Lehrjahren bei Pape: Was der Mensch sei, S. 123f. 290 Kant: Akademie-Ausgabe, Bd. 5, S. 230. Vgl. Teichert: Kant, S. 17f. und S. 44f. 291 Vgl. Kulenkampff: Immanuel Kant, S. 450–452. 292 Kant: Akademie-Ausgabe, Bd. 5, S. 229.

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bung, er umgibt sich mit schönen Dingen und läßt dadurch andere an seinem Wohlgefallen an der Welt teilhaben.“293

Wilhelm ist weder Künstler noch zeichnet er sich zu Beginn durch einen gebildeten Geschmack aus. Stattdessen bewirkt die Tapete einen „unangenehmen Eindruck“ auf Wilhelm. Liest man den ‚unangenehmen‘ Eindruck im Rahmen der kantischen Begrifflichkeit, fällt auf, dass Wilhelm nicht nur keine pulchritudo vaga identifizierend beurteilen kann, er stellt seine Wahrnehmung unter die Perspektive des Begehrens des Angenehmen, wodurch ein interessenloses Geschmacksurteil grundsätzlich verhindert wird.294 Wilhelms Wahrnehmung ist von einem subjektiven Interesse geleitet, wodurch er zunächst auch als ‚Wohndilettant‘ etabliert wird, der die Einrichtung und Wohnung – wie bereits in Bezug auf Marianes Zimmer – für seine Vorstellung und Erwartungen funktionalisiert. Die Tapete wird für den Theaterenthusiasten ganz in diesem Sinnen hingegen zum faden Medium der Erinnerung an das Theater, weil sie einem Vorhang295 ähnelt: „Aber wie anders ists vor diesem [„Theatervorhang“, vgl. Zitat auf S. 102 dieser Arbeit] zu sitzen! Wenn man noch so lange warten muß, so weiß man doch, er wird in die Höhe gehen, und wir werden die mannigfaltigsten Gegenstände sehen, die uns unterhalten, aufklären und erheben.“296 Der Vorhang gehört zum Vorspiel des Theaters und ist wahrnehmungstechnisch das Tor, das zur Bühnenillusion führen kann, die gerade für Wilhelm außerordentlich wichtig ist und auch noch lange seine identifikatorische Theaterpraxis297 bestimmt. Eine Tapete kann diese Erwartung der Einbildungskraft bzw. diesen Zweck nicht erfüllen. Abgesehen von Wilhelms individueller Wohnungswahrnehmung ist jedoch zu bedenken, dass am Ende des 18. Jahrhunderts auch ein Wandel im Einrichtungsstil vollzogen wird, der sich durch die Ablösung des Rokoko und durch eine nunmehr größere Formenstrenge im Mobiliar auszeichnet; eine Veränderung, die insbesondere auch auf den Einfluss Englands zurückzuführen ist, der sich eben auch in den Journalen widerspiegelt und durch Korrespondenten wie

293 Böhme: Kants Kritik der Urteilskraft in neuer Sicht, S. 32. 294 Vgl. Kant: Akademie-Ausgabe, Bd. 5, S. 211: „G e s c h m a c k ist das Beurtheilungsvermögen eines Gegenstandes oder einer Vorstellungsart durch ein Wohlgefallen oder Mißfallen o h n e a l l e s I n t e r e s s e . Der Gegenstand eines solchen Wohlgefallens heißt s c h ö n .“ Vgl. auch Teichert: Kant, S. 17–22. 295 Vgl. Pape: Was der Mensch sei, S. 123. 296 Goethe: Sämtliche Werke, I. Abt., Bd. 9, S. 362. 297 Vgl. u.a. Borchmeyer: Goethe, S. 86f.

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Hüttner verbreitet wird.298 Inwieweit der Wohnstil innerhalb des Bürgertums auch in den Lehrjahren in Bewegung ist, verdeutlicht der Unterschied zwischen Wilhelms und Werners Vater: „Ein ganz entgegengesetztes Leben führte der alte Werner in einem dunkeln und finstern Hause. Hatte er seine Geschäfte in der engen Schreibstube am uralten Pulte vollendet; so wollte er gut essen, und wo möglich noch besser trinken, auch konnte er das Gute nicht allein genießen: neben seiner Familie mußte er seine Freunde, alle Fremde, die nur mit seinem Hause in einiger Verbindung standen, immer bei Tische sehen, seine Stühle waren uralt, aber er lud täglich jemanden ein, darauf zu sitzen.“299

Der alte Werner pflegt wie Wilhelms Vater ebenfalls einen bürgerlichkaufmännischen Lebensstil, der sich aber als konservativer in Einrichtungsfragen darstellt, wenngleich er für Geselligkeit offener erscheint. In Werners Brief an Wilhelm offenbaren sich jedoch die Unterschiede beider Elternhäuser anhand der Kritik an Wilhelms Familie, hoffte doch Werner, dass Wilhelm „nichts von den unfruchtbaren Liebhabereien deines Vaters und Großvaters geerbt haben“ möge, und spielt damit auf die Kunstsammlung des Großvaters und schließlich das Wohnen in der „kostbaren Einrichtung“ des Vaters an.300 Die rein ökonomisch orientierte Lebensführung Werners wird auch in seiner Skizzierung des geplanten Wohnstils nach dem Verkauf von Wilhelms Haus deutlich: „Nur nichts überflüssiges im Hause! nur nicht zu viel Möbeln, Gerätschaften, nur keine Kutsche und Pferde!“ Außerdem vermag, fortsetzend, Werner alten, geschichtsträchtigen, also individualisierten Gegenständen wie Möbeln keinen Nutzen zusprechen; letztlich gehört die Wohnungs- bzw. Hauseinrichtung nur zu einem „toten Kapital“.301 Wilhelm hatte zumindest dem Wohnen und den damit verbundenen Gegenständen eine subjektive Sensibilität entgegengebracht, so dass er seine Theaterleidenschaft stets hineinprojizieren konnte. Wilhelms ablehnende Antwort kulminiert in der berühmten Emphase, sich „selbst, ganz wie ich da bin, auszubilden“.302 Doch seine Trennung von der bürgerlichen Sphäre und sein Wunsch, über den Weg des Theaters – dem Adeligen ähnlich – zur öffentlichen Person zu werden, ist nur scheinbar vollständig; die Finanzquelle seiner bürgerlichen Herkunft wird ihm sein Theaterprojekt erst

298 Vgl. S. 57–59 dieser Arbeit sowie z.B. Colsman: Möbel, S. 119f. 299 Goethe: Sämtliche Werke, I. Abt., Bd. 9, S. 393. 300 Ebenda, S. 654. 301 Ebenda, S. 654f. 302 Ebenda, S. 657.

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ermöglichen.303 Mit seiner scheiternden Schauspielerlaufbahn beginnt jedoch ein Bildungsprozess, der sich bei ihm gerade durch einen neuen adäquaten Kunstsinn auszeichnet. Goethes Lehrjahre sind in der Forschung häufig im Kontext des Topos vom ‚Ende der Kunst‘ her gelesen worden.304 Von der Wahrnehmung eines Endes der Kunst zeugen auch das bereits erwähnte Kunstgespräch und die Kritik des Marcheses. Allerdings erscheint eine Kunst sehr wohl als beständig – und zwar gerade die, die dem Wohnen am nächsten ist: die Architektur; sie ist es auch, die Wilhelm den Weg zum Wohn-Glück bahnt.305 Zum entscheidenden Erlebnis wird für Wilhelm seine Ankunft im Haus des Oheims, kurz bevor er Natalie wieder trifft: „Er trat in das Haus, und fand sich an dem ernsthaftesten, seinem Gefühle nach, dem heiligsten Orte, den er je betreten hatte.“306 Den ‚heiligen Ort‘, den er bei Mariane nicht mehr hat erreichen können, umgibt Wilhelm nun, als er den Wohnbezirk Natalies, seiner späteren Ehefrau, betritt. Seine Ankunft wird sorgsam erzählt: Es ist Abend und so wird mit dem Gang ins Haus auch ein Schritt aus der Dunkelheit vollzogen: „Eine herabhängende blendende Laterne erleuchtete eine breite sanfte Treppe, die ihm entgegenstand, und sich oben beim Umwenden in zwei Teile teilte.“307 Die Wohlgeformtheit der zentralen Treppe folgt aus der Harmonie mit den menschlichen Proportionen; sie wirkt angenehm auf den „Sinn der mechanischen Bewegung des menschlichen Körpers“, den Goethe in der Baukunst-Schrift von 1795 herausstellt. So wie bei einem Tanz eine „angenehme Empfindung“ erlebbar wird, so könnte ein Gebäude eine „ähnliche Empfindung“ bei demjenigen evozieren, „den wir mit verbundenen Augen durch ein wohlgebautes Haus hindurch führen“.308 In einem pragmatischeren Sinne entspricht dieser architektonische Anspruch, den Goethe der Proportionslehre von Vitruv entlehnt und auf die

303 Vgl. auch Janz: Zum sozialen Gehalt, S. 329. 304 Erinnert sei z.B. an Hannelore Schlaffers Studie: Das Ende der Kunst. Vgl. als Übersicht z.B. auch die Diskussion bei Steiner zum „Schicksal der Kunst“, Steiner: Wilhelm Meisters Lehrjahre, S. 146–151. Vgl. zum Bildungskomplex Voßkamp: „Ein anderes Selbst“, z.B. S. 33–46. 305 Vgl. auch Pape: Was der Mensch sei. 306 Goethe: Sämtliche Werke, I. Abt., Bd. 9, S. 892. Vgl. auch Purdy: Building in Bildung, S. 68f. Die Eindrücke im Haus des Oheims stehen auch im Gegensatz zu den Wohnerfahrungen Wilhelms bei Therese, vgl. Mannack: Raumdarstellung, S. 99– 101; sowie Krines: Das häusliche Umfeld Goethes, S. 203–205. Zu Wilhelms Ankunft vgl. ebenso: Bänziger: Schloß, S. 43f. 307 Goethe: Sämtliche Werke, I. Abt., Bd. 9, S. 892. 308 Ebenda, Bd. 18, S. 368.

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Raumwahrnehmung überträgt,309 auch den neuen Ansprüchen der bürgerlichen Baumeister, die Regelmäßigkeit und Bequemlichkeit auch für Profanbauten einforderten.310 Gleichwohl hat das Haus des Oheims noch Schlosscharakter und befindet sich lediglich im Gebrauch und in seiner Funktion im Übergang zu bürgerlichen Lebensformen, schließlich wird es zum gemeinsamen Haus von Wilhelm und Natalie. Es nimmt daher nicht wunder, wenn Wilhelm am Morgen nach seiner Ankunft von dem Eindruck des Hauses noch immer ergriffen ist: „Den andern Morgen, da noch alles stille und ruhig war, ging er sich im Hause umzusehen. Es war die reinste, schönste, würdigste Baukunst, die er gesehen hatte. Ist doch wahre Kunst, rief er aus, wie gute Gesellschaft; sie nötigt uns auf die angenehmste Weise das Maß zu erkennen, nach dem und zu dem unser Innerstes gebildet ist.“311

Doch er kann nun auch die Qualitäten der Baukunst, die hier als „wahre Kunst“ gerade fortbesteht, ausformulieren und er erkennt die Harmonie zwischen innen und außen, zwischen dem Wesen des Bewohners und seiner umgebenden Form.312 Nach der Zurücknahme seiner subjektiv-identifikatorischen Wohnwahrnehmung wird dieser Hauseintritt zum Erfolg. Wilhelm erreicht damit den Status der Raumwahrnehmung, den bereits die ‚schöne Seele‘ erlebt hatte, als sie in das Haus des Oheims tritt: „Zum erstenmal in meinem Leben erregte mir der Eintritt in ein Haus Bewunderung. Ich hatte wohl oft von des Oheims Geschmack, von seinem italiänischen Baumeister, von seinen Sammlungen und seiner Bibliothek reden hören; ich verglich aber das alles mit dem, was ich schon gesehen hatte, und machte mir ein sehr buntes Bild davon in Gedanken. Wie verwundert war ich daher über den ernsten und harmonischen Eindruck, den ich beim Eintritt in das Haus empfand, und der sich in jedem Saal und Zimmer verstärkte. Hatte Pracht und Zierat mich sonst nur zerstreut; so fühlte ich mich hier gesammlet und auf mich selbst zurück geführt.“313

309 Zur (architektur-)ästhetischen Diskussion dieser zentralen Äußerung Goethes vgl. Becker: Raumvorstellung, S. 188f.; Bisky: Poesie der Baukunst, S. 72; Jeziorkowski: Grammatik der Architektur, S. 31; Kruft: Architekturtheorie, S. 216. 310 Vgl. Kap. 2.1 dieser Arbeit. 311 Goethe: Sämtliche Werke, I. Abt., Bd. 9, S. 896. 312 Vgl. auch Pape: Was der Mensch sei, z.B. S. 122; sowie ergänzend jüngst Büchsenschuß: Goethe und die Architekturtheorie, S. 114–117. 313 Goethe: Sämtliche Werke, I. Abt., Bd. 9, S. 773f.

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Der erwähnte italienische Baumeister lässt die Assoziation mit Palladio zu, der für Goethe auch gerade ein Vorbild für eine klassizistische Treppenanlage wurde,314 so wie sie nicht nur literarisch im Haus des Oheims exemplarisch verwirklicht ist, sondern wie er eine solche selbst in Weimar, im Haus am Frauenplan, realisierte. Als Goethe mit dem Weimarer Herzog in militärischer, antirevolutionärer Mission nach Frankreich zieht, korrespondiert er mit Johann Heinrich Meyer nicht nur über den Verlauf des Hausumbaus, sondern auch über den Treppenbau. Die Anlage, die auch einige Kunstwerke nach antikem Vorbild beherbergt, sollte in dem zweigeteilten Haus am Frauenplan, wie Pielmann feststellt, ein intellektuelles und Muße beanspruchendes „Entrée werden für Goethes vordere Wohnung“.315 Leichtigkeit und Ernsthaftigkeit einer Treppe hat Goethe an einer Wendeltreppe Palladios kennengelernt: „Von einer Treppe |:einer Wendeltreppe ohne Säule in der Mitte:| die er selbst in seinen Wercken lobt – la quale riesce mirabilmente – hab ich glaub ich noch nichts gesagt. Du kannst dencken, wenn Palladio sagt che riesce mirabilmente, daß es etwas seyn muß. Ja es ist nichts als eine Wendeltreppe die man aber nicht müd wird auf und abzusteigen.“316

Diese Begeisterung für Treppenanlagen ist Goethe bereits durch den Umbau des väterlichen Hauses in Frankfurt und die dortige für ein Bürgerhaus ungewöhnlich prächtige Treppe in die Wiege gelegt. Der Stilmischung des Frankfurter Hauses wollte er allerdings in Weimar möglichst entgehen, auch wenn das Barocke des Hauses am Frauenplan grundsätzlich erkennbar blieb.317 Im Haus des Oheims ist die bauliche Harmonie ungetrübt und auch Kunstwerke sind bereits im Treppenaufgang in den Sälen platziert. Als Wilhelm die Treppe hinauf schreitet, erkennt er einige „Statuen und Büsten“ wieder; sie stammen aus der Kunstsammlung seines Großvaters, die seine Kindheitseindrücke beherrscht hat: „Er erkannte eine Muse, die seinem Großvater gehört hatte,

314 Vgl. Pielmann: Goethes Treppenhäuser, S. 180. Zu Palladio und Goethes Lehrjahren vgl. auch Forssmann: Von deutscher Baukunst, S. 15f.; sowie Bänziger: Schloß, S. 20. 315 Pielmann: Goethes Treppenhäuser, S. 176–178 (Zitat: S. 177). 316 Goethe: Sämtliche Werke, I. Abt., Bd. 15/1, S. 715 (Tagebuch der italienischen Reise für Frau von Stein [1786]). Vgl. Pielmann: Goethes Treppenhäuser, S. 181; Krines: Das häusliche Umfeld Goethes, S. 205. Zu Goethe und Palladio vgl. auch weiterführend Purdy: Building in Bildung. 317 Vgl. Pielmann: Goethes Treppenhäuser, S. 172–174. Zum Haus am Frauenplan vgl. z.B. Ewald: Goethes Architektur, S. 110–123, S. 420f.

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zwar nicht an ihrer Gestalt und an ihrem Wert, doch an einem restaurierten Arme und an den neueingesetzten Stücken des Gewandes.“318 Die Sammlung des Großvaters hat in der neuen Umgebung ihren veränderten, aber doch verbesserten Ausdruck erhalten. Mit besonderem „Erstaunen“ nimmt Wilhelm auch im „Vorsaal“, bevor er Natalie begegnet, das Bild vom kranken Königssohn wahr.319 Mit diesem Bild ist einer der wichtigsten symbolischen Subtexte der Lehrjahre verbunden.320 Wilhelms leidenschaftliche Identifikation mit dem unglücklich verliebten Königssohn hat jedoch dazu geführt, dass er eine besondere Beziehung zu diesem Bild aufgebaut hat, obwohl es künstlerisch nicht als das wertvollste bezeichnet wird. Die Unterhaltung mit dem Unbekannten (im ersten Buch) der Lehrjahre, die vom ‚Wohndrama‘ mit Mariane eingeklammert wird, da Wilhelm diesen direkt nach dem ersten abendlichen, missglückten Besuch bei Mariane trifft, zeugt davon, wenn er bekennt: „der Gegenstand ist es, der mich an einem Gemälde reizt, nicht die Kunst“. Der Unbekannte wiederum betont den künstlerischen Blick des Großvaters, schließlich hat er dieses Bild im „äußersten Vorsaale, zum Zeichen, daß er es wenig schätzte“, platziert.321 Als Wilhelm das Bild vom kranken Königssohn wiedersieht und wenige Momente später die Amazone Natalie trifft, vereinigt sich im Haus des Oheims der andere wichtige Subtext, der von Tankred und der Amazone Chlorinde handelt, mit der Geschichte vom kranken Königssohn. Das erste Treffen mit der Amazone nach dem Überfall im Wald und seine medizinische Versorgung, die an den Arzt des Gemäldes erinnert, erzeugte schon einmal eine Verschmelzung beider Symbolstrukturen in einem ‚prägnanten Moment‘:322 „Unaufhörlich rief er sich jene Begebenheit zurück, welche einen unauslöschlichen Eindruck auf sein Gemüt gemacht hatte. […] Er glaubte nunmehr die edle heldenmütige Chlorinde mit eignen Augen gesehen zu haben; ihm fiel der kranke Königssohn wieder ein, an dessen Lager die schöne teilnehmende Prinzessin mit stiller Bescheidenheit herantritt.“323

318 Goethe: Sämtliche Werke, I. Abt., Bd. 9, S. 892. 319 Ebenda. 320 Vgl. z.B. Schings: Wilhelm Meisters schöne Amazone; bzw. Schings: Symbolik des Glücks. 321 Goethe: Sämtliche Werke, I. Abt., Bd. 9, S. 422. 322 Vgl. Wolf: Fruchtbarer Augenblick, S. 400–404. 323 Goethe: Sämtliche Werke, I. Abt., Bd. 9, S. 598.

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Im Haus des Oheims verschmilzt nun der zuvor wiedererweckte Eindruck des Bildes mit der Sehnsucht nach der Amazone: „[…] zu seinem noch größern Erstaunen erblickte er das wohlbekannte Bild vom kranken Königssohn an der Wand. Er hatte kaum Zeit einen Blick darauf zu werfen, der Bediente nötigte ihn durch ein paar Zimmer in ein Kabinett. Dort, hinter einem Lichtschirme, der sie beschattete, saß ein Frauenzimmer und las. O daß sie es wäre! sagte er zu sich selbst in diesem entscheidenden Augenblick. Er setzte das Kind nieder, das aufzuwachen schien, und dachte sich der Dame zu nähern, aber das Kind sank schlaftrunken zusammen, das Frauenzimmer stand auf und kam ihm entgegen. Die Amazone war’s! er konnte sich nicht halten, stürzte auf seine Knie, und rief aus: sie ist’s!“324

Wilhelms veränderte Kunstrezeption wird nochmals dadurch hervorgehoben, dass er keine Gelegenheit mehr zur Identifikation mit dem kranken Königssohn erhält. Die räumliche Inszenierung der Wiederbegegnung erlaubt nur einen kurzen Blick, bis sich das ‚Wohndrama‘ des Anfangs im heiligen Bezirk Natalies positiv entfaltet: Sein folgendes Zusammentreffen mit der Amazone ist zugleich seine Heilung und der Beginn seiner Glücksgeschichte, schließlich – so muss man bedenken – findet nicht nur Saul,325 sondern auch der kranke Königssohn des Bildes sein Glück – „now educated in matters of building and interior desgin“ .326 Die Vereinigung beider Symbolstrukturen im Kontext eines Hauses, das ‚wahrer Kunst‘ entspricht und zum Wohnhaus von Wilhelm, Natalie und Sohn Felix wird, zeigt die produktive narrative Verortung von ästhetischen Diskursen und symbolischen Strukturen im Diskurskomplex Wohnen. Wilhelms Lehrjahre enden damit auch in einer Glücksgeschichte des Wohnens.

324 Ebenda, S. 892. 325 Zu dem Saul-Komplex vgl. ausführlich Bluhm: Du kommst mir vor wie Saul. 326 Pape: Was der Mensch sei, S. 133. Mit anderer Lesart zum Haus vom Oheim (zur Verbindung von ‚buildung‘ und Bildung mit dem heutigen Haus am Frauenplan als Museum) vgl. Bernstein: Housing Problems, S. 37–40 (bzw. ebenso Bernstein: Goethe’s Architectonic).

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2.5 R OMANTISCHE W OHNEXPERIMENTE : D IE K RAFT DER EIGENEN V ORSTELLUNG (Hoffmann: Der Sandmann, Das Fräulein von Scuderi, Arnim: Die Majorats-Herren, Tieck: Des Lebens Überfluß) Als Friedrich Schlegel 1799 aus Berlin nach Jena zurückkehrt – in der preußischen Hauptstadt hatte er im Salon von Henriette Herz zuvor Dorothea Veit kennengelernt327 –, wohnen für eine kurze Zeit die Brüder August Wilhelm und Friedrich Schlegel sowie Caroline und Dorothea gemeinsam unter einem Dach und realisieren nicht nur ein ‚Sym-Philosophieren‘ und ein ‚Sym-Poetisieren‘,328 sondern sie bilden die berühmte frühromantische ‚Lebensgemeinschaft‘ in Jena; sie leben sehr wahrscheinlich in dem Hinterhaus des Döderlein-Hauses, in das die Brüder Schlegel sowie Caroline vermutlich bereits 1796 gezogen waren.329 Gleichwohl provozieren sie mit ihrem freien Lebensstil die Jenaer bürgerliche Gesellschaft; schließlich sind Friedrich und Dorothea noch nicht verheiratet. Dorothea beschreibt 1799 in einem Brief an Schleiermacher ihre Wohnsituation folgendermaßen: „Jena selbst ist eine häßliche Stadt, aber ich sehe sie nicht viel, wir wohnen alle in einer Art von Hinterhause, alle Fenster gehen nach dem Hofe zu. Ganz Unten wohne ich, eine Treppe hoch Caroline, dann Wilhelm und zuletzt ganz in die Höhe wohnt Friedrich.“330 Es ist nicht nur ihre Distanz zur bürgerlichen Stadtgesellschaft, auch ihre Wohnlage – so wie sie Dorothea beschreibt – eröffnet den Blick auf eine eigene Wohnwelt und eine Einkapselung, in der andere, freiere Regeln zu gelten scheinen. Die geistige Beweglichkeit ist in Form der romantischen Geselligkeit verwirklicht; ebenso ist der Blick Dorotheas durch das Haus von unten nach oben Zeugnis eines produktiven transitorischen Zustandes. In Schlegels programmatischem Roman Lucinde sind es schließlich die Figuren, die von Zeitgenossen als Zeugen für das Beziehungsgeflecht der Schlegels gelesen werden. Lucinde sei Dorothea, Julius Friedrich und auch Caroline wird

327 Vgl. u.a. Schwarz: Jena um 1800 (Museumsführer). 328 Vgl. z.B. Segeberg: Phasen der Romantik, S. 40. 329 Vgl. Kösling: Wohnungen der Gebrüder Schlegel, S. 104, S. 109. Vgl. auch Mittag: 1796: Die Frühromantik in Jena, S. 44. 330 Dorothea an Schleiermacher (Jena, 11.10.1799), C. u. D. Schlegel: Briefe, S. 301f. Über Caroline Schlegel hält Dorothea im selben Brief fest, dass diese „einen recht guten Geschmack“ habe: „so ist auch die Einrichtung, und die Meubles im ganzen Hause, und so der Tisch, nett, reinlich, zierlich und einfach.“ Ebenda, S. 301.

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im Text identifiziert.331 Für den hier verfolgten Zusammenhang ist auffällig, dass in der komplexen narrativen Konstruktion des Werkes auch die Räume und ihre Überschreitung eine transitorische Charakteristik erhalten, wobei – worauf Heide Volkening hinweist – Raumbeschreibungen nur sehr sparsam zu finden sind.332 Im Romanteil Treue und Scherz werden die wechselseitigen Emotionen durch dynamische Bewegungen in der Wohnung vermittelt: „Also das hast du mir sagen wollen, darum stürzest du so außer Atem ins Zimmer und hast mich so erschreckt? – Sei nicht böse, süßes Weib! o laß mich, mein Kind! du Schöne! mach mir keine Vorwürfe, gutes Mädchen! – Nun, wirst du noch nicht bald sagen: schließ die Türen zu? – So?... Gleich will ich dir antworten. Nur erst einen recht langen Kuß, und wieder einen, dann noch einige und viele andre mehr.“333

Lucindes und Julius’ Spiel von Annäherung und Distanz manifestiert sich erzählerisch auf der Schwelle zwischen innen und außen. Das Zögern und die Sehnsucht der Herzen werden über das Durchdringen der Räumlichkeiten inszeniert. Aber auch metaphorisch wird das Zimmer zum erweiterten Körper der Geliebten: „So mögen hier wohl Leidenschaften in der Luft sein: denn es ist beinah finster. – Gewiß haben Sie Ihre Augen zugeschlossen, Dame meines Herzens! Sonst würde eine allgemeine Klarheit unfehlbar das Zimmer durchstrahlen.“334 Das Zimmer wird so zum lesbaren Spiegel des Körpers von Lucinde – strahlt sie, strahlt auch der Raum. Gleichwohl ist ein solcher Effekt als hermetisch bzw. als Vorstellung der figuralen Einbildungskraft zu charakterisieren, da er nur für die Liebenden, insbesondere Julius, als ein derartiges Zeichen erkennbar ist. Als nicht hermetisch jedoch zu bezeichnen ist die Ebene der Entprivatisierung des Raumes und die Inszenierung der Sexualität im öffentlichen Raum, da Lucinde und Julius für die Liebesnacht den häuslichen Raum verlassen und der Gartenpavillon aufgesucht wird.335 Über Lucinde wird im narrativen Mittelteil des Werkes, Lehrjahre der Männlichkeit, berichtet, dass sie „einen entschiednen Hang zum Romantischen“ habe: „Auch sie war von denen, die nicht in der gemeinen Welt leben, sondern in

331 Vgl. zur Rezeption, aber auch zu grundlegenden interpretatorischen Zugängen Behler: Friedrich Schlegel; sowie Kremer: Romantik, S. 130–132. 332 Vgl. Volkening: Der helle Raum des Privaten, S. 144f. 333 F. Schlegel: KFSA, Bd. 5, S. 29. 334 Ebenda, S. 35. 335 Vgl. Volkening: Der helle Raum des Privaten, S. 149f.; ebenda auch die Ausführung zum Diskurs von Privatheit und Öffentlichkeit in Lucinde.

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einer eignen selbstgedachten und selbstgebildeten.“336 Die Liebe zwischen Lucinde und Julius realisiert sich schließlich in einer absoluten romantischen Vereinigung und ‚In-Eins-Werdung‘, die doch das Individuum als Vieles im Einen bewahrt: „Sie waren ganz hingegeben und eins und doch war jeder ganz er selbst, mehr als sie es noch je gewesen waren […].“337 Vor allem das Bild bzw. die Vorstellung vom ‚durchstrahlenden‘ Zimmer sowie die Rede von der selbst erdachten Welt lenkt den Blick auf die in der Poesie und Philosophie der Romantik bedeutsame Funktion der Einbildungskraft. Kant führt die Einbildungskraft zwar aus der rein empirischen Sphäre hinaus, da sie als ‚produktive Einbildungskraft‘ für eine Sinnlichkeit a priori empfänglich ist, dennoch ist damit weiterhin der Fokus auf die Anschauung gerichtet – es besteht damit eine Trennung von Objekt und vorstellendem Subjekt, die Hegel wegen der fehlenden Verknüpfung beider Seiten kritisieren wird.338 Allgemein wird der Einbildungskraft das Vermögen zugesprochen, Gegenstände der Erfahrung (Anschauung) auch unabhängig von einer Erfahrungssimultaneität vorzustellen, womit einerseits ihr künstlerisch-kreatives Potential, andererseits ihre Schnittstelle zur Erkenntnistheorie benannt ist.339 Einflussreich für die (Früh-)Romantiker ist dabei Fichtes Begriff von der Einbildungskraft: „Die Einbildungskraft ist ein Vermögen, das zwischen Bestimmung und NichtBestimmung, zwischen Endlichem und Unendlichem in der Mitte schwebt; und demnach wird durch sie allerdings A + B zugleich durch das bestimmte A und zugleich durch das unbestimmte B bestimmt, welches jene Synthesis der Einbildungskraft ist, von der wir soeben redeten. – Jenes Schweben eben bezeichnet die Einbildungskraft durch ihr Produkt; sie bringt dasselbe gleichsam während ihres Schwebens, und durch ihr Schweben hervor.“340

Mit dem ‚Schweben‘ etabliert Fichte eine Metapher, die auch von den Frühromantikern fortgeführt wird. Mit dem Zwischenzustand wird ein „‚offener Ort‘“ mithilfe der Einbildungskraft als „Organon“ konstituiert, so Lore Hühn, „welchen die Jenaer Frühromantiker für die Wirklichkeit des Absoluten reklamieren“

336 F. Schlegel: KFSA, Bd. 5, S. 53. 337 Ebenda, S. 54. Vgl. Pikulik: Frühromantik, S. 177–184, hier S. 180f. 338 Vgl. Jochen Schulte-Sasse: Art. Einbildungskraft/Imagination. – In: Ästhetische Grundbegriffe, Bd. 2, S. 88–120, hier S. 114f. 339 Vgl. ebenda. 340 Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, S. 136 (Zweiter Teil, §4, E).

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und zu dem sie sich im fragmentarischen Element ihrer Kunst in einem Annäherungsprogress befinden.341 Auch die Bestimmung des Begriffs von der romantischen Poesie ist mit Friedrich Schlegel aus der Perspektive der Einbildungskraft charakterisierbar: „Und doch kann auch sie [die romantische Poesie] am meisten zwischen dem Dargestellten und dem Darstellenden, frei von allem realen und idealen Interesse auf den Flügeln der poetischen Reflexion in der Mitte schweben, diese Reflexion immer wieder potenzieren und wie in einer endlosen Reihe von Spiegeln vervielfachen.“342

Auch in der Poetologie des berühmten 116. Athenäums-Fragments ist damit die Einbildungskraft als Strukturprinzip ‚schwebend‘ präsent.343 Im Zuge des ‚spatial turn‘ hat sich auch die Forschung zur Literatur der Romantik räumlichen Kategorien intensiv zugewendet.344 Um der Schwierigkeit eines einheitlichen Raumbegriffs Rechnung zu tragen, andererseits aber die Wohndiskurse, die sich nicht in einer Raumanalyse erschöpfen, angemessenen untersuchen zu können, soll die Perspektive im Folgenden primär vom Konzept der Einbildungskraft geleitet werden. Mit der „Raum-Zeit-Figur des Schwebens“345 wird nicht nur eine zentrale Kategorie der Romantik aufgerufen, sondern zudem auch eine räumliche Ebene. Die Metapher des Schwebens ist zentral, wie auch Winfried Menninghaus mit Bezug auf Fichte formuliert: „[…] so erzeugt die menschliche Einbildungskraft Problemlösungen für logisch unvereinbare Widersprüche, indem sie den räumlichen Punkt ihres Aufeinandertreffens zeitlich zum Vibrieren bringt und in diesem Vibrieren eines Grenzkonflikts beide Seiten gleichzeitig aufzufassen und zur Darstellung zu bringen vermag […].“346

341 Hühn: Das Schweben der Einbildungskraft, S. 582. Zum Einfluss von Fichte vgl. auch Uerlings: Einleitung, S. 21–27. 342 F. Schlegel: KFSA, Bd. 2, S. 182f. 343 Vgl. Hühn: Das Schweben der Einbildungskraft, S. 583f. 344 Vgl. z.B. die Sammelbände Mülder-Bach/Neumann: Räume der Romantik; Pape: Raumkonfigurationen in der Romantik; aber auch Studien wie von Tausch: Architektur ist die Nachtseite der Kunst; Lange: Architekturen der Psyche; Cagle: E.T.A. Hoffmann’s Domestic Space. 345 Menninghaus: Raum-Chiffren, S. 16. 346 Ebenda, S. 15f.

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Die philosophische Raum-Bestimmung der Einbildungskraft korrespondiert aber auch mit ihrer Aktivität selbst, die wiederum ihr Vorgestelltes räumlich realisiert: In der Literatur schaffen die Figuren und Erzählinstanzen Räume, die changieren und selbst in der Schwebe sein können. So wie die Einbildungskraft in der romantischen Philosophie von tragender Bedeutung ist, um die letzte Ursache außerhalb der Erfahrung, nämlich in der Kunst – wenn auch in ironischer Brechung – festzumachen, so ist die Einbildungskraft in der narrativen Ausgestaltung der literarischen Figuren eine ertragreiche Analyseperspektive. Dies gilt auch für den hier verfolgten Zusammenhang von Raum und Wohnen, da trotz innerer Anschauung die (fiktive) empirische Welt des Wohnens zum Ausgangs- und Reibungspunkt der Einbildungskraft vieler Figuren wird. Der Diskurskomplex Wohnen tritt in diesem Zusammenhang aus seinem weltlich-empirischen Kontext hervor und wird zum Medium romantischer Poesie. Die hier postulierte Bindung der Einbildungskraft an die erzählten Räume des Wohnens und ihre Ausstattung, die im Folgenden an einzelnen literarischen Beispielen verdeutlicht werden soll, unterliegt dabei nicht mehr einer starren Bindung zwischen Objekt und wahrnehmendem Subjekt, wie dies im Rahmen der Mnemotechniken der Rhetorik üblich gewesen ist. Mit der Einbildungskraft ist aus wahrnehmungspsychologischer Sicht schließlich auch ein dynamisches Erinnerungsvermögen wesentlich verknüpft; begriffsgeschichtlich wird die Einbildungskraft darüber hinaus erst im 18. Jahrhundert mit einem schöpferischen Akt verbunden.347 Gleichwohl besteht noch eine Verbindung zwischen der Mnemonik und der Dichtkunst um 1800, da die tradierten Raum-Bilder der Rhetorik in der Literatur ihrer Ursprungsfunktion enthoben fortbestehen. Auch die Vorstellung vom Gedächtnisraum geht auf die Erinnerungstechniken zurück.348 Zu den in der Antike gelehrten Mnemotechniken gehört es, seine Gedanken und Argumente – vornehmlich im Rahmen der memoria als Teil des Redeaufbaus – an ‚Merkörtern‘ (loci) abzulegen, derer man sich leicht erinnert und die sich in der Vorstellung einfach durchschreiten lassen. Ein spezifisches Möbel beispielsweise ruft dann bestimmte Gedanken oder ‚Merkbilder‘ (imagines)

347 Vgl. Jochen Schulte-Sasse: Art. Einbildungskraft/Imagination. – In: Ästhetische Grundbegriffe, Bd. 2, S. 88–120, hier S. 103. 348 Vgl. Lange: Architekturen der Psyche, S. 41f.

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wieder ins Bewusstsein.349 Anleitungen sind zum Beispiel von Quintilian überliefert: „Sie erlernen daher (ein System von) möglichst geräumige(n) Plätze(n), die durch große Mannigfaltigkeit hervorstechen, ein großes Haus vielleicht, das sich in viele Einzelräume aufgliedert. Alles, was darin bemerkenswert ist, prägen sie sich in ihrem Geiste sorgfältig ein, so daß ihr Denken ohne Zaudern und Verzögerung alle seine Teile durcheilen kann. […] Sodann kennzeichnen sie das, was sie geschrieben oder in Gedanken erfassen, mit irgendeinem Zeichen […]. Diese (Zeichen, Symbole) verteilen sie […] und sie halten sich hierbei der Reihe nach nicht etwa nur an Schlafzimmer und auffallende Sitzecken, sondern auch an Standbilder und ähnliches. Wenn […] die Erinnerung wieder aufgesucht werden soll, beginnen sie diese Plätze von Anfang an wieder durchzumustern und fordern zurück, was sie jedem Platz anvertraut haben, indem sie durch das Bild dieser Inhalte sich erinnern lassen.“350

Heinrich Heine spielt gerade diese Verbindung von Erinnerungstechnik und Wohnraum satirisch aus: In der Erzählung Aus den Memoiren des Herren von Schnabelewopski berichtet der Ich-Erzähler von Simson, einem Studenten aus Leiden, der es nicht duldet, „daß man in seinem Zimmer das mindeste verrückte“.351 Als aber seine Magd die Möbel dennoch verstellt und seine Kleidung aus der Kommode genommen hat, ist er „untröstlich“: „er wisse jetzt gar nichts mehr von der assyrischen Geschichte, und alle seine Beweise für die Unsterblichkeit der Seele, die er so mühsam, in den verschiedenen Schubladen, ganz systematisch geordnet, seyen jetzt in die Wäsche gegeben.“352 Die fest definierte Erinnerungsfunktion der Zimmereinrichtung wird von Simson buchstäblich genommen; die erzählten Möbel charakterisieren damit nicht nur die vordergründige Gelehrsamkeit des Studenten, sie dienen narrativ als satirisch verstelltes Medium, das nicht mehr primär der Mnemonik, sondern als narratives Mittel der Figurencharakterisierung dient. Von einer anderen Bindungsfähigkeit der Einbildungskraft, die in der Romantik ebenfalls in den Hintergrund rückt, war bereits die Rede: In der Fallge-

349 Vgl. W. Neuber: Art. Memoria. – In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 5, Sp. 1037–1078, hier Sp. 1038. 350 Quintilian: Die Ausbildung des Redners XI, 2, 18–20. Zit. nach der Übersetzung von Friedhelm L. Müller: Kritische Gedanken zur antiken Mnemotechnik, S. 133. Vgl. auch Sasse: Literaturwissenschaft, S. 228. 351 Heine: Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bd. 5, S. 181. 352 Ebenda.

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schichte des Arztes Marcus Herz im Magazin zur Erfahrungsseelenkunde war seine Krankheit von einer ausschweifenden Einbildungskraft begleitet. Erst die Wahrnehmung seiner eigenen Möbel hat die durcheinander verlaufenden Ideen sortieren und dämpfen können und damit eine Heilung bewirkt. Auch Carl Friedrich Pockels kritisiert vor dem Hintergrund einer Kultur der Zerstreuung in demselben Magazin eine derartige Einbildungskraft, die dem Denken die Kraft nimmt.353 Die erzählte Einbildungskraft bewegt sich somit vor dem Hintergrund einer komplexen Traditions- und Neuerungsfolie, auf der jedoch auch das ‚neue‘ bürgerliche Wohnen zu finden ist; somit ist es auch nicht verwunderlich, warum Wohn-Raumstrukturen zum Gegenstand der Einbildungskraft literarischer Figuren der Romantik werden. Findet Anton Reiser am Ende des (unvollendeten) Romans noch keine sichere Verortung und keine eigene Wohnwelt, die ihm (und seiner Einbildungskraft) eindeutig Sicherheit verspricht, scheint Wilhelms Ankunft bei Natalie am Ende seiner Lehrjahre vielversprechender. Die Figuren, um die es im Folgenden gehen soll, sind nun narrativ in die romantischen Experimente einer Einbildungskraft mit Wohn-Wünschen und -Ängsten eingebunden. Zuerst werden E.T.A. Hofmanns Erzählungen Der Sandmann und Das Fräulein von Scuderi untersucht, im Anschluss Die Majorats-Herren von Achim von Arnim und schließlich die späte Erzählung Des Lebens Überfluß von Ludwig Tieck. In E.T.A. Hoffmanns Nachtstück Der Sandmann ist es Clara, die im Brief an Nathanael eine programmatische Warnung Lothars wiedergibt und zugleich damit den Einfluss der äußeren Umgebung auf das Innere festschreibt: „Es ist auch gewiß, fügt Lothar hinzu, daß die dunkle physische Macht, haben wir uns durch uns selbst ihr hingegeben, oft fremde Gestalten, die die Außenwelt uns in den Weg wirft, in unser Inneres hineinzieht, so, daß wir selbst nur den Geist entzünden, der, wie wir in wunderlicher Täuschung glauben, aus jener Gestalt spricht. Es ist das Fantom unseres eigenen Ichs, dessen innige Verwandtschaft und dessen tiefe Einwirkung auf unser Gemüt uns in die Hölle wirft, oder in den Himmel verzückt.“354

Der Auslöser für die fatale ‚Entzündung des Geistes‘ von Nathanael sind primär Coppelius bzw. Coppola, die – wie er auch selbst feststellt – „Fantome meines Ich’s“ sind.355 Jedoch ist die Wirkung der dunklen, dämonischen Mächte über

353 Vgl. Jochen Schulte-Sasse: Art. Einbildungskraft/Imagination. – In: Ästhetische Grundbegriffe, Bd. 2, S. 88–120, hier S. 105. 354 Hoffmann: Sämtliche Werke, Bd. 3, S. 23. 355 Ebenda, S. 24.

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die Raumstrukturen bzw. die Wohnsituation mitvermittelt. Bereits zu Beginn der Erzählung wird dies anhand der Kindheitserinnerung356 Nathanaels im Brief an Lothar deutlich. In der kindlichen Wahrnehmung vermischen sich Imagination und Wirklichkeit. Die mütterliche Aufklärung über die Geschichte vom Sandmann befriedigt den Sohn nicht. Dass die Sandmann-Geschichte allein die Funktion habe, ihn, das Kind, zur Schläfrigkeit anzuhalten, kann Nathanael nicht glauben. Die Ursache dafür liegt auch in einer Raumdramatik, die sich in sein kindliches Erleben fest eingebrannt hat. Die Mutter verleugnet die Realität des Sandmanns nur, „damit wir uns vor ihm nicht fürchten sollten, ich hörte ihn ja immer die Treppe heraufkommen“.357 Die Begründung Nathanaels berührt unmittelbar den Diskurskomplex des Wohnens. In den inneren Bereich der privaten Wohnung dringt mit den hörbaren Schritten eine Person ein, die Nathanael als Sandmann identifiziert, jedoch nicht näher greifbar ist.358 Stattdessen ist die kindliche Einbildungskraft voller „Neugierde“ und die Informationen, die er von der Aufwartefrau seiner jüngsten Schwester erhält, dass er ein „böser Mann“ sei, der Kindern nachstelle, nährt diese umso mehr: „Gräßlich malte sich nun im Innern mir das Bild des grausamen Sandmanns aus; sowie es Abends die Treppe heraufpolterte, zitterte ich vor Angst und Entsetzen.“359 Als Nathanael ein wenig älter geworden ist, hält er diese Version nicht mehr für einzig tragfähig, aber seine „Fantasie“ führt das Unerklärte fort, bindet sich jedoch dabei an das Bekannte und Wahrnehmbare seiner Umwelt, wie etwa die Einrichtung seines Zimmers, zeichnet er doch den Sandmann „überall auf Tische, Schränke und Wände“.360 Zudem nähren die gehörten und imaginierten Grenzüberschreitungen die Einbildungskraft: Er schleicht sich einmal aus seinem „Kämmerchen“361 und doch sieht er den Unbekannten nicht, bevor dieser das Zimmer des Vaters er-

356 Vgl. die Ausführungen zu Kindheitserinnerungen im Anton Reiser auf S. 75 dieser Arbeit. 357 Hoffmann: Sämtliche Werke, Bd. 3, S. 13. 358 Brüggemann interpretiert diese Szene mit Sigmund Freud: „Das Kind Nathanael besteht auf der physischen Existenz dieses Sandmanns, es besteht darauf, mit Freud gesagt, daß das Phantastische real vor es hintritt, daß das Symbol die volle Leistung und Bedeutung des Symbolisierten übernimmt.“ Brüggemann: Das andere Fenster, S. 126. 359 Hoffmann: Sämtliche Werke, Bd. 3, S. 13. 360 Ebenda, S. 14. Vgl. auch Lange: Architekturen der Psyche, S. 156. 361 Hoffmann: Sämtliche Werke, Bd. 3, S. 14.

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reicht. Das Spiel von Distanz und Nähe in den Räumen des Elternhauses wird somit zu einem Katalysator für die Einschreibung der kindlichen Empfindungen von unangreifbaren Mächten, die seine Psyche dauerhaft belasten werden. Den vorläufigen Höhepunkt in dieser Raum-Macht-Konstellation bildet die Sandmann-Begegnung in der Person des Nathanael bereits bekannten Coppelius im Zimmer des Vaters. Das Verstecken und die Entdeckung Nathanaels bilden den Zusammenfall von einer höchst bewegten Einbildungskraft und – durch die Identifizierung des Sandmanns – einer notwendigen Desillusionierung.362 Dennoch ist der verhängnisvolle Keim von Coppelius in Nathanael längst eingepflanzt, und die Einbildungskraft ist – so könnte man sagen – infiziert. Zunächst scheint sich die Situation Nathanaels jedoch entspannt zu haben: „Ein Jahr mochte vergangen sein, als wir der alten unveränderten Sitte gemäß Abends an dem runden Tische saßen. Der Vater war sehr heiter und erzählte viel Ergötzliches von den Reisen, die er in seiner Jugend gemacht.“363 Aus der Perspektive dieser bürgerlichen Wohnidylle wird jedoch im Folgenden die Harmonie gestört und die Raumgrenzen, die der Einbildungskraft ohnehin keinen Halt zu geben vermögen, werden aufgebrochen: „Da hörten wir, als es Neune schlug, plötzlich die Haustür in den Angeln knarren und langsame eisenschwere Schritte dröhnten durch den Hausflur die Treppe herauf. „‚Das ist Coppelius‘, sagte meine Mutter erblassend.“364 Die erneute Berührung der Schwelle des Hauses durch Coppelius wird detailliert inszeniert. Wieder ist es eine akustische Wahrnehmung, die an das Wohnhaus gebunden ist und zugleich die Einbildungskraft in vorhergehende Muster lenkt, so dass die Mutter sofort zutreffend an Coppelius denkt. Ebenso ist Nathanael plötzlich unbeweglich und verhält sich wie gelähmt, andererseits füllt seine Einbildungskraft seine ganze Kammer in Form des ihm erscheinenden Coppelius bildlich aus: „Ich ließ mich fortführen, ich trat in meine Kammer. ‚Sei ruhig, sei ruhig, lege dich ins Bette! – schlafe – schlafe‘, rief mir die Mutter nach; aber von unbeschreiblicher innerer Angst und Unruhe gequält, konnte ich kein Auge zutun. Der verhaßte abscheuliche Coppelius stand vor mir mit funkelnden Augen und lachte mich hämisch an, vergebens trachtete ich sein Bild los zu werden.“365

362 Vgl. auch zur Durchdringung des Wohnraumes mit dem Fremden und Unheimlichen (u.a. in Auseinandersetzung mit Freud) Lange: Tapetentüren und geheime Kammern, S. 243. 363 Hoffmann: Sämtliche Werke, Bd. 3, S. 18. 364 Ebenda. 365 Ebenda, S. 19.

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Selbst der intime und geschützte Rückzugsraum des eigenen Bettes ist wirkungslos.366 Die Befreiung aus der eigenen Lähmung erfolgt erst durch die Explosion, welche jedoch den Tod des Vaters zur Folge hat. Die Ursache der Explosion – die alchemistischen Experimente – nimmt Nathanael, in das dampfende Zimmer hineinstürmend, nicht wahr, ihm „vergingen die Sinne“.367 Es ist damit nicht verwunderlich, dass der Wetterglashändler jene eingeübten, psychischen Muster bei Nathanael neuerlich weckt – zu sehr ist er von seinen kindlichen Erlebnissen geprägt. Die literarische Inszenierung der fatalen Imaginationen, die freilich im vielschichtigen Text Hoffmanns nicht vollständig aufgelöst werden können,368 nimmt wieder ihren Ausgangspunkt im Wohnkomplex. Als der inzwischen Student gewordene Nathanael zurück zu seiner Wohnung kommt, findet er diese abgebrannt vor; sogleich wird er in ein anderes Haus einquartiert. Zwar werden seine Papiere und technischen Geräte gerettet, doch mit dem Verlust des Hauses ist auch ein Verlust der Wohnidentität verbunden, die das weitere Geschehen und seine Empfänglichkeit für eine ungebändigte Einbildungskraft erhöht. Zunächst vermag ihn der neue Fensterblick auf Olimpia nicht sonderlich zu affizieren, doch mit dem neuen Haus sind die Voraussetzungen nunmehr geschaffen, in den Bann der Einbildungskraft zu gelangen.369 Nach dem Eintreten von Coppola, der ihm seine optischen Gerätschaften zum Verkauf anbietet, versucht er zunächst seine Assoziationen aus der Kinderzeit zu kontrollieren: Er „nahm sich mit aller Gewalt zusammen und sprach so sanft und gelassen, als möglich: ‚Ich kaufe kein Wetterglas, mein lieber Freund! gehen sie nur!‘“. Das Scheitern seines Versuches wird erzählerisch unmittelbar darauf räumlich markiert: „Da trat aber Coppola vollends in die Stube […].“370 Mit dem Zusammenbruch der Schutzfunktion seines Zimmers verliert er auch die Kontrolle über seine Einbildungskraft.371 Er nimmt das „Taschenperspektiv“: „Noch im Leben war ihm kein Glas vorgekommen, das die Gegenstände so rein, scharf und deutlich dicht vor die Augen rückte. Unwillkürlich sah’ er hinein in

366 Zur Bedeutung des Betts als besondere intime Zone vgl. auch Ankele: Begrenzter Raum, S. 19. Zum Bett-Raum vgl., um ein wichtiges literarisches Beispiel anzuführen, Hacopian: Kafkas Bett. 367 Hoffmann: Sämtliche Werke, Bd. 3, S. 19. 368 Vgl. z.B. die neuere einführende Interpretation von Schmitz-Emans: Romantik, S. 115–128, hier S. 118. 369 Vgl. Hoffmann: Sämtliche Werke, Bd. 3, S. 34f. Zum Wohnungswechsel vgl. ergänzend auch Tausch: Die Architektur ist die Nachtseite der Kunst, S. 342f. 370 Hoffmann: Sämtliche Werke, Bd. 3, S. 35. 371 Vgl. Lehnert: Verlorene Räume, S. 727.

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Spalanzani’s Zimmer; Olimpia saß, wie gewöhnlich, vor dem kleinen Tisch, die Ärme darauf gelegt, die Hände gefaltet.“372 Verstärkt durch den magisch-dämonischen visuellen Eindruck erlebt Nathanael einen noch intensivierten Eindruck der Wohnumgebung und Olimpias. Alles zeichnet sich ihm nun klar vor Augen ab und er „lag wie festgezaubert im Fenster“,373 seine Umgebung vergessend. Und so bietet sich mit Heinz Brüggemann gesprochen „eine urbane Wahrnehmungskonstellation“, die „mit der Distanz zugleich den Spielraum für das Imaginäre, die imaginierte Nähe, und das ist ein Angebot, das der kranken Psyche dieses Helden sehr entgegenkommt“.374 Als schließlich Olimpias Zimmer mit Gardinen verhängt wird, verbleibt er am Fenster, bis ihn die „Sehnsucht“, die immer schon die Einbildungskraft aktiviert, auf die Straße hinauslaufen lässt. 375 Mit dem Motiv des Schwebens ruft Hoffmann die Funktionsmetapher der Einbildungskraft im Folgenden ab: „Olimpia’s Gestalt schwebte vor ihm her in den Lüften und trat aus dem Gebüsch […]. Clara’s Bild war ganz aus seinem Innern gewichen […].“376 Der Entzug der lebendigen Clara und ihre Ersetzung durch den Automaten und die selbstreflexive Projektionsfläche ist als „zweite Mißhandlung“ von Coppelius bzw. Coppola zu verstehen.377 Die Faszination an der noch nicht als Puppe erkannten Olimpia fesselt seinen Blick hinaus durch das Fenster seiner Wohnung; Gerhard Neumann rekonstruiert mit Bezug auf Heinz Brüggemann die Perspektivierung des Raumes durch ein Fenster als eines von vier Raummodellen der Goethezeit (neben dem des Aufstieges, des desorientierenden Wirbels und dem des Sprungs).378 Nathanaels Bindung an die gewohnte Umgebung verliert jedoch dadurch ihre Kraft, dass sein Blick hinausgezogen wird. Mit dem Verlust des Blickes für die eigene Wohnung verliert er auch seine eigene Identität. Der verbleibende Rahmen des Fensters markiert nur eine durchlässige und für ihn gefährliche Grenze der eigenen Wohnung. Gerade dies wird durch die narrative Gestaltung der Zimmer und der Wohnung sowie der Überschreitung der Raumgrenzen literarisch inszeniert. Seine Psyche ist nunmehr manipuliert und fremdgesteuert.

372 Hoffmann: Sämtliche Werke, Bd. 3, S. 36. 373 Ebenda. 374 Brüggemann: Das andere Fenster, S. 134. 375 Hoffmann: Sämtliche Werke, Bd. 3, S. 37. Zu Sehnsucht und Einbildungskraft vgl. auch Wichard: Eingerichtete Sehnsucht, S. 27. 376 Hoffmann: Sämtliche Werke, Bd. 3, S. 37. 377 Brüggemann: Das andere Fenster, S. 135. 378 Vgl. Neumann: Erotische Räume, S. 119f.

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Nathanaels Erwachen „in seinem Zimmer in des Vater Hause auf dem Bette“ symbolisiert seine zwischenzeitliche Heilung. Er ist wieder in das Haus eingezogen und damit auch in sein eigenes Inneres. Außerhalb des Wohnhauses geschieht jedoch der fatale Rückfall. Das Moment des Aufstieges realisiert sich bei der Turmbesteigung am Ende der Erzählung,380 wodurch sich sogleich eine neue Perspektivierung eröffnet, die durch das Perspektiv in Nathanaels Tasche intensiviert wird und zu einem tödlichen Ausbruch des Wahnsinns bei Nathanael führt, da seine Imaginationskraft keine positive Struktur und Lenkung mehr erfährt. Die potentielle Weite des Blicks von einem Turm und der Wunsch, Unerkanntes dennoch exakter wahrzunehmen, führt zum Gebrauch des Perspektivs und zum zufälligen Blick auf Clara, die Nathanael als zweite Olimpia auferstehen lässt. Der Tod Nathanaels im öffentlichen Stadtraum korreliert mit seiner Unbehaustheit und dem Kontrast zu Claras zukünftigem Leben, die man – so das Gerücht – Jahre später „mit einem freundlichen Mann, Hand in Hand vor der Türe eines schönen Landhauses“ sitzen sah, mit „zwei muntre[n] Knaben“.381 Der Ordnung des häuslichen Wohnens entspricht eine kontrollierte, das heißt gesunde Einbildungskraft, zu der Nathanael nicht befähigt gewesen ist. Unter anderem hat Gertrud Lehnert auf die „bedrohliche Qualität“ des Elternhauses von Nathanael hingewiesen und die „Innenräume“ als unsichere „Räume der Seele“ interpretiert;382 doch trotz des Verlustes der Schutz- und Einkehrfunktion eines Hauses bleibt diese als verdrängte Funktion immer Teil des Diskurskomplexes vom Wohnen. Die Wohnräume selbst bleiben gewissermaßen als eine ‚neutrale Folie‘ bestehen, die in ihrer narrativen Ausgestaltung und bezüglich ihrer Bindung an die in Hoffmanns Erzählung ausgeprägt gestaltete Figurenpsyche produktiv oszillieren. Im Fräulein von Scuderi ist – wenn auch historisch in die Zeit des französischen Absolutismus verlagert – ein ähnlich produktives Wechselverhältnis von 379

379 Hoffmann: Sämtliche Werke, Bd. 3, S. 47. 380 Vgl. Neumann: Erotische Räume, S. 119. 381 Hoffmann: Sämtliche Werke, Bd. 3, S. 49. Vgl. zu diesem Schlussbild bzw. zu diesem „hyper-idealized model of dwelling“ auch Cagle: E.T.A. Hoffmann’s Domestic Space, S. 228–234, Zitat: S. 229. Drux merkt an, dass Claras idyllisches Schluss-Glück mit Blick auf Hoffmanns Ehebild „kaum als Kompliment“ zu verstehen sei (Drux: Nachwort, S. 66). 382 Lehnert: Verlorene Räume, S. 728f.; nach Lehnert wird durch die „Verwischung der Grenzen zwischen Innenräumen und Außenräumen“ in der Romantik die erzählerische Konstitution von „Angst-Räumen“ ermöglicht (ebenda, S. 722). Vgl. außerdem Lange: Architekturen der Psyche, S. 154f.

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Wohnraumstrukturen und Erwartungen, Vorstellungen sowie Imaginationen der Figuren zu finden, das nun untersucht werden soll. Anders als im Sandmann ist gleichwohl die zentrale Figur im Fräulein von Scuderi nicht eindeutig bestimmbar; da es aber im Folgenden nicht um die schöpferisch-künstlerische Einbildungskraft von Cardillac geht, rücken die figuralen Vorstellungen der Beobachter und Analytiker der Verbrechen in Paris in den Fokus. Da deren Vorstellungen gerade auch von räumlichen Spuren genährt werden, kann im Folgenden auf Ergebnisse der Forschung zurückgegriffen werden, die die Erzählung in den Kontext der Detektivgeschichte rücken.383 Zunächst ist ein offener Unterschied zwischen Straße und Wohnraum zu beobachten: „Die privaten Wohnhäuser der Figuren stehen in der Novelle kontrastiv zur Straße als Ort des Verbrechens“, und Melanie Wigbers stellt außerdem fest, dass die eigentlichen Ereignisse „fast immer an der Peripherie von Häusern“ lokalisiert werden.384 Als von der Raubserie der Juwelen die Rede ist, berichtet der Erzähler entsprechend: „Oft erreichte der Unglückliche nicht das Haus, wo er Liebesglück zu genießen dachte, oft fiel er auf der Schwelle, ja vor dem Zimmer der Geliebten, die mit Entsetzen den blutigen Leichnam fand.“385 Gewiss ist den Parisern, dass das „Innere der Häuser“ gefährdet ist.386 Eine Gefahr, die Martiniere, die Kammerfrau des Fräuleins von Scuderi, sehr wohl imaginiert, als die Grenze des Hauses auf die Probe gestellt wird: Allein mit dem Fräulein im Hause hört sie, dass an der Tür „hart und heftig angeschlagen“ wird – ein Klang, der sich unaufhaltsam seinen Weg in das Innere bahnt, da er „im ganzen Flur laut widerhallte“.387 Tapfer verteidigt sie die vermeintliche Gefahr durch den Unbekannten, der nur die Schatulle zurücklassen kann und daraufhin flieht. Gerade dieser erste Auftritt vermittelt das Unbekannte und Gefahrvolle durch den Raum. Die Einbildungskraft präfiguriert hier vor allem die Vorstellung, was alles passieren könnte, wenn der Schutzraum der Wohnung wirkungslos ist. Die figurale Vorstellungskraft kann sich jedoch auch in einer Scheinsicherheit wiegen. Für La Regnie, den Polizeichef von Paris, ist es sichere Gewissheit, dass Cardillac nicht der Täter sein kann: „Die Haustüre ist mit einem schweren

383 Vgl. zu den verschiedenen Forschungsperspektiven kritisch und weiterführend: Blamberger: Das Geheimnis des Schöpferischen, S. 98–129, hier S. 100–103. Vgl. auch Deterding: Hoffmanns Erzählungen, S. 169f. 384 Wigbers: Krimi-Orte im Wandel, S. 35. 385 Hoffmann: Sämtliche Werke, Bd. 4, S. 790. 386 Ebenda, S. 784. 387 Ebenda, S. 780.

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Schloß versehen, welches bei dem Auf- und Zuschließen ein durchdringendes Geräusch macht […].“388 Genau dieses hätten die Nachbarn in gewohnter Weise vernommen. Auch Desgrais verlässt sich auf den Anschein gesicherter Wohnverhältnisse, wenn er verzweifelt sein Fahndungspech schildert: „Wir zünden die Fackeln an, wir tappen an der Mauer hin und her; keine Spur einer Türe, eines Fensters, einer Öffnung. Es ist eine starke steinerne Hofmauer, die sich an ein Haus lehnt, in dem Leute wohnen, gegen die auch nicht der leiseste Verdacht aufkommt. Noch heute habe ich Alles in genauen Augenschein genommen. – Der Teufel selbst ist es, der uns foppt.“389

Das eigentliche Durchlässige und Brüchige der Mauer wird von ihm nicht erkannt, äußerlich weckt die Wohnfassade des Hauses, das sich später als das von Cardillac herausstellt, keinen Verdacht – seine Einbildungskraft scheint zu sehr an das Haus gebunden zu sein.390 Erst Brußons Geständnis gegenüber dem Fräulein bringt die „entscheidende Tiefenschärfe“391, um den detektivischen Blick zum Erfolg zu führen. Er entdeckt die Öffnung in der Mauer, verfolgt Cardillac und wird letztlich zum unverschuldeten Mitwisser, der das Fräulein gewarnt hat und schützen wollte, indem er sie zur Rückgabe des Schmuckes aufforderte, damit Cardillac sie verschont. Von besonderer Bedeutung ist nunmehr auch der Ort, an dem Brußon die Wahrheit dem Fräulein offenbart. Es handelt sich dabei wiederum um das Haus des Fräuleins, es wird zum „Ort der Ermittlungsarbeit“ und Zufluchtsraum, an dem Brußon vor der Polizei frei berichten darf.392 „So wie damals, als Brußon das Kästchen brachte, wurde um Mitternacht an die Haustüre der Scuderi gepocht. Baptiste, von dem nächtlichen Besuch unterrichtet, öffnete. Eiskalter Schauer überlief die Scuderi, als sie an den leisen Tritten, an dem dumpfen Gemurmel wahrnahm, daß die Wächter, die den Brußon gebracht, sich in den Gängen des Hauses verteilten.

388 Ebenda, S. 814. 389 Ebenda, S. 792f. 390 Vgl. auch Landfester: Um die Ecke gebrochen, S. 119f. 391 Ebenda, S. 120. 392 Wigbers: Krimi-Orte im Wandel, S. 36.

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Endlich ging leise die Türe des Gemachs auf. Desgrais trat herein, hinter ihm Olivier Brußon, fesselfrei, in anständigen Kleidern. Hier ist, sprach Desgrais, sich ehrerbietig verneigend, hier ist Brußon, mein würdiges Fräulein! und verließ das Zimmer.“393

Der Raum, in dem das Fräulein Brußon empfängt, bildet einen geschlossenen, von den Gefahren des Außen abgekapselten Raum. Die Verständigkeit des Fräuleins spiegelt sich in der Sicherheit ihres Wohnraumes wider. Er gibt ihr die Sicherheit, das Richtige zu erkennen, und im Gegenzug Brußon die Möglichkeit, die Wahrheit als Wahrheit erzählen zu dürfen. Die Sicherheit und die Stabilität des Raumes verbürgen die Authentizität des Gesagten und die Kontrolle der Einbildungskraft. Gerade dies ist auch der verborgene Grund, warum Desgrais bzw. die Verfolgungsbehörden die Erlaubnis für eine solche Zusammenkunft erteilen. Der Mord und das Unheil geschehen draußen, die Lösung entwickelt sich im harmonischen Wohnraum.394 Der Einsatz des Fräuleins vor dem König führt schließlich endgültig zum Erfolg und zur Freilassung von Brußon. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Redekunst des bei Hofe als Dichterin angesehenen Fräuleins von Scuderi. Ihr gelingt es – von Hoffmann als implizite, das heißt unausgesprochene Binnenerzählung inszeniert –, ihr Anliegen, zunächst beginnend als Geschichte der verzweifelten Tochter und dann erst die verwickelten Hintergründe Brußons anführend, derart ergreifend vorzutragen, dass der König „von der Gewalt des lebendigsten Lebens, das in der Scuderi Rede glühte“, und in ihren Bann gezogen wird.395 Nach dem endgültigen Urteil bestätigt der König selbst: „[…] Eurer Beredsamkeit widersteht Niemand auf Erden.“396 Konnte zum einen auf der eigentlichen Erzählebene der Wohnraum als stützendes, die Aufklärung vorantreibendes erzählerisches Mittel ausgemacht werden, bleibt es Spekulation, wie und mit welchen Mitteln genau das Fräulein von Scuderi ihre Version der Geschichte dem König vorgetragen hat. Doch die Vorstellung einer Bedrohung für das „Innere der Häuser“, 397 einer abstrakten Gefahr, die auch der König in Paris gespürt zu haben vermag, kann das Fräulein durch ihre Geschichte beruhigen, eine düstere, unbestimmte Einbildungskraft kann damit gebändigt bzw. geordnet werden. Auch der König vermochte kurz nach

393 Hoffmann: Sämtliche Werke, Bd. 4, S. 821. 394 Vgl. (zumindest bezüglich des Scuderi-Hauses) Wigbers: Krimi-Orte, S. 36. 395 Ebenda, S. 847. Zum Erzählen vgl. auch Herwig: Das Fräulein von Scuderi, S. 206. 396 Hoffmann: Sämtliche Werke, Bd. 4, S. 851. Vgl. zur Konversationskonzeption der historischen Scudéry Gelzer: Konversation, S. 34–51. 397 Hoffmann: Sämtliche Werke, Bd. 4, S. 784.

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dem Gehörten nicht sogleich „alles zu ordnen“398 – was aber in dem eigentlichen Ordnungsakt, nämlich in der Wiederherstellung der Gerechtigkeit gelingt. Der private und öffentliche Raum sind damit wieder in einem Einklang, was sich auch in der Rückgabe der gestohlen Schmuckstücke ausdrückt. Mit der Figur Nathanaels in Hoffmanns Sandmann ist bereits eine psychisch ‚kranke‘ Figur in Beziehung zu den Wohndiskursen gesetzt worden; im Folgenden rückt eine weitere, zumindest psychisch sehr sensible Figur in den Blick: der junge Majoratsherr in Achim von Arnims Erzählung Die Majorats-Herren. Beide verbindet der tödliche Ausgang sowie ihr Scheitern, die eigene Einbildungskraft konstruktiv und positiv zu lenken. Auch in den Majorats-Herren ist dabei der erzählte Wohnraum von entscheidender Bedeutung. Wie sich zeigen soll, ist dabei mit der Einbildungskraft nicht nur die metaphorische Funktionsbestimmung des Schwebens von Bedeutung, die Fichte formuliert hat, sondern eine weitere, nämlich die des Sprungs. Bezeichnenderweise hat Friedrich Schlegel in seiner Begriffsbestimmung der Einbildungskraft auch die Metapher des Springens integriert; im permanenten Wechsel zwischen gegensätzlichen Polaritäten (zum Beispiel zwischen denen von Nähe und Distanz), bildet sich jene anzustrebende überempirische Einheit in der Transzendenz, die gleichwohl immer wieder neu erreicht werden muss.399 Vor dem Hintergrund der bereits erwähnten Raum-Systematik der Goethezeit von Gerhard Neumann lässt sich Arnims Erzählung entsprechend zu dem Sprung-Modell zählen, das zum Beispiel im Kontrast zum Perspektivierungsmodell, wie es etwa mittels eines Fensterblicks realisiert wird, als ‚amorph‘ zu bezeichnen ist. Insgesamt konkurrieren die Raummodelle – und damit ebenso das Sprung-Modell, das mit dem Sprung „die parzellierenden Grenzen amorpher Räume zu überwinden trachtet“ – in ihrer Suche nach der personalen Identität.400 Wie bereits festgestellt, ist dem Wohnen und dem Wohnraum in der Regel eine stabile Identitätsstiftung eingeschrieben, die aber gerade in der romantischen Literatur – wie sich zeigen konnte – zumindest gefährdet ist.401 Arnim experimentiert in der Erzählung mit den verschiedenen Raummodellen; hier soll im Folgenden der Schwerpunkt auf dem Blick des Majoratsherrn durch das Fenster sowie dessen Sprung liegen.

398 Ebenda, S. 848. 399 Vgl. Malinowski: Theorien des Imaginären, S. 58. 400 Neumann: Erotische Räume, S. 122. Vgl. ergänzend auch jüngst die topographische Gliederung der Majorats-Herren von Japp: Physik der Geister. 401 Es sei hier auch noch mal auf die Arbeiten (mit anderer Akzentuierung) hingewiesen von Lehnert: Verlorene Räume; sowie Lange: Architekturen der Psyche, S. 154f.

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Der kommentierende Eingriff des Erzählers bei der Todesszene von Esther402 am Ende der Majorats-Herren unterstreicht die herausragende Rolle der Phantasie: „[…] und es erschien überall durch den Bau dieser Welt eine höhere, welche den Sinnen nur in der Phantasie erkenntlich wird: in der Phantasie, die zwischen beiden Welten als Vermittlerin steht, und immer neu den toten Stoff der Umhüllung zu lebender Gestaltung vergeistigt, indem sie das Höhere verkörpert.“403

Dass die Phantasien bzw. Imaginationen des zum Geistersehen befähigten Majoratsherren allerdings Produkt einer „Selbsttäuschung“ sein könnten, hat Michael Andermatt festgestellt.404 Dennoch gewinnt dieses romantische Selbstmanifest des Erzähler-Autors für den verfolgten Zusammenhang an Bedeutung, ist doch die Bedeutung der Phantasie bzw. der Einbildungskraft als Überwinder von Gegensätzen oder von zwei verschiedenen Welten offensichtlich. Von diesem Standpunkt aus lassen sich die Beobachtungen des Majoratsherren von Esther (zunächst immer kurz vor einem Sprung über die Gasse stehend) auch als erzählerische Ausgestaltung der Einbildungskraft lesen, allerdings wird erneut zu zeigen sein, inwieweit eine Bindung an die Wohndiskurse erzählerisch produktiv wird. Als der junge Majoratsherr in seine Heimatstadt zurückkehrt, nimmt er nicht im Majoratshaus Quartier, sondern bei seinem Vetter, einem entlassenen Leutnant, der – von der Familienerbfolge ausgeschlossen – in einem einfachen Haus lebt. Nach der Ankunft im Haus charakterisiert sich der junge Majoratsherr selbst als „guter Beobachter“ und die „Physik der Geister“ als „Lieblingsstudium“.405 Die Reaktion des Vetters lässt sich programmatisch verstehen: „Der Leutnant, der mit dieser Physik der Geister durchaus nichts zu tun haben mochte, brachte die Rede auf häusliche Einrichtungen.“406 Durch den Erzähler wird damit

402 Tausch allerdings stellt ihren Tod in Frage und lässt die Möglichkeit einer Hypnose im Kontext eines Komplottes gegen den Majoratsherrn zu, vgl. Tausch: Die Architektur ist die Nachtseite der Kunst, S. 315. Andermatt identifiziert bezüglich der Darstellung des Sterbens bei Arnim generell „komplexe Verwirrspiele“, Andermatt: Zwischen beiden Welten, S. 194. 403 A. v. Arnim: Werke, Bd. 4, S. 142 (Kursivierung vollständig im Original). 404 Andermatt: Raum von vier Dimensionen, S. 14. 405 A. v. Arnim: Werke, Bd. 4, S. 117. Vgl. auch Tausch: Die Architektur ist die Nachtseite der Kunst, S. 294; bzw. Oesterle: Illegitime Kreuzungen, S. 32 406 A. v. Arnim: Werke, Bd. 4, S. 117.

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explizit auf den Kontrast von üblichen Wohnerwartungen und den Lebensstil des Majoratsherrn hingewiesen; dies erfährt im Anschluss eine Steigerung, da der Majoratsherr „gewöhnlich bei Tage schlafe“.407 Dem Vetter ist es nur Recht, dass der Gast das „schlechte Zimmer“ hinaus zur Judengasse wünscht.408 Für den Majoratsherrn stellen jedoch gerade die „Beweglichkeit der engen Straßen“ und der Blick auf das Zimmer von Esther im Nachbarhaus ein adäquates Umfeld dar.409 Somit ist für den Majoratsherrn die Konstellation seiner nächtlichen, visionären Beobachtungen günstig, worin sich gerade auch seine einzige Aktivität äußert.410 Am späten Abend erleuchtet er sein größeres Zimmer mit Kerzen, so dass die Nachbarschaft ob des ungewohnten Lichtes in Aufruhr zunächst einen Brand befürchtet.411 Neben dem Licht wird ein weiteres Medium, das die eigenen Räume verlässt, vom Majoratsherrn etabliert: sein Flötenspiel, dessen Klang „sich eigentlich zur Esther hinrichten“ sollte.412 Seine Beobachtungs- und vor allem Lauschposition hat der Majoratsherr jedoch schließlich an dem „dunklen Fenster des [kleineren] Nebenzimmers“ eingenommen.413 Und es etabeliert sich eine räumliche Nähe: „Der enge Bau jener Gasse, in welche die Balkenlagen jedes Stockwerks immer weiter hinausragten, um den Zimmern noch etwas Raum zu gewinnen, brachte ihm ihr Fenster so nahe, daß er mit einem kühnen Sprunge zu

407 Ebenda. 408 Ebenda, S. 112. 409 Ebenda, S. 112f. (Zitat: S. 112). 410 „Visonär und Voyeur“ überlagern sich in einer romantisch-ironischen Raumkonstellation, Andermatt: Raum von vier Dimensionen, S. 9. 411 Vgl. A. v. Arnim: Werke, Bd. 4, S. 117f. 412 Ebenda, S. 118. 413 Ebenda. Zum Problem des Fensters vgl. Tausch, der daran erinnert, dass Arnim ursprünglich die Formulierung „am dunklen Nebenzimmer des Fensters“ verwendet hat, die von Bettina von Arnim geändert wurde. Tausch jedoch betont, dass auch die ursprüngliche Fassung sinnvoll sein kann, wenn man annimmt, dass beide Häuser eigentlich eine „dreiflügelige[…] Anlage“ darstellen, so dass beide Zimmer zum selben Gebäudekomplex zählen. Dies sei wiederum semantisch sinnvoll, da derartige Gebäudestrukturen für „Irrenanstalten“ im 18. Jahrhundert geplant wurden. Der Majoratsherr beobachte demnach mit Esther eine Mitpatientin. Tausch stellt in seiner Interpretation insbesondere die Einflussnahme des Vetters und der weiteren Bewohner heraus, die wegen des Erbes beabsichtigen, den Majoratsherrn nicht zu stärken, sondern weiter in die Krankheit zu treiben. Tausch: Die Architektur ist die Nachtseite der Kunst, S. 298–301, Zitate: S. 300.

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ihr hinüber hätte fliegen können.“414 Und wie die beiden gegenüberliegenden Zimmer durch die baulichen Begebenheiten der Gasse sich nahe kommen, rückt der Majoratsherr im Geiste Esther näher. Da das „Springen“ jedoch „nicht seine Sache“ gewesen ist,415 ist es seine sensible Wahrnehmung, die sich mit einer visionären Einbildungskraft zu vermischen scheint und ihn an Esther heranführt bzw. sie zu ihm bringen lässt. Zunächst lassen seine Wahrnehmungen, der Blick durch das Fenster, ein gerahmtes Idyll erscheinen, nämlich das vom sich vor dem Spiegel die Haare flechtenden Mädchen. Dann jedoch erscheinen helfende, „zartbeflügelte[…] Gestalten“,416 die einem Gemälde von Runge entnommen sein können,417 und darauf, als Esther sich ins Bett gelegt hat, die Nacht in „Gestalt seiner Mutter“, die Esther emporhebt und „über den schwindelnden Straßenabgrund, dicht an das Auge des Staunenden“ trägt.418 Ein unhörbar-hörbarer Schrei Esthers weckt den Majoratsherrn aus seiner Imagination und er erkennt nichts mehr im Zimmer des Nachbarhauses. Der Sprung hinüber gelingt nur Esther als einer „Lichtgestalt“419 für einen kurzen Augenblick. Der gewählte Wohnraum des Majoratsherrn verbleibt mit dem imaginierten von Esther anscheinend inkompatibel. Das Beobachtungszimmer verändert über Tag, als der Majoratsherr schläft, durch den Vetter seine Gestalt. Nicht nur das Fenster ist gereinigt, es ist auch „mit Sopha und Stühlen, mit Schränken und Tischen geschmückt“.420 Auch äußerlich wird so implizit eine Annäherung zwischen dem Majoratsherrn und Esther hergestellt, die aufgrund ihres reichen Erbes „mit allen eleganten Möbeln versorgt“ ist.421 Nun kann er in der nächsten Nacht Esthers Zimmer beobachten; und dort eröffnet sich vor ihm ein Interieur mit einem „prachtvollen Teetisch“ und Stühlen „in weißem Atlas“.422 Dieses Mal sieht er eine Esther, die zum Tee geladen hat und eine imaginierte Gästeschar bewirtet, in der sich auch der Majoratsherr erkennt. Inzwischen hatte er durch einen Zufall von dem Kindertausch von Esther und ihm erfahren und auch der vorgestellte Dialog in Esthers Zimmer kreist nun um dieses komplexe Motiv der Erzählung.

414 A.v. Arnim: Werke, Bd. 4, S. 118. 415 Ebenda. 416 Ebenda. 417 Vgl. Andermatt: Raum von vier Dimensionen, S. 10. 418 A. v. Arnim: Werke, Bd. 4, S. 118. 419 Ebenda, S. 119. 420 Ebenda, S. 121. 421 Ebenda, S. 124. 422 Ebenda, S. 126.

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Die dritte Beobachtungsnacht beginnt mit dem Erblicken von Esther, „die bleich und erstarrt, wie eine Tote auf ihrem Sopha lag“,423 als der verarmte Verlobte bei ihr ist, den sie aus Mitleid gegen den Willen ihrer Pflegemutter Vasthi heiraten will. Der Majoratsherr überlegt erneut, ob er mit „einem kühnen Sprunge“424 hinüber ihr Trost und Rettung verschaffen kann. Als der Majoratsherr die theaterähnliche Gesellschaft425 im Zimmer Esthers wahrnimmt und diese plötzlich verschwindet, trifft er den Entschluss, zu ihr zu eilen. Nicht durch einen Sprung, sondern er will hinüber durch die Gasse zum anderen Haus laufen, schafft es jedoch nicht einmal, das eigene zu verlassen: „Er sprang die Treppe hinunter, aber er fehlte die Tür, und trat in ein Zimmer, das er nie betreten.“426 Seine Orientierung wird offenbar allein durch den Fensterblick gewährleistet, eine räumliche Orientierung innerhalb des Hauses ist für den Tagschläfer schwierig und ungewohnt; die Annäherung an Esther gelingt nur durch die Lenkung der Einbildungskraft mittels des Fensters. Die angleichende räumliche Gestaltung des Beobachtungszimmers und Esthers Raum symbolisiert dabei eine geistige Nähe, die jedoch durch die erzählerische Gestaltung auch Bezug nimmt auf die verbreitete Vorstellung im Rahmen des Diskurskomplexes Wohnen, dass nämlich die Raumgestaltung auch Ausdruck des Inneren des Bewohners ist. Das Möbel Sofa wird damit in der Erzählung zu einem Medium der geistigen Synchronisation. Kurz vor dem Tod Esthers während ihrer Hochzeit schläft der Majoratsherr „unausgekleidet auf seinem Sopha“ ein,427 nicht in seinem Bett, was nicht nur durch die vorherige Konnotation des Sofas mit dem Tod präfigurierend ist; durch den Schlaf auf dem Sofa – zudem „unausgekleidet“ – gewinnt die Situation auch eine Dynamik, die erst zu dem doppelten Tod führt: Der Majoratsherr eilt zum Fenster, um noch einen Blick auf Esthers Hochzeit werfen zu können, als kurze Zeit später der Ruf ertönt, dass Esther tot sei. Der Majoratsherr erfährt dann eine letzte mythologisch-biblische Vision – über den Tod Esthers. Erst als Vasthi, die das Zimmer der Toten seiner Wertgegenstände beraubt, auch ein „Bild von Adam und Eva“ an sich nimmt, erkennt der Majoratsherr, „daß etwas Wirkliches auch für diese Welt an allem dem sein könne, was er gesehen, und mit dem Schrei: Um Gottes Gnade willen, die Alte hat sie erwürgt, sprang

423 Ebenda, S. 133. 424 Ebenda, S. 134. 425 Vgl. weiterführend z.B. Japp: Physik der Geister, S. 256. 426 A. v. Arnim: Werke, Bd. 4, S. 135. 427 Ebenda, S. 139f. (Zitat: S. 139).

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er, seiner selbst unbewußt, auf das Fenster, und glücklich hinüber in das offene Fenster der Esther.“428 Changiert die „Phantasie“ doch „zwischen beiden Welten als Vermittlerin“, so kann sie auch beide Wohnwelten vereinen, repräsentiert sie doch gerade „das Höhere“.429 Der tatsächlich ausgeführte Sprung des Majoratsherrn führt in der tatsächlichen Welt zu keiner Harmonisierung, wenn man nicht seinen Tod als Harmonisierung mit der geistesverwandten Esther verstehen möchte. Der Sprung stellt sich als „Salto mortale“430 heraus. Der Majoratsherr trinkt aus dem Tod bringenden Becher und stirbt neben dem Bett Esthers. Nur im Moment des Sprunges realisiert sich die liebes-erotische Beziehung.431 Ist mit den Wohndiskursen immer auch die Frage der Identität betroffen, so zeigt sich, dass die psychische Disposition des Majoratsherrn sich auch in der Wohnraumdarstellung widerspiegelt. Nicht nur mittels des Wechselspiels von Nähe und Distanz, die von der Einbildungskraft überbrückt wird, sondern auch anhand der erzählerischen Funktionalisierung von Möbeln werden die Wohndiskurse produktiv genutzt, die Figuren und ihre Interaktionen erzählerisch zu gestalten. Dazu zählt auch die Betonung der über der Gasse zusammenwuchernden Wohnungen, stehen sie doch mit der im 18. Jahrhundert entwickelten bürgerlichen Baukunst, die eine neue Regelmäßigkeit einforderte, explizit im Widerspruch. Die angedeutete architektonische Unordnung wird damit zum Bild der gedanklichen Innenwelt des Majoratsherrn, der trotz seines Sprunges seiner Gedankenwelt nicht zu entkommen vermag; sein eigentliches Haus, das Majoratshaus, erkennt er zunächst nicht, er wird dort auch nie einziehen. Die narrative Darstellung der Phantasie (bzw. der Einbildungskraft) findet in den Wohnraumdarstellungen ihren erzählerische Ausgangspunkt; da sie jedoch mit der Kunst bzw. mit ihrer Produktion insgesamt als wesensähnlich verstanden werden kann (Arnim misst dem Künstler die romantische Aufgabe zu, zwischen dem Höheren, das erst im Tod erfahrbar sei, und dem Weltlichen zu vermitteln),432 stellt die Erzählung implizit auch eine Festschreibung der Verbindung von Wohnen und Kunst dar. In der Novelle Des Lebens Überfluß von Ludwig Tieck, deren Analyse den Abschluss des zweiten Kapitels dieser Arbeit bildet, steigert sich im Verlaufe der

428 Ebenda, S. 142f. 429 Ebenda, S. 142. 430 Neumann: Erotische Räume, S. 126 und S. 133. 431 Vgl. ebenda, S. 134. 432 Vgl. Andermatt: Raum von vier Dimensionen, S. 1 und S. 14f. Vgl. zu diesem Komplex die Entstehung von Arnims Texten auch Härtl: Amazonenrepublik.

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Handlung die Innenarchitektur zu einem Wohnraumparadoxon, das nur noch auf Basis einer liebenden Einbildungskraft als vernünftig eingestuft werden kann, da diese als ausufernde Einbildungskraft nur bedingt die Vermittlung mit dem Weltlichen bzw. Empirischen herstellt – wodurch Tiecks später Novelle eine Kritik am romantischen Literaturprogramm eingeschrieben ist.433 Das Liebespaar, das in eine fremde Stadt geflohen ist, da die Beziehung zwischen dem Bürger Heinrich und der Standesfrau Clara nicht geduldet werden kann, hat sich in einer Dachkammer eingemietet. Dieser Raum wird für die mittellosen Flüchtlinge zu einem utopischen Ort der Konvergenz von Liebe und Armut. Clara formuliert: „So ist die Armut mit unsrer Liebe eins geworden, und dieses Stübchen, unser Gespräch, unser Anblicken und Schauen in des Geliebten Auge ist unser Leben.“434 Das Wohnen in der Dachwohnung ist von der Außenwelt bereits durch die Architektur vorgegeben. Der Erzähler kritisiert den unregelmäßigen Bau ausdrücklich; der Baumeister müsse „von seltsamer, fast unbegreiflicher Laune gewesen sein“: Der Grund ist, dass der Blick aus den Fenstern nicht auf die Straße, sondern auf einen Dachvorbau führt; die Straße ist nicht erkennbar und auch das Haus gegenüber ist in den oberen Etagen fensterlos; außerdem lässt das Fenster seitlich nur die Sicht auf „nackte[…] Feuermauern“ zu.435 Die Geräusche der Straße werden daher von den beiden Bewohnern besonders sensibel wahrgenommen; sie scheinen die Welt von außen im Geiste entstehen zu lassen. Die Eindrücke sind dabei so lebhaft, dass sie bei „Geschrei oder Zank“ zum Fenster eilen und doch „dann nichts, als ihr Ziegeldach vor sich und das der Hütte gegenüber“ erblicken.436 Die Rahmung des Fensters gibt in Tiecks Novelle nicht nur die Perspektive vor, durch ihre Reizarmut bzw. die fehlenden wechselnden sinnlichen Eindrücke beim Fensterblick kann und muss die Einbildungskraft der Liebenden frei assoziieren: „So phantasierten sie denn oft, daß jene trübseligen Feuermauern Felsen seien, einer wunderbaren Klippengegend der Schweiz, und nun betrachteten sie schwärmend die

433 Generell lässt sich Tiecks Novelle als „parodische Re-Lektüre der Romantik“ verstehen, Kremer: Romantik, S. 183. 434 Tieck: Schriften, Bd. 12, S. 195. Die gemeinsamen Gespräche und das Lesen von Heinrichs Tagebuch eröffnen dabei gerade die Perspektive auf ihre Wohnsituation, die sich – wie ihre Liebe – selbst zu genügen scheint. 435 Ebenda, S. 217. 436 Ebenda.

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Wirkungen der Abendsonne, deren roter Schimmer an den Rissen zitterte, welche sich in dem Kalk oder rohen Stein gebildet hatten.“437

Eine romantische, ‚schwebende‘ Einbildungskraft stellt dabei nicht nur selbst einen eigenen Ort (zwischen dem Weltlichen und Höheren) dar, sie stellt ebenso einen als Inhalt vor: die Idealisierung eines Wohnortes, der in Tiecks Novelle als paradoxes Wohnen erscheint, wie es im Winter die beiden Liebenden realisieren. Als das Feuerholz ausgeht, beginnt Heinrich sukzessive das Treppengeländer und dann die Treppe selbst, die zur Dachkammer führt, zu verheizen, bis sie vollständig verbraucht ist. Da der Vermieter verreist ist, erfährt dies zunächst keinen Widerspruch der Außenwelt. Den Treppenabbruch rechtfertigen Heinrich und Clara, indem sie die Treppe wie alles andere als verzichtbaren ‚Überfluß‘ einstufen. Das „Verbrauchen der Treppe“ – so Imke Meyer – lässt sich dabei als „‚Erzählzeit‘“ auf der Ebene der beiden Bewohner und ihrer Gespräche interpretieren; letztlich wird die Treppe damit zum äußeren Zeichen eines sich selbst aufzehrenden Idylls.438 Das Motiv einer selbst gewählten Dachstubeneinsamkeit ist bereits aus den Fallgeschichten von Karl Philipp Moritz bekannt. Der Rückzugsraum der Einsiedler wird dort in seiner narrativierten Form zum Interpretationsmedium des Inneren der Psyche.439 Eine solche Funktionalisierung ist auch bei Tieck erkennbar: Die sich selbst genügende partnerschaftliche Atmosphäre findet in der Entleerung des umgebenden Raums seine Entsprechung. Damit ist eine Weltabgewandtheit etabliert, die der Interpretation moderner Wohnungen als „Immunsysteme“ von Peter Sloterdijk nahe steht; der Schutz vor dem Eindringen der äußeren Welt führe dazu, dass die Wohnung eine „Ignoranzmaschine“ ist, die sich im Schlaf auch natürlicherweise manifestiere.440 Das, was bei Moritz, wenn auch vorsichtig, als pathologisch herausgestellt wird, wird bei Tieck noch einmal vor dem Hintergrund des Paradigmas romantischer Liebe in einer literarischen Versuchsanordnung im Wohnen als Einsiedelei erzählt. Die Ursache des idealisierten Lebensstils ist nicht nur der gemeinsamen Liebe geschuldet, sondern auch profanem Geldmangel. Vor allem ist es dann das glückliche Ende bzw. das Auftauchen des Freundes, der für Heinrich mit glücklicher Hand Geld investiert hat, so dass einer Versöhnung mit allen Beteiligten nichts mehr im Wege steht. Vor dem Hintergrund novellentheoretischer Überlegungen hat allerdings Bettina

437 Ebenda, S. 218. Vgl. auch Bachmaier: Nachwort, S. 71. 438 Meyer: Tiecks Des Lebens Überfluß, S. 189 und S. 202 (Zitat: S. 202). 439 Vgl. S. 65–68 dieser Arbeit. 440 Sloterdijk: Sphären III, S. 534–540 (Zitate: S. 534 und S. 540).

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Knauer das Haus als scheiternden, nach innen verlegten Rahmen bestimmt. Der notwendige Eingriff beim Streit der Polizei offenbart: „Die Tragfähigkeit des bürgerlichen Hauses hat sich für die Rahmenkonstruktion als unzureichend erwiesen.“441 Symptomatisch auch vor dem Hintergrund der Wohndiskurse ist der Traum Heinrichs, den er Clara erzählt: Er berichtet, wie er als Los einer Auktion verkauft wird. Er wird zwar noch als Diplomat – dies ist tatsächlich sein bisheriger Beruf gewesen – wahrgenommen, aber versteigert wird er in der Funktion eines Möbels, man könne ihn nämlich als „Kaminschirm“ oder „Kronleuchter“ verwenden.442 Möbel als bewegliche Teile einer Wohnung sind nur als Einzeleigenschaften einer Wohnung zu beschreiben, das Zugrundeliegende ist die Immobilie, die Wohnung, wodurch deutlich wird, dass mit der Reduzierung Heinrichs als Möbel seine Identität zur Disposition steht. Zudem ist die Ermahnung des Auktionators als ein Einfall der gesellschaftlichen Außenwelt zu werten: „Still, altes Möbel! Kennt er die Pflichten seines Standes so wenig? Hier ist seine Bestimmung, sich ruhig zu halten.“443 Dem Konflikt von bürgerlicher und adliger Stellung kann sich selbst der träumende Wohnflüchtling Heinrich nicht entziehen. Das Ende des sich absurd überschlagenden Traums – Heinrich und auch Clara sollen wegen Preistreiberei bei der Auktion, die angeblich zum „Staatsbankrott“444 hätte führen sollen, hingerichtet werden – stellt letztlich die Welt der Ökonomie einer romantischen, selbstgenügsamen und gleichsam schwebenden Wohnsphäre gegenüber.445 Die Literatur der Romantik hat nicht nur unheimliche und ‚verlorene‘ Räume geschaffen, sie wird zum aktiven Teil der Literatur, der die neuen Wohndiskurse aus dem 18. Jahrhundert aufgreift und in ihre Poetologie zu integrieren vermag. Der erzählte Wohnraum zeichnet sich dabei gerade dadurch aus, dass er auf außerliterarische Realitäten zurückgreift, indem er Möbel, aber auch typische Wohnstrukturen insbesondere als Stimulation oder Projektionsfläche für die figurale Einbildungskraft nutzt. Der ausgeprägte Einsatz der Einbildungskraft und ihre Verknüpfung mit dem Wohnen stellen damit in der Literatur um 1800

441 Knauer: Im Rahmen des Hauses, S. 157–160, Zitat: S. 160. 442 Tieck: Schriften, Bd. 12, S. 222. 443 Ebenda, S. 222. 444 Ebenda, S. 226. 445 Vgl. auch den Kommentar von Uwe Schweikert – In: Tieck: Schriften, Bd. 12, S. 1120f.; vgl. zum Traum auch Lillyman: Ludwig Tieck’s Des Lebens Überfluß, S. 400–403. Siehe auch jüngst aus der Analyseperspektive vom Müßiggang Fuest: Poetik des Nicht(s)tun, S. 82f.

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eine wesentliche Form der Erprobung der Wohnzeichen für die Literatur dar. Zuvor hatte sich anhand von Goethes Lehrjahren gezeigt, dass vor dem Hintergrund einer Autonomieästhetik im Sinne der Weimarer Klassik Wohnen die figurale Konstellation (z.B. bei Mariane und Wilhelm) mitgestaltet, aber auch inwieweit Wohnen Teil der Kunstdiskurse (vornehmlich der Architektur) und des damit verbundenen Bildungsweges von Wilhelm wird. Die Basis der vorgestellten Entdeckung des (bürgerlichen) Wohnens für die Literatur um 1800 ist die Einübung des Sprechens über das Wohnen. Mode-, Bau-, aber auch psychologische Literatur, die direkt in Anton Reiser von Karl Philipp Moritz übergeht, lässt damit eine Sprache des Wohnens entstehen, die die Literatur aufgreift und vielfältig narrativiert.

3.

Verdichtetes Wohnen: Der eingerichtete Diskurskomplex

3.1 E INGERICHTETES W OHNEN

IM B IEDERMEIER (Adel und Bürgertum, Wohnräume von Huber und Stifter)

So sehr die Literatur der Romantik zu Beginn des 19. Jahrhunderts die kulturellen Zeichen des Wohnens produktiv und vielseitig erzählerisch gebunden und funktionalisiert hat, so sehr hat sich im außerliterarischen Wohnen mit dem Biedermeier ein Wohnstil entwickelt, der mittels einer programmatischen Einfachheit die Stabilität des Wohnens als stilles Glück heraushebt. Gustav Freytag wirft in seiner Autobiographie (1887) einen idealisierenden Rückblick auf das Wohnen in seinem Kreuzburger Elternhaus in den 1820er Jahren: „Wie einfach war doch der ganze Haushalt, obgleich die Eltern, nach den Verhältnissen jener Zeit, in mäßigem Wohlstande lebten. Die Papiertapete galt für einen Luxus, den wir in keiner Wohnstube hatten, die Wände waren mit bunter Kalkfarbe blau, rosa, gelb getüncht, eine kleine gemalte Rosette an der Decke der ‚guten‘ Stube wurde sehr bewundert. Auch das Streichen der Fußböden war noch ungebräuchlich, und zur großen Beschwer der Familie und der Dienstmädchen blieb ein ewiges Scheuern der weißen Dielen nothwendig; die Möbel standen gradlinig und einfach, kaum ein altes Stück in Roccoco darunter; zu Mittag nur ein Gericht, am Abend erhielten die Kinder selten ein Stück Fleisch, häufig Wassersuppe, welche die Mutter durch Wurzeln oder einen Milchzusatz anmuthig machte. Wein wurde nur aufgesetzt, wenn ein lieber Besuch kam. Dabei wuchsen wir gesund und rothbäckig heran. Solche Einfachheit des Tageslebens war allgemein. Wenn die Herren einmal reichlicher Geld ausgaben, geschah es in der Weinstube, die der Vater sehr selten besuchte.“1

1

Freytag: Erinnerungen aus meinem Leben, S. 92.

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Freytag entfaltet einen Großteil des biedermeierlichen Panoramas: Eine sorgsame, aber nicht luxuriöse Ausstattung wird beschrieben; natürlich erwähnt er auch die ‚gute Stube‘2, die sogleich bezüglich ihrer Repräsentationsfunktion charakterisiert wird, wurde sie doch „sehr bewundert“. Die klaren Formen der Möbel werden in Gegensatz zum Rokoko gestellt; die gesamte Haushaltsführung besticht durch das richtige Maß. Diesen Befund generalisiert Freytag, „der ältere Mann“, in einer Zustandsbeschreibung des damaligen Deutschlands: „Es war ein Haushalt, wie es viele tausende in Deutschland gab, und es waren Menschen darin, welche vielen tausend Anderen ihrer Zeit sehr ähnlich sahen. Es war auch ein Kinderleben, wie es in der Hauptsache allen Zeitgenossen verlief, deren Wachsthum von liebenden Erziehern behütet wurde. Das heitere Licht, welches durch glückliche Häuslichkeit und durch die Zärtlichkeit guter Eltern über das ganze Dasein des Kindes verbreitet wurde, bewahrt der ältere Mann in der Erinnerung als das höchste Glück seiner Jugend, aber schildern läßt sich davon nur wenig.“3

Dieses Glück, dessen sich Freytag anhand einer Beschreibung des Wohnens erinnert, lasse sich „nur wenig“ „schildern“, zumindest am Ende des 19. Jahrhunderts; doch dieser Lebensstil ist auch Teil des Grenzboten-Programms Mitte des 19. Jahrhunderts, das sich für eine künstlerische Realitätsbearbeitung ausspricht, die das kleine (bürgerliche) Glück und die Tüchtigkeit des Einzelnen einer moralisch zunehmend uneindeutigen sowie einer in der Wahrnehmung des Einzelnen überfordernden modernen Gesellschaft entgegenstellt. Schließlich beabsichtigt der programmatische Realismus die „Suggestion einer moralisch intakten, an Individuen und ihr intentionales Handeln gebundenen Wirklichkeit“.4 Der Wohnstil des Biedermeier, insbesondere seine kunststilistische Ausprägung, zeichnet sich historisch nicht durch eine derartige Präsenz aus, wie Gustav Freytag die Biedermeierzeit rekonstruiert. Vielmehr ist das Biedermeier in die Zeit eines Stilpluralismus zu situieren, die den bekannten Stilmischungen in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts nicht nachsteht. So gibt es Verbindung zum Klassizismus, dem Empire, der Neogotik und in seinen Ausläufern zur Mitte des Jahrhunderts auch zum Historismus.5 Zu den Gestaltungsmerkmalen der Möbel gehört neben dem Verzicht auf eine ausgeprägte Ornamentik eine abstrakte

2

Vgl. Petsch: Eigenheim und gute Stube, S. 40 und S. 44.

3

Freytag: Erinnerungen aus meinem Leben, S. 93.

4

Plumpe: Einleitung, S. 27.

5

Vgl. Ottomeyer: Erfindung der Einfachheit, S. 45.

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Formgebung. Durch den Verzicht auf eine Repräsentationsfunktion konnten die Möbel auch mehr nach dem Primat der Bequemlichkeit hergestellt werden.6 Dennoch bedeutet diese Form der Einfachheit nicht den Verzicht auf eine ausgeprägte Dekoration und Individualisierung der Räume durch Bilder sowie „Nippes und Andenken“, so dass mit dem Wohnen explizit eine „Kultur der Erinnerung“ verschränkt ist, die eine Harmonisierung mit der Vergangenheit ersehnt.7 Die Frage des biedermeierlichen Wohnens führt auch zum Problem nach dessen gesellschaftlicher Verortung. In der neueren kunsthistorischen Forschung wird wiederholt der Einfluss des Adels für das Biedermeier betont. Mit der Umbruchsituation zu Beginn des Jahrhunderts konfrontiert, erschien es für den Adel zweckmäßig, sich auch im Wohnstil weniger auf Repräsentation, sondern auf Intimität und Privatheit zu konzentrieren. Diese Angleichung an bürgerliche Werte entspricht dabei der Angleichung beider Gruppen in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung. In der praktischen Umsetzung fanden sich also biedermeierliche Interieurs in adligen Haushalten und vor allem in wohlhabenden bürgerlichen Kreisen, die für eine rege Nachfrage nach Möbeln im Stile des neuen bürgerlichen Selbstverständnisses sorgten.8 Eines der herausragenden Möbel des Biedermeier ist – wie das Sitzmöbel insgesamt – das Sofa. Der Grund liegt darin, dass dieses Möbel die private Geselligkeit im intimen Familienkreis ermöglichte. Auch drängt es die traditionelle Bedeutung des Tisches als kommunikatives Zentrum zurück. Allerdings ist das Sofa wegen seines hohen Preises zunächst nicht in allen bürgerlichen Familien vorzufinden, ersatzweise wurde eine Sitzbank mit Polstern (Kanapee) verwendet.9 Die gestalterische Vielfalt der Sofas ist entsprechend seiner Verbreitung relativ hoch: Sie unterscheiden sich in ihren Ausmaßen (so gibt es Einsitzer, die für die Damen mit ausufernden Kleidern besonders geeignet sind) und Formen, in der Polsterung usw. Aber auch die Entwerfer und Hersteller sind zahlreich wie innovativ, es seien hier nur der Wiener Möbelhersteller Josef Danhauser und Karl Friedrich Schinkel, der auch Möbel entworfen hat, erwähnt.10

6

Vgl. Zinnkann: Der feine Unterschied, S. 11f.

7

Stein: Eine Kultur der Harmonie, S. 76.

8

Zinnkann: Der feine Unterschied, S. 14–16.

9

Saldern: Im Hause, zu Hause, S. 160f. Krüger: Biedermeier, S. 60f. Vgl. zum Kanapee S. 65 und S. 100 dieser Arbeit.

10 Vgl. etwa die Beispiele bei Zinnkann (Hrsg.): Der feine Unterschied [Katalogteil], S. 170–185. Zum Architekten Schinkel vgl. ausführlich die Studie von Arburg: Alles Fassade, S. 61–142.

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Ganz selbstverständlich wird in diesem Zusammenhang auch in Journalen und Magazinen das biedermeierliche Wohnen thematisiert und vorgestellt, so dass ebenso in der schriftlichen Kommunikation über den Wohnmarkt eine Sprache des Wohnens fortgeführt wird, was auch in zeitgenössischen Briefwechseln zum Ausdruck kommt. Nicht nur in autobiographischen Erinnerungen wie bei Gustav Freytag wird das Biedermeier-Interieur Thema, sondern in vielen zeitgenössischen, außerliterarischen Texten. Therese Huber beschreibt in einem Brief ihre neue Wohnung in Augsburg, die sie aus Stuttgart kommend 1823 bezieht: „Die Stadt ist schön, der Rahm ist viel besser als in Stuttgart, die Straßen sind viel reinlicher, in dem Nebelpatsch kann man ganz säuberlich gehen – die Schwarzwurzeln schmecken mir, meine Wohnung ist so warm, daß heute, wo der Schnee hoch liegt, ich mit meinem ziemlich kalten Ofen zwei Zimmer wärme, wovon das kleinste, wie der Fußteppich beweist, fast so groß ist wie mein seliges gelbes, das andere viel größer. Nun sieh mal, in diesem kleineren liegt der Teppich und steht mein Bett ganz schweizerisch behangen, mein kleines Sofa, und darin bin ich mit täglichem Besuche und wenn unerwartet bei mir Thee getrunken wird. Daneben ist ein viel größeres Zimmer, da sind zwei Wände mit Bücherbrettern, eigentlich drei, hat drei Fenster, zwei Spiegel, darin arbeite ich und esse und frühstücke. Dann ist ein großes Eckzimmer mit hübschem Fußboden, vier Fenstern, wo ich meine Gesellschaft annehme. Das ist sehr hübsch, überall doppelte Fenster und wie mein Beutel sehr wohl vermerkt, Rouleaux, wodurch aber abends alles sehr wohnlich ist: meine Wirtschaftsangelegenheiten sind so bequem wie möglich.“11

Huber skizziert eine (wenn auch verhältnismäßig bescheidene) Wohnung des Biedermeier, in der auch das Sofa als ein zentrales Möbel herausgestellt wird. Die Wohnlichkeit wird im Sinne einer Behaglichkeit positiv erwähnt. Das Rouleau ist hierbei von besonderer Bedeutung, entsteht doch durch die bequeme Abdunklung des Zimmers eine private Atmosphäre. Wie man die „Rouleaux“ erzählerisch geschickt funktionalisieren kann, demonstriert Goethe im letzten Buch von Dichtung und Wahrheit, wenn er seine Lösung von Lili Schönemann beschreibt. „Sie wohnte im Erdgeschoß eines Eckhauses, die grünen Rouleaus waren niedergelassen, ich konnte aber recht gut bemerken, daß die Lichter am gewöhnlichen Platze standen.

11 Therese Huber aus Augsburg an die Tochter einer Freundin (ca. 1823/1824); Huber: Leben und Briefe, S. 360. Vgl. auch Himmelheber: Wohnen im Biedermeier, S. 96 (außer Huber ebenda auch Raumbeschreibungen weiterer Zeitgenossen).

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Bald hörte ich sie zum Klaviere singen, es war das Lied: Ach wie ziehst du mich unwiderstehlich! das nicht ganz vor einem Jahr an sie gedichtet ward. Es mußte mir scheinen daß sie es ausdrucksvoller sänge als jemals, ich konnte es deutlich Wort vor Wort verstehn; ich hatte das Ohr so nahe angedrückt wie nur das auswärts gebogene Gitter erlaubte. Nachdem sie es zu Ende gesungen, sah ich an dem Schatten, der auf die Rouleaus fiel, daß sie aufgestanden war; sie ging hin und wider, aber vergebens suchte ich den Umriß ihres lieblichen Wesens durch das dichte Gewebe zu erhaschen. Nur der feste Vorsatz mich wegzubegeben, ihr nicht durch meine Gegenwart beschwerlich zu sein, ihr wirklich zu entsagen, und die Vorstellung, was für ein seltsames Aufsehen mein Wiedererscheinen machen müßte, konnte mich entscheiden die so liebe Nähe zu verlassen.“12

Die erzählte Szene erinnert an Wilhelm Meisters Umschleichen von Marianes Wohnung in den Lehrjahren.13 Die Nähe wird gesucht, die trennende Grenze aber nur berührt. In Dichtung und Wahrheit wird diese kunstvoll mittels der Rouleaus inszeniert, die trennend und doch durch ihre Lichtdurchlässigkeit verbindend sind. Der Diskurs der Privatheit, in den Therese Huber die Rouleaus in ihrem Brief stellt, wird bei Goethe fortschreibend aufgebrochen und für den Schwebezustand der Einbildungskraft des (autobiographischen) Erzählers funktionalisiert. Mit der Privatheit ist im Biedermeier auch die Fortsetzung der Ausdifferenzierung der Wohnräume verbunden. Dies lässt sich anhand der Briefäußerung von Therese Huber demonstrieren: Auffällig ist nämlich, dass sie nicht nur die Zimmer selbst beschreibt, sondern auch anhand ihrer Funktion charakterisiert – etwa das Eckzimmer für Gesellschaften, das kleine Zimmer mit dem Sofa für das vertrauliche Teegespräch. Auch im adligen Wohnen richtet man sich nun zunehmend in der privaten Raumsphäre‚bürgerlich‘-biedermeierlich ein, wenn auch nicht überall und flächendeckend.14 Im Anfangskapitel von Stifters Nachsommer wird ebenso eine strikte funktionale Raumtrennung in der bürgerlichen Kaufmannsfamilie des Ich-Erzählers Heinrich Drendorf thematisiert: „Die gemischten Zimmer, wie er [der Vater Heinrichs] sich ausdrückte, die mehreres zugleich sein können, Schlafzimmer Spielzimmer und dergleichen, konnte er nicht leiden. Jedes Ding und jeder Mensch, pflegte er zu sagen, könne nur eines sein, dieses aber muß er ganz

12 Goethe: Sämtliche Werke, I. Abt., Bd. 14, S. 846f. 13 Vgl. S. 95 dieser Arbeit. 14 Vgl. Stein: Kultur der Harmonie, S. 73.

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sein.“15 In der Stadtwohnung der Familie ist entsprechend eine konsequente Trennung von Arbeiten und Leben vollzogen. Jedes Familienmitglied hat sein eigenes Zimmer und es gibt außer dem Wohnzimmer auch Spezialräume wie ein Bücherzimmer. Als die Familie in ein großes Vorstadthaus zieht, können die funktionalen Raumzuschreibungen zusätzlich perfektioniert werden: „Das Haus war nur für unsere Familie bestimmt.“16 Das Bücherzimmer wird ausgebaut und auch ein Bilderzimmer entsteht, ebenso erhalten die geologischen und historischen Sammlungen des Vaters einen eigenen Raum. Auch der Diskurs einer inszenierten Bescheidenheit und Einfachheit des Biedermeier wird in der Wohnkultur des Vaters schon zu Anfang verkörpert: Die wertvollen Bücher, die in einem Schrank hinter Glas stehen, hat der Vater bewusst hinter „grünen Seidenvorhänge[n]“ verborgen, damit er nicht in den Verdacht gerate, er wolle „mit den Büchern prahlen“.17 Mit dieser Zurückhaltung ist zugleich die Vorstellung verbunden, dass das Wohnen als praktischer Vollzug nicht thematisiert und nicht sichtbar werden sollte: „Das Buch, in dem er gelesen hatte, stellte er genau immer wieder in den Schrein, aus dem er es genommen hatte, und wenn man gleich nach seinem Heraustritte in das Bücherzimmer ging, konnte man nicht im Geringsten wahrnehmen, daß eben jemand hier gewesen sei, und gelesen habe. Überhaupt durfte bei dem Vater kein Zimmer die Spuren des unmittelbaren Gebrauches zeigen, sondern mußte immer aufgeräumt sein, als wäre es ein Prunkzimmer. Es sollte dafür aber aussprechen, zu was es besonders bestimmt sei.“18

Der Modus der Sauberkeit kulminiert in der Vorstellung des Raumes als Funktionsträger, dessen Funktion jedoch nicht abgerufen wird, wodurch die Bewohner hinter den Raum zurücktreten. Walter Benjamin wird später dies implizit als

15 Stifter: Werke und Briefe, Bd. 4.1, S. 11. Wohn-/Haus und Raum in Stifters Werken sind bereits öfter untersucht worden, vgl. u.v.a. allgemein Irmscher: Adalbert Stifter, S. 242–253; Hillebrand: Mensch und Raum, S. 199–228. U.a. zum Problem des ‚ganzen Hauses‘ im Nachsommer Borchmeyer: Ideologie der Familie; vgl. zudem mit ausführlichem Bezug zur Inneneinrichtung Belgum: Interior Meaning, S. 45–67. Weitere Ansätze werden diskutiert bei Begemann: Die Welt der Zeichen, z.B. S. 330f. 16 Stifter: Werke und Briefe, Bd. 4.1, S. 13. 17 Ebenda, S. 10. 18 Ebenda, S. 10f. Vgl. ähnlich, aber ohne ausdrücklichen Bezug zu Stifter MeierOberist: Kulturgeschichte des Wohnens, S. 254.

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unerreichbar charakterisieren, wenn er gerade für das 19. Jahrhundert postuliert, dass das Wohnen immer mit dem Hinterlassen von Spuren verknüpft sei.19 Das Biedermeier-Wohnen entspricht nicht mehr dem Konzept des ‚ganzen Hauses‘. Dass die Idee vom ‚ganzen Haus‘ im Denken Mitte des 19. Jahrhunderts aber gerade virulent ist und damit auch das Sprechen vom Wohnen mitbestimmt, lässt sich am Werk des konservativen Kulturhistorikers Wilhelm Heinrich Riehl zeigen, dessen Naturgeschichte des Volkes als Grundlage einer deutschen Social-Politik (darin: Die Familie) in zahlreichen Auflagen bis ins 20. Jahrhundert gelesen und rezipiert wird.20 Riehl beklagt die Auflösung der traditionellen Gemeinschaftsräume „für Mann und Weib und Kinder und Gesinde“; diese seien „kleiner geworden oder ganz verschwunden“.21 Stattdessen gebe es nun eine Vielzahl von neuen Raumtypen: „Man raffinirt förmlich darauf, neue Zimmer zu erfinden.“22 Er kritisiert den neuen Raumtypus des Salons im bürgerlichen Haus, der nicht mehr „dem ‚Hause‘, sondern der ‚Gesellschaft‘“ diene.23 Der Salon wird damit zur neuen und einzigen Zone, in der die Diskurse von Privatheit- und Öffentlichkeit aufeinander treffen.24 Und Riehl stellt den Verlust der Individualität des Hauses heraus: „So schämt man sich auch, eine eigenthümliche, seinen Bedürfnissen angemessene, eine persönliche Wohnung

19 Vgl. Benjamin: Gesammelte Schriften, Bd. V.1, S. 52. 20 Vgl. Lövenich: Verstaatlichte Sittlichkeit, S. 280 und S. 277. Riehl gilt bis heute als einer der Vorgänger der Architektursoziologie, da er die Verbindung von HausArchitektur und Familie herstellt, vgl. Schäfers: Architektursoziologie, S. 19f. Riehls negative Zukunftsperspektive bezüglich der Institution Familie nach dem Niedergang des ‚ganzen Hauses‘ habe sich aber (z.B. wegen einer neuen Intimität) nicht bewahrheitet, vgl. Weber-Kellermann: Die deutsche Familie, S. 107f. Vgl. auch die weiterführenden Hinweise zur Diskussion zum ‚ganzen Haus‘ bei Gestrich: Neuzeit, S. 421f. 21 Riehl: Naturgeschichte, Bd. 3, S. 169. Vgl. zu Riehl auch die neueste Studie zum ‚Haus‘ in der deutschen Literatur Ghanbari: Das Haus, bes. S. 1–4. In dieser Studie geht es aber weniger um die räumliche Realisierung des Hauses, sondern primär um die verwandtschaftlichen Konstellationen im erzählten Haus, vgl. ebenda, S. 7. Vgl. außerdem zur besonderen Verbindung von Literatur und der Konzeption vom ‚ganzen Haus‘ Twellmann: Spätökonomik, S. 600f. 22 Riehl: Naturgeschichte, Bd. 3, S. 169. 23 Ebenda, S. 174. 24 Vgl. zu Riehl und der Linie im Haus Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 9.

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sich zu bauen, und macht alle Häuser nach Außen über einen Leisten, da doch noch lange nicht alle Insassen über einen Leisten gemacht sind.“25 Riehl bemängelt ausdrücklich die Modernisierungen im bürgerlichen Bauen seit dem 18. Jahrhundert. Letztlich folgen diese äußerlichen ästhetischen Prinzipien, „a l s o b d a s H a u s vo n a u ß e n n a c h i n n e n ge b a u t w e rd e u n d n i c h t vi e l me h r vo n i n n e n n a c h a u ß e n !“.26 Die Intention hinter der Argumentationsführung Riehls ist die Sicherung des Hauses als familialer „Ort der praktizierten Sitte“.27 Wird das ‚ganze Haus‘ als Muster in die Moderne hinübergeführt, ist es auf die gesamte Gesellschaft übertragbar, wenngleich das ‚ganze Haus‘ eigentlich „zu Riehls Zeit weit von der Realität entfernt, kulturell aber noch vorhanden im Bewußtsein“ ist.28 Das große zeitgenössische Interesse für Riehls Schriften verdeutlicht die Präsenz einer gesellschaftlichen Diskussion über das Verhältnis von veränderten politischen Realitäten und der Lebenskultur. In Bürgertum und Adel hat sich seit dem 18. Jahrhundert eine sich wechselseitige beeinflussende Wohnkultur ausgeprägt, die auch neue gesellschaftliche Spannungen entstehen lässt, von denen zum Beispiel Riehls Äußerungen mitgeprägt sind. Für die literarische Inszenierung des Wohnens bedeutet dies, dass mit der narrativen Gestaltung und Funktionalisierung des Wohnens immer auch die politisch-gesellschaftlichen Diskurse mitgedacht werden müssen. Wohnen erscheint damit auch im 19. Jahrhundert als Diskurskomplex, dessen künstlerische Ausgestaltung vielversprechende Perspektiven eröffnet.

3.2 G EORDNETE W OHNZEICHEN : B IEDERMEIERZEIT UND (F RÜH -)R EALISMUS (Gotthelf: Die schwarze Spinne, Riehl: Die Lehrjahre eines Humanisten, Der Hausbau, Grillparzer: Der arme Spielmann, Stifter: Turmalin) Der zuvor kunstgeschichtlich verwendete Begriff ‚Biedermeier‘ soll nicht als statischer literaturwissenschaftlicher Epochenbegriff verstanden werden, auch wenn er in dieser Funktion bekanntlich Verwendung findet. Friedrich Sengle hat

25 Riehl: Naturgeschichte, Bd. 3, S. 161. 26 Ebenda, S. 178. 27 Lövenich: Verstaatlichte Sittlichkeit, S. 272. 28 Ebenda, S. 277, mit Bezug auf Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1, S. 81–83.

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die politischen Zeitenwenden von 1815 und 1848 genutzt, um die verschiedenen literarischen Strömungen als Biedermeier-Epoche bzw. als „Biedermeierzeit“ herauszuarbeiten29 – eine Einteilung, die bis heute umstritten ist. Zu den neueren Versuchen, die auch eine wesentlich dynamischere Periodisierung anhand von literarischen Merkmalen zulassen, gehören die Arbeiten von Titzmann, der problematisiert, ob in der Literatur zwischen Goethezeit und Realismus ein „Literatursystem ‚Biedermeier‘“30 feststellbar sei; unter der Literatur der ‚Goethezeit‘ versteht er dabei „das Nach- bzw. Nebeneinander von ‚Sturm und Drang‘, ‚Klassik‘, und ‚Romantik‘ (und alles das, was diese Begriffe nicht abdecken und wofür wir keinen eigenen Namen haben)“ und unter ‚Realismus‘ dahingegen „ein eher statisches, ein geradezu erstaunlich invariantes Literatursystem“.31 Im Folgenden sollen unter der Perspektive der Wohndiskurse fünf Erzählungen bzw. Novellen untersucht werden, die mal der Biedermeierzeit, mal dem Frührealismus zugerechnet werden: Jeremias Gotthelf: Die schwarze Spinne, Franz Grillparzer: Der arme Spielmann, Adalbert Stifter: Turmalin sowie zwei Novellen von Wilhelm Heinrich Riehl (Die Lehrjahre eines Humanisten [1856], Der Hausbau [1863]). Dass die Literatur des (programmatischen) Realismus mit dem Detailrealismus der Biedermeierzeit und speziell mit der Darstellung von Innenräumen in Verbindung steht, darauf ist zu Recht hingewiesen worden,32 was aber auch zugleich die Schwierigkeit einer literarhistorischen Abgrenzung verdeutlicht. Ohne die Frage nach der literaturgeschichtlichen Einteilung beantworten zu wollen, soll innerhalb der Argumentationsführung dieser Arbeit anhand der erwähnten Texte jedoch eine Gemeinsamkeit herausgestellt werden: der Bezug auf das außerliterarische Wohnen im Stile des Biedermeier und ihre narrative Funktionalisierung. Die literarischen Beispiele verbindet bei aller Verschiedenheit der Rekurs auf ein einfaches Wohnen im Kleinen, dessen Ordnung und Substanz mit dem Glück (oder Unglück) seiner Helden vernetzt wird.33 Mit der Analyse der Wohn-Zeichen in literarischen Texten ist immer auch schon die Referenz auf eine außerliterarische Wirklichkeit mitzudenken. Es handelt sich dabei um eine Entwicklung, wie noch zu zeigen sein wird, die bis in den Natura-

29 Sengle: Biedermeierzeit, Bd. I, S. VII. Vgl. dazu auch Blamberger/Engel/Ritzer: Vorwort. 30 Titzmann: Einleitung, S. 5. 31 Ebenda, S. 4. Vgl. auch Titzmann: Grenzziehung, S. 190. 32 Vgl. Becker: Bürgerlicher Realismus, S. 59. 33 Bereits Hilleberand stellt fest, dass seit 1840 u.a. „Häuser“ und „Interieurs“ in der Literatur „zu einem bestimmenden Ausdrucksfaktor menschlichen Seins“ werden, Hillebrand: Mensch und Raum, S. 85.

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lismus Ende des 19. Jahrhunderts eine Steigerung erfährt: Die Bindung der Literatur an eine naturalistische Wohn-Realität führt schließlich dazu, dass die Äußerlichkeit des Wohnens unmittelbarer lesbar wird und nicht mehr in eine Sprache der Einbildungskraft oder der Mehrdeutigkeit eingebunden wird; von letzterer sind ja gerade noch Fontanes späte Romane geprägt. Eine markante Symbolik ist mit der teuflischen, schwarzen Spinne noch in Gotthelfs gleichnamiger Novelle eingeschrieben, die zunächst untersucht werden soll. In dem „Biedermeier-Hause“34 der Rahmenerzählung ist sie nicht nur von den Erbauern mittels des Fensterpfostens ein wesentlicher Baustein, der die ethische, das heißt christliche Lebensperspektive der Bewohner lenkt, als auffälliger, veralteter Teil der Außenfassade wird der Pfosten zum Anlass der Binnenerzählungen des Großvaters: „‚Mir gefällt das Haus ganz ausnehmend wohl‘, sagte eine der Frauen. ‚Wir sollten auch schon lange ein neues haben, aber wir scheuen immer die Kosten. […] Aber fragen möchte ich doch, nehmt es nicht für ungut, warum da gleich neben dem ersten Fenster der wüste schwarze Fensterposten ist, der steht dem ganzen Hause übel an.‘“35

An der Grenze des Hauses zwischen innen und außen wird baulich eine Störung markiert, die im Kontrast zu der Ordnung und Reinlichkeit des Hauses steht und aufgrund ihrer Grenzposition nicht ignoriert werden kann. Die Einführung des Hauses wird in der Rahmenerzählung, die sich in die Schweiz der 1840er Jahre datieren lässt,36 sorgfältig inszeniert. Die zeitliche Situierung relativiert damit auch den großbäuerlichen Hintergrund der Handlung, da mit der Entwicklung einer bürgerlichen Kultur bürgerliche Handlungs-, Denk- und damit auch Wohnmuster die bäuerliche Gemeinschaft durchdringen. Insofern ist eine Vergleichbarkeit mit der literarischen Schilderung von explizit bürgerlichen Haushalten gegeben.37 Nach einer Landschaftsschilderung fokussiert der Erzähler auf das Zentrum einer „sonnenreichen Halde“38, wo das Haus

34 Sengle: Biedermeierzeit, Bd. 1, S. 366. 35 Gotthelf: Werke, Bd. 17, S. 210. 36 Vgl. Hahl: Gotthelf: Jeremias Gotthelf – der „Dichter des Hauses“, S. 245. Einen aktuellen Forschungsüberblick zur Schwarzen Spinne, wo auch diese und andere Positionen kurz diskutiert werden, bietet Masanetz: Forschungsüberblick. 37 Vgl. auch Lukas: Heilige Familie, S. 68f. Dass das Biedermeier-Wohnen nicht nur von ‚Bürgern‘, sondern auch von Adligen etabliert wurde, darauf ist bereits hingewiesen worden. Vgl. S. 139 dieser Arbeit. 38 Gotthelf: Werke, Bd. 17, S. 191.

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des Großvaters, des Binnenerzählers, lokalisiert ist. Die bevorstehende Kindstaufe lässt einen strahlenden Tag erwarten, wenngleich der Leser erfährt, dass „Reinlichkeit“ zum Leben der Hausbewohner „alle Tage“ zählt und gleichsam zur ererbten „Familienehre“ gehört.39 Die Vorbereitung der Tauffeier im Inneren des Hauses wird geschildert und das Interieur wird zum Bedeutungsträger des Lebens und der Lebenssphäre der Hausbewohner. Ein (bezüglich Form und Material auch als typisch Biedermeier identifizierbarer40) „Schrank aus Kirschbaumholz“, „wo hinter Glasfenstern des Hauses Zierden prangten“,41 dient als Vitrine und Aufbewahrungsort für gutes Porzellan. So wie das Haus in die Landschaft erzählerisch eingebettet wird, wird der Leser in das Innere des Hauses geführt, dann zur Vitrine bis zu den Sinnsprüchen auf den bemalten Tellern innerhalb des Schrankmöbels. Die einfachen wie frommen Sprüche repräsentieren das Lebensethos der Menschen, die auch Bezug zum Wohnen nehmen: „Gott gibt dem Menschen Gnad,/ Ich aber wohn im Maad.“42 Mit „Maad“ ist ein bäuerlicher Hof gemeint bzw. im engeren Sinne eine alte Größenangabe, die eine Wiesenfläche umfasst, die „ein Mann in einem Tage zu übermähen fähig war“.43 Im Innersten des Hauses wird damit die vollständige Lebenssphäre, also der ganze Hof in den Mittelpunkt gerückt. Strenge funktionale Raumtrennungen sind in dem seit Jahrhunderten bäuerlich geprägten Haus noch nicht entfaltet, sondern der Gedanke vom ‚ganzen Haus‘ ist weiterhin implizit präsent. Der Pfosten, der die Spinne über Generationen gefangen hält, ist zwar Teil der Außenwand, jedoch im Mittelpunkt des ‚ganzen Hauses‘. Dies verdeutlicht auch die erzählerische Gestaltung des Tauffestes. Nach dem ersten Teil des Festmahles begibt man sich nach draußen, „oberhalb des Hauses“ zum „sanften Anfang der Halde“44 und nimmt das renovierte Haus in Augenschein, bis – wie erwähnt – die Rede auf den alten Pfosten kommt. Nach der ersten Binnenerzählung des Großvaters sind den Zuhörern „die Herzen zugeklemmt“,45 man schweigt und zögert, das Haus wieder zu betreten. Die Geschichte verändert die Wahrnehmung der Taufgesellschaft auf das Haus. Der äußere Schein hat sich nicht verändert: Ausführlich zählt der Rahmenerzähler die sorgfältig zubereiteten und platzierten Speisen und Getränke auf; die

39 Ebenda. 40 Vgl. z.B. Zinnkann: Biedermeiermöbel, S. 222. 41 Gotthelf: Werke, Bd. 17, S. 194. 42 Ebenda. 43 Wurstemberger: Geschichte der Alten Landschaft Bern, S. 359. 44 Gotthelf: Werke, Bd. 17, S. 209. 45 Ebenda, S. 265.

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Spinne und das Schaudern werden jedoch imaginiert: „So wars ein schönes Schauen, und doch achteten sich alle desselben wenig; aber alle sahen sich um mit ängstlichen Augen, ob nicht die Spinne aus irgend einer Ecke glitzere oder gar vom prangenden Schinken herab sie anglotze mit ihren giftigen Augen.“46 Während des Essens ist die Spinne somit symbolischer Teil der Gesellschaft, die nach der Fortsetzung der Erzählung verlangt, welche der Großvater mit der zweiten Binnenerzählung liefert. Mit dem verbauten Geheimnis verwahrt das Haus seinen Segen für ein christliches Zusammenleben. Das Haus des Erzählers ist damit Teil des moralischen Erbes bzw. Anspruchs, in dessen Dienst auch die ‚Erneuerung‘ des Hauses durch den Großvater steht, das sich als vierter Bau rekonstruieren lässt.47 Hahl hat darauf hingewiesen, dass die Spinne der Binnenerzählungen auf die ethischreligiösen Tabubrüche der Hausbewohner ebenso mit Tabubrüchen reagiert: Die tötende Spinne nimmt keine Rücksicht auf die Privatheit des gemeinsamen Mahles oder des Bettes.48 Das Wohnen im Haus innerhalb der Rahmenerzählung aktualisiert durch die Präsenz des Pfostens und durch die Erzählungen des Großvaters erneut diese Einbruchsmöglichkeiten der Spinne in das Haus. Die Rückzugsräume und Raumfunktionen, die auch das Biedermeier propagieren, bieten in diesem Sinn keinen Schutz; vielmehr funktioniert das Haus als Wohnstätte vor allem dann, wenn eine religiöse und ethische Integrität als Ganzes gewahrt wird. Die äußere Form des Wohnens in der Rahmenerzählung in den 1840er Jahren in der Schwarzen Spinne lässt sich teils mit der Kultur des Biedermeier in Verbindung bringen, reklamiert und konserviert jedoch die Werte des ‚ganzen Hauses‘, in dem die Gemeinschaft Vorrang vor der Kleinfamilie besitzt.49 Über das erzählte Wohnen kann Gotthelf somit eine narrative Struktur aufbauen, die ermöglicht, einerseits – diachron – die Jahrhunderte miteinander zu verknüpfen, anderseits – synchron – die Diskurse des Wohnkomplexes zusammenzuführen: Der scheinbaren Beschaulichkeit und Unbeschwertheit des Hauses der Taufgesellschaft wird eine immerwährende Bedrohung eingeschrieben, die die (hier: religiöse) Identität der Bewohner prägt. Dass Wilhelm Heinrich Riehl mit Gotthelf sympathisiert und dessen Darstellung des Hauses positiv herausstellt, verwundert nicht, wenn man an seine kon-

46 Ebenda, S. 266. 47 Vgl. Hahl: Gotthelf: Jeremias Gotthelf – der „Dichter des Hauses“, S. 245f. 48 Vgl. ebenda, S. 224f. 49 Siehe ergänzend auch die Analysen zu Haus und Familie von Lindemann: Jeremias Gotthelf, S. 184–196.

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servative Perspektive auf die Veränderung der modernen Gesellschaft denkt.50 Dessen moralischer Familienbegriff fußt auf dem alten Konzept vom ‚ganzen Haus‘. Es ist jüngst herausgestellt worden, wie bei Riehl seinerseits in verschiedenen Novellen die „sozialen Integrationskräfte“51 (Familie, Arbeit, Sitte, Religion, Haus) die Handlung und die Erzählintention dominieren. Erzählerisch beziehen damit die Novellen auch die erzählten Raumstrukturen des Wohnens in die Komposition mit ein, so dass im Folgenden die Analyse von zumindest zwei der zahlreichen, wenn auch inzwischen fasst vergessenen Novellen Riehls lohnend erscheint. In Die Lehrjahre eines Humanisten (1856)52 werden die Jugendbzw. Lehrjahre des Theologen Johannes Piscator (1546–1625) als historische Person thematisiert. Zunächst als gelehrtes Wunderkind gefeiert, fristet der junge Magister in der Kaufmannsstadt Ulm ein Randdasein. Zurückgezogen lebt der Gelehrte als „hypochondrische[r] Philosoph“53 auf seinem „Kämmerchen“54. Als Sonderling wohnt er unter dem Dach eines Hauses; in einer typischen Inszenierung lebt er als Außenseiter dezentral im Haus. Der Erzähler vermag diese räumliche Distanz auszunutzen: „Da kam polternd ein schwerbestiefelter Reiter die Treppe heraufgestiegen zu dem hohen Olymp der Dachstube und öffnete die Tür, ohne anzuklopfen.“55 Die Szene erhält nicht nur einen Moment der Spannung, der „Olymp“ als gelehrtes, abgehobenes Symbol wird ironisch gebrochen, in einer Dachstube lokalisiert und ins Leben zurückgeführt. Das Erkennen und Führen des Lebens wird zum zentralen Thema der Novelle. Der Reiter – ein alter Studienfreund – bittet den beschäftigungslosen Piscator, seinen Herrn, Graf Albrecht von Löwenstein, als gelehrten Führer und Chronisten auf eine Pilgerreise nach Jerusalem zu begleiten. Schnell willigt Piscator ein, bereut jedoch dies nach kurzer Zeit: „Denn als echter Stubensitzer fürchtete er sich vor fremden Gesichtern.“56 Während des Marsches zum Treffpunkt für die Pilgerreise begegnet er zufällig einem Lehrjungen gleichen Nachnamens. Ebenso spontan entscheiden sie sich, die Rollen zu tauschen: Piscator wird zum Lehrjungen des Lebzelter-Handwerkes57 in Augsburg, der wagemutige Lehrling zum

50 Vgl. Hahl: Jeremias Gotthelf – der „Dichter des Hauses“, S. 1. 51 Kałążny: Unter dem „bürgerlichen Wertehimmel“, S. 219–280, hier S. 219. 52 Vgl. ebenda, S. 239–242. 53 Riehl: Kulturgeschichtliche Novellen, S. 106. 54 Ebenda, S. 109. 55 Ebenda. 56 Ebenda, S. 114. 57 Lebzelter gehören zum Bäckerhandwerk, die Lebzelten, „flache[…] honigkuchen, lebkuchen“, herstellen, Art. Lebzelte. – In: Deutsches Wörterbuch, Bd. 12, Sp. 471.

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Pilgerreisenden und – wie sich später zeigen wird – zum tapferen Gefährten des Grafen. Piscator lernt in Augsburg im Hause des Meisters Furtenbacher das tatsächliche Leben kennen: Ohne handwerkliche Vorkenntnisse ist Piscator einerseits ungeschickt und zum Lebkuchen-Backen wenig geeignet, andererseits erweist er sich in der Hausgemeinschaft bei weniger anspruchsvollen Tätigkeiten als Glücksfall und er wird „das Schoßkind der ganzen Familie“.58 Von der Lebensweise im Haus ist er trotz einiger Sticheleien der Gesellen fasziniert, da sie eine Alternative zu seiner Dachstubenexistenz aufzeigt: „Wenn er so an Sonntagnachmittagen manchmal stundenlang allein in des Meisters Stube sitzen durfte, dann ward es ihm ganz selig im Gemüte. Die Frühlingssonne schien durch die achteckigen Scheiben so lustig in das helle, reinliche Gemach. Crescenz, die alte Magd, die lesen konnte – denn sie war von guter Herkunft und selbst eine entfernte Verwandte des Hauses – sorgte für eine Reinlichkeit, die ein Holländer bewundert hätte. Der Boden war blütenweiß gescheuert, und das Täfelwerk am Wandsockel und an der Decke stets so glänzend im nußbraunen Lack gehalten, als sei es gestern erst gefirnißt worden; um tausend Gulden wäre kein Spinngeweb in den Ecken zu finden gewesen, und die metallenen Prunkgeräte auf dem kunstreich ausgeschnitzten Schrein spiegelten das Licht blendend zurück, daß sie leuchteten wie die goldenen Schalen, Schüsseln und Becken im Tempel Salomonis.“59

Die Reinheit (und Ordnungsliebe) korrespondiert mit der aus der Rahmenerzählung in Gotthelfs Schwarzer Spinne und die Wohnsituation verweist damit ebenso auf einen biedermeierlichen, moralisch integeren Ort. Die Anspielung auf die Ordnungsliebe der Holländer verdeutlicht zudem den Rückgriff auf ein typisches Sprachinventar, wenn Wohnräume beschrieben werden. In der Zeitschrift Die illustrirte Welt formuliert Moritz Grosse in dem Artikel Eine holländische Theegesellschaft im 17. Jahrhundert (1864) die Beschreibung eines Kupferstichs entsprechend: „An dem glänzenden Boden, den leuchtend hellen Scheiben, an dem sorgfältig aufgestellten Hausrath, dem prachtvollen javanesischen Porzellan, das in der Ecke sich über einander thürmt, erkennt man die minutiöse Ordnungsliebe der Holländerin.“60 Glanz, Reinlichkeit, Licht durch helle Scheiben, aber auch Details der Wohnungseinrichtung – etwa in den Ecken eines Zimmers

58 Riehl: Kulturgeschichtliche Novellen, S. 136. 59 Ebenda, S. 132f. 60 Moritz Grosse: Eine holländische Theegesellschaft im 17. Jahrhundert. – In: Die illustrirte Welt 12 (1864), S. 561f., hier S. 562.

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– gehören zum Darstellungsrepertoire. Riehls Text aus dem 19. Jahrhundert inszeniert insgesamt ganz bewusst anhand der Lebensumstände der literarischen Figur Piscators die Vorstellung vom ‚ganzen Haus‘.61 Das Doppelleben von Piscator im Handwerker-Haus, der sich nur heimlich mit Literatur beschäftigen kann, bleibt jedoch nicht ohne Widerspruch: „In der Küche, in der Werkstatt, auf der Straße war er halb Lehrjunge, halb Hausknecht; auf der einsamen Dachkammer der echte deutsche Gelehrte.“62 Als am Schluss der Novelle alles aufgeklärt und ein harmonisches Ende inszeniert wird, resümiert dieser allerdings positiv: „Hier habe ich den Segen des Hauses erkannt, die Heilkraft der strengen Zucht und Ordnung meines werten Meisters. Nicht Lebkuchen backen, aber leben habe ich gelernt.“63 Eine produktive Vermischung des Standes des Wohnenden mit dem Stand des Hauses ist auch in Riehls Novelle Der Hausbau vorzufinden. Die Handlung ist in das 18. Jahrhundert verlegt und an die Geschichte des Hauses des Rates Humbert geknüpft. Etwas außerhalb der Stadt hatte dieser durch die Heirat seiner Frau ein Haus erhalten, das er allerdings eher „als eine Art Gartenhaus“64 denn als ständiges Wohnhaus nutzte. Sein Sohn Christian verkauft das Stadthaus am Markt und zieht zur Bewirtschaftung auf ein größeres Gut. Das Haus am Stadtrand steht daher einige Zeit leer, bis sich Christian dazu entschließt, dieses umzubauen. Das Haus ist bisher sowohl bäuerlich als auch bürgerlich geprägt: Die Novelle beginnt mit einem Hausspruch: „Das Bauen ist ein’ große Lust,/ Daß’s so viel kost’, hab’ ich nit g’wußt:/ Behüt’ uns Herr in alle Zeit/ Vor Maurer, Schmied und Zimmerleut.“65 Der Erzähler merkt selbst an, dass der „Reim“ an einem „Bürgerheim“ wohl „etwas zu bauernmäßig“ sei, allerdings wisse man ja auch nicht, „wo der Bürger aufhöre und der Bauer anfange, so paßte er doch ganz gut“.66 Diese Stil- und Funktionsmischung will der junge Christian als ein Zeichen neuer bürgerlicher Autonomie bereinigen; die für Bauernhäuser typischen großen, hallenartigen Räume sollen in kleinere zergliedert werden:

61 Vgl. Kałążny: Unter dem „bürgerlichen Wertehimmel“, S. 241. 62 Riehl: Kulturgeschichtliche Novellen, S. 144. 63 Ebenda, S. 158. Vgl. auch den Bezug des Großvaters in der Schwarzen Spinne zur Bedeutung eines Segens: „Nur in der Familie redete man davon, damit kein Glied derselben vergesse, was ein Haus bauet und ein Haus zerstört, was Segen bringt und Segen vertreibt.“ Gotthelf: Werke, Bd. 17, S. 287. 64 Riehl: Kulturgeschichtliche Novellen, S. 337. 65 Ebenda. 66 Ebenda.

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„Kurzum, das halbe Bauernhaus sollte sich in ein ganzes, behagliches Bürgerhaus verwandeln. Und gleichsam zum Wahrzeichen, daß ein neues, fortgeschrittenes Geschlecht Besitz ergriffen habe von dem alten Bau, ließ der junge Humbert vor allem die Tafel mit dem Bauernreim ausbrechen.“67

Dieser Traditionsbruch wird in der Novelle sogleich negativ konnotiert, indem der Nachbar, der Förster Habermann, als harmonisierende Figur auftritt; er ist über den Abriss der Tafel sowie den „stadtmäßig[en]“ Umbau des Hauses verärgert.68 Hintergrund für seine Verstimmung und Reserviertheit ist jedoch ein langer Nachbarschaftsstreit mit dem alten Rat Humbert. Der Förster unterlag bei einem Rechtsstreit, wodurch er verpflichtet war, eine direkt an die Grundstücksgrenze anliegende Waschküche zurückzubauen. Christians Bauprojekt wird von den Handwerkern, die satirisch dargestellt werden,69 gefährdet. Da Christian bei den Renovierungen nicht anwesend ist, arbeiten die Handwerker mit wenig Engagement und fehlerhaft. Erst der Einsatz der Tochter des Försters führt zum Erfolg. Christian hatte dem Förster den Hauschlüssel mit der Bitte um Verwahrung und tägliche Weitergabe an die Handwerker übergeben. Der Förster ist zunächst über den Nachbarschaftsdienst nicht begeistert, nimmt aber die Verantwortung sehr ernst: „Nun haben wir aber den Hausschlüssel einmal angenommen, also müssen wir ihn auch so treu bewahren, als schlösse er unser eigenes Haus.“70 Mit dem Schlüssel wird symbolisch auch die Verbindung zwischen den beiden Nachbarn wieder enger geführt. Die Tochter ist es, die mit Geschick die Handwerker motiviert und auch Soldaten bändigen kann, die im Haus übergangsweise einquartiert werden müssen. Aus dem Nachbarschaftsdienst wird eine zarte Liebesbeziehung, die bei der Vollendung des Hausbaus mit der erfolgreichen Werbung Christians endet. Die offensichtliche Symbolik des Schlüssels verbindet nun Nachbarschaft und Familie in neuer, enger Weise miteinander. Die Umwandlung des Bauernhauses in ein Bürgerhaus gelingt Christian also nicht alleine. Die Erzählinszenierung legt damit wiederum eine skeptische Perspektive auf die Gesellschaftsveränderungen nahe. Nur mit der richtigen Ansprache an alle Beteiligten wird der Hausbau zu einem Erfolg: Die Handwerker, die Soldaten und der Nachbar müssen adäquat in das Projekt integriert werden,

67 Ebenda, S. 338. 68 Ebenda. 69 Vgl. den zitierten Hausspruch. Siehe auch Kałążny: Unter dem „bürgerlichen Wertehimmel“, S. 275–277. 70 Riehl: Kulturgeschichtliche Novellen, S. 347.

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damit es als Ganzes funktionieren kann. Ebenso ist auch das Bäuerliche präsent. Bewahrheitete sich doch der alte Spruch an der Eingangstür des Hauses: Am Ende wird dieser auch von Christian wieder angebracht und um eine allegorische Tafel mit einem Amor als Baumeister auf der Türinnenseite als „städtisches Gegenstück“ installiert.71 Gesellschaftsunterschiede werden am Ende der Novelle auf diese Weise mit utopischem Optimismus „kaschiert“, 72 für die Inszenierung einer modifizierten Form des ‚ganzen Hauses‘ erweist sich – ähnlich wie mit dem Pfosten in der Schwarzen Spinne – die Integration der Tradition eines Hauses als grundlegend. Anders als bei Gotthelf steht der Einzelne und sein individuelles WohnSchicksal in Franz Grillparzers Der arme Spielmann stärker im Fokus. Der Rahmenerzähler, der Teil der erzählten Welt des Rahmens ist, bringt sein psychologisches Interesse mehrfach explizit zum Ausdruck, wenn er mit Bezug auf Jakob, den alten Spielmann, von seinem „anthropologischen Heißhunger“73 spricht und am Ende der Rahmenerzählung von einer „psychologischen Neugierde getrieben“ wird, in „die Wohnung des Fleischers“,74 also die der späteren Familie Barbaras, zu gelangen. Im ersten Gespräch zwischen Erzähler und Spielmann fragt der Erzähler zweimal programmatisch in identischer Formulierung: „Wo wohnen Sie?“75 Auf die erstmalige Frage antwortet der Spielmann umständlich, lässt sich aber darauf ein, dass ihn der Fremde in den Morgenstunden besuchen könne, wenn er seinen Geigenübungen nachgeht. Eigentlich bittet er um eine Vorankündigung des Besuches, um vorbereitet für den ungewöhnlichen Gast zu sein. Es hat den Anschein, dass er trotz seiner ärmlichen Wohnung die Etikette und Höflichkeitsformen weiterpflegen möchte. Es ist daher auch dem psychologischen Interesse des Erzählers geschuldet, dass er auf die Bitte der Voranmeldung gar nicht reagiert und wieder nach dem Wohnort fragt: „‚Gut denn‘, sagte ich, ‚so werde ich Sie einmal morgens überraschen. Wo wohnen Sie?‘ Er nannte mir die Gärtnergasse. – ‚Hausnummer?‘ – ‚Nummer 34 im ersten Stocke.‘ – ‚In der Tat!‘ rief ich, ‚im Stockwerke der Vornehmen?‘ – ‚Das Haus‘, sagte er, ‚hat zwar eigentlich nur ein Erdgeschoß; es ist aber oben neben der Bodenkammer noch ein kleines

71 Ebenda, S. 371. 72 Kałążny: Unter dem „bürgerlichen Wertehimmel“, S. 276. 73 Grillparzer: Sämtliche Werke, Bd. 3, S. 150. Vgl. zum Rahmenerzähler auch Heine: Ästhetische oder existentielle Integration, S. 137. 74 Grillparzer: Sämtliche Werke, Bd. 3, S. 186. 75 Ebenda, S. 152 und S. 153.

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Zimmer, das bewohne ich gemeinschaftlich mit zwei Handwerksgesellen‘. – ‚Ein Zimmer zu dreien?‘ – ‚Es ist abgeteilt‘, sagte er, ‚und ich habe mein eigenes Bette‘.“76

Die Stockwerkangabe führt den Erzähler zunächst in die Irre und die Wohnsituation des Spielmanns wird in nur wenigen Worten von einer möglichen Beletage auf den Minimalraum eines Bettes zurückgestuft. Als der Erzähler später tatsächlich in die Gärtnergasse kommt, fragt er sich erneut: „In welcher dieser elenden Hütten wohl mein Original wohnen mochte?“77 Die Spiel-Phantasien des Spielmanns führen ihn akustisch zum Ziel. Inwieweit der Erzähler den Spielmann als Fallgeschichte wahrnimmt, verdeutlicht auch das Wohnen des Spielmanns unter dem Dach bzw. in einer Kammer neben dem Dachboden. Dort leben – wie schon mehrfach gezeigt78 – in narrativen Texten die Sonderlinge; es ist der Ausweis für einen interessanten Fall. Tatsächlich sind auch die Innenraumgestaltung und die Alltagssituation prekär: Der Spielmann teilt sich den Wohnraum mit zwei Handwerkern, die jedoch fast nur zum Schlafen anwesend sind. Zwischen ihm und den anderen besteht allerdings eine klare Trennung, aber nur aus Sicht des Spielmanns. Ein Kreidestrich inmitten des Raumes markiert zwei Wohnzonen.79 Nur auf der Seite des Spielmanns wird an Ordnung und Reinlichkeit festgehalten, und er versucht, bürgerliche und biedermeierliche Ideale zu leben. Es handelt sich dabei um den Versuch des Spielmanns, einen Schutzraum für seine personale Identität herzustellen, die außer in der Musik als virtuelle, opake, aber dafür höchst individualistische Sphäre sich vor allem in den Wohnräumen äußerlich und ‚real‘ manifestiert.80 Die Stabilität der Identität des Spielmanns erscheint im Spiegel des Woh-

76 Ebenda, S. 153. Es sei hier erwähnt, dass Der arme Spielmann auch in den Kontext einer Untersuchung zum Haus-Motiv in der deutschen Literatur gerückt wurde, allerdings wird dort weniger auf die Wohnraum-Konstellation Bezug genommen. Ritter: House and Individual, S. 114–120. 77 Grillparzer: Sämtliche Werke, Bd. 3, S. 154. 78 Vgl. z.B. S. 67 dieser Arbeit. 79 Vgl. Grillparzer: Sämtliche Werke, Bd. 3, S. 157f. 80 Vgl. auch Pape: Was der Mensch sei, S. 121f. Ausgehend von der Kreidestrich-Szene verbindet und diskutiert Pape kritisch ebenda die Äußerung und Schlussfolgerungen von Habermas: „Die Linie zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit geht mitten durchs Haus.“ Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 109. Heine nennt die Zimmergestaltung des Spielmanns eine „mikrokosmische Lebensordnung“, die auf die größeren Weltzusammenhänge verweist. Heine: Ästhetische oder existentielle Integration, S. 147. Vgl. auch Ritter: House and Individual, S. 116f.

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nens als labil und gefährdet. So einfach das Wohnen am Rand der Gesellschaft für den Spielmann ist, so komplex steht es in seiner literarischen Inszenierung für den eigenen Standort in der erzählten Welt. In der Binnenerzählung, von der sich der Rahmenerzähler Aufklärung über das Schicksal des Spielmanns erhofft, sind es schließlich wieder auch die Wohndiskurse, die als gestalterisches Potential in der Erzählung ihre Bedeutung ausspielen können. Der Spielmann greift auf den Identitätsdiskurs zurück, wenn er seine Stellung beim Nachbarn im Grieslerladen erläutert. Der Griesler kennt den Spielmann nicht: „Wer ist der Mensch? Es ist ein Herr aus der Kanzlei, erwiderte sie [seine Tochter Barbara], indem sie eine wurmstichige Erbse etwas weiter als die anderen von sich warf. Ein Herr aus der Kanzlei?, rief er, im Dunkeln, ohne Hut? Den Mangel des Hutes erklärte ich durch den Umstand, daß ich ganz in der Nähe wohnte, wobei ich das Haus bezeichnete. Das Haus weiß ich, rief er. Da wohnt niemand drinnen als der Hofrat […].“81

Jakob, ein weiterer Sohn des Hofrats, ist dem Nachbarn bisher unbekannt gewesen. Als dieser nun von seiner Existenz erfährt, ändert sich sein Verhalten umgehend und ihm wird ein Platz zum Sitzen angeboten. Der Spielmann wird in dieser Form aktiv in die Wohnung integriert und kann an deren kommunikativen Strukturen teilhaben (bis der Griesler an dem später verarmten Spielmann wieder das Interesse verliert). Charakteristisch ist jedoch, dass erst die Identifikation der Wohnung den Weg zu einer Identität ermöglicht, die in diesem Fall von dem Händler direkt auf ein monetäres Interesse stößt. Der Rahmenerzähler, der ja den Wortlaut des Binnenerzählers wiedergibt (und damit auch auf der Wiederholungsebene kontrolliert), lässt damit wiederum sein psychologisches Interesse im Spiegel der Wohnung erkennbar werden, wodurch die Wohndiskurse zu einem sprachlichen Verständigungs- und Reflexionsmedium werden. Das Drama des Wohnens des Spielmanns spitzt sich weiter zu und findet eine Entsprechung zu der späteren Situation auf der Ebene der Rahmenerzählung. Ist Jakob schon nach seinem schulischen Scheitern in ein „Hinterstübchen“82 des väterlichen Hauses verbannt, so muss er dieses nach der Episode beim Nachbarn vollständig verlassen: Es wird für ihn „in einer entfernten Vorstadt ein Kämmerchen gemietet“.83 Dass eine Beziehung von Jakob und Barbara, in die er sich – von ihrem Gesang angezogen – verliebt, nicht gelingen kann, wird mittels eines

81 Grillparzer: Sämtliche Werke, Bd. 3, S. 169. 82 Ebenda, S. 161. 83 Ebenda, S. 170.

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Kusses durch die Glasscheibe präfiguriert. Als sich Jakob der resoluten, aber nicht gänzlich abgeneigten Barbara nähert, kommt es zu einer kleinen Rangelei: „Wie sie nun, zusammengekrümmt und mit aller Macht sich entgegenstemmend, gleichsam an dem Türfenster klebte, nahm ich mir ein Herz, verehrtester Herr, und gab ihr ihren Kuß heftig zurück, durch das Glas.“84 Durch den ‚Raumdiskurs‘ wird eine künstliche Grenze während des Kusses etabliert, die zwischen beiden nicht aufgelöst wird. Nach dem Ruin des Spielmanns – er wird um sein Erbe betrogen – ist eine Beziehung nicht mehr möglich, Barbara will den wohlhabenden Fleischer heiraten. Die Abschiedsszene ist in Jakobs ärmlicher Wohnung lokalisiert. Barbara betritt die Wohnung und Jakob fühlt sich, als ob er an seinen Stuhl „angenagelt“85 wäre. Barbara sortiert seine Kleidung und legt die mitgebrachte Wäsche in den Schrank. Den Details des Ordnens wird in der Erzählung relativ viel Raum gewidmet. Wie später beim Spielmann der Rahmenerzählung wird die Ordnungsliebe als stützendes Element genutzt, trotz der Lebenskrise einen eigenen Schutzraum zu etablieren. Barbara setzt sich neben Jakob und weint; es wird ihr Abschied. In der eigenen Wohnung wird damit Jakob die letzte Hoffnung auf die Erfüllung seiner Liebe genommen; kurz darauf erfährt er von ihrer bevorstehenden Hochzeit. Diese Szene ist ebenso eine Vorwegnahme der Raumstruktur des Dachbodenzimmers der Rahmenerzählung: Auf der einen Seite ist die Sphäre der Ordnung und des gesicherten Rückzugs, auf der anderen die der Störung und des Lebenschaos.86 Am Ende der Rahmenerzählung kulminiert nochmals die Dramatik des Wohnens: Wird durch die Flut die Existenz der Wiener in der Leopoldstadt gefährdet, führt die Rettungstat des Spielmanns zu seinem Tod. Jakob rettet Leben und Habe der Gärtnerfamilie aus dem überfluteten Erdgeschoss, aber er erliegt kurze Zeit später seiner Erschöpfung. Die „psychologische[…] Neugierde“87 treibt den Erzähler an, einen Blick in die Wohnung von Barbara und der

84 Ebenda, S. 176. Vgl. auch Heine: Ästhetische oder existentielle Integration, S. 148; sowie Hein/Hein: Grillparzer: „Der arme Spielmann“, S. 141. 85 Grillparzer: Sämtliche Werke, Bd. 3, S. 180. 86 Vgl. auch Wittkowski, der die Beziehung aus einer horizontalen bzw. vertikalen Perspektive vermisst: Problematisch sei zum Beispiel, dass Jakob oben wohnt (im Elternhaus, aber auch später allein während der Abschiedsszene). Die Grenzüberschreitung der jeweiligen Wohnzone wird damit zu einer Störung der Ordnung. Vgl. Wittkowski: Grenze als Stufe, bes. S. 164–166. Ähnlich argumentieren Hein/Hein, die die Figuren Jakob und Barbara auch räumlich als „[k]omplementär“ verstehen, Hein/Hein: Grillparzer: Der arme Spielmann, S. 140. 87 Grillparzer: Sämtliche Werke, Bd. 3, S. 186.

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Fleischerfamilie zu werfen; sie hatte sich auch um die Beerdigung gekümmert. Nur als Scheingrund bringt der Erzähler die Geige ins Spiel, die er als Erinnerung kaufen wolle. Barbara lehnt ab; inzwischen ist die Geige als Symbol für Jakob in das Haus der Fleischerfamilie ‚eingezogen‘. In „einer Art Symmetrie“ hängt sie „neben dem Spiegel, einem Kruzifix gegenüber“.88 In Angst um ihren Besitz legt Barbara die Geige rasch in eine Schublade. Wie Jahre zuvor stellt sie ordnend – was sich auch anhand der Symmetrie offenbart – einen Schutzraum für Jakob her: Dieses Mal aber kann er nur als Toter in ihrer Nähe bleiben. Dass auch Ordnung und Raumstruktur im Werk von Adalbert Stifter eine zentrale Rolle spielen, wurde bereits mit Bezug auf das Kapitel Häuslichkeit im Nachsommer erwähnt und soll im Folgenden in der Erzählung Turmalin weiter verfolgt werden. Stifter selbst war auch an Fragen der Wohnraumgestaltung interessiert. Die Schriftstellerin Emilie von Binzer, die mit Stifter gut bekannt war, berichtet, dass Stifter „ein Stück poliertes Holz von einem neuen Möbelstück mitgebracht habe, an dem er während der Abendunterhaltung [in der Linzer Wohnung der Familie Binzer] ständig eifrig polierte und glättete“.89 Andere Zeitgenossen berichten von ähnlichen Aktivitäten Stifters;90 wie sorgfältig die Linzer Wohnung der Stifters eingerichtet war, verdeutlicht Anton Schlossar in einem Zeitungsartikel aus dem Jahr 1902: „Sein Prunkzimmer war eigentümlicher Art; dort standen schön gearbeitete Möbel und wertvolle Gemälde zierten die Wände – der Fuß trat auf einen schönen Teppich, die spiegelblanken Tische waren nach seiner eigenen Angabe ausgelegt, alles von moderner, edler Form. […, in einem anderen Zimmer:] Das zweite noch weit prachtvollere Möbel war ein Schreibtisch aus der Renaissancezeit in Sarkophagform, auf Delphinen ruhend, mit Karyatiden und Statuetten reich verziert; 48 oder mehr Schubfächer schloß ein einziges Schloß.“91

88 Ebenda. Vgl. ergänzend auch Hein/Hein: Grillparzer: Der arme Spielmann, S. 144. Baltensweiler kann zudem zeigen, dass der Schluss auch in Verbindung mit den politischen und sozialen Implikationen des Anfangs steht (vgl. den Tränenstrom Barbaras, ausgelöst durch den wiederbelebten Einrichtungsgegenstand der Geige). Vgl. Baltensweiler: Politisch-soziale Verweise des Rahmens, S. 306. 89 Emilie von Binzer zitiert nach Jungmair: Stifters Linzer Wohnung, S. 19f. 90 Vgl. Jungmair: Stifters Linzer Wohnung, S. 20. 91 Anton Schlossar: Adalbert Stifter. – In: Tagespost (Graz), 24.5.1902; zitiert nach Jungmair: Stifters Linzer Wohnung, S. 20f.

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Stifter, der in Linz Konservator im Denkmalwesen war, zeigte auch Interesse für Möbel, wie auch anhand seiner erzählerischen Integration von Möbeln aus seiner eigenen Wohnung deutlich wird. Als ein bekanntes Beispiel gilt hierfür der von Schlossar erwähnte Delphinschreibschrank, der im Nachsommer zum Teil des Rosenhofs wird.92 Die Raumdarstellung bei Stifter ist bereits früh untersucht worden. Arbeiten von Christine Wolbrandt, aber auch von Hans Schröder sind dabei von phänomenologischen Ansätzen wie die von Martin Heidegger, Otto Bollnow oder Gaston Bachelard beeinflusst.93 In Die Mappe meines Urgroßvaters wird nach Wolbrandt das Wohnen zum zentralen dichterischen Element: „Erst die Mappe ist eine Dichtung des Hauses als des Mittelpunktes der Heimat und Welt; ihr Thema ist das Wohnen als die einzig gültige Lebensform und Selbstverwirklichung des Menschen.“94 So wie der Protagonist, ein Arzt, zum wohl überlegenden Bauherrn wird, so gliedert sich das Haus in gute Proportionen; es entsteht „ein Ordnungsgefüge, das aus der großen Ordnung der Welt herausgenommen ist und diese nochmal abbildlich in sich darstellt“.95 Diese Ansätze sollen hier nicht weiter verfolgt werden. Andererseits öffnet die Untersuchung von Wolbrandt selbst eine verunordnende Raumperspektive, indem neben der Narrenburg die Erzählung Turmalin in den Gegensatz zu den geborgenen Räumen gerückt wird, etabliert doch der Text aus den Bunten Steinen „ein Bild ihres Verfalls“.96

92 Das Möbel wird vom Ich-Erzähler Heinrich Drendorf ausführlich beschrieben. Seine Ausführungen beginnen mit folgenden Worten: „Es war vor allem ein Schreibschrein, welcher meine Aufmerksamkeit erregte, weil er nicht nur das größte sondern wahrscheinlich auch das schönste Stück des Zimmers war. Vier Delphine, welche sich mit dem Untertheil ihrer Häupter auf die Erde stüzten, und die Leiber in gewundener Stellung emporstreckten, trugen den Körper des Schreines auf diesen gewundenen Leibern. Ich glaubte Anfangs, die Delphine seien aus Metall gearbeitet, mein Begleiter sagte mir aber, daß sie aus Lindenholz geschnitten, und nach mittelalterlicher Art zu dem gelblich grünlichen Metalle hergerichtet waren, dessen Verfertigung man jetzt nicht mehr zuwege bringt.“ Stifter: Werke und Briefe, Bd. 4.1, S. 88; vgl. Jungmair: Stifters Linzer Wohnung, S. 21f. 93 Vgl. Wolbrandt: Raum; und Schröder: Raum als Einbildungskraft. Siehe auch die textnahe Studie, die Haus und Wohnen als Symbol herausstellt, von Hertling: Wer jetzt kein Haus hat. Zu den neueren Arbeiten zählt Twellmann: Spätökonomik. 94 Wolbrandt: Raum, S. 67. 95 Ebenda, S. 68. 96 Ebenda, S. 88.

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Die Erzählung Turmalin gliedert sich in zwei Teile; zunächst wird von einem Rentherrn berichtet, wie er in Wien mit seiner Frau und einer Tochter lebt; der Hausfreund Dall beginnt eine Affäre mit der Ehefrau, die schließlich aber auf mysteriöse Weise verschwindet. Nach einer Weile zieht der Rentherr mit seiner Tochter aus seiner Wohnung aus und verschwindet ebenfalls, ohne dass jemand Näheres wüsste. Im zweiten Teil der Erzählung berichtet eine Frau über den Tod eines seltsamen Herren, des Rentherrn, der eine Tochter zurückgelassen hat, derer sie sich annimmt. Für den hier verfolgten Zusammenhang ist dabei besonders die Wohnraumdarstellung von Bedeutung, da sich verschiedene bereits bekannte Muster des erzählten Wohnens wieder finden und variiert werden. Im ersten Teil der Erzählung gibt es ausführliche Beschreibungen des Interieurs der Wohnung des Rentherrn, und zwar der Zimmer beider Eheleute. Die Möblierung der „Heldenstube“97 des Rentherrn wird detailliert veranschaulicht: „In dem Zimmer waren alle Wände ganz vollständig mit Blättern von Bildnissen berühmter Männer beklebt. Es war kein Stükchen auch nur handgroß, das von der ursprünglichen Wand zu sehen gewesen wäre. Damit er, oder gelegentlich auch ein Freund, wenn einer kam, diejenigen Männer, die ganz nahe oder hart an dem Fußboden sich befanden, betrachten konnte, hatte er ledergepolsterte Ruhebetten von verschiedener Höhe und mit Rollfüßen versehen machen lassen. Das niederste war eine Hand hoch. Man konnte sie zu was immer für Männern rollen, sich darauf nieder legen, und die Männer betrachten. Für die hoch und höher hängenden hatte er doppelgestellige Rollleitern, deren Räder mit grünem Tuche überzogen waren, welche Leitern man in jede Gegend rollen und von deren Stufen aus man verschiedene Standpunkte gewinnen konnte. Überhaupt hatten alle Dinge in der Stube Rollen, daß man sie leicht von einer Stelle zu der andern bewegen konnte, um im Anschauen der Bildniße nicht beirrt zu sein. In Hinsicht des Ruhmes der Männer war es dem Besitzer einerlei, welcher Lebensbeschäftigung sie angehört hatten, und durch welche ihnen der Ruhm zu Theil geworden war, er hatte sie wo möglich alle.“98

Zu dem mitbetrachtenden Hausfreund zählt gerade der Schauspieler Dall; dieser besucht den Rentherrn häufig: „Er […] stieg die vier Treppen empor, läutete an der Gloke des Eisengitters, ließ sich von der ältlichen Magd öffnen, und ging durch das Vorzimmer in die Heldenstube des Rentherrn. Da saß er, und plauderte mit dem Rentherrn über die vielen verschiedenen Dinge, die dieser trieb. Ja vielleicht kam er gerade deßhalb so gerne in die Gesellschaft

97 Stifter: Werke und Briefe, Bd. 2.2, S. 141. 98 Ebenda, S. 136.

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des Rentherrn, weil es da so Manigfaltiges gab. [….] In Bezug auf die an die Wände geklebten Bildniße berühmter Männer legte er sich auf das niederste Ruhebett, und musterte die untere Reihe durch. Der Rentherr mußte ihm bei jedem erzählen, was er von ihm wußte, und wenn beide nichts Ausreichendes von einem Manne sagen konnten, als daß er berühmt sei, so suchten sie Bücher hervor, und forschten so lange, bis sie Befriedigendes fanden.“99

Mit Blick auf die malerische und musikalische Tätigkeit sowie seine Orientierung an einer distanzlosen Kunstrezeption und die Sammelleidenschaft in der Wohnung, die auf das Berühmte und den Effekt zu zielen scheint, lässt sich der Rentherr mit Harald Schmidt in Anlehnung an die klassische Dilettantismuskritik zu Recht als „Universaldilettant“ bezeichnen.100 Im Folgenden sei er jedoch vor allem als ‚Wohndilettant‘ untersucht. Die Identifikation und die Suche nach den Lebensdetails der abgebildeten Berühmtheiten bindet im Akt des Wohnens die eigene Identität und entlarvt die Krise des Rentherrn. Flieht Anton Reiser in der Wohnung des Rektors nach der Weißung der Wand erst recht in die Imaginationswelt Theater und Literatur, so dass Antons Wohnung nur eine wenig heilsame Bindung seiner empfindsamen Psyche an seine Umwelt verspricht,101 so tendiert der Rentherr in das entgegengesetzte Extrem. Die Auffüllung seiner Wohnumwelt mit dem ‚Leben der Anderen‘ verdeutlicht seine Distanz zu sich selbst und eine eingeschränkte Kommunikation, die die eigene Person negiert. Die „Heldenstube“ ist als Wohnraum eine erneute Variante der Einsiedelei des psychisch Kranken – oder eben auch des Dilettanten. Der Erzähler berichtet mehrfach, welcher Weg zu gehen sei, wenn man die Wohnung betreten möchte: Man muss in den vierten Stock, dann durch einen Gang, in dem auch ein Gitter ist.102 Nach der Wohnungstür betritt man ein dunkles Vorzimmer, dahinter findet sich das beschriebene Zimmer. In Varianten wird von diesem Weg zunächst bei der ersten Raumbeschreibung erzählt, dann wird der Weg mit dem Gast Dall nachvollzogen; und schließlich am Ende des ersten

99

Ebenda, S. 141f.

100 Schmidt: Geschichte in Trümmern, S. 103 (mit Hinweisen zu Vorgängern zu dieser Forschungsperspektive; außerdem vgl. ebenda insgesamt die aufschlussreichen Ausführungen zum Dilettantismus-Komplex im 19. Jahrhundert). Vgl. auch Werlein, der die dilettantische Wahrnehmungsperspektive mit modernen Medientheorien verbindet; Werlein: Dilettanten im Bildraum. 101 Vgl. S. 83 dieser Arbeit. 102 Vgl. auch ergänzend Ritter: House and Individual, S. 126f.

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Teils der Erzählung werden im Kontext der „ämtlichen Öffnung“103 der Wohnung – der Rentherr hatte diese bei seinem Verschwinden einfach zurückgelassen – die Grenze des Gitters und der Räume erneut durchschritten.104 Diese wiederholte Betonung der Trennung von innen und außen lässt die Wohnwelt des Rentherrn als literarische Funktion erkennen, die auf die Schwierigkeit des Rentherrn hinweist, eine eigene Lebensposition zu finden; sein Lebensscheitern wird dabei durch seinen inadäquaten Lebens- und Wohnstil repräsentiert. Die Ehefrau des Rentherrn, die er an Dall verliert, nachdem er diesen in seine Welt eingelassen hat, steht für einen Gegenpol, den wiederum ihr Wohnen verdeutlicht. Vergleicht man die beiden verschiedenen Wohnstile, ist offensichtlich, dass ihre Liebesbeziehung eine tragische Trennlinie durchzieht. Zwar ist es so, dass die „wunderschöne Frau“ ebenso wenig Kontakt zur „Außenwelt“ pflegt,105 jedoch kommt sie aktiv ihren häuslichen Pflichten nach, im Gegensatz zum Rentherrn, über dessen Beschäftigung oder Vermögen wenig bekannt ist: „Die Frau waltete in ihren Zimmern, sie besorgte alles Nöthige, was das Kindlein brauchte, beschäftigte sich mit Arbeit mit Lesen mit Stiken mit Besorgung des Hauswesens und andern Dingen dieser Art.“106 Ihre Zimmer werden diesem häuslichen Ethos entsprechend im Einklang mit biedermeierlichen Elementen beschrieben: „dunkle Vorhänge“, „ein schöner großer Tisch […], der immer auf das Glänzendste vom Staube rein gehalten war“, „Spiegel“, „Pfeilertische“ mit „Silber“ und „Porzellan“, und auch eine besonders leise „Wanduhr“ ohne Schlagwerk finden Erwähnung.107 Im Schlafzimmer strahlt unter einer goldenen Engel-Figur ein „weißes Bettchen“108 für das gemeinsame Kind. Ein Bildnis der „heilige[n] Mutter mit dem Kinde“ rundet dieses Stillleben ab.109 Die Ehefrau wird damit für den Rentherrn zum wichtigen Verbindungsstück zur Lebenswirklichkeit. Auch räumlich wird dies manifest: Das Zimmer der Frau verfügt über einen „kleinen heimlichen Gang“, durch den sie, ohne ihren Mann stören zu müssen, da sie durch dessen Zimmer müsste, in den Vorraum gelangen kann.110 Durch das Verschwinden der Frau verliert der Rentherr mit ihr auch einen Weg nach außen und eine Verbindung in die Lebenswirklichkeit.

103 Stifter: Werke und Briefe, Bd. 2.2, S. 146. 104 Vgl. ebenda, S. 135, S. 141, S. 146. 105 Ebenda, Zitate: S. 137 und S. 139. 106 Ebenda, S. 139. 107 Ebenda, S. 137f. 108 Ebenda, S. 139. 109 Ebenda. 110 Ebenda, S. 137.

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Als die Wohnung der Eheleute später amtlich geöffnet wird, wird dies erneut narrativiert und so stellt Schmidt fest: „zwischen beiden Beschreibungen desselben Interieurs liegt eine Familientragödie“. Tatsächlich ist es plausibel, den Blick des Detektivs auf die mit Staub überzogenen Räume und Möbel zu richten, um, auch im Sinne Benjamins, Spuren – konkret wie kulturkritisch – zu lesen,111 auch wenn bis zuletzt nicht alle Geschehnisse aufgeklärt werden. Die geordnete Wohnperspektive der Frau wird zudem erneut der des Mannes mit den Porträts, aber auch mit seinen eigenen, angefangenen Bildern gegenübergestellt; nur seine Flöte fehlt in der „Dilettantenstube“.112 Mit dem Verlust seiner Frau verliert der Rentherr als ‚Wohndilettant‘ weiter an Stabilität; so ist es folgerichtig, wenn der erzählerischen Beschreibung der Wohnung ein breiter Raum geboten wird, nachdem die Wohnung bereits verlassen ist. Mit der Versteigerung des Mobiliars, aber auch mit der Entfernung der Heldenbilder, die ausdrücklich Erwähnung findet, wird die Wohnung „leer“.113 Die Leere der Wohnung drückt ihre Aufnahmefähigkeit aus, nachdem die Anfüllung durch den Dilettanten beseitigt wurde.114 Im zweiten Teil der Erzählung steigt der Rentherr als Wohnender weiter ab; auf einer ersten Ebene manifestiert sich dies anhand der Erzählkonstruktion. Der Erzähler thematisiert den Status des Erzählten zu Beginn des zweiten Teils: Es stamme von einer Freundin, die das Geschehen wiederum aus zweiter Hand erfahren haben will. Im Folgenden – so wird der zweite Teil eingeleitet – berichtet nun unmittelbar die erwähnte Freundin: „Wir lassen nun aus ihrem Munde das Weitere folgen.“115 Wird der erste Teil somit von einem außenstehenden Erzähler berichtet, ist es im zweiten Teil eine in die Handlung integrierte Erzählerin, da sie unmittelbar von ihrem Erlebten mit dem Rentherrn und seiner Tochter berichtet (und so eine Binnenerzählung entstehen lässt). Das Erzählte rückt damit näher an den Rentherrn und seine Geschichte heran, andererseits ist es

111 Schmidt: Geschichte in Trümmern, S. 128f. (Zitat: S. 128). 112 Ebenda (Zitat: S. 129). 113 Stifter: Werke und Briefe, Bd. 2.2, S. 148. 114 Jeziorkowski betont die narrative Funktion der Leere der (verschiedenen) Wohnungen in Turmalin: „die Erzählung wird leergeräumt, der Erzählraum wird radikal ausgefegt. […] Der erzählte Text ist nur Hülle, Schale, ein dünnes sprachliches Außengemäuer um ein leergeräumtes und verschwiegenes Innere […].“ Jeziorkowski rückt die Erzählung damit auch in die Nähe des Widerstands gegen die bald aufkeimende Psychoanalyse, die das Innere enträtseln wolle. Jeziorkowski: Die verschwiegene Mitte, S. 82 (Zitat) und S. 88f. 115 Stifter: Werke und Briefe, Bd. 2.2, S. 148.

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aber als ein ausdrücklich angekündigtes erzähltes Erzählen tiefer eingebettet. Symbolisch wird damit die Geschichte des Rentherrn als ‚eingeschlossen‘ etabliert, der der Rentherr nicht mehr entkommen kann. In der erzählten Welt findet dies in der neuen Wohnung, einer KellerWohnung im Perron’schen Haus der Vorstadt, seine Entsprechung. Die Freundin wohnt mit ihrem Gatten in der Nähe des Perron’schen Hauses, das von seinem seit langem im Ausland lebenden Besitzer sich selbst überlassen wird und kaum bewohnt ist. In den „unterirdischen Wohnungen“116 des Hauses lebt ein Mann mit seinem Kind, der als korrekt und anständig beschrieben wird, aber sehr verschlossen ist. Die Freundin erfährt nur durch Zufälle einige wenige Details aus der Welt des Perron’schen Hauses. Bis zu dem Todestag des Mannes, der sich als der vor Jahren verschwundene Rentherr erweisen wird. Die Freundin ist gerade zu Hause „damit beschäftigt, unsere schöneren Zimmer ein wenig zu ordnen“, als von draußen „ein Gesumme und Gebrause“ hinein dringt und die bürgerliche Wohnordnung ihres Haus stört.117 Die Todesnachricht – durch die Tochter des Rentherrn schüchtern der Obstverkäuferin an der Straße anvertraut – verbreitet sich rasch und auch die öffentlichen Behörden werden informiert. Die angesehene Erzählerin bietet ihre Hilfe an und sie geht mit verschiedenen Amtspersonen in die Wohnung: „Wir begaben uns durch den Gang, der hinter dem Pförtchen war, in den Hof, und von dem Hofe unter die Einfahrt, welche durch das Thor geschlossen war, und in der Seitenmauer der Einfahrt zeigte sich eine Thür. Die Thür wurde geöffnet. Hinter ihr ging eine Treppe in die Tiefe hinunter. Als dort gelegen wurde die Wohnung des Pförtners angegeben. Da wir die Treppe hinunter gestiegen waren, und die Wohnung betreten hatten, sahen wir, daß dieselbe nur aus einem einzigen Zimmer bestehe. Neben einer Leiter, die gegen das Fenster empor lehnte, lag der alte todte Mann. Er hatte ein gelbes Molldonröklein und blaßblaue Beinkleider an. […] Man hatte Anfangs die Absicht gehabt, Versuche zu machen, ihn ins Leben zurük zu rufen, aber beim Anfassen hatte man schon empfunden, daß er kalt sei, und bei näherer Beschauung zeigte sich auch, daß er unzweifelhaft todt sei.“118

Der Abstieg der Erzählerin aus einer geordneten Welt endet in einer Kellerwohnung, in der der Tod präsent ist. Diese Episode repräsentiert damit das endgültige Ende des Rentherrn als Wohndilettant. Der Rentherr hatte sich im Per-

116 Ebenda, S. 154. 117 Ebenda, S. 161. 118 Ebenda, S. 163.

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ron’schen Haus als Pförtner verstanden, der jedoch der „stillste Pförtner der Welt“119 gewesen sein muss, wie es Professor Andorf, der auch im Haus wohnt, formuliert. Kontrolliert traditionell ein Pförtner den Zugang zum Haus, ermöglicht der Tod des Rentherrn nun den Zugang der Öffentlichkeit. Nicht nur das Flötenspiel des Rentherrn, das an den dilettantischen Spielmann aus Grillparzers Erzählung erinnert, sondern auch seine Kleidung zum Todeszeitpunkt lässt an einen der wichtigen literarischen Prototypen des Dilettanten denken, nämlich Goethes Werther-Figur.120 Der geordnete Selbstmord Werthers steht nun aber einem offensichtlichen Sturz von der Leiter entgegen, die den Rentherrn zwar in die Reihe der melancholischen Dilettanten rückt,121 dennoch aber – bezogen auf das Wohnen – eine eigene narrative Qualität erhält. Das Fenster, an das die Leiter gelehnt ist, bedeutet eine Schnittstelle zur Öffentlichkeit, die dem weltabgewandten Wohnen des Rentherrn entgegensteht. Der Tod des Rentherrn ermöglicht in der Folge der Tochter ein neues Wohnen und einen Neubeginn. Im Scheitern des Rentherrn erfüllt sich damit ein Aufbruch, der anders für die Tochter nicht möglich geworden wäre. Auch wenn Vater und Tochter zuvor das Haus regelmäßig verlassen haben, hat aber das Fenster einen höchst selektiven Blick auf die erzählte Welt ermöglicht. Die Tochter berichtet später der Erzählerin: „[…] ich [stieg] auf die Leiter, und schaute durch die Drahtlöcher des Fensters hinaus. Da sah ich die Säume von Frauenkleidern vorbei gehen, sah die Stiefel von Männern, sah schöne Spizen von Röken oder die vier Füsse eines Hundes. Was an den jenseitigen Häusern vorging, war nicht deutlich.“122

Die Welt wird hier nicht nur als Fragment wahrgenommen, die eigene Wohnung, nämlich der Blick aus dem Fenster verhindert eine Kommunikation mit den Menschen der Nachbarhäuser; dies offenbart erneut die Position als kommunikationsgestört.123 Die Wohnung im Keller ist für den Bewohner zwar als ‚total‘ zu bezeichnen, aber damit in ihrer Abgrenzung nach innen pervertiert. Welche Wirkung dies auf die Außenwelt hat, zeigt eine Episode (noch vor dem Tod des

119 Ebenda, S. 159. 120 Vgl. ausführlich über den Zusammenhang von Grillparzers und Stifters Erzählungen (und zum Werther) Schmidt: Geschichte in Trümmern, S. 107–115. 121 Vgl. ebenda, S. 115. 122 Stifter: Werke und Briefe, Bd. 2.2, S. 174. 123 Vgl. Angress: Der eingerichtete Mensch, S. 37; sowie Irmscher: Adalbert Stifter, S. 243.

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Vaters): Die Tochter spielt durch das Fenster hindurch mit einem Vogel, als der Sohn der Erzählerin am Haus vorbeikommt und dieser den Vogel fängt. „Da sah bei den Erdfenstern des Perronschen Hauses ein fürchterlich großes Angesicht heraus, und schrie: ‚Laß, laß.‘ [‚]Ich blikte nach dem Kopfe hin, er hatte starre Augen, war sehr blaß, und war erschrekend groß. Ich ließ den Raben aus, richtete mich empor, und lief nach Hause. Mutter, ich habe ihm wirklich nichts gethan, ich habe ihn bloß streicheln wollen.‘“124

Der Blick der Tochter aus der Kellerwohnung heraus erfüllt den Jungen mit Furcht, da er umgekehrt ebenso lediglich eine selektive Perspektive auf das Mädchen und ihre Lebenswelt wahrnehmen kann. Das Kellerfenster, das knapp über den Erdboden hinausragt, entzieht einem adäquaten Wohnen seine Substanz, die dem Jungen zu Hause gegeben ist. Die Differenzierung der Raumfunktionen im Haus der Eltern ermöglicht nicht nur eine Kommunikation mit der Außenwelt und mit der Mutter über das Erlebte, sondern sie ermöglicht auch eine produktive Neuorientierung und Ablenkung im Kinderzimmer, die dem Mädchen mit der liebevollen, aber reduzierten Erziehung durch ihren Vater nicht gegeben ist. Diese räumliche Erholungsfunktion wird erzählerisch implizit thematisiert: „‚Ich weiß, Alfred, ich weiß,‘ sagte ich, ‚lege deinen Schulsak ab, gehe in die Kinderstube, da wirst du dein Nachmittagbrot bekommen, und schlage dir den Raben aus dem Sinn, es liegt nichts an ihm.‘ Der Knabe küßte mir die Hand, und ging leichten Gemüthes in die Kinderstube.“125

Der Junge ist – wie in obigem Zitat abzulesen – außerdem über den großen Kopf des Mädchens erschrocken. Diese symbolhafte wie krankhafte Entstellung ist in der Erzählung auffällig.126 Sie kann für den Wohndilettanten stehen, der – wenn man an die Bilder in der vorhergehenden Wohnung denkt – alles in sich aufsaugt. Mit dem Tod des Rentherrn beginnt aber eine Normalisierung des Wohnens und des Kopfes der Tochter. Die Erzählerin nimmt das Mädchen in ihr Haus auf und integriert es in die dortige Wohnwelt. Allerdings ist es schwierig, „das Mädchen von dem unterirdi-

124 Stifter: Werke und Briefe, Bd. 2.2, S. 159f. 125 Ebenda, S. 160. 126 Vgl. z.B. Hertling: Wer jetzt kein Haus hat, S. 26.

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schen Gewölbe zu entwöhnen“.127 Indem die Erzählerin dies feststellt, formuliert sie indirekt bereits den bekannten Grundzusammenhang, den Flusser und Sloterdijk später über die Aufnahme von neuen Informationen vor dem Hintergrund des Wohnens aufstellen.128 Durch die neue Wohnumgebung in dem bürgerlichen Haushalt der Erzählerin ist das Mädchen in einer Stresssituation; durch mehrere Besuche der alten Kellerwohnung kann diese Situation abgeschwächt und reduziert werden. Dieser Übergangsstatus findet schließlich sein Ende, als sie aus einer Kur heimkehrt und sich ihre Kopfform deutlich normalisiert hat; auch der Arzt vermutete als Ursache ihrer Erkrankung den „Wahnsinn des Vaters“ sowie ihr vormaliges Leben in den „dumpfen Aufenthaltsorten“.129 Zuletzt kann die Pflegetochter in einem frommen Haushalt eingemietet werden, wo sie auch, indem sie Teppiche und anderes in Handarbeit herstellt, ein bescheidenes bürgerliches und gesellschaftlich anerkanntes (Wohn-)Leben führen wird. Stifters Erzählung endet mit dem Hinweis, dass das Perron’sche Haus nicht mehr steht, sondern eine neue „glänzende Häuserreihe“, das „junge Geschlecht weiß nicht, was dort gestanden war, und was sich dort zugetragen hatte“.130 Das Erzählen verhält sich kritisch dem Verlust der „Individualgeschichte“131 gegenüber. Durch die Überbauung des vergangenen Wohnens und Lebens werden Spurensuchen, wie sie anhand der Erzählerin im zweiten Teil, aber auch zu Beginn von Turmalin vorgeführt werden, zwecklos. Wenn am Ende der bis zuletzt rätselhaften Erzählung jedoch darauf hingewiesen wird und auf die Zeitebene des Erzählrahmens gehoben wird, wird auch dem zeitgenössischen Wohnen eine leise, melancholische Vergänglichkeit eingeschrieben. Die Welt Stifters untersteht seinem „sanften Gesez“132, in der Gerechtigkeit, Sitte, Liebe und Achtung untereinander harmonieren und sich auszugleichen streben, so dass auch jeder Einzelne eine Bedeutung für das Ganze und einen selbständigen Wert erhält,133 und: „Dieses Gesez liegt überall, wo Menschen neben Menschen wohnen, und es zeigt sich, wenn Menschen gegen Menschen wirken.“134 Es nimmt daher nicht wunder, wenn die Wohnung und die Wohnar-

127 Stifter: Werke und Briefe, Bd. 2.2, S. 172. Vgl. auch Gradmann: Topographie/ Text, S. 49–54, hier S. 51f. 128 Vgl. S. 12–14 dieser Arbeit. 129 Stifter: Werke und Briefe, Bd. 2.2, S. 178. 130 Ebenda, S. 179. 131 Schmidt: Geschichte in Trümmern, S. 122. 132 Stifter: Werke und Briefe, Bd. 2.2, S. 12. 133 Vgl. Bachmaier: Nachwort [Bunte Steine], S. 368f. 134 Stifter: Werke und Briefe, Bd. 2.2, S. 13.

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chitektur als sichtbares Bindeglied zwischen den Menschen einen erhaltenswerten Stellenwert bei Stifter erhalten und auf der literarischen Ebene innerhalb seiner „Deskriptionsprosa“135 von tragender Bedeutung ist. Wenn nun am Ende von Turmalin gegen das Vergessen der Wohngeschichten angeschrieben wird, geht die Intention über den Erhalt einer biedermeierlichen Ordnung hinaus. Es wird damit bereits die Krise der bürgerlichen Kultur am Ende des 19. Jahrhunderts präfiguriert, von denen insbesondere die spätrealistische Literatur bis hinein in ihre Wohnraumdarstellung geprägt sein werden.

3.3 M EDIEN

DER S PRACHE DES W OHNENS (Gartenlaube, Wohnanleitungen: Jakob von Falke, Georg Hirth)

Das bürgerliche Zeitalter erfährt zu Beginn des 20. Jahrhunderts seinen Niedergang. Rückblickend wird es von Walter Benjamin als „wie kein anderes wohnsüchtig“ bezeichnet: „Die Urform allen Wohnens ist das Dasein nicht im Haus sondern im Gehäuse. Dieses trägt den Abdruck seines Bewohners. Wohnung wird im extremsten Falle zum Gehäuse. […] Für was nicht alles das neunzehnte Jahrhundert Gehäuse erfunden hat: für Taschenuhren, Pantoffeln, Eierbecher, Thermometer, Spielkarten – und in Ermanglung von Gehäusen Schoner, Läufer, Decken und Überzüge.“136

Benjamin ruft damit jenes Wohninventar auf, das den Lesern der ‚realistischen‘ Autoren des 19. Jahrhunderts wohl bekannt ist. In neuer medialer Konkurrenz zur Fotographie betonen jedoch die Schriftsteller die Tiefenstrukturen des scheinbar Äußerlichen, sei es in ‚programmatischer‘, sei es in ‚poetischer‘ Absicht. Fontane, der in seinen späteren Romanen das Netz von Symbolen und Anspielungen selbst in Perfektion auswirft, greift die Bedeutung des scheinbar Nebensächlichen in seiner Rezension zu Freytags Soll und Haben ironisch auf: „Da wird im ersten Bande kein Nagel eingeschlagen, an dem im dritten Bande nicht irgend etwas, sei es ein Rock oder ein Mensch aufgehängt würde, und der blaue Ölfarbentopf, mit dem Karl Sturm die Leiterwagen anstreicht, hat seine

135 Bachmaier: Nachwort [Bunte Steine], S. 363. 136 Benjamin: Gesammelte Schriften, Bd. V.1, S. 291f.

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spätere Bedeutung.“137 Dient der Wohnkomplex bis in seine Details hinein damit den ästhetischen Mitteln des Erzählens, so stellt dies zugleich die Fortschreibung einer Sprache des Wohnens in der Literatur dar. Innenräume und die Kultur des Wohnens werden zentraler für die erzählte Welt, da die bürgerliche Gesellschaft entgegen den liberalen Erwartungen und Hoffnungen an die Märzrevolution mit einer Wirklichkeit konfrontiert wird, die eine aktive politische Partizipation stark einschränkt. Wirtschaftliche Veränderungen wie die der Industrialisierung führen zudem zur Einschließung des Privaten in die eigenen Wohnräume.138 Wohnen wird dabei nicht nur in der Literatur zum Thema, sondern findet in Zeitschriften, in (wie schon bei Riehl gesehen) kulturgeschichtlichen Analysen und Bauschriften sein Forum. Zu diesem Komplex gehören auch die Schriften von Jakob von Falke, der als Theoretiker des Kunstgewerbes die kulturgeschichtliche Situation gerade im Bereich der Alltagskultur seiner Zeit vermaß. Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts hinein, als die erste Weltausstellung 1851 in London stattfindet, habe sich die negative Entwicklung des Geschmacks verborgen. Erst dann sei „das Elend in seiner vollen Größe vor eines Jeden Augen“ erkennbar gewesen: Bei den neuen industriell hergestellten Produkten fehle es an „Einheit und Originalität“, herrsche eine „charakterlose Mannigfaltigkeit der Imitationen“ vor, eine negative Stilmischung sei feststellbar und es sei „das Kunstgefühl überhaupt zu Grunde gegangen“.139 Die Fehlentwicklung in der Geschmacksbildung sieht er dabei in einer Wechselhaftigkeit, die lediglich den Moden folgt. Man habe nicht mehr daran gedacht, „etwas Schönes herzustellen, sondern nur etwas Neues zu schaffen. Damit hört eigentlich der Geschmack auf Geschmack zu sein; es kommt nicht mehr auf die künstlerische Form an, sondern auf einen neuen s. g. Gedanken. Der Geschmack wurde zur reinen Mode, die mit der Saison wechselte.“140 Inwieweit das Wohnen thematisiert und in Frage gestellt wird, lässt sich anhand von von Falkes Ausführungen zur Mittelalter-Euphorie der Romantiker, sowohl die der Literatur als auch der Malerei, zeigen. Ein idealisiertes und sentimentales Bild des Mittelalters sei so auch in den allgemeinen Geschmacksbildungsprozess eingegangen:

137 Fontane: Werke, Schriften und Briefe. Abt. III, Bd. 1, S. 298. Vgl. auch Aust: Fontanes Poetik, S. 443. 138 Vgl. Selle: Die eigenen vier Wände, S. 74. 139 Falke: Geschichte des modernen Geschmacks, S. 353. 140 Ebenda, S. 352.

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„[…] überall begegnete man dieser Welt. Die Wände waren behängt mit ihr […]; legte man seinen Kopf zum Mittagsschlummer auf ein Kissen, gewiß befand sich ein verliebtes Ritterpärlein von Berliner Wolle oder eine betende Nonne darauf; setzte man seinen Fuß auf einen Teppich, so hatte man unter sich edle Jägerinnen zu Pferde, den Falken auf der Hand; auf Cigarrentaschen und Taschentüchern trug man sie im Rock mit herum, auf Reisesäcken führte sie der Probereiter wie der Tourist durch die Welt.“141

Hierin identifiziert von Falke einen Geschmacksdilettantismus, der sich nicht an ästhetischen Kategorien orientiert, sondern an inhaltlichen Kriterien: „Volksthümlich war dieser Geschmack sicherlich, aber er bezog sich nur auf den Gegenstand ohne eine neue Kunstform zu bringen.“142 Entsprechend skeptisch bleibt von Falke noch 1895 in einer Abhandlung über die Geschichte des Sitzmöbels trotz Verbesserung durch Reformen innerhalb der „Kunstindustrie“: „Aber ein bestimmter Stil, der unser eigen wäre, hat sich noch nicht herausgebildet. Das modernste Sitzmöbel hat viel Gutes in seinen Leistungen aufzuweisen, aber es schwankt zwischen den Formen des sechzehnten oder siebzehnten und denen des achtzehnten Jahrhunderts, ohne die guten Eigenschaften beider, einerseits vernünftige Konstruktion, andrerseits Bequemlichkeit und Leichtigkeit mit einander verbinden zu können.“143

Als praktische Anleitung will von Falke seine Schrift Die Kunst im Hause verstanden wissen, um der „Gleichgültigkeit gegen die Schönheit der Wohnung“144 entgegenzutreten und Hilfestellung für die Ausstattung des „Mikrokosmus unsrer Wohnung“ zu geben: „Sollten wir es nicht der Mühe werth erachten ihn gerade so zu schmücken und so einzurichten und auszustatten, dass er ganz und gar mit unseren eigenen Gefühlen und Bedürfnissen harmonirt, dass er, gleichsam ein weiteres Kleid, mit seinem ästhetischen Charakter so genau zu unserem eigenen Geiste und Wesen passt wie das Kleid zu unserem Körper.“145

141 Ebenda, S. 347. 142 Ebenda. 143 Falke: Aus alter und neuer Zeit, S. 155. 144 Falke: Die Kunst im Hause, S. 3. 145 Falke: ebenda, S. 4. Der Geschmacksbegriff bei von Falke ist zeittypisch mit Bildung verknüpft; erst sie lässt eine Diskussion über Geschmack zu. Vgl. auch mit Bezug zu Adolf Loos: Ottillinger: Adolf Loos, S. 12. Vgl. S. 221–224 dieser Arbeit.

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Auch Georg Hirth analysierte nicht nur die Geschichte des Kunstgewerbes in seiner mehrfach aufgelegten Schrift Das deutsche Zimmer, er will außerdem zumindest „‚Anregungen‘“ für die „Dekorationskunst“ geben.146 Gleichwohl mahnt er an, nicht unüberlegt die eigene Wohnung einzurichten; der richtige Weg sei die „allmälige Anschaffung“:147 Das sollten doch namentlich verlobte und jung verheirathete Leutchen bedenken, die nicht schnell genug einen ‚Salon‘ und ein ‚Speisezimmer‘, vom Boudoir der Gnädigsten und dem Wohnzimmer abgesehen, einrichten können, um schon nach Jahr und Tag einzusehen, daß solche Uebereilung weder mit Rücksicht auf die lieben Freunde und Verwandten, noch auf die Vermehrung des eigenen Familienstandes ein Gebot war.148

Hirth versucht mittels seines historischen Gangs durch die wechselnden Epochen der Ausgestaltung des Zimmers, „die künstlerische Gestaltung eines Wohnraumes gewissermaßen als ein[en] kulturgeschichtliche[n] Mikrokosmos“149 den Lesern näher zu bringen, und kritisiert dabei den zeitgenössischen „Geschmackmischmasch“.150 Hintergrund seiner erzieherischen Absichten ist die konservative Funktionsbestimmung des Hauses: „Im Hause ruhen wir aus von des Tages Lasten, hier leben wir mit den Liebsten, die wir auf der Welt haben, hier legen wir alle guten Keime in die Herzen unsere Kinder.“151 Bezogen auf die praktische Umsetzung bleibt Hirth aber nicht ohne konkrete Ratschläge; so ist es ihm ein Anliegen, insbesondere das Bett bzw. das Schlafzimmer sorgfältig und funktionsgemäß einzurichten. Selbst mit wenig finanziellem Aufwand ließe sich schließlich dieses zweckmäßig gestalten und er bemängelt eine „unbegreifliche Knauserei“; so zeige sich „das kleinliche, unkünstlerische Spießbürgerthum unserer klugen Zeit, welches den hohlen Schein der ‚guten Stube‘ einer soliden bürgerlichen Behäbigkeit vorzieht“.152 Hirth spart somit nicht mit Kritik an dem Konzept der ‚guten Stube‘, die oftmals in finanzschwa-

146 Hirth: Das deutsche Zimmer, S. 440. 147 Ebenda, S. 442. 148 Ebenda, S. 441f. Auch Bollnow empfiehlt jungen Paaren eine „schrittweise Anschaffung“ von Einrichtungsgegenständen; dies sei Voraussetzung für einen Raum, der „wohnlich“ ist. Nur so kann eine Wohnung „Ausdruck der Lebensgeschichte“ werden. Bollnow: Mensch und Raum, S. 152. 149 Hirth: Das deutsche Zimmer, S. 8f. 150 Ebenda, S. 13. 151 Ebenda, S. 2. 152 Ebenda, S. 432.

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chen Bürgerhaushalten und besonders in den besser gestellten Arbeiterwohnungen zu einem teuren, unbelebten Repräsentationsraum wurde.153 In den höheren Haushalten ist die ‚gute Stube‘ schließlich als Gesellschaftsraum etabliert, über dessen Ausgestaltung es ebenfalls Ratgeber gibt. Wichtig für diese Räume ist dabei, dass sie keinem bestimmten Zweck dienen dürfen: „Zum Ameublement eines Salons verwendet man je nach Grösse desselben ein oder zwei Sopha’s […], mehrere Fauteuils, sechs oder eine noch grössere Anzahl von Stühlen, ein oder mehrere grosse Spiegel mit Bronce- oder Schnitzwerkrahmen vom Holz der übrigen Möbel auf Marmorkonsolen. Ein Spieltisch und mehrere kleine Tische, sogenannte entredeux; die übrigen Möbel dürfen keinem eigentlichen Bedürfnis entsprechen, sondern mehr dem Luxus dienen.“154

Möbel zur Lagerung wie Kommoden gehören zudem nicht in das Gesellschaftszimmer, wie Friederike Lesser in dem Anstandsbuch Salondame feststellt. Hirth wirbt zeitgemäß auch für die Herstellung der Bedingungen für einen gesunden Schlaf, wozu gerade eine ausreichende Luftzirkulation gehört. Nach „englischem Vorbilde“ sollte das Bett daher möglichst frei im Raum stehen, auch wenn die Ansprüche verschieden sind: „Ein Stubengelehrter oder ein in staubiger Werkstatt schaffender Handwerker kann gute Nachtluft weniger entrathen, als ein Forst- oder Landmann […].“155 In dem populären Buch über die Kunst vom schönen (viktorianischen) Heim, The House Beautiful (1877) von Clarence Cook, heißt es zum ‚bedroom‘ vielsagend: „The German horror of fresh air inside the house at any time, whether by night or day, is well known, and has been harped on by travellers – English and American – for many a long year […].“156 Cooks Buch kann verdeutlichen, dass die Kommunikation über das richtige Wohnen natürlich nicht allein ein deutsches Phänomen ist, sondern gerade auch französischen wie englischen Einflüssen unterliegt. Als ein weiterer Klassiker aus England gilt Hints on Household Taste von Charles L. Eastlake,

153 Vgl. Saldern: Im Hause, zu Hause, S. 211–214; Petsch: Eigenheim und gute Stube, S. 31. 154 Friederike Lesser: Die Salondame. Ein praktisches Bildungsbuch für junge Damen, bei ihrem Eintritt in die Welt, zur Aneignung eines feinen gesellschaftlichen Benehmens, nebst einem gewählten für die Special-Verhältnisse des weiblichen Lebens verfaßten Briefsteller. Erfurt 1867, S. 87, zit. nach Linke: Sprachkultur, S. 175. Vgl. außerdem ebenda, S. 175f. Vgl. auch Siebel: Der großbürgerliche Salon. 155 Hirth: Das deutsche Zimmer, S. 436. 156 Cook: The House Beautiful, S. 267.

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dessen erste Auflage auf das Jahr 1868 zurückgeht. Systematisch, Raumtyp für Raumtyp werden auch in diesem Werk Ausstattung bzw. Design diskutiert erläutert.157 Die Frage nach dem angemessenen Wohnen ist ab der Mitte des 19. Jahrhunderts im Bürgertum in Europa weit verbreitet. Auch Zeitschriften sorgen für eine Popularisierung des Sprechens über das Wohnen. Besonders ist Die Gartenlaube hervorzuheben, deren bedeutender Einfluss an ihrer langen Erscheinungsdauer zwischen 1853 und 1944 und Auflagen von weit mehr als 300.000 Exemplaren ablesbar ist. Politische und moralisch-erzieherische Themen werden in ihr mit unterschiedlicher Intensität verhandelt, Romane finden ihren Vorabdruck, Naturkunde erhält ihren Platz, es wird aber gerade auch das ganze Spektrum der Alltagskultur abgebildet, wozu auch das Wohnen gehört.158 Friedrich Sieburg hat auf die Darstellung einer tatsächlichen Gartenlaube auf dem Titel hingewiesen, die eine „sündenlose[n] Welt“ repräsentiert, wenn die Familie gemeinsam am Tisch unter der Laube sitzt.159 In späteren Jahrzehnten, darauf verweist ebenfalls Sieburg, ist die Abbildung der Familie im Garten verändert und sie zeigt ein dynamischeres, offeneres Bild einer Familie. Der Garant für die Sicherheit des Einzelnen ist nicht mehr allein die Familie. Trotz neuer Modernität bleibt das Titelmotiv an die Familie gebunden: „Die Gruppe selbst ist vom Hause, dessen Giebel man auch diesmal sieht, noch nicht ganz gelöst, aber ihr Mittelpunkt ist unbestimmter.“160 In der Gartenlaube gibt es Artikel, die sich unmittelbar mit dem Wohnen und Fragen der Einrichtung beschäftigen und solche, die sich indirekt dem Häuslichen widmen, aber auch so das Wohnen zum Alltagsthema werden lassen. Zunächst seien einige Beispiele aus der letzten Gruppe erwähnt. Der bekannte Zoologe Alfred Brehm wirbt 1859 in seinem Artikel Aus dem Leben der Hauskatze für die Katze als Hausgenossin, entgegen anderer Meinungen stellt er ihre „Reinlichkeit und Ordnungsliebe“, „Anmuth und Zierlichkeit“, aber auch „ihr gemüthliches Schnurren“ heraus;161 er resümiert schließlich, dass „auch die

157 Vgl. die Gliederung bei Eastlake: Hints on Household Taste, S. XXV. 158 Vgl. allgemein zur Gartenlaube z.B. Hamouda: Ernst Keil und die „Gartenlaube“. Dass es wichtige mediale Interaktionen von Literatur und Zeitschriften wie Die Gartenlaube gibt, hat jüngst Manuela Günter herausgearbeitet, vgl. Günter: Im Vorhof der Kunst, S. 205–286. Vgl. ergänzend Helmstetter: Die Geburt des Realismus. 159 Sieburg: Einleitung, S. 1. 160 Ebenda. 161 Brehm: Aus dem Leben der Hauskatze. – In: Die Gartenlaube (1859), S. 513–515, hier S. 513.

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Katze der Erziehung durch den Menschen fähig und für sie sehr dankbar ist“.162 Der Wohnraum wird aber nicht nur bezüglich von Haustieren vermessen, die Gartenlaube ‚erforscht‘ auch den Wohnraum als Ort, an dem sich naturwissenschaftliche Phänomene beschreiben lassen. Der Arzt und Schriftsteller Berthold Sigismund entdeckt den Alltagsraum als Schule des naturwissenschaftlichen Lernens: „Was ich hier mittheile, sind Stoffe für die Naturforschung im Familienkreise und wirken zur Ausbeutung derselben.“163 Er beschreibt explizit Phänomene, an denen insbesondere Erwachsene im Alltag achtlos vorbeigehen. Sigismund stellt damit einen spezifischen Bereich des Wohnens heraus, der bisher weniger Beachtung fand, allerdings nun durch die erstarkenden Naturwissenschaften in Verbindung mit einer pädagogischen Intention in den Fokus rückt. Sigismunds Hauptthemen in seinen Abhandlungen in der Gartenlaube von 1857 sind die Eigenschaften und Funktionen von Glas bzw. des Fensters: „Um den Werth des Glases für die Wohnlichkeit unserer Zimmer recht zu erkennen, versuche man nur, Ersatzmittel für dasselbe ausfindig zu machen; dann werden die herrlichen Eigenschaften dieses köstlichen Stoffes recht in die Augen springen.“164 Im Folgenden erläutert Sigismund zum Beispiel den Grund des ‚Schwitzens‘ von Fensterscheiben oder es wird die Frage nach der Farbigkeit von Fensterscheiben diskutiert: In Kirchenfenstern sei es zwar durchaus „zauberhaft“, „so würde doch buntes Glas zu Fenstern in Wohnzimmern wenig geeignet sein“. Schaue man nämlich durch ein gefärbtes Glas hinaus, würde dem Betrachter rasch „unheimlich zu Muthe“; das farblose Glas jedoch ermögliche jedem von seiner „Alltagsstube“ eine Perspektive auf „die Außenwelt in ihrem wahren, ungefälschten Aussehen“.165 Ebenso indirekt offenbart die Gartenlaube, inwieweit Elemente des Wohnens auch Teil der Alltagssprache geworden sind, wenn es bei der Ausgestaltung von humorvollen Anekdoten eine wesentliche Rolle spielt. Der Schauspieldirektor Franz Wallner berichtet 1865 von dem Schauspieler Börner, der durch seine Rolle des Maurers Kluck in der Posse Fest der Handwerker von Louis Angély Bekanntheit erlangt hatte.166 Wallner zählt Börner zu den „größten Originale[n]

162 Ebenda, S. 515. 163 Sigismund: Naturbetrachtungen im Zimmer. – In: Die Gartenlaube (1857), S. 23–26, weitere Teile: S. 95–97 und S. 178–181, hier S. 23. 164 Ebenda, S. 24. 165 Ebenda, S. 25. 166 Franz Wallner (1810–1876) stammt aus Wien und ist seit 1855 Theaterdirektor in Berlin (zunächst am Königsstädtischen Theater). Vgl. Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 10, S. 314; über Börner berichtet ausführlich Seyfried in dem Kapi-

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der an originellen Menschen so reichen Theaterwelt“167 und erzählt unter anderem folgende (damals offenbar in Theaterkreisen bekannte) Episode von Börner: „Einst hielt er sein Nachtlager bei Anton Ascher, auf einem etwas baufälligen Sopha, dessen Federn immer unter dem darauf Liegenden auf die Seite rutschten. Nachdem er sich stundenlang herumgewälzt, rief ihm Ascher zu, er möchte doch Ruhe halten, damit er schlafen könne. ‚Entschuldige, lieber Bruder, ich möchte gern neben mir selber liegen,‘ entgegnete Meister Kluck.“168

Mit großem Ernst wird in der Gartenlaube aber unmittelbar über das Wohnen berichtet. Als Beispiel kann dafür der zweiteilige Artikel „Der Stil der Wohnung“ des Kunstwissenschaftlers Ferdinand Avenarius aus dem Jahr 1885 gelten. Er beklagt die „Halbbildung“, die im Kunstgewerbe besteht. Man suche zwar in Ausstellungen nach den so genannten „‚echten Mustern‘“169, doch fehle es an Kenntnissen. So mahnt er eine konzentrierte Rezeption der Kunstgewerbeliteratur an; als positive Beispiele, die tatsächlich Orientierung geben können, nennt er unter anderem Jakob von Falkes Kunst im Hause oder Gottfried Semper.170 Entscheidend für Avenarius ist die Frage nach dem Stil: Eine Wohnung müsse vor allem dem „Zwecke“ gemäß sein, dabei soll die Wohnung „auch den geistigen Verhältnissen genügen, unter denen wir leben, unsern Sitten und Anschauungen – auch das gehört zur Zweckmäßigkeit!“.171 Wichtig für den Stil sei der Zusammenhang von Form und Material. Ein Schrank zum Beispiel soll „sich

tel „Ein Komiker mit einer einzigen Rolle“, vgl. Seyfried: Rückschau in das Theaterleben Wiens, S. 183–186. Zur Posse Fest der Handwerker vgl. Klotz: Bürgerliches Lachtheater, S. 115–117. 167 Wallner: Bilderschau in meinem Zimmer. II. – In: Die Gartenlaube (1865), S. 685f., hier S. 685 168 Ebenda. Anton Ascher (1820–1884) war Schauspielschüler bei Ludwig Tieck, es folgten zahlreiche Engagements, später war er Direktor am Carltheater in Wien. Vgl. Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 1, S. 203. 169 Avenarius: Der Stil in der Wohnung. – In: Die Gartenlaube (1885), S. 278f. und S. 294f., hier S. 295. 170 Ebenda S. 295. Vgl. zu Semper, der z.B. auch als Inneneinrichter bei der Weltausstellung 1851 in London beschäftigt war, und die Moden ausführlich Arburg: Alles Fassade, S. 264–344, hier S. 312. 171 Avenarius: Der Stil in der Wohnung. – In: Die Gartenlaube (1885), S. 278f. und S. 294f., hier S. 278.

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kraftvoll verschließen“ lassen, „als wollt’ er sagen: vertrau’ mir Dein Gut, ich berg’ es sicher“.172 „Stillos“ aber sind Gegenstände, die nur dem Anschein nach das sind, was sie vorgeben zu sein: zum Beispiel „ein Gefäß, das aus Thon besteht und doch in seiner Form den Charakter des Glases zeigt“.173 Besonders kritisch ist Avenarius „,naturalistischen‘“ Formen gegenüber eingestellt. Wenn etwa eine Porzellanschale, die die Form eines Blattes bis ins Detail nachbildet, aber von der Funktion eigentlich eine Schale sein soll, entspreche dies nicht dem „Wesen des Gegenstandes“.174 Auf diese Weise propagiert Avenarius einen Stilbegriff, der den verschiedenen Zeitstilen vorgängig ist. Besonders kritisch ist er mit der zeitgenössischen Orientierung am so genannten ‚Altdeutschen‘: „Leute, die sich über die Schweizergarde des Papstes in Rom vornehm belustigen, pflanzen sich Landsknechte aus Majolika unter Bronzeteller mit grimmigen Ritterbildnissen; friedfertige Kaufleute, denen das Schaufenster eines Gewehrladens schon Unbehagen erweckt, hausen daheim unter grausigen Hellebarden, Schilden, Schwertern und Morgensternen; Männlein und Weiblein gießen aus Apostelkrügen ihr Bier in altdeutsche Steintöpfe, denen womöglich noch vermittelst einer ‚echten Renaissance-Jahreszahl‘ – etwa 1560 – in köstlicher Naivetät ausdrücklich bescheinigt ist, daß sie in unserem Jahrhundert eigentlich nichts zu suchen haben. Jede Dummheit, die ein altdeutscher Renaissancetischler aus Mißverständniß der Antike oder Gedankenlosigkeit einst verbrochen, wird um so freudiger nachgeschnitzt, je verrückter – ach nein: origineller – sie ist, denn der nachahmende Gewerbekünstler hat sie irgendwo gesehen, sie ist also ‚echt‘, altdeutsch und somit – modern.“175

Der Formensprache der Renaissance billigt Avenarius noch den größten Nutzen für ein deutsches Kunstgewerbe, insgesamt sollte jedoch „mehr aufs Denken hingearbeitet werden, statt aufs Auswendiglernen“ alter Muster.176 Dieser Artikel in der Gartenlaube verdeutlicht, dass auch die theoretischen Diskussionen popularisiert werden und die Sprache mit anschaulichen und detaillierten Beispielen angereichert ist. Der genaue, ‚realistische‘ Blick auf die Alltagswelt wird somit ebenfalls etabliert und geschult bzw. fortgeführt. Den Blick für das Detail pflegen auch verschiedene Berichte in der Gartenlaube über Möbel. 1863 ist von einem speziellen Ruhebett für Giuseppe Gari-

172 Ebenda. 173 Ebenda, S. 279 174 Ebenda. 175 Ebenda, S. 294. 176 Ebenda, S. 295

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baldi die Rede; der berühmte italienische Freiheitskämpfer konnte auf einem rollbaren Sitz-Bett aus deutscher Produktion trotz seiner körperlichen Einschränkungen beweglich bleiben. Reagierten die Leser der Gartenlaube offenbar besonders interessiert, ist festzuhalten,177 dass derartige Patentmöbel in England schon länger bekannt waren. Die Möbelentwürfe des 19. Jahrhunderts haben, wie Sigfried Gideon rekonstruiert hat, die verschiedenen Positionen des Liegens praktisch ermöglicht, was sich gerade an multifunktionalen Patenten verdeutlicht.178 In einem Artikel aus dem Jahr 1900 wird wiederum unter anderem ein Schrank von Richard Riemerschmid ausführlich beschrieben.179 Insgesamt werden zahlreiche Möbel oder kleinere Gegenstände aus dem Wohnalltag vorgestellt und in ihrer Funktion erklärt.180 Immer wieder werden die verschiedenen Gewerbeausstellungen thematisiert, wo Einrichtungsmöglichkeiten vorgeführt werden. 1870 wird ausführlich von der Kassler-Industrie-Ausstellung berichtet, die sich insgesamt dem Hauswesen widmet, was der Verfasser ausdrücklich begrüßt und deutsch-national begründet: „Ein Hausvolk werden wir Deutschen vor Anderen bleiben, wenn wir auch hoffentlich für immer aufgehört haben, ein bloßes Stubenvolk zu sein. Die Poesie des Hauses, die weltgründenden Mächte des Familienlebens sind ja bei keiner Nation so tief im Gemüthe gewurzelt, als bei der germanischen, und darum mag der Gedanke, die Zeugnisse für die staunenerregenden Fortschritte des modernen Gewerbewesens, die Schöpfungen genialen Erfindungsgeistes, die Wunder des Fleißes und der Betriebsamkeit in ihren speziellen Beziehungen zum Hausleben an Einer Stätte zu versammeln, wohl ein wahrhaft deutschnationaler Gedanke genannt werden.“181

177 Vgl. [Anonym:] Das Ruhebett Garibaldi’s – ein Erzeugniß deutscher Industrie. – In: Die Gartenlaube (1863), S. 309; zit. nach dem Wiederabdruck bei Klüter: Facsimile, S. 41. 178 Vgl. Gideon: Die Herrschaft der Mechanisierung, S. 449–453. 179 Vgl. J. Braun: Modernes Kunstgewerbe – In: Die Gartenlaube (1900), S. 359; zit. nach dem Wiederabdruck bei Klüter: Facsimile, S. 158. 180 Vgl. z.B. die anthologische Zusammenstellung von Beispielen von Verzierungsgegenständen für die Wohnung aus der Gartenlaube von Zimmermann: Die Gartenlaube, S. 237–247. 181 [Anonym:] Ein Tempel der Hauscultur. – In: Die Gartenlaube (1870), S. 171–174, hier S. 172. Zum Komplex Nationalidentität und Gartenlaube vgl. ausführlich Belgum: Popularizing the Nation; anhand verschiedener „narrative modes“ zeigt Fitzpatrick außerdem, wie (koloniale) Expansionsideen in der Gartenlaube verhandelt werden; Fitzpatrick: Narrating Empire, S. 100.

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In dem der Gartenlaube ähnlichen Familienblatt Daheim wird ebenfalls nicht ohne nationalen Stolz182 auf das so genannte niedersächsische Zimmer von Heinrich Sauermann hingewiesen, das auf der Pariser Weltausstellung gezeigt wird: „Eine eigenartig deutsche, durch und durch selbständige Leistung ist das niedersächsische Zimmer auf der Pariser Weltausstellung.“183 Die Ernsthaftigkeit und Detailliertheit mit der in den Familienblättern und den Publikationen des Kunstgewerbes im 19. Jahrhundert das Wohnen thematisiert wird, lässt die zeitgenössische Rezeption auf die Literatur des Realismus präzisieren. Der Leser hat einen geschulten Blick auf das Wohnen und damit auch auf die ‚Wohnwirklichkeit‘ in der Literatur. Die Raumdarstellung und die Blicklenkung auf einzelne Gegenstände sind außerhalb der Literatur nicht nur nicht ungewöhnlich, sondern treffen auch auf ein besonderes Interesse. Letzteres wird vor allem auch durch die Popularisierung von Stil- und kunstgewerblichen Fragestellungen in den Familienblättern bewirkt. Mit dem Diskurskomplex vom Wohnen verbindet sich die interdiskursive Struktur der populären Medien. Anders als in den journalistischen bzw. populären Formaten dienen den fiktionalen Texten des Realismus die Zeichen des Wohnens zudem auch für komplexe Symbol- und Verweisungsstrukturen. Diese Wechselbeziehungen bilden die Basis für die produktive Fortschreibung der Wohndiskurse für die Literatur des Realismus.

3.4 W OHNDICHTE

UND R AUMSPIELE IM S PÄTREALISMUS (Fontane: Irrungen, Wirrungen, Frau Jenny Treibel, L’Adultera)

In einer frühen Studie widmet sich Karl Garnerus den Innenraumbeschreibungen in den Erzähltexten von Theodor Storm, Wilhelm Raabe und Theodor Fontane. Er setzt ihre Literatur von der vorhergehenden Zeit ab, auch wenn immer mal „Binnenraumschilderungen“ anzutreffen sind, etwa (und das Beispiel ist bemerkenswert:) „die Beschreibung von Marianens Zimmer in den ‚Lehrjahren‘“.184 Verdienstvoll an Garnerus’ Arbeit ist das weite Panorama, das er bezüglich der

182 Daheim kann als konservativer als die eher liberale Gartenlaube gelten, vgl. z.B. Belgum: Popularizing the Nation, S. 17. 183 M. Kirmis: Das „niedersächsische Zimmer“ von Heinrich Sauermann auf der Pariser Weltausstellung. Mit drei Abbildungen. – In: Daheim 36 (1900) Nr. 38, S. 22f., hier S. 22. 184 Garnerus: Bedeutung und Beschreibung, S. 2. Vgl. Kap. 2.4 dieser Arbeit.

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drei genannten Autoren öffnet, indem er zahlreiche Werke in seine Argumentation integriert. Allerdings sind weniger literarische Detailanalysen anzutreffen, auch scheinen manche funktionale Schlussfolgerungen etwas zu kurz. Hierzu gehört die Behauptung, dass die „Zimmerbeschreibungen in Fontanes Hauptwerken im wesentlichen der Einordnung des Bewohners in eine soziale Sphäre und dem Einfangen des Zeitkolorits dienen“.185 Hugo Aust hat den indexikalischen Faktor von Zeichen als einen unter vielen des ‚Realismus‘ benannt. Offenkundig sind entsprechend die Zusammenhänge zwischen Wirklichkeit und indexikalischen Schreibweisen, gibt es doch gerade hier Verbindungen zwischen Signifikat und Signifikant: Die Art der Inneneinrichtung eines Hauses verweist auf den sozialen Status des Bewohners und das außerliterarische Wohnen ist prädestiniert für die indexikalische Darstellungsfunktion im Realismus.186 Die Einschätzung von Garnerus greift dennoch zu kurz: Die Funktionen der Zimmerbeschreibung erschöpfen sich nicht in einer Zuordnung zu sozialen Milieus. Mit einer ähnlichen Intention betont Schürmann jüngst, dass die Interieurdarstellungen bei Fontane komplex sind: Er setze diese „nicht nur für strukturelle, sondern auch für inhaltliche, charakterisierende und motivische Zwecke“ ein.187 Michael Andermatt hat detailliert das Wechselspiel von Erzähler- und Figurenbeschreibungen bezogen auf die Innenräume in Effi Briest analysiert. So wird etwa mit der Raumwahrnehmung auch Effi charakterisiert. Insgesamt ergibt sich für Fontanes Roman eine komplexe und dynamische Raumstruktur, die auch feste gesellschaftliche Werturteile anzweifelt, wie Andermatt feststellt: „Bei Fontanes Roman ist der Raum dadurch, dass er nicht einheitlich, sondern aus der Sicht der Hauptfiguren und daneben der des Erzählers konzipiert ist, weder als eindeutig gut noch als eindeutig schlecht erkennbar, ja es ist grundsätzlich fragwürdig, ob es neben den verschiedenen, sich gegenseitig relativierenden Raumsichten einen objektiven Raum mit festgelegten Werten überhaupt geben kann. Fontanes Weltmodell zeigt mithin keine feststehenden Werte, sondern ein ständiges Werden der Werte in gegenseitiger Beeinflussung.“188

185 Ebenda, S. 136. 186 Vgl. Aust: Theodor Fontane, S. 16f. Vgl. ergänzend Mecklenburg: Theodor Fontane, S. 188. 187 Schürmann: Tickende Gehäuseuhr, S. 117. 188 Andermatt: Haus und Zimmer, S. 147. Vgl. auch die narratologische Diskussion bei Fludernik: Erzähltheorie, S. 111f. Jüngst hat auch Schürmann das Interieur in Effi Briest einer kurzen Untersuchung unterzogen, vgl. Schürmann: Tickende Gehäu-

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Im Folgenden sollen Texte des Spätrealismus untersucht werden, zunächst Fontanes Irrungen, Wirrungen, Frau Jenny Treibel und L’Adultera, im nächsten Kapitel Raabes Stopfkuchen und Storms Novellen Der Doppelgänger und Der Schimmelreiter. Anders als Garnerus für die späten Novellen Storms annimmt,189 soll auch für diese Texte die tragende, ja rahmende Funktion des Innenraums bzw. des Wohnens herausgestellt werden. Gerade an der Schwelle zur Moderne um 1900 erweisen diese Texte nochmals einen produktiven – und insbesondere bei Storm und Raabe erzählerisch experimentellen – Umgang mit dem Diskurskomplex Wohnen, ohne das (bürgerliche) Wohnen und die Art des Wohnens grundsätzlich in Frage zu stellen. Ein Wohnen, das die Bewohner nicht zu tragen vermag bzw. in dem das Haus mit seinen Bewohnern dem Verfall anheim gegeben ist, wird erst wirkungsmächtig die nachfolgende Schriftstellergeneration verfolgen. Zur Zeit des Spätrealismus am Ende des 19. Jahrhunderts hat sich das Wohnen in bürgerlichen Kreisen bereits extrem verdichtet: „Wuchtige Möbel und wuchernde Dekorationen, Tapeten, Vorhänge, Glasvitrinen, Bilder, Spiegel und Vasen zeugten von dem Bemühen, Wohlhabenheit zu demonstrieren.“190 Dieses Repertoire an Wohnzeichen wird in den Texten der Realisten funktional vielschichtig verwendet und mit den Raumstrukturen des Wohnens verknüpft. Der Auflösungsprozess der bürgerlichen (Wohn-)Kultur in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg wird selten offen thematisiert, wenngleich das Wohnen als mit-konstituierender Teil des narrativen Gefüges eines modernen, in seiner Erzählstruktur oftmals bewusst gebrochenen Realismus sehr wohl ein innovatives Potential birgt und zum selbstreflexiven Element realistischen Schreibens wird.191

seuhr, S. 122–127. Explizite Bezüge zu Wohnräumen in den Romane Fontanes finden sich außerdem bei Wilhelm: Dramaturgie des epischen Raumes. Vgl. außerdem den einschlägigen Vortrag von Campanile: Wahrnehmung und Metaphorik von Innen-Räumen. Als Beispiel für die ältere Raum-Forschung zu Fontane, die aber für den hier verfolgten Zusammenhang mit dem Diskurskomplex Wohnen weniger Anschlussmöglichkeiten bietet, sei genannt Tau: Der assoziative Faktor. Gleichwohl ist die ebenda (S. 41) analysierte aktive Einbeziehung des Lesers für die Raum- bzw. Ortsdarstellung bei Fontane schlüssig. 189 Vgl. Garnerus: Bedeutung und Beschreibung, z.B. S. 134. 190 Fuhrmann et al.: Geschichte des Wohnens, S. 111f. 191 Vgl. zur Modernität von Fontanes Realismus Aust: Realismus, S. 131–135. Zur Selbstreflexivität realistischen Erzählens vgl. Andermatt: Kontingenz als Problem des bürgerlichen Realismus, bes. S. 50.

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Fontanes Irrungen, Wirrungen beginnen mit einer örtlichen Vermessung des Wohnumfelds von Lene, wie es ähnlich noch in Effi Briest wiederkehrt. Anders als Effis adliges Zuhause in Hohen-Cremmen, das noch offensichtlicher mit hoher erzählerischer Präzision und in großer symbolischer Dichte vorgestellt wird,192 erscheint allerdings der Romananfang in Irrungen, Wirrungen weniger artifiziell, dafür topographisch exakter lokalisierbar, wenn an „dem Schnittpunkte von Kurfürstendamm und Kurfürstenstraße, schräg gegenüber dem ‚Zoologischen‘“193 die Dörr’sche Gärtnerei und daneben Lenes Wohnhaus verortet wird. Mit dem Bezug auf die außerliterarische Wirklichkeit beginnt auch in diesem frühen Berliner Roman194 das Spiel mit einer außerliterarischen Referenz; Fontanes Realismus ist speziell bezüglich seiner Berliner Topographie von einer exakten Wirklichkeitsreferenz geprägt, zugleich bettet er diese jedoch in eine fiktionale und damit auch symbolische Wirklichkeit effektvoll ein.195 In Irrungen, Wirrungen läuft diese auf Lenes Wohnhaus zu: „An dem Schnittpunkte […] befand sich […] eine […] Gärtnerei, deren kleines, dreifenstriges, in einem Vorgärtchen um etwa hundert Schritte zurückgelegenes Wohnhaus, trotz aller Kleinheit und Zurückgezogenheit, von der vorübergehenden Straße her sehr wohl erkannt werden konnte.“196

Der erste Satz aus Effi Briest, der auf das Rondell mit der Sonnenuhr erzählerisch zuläuft, findet in Irrungen, Wirrungen einen Vorläufer. Das Interesse wird damit durch den Erzähler auf das Wohnhaus gelenkt, obgleich es nicht die „Hauptsache“ des Gärtnereianwesens darstellt; das Wohnhaus verdeckt wie eine „Kulisse“ die dahinter liegenden Wirtschaftsgebäude, der Erzähler endet den ersten Erzählabschnitt entsprechend: „[…] und doch mußte jeder, der zu Beginn unserer Erzählung des Weges kam, sich an dem Anblick des dreifenstrigen

192 Vgl. z.B. Aust: Realismus, S. 132f. 193 Fontane: Werke, Schriften und Briefe. Abt. I, Bd. 2, S. 319. 194 Vgl. auch mit Bezug zu Max Kretzer (vgl. S. 237–239 dieser Arbeit) zum ‚Berliner Roman‘ Steinlein: Stadt. 195 Vgl. Klaus R. Scherpe: „Die Ortsbeschreibungen in Fontanes Romanen konstituieren selbstverständlich erzählerische Handlungsräume, sie sind symbolisch aufgeladen. Das Zeitgerüst des Erzählens mit seinen Vorausdeutungen, Retrospektiven und Digressionen ist an ihnen befestigt.“ Scherpe: Ort oder Raum?, S. 164. Vgl. auch Drude: Fontane und sein Berlin. 196 Fontane: Werke, Schriften und Briefe. Abt. I, Bd. 2, S. 319.

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Häuschens und einiger im Vorgarten stehenden Obstbäume genügen lassen.“197 Mit der Technik der Inversion werden das Wohnhaus und damit insgesamt die Diskurse des Wohnens erzählerisch in eine zentrale Rolle gerückt. Das, was das Haus als Kulisse verdeckt, macht eine Konzentration für das Davorliegende, nämlich die im Haus Lebenden als Wohnende lesbar. Der Schnittpunkt der Straßen wird damit zu einem symbolischen Schnittpunkt, der sich im Wohnen und in dessen Diskursen realisiert. Dennerlein nimmt umgekehrt an, dass „der Bereich hinter dem Haus, der nicht beschrieben wird und das, was man davon sieht, […] das eigentliche Thema der Passage“ sei.198 Diese Lesart ist ebenfalls berechtigt, da der Erzähler selbst die Bedeutung des versteckten Hofes hervorhebt; aus der raumanalytischen Sicht von Dennerlein ist Fontanes Anfang ein Beispiel für die sinnvolle rezeptive Annahme eines Raumes, auch wenn dieser selbst nicht vollständig beschrieben ist, da er – wie hier bei Fontane – als Bedeutungsträger verstanden werden kann.199 Tatsächlich spielen ja auch die Gärtnerei und das mit ihr verbundene soziale Milieu im Kontrast zur Adelswelt Bothos eine zentrale Rolle für die Problemstellung des Romans. Der Romananfang kann aber auch gerade aufgrund seiner raumkontrastiven Schilderung als Bewusstmachung und Thematisierung des Wohnens gelesen werden. Lenes erste Erwähnung steht entsprechend in einem Wohnkontext, der am Beginn des zweiten Erzählabschnittes betont wird: nach einer zeitlichen Einordnung des Erzählers – es ist kurz nach Pfingsten – und einer erneuten lokalen Zuspitzung vom „Wilmersdorfer Kirchturm“ hin zu dem „Vorgarten, dessen halb märchenhafte Stille nur noch von der Stille des von der alten Frau Nimptsch und ihrer Pflegetochter Lene mietweise bewohnten Häuschens übertroffen wurde“.200 Das Ehepaar Dörr wohnt in einem wegen eines Türmchens liebevoll ‚Schloss‘ genannten Nachbargebäude; es handelt sich um die durch das Wohnhaus verdeckten Anlagen. Diese Wohnwelt wird als einfach, aber glücklichidyllisch charakterisiert; die Schilderung der Verhältnisse erfüllt zunächst den realistischen Wirklichkeitsanspruch, die eine Zuordnung zum im besten Sinne kleinbürgerlichen Milieu ermöglicht:

197 Ebenda. 198 Dennerlein: Narratologie des Raumes, S. 178. 199 Vgl. ebenda, S. 177f. Einen weiteren Raumkontrast eröffnet zudem Lau, wenn sie das Gartenhaus mit dem Zoologischen Garten als „Motiv der Sehnsucht“ von Lene herausstellt. Lau: Betrachtungen zu Raum und Zeit, S. 73. Vgl. ergänzend Wilhelm: Dramaturgie des epischen Raumes, S. 128–131. 200 Fontane: Werke, Schriften und Briefe. Abt. I, Bd. 2, S. 319f.

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„Frau Nimptsch selbst aber saß wie gewöhnlich an dem großen, kaum fußhohen Herd ihres die ganze Hausfront einnehmenden Vorderzimmers und sah, hockend und vorgebeugt, auf einen rußigen alten Teekessel, dessen Deckel, trotzdem der Wrasen auch vorn aus der Tülle quoll, beständig hin- und herklapperte.“201

Das erste Kapitel endet schließlich mit dem Erscheinen Lenes, nicht ohne dass zuvor in Andeutungen über die Freundschaft zwischen Lene und Botho von Frau Nimptsch und der Nachbarin Dörr gesprochen wird. Im Mittelpunkt des FigurenInteresses steht im Folgenden insbesondere die Frage, wann Botho wieder kommen wird; dessen Auftritt wird durch das Erzählen der Kennenlerngeschichte vorbereitet und gipfelt schließlich in der konkreten Ankunft Bothos: Während Lene „im Vorgarten auf und ab“ geht, sitzen im Wohnhaus wie gewöhnlich Frau Nimptsch und Familie Dörr zusammen.202 Dann betritt Botho die Wohnzone: „Frau Dörr saß so, daß sie den Gartensteg hinaufsehen und trotz der Dämmerung erkennen konnte, wer draußen, am Heckenzaun entlang, des Weges kam. ‚Ah, da kommt er‘, sagte sie.“203 Aus dem adligen Freundeskreis kommend, wegen einer Bowle bester Stimmung, betritt Botho die Bühne des Wohnhauses. Die Ankunft des Geliebten bzw. der Geliebten und der damit verbundenen räumlichen Durchbrechung von Raumgrenzen ist freilich bei Fontane eine stets sorgfältig inszenierte Erzählkonstruktion: Crampas kommt bekanntlich vom Wasser her auf Innstettens Veranda, ebenso treffen Melanie van der Straaten und Rubehn erstmals auf der Veranda der Sommervilla aufeinander und auch Robert von LeslieGordon bemerkt genau beobachtend Cécile bei ihrer Ankunft im Hotel in Thale.204 Für Botho ist die Sommerliebe mit Lene auch der Eintritt in eine Idylle, in der die Welt überschaubar und liebevoll einfach zu sein scheint. Gerne nimmt Botho an der häuslich-kleinbürgerlichen Welt vor dem Herd teil:

201 Ebenda, S. 320. Vgl. auch Belgum: Interior Meaning, S. 161: Der Herd kann – so Belgum – als von Störungen gerahmt vorgestellt werden und damit zu einem Medium der Desillusionierung der Idylle werden. 202 Fontane: Werke, Schriften und Briefe. Abt. I, Bd. 2, S. 333. 203 Ebenda, S. 333f. 204 Vgl. zur Produktivität von Grenzbewegungen Scherpe: Ort oder Raum?, S. 166. Zur Veranda in L’Adultera vgl. auch Wichard: Berliner Wohnräume, S. 66; und zur strukturellen Offenheit der Table d’hôte in Cécile vgl. Wichard: Wohnen und Identität, S. 72–76. Vgl. ergänzend Hillebrand: Mensch und Raum, S. 276f. Zu Parallelen bei Eduard von Keyserling vgl. S. 275 dieser Arbeit.

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„Und damit schob er den Holzstuhl, den Lene noch immer in Bereitschaft hatte, neben die Alte und sagte, während er sich setzte: ‚Hier neben Frau Nimptsch, das ist der beste Platz. Ich kenne keinen Herd, auf den ich so gern sähe; immer Feuer, immer Wärme. Ja, Mutterchen, es ist so; hier ist es am besten.‘“205

Im Folgenden wird Botho Gideon Franke, Lenes späterem Ehemann, rückblickend berichten: „‚So machten wir denn den weiten Weg, und ich begleitete sie nach Haus und war entzückt von allem, was ich da sah, von der alten Frau, von dem Herd, an dem sie saß, von dem Garten, darin das Haus lag, und von der Abgeschiedenheit und Stille. […]‘“206 Gleichwohl bleibt Botho stets Fremdkörper in der Wohnzone von Lenes Welt;207 als Baron wird ihm ein „Ehrenplatz“208 angeboten, er bringt „Knallbonbons“209 von der gestrigen „großen Herren- und Damenfête“210 mit und erwähnt mehrfach den Freundeskreis aus seinem „Klub“.211 Er bleibt der aktive, der die Territorien absteckt. Lene selbst wird nicht in seine Wohnwelt eingeführt, stattdessen erreicht sie nur mittels eines Briefes in Bothos Wohnung Einlass. Diese Briefankunft wird wiederum erzählerisch vorbereitet: Zu Beginn des sechsten Kapitels wird Bothos Wohnung vorgestellt, deren Beschreibung in der endgültigen Lokalisation Bothos mündet: Zunächst wird die Straße der Wohnung benannt, Front- und Gartenbalkon finden Erwähnung, bevor die Perspektive nach innen gewendet wird: „Arbeitszimmer, Eßzimmer, Schlafzimmer, die sich sämtlich durch eine geschmackvolle, seine Mittel ziemlich erheblich übersteigende Einrichtung auszeichneten.“212 Die Gegenstände der Inneneinrichtung, speziell die Gemälde, werden aufgeführt, erst im Esszimmer, dann im Arbeitszimmer, wo nicht nur ein Sofa mit umherliegenden Zeitungen zu finden ist, sondern auch ein Käfig und ein frei fliegender Kanarienvogel, der seinen Herrn

205 Fontane: Werke, Schriften und Briefe. Abt. I, Bd. 2, S. 334. Lau betont die Charakterisierung von Frau Nimptsch mittels des Herdes, der „zum Symbol für Einfachheit, Güte und Menschlichkeit“ wird. Lau: Betrachtungen zu Raum und Zeit, S.72. 206 Fontane: Werke, Schriften und Briefe. Abt. I, Bd. 2, S. 442. 207 Vgl. auch Scherpe: Ort oder Raum?, S. 166f. 208 Fontane: Werke, Schriften und Briefe. Abt. I, Bd. 2, S. 334. 209 Ebenda, S. 336. 210 Ebenda, S. 335. 211 Ebenda, S. 340. 212 Ebenda, S. 346.

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umgibt213 – womit Erzähler und Leser beim lesenden Botho angekommen sind: „In diesem Augenblicke ging die Korridorklingel, und der Diener trat ein, um die draußen abgegebenen Briefe zu bringen.“214 Unter ihnen ist der Brief Lenes, den er aber erst nach dem Brief seines Onkels Kurt Anton öffnen wird. Lene dringt mit ihrem Brief lediglich in Bothos Arbeitszimmer ein, der dann auch geschäftsmäßig, wenn auch wehmütig überdacht wird. Lenes orthographische Fehler machen sie bzw. den Brief noch „reizender“, aber: „Er lehnte sich in den Stuhl zurück und legte die Hand über Stirn und Augen: ‚Arme Lene, was soll werden! Es wär’ uns beiden besser gewesen, der Ostermontag wäre diesmal ausgefallen. Wozu gibt es auch zwei Feiertage? Wozu Treptow und Stralau und Wasserfahrten? […].‘“215 Aus der zurückgelehnten Sitzposition erinnert er sich des Kennenlernens auf der schwankenden, ‚gefährlichen‘ Bootsfahrt, und noch bevor die Mutter eine Vermählung mit Käthe anmahnt, ist es schon durch diese Konstellation und Aussprache offensichtlich, dass Lene und Botho kein Paar werden bzw. bleiben können. Bevor Botho sich im Anschluss auf den Weg zu seinem Onkel macht, legt er den Brief zu den anderen Lenes in eine Schublade seines Schreibtisches. Die unsymmetrische Integration des jeweils anderen innerhalb des Liebesverhältnisses in die Wohnwelt des anderen unterstützt die Gewissheit des nahen Endes der Beziehung. Inwiefern Bothos Wohnung schwieriger erreichbar ist als die Lenes, verdeutlicht sich auch daran, dass diese in der Bellevuestraße gelegen ist, aber keineswegs an einem Schnittpunkt zweier Straßen. Die Wohnung als ‚Kreuzung der Wohndiskurse‘ ist damit zwar nicht aufgehoben, jedoch lässt sich dieser Unterschied als ein Hinweis auf eine größere Barriere, Teil des Wohnens und Lebens Bothos zu werden, verstehen. Diese Grenze wird erst Gideon Franke, der spätere Ehemann Lenes wieder durchbrechen, wenn er tatsächlich Botho – in seiner neuen Wohnung mit Käthe – aufsuchen wird, um mit ihm in bester Absicht über Lenes „Vorleben“216 zu sprechen. Die Erinnerung an Lene – der Abschied liegt mehr als drei Jahre zurück – ist für Botho bewegend wir raumdurchbrechend: „Rienäcker, als das alles wieder vor seine Seele trat, stand in sichtlicher Erregung auf und öffnete beide

213 Die Darstellung des Inneren von Bothos Wohnung dient wiederum der Figurencharakterisierung (vgl. Lau: Betrachtungen zu Raum und Zeit, S. 73); und dieser WohnOrt inszeniert, so Scherpe, „das Wohlbekannte und Standesgemäße“, Bothos Wohnung ist damit Teil „der guten Gesellschaft“ (Scherpe: Ort oder Raum?, S. 165). 214 Fontane: Werke, Schriften und Briefe. Abt. I, Bd. 2, S. 347. 215 Ebenda, S. 349. 216 Ebenda, S. 441.

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Flügel der Balkontür, als ob es ihm in seinem Zimmer zu heiß werde.“217 Auf der einen Seite erlebt er in Gideon den biederen und doch aufrichtigen wie ehrlichen Mann, andererseits begreift er sich erneut als denjenigen, der seine Liebe zu Lene aus gesellschaftlichem Zwang nicht zugelassen hat. Nicht nur bezüglich des Standes, auch räumlich ist die Ehe zwischen Lene und Gideon ausgewogen inszeniert: Als Lene bemerkt, dass Botho mit Käthe in die Nähe der Gärtnerei gezogen ist, ist sie sicher, „in der Dörrschen Wohnung nicht mehr bleiben zu können“218 und sie zieht mit Frau Nimptsch an das Luisenufer. Dort, „drei Treppen hoch“, löst Lene auch das Versprechen an die Mutter ein, wieder einen Herd bzw. einen Ofen mit „angebauten Kamin“ einzurichten.219 Aber nicht nur Mutter Nimptsch ist in der Wohnung tatsächlich angekommen, wozu auch die Wohnungsdetails beigetragen haben dürften: „Beide wohnten nun ziemlich ebenso, wie sie vordem im Dörrschen Gartenhause gewohnt hatten, nur mit dem Unterschiede, daß sie jetzt drei Treppen hoch saßen und statt auf die phantastischen Türme des Elefantenhauses auf die hübsche Kuppel der Michaelskirche sahen.“220 Den Blick aus dem Fenster, das Lene für die Mutter mit einem „Tritt“ ergänzt hatte, konnte diese nun sitzend genießen; auch gesundheitlich ging es der alten Frau „seit dem Wohnungswechsel“ besser, denn „in dem Dörrschen Gartenhause, das, so poetisch es lag, [war es] nicht viel besser als ein Keller gewesen“.221 Für Lene ist die idyllisch-poetische LiebesPerspektive ebenfalls in das Machbare und Vernünftige gewechselt, was durch die Wohnung angezeigt wird. Sie mochte es nicht, wenn in der neuen Wohnung das Gespräch wieder auf Botho fiel, oft ging sie dann „aus dem Zimmer“, bis dieses Thema abebbte: „So ging es ein Jahr lang, und als das Jahr um war, war noch ein anderer Grund da, der es nicht rätlich erscheinen ließ, auf die alten Geschichten zurückzukommen. Nebenan nämlich war, Wand an Wand mit der Nimptsch, ein Mieter eingezogen, der, von Anfang an auf gute Nachbarschaft haltend, bald noch mehr als ein guter Nachbar zu werden versprach.“222

217 Ebenda, S. 442f. 218 Ebenda, S. 420. 219 Ebenda, S. 422. 220 Ebenda. 221 Ebenda. 222 Ebenda, S. 423f.

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Die Wohnung bzw. das Leben „Wand an Wand“ wird zum entscheidenden Symbol für die Verbindung von Lene und Gideon, da die Annäherung beider selbst nicht erzählt wird, sondern vor allem erst durch den bereits erwähnten Auftritt von Gideon in der Wohnung Bothos explizit kommuniziert wird; ebenso die Hochzeit, die am Ende des Romans doppelt von außen kommentiert wird, von dem Berliner Beobachter: „‚Un kein Kranz?‘ […] ‚Kranz? ... Kranz? ... Wissen Sie denn nich? ... Haben Sie denn nichts munkeln hören?‘“223 – sowie von Botho und Käthe, die sich über die sonderbaren Namen des Paares in der Anzeige der Zeitung verwundert amüsiert. Das Gespräch beschließt mit dem bekannten und sentimentalen Satz Bothos auch den Roman: „Gideon ist besser als Botho.“224 Bemerkenswert ist wiederum, wo dieser Satz ausgesprochen wird. Es ist das Arbeitszimmer, in dem das Ehepaar bei offenen Fenstern gemeinsam frühstückt. Lene gelingt es zuletzt mit einer Zeitungsanzeige, die Wohnung Bothos zu erreichen. Dies zeigt zusammen mit Bothos Äußerung, dass Lene symbolisch in der Wohnung präsent ist und somit auch Teil von Bothos Leben. Ironisch ist daher auch das Verbrennen von Lenes Briefen zuvor durch Botho zu sehen, die er in dem kleinen Herd seines Arbeitszimmers verbrannt hat, nicht ohne sie nochmals lesend zu streifen. Das Arbeitszimmer wird dabei zu einem Ort der vermeintlichen Sicherheit für Botho, in das er sich zurückzieht: „Und er erhob sich von seinem Balkonplatz und ging, durch die ganze Wohnung hin, in sein nach dem Hofe hinaus gelegenes Arbeitszimmer, das des Morgens in heller Sonne, jetzt aber in tiefem Schatten lag.“225 Dort steht sein Schreibtisch mit „Ebenholzkästchen“: „In der Mitte dieser Kästchen aber baute sich ein mit einem Giebelfeld ausgestattetes und zur Aufbewahrung von Wertsachen dienendes Säulentempelchen auf […].“226 Darin liegen die Briefe, deren Inhalt genauso wie die Briefe selbst in der Wohnung tief verborgen, aber dennoch Botho stets präsent sind. Die Wohnung wird als Innenraum von Bothos Gefühlswelt manifest und wird damit „ein Ort der Selbstbegegnung des Subjekts“, wie Horst Fritz, der aufzeigt, wie das „Interieur zu einer literarischen Zentralvorstellung des 19. Jahrhunderts wurde“, formuliert hat.227 Der Akt des Verbrennens ist für Botho Ausdruck seines scheiternden Wegs, sich von der Vergangenheit zu lösen, weil Lene – angezeigt durch die Symbolik

223 Ebenda, S. 474. Vgl. hierzu auch Bowman: The Lover’s Discourse, S. 147. 224 Fontane: Werke, Schriften und Briefe. Abt. I, Bd. 2, S. 475. 225 Ebenda, S. 454. 226 Ebenda. 227 Fritz: Innerlichkeit und Selbstreferenz, S. 89.

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der Durchlässigkeit von Zeitung und offenen Fenstern – wirkmächtig wiederkehrt, andererseits gelingt das Verbrennen nicht ohne Spuren. Als Käthe die Asche entdeckt, reagiert sie ohne Scheu und scheint sich über die Lösung von den ihr unbekannten Liebesbriefen zu freuen. Und doch steht sie weiterhin in Konkurrenz mit Lene. Käthe möchte die Asche zu Rauch verbrennen: „Im Nu brannte das Feuer hell auf, und während sie den Fauteuil an die Flamme schob und die Füße bequem und, um sie zu wärmen, bis an die Eisenstäbe vorstreckte […]“, beginnt sie mit ihrer leichten Kurkonversation.228 Die gefährliche Nähe zwischen Lenes Flammen und Käthes Stuhl wird somit subtil durch die Funktionalisierung der Möbel dem Roman eingeschrieben. Vermittelt über das Arbeitszimmer des Schlusses verweist der Roman entsprechend nochmals auf die Briefe Lenes; aber auch die Episode der Briefverbrennung greift zurück auf jene Stelle, wo die Liebe von Lene und Botho ihren Wendepunkt genommen hat. Nachdem Botho die Briefe dem Feuer übergeben hat, hat er zuletzt noch kurz das „Sträußchen“ mit Lenes „Haarfädchen“ in Händen,229 das Lene ihm während des Ausflugs zu Hankels Ablage vieldeutig gebunden hat. Schließlich übergibt er es ebenso dem Feuer, den bei ihm doch aufsteigenden Aberglauben bezüglich des Straußes schnell überwindend. An Hankels Ablage ist das Gasthaus und die Unterkunft von Bedeutung. Bothos Schreibtischkästchen mit einem klassizistischen Giebelfeld, in dem er die Briefe aufbewahrt, stellt eine Verbindung zur Giebelstube des Gasthauses her. So wie das Arrangement von Ebenholz, antiken Tempeln und der im besten Sinne ungebildeten, mit orthographischen Fehlern versehenen Briefen Lenes einen fragilen Raummix entstehen lassen, so ist dies ebenso in Hankels Ablage zu beobachten. Das Gasthaus, das sich als heterotopisch klassifizieren lässt, ist somit einer besonderen Gefährdung ausgesetzt.230 Lene zieht sich zunächst mit einem kleinen „Anfall“ auf das Zimmer zurück, das sie in Ruhe betrachtet.231 Das große, moderne Fenster steht im Kontrast zur Lehmbauweise des Hauses. Vor allem fallen ihr jedoch die zahlreichen Gemälde auf. Das Haus ist sowohl noch „Fischer- und Schifferherberge“, aber doch zu-

228 Fontane: Werke, Schriften und Briefe. Abt. I, Bd. 2, S. 472. 229 Ebenda, S. 455. 230 Vgl. auch Scherpe, der nicht nur Hankels Ablage, sondern auch das Treibhaus in L’Adultera als Orte verbotener Sexualität mit Foucaults Heterotopie-Begriff in Verbindung bringt, Scherpe: Ort oder Raum?, S. 166. (vgl. zu L‘Adultera auch Eilert: Im Treibhaus). Zur Funktion von Hankels Ablage vgl. auch den Überblick bei Grawe: Irrungen, Wirrungen, S. 579f. Vgl. zu Foucaults Begriff S. 16 dieser Arbeit. 231 Fontane: Werke, Schriften und Briefe. Abt. I, Bd. 2, S. 385.

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gleich auch „ein gefälliges Gasthaus für die reichen Sportsleute vom Segler- und Ruderklub“,232 also für eine Welt, die Lene verschlossen ist. Die Bilder im Raum und deren englische Unterschriften kann Lene kaum lesen, was ihr „einen Stich ins Herz [versetzt], weil sie sich der Kluft dabei bewußt wurde, die sie von Botho trennte“.233 Diese nachdenkliche wie heterogene Atmosphäre setzt sich durch ihren Blick durch das Fenster auf den Mond fort, dann löst sie ihr Haar vor dem Spiegel, und in diesem ‚ungebundenen‘ Moment vertreibt Botho durch seine Rückkehr diese Stimmung. Auch der Gastraum unterstreicht jedoch das, was nicht zusammen zu passen scheint.234 In Irrungen, Wirrungen konzentrieren die Wohndiskurse die Problemlage auf enge Fluchtpunkte: in Hankels Ablage, aber auch in das Arbeitszimmer von Botho – und sie entfalten zugleich Grenzen, die sich äußerlich in den verschiedenen Wohnräumen bzw. in getrennten neuen Wohnungen zeigen,235 die aber doch symbolisch in den Subtexten in Fontanes Romanen interagieren. In Frau Jenny Treibel sind ähnlich inszenierte Brüche innerhalb der Wohndiskurse festzustellen, die nun verfolgt werden sollen. Wenn Jenny in der eigenen Wohnung, der Treibel’schen Villa, geschildert wird, aber auch in der Etagenwohnung von Wilibald Schmidt wird über diese Inszenierung das Unpassende und Vage erzählerisch ausgestaltet. „Wo sich Herz zum Herzen find’t“ ist nicht nur der Untertitel des Romans, sondern auch eine Zeile des sentimentalen Liedes, das Jenny an die vergangene Zeit mit ihrem damaligen Verlobten Wilibald erinnert, der es einst für sie schrieb.236 Im Folgenden kann das Motto dieser Zeile in einer ortsbezogenen Semantik einen Pfad durch die Wohndiskurse in Frau Jenny Treibel legen. Der bekannte Romananfang ist in dieser Hinsicht bereits stilbildend.237 Der Leser nähert sich – der Erzähler als „Reporter“ an seiner Seite238 – mit Jenny der

232 Ebenda. 233 Ebenda, S. 386. Vgl. auch Belgum: Interior Meaning, S. 163. 234 Vgl. auch mit Bezug auf Stadtraum vs. Hankels Ablage Gutjahr: Kultur der Ungleichzeitigkeit, S. 178f. Es wird ebenda festgestellt, wie auch in der Konversation keine gemeinsame Sprache zwischen den Liebenden gefunden werden kann. 235 Vgl. ebenda, S. 179. 236 Vgl. grundlegend zur Interpretation des Liedes für den gesamten Romankontext Lohmeier: Ein wirkliches Lied. 237 Zum Anfang siehe etwa Grevel: Frau Jenny Treibel, S. 192f. Guarda: Fontanes „Frau Jenny Treibel“, S. 530f. Zum Kontrast der Häuser bzw. Wohnungen von Schmidt und Treibel vgl. auch Schäfer: Frau Jenny Treibel, S. 31–34. 238 Wilhelm: Dramaturgie des epischen Raumes, S. 138–142, hier S. 138.

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Wohnung des Professors Wilibald Schmidt. Jenny erreicht mit dem vornehmen Wagen die Adlerstraße und stoppt vor dem „ziemlich ansehnlichen, im übrigen aber altmodischen Hause“. Im Anschluss muss die Dame die Treppe hinauf zu der Wohnung des Professors, jedoch bereits „ihre Korpulenz“ deutet auf das Unpassende hin;239 die Dame Jenny passt nicht mehr in diese Welt, der sie selbst einmal angehörte. Oben angekommen erfährt der Leser erstmals von dem Ziel ihres Treppenaufstieges: „Gerade der Stelle gegenüber, wo die Treppe mündete, befand sich eine Entreetür mit Guckloch, und neben diesem ein grünes, knittriges Blechschild, darauf ‚Professor Wilibald Schmidt‘ ziemlich undeutlich zu lesen war.“240 Durch die ausführliche Schilderung von Jennys Weg bis zur Eingangstür werden bereits implizit verschiedene Wohnwelten offenbar, da immer deutlicher Erinnerungen aufgerufen werden und damit eine zeitliche Dimension von Raum und Figurenwahrnehmung hergestellt wird: „Die ein wenig asthmatische Dame fühlte zunächst das Bedürfnis, sich auszuruhen, und musterte bei der Gelegenheit den ihr übrigens von langer Zeit her bekannten Vorflur […].“241 Als Jenny die Gerüche hinter der Tür wahrnimmt, rekonstruiert sie sogleich den Zustand der Hauswirtschaft: „‚Also kleine Wäsche‘, sagte die von dem allen wieder ganz eigentümlich berührte stattliche Dame still vor sich hin, während sie zugleich weit zurückliegender Tage gedachte, wo sie selbst hier, in eben dieser Adlerstraße, gewohnt und in dem gerade gegenüber gelegenen Materialwarenladen ihres Vaters mit im Geschäft geholfen […] hatte […].“242

Der Flur vor der Wohnung wird für Jenny Anlass für eine wehmütige Erinnerungsreflexion, die kurz der Zeit enthoben scheint. Das zeigt sich auch daran, dass sie zögert, die Klingel zu ziehen, und die Wohnungstür eine Grenze zwischen dem erinnerten Wohnen bzw. Leben und dem tätigen Leben markiert. Frau Schmolke, die Wirtschafterin des Haushaltes, öffnet schließlich mitten aus dem Arbeitsleben und dem Alltag des bürgerlichen Lebens heraus, „mit einem ansehnlichen Haubenbau auf ihrem vom Herdfeuer geröteten Gesicht“.243 Sie steht an der Türschwelle, die auch erst den Namen der Protagonistin ausspricht und auch dies in einer doppelbödigen Heterogenität, die den gesellschaftlichen Auf-

239 Fontane: Werke, Schriften und Briefe. Abt. I, Bd. 4, S. 297. Vgl. z.B. dazu Grevel: Frau Jenny Treibel, S. 187. 240 Fontane: Werke, Schriften und Briefe. Abt. I, Bd. 4, S. 297. 241 Ebenda. 242 Ebenda, S. 298. 243 Ebenda.

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stieg unbewusst in aller Kürze nachstellt: „Ach, Frau Treibel… Frau Kommerzienrätin… Welche Ehre…“244 Corinna Schmidt empfängt schließlich Jenny und beide gehen in das Vorderzimmer, das der Erzähler ausführlich beschreibt: „Dies war ein hübscher, hoher Raum, die Jalousien herabgelassen, die Fenster nach innen auf, vor deren einem eine Blumenestrade mit Goldlack und Hyazinthen stand. Auf dem Sofatische präsentierte sich gleichzeitig eine Glasschale mit Apfelsinen, und die Porträts der Eltern des Professors, des Rechnungsrats Schmidt aus der Heroldskammer und seiner Frau, geb. Schwerin, sahen auf die Glasschale hernieder – der alte Rechnungsrat in Frack und rotem Adlerorden, die geborene Schwerin mit starken Backenknochen und Stubsnase, was, trotz einer ausgesprochenen Bürgerlichkeit, immer noch mehr auf die pommerschuckermärkischen Träger des berühmten Namens als auf die spätere, oder, wenn man will, auch viel frühere posensche Linie hindeutete.“245

Der Wohnraum präsentiert sich hier als bewusst bürgerlich: Die Möbel, die Blumen, das gedämmte Licht durch die Jalousien und die Bilder der Familie sind typisch für eine bürgerliche Stadtwohnung; da es sich bei Schmidt um Bildungsbürgertum handelt, ist trotz eines guten Auskommens alles in einer gepflegten Bescheidenheit ausgestaltet.246 Nach der Erzählerrede kommentiert sogleich Jenny die Wohnung, wenn sie mit Corinna spricht. Sie mache zwar alles „nett“ und es sei doch „hübsch“: doch eigentlich mit Blick auf die Hyazinthen und Apfelsinen „verträgt es sich freilich nicht recht“, und Jenny setzt fort: „Und nun legst du mir in deiner Sorglichkeit auch noch das Sofakissen zurecht! Aber verzeih, ich sitze nicht gern auf dem Sofa; das ist immer so weich, und man sinkt dabei so tief ein. Ich setze mich lieber hier in den Lehnstuhl und sehe zu den alten, lieben Gesichtern da hinauf.“247 Jenny distanziert sich von der Wohnwelt, wie sie diese einst selbst erlebt hat, indem sie Corinna zwar lobt, aber doch sogleich auch kritisiert. Ihre Sympathie drückt sich aber durch die Erinnerungen an die Eltern Schmidts aus. Sie bleibt letztlich in einer Zwischenposition, die auch im Kleinen anhand der eigenen ‚Deplatzierung‘248 vom Sofa auf den Lehnstuhl zum Ausdruck kommt.

244 Ebenda, S. 299. 245 Fontane: Werke, Schriften und Briefe. Abt. I, Bd. 4, S. 299. 246 Vgl. zum Wohnen des Bildungsbürgertums Saldern: Im Hause, zu Hause, S. 178. 247 Fontane: Werke, Schriften und Briefe. Abt. I., Bd. 4, S. 299. Vgl. zu einer ähnlichen ‚Kissen-Sofa-Szene‘ in Effi Briest Schürmann: Dingwelten, S. 200. 248 Vgl. auch Scherpe: Ort oder Raum?, S. 166.

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Aufschlussreich ist auch die Integration der Wohndiskurse in die Gesprächssituation. Die zitierte Stelle zeigt, wie Jenny selbst über das Wohnen spricht, sie löst damit den Erzähler ab, der im anschließenden Gespräch – wie typisch bei Fontane – ganz zurücktritt.249 Das Gespräch findet dann einen Höhepunkt, als Jenny Corinna versichert: „kleine Verhältnisse, das ist das, was allein glücklich macht“.250 Corinna antwortet skeptisch, schließlich habe Jenny diese so genannten Verhältnisse ja nur früher erlebt. Die Verschiebung, die über die Gesprächsbzw. Sitzkonstellation im Wohnraum bereits explizit war, wird nun auf einer abstrakteren, aber im Kern gleichen Inhaltsebene fortgesetzt und wiederholt. Auch wenn in dieser Äußerung nicht vom Wohnen selbst die Rede ist, haben die Wohndiskurse die disparate Lebenskonstellation von Jenny vorbereitet. Den Anfang des dritten Kapitels markiert die Beschreibung des Esszimmers in Treibels Villa, wo sich die Abendgesellschaft treffen wird. Zunächst wird die Aussicht aus dem Fenster in den „parkartigen Hintergarten mit plätscherndem Springbrunnen“251 erwähnt, um dann den Blick zurück in das Innere zu werfen. In der erzählerischen Inszenierung der Gesellschaft werden dann nicht nur die verschiedenen Teilnehmer gruppiert, sondern auch der Ort wieder lokalisiert: „Draußen setzte der Wasserstrahl sein Spiel fort. Drinnen im Saal aber, in der Mitte der Tafel, die statt der üblichen Riesenvase mit Flieder und Goldregen ein kleines Blumenparkett zeigte, saß der alte Treibel, neben sich die beiden adligen Damen, ihm gegenüber seine Frau zwischen Leutnant Vogelsang und dem ehemaligen Opernsänger Adolar Krola.“252

So wie die bürgerliche Tischgesellschaft hoch konventionalisiert ist,253 wird der Raum planmäßig integriert, was durch die erzählerische Engführung von Innenund Außenraum wiederholt wird. Schließlich kann sich die Aufsteigerin Jenny „in vollem Glanz“ zeigen und „ihre Herkunft aus dem kleinen Laden in der Adlerstraße war in ihrer Erscheinung bis auf den letzten Rest getilgt“.254

249 Vgl. Aust: Fontanes Poetik, S. 441. 250 Fontane: Werke, Schriften und Briefe. Abt. I, Bd. 4, S. 302. 251 Ebenda, S. 314. 252 Ebenda, S. 315. 253 Gerade Frau Jenny Treibel wird gerne in historischen Arbeiten zur bürgerlichen Kultur zur (nicht immer unproblematischen) Veranschaulichung angeführt; interessant ist aber die Konversationsanalyse zu Fontanes Roman bei Linke: Sprachkultur, S. 193f. 254 Fontane: Werke, Schriften und Briefe. Abt. I, Bd. 4, S. 316.

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Auch zu Beginn des zweiten Kapitels ist das Wohnen explizit thematisiert worden. Der Zeitpunkt der Handlung ist kurz vor Beginn des Dinners, zu dem Jenny zuvor Corinna eingeladen hatte – der Ort ist die Villa der Treibels. Der Erzähler informiert darüber, dass die „modische Villa“ auf dem Fabrikgelände liegt und das zuvor lange bewohnte Haus in der Alten Jakobstraße „nicht mehr zeit- und standesgemäß“ gewesen sei.255 Mit der Betonung des Neubaus wird das Wohnen auch in den zeitgenössischen Wirtschaftsdiskurs eingeordnet. Das ehemalige Haus soll von Karl von Gontard oder gar von Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff erbaut worden sein, also von zwei bedeutenden Baumeistern des 18. Jahrhunderts. Die neuen bürgerlich-kapitalistischen „Gründeranschauungen“256 führten aber auch bei Treibel zu einem Umdenken und zu dem nun neuen Bau.257 Gleichwohl besitzt der Neubau auch seine Nachteile; die nahe Fabrik sorgt bei ungünstigem Wind für Unbehagen (bis später die Schornsteine immer höher werden), außerdem ist die Beletage nicht sehr gelungen, da sie wegen der Hochparterrebauweise eher als Zwischengeschoss erscheint. Jenny übernimmt auch in dieser Passage implizit die Rede vom Wohnen des Erzählers, indem sie auf die Gäste wartend bemängelt, dass ihr Mann den Bau eines Nebeneinganges nicht veranlasst hatte: „Jetzt marschiert jeder Küchenjunge durch den Vorgarten, gerade auf unser Haus zu, wie wenn er miteingeladen wäre.“258 Dem Neubau bleibt eine ‚Sprengkraft‘ eingeschrieben, von der auch die Symbolik Fontanes zeugt: Wurde doch auf dem Fabrikgelände zuvor „Blutlaugensalz“ produziert, das auch der Sprengstoffgewinnung dient.259 Die Wohndiskurse unterlaufen als Teil von Fontanes symbolischen Subtexten also den vordergründigen Glanz von Jenny. Der sich entfaltende Konflikt um die Annäherung von Corinna Schmidt und Leopold,260 dem jüngeren Sohn Jennys, wird auch in Treibels Villa als Raumstörung inszeniert. Der Erhalt der

255 Ebenda, S. 307. Zu den Berliner Wohnungen Fontanes – eine war auch in einer namens Alte Jakobstraße gelegen – vgl. Drude, S. 109–117, hier S. 116. Zu außerliterarischen Bezügen von Orten in Fontanes Literatur sowie Fontanes Schreibpraxis vgl. auch die frühe Arbeit von Rost: Örtlichkeit und Schauplatz. 256 Fontane: Werke, Schriften und Briefe. Abt. I., Bd. 4, S. 306. 257 Vgl. zudem zur (sozialgeschichtlichen) Funktion der Villa, auch mit Bezug auf den Roman, Saldern: Im Hause, zu Hause, S. 174. Vgl. auch die Interpretation von Bae: Erfahrung der Moderne, S. 84f. 258 Fontane: Werke, Schriften und Briefe. Abt. I, Bd. 4, S. 307. 259 Ebenda, S. 306; vgl. auch den Herausgeberkommentar ebenda, S. 720. 260 Zur Figur Leopolds vgl. auch Selbmann: Die Décadence unterwandert die Gründerzeit, S. 35–40.

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Nachricht, dass Leopold sich ohne Einwilligung der Eltern mit Corinna verlobt hat, wird räumlich ausgestaltet. Jenny denkt nach der Landpartie und dem Gespräch mit Wilibald über ihre Verhältnisse nach, wägt ab, ob nicht ein bildungsbürgerlicher Haushalt „einen feineren Klang“261 hat, sie tritt dann ans Fenster:262 „Drüben, im Hause gegenüber, hoch oben in der offenen Mansarde, stand, wie ein Schattenriß in hellem Licht, eine Plätterin, die mit sicherer Hand über das Plättbrett hinfuhr – ja, es war ihr, als höre sie das Mädchen singen. Der Kommerzienrätin Auge mochte von dem anmutigen Bilde nicht lassen, und etwas wie ein wirklicher Neid überkam sie.“263

In diesem Moment betritt Friedrich den Raum, der ihr einen Brief von Leopold übergibt, der in der Treibel’schen Villa wohnt. Seine Bitte um Unterredung reißt sie aus ihren „sentimentalen Anwandlungen“.264 Außer dem Brief drängen auch ungewohnte Geräusche in ihren Raum: „Das Zimmer Leopolds lag über dem ihrigen; sie hörte deutlich, daß er rasch hin- und herging und ein paar Schubkästen, mit einer ihm sonst nicht eigenen Lautheit, zuschob. Und gleich danach, wenn nicht alles täuschte, vernahm sie seinen Schritt auf der Treppe.“265 Als Jenny erfährt, dass die Verlobte die nicht standesgemäße Corinna ist, gerät sie „in ein halb ohnmächtiges Schwanken“; Leopold kann sie dennoch halten und „trug die Mama bis ans Sofa“.266 Vom Sofa aus lehnt sie die Verbindung auf das entschiedenste ab. Ist Jenny das Sofa im Hause Schmidts noch zu weich, so scheint sie in ihrem eigenen Zimmer auf diesem eine geeignete Basis zu finden. Doch der Platz ist ebenso nur eine temporär gesicherte Grundlage für sie. Sobald nämlich Leopold das Zimmer verlassen hat, verlässt sie den konventionalisierten „Sofaplatz“,267 geht unruhig umher und schaut schließlich wieder durch das Fenster hinaus zur Plättnerin und auf das Leben, das sie einst selbst führte und an das sie sich nun einerseits sentimental erinnert, es andererseits konsequent abwehrt, indem sie ihrem Sohn die Verbindung verbietet, der sie sich selbst auch entzogen hatte. Das störende Eindringen Leopolds in ihren Raumbereich erweist sich damit auch als erzählerische Unterstützung für die Demonstration der Fragilität ihres Lebensentwurfes.

261 Fontane: Werke, Schriften und Briefe. Abt. I, Bd. 4, S. 429. 262 Zum Fenster in Frau Jenny Treibel vgl. auch Bae: Erfahrung der Moderne, S. 89f. 263 Fontane: Werke, Schriften und Briefe. Abt. I, Bd. 4, S. 430. 264 Ebenda. 265 Ebenda. 266 Ebenda, S. 431. 267 Ebenda, S. 434.

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Jenny will im Folgenden Wilibald Schmidt zur Rede stellen und besucht diesen wiederum in seiner Wohnung. Wieder spielt das ungeliebte Sofa eine Rolle, denn er „bat sie, auf seinem Sofa, dessen tiefste Kesselstelle durch ein großes Lederkissen einigermaßen applaniert war, Platz zu nehmen. Er selber nahm einen Stuhl, setzte sich ihr gegenüber […]“.268 Die ironische Erzählweise269 bezüglich des Kissens mag auch dem Konversationsstil von Wilibald entsprechen, wenn dieser schließlich seine Tochter als „Angeklagte“ auf einen Stuhl in der „Fensternische“ platziert und fragt, ob Corinna „in dem ganzen Junkerübermut einer geborenen Schmidt, einen friedlich und unbewaffnet seines Weges ziehenden Bürgersohn, namens Leopold Treibel, seiner besten Barschaft beraubt“ habe.270 Mittels der Konstellation der Möbel und der Art des Sitzens wird Jenny in ihrer eigenen Widersprüchlichkeit als geborene Bürstenbinder wiederum entlarvt.271 Die Verbindung zwischen Leopold und Corinna gelingt nur im Freien, während der Landpartie im Moment der geheimen Verlobung. Unter den gesellschaftlichen Bedingungen, die auch durch das Wohnen ihren Ausdruck finden, funktioniert sie nicht; schließlich beschränkt sich die Verbindung auf Briefe von Leopold, an denen Corinna immer mehr das Interesse verliert. Stattdessen etabliert sich ein Umdenken zu Gunsten ihres Vetters Marcell, der schon lange als möglicher Ehepartner im Gespräch gewesen ist. Dass einer Hochzeit mit Marcell am Ende nichts im Wege steht, wird nun auch durch eine Raumbeschreibung kontrastiv zum Vorhergehenden deutlich. Marcell betritt die Wohnung Schmidts, der ihm den Weg weist: „Corinna sitzt drüben in ihrem Zimmer und wartet auf dich, und ich denke mir, es wird wohl das beste sein, ihr macht es untereinander ab […].“272 Daraufhin tritt Marcell in das Zimmer Corinnas ein. Der Eintritt in Corinnas Wohnbereich verdeutlicht sogleich die gelingende Intimität, kommt sie ihm doch „herzlich und freundlich entgegen“; der Raum gewinnt auch an Intensität, da nicht eine Perspektive des Hinaussehens etabliert wird, sondern eine angenehme innerliche, weil der „Abendschein ins Zimmer“ fällt.273

268 Ebenda, S. 444f. 269 Gerade Belgum stellt die Bedeutung der Ironie in der Darstellung der Inneneinrichtung in Frau Jenny Treibel heraus, vgl. Belgum: Interior Meaning, S. 164–167. 270 Fontane: Werke, Schriften und Briefe. Abt. I, Bd. 4, S. 446. 271 Zum Sprachspiel dieser Szene vgl. auch Schnell: Verkehrte Welt, S. 110. 272 Fontane: Werke, Schriften und Briefe. Abt. I, Bd. 4, S. 470. 273 Ebenda.

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Eine räumliche Parallele folgt im unmittelbaren erzählerischen Anschluss: Am nächsten Tag hat bereits eine Karte über die neuen Ereignisse Treibel informiert, die auch ihn zu einem Raumwechsel animiert, der auf seine Weise ebenfalls eine Harmonie kennzeichnet. Treibel geht ins „Damenzimmer“274 zu Jenny und eröffnet ihr den Inhalt: Jenny ist zufrieden und auch der bereits von Jenny anvisierten Hochzeit zwischen Leopold und Hildegard Honig steht jetzt nichts mehr im Wege: „Dieser Tag bedeutete zwei Verlobungen.“275 Die baldige Hochzeitsfeier von Corinna und Marcell endet für die Vermählten mit dem typischen, unmittelbaren Aufbruch in die Hochzeitsreise,276 die Feier selbst findet für die verbliebenden Gäste dann nochmals ihren Höhepunkt mit dem Vortrag des Liedes von Schmidt durch Krola. Die auch als Frage lesbare Zeile des Liedes „Wo sich Herz zum Herzen find’t“277 ist inzwischen beantwortet: Corinna und Marcell finden sich in ihrem Zimmer, die Hochzeit von Leopold und Hildegard wird in der Raumzone Jennys geschlossen. Den Abschluss des Romans bildet der berühmte Kommentar von Wilibald Schmidt zur modischen Zugreise der Jungvermählten. Zumindest für ihn erscheint dieser sich bewegende Raum als unnatürlich; zu seinen Freunden sagt er letztlich, womit auch der Text des Romans endet: „Wir wollen nach Hause gehen.“278 Der statische Wohnraum wird hier also einem typischen Raum des Fortschritts der Moderne gegenübergestellt. Dieser Zwiespalt korrespondiert und unterstützt erzählerisch den explizit ironisch-kritischen Blick auf das Leben durch Wilibald Schmidt: „Geld ist Unsinn, Wissenschaft ist Unsinn, alles ist Unsinn. Professor auch.“279 Der frühe Berliner Gesellschaftsroman L’Adultera handelt ebenso von der bürgerlichen Welt und ihrer Wohnkultur. Sehr deutlich wird auch hier das erzählte Wohnen zum erzählerischen Mittel der Inszenierung der Handlung und der Themen des Romans. Dies zeigt sich zum Beispiel anhand der Gegenüberstellung der sehr ausführlichen Berliner Topographie im Roman im Gegensatz zur sehr kurz geschilderten, wenn auch für den Romanverlauf wichtigen Flucht Melanies nach Rom und Venedig. Es konnte bereits an anderer Stelle gezeigt werden, inwiefern die knappen Venedig-Schilderungen im Dienst der ausführli-

274 Ebenda, S. 472. 275 Ebenda, S. 473. 276 Vgl. diesbezüglich zu den verschiedenen Bräuchen in Europa Martin-Fugier: Riten der Bürgerlichkeit, S. 250f. 277 Fontane: Werke, Schriften und Briefe. Abt. I, Bd. 4, S. 477. 278 Ebenda, S. 478. 279 Ebenda, S. 477f.

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chen Wohnraum-Darstellungen in Berlin stehen.280 Im Folgenden soll der Schwerpunkt daher auf der Analyse der Glücksgeschichte281 Melanies liegen, die trotz des Ehebruchs, der Trennung von ihrem Mann und den Kindern aus dieser Ehe sowie eines gesellschaftlichen Abstieges am Ende als positive, ja glückliche Frau an der Seite Rubehns gezeichnet wird. Das Ende dieser skandalösen Geschichte282 wird in der Fontane-Forschung häufig als trivial bzw. wenig gelungen verstanden.283 Aus der Perspektive einer Analyse des Wohnens kann jedoch gezeigt werden, inwieweit das glückliche Ende sich insgesamt kohärent formt.284 Der Roman endet – natürlich symbolträchtig – am Weihnachtsabend, ein letztes Mal erreicht van der Straaten Melanie bzw. die Wohnung. In einem Geschenk, einem Gravensteiner Apfel, von van der Straaten verborgen, findet Melanie ein Medaillon mit einem Tintoretto-Bildchen285 von der Ehebrecherin. Melanie nimmt diese Anspielung von van der Straaten an ihre gemeinsame Geschichte und das entsprechende Bild in seiner Wohnung gelassen auf, ja sie interpretiert dieses Geschenk auch als Teil der Versöhnung mit van der Straaten. Entscheidend ist die programmatische Verkleinerung des Bildes in dem Geschenk und damit auch der impliziten Schuld. Nicht nur van der Straaten, auch die übrige Gesellschaft findet inzwischen anerkennende Worte für die kleine Familie um Melanie und Rubehn: „Man kümmerte sich wieder um sie […], [und die ehemals Schadenfrohen] bequemten sich jetzt, sich mit dem hübschen Paar zu versöhnen […].“286 Die Lebensweise von Melanie und Rubehn hat sich (wie das Medaillon) räumlich verkleinert und doch in ihrem Potential erweitert, wie Melanie nach dem Erhalt über die Nachricht vom finanziellen Zusammenbruch von Rubehns Familie feststellt: „Ein neues Leben! Und das erste ist, wir geben diese Wohnung auf und suchen uns eine bescheidenere Stelle. Mansarde klingt freilich anspruchslos genug, aber dieser Trumeau und diese Bronzen sind um so anspruchsvoller. Ich habe nichts gelernt, und das ist gut, denn wie die meisten, die nichts gelernt haben, weiß ich allerlei. Und mit Toussaint

280 Vgl. dazu weiterführend Wichard: Berliner Wohnräume. 281 Vgl. Caviola: Zur Ästhetik des Glücks; sowie Mende: Frauenleben, S. 206–210. Vgl. auch grundlegend zum Roman Müller-Seidel: Theodor Fontane, S. 166–181. 282 Vgl. zum stofflichen Hintergrund zusammenfassend Aust: Realismus, S. 57–60. 283 Vgl. z.B. Demetz: Formen des Realismus, S. 135; Grawe: L’Adultera, S. 527f. Zur Struktur und Textgenese vgl. ergänzend Radecke: Vom Schreiben zum Erzählen. 284 Vgl. Wichard: Berliner Wohnräume. 285 Vgl. insgesamt zu Tintorettos Gemälde Doebling: Gemäldekopie. 286 Fontane: Werke, Schriften und Briefe. Abt. I, Bd. 2, S. 137.

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L’Ouverture fangen wir an, nein, nein, mit Toussaint-Langenscheidt, und in acht Tagen oder doch spätestens in vier Wochen geb’ ich meine erste Stunde. Wozu bin ich eine Genferin! […]“287

Mit großer Selbstverständlichkeit wird ein Neubeginn im Leben mit einer neuen Wohnung verknüpft. Die Einrichtung und die Wohnungsart werden dabei zunächst primär als finanzielle Indikatoren etabliert. Eine Mansarde, wenn auch „ebenso reich wie geschmackvoll eingerichtet“,288 ist weit weniger repräsentativ als die Stadtwohnung oder Villa van der Straatens, und doch empfindet Melanie die Bronzen in der Wohnung, besonders aber einen Trumeau als Luxus. Sie selbst – verheiratet mit dem wohlhabenden van der Straaten – stammt aus einem verarmten Adelsgeschlecht. Da es sich bei einem Trumeau um einen vornehm verzierten hohen Spiegel, oft zwischen den Fenstern hängend, handelt, wird der Spiegel auch zu einem selbstreflexiven Medium, was zugleich als Anspielung auf die reflektierte und am Leben ausgebildete Äußerung Melanies zu werten ist.289 Die bekannteste Selbstreflexion Melanies wird bereits zu Beginn des Romans erzählt, wenn sie aus dem Fenster der Stadtwohnung van der Straatens auf das lebendige wie tätige Marktgeschehen vor dem Haus schaut und zugleich „beim Anblick dieses Flockentanzes“ des Schnees wehmütig „Sehnsucht überkam“.290 Kurz darauf wird als augenfälligstes Symbol die Tintoretto-Kopie ins Haus gebracht. Wichtig für den hier verfolgten Zusammenhang ist dabei besonders, dass Melanie nach ihrem Blick auf das aktive Leben sich „vom Fenster her ins Zimmer zurückwenden“ möchte, stoppt aber, als der Wagen mit dem Bild heranfährt.291 Noch ist Melanie in den Lebens- und Wohnstrukturen van der Straatens bzw. des großbürgerlichen Lebens verfangen, das sie zunächst selbst gesucht hat. Am Ende des Romans, kurz vor dem Auszug aus der Mansardenwohnung mit Rubehn, ermöglicht die Reflexion auf die eigene Person aber auch die Perspektive auf eine eigene neue Tätigkeit. Dabei unterstützt nicht nur die Erwähnung der historischen Person Toussaint L‘Ouverture diesen Effekt, weil dieser gebildet und freiheitskämpfend war, sondern auch sein Name L‘Ouverture

287 Ebenda, S. 134f. 288 Ebenda, S. 111. 289 Schürmann hat den „Trumeau oder Pfeilerspiegel“ als typischen Einrichtungsgegenstand bei Theodor Fontane bestimmt; Schürmann: Tickende Gehäuseuhr, S. 127f., Zitat: S. 127. 290 Fontane: Werke, Schriften und Briefe. Abt. I, Bd. 2, S. 11 291 Ebenda. Vgl. auch Grawe: Führer durch Fontanes Roman, S. 323f.

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ist Programm, folgt doch die Entscheidung von Rubehn und Melanie, endgültig einen neuen Weg (mit einer neuen Wohnung) einzuschlagen.292 Nach dieser fast impulsiven Entscheidung des Auszugs folgt tatsächlich eine Rückwendung in einen Raum, aber mit ganz anderem Vorzeichen: „Und sie schlug in seine Hand und zog ihn unter Lachen in das Nebenzimmer […].“293 Die neue „schlichtere“294 Wohnung wird zuletzt wenig im Detail beschrieben. Wohnung und Leben erscheinen nun als versöhnt und harmonierend, so dass auch mit dem erzählten Wohnen keine Einzelheiten mehr eine funktionale Vieldeutigkeit erhalten müssen, das Wohnen wird entsprechend ‚dethematisiert‘.295 Gerade aber in den Konflikt- und Wendephasen des Romans, in denen Melanies Glück auf der Probe steht, entfalten sich die Wohndiskurse dominant. Als erstes Beispiel soll hierfür die Wiedersehensszene mit ihren Kindern aus der Ehe mit van der Straaten, Lydia und Heth, dienen. Melanies Weg zur Wohnung der Schwester wird detailliert beschrieben: Das Wetter ist sonnig und sie freut sich an der „knospenden Natur“,296 schließlich erreicht sie einen Platz nahe der Alsenstraße und der Wohnung von Schwester und Schwager. Dort steht ihr noch einmal der grußlose Abschied von ihren Kindern vor Augen, doch fühlt sie sich auch im Recht: „Ein trotziger Stolz, der neben aller Weichheit in ihrer Natur lag, regte sich wieder, und sie ging rasch auf das Gryczinskische Haus zu.“297 Kann sie sich zunächst sanft an dem Berliner Grün wie dem Tiergarten erfreuen, nimmt sie sich zusammen, um die Barriere des Hauses zu durchdringen. Am Eingang erwartet sie zuerst ein gesellschaftlicher Kommentar. Die Portiersfamilie weiß bereits „auf dem Hintertreppenweg“ Bescheid und wartet nun gespannt in der „halbgeöffnete[n] Souterraintür“; Melanie empfindet sich sogleich als „A nine-days-wonder!“.298 Hier wird das Haus zum einen als gesellschaftlicher Zentralpunkt inszeniert, indem die Stimme des Personals integriert wird, zum anderen werden gerade hierfür die relativ öffentlichen Verkehrswege eines Hauses in Gebrauch genommen, schließlich ist auch das Souterrain Teil des Hauses. Melanie betritt – ohne dass es extra erwähnt werden muss – das Haus über den zentralen Eingang: „Und nun stieg sie hinauf und klingelte.“299 Der

292 Vgl. Mende: Frauenleben, S. 204. 293 Fontane: Werke, Schriften und Briefe. Abt. I, Bd. 2, S. 135. 294 Ebenda. 295 Vgl. S. 13 dieser Arbeit. 296 Fontane: Werke, Schriften und Briefe. Abt. I, Bd. 2, S. 124. 297 Ebenda. 298 Ebenda. 299 Ebenda.

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Raum, den die beiden Schwestern sowie Riekchen betreten, ist typischerweise das „Wohn- und Empfangszimmer“, das allerdings in der Beschreibung der Stimmung und den folgenden Ereignissen angepasst ist: Mit dem Erzähler und den Protagonistinnen betritt auch der Leser den Raum und es „war ein großer und luftiger, aber im Verhältnis zu seiner Tiefe nur schmaler Raum, dessen zwei große Fenster (ohne Pfeiler dazwischen) einen nischenartigen Ausbau bildeten.“300 Scheinbar wird ein Bühnenraum beschrieben; die Szenerie wird entsprechend auch von Melanies Schwester als eine „dramatische[…] Matinee“ wahrgenommen.301 Die Stimmung wird gespannt geschildert, so dass man sich von dem Erzähler in die Innenperspektive Melanies versetzt fühlen darf. Sensibel nimmt sie jedes Detail der Wohnung auf, sucht Spuren und Anzeichen, um das Kommende vorab rekonstruieren zu können: „Etwas Feierliches herrschte vor, und die roten, von beiden Seiten her halb zugezogenen Gardinen gaben ein gedämpftes, wundervolles Licht, das auf den weißen Tapeten reflektierte. Nach hinten zu, der Fensternische gegenüber, bemerkte man eine hohe Tür, die nach dem dahintergelegenen Eßzimmer führte.“302

Schließlich wird der Raum belebt: „Melanie nahm auf einem kleinen Sofa neben dem Fenster Platz, die beiden andern Damen mit ihr […].“ Zuletzt dringt Musik von einem Garderegiment ein, bis zu dem Moment, in dem die „große Flügeltür“ geöffnet wird, die Musik verstummt und die Kinder sichtbar werden.303 Diese bleiben jedoch an der Tür stehen, Melanie muss herbeilaufen. Doch Tochter Heth lehnt Melanie scharf ab und kehrt mit der anderen Schwester sogleich um. So kurz die Begegnung von Melanie und ihren Kindern gewesen ist, so bricht nun auch die Raumschilderung ab: „Melanie war ohnmächtig zusammengesunken.“304 Mit der Ohnmacht endet auch ihre Raumwahrnehmung – und auch nachdem sie wieder zu sich gekommen ist, schenkt der Erzähler der Wohnung entsprechend keine Beachtung mehr. Später wird Fontane in Effi Briest ein ähnliches Erzählverfahren wählen, wenn er die bekannte Wiedersehensepisode von Effi mit Annie inszeniert; die

300 Ebenda, S. 124f. 301 Ebenda, S. 125. 302 Ebenda. Zum Verhältnis von (kriminalistischen) Spuren und Möbeln bei Fontane vgl. weiterführend Schürmann: Dingwelten. 303 Fontane: Werke, Schriften und Briefe. Abt. I, Bd. 2, S. 125. 304 Ebenda, S. 126. Vor dem Hintergrund der Qualitätsdiskussion um L’Adultera vgl. auch die Diskussion zu dieser Szene bei Mittenzwei: Sprache als Thema, S. 47f.

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allerdings in Effis Wohnung verortet wird. Nachdem Effi von der Ministerin erfährt, dass die Tochter mittags kommen würde, ist Effi äußerst angespannt, was sich auch räumlich zeigt: „[…] Effi schritt in Unruhe durch beide Zimmer und dann wieder in die Küche […].“305 Das „Guckloch“ der Wohnungstür wird zum vorsichtigen Durchsichtspunkt, bevor Roswitha Annie die Tür öffnet, die dann von ihr „vom Korridor her erst in die Hinterstube und dann bis an die nach vorn führende Tür“ geleitet wird. Wieder wird die Begegnung in einem Wohnraum als Bühnenraum dargestellt: „Effi stand am anderen Ende des Zimmers, den Rücken gegen den Spiegelpfeiler, als das Kind eintrat.“306 Aber Annie nähert sich ebenfalls nicht, bleibt an der Zimmertür stehen, so dass Effi auf sie zukommen muss. Das Gespräch verläuft für Effi bekanntlich ernüchternd, sie schickt Annie zurück, die von ihrem Vater lediglich die eingeprägten Antworten hervorbrachte. Das Kapitel endet mit einem anklagenden Monolog Effis, die Roswitha anschließend „wie leblos“ auf dem Boden vorfindet.307 Ähnlich wie in L’Adultera wird die Begegnung bewusst mittels räumlicher Markierungen und Grenzen dargestellt. Nach dem Treffen wird dieses Verfahren sogleich reduziert. Roswitha soll mit Annie hinausgehen: „Und nun gingen beide.“ Nur noch die Tür, die „ins Schloß gezogen“ wird, wird gehört (und erwähnt).308 Das Schauspiel ist vorbei, die Rede und die ohnmachtsähnliche Ermattung Effis beendet auch ihre Rolle in dem Wohndrama. In einer weiteren Konfliktphase wird der Wohnraum in L’Adultera als inszenatorisches Mittel des Erzählens funktionalisiert – und zwar in der Abschiedsszene zwischen Melanie und van der Straaten. Melanie plant nachts aufzubrechen und mit Rubehn nach Italien zu reisen. Mitten in den nächtlichen Vorbereitungen tritt van der Straaten in ihren Schlaf- und Wohnbereich. Es folgt ein langes Gespräch, in dem van der Straaten seine Noch-Ehefrau überzeugen möchte, bei ihm zu bleiben. Interessant ist dabei zunächst, dass van der Straaten im engeren Wohnbereich sie als eine Form des Gastes ‚besucht‘. Melanie wird dadurch symbolisch eine Eigenständigkeit zugesprochen, die mit ihrer weiteren Lebensplanung als aktive Frau, die selbst entscheidet, was für sie richtig ist, korrespondiert. Außerdem wird die Gesprächssituation in ein feines SitzArrangement eingebettet, das auf diese Weise Ton und Stil des Gesprächs zwischen beiden fortschreibt.

305 Fontane: Werke, Schriften und Briefe. Abt. I, Bd. 4, S. 272. 306 Ebenda. 307 Ebenda, S. 275. 308 Ebenda, S. 274.

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Dies wird bereits im Kapitel „Die Vernezobres“ vorbereitet:309 Melanie lässt sich von Christel wecken und beauftragt sie, ihre Tasche zu packen: „Melanie hatte, während sie so sprach, ihre Hände dicht über das halb niedergebrannte Feuer gehalten. Denn es war kalt, und sie fröstelte. Jetzt setzte sie sich in einen nebenstehenden Fauteuil und sah abwechselnd in die glühenden Kohlen und dann wieder auf Christel […].“310 Langsame, wenige Bewegungen macht Melanie in dieser nachdenklichen Stimmung. Das Feuer und der Stuhl scheinen ihr noch einmal einen Ruhepunkt im Raum zu ermöglichen, von dem sie auch die anschließende Geschichte der Vernezobres, der vormaligen Dienstherren Christels anhört, die in eine den van der Straatens vergleichbare Ehekonstellation geraten sind. Doch Melanie hört sich die vorgebrachte Lösung von Christel nur „mit halber Aufmerksamkeit“311 an. Der Erzähler stellt im Anschluss an die Figurenrede Christels rückblickend fest: „Melanie hatte, während Christel sprach, ein paar Holzscheite auf die Kohlen geworfen, so daß es wieder prasselte […].“ Und Melanie erwidert Christel: „Aber so geht es nicht. Ich bin doch anders.“312 Kurz darauf betritt schließlich van der Straaten überraschend das Zimmer (Kapitel: „Abschied“), so dass Christel den Raum verlässt. Van der Straaten kommt nicht als „der empörte Mann, sondern der liebende“ – eine Einstellung, die sich auch in der Raumkommunikation niederschlägt: „Er schob einen Fauteuil an das Feuer, ließ sich nieder, so daß er jetzt Melanie gegenübersaß, und sagte leicht und geschäftsmäßig: ‚Du willst fort, Melanie?‘“313 Im sich entwickelnden Gespräch will van der Straaten Melanie davon überzeugen, dass ihre Liebessehnsüchte nach Rubehn vergehen würden, er im Übrigen kein „Spießbürger“ sei und von ihr auch für die Zukunft nichts verlangen würde, „nicht einmal Entsagungen“. Er verweist auf die bisherigen Ehejahre und akzeptiert das Geschehene als verzeihlich.314

309 Vgl. zur Ironie in den Gesprächen in der Abschiedsnacht weiterführend Mittenzwei: Sprache als Thema, S. 43–49. Vgl. auch Jung: Bildergespräche, S. 201–210. 310 Fontane: Werke, Schriften und Briefe. Abt. I, Bd. 2, S. 94. 311 Ebenda, S. 95. Grawe kommentiert Christels Geschichte: „Bei den Vernezobres hatte die zwanzig Jahre jüngere Frau ihren Mann nach einer Affäre nicht verlassen, aber der Vergleich mit der gefühlsarmen Frau verkennt Melanies menschliche Substanz.“ Grawe: Führer durch Fontanes Romane, S. 79. 312 Fontane: Werke, Schriften und Briefe. Abt. I, Bd. 2, S. 95. 313 Ebenda, S. 97. 314 Ebenda, S. 98f.

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Unterbrochen werden die Figurenreden mehrfach von kurzen Hinweisen auf die Konstellationen im Raum: Zunächst rückt van der Straaten „den Fauteuil vertraulich näher“,315 und dann unterbricht der Erzähler die Rede, um doch noch eine verborgene Emotionalität van der Straatens zu codieren: „Er war aufgestanden und hatte die Lehne des Fauteuils genommen, auf der er sich jetzt hin und her wiegte.“ Der unmittelbar folgende Redebeitrag von ihm endet entsprechend energisch: „Du kannst jetzt nicht gehen; nicht jetzt.“ Melanie jedoch fordert Klarheit, sie will keine „schnöde Lüge“ mehr: „Er ließ den Stuhl wieder nieder und warf sich hinein, und einen Augenblick war es ihm, als schwänden ihm die Sinne.“316 Beide Eheleute sitzen, und Melanie entfaltet ihre entscheidenden Gegenargumente aus dieser Position heraus. Sie möchte – so stellt der Erzähler ihr Inneres dar – kein „Gnadengeschenk“ und kritisiert van der Straatens Unverbindlichkeit, sie sagt selbst: Alles habe „seine natürliche Konsequenz“ und „Schuld ist Schuld“. Doch dann gibt Melanie ihrer Rede nochmals einen Akzent: „Ich will fort, nicht aus Schuld, sondern aus Stolz, und will fort, um mich vor mir selber wieder herzustellen.“317 Diese Argumentation erfolgt jedoch aus einer vorherigen Änderung der Sitzkonstellation: „Sie schwieg einen Augenblick und bog sich rechts nach dem Kamin hin, um ein paar Kohlenstückchen in die jetzt hellbrennende Flamme zu werfen. Aber plötzlich, als ob ihr ein ganz neuer Gedanke gekommen, sagte sie mit der ganzen Lebhaftigkeit ihres früheren Wesens: […].“318 Wie zuvor im Gespräch mit Christel folgt dem symbolischen Nachlegen der Kohle eine deutliche Abgrenzung dem Gesprächspartner gegenüber und damit die Festigung einer eigenen, selbstbestimmten Identität. Hiervon lässt sich Melanie nicht mehr abbringen. Am Ende des Gesprächs erhebt sich schließlich van der Straaten, geht auf sie zu; sie lässt sich noch ihre Hand nehmen, einen Kuss auf die Stirn duldet sie jedoch nicht mehr. Der einzige räumliche Widerstand, der noch bleibt, ist die „Tapetentür“, „die zu der Kinderschlafstube führte“: „Aber sie bezwang sich und schüttelte nur den Kopf und ging auf Tür und Flur zu.“319 In ihrem Schlaf- und Wohnraum bleibt van der Straaten allein zurück. Anhand dieser entscheidenden Abschiedsszene zeigt sich, wie der Wohn-

315 Ebenda, S. 98. 316 Ebenda, S. 99. 317 Ebenda, S. 101. Zur zentralen Frage der Schuld und ihrer kommunikativen Motivierung vgl. ergänzend Mittenzwei: Sprache als Thema, S. 45. 318 Fontane: Werke, Schriften und Briefe. Abt. I, Bd. 2, 101. 319 Ebenda, S. 102f.

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raum und hier vor allem das Mobiliar zu bedeutenden Funktionsträgern des Erzählens werden, zu einem Spiel mit und in Wohnräumen.320 In einem weiteren Beispiel soll nochmals das Spiel mit den bürgerlichen Raumfunktionen aufgegriffen werden, und zwar – um noch ein Stück weiter an den Anfang des Romans zurückzukehren – das Gespräch, in dem van der Straaten Melanie über die Ankunft Rubehns informiert. Bevor das gemeinsame Gespräch beginnt, wird ausführlich Melanies Zimmer beschrieben: „Dieses Zimmer entsprach in seinen räumlichen Verhältnissen ganz dem ihres Gatten, war aber um vieles heller und heiterer, einmal weil die hohe Paneelierung, aber mehr noch, weil die vielen nachgedunkelten Bilder fehlten.“321 Das Zimmer wird somit heiterer und offener gezeichnet als das „hochpaneelierte[…] Wohn- und Arbeitszimmer“322 von van der Straaten, in dem das bekannte präfigurierende Gespräch über die Tintoretto-Kopie des berühmten Ehebrecherin-Bildes geführt wird. In Melanies Zimmer hängt ein Porträt von ihr selbst, wie sie auf einem Mohnfeld Blumen pflückt; ein Kakadu in seinem Käfig ist Zimmergenosse Melanies und „Hyazinthenestraden“ stehen „tief in den Fensternischen“.323 In diese bürgerliche Wohnwelt, wie sie typisch für das späte 19. Jahrhundert ist, dringt Melanies späterer Mann Rubehn ein – vermittelt durch van der Straaten. Sorgfältig inszeniert van der Straaten selbst seine Aufwartung in Melanies Zimmer, in ritterlicher, wenn auch humoresker Manier meldet er sich zuvor bei seiner Ehefrau aus adligem Hause an, um ihr dort die verhängnisvolle „Bagatelle“ mitzuteilen, dass Rubehn, der geschäftlich nach Berlin kommen wird, zum neuen „Hausgenossen“ werden wird.324 Der Dialog verläuft anspielungsreich im typischen Eheton von Melanie und van der Straaten; letztlich scheint Melanie über die bevorstehende Abwechslung nicht abgeneigt: „Ah, der gefällt mir. Er hat etwas Distinguiertes: Offizier in Zivil oder Gesandtschaftsattaché!“325 Vor der Mitteilung der Neuigkeit ist wiederum die Anordnung der Sitzmöbel aufschlussreich. Nach dem Eintreten van der Straatens ins Zimmer begleitet er

320 Wessels hat auf die langen Figurenmonologe während des Ehegesprächs hingewiesen, die ein Indiz für eine fehlende kommunikative Basis seien (vgl. Wessels: Konvention und Konversation, S. 173.). Die nonverbale ‚Wohnkommunikation‘ steht dazu nicht im direkten Widerspruch, offenbart aber doch eine Dynamisierung der Kommunikation. 321 Fontane: Werke, Schriften und Briefe. Abt. I, Bd. 2, S. 17. 322 Ebenda, S. 10. 323 Ebenda, S. 17. 324 Ebenda, S. 18. 325 Ebenda, S. 20.

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Melanie an ihren „Sofaplatz“: „Dann schob er einen Fauteuil heran und setzte sich neben sie. Die Feierlichkeit, mit der all dies geschah, machte Melanie lachen.“326 Bereits in dieser Szene, in der zum ersten Mal von Rubehn die Rede ist, werden die Einrichtung und die Bewegungen in der Wohnwelt spielerisch erprobt. Bei der Abschiedsszene der Eheleute erreicht van der Straaten durch das bewusste Heranrücken des Stuhles an Melanie keine humorvoll-ironische und dabei vertrauliche Stimmung. Wie geschildert, bleibt am Ende der Abschiedsszene van der Straaten in Melanies Schlafraum allein zurück; am Anfang des Romans schicken sich beide noch an, bei „Haas“, einer Filiale dieses Wiener Fabrikanten für Teppiche und Möbelstoffe, „Teppiche an[zu]sehen“.327 Im Moment, als sich Rubehn ankündigt, und sich damit die Wege für das Ehepaar van der Straaten zu trennen beginnen, suchen sie ironischerweise noch einen Teppich, der sie beide tragen soll. Am entscheidenden Wendepunkt in der Beziehung von Melanie und Rubehn, als er ihr nämlich niedergeschlagen seinen Bankrott mitteilt, kommt es schließlich – wenn auch etwas melodramatisch – zu einer Umarmung, die auch die Möbelgrenzen überschreiten lässt: Melanie kommt aus der österlichen Kirche in der Wohnung an, „er ging ihr entgegen und nahm ihre Hand und führt sie nach ihrem Sofaplatz“.328 Dies folgt also ganz dem traditionellen Schema, wie er auch bei van der Straaten vom Erzähler berichtet wird. Die sehr bewegte Melanie allerdings, als sie das Schlimmste befürchtet, „sprang auf und lief auf ihn zu und warf sich vor ihm nieder und legte beide Arme auf seine Knie: ‚Sage mir, was es ist! Habe Mitleid mit mir, mit meinem armen Herzen. […].‘“329 Als sie endlich erfährt, dass Rubehns distanziertes Verhalten allein aus der finanziellen Lage rührt und nicht aus Mangel an Liebe, „hatte sie sich schon in einem wahren Freudenjubel erhoben und ihn umarmt und geküßt und wieder umarmt“. 330 Ihr Aufstehen ist nicht nur ein österlicher Verweis auf den Beginn ihres neuen Lebens. Die Szene ist zudem eine literarische Allusion. Bekanntlich enthält L’Adultera zahlreiche Anspielungen auf Goethes Wahlverwandtschaften,331 aber in diesem Fall wird man auch an den Werther erinnert. Als Lotte Werther allein im Zimmer zurücklässt, „lag [er] an der Erde, den Kopf auf dem Canapee, und in

326 Ebenda, S. 18. 327 Ebenda, S. 21. Vgl. Art. Haas, Philipp – In: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Bd. 8, S. 582. 328 Fontane: Werke, Schriften und Briefe. Abt. I, Bd. 2, S. 131. 329 Ebenda. 330 Ebenda, S. 132. 331 Vgl. zum Beispiel Plett: Die Kunst der Allusion, S. 148–151.

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dieser Stellung blieb er über eine halbe Stunde, biß ihn ein Geräusch zu sich selbst rief“.332 Melanie ist in diesem Zusammenhang eine positive Gegenfigur zu Werther; das Sitzmöbel ihr gegenüber wird nicht leer, sie steht auf und kann auf eine erfüllte Liebe hoffen. Das Wohn- und Sitzdrama geht bei ihr positiv aus. Von der letzten Wohnung Melanies und Rubehns erfährt der Leser – wie zuvor erläutert – nicht viel; das Wohnen hat sich ‚dethematisert‘,333 kein Lebensbruch wird mehr geschildert, insofern verliert eine detaillierte Wohnraumdarstellung, wenn sie nicht nur eine Abbildungsfunktion haben soll, an Notwendigkeit. Wie Wilhelm Meister findet Melanie am Ende des Romans ihr Wohn-Glück. Schon der relativ frühe Berlin-Roman L’Adultera zeigt auf, wie die Wohndiskurse bei Fontane einerseits Teil der offensichtlichen wie dichten Wohnraumdarstellung sind, andererseits stets strukturierende, charakterisierende, symbolische Funktionen haben und auch auf diese Weise zum narrativen Teil von Fontanes Poetik werden.

3.5 R EALISTISCHE E RZÄHLEXPERIMENTE

DES W OHNENS (Storm: Ein Doppelgänger, Der Schimmelreiter, Raabe: Stopfkuchen)

Rahmenerzählungen haben die „Funktion gehabt, die pragmatische Situation des Erzählens selbst zum Objekt der Narration zu machen“.334 Diese Selbstthematisierung des ‚realistischen‘ Schreibens – gerade der älteren Autorengeneration des Spätrealismus – zeugt von seiner Modernität. In der neueren Forschung zu Theodor Storms Der Schimmelreiter wird wiederholt auf den brüchigen bzw. experimentellen Charakter der Erzählkonstruktion in Storms Novelle hingewiesen, so formuliert etwa Albert Meier: „Der Schimmelreiter sprengt gewissermaßen den Rahmen des realistischen Erzählens gewohnter Art, weil es nicht länger bloß um die soziale, ethische oder lokale Problematik des Stoffs geht, sondern mindestens ebenso um die Bedingungen der Möglichkeit allen Erzählens […].“335 Im Folgenden soll anhand von Storms späten Novellen Der Doppelgänger und Der Schimmelreiter verdeutlicht werden, wie gerade das Wohnen zum Bedeutungs- bzw. Funktionsträger im selbstreflexiven Spiel des Realismus wird,

332 Goethe: Sämtliche Werke, I. Abt., Bd. 8, S. 246. Vgl. S. 100f. dieser Arbeit. 333 Vgl. S. 13 dieser Arbeit. 334 Plumpe: Gedächtnis und Erinnerung, S. 74. Vgl. ebenda insgesamt auch seine Ausführungen zu Storms Doppelgänger. 335 Meier: Wie kommt ein Pferd nach Jevershallig, S.176.

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der besondere Fokus wird hierbei auf der Rahmenerzählung liegen.336 Im Anschluss folgt eine entsprechende Kontextualisierung der mehrdeutigen Erzählkonstruktion in Wilhelm Raabes Stopfkuchen aus der Perspektive der Wohndiskurse. Der Doppelgänger von Theodor Storm ragt insbesondere wegen der Thematisierung der Geschichte von John Hansen, der als ehemaliger Straftäter keine Integration mehr in die Ortsgemeinschaft erlangt, aus dem sonstigen Werk Storms heraus. Eine mögliche Lektüre sei entsprechend eine soziologische,337 wodurch dem Text auch wegen seiner zeitlichen Nähe zum Naturalismus Rechnung getragen wird.338 Der Rahmen handelt von einem Advokaten aus Norddeutschland, der in Thüringen einen Oberförster kennenlernt. In sein Haus eingeladen, trifft er dessen Frau Christine, die aus dem Heimatort des Advokaten stammt; dieser identifiziert sie bald als Tochter des John Hansen bzw. nach einem aufklärenden Gespräch mit dem Förster als Hans Glücksstadt, wie er als ehemaliger Zuchthäusler genannt wurde. Bedeutsam ist, wie die eigentliche Binnenerzählung eingebettet wird. Nachdem man sich im Forsthaus für die Nacht verabschiedet hat, steigt der Advokat die Treppe hinauf in sein Zimmer: „[…] ich trat an das offene Fenster und sah auf den Teich und auf die Wasserlilien, die wie Mondflimmer auf seinem dunklen Spiegel lagen; […] vor mein inneres Auge drängten abwechselnd sich zwei öde Orte […].“339 Bei den beiden Orten handelt es sich um einen Brunnen, in dem Hans Glückstadt tot gefunden wurde, und eine Kate, das „äußerste der kleinen Stadthäuser“, wo Hans mit seiner Tochter gelebt hat. Als Kind hat sich der bürgerliche Erzähler dieses ärmliche Haus als „Liliputer-Hause“ vorgestellt, wo er „hübsch […] ohne Eltern und ohne Lehrer würde wohnen“ können.340 Wenige Sätze nach diesen Erinnerungen beginnt endgültig die Binnenerzählung

336 Aust hat den erzählerischen Experimentalcharakter des Realismus betont, z.B. mit Bezug auf den Schimmelreiter, Aust: Realismus, S. 245–248. Jüngst zielt die Studie von Lars Korten in eine ähnliche Richtung, wenn er nicht die „literarische Wirklichkeit“, sondern die „literarische Künstlichkeit“ herausstellt: „Darstellung in den Novellen des Realismus kennzeichnet sich entschieden als Ergebnis eines ‚herstellenden Tuns‘ (gr. poiesis).“ Korten: Poietischer Realismus, S. 63. Vgl. auch Ort: Zeichen und Zeit, S. 20–49. 337 Vgl. als Teil verschiedener Lektürearten der Novelle Neumann: Ein Text und sein Doppelgänger. 338 Vgl. zum Beispiel Becker: Bürgerlicher Realismus, S. 292f. 339 Storm: Sämtliche Werke, Bd. 3, S. 531. 340 Ebenda, S. 531f.

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der Geschichte von Hans Glückstadt, an die sich der Erzähler in den geschilderten Details (Dialoge usw.) im eigentlichen Sinne nicht erinnern kann. Am Ende berichtet der Rahmenerzähler entsprechend: „– – – Mir kam allmählich das Bewußtsein, daß ich weit von meiner Vaterstadt im Oberförsterhause an dem offenen Fenster stehe […]. Ich zog meine Uhr: es war nach Eins! Das Licht auf dem Tische war tief herabgebrannt. In halbvisionärem Zustande – seit meiner Jugend haftete dergleichen an mir – hatte ich ein Menschenleben an mir vorübergehen sehen, dessen Ende, als es derzeit eintrat, auch mir ein Rätsel geblieben war.“341

Im Anschluss kann der Erzähler eigene Erinnerungen, Stimmen aus dem Brunnen, mit dem visionär Erlebten verknüpfen:342 Er glaubt, den damals in den Brunnen gefallenen Hans mit einer Geschichte in Verbindung bringen zu können: Ein anderer Junge habe nämlich den noch Lebenden als Spuk im Brunnen gehört. Zu der komplexen Erzählkonstruktion gehört weiterhin, dass der Advokat dieses nächtliche Erleben dem Oberförster berichtet: „ich erzählte ihm alles, jedes Einzelne, was in der vergangenen Nacht mir in Erinnerung und im eigenen Geiste aufgegangen war.“343 Und obwohl der Oberförster dies nicht zu Unrecht als „Poesie“344 einstuft, wird er wiederum seiner Frau die ganze Geschichte ihres Vaters erzählen, die ihn nicht nur als Zuchthäusler darstellt, sondern als Opfer der sozialen Umstände. Für Christine jedoch ist beides neu, da sie nur eine sehr selektive Erinnerung an den Vater hat, die auch nicht die Zuchthausgeschichte enthält. Erst so erfährt sie die Geschichte von ihrem Vater als „eine[m] ganzen Menschen“.345 Für die Waise Christine – ihre Mutter stirbt während eines tragischen Unfalls im elterlichen Haus – wird die Aufnahme in die bürgerliche Familie ihres Ehemanns zur Rettung. Die Eingliederung in das bürgerliche Leben, erzählerisch mit der Rahmenerzählung realisiert, scheint das soziale Elend ihrer Kindheit aufzuheben, wie kritisch zu dem Text angemerkt wurde,346 doch die „Eigenstruktur

341 Ebenda, S. 574. 342 Vgl. auch die Diskussion in der Studie von Korten, der nicht von Erinnerung sprechen möchte, weil der „Erzähler zu einem außenstehenden Betrachter einer gleichsam automatisierten Geschichte“ wird. Korten: Poietischer Realismus, S. 196. 343 Storm: Sämtliche Werke, Bd. 3, S. 577. 344 Ebenda. 345 Ebenda, S. 579. 346 Vgl. die Diskussion bei Fasold: Theodor Storm, S. 150f. Vgl. weiterführend Korten: Poietischer Realismus, S. 194.

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des Erzählens“ ist „als das eigentliche Ziel der Novelle“ auszumachen.347 Die Verknüpfung der verschiedenen Zeitebenen ist dabei bedeutsam, so Ladenthin weiter: „Im Erzählen umgeben sich Gegenwart und Vergangenheit wie Rahmenerzählung und Binnenerzählung – so daß die eine immer erst durch die andere verständlich wird […].“348 Ein Medium dieser narrativen Verknüpfung sind dabei die Diskurse des bürgerlichen Wohnens. Der Anfang der Binnenerzählung ist in den bürgerlichen Haushalt der Oberförsterfamilie gebettet, ja in den Schlafraum des Gastes. Der Fensterblick auf den nahen Teich wird zum Topos einer Erinnerungsreflexion.349 Das geöffnete Fenster lässt in dem bürgerlichen Intimraum des Schlafzimmers neue, aufwühlende Gedanken entstehen. In die bürgerliche Wohnidylle des Rahmens bricht die Geschichte ein. Dies wird auch am Ende der Binnenerzählung deutlich. Der Advokat betritt am anderen Morgen alleine das Wohnzimmer und schaut sich um: „[…] über dem Sofa dagegen fand ich eine Kreuzesabnahme von Rubens und je zur Seite die Bildnisse von Luther und Melanchthon. Am Sofa, auf dem lichtlosen Wandstücke am Fenster, hing, wie im Schatten der Vergangenheit, eine halberloschene Photographie; aber ein Kranz von Immortellen, wie Johns Tochter sie gestern auf unserem Waldgang gepflückt hatte, wohl gar derselbe, umgab den dunklen Rahmen.“350

Das Foto stellt den jungen John Hansen als Soldaten dar, vor seiner kriminellen Karriere, in seinem Gesicht ist „noch nichts von Kummer und Schuld“ erkennbar.351 Eckart Pastor hat die zahlreichen biblischen Anspielungen in der Novelle analysiert und spricht mit Bezug auf das Rubens Gemälde davon, dass die „‚Kreuzabnahme‘“ zum Symbol für die Integration Johns in den „Heilsplan, der Verbürgerlichung heißt“, wird.352 Das Wohnzimmer des Oberförsters erweist sich auch als ‚gute Stube‘, in der die Geschichte der Familie repräsentiert ist. Gerade da ist eine wichtige, identitätsstiftende Funktion von Fotographien in

347 Ladenthin: Erinnerndes Erzählen, S. 78. 348 Ebenda, S. 79. 349 Nicht nur das Fenster gehört dabei zum symbolischen Netz, sondern auch das Wasser des Teiches, das in Verbindung mit dem fehlenden Wasser des Brunnens zu sehen ist. Vgl. Pastor: Die Sprache der Erinnerung, S. 173f. 350 Storm: Sämtliche Werke, Bd. 3, S. 576. 351 Ebenda, S. 577. 352 Pastor: Die Sprache der Erinnerung, S. 182f.

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bürgerlichen Haushalten zu sehen. Pastor arbeitet anhand der Studien von Wilhelm Heinrich Riehl heraus, dass gerade mit Arbeitern wie John Hansen eigentlich keine eigene Geschichte verbunden ist.353 Vor diesem Hintergrund muss auch das Bildnis über dem Sofa gesehen werden. Der Rahmenerzähler „schafft überhaupt erst für die aus den Tiefen des Proletariats aufgetauchte Frau Christine eine vergangene Wirklichkeit, der bürgerliche Erzähler erfindet ihr eine Geschichte“.354 Das Wohnen wird damit als Schnittstelle zwischen Proletariat und Bürgertum etabliert, als diskursiver Durchgangsraum. Das Wohnen in der Binnenerzählung wird als sozial ausgegrenzt und tragisch dargestellt, wenn der Tod von Christines Mutter geschildert wird: Bei einem heftigen Streit stürzt sie gegen den Ofen und verletzt sich tödlich „an einem hervorstehenden Schraubenstift des Ofens, von dem das Kind den Messingknopf zum Spielen abgenommen hatte […]“.355 Und auch wenn das Wohnen von Christines Eltern zu Anfang kleinbürgerliche Züge trägt, lässt die Gesellschaft dies auf Dauer nicht zu.356 Doch genauso wie das Erzählen in Folge seiner kritischen Selbstthematisierung in einem dynamischen, letztlich offenen Status verbleibt, ist auch dem Wohnen der Rahmenerzählung eine Brüchigkeit eingeschrieben. Schließlich wird durch die Entdeckung der vermeintlich wahren Geschichte von Christines Vaters ihre Lebensund Wohnlegende unterlaufen. Die bürgerliche Kultur muss – so kann man daraus lesen – die soziale Frage in ihre eigenen Diskurse integrieren und nicht nur zudecken. Genau dies ist auch durch die Erzählkonstruktion intendiert und wiederholt sich auf einer narrativen Vermittlungsebene im Wohnen. In einer psychoanalytischen Lesart, die Neumann neben einer soziologischen kritisch erprobt, wird das Verhältnis von Christine zu ihrem Sohn in den Fokus gerückt und der Zustand des Bürgerlichen hinterfragt: „Indem sie ihrem Sohn zu viel von dem gibt, was ihr Vater als traumatische Versagung erlebte, pflanzt sich die Reihe der pathologischen Mutter-Sohn-Beziehungen über die Generationen hinweg fort.“357 Das Ende der Novelle macht deutlich, dass zwischen der ersten Begegnung von Erzähler und der Familie des Oberförsters und dem Erzählen des Rahmens einige Jahre vergangen sind. Über Briefe hält man allerdings Kontakt, nun möchte aber der Erzähler endlich wieder nach Thüringen reisen:

353 Vgl. ebenda, S. 174f. 354 Ebenda, S. 179. 355 Storm: Sämtliche Werke, Bd. 3, S. 553. 356 Vgl. Pastor: Die Sprache der Erinnerung, S. 171. 357 Neumann: Ein Text und sein Doppelgänger, S. 65.

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„Aber hier links in der Ecke meiner Schreibstube, auf zwei Stühlen steht jetzt mein gepackter Reisekoffer; […] hier drinnen ist für eine Woche alles sauber weggeordnet; denn gewiß und wahrhaftig – morgen geht es fort zu meinen Freunden, zu John Glückstadts Tochter und zu meinem wackeren Oberförster.“358

Mit dem angeblichen, affirmativ bekräftigten Aufbruchswunsch endet die Novelle, ein Wiedersehen wird nicht erzählt. Die Reise als Aufbruch aus dem betont geordneten Wohnumfeld verdeutlicht wiederum die Problematik des Wohnens als bürgerlichen Rückzugsraum, wie er in naturalistischen Texten mit anderen ästhetischen Mitteln noch offener in Frage steht. In Storms Novelle Der Schimmelreiter steht ebenso ein bürgerlicher Wohnrahmen zur Disposition. Der Erzähler des ersten Rahmens berichtet von der Situation, in der er von der Geschichte vom Deichgrafen Hauke Haien erfährt: „Was ich zu berichten beabsichtige, ist mir vor reichlich einem halben Jahrhundert im Hause meiner Urgroßmutter, der alten Frau Senator Feddersen, kund geworden, während ich, an ihrem Lehnstuhl sitzend, mich mit dem Lesen eines in blaue Pappe eingebundenen Zeitschriftenheftes beschäftige; ich vermag mich nicht mehr zu entsinnen, ob von den ‚Leipziger‘ oder von ‚Pappes Hamburger Lesefrüchten‘.“359

An diese Geschichte erinnert sich nun der Erzähler und er gibt sich mit einem „so begann der damalige Erzähler“ zu erkennen.360 Ausgangspunkt ist demnach die Lektüre in einer bürgerlichen Wohnsituation, die durch die familiäre Atmosphäre und den Lehnstuhl angedeutet wird. Zeitlich ist diese wohl in den Kontext der Jugend Storms zu situieren, im zweiten Rahmen geht es schließlich zurück in die 20er Jahre des 19. Jahrhunderts, die Schulmeister-Geschichte schließlich ist noch tiefer eingebettet. Albert Meier hat herausgearbeitet, dass im ersten Rahmen die Nachahmung von Literatur konstitutiv ist: „Realistisch ist in Storms Schimmelreiter streng genommen nur noch die Mimesis von Literatur […].“361 So werde auch erklärlich, warum die wenig ‚realistischen‘ Deichgrafen-Erlebnisse im zweiten Rah-

358 Storm: Sämtliche Werke, Bd. 3, S. 579. 359 Ebenda, S. 634. 360 Ebenda. 361 Meier: Wie kommt ein Pferd nach Jevershallig, S.175. Als Beispiele aus der neueren Forschung, die auch das Erzählen in der Novelle in den Mittelpunkt rückt, sei außerdem genannt: Theison: Gespenstisches Erzählen; sowie Blödorn: Storms Schimmelreiter.

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men nicht relativiert werden, sondern die Geschehnisse der Binnenerzählung bestätigen. Damit erfüllt sich auch die eigentliche Funktion des offenen ersten Rahmens.362 Da er nicht mehr geschlossen werden muss, muss auch nicht mehr die bürgerliche Ausgangsituation thematisiert werden. Der Realismus im Schimmelreiter reduziert sich auf die literarische Wiederholung; durch diese kritische Selbstthematisierung des Erzählens suspendiert sich aber nicht nur das Erzählen, sondern auch das Wohnen als Träger bürgerlichen Erzählens. Das Erzählen stellt sich als ein Fortschreiten weg vom Wohnen dar, dieses öffnet aber den Erzähldiskurs und es verbürgt den auf die Selbstreflexion konzentrierten Realismus. Dies ist lässt sich bezogen auf die Reflexion über das Erzählen feststellen, aber auch symbolisch im Gegenstand des Erzählten: Der Erzählraum des Schulmeisters ist das vom Wetter bedrohte heterotopische Gasthaus, doch das zentrale Haus der Binnenerzählung, das Haus von Hauke Haien, wird zerstört. Nur das kindliche Wohnglück des ersten Erzählers scheint unbedroht, über die Wohnlage in der Gegenwart des Erzählers wird nichts mehr bekannt. Theodor Storm entwirft mit seiner komplexen Erzählkonstruktion im Schimmelreiter ein Experiment über den Realismus – zu den Trägern dieses Erzählexperiments zählen gerade auch die Wohndiskurse. Wilhelm Raabes später Roman Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte, um den es im Folgenden gehen soll, zeichnet sich ebenfalls durch eine komplexe Erzählkonstruktion aus, mit einem unzuverlässigen, keinesfalls blindlings zu trauenden Erzähler Schaumann, wie es in der jüngeren Forschung vor allem durch Johannes Graf und Gunnar Kwisinski herausgearbeitet wurde.363 Es soll nun betont werden, wie das Wohnen Teil der erzählenden Inszenierung durch die Figur Heinrich Schaumanns wird, aber auch durch die Roman- und Erzählkomposition insgesamt. Zuvorderst sticht dabei die Rote Schanze heraus:364 Die Rote Schanze, die zu einem relativ unbedeutenden Schauplatz des Siebenjährigen Krieges wurde, ist zunächst eine historische Stätte am Heimatort des (Rahmen-)Erzählers Eduard sowie dessen Schulfreundes Heinrich Schaumann, genannt Stopfkuchen. Zudem lebte dort der Bauer Andreas Quakatz, der von der Ortsgemeinschaft verdächtigt

362 Vgl. Meier: Wie kommt ein Pferd nach Jevershallig, S. 173f. 363 Vgl. Graf/Kwisinski: Heinrich Schaumann, ein Lügenbaron. Zu einem Vergleich von Stopfkuchen und Ein Doppelgänger vgl. ergänzend Meyer-Krentler: Stopfkuchen – ein Doppelgänger. 364 Bereits in der frühen Analyse zum Raum bei Raabe stellt Meyer die Rote Schanze als „Schnitt- und Kernpunkt“ verschiedener Raumextreme heraus („Höhe und Tiefe einerseits, Nähe und Ferne anderseits“), Meyer: Raum und Zeit, S. 124.

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wurde, Kienbaum erschlagen zu haben. Die Rote Schanze ist damit auch zu Lebzeiten der Protagonisten ein herausgehobener, isolierter Ort. Der Kaufmann Eduard, der inzwischen in Afrika erfolgreich arbeitet und lebt, erfährt während des Besuchs bei Heinrich nun, wie dieser die Rote Schanze als Wohnort für sich erschlossen hat. Heinrich, der die Tochter von Andreas Quakatz geheiratet hat und so zum Herrn der Roten Schanze wurde, lädt den Besucher Eduard auf die „Quakatzenburg“ ein: „Wer weiß, ob du sie so in deinem Leben wieder zu sehen kriegst? Hier mein Ideal – meine Burg, mein Haus!“365 Eduards Weg auf die Schanze wird ausführlich erzählt: Der Anblick des Anwesens ruft beim Erzähler die Erinnerung an die Vergangenheit wach: „Noch immer derselbe alte Wall und Graben, wie er sich aus dem achtzehnten Jahrhundert in die zweite Hälfte des neunzehnten wohl erhalten hatte.“366 Und doch gibt es auch wesentliche Veränderungen: „Wie es innerhalb der Roten Schanze aussehen mochte – außerhalb derselben, so weit ihr Reich ging, erschien mir das Ding verwahrloster denn je.“367 Hatte nämlich nach der militärischen Funktion die bäuerliche Praxis das Haus und den Weg dorthin geprägt und gleichsam kultiviert, wuchert nun das Gras. Es ist für dieses nicht mehr nötig, sich „scheu wegzuducken“.368 Längst hat sich nicht nur über die Geschichte des Prinzen Xaverius von Sachsen, sondern vor allem über die Geschichte des angeblichen Mörders Quakatz ein neues Netz, repräsentiert durch den monologisierenden Erzähler Heinrich, gespannt, durch das auch die erzählerische Gestaltung der Roten Schanze geprägt ist. Eduard bemerkt einen friedlicheren Eindruck, den er bei der Annäherung auf die Schanze erlebt, schließlich gibt es auch keine Wachhunde mehr. Die Idylle verknüpft Eduard selbst mit einem Vergleich zum Wohnen des Biedermeier. Er erwähnt ein Gemälde (im Stile eines Spitzwegs), in dem Soldaten gemütlich auf einer Bank an einem Stadttore sitzen, „die Brille auf der Nase, den Bierkrug zur Rechten, die feuer-, schloß- und steinlose Flinte zur Linken […]“. Eduard stellt weiterhin fest, dass er selbst ein derartiges Bild in Afrika besitzt, „an der Wand über dem Sofa und Sofatisch meiner Frau“.369 Und „nicht ohne Behagen“ findet er nun ein solches Bildnis an der Roten Schanze, das allerdings in Form einer

365 Raabe: Sämtliche Werke, Bd. 18, S. 45. 366 Ebenda, S. 49. 367 Ebenda. 368 Ebenda, S. 50. 369 Ebenda, S. 51. Eduards Leben (und Wohnen) im kolonialen Afrika lässt sich mit Dunker entsprechend als ein „deutsch-spießbürgerliches“ vorstellen. Vgl. Dunker: Gehe aus dem Kasten, S. 151.

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Frühstücksszenerie von Heinrich und seiner Frau Valentine lebendig geworden ist.370 Eduard beschreibt daher die Atmosphäre vor dem Haus wie ein Gemälde, scheinbar wird er zunächst gar nicht wahrgenommen. Erst Valentine – so glaubt der Ich-Erzähler Eduard – erkennt die „Störung“: „Aber Heinrich! Ein Herr! Da ist ja wer!“371 Heinrich Schaumanns Leben wird von Eduard als eingerichtete bürgerliche Idylle eingeführt, die man als ein Bild auch in die ‚gute Stube‘ hängen könnte. Der Ich-Erzähler erkennt nicht, dass nicht nur die beginnenden ausufernden Erzählexkurse Heinrichs, die in einer subtilen erzählerischen Lösung des alten Falls vom Mord an Kienbaum enden, sondern auch Heinrichs Wohnen Teil einer Inszenierung sind, die Eduard von Anfang an einnimmt und beeinflusst. Heinrich Schaumann weiß genau um die Wirkung des Wohnens, gerade er lebt ja auf der Roten Schanze, auf dem erhöhten Punkt, von dem er die kleine Stadt und ihre Bewohner überblicken kann. Auf der Roten Schanze wohnt er bewusst, es ist ein ‚aktives Wohnen‘. Welche imaginäre Verbindung zwischen dem Wohnen auf der Roten Schanze und dem Elternhaus von Stopfkuchen besteht, symbolisiert die „Schicksalskugel“,372 die im Giebel des Hauses steckt und einst ein Geschoss von der Schanze in Richtung Stadt war. Diese Hausgeschichte zeichnet das Wohnen darin aus und hat Heinrich geprägt und sie stabilisiert auch symbolisch das Leben im Haus. Ein Buch des Lokalhistorikers Schwartner über die Belagerung der Stadt setzt die Mutter pragmatisch wie symbolisch ein: „Meine Mutter hatte ihn jahrelang benutzt, um einem wackelnden Schrank den mangelnden vierten Fuß unterzuschieben. Der half mir weiter. Nicht der Schrank, sondern der Schmöcker!“373 Mit Schwartner kommt der junge Heinrich in engen Kontakt, „auf den kameradschaftlichsten Fuß“,374 so dass Heinrich bald äußerst vertraut ist mit seiner Heimatstadt im Siebenjährigen Krieg. Zum Faszinosum wird dabei für ihn auch das „gespenstische[…]“ Haus Schwartners, das voller Souvenirs und Dokumente ist.375 Eine Stadtkarte neben dem Sofa wird für Heinrich zur Schlachtkarte; Schwartner „dozierte“ mir über die Belagerung „von diesem Sofa

370 Raabe: Sämtliche Werke, Bd. 18, S. 51. Zur Figur Valentines vgl. insbesondere auch Liebrand: Wohltätige Gewalttaten, S. 94–98. 371 Raabe: Sämtliche Werke, Bd. 18, S. 53. 372 Ebenda, S. 69. Zur Kanonenkugel bei Raabe vgl. z.B. auch Geppert: Der Historische Roman, S. 141. 373 Raabe: Sämtliche Werke, Bd. 18, S. 69. 374 Ebenda, S. 71. 375 Ebenda.

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aus“.376 Das Elternhaus, aber auch der andere Bezugsort, das Haus von Schwartner, sind somit als historischer Ort Teil der Geschichte der Stadtbelagerung; die Rote Schanze, ihre Geschichte und Funktion, ist daher für Heinrich immer schon ein Wunschort, auch und gerade als Wohnort, befindet er sich doch dort an der einstigen Schlüsselposition, einer Position, die ihn auch aus der Rolle des Außenseiters, die ihm als dickem Schuljungen anhaftete, befreit, auch wenn er von der Gesellschaft isoliert bleibt. Den Besucher Eduard versetzt er gleich in die von ihm kontrollierte Rolle: Eduard zog er „an den Rand seines Burgwalls und deutete mir mit dem Finger dieses so grenzenlos unbedeutende Stück Welthistorie […]: da und da stand der und der.“377 Der eigentliche Hintergrund der Geschichtsaneignung von Heinrich bleibt dem Erzähler Eduard verborgen. Angefangen mit der Kugel im Haus der Eltern deutet Heinrich nämlich die vormaligen Geschehnisse um: „zu Bausteinen seiner Biographie, [er] verlagert Geschichte also in seine Existenz hinein, so daß die früheren Begebenheiten eine zeichenhafte Bedeutung für die eigene Entwicklung erlangen“.378 Das Haus der Roten Schanze individualisiert er so zu dem Ort, den er für sich nun erobert. Schließlich, als sich beide Freunde gemeinsam dem Haus nähern, stellt der Erzähler Eduard naiv den Kontrast zu den Jugendjahren her, habe Heinrich doch verstanden, „die bösen Geister auszutreiben“.379 Heinrich wiederum nutzt eine aktive Inszenierung des Eintritts in das Haus, um seine Übersicht und indirekt seine Kompetenz in der Analyse des alten Mordfalls unter Beweis zu stellen. Er möchte mit Eduard „Arm in Arm“ die „Schwelle“ überschreiten, er schickt seine Frau vor und „watschelte“ mit Eduard gemeinsam hinein,380 jedoch zuvor unterbricht er bewusst das Hineingehen und macht Eduard auf den biblischen Hausspruch aufmerksam: „Da redete Gott mit Noah und sprach:/ Gehe aus dem Kasten.“381 Der „Lehnstuhlmensch[…]“382 Heinrich will hiermit dem weltreisenden Eduard seinen Anspruch auf Weltwissen zum Ausdruck bringen; und seine von ihm eingenommene Wohn-Heterotopie gibt ihm dazu das Recht, und zwar insofern sein Wohnen auf alles andere immer bezogen bleibt, auch wenn er selbst einen ausgeprägten Regionalismus pflegt.

376 Ebenda, S. 72. 377 Ebenda. 378 Grätz: Alte und neue Knochen, S. 246. 379 Raabe: Sämtliche Werke, Bd. 18, S. 74. 380 Ebenda. 381 Ebenda, S. 75 (das Bibelzitat vgl. Gen 8, 15f.). 382 Raabe: Sämtliche Werke, Bd. 18, S. 75.

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Den vormaligen Hausrat von Valentines Vater und Großvater, „Erfreuliches hing nicht an den Wänden, stand nicht umher – diesen Eßtisch ausgenommen […]“, hat das Paar größtenteils „den Flammen übergeben“,383 viele Erinnerungsspuren an die ernste Jugend von Valentine wurden so ausgelöscht. Der Tabula Rasa steht Heinrichs Interesse an Fossilien entgegen, die Teil des Interieurs werden, so dass er in der Wohnung das Vergangene im Modus der Paläontologie integriert. Katharina Grätz beschreibt eine spannungsreiche Wohnsituation; es sind der „Koprolithenschrank, der seinen Platz neben der Sofaecke findet, die auf Regalen und in offenen Schränken arrangierten Petrefakten, die Sammlung prähistorischer Knochen, inmitten derer der dicke Stopfkuchen Hähnchensuppe und Schinken verzehrt“.384 Auf diese Weise werde die angebliche bürgerliche Idylle385 aufgebrochen; „eine bewußt inszenierte Ambiguität kennzeichnet den Raumbezirk der Roten Schanze […]“.386 Zur Erzähl-Inszenierung auf der figuralen Ebene, also Heinrichs Intention, seine Version der Geschichte um den Mordfall Eduard und der Stadtgemeinschaft zu präsentieren, gehört ebenso die Inszenierung einer Wohnidylle, die nur scheinbar einen gesicherten, das heißt eindeutigen Rückzugsraum bietet. Gleichwohl ermöglicht dieser Raum den Ausgangspunkt für das Erzählen der örtlichen Historie, die Heinrich individualisiert, genauso wie seine vereinnahmte Version des angeblichen Mordfalls. Mit der Ausgestaltung des Wohnens formt er auch seinen Blick auf die Welt, die er erzählend vermittelt. Bekanntlich lenkt Heinrich den Verdacht im Mordfall auf den Briefträger Störzer, der gerade verstorben ist, anhand einiger Indizien, die er suggestiv inszeniert; angeblich habe Störzer Kienbaum mit einem Steinwurf getötet.387 Ein Baustein der Entdeckung der vorgeblichen Wahrheit, der aufgrund der räumlichen Konstellation im hier verfolgten Zusammenhang von besonderer Bedeutung ist, ist die Episode von Heinrich und Eduard am Sarg von Störzer, mit dem Eduard als Junge eng verbunden war. Als die beiden Freunde hinab in

383 Ebenda, S. 78. Es sei hier ergänzend an die kritische soziologische Perspektive von Sprengel auf Schaumann erinnert: Dessen „freiwillige Destruktion des Interieurs“ richte sich nicht gegen das Philistertum, sondern sei nur „Attitüde“, lebe er doch eigentlich noch diese Ideale. Sprengel: Interieur und Eigentum, S. 162f. 384 Grätz: Alte und neue Knochen, S. 251f. 385 Vgl. dazu mit Bezug auf Fragen der Moral Mojem/Sprengel: Raabe: Stopfkuchen, S. 367f. 386 Grätz: Alte und neue Knochen, S. 252. Inwieweit die Engführung von Essen und versteinerten Exkrementen Teil einer Groteske ist, vgl. Günter: Mund-Art, S. 14. 387 Vgl. ausführlich Graf/Kwisinski: Heinrich Schaumann, ein Lügenbaron.

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die Stadt gingen, kamen sie an dem Trauerhaus der Familie Störzer vorbei: „Sie verwunderten sich aber noch viel mehr, als wir gar in die Tür traten.“388 Gewaltsame Züge trägt das Eindringen in das Haus zu dem Sarg, gewaltsam wie anspielungsreich ist auch die Geste Heinrichs am Sarg: „Er hatte eine Faust gemacht; aber er legte sie so leise auf das Kopfende des Sarges, wie ich meine offene Hand auf das Fußende. ‚Was?‘ fragte ich zusammenfahrend, und Schaumann sagte: ‚Ja.‘“389

Noch vor dem Hinaustragen aus dem eigenen Wohnhaus wird der tote Störzer nicht nur von den Erzählungen Heinrichs eingeholt, dieses Mal wird auch eine kurze Handlungsepisode auf der Zeitebene des Besuchs von Eduard inszeniert. Wie einst die Kanonenkugel das Haus von Heinrichs Eltern markiert, wird dem Wohnhaus Störzers eine fatale Geschichte eingeschrieben. Mit seinen folgenden Ausführungen im Wirtshaus wird er diese ‚hinaustragen‘ und damit dauerhaft das Schicksal der Familie Störzer treffen. Die Macht des Erzählens verbindet sich im Stopfkuchen mit der Zugänglichkeit der Wohndiskurse. Vor dem Hintergrund des realistischen Erzählens, das gerade auch bei Raabe modern und experimentell gestaltet ist, wird noch einmal mit dem Wohnen in der Literatur eine Bedeutungstiefe realisiert. Wird in Raabes Roman letztlich die Möglichkeit realistischen Schreibens durch die Fragilität der Wahrheit in Frage gestellt, steht damit auch der Anschein des (bürgerlichen) Wohnens zur Disposition, ohne jedoch das Wohnen auf der erzählerischen Oberfläche anzugreifen. Das bürgerliche und auch poetische Programm des Realismus wirkt in dieser Hinsicht bis zuletzt. Das Wohnen als darstellerischen Mittelpunkt des bürgerlichen Lebens aufzugeben, würde einen zu großen Einschnitt bedeuten – so sind es auch die Wohndiskurse, die die Autoren des Spätrealismus zu komplexen und kunstvollen Erzählwerken anregen. Die Literatur des Realismus, die hier von der Biedermeierzeit bzw. vom Frührealismus bis zur Jahrhundertwende anhand ausgewählter Beispiele verfolgt wurde, verbindet auf der Erzähloberfläche eine dichte Darstellung von Wohnräumen bzw. der Wohnkultur. Das Wirklichkeitspostulat wird durch die enge Verbindung von literarischen Wohnzeichen mit ihren außerliterarischen Entsprechungen stets erfüllt. Gleichwohl werden die literarischen Wohndiskurse in die künstlerischen Subtexte und Codes verwoben, so dass diese selbst zu einem Leseschlüssel realistischer Literatur werden können.

388 Raabe: Sämtliche Werke, Bd. 18, S. 161. 389 Ebenda, S. 162. Vgl. Graf/Kwisinski: Heinrich Schaumann, ein Lügenbaron, S. 203.

4. Fragiles Wohnen: Inszenierungen um 1900

4.1 E RZÄHLPOTENTIALE : R ICHTIGES W OHNEN IN J UGENDSTIL UND FRÜHER M ODERNE (Hermann Bahr, Adolf Loos, Georg Simmel) Meyers Großes Konversations-Lexikon breitet 1909 im Artikel ‚Wohnhaus‘ ein Wohnpanorama aus, das zugleich einen Querschnitt durch die gesellschaftlichen Schichten nachzeichnet: „Man unterscheidet heute das E i n f a mi l i e n h a u s , das als Herrenhaus, Landhaus, Villa, Bauernhaus, Arbeiterhaus ausgebildet worden ist, und das M i e t s h a u s (Zi n s h a u s ), das mehreren Familien Unterkunft gewährt und meist aus einer mehrgeschossigen, mit Seitenund Querflügeln einen oder mehrere Höfe einschließenden Bauanlage besteht.“1

Angesprochen werden das Wohnen des Adels, des Bauern, des (finanzstarken) Bürgers, aber es werden auch kleinbürgerliche Verhältnisse und die Lebenswelt der Arbeiter angedeutet.2 Die Form des Wohnens ist auch im so genannten bürgerlichen 19. Jahrhundert nicht einheitlich: „Wer das Wohnen der einzelnen Schichten und Klassen unter dem Aspekt von Wandel und Konstanz betrachtet, sieht sich von Ungleichzeitigkeiten beeindruckt“, resümiert Adelheid von Saldern.3 Die prägende Kraft der bürgerlichen Kultur – auch im Wohnen – kann dabei nicht die Heterogenität der Gesellschaft verdecken. Allein die Zugehörigkeit zum ‚Bürgertum‘ 1

Art. Wohnhaus. – In: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Bd. 20, S. 716f., hier S. 716.

2

Zum Wohnen von Kleinbürgern und Arbeitern vgl. auch Fuhrmann et al.: Geschichte

3

Saldern: Im Hause, zu Hause, S. 330.

des Wohnens, S. 112–115.

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ist nicht eindeutig. Im 19. Jahrhundert gewinnen besonders das Bildungsbürgertum und auch das Wirtschaftsbürgertum an Bedeutung, verdrängt werden dabei u.a. Handwerker und Selbständige aus dem ‚Bürgertum‘ (bzw. sie werden als ‚kleinbürgerlich‘ bezeichnet).4 In der umfassenden Überblicksanalyse zum Wohnen im 19. Jahrhundert zieht von Saldern das Fazit, dass etwa zu Beginn des Jahrhunderts bezogen auf bürgerliches Wohnen Privatheit und neue Raumfunktionen prägend sind, am Ende des Jahrhunderts seien wiederum folgende Veränderungen feststellbar: „Reformwohnen in Genossenschaftsbauten und Frühmoderne in Architektur und Inneneinrichtung; hinzu kommen technische Verbesserungen, vor allem die Wassertoiletten und die Elektrizität, die das Wohnen im wahrsten Sinne sauberer und heller machten.“5 Die Bewegungen zur Verbesserung der Wohnverhältnisse sind auch eine Antwort auf die zum Teil äußerst schlechten Wohnverhältnisse für das Kleinbürgertum und die Arbeiterschaft in den durch Urbanisierung und Industrialisierung geprägten Städten. Die Dynamik und Komplexität der gesellschaftlichen Lage um 1900 ist auch in den zahlreichen Kunst- und Literaturströmungen der Jahrhundertwende anzutreffen, auch wenn sich nicht alle, wie zum Teil die Vertreter des Naturalismus, als Bewegung sehen, um auf soziale Missstände hinzuweisen.6 Die Literatur um die Jahrhundertwende bzw. am Ende des bürgerlichen Zeitalters, das durch die Dramatik des Ersten Weltkrieges einen tiefen Einschnitt erfahren wird, sucht nach neuen Wegen und Ausdrucksformen. In dieser ästhetischen Orientierungssituation werden auch die Diskurse des Wohnens auf ebenso vielfältige Weise fortgeschrieben und literarisch funktionalisiert. Viele wichtige Autoren der Jahrhundertwende sind bürgerlich sozialisiert und arbeiten sich künstlerisch an ihrer Existenz, aber auch an ihrer Lebensumwelt ab. Nach einer Formierungsphase der Ausdrucksformen für das bürgerliche Wohnen um 1800 und einer langen Phase von bürgerlicher Literatur der Biedermeierzeit und des Realismus – wobei der Spätrealismus simultan bis zur Jahrhundertwende präsent ist und rezipiert wird – entfaltet sich mit neuen Intentionen und stilistischen Mitteln der Diskurskomplex vom bürgerlichen Wohnen nochmals in großer Vielfalt. Der bekannte Stilpluralismus der Zeit führt auch zu einem Pluralismus des literarischen Wohnens. Damit wird das erzählte Wohnen jedoch nicht in eine Beliebigkeit überführt, sondern es steht in der Tradition der erprobten erzählerischen Mittel aus dem zu

4

Vgl. Kocka: Das lange 19. Jahrhundert, S. 113–119, bes. S. 114f.

5

Saldern: Im Hause, zu Hause, S. 330.

6

Vgl. Sprengel: Geschichte der deutschen Literatur. 1870–1900, S. 109.

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Ende gehenden Jahrhundert und durch die Thematisierung des Wohnens reflektiert die Literatur künstlerisch implizit auch noch einmal die bürgerlichen Bedingungen und Einflüsse des langen 19. Jahrhunderts. Mit der Fortschreibung der Diskurse des bürgerlichen Wohnens in der Literatur wird somit eine wesentliche Konstituente einer auslaufenden Ära in eine ästhetische Form transferiert: Mit dem Wohnen, also mit den eigenen kulturellen Zeichen wird, wenn auch stilistisch vielfältig, nach neuen Antworten auf eine sich radikal veränderte Zeit gesucht. Im Folgenden soll die literarische Analyse der Wohndiskurse zwar zunächst ihr positives Potential herausstellen, wenn etwa im Naturalismus das Wohnen thematisch und zum Teil erzählerisch neu vermessen wird. Das Scheitern dieser Versuche kann aber auch nicht im Ästhetizismus positiv aufgefangen werden (man bedenke zum Beispiel, dass der junge Kaufmannssohn in Hofmansthals Das Märchen der 672. Nacht außerhalb der Wohnung stirbt). Isolation des Wohnenden und die Zerstörung der Wohnung scheinen am Ende des Jahrhunderts zu stehen, wenngleich das Erzählpotential des Wohnens selbst natürlich nicht verloren geht. In den außerliterarischen Diskursen, um die es zunächst gehen soll, dominiert im Bereich der Wohnungseinrichtung am Ende des 19. Jahrhunderts der Historismus mit seiner Integration zahlreicher historischer Stile: „Der Gang durch ein großbürgerliches Haus konnte so zur Wanderung durch die Stilgeschichte werden.“7 Doch es gibt entscheidende Veränderungen: Der Architekt Otto Wagner ist von besonderer Bedeutung für den Wiener Jugendstil bzw. die Wiener Sezession, die im Vergleich zu anderen regionalen JugendstilAusprägungen sich durch „eine dezentere, häufig geometrisierende Ornamentik“8 auszeichnet; Wagner verfasst mit Moderne Architektur „ein Gründungsmanifest der Architektur des 20. Jahrhunderts“9, in dem er neue Ausdrucksformen propagiert: „Einfach, wie unsere Kleidung, sei der Raum, den wir bewohnen.“10 Damit sind keine puristischen Räume gemeint, sondern solche, die den zeitgenössischen Empfindungen und Ansprüchen gerecht werden: „Es ist eben ein künstlerisches Unding, wenn Menschen in Salon-, Lawntennis- und Radfahrkostümen, in Uniform oder karrierter Hose in Interieurs ihr Dasein fristen, welche in

7

Colsman: Möbel, S. 141.

8

Lieb: Jugendstil, S. 145.

9

Kruft: Architekturtheorie, S. 367.

10 Wagner: Die Baukunst unserer Zeit, S. 142 (zuerst 1896 unter dem Titel Moderne Architektur erschienen; die hier zitierte Ausgabe folgt der letzten Ausgabe: Die Baukunst unserer Zeit aus dem Jahr 1914).

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Stilen vergangener Jahrhunderte durchgeführt erscheinen.“11 Für Wagner ist es zwar legitim, sich von den Architekturstilen der Vergangenheit beeinflussen zu lassen, allerdings müssen die Formen den neuen Absichten angepasst werden. Auch das moderne Bauen müsse seinen eigenen Ausdruck und Stil finden.12 Die Frage nach dem richtigen Stil einer Wohnung, der Rolle von Künstlern, Architekten und Handwerkern wird im Jugendstil und in seinem Umfeld – natürlich anhand von Bau- und Ausstellungsprojekten, aber eben auch sprachlich in Zeitschriften und Programmschriften – breit diskutiert, wie im Folgenden anhand einiger weiterer (Wiener) Beispiele gezeigt werden soll. Damit wird auch offensichtlich, wie greifbar eine literarische Ästhetisierung der Wohndiskurse um die Jahrhundertwende ist. Der Wagner-Student Josef Hoffmann richtet gemäß der Programmzeitschrift der Wiener Sezession Ver Sacrum ein ‚Ver Sacrum Zimmer‘ für die erste Sezessionsausstellung ein (1898).13 Hermann Bahr hält nach einem Besuch einer (anderen) Ausstellung seine Befürchtung fest, dass nun alle die junge Sezession als „Manier“14 kopieren würden, und er thematisiert das Wohnen: „Ein Haus ist zum Wohnen da, dieses Bedürfnis soll es befriedigen. Das heißt also: ein Haus muss von innen nach außen gebaut werden.“15 Bahr nutzt eine Formulierung, die bereits Riehl vor dem Hintergrund von dessen Konservativismus gebraucht hat.16 Nun wird von Bahr angemahnt, dass die Funktionalität dem Inneren zu dienen habe. Ein Stuhl habe primär die Funktion der Sitzgelegenheit: „Das ist banal, aber man muss es sagen, weil es dreißig Jahre vergessen war.“17 Die Wohnung und das Haus des Historismus sind für Bahr lediglich eine „Maske“18 oder „Costüm“.19 Eine trügerische Fassade mit falschen Erkern dient nicht dem Bewohner. In dieser Hinsicht sei das Haus des Biedermeier angemessener gewesen. Für das so genannte Ringstraßenhaus – der berühmter Repräsentant des Historismus in Wien – konnte man, als auch im Inneren der Stilpluralismus noch angestrebt wurde, zumindest gelten lassen, dass es in seiner Täuschung perfekt

11 Ebenda. 12 Vgl. ebenda, S. 44f. und S. 56. 13 Vgl. z.B. Müller: Klassiker des modernen Möbeldesign, S. 15. 14 Bahr: Architektur [Mai 1898]. – In: Secession, S. 38–42, hier S. 38. 15 Ebenda, S. 39. 16 Vgl. S. 144 dieser Arbeit. 17 Bahr: Architektur [Mai 1898]. – In: Secession, S. 38–42, S. 39. 18 Ebenda, S. 39. 19 Ebenda, S. 42

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ist: „Da war wenigstens alles Schwindel, außen und innen, die Möbel so verlogen wie die Ordnung der Fenster.“20 Von Otto Wagner beeinflusst grenzt sich Adolf Loos dennoch von den Wiener Sezessionisten ab und kann als einer der Begründer der Moderne der Architektur gelten,21 der zudem ein breit gestreutes Werk von meist kurzen Schriften in teils literarischem Stil hinterlassen hat.22 Er äußert sich kritisch und pointiert über Wohnen und Einrichtungsfragen. So lehnt er die historischen Möbel ab, die sich am Adel orientieren und geradezu auf historische Personen wie Maria Antoinette zugeschnitten sind, er diagnostiziert – so Susanne Eckel – „eine fehlende bürgerliche Wohnkultur in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts“.23 Loos beklagt so die fehlende kulturelle Eigenständigkeit des Bürgertums in Fragen der Wohnung und der Einrichtungsstile. Loos stellt jedoch auch Grundkonstanten des Wohnens in seinen Analysen heraus: „Das Otto-Wagner-Zimmer“ sei „schön, nicht weil, sondern obgleich es von einem Architekten herrührt“.24 Aber dies gilt primär für Wagner selbst:25 „Für jeden anderen ist dieses Zimmer unrichtig, weil es seiner Eigenart nicht entspricht, daher unvollkommen, und daher kann von Schönheit nicht mehr die Rede sein.“26 In einem anderen Artikel, Das Heim (1903), postuliert er: „Euere Wohnung könnt ihr euch nur selbst einrichten.“ Andernfalls entstünde nur „eine Reihe von Hotelzimmern“ bzw. „die Karikatur einer Wohnung“.27 Die Frage, für

20 Ebenda, S. 41. Für Transparenz im Verhältnis von innen und außen sorgte auch die umstrittenen Fassaden des Wohn- und Geschäftshaus am Michaelerplatz von Adolf Loos (Wien 1909); sie spiegelt „die verschiedenen Funktionen des Hauses klar wider“; Förster: Housing, S. 17. 21 Vgl. z.B. Höcker: Architektur, S. 137. 22 Vgl. die Stilanalysen bei Eckel: Das frühe schriftstellerische Werk. Siehe ergänzend Kerékgyártó: Der Architekt und die Öffentlichkeit. 23 Eckel: Das frühe schriftstellerische Werk, S. 91. 24 Loos: Wohnung einrichten, S. 27 (aus: Das Sitzmöbel. – In: Neue Freie Presse, 19.6.1898). 25 Loos beurteilte Otto Wagner noch am positivsten. Vgl. Müller: Klassiker des modernen Möbeldesign, S. 93. 26 Loos: Wohnung einrichten, S. 27 (aus: Das Sitzmöbel. – In: Neue Freie Presse, 19.6.1898). 27 Loos: Wohnung einrichten, S. 37 (aus: Das Heim. – In: Das Andere, 1.10.1903). Als ein Beispiel, inwieweit die (noch relativ junge) Hotelindustrie das Wohnen rationalisiert und sich so teils vom Gedanken des Hotels als zweites Zuhause verabschiedet

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wen die Einrichtung der Wohnung ist, steht zur Diskussion. Loos grenzt sich somit von historistischen Stilen ab und lehnt zugleich ein Zimmer als reines Kunstprodukt ab. Das Individuum des Bewohners bedarf des Entfaltungsraumes im privaten Wohnen.28 Die Wohnung sieht Loos nicht allein vor dem Hintergrund des richtigen Geschmacks oder Stils, er begreift die Wohnung als wesentlichen „Hintergrund“ des Menschen: Ist die Wohnung von fremder Hand eingerichtet, etwa durch den Entwurf eines Architekten, werde die Wohnung mit einer Maske vergleichbar.29 Loos bedient sich damit wieder der Bildlichkeit von einer Wohnung als einer falschen Haut usw. Es handelt sich dabei um eine Negativbeschreibung, die auch beim Wiener Schriftsteller Richard Schaukal anzutreffen ist, den mit Loos eine kritische Haltung gegenüber Historismus und Jugendstil verbindet, wenn er empfiehlt: „Eine Wohnung soll vor allem ihr eigenes Gesicht haben, nicht eine Maske, sei sie nun antik, mittelalterlich oder ‚sezessionistisch‘. Eine Wohnung muß ein belebter und lebendiger O r g a n i s m u s , das heißt Gewachsenes und Wachsendes, darf nicht ‚fertig‘ sein, soll sich selbst und ihren Bewohner ausdrücken.“30

Erst durch die ernsten Ereignisse eines Lebens, so argumentiert Loos weiter, wird die künstliche, unpassende Wohnung offenbar. Er verdeutlicht dies an einem Beispiel, indem er den Leser auffordert zu erzählen: „Heraus mit eueren Federn […]. Schildert einmal, wie sich Geburt und Tod […] in einem Olbrich’schen Schlafzimmer abspielen und ausnehmen.“31 Es ist bemerkenswert, dass er gerade Bedeutung und Funktionen des Wohnens in einem kleinen erzählerischen Experiment vorführt. Auch mit Blick auf diese Äußerung von Loos ist herausgestellt worden, dass er „als Dramaturg […] die Bühnen des Raumplans

hat, zeigt z.B. eine Dissertation von 1931 zum Durchreisehotel, vgl. Just: Durchreisehotel. 28 Vgl. Ottillinger: Adolf Loos, S. 25. 29 Loos: Wohnung einrichten, S. 37 (aus: Das Heim. – In: Das Andere, 1.10.1903). Zu dem komplexen Masken-Begriff, der nicht nur kritisch, sondern in Bezug auf den modernen Menschen auch positiv von Loos gesehen wird, vgl. ausführlich Moravánszky: Verheimlichte Räume. 30 Schaukal: Mietwohnung, S. 29. Zu Schaukal und auch Loos vgl. die wichtige Studie von Niefanger: Produktiver Historismus, hier S. 20f. sowie S. 210. 31 Loos: Wohnung einrichten, S. 38 (aus: Das Heim. – In: Das Andere, 1.10.1903).

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bespielt“.32 Die Folie des Wohnens bildet mit dem Werk Joseph Maria Olbrichs33 in diesem Beispiel ein Interieur des Jugendstils. Das Ergebnis seines Experiments liefert Loos freilich selbst: „Ein Bild nur greifet heraus: Das junge Mädchen, das sich den Tod gegeben. Lang hingestreckt liegt es auf der Diele des Fußbodens. Die eine Hand umklammert noch krampfhaft den rauchenden Revolver. Auf dem Tische ein Brief. Der Absagebrief. Ist das Zimmer, in dem sich das abspielt, geschmackvoll? Wer wird danach fragen? Wer d a r u m sich kümmern? Es ist ein Zimmer, basta! Aber wenn der Raum von Van der [sic] Velde eingerichtet ist? Dann ist’s eben k e i n Zimmer. Dann ist es --Ja, was ist es denn eigentlich? --Eine Blasphemie auf den Tod!“34

Der Raum ist nicht auf die Bewohnerin hin eingerichtet. So wie die Frage nach dem Geschmack an den Bewohnern vorbeizielt, kann die Frau offenbar auch keine Anknüpfung an den Wohnraum finden. Dies wird auch implizit durch die Erzähl-Antwort deutlich, da die Jugendstil-Einrichtung Olbrichs ohne konkrete Erwähnung bleibt und keine Rolle spielt. In dem Zimmer von Henry van de Velde35 steigert sich dies – von Loos polemisch formuliert – in der Auflösung des Raumes. Es ist „kein Zimmer“, und daher nicht einmal ein Hintergrund für das Leben und auch nicht für den Tod. Natürlich ist die Nicht-Erwähnung der eigentlichen Wohnung in dieser kleinen Erzählskizze selbst wieder eine bewusste narrative Entscheidung von Adolf Loos. Die Kritik im ersten Beispiel bestätigt in übersteigerter Form die ‚De-Thematisierung‘36 des Wohnens im Tod, im zweiten Beispiel wird die Existenz des Zimmers bzw. der Wohnung selbst sublimiert. Die Narrativierung der Wohnungen zeigt aber Weiteres: Die Sprache des Wohnens dient Adolf Loos dazu, die Komplexität der Diskurse ins Spiel zu bringen, nämlich die Identität des Menschen (hier im Extremfall des Todes bzw. Selbstmordes) in Abhängigkeit von seiner räumlichen Umgebung, die von ihm

32 Moravánszky: Verheimlichte Räume, S. 78f. (Zitat: S. 78). 33 Vgl. zu Olbrich z.B. Lieb: Jugendstil, S. 167. 34 Loos: Wohnung einrichten, S. 38 (aus: Das Heim. – In: Das Andere, 1.10.1903). 35 Vgl. zum kritischen Verhältnis von Loos und van de Velde Fischer: Ins Leere widersprochen. 36 Vgl. S. 13 dieser Arbeit.

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selbst oder eben von fremder Hand geplant bzw. konstruiert wurde. Loos formuliert wegen der angeblichen Defizite in den Wohnungen missionarisch: „Ich will euer Wohnungslehrer sein.“37 Er fordert entsprechend dazu auf, die Wohnung selbst einzurichten, wenngleich dies natürlich auch nicht ohne (seine) fachkundige Hilfe vonstattengehen sollte, was zum Beispiel seine Artikel und sein Zeitschriftenprojekt intendieren. Richard Schaukal fordert ähnlich in seinen essayistischen Texten zum Wohnen und ihrer Möblierung in der Konsequenz einen angemessenen Stil: „Nichts von Kunstkünstelei, wenn der Instinkt mangelt! Keine Experimente! N ü c h t e r n h e i t .“38 Zudem erkennt er das narrative Potential einer Wohnung, auch jenseits der Literatur. Vor dem Hintergrund historistischer Wohnungen, auch wenn mit modernen Jugendstilelementen modernisiert, fragt er kritisch, „welche Sprache spricht das?“39 – Dies sei eben nicht der Ausdruck der eigentlichen Bewohner. Auch seien Salons in normalen bürgerlichen Haushalten unangemessen: „Und eine kleine Wohnung soll nichts erzählen als von ihrem Bewohner.“40 Für künstliche Repräsentation sei kein Raum. Zur entscheidenden Frage wird damit, was zwischen innen und außen vermittelt, und hier scheint gerade der Wohnkomplex eine katalytische Funktion einnehmen zu können, an dem die Krise des modernen Menschen um 1900 in Zeitungen, aber auch in der Literatur zur Sprache kommen kann. Als Beispiel außerhalb Wiens sei zuletzt der Soziologe Georg Simmel angeführt, der sich ebenso zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit der Einrichtung von Wohnungen beschäftigt. Er hat sich in der Zeitschrift Dekorative Kunst 1908 über Status und Funktion des Stils (Das Problem des Stils) geäußert und ihn in Verbindung mit dem Wohnen gesetzt: „[…] in seinen Zimmern ist der Mensch die Hauptsache, sozusagen die Pointe, die, damit ein organisches und harmonisches Gesamtgefühl entstehe, auf breiteren, weniger individuellen, sich unterordnenden Schichten ruhen und sich von ihnen abheben muß.“41 Für den „Hin-

37 Loos: Wohnung einrichten, S. 38f. (aus: Das Heim. – In: Das Andere, 1.10.1903). Georges Teyssot greift auch eine Äußerung von Loos für die Benennung seines Kapitels „Wohnen lernen?“ auf. Vgl. ebenda die informative Diskussion, Teyssot: Krankheit des Domizils, S. 114–123. Zu den Wohnungswanderungen von Loos und den konkreten Zimmereinrichtungen vgl. Kristan: Adolf Loos. 38 Schaukal: Mietwohnung, S. 42. 39 Ebenda, S. 41. 40 Ebenda, S. 64. 41 Simmel: Gesamtausgabe, Bd. 8/2, S. 380.

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tergrund oder [die] Basis des täglichen Lebens“42 fordert Simmel eine Stilisierung: Stil ziele auf das Allgemeine, ein Kunstwerk auf das Individuelle; zwischen diesen Polen sei das „praktische Dasein der Menschheit“ angesiedelt.43 Das Kunstwerk an der Wand stört in diesem Sinne nicht, da es mit einem Rahmen eine „räumliche Abschließung“ besitzt und so „sich nicht in das unmittelbare Leben mischt“.44 Für die Einrichtung der Wohnung selbst, also die Gebrauchsgegenstände ergibt sich aber das Problem ihrer Ausgestaltung: „Die Wohnung, wie sie der einzelne nach seinem Geschmack und seinen Bedürfnissen einrichtet, kann durchaus jene persönliche, unverwechselbare, aus der Besonderheit dieses Individuums quellende Färbung haben, die dennoch unerträglich wäre, wenn jeder konkrete Gegenstand in ihr dieselbe Individualität verriete.“45

Diese Beschreibung könnte dem Historismus wieder das Wort reden, allerdings geht Simmel davon aus, dass der Umkehrschluss, nämlich die streng nach einem Stil eingerichtete Wohnung „etwas eigentümlich Unbehagliches, Fremdes, Kaltes“ habe. Einem solchen Raum fehle schließlich die Möglichkeit, seine Individualität zu integrieren, er würde nicht zu einer eigenen Wohnung. Habe man aber einen geschulten Geschmack, könne eine Wohnung „wohnlich und warm wirken“.46 Wie bei Loos soll der Bewohner seine Wohnung selbst einrichten, wenn er denn einen „individuellen Geschmack [hat], der freilich ein ganz fester und einheitlicher sein muß“.47 Simmel argumentiert analytisch, wie der Mensch in seiner eigenen Wohnung zu Hause sein kann, ohne dass er zum einen einem übermäßigen Wohnhistorismus zum Opfer fällt, andererseits auch den neuesten Stilströmungen gegenüber selbstbewusst bleibt. Der moderne Mensch sei nämlich gefährdet: Das „Ich“ könne sich „nicht mehr allein tragen“, es lege sich „ein stilisiertes Gewand um“, metaphorisch wird die Wohnung (bei Bahr, Loos, Schaukal war es das Bild von der Maske) zu einem Kleidungsstück: „Eine ganz feine Scham liegt darin, daß eine überindividuelle Form und Gesetz zwischen die subjektive Persönlichkeit und ihre menschliche und sachliche Umgebung gestellt wird; die stilisierte Aeußerung, Lebensform, Geschmack – alles dies sind Schranken und Dis-

42 Ebenda. 43 Ebenda, S. 374. 44 Ebenda, S. 380. 45 Ebenda, S. 381. 46 Ebenda. 47 Ebenda.

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tanzierungen, an denen der exaggerierte Subjektivismus der Zeit ein Gegengewicht und eine Hülle findet.“48

Simmel diagnostiziert die Wohnung damit als Schutzraum, nicht so sehr in seiner traditionellen Form vor äußeren (Wetter-)Einflüssen, sondern als fragile „Hülle“ vor dem Subjektivismus seiner Zeit, in der die Integration des Individuums nicht sicher ist. Das Bild von der Hülle und dem Etui, das Walter Benjamin mit dem ‚wohnsüchtigen‘ 19. Jahrhundert in Verbindung bringt, scheint am Ende des langen 19. Jahrhunderts endgültig seine existenzielle Ausdeutung zu erhalten.49 Die besprochenen kunst- und wohntheoretischen Texte verdeutlichen, dass zumindest die künstlerisch-intellektuelle Avantgarde (jenseits von sozialen Fragen, die in der Zeit natürlich auch präsent sind50) um das ‚richtige Wohnen‘ ringt, vor dem Hintergrund einer zu Beginn des 20. Jahrhundert immer komplexer und heterogener gewordenen Gesellschaft. Diese Dynamik soll bei der Analyse der Fortschreibung der Wohndiskurse in der Literatur bis zum Ersten Weltkrieg verfolgt werden. Zwei Perspektiven werden in den Blick genommen: zunächst die Literatur des Naturalismus, in der gerade der kleinbürgerlichen Welt eine Stimme gegeben wird und neue Ausdrucksformen erprobt werden. Zweitens steht eine Literatur im Mittelpunkt, die insgesamt dem Ästhetizismus zugeordnet werden kann, wenn man ihn als Dach der Strömungen versteht, das zum Beispiel auch die Dekadenz-Literatur und das Fin de siècle abdeckt.51 Jedoch soll zunächst die Perspektive der Psychologisierung und Ästhetisierung eingenommen werden, insbesondere in ihrer Wiener Variante. Zuletzt wird es um die Dekadenz und die Ausprägungen von Wohnisolation und Zerstörung gehen. Die inhaltliche Parallelität dieser Perspektiven liegt in ihrem jeweils spezifischen Umgang mit dem Ende der bürgerlichen Wohnkultur im Sinne des 19. Jahrhunderts: Im ersten Fall (Naturalismus) wird gezeigt, wie die veränderte gesellschaftliche und soziale Lage zu einer desaströsen Lage des Individuums in seiner (literarischen) Wohnung führt. Im erzählten Wohnen ästhetizistischer Prägung, das zudem in der Sprache der zeitgenössischen Psychoanalyse eine

48 Ebenda, S. 382. Vgl. auch Moravánsky: Verheimlichte Räume, S. 75–77. 49 Vgl. Benjamin: Gesammelte Schriften, Bd. V.1, S. 53. 50 Vgl. zu diesem Komplex Zimmermann: Wohnen als sozialpolitische Herausforderung. 51 Vgl. die Überblicksdarstellungen von A. Simonis: Art. Ästhetizismus. – In: Metzler Lexikon. Literatur- und Kulturtheorie, S. 5–7, und Fähnders: Avantgarde, S. 101. Zur Begriffsdiskussion vgl. auch Kafitz: Décadence in Deutschland, bes. S. 149–230.

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verwandte Ausformung findet, wird der Wohnraum zum gesteigerten Ort der Isolation des Inneren, der die produktive Form des Wohnens aufhebt. Zum Abschluss soll deutlich werden, wie die Wohnung als Wohnort auf der erzählten Ebene konkret bedroht ist oder aber als gemeinsamer Wohnraum für die Bewohner nicht mehr erschlossen werden kann. Die bisher verfolgten Wohndiskurse werden dabei in der Literatur der Jahrhundertwende wieder vielfältig aufgegriffen und radikaler zugespitzt, als es etwa für die Literatur der Biedermeierzeit oder des (poetischen bzw. bürgerlichen) Realismus feststellbar gewesen ist. Das Potential des Diskurskomplexes vom bürgerlichen Wohnen entfaltet am Ende des langen Jahrhunderts noch einmal seine narrativen Möglichkeiten.

4.2 D IE

SOZIALE R ADIKALITÄT DER W OHNOBERFLÄCHE (Holz/Schlaf: Ein Tod, Papa Hamlet, Kretzer: Meister Timpe)

Synchron zu den Werken des späten Realismus erprobt sich eine jüngere Autorengeneration in der bewussten Erfassung der Oberfläche von Wirklichkeit. Verklärung und symbolische Durchdringung von Texten werden abgelehnt, so dass zum einen die soziale Wirklichkeit explizit thematisiert wird, zum anderen öffnet sich der Raum für ein experimentelleres Schreiben. Dieser Spur soll zunächst anhand von Arbeiten des Naturalismus, nämlich von Arno Holz und Johannes Schlaf mit Bezug zum Wohnkomplex nachgegangen werden. Ihre Arbeiten sollen hierbei als die von ‚konsequenten Realisten‘52 gesehen werden und damit als gesteigerte Form des Realismus, die sich zumindest für kurze Zeit als eine innovative Strömung im ausgehenden 19. Jahrhundert entfaltet.53 Zu Recht ist die Bedeutung des Dramas für den Naturalismus herausgestellt worden, und in diesen Werken fallen bekanntlich die langen Regieanweisungen auf, die in einem analytischen Sinn bereits Erklärungsmuster für die von einer sozialen Problematik überschattete Handlung anbieten.54 So beginnt etwa Die Familie Selicke von Arno Holz und Johannes Schlaf mit einer ausführlichen Anweisung der Ausstattung des Bühnenraums, und zwar als Wohnraum:

52 Vgl. zu dem Begriff Sprengel: Geschichte der deutschsprachigen Literatur. 1870– 1900, S. 113f. 53 Vgl. aus jüngerer Zeit Bunzel: Literatur des Naturalismus, S. 7–11. 54 Vgl. Mahal: Naturalismus, S. 93f.

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„Das Wohnzimmer der Familie Selicke. (Es ist mässig gross und sehr bescheiden eingerichtet. Im Vordergrunde rechts führt eine Thür in den Corridor, im Vordergrunde links eine in das Zimmer Wendt’s. Etwas weiter hinter dieser eine Küchenthür mit Glasfenstern und Zwirngardinen. Die Rückwand nimmt ein altes, schwerfälliges, grossgeblumtes Sopha ein, über welchem zwischen zwei kleinen, vergilbten Gypsstatuetten „Schiller und Goethe“ der bekannte Kaulbach’sche Stahlstich ‚Lotte, Brot schneidend‘ hängt. […])“55

Die beschriebenen Wohn-Requisiten werden im Laufe des Stücks immer wieder aufgegriffen und die Figuren werden in der Wohnung genau verortet, etwa zu Beginn des zweiten Aktes: „(Dasselbe Zimmer. Es ist Nacht, durch das verschneite Fenster fällt voll das Mondlicht. Frau S e l i c k e sitzt wieder neben dem Bett und strickt, T o n i arbeitet am Sophatisch, auf welchem hinter dem grünen Schirm die Lampe brennt, A l b e r t sitzt neben ihr, liest, blättert und gähnt ab und zu, Wa l t e r steht vorm Fenster, die Arme auf das Fensterbrett gestützt.)“56

Bereits die zeitgenössische Kritik überführte die Funktion der langen Bühnenanweisungen in eine Gattungsdiskussion.57 Friedrich Spielhagen integriert dabei ausdrücklich die detaillierte Wohnraumbeschreibung in seine Argumentation, wenn er Details der Zimmerbeschreibung – etwa den Sonnenstand oder den Blumenduft – mit Bezug auf das Drama ironisiert: „Die Verwechselung der dramatischen mit der epischen Kunst, auf die ich bereits oben hindeutete, tritt dabei manchmal auf das ergötzlichste zu Tage. So in der Kleinkrämerei der scenischen Anweisungen in usum der Regisseure und Schauspieler. Da wird uns kein kleinstes Möbel, kein Kaffeetassenuntersatz geschenkt. Der Stand der Sonne, die atmosphärische Stimmung, ein Blumenduft, der durch das Zimmer weht – das alles sind Dinge von immenser Bedeutung. […] wenn euch diese Dinge schon einmal so ans Herz gewachsen sind, schreibt doch nur gleich Romane und Novellen, wo ihr in dergleichen epischen Details schwelgen könnt!“58

55 Holz/Schlaf: Neue Gleise, S. 229. 56 Ebenda, S. 265. 57 Vgl. Fähnders: Avantgarde, S. 46–48. 58 Spielhagen: Das Drama, die heutige litterarische Vormacht (1898) – zit. aus: Naturalismus. Manifeste und Dokumente, S. 304f.

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Die narrativen Strukturen der dramatischen Raumbeschreibungen sind zweifellos auch in einem Roman oder in einer Novelle anzutreffen; man denke an den oben zitierten Satz aus der Familie Selicke, um nur ein Beispiel zu nennen: „A l b e r t sitzt neben ihr, liest, blättert und gähnt ab und zu […].“ Dass gerade auch der Wohnraum zum bis ins Kleinste inszenierten Bühnenraum wird, überrascht indes nicht, schließlich hat sich der Wohnraum für die literarische Inszenierung bereits in Prosatexten als produktiv erwiesen. Im Folgenden soll vor dem Hintergrund des hier verfolgten Ansatzes, der sich auf Erzähltexte konzentriert, die Kritik Spielhagens aufgegriffen werden und der Blick auf die Romane und Novellen gerichtet werden. Texte wie Ein Tod oder Papa Hamlet von Holz und Schlaf enthalten naturgemäß keine den Raum beschreibende Bühnenanweisung, aber auch keine Raumexposition zu Beginn. Die Skizze Ein Tod über den nach einem Duell in seinem Zimmer sterbenden Studenten fokussiert zwar das Zimmer des Verletzten, aber es werden viele kleine Details in den Erzählfluss eingebaut, so dass sich erst Stück für Stück ein Eindruck vom Zimmer zusammensetzt. In Papa Hamlet ist zu Beginn von der Dachwohnung, in der die Familie des arbeitslosen Schauspielers Thienwiebel lebt, nur sehr indirekt die Rede. Einem kurzen Erzählerkommentar folgt sogleich ein Figurendialog, der (stilistisch bewusst die mündliche Rede simulierend) nur in Bruchstücken auf Elemente im Raum Bezug nimmt, z.B.: „Das, das ist ja eine, eine – Badewanne!“, sagt etwa Ole Nissen, als er über diese überrascht stolpert. Der Erzähler ergänzt: „Er hatte eben die Küche passirt […].“59 Aus dem Gesamtkontext lässt sich rekonstruieren, dass der Mitbewohner Nissen gerade in die Geburt von Thienwiebels Kind ‚hineinstolpert‘. Marianne Wiecker hat im Einzelnen herausgearbeitet, welche Informationen der Leser am Anfang aus den Dialogfetzen erhält. Bezogen auf die räumlichen Dimensionen kann man feststellen, dass „der Vorgang in einem Hause und nicht etwa auf der Straße stattfindet“, dass „Horatio [d. i. Ole Nissen] sich nicht im gleichen Zimmer wie Thienwiebel befindet […]“ sowie dass wegen des Stolperns die Küche offenbar „halbdunkel“ ist.60 Der Wohnraum wird also als beengt ohne wirkliche Privatzone inszeniert. Die Feststellung, dass sich die Handlung im Hause abspielt, betont zu Recht die Vorliebe des Naturalismus für den Innenraum, der – wie bereits eben bei Familie Selicke gesehen – gerade auch im Dra-

59 Holz/Schlaf: Neue Gleise, S. 111. Die beiläufige Eingliederung der Badewanne in den erzählerischen Raum gibt nicht nur (kleinbürgerliche) Wohnrealitäten wieder, sie narrativiert auch einen komplexen wie sensiblen bürgerlichen Ort. Vgl. zur Kulturgeschichte des Badens Schmidt: Zwischen Hygiene, Intimität und den „rosa Wangen“. 60 Wiecker: Leserrolle, S. 280.

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ma anzutreffen ist: „Der geschlossene Raum als Begrenzung ist überhaupt bühnentechnisch Konstituens naturalistischer Theatralik […].“61 Von einer topographischen Zuspitzung, in der der erzählte Raum aus einer übergeordneten Perspektive immer weiter eingegrenzt wird – wie es für Fontane typisch ist, wenn man zum Beispiel an den Anfang von Effi Briest oder Irrungen, Wirrungen denkt –, kann keine Rede sein. Die Funktion der beschriebenen Raumdetails ist nicht mehr ihre Teilhabe an einem symbolischen Verweisungsnetz. Durch das Diktum Conrad Albertis, dass alle Vorgänge in der ‚Natur‘ gleichwertig und damit ebenso künstlerisch gleichrangig zu behandeln seien, erhält die Detailliebe im Naturalismus ihre Grundlage.62 Die erzählte Welt wird nicht mehr ausdrücklich miteinander verknüpft, insgesamt bleibt diese ‚impressionistische‘ Welt aus der Nähe gesehen unscharf, aus der Ferne erhält sie aber eine dynamische Klarheit.63 Der ästhetische Diskurs dominiert in dieser Form die narrative Technik in der Fortschreibung des bürgerlichen Wohnens, stofflich bietet sich zudem dieser Diskurskomplex an, da die Wohnung der Hintergrund und der äußere Ausdruck der Lebenswelt ist. Das Anzeigen des sozialen Milieus in der Wohnung rückt in den Vordergrund. Die indexikalische Funktion64 der Raumbeschreibung der literarischen Zeichen sticht nun ‚konsequent‘ hervor.65 Weitere Beispiele aus den Erzählungen Ein Tod und Papa Hamlet sollen die naturalistische Rauminszenierung von Holz und Schlaf veranschaulichen. Anhand der Erzählung Ein Tod formuliert und prägt Hanstein den Begriff vom ‚Sekundenstil‘, um sogleich Holz‘ Kritik an Zola anzugreifen. Für die Funktion der Wohnraumdarstellung ist dabei bezeichnend, in welcher Weise Hanstein polemisiert: „Pedantisch war der Grundcharakter dieser sogenannten neuen Kunstform der Herren Holz und Schlaf. Sie hatten den Zola ‚überzolat‘. Den gleichen Raum, auf dem Zola in

61 Mahal: Naturalismus, S. 177. 62 Conrad Alberti: „Wie die Natur das einzig Reale und darum das einzige Gebiet des Künstlers ist, so ist auch kein Winkel, kein Fleck, kein Geschöpf, kein Vorgang in derselben, der nicht der künstlerischen Verkörperung würdig und fähig wäre. […] Darum giebt es für den Künstler keine Stoffe zweiten oder dritten Ranges, sondern rein stofflich betrachtet, steht jedes natürliche Objekt, jeder Vorgang gleich hoch […].“ Alberti: Die zwölf Artikel des Realismus. Ein litterarisches Glaubensbekenntnis (1889). – zit. aus: Naturalismus. Manifeste und Dokumente, S. 53f. 63 Vgl. Mahal: Naturalismus, S. 176. 64 Vgl. Aust: Theodor Fontane, S. 17. 65 Vgl. auch die Affinität für die Räume der Arbeiterwelt Mahal: Naturalismus, S. 177.

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seinem ‚Germinal‘ mit unglaublicher Ausführlichkeit das Leben und Treiben in einem Bergwerk, die Schachte, Stollen und Gänge, die Maschinen, die Fahrvorrichtungen, die Wohnungen und das Familienleben der Arbeiter, den Streik und seine Niederwerfung schildert – denselben Raum würden Holz und Schlaf gebraucht haben, um einen einzigen Rundgang durchs Bergwerk wiederzugeben. – In der Tat, sie hatten den ‚konsequenten‘ Naturalismus entdeckt und damit den alten Satz bewiesen: daß man das Falsche mancher Anschauung erst dann erkennt, wenn man ihre äußerste Konsequenz zieht.“66

Auch wenn der Begriff ‚Sekundenstil‘, der zum Ausdruck bringen soll, dass „Sekunde für Sekunde Zeit und Raum geschildert werden“,67 relativiert worden ist, da der Erzählfluss nur scheinbar stets sukzessiv ist und vielmehr durch das Erzähltempus gebrochen wird,68 so ist dieser als Begriff für eine Momentaufnahme der Wohnwelt gleichwohl weiterhin anschaulich. In Ein Tod wechselt sich eine hastige, Mündlichkeit simulierende Figurenrede mit kurzen Einschüben des Erzählers ab, indem die Umgebung des Sterbenden und seiner Freunde beschrieben wird. Nach einem eindringlichen Stammeln von dem in einem Duell verwundeten Martin beruhigt sich die Situation und auf der Wohnbühne kehrt Ruhe ein: „Erschöpft war Olaf wieder in seinen Lehnstuhl zurück gesunken.“69 Nachdem die Bewegung nun im Raum aufgehört hat, folgt eine typische Beschreibung der Veränderungen des Raumes: „Im Zimmer wurde es jetzt hell. Die Messingthüren an dem weissen Kachelofen neben der Thür funkelten leise. Draussen fingen die Spatzen an zu zwitschern. Vom Hafen tutete es.“70 Auffällig ist hierbei, dass die Außenwelt stets aus der Innenperspektive des Krankenzimmers beschrieben wird. Der Bezugsraum ist allein das kleine Zimmer, in dem Martin zur Miete wohnt. Die Wahrnehmung der Nachtwache haltenden Freunde, Jens und Olaf, ist auf das gerichtet, was in den Raum dringt. Genau dies schildert der Erzähler, es ist der Alltag der ungebrochen weitergeht, auch wenn in dem Haus jemand stirbt: „Unten hatte die Hofthür geklappt. Jemand schlurfte über den Hof. Ein Eimer wurde an die Pumpe gehakt. Jetzt quietschte der Pumpenschwengel. Stossweise rauschte das Wasser

66 Hanstein: Das jüngste Deutschland, S. 160. Vgl. auch Stückrath: Die naturwissenschaftlichen Grundlagen, S. 26f. 67 Hanstein: Das jüngste Deutschland, S. 159. 68 Vgl. Schubert: Das epische Plusquamperfekt. 69 Holz/Schlaf: Neue Gleise, S. 210 70 Ebenda, S. 211.

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in den Eimer. Langsam kam es über den Hof zurück. Die Thür wurde wieder zugeklappt. Sie sahen zu dem hellen Fenster hin. Unwillkürlich hatten sie beide tief aufgeathmet.“71

Es ist gerade die Grenze zwischen innen und außen, zwischen der Erfahrungswelt der Protagonisten und der als Störung erlebten Welt der anderen, die inszeniert wird: „Donnerwetter! Ist das eine wüste Wirthschaft hier!“, ruft einer der Freunde vor dem Hintergrund der erlebten Zustände im nächtlichen Haus,72 der Blick hinaus wird seinerseits als langweilig erfahren: Jens schaut vom Sofa aus „zwischen den Arabesken der Gardinen hindurch“ nach einem „kleinen, grünen Stern“ über einem „Schornstein“ und „langweilte sich scheusslich“.73 Die ganze Nachtwache ist geprägt von äußerlichen Störungen: Katzen kreischen „ohrenzerreissend“74 oder man hört einen Betrunkenen sich nähern, der bis ins Zimmer kommt: „[…] und ein unförmiger, schwarzer Klumpen [war] über die Schwelle weg prustend ins Zimmer gekugelt“.75 Schließlich hört man vom Nachbarn eine „Ballade durch die dünne Holzwand“.76 Außer diesen Ereignissen drängt Weiteres auf das Krankenzimmer ein, auf das die Personen im Inneren ebenso keinen Einfluss haben: Es wird erzählt, welche Veränderung die aufgehende Sonne im Raum hat: „Langsam schlich sich der anbrechende Morgen an der Fensternische entlang in das dumpfige Zimmer. Das Glanzleder des Sophas hatte leise zu schimmern angefangen, der unruhige Lichtfleck oben an der Decke wurde immer blasser.“77 Die Störungen der Außenwelt, seien sie sozialer, seien sie natürlicher Art, werden gleichrangig als unkontrollierbare Faktoren inszeniert, die in den Wohnraum dringen. Jedoch ist auch der Innenraum gebrochen, was insbesondere durch das Bett des Verwundeten deutlich wird. Dieses knarrt wiederholt und bricht schließlich teilweise ein. Als Martin in einen wilden Wachzustand gerät, halten die Freunde ihn fest und versuchen für eine Beruhigung zu sorgen. Dann formuliert der Erzähler: „Ein Brett, das sich unten aus der alten Bettlade gelöst hatte, war jetzt auf die Dielen gekracht. Sie wurden hin und her geschleudert… Endlich hatten sie Martin in das zer-

71 Ebenda, S. 211. 72 Ebenda, S. 212. 73 Ebenda, S. 202. 74 Ebenda, S. 199. 75 Ebenda, S. 203. 76 Ebenda, S. 215. 77 Ebenda, S. 209.

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wühlte Bett wieder niedergezwängt. [...] Das runtergezerrte Deckbett hatte Jens wieder sorgsam über ihm zurechtgerückt.“78

Einerseits drückt das marode Möbel zwar die einfachen Wohnbedingungen der Studenten aus, andererseits wird dieses Detail in die narrative Konstruktion des Wohnens und des Wechselspiels von innen und außen integriert. Schließlich bietet die Bettzone auch keinen Schutz, keinen Ort möglicher Erholung. Noch nach dem Tod Martins wird das Bett Teil der Inszenierung der Außenwelt, die es auch endgültig eingenommen hat: „Vom Fenster bis zum Bett zog sich ein lichter Balken wimmelnder Sonnenstäubchen.“79 Das Ereignis des Todes wird nicht explizit reflektiert, aber die drastische Darstellung des Sterbenden und die Reaktionen der Freunde und der hinzukommenden, weiteren Personen am Ende lassen keinen Zweifel an der bewussten Darstellung eines Todes, der nicht nur qualvoll zu sein scheint, sondern unumgänglich ist. In diesem Sinn wird auch das Duellwesen selbst nicht explizit in Frage gestellt. Es wird Teil der kritischen gesellschaftlichen Forderungen, denen sich die Protagonisten nicht entziehen können. Die Wohnung wird als letzter unhintergehbarer Fluchtpunkt und als ständiger und auch letzter Vollzugspunkt des Menschen zur diskursiven Bühne, auf der sich letztmalig alles zusammenzieht, und die nach dem Tod des Bewohners im Ganzen aufgeht, das heißt sich auflöst. Fritz Martini hat darauf hingewiesen, dass Ein Tod noch mit dem bürgerlichen Realismus verwandt ist, aber mit neuen Mitteln arbeitet: „Diese Studentengeschichte war neu in der formalen Durchbildung, nicht im Stoff und in ihrer Stimmung.“80 Dies gilt in ähnlicher Weise für den Umgang mit dem Diskurskomplex vom bürgerlichen Wohnen. Die erzählte Wohnwelt ist sicherlich stilistisch Teil der Veränderung von Holz und Schlaf im Zuge des postulierten neuen Kunstgesetzes. Das erzählte Wohnen wird als Teil der Oberflächenstruktur der gleichrangigen Phänomene in den Text aufgenommen. Es werden jedoch narrative Grundmuster des Wohnens wiederholt: die Funktionalisierung der Grenze, der Verlust der Intimität (und damit auch der Identität) bis zum Tod, gesteigert dargestellt anhand des sich ‚auflösenden‘ Betts. Auch wenn der Holz’sche Naturalismus eine Abkehr von symbolischen und metaphorischen Elementen sucht, kehren mindestens auf dieser Ebene Verweisungsstrukturen im Text wieder, die längst etabliert sind. Die Innovation für den Diskurskomplex Wohnen ist damit

78 Ebenda, S. 207. 79 Ebenda, S. 217. 80 Martini: Nachwort, S. 115.

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tatsächlich in den kurzen beschreibenden Momentaufnahmen der Einrichtungsgegenstände und des Zimmers insgesamt zu suchen. Die Erzählung Papa Hamlet ist stilistisch und ästhetisch eng mit Ein Tod verbunden, jedoch ist das soziale Milieu kleinbürgerlich und proletarisch und nicht mehr bildungsbürgerlich-studentisch. Typisches Merkmal ist die Näherin in der Dachstube,81 die sich auch in Papa Hamlet in der Figur der Amalie, Thienwiebels Frau, wiederfindet. Das letzte Kapitel (VII) der Erzählung, das inhaltlich, aber auch stilistisch den Höhepunkt bildet, soll nun schwerpunktmäßig mit Fokus auf den Wohnraum analysiert werden. Das Schlusskapitel handelt von der Silvesternacht in der Wohnung Thienwiebels, die aber keine klar abgrenzten Bereiche zu den Nachbarn bzw. Mitbewohnern aufweist. Der soziale Abstieg der kleinen Familie ließ sich nicht aufhalten und die Vermieterin, Frau Wachtel, hat ihr endgültig gekündigt; der Zwangsauszug steht unmittelbar bevor. Das Kapitel beginnt mit der Beschreibung der Kälte, die das Zimmer ausfüllt. Amalie sitzt auf einem kleinen Bänkchen, der Ofen ist ausgekühlt. Die folgende Raumschilderung fokussiert von außen bis in die Enge eines Raumausschnitts hinein die hoffnungslose Lage Amalies; und die Zeit steht scheinbar für einen Moment still. „Die letzten Töne draussen brummten und zitterten noch, das kleine Talglicht, das in eine leere, grüne Bierflasche gesteckt dicht vor ihr auf dem umgekippten Kistchen mitten zwischen dem Nähzeug stand, knitterte in der Kälte. Frau Wachtel nebenan schnarchte, der kleine Fortinbras hatte sich drüben in seinem Korb wieder unruhig auf die andere Seite gewälzt. Sein Athem ging rasselnd, stossweis, als ob etwas in ihm zerbrochen war. Draussen auf das Fensterblech war eben wieder ein Eiszapfen geprasselt. Dicht davor, unterm Bett, jetzt deutlich das scharfe Nagen einer Maus. Zwölf! Sie hatte ihr Nähzeug wieder fallen lassen. Ihre Finger waren krumm zusammengezogen, sie konnte sie kaum noch aufkriegen. Um die Nägel herum waren sie blau angelaufen. Sie hauchte jetzt in sie hinein. Ihr Athem brodelte sich staubgrau um das kleine, zitternde Flämmchen. Eine verspätete Fliege, die dicht neben dem schwarzen Docht in den kleinen, runden Talgkessel drunter gefallen war, verkohlte langsam. Ab und zu knisterte es . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [ … ] “ 82

81 Vgl. Mahal: Naturalismus, S. 177. Zur Schilderung des Milieus vgl. zum Beispiel auch Möbius: Positivismus, S. 101–107. Zur „Darstellung der Dingwelt und Natur“ siehe ergänzend Brands: Theorie, S. 217–228. 82 Holz/Schlaf: Neue Gleise, S. 150.

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Das Schnarchen von Frau Wachtel, die Unruhe des Kindes grenzen den Raum akustisch im Inneren ein, das brechende Eis vor dem Fenster von außen. Dann wendet sich der Blick des Erzählers auf Amalie: die nächste Umgebung wird beschrieben, ihre Nägel, eine Maus, das Knistern, das an das Ohr von Amalie zu drängen scheint, das schließlich typographisch im reduzierten Sekundenstil83 mit Punkten angedeutet wird. Der Wohnraum hat sich auf diese Weise für Momente auf einzelne Punkte hin konzentriert, die in ihrer Abstraktion keinerlei Lebensperspektive mehr für Amalie bereitzuhalten scheinen. Es ist die Außensicht des Naturalisten, die vorherrscht, und doch lässt zugleich die Raumkomposition eine bewusste Inszenierung deutlich werden, die durch ihre Selektion der Phänomene eine rein objektive Gleichrangigkeit unterläuft. Die Methode der bedrückenden Wohnraumdarstellung unterstreicht aktiv die verhängnisvolle, passive Situation Amalies. Die beschriebene Atmosphäre erfährt im nächsten Augenblick aber eine schreckhafte Entfaltung. Von draußen sind Hilfe-Rufe zu hören, die Amalie aufhorchen lassen. Aus einem Stillstand wird der Raum dynamisiert: „Sie war aufgesprungen und ans Fenster gestürzt. Das kleine Talglicht hinter ihr war erloschen. Es war umgekippt und lag jetzt unter dem Nähzeug.“84 Sie wird Ohrenzeuge einer Verfolgung, dann hört sie Neujahrswünsche am Fenster stehend. Der Blick aus dem Fenster wird in dieser Szene detailliert erzählt: „An allen Gliedern bebend hatte sie jetzt die alte Bettdecke in die Höhe gerafft und suchte nun durch die wirbelnden Schneeflocken draussen von unten auf die Straße zu sehn. Ihre Zähne klapperten vor Frost, die Schere, die sie noch fest in der Hand hielt, klirrte im Takt gegen die Scheibe.“85 Das Schneetreiben erinnert an Melanie van der Straatens Ausblick aus dem Fenster auf den Markt während des Gesprächs mit ihrem Ehemann zu Beginn von Fontanes L’Adultera. Melanies zwiespältige „Sehnsucht“ beim Ansehen des „Flockentanzes“, aber auch das symbolische Erscheinen des (wagnerischen) Kutschers, der die antizipierende Tintoretto-Kopie bringen wird,86 zeigen, dass die Symbolik bei Holz und Schlaf deutlich reduzierter ist. Gleichwohl wird der Fensterblick bewusst inszeniert als Möglichkeit, die trostlose Kälte wie die Perspektivlosigkeit Amalies zu veranschaulichen, auch dadurch dass der Schneefall den freien Blick behindert. Vor

83 Vgl. z.B. auch Stückrath: Die naturwissenschaftlichen Grundlagen, S. 25f. 84 Holz/Schlaf: Neue Gleise, S. 151. 85 Ebenda. 86 Fontane: Werke, Schriften und Briefe. Abt. I, Bd. 2, S. 11. Vgl. S. 197 dieser Arbeit. Zur Symbolik bei Holz/Schlaf vgl. Möbius: Positivismus, S. 96; vgl. auch die Schilderungen bei Cowen: Naturalismus: S. 153f.

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allem aber erscheint Amalie nicht mehr in der Lage, aktiv ihre Situation reflektieren zu wollen oder zu können. Trotz naturalistischer Schilderung zeigt sich eine ähnliche Konstellation nach der nächtlichen Rückkehr des betrunkenen Thienwiebel anhand der Zerstörung eines Möbels. Als Thienwiebel seine Frau zum Beischlaf nötigt, wirft er seinen Rock beiseite: „Das kleine Spiegelchen über der Commode, gegen das er ihn geschleudert hatte, war runtergeschurrt und lag nun zersplittert auf dem blinkernden Wachstuch.“87 Mit der Zerstörung des Spiegels über der Kommode ist nicht nur ein Stück einer vermeintlichen bürgerlichen Identität verlorengegangen. Die erzählerische Integration des Spiegels zeigt bewusst an – ähnlich wie bei Amalie zuvor –, dass Thienwiebel nicht mehr in der Lage ist, über sich selbst reflektieren zu können. Die Wohnung ermöglicht keine Identitätsfindung mehr und die Illusion einer großen Schauspielerkarriere trägt nicht mehr. Zuvor konnte der Spiegel (3. Kapitel) noch Teil der eigenen Inszenierung von scheinbarer Größe sein: „weil er wieder etwas wie einen Monolog in sich verspürte, war [Thienwiebel] jetzt tragisch auf das kleine, runde Spiegelchen über der Kommode zugetreten, aus dem ihm nun sein schöner, edelgeformter Apollokopf melancholisch zunickte.“88 Im Schlussabschnitt von Papa Hamlet findet auch das jüngste Familienmitglied sein Ende, dieses Mal tatsächlich: Thienwiebel erstickt in Raserei seinen eigenen Sohn, der durch sein Schreien die gereizte wie gedrückte Stimmung in der Wohnung weiter verschlechtert hatte. Der Tod des Kindes in der eigenen Wohnung pervertiert die Wohnung in ihrer Funktion als Schutzraum. Nach der Katastrophe scheint die Zeit stillzustehen und die Raumdarstellung konzentriert sich wieder auf die typographische Darstellung von Punkten und des Ausdrucks „Tipp“.89 Nur noch ein paar, stille, gerade wahrnehmbare Geräusche konstituieren den Raum.90 Die Wohnung ist scheinbar leer; die eigentliche Figuren- und Situationsdarstellung bricht ab. Der Tod von Thienwiebel auf der Straße eine Woche später zeigt: Er hat keinen Zugang mehr in eine Wohnung gefunden, sein Wohnen und Leben ist zu Ende. Arno Holz und Johannes Schlaf haben im Modus eines konsequenten Realismus eine neue literarische Ausdrucksform gesucht und dabei sich nicht nur kritisch mit Zola auseinandergesetzt, sondern die Form – auch wenn dies nicht

87 Holz/Schlaf: Neue Gleise, S. 153. 88 Ebenda, S. 124. 89 Ebenda, S. 159. 90 Zu den erzählten Geräuschen bei Holz/Schlaf bzw. in Papa Hamlet vgl. auch Henkel: Geräuschwelten im deutschen Zeitroman, S. 291–295.

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streng zu trennen ist – der Thematisierung des sozialen Milieus untergeordnet.91 Die Romane von Max Kretzer sind demgegenüber formal und stilistisch konventionell, grenzen sich dabei aber thematisch von den Autoren des bürgerlichen Realismus ab. Den Roman Meister Timpe (1888), der nun im Vordergrund stehen soll, wird im Untertitel als „Sozialer Roman“ bezeichnet. Kretzer setzt sich in seinen poetologischen Äußerungen mit der zeitgenössischen Realismus-Naturalismus-Debatte konkret auseinander und kommentiert dabei unter anderem auch die Stellung des Experimentalromans Zolas. In einem Zeitschriftenbeitrag zum so genannten ‚Berliner Roman‘ aus dem Jahr 1885 hebt Kretzer selbstbewusst darauf ab, „der Erste gewesen zu sein, der dem Roman, der in Berlin spielt, seine richtige Bezeichnung gab, und mit dem Realismus Ernst machte“.92 Kretzer nimmt mit Bezug auf seine früheren Romane für sich in Anspruch, dass er das Berliner Leben schriftstellerisch so erfasste, „wie es sich wirklich zeigte“.93 Angeblich hätten die Leser entsprechend reagiert und Fiktion und Wirklichkeit nicht mehr auseinanderhalten können: „Der Eine fragte an, ob denn das und das wirklich passirt sei, da die Straße genannt sei, in der er wohne.“94 Kretzer stellt sich methodisch an die Seite von Zola, wenn er sagt, dass er vor den Niederschriften in (literarischen) Skizzen die Wirklichkeit einzufangen sucht: „Und um die wirkliche Welt mit ihren Höhen und Tiefen kennen zu lernen, dazu gehörten Studien, Studien und nochmals Studien. Auch der Schriftsteller sollte sein litterarisches Skizzenbuch mit sich herumtragen.“95 Sein nur wenige Jahre später erschienener Text Objektivität und Subjektivität in der Dichtung offenbart einen komplexeren Realismus-Begriff und eine kritischere Distanz zu Zola. Kretzer stärkt nun die Funktion der Subjektivität, die notwendig sei für eine angemessene Objektivität. Bewusst sollen die „Seelenvorgänge des Menschen“ mit den äußeren Begebenheiten zusammengebracht werden, so würde letztlich ein „gesunde[r] Naturalismus“ ermöglicht.96 In demselben Aufsatz diskutiert Kretzer auch die Frage nach dem Realismus eines Monologs auf der Bühne, der, so die Kritiker, als unrealistisch abzulehnen sei.

91 Vgl. Bunzel: Naturalismus, S. 97. 92 Kretzer: Zur Entwicklung und Charakteristik des „Berliner Romans“ (1885). – zit. nach: Naturalismus. Manifeste und Dokumente, S. 243. 93 Ebenda. 94 Ebenda. 95 Ebenda, S. 244. 96 Kretzer: Objektivität und Subjektivität in der Dichtung (1888/1889). – zit. nach: Naturalismus. Manifeste und Dokumente, S. 114.

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Aufschlussreich für den Wohnkomplex ist dabei die Wahl von Kretzers Beispiel, in dem das Zimmer zur Bühne der potentiellen Selbstaussprache wird: „Man stelle sich einmal Folgendes vor: Ein Mensch hat soeben etwas erlebt, was ihn sehr bewegt. Er betritt sein Zimmer, denn er hat das Bedürfnis, mit sich allein zu sein und das Für und Wider der überstandenen Situation und der noch zu erwartenden zu erwägen. Er geht auf und ab, er setzt sich, erhebt sich wieder. Er faßt Gedanken, verwirft sie wieder, stellt allerelei Betrachtungen an, die notwendig sind, um seinen Willen zu bestimmen. Alles das wiederholt sich tagtäglich bei unzähligen Menschen. Was ist denn dieses Zimmer nun anders, als der Schauplatz, auf dem sich ein Stück Leben abspielt?“97

Kretzer plädiert dafür, dass man nun die „Gedanken laut werden“ lassen müsse; dies gehört als ein Baustein zur Schaffung einer „höchste[n] Objektivität“.98 Schließlich müsse auch „aus einem Wust von Thatsachen, Schicksalen und wirren Redensarten das Wichtigste und Wesentlichste“ ausgewählt und in Form gebracht werden, und zwar mit „dem Auge des Dichters, geläutert durch seine geistige und seelische Empfindung“.99 Implizit stellt Kretzer damit auch die Wohnraumdarstellung, was für das Drama wie für Erzählliteratur gelten kann, in den Kontext der realistischnaturalistischen Inszenierung, und zwar nicht nur in der zu erwartenden Funktion als Teil einer Milieuschilderung, sondern als privater Raum, in dem die inneren, psychischen Vorgänge nach außen gekehrt werden. Dies geschieht durch die postulierte Selbstaussprache, aber auch im Auf-und-Ab-Gehen im Zimmer bzw. in der Aneignung dieses ‚Schauplatzes‘. Damit ist eine Parallele zum Realismus eines Fontanes feststellbar, der aktiv die Räumlichkeiten des Wohnens in sein Verweisungsnetz integriert. Außerdem ist der von Kretzer aufgegriffene Begriff der ‚Läuterung‘ eine Annäherung an die älteren Realisten; gleichwohl haben sich Fontane und Kretzer kritisch gegenübergestanden. Zum einen positioniert sich Kretzer – wie oben bereits gezeigt – selbst als der eigentliche Autor des Berliner Romans, andererseits bleibt Fontane gegenüber dem jüngeren Schriftstellerkollegen stets distanziert. Er zählt Kretzer zu der Kategorie von Autoren, die das ‚Häßliche‘ ohne die nötige Ästhetisierung schildern (etwa in Kretzers Drei Weiber) – trotz der späteren Kritik Kretzers an einem reinen Naturalismus; Fontane gibt sich kühl gegenüber Meister Timpe: Der Roman sei „trostlos und langwei-

97 Ebenda, S. 116 98 Ebenda. 99 Ebenda; vgl. den Herausgeberkommentar ebenda, S. 117 und S. 244f.

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lig“ und er bemängelt die Figurenzeichnung: „Was er gibt sind mehr angelesene als erlebte Figuren“.100 Die Figurenwelt in Meister Timpe ist mit der Familie Timpe einerseits dem Handwerk bzw. dem kleinbürgerlichen Milieu, andererseits mit der Familie um Urban, den Gegenspieler von Johannes Timpe, dem industriellen Großbürgertum entnommen. Hinzukommen Figuren, die in der sozialistischen Bewegung aktiv sind wie der alte Geselle von Timpe. Bereits daran lässt sich ablesen, dass Kretzer das soziale Gefüge des Berlins der Gründerjahre abzubilden sucht. Die Perspektive ist durch den Drechslermeister Timpe geprägt, der zugleich der handwerklichen Tradition verpflichtet ist und zumindest für kurze Zeit dem Aufstieg seines Sohnes Franz positiv gegenübersteht. Im Laufe der Handlung politisiert sich Johannes, der eigentlich kaisertreu und konservativ ist, und er besucht eine sozialistische Versammlung. Schließlich zerbricht er psychisch und stirbt, nachdem er sein eigenes Haus angezündet hat. Sein Sohn Franz ist dabei die „transitorische Figur“101, die zwischen den gesellschaftlichen Welten steht. Franz bricht aus der väterlichen Welt aus und macht eine berufliche Karriere gerade bei Urban, dem Konkurrenten aus der neuen Zeit. Urban, der mit seiner Frau und der Stieftochter Emma, die Franz heiraten wird, auf dem Nachbargrundstück wohnt, animiert Franz Timpe nicht nur dazu, die besten Modelle seines Vaters zu stehlen und ihm zu übergeben, er drängt auch dessen Vater, sein Haus zu verkaufen, damit der Fabrikneubau unbeschränkt durchgeführt werden kann. Gegen Letzteres stemmt sich Johannes Timpe bis zuletzt, finanziell ruiniert kann er aber auch dies nicht mehr aufhalten, was auch zu seinem Suizid entscheidend beiträgt. Kirsten Belgum hat für Meister Timpe festgestellt, dass am Ende die „destruction of the individual and his domestic interior“ steht: „The industrial metropolis will not tolerate Timpe’s isolation or act of personal resistance within the private interior.“102 Es würden damit genau jene Wohnräume in Frage gestellt werden, die etwa in Stifters Nachsommer noch als Ideal gestärkt wurden.103 Offenkundig thematisiert Kretzers Roman die Destruktion des ‚ganzen Hauses‘

100 Fontane: Werke, Schriften und Briefe, Abt. IV, Bd. 3, S. 630 (an Moritz Lazarus, Krummhübel, 9.8.1888;). Vgl. Ossowski: Theodor Fontane und Max Kretzer, hier S. 541f.; sowie Mayer: Allerwirklichste Wirklichkeit, hier S. 185; Aust: Fontanes Poetik, S. 421. 101 Bunzel: Naturalismus, S. 91. Vgl. ebenda, S. 90–97, die neuere Interpretation zu Kretzers Roman. 102 Belgum: Interior Meaning, S. 138. 103 Vgl. ebenda, S. 129.

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in der geschichtlichen Phase, in der die Industrialisierung endgültig alle Lebensbereiche (auch in Berlin) erreicht.104 Die Bewahrung des traditionellen Wohnens, wie es Riehl in seinen Novellen darzustellen versucht hat, ist für die Generation Kretzers nicht mehr möglich. Im Spätrealismus der älteren Autoren Fontane, Storm und Raabe wird der bürgerliche Wohnkomplex zwar nicht offen als gebrochen thematisiert, jedoch in einen experimentellen Realismus, der die Erfahrung von Wirklichkeit erprobt, integriert und funktionalisiert. Kretzers Roman ist nicht nur stilistisch wenig innovativ (im Vergleich zu Holz), sondern er setzt die inhaltlichen Intentionen mit den in die Literatur eingeführten Diskursen des Wohnens fort, wodurch das Haus Timpes zugleich zu einem der wesentlichen „Verdichtungspunkte städtischer sozialer Prozesse“105 wird. Aus der Perspektive der Wohndiskurse werden literarisch erprobte Darstellungsstrategien fortgeführt, die zum Teil im 18. Jahrhundert (etwa die Rolle des Einsiedlers bei Moritz), aber auch zeitgleich etwa bei Fontane anzutreffen sind. Der Beginn von Kretzers Roman zeichnet die Rückkehr des jungen Franz Timpe nach einer „durchzechten Nacht“106 ins väterliche Haus im Osten Berlins nach, der ausführlich charakterisiert wird: „Altehrwürdige Giebeldächer mit Mansardenfenstern blickten auf ihn herab. Unregelmäßig standen die Gebäude am schmalen Trottoir, hier eines von schiefer Haltung, wie von der Last der Jahre vornübergebeugt, dort eines weit hinter die Front gerückt, geziert mit einem kleinen Vorgarten, dessen Epheu die schmalen Fenster umrankte und bis zum Dache hinauflief. Nur vereinzelt überragte ein vierstöckiger Steinkasten, wie ein schlank gewachsener Jüngling zusammen geschrumpfte Greise, die vorväterlichen Wohnstätten, um einem stummen Wahrzeichen gleich den Segen der neuen Zeit zu verkünden.“107

Das Haus der Familie Timpe, in dem vom Großvater bis zum Enkel Franz und den Gesellen alle unter einem Dach wohnen, ist in einer Gegend gelegen, die von großen Umbrüchen geprägt ist. Dieser gesellschaftliche und industrielle Wandel umgibt das Haus und rückt unmittelbar an dieses und seine Bewohner heran:

104 Vgl. Swales: Epochenbuch Realismus, S. 171–176, hier S. 171, sowie Belgum: Interior Meaning, S. 132f. 105 Forderer: Großstadt im Roman, S. 216. 106 Kretzer: Meister Timpe, S. 2. 107 Ebenda, S. 3. Helmer merkt zu Recht an, dass es neben einer „makrokosmischen Beschreibung des Stadtviertels“ auch eine „mikrokosmische Beschreibung des Meisterhauses“ gibt; Helmer: Max Kretzer, S. 54.

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„Was dem Hause als ein besonderes Merkmal anhaftete, war seine außergewöhnliche Lage. […] Man hätte das ganze Häuschen wie einen steinernen, nach Fertigstellung der Straße in dieselbe hinein getriebenen Keil betrachten können, wenn nicht sein Alter dem widersprochen haben würde. In Wahrheit war es bereits vorhanden gewesen, als vor einem halben Jahrhundert die Nothwendigkeit zur Anlage einer Straße an dieser Stelle sich geltend gemacht hatte und man das Häuschen rechts und links zu umbauen begann […].“108

Schon der Großvater Gottfried Timpe hat sich als Bewahrer des Hauses gesehen und sich gegen die städtische Expansion gewehrt. Die nunmehr heterogene Lage des Hauses zwischen Alt und Neu wird von Anfang an als offener Konflikt inszeniert, anders als in Fontanes Irrungen, Wirrungen, in denen das Dörr’sche Haus zumindest auf der Oberfläche des Erzählens idyllische Züge trägt.109 Kretzer nutzt darüber hinaus besonders offene und heterotopische Orte, um das erzählte Wohnen zu entfalten und mit den Handlungskonflikten zu verbinden. Wie Garten bzw. Veranda für einen Ort der Veränderung und Neugliederung geeignet ist, zeigt sich auch im Haus des Industriellen Urbans. Der Garten, der eigentlich zum Haus von dessen Frau gehört und wo beide mit Urbans Stieftochter Emma leben, grenzt an Timpes Grundstück. Urban überzeugt bei einem Spaziergang seinen Schützling Franz Timpe von den neuen Geschäftsmethoden, und beide sind voneinander eingenommen: Franz ist geschmeichelt und er ist seinem Chef nicht unsympathisch und zugleich für diesen wegen des väterlichen Grundstücks und Gewerbes attraktiv. Die räumliche Enge wird erzählerisch integriert: „Unbewußt glitt sein Blick [von Franz Timpe] nach dem kleinen Häuschen des Vaters hinüber, aus dessen Schornstein blauer Rauch kerzengerade wie eine Segnung des Friedens zum Himmel stieg […].“110 Schließlich stoßen außerdem Emma und ihre Mutter zu den beiden Spaziergängern im Garten: „Sie waren vor der hinteren Veranda des Wohnhauses angelangt.“111 Anders als auch die beiden Frauen es erwartet hätten, lässt Urban die Verabschiedung des Angestellten Timpe nicht zu, sondern „der kleine Chef [fasste] seinen großen Lehrling unter den Arm und stieg mit ihm die Stufen empor“.112 Für Franz Timpe ist dies eine besondere Auszeichnung, wie der Er-

108 Kretzer: Meister Timpe, S. 11f. Cowen sieht im Haus entsprechend das „Dingsymbol“ des Romans. Cowen: Naturalismus, S. 139f. (Zitat: S. 139). 109 Vgl. S. 181 dieser Arbeit. 110 Kretzer: Meister Timpe, S. 66. 111 Ebenda, S. 67. 112 Ebenda, S. 67f.

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zähler auch durch einen Blick in die figurale Innenperspektive zum Ausdruck bringt. Für die Raumkonstellation des Erzählten wird hier scheinbar nebenbei der Übergang von der kleinbürgerlichen in die großbürgerliche Wohn- und Lebenskultur inszeniert. Einmal mehr ist dabei die Veranda als geeigneter Erzählraum funktionalisiert worden. Unter Wahrung eines realistischen Erzählens ermöglicht ihre offene Struktur ein Eindringen von Unbekannten oder Fremden. Gerade deswegen ist die Veranda ein Erfolgsmodell des erzählten bürgerlichen Wohnens.113 Ein weiterer herausgehobener Ort, der offen strukturiert und doch zum erweiterten Wohnen im Hause Timpes gehört, ist ‚Franzens-Ruh‘.114 Als Kind ist Franz einmal über das Dach in die Krone einer Linde, die das Haus teilweise überragt, geklettert. Nach dem ersten Schreck der Eltern lassen sie sich von der Attraktivität des Ortes überzeugen. „Dem Sohne zur Liebe wurde die Dachluke erweitert. Die Gesellen mußten eine Art Brücke vom Dache bis zum Baume schaffen; und zur Sicherheit wurde hoch oben in der Krone rings um den Stamm ein Sitz mit Geländer angebracht und dieser Auslug, zu Ehren seines Entdeckers, ‚Franzen’s Ruh’‘ getauft. Johannes Timpe aber nannte ihn seine ‚Warte‘.“115

Das Haus wird auf diese Weise von innen heraus erweitert. Zunächst wird dem Großvater die Aktivität auf dem Dach verschwiegen, auch wenn er „das Sägen und Hämmern über seinem Kopfe vernahm“. Dieser ist auch skeptisch darüber, dass die Eltern den Kindern nachgeben, was es „zu seiner Zeit“ nicht unbedingt gegeben habe.116 ‚Franzens-Ruh‘ ist aber gerade als „Warte“ ein symbolträchtiger Ort. Auch Johannes Timpe nimmt gerne dort Platz und genießt die Aussicht auf das sich verändernde Berlin. Dieser heterotopische Ort lässt den Blick auf die naheliegenden Straßen und Gewerbe zu, aber vor allem legt es die Sicht auf die Veränderungen auf dem Grundstück Urbans frei, das mit einer Mauer von Timpes

113 Vgl. hierzu auch die Anmerkungen bezüglich Eduard von Keyserling auf S. 275 dieser Arbeit. 114 Zur Bedeutung dieses Platzes bezüglich der Wahrnehmung der Großstadt vgl. Forderer: Großstadt im Roman, S. 223f. Swales weist auf intertextuelle Bezüge dieses Ortes zu Otto Ludwigs Erzählung Zwischen Himmel und Erde hin. Vgl. Swales: Epochenbuch Realismus, S. 167. 115 Kretzer: Meister Timpe, S. 25. 116 Ebenda.

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getrennt ist.117 Das Herauswachsen des Hauses in Gestalt des Baumsitzes wird damit auch zu einem Symbol, der Veränderung der Stadt und der Gesellschaft etwas aktiv entgegenzuhalten, wenn auch auf Dauer erfolglos. Schließlich bietet Franzens-Ruh lediglich eine Beobachtungsposition; allein der Sohn wird den Schritt in die neue Zeit von da aus machen, seinem Vater gelingt das nicht bzw. ihm wird dazu auch keine konstruktive Chance geboten, woran sein Sohn Franz die Mitschuld trägt. Johannes Timpe geht mit dem alten Wohnen, das noch in der zur Illusion verblassten Ideologie des ‚ganzen Hauses‘ lebt, unter. Neben strukturell offenen bzw. heterotopischen Orten wie Veranda und ‚Franzens-Ruh‘ werden die Wohndiskurse auch mittels eines anderen Raumes intensiv funktionalisiert: die ‚gute Stube‘. Als es zweitweise zu einer Annäherung von Vater und Sohn kommt und der Konflikt mit dem Großvater entschärft werden soll (die Lebensweise von Franz stört ihn, insbesondere auch der Lärm beim nächtlichen Nachhausekommen), schlägt der Vater dem Sohn vor, ab sofort in der ‚guten Stube‘ zu schlafen.118 Offensichtlich werden damit die traditionellen Raumfunktionen des Hauses aufgelöst, schließlich ist die ‚gute Stube‘ kein eigentlicher Wohn-, sondern eher Repräsentationsraum bzw. vor allem kein Schlafraum. Eine vergleichbare Raumstörung ist bereits in Bezug auf Moritz’ Figur Anton Reiser herausgestellt worden, als dieser im Hause der Eheleute Filter wohnt.119 Inwieweit selbst Johannes Timpe diese Entwicklung vorantreibt, zeigt sich, als er seinen Sohn, der bei Urban zu einer Gesellschaft eingeladen ist, aktiv unterstützt: „außer der Tischlampe mußten noch die beiden großen Kugellampen, die auf dem Spinde standen, ihr Licht in der guten Stube leuchten lassen; denn um dem Großvater nicht wieder Veranlassung zu allerlei Bemerkungen zu geben, mußte die Toilette in diesem Zimmer vor sich gehen.“120 Zu einer weiteren räumlichen Disharmonie kommt es, als Fritz nach seinem Parfüm greift und der Duft „sofort“ die Stube vollständig einnimmt: „[…] seit langer Zeit hatte man einen derartigen Wohlgeruch in dem schlicht-bürgerlichen Hause nicht verspürt.“121 Dann erklärt Franz den Eltern die Allianz „dieses echt französischen Odeurs“ mit der „guten Gesellschaft“, als gerade ein Bruch der Raumgrenzen zum Mittel der erzählerischen Darstellung wird: Die Eltern er-

117 Vgl. ebenda, S. 69f. 118 Vgl. ebenda, S. 78f. 119 Vgl. S. 79f. dieser Arbeit. 120 Kretzer: Meister Timpe, S. 101. 121 Ebenda, S. 102. Zu dem Kontrast von Timpes Haus und der neuen Zeit vgl. auch Belgum: Interior Meaning, S. 134f.

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schrecken, als „im Nebenzimmer der Stock des Großvaters auf die Erde gesetzt wurde und das Geräusch seiner Tritte näher kam“:122 „Bei seinem Hereintreten merkte er an der Lichtfülle, die auf seine Augenlider eindrang, daß etwas Außergewöhnliches vorgehen müsse. Als er die Thür geschlossen hatte, blieb er stehen, hob den Kopf, blähte die Nase und sagte: ‚Das riecht ja hier wie in einer Apotheke. […]‘“123

Als der Großvater Timpe in die Stube eingetreten ist, ist noch einmal die gesamte Familie zusammen. Durch den modischen Geruch und die unkonventionelle Raumnutzung ist der neuerliche Konflikt bereits vorweggenommen. Der alte Timpe schimpft auf die neue Zeit und darauf, dass die Eltern es zuließen, Franz „wie einen Modeaffen“ zu Urban gehen zu lassen.124 Zunächst will Johannes Timpe seinen Vater besänftigen, schließlich wird aber auch er nachdenklicher, als sein Sohn eine Rede voller Hochmut gegen den Großvater richtet, dass er nämlich nun in anderen Kreisen verkehre. Längst hat sich auch das Verhältnis von Johannes und Franz abgekühlt, trotz eines gewissen Stolzes auf den erfolgreichen Sohn.125 Mit dem geschäftlichen Niedergang von Johannes Timpe wird dessen Vater zu einem immer gebrechlicheren Mann, dessen Tod absehbar wird. Damit der Großvater in seinem Zimmer nicht zu abgeschieden liegt, wird er – Franz ist inzwischen nicht nur verlobt, sondern auch ausgezogen – in der ‚guten Stube‘ einquartiert.126 Symbolisch wird damit die Brüchigkeit des Wohnens und des alten, traditionellen Handwerks gesteigert dargestellt, indem gerade der Großvater das Raumkonzept der ‚guten Stube‘ stört, in der Gottfried Timpe schließlich nach einer weiteren Katastrophe seinen Tod findet: Im Nebenzimmer werden die wichtigen Holzmodelle der Drechslerei aufbewahrt. Nach ersten Diebstählen bereits sensibilisiert, gibt nun besonders der Großvater Acht, um weitere Diebstähle zu verhindern.

122 Kretzer: Meister Timpe, S. 103. 123 Ebenda. 124 Ebenda. 125 Vgl. ebenda, S. 103–106. 126 Ebenda, S. 158f.: „Man hatte das Nachtlager des Alten bereits seit längerer Zeit unten in der guten Stube aufgeschlagen, und jedesmal, bevor der Meister sich zur Ruhe legte, stattete er mit leisem Tritte dem Vater einen Besuch ab, um sich von seinem Wohlsein zu überzeugen.“

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In einer Nacht schließlich erblickt der Nachtwächter Krusemeyer von der Straße erst Licht im Haus, dann hört er Schreie. Eine Gestalt läuft an ihm vorbei: „Es war Franz, der die Modelle in der Tasche, keine Ahnung davon hatte, daß der Großvater in der guten Stube schlief, von der aus eine Thür zum Arbeitszimmer des Vaters führte.“127 Krusemeyer erkennt Franz Timpe zwar, der wegen der Modelle von Urban angestachelt worden war, verschweigt dies aber aus Mitleid dem rechtschaffenen Vater. In der Stube hatte zuvor der Großvater das Hantieren mit den Modellen gehört und es entwickelt sich ein nächtliches Wohndrama: „Er hatte sich aufgerichtet und gelauscht, dann mit der Kraft der Verzweiflung sich aus dem Bett erhoben und auf allen Vieren bis zur Thür geschleppt, als diese plötzlich geöffnet wurde und Lichtschimmer ihn blendete. Nun rief er um Hülfe. Seine Hände hatten die Knie Franzens umspannt und dann dessen Hand ergriffen und sie befühlt. Die Entdeckung, die sein Tastsinn gemacht hatte, war für ihn eine grauenhafte. Noch einige Male stieß er seine Rufe hervor, dann versagte ihm die Sprache.“128

Noch in der gleichen Nacht stirbt Gottfried Timpe. Der Erzählstil erfasst hier – fast schon in Anlehnung an den Sekundenstil von Holz/Schlaf – in zeitlicher Sukzession die Momente des Kampfes und der Verzweiflung, ausgetragen im Haus bzw. in der ‚guten Stube‘. Der Schwächere bleibt zurück – und stirbt. Das Wohnhaus Timpes löst sich immer mehr auf. Der Roman zeichnet mit Timpe im Folgenden einen Mann, der von der Gesellschaft isoliert ist, gerade dadurch dass er dessen Wohn-Einsiedelei betont. Der Diebstahl durch den Sohn (den der Großvater noch bekannt macht), der Tod des Vaters, schließlich auch der der Frau lässt Johannes Timpe nicht nur verschlossen werden, sondern er wird zum Einsiedler: „Er wollte dieses Haus hier, in dem er geboren war, in dem drei Generationen seines Namens gehaust hatten, als seine Burg betrachten, deren Besitz er gegen die Außenwelt vertheidigte.“129 Timpe wird so zu einem „Dachs“130, der nur das Haus verlässt, um das Nötigste zu besorgen. Ebenso nutzt er auch nicht mehr die „Warte“ bzw. ‚FranzensRuh‘.131 Er entzieht sich damit selbst der Information über die Außenwelt. Ist die Heterotopie ‚Franzens-Ruh‘ trotz ihrer isolierten Lage noch auf die Außenwelt

127 Ebenda, S. 196. 128 Ebenda, S. 198. 129 Ebenda, S. 266. 130 Ebenda, S. 269. 131 Ebenda, S. 25.

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bezogen, bricht genau nun Letzteres ab. Die Umgebung nimmt ihn entsprechend als „Sonderling“132 wahr. Trotz eines gewissen Aufbäumens (er nimmt an einer politischen Versammlung teil), hat Timpe bis zu seinem endgültigen Ende auch sein Haus an Urban verloren, da dieser Timpe ohne dessen Wissen eine Hypothek verkauft hatte, die Urban nun über Vermittler kündigen lässt. Am Abend, bevor ihm das Haus weggenommen werden soll, verbarrikadiert er es und verschanzt sich im Keller, den er schließlich mit sich selbst anzündet, als sein Haus geöffnet wird. Man trägt den toten Körper herauf und legt ihn auf ein Sofa. Viele Schaulustige nehmen Anteil; diese Anteilnahme wird aber in dem Moment völlig aufgehoben, als ein Zug auf der nahen Neubaustrecke vorbeifährt. Selbst im Tod wird Johannes Timpe auf diese Weise Opfer der Veränderungen der neuen Zeit, mit der auch das Wohnen, so wie er es gekannt hat, sein Ende findet.133 In der Literatur des Naturalismus findet die bürgerliche Wohnkultur ihr inszenatorisches Ende, indem sie zur Bühne der sozialen und gesellschaftlichen Veränderungen wird. Die erzählerische Inszenierung des Diskurskomplexes vom Wohnen zeigt sich dabei insbesondere anhand des Eindringens der Welt in das traditionelle Wohnen, so dass dem Individuum letztlich der Raum in der Wohnung genommen wird; fehlt dabei dem Individuum der Wille oder die Kraft sich anzupassen, geht es mit dem Wohnen unter. In den folgenden Analysen der Literatur aus dem Umfeld des Ästhetizismus steht zwar auch das Leben und die Existenz der Bewohner auf dem Spiel, das Wohnen wird aber selbst als Lösungsstrategie in verschiedenen Ausprägungen der Ästhetisierung thematisiert.

4.3 ÄSTHETISIERUNG UND P SYCHOLOGISIERUNG DES W OHNENS (Freud, Hofmannsthal: Märchen, Beer-Hofmann: Der Tod Georgs) Hugo von Hofmannsthal beschreibt 1893 das auslaufende Jahrhundert in seinem bekannten Gabriele d’Annunzio-Artikel auf charakteristische Weise: „Es ist, als hätte die ganze Arbeit dieses feinfühligen, eklektischen Jahrhunderts darin bestanden, den vergangenen Dingen ein unheimliches Eigenleben einzuflößen.“134 Er spielt damit auf die historischen Stile an, die in der Kunst, aber auch in den

132 Ebenda, S. 272. 133 Vgl. zum Ende auch Belgum: Interior Meaning, S. 137f. 134 Hofmannsthal: Gesammelte Werke/Reden und Aufsätze, Bd. I, S.174.

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Häusern und in ihren Einrichtungen anzutreffen sind. Man belebe sinnlich diese Dinge und gebe ihnen ein Eigenleben, so dass man dann das eigene Leben selbst vermisse. Hofmannsthal fokussiert dieses Empfinden auf eine Zahl von „zweibis dreitausend Menschen“ in Europa.135 „Modern“ sind nun für diese „die Analyse des Lebens und die Flucht aus dem Leben“. In anderen Formulierungen drückt es Hofmannsthal ebenda so aus: „Modern sind alte Möbel und junge Nervositäten.“136 Die Möbel sind als künstliche Projektionsfläche für das Leben – im Modus der Belebung – Teil der Analyse des eigenen Lebens. Die „Nervositäten“ drücken dabei die psychische Feinfühligkeit aus, die bald mit der Psychoanalyse eine neue Therapiemethode finden werden.137 In den Äußerungen ist der Einfluss von Paul Bourget und dessen Dilettantismus-Verständnis deutlich erkennbar. Für Bourget ist Dilettantismus – so Simone Leistner – die „Fähigkeit, sich in jeden Lebensstil versetzen, sich vielerlei Neigungen widmen zu können“; das hohe Maß an Reflexion allerdings führt zu „Unbestimmtheit und Willenlosigkeit“.138 Bourget veranschaulicht dies auch mit charakteristischen Wohnraumbeschreibungen, die er geradezu szenisch vorführt: „Es ist fünf Uhr. Das Licht der Lampen dringt durch die blaugefärbten oder rosigen Kuppeln und wirft kaum einen schwachen Farbeschimmer auf die sanft leuchtenden Stoffe. Die gestickte Seide, mit der die Kissen verziert sind, war früher die Seide einer Stola. Ehe die Laune der Mode mit ihr diese stummen Zeugen der Tändeleien und der vertraulichen Plaudereien bekleidete, vernahm sie die Antworten und Gesänge der frommen Messen in dem andächtigen Schweigen der Kathedralen. Jene Seide kommt aus Japan.“139

Die Beschreibung des Salons führt Bourget mit weiteren Beispielen aus; außerhalb des Salons setzen sich schließlich die vielen Anspielungen, Strömungen usw. im Stadtraum fort: „In Paris atmen heißt diese Atome in sich aufnehmen, heißt kritisch werden, heißt sich zum Dilettanten ausbilden.“140

135 Ebenda, S. 175. 136 Ebenda, S. 176. 137 Vgl. Simone Leistner: Art. Dilettantismus. – In: Ästhetische Grundbegriffe, Bd. 2, S. 63–87, hier S. 81, vgl. auch S. 84f. Vgl. außerdem Stoupy: Hofmannsthals Berührung mit dem Dilettantismusphänomen. 138 Simone Leistner: Art. Dilettantismus. – In: Ästhetische Grundbegriffe, Bd. 2, S. 63– 87, hier S. 81. 139 Bourget: Psychologische Abhandlungen, S. 61f. (Über den Dilettantismus). 140 Ebenda, S. 64.

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Das Wechselspiel zwischen der „Poesie dieser Möbel“141 und der psychischen Konstitution soll im Folgenden in der Literatur verfolgt werden. Zunächst wird aber die Wohn-Sprache der Psychoanalyse in den Mittelpunkt rücken, um zu zeigen, inwieweit die Wohndiskurse in diesem Spezialdiskurs in Gebrauch genommen werden und auch zum Teil der narrativen Strukturen der Psychoanalyse werden. Darauf aufbauend wird das literarische Leben und Wohnen in einer ästhetizistischen Existenz zu analysieren sein, am Beispiel von Hofmannsthals Das Märchen der 672. Nacht und Beer-Hoffmanns Der Tod Georgs. Der lokale Fokus wird also in diesem Kapitel auf die Wiener Moderne gelegt, deren Kunstdiskurse bereits bezüglich Architektur und Wohnen vorgestellt wurden. Zunächst soll gezeigt werden, dass die psychoanalytische Erzähl-Praxis bei Sigmund Freud auf unterschiedlichen Ebenen von den Wohndiskursen mitgeprägt ist. Entscheidend ist dabei ihr Vermittlungspotential zwischen innen und außen, also dem seelischen ‚Innenleben‘ und dem Sprechen darüber. Zudem wird wiederum das narrative Potential des Wohnens ausgeschöpft, dessen sich die Praxis der Psychoanalyse auch jenseits schriftlicher Fixierung bedient. Zu Anfang sollen Wohnerinnerungen des Erzählers selbst aufgegriffen werden: Im ersten Fall ist es Freud selbst, der von eigenen Kindheitserlebnissen in Zur Psychopathologie des Alltagslebens berichtet, um daran die Funktionsweisen der analytischen Methode aufzuzeigen: „Ich sah mich fordernd und heulend vor einem Kasten stehen, dessen Tür mein um zwanzig Jahre älterer Halbbruder geöffnet hielt, und dann trat plötzlich meine Mutter, schön und schlank, wie von der Straße zurückkehrend, ins Zimmer.“142 Freud hält diese Episode für so genannte ‚Deckerinnerungen‘, womit er Erinnerungen bezeichnet, die eigentlich Folge einer Verschiebung sind, die die Analyse wieder aufzudecken vermag.143 Bei der Analyse der Erinnerung besteht die Schwierigkeit darin zu entscheiden, „auf welches Element […] der psychische Akzent zu setzen ist“.144 Zunächst glaubt er, die Ursache sei eine Kränkung durch den Bruder, und die Mutter kommt schlichtend herein. Schließlich konzentriert er sich aber auf den Schrank: „Ich hatte die Mutter vermißt, war auf den Verdacht gekommen, daß sie in diesem Schrank oder Kasten eingesperrt sei, und forderte darum den Bruder auf, den Kasten

141 Hofmannsthal: Gesammelte Werke/Reden und Aufsätze, Bd. I, S. 174. 142 Freud: Gesammelte Werke, Bd. 4, S. 58. Vgl. auch einführend Mertens: Behandlungstechnik. 143 Vgl. Freud: Gesammelte Werke, Bd. 4, S. 51. 144 Ebenda, S. 58f. Zum Verhältnis der Stellung der Kindheitserinnerungen bei Moritz zu denen bei Freud vgl. Raguse: Karl Philipp Moritz, S. 57f.

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aufzusperren. Als er mir willfahrte und ich mich überzeugte, die Mutter sei nicht im Kasten, fing ich zu schreien an; dies ist der von der Erinnerung festgehaltene Moment, auf den alsbald das meine Sorge oder Sehnsucht beschwichtigende Erscheinen der Mutter folgte.“145

Das Möbel wird in der Rekonstruktion von Freud als Erinnerungsmedium inszeniert: Die Frage, warum das Kind überhaupt vermutet habe, die Mutter sei im Schrank, folgt mit Bezug auf den Bericht der Mutter, dass die einstige Kinderfrau wegen Diebstahls entlassen werden musste. Das vom Bruder gesprochene Wort ‚eingekastelt‘ führt – so Freud – dann zu dem angeblichen kindlichen Eindruck, dass die abwesende Mutter vielleicht auch ‚eingekastelt‘ ist, nur eben im Schrank, nicht im Gefängnis.146 Mit dem Möbel wird eine spezifische Erfahrung verknüpft, die dann in der Erzählung und in der folgenden Selbstanalyse bei Freud zu einer kleinen Erzählepisode ausgeformt wird.147 In ähnlicher Weise findet sich eine narrative Ausgestaltung der Wohndiskurse in den Fallgeschichten, die Freud selbst auch als erzählerische Konstruktionen registriert, empfiehlt er doch eine kritische Haltung gegenüber den Selbstprotokollen über die therapeutischen Sitzungen, schließlich lässt sich in ihnen auch nur eine „Scheinexaktheit“ finden.148 Die erzählerische Konstruktion der Fallgeschichten kann man auch anhand der Erzähler verdeutlichen: In den Fallgeschichten kann man zwischen einem „Text des autobiographischen Binnenerzählers“ und einem „wissenschaftlichen Rahmenerzähler“, der den ersten überlagert und beeinflusst, systematisch unterscheiden.149 In der berühmten Fallgeschichte über den ‚Rattenmann‘, der an einer Zwangsstörung leidet, eröffnet der Binnenerzähler auch das räumliche Szenario einer Erinnerung aus der Kindheit, die für frühe sexuelle Erfahrungen des ca. vier Jahre alten Kindes steht: „Wir hatten eine sehr schöne, junge Gouvernante,

145 Ebenda, S. 59. 146 Ebenda. 147 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Jürgen Straub (Teil I) und Wolfgang Ernst (Teil II): Art. Narration. – In: Pethes/Ruchatz (Hrsg.): Gedächtnis und Erinnerung, S. 399–405. Sowie Bianca Vaterrodt-Plünnecke: Art. Episodisches Gedächtnis. – In: Ebenda, S. 142f. 148 Freud: Gesammelte Werke, Bd. 8, S. 379 (Ratschläge für den Arzt bei der psychoanalytischen Behandlung). 149 Müller-Funk: Die Kultur und ihre Narrative, S. 201; Vgl. ausführlich die Analyse der Geschichte von Anna O. als Narrativ ebenda, S. 199–222. Zum Verhältnis von Psychoanalyse und Literatur vgl. z.B. auch Anz: Literatur; sowie Alt: Einführung.

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Fräulein Peter. Die lag eines Abends leicht bekleidet auf dem Sofa und las; ich lag neben ihr und bat sie um die Erlaubnis, unter ihre Röcke zu kriechen. Sie erlaubte es, wenn ich niemand etwas davon sagen würde.“150 Im Folgenden berichtet er über Erfahrungen, die sich als sexueller Missbrauch bestimmen lassen könnten. Bei Lina, einem anderen Hausmädchen, habe der Erzähler oft in einem Bett geschlafen: „Wenn ich zu ihr ins Bett kam, deckte ich sie auf und rührte sie an, was sie sich ruhig gefallen ließ. Sie war nicht sehr intelligent und offenbar geschlechtlich sehr bedürftig.“151 Mit Bett und Sofa werden in den Berichten um 1900 bürgerlich hoch konventionalisierte Zonen der Privatheit und Vertrautheit aufgerufen. In beiden kurzen Textstellen wird dabei zwar knapp, aber besonders plastisch erzählt: Temporale Markierungen wie „Eines Abends“ oder (immer) „Wenn ich zu ihr ins Bett kam“ verbunden mit anschaulichen Verben wie ‚kriechen‘ oder ‚anrühren‘ lassen erkennen, dass die Ausführungen des Patienten erzählerisch aus den Wohnerlebnissen entwickelt bzw. im Sinne der Psychoanalyse frei assoziiert werden. War schon in den Kindheitserlebnissen die Grenze von Nähe und Intimität überschritten, spielt der Rahmenerzähler diese Perspektive in einer kritischen Phase bezüglich des Vaterkomplexes wieder aus. Der Patient beschimpft den Therapeuten, also den Rahmenerzähler, der berichtet: „Bei diesen Reden pflegte er vom Diwan aufzustehen und im Zimmer herumzulaufen, was er zuerst mit Feinfühligkeit motivierte; er bringe es nicht über sich, so gräßliche Dinge zu sagen, während er behaglich daliege. Er fand aber bald selbst die triftigere Erklärung, daß er sich meiner Nähe entziehe, aus Angst von mir geprügelt zu werden. Wenn er sitzen blieb, so benahm er sich wie einer, der sich in verzweifelter Angst vor maßlosen Züchtigungen schützen will; er stützte den Kopf in die Hände, deckte sein Gesicht mit dem Arme, lief plötzlich mit schmerzlich verzerrten Zügen davon usw.“152

Die Erzählung von dem kindlichen Betreten der intimen Verbotszonen, inszeniert anhand der Möbel, erfährt nun auf der Ebene des Rahmenerzählers eine Fortsetzung im Verhältnis von Arzt und Patient bzw. von Rahmenerzähler und Binnenerzähler, wobei ersterer, wie bereits erwähnt, die narrative Kontrolle behält. Wenn die Deutungshoheit bei ihm liegt, so gesteht er aber doch immerhin dem Patient/Binnenerzähler die „triftigere Erklärung“ als Selbsterkenntnis zu.

150 Freud: Gesammelte Werke, Bd. 7, S. 386 (Bemerkungen über einen Fall von Zwangsneurose). 151 Ebenda, S. 387. 152 Ebenda, S. 429. Zum ‚Rattenmann‘ vgl. auch Nedelmann: Einleitung, S. 17–34.

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Diese dramatische Situation mache ihn nun aber bereit, sich von den eigentlichen Zwangsvorstellungen (von den Ratten) befreien zu können. Dieses Verhältnis von Rahmen- und Binnenerzähler bezüglich des Wohnkomplexes findet seine Fortsetzung auch außerhalb der Literatur im räumlichen Arrangement der Praxis von Freud. Bevor dies ausgeführt wird, sei aber auf die Symbolfunktion von Möbeln und anderen Einrichtungsgegenständen bei Freud verwiesen. Wie selbstverständlich werden in der Praxis der Traumdeutung Möbel mit bestimmten übertragenen Bedeutungen versehen. In der Traumdeutung heißt es etwa: „Da ‚Tisch und Bett‘ die Ehe ausmachen, wird im Traum häufig der erstere für das letztere gesetzt, und soweit es angeht, der sexuelle Vorstellungskomplex auf den Eßkomplex transponiert.“153 Männliche wie weibliche Geschlechtsorgane werden mit ähnlich aussehenden Gegenständen in Verbindung gebracht und zudem (so Freud in seinen Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse): „Manche Symbole haben mehr Beziehung auf den Mutterleib als auf das Genitale des Weibes, so: S ch rä n ke , Ö f e n und vor allem Zi m me r. Die Zimmersymbolik stößt hier an die Haussymbolik, Tü r e und To r werden wieder zu Symbolen der Genitalöffnung.“154 Macht man sich bewusst, dass auch die Traumerinnerungen aus narrativen Strukturen bestehen, die erst in einem zweiten Schritt ausgedeutet werden, wird klar, dass die Wohnraumdarstellungen als Medium verdrängter Bedeutung gesehen werden: das Geschehen auf dem Sofa oder das Hinabsteigen in einen Schacht, „dessen Wände weich ausgepolstert sind, etwa wie ein Lederfauteuil“155 usw. Konsequent zieht Freud eine Verbindung zwischen erzähltem Wohn-Traum und dem Bedeutungsfeld von Sexualität. Es soll hier nicht über die psychologische Realität dieser Ausdeutung spekuliert werden, aber es ist dennoch bemerkenswert, dass die analytische Interpretation nicht nur, aber häufig an Wohnrauminszenierungen geknüpft ist, was wiederum auf die stete anthropologisch gebotene Präsenz der Wohndiskurse zurückzuführen ist. Das meist bürgerliche bzw. adelige Wohnen ist der Hintergrund für die Patienten von Freud; dessen Behandlungsraum wiederum ist weniger mit einem ärztlichen Behandlungszimmer, sondern eher mit dem Raum eines Sammlers ethnologischer und archäologischer Funde vergleichbar.156 Diese Gegenstände

153 Freud: Gesammelte Werke, Bd. 2/3, S. 360. 154 Ebenda, Bd. 11, S. 157f. 155 Ebenda, Bd. 2/3, S. 369. 156 Vgl. Mayer: Mikroskopie der Psyche, S. 240f. Vgl. zum Sammler Freud auch Fischer: Imitieren und Sammeln, S. 382–384; Selle: Die eigenen vier Wände, S. 74–76.

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werden jedoch anders als in der Hypnosetechnik, von der Freud beeinflusst war, von ihm nur passiv genutzt, „als negative Repräsentanten des Unbewußten“.157 Die bekannte Szenerie von dem vom Analytiker abgewandten Patienten auf der Couch führt in einem relativ wohnlichen Raum158 zu einem spezifischen Effekt. Der Patient soll während der oft mehrstündigen Sitzungen entspannt sein und sich nicht vom Analytiker beeinflussen lassen, der auch nur wenig auf eine direkte Ansprache des Patienten eingehen soll; so kann der „Arzt als Übertragungsobjekt fungieren“.159 Bei Beginn einer psychoanalytischen Behandlung wird der Patient aufgefordert, mit dem Erzählen zu beginnen. Dabei kann der Analytiker auf verschiedene Arten eines Widerstandes stoßen. Schließlich kann der Patient auch aufgefordert werden, seine aktuellen Gedanken zu äußern, um den Gedankenfluss beginnen zu lassen: „Er hat an die Kur selbst gedacht, aber an nichts Bestimmtes, oder das Bild des Zimmers, in dem er sich befindet, hat ihn beschäftigt, oder er muß an die Gegenstände im Behandlungsraum denken, und daß er hier auf einem Diwan liegt, was er alles durch die Auskunft ‚Nichts‘ ersetzt hat.“160 Das erste Übertragungsobjekt und der erste Widerstand in der Therapie ist dann der Arzt. Die Umgebung wird dadurch einmal thematisiert und damit letztlich in den Hintergrund gerückt; durch das „Schwinden der Objektwelt“161 wird der Zugang zum Unbewussten geebnet.162 Aus der Perspektive der Wohndiskurse handelt es sich bei diesem Vorgang um die aktive und gelenkte ‚De-Thematisierung‘163 des Wohnens, die den ‚Be-

157 Vgl. Mayer: Mikroskopie der Psyche, S. 240. 158 Vgl. auch Jensen: Die Couch, S. 350. 159 Vgl. Mayer: Mikroskopie der Psyche, S. 241. 160 Freud: Gesammelte Werke, Bd. 8, S. 472 (Zur Einleitung der Behandlung). Zur Funktion der Couch vgl. grundsätzlich Stern: Die Couch; sowie Guderian: Die Couch. 161 Mayer: Mikroskopie der Psyche, S. 240. 162 Vgl. dazu außerdem Jensen: Die Couch, S. 346, sowie Guderian, die die Räume und Raumvorstellungen im Rahmen der Psychoanalyse untersucht hat: Besondere Bedeutung haben für den hier verfolgten Zusammenhang die Übergänge vom „Außenraum“ zum „Interaktions- oder Symbioseraum“ und dann drittens zum „Einzelraum“. Im Verlauf der Analyse nimmt der Patient den Untersuchungsraum als seinen eigenen an, schließlich kann er im Couch-Setting „versinken“ und eine intensive Analyse kann durchgeführt werden. Guderian: Die Couch, S. 152, vgl. mit Bezug zum Wohnen und zur Begrifflichkeit von Bollnow ebenda, S. 115f. 163 Vgl. S. 13 dieser Arbeit.

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wohner-Patienten‘ für neue Erfahrungen öffnet, in diesem Fall für das Unbewusste. Bemerkenswert ist dabei zudem, dass nun – wie bereits gezeigt – die Annäherung an das Verdrängte durch das Erzählen des Patienten erfolgt, bei dem er wiederum auf narrative Wohnstrukturen zurückgreift, wenn er etwa von jenen infantilen Erlebnissen berichtet, die die Psychoanalyse mit Vorliebe zum Gegenstand hat. Die Narrativität des Wohnens ist damit im psychoanalytischen Diskurs omnipräsent, in den Fallgeschichten, in den Rahmenerzählungen bis hinein in die außerliterarischen Settings. Die Fallgeschichten, von denen das Magazin zur Erfahrungsseelenkunde im 18. Jahrhundert berichtet, sind ebenfalls von Schauplätzen des Wohnens gesäumt. Allerdings ergibt sich dort im Unterschied (zumindest zur Methode Freuds) ein anderes Arzt-Patient-Verhältnis. Bei Moritz tragen zudem die Texte den Gestus des Objektiven, Protokollierenden. Wie die Kranken und Sonderlinge zu behandeln seien, müsse dann an anderer Stelle erläutert und getestet werden. Zwar haben auch dort die erzählten räumlichen Konfigurationen eine inszenierte Verbindung von Raum und Psyche vorscheinen lassen, doch in eine mögliche Therapie wird nicht das Raumsetting des Therapeuten integriert, wenn auch von den Raumeffekten innerhalb der Krankengeschichte berichtet (z.B. beim Raumwechsel des kranken Marcus Herz) wird.164 Die hypertrophe Wohnkultur des Bürgertums um 1900 führt bei Freud das Wohnen bis in den Behandlungsraum hinein. Erst wenn der Wohn-Raum des Behandlungszimmers hinter sich gelassen werden konnte, kann die weitere Therapie fortgesetzt werden. Das bürgerliche Wohnen ist damit auch an einen Wendepunkt gelangt, an dem sich die Teilhaber genau dieser Kultur, und das sind die Patienten der Psychoanalyse, von dem Wohnen ‚befreien‘ müssen; ein Akt, der kulturgeschichtlich mit den Jugendstilbewegungen und ihrer Befreiung von historistischen Wohnstilen vergleichbar wird. Und gerade indem sich die Patienten im Erzählmodus der Wohndiskurse freisprechen, verbindet sie diese zirkuläre Struktur mit dem zeitgenössischen Ästhetizismus, der den Wohnraum als einen isolierten Fluchtpunkt des Inneren inszeniert. Dirk Niefanger hat ausgehend von den zeitgenössischen Architekturdiskursen das Verhältnis von innen und außen in der Wiener Moderne herausgearbeitet: „Die Literatur der Wiener Moderne greift das Motiv der problematischen Beziehung von Fassade und Innenraum immer wieder auf, um ihre Varianten dieses Diskurses vorzufüh-

164 Vgl. S. 68–72 dieser Arbeit.

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ren: den Spielcharakter des Lebens, das Motiv des lebendigen Toten, die Frage nach der ästhetizistischen Existenz.“165

Die Frage nach der Innenraumgestaltung und dem Äußeren wird, so Dirk Niefanger, zu einem zentralen Fluchtpunkt der Kunstdiskussionen der Zeit überhaupt. Im Kontext der Wohndiskurse in der Literatur zeigt nun die Erzählstruktur der Psychoanalyse (bei Freud), dass das Sprechen und Erzählen über das Innere (das Unbewusste) in einem Wechselverhältnis mit den Sprechbedingungen stehen, also mit dem Behandlungsraum bzw. der Wohnung oder noch allgemeiner dem Äußeren. Es gibt zwar verschiedene erzählerische Ebenen der Wohndiskurse, aber sie werden insgesamt nicht verlassen. Zwar ist bereits mehrfach festgestellt worden, dass der Mensch aus einer anthropologisch-sozialen Perspektive mit dem Wohnen immer verknüpft ist, doch ist die Qualität eine andere, wenn man die Psychoanalyse und ihre komplexen Narrative selbst als ein kulturelles (und im weitesten Sinn auch künstlerisches) Produkt ansieht. Die Totalität der menschlichen Verbundenheit mit dem Wohnen ist nun in eine erzählerische Totalität gemündet. Die Verknüpfung von Wohnen und Leben wird zu einem wesentlichen, wenn auch zwiespältigen Thema der Literatur. Der private Wohnraum verspricht ein isolierter Ort zu sein. Abgetrennt vom allgemeinen Leben erscheint die Wohnung als möglicher Ort einer ästhetizistischen Existenz. Im poetischen bzw. bürgerlichen Realismus, der fast synchron zur Literatur um 1900 durch die Spätrealisten am Ende des 19. Jahrhunderts gegenwärtig ist, gilt bezüglich der Funktionalisierung des Wohnens das Primat der symbolischen Durchdringung bis in das kleinste erzählte Wohndetail. Alles scheint Verweisungscharakter zu haben, das ‚wahre Leben‘ soll hinter dieser realistischen Fassade zum Ausdruck kommen, wenngleich gerade die Spätrealisten im Erzählen selbst diese Perspektive wiederum selbst in Frage gestellt haben.166 In der Radikalisierung der Wirklichkeitsdarstellung der jungen Autoren des Naturalismus findet das Wohnen eine stärkere soziale Perspektivierung, ohne eine wesentliche Spannung aufzulösen: Der Tod in der Dachgeschosswohnung wird als Folge des sozialen Milieus inszeniert, wobei die Wohnraumdarstellung zum narrativen Träger dieser Intention wird. In ästhetizistischen Texten der Jahrhundertwende werden schließlich das Wohnen und das Erzählen des Wohnens zu einem Experimentierfeld einer ‚überdichteten‘, aber höchst gefährdeten Lebensexistenz.

165 Niefanger: Produktiver Historismus, S. 209f. 166 Vgl. Kap. 3.5 dieser Arbeit.

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Ralph-Rainer Wuthenow weist auf die Schwierigkeiten hin, die Merkmale des Ästhetizismus zu bestimmen, wenngleich hierzu insbesondere „die programmatisch hervorgehobene Künstlichkeit der Kunst“ zählt. Zusätzlich sind aber auch zu nennen: „Gesten, Ornamente, Intérieurs, was die Objekte betrifft, und, im Hinblick auf das Subjekt, Lebensekel, Lebensverachtung, ästhetische Schwermut, Ennui […].“167 Überspitzt formuliert werden Lebensdistanz und Stilhistorismus auf die Bühne der Wohnung geführt. Der Ästhetizismus steigert „die poetische Verklärung des Realen“, so Gerhard Plumpe, und dieses Reale wird „von jedem Weltbezug abgekoppelt und als autonomes, kunstreflexives Konstrukt ausgegeben“.168 Zu den berühmten literarischen Figuren dieser KunstWelt zählt der Kaufmannssohn aus Hugo von Hofmannsthal Erzählung Das Märchen der 672. Nacht, um die es im Folgenden gehen soll.169 Der Beginn der Erzählung ist von der Beschreibung der Wohnsituation des Kaufmannssohnes geprägt. Der Protagonist zieht sich in seine eigene Welt zurück, seine Umwelt, Freunde oder eine Frau spielen keine aktive Rolle. Er rückt in die Rolle eines Beobachters, der die Menschen „in den Straßen oder öffentlichen Gärten“ betrachtet.170 Zum Zentrum seiner Lebensführung wird die Wohnung, der er hohe Aufmerksamkeit schenkt: „Ja, die Schönheit der Teppiche und Gewebe und Seiden, der geschnitzten und getäfelten Wände, der Leuchter und Becken aus Metall, der gläsernen und irdenen Gefäße wurde ihm so bedeutungsvoll, wie er es nie geahnt hatte. Allmählich wurde er sehend dafür, wie alle Formen und Farben der Welt in seinen Geräten lebten.“171

Der Kaufmannssohn imaginiert das Leben in der Ornamentik, der Tier- und Mythendarstellung auf den Gegenständen innerhalb seiner Wohnung; damit schafft er sich seine eigene künstliche Welt. Er ist „trunken von dieser großen, tiefsinnigen Schönheit“, aber zugleich destruiert er diese selbst, denn „er fühlte

167 Wuthenow: Europäischer Ästhetizismus, S. 114. 168 Plumpe: Einleitung, S. 40. 169 Außer den folgenden Literaturhinweisen seien zu dem viel interpretierten Text von Hofmannsthal einige anregende Untersuchungen genannt: Mauser: Aufbruch ins Unentrinnbare; Csúri: Jugendstil als narratives Konstruktionsprinzip; sowie Tarot: Hugo von Hofmannsthal. 170 Hofmannsthal: Sämtliche Werke, Bd. XXVIII, S. 15. 171 Ebenda, S. 15.

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ebenso die Nichtigkeit aller dieser Dinge wie ihre Schönheit; nie verließ ihn auf lange der Gedanke an den Tod […]“.172 Das stilisierte Wohnen wird einerseits als künstlich bzw. nichtig empfunden, zum anderen erscheint eine solche Wohnexistenz immer noch dem aktiven Leben selbst vorzuziehen zu sein. Der Erzähler berichtet von „finsteren Sprichwörter[n]“, die den Kaufmannssohn beschäftigen, aber gerade nicht zu einer Belastung für „seine Seele“ werden, dazu gehört auch folgende Aussage: „Er sagte: ‚Wenn das Haus fertig ist, kommt der Tod‘ und sah jenen langsam heraufkommen über die von geflügelten Löwen getragene Brücke des Palastes, des fertigen Hauses, angefüllt mit der wundervollen Beute des Lebens.“173 Das Interieur wird vor diesem Hintergrund als „Beute“ des Lebens lesbar. Wenn gerade die Einrichtung vollendet ist, das Leben, die äußere Welt, perfekt inszeniert ist, das Leben sich in der Wohnung also verdoppelt hat, wird als Letztes auch der Bewohner sein natürliches Leben opfern müssen. Der Rückzug in die eigene Wohn-Welt wird damit zu einem ersten Schritt auch zum Tod. Der Kaufmannssohn entlässt alles Hauspersonal außer vier Dienern, „deren Anhänglichkeit und ganzes Wesen ihm lieb war“.174 Er versucht damit die Diener als Teil von sich selbst zu betrachten, also nicht als Einzug externen Lebens in sein Haus, doch spürt er bald: „Er fühlte sie leben, stärker, eindringlicher, als er sich selbst leben fühlte.“175 Ein junges Mädchen verkörpert mehr als die anderen eine Distanz zwischen ihm und den übrigen Hausbewohnern. Das verschlossene Mädchen springt – was aber nur kurz erwähnt wird – „aus einem Fenster in den Hof“;176 die Verletzung ist aber glimpflich. Das dramatische Verlassen der Wohnung durch das Fenster muss für den Kaufmannssohn höchst irritierend sein, erscheint doch das Paradox naheliegend, dass das äußere Leben nur durch den Sprung in den möglichen Tod erreichbar ist. Das Mädchen ist damit auch als Gegenspielerin zu verstehen, die zwar das Verderben sieht, aber keine konstruktive Lösung für sich erschlossen hat. Als sie im Krankenbett liegt, nimmt sie der Kaufmannssohn schlafend wahr. Im Moment des Aufwachens sieht sie ihn „eisig und bös“ an und wendet sich ab.177 Das Mädchen ist im Bett wegen der Verletzung gefangen, aber vor dem Hintergrund des Wohnens ist sie zudem wieder

172 Ebenda, S. 16. 173 Ebenda. Zu Bedeutung und Geschichte dieses Sprichworts vgl. die Ausführungen zu Manns Buddenbrooks auf S. 270 dieser Arbeit. 174 Hofmannsthal: Sämtliche Werke, Bd. XXVIII, S. 15. 175 Ebenda, S. 18. 176 Ebenda, S. 17. 177 Ebenda, S. 17.

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fester Teil der Wohnung geworden, weil sie in ihrem privatesten Lebensraum ist. Aus der Perspektive des Kaufmannssohns wird sie zum unbeweglichen Möbel, zur Einrichtung im Haus bzw. zur „Beute des Lebens“.178 Während der Kaufmannssohn in seinem Landhaus mit den vier Dienern wohnt, leistet das Mädchen bewusst oder unbewusst Widerstand. Er sieht sie seltener als die anderen, eine Begegnung mit einem etwas älteren Mädchen wird hingegen ausführlich geschildert: „Einmal erblickte er die Größere in einem geneigten Spiegel; sie ging durch ein erhöhtes Nebenzimmer: In dem Spiegel aber kam sie ihm aus der Tiefe entgegen.“179 Der Anblick durch das Medium des Spiegels lässt sie als einen künstlichen Gegenstand erscheinen und sie wird ein lebendiger Teil des Interieurs. Dies wird verstärkt durch die indischen Bronzefiguren, die sie trägt. Ausführlich wird die Wahrnehmung des Kaufmannssohns geschildert, die die Figuren und das Mädchen als Einheit erkennen lässt; zum Beispiel „lehnten“ die Gottes-Figuren „mit ihrer toten Schwere an den lebendigen zarten Schultern“.180 Im ersten Teil von Hofmannsthals Erzählung gibt es eine räumliche Zäsur, die auch für den zweiten Teil des Textes von Bedeutung ist. Im Sommer reist der Kaufmannssohn zu seinem Landhaus in den Bergen. Dort erscheint das Leben ähnlich wie in der Stadt als Inszenierung, wenn auch das Leben in Form von Natur und Garten nah an den Kaufmannssohn heranreicht. Aus der Perspektive der Fortschreibung der Wohndiskurse ist das Verlassen der Stadtwohnung von besonderer Bedeutung. Dieser Vorgang selbst wird gar nicht erzählt: Es gibt keine Abschieds- bzw. keine Abreiseszene. Es wird nur ausgesagt, dass man, wenn die Hitze im Sommer zu drückend wird, in das Gebirge reist. So stellt sich die Übersiedlung als Sprung von der einen in die andere Wohnung dar, die aus Sicht des Kaufmannssohns bezüglich seiner Lebensführung offenbar eine vergleichbare Funktion hat. Im zweiten Teil der Erzählung wird der Tod des Kaufmannssohns erzählt, so dass dieser Tod bezüglich der Wohnungen in den Blick rücken soll. Der Kaufmannssohn erhält einen Brief, in dem sein engster Diener unbestimmt eines Verbrechens beschuldigt wird. Dieser Diener machte zuvor „fast nie von der Erlaubnis Gebrauch, in den Abendstunden das Haus zu verlassen“.181 Das enge Verhältnis drückt sich gerade auch in der vollkommenen Integration des Dieners in die Wohnwelt des Kaufmannssohns aus. Durch die unbestimmte Anschuldi-

178 Ebenda, S. 16. Vgl. auch Collel: Der Seele gottverfluchte Hundegrotte, S. 189. 179 Hofmannsthal: Sämtliche Werke, Bd. XXVIII, S. 20. 180 Ebenda. 181 Ebenda, S. 17.

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gung wird damit diese Ordnung wesentlich gestört. Dieser Brief wird nun der Anlass, das Landhaus zu verlassen und alleine in die Stadt zu reisen, um die Angelegenheit zu klären. Die Ankunft in der Stadt ist ernüchternd: Die „eigene Wohnung“ ist verlassen und ihm „versperrt“, stattdessen muss er „wie ein Fremder daran denken, sich für die Nacht eine Herberge zu suchen“.182 Er streift nun durch die Straßen der Stadt, die „Räume wechseln in hoher Frequenz“,183 einerseits unbehaust ohne Schutz des Hauses, zudem aber auch außerhalb des ästhetisierten Schutzraumes vor dem Leben. Er kommt in das Dirnenviertel voller Leben. Er gelangt in das Geschäft eines Juweliers, durch dessen Wohnzimmer hinaus in einen Garten mit Glashäusern, wo er ein Kind trifft, das dem jungen Mädchen in seinem Haus gleicht.184 Er gerät in Angst, flieht, kommt durch andere Häuser, schließlich gelangt er zu den Häusern der Soldaten. Auf ihrem Hof verletzt ihn ein Pferd: Die Soldaten „trugen ihn fort über eine niedrige Treppe, durch einen langen, halbfinsteren Gang in eines ihrer Zimmer und legten ihn auf ein niedriges eisernes Bett“.185 Dieses fremde Zimmer wird sein Sterbezimmer. An der Wand liegt auf einem Brett Brot, ansonsten sind in dem Zimmer „harte, niedrige Betten und der Geruch von trockenem Schilf, womit die Betten gefüllt waren, und jener andere trostlose, dumpfe Geruch“.186 Es ist ein Raum voller nüchternem Leben, in dem der Lebensästhet sein Ende findet: „Kein Schmuck, kein Blendwerk aus ästhetisch interpretierbaren Gegenständen kann seine Vereinsamung kaschieren […]“.187 Der zweite Teil von Hofmannsthals Erzählung gibt auf der Handlungsebene mit dem Pferdeunfall eine plausible Ursache für den Tod vor. Im Gesamtkontext ist dieser natürlich weiterführend konnotiert. Der Tod ist als Resultat seiner Lebensführung lesbar. Die Ästhetisierung des Lebens, speziell in seiner Wohnung, fordert in letzter Instanz auch das Ende seines natürlichen Lebens, das sich außerhalb der eigenen Wohnung realisiert, wäre doch ein Todesereignis in der eigenen Wohnung selbst wieder eine Äußerung des tatsächlichen Lebens. Und doch ist der Tod des Kaufmannssohns als ästhetisches Produkt in seiner Woh-

182 Ebenda, S. 22. 183 Collel: Der Seele gottverfluchte Hundegrotte, S. 191. 184 Alle vier Diener macht er am Ende für sein fatales labyrinthische Umherirren verantwortlich, vgl. Hofmannsthal: Sämtliche Werke, Bd. XXVIII, S. 30. Zum Labyrinth im Märchen vgl. auch Assert: Raum in der Erzählkunst, S. 142–154. 185 Hofmannsthal: Sämtliche Werke, Bd. XXVIII, S. 29. 186 Ebenda, S. 30. 187 Niefanger: Produktiver Historismus, S. 221.

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nung bereits eingeschrieben. Das Ende des ersten Teils schließt unvermittelt mit dem Zitieren von Poesie durch den Kaufmannssohn. Dies und die sonstige Beschäftigung mit Literatur und Legenden lässt die Möglichkeit zu, dass der zweite Teil der Erzählung insgesamt als ästhetisches Kunstwerk innerhalb des Märchens zu sehen ist. Als ein solches kann es auch noch immer der Wohnwelt des Kaufmannssohns zugerechnet werden, allerdings ohne den Protagonisten selbst. Vor dem Hintergrund des Diskurskomplexes vom Wohnen kann der zweite Teil also insgesamt als Erzählung aufgefasst werden, in der der Protagonist sich selbst in der dritten Person erzählerisch inszeniert. Er schildert in Form einer Selbstverdopplung seine Selbstreflexion auf das Leben und löscht sich symbolisch, das heißt in einer ästhetischen Überspitzung selbst aus. Aus der Perspektive beider Teile wird der zweite Erzählteil somit zum ‚Einrichtungsgegenstand‘ der Wohnung. Die aufschlussreiche Studie von Imke Meyer thematisiert den Tod des Kaufmannssohns auf plausible wie originelle Weise: Sie versteht den Erzähler des zweiten Teils als „‚Autonarration‘“ des ersten. Doch diesem gelingt es gerade nicht, beide Ebenen zu trennen: „Die Wiederkehr des in der erzählten Figur Verdrängten erstickt die Stimme des auktorialen ‚Lebenserzählers‘ und nimmt ihm die Kontrolle über den Fortgang des zu erzählenden Geschehens […].“ Schließlich offenbare der Tod die Unmöglichkeit dieses „Lebensentwurfes“.188 Die Figur des Ineinanderfallens wiederholt sich im Wohnen. Das erzählte Wohnen des zweiten Teils wird, wie erläutert, noch dem ästhetizistischen Wohnen des ersten Teils zurechenbar – als Sprachkunstwerk, das Teil des Mobiliars ist. Das mit dem Leben notwendig verbundene Wohnen sublimiert sich damit im Wohnen selbst. Hofmannsthal, dem die destruktive Kraft des Ästhetizismus durch den Ausschluss des ‚normalen‘ Lebens bewusst ist,189 kann durch dieses Verfahren die totale ästhetische Wohnexistenz inszenieren und ihr zugleich deren Unerreichbarkeit einschreiben. Außer Hofmannsthals Märchen gehört Der Tod Georgs von Richard BeerHofmann zu den bedeutendsten Texten der ästhetizistischen Literatur um 1900, in dem es wiederum um das Verhältnis von Todes- und Lebenserfahrung geht. Der Tod Georgs mündet dabei in eine kritische Auseinandersetzung: BeerHofmann sieht – so Stefan Scherer – eine problematische ethische Position des Ästheten, befindet sich dieser doch in einer „reine[n] Zuschauerposition, die dazu führt, die Dinge rein ornamental zu sehen“.190 Scherer verdeutlicht dies

188 Meyer: Erzählter Körper, verkörpertes Erzählen, S. 218. 189 Vgl. Mayer: Nachwort, S. 266. 190 Scherer: Richard Beer-Hofmann, S. 217.

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zudem an einer Erinnerungsskizze von Olga Schnitzler an Richard BeerHofmann, die an die Wohnungseinrichtung gebunden ist:191 Zuvor habe BeerHofmann noch an einer „Perfektomanie“ gelitten:192 Beeinflusst von Huysmans und Flaubert musste in seinen Zimmern „die feierliche Atmosphäre des Ästheten“ hergestellt werden: „mit Kerzenbeleuchtung, Blumen, Düften, abgestimmten Farben, erlesenen Büchern.“193 Die zufällige Beobachtung im Zimmer seines Dieners, der einen Zeitungsausschnitt mit einem Bildnis von Heinrich Heine in einen einfachen Rahmen zwischen zwei Kerzen gestellt hat, lässt Beer-Hofmann auch die Künstlichkeit seines Lebensstils erkennen, so dass er die Wohnung umgestaltet. Zu Hause habe er „mit einem Schlag alle Verspieltheiten über den Haufen“ geworfen.194 Daraus zeigt sich ebenfalls eine kritische Haltung dem Ästhetizismus gegenüber, wenn er die Erzählung Der Tod Georgs schreibt.195 Eine wichtige Rolle spielt auch in diesem Text die Darstellung von Wohnräumen. Es rücken im Folgenden vor allem die ersten beiden Kapitel aus Der Tod Georgs in den Blick, da zu Anfang die Wohnung Pauls Handlungsort ist und zudem der folgende Traum wiederum Wohnräume imaginiert. Die Analyse soll zeigen, wie die sprachliche Darstellung von Wohnräumen zuerst den Rahmen bildet, andererseits aber auch zu einem Teil des Traum-Mediums der Selbstaussprache wird. Die Art und Weise der Wohnraumdarstellung im Traum wird schließlich dabei zu einer Beschreibungsfigur, die auch den Schluss des Textes kommentiert. Die erzählte Räumlichkeit in Der Tod Georgs ist schon mehrfach analysiert worden. Jüngst wurde von Katja Hachenberg Räumlichkeit, Subjektivität und Wahrnehmung miteinander verbunden, indem sie aufzeigt, dass „die fiktionalen Räume, die assoziativ innerhalb diverser Bewusstseinsmodalitäten und Körperaktivitäten imaginiert werden“ systematisch mit der „Selbstreferenz des fiktiven Ichs“ verknüpft sind.196 Hartmut Scheible stellt mit Bezug auf die zwei Anfangskapitel fest, dass Paul „durch die Außenwelt leicht irritierbar“ sei. So ist etwa die kurze Begegnung mit der Frau während des Abendspazierganges Ausgangspunkt

191 Vgl. ebenda. 192 O. Schnitzler: Spiegelbild der Freundschaft, S. 133. 193 Ebenda, S. 132f. 194 Ebenda, S. 133. 195 Vgl. ebenda, S. 133; sowie Scherer: Richard Beer-Hofmann, S. 217. 196 Hachenberg: Literarische Raumsynästhesien, S. 171. Zur Raumkonstellation der Kapitel, ebenda, S. 142f.

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für die ausufernde Einbildungskraft Pauls.197 Zudem sorgt zuvor bereits die Äußerung „Glück muß der Mensch haben!“ des Doktors zur Karriere Georgs für eine gedankliche Unruhe bei Paul.198 Bemerkenswert ist für den hier verfolgten Zusammenhang das räumliche Arrangement des Anfangs des Textes: Paul befindet sich in seiner Wohnung, als ihn der Doktor anspricht. Das kurze Gespräch führt er aus dem Fenster heraus, so dass in die Wohnwelt Pauls nicht nur Geräusche und andere Impressionen199 eindringen, sondern die Gedanken um Leben und Lebensglück. Pauls Unruhe wird durch die Bewegung im Zimmer narrativiert. Nach dem Gespräch mit dem Doktor setzt sich Paul in einen „weidengeflochtenen Lehnstuhl“ und er sieht aus dem Fenster, – im bekannten Gestus des Melancholikers – „stützte den Kopf in die Hand“ und „horchte auf die Schläge der Turmuhr“.200 Da voller Unruhe, verlässt er schließlich die Wohnung zum Spaziergang. In einer später wiederkehrenden Symbolik geht er „die dunkle steile Holztreppe hinunter, auf die Straße“.201 Mit dem Verlassen der Wohnung beginnt der Verlust der Kontrolle über die eigenen Gedanken bzw. die Einbildungskraft, wie sie sich in der erwähnten Begegnung mit der Schönen beim Spaziergang und im folgenden Traum bzw. in traumartigen Sequenzen zeigt. Mit diesem Prozess beginnt ähnlich wie in der psychoanalytischen Behandlungssituation eine ‚DeThematisierung‘202 der Wohnung. Der Wohnraum ist nicht nur der schützende Lebenshintergrund, sondern es findet zugleich eine bewusste Lösung von ihm statt, so dass im Sinne des freien Assoziierens oder des Traums möglich wird, Unbewusstes und Verborgenes auszudrücken. In der Traumerzählung und im umschließenden Rahmen wird auf die Beschreibung von Wohnräumen nicht verzichtet. Nach der Rückkehr Pauls in die Wohnung legt er sich in sein Bett. Während der Erzähler noch Pauls sinnliche Eindrücke vom Licht und Schattenwurf im Zimmer vermittelt, schläft er ein.203 Der Inhalt des zweiten Kapitels, der sich an dessen Ende als Traum herausstellt, lässt sich als Erzählung charakterisieren, die gerade auf die Wohndarstellung Wert legt, wie im Folgenden ausge-

197 Scheible: Literarischer Jugendstil, S. 105f. (Zitat: S. 105). Vgl. auch Schwarz: Das Wirkliche und das Wahre, S. 158. 198 Beer-Hofmann: Werke, Bd. 3, S. 8, vgl. Scheible: Literarischer Jugendstil, S. 105. 199 Vgl. auch dazu die Texte von Holz/Schlaf z.B. auf S. 231f. dieser Arbeit. 200 Beer-Hofmann: Werke, Bd. 3, S. 8. 201 Ebenda, S. 9. 202 Vgl. S. 13 dieser Arbeit. 203 Vgl. Beer-Hofmann: Werke, Bd. 3, S. 15.

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führt wird. Erzählerisch auffällig ist also, dass die Diskurse des Wohnens auf beiden Ebenen präsent bleiben.204 Das zweite Kapitel stellt eine Beziehung zwischen Paul und einer kranken Frau her, die er liebt, aber – so wird es außerhalb des Traumes klar – nicht kennt. Das räumliche Verhältnis zu der inzwischen ans Krankenbett gebundenen Frau wird ausführlich dargestellt. Pauls Reflexionen auf das Leben und seine Beziehung zu der Frau werden zum eigentlichen Gegenstand des erzählten Traums, gerade dadurch dass dessen Bewegung im Haus teilweise sehr genau beschrieben wird: Grundsätzlich ist dabei eine Abwärtsbewegung feststellbar: Von den „hohen Linden“,205deren Äste an das Fenster drängen, bis zu dem Sturz der Frau, die im Vorhaus in einer tieferen Etage liegt, aus dem Bett. Paul sitzt zu Beginn der Traumerzählung allein im Esszimmer: „Er schob den Stuhl vom Tisch zurück und stand auf. Wie er durchs Zimmer ging, stöhnte die Diele, als wäre lange niemand über sie geschritten. Er kam auch nur mittags herauf. Scheu und verstohlen aß er dann; und daß er essen konnte, empfand er wie schamloses Unrecht an ihr, die unten seit Wochen sterbend lag. Er sah sich um. Nur sein Sessel war vom viereckigen Speisetisch weggerückt; fest angeschlossen standen die andern, und er mußte an ihre schmalen traurigen Finger denken, mit denen sie sich schwankend fortgetastet von Lehne zu Lehne, bis sie auch dazu zu schwach geworden, und er ihren armen Leib, der immer leichter wurde, aus dem Nebenzimmer hereintrug, ans Fenster hin zum großen weidengeflochteten Lehnstuhl, in dessen roten geblümten Polstern noch der Abdruck ihrer Formen war.“206

An diesem längeren Textauszug wird deutlich, wie einerseits mit den räumlichen Gegensätzen von oben und unten gearbeitet wird („herauf“, „unten“) und zudem die Möbel-Konstellation funktionalisiert wird.207 Auf der primären Zeitebene des Erzählten nimmt Paul die Möbel des Esstisches und den Lehnstuhl wahr. Diese verweisen aber zugleich in die Vergangenheit, sie werden zum Medium des Erinnerns an die jüngsten Erlebnisse mit der kranken Frau. Die typische verdichtete Atmosphäre der Wohnung, die weitestgehend verdunkelt ist, wie zuvor

204 Zur Diskussion des Verhältnisses von Erzähler und Paul (das meist so interpretiert wird, dass durch den Erzähler das Innere/das Bewusstsein des Protagonisten zum Ausdruck kommt), vgl. Schwarz: Das Wirkliche und das Wahre, bes. S. 148–150. 205 Beer-Hofmann: Werke, Bd. 3, S. 16. 206 Ebenda. 207 Zu den räumlichen Verhältnissen vgl. auch Scherer: Richard Beer-Hofmann, S. 239– 241.

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berichtet wird, stellt die Betonung des Ornaments dar. Dies beschränkt sich jedoch nicht auf die relativ vage Beschreibung der Polster des Lehnstuhls, sondern wird in der Anmerkung, dass von der Frau „der Abdruck ihrer Formen“208 erkennbar wird, deutlich.209 Die Wohnung beweist damit erneut ihr Potential, Spuren zu bewahren. Es deutet aber auch an, dass die kranke Frau ein mobiliarer Teil der Innenwelt von Paul ist. Die Wohnung ist Teil der Inszenierung von seinem Innenleben, was durch die spätere Klassifizierung als Traum bestätigt wird. Auch wenn das Haus des Traumes offenbar nicht sehr dem eigenen ähnelt („Er kannte ja gar kein Haus das dem glich, von dem er geträumt hatte […].“210), so gibt es einige Parallelen wie bezüglich des erwähnten Lehnstuhles. Das eigene Leben und die eigene Erfahrung mischen sich in die Traumrealität; das geträumte Wohnen wird so auch zum Blick in das Innenleben des Träumers. Es sind im eigentlichen Sinne seine Spuren im Lehnstuhl, von denen er träumt, nun aber an eine weitere Person, die er zu lieben glaubt, gebunden. Eine weitere Parallele besteht in dem Hinabgehen der „Treppe“,211 was er auch vor seinem Spaziergang unternommen hatte. Nun unterbricht er den Gang zu seiner Frau nach unten: Er setzt sich auf die Stufen und erneut „stützte [er] den Kopf in die Händen“.212 In den folgenden Rückblenden wird gezeigt, dass er die Frau bereits zuvor als „körperlos“ wahrgenommen hatte, als sie im Gegenlicht einmal einen Berg hinaufstieg, so dass sich ihr „Umriß“ vom „Stengelgewirr der narzissenübersäten Tapete hob“.213 Tod und Ornament finden auch in dieser Konstellation ihre Verbindung. Der Gang durch das Haus im Traum wird zu weiteren Reflexionen und Imaginationen genutzt, wie die Tempel-Episode.214 Als er sich von der Treppe erhebt, geht er zögerlich weiter in Richtung der kranken Frau, fast jede Bewegung wird erfasst. Dies ist mit dem Sekundenstil vergleichbar,215 ohne die naturalisti-

208 Beer-Hofmann: Werke, Bd. 3, S. 16. 209 Vgl. auch Hachenberg: Literarische Synästhesien, S. 147. 210 Beer-Hofmann: Werke, Bd. 3, S. 64. Diese kommentierende Traumerinnerung wird mit der psychoanalytischen Traumdeutung in Verbindung gebracht, vgl. Scherer: Richard Beer-Hofmann, S. 361. 211 Beer-Hofmann: Werke, Bd. 3, S. 20. 212 Ebenda. 213 Ebenda, 21f. 214 Vgl. zur Tempel-Episode z.B. Scherer: Richard Beer-Hofmann, S. 248–256. 215 Vgl. zu den stilistischen Parallelen zwischen Der Tod Georgs und Holz’/Schlafs Ein Tod auch Scherer: Richard Beer-Hofmann, S. 288–290.

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sche Intention der Erfassung von Natur und Umwelt, sondern mit der Integration des ästhetizistischen Wohndetails vor dem Hintergrund der Polarität von Leben und Tod: „Leise schritt er zur Türe. Fünf Stufen führten zu ihr hinab. Er drückte vorsichtig die Klinke nieder, hob die Türe ein wenig in den Angeln um jeden Laut zu vermeiden, und öffnete.“216 Im Folgenden wird ein Gemälde gezeichnet, die ganze Traum-Szenerie wird zur ‚Kunst im Hause‘ stilisiert: „Durch die hochgelegenen kleinen Fenster drang heißes Licht, das sich träge an die Zimmerdecke und den oberen Teil der Wände heftete; das Bett der Kranken, das frei in der Mitte des Zimmers stand, und die alte schlafende Wärterin im Lehnstuhl unterhalb des Fensters, lagen in schwülem bläulichem Dämmern. An der Fußwand des Bettes, auf einem kleinen Tischchen, war ein gläserner Wasserkrug mit hochstieligem buntem Mohn.“217

Dieser Erzählmodus zeigt eine Verwandtschaft zum Jugendstil der bildenden Kunst, für den die „Auflösung des Raums in die Fläche charakteristisch ist, ohne daß zugleich die Zentralperspektive, deren Funktion die Illusion der räumlichen Tiefe ist, preisgegeben würde“.218 Paul bleibt zwar in dem Traum ein subjektiver Beobachter in seiner eigenen Wohnung, die jedoch durch das einfallende Licht in ihrer Flächigkeit – wie das Leben – nicht mehr greifbar ist. Im Krankenzimmer geht er auf und ab, schaut aus dem Fenster.219 Eine Kommunikation ist mit der zur Einrichtung erstarrten Frau nicht mehr möglich. Er möchte ihr eine Bernsteinkette schenken, worauf sie, die nicht mehr spricht, kaum reagieren kann. Die Situation eskaliert im Folgenden. Von draußen hört man Kinder, was für Nervosität bei der Kranken sorgt: „Einer klopfte jetzt mit dem Fuß ans Fenster […]“220 und kurze Zeit später „preßten [sie] ihre grinsenden Gesichter an die Scheiben“.221 Die Kinder, die eigentlich für den Beginn des Lebens stehen könnten, drängen als Karikatur mit Gesichtern „verzerrt und unfertig wie die von Ungeborenen“ an die Grenze der Wohnung. Paul vertreibt die Kinder, die Scheibe zerbricht, doch in der Aufregung stirbt die Kranke und stürzt vom Bett, der Kopf schlägt „dumpf auf dem Boden auf“. Mit dieser Bewegung

216 Beer-Hofmann: Werke, Bd. 3, S. 45. 217 Ebenda, S. 45f. 218 Scheible: Literarischer Jugendstil, S. 96 (bezogen auf eine weitere Textstelle in Der Tod Georgs). 219 Vgl. auch Scherer: Richard Beer-Hofmann, S. 239f. 220 Beer-Hofmann: Werke, Bd. 3, S. 61. 221 Ebenda, S. 62.

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ist der räumliche Tiefpunkt des Traumes erreicht und zugleich dessen Ende, da Paul erwacht.222 Deutet man die Wohnkonstellation des Traumes als Ausdruck des Inneren von Paul, steht sie für eine Implosion der Wohnung, also einer Wohnung, die sich immer mehr auf einen Punkt hin zurückzieht. Er steigt hinab zu der Kranken, die zuvor als Ornament und Einrichtungsgegenstand etabliert wird. Die Gegenwart der Kranken wird zu einem verdichteten, aber lebensfernen Ort, von dem die Kinder vertrieben werden, der von einer regungslosen alten Wächterin bewacht wird und von einer kranken Frau nur schwer belebt wird, da sie immer mehr zerfällt und schließlich unkontrolliert nach unten stürzt. In diesem Moment, in dem die Frau als letzter bedeutsamer Einrichtungsgegenstand, mit dem der Traumprotagonist Paul das Leben zu konservieren suchte, ‚zerbricht‘, endet auch dessen Leben. Die Traumexistenz ist zu Ende. Der Paul des ‚Traumrahmens‘ benötigt einige Zeit, sich zu orientieren, gleich zu Beginn dieser Phase heißt es: „Er wollte reden – aber zu wem? Er war ja so allein in seinem Zimmer wie vorher, als er einschlief.“223 Ein Gesprächspartner steht nicht zur Verfügung, die Vermittlung zwischen innen und außen muss erzählerisch über die Raumkonstellation vermittelt werden, was aber auch der Figur Pauls bewusst zu sein schein. Der Gang zum Fenster und der Blick in Richtung Berge hat für ihn eine befreiende Funktion: „Wie aus fensterlosen versperrten Räumen entwichen, fühlte er sich; die Unruhe und Überfülle des Traumes ängstigte ihn nicht mehr; Raum war hier, und freie Luft.“224 Allerdings bleiben das fatale Ende und die Spannung des Wohnens im Traum bestehen. Erzählerisch werden nämlich Tod, Leben und Wohnen eng zusammengeführt; Paul legt sich wieder ins Bett, dem Intimbereich der Wohnung: „Er hörte das tiefe Atmen Georgs der im Nebenzimmer schlief. Er wandte sich und schüttelte die Polster locker; dann legte er sich nieder und erwartete den Schlaf.“225 Olaf Schwarz sieht in dem Traum von der sterbenden Frau „den Wahrnehmungsmodus des Ästheten expliziert, der eine Differenz von ‚Ich‘ und ‚Welt‘ negiert“. Der Tod Georgs im Folgenden zeige die tatsächliche „Existenz der Außenwelt“, die zu der Einsicht bei Paul führt, eine angemessenere, wenn auch nicht unproblematische Wahrnehmung von Leben und Tod zu finden.226 Tat-

222 Ebenda, S. 62. 223 Ebenda. 224 Ebenda, S. 65. 225 Ebenda. 226 Schwarz: Das Wirkliche und das Wahre, S. 209. Vgl. ähnlich: Scheible: Literarischer Jugendstil, S. 130f.

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sächlich ist auch vor dem Hintergrund der Wohndiskurse die Unterscheidung zwischen Traum, der eine ästhetische Lebensform figuriert, und der (fiktiven) Wirklichkeit gefährdet, nicht nur wenn man die Parallelen auf beiden Ebenen bedenkt. Außerdem werden die geträumten Räume als Imaginationsleistung Pauls vorgestellt, in die die Frau als Gegenstand eingebettet wird, wodurch Paul Eins wird mit der Traumwirklichkeit. Mit der Wohnung erfährt die Traumexistenz eine Implosion, auch insofern wird diese ästhetizistische Existenzform überwunden. Paul trennt sich zwar symbolisch von der kranken Frau durch das Aufschütteln der Polster, zerstreut also ihre und seine Spuren von dem Schlaf, aber die Fortsetzung des Traumes ist durch den schlafenden Freund im Nebenzimmer angedeutet. Georgs Tod selbst wird nicht direkt geschildert, doch er ist sinnfälliger Bestandteil von Pauls Wohnung; aber auch konkret, schließlich wollen die Hausnachbarn „keinen Toten über Nacht im Hause“.227 In den weiteren Kapiteln ist auch nicht mehr Pauls Wohnung Ausgangpunkt des Erzählens. Im dritten Kapitel bildet die Zugfahrt Pauls zu der Beisetzung Georgs den Rahmen. Im Schlusskapitel wird er primär im Freien geschildert. Die eigene Wohnung tritt also in den Hintergrund. Damit wird aber die Gefährdung des eigenen Ichs nur deutlicher herausgestellt. Der Tod des scheinbar glücklichen Georg, der Erfolg im Beruf hat, stürzt den sensiblen, schwermütigen Paul in weitere Gedanken über das Leben und in eine emphatische Müdigkeit. Am Ende des Textes wird geschildert, wie Paul im Nebel spazieren geht: „Wie dicht der Nebel war und wie weit die Stadt lag! Aber durch alle Müdigkeit hindurch empfand Paul, Ruhe und Sicherheit. Als läge eine starke Hand beruhigend und ihn leitend auf seiner Rechten; als fühle er ihren starken Pulsschlag. Aber was er fühlte, war nur das Schlagen seines eigenen Bluts.“228

Der Nebel umgibt den ‚wohnungslosen‘ Paul mit einer Hülle, die ihm „Ruhe und Sicherheit“ geben mag. Doch dieser Zustand ist fragil und abhängig von der Flüchtigkeit des Nebels. Der Bezug am Ende auf das eigene Blut, das wie kaum ein anderes Symbol für das eigene Leben steht, ist in der narrativen Gestaltung ebenfalls als Implosion des Lebens zu werten. So wie die Wohnung des Traums sich in sich zusammenzieht und schließlich durch das Aufwachen zerstört wird, so ist das Leben Pauls auch gefährdet, der außerhalb der Wohnung, allein auf das

227 Beer-Hofmann: Werke, Bd. 3, S. 69. 228 Ebenda, S. 136.

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eigene Blut229 bezogen, also auf sich allein gestellt ist. Im Nebel kann er noch einmal einen minimalen Lebensraum selbst entfalten und imaginieren, nämlich im Hören auf den eigenen Körper. Es handelt sich dabei um eine höchst fragile Konstruktion, die durch den Abbruch der Fortschreibung der Wohndiskurse und im Abbruch des Erzählens überhaupt verdeutlicht wird. Es ist auch vor dem Hintergrund der Wohndiskurse unklar und offen, was Paul mittels seiner neuen Lebenserkenntnis aktiv umzusetzen vermag. Die Wirklichkeit außerhalb des ästhetizistischen Subjekts ist von Paul zwar anerkannt worden, aber letztlich bleibt fraglich, ob sie erreichbar ist, auch weil er nicht mehr an die Wohndiskurse wirksam angebunden zu sein scheint.230 Anders als der Kaufmannssohn in Hofmannsthals Märchen überlebt Paul das Verlassen der Wohnung, wenn auch mit offener Zukunft. Bekanntlich hat die Literatur um 1900 die psychoanalytischen Denkstrukturen literarisch innovativ ausgeformt. In dem hier verfolgten Zusammenhang hat sich gezeigt, dass auch in der Fortschreibung der Wohndiskurse zumindest bezüglich ästhetizistischer Literaturen die Selbstbezüglichkeit des Subjekts gerade durch ihre Integration in den Diskurskomplex Wohnen inszeniert wird. Werden die Wohnungen der Ästheten verlassen oder zerstört, setzt die Sprache des Wohnens auf einer weiteren Textebene neu an: insgesamt als ästhetische Einrichtung oder in der Figur einer Implosion. Die Fragilität231 der individuellen Psyche des Menschen um 1900 ist diesen Lebens- und Wohnerzählungen ohne Scheu vor Skepsis und mit großer Selbstkritik eingeschrieben.

229 Zur Bedeutung des Blutes im Text vgl. außerdem: Schwarz: Das Wirkliche und das Wahre, S. 206–208; Hachenberg: Literarische Raumsynästhesien, S. 152f. Bezogen auf die „jüdische Abstammung“ vgl. z.B. Scheible: Literarischer Jugendstil, S. 160– 164 (Zitat: S. 160); zum Schluss vgl. ebenda, S. 164–171; sowie den Ansatz von Niefanger: Produktiver Historismus, S. 272–274. 230 Vgl. zum Problem der „Lebenspraxis“ und „Selbstverwirklichung“ Schwarz: Das Wirkliche und das Wahre, S. 209f. 231 Ergänzend sei hier auch auf die spannende Studie von Tausch hingewiesen, der die komplizierte Erzählkonstruktion mit der Struktur eines Labyrinths verknüpft. Es geht um eine Erzählstrategie, in der die „Fragilität des Ästhetizismus“ selbst zur Sprache kommt. Tausch: von dem Innern des Labyrinths aus gesehen, hier S. 38.

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4.4 W OHNEN IM Z EICHEN UND Z ERSTÖRUNG

VON I SOLATION

(Mann: Buddenbrooks, Sternheim: Busekow, Ulitz: Die vergessene Wohnung, Keyserling: Abendliche Häuser, Kubin: Die andere Seite) Nicht nur Ästheten-Figuren wie Hofmannsthals Kaufmannssohn werden in der Literatur um 1900 in den Kontext der Wohndiskurse gerückt. Die Isolation des Bewohners, aber auch die Unzugänglichkeit der Wohnung bis hin zu ihrer Zerstörung werden vielschichtig fortgeschrieben. Im Folgenden sollen in dieser Hinsicht verschiedene Figuren analysiert werden: Sternheims Busekow, Maria aus der Novelle Die vergessene Wohnung von Arnold Ulitz und auch der Erzähler in Alfred Kubins Die andere Seite. Ein Seitenblick wird auf die adligen Familien von Eduard von Keyserlings Roman die Abendliche Häuser zu werfen sein; hier kommt es kaum noch zu einem tatsächlich gemeinschaftlichen Wohnen, wie es aus den bürgerlichen Kontexten bekannt ist. Isolation und Zerstörung sind die Grundmomente des Wohnens dieser Texte. Die Vorkriegszeit ist bereits von literarischen Verfahren geprägt, die das Wohnen als kaum tragfähig für die Individuen inszenieren. Eine Antwort auf die drängenden Fragen der zerbrechenden Gesellschaft vor dem Ersten Weltkrieg bleiben die vorgestellten literarischen Beispiele schuldig, aber im Fragen schöpfen sie das Potential des Diskurskomplexes vom bürgerlichen Wohnen nochmals aus, auch im Modus von dessen Selbstauflösung. Dieser Auflösungsprozess offenbart sich auch anhand des Verhältnisses der Figur Thomas Buddenbrooks zum Wohnen, so dass zunächst der Blick auf Thomas Manns berühmten Roman zu richten ist. Zerstörung und der Untergang von Familien gehören zu den zentralen Themen der Dekadenzliteratur. Die Buddenbrooks von Thomas Mann lenken diese Perspektive bereits durch ihren Paratext vom Verfall einer Familie. Manns Roman verweist zudem auf weitere Kennzeichen der (deutschen) Dekadenzliteratur, wenn man z.B. an die Krankheitsdarstellung denkt.232 Die „sprachartistische Gestaltung“ des Romans führt außerdem, so Kafitz, zu einer erzählerischen Betonung des Details, das anders als im Naturalismus die „Ausdrucksseite“, also die Sprachkunst selbst hervorhebt.233 Die erzählerische Inszenierung der Wohnungen bzw. Häuser erfolgt in

232 Vgl. Kafitz: Décadence, S. 411. Vgl. auch Rasch: Die literarische Décadence, bes. S. 159–169. 233 Kafitz: Décadence, S. 411.

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den Buddenbrooks bekanntermaßen sehr ausführlich; so sind das Interieur und seine Funktionen zum Beispiel von Kirsten Belgum analysiert worden.234 Es soll dennoch mit der Figur Thomas Buddenbrooks eine Perspektive aus dem Romankomplex herausgegriffen werden, da sie in Beziehung zu den bisher hier durchgeführten Analysen gesetzt werden kann: Thomas bzw. sein Verhalten wird in der Forschung mehrfach als maskenhaft bezeichnet. Wysling formuliert: „Thomas Buddenbrook spielt den Bürger. […] Er ist zu einer disziplinierten Maske geworden […]“.235 Belgum sieht ebenso in der Inneneinrichtung die Funktion der Maske: „Like the other aspects of Thomas Buddenbrook’s existence, his house also becomes a mask […]“.236 Der Neubau von Thomas wird so als luxuriöse Hülle verstanden, die den kommenden Untergang nicht nur nicht verhindert, sondern auch für Thomas indirekt zum „sichtbarlichen und greifbaren Zeichen“237 des beginnenden Verfalls wird.238 Damit trifft das Haus die Architektur- und Jugendstilkritik um 1900, die – wie gezeigt – das Maskenhafte ablehnt, da so das Haus nicht zum authentischen Ausdrucksort des Bewohners werden kann.239 Bezeichnenderweise wird sein Kissen zum minimalen Rückzugsraum für Thomas Buddenbrook: „Nur Ein Wunsch erfüllte ihn dann: dieser matten Verzweiflung nachzugeben, sich davonzustehlen und zu Hause seinen Kopf auf ein kühles Kissen zu legen.“240 Allein sein Kopfkissen wird zum Symbol für einen Abdruck seiner Person, nur dort ist er zu Hause. Ein anderer wichtiger Raum ist für ihn vor seinem Tod das Ankleidezimmer mit der Garderobe, „für deren Erhaltung und Ergänzung er keine Kosten scheute“.241 Dort findet er auch seine „Leibwäsche“, was besonders betont wird und damit die authentische Persönlichkeit des Raums aufzeigt.242 Das Haus bzw. die Wohnung minimalisiert sich auf diese Weise und zieht sich auf wenige Punkte zurück. Alles, was außerhalb dieser kleinen Rückzugszonen (hier: Kissen, Ankleideraum) liegt, aber noch zum Haus gehört, entfaltet sich als Maske des Scheins. Außerdem wird das Ankleide-

234 Vgl. Belgum: Interior Meaning, S. 185–212. 235 Wysling: Buddenbrooks, S. 370f. Vgl. auch jüngst Düffel: Bürgerdämmerung, S. 160. 236 Belgum: Interior Meaning, S. 202f. 237 Th. Mann: Frankfurter Ausgabe, Bd. 1.1, S. 474. 238 Vgl. Belgum: Interior Meaning, S. 201. 239 Vgl. z.B. S. 222 dieser Arbeit. 240 Th. Mann: Frankfurter Ausgabe, Bd. 1.1, S. 678. 241 Ebenda, S. 676. 242 Ebenda.

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zimmer zum Ausgangspunkt für eine schauspielhafte Inszenierung, wenn er das Haus verlässt: „Und wenn er hinaustrat, so verschaffte die frische Wäsche an seinem Körper, die tadellose und diskrete Eleganz seines Anzuges, sein sorgfältig gewaschenes Gesicht, der Geruch der Brillantine in seinem Schnurrbart und der herb-kühle Geschmack des gebrauchten Mundwassers ihm das Befriedigungs- und Bereitschaftsgefühl, mit dem ein Schauspieler, der seine Maske in allen Einzelheiten vollendet hergestellt hat, sich zur Bühne begiebt…“243

Von innen und außen werden damit die Wohndiskurse in ihrer literarischen Inszenierung eingeengt. Es handelt sich dabei um eine doppelte Bewegung, die Thomas Buddenbrook unterschwellig bewusst ist: Im Gespräch mit Tony über das neue Haus zitiert er selbst das bereits im Kontext von Hofmannsthals Märchen angesprochene Sprichwort: „‚Wenn das Haus fertig ist, so kommt der Tod‘“.244 Das fertige Haus manifestiert den fehlenden Selbstbezug zum Haus endgültig; es bietet keinen Wohn- bzw. Lebensraum für ihn und markiert nicht nur geschäftlich den „Anfang vom Ende“.245 Anders als beim jungen Kaufmannssohn bei Hofmannsthal wird allerdings die künstliche Abkopplung der Wohnung vom Leben nicht – wenn auch letztlich scheiternd – programmatischpositiv, sondern als Verlust erfahren, obwohl der Tod bei beiden als Folge inszeniert wird. Der Tod von Carl Sternheims Busekow, wenn er auch als Polizist und Kleinbürger zunächst nur wenig Verbindung zu den Buddenbrooks erwarten lässt, kann ebenso aus dem Kontext der Wohndiskurse gelesen werden. Sternheim hat sich mit seiner Novellensammlung Chronik von des zwanzigsten Jahrhunderts Beginn selbst als Diagnostiker des frühen 20. Jahrhunderts ins Spiel gebracht, zu der auch die Novelle Busekow in einer späteren Ausgabe zählt. Der Protagonist Busekow, ein „kurzsichtiger, in unerfüllter Ehe gedemütigter Schutzmann“, der „zu neuer Vitalität und männlichem Selbstbewußtsein in der Beziehung zur Prostituierten Gesine“ gelangt,246 wie es treffend Peter Sprengel formuliert, und die räumliche Konstellation der frühen Novelle (1913) Sternheims sollen nun im

243 Ebenda, S. 676f. Vgl. Düffel: Bürgerdämmerung, S. 160. 244 Th. Mann: Frankfurter Ausgabe, Bd. 1.1, S. 473. Vgl. auch Belgum: Interior Meaning, S. 202. Grundlegendes auch zu Hofmannsthals Märchen bei Stoupy: Wenn das Haus fertig ist. 245 Th. Mann: Frankfurter Ausgabe, Bd. 1.1, S. 473. 246 Sprengel: Geschichte der deutschsprachigen Literatur. 1900–1918, S. 20.

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Fokus stehen. Schon W. G. Sebald hat die umstrittene Frage nach dem satirischen Gehalt der Texte Sternheims thematisiert. Nach dem Welt-Rückzug des Ästhetizismus und einem teils programmatischen Naturalismus könne für Carl Sternheim die Satire ein Modus für „engagierte[…] Literatur“ sein, wenn auch dieser selbst der Satire distanziert gegenüberstand.247 Sprengel sieht in Busekow die „kräftigen, satirischen Effekte“ und meint damit die ungleiche Konstellation zwischen dem Schutzmann Busekow und seiner Geliebten.248 Mit dem Tod auf der Straße, zumal vor einem Theater, ist bereits eine räumliche offene Bühne angedeutet, auf der das Leben des kleinbürgerlichen Beamten Busekow endet. Die Novelle lebt von der Spannung von Straße, auf der der Polizist unterwegs ist, und Wohnung (mit seiner Frau und der der Geliebten Gesine). Für eine Militärkarriere hat es bei Busekow nicht gereicht, und auch als Schutzmann zeigt er anfangs wenig Selbständigkeit, wenngleich er eine außergewöhnliche Beobachtungsgabe entwickelt hat. Nach der Nachtschicht erreicht er die Wohnung des Ehepaars und er legt sich zu seiner schlafenden Frau ins Bett. Aufgrund seines Schnarchens und der „Unterwerfung unter ihren Willen“, legt er sich auf den Rücken im Bett, um zudem „beide Hände in die seitlichen Ritzen zwischen Bettlade und Matratze zu krallen“.249 Die Parallelität, mit der das Paar sein Leben führt, wird durch die künstliche Lage im Bett symbolisiert. Eine Kommunikation scheint nicht möglich. Die Frau ist über die Jahre selbst verblüht und auch er kann sein bisheriges Scheitern bzw. eine gewisse Lethargie nicht leugnen. Das Luther-Bild im Schlafzimmer, das den Reformator mit einer offenen, dynamischen Geste zeigt, erreicht seine Wirkung nicht: „Beide Gatten hatten anfangs großen Mut aus dieser Geste zu holen gesucht, wollten sich anreden, die Kluft überspringen. Doch es gab zwischen jenem und ihnen keine Zusammenhänge. Schon begann alles in hoffnungslose Gewohnheit beschlossen zu werden. Man sparte an Blick und Ton füreinander, rief sich, antwortete in Hauptworten, denen Verben und Partikel fehlten, um bei Begriffen, die man als bekannt und erwartet voraussetzen konnte, an den Endsilben zu sparen. Augen wichen sich aus, man sah an Wände; Berührung wurde gefürchtet.“250

247 Sebald: Carl Sternheim, S. 34–38, hier S. 35. 248 Sprengel: Geschichte der deutschsprachigen Literatur. 1900–1918, S. 424, vgl. S. 21. Zur Novelle vgl. u.a. auch Williams: Carl Sternheim, S. 186–189. 249 Sternheim: Gesamtwerk, Bd. 4, S. 10. 250 Ebenda, S. 11.

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Die Ehe wird von ihrer Kinderlosigkeit überschattet, die Busekow auch nicht im Traum loslässt. Aber auch in dem Traumzustand gelingt eine Kommunikation nicht. In einem „leere[n] Raum“ stellt er sich seine Frau „nackt“ und ihm gegenüberstehend vor, mit verfallenen Körpern – und als er schließlich aus dem Traum erwacht ist, ist wiederum keine Harmonisierung erkennbar.251 Erschrocken ob des Traumes eilt Busekow „im Hemd ins Nebenzimmer“ und erniedrigt sich als angeblich „Unfruchtbarer“ selbst. Aber die Frau war nicht da: „Bei Butterbroten einer Flasche Bier lag ein Zettel auf dem Tisch mit den Worten: Ich bin zum Kientopp. Wundre dich nicht. Geburtstag!“252 Die Wohnung des Paares wird nicht mehr als eine gemeinsame inszeniert, vielmehr leben beide nebeneinander. Darin mag auch eine kritische Auseinandersetzung mit der Lage des Kleinbürgertums zu Beginn des 20. Jahrhunderts liegen, das – wie bei Busekow – mit wenig sozialen Perspektiven ausgestattet auch privat leidet. Insofern sind hier intentionale Beziehungen zum Naturalismus zu sehen, wenn auch stilistische Abweichungen feststellbar sind. Thomas Anz sieht im „Weglassen von Artikeln und Attributen, das, zusammen mit permanenten Inversionen, der Prosa und Dramatik Carl Sternheims ihre eigenwillige, (selbst)parodistische Stilnuance gibt“, eine expressionistische „Konzentration auf das Wesentliche“.253 Die stilistische Reduktion korrespondiert hier mit der Kühle in der Inszenierung der Wohnung von Busekow. Busekow geht noch am gleichen Abend wieder zum Dienst, ohne zuvor seine Frau wiederzusehen. Aber er wird Gesine erneut treffen, die er zuvor nicht zuordnen konnte. Normalerweise kennt er alle abendlichen Gestalten, die sich an seinem Posten an der Straße kreuzen. Bei ihr war er sich am Abend nicht sicher, deshalb hatte er zuletzt auch „seine Wohnung mit dem peinlichen Gefühl [betreten], in dieser Nacht habe er dem Staat unzureichend gedient, den Platz, der ihm anvertraut war, nicht in völliger Ordnung verlassen“.254 Jedoch wird er eine erste Wandlung durchmachen: „Beim Anblick ihres namenlosen Elends hob Busekow zum erstenmal am heutigen Tag den Kopf.“255 Letztlich wird damit auch eine räumliche Veränderung festzustellen sein. An einem seiner Urlaubstage kommt er der Fremden näher; er geht ihr nach in einen Hausflur, wo ihre Beziehung beginnt. Als Busekow eine Woche später in ihre Wohnung kommt, wird deutlich, dass dort beide aufeinander bezogen sind: Es

251 Ebenda, S. 13. 252 Ebenda, S. 13f. 253 Anz: Literatur des Expressionismus, S. 155. 254 Sternheim: Gesamtwerk, Bd. 4, S. 9. 255 Ebenda, S. 14.

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gibt „ein erleuchtetes Zimmer“, beide berühren sich zärtlich, sie setzen sich zusammen auf ein Sofa.256 Die fehlende Interaktion und Kommunikation mit seiner Frau findet Busekow in der Wohnung der Geliebten Gesine. Das, was Busekow in seiner Ehe vermisst, scheint er nun bei Gesine zu erleben. Insofern ist ihre Wohnung auch eine ‚Gegenwohnung‘ zu seiner eigenen. Hier kann er sich als starker, selbstbewusster Mann produzieren. Sie ermutigt ihn, „Säbel und Revolver“ mitzubringen, was er gerne macht. Vom Sofa aus schaut sie seinen Scheingefechten zu: „Da hatte Busekow zum erstenmal im Leben das Gefühl seiner Notwendigkeit zur Evidenz.“257 Im Folgenden gelingt Buskow ein beruflicher Aufstieg, die neue Wohnungserfahrung, das neue aktive Leben mit Gesine scheint ihm hier den entsprechenden Auftrieb zu geben. Die Schwangerschaft von Gesine gibt ihm die Gewissheit, dass er ohne Schuld an der Kinderlosigkeit mit seiner Frau ist. Die nächtlichen Annäherung seiner Frau bekommt er indes nicht mit: „Seufzer Geständnisse Versprechen scheue Küsse hauchte sie gegen ihn, doch blieb ihm alles, Leid und Geste, verborgen.“258 Das Ende Busekows, der tödliche Unfall nach einer Nacht bei Gesine, konterkariert jedoch auch sein Glück und lässt es als Utopie erscheinen. Der Tod ereilt ihn auf der Straße vor dem königlichen Theater, außerhalb der Wohnung also. Letztlich gibt es kein Zuhause für Busekow. Die Relativität seiner Existenz vermag auch kein privates Wohnglück zu schützen. Die Isolation des Einzelnen ist durch die Wohnkonstellation mit der Ehefrau versinnlicht, das scheiternde Glück mit Gesine unterstreicht dieses Moment. Ein Wohnglück bleibt in ähnlicher, aber dabei noch prägnanterer Weise den Protagonisten in einer zu Lebzeiten von Carl Sternheim unveröffentlichten Prosaminiatur verwehrt. In dem Text In einem grand hôtel (1899) findet sich die Parallelität des unverbundenen Wohnens und Lebens wieder. Das Grandhotel ist um 1900 zu einem protoptypischen Ort herangewachsen: Es ist ein heterotypischer Ort, der auf alles andere bezogen ist, wenn er auch selbst herausgehoben vom alltäglichen Leben ist, wie es schon ähnlich Michel Foucault bestimmt hat.259 Losgelöst vom Wohnalltag wird dort Wohnen im bürgerlich-adeligen Gestus simuliert, obgleich man im eigentlichen Sinn nicht zu Hause ist.260 Diese

256 Ebenda, S. 17. 257 Ebenda, S. 21. 258 Ebenda, S. 24. 259 Vgl. Foucault: Schriften, Bd. 4, S. 931–942 (Von anderen Räumen). Vgl. S. 16 dieser Arbeit. 260 Vgl. Wichard: Wohnen und Identität, S. 82.

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Simulation wird in Sternheims Text ad absurdum geführt, der aufgrund seiner Kürze vollständig zitiert sei: „In einem Zimmer. Er nimmt ein Bild vom Schreibtisch und läßt die Sehnsucht und die Hoffnungslosigkeit seinen matten Leib durchrieseln und verbrennt Eleonore dann an zwei Streichhölzern, die im Dunkel hell aufflammen. Legt sich im Stuhl zurück, und während ihm Eisschlangen hastig den Rücken ’rauf und ’runter kriechen, denkt er seine Kindheit, seine Gymnasiastenzeit und sein Leutnantstum, die wahnsinnige Leutnantszeit. Sein Sehnen noch einmal, weinend und wild, denkt ein Weib groß und anders . . gut und heilig. Sein Sehnen klimmt dann halb erstorben einen steilen Berg hinan in die Schneeregionen, ins ewige Eis, in Menscheneinsamkeit, in die eisige Ewigkeit. Im Nebenzimmer. Sie liegt im Stuhl zurück, und während ihr Eisschlangen hastig den Rücken ’rauf und ’runter kriechen, denkt sie noch einmal ect. Er nimmt eigens zu dem Zweck gekauftes Gift und stirbt. Sie nimmt heute noch kein Gift.“261

Dass ein Hotel im Stile eines modernen Grandhotels gemeint ist, dafür spricht Sternheims Verkehr (als Sohn einer reichen Familie) in dem entsprechenden Milieu, zudem befindet sich das Grandhotel um 1900 in einer Blütezeit.262 In dem kurzen Text fällt die parallele Inszenierung zweier isolierter Individuen auf, sowohl in räumlicher Orientierung als auch bezüglich ihrer Handlung. Obgleich sie sich kennen und nur eine Wand sie trennt, findet auch hier keine Kommunikation mehr statt. Diese wird vielmehr durch den Akt des Verbrennens symbolisch endgültig verhindert.263 Das private Bild auf dem Schreibtisch eines Hotels zeugt noch von einem Hotel, das den Wohncharakter zulassen will, anders als die außerdem entstehenden (ökonomisch) rationalisierten Durchreisehotels.264 Es wird aber vor dem Hintergrund des Wohnens deutlich, dass das bürgerliche Wohnen als krisenhaft gezeichnet wird. Nicht nur das Kleinbürgertum – wie in Busekow – auch das finanzstarke Bürgertum wird in Fortschreibung der

261 Sternheim: Gesamtwerk, Bd. 9, S. 468 (Kursivierung vollständig im Original). 262 Vgl. zum Grandhotel als einer der „Orte der Moderne“ Knoch: Das Grandhotel; sowie Wichard: Wohnen und Identität; Seger: Grand Hotel. 263 Sternheims Text findet in einer neuen, insgesamt lesenswerten Studie eine kurze Erwähnung mit Blick auf den Akt des Verbrennens vgl. Nölle: Eindringlinge, S. 235f. Siehe auch die Anmerkung zu Busekow, ebenda S. 276. 264 Vgl. Just: Durchreisehotel.

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Wohndiskurse als gebrochen und isoliert inszeniert. Der Selbstmord verbindet sich mit einer Unfähigkeit, das Wohnen als Teil des Lebens zu realisieren. Sternheims Figuren aus den beiden vorgestellten frühen Texten kommen nicht mehr in einem Zuhause an, sie bleiben auf der Straße zurück oder in einem nur vorgegebenen Heim eines Hotels. Sie präfigurieren und stehen zugleich für das Ende einer bürgerlichen Kultur, die sich aus dem 19. Jahrhundert heraus entwickelt hat. Es handelt sich dabei um eine Bewegung, die auch in der Literatur eines Eduard von Keyserlings präsent ist, auch wenn dieser das adlige Leben auf Schlössern in den Blick nimmt. Doch sind auch dort mit den Wohnarrangements ähnliche Stimmungen dargestellt, wie sich an dessen spätem Roman Abendliche Häuser (1914)265 zeigen lässt. Der Roman zeichnet eine adlige Welt, die sich auf Schlössern und den dazugehörigen Ländereien vor den gesellschaftlichen Veränderungen zurückzuziehen scheint.266 Auf den benachbarten Gütern der Protagonisten bestimmt das Festhalten an Tradition und Konventionen den Alltag, so dass eine lethargische, weltabgewandte Stimmung das Leben beherrscht, an der vor allem die jüngere Generation leidet. Gerade an ihrem Schicksal wird die Brüchigkeit dieser Gesellschaft verdeutlicht. Die literarische Beschreibung der Wohnräume nimmt dabei einen großen Stellenwert ein.267 Im Mittelpunkt der folgenden Analyse soll die junge Frau Fastrade stehen, die sich erst in ihren Hauslehrer verliebt, der bald aber erkrankt und stirbt. Trotz der Missbilligung ihrer Familie verlässt sie das Schloss und zieht nach Hamburg, um in einem Krankenhaus zu arbeiten. Als ihr Bruder jedoch in einem Duell fällt, kommt sie zurück nach Hause. Die erzählte Handlung des Romans verlässt jedoch die heimatliche Adelswelt nicht, Fastrades Erfahrungen dringen wie eine Störung in das väterliche Schloss ein und sie hat einen externen Blick auf die

265 Zu Keyserling jüngst vgl. Sprengel: Das erzählerische Werk. Vgl. zum Roman insgesamt die ältere, aber umfassende Interpretation von Baumann: Eduard von Keyserlings Erzählungen. 266 Vgl. dazu Bachmaier, der die Funktion von Gärten bzw. Parks bei Keyserling betont, die auch als Sonderform des „Wohnraum[s]“ zu verstehen sind. Auch die „Terrasse“ werde zu einem „Grenzplatz zwischen Außen- und Innenräumen des Wohnens“. Bachmaier: Die Grazie des Plauderns, S. 161. Vgl. ebenso die ähnlichen Ausführungen bei Gruenter: Schloßgeschichten, bes. S. VII–X. Vgl. auch die Bemerkungen zur Veranda bei Fontane auf S. 182 dieser Arbeit. 267 Vgl. auch die am Raum (und am Wohnen) interessierte neue Keyserling-Studie Dirscherl: Eine fremde Welt, bes. S. 194–219.

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Welt ihrer Kindheit ausgebildet, wenn sie nach ihrer Ankunft auf dem Sofa Platz nimmt: „[…] Fastrade saß ruhig da und ließ ihre Blicke im Zimmer umherschweifen, suchte die Sachen an ihren gewohnten Plätzen auf. Es stand alles dort, wo es einst gestanden, alles war unverändert, und dennoch schien es ihr, als sei es verblaßter, farbloser als das Bild, welches sie die ganze Zeit über in ihrer Erinnerung herumgetragen, das Getäfel schien dunkler, die Seide der Möbel verschossener, die Kristalle des Kronleuchters undurchsichtiger. All das erschien Fastrade wie eine Sache, die wir sorgsam verschließen, und wenn wir sie endlich wieder hervorholen, wundern wir uns, daß sie in ihrer Verborgenheit alt und blaß geworden ist. Und auch die Töne des Hauses waren die altbekannten.“268

Der Kommentar der Tante von Fastrade erfasst die Situation des Hauses ungewollt offen: „wir haben nichts anderes zu tun, als zu sitzen und zu warten, bis eines nach dem anderen abbröckelt.“269 Die Inneneinrichtung verschmilzt mit ihren Bewohnern. In einem Artikel für Die Neue Rundschau, Zur Psychologie des Komforts (1905), formuliert Keyserling: „Im eignen Haus hat alles, Möbel und Dienstboten, Zeit, sich in den herrschenden Lebensstil hineinzugewöhnen. […] Der Stuhl am Kamin ist mit den Dämmerstunden und Winterabenden gerade seines Besitzers eng verwachsen […]. Unser Haus ist mit seinem Getriebe der Niederschlag unserer persönlichen Kultur.“270 Diese Verschiebung der Grenze des Inneren nach außen wird im Roman lesbar.271 Durch ihre Lebenserfahrung außerhalb der Welt vom Gutshof, gesellschaftliche Abende und auferlegte Pflichten dynamisiert, versucht Fastrade der Starrheit etwas entgegenzusetzen, gleichwohl ohne dauerhaften Erfolg, da sie sich auch ihrem alten und kranken Vater verpflichtet fühlt. Ihre neue Perspektive auf das Haus wird dennoch in der literarischen Raumgestaltung aufgegriffen. Im vierten Kapitel wird geschildert, wie sie früh erwacht und durch das Haus geht, und es wird deutlich, wie das Schloss mit seinem ganzen Gesinde erwacht; und sie hat den Eindruck, „als wäre sie nie fortgewesen, als hätte sie nie aufgehört, zu die-

268 Keyserling: Werke, S. 364. 269 Ebenda, S. 365. Vgl. zum Dekadenz-Kontext Wuthenow: Eduard von Keyserling, S. 317; sowie mit Bezug auf das Verhältnis von innen und außen Dirscherl: Eine fremde Welt, S. 200. 270 Keyserling: Werke, S. 566f. Vgl. auch Gruenter: Schloßgeschichten, S. XI–XIII; ebenda, S. XI: „Die Möbel in den Zimmern der Schloßgeschichten leben.“ 271 Vgl. zu Keyserlings Aufsatz und zur „Grenze zwischen Psyche und Gegenstandswelt“ weiterführend Scharnowski: Wahrnehmungsschwellen, hier S. 51.

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sem wunderlichen, alten Hause zu gehören, in dessen dunklen, verschlafenen Ecken überall eine stumme Klage zu wohnen schien“.272 Es ist der Modus der Dekadenz,273 der im Schloss zu Hause ist; die produktive Kraft des Wohnens, durch die Neues in die Hausgemeinschaft eingeführt werden könnte, wird nicht mehr wirksam. Das Wohnen wird als isoliert und abgetrennt inszeniert: Der junge Egloff, mit dem sich Fastrade verloben wird, gilt im Bekanntenkreis als wenig akzeptabel, da er die Konventionen bricht und als Spieler sein Erbe in Gefahr bringt. Als er ein Stück seines Waldes verkaufen und bei entsprechenden Vermessungsarbeiten in den Wald muss, kommen Vertreter der benachbarten Familien hinzu. Der Erzähler schildert schließlich deren Heimfahrt zum jeweiligen Schloss. Trotz der Gemeinsamkeiten erscheint doch jeder der Protagonisten isoliert. Dies gilt auch für Gertrud, die wie Fastrade einmal ein anderes Leben geführt hatte: In Dresden besaß sie als Sängerin noch die „sorglos müden Bewegungen“ als „sie nach durchjubelter Nacht am Morgen in ihren himmelblauen Morgenrock gehüllt in das Wohnzimmer kam […]“.274 Nun wird sie von ihren Eltern in die Rolle der kränklichen Tochter gedrängt und an das traditionelle Haus gebunden. Die Eheleute Dachhausen ziehen sich – einen ernsthaften Ehekonflikt vor Augen – jeweils in ihr eigenes Zimmer zurück. Der Spieler Egloff ist noch umtriebig; schließlich fährt er die einzelnen Wohnsitze der Nachbarn ab und betrachtet diese von außen, auch das Schloss der Familie von Fastrade, das vom Erzähler aus einer figuralen Innenperspektive als ein „Haus der Zuendegehenden“ charakterisiert wird.275 Egloff und Fastrade kommen sich trotz einer anfänglichen Distanziertheit von Fastrade schließlich näher, weil Egloff auch die meiste Abwechslung für Fastrade zu versprechen scheint. Bei der Verlobung kommt es zu der typischen Sofa-Szene: „In Fastrades Zimmer drückte Egloff sich fest in die Sofaecke, zog Fastrade nahe an sich […]“.276 Diese Nähe wird jedoch atmosphärisch durch die unbelebte Situation im Haus gebrochen: „Vor ihnen lag die stille Zimmerflucht, kein Ton regte sich im Hause, im Kamin prasselte das Feuer, draußen an den Fensterläden rüttelte der Frühlingswind.“ Es ist, wie Egloff feststellt, „im Hause

272 Keyserling: Werke, S. 369. 273 Vgl. Wuthenow: Eduard von Keyserling; sowie Rasch: Die literarische Décadence, S. 224–243. Rasch spricht von der „Atmosphäre des Vergehens“ und von der „Verödung im Schloß“, ebenda, S. 234f. 274 Keyserling: Werke, S. 400. 275 Ebenda, S. 404. 276 Ebenda, S. 413f.

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gespenstisch still und feierlich“, wenngleich er selbst vom Vater Fastrades ablehnend behandelt wird.277 Die Bedenken des Vaters sind nicht unberechtigt. Im Laufe der Handlung bestätigt sich der Verdacht, dass Egloff mit der Frau von Dachhausen eine Affäre eingegangen ist. Der Konflikt wird mit einem Duell ausgetragen, bei dem Dachhausen fällt. Im Anschluss an das Duell, Dachhausen liegt noch im Sterben, zeigt ein moderner Raum, wie lebensabgewandt inzwischen die adlige Kultur ist. Der Egloff begleitende Graf Bützkow lädt ihn zum Essen in sein „Automobil“ ein: „Es war auch wirklich gemütlich hier in dem hübschen gepolsterten Raume, der Regen knisterte an den Fensterscheiben, Bützow wurde ordentlich heiter, er sprach von seinem Koch, der eine Perle war, kritisierte das Essen auf den Schlössern.“278 Selbst nach der Katastrophe des Duells wird zumindest für eine kurze Zeit ein Nebeneinander im Modus des Wohnens, hier durch das Auto repräsentiert, realisiert. Die Konflikte der Protagonisten können nicht mehr ausgetragen werden. Die Verlobung wird natürlich gelöst – und Egloff begeht Selbstmord. Am Ende kehrt wieder die „Ruhe“ in dem Landstrich ein, die die ältere Generation sich wünscht. Fastrade aber sieht sogar ihren Lebensschmerz bedroht, „der jetzt ihr heiligstes Erlebnis war. Würde er in dem windstillen Winkel stille werden, schläfrig werden, untergehen?“.279 Eine aktivierende Ausbruchssituation aus der Gesellschafts- und Raumordnung erscheint Fastrade unwahrscheinlich. Der Roman insgesamt zeichnet allerdings ein Bild einer Wohn-Gesellschaft, die vor der Auflösung ist. Er inszeniert einen Rückzug auf einen engen Wohnraum, der sich nur noch mühsam vor Veränderungen schützen kann, denn auch die Wohnwelt des Adels, die längst mit der bürgerlichen Kultur in vielen Fällen konvergiert, birgt eine implosive Gefährdung. Eine andere Gefährdung einer Wohnung, an der ihre Bewohnerin zerbricht, beschreibt der aus Breslau stammende Autor Arnold Ulitz (1888–1971) in einer seiner frühen Novellen. Ulitz hat selbst am Ersten Weltkrieg teilgenommen – zu einer Zeit, in der auch die Novelle Die vergessene Wohnung (1915) erschienen ist.280 Die Novelle skizziert das kleinbürgerliche Künstlermilieu einer jungen Familie. Der Kunstmaler Christian Wackernagel bricht als Soldat in den Krieg

277 Ebenda, S. 414. 278 Ebenda, S. 469. 279 Ebenda, S. 476. 280 Zur Person vgl. Klaus Völker: Art. Ulitz, Arnold. – In: Literatur Lexikon, Bd. 11, S. 471; zu Ulitz’ Werk vgl. jüngst Rduch: Unbehaustheit und Heimat (zur Novelle Die vergessene Wohnung ebenda, S. 41–45).

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auf, Maria, Tochter aus wohlhabendem Haus, bleibt in der Dachgeschosswohnung mit dem kleinen Sohn zurück. Nachdem aber bald nach Kriegsbeginn die Kosaken in die Stadt vorgerückt sind, versteckt sie sich mit dem Sohn in der Wohnung. Nach rund drei Wochen sind die Deutschen zurück, verspätet erfährt sie nun vom Tod ihres Mannes, woran sie zerbricht. Sie trennt sich von ihrem Sohn, den sie zu ihren Eltern bringt, und bleibt alleine in der Wohnung zurück. Ulitz’ Novelle sticht aus den anderen Erzählungen heraus, da hier nun die Wohnung gegen eine konkrete, das heißt objektive Gefahr, nämlich vor einer Invasion der russischen Feinde während des Krieges, geschützt werden muss. Die Wohnung wird dabei bewusst als Schutzraum vor der Außenwelt inszeniert: Maria verbarrikadiert die Tür und sagt zu ihrem Sohn: „Nein, nun haben wir keine Tür mehr, nun wohnen wir in den Wolken!“281 Dieses Bild, das nur scheinbar eine mildernde Erklärung für den unsicheren Jungen ist, sondern auch der psychischen Wahrnehmung von Maria immer mehr entsprechen soll, wird durch zwei äußere Faktoren bestärkt. Zuerst ist die Wohnung inmitten des städtischen Lebens gelegen: Im vorderen Haus ist eine Hutfabrik, im „Hinterhaus wohnten nur Dirnen“.282 Die eigene Wohnung ist unter dem Dach des mittleren Hauses, die nicht nur der Sonne ausgeliefert ist, sondern natürlich auch sehr einfach eingerichtet ist.283 Neben der Lage spricht für die Himmelsmetapher Marias Bemühen, das marode Haus als unbewohnt erscheinen zu lassen. Als die Belagerer sich nähern, verunreinigt sie mit Absicht die Treppe, um den bewohnten Dachboden zu verschleiern: „Asche und angefressene Kohle grub sie aus dem Ofen und streute sie zierlich wie eine Säerin über die Treppe und kratzte mit der Schaukel Tünche und Mörtel von der Wand […]“.284 Ihr Plan geht auf, die russischen Soldaten dringen nicht bis in ihre Wohnung vor. Maria gestaltet so eine Wohnung, die losgelöst ist von der Umwelt,285 was auch an Tiecks Novelle Des Lebens Überfluß erinnert, schließlich sind es dort die Liebenden, die sich scheinbar selbst genügen und auf die Treppe hinunter in das Haus verzichten können.286 Auch Maria wohnt offenbar im Geist noch mit ihrem in den Krieg

281 Ulitz: Die vergessene Wohnung, S. 34. 282 Ebenda, S. 15. 283 Vgl. ebenda, S. 16. 284 Ebenda, S. 31. 285 Vgl. Marias Äußerung: „Wir wohnen auf einer Insel, und wenn Schiffe vorüberfahren, winken wir nicht, und wenn sie die Insel auch sehen, dann meinen sie: Pfui, pfui! Asche, Papier und Glas! Aber das Schöne sehen sie nicht, und wir haben doch so vieles!“ Ulitz: Die vergessene Wohnung, S. 35f. 286 Vgl. S. 133 dieser Arbeit.

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gezogenen Ehemann zusammen, er ist weiterhin fester Teil der Wohnung. Christian ist „unsichtbar um sie“ und sie will die Wohnung stets so herrichten, dass er sagen würde: „Das hast du schön gemacht, Maria!“287 Nach Marias Jubel über den Abzug der Russen folgt ihre private Katastrophe. Die von Maria abgeschnittenen Kommunikationswege (sie hat ja auch die Wohnung nicht verlassen können) sorgten auch für die Nicht-Zustellung der Briefe, die der Briefträger nun als Bündel zustellt. In den Briefen zeigt sich Christian verwundert über ihre fehlenden Antworten, dann öffnet sie jedoch den Brief mit der Todesnachricht. Sogleich erscheint ihr das Wohnversteck als Irrtum und sinnlos: „Alle Schweine sollen in die schöne Wohnung kommen. Es lohnt sich nicht!“288 Nach dem ersten Schock beschließt sie, sich von ihrem Sohn zu trennen und ihren geliebten Mann in der Wohnung zu konservieren: „Sie mußte ihr Kind los werden und mußte zwischen diesen Wänden büßen und mußte sich kasteien und aller Menschen ledig sein und nur mit seiner Seele immer vertraut.“289 War die Wohnung zunächst ein physischer Schutz vor den Russen, beginnt sie bald in der Isolation mit der Imagination von Nähe zu ihrem Mann. Dieser psychisch nachvollziehbare Prozess der Verarbeitung der Angst um ihren Mann und sich selbst mündet aber nach dessen Tod in einen irrationalen Zustand. Die Wohnung wird zum scheinbar einzig stabilen Schutzraum für sie selbst. Ihre Lebenssphäre wird dadurch extrem eingeengt: Nach ihrer Rückkehr – sie hat das Kind ihren Eltern überlassen – wird sie Eins mit der Wohnung: „Die Decke der vergessenen Wohnung senkte sich herab und lastete auf ihrer Stirn, aber sie tat nicht wehe, sondern behütete nur und machte unsichtbar.“290 Am Ende von Ulitz’ Novelle wird die Wohnung zur pervertierten Lebenshülle der durch den Krieg psychisch zerstörten Menschen. Die Wohnung kann zwar der unmittelbaren Gefahr entrissen werden, doch ohne Bewohner ist diese ebenfalls symbolisch in sich zusammengefallen. Abschließend soll der Blick auf Häuser und Wohnungen gerichtet werden, die auf literarischer Ebene tatsächlich zerstört werden. Als imposantes Beispiel aus der Vorkriegsliteratur kann hierfür Alfred Kubins Roman Die andere Seite (1909) gelten.291 Als der Ich-Erzähler von dem Jugendfreund Claus Patera in

287 Ulitz: Die vergessene Wohnung, S. 42. 288 Ebenda, S. 54. 289 Ebenda, S. 59. 290 Ebenda, S. 70. 291 Alfred Kubin, der vor allem als bildender Künstler bekannt ist, hat – darauf sei in dem hier verfolgten Zusammenhang hingewiesen – eine Anziehungskraft und Aus-

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dessen geheimnisvolles Traumreich eingeladen wird, beginnt die erzählerische Konstruktion eines Lebens und Wohnens in der Hauptstadt Perle, die allein auf der Bewahrung eines historischen, Technik abgewandten Zustandes beruht. Patera ist durch sagenhafte Umstände zu dem fernen Reich gekommen, in dem er als „Altertumssammler“292 Kunst, aber auch ganze Häuser zusammenführt, die nicht wesentlich vor der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden sein dürfen: „Zwei Monate nach seiner Ankunft kamen bereits die ersten Häuser aus Europa, alle von beträchtlichem Alter und verwohnt. Geistvoll in einzelne Stücke zerlegt, wurden sie sogleich zusammengesetzt, und auf die bereits vorher errichteten Fundamente gestellt.“293 Die damit verbundene Lebensform muss vor den Eindringlingen der Außenwelt abgeschirmt werden.294 An den Toren zum Reich sind entsprechend „nur gebrauchte Sachen“ zur Mitnahme erlaubt,295 die „historistische[…] Konservierbarkeit“ 296 der Stadt steht an erster Stelle. Die Wohnkultur ist somit auf eigentümliche Weise für neue Zugänge blockiert. In einer künstlichen Konstruktion wird damit versucht, auch die Wohndiskurse zu beschränken. Der Roman erprobt – aus der Perspektive des hier verfolgten Zusammenhangs – die Stillstellung der Wohndiskurse. So scheint einerseits die Identität der Bewohner die Häuser im Traumreich unmittelbar mitzubestimmen. Als der Schulfreund mit seiner Frau in Perle eine Wohnung sucht, trifft er eine sichere Auswahl: „An jenem ersten Tag war es meine ganze Sorge, baldmöglichst eine geeignete Wohnung zu finden. […] In einer der hübschen Gartenvillen unterzukommen, daran war nicht zu denken. So irrten wir nun schon zum dritten Male die Lange Gasse hinauf und hinunter.

strahlung von Wohnungen und Räumen gespürt. Vgl. Winkler: Der Tod und die Fersen, S. 304. Es sei hier auch daran erinnert, dass Kubin von Edgar Allan Poe beeinflusst war (vgl. z.B. L. Simonis: Bildende Kunst, z.B. S. 263; sowie Cersowsky: Phantastische Literatur); dieser wiederum hat mit seiner Philosophy of Furniture (1840) sich bereits früh theoretisch wie anschaulich mit der Inneneinrichtung beschäftigt, auf die zum Beispiel Walter Benjamin Bezug nimmt. Benjamin: Gesammelte Schriften, Bd. V.1, S. 282. Vgl. zu Poe und Interieur z.B. auch Schürmann: Tickende Gehäuseuhr, S. 116f. 292 Kubin: Die andere Seite, S. 16. 293 Ebenda, S. 14. 294 Vgl. ebenda, S. 18f. 295 Ebenda, S. 41. 296 Niefanger: Produktiver Historismus, S. 203 (vgl. ebenda, S. 203–205, die Ausführungen zum Motiv der ‚toten Stadt‘).

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Da zog ein mittelgrosses, zweistöckiges Erkerhaus meine Aufmerksamkeit auf sich. Wie aus Kindertagen bekannt kam es mir auf einmal vor. ‚Hier ist’s ja, was wir suchen‘, rief ich darauf hindeutend. ‚Im zweiten Stock kommen wir unter!‘“297

Ohne es vorab wissen zu können, wird das Ehepaar in die Etage einziehen dürfen. Die Kindheitserinnerung scheint also ein Haus in Perle mitkonstruieren zu können. Auf der anderen Seite scheint aber der Diskurs, der die Identität im Traumreich mitbestimmt, eine gegenläufige Bewegung auszuführen: „Die Häuser spielten da eine bedeutende Rolle. Oft war es mir, als ob die Menschen nur ihretwegen da wären und nicht umgekehrt. Die Häuser, das waren die starken, wirklichen Individuen. Stumm und doch wieder vielsagend standen sie da. Ein jedes hatte so seine bestimmte Geschichte, man musste nur warten können und sie stückweise den alten Bauten abtrotzen.“298

So werden die Bewohner selbst nur zu unbedeutenden Möbeln, ihre Geschichte zählt nicht mehr. Dies ist tatsächlich die Umkehrung von der Vorstellung, dass die Wohnung aktiv einen Teil des Bewohners repräsentiert. Diese Fremdbestimmung in der Ausstattung der privaten Wohnung kann auch kritisch als totalitärer Zug der Staatsform im Traumreich gelesen werden. Die Bewahrung des Alten und die Dominanz geradezu lebendiger Häuser führen zu einem Verlust von Individualität und Identität im privaten Raum.299 Eine ähnliche Konstellation ergibt auch die weitere Analyse des Diskurses von Privatheit und Öffentlichkeit. Die Räume der Wohnung selbst sind „behaglich und einladend“, und es ist eine „Wohnung mit drei Zimmern und Küche“.300 Die räumliche Konstruktion und Ausstattung ist für ein Paar annehmbar. Als der Ich-Erzähler allerdings die „Schattenseiten unseres Lebens“301 anführt und dabei gleich mit dem Thema Wohnen beginnt, wird deutlich, dass die Privatheit und die mit ihr verbundene Ruhe prinzipiell gestört ist, denn „unter unsern Zimmern hatte sich ein altes Fräulein einquartiert, eine Prinzessin von X. Sie war hässlich wie eine kranke Ratte und dabei zanksüchtig. Dieses Wesen verursachte

297 Kubin: Die andere Seite, S. 66. 298 Ebenda, S. 80. 299 Vgl. die ähnliche Lesart Rösslers von George Orwells 1984, Rössler: Wert des Privaten, S. 263–267. 300 Kubin: Die andere Seite, S. 66. 301 Ebenda, S. 97.

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besonders meiner Frau viel Ärger. […] Wenn ich nach neun Uhr abends im Zimmer noch umherging, klopfte sie regelmässig an die Decke – ein Zeichen, dass sie Ruhe wünsche. –“302

Die Störungen sind aber noch vielfältiger, zum Beispiel kommen einmal Handwerker zur Wohnung, mit dem angeblichen Auftrag, die „Fenster zuzumauern“.303 Auch in dem zweiten Beispiel zerfällt derselbe Wohndiskurs im Roman in zwei gegenläufige Richtungen. Zudem sind die Häuser „verwohnt“304 und die Straßen von Perle in einem schlechten Zustand. Die Technikfeindlichkeit, die sich natürlich auch in der Ausstattung der Häuser widerspiegelt, wird in der wiederholten Inszenierung der Grenze vom Traumreich zur Außenwelt hervorgehoben. Implizit werden damit ebenso Fragen der Mode aktualisiert. Die Konstellation des Wohnens in Kubins Roman ist also höchst widersprüchlich. Diese erzählerische Konstruktion wiederum steht aber in Verbindung mit dem apokalyptischen Szenarium am Endes des Romans, wenn das Traumreich vollständig, geradezu in Realität gewordenen mythischen Visionen zerstört wird. Der Niedergang zeigt sich auch an dem allmählichen Zerfall der Häuser, die „nicht mehr recht bewohnbar waren. Zu ebener Erde ging’s noch, Stiegensteigen aber erforderte wilden Mut“.305 Es ist darauf hingewiesen worden, dass Kubins erzählte Apokalypse nur schwer zu kategorisieren sei, am Ende steht kein Neubeginn.306 Das Traumreich selbst stehe für eine „Fülle“, die in eine „Über-Fülle“ überführt wird: „In der Kubinschen Apokalypse hingegen bezieht sich der Untergang unmittelbar auf den Füllezustand selbst“.307 Ein Beispiel für die Ausfüllung sieht Claudia Gerhards gerade auch in der Belebung der Häuser.308 Der Roman erweist sich als Kritik an einer Moderne, die Brüche durch Fülle überdecken will.309 Die postulierte Über-Fülle lässt sich von der hier vorgestellten Lesart der erzählerischen Fortsetzung der Wohndiskurse ergänzen. So zeigt sich einerseits, dass die historischen Stile in einem unbeweglichen Verharrungszustand ‚konserviert‘ werden,

302 Ebenda. 303 Ebenda, S. 98. 304 Ebenda, S. 14. 305 Ebenda, S. 232. 306 Niefanger spricht von mehreren Apokalypsen, vgl. Niefanger: Produktiver Historismus, S. 205. 307 Gerhards: Apokalypse und Moderne, S. 59. 308 Vgl. ebenda, S. 50. 309 Vgl. ebenda, S. 59.

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andererseits tragen die gegenläufigen Ausrichtungen derselben Wohndiskurse selbst die Erschütterungen in das Traumreich hinein und treiben seine Zerstörung voran. Als dichter Diskurskomplex ist das Wohnen – das wurde gezeigt – für die selbstzerstörerische Darstellung einer bürgerlichen Kultur, die auch im Traumreich präsent ist,310 prädestiniert, spiegelt sich doch gerade im Wohnen die Fragilität der Individuen, aber auch einer ganzen Gesellschaft wider. So kann die „Ze rb rö c ke l u n g“311 der Häuser des Traumreichs als Endpunkt der bürgerlichen Wohnkultur, wie sie das lange 19. Jahrhundert ausgebildet hat und in der Literatur produktiv narrativiert wurde, angesehen werden. Wenn auch die Apokalypse in Kubins Roman keinen Neuanfang anzubieten scheint, so ist doch sicher, dass das Wohnen durch den politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Einschnitt des Ersten Weltkriegs verändert wird, aber natürlich nicht beendet ist. Insofern kann auch Die andere Seite auf einen Neuanfang im Wohnen verweisen, der kulturhistorisch etwa an die Architektur der Moderne gebunden ist und auch in der Literatur ihre Fortsetzung findet. Die Literatur um 1900 kreist aus der Perspektive der (bürgerlichen) Wohndiskurse – die Arbeiterliteratur wurde hier nicht untersucht – um die Frage der bürgerlichen Existenz. Vor der Folie des langen 19. Jahrhunderts, die für diese Arbeit gewählt wurde, kulminiert das vorläufige Ende der bürgerlichen Gesellschaft in der Pluralisierung der Ausdrucksformen der Wohnzeichen, so dass Parallelen mit der Formierungsphase des bürgerlichen Wohnens in der Literatur um 1800 zu sehen sind. Der Diskurskomplex vom Wohnen ist aber in der Literatur inhaltlich um 1900 gebündelt: Die existentielle Bedrohung findet auch im Wohnen ihren Ausdruck in Hoffnungslosigkeit, Isolation, Zerstörung und Tod. Die erzählerische Gestaltung der (populären) Wohndiskurse ist – das hat sich gezeigt – somit auch ein attraktiver Fortschreibungsmodus für die Literatur vor Beginn des Ersten Weltkrieges.

310 Vgl. Kubin: Die andere Seite, S. 18. 311 Ebenda, S. 227.

5. Die Sprache des Wohnens: Über das Erzählen vom Wohnen

Der schweizerische Schriftsteller Alain de Botton stellt eine entscheidende Frage, die in das Zentrum des Verhältnisses von Wohnen und Erzählen zielt: „Warum sind wir so verletzlich, so unangenehm empfindlich, wenn es um das geht, was unsere Wohnorte zu erzählen haben?“1 Eine Antwort sieht er in der „Verletzlichkeit“ des Menschen, körperlich, aber eben auch psychisch: Die den Menschen umgebenden Räume werden zu Repräsentationsräumen, die die „wünschenswerten Versionen unserer selbst ausrichten“.2 Damit wird der Raum, speziell der Wohnraum, als Ausdruck der Psyche lesbar. De Botton ruft aber nicht nur diesen traditionellen Wohndiskurs auf; bezüglich des Potentials des Wohnens für das Erzählen ist eine weitere Überlegung aufschlussreich. Das Wohnen und der mit diesem verbundene Diskurs der Architektur sind zugleich ein Medium des kommunikativen Austausches: „Der Hang zur Architektur scheint im Kern vielmehr mit dem Wunsch nach Kommunikation und Angedenken verknüpft zu sein, dem Wunsch, sich der Welt durch ein anderes Medium als das der Worte zu erklären, durch die Sprache der Dinge, Farben und Ziegelsteine: das Bestreben, anderen Menschen zu zeigen, wer wir sind – und uns im Zuge dessen selbst daran zu erinnern.“3

Die Kommunikation richtet sich sowohl nach außen als auch als Erinnerungsmedium nach innen. Das, was hier de Botton herausstellt, lässt sich auf den in dieser Arbeit verfolgten Zusammenhang zuspitzen. Wohnen heißt: sich in einer Sprache des Wohnens auszudrücken. Die Wohndiskurse laufen aus verschiede1

de Botton: Glück und Architektur, S. 106.

2

Ebenda, S. 107.

3

Ebenda, S. 126.

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nen ‚Richtungen‘ auf eine Selbstverständigung mit dem jeweils individuell Wohnenden hinaus, aber auch auf einen Austausch mit dem anderen: Die Fragen und Risiken der Identität zielen auf das Eigene, der Diskurs von Privatheit und Öffentlichkeit öffnet sich für die Kommunikation mit einem Außen, die Bauund Architekturdiskurse, sofern sie sich mit dem Wohnen beschäftigen, kommunizieren stets nach innen und außen. Die Diskurse von den Moden und Stilen des Wohnens interagieren außerdem innerhalb des Diskurskomplexes vom Wohnen. Analysiert man das Wohnen in der Literatur, ist auch die narratologische Raumanalyse mitzudenken und, wo sie erkenntnisfördernd ist, anzuwenden, weil mit dem steten Prozess des Wohnens ein – wenn auch veränderbarer Ort – verknüpft ist, der zum Wohnraum bzw. zu Haus und Wohnung ausgestaltet ist (auch im literarischen Text). Der Diskurskomplex vom Wohnen erschöpft sich allerdings nicht in der literarischen Formung des Wohnraums. Durch die Partizipation der einzelnen Diskurse an anderen diskursiven Formationen ist zwar ein erzählter (tatsächlicher) Wohnraum wohl die Basis, aber nur ein notwendiges Element. Die Analyse des Wohnens in der Literatur kann so zwar als Teil des ‚spatial‘ bzw. ‚topographical turn‘4 gesehen werden und sie greift auch das aktuelle Interesse der Narratologie am Raum auf, stellt aber – in dem hier verfolgten Ansatz – vor allem die ‚Literaturfähigkeit‘ des Wohnens heraus und möchte zeigen, inwieweit Wohnen eine Analysekategorie ist, die auch für eine philologische Untersuchung aufschlussreich sein kann. Als Interdiskurs ist die Literatur dafür prädestiniert, den (populären) Wohnkomplex in der Literatur zur Sprache kommen zu lassen.5 Wie produktiv sich das Wohnen in der Literatur entfalten kann, konnte auf der Folie des bürgerlichen Zeitalters gezeigt werden.6 Im 18. Jahrhundert konstituiert sich nicht nur die moderne bürgerliche Gesellschaft, zum Ende des Jahrhunderts gewinnt auch das Sprechen über das Wohnen im außerliterarischen Kontext an Gewicht. In der Literatur von Moritz bis Tieck wird das Wohnen für die Literatur entdeckt und unter den Prämissen verschiedener poetologischer Voraussetzungen gelangen die

4

Vgl. die Diskussion bei Bachmann-Medick: Cultural Turns, S. 284–328, hier S. 299. Siehe auch: Weigel: Zum ‚topographical turn‘.

5

Vgl. zum Ansatz von Link S. 31f. dieser Arbeit.

6

Ein Themenheft der Zeitschrift für deutsche Philologie widmet sich jüngst, 129 (2010) Heft 4, dem Interieur bzw. der Darstellung von Möbeln in der Literatur und ihrer Funktion beim Schreiben. Ebenda wird herausgearbeitet, wenn auch teils mit anderem Erkenntnisinteresse, welche wesentlichen Funktionen die ‚Einrichtung der Literatur‘ haben kann. Zu den Arbeiten über Goethe, Mörike, Stifter oder auch Bernhard vgl. ebenda auch die Einleitung von Höcker/Plass: Die Einrichtung die Literatur.

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Wohndiskurse in den Kern der Textorganisation; sie werden zu einem konstruktiven Gestaltungsmittel, die Bedeutungen generieren können. Auch wenn das Wohnen auf der textuellen Oberflächenebene heterogen erscheinen mag, so bleibt die Referenz auf den Diskurskomplex ‚Bürgerliches Wohnen‘ konstant. Es sind gerade ihre verschiedenen Funktionen (Figurenpsyche, Partizipation an ästhetischen Diskursen, Verräumlichung der Einbildungskraft), die in diesem literaturgeschichtlichen Abschnitt zum Tragen kommen. Die Literatur der Biedermeierzeit und des Realismus steht im Zeichen einer ausgeprägten bürgerlichen Wohnkultur. Die Oberfläche des Erzählens ist nunmehr in ihrem außerliterarischen Bezugsrahmen relativ homogen. Dennoch entfaltet sich ein experimentelles literarisches Wohnen in den Substrukturen, sind doch die Voraussetzungen der bürgerlichen Kultur und ihre Wahrnehmungsmodi der Literatur kritisch eingeschrieben. Mit dem Naturalismus zum Ende des 19. Jahrhunderts geht diese Tiefe zu Gunsten einer Darstellungsradikalität der Oberfläche verloren, wenngleich dies (so zumindest bei Arno Holz) trotz entsprechender Programmatik nicht vollständig erreicht wird: Die Wohndiskurse verweisen in ihrer Vernetzung immer auch in Form ihrer literarischen Fortsetzung auf Tiefenstrukturen menschlicher Existenz. Dies wurde insbesondere auch an den weiteren Beispielen der Literatur um 1900 deutlich. Gerade im Ästhetizismus gewinnt das dargestellte Wohnen eine unmittelbare Funktion, mit der die Lebensexistenz zur Disposition steht. In einer weiteren zeitgenössischen Variante wird das Wohnen in der Literatur zum tatsächlichen ‚Ort‘ des Verfalls und der Zerstörung. Die Wohn-Literatur um 1900 bis zum Ersten Weltkrieg steht damit im Zusammenhang mit den sozialen und politischen Krisen des ausgehenden langen 19. Jahrhunderts. Der Wohnraum, der in seiner ursprünglichsten Funktion Schutz bieten soll, kann auch in seiner literarischen Ausprägung keine Lösungen anbieten. Es kann jedoch auch nicht die Funktion der Literatur sein, diesen Anspruch selbst zu erfüllen, vielmehr erfüllt sie als Interdiskurs eine Reflexionsfunktion bezüglich der durch sie fortgeführten Diskurse. Die literarische Ausformung des Wohnens überführt aber die Wohndiskurse in eine narrative Struktur. Literarisches Wohnen gehört damit auch zu den kulturellen Narrativen, die sich durch eine „zeitlich-lineare Ordnung“ sowie einen „Handlungsvollzug“ auszeichnen.7 Anders als Narrative, wie sie die Fallgeschichten (z.B. aus der Psychoanalyse) darstellen, kommt dem literarischen Wohnen in der Regel ein explizit fiktionaler Status zu, der erst die künstlerische Freiheit ermöglicht, die Fortschreibung der Wohndiskurse als literarischkulturelle Narrative innovativ und in veränderbaren Formen zu realisieren.

7

Fauser: Einführung in die Kulturwissenschaften, S. 87.

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Durch die Verbindung von außerliterarischer und literarischer Ebene wird durch das erzählte Wohnen auch ein Blick auf die Kultur und Gesellschaft gewährt. Dirk Baeckers Annäherung an den Begriff von Kultur hat ihn im Zusammenhang mit einer Auseinandersetzung mit Architektur auch zu der Formulierung geführt: „Kultur in diesem Sinne heißt: Grenzen verfügbar machen.“8 Baecker bezieht sich dabei auf die Architektur von Frank Lloyd Wright und dessen Konzept einer ‚destruction of the box‘. Im Aufbrechen des strengen, geschlossenen Raumes, der dennoch ein Wohnen möglich mache, sieht Baecker eine „kulturelle Operation“. Der Raumbruch werde schließlich nur bis zu einem bestimmten, produktiven Moment geführt: „Es macht die Intelligenz der Kultur aus, die Zerstörung in dem Moment anzuhalten, in dem die Grenze bewußt, aber nicht gestrichen wird.“9 Mit dieser Bewusstmachung spielt die Literatur des Wohnens ebenso – auf der rein sprachlichen Ebene – , wobei aus dieser Perspektive der Begriff ‚Grenze‘ weit gefasst und als Erprobung des Diskurskomplexes ‚Bürgerliches Wohnen‘ insgesamt verstanden werden kann.10 Die Literatur vom Wohnen vermisst damit als selbstreflexives Verfahren in der Kunst die außerliterarische ‚Wirklichkeit‘ und wird damit selbst zum Teil der Kultur. Lässt man also die Literatur vom Wohnen erzählen, werden zugleich nicht nur verschiedene Phasen der Literaturgeschichte lesbar, sondern auch die zeitgenössische Kultur. Da mit dem Wohnen gerade ein existentieller Komplex verbunden ist, lässt die Analyse des Wohnens in der Literatur auch einen einschlägigen Blick in die künstlerische Auseinandersetzung mit der außerliterarischen Wirklichkeit zu. Der unauflösbare Konnex von Wohnen und Leben realisiert sich so auch im Medium der Literatur. Dies konnten auch die außerliterarischen narrativen Spuren zum Wohnen in Zeitschriften, in Bauliteratur und Fallgeschichten zeigen. Gleichwohl lässt sich natürlich von der Ebene der Fiktionalität nicht unmittelbar auf die außerliterarische Ebene rekurrieren: Die psychischen Vorgänge einer literarischen Figur können zum Beispiel keine psychische Realität reklamieren. Diese Grenze lässt sich nicht aufheben. Wenn von der Lesbarkeit des Wohnens in literarischen Texten die Rede ist, bleiben die literarischen Interpretationsverfahren und eine angemessene Rezeption stets gefordert. Doch der hermeneutische Akt greift in den Kern jeder Kultur und ist zugleich ein Teil von ihm. Die Geschichte des literarischen Wohnens, wie sie hier verfolgt wurde, endet mit dem Ersten Weltkrieg wie auch das bürgerliche Zeitalter bzw. das lange 19.

8

Baecker: Wozu Kultur?, S. 86.

9

Ebenda, S. 85f. (Zitate: S. 86).

10 Vgl. z.B. S. 15 dieser Arbeit.

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Jahrhundert. Im Ersten Weltkrieg, der „erste vollindustrialisierte Krieg“,11 und in der Folge auch in der Weimarer Republik, steuern Rationalisierungstendenzen auch das Wohnen.12 Die moderne Architektur des Neuen Bauens setzt ihre wichtigen Akzente bis heute, wenn man zum Beispiel an die Stuttgarter Weißenhofsiedlung von Mies van der Rohe denkt.13 Trotz dieser neuen Bauten veränderte sich in der Nachkriegszeit nicht zugleich und flächendeckend das Leben und Wohnen im Privaten, auch wenn durch den Massenwohnungsbau die Wohnsituation als politisches Ziel verbessert werden sollte: „Es galt, den Raumbedarf zu rationalisieren und dadurch gleichzeitig zu minimalisieren. Menschliches Wohnen wurde auf einzelne Funktionstypen reduziert, diese mitsamt den anfallenden Verkehrswegen genau berechnet.“14 Zwar gab es bereits in der Kaiserzeit Bestrebungen, die sozialen (und hygienischen) Wohnsituationen zu verbessern, doch sind nun die angestrebten Verbesserungen weit umfassender.15 Das literarische Wohnen in der Literatur nach dem Ersten Weltkrieg findet selbstverständlich eine Fortsetzung. Allerdings sind die gesellschaftlichpolitischen Veränderungen signifikant, so dass man neben bestehenden auch neue weitere Verfahren in der literarischen Fortschreibung annehmen darf. Als Beispiel sei hier an Vicki Baums Erfolgsroman Menschen im Hotel erinnert. Der Roman führt nicht nur Individuen als Repräsentanten verschiedener gesellschaftlicher Rollen zusammen. Der Ort des Hotels ist zudem prototypisch, kann doch dort außerhalb der eigenen Wohnung ein durchgeformtes Wohnen auf Zeit angenommen werden. Dies spiegelt sich in veränderten narrativen Verfahren wider: So begleitet der Erzähler die Figuren im Hotel, bis er in der Hotelhalle die Perspektive wie mit einer Kamera auf eine andere Figur richtet.16 Die Analyse des erzählten Wohnens offenbart dann sowohl eine veränderte narrative Strukturierung als auch eine gewandelte Bewusstmachung der Kultur der zwanziger Jahre.17 Zu Gunsten einer homogenen zeitlichen Basis der in

11 Bauer: Das ‚lange‘ 19. Jahrhundert, S. 87 (mit Bezug auf Daniel Pick). 12 Vgl. Saldern: Statt Kathedralen die Wohnmaschinen. 13 Zur Weißenhofsiedlung vgl. z.B. Förster: Housing, S. 48–51. 14 Saldern: Statt Kathedralen die Wohnmaschinen, S. 181. 15 Vgl. ebenda, S. 180f. 16 Vgl. Becker: Metamorphosen, S. 187; sowie Wichard: Wohnen und Identität in der Moderne, S. 81f. Siehe auch die für den Gesamtkomplex dieser Arbeit anregende Studie von Katz: The Hotel Kracauer. 17 Vgl. dazu Köhler: Unterwegs zwischen Gründerzeit und Bauhaus; zu Martin Kessel siehe Wegmann: Wohnen, Werben, Reden. Als neueste umfassende Studie (Herbst 2011) über Wohnen und Neue Sachlichkeit vgl. Lauffer: Poetik des Privatraums.

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dieser Arbeit untersuchten literarischen Texte, kann und soll dieses literarische Erzählen hier nicht weiter verfolgt werden. Nichtsdestoweniger konnte anhand des Untersuchungszeitraums gezeigt werden, inwieweit die fortgeschriebenen Wohndiskurse in der Literatur wirksam werden. Die Sprache des Wohnens erweist sich schon außerhalb der Literatur als herausfordernd: Die (interdisziplinäre) Auseinandersetzung mit dem Wohnkomplex zum Beispiel in den Geschichts- und Kulturwissenschaften, in Soziologie, Philosophie und Architekturtheorie ist breit gefächert. Auch wenn ihre Voraussetzungen und Interessen jeweils verschieden sind, zeigt sich doch, dass mit dem Wohnen ein Erzählen verbunden ist. Das ist konkret dann der Fall, wenn die Hausfassade vom abgeschirmten Inneren berichten soll, wenn in der Volkskunde in Interviews zum Erzählen über ältere Wohnformen aufgefordert wird, wenn die Grenzen von Privatheit und Öffentlichkeit historisch analysiert werden usw. In einem fundamentalen Sinn ist es Heidegger, der mahnt, auf den „Zuspruch der Sprache“ zu hören.18 Im allgemeinen Sprechen über das Wohnen sei dessen Grundlage verlorengegangen, dass nämlich der Mensch als Seiender ein Wohnender ist und nicht etwa als einer, der wohnt, weil er in einem Haus lebt. Es gibt damit zahlreiche Erzählformen des Wohnens und die Sprache des Wohnens ist vielfältig. Im Medium der Literatur erscheint sie jedoch besonders produktiv, denn sie kann sich nicht nur poetologischen Veränderungen anpassen, sie kann sich selbst thematisieren. Als Medium der Bewusstmachung wird Wohnen in der Literatur Teil des kulturellen Ereignisses von Literatur. Ein deutliches Beispiel ist hierfür der in dieser Arbeit besprochene Anfang von Theodor Storms Schimmelreiter. Werden in der komplizierten Erzählstruktur der Novelle die Möglichkeiten des Realismus als Kennzeichen der beginnenden Moderne um 1900 reflektiert, so wird dies auch im erzählten Wohnen vollzogen. Der Erzähler des äußeren Rahmens berichtet, dass er einst in einer häuslichen Atmosphäre am „Lehnstuhl“ von „der alten Frau Senator Feddersen“ lesend die Geschichte aus Zeitschriften erfahren habe.19 Der Beginn des Erzählens ist damit explizit in eine bürgerliche Wohnsituation verlegt. Sie figuriert das typische Setting des geselligen Vorlesens, das hier aber bereits durch die stille Zeitschriftenlektüre medial gebrochen ist. Die Erzählbrüche setzen sich fort, was sich insbesondere in dem Verschwinden des ersten Erzählers äußert.20 Das Wohnen und seine Diskurse sind in Storms Novelle nicht allein Gegenstand des Erzählens und Teil der Textstrukturierung. Das Wohnen bzw. die Wohnung wird

18 Heidegger: Gesamtausgabe, Abt. I, Bd. 7, S. 150. 19 Storm: Sämtliche Werke, Bd. 3, S. 634. 20 Vgl. Meier: Wie kommt ein Pferd nach Jevershallig. Vgl. S. 205f. dieser Arbeit.

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vielmehr selbst als Erzählort kritisch thematisiert. Wohnen in der Literatur ist als rekursives Element so auch Teil des Erzählens und des erzählten Erzählens. Wenn Wohnen ‚Erzählen‘ heißt, dann meint dies nicht, dass die Wohndiskurse in jedem Fall eine tragende oder überhaupt eine Funktion in der Literatur haben müssen. Wenn Wohnen ‚Erzählen‘ heißt, kann das aber auch bedeuten – so wie es hier versucht wurde zu rekonstruieren – dass Wohnen und literarisches Erzählen eine produktive Einheit bilden können. Wenn Gert Selle sagt, man kann „nicht nicht-wohnen“,21 dann heißt dies entsprechend zugespitzt: Man kann nicht wohnen, ohne zu erzählen, insbesondere in der Literatur.

21 Selle: Innen und außen, S. 223.

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Hamouda, Fayçal: Ernst Keil und „Die Gartenlaube“. – In: Fayçal Hamouda (Hrsg.): Der Leipziger Verleger Ernst Keil und seine „Gartenlaube“. Leipzig: Edition Marlitt 2005, S. 9–19. Harries, Karsten: „Das Ding“, „Bauen Wohnen Denken“, „‚…dichterisch wohnet der Mensch…‘“ und andere Texte aus dem Umfeld. Unterwegs zum Geviert. – In: Dieter Thomä (Hrsg.) unter Mitwirkung von Katrin Meyer und Hans Bernhard Schmid: Heidegger-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart, Weimar: Metzler 2003, S. 290–302. Härtl, Heinz: „Amazonenrepublik“ und „Raum von vier Dimensionen“: Zur Genese von Texten Arnims. – In: Walter Pape (Hrsg.): Raumkonfigurationen in der Romantik. Eisenacher Kolloquium der Internationalen ArnimGesellschaft. Tübingen: Niemeyer 2009 (Schriften der Internationalen Arnim-Gesellschaft. 7), S. 111–120. Hasse, Jürgen: Unbedachtes Wohnen. Lebensformen an verdeckten Rändern der Gesellschaft. Unter Mitwirkung von Jessica Witan. Bielefeld: transcript 2009. Häußermann, Hartmut, und Walter Siebel: Soziologie des Wohnens. Eine Einführung in Wandel und Ausdifferenzierung des Wohnens. 2., korrigierte Aufl. Weinheim, München: Juventa 2000 (Grundlagentexte Soziologie). Heidegger, Martin: Gesamtausgabe. I. Abt.: Veröffentlichte Schriften 1910– 1976. Bd. 7: Vorträge und Aufsätze. Frankfurt am Main: Klostermann 2000. Hein, Ingrid, und Jürgen Hein: Erzählmuster unauffälligen Lebens. Franz Grillparzer: Der arme Spielmann (1848). – In: Winfried Freund (Hrsg.): Deutsche Novellen. Von der Klassik bis zur Gegenwart. München: Fink 1993 (UTB. 1753), S. 132–144. Heine, Roland: Ästhetische oder existentielle Integration? Ein hermeneutisches Problem des 19. Jahrhunderts in Grillparzers Erzählung ‚Der arme Spielmann‘. – In: Helmut Bachmaier (Hrsg.): Franz Grillparzer. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1991 (suhrkamp taschenbuch. 2078. Materialien), S. 135– 175. Helmer, Günter: Max Kretzer: ‚Meister Timpe‘ (1888). – In: Der Deutschunterricht 40 (1988) 2, S. 51–63. Helmstetter, Rudolf: Die Geburt des Realismus aus dem Dunst des Familienblattes. Fontane und die öffentlichkeitsgeschichtlichen Rahmenbedingungen des Poetischen Realismus. München: Fink 1998. Henkel, Gabriele: Geräuschwelten im deutschen Zeitroman. Epische Darstellung und poetologische Bedeutung von der Romantik bis zum Naturalismus. Wiesbaden: Harrassowitz 1996 (Wolfenbütteler Forschungen. 68).

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tionalen Arnim-Gesellschaft. Tübingen: Niemeyer 2009 (Schriften der Internationalen Arnim-Gesellschaft. 7), S. 251–260. Jensen, Uffa: Die Couch. – In: Alexa Geisthövel und Habbo Knoch (Hrsg.): Orte der Moderne. Erfahrungswelten des 19. und 20. Jahrhunderts. Frankfurt am Main, New York: Campus, S. 345–354. Jeziorkowski, Klaus: Die Grammatik der Architektur. Zum Rhythmus bei Palladio und Goethe. – In: Jörg Sader und Anette Wörner (Hrsg.): Überschreitungen. Dialoge zwischen Literatur- und Theaterwissenschaft, Architektur und Bildender Kunst. Festschrift für Leonhard M. Fiedler zum 60. Geburtstag. Würzburg: Königshausen & Neumann 2002, S. 29–37. Jeziorkowski, Klaus: Die verschwiegene Mitte. Zu Adalbert Stifters „Turmalin“. – In: Monika Hahn (Hrsg.): „Spielende Vertiefung ins Menschliche“. Festschrift für Ingrid Mittenzwei. Heidelberg: Winter 2002, S. 79–89. Johnson, Laurie Ruth: Die Lesbarkeit des romantischen Körpers. Über Psychosomatik und Text in Fallstudien von Karl Philipp Moritz und Friedrich Schlegel. – In: Erich Kleinschmidt (Hrsg.): Die Lesbarkeit der Romantik. Material, Medium, Diskurs. Berlin: de Gruyter 2009, S. 105–135. Jung, Winfried: Bildergespräche. Zur Funktion von Kunst und Kultur in Theodor Fontanes „L’Adultera“. Stuttgart: M&P 1991 (Schriftenreihe für Wissenschaft und Forschung). Jungmair, Otto: Adalbert Stifters Linzer Wohnung. Linz: Stiasny-Verlag 1958 (Schriftenreihe des Adalbert Stifter-Institutes). Kafitz, Dieter: Décadence in Deutschland. Studien zu einem versunkenen Diskurs der 90er Jahre des 19. Jahrhunderts. Heidelberg: Winter 2004 (Beiträge zur neueren Literaturgeschichte. 209). Kałążny, Jerzy: Unter dem „bürgerlichen Wertehimmel“. Untersuchungen zur kulturgeschichtlichen Erzählprosa von Wilhelm Heinrich Riehl. Frankfurt am Main u.a.: Lang 2007 (Posener Beiträge zur Germanistik. 13). Kammler, Clemens: Historische Diskursanalyse (Michel Foucault). – In: KlausMichael Bogdal (Hrsg.): Neue Literaturtheorien. Eine Einführung. 2., neubearbeitete Auflage. Opladen: Westdeutscher Verlag 1997 (WV Studium. 156), S. 32–56. Katschnig-Fasch, Elisabeth: Möblierter Sinn. Städtische Wohn- und Lebensstile. Wien, Köln, Weimar: Böhlau 1998 (Kulturstudien. Bibliothek der Kulturgeschichte. Sonderband 24). Katz, Marc: The Hotel Kracauer. – In: differences. A Journal of Feminist Cultural Studies 11 (1999) 2, S. 134–152. Kerékgyártó, Béla: Der Architekt und die Öffentlichkeit. Über die Schriften von Adolf Loos. – In: Ákos Moravánszky, Bernhard Langer und Elli Mosayebi

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(Hrsg.): Adolf Loos. Die Kultivierung der Architektur. Zürich: gta Verlag 2008, S. 41–59. Kim, Hee-Ju: Der Schein des Seins. Zur Symbolik des Schleiers in Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjahre“. Tübingen: Niemeyer 2005 (Hermea. Germanistische Forschungen. Neue Folge. 106). King, Peter: Private Dwelling. Contemplating the use of housing. London, New York: Routledge 2004 (Housing, Planning and Design Series). King, Peter: The Common Place. The Ordinary Expericene of Housing. Aldershot: Ashgate 2005. Klotz, Volker: Bürgerliches Lachtheater. Komödie, Posse, Schwank, Operette. Vierte Auflage, aktualisiert und erweitert. Heidelberg: Winter 2007. Klüter, Heinz (Hrsg.): Facsimile Querschnitt durch die Gartenlaube. Eingeleitet von Friedrich Sieburg. Berlin, Stuttgart, Wien: Scherz 1963 (FacsimileQuerschnitte durch alte Zeitungen und Zeitschriften. 1). Knauer, Bettina: Im Rahmen des Hauses. Poetologische Novellistik zwischen Revolution und Restauration (Goethe, Arnim, Tieck, E.T.A. Hoffmann, Stifter). – In: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 41 (1997), S. 140–169. Knoch, Habbo: Das Grandhotel. – In: Alexa Geisthövel und Habbo Knoch (Hrsg.): Orte der Moderne. Erfahrungswelten des 19. und 20. Jahrhunderts. Frankfurt am Main, New York: Campus, S. 131–140. Kocka, Jürgen: Das lange 19. Jahrhundert. Arbeit, Nation und bürgerliche Gesellschaft. [Zugleich:] Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte. Zehnte, völlig neu bearbeitete Auflage. Bd. 13. Stuttgart: Klett-Cotta 2001. Köhler, Carola: Unterwegs zwischen Gründerzeit und Bauhaus. Wohnverhältnisse in Berlin in Romanen der Neuen Sachlichkeit. Münster: Schüling 2003. Korten, Lars: Poietischer Realismus. Zur Novelle der Jahre 1848–1888. Stifter, Keller, Meyer, Storm. Tübingen: Niemeyer 2009. Kösling, Peer: Die Wohnungen der Gebrüder Schlegel in Jena. – In: Athenäum. Jahrbuch der Romantik. 8 (1998), S. 97–110. Kremer, Detlef: Romantik. 2., überarbeitete und aktualisierte Auflage. Stuttgart, Weimar: Metzler 2003 (Einführung Germanistik). Krines, Sigrid: Das häusliche Umfeld Goethes. Frankfurt am Main u.a.: Lang 2000 (Helicon. Beiträge zur deutschen Literatur. 26). Kristan, Markus (Hrsg.): Adolf Loos. Wohnungen. In zeitgenössischen Photographien aus dem Archiv des Architekten. Wien: Album Verlag 2001. Kruft, Hanno-Walter: Einführung. – In: Moritz, Karl Philipp: Vorbegriffe zu einer Theorie der Ornamentik. Faksimile-Neudruck der Ausgabe Berlin 1793. Mit einer Einführung von Hanno-Walter Kruft. Nördlingen: Uhl 1986, S. 7–25.

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Lohmeier, Anke-Marie: „es ist ein wirkliches Lied.“ Theodor Fontanes Roman „Frau Jenny Treibel“ als Selbstreflexion von Kunst und Kunstrezeption in der Gesellschaft der Gründerjahre. – In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 68 (1994), S. 238–250. Lotman, Jurij M.: Die Struktur literarischer Texte. Übersetzt von Rolf-Dietrich Keil. 4., unveränderte Auflage. München: Fink 1993 (UTB für Wissenschaft. Uni-Taschenbücher. 103). Lövenich, Friedhelm: Verstaatlichte Sittlichkeit. Die konservative Konstruktion der Lebenswelt in Wilhelm Heinrich Riehls ‚Naturgeschichte des Volkes‘. Opladen: Leske und Budrich 1992. Löw, Martina: Raumsoziologie. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2001 (suhrkamp taschenbuch wissenschaft. 1506). Lukas, Wolfgang: Die ‚heilige Familie‘ von Sumiswald. Säkularisierung und Semiotisierung in Jeremias Gotthelfs Die schwarze Spinne. – In: Gustav Frank und Wolfgang Lukas (hrsg. in Zusammenarbeit mit Stephan Landshuter): Norm – Grenze – Abweichung. Kultursemiotische Studien zu Literatur, Medien und Wirtschaft. Michael Titzmann zum 60. Geburtstag. Passau: Stutz 2004, S. 63–94. Mahal, Günther: Naturalismus. 2. Auflage. München: Fink 1975 (Deutsche Literatur im 20. Jahrhundert. Literaturwissenschaftliche Arbeitsbücher. UTB. 363). Malinowski, Bernadette: Theorien des Imaginären. Fragmente einer Geschichte der Einbildungskraft. – In: Hans Vilmar Geppert und Hubert Zapf (Hrsg.): Theorien der Literatur. Grundlagen und Perspektiven. Bd. 1. Tübingen: Francke 2003, S. 51–88. Mannack, Eberhard: Raumdarstellung und Realitätsbezug in Goethes epischer Dichtung. Frankfurt am Main: Athenäum 1972. Martens, Wolfgang: Die Botschaft der Tugend. Die Aufklärung im Spiegel der deutschen Moralischen Wochenschriften. Stuttgart: Metzler 1968. Martens, Wolfgang: Nachwort. – In: Karl Philipp Moritz: Anton Reiser. Ein psychologischer Roman. Mit Textvarianten, Erläuterungen und einem Nachwort hrsg. v. Wolfgang Martens. Bibliographisch ergänzte Ausgabe. Stuttgart: Reclam 2001 (Universal-Bibliothek. 4813), S. 545–567. Martin-Fugier, Anne: Riten der Bürgerlichkeit. – In: Michelle Perrot (Hrsg.): Geschichte des privaten Lebens. 4. Band: Von der Revolution bis zum Großen Krieg. Deutsch von Holger Fliessbach und Gabriele Krüger-Wirrer. Lizenzausgabe. Augsburg: Bechtermünz 2000, S. 201–265. Martinez, Matias, und Michael Scheffel: Einführung in die Erzähltheorie. 7. Aufl. München: Beck 2007 (Studium).

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Martini, Fritz: Nachwort. – In: Arno Holz und Johannes Schlaf: Papa Hamlet. Ein Tod. Im Anhang: „Ein Dachstubenidyll“ von Johannes Schlaf. Mit einem Nachwort von Fritz Martini. Stuttgart: Reclam 2005 (Universal-Bibliothek. 8853), S. 103–117. Masanetz, Michael: Forschungsüberblick und Deutungsansätze. – In: Jeremias Gotthelf: Die schwarze Spinne. Mit einem Kommentar von Michael Masanetz. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2007 (Suhrkamp BasisBibliothek. 79), S. 133–159. Mauser, Wolfram: Aufbruch ins Unentrinnbare. Zur Aporie der Moderne in Hofmannsthals Märchen der 672. Nacht. – In: Ina Brueckel u.a. (Hrsg.): Bei Gefahr des Untergangs. Phantasien des Aufbrechens. Festschrift für Irmgard Roebling. Würzburg: Königshausen & Neumann 2000, S. 161–172. Mayer, Andreas: Mikroskopie der Psyche. Die Anfänge der Psychoanalyse im Hypnose-Labor. Göttingen: Walltstein 2002 (Wissenschaftsgeschichte). Mayer, Dieter: Allerwirklichste Wirklichkeit oder wahrheitsvolle Wirklichkeit? Fontanes und Kretzers Beitrag zur Realismus-Diskussion am Ende des 19. Jahrhunderts. – In: Literatur für Leser (1988), S. 175–187. Mayer, Mathias: Nachwort. – In: Hugo von Hofmannsthal: Der Brief des Lord Chandos. Schriften zur Literatur, Kultur und Geschichte. Stuttgart: Reclam 2000 [2004] (Universal-Bibliothek. 18034), S. 257–268. Mecklenburg, Norbert: Theodor Fontane. Romankunst der Vielstimmigkeit. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1998. Meier, Albert: Karl Philipp Moritz. Stuttgart: Reclam 2000 (UniversalBibliothek. 17620. Literaturstudium). Meier, Albert: „Wie kommt ein Pferd nach Jevershallig?“. Die Subversion des Realismus in Theodor Storms Der Schimmelreiter. – In: Hans Krah und Claus Michael Ort (Hrsg.): Weltentwürfe in Literatur und Medien. Phantastische Wirklichkeiten – realistische Imaginationen. Festschrift für Marianne Wünsch. Kiel: Ludwig 2002, S. 167–179. Meier-Oberist, Edmund: Kulturgeschichte des Wohnens im abendländischen Raum. Hamburg: Ferdinand Holzmann 1956. Mende, Dirk: Frauenleben. Bemerkungen zu Fontanes „L’Adultera“ nebst Exkursen zu „Cécile“ und „Effi Briest“. – In: Hugo Aust (Hrsg.): Fontane aus heutiger Sicht. Analysen und Interpretationen seines Werks. Zehn Beiträge. München: Nymphenburger Verlagshandlung 1980, S. 183–213. Menninghaus, Winfried: Raum-Chiffren der frühromantischen Philosophie. – In: Inka Mülder-Bach und Gerhard Neumann (Hrsg.): Räume der Romantik. Würzburg: Königshausen & Neumann 2007 (Stiftung für Romantikforschung. 42), S. 13–25.

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Merleau-Ponty, Maurice: Phänomenologie der Wahrnehmung. Aus dem Französischen übersetzt und eingeführt durch eine Vorrede von Rudolf Boehm. Berlin: de Gruyter 1966 (Phänomenologisch-psychologische Forschungen. 7). Mertens, Wolfgang: Behandlungstechnik. – In: Hans-Martin Lohmann und Joachim Pfeiffer (Hrsg.): Freud-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart, Weimar: Metzler 2006, S. 139–145. Metzler Lexikon. Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe. Hrsg. von Ansgar Nünning. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Stuttgart, Weimar: Metzler 2001. Meyer, Herman: Raum und Zeit in Wilhelm Raabes Erzählkunst [1953]. – In: Hermann Helmers (Hrsg): Raabe in neuer Sicht. Stuttgart u.a.: Kohlhammer 1968, S. 98–129. Meyer, Imke: Erzählter Körper, verkörpertes Erzählen. Überlegungen zum Körper als Kunstobjekt in Hugo von Hofmannsthals „Das Märchen der 672. Nacht“. – In: Brigitte Putti und Sabine Wilke (Hrsg.): Körper – Diskurse – Praktiken. Zur Semiotik und Lektüre von Körpern in der Moderne. Heidelberg: Synchron 2003, S. 191–220. Meyer, Imke: Ludwig Tiecks Des Lebens Überfluß: Zur Dekomposition eines narrativen Zeit-Raumes. – In: Seminar 37 (2001), S. 189–208. Meyer-Krentler, Eckhardt: Stopfkuchen – ein Doppelgänger. Wilhelm Raabe erzählt Theodor Storm. – In: Jahrbuch der Raabe-Gesellschaft (1987), S. 179–204. Miller, J. Hillis: Topographies. Stanford, CA: Stanford University Press 1995 (Meridian. Crossing Aesthetics). Mittag, Susanne: 1796: Die Frühromantik in Jena. – In: Mitteldeutsches Jahrbuch für Kultur und Geschichte 3 (1996), S. 39–46. Mittenzwei, Ingrid: Die Sprache als Thema. Untersuchungen zu Fontanes Gesellschaftsromanen. Bad Homburg, Berlin: Gehlen 1970 (Frankfurter Beiträge zur Germanistik. 12). Möbius, Hanno: Der Positivismus in der Literatur des Naturalismus. Wissenschaft, Kunst und soziale Frage bei Arno Holz. München: Fink 1980. Mojem, Helmuth, und Peter Sprengel: Wilhelm Raabe: Stopfkuchen – Lebenskampf und Leibesfülle. – In: Romane des 19. Jahrhunderts. Stuttgart: Reclam 1997 (Universal-Bibliothek. 8418. Literaturstudium), S. 350–386. Montenegro, Riccardo: Enzyklopädie der Wohnkultur. Von der Antike bis zur Gegenwart. Köln: DuMont 1997. Moravánszky, Ákos: Verheimlichte Räume. Adolf Loos und die Ästhetik der Maskierung. – In: Ákos Moravánszky, Bernhard Langer und Elli Mosayebi

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Lettre Eva Erdmann Vom Klein-Sein Perspektiven der Kindheit in Literatur und Film Juni 2012, ca. 200 Seiten, kart., ca. 24,80 €, ISBN 978-3-89942-583-3

Annette Gilbert (Hg.) Wiederaufgelegt Zur Appropriation von Texten und Büchern in Büchern Juni 2012, ca. 380 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 34,80 €, ISBN 978-3-8376-1991-1

Irina Gradinari Genre, Gender und Lustmord Mörderische Geschlechterfantasien in der deutschsprachigen Gegenwartsprosa 2011, 380 Seiten, kart., 33,80 €, ISBN 978-3-8376-1605-7

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Lettre Ursula Hennigfeld (Hg.) Nicht nur Paris Metropolitane und urbane Räume in der französischsprachigen Literatur der Gegenwart April 2012, 300 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1750-4

Rudolf Käser, Beate Schappach (Hg.) Krank geschrieben Rhetoriken von Gesundheit und Krankheit im Diskursfeld von Literatur, Geschlecht und Medizin Mai 2012, ca. 378 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1760-3

Stephanie Waldow (Hg.) Ethik im Gespräch Autorinnen und Autoren über das Verhältnis von Literatur und Ethik heute 2011, 182 Seiten, kart., 22,80 €, ISBN 978-3-8376-1602-6

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Lettre Vera Bachmann Stille Wasser – tiefe Texte? Zur Ästhetik der Oberfläche in der Literatur des 19. Jahrhunderts September 2012, ca. 290 Seiten, kart., ca. 34,80 €, ISBN 978-3-8376-1929-4

Christine Bähr Der flexible Mensch auf der Bühne Sozialdramatik und Zeitdiagnose im Theater der Jahrtausendwende März 2012, ca. 364 Seiten, kart., ca. 34,80 €, ISBN 978-3-8376-1557-9

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Markus Fauser (Hg.) Medialität der Kunst Rolf Dieter Brinkmann in der Moderne 2011, 290 Seiten, kart., 31,80 €, ISBN 978-3-8376-1559-3

Tabea Kretschmann »Höllenmaschine/Wunschapparat« Analysen ausgewählter Neubearbeitungen von Dantes »Divina Commedia« April 2012, ca. 244 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1582-1

Roger Lüdeke (Hg.) Kommunikation im Populären Interdisziplinäre Perspektiven auf ein ganzheitliches Phänomen 2011, 350 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 33,80 €, ISBN 978-3-8376-1833-4

Takemitsu Morikawa Japanizität aus dem Geist der europäischen Romantik Der interkulturelle Vermittler Mori Ogai und die Reorganisierung des japanischen ›Selbstbildes‹ in der Weltgesellschaft um 1900 August 2012, ca. 270 Seiten, kart., ca. 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1893-8

Miriam N. Reinhard Entwurf und Ordnung Übersetzungen aus »Jahrestage« von Uwe Johnson. Ein Dialog mit Fragen zur Bildung

Evi Fountoulakis, Boris Previsic (Hg.) Der Gast als Fremder Narrative Alterität in der Literatur

Mai 2012, ca. 254 Seiten, kart., ca. 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2010-8

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Franziska Sick (Hg.) Raum und Objekt im Werk von Samuel Beckett

Astrid Henning Die erlesene Nation Eine Frage der Identität – Heinrich Heine im Schulunterricht in der frühen DDR

2011, 244 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN 978-3-8376-1515-9

2011, 320 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1860-0

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Zeitschrif t für Kultur wissenschaf ten Lars Koch, Christer Petersen, Joseph Vogel (Hg.)

Störfälle Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 2/2011

2011, 166 Seiten, kart., 8,50 €, ISBN 978-3-8376-1856-3 Der Befund zu aktuellen Konzepten kulturwissenschaftlicher Analyse und Synthese ist ambivalent. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften bietet eine Plattform für Diskussion und Kontroverse über »Kultur« und die Kulturwissenschaften – die Gegenwart braucht mehr denn je reflektierte Kultur sowie historisch situiertes und sozial verantwortetes Wissen. Aus den Einzelwissenschaften heraus wird mit interdisziplinären Forschungsansätzen diskutiert. Insbesondere jüngere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen kommen dabei zu Wort. Lust auf mehr? Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften erscheint zweimal jährlich in Themenheften. Bisher liegen 10 Ausgaben vor. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften kann auch im Abonnement für den Preis von 8,50 € je Ausgabe bezogen werden. Bestellung per E-Mail unter: [email protected]

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