›Conversio‹ im Zeitalter von Reformation und Konfessionalisierung: ›Écrit de conversion‹ als neue literarische Form [1 ed.] 9783428543229, 9783428143221

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›Conversio‹ im Zeitalter von Reformation und Konfessionalisierung: ›Écrit de conversion‹ als neue literarische Form [1 ed.]
 9783428543229, 9783428143221

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Schriften zur Literaturwissenschaft Band 37

Conversio im Zeitalter von Reformation und Konfessionalisierung Écrit de conversion als neue literarische Form Von

Béatrice Jakobs

Duncker & Humblot · Berlin

BÉATRICE JAKOBS

Conversio im Zeitalter von Reformation und Konfessionalisierung

Schriften zur Literaturwissenschaft Im Auftrag der Görres-Gesellschaft herausgegeben von Bernd Engler, Volker Kapp, Helmuth Kiesel, Günter Niggl

Band 37

Conversio im Zeitalter von Reformation und Konfessionalisierung Écrit de conversion als neue literarische Form

Von

Béatrice Jakobs

Duncker & Humblot · Berlin

Die Philosophische Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel hat diese Arbeit im Wintersemester 2011/2012 als Habilitationsschrift angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2015 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH, Wustermark Printed in Germany ISSN 0720-6720 ISBN 978-3-428-14322-1 (Print) ISBN 978-3-428-54322-9 (E-Book) ISBN 978-3-428-84322-0 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Ein Wort zuvor Nach Fertigstellung der Druckfassung dieser Arbeit, die im Wintersemester 2011 / 2012 unter dem Titel »Le Cavalier luy fit croire qu’il l’avoit vue plusieurs fois à Charenton«. Entwicklung einer literarischen Form: Die Konversionsschrift im Zeitalter von Reformation und Konfessionalisierung von der Philosophischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel als Habilitationsleistung angenommen wurde, ist es an der Zeit, all denen zu danken, die auf die eine oder andere Weise zum positiven Abschluss der Studie beigetragen haben. Hier sei an erster Stelle Herr Prof. Dr. Rainer Zaiser genannt, der mir mit der Assistenz an seinem Lehrstuhl nicht nur die Möglichkeit zur Habilita­ tion gab, sondern auch stets ein offenes Ohr für meine Überlegungen zu den écrits de conversion hatte und auf diese Weise den Fortgang der Arbeit förderte. Eine Fülle weiterer Ratschläge verdanke ich zudem Frau Prof. Dr. Ma­ rianne Carbonnier-Burkard (Faculté Libre de Théologie protestante, Paris) und Frau Prof. Dr. Dorothea Scholl (Christian-Albrechts-Universität, Kiel); auch haben mir Herr Prof. em. Dr. Volker Kapp und Herr Prof. Dr. Volker Seresse (beide Christian-Albrechts-Universität, Kiel) sowie Herr Prof. Dr. em. Roger Zuber (Université de la Sorbonne, Paris) wertvolle Hinweise gegeben. Mein besonderer Dank gilt schließlich dem Deutschen Historischen In­ stitut Paris für die Vergabe eines Habilitationsstipendiums, das mir ermöglichte, mit den écrits de conversion in den Pariser Bibliotheken zu arbeiten, sowie dem Präsidenten der Görres-Gesellschaft Prof. Dr. Wolfgang Bergs­ dorf für die freundliche Gewährung eines Druckkostenzuschusses. Dem Herausgeberquartett der ›Schriften zur Literaturwissenschaft‹ schließlich sei gedankt für die Aufnahme dieser Arbeit in ihre Reihe. Kiel, im September 2013

Béatrice Jakobs

›Da find ich dich! In Wintergraus Hält dich ein deutsches Donaunest, Ein schneebelastet Giebelhaus, Kind einer heißen Sonne fest. Was treibst du hier? Mit toller Brunst Bohrst du dich in Folianten ein? Vom Teufel kommt die schwarze Kunst! Griechisch? Die Kirche spricht Latein! Darüber sitzest, Nacht um Nacht, Du auf? Noch qualmt der Lampe Docht! Auch siehst du bleich und überwacht, Der sonst so weidlich ritt und focht! Du darbst? Du meidest jede Lust? Von allem Denken mach dich frei! Verbrenn an einer warmen Brust, Ertränk in Wein die Ketzerei! Ergreife Schwert und Eisenhut! Dem Spanier ward die Welt zum Raub! Nach Flandern! Eh dein Edelblut Versiegt in ekelm Bücherstaub Mein Bruder Juan, komm mit mir, Beflecke nicht der Diaz Ruhm! Ersäuf im Guadalquivir Das gottverdammte Luthertum! In Wittenberg hast Du – absurd – Auf einer Schule Bank gehockt! Bei diesem Dolch an meinem Gurt, Ich morde den, der dich verlockt! Der Vater ist ein alter Christ Und sähe lieber dich im Grab! Der Mutter, welche gläubig ist – Der Mutter drückst das Herz du ab! Nie hat ein Diaz falsch geglaubt! Nicht wahr? Uns tust du nicht die Schmach, Geliebter Bruder, teures Haupt Ich eilte deinen Schritten nach! Juan, ich reiße dich heraus! Mit dieser meiner Arme Kraft! Die Rosse stampfen vor dem Haus, Geführt von meiner Dienerschaft. Du schweigst? Bekenn mir, ob’s geschah! Tatst du den Schritt?‹ Du schüttelst: ›Nein!‹ ›Wirst du ihn tun? Ja?‹ Du nickst: ›Ja?‹ ›Juan, es muß geschieden sein!‹ Eng hält den Bruder er umfaßt, Bang stöhnend senkt er Blick in Blick, Küßt, küßt ihn noch einmal in Hast – Und stößt den Dolch ihm durchs Genick. Er hält den Bruder lang im Arm, Mit unerschöpften Tränen netzt Und badet er den Toten warm: ›Noch starbest als ein Christ du jetzt!‹ Conrad Ferdinand Meyer, Die spanischen Brüder (Gedichte ~1882)

Inhalt Einleitung: » ›Noch starbest als ein Christ du jetzt!‹ « . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Conversio zwischen christlicher Spiritualität und Machtpolitik 39 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 a) … in der Predigt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 b) … in der Kirchenmusik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 c) … in der religiösen Bildkunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 d) … im religiösen Drama . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 e) … in anderen Bereichen der litterae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 2. Sujets hérétiques ou ›brebis égarées‹?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 3. Entstehungsbedingungen einer literarischen Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 a) Institutionelle Grundlagen von conversio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 b) Motivationen von conversio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 aa) conversio aus Angst oder Zwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 bb) conversio aus Opportunismus oder Königstreue . . . . . . . . . . . . . . . . 215 cc) conversio aus spirituellem Bedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 c) Ecrits de conversion als écrits de controverse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 Conversio als Ausdruck spiritueller und konfessioneller Identität 271 4. Ecrits de conversion – Spezifika einer literarischen Form  . . . . . . . . . . . . . . 273 a) »Ami lecteur chrestien …« – Struktur und Stil von écrits de conversion . 278 b) Conversio ineffable: die verwendete Bildsprache  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 aa) Die Bilder vom brebis égarée und vom fils prodigue  . . . . . . . . . . . 317 bb) Paulus und Augustinus als Leitbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 cc) Weitere rekurrente Bilder (z. B. Weg, Licht, Kampf, Genesung) . . . 324 c) Bedürfnis oder Propaganda? Conversio als Abkehr von der Welt . . . . . . 329 d) Stärke zeigen: conversio als spectacle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 5. Die andere Traditionslinie: conversio als Gegenstand religiöser Literatur . . . . 348 a) Jean de La Ceppède: »Reformer sa vie« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 b) Odet de la Noue: se connaître pour connaître Dieu  . . . . . . . . . . . . . . . . 359 c) Jean-Pierre Camus: »quelque profitable leçon« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363

10 Inhalt Schluss und Ausblick: »Le Cavalier luy fit croire qu’il l’avoit vue plusieurs fois à Charenton« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 Anhang I:

Liste der Bibelstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420

Anhang II:

Abbildungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425

Anhang III: Vollständige Abschrift zweier écrits de conversion. . . . . . . . . . . . 442 Anhang IV: Übersichtstabelle zu den verwendeten écrits de conversion. . . . . 451

Einleitung: » ›Noch starbest als ein Christ du jetzt!‹ «1 Blanker Zynismus? Schiere Verzweiflung? Rechtfertigung? In jedem Fall: ein Paukenschlag! Trotz aller Hinweise in den vorausgehenden 51 Verszeilen2, trotz möglichen Vorwissens – bezieht sich die Ballade doch auf eine historische Begebenheit3 – der Wirkung der zweistrophigen Schlusssequenz kann, und soll, sich wohl kein Leser4 entziehen: Einerseits liebender Bruder, der sich um Wohl und Wehe seiner Familie sorgt und 1  Conrad Ferdinand Meyer, Die spanischen Brüder, in: Conrad Ferdinand Meyer, Sämtliche Werke – Gedichte. Historisch-kritische Ausgabe. Besorgt von Hans Zeller und Alfred Zäch. Bern: Benteli 1963, Nr. 218, V. 52. 2  Cf. zum Beispiel Meyer, Gedichte / Die spanischen Brüder, V. 28: »ich morde den, der dich verlockt!«; V. 36: »Ich eilte deinen Schritten nach!« Das vollständige Gedicht ist auf Seite 7 dieser Studie abgedruckt. 3  Der Mordfall, auf den Conrad Ferdinand Meyer hier Bezug nimmt, ereignete sich im März 1546 in Neuburg an der Donau (cf. Meyer, Gedichte / Die spanischen Brüder, V. 2 »ein deutsches Donaunest«). Alfonso Diaz, Jurist am obersten Gericht in Rom (Rota Romanae) und dementsprechend leidenschaftlicher Verfechter der päpstlichen Kirche ließ seinen bereits zum Protestantismus konvertierten Bruder Juan von einem seiner Diener durch einen Beilhieb in den Hinterkopf töten. Der Mord erregte damals allgemeines Aufsehen, nicht nur aufgrund der Kaltblütigkeit, mit der er – anders als im Gedicht dargestellt – verübt worden war, sondern auch weil der Mörder und sein Auftraggeber weder von weltlicher noch von kanonischer Gerichtsbarkeit zur Verantwortung gezogen wurden. Zu den Hintergründen des Mordfalls Diaz sowie zu zeitgenössischen Reaktionen vornehmlich aus dem protestantischen Lager (Melanchthon, Bucer, Calvin), cf. Kathrin Stegbauer, »Perspektivierungen des Mordfalles Diaz (1546) im Streit der Konfessionen. Publizistische Möglichkeiten im Spannungsfeld zwischen reichspolitischer Argumentation und ­ heilsgeschichtlicher Einordnung«, in: Wolfgang Harms / Alfred Messerli e. a. (ed.), Wahrnehmungsgeschichte und Wissensdiskurs im illustrierten Flugblatt der Frühen Neuzeit (1450–1700). Basel: Schwabe & Co 2002, 371–414, passim sowie infra, Kapitel 3.b)cc). Conrad Ferdinand Meyer wurde wohl durch die Darstellung des »gräßlichen Brudermords« in Leopold von Rankes Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation (Meisterwerke IV; Duncker & Humblot 1914, 409–412) angeregt (cf. Ludwig Gorm, »Quellen zu Gedichten C. F. Meyers«, in: Zeitschrift für vergleichende Literaturgeschichte XVIII (1910), 41–54, hier 49 / 50), den der Historiker als Beispiel für mögliche Auswüchse der konfessionellen Auseinandersetzungen angeführt hatte. 4  Im Folgenden wird für beide Geschlechter stets die neutrale männliche Form verwendet und nur dann explizit die weibliche benutzt, wenn der Begriff kontrastiv gebraucht wird.

12 Einleitung

seinen Angehörigen herzlich zugetan ist5, andererseits brennender Anhänger der ›alten Kirche‹, der unerschrocken für die Verteidigung des ›richtigen‹ und die Ausrottung des ›falschen‹ Glaubens eintritt6 – der beschriebene Konflikt, der hier gar zur Ermordung des ›ketzerischen‹ Familienmitglieds führte, war zu Zeiten konfessioneller Unruhen keine Seltenheit. Der empörte Leser des Gedichts, mit den historischen Gegebenheiten im Zeitalter von Reformation und Konfessionaliserung möglicherweise ebenso wenig vertraut wie mit deren sozialen und gesellschaftlichen Folgen, mag den Brudermörder nun ohne Zögern moralisch verurteilen wollen, dessen bereits zitierte Aussage im letzten Balladenvers zwingt ihn indes zum Innehalten und zum Überdenken der Situation… Aufgrund der bisherigen Überlegungen sowie der gegensätzlichen Signale im Text, scheidet die Bewertung des » ›Noch starbest als ein Christ du jetzt!‹ « als Erweis einer zynischen, dem Tod des Bruders gleichgültig gegenüberstehenden Haltung aus. Realistischer erscheint die Beurteilung der Aussage als Ausdruck großer Verzweiflung und innerer Zerrissenheit, die sich dann in einem wenig durchdachten Rechtfertigungsversuch entlädt, bliebe doch, nach modernen Maßstäben, ein zum »gottverdammte(n) Luthertum!«7 konvertierter Katholik ein Christ und somit Teilhaber der christlichen Erlösungstat. Der angegebene Entlastungsgrund wäre somit hinfällig, der Mord nicht zu entschuldigen! Wie Meyer in seiner Ballade klar zum Ausdruck bringt, beurteilte man die Lage im 16. Jahrhundert völlig anders: Nach damaliger Auffassung waren die Anhänger des Protestantismus8 Gegner der einen christlichen Kirche, und damit Häretiker.9 Die Ermordung des Bruders war dementsprechend hinreichend durch die Vereitelung von dessen geplantem Übertritt zum neuen Glauben gerechtfertigt. 5  Cf. Meyer, Gedichte / Die spanischen Brüder, vv. 29–32; der Bruder führt hier das Leid der Eltern als Argument gegen die Konversion zum Protestantismus an; sowie ibid. vv. 45–51, in denen die innige Verbindung zum Bruder durch die Enge der Umarmung, die durch Gemination verstärkten, hastigen Küsse, die Blicke und die warmen Tränen illustriert werden. 6  Cf. zum Beispiel Meyer, Gedichte / Die spanischen Brüder, vv. 6 / 7; 13 / 14; 24; 27 / 28. 7  Meyer, Gedichte / Die spanischen Brüder, V. 24. 8  Die generischen Begriffe »Protestantismus« bzw. »Protestant« sowie deren französische Entsprechungen bezeichnen im Folgenden unabhängig von der Chronologie der Ereignisse und der jeweiligen Selbstbenennung der Betroffenen die von Luther angestoßene und von Calvin weitergeführte Reformbewegung sowie deren Anhänger (Der Begriff »Protestant« für die Gegner der ›etablierten Kirche‹ wird erst seit der Protestation der evangelischen Reichsstände auf dem Reichstag zu Speyer 1529 verwendet, cf. Carolyn Schnyder, Reformation. Stuttgart: Ulmer 2008, 31 / 32). 9  Zum Begriff »Häretiker« cf. ausführlich infra, Kapitel 2.

Einleitung13

Wie in anderen Werken des Dichters auch, prallen hier also zwei Ideenwelten hart aufeinander, was dem Leser die Möglichkeit gibt, sein eigenes Verhalten an demjenigen der Protagonisten Meyers zu spiegeln.10 Zu einem wertvollen Ausgangspunkt für diese Studie wird die Ballade nicht nur durch die eindrückliche Schilderung der Not des ›altgläubigen‹ Bruders, die ja wesentlich aus den Vorstellungen der Zeit erwuchs und den sozialen, gesellschaftlichen und spirituellen Impetus eines Glaubenswechsels im 16. Jahrhundert auf eindrückliche Weise verdeutlicht. Der Konflikt zwischen Alfonso und Juan Diaz steht auch exemplarisch für die Schwierigkeiten, mit denen sich die Gläubigen in Anbetracht der vollständig veränderten Situation damals konfrontiert sahen. Indem der Dichter im letzten Vers der Ballade Verständnis für die Haltung des Mörders signalisiert, lädt er seine Leserschaft – und damit auch uns – zudem ein, vor einer eventuellen moralischen Bewertung stets die besonderen historischen Bedingungen zu berücksichtigen, die zu den geschilderten Verhaltensweisen geführt haben mögen. Die seit den späten 40er Jahren des 19. Jahrhunderts in weiten Teilen Westeuropas herrschenden Spannungen zwischen kirchlichen Institutionen und weltlicher Regierungsmacht11 mögen die Leser der Gedichte Meyers für die Probleme, die aus unterschiedlicher konfessioneller Zugehörigkeit oder einem öffentlichen Bekenntnis zum Christentum erwachsen können, zwar sensibilisiert haben, so dass sie die Virulenz der Konflikte und des eventuellen Glaubenswechsels durchaus nachvollziehen konnten12: Der Unterschied zwi10  Cf. dazu Berbeli Wanning, »Der Gewalt begegnen – Aktualität und Geschichtlichkeit in C. F. Meyers ›Die Füße im Feuer‹ «, in: Winfried Woesler (ed.), Ballade und Historismus. Die Geschichtsballade des 19. Jahrhunderts. Heidelberg: Winter 2000, 280–298, passim. 11  Cf. dazu Wilfried Becker, »Kulturkampf als europäisches und als deutsches Phänomen«, in: Historisches Jahrbuch 101 (1981), 422–445, hier 444: »Der Kulturkampf […] entstand dort, wo […] der machtvoll vordringende, zentralisierende Einheitsstaat sich im Geist des Fortschritts mit teils säkularistisch wirkenden, teils der Religion feindlichen Zeitströmungen verband und den bis daher staatsrechtlich, konkordatär oder verfassungsrechtlich garantierten Status der Kirche(n) und ihren Einfluß auf die Gesellschaft zurückdrängen wollte«. Ähnlich Leif Grane, Die Kirche im 19. Jahrhundert. Europäische Perspektiven. Aus dem Dänischen übersetzt von Monika Wesemann. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1987, passim, zur Situation in Frankreich cf. ibid., 112ss. 12  Zur Leserschaft Meyers und zur fälschlichen Instrumentalisierung des Dichters für den eidgenössischen Kulturkampf, cf. Klauspeter Bungert, Die Felswand als Spiegel einer Entwicklung. Der Dichter C. F. Meyer als Gegenstand einer psychologischen Literaturstudie. Berlin: Frieling 1994, 32. Die tatsächlich konfessionellen Konflikte in der Schweiz kommentiert Peter Stadler, »Kulturkampf in der Schweiz – ein Sonderfall?«, in: Rudolf Lill / Francesco Traniello (ed.), Der Kulturkampf in Italien und in den deutschsprachigen Ländern. Berlin: Duncker & Humblot 1993, 345–353.

14 Einleitung

schen der Situation der Diaz-Brüder und den Konversionen des 19. Jahrhunderts war dennoch immens. Diese wurden nämlich – so sie denn überhaupt an die Öffentlichkeit drangen – in der Regel als außergewöhnlicher, oftmals auch befremdender Schritt einzelner ›religiöser Eiferer‹ empfunden.13 An dieser Einschätzung hat sich wohl auch in der Folgezeit wenig geändert. Wirft man einmal einen Blick in die einschlägigen Lexika und Statistiken unserer Tage, ist man ob der dort notierten Zahlen erstaunt. »Etwa 10000 Gläubige treten pro Jahr allein in Deutschland von einer christlichen Glaubensgemeinschaft in eine andere über«.14 Warum aber weiß man von solchen Übertritten so wenig? Weil man sich für religiöse Themen nicht interessiert und deshalb nicht hinhört? Weil heutzutage über etwas so Persönliches wie einen Glaubenswechsel nicht gerne gesprochen wird; aus Angst, ›schief‹ angeschaut zu werden …? 13  Cf. Kurt Aland, Über den Glaubenswechsel in der Geschichte des Christentums. Berlin: Töpelmann 1961, 94s. Dies gilt selbstverständlich nicht für Konver­ sionen, die im Rahmen von Erweckungsbewegungen wie zum Beispiel dem Réveil zu Beginn des 19. Jahrhunderts stattfanden. Diese zogen im Gegenteil gerade durch ihre Anzahl das neugierige Interesse Außenstehender auf sich (Cf. Marianne Carbonnier-Burkard / Patrick Cabanel, Une histoire des protestants en France. Paris: Desclée de Brouwer 1998, 141–144 sowie ausführlich Daniel Robert, »Le Réveil protestant«, in: Michael Baude / Marc-Matthieu Münch (ed.), Romantisme et Religion. Théologie des théologiens et théologie des écrivrains. Colloque interdisciplinaire organisé à la Faculté des Lettres de Metz les 20–22 octobre 1978. Paris: PUF 1980, 71–85, passim). 14  Gerhard Müller, e. a. (ed.), Theologische Realenzyklopädie, (TRE) 36 vols. Berlin / New York: De Gruyter 1977–2007, Lemma: Konversion IV (Stand 2003). Da die Zahl 10000 mit ihrer Bezugsgröße »christliche Glaubensgemeinschaft« keine konkrete Vorstellung von der tatsächlichen Präsenz des Phänomens im ›Hier und Jetzt‹ zu vermitteln vermag, seien im Folgenden die von katholischer und evangelischer Kirche veröffentlichten aktuellen Zahlen notiert: Demnach traten im Jahr 2011 20 831 Gläubige über 14 Jahre in die evangelische Kirche ein, davon 13 415, nachdem sie vorher aus der katholischen Kirche ausgetreten waren (Angaben nach: Kirchenamt der EKD (ed.), Gezählt 2013. Evangelische Kirche in Deutschland. Zahlen und Fakten zum kirchlichen Leben. Hannover: Striepke 2013, 12). Demgegenüber traten im Jahr 2012 10 276 Gläubige über 14 Jahre in die katholische Kirche ein, davon 7 185, nachdem sie vorher aus einer anderen christlichen Gemeinschaft ausgetreten waren. (Angaben nach Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (ed.), Katholische Kirche in Deutschland. Zahlen und Fakten 2012 / 2013. Bonn: DCM 2013, 16). Für Frankreich lassen sich entsprechende Daten lediglich für die katholische Kirche angeben; von Interesse sind hier die Anzahl der Täuflinge (2011: 27 011 Kinder über sieben Jahre und Erwachsene) und der Katechumenen – also derjenigen, die sich auf die Taufe vorbereiten (2011: 8 933), ihre conversio also bereits erfahren haben oder diese vorbereiten. Angaben nach http: /  / www.eglise.catholique-fr / ressources-annuaires / guide-de-l-eglise (22.08.2013). Angaben hinsichtlich der Provenienz der Täuflinge und Taufbewerber bietet die Statistik nicht.

Einleitung15

Die Liste möglicher Gründe für die geringe Präsenz des Phänomens im Bewusstsein unserer Zeit ließe sich fortführen. Sie alle basieren wohl einerseits auf der Tatsache, dass Religion in den letzten Jahrzehnten zumindest in weiten Teilen der westlichen Welt15 immer mehr zur Privatsache geworden ist, die Zugehörigkeit zur einen oder anderen Religionsgemeinschaft – wenn überhaupt – für privates und berufliches Fortkommen kaum noch Bedeutung hat.16 Andererseits wird in einer ›teil-säkularisierten‹ Gesellschaft, in der religiöses Engagement oftmals suspekt erscheint, ein solch ›unpopulärer‹ Schritt außerhalb des sehr engen Kreises von Wegbegleitern gemeinhin lieber zunächst verschwiegen als weithin publik gemacht. Die Unterschiede im Umgang mit einem Glaubenswechsel könnten größer nicht sein. Dort die spanischen Brüder, deren Gemeinschaft an den religiösen Gegensätzen brutal zerbricht, hier Zeichen gelebter Religiosität, die oft unbemerkt bleiben, aber dementsprechend auch nur dann direkte Konsequenzen nach sich ziehen, wenn die Betroffenen dies für sich entscheiden. Eine politische Umorientierung, der Eintritt in ein Kloster, ein neuer Freundeskreis: Veränderungen dieser Art mögen vom Konvertiten als zwangsläufige Folge seines ›Richtungswechsels‹ empfunden und deshalb vollzogen werden, gesellschaftlich notwendig sind sie – anders als im Zeitalter von Reformation und Konfessionalisierung17 – wohl mehrheitlich nicht. 15  Wenn nicht anders angegeben, wird im Folgenden das Abendland und aufgrund des galloromanistischen Fokus’ vorliegender Studie insbesondere Frankreich, als geographischer Referenzraum angenommen. Aus dieser Perspektive ergibt sich auch weitgehend die Beschränkung auf die Betrachtung des Phänomens Konversion im christlichen Kontext. 16  Pragmatische Entscheidungen zur Konversion mögen sich in unserer Zeit vor allem aus dem Wunsch ergeben, konfessionsgemischte Ehen zu vermeiden. Auch war in konfessionell orientierten Pflegeeinrichtungen, Krankenhäusern oder im Schulwesen die Zugehörigkeit zur jeweiligen Kirche lange Zeit Voraussetzung zur Aufnahme bzw. Beschäftigung. Eine Konversion vermochte gelegentlich zum lang­ ersehnten Arbeits- oder Pflegeheimplatz führen. 17  Im Folgenden wird dem von Zeeden sowie Reinhard und Schilling geprägten Begriff »Konfessionalisierung« der Vorzug gegenüber anderen, älteren Bezeichnungen wie beispielsweise »Gegenreformation« gegeben, da »Konfessionalisierung« nicht nur den Prozess der parallelen Konfessionsbildung (katholisch, lutherisch, calvinisch, anglikanisch) im 16. Jahrhundert beschreibt, sondern auch die Aspekte Staatsbildung und Sozialdisziplinierung umfasst (cf. Stefan Ehrenpreis / Ute LotzHeumann, Reformation und konfessionelles Zeitalter. Darmstadt: WBG 2002, 64– 67), Bereiche, die im Zusammenhang mit der Frage einer conversio aus Königstreue (cf. Kapitel 3.b)bb)) von Bedeutung sein werden. Zur Anwendung des Konfessionalisierungsbegriffs auf die Situation in Frankreich cf. Philip Benedict, The Faith and Fortunes of France’s Huguenots, 1600–1685. Aldershot: Ashgate 2001, 309–325: »Confessionalization in France? Critical Reflections and New Evidence«.

16 Einleitung

Die dargestellte Zurückhaltung vieler ›moderner‹ Konvertiten ebenso wie die relative gesellschaftliche Folgenlosigkeit eines Glaubenswechsels legen die Vermutung nahe, dass neben den kirchlichen Registern nur wenige Texte über Konversionen Aufschluss geben.18 Dem wäre sicherlich so, wohnte dem Christentum nicht per se ein missionarischer Charakter inne.19 Gestützt auf die biblische Sendung: »Darum geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern, tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes«20 sind die christlichen Kirchen bekanntlich seit jeher bestrebt, andere an ihren Glauben heranzuführen.21 Da das Wissen um eine Konversion nach allgemeiner Auffassung22 anderen den Weg in die Kirche aufzeigen oder zumindest erleichtern kann23, fühlen sich zahlreiche Konvertiten schließlich verpflichtet, trotz aller inneren Widerstände, über ihre persönliche Heilserfahrung zu berichten. Tatsächlich existiert eine umfangreiche »Konvertitenliteratur«24, die im Wesentlichen aus diesem Sendungsbewusstsein erwachsen ist. Das betonen auch die Herausgeber der oft mehrbändigen Sammlungen von Lebensbildern »moderner Gottsucher«25. 18  Die Kirchenbücher dokumentieren allerdings lediglich den kirchenrechtlichen Vorgang per se. Beweggründe, etwaige Zweifel und der weitere Glaubensweg des Konvertiten werden hier nicht notiert. Eine Beschäftigung mit diesem Material ist aus literaturwissenschaftlicher Perspektive also ohne Aussagekraft. 19  Cf. dazu Aland, Glaubenswechsel, 90: »Das ist einfach ein unumgänglicher Bestandteil des Christentums. Es mit Ernst bekennen – gleich in welcher seiner Ausprägungen – heißt sogleich den Wunsch empfinden, auch die anderen zu dieser als allein wahr und heilbringend empfundenen Form hinzuführen«. 20  Mt 28, 19, auch Mk 16, 15b. Wenn nicht anders angegeben stammen alle Schriftzitate aus der Einheitsübersetzung. Alle weiteren verwendeten Bibelausgaben werden durch Erscheinungsort, Verlag und Jahr gekennzeichnet. 21  Inwieweit die Erfüllung dieses Missionsauftrags seitens der christlichen Kirchen, insbesondere durch manche, speziell für die Heidenmission gegründete Ordensgemeinschaft aus heutiger Sicht unangemessen und mit den modernen Vorstellungen von religiöser Toleranz vereinbar ist, muss an dieser Stelle nicht diskutiert werden. 22  Cf. dazu infra, Kapitel 1.e) sowie 4. 23  Hans Urs von Balthasar weist zurecht darauf hin, dass Mission »gewiss auf so etwas wie Konversion aus ist, die letztere aber […] ein Phänomen besonderer Art (bleibt)«; Hans Urs von Balthasar, Homo creatus est. Skizzen zur Theologie V. Einsiedeln: Johannes 1986, 219. Mögen auch weitere Personen oder Ereignisse zur Konversion hinführen, geschieht diese letztlich nur zwischen Mensch und Gott. 24  Cf. Gottfried Holtz, »Konversionen in katholischer Beleuchtung. Zur katholischen Konvertitenliteratur der Gegenwart«, in: Materialdienst des konfessionskundlichen Instituts 9 (1958), 61–70, Titel und passim. 25  Lamping, Severin, OFM (ed.), Menschen, die zur Kirche kamen. Selbstdarstellungen moderner Gottsucher aus einundzwanzig Nationen. Gesammelt und mit einer Einführung und einem Schlußwort von P. Severin Lamping. München: Kösel, Pustet 1935, Untertitel. 20.

Einleitung17

Während der Franziskanerpater Severin Lamping in seiner Einführung zu Menschen, die zur Kirche kamen (1935) nur recht knapp angab, die Autoren der von ihm zusammengestellten Texte hätten sich bereitgefunden, ihre Erfahrungen niederzuschreiben, um »suchenden Seelen zu helfen«26, betonte der Jesuit Fernand Lelotte, verantwortlich für die fünf Bände von Convertis du XXe siècle (1953), sehr deutlich den vielfältigen Nutzen seines Werkes für Christen und Nichtchristen: Les croyants trouveront, dans ces récits, une nouvelle raison de croire; ceux qui chancellent sentiront se raffermir leur foi. Et les incroyants verront se dresser, de plus en plus impérieux, un problème qu’ils se posent peut-être déjà dans l’intime de leur cœur: Le Christ ne serait-il pas Sauveur et l’Eglise catholique n’aurait-elle pas les paroles de Vie?27

Beide Autoren treten mit ihren Sammlungen in die Fußstapfen des Straßburger Bischofs Andreas Räß. Dieser hatte bereits im 19. Jahrhundert eine 13-bändige »gelehrte Konvertitenbiographik«28 erarbeitet, die den Zeitgenossen angemessene Vorbilder und Orientierung bieten sollte: Je mehr er (i. e. der Leser) im Spiegelbilde der fremden Wiedergeburt überraschende Züge findet, die ihn an seine eigenen palingenetischen Erfahrungen und Erlebnisse erinnern, je wärmer er den fremden Kampf mitzukämpfen sich angeregt fühlt, der mit den eigenen inneren Kämpfen eine tiefinnerste Verwandtschaft zeigt: desto bedeutsamer werden ihm diese Lebensbeschreibungen werden, desto mehr geistigen Nutzen wird er daraus schöpfen.29

Trotz mancher Unterschiede30 lässt sich hinsichtlich aller drei Werke, die hier nur stellvertretend für manches Vergleichbares angeführt wer­ Menschen, »Einführung«, 9–22, hier 17. Lelotte SJ (dir.), Convertis du XXe siècle. 5 vols. Paris, Tournai: Casterman, Brüssel: Foyer Notre-Dame 1953, présentation, n. p. Eine Anmerkung des Herausgebers am Fuße des Inhaltsverzeichnisses: »Ces biographies sont aussi édi­ tées en brochures, aux Editions Foyer Notre Dame et sont traduites en plusieurs langues« läßt die weite Verbreitung und den Erfolg dieses Schrifttums erahnen. Wenn nicht anders angegeben, stammen alle Hervorhebungen innerhalb von Zitaten durch Kursivdruck von mir, es wird damit stets auf die Schlüsselwörter verwiesen. 28  Holtz, Konversionen, 61. 29  Andreas Räß, Die Convertiten seit der Reformation nach ihrem Leben und aus ihren Schriften dargestellt. vol. I. I (Vom Anfang der Reformation bis 1566) Freiburg im Breisgau: Herder 1866, »Einleitung«, VII–XVI, hier IX. Andreas Räß, seit 1842 Bischof von Straßburg, fühlte sich dem französischen wie dem deutschen Katholizismus gleichermaßen verbunden und engagierte sich für die Vermittlung französischer geistlicher Literatur in den deutschsprachigen Raum (cf. Walter Kasper e. a. (ed.), Lexikon für Theologie und Kirche. Freiburg im Breisgau: Herder 42009, Lemma: Räß, Andreas). In diesen Kontext schreibt sich auch Die Convertiten […] ein. 30  Cf. zum Beispiel die besondere Herangehensweise von Lelotte »Plutôt que de demander à ceux-ci leur témoignage, comme l’ont fait d’autres publications récentes, nous avons préféré nous adresser – et c’est l’originalité de ce livre – à des 26  Lamping, 27  Fernand

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den,31 konstatieren, dass diese zu Zeiten veröffentlicht wurden, da die Kirche ihren gesellschaftlichen Einfluss zu verlieren drohte bzw. einer Bestätigung bedurfte, um diesen wieder geltend machen zu können. Denn in den 60er und 70er Jahren des vorvergangenen Jahrhunderts war es um die Stellung der katholischen Kirche infolge der sogenannten Modernismuskrise und des Streits um das Infallibilitätsdogma nicht gut bestellt. Eine positive Propaganda war deshalb damals aus kirchlicher Sicht ebenso angebracht wie in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts, als Kommunismus und Faschismus der christlichen Lehre Konkurrenz machten. Die Initiative von Lelotte lässt sich entsprechend als Versuch werten, nach den Wirren des zweiten Weltkriegs und der Infragestellung mancher Ideologie, die katholische Kirche als Konstante und ›sicheren Hafen‹ zu präsentieren. Sahen sich die protestantischen Kirchen im 20. Jahrhundert zwar mit ähnlichen Schwierigkeiten konfrontiert, ergriffen sie wohl nur wenige Maßnahmen um dem biblischen Sendungsbefehl gerecht zu werden und ›Werbung‹ in eigener Sache zu machen. Diese Zurückhaltung mag hinsichtlich des französischen Protestantismus’ auf dessen Status als religiöse Minderheit32 zurückgeführt werden können, der im 19. Jahrhundert gar jede Form von prosélytisme verboten worden war.33 Da aber auch in Ländern mit überwiegend protestantischer Bevölkerung nur wenige Texte dieser Art entstanden sind34, ist wohl festzuhalten, dass tatsächlich »einer Fülle […] (von) Berichte(n) über den Übertritt zum Katholizismus so gut wie nichts an écrivains spécialisés, afin d’obtenir une vue plus complète de la vie et de l’œuvre du converti« (Lelotte, Convertis, présentation, n. p.). 31  Eine Liste von Werken aus dem 20. Jahrhundert führt Aland am Ende seiner Studie an (cf. Aland, Glaubenswechsel, 70s). Auf die gleichen Schriften verweist 18 Jahre später Reinhard Frieling, in Konfessionswechsel heute. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1979, 41–52. Als frühe Vorläufer dieser Werke seien beispielhaft das Dictionnaire des conversions von Charles François (i. e. vol. 33 der Nouvelle Encyclopédie théologique (ed. par Jacques Paul Migne). Paris: Montrouge 1852 sowie der Recueil de conversions remarquables nouvellement operés dans quelques protestans. Nouvelle édition augmentée d’une notice sur la conversion de M. de Haller (ed. par François Charles Nagot). Lyon: Rusard, Paris: Librairie ecclesiastique 1822 genannt. Das Pariser Konvertiten-Milieu der Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert beschreibt Raïssa Maritain in Les grandes amitiés. Paris: Desclée de Brouwer 51949. Angeleitet durch Léon Bloy konvertierten die Jüdin Raïssa und ihr protestantischer Ehemann Jacques 1905 zum Katholizismus. 32  Nach dem Verlust von Elsaß-Lothringen und dessen lutherischer Bevölkerungsanteile waren von ca. 40 Millionen Franzosen etwa 600  000 Protestanten (≈  1,5 % der Bevölkerung, vor 1870 ca. 2,3 % (Angaben nach Carbonnier-Burkard/Cabanel, Histoire, 127, sowie Michèle Sacquin, »L’antiprotestantisme au temps de Péguy«, in: L’amitié Charles Péguy 25 / 97 (2002), 85–90, hier 81). 33  Cf. Sacquin, »L’antiprotestantisme«, 81. 34  Cf. Frieling, Konfessionswechsel, 42; Aland, Glaubenswechsel, 68.

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Entsprechendem für den Übertritt zum Protestantismus zur Seite (steht)«.35 Einige wenige Berichte von Übertritten in die protestantischen Kirchen wurden jedoch in die recht umfangreiche Ratgeberliteratur, die auf evangelischer Seite zum Thema Konfessionswechsel entstanden ist, integriert.36 Die Ursachen dieses Ungleichgewichts müssen an dieser Stelle nicht diskutiert werden, es ist dennoch angebracht, auf einige Unterschiede in der Verwendung des Begriffs Konversion / conversion in konfessioneller wie sprachlicher Hinsicht hinzuweisen, die diese Vielzahl an ›katholischen‹ Berichten bis zu einem gewissen Grad erklärlich machen. Blättert man nämlich die Bände von Lelotte und Lamping einmal durch, merkt man rasch, dass es hier, anders als zum Beispiel der Titel Convertis du XXe siècle erwarten lässt, nur selten um einen Konfessionswechsel geht, also – im Kontext der katholischen Werke – um den Austritt aus der evangelischen und den Eintritt in die katholische Kirche. Ein Großteil der Texte handelt vielmehr von der Rückkehr zum praktizierten Glauben der Kindheit nach einer Zeit religiöser Indifferenz. Auch Fréderic Gugelot, der im Rahmen seiner Studie zur Conversion des intellectuels au catholicisme en France37 die Biographien von 136 Personen auswertete, gibt an, dass während des von ihm betrachteten Zeitraum von 1885–1935, 75 % der convertis 35  Aland, Glaubenswechsel, 106. Holtz führt diesen Sachverhalt auf das propagandistische wie religionspsychologische Desinteresse der evangelischen Theologie zurück »eine Literatur über die Konversionen von der römischen zur evangelischen Kirche zu entwickeln.« (Holtz, Konversionen, 61). Cf. dazu auch Müller, TRE, Lemma: Konversion (III): »Katholiken, die evangelisch werden, schweigen im Allgemeinen über die Beweggründe ihres Übertritts« sowie Frieling, Konfessionswechsel, »Auch in der evangelischen Literatur finden auffälligerweise die Übertritte zum Katholizismus mehr Beachtung als die Wechsel zum Protestantismus. Evangelische Konversionsberichte gibt es fast gar nicht« (42 / 43). Im französischen Sprachraum erschien allerdings 1957 Du catholicisme romain au christianisme évangelique. von Pierre Fath (Paris: Berger-Levrault), das jedoch als Antwort auf einen ›katholischen‹ Bericht (Louis Boyer: Du protestantisme à l’Église. Paris: Cerf 1954) konzipiert und aus ›nicht ganz freien Stücken‹ entstanden ist. 36  Cf. zum Beispiel das vademecum von Garfield Alder, Evangelisch werden, evangelisch bleiben: eine Handreichung für Protestanten und solche, die es werden wollen. Luzern: Verlag der Evangelischen Buchhandlung 151966. Hier wird in neunzehn Kapiteln dargestellt, »was evangelischer Glaube ist und worin und warum er sich (vom katholischen) unterscheidet« (ibid., 4). Ähnliches bietet Walter Theodor Cleve, Weggeleit in die evangelische Kirche (Für Konvertierende und Konvertiten). Witten: Luther-Verlag 1958. Den Berichten von Konvertiten sind hier auch administrative und liturgische Hinweise sowie Informationen für Seelsorger beigefügt. Cf. auch Frieling, Konfessionswechsel, »Warum wir evangelisch wurden«, 26–40 und passim. 37  Frédéric Gugelot, La conversion des intellectuels au catholicisme en France 1885–1935. Préface de Etienne Fouilloux. Paris: CNRS Editions 1998.

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katholisch waren38, das heißt katholisch getauft und katholisch erzogen worden waren und sich nach Erstkommunion und Firmung der Kirche ebenso wie dem Glauben entfremdet hatten.39 Anders als »Konversion« wird conversion also nicht nur in konfessioneller Perspektive zur Bezeichnung eines »Übertritt(s) von einer Religionsgemeinschaft zu einer anderen«40 verwendet. Als conversion wird gleichfalls ein Phänomen gefasst, für das im Deutschen eher der Begriff »Umkehr« benutzt wird. Schlösse man dem allgemeinen deutschen Sprachgebrauch entsprechend alle diejenigen convertis vergangener Jahrhunderte aus der Betrachtung aus, die ›lediglich‹ ein »retour à la foi de l’enfance«41, nicht aber den administrativen Akt eines Konfessionswechsels vollzogen haben, ergäbe sich ein deutlich anderes Bild, wäre die katholische »Konvertiten­ literatur« weitaus weniger umfangreich. Vor diesem Hintergrund wird dann auch die gelegentlich in der kritischen Literatur laut werdende Klage über die inflationäre Verwendung der Begriffe »Konversion / conversion« und »Konvertiten / convertis« seitens der Katholiken verständlich.42 Während nämlich in protestantischen Kreisen deutlich zwischen retour und conversion respektive Umkehr und Bekehrung – dem erbwortlichen Pendant von »Konversion« – unterschieden wird, bedienen sich katholische Autoren – zumindest bis zum II. Vaticanum43 – meist allgemein des Begriffs »Konversion / conversion«. Aus konfessioneller Sicht beruht die Problematik dieser ›Begriffsverwirrung‹ wohl auf der Tatsache, dass durch die stete Verwendung von »KonGugelot, Conversion, 115. Gugelot, Conversion, 19 / 20. 40  Müller, TRE, Lemma: Konversion (IV). 41  Cf. Gugelot, Conversion, 19. 42  Cf. zum Beispiel Aland, Glaubenswechsel, 99s, Holtz, Konversionen, 69 auch Frieling, Konfessionswechsel, 54s. 43  Erst infolge des sogenannten Ökumenismusdekrets (Decretum de oecumenismo) des II. Vaticanum, in dem unter anderem eindeutig festgeschrieben wurde, dass die Trennung der Kirchen nicht den Menschen zur Last gelegt werden kann, die in einer solchen (getrennten) Gemeinschaft geboren wurden – »Qui autem nunc in talibus communitatibus nascuntur […] de separationis peccato argui nequeunt« und dass getaufte Nicht-Katholiken – »baptismum rite receperunt« – in gewisser, wenn auch nicht vollkommener Weise mit der Gemeinschaft der katholischen Kirche verbunden sind – »in quadam cum ecclesia catholica communione, etsi non perfecta, constituuntur« – setzte ein allmähliches Umdenken ein und sich – sehr langsam – der Begriff »Übertritt« bzw. Umkehr / Bekehrung durch. Text des Dekrets nach Josef Wohlmuth, e. a. (ed.): Dekrete der Ökumenischen Konzilien. vol. III. Paderborn, München: Schöningh 2 1998. (Dt. Übersetzung und Bearbeitung des von Giuseppe Alberigo hrsg. Conciliorum Oecumenicarum Decreta. Bologna: Istituto per le scienze religiose 31973; concilium Vaticanum II, sessio V, caput I – De catholicis oecumenismi principiis). 38  Cf. 39  Cf.

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version« ein Außenstehender eventuell einen falschen – und für die protestantischen Kirchen ungünstigen – Eindruck gewinnt. Es ist schließlich kaum zu leugnen, dass ein ›Heer‹ von Gläubigen, das sich von ihrer eigenen Kirche ab- und der katholischen Kirche zuwendet, zunächst ein weitaus besseres Licht auf eben diese Kirche wirft als eine Schar von enfants prodigues44, die nach enttäuschtem Rückzug aus der Gemeinschaft und nach Jahren der Unzufriedenheit – und des Unglaubens (?) – wieder in den Schoß der Kirche zurückfinden.45 Ungeachtet aller sprachlichen Gewohnheiten oder konfessionellen Befindlichkeiten überschrieb Heidrich seine 2002 erschienene Sammlung von »Konversionen, die in ihrer Wucht, in ihrer Tragweite und nicht zuletzt auch in ihrer Farbigkeit exemplarisch erscheinen«46, mit Die Konvertiten. Schon der Untertitel des Werkes »Über religiöse und politische Bekehrungen« deutet an, dass hier ein sehr weites Verständnis von »Konversion« zugrunde gelegt wurde. Mit Bezug auf die lateinische Wurzel conversio bzw. convertere wurde hier das Moment der (plötzlichen) Wende, der Veränderung herausgestellt.47 Die behandelten Kehrtwendungen gelten dement-

44  Die Bezeichnung der ›Heimkehrer‹ als enfants prodigues geht zurück auf das Gleichnis vom verlorenen Sohn (parabole du fils prodigue) aus Lk 15, 11–32 und ist – wie noch zu zeigen sein wird – ein auch von den Verfassern von Konversionsschriften häufig verwendetes Bild (cf. auch die Benutzung durch Gugelot, in Gugelot, Conversion, 115s und passim). Zu den verschiedenen Deutungsmöglichkeiten der Bildebene der parabole du fils prodigue sowie zur Auslegungstradition cf. auch Kapitel 1.a) sowie 4.b) dieser Studie. 45  Es sei an dieser Stelle betont, dass vorliegende Argumentation lediglich die Außensicht einfangen soll. Nach kirchlichem Verständnis existieren, orientiert am Gleichnis vom verlorenen Schaf (Lk, 15, 4–7) zwischen den Gläubigen – ob neu hinzugekommen, zurückgekehrt oder stets präsent – keinerlei qualitative Unterschiede. Zum Bild der brebis égarée cf. infra, Kapitel 4.b). Die Tatsache, dass das Phänomen der »retour à la foi de l’enfance« in den protestantischen Kirchen Frankreichs weit weniger verbreitet war als im katholischen Raum, mag deren bereits angesprochenem Minderheitenstatus geschuldet sein: Ist ›Gemeinde‹ in der Diaspora stark von Solidarität und Zusammengehörigkeitsgefühl geprägt, wird deren Verlassen dementsprechend als Verrat empfunden, eine Rückkehr in die Gruppe beinahe undenkbar (cf. Michèle Sacquin, Entre Bossuet et Maurras, L’antiprotestantisme en France de 1814 à 1870. Préface de André Encrevé, Avant-propos de Philippe Bou­ try. Paris: Ecoles des Chartes 1998, 43). 46  Christian Heidrich, Die Konvertiten. Über religiöse und politische Bekehrungen. München/Wien: Hanser 2002, 11. 47  Cf. dazu beispielhaft Friedrich Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Bearbeitet von Elmar Seibold. Berlin / New York: De Gruyter 242002, Lemma: Konversion, konvertieren sowie Alain Rey (dir.), Dictionnaire historique de la langue française. Paris: Les Dictionnaires Le Robert 1993, Lemma: conversion, convertir.

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sprechend auch nicht nur religiösen »Wahrheiten«48 – und dank der Präsenz von Heine, Weil und Fohrer auch nicht nur katholischen49 – sondern auch politischen.50 Auch sind mit Claudel und Pascal einerseits, Edith Stein und Paulus andererseits, Personen aus verschiedenen Abschnitten der Kirchengeschichte, brebis nouvelles und brebis égarées gleichermaßen vertreten. Wie die inhaltlichen Überschneidungen der Werke von Autoren wie Heidrich oder Lelotte vermuten lassen, mögen bei der Auswahl der aufzunehmenden Personen ähnliche Motive eine Rolle gespielt haben. Was aber den Band Heidrichs deutlich von den übrigen Werken unterscheidet, ist der Verzicht des Autors auf jegliche Form von Erbauung oder Mission. Stattdessen liegt ein wissenschaftlicher Anspruch vor, bei dem es darum geht, das »Phänomen Konversion umfassend und differenziert vorzustellen« und die einzelnen »Konversionsfälle in systematischer Absicht (zu) kombinieren und (zu) erörtern«51. Der Rekurs auf die lateinische Wurzel des ›schillernden‹ Begriffs »Konversion« ist im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie sehr angebracht und soll dementsprechend auch für vorliegende Arbeit leitend sein.52 So wird im Folgenden entweder der lateinische Begriff verwen48  Heidrich, Konvertiten, 11. Heidrich formuliert hier etwas unbedarft »Die Konvertiten, deren Fälle hier geschildert werden, sind davon überzeugt, dass ihre Kehre der Wahrheit gilt« und übersieht dabei, dass der Begriff »Kehre« spätestens seit Heidegger ein »philosophisches Modewort« ist, das eben nicht die Wende zu etwas unbekannten, vollständig neuen bezeichnet, sondern zu etwas bisher verborgenen, was dem Konzept Konversion nach christlichem Verständnis widerspricht (cf. dazu auch von Balthasar, Homo, 219). 49  Dennoch überwiegen auch bei Heidrich deutlich die Übertritte in die katholische Kirche, eine Tatsache, für die er sich sogar rechtfertigt (cf. Heidrich, Konvertiten, 12), die aber dennoch von manchem Rezensenten – auch in katholischem Kontext – bedauert wurde (cf zum Beispiel die Besprechung des Bandes durch Helmut Kiesel in Communio 4 / 2003, 411–417, hier 412). Aufgrund der schleichenden Entchristlichung, die beide Konfessionen gleichermaßen trifft, ist der ehemalige ›Wettstreit‹ um die Kirchenmitglieder in den letzten Jahren zumindest in den Augen vieler Gläubiger zu einer ökumenischen Angelegenheit geworden (cf. aber erneut Müller, TRE, Lemma: Konversion IV sowie Pierre Gisel (dir.), Encyclopédie du protestantisme. Paris: PUF, Genf: Labor et Fides 22006, Lemma: conversion). 50  Cf. Heidrich, Konvertiten, 296–325 (Arthur Koestler, André Gide, Ignazio Silone); zu Gide cf. auch Heidrich, Konvertiten, 255. 51  Kiesel, Heidrich, 411. Cf. zudem die Kapitelüberschriften bei Heidrich. 52  Hans Jürgen Baden, der in seiner Studie zu Literatur und Bekehrung (Stuttgart: Klett 1968) gleichfalls »keine Geschichte der Bekehrung« liefert, sondern sich dem Phänomen Konversion im Sinne eines »Sterbens inmitten des Lebens und einer Art Wiedergeburt, (derer der Konvertit teilhaft wird)« (ibid., 12) widmet, begrenzt seine Analyse zwar auf eine kleine Gruppe von Konvertiten – die Schriftsteller – legt aber ansonsten gleichfalls einen weiten Bekehrungs- / Konversionsbegriff zugrunde. Wie Heidrich nimmt er politische (bei Baden: »ideologische«) Bekehrungen ebenso auf wie Konversionen mit und ohne Konfessionswechsel.

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det oder aber mit conversion / Konversion (+  Derivate) lediglich auf das Moment der Wende abgehoben. Mag diese Sprachregelung auf den ersten Blick vorrangig dazu beitragen, eventuellen Missverständnissen vorzubeugen, so wird bei dem Versuch, das Phänomen begrifflich und inhaltlich zu fassen, schnell klar, dass auch hier zunächst vom Wendungsmoment als kleinstem gemeinsamen Nenner ausgegangen werden muss. Dem Phänomen Konversion werden in den einschlägigen Fachlexika meist umfangreiche Artikel gewidmet, in denen conversio einerseits als biblisches Konzept beleuchtet wird, andererseits als historische Erscheinung betrachtet, die im Laufe der Christentumsgeschichte zwar stets existierte, aber nicht zu allen Zeiten gleichermaßen bedeutsam war. Als temps forts des conversions, hier im Sinne eines Glaubens- respektive Konfessionswechsels, werden recht einstimmig die Jahre der ersten Ausbreitung der ›christlichen Sekte‹, die Zeit um die Wende zum vierten Jahrhundert sowie erneut zum 19. seltener auch zum 20. Jahrhundert bezeichnet. Das im Zen­ trum der vorliegenden Arbeit stehende Zeitalter von Reformation und Konfessionalisierung hingegen wird – auch mit Blick auf die französischen Verhältnisse – oft lediglich mit Zwangs- und Massenkonversionen assoziiert.53 Schuld daran mögen unter anderem die vielzitierten Prinzipien une foi, une loi, un roi und cuius regio, eius religio sein, die das Bild einer Bevölkerung heraufbeschwören, die ihrem Herrscher in Religionsangelegenheiten ungeachtet jeder persönlichen Überzeugung blind folgt. Dass diese Vorstellung bei Weitem übertrieben ist, scheint offensichtlich.54 Nichtsdestotrotz entsteht auch bei der Lektüre zahlreicher Überblicks- und Sammelwerke zur Geschichte von Kirche und Spiritualität der Eindruck, eine Auseinandersetzung mit dem Phänomen Konversion als Konfessionswechsel im 16. und 17. Jahrhundert sei – insbesondere aus literaturwissenschaftlicher Perspektive – wenig fruchtbar. Die Autoren von Überblickswerken malen mehrheitlich das bereits in den Fachlexika skizzierte Bild aus. Sie präsentieren also den Zeitabschnitt als eine Periode kollektiver religiöser Konflikte, die dem Einzelnen wenig Raum ließ, eine eigene, unabhängige Entscheidung zu treffen und folglich auch kaum literarischen Niederschlag finden konnte, 53  Cf. zum Beispiel die beinah anklagende, in Klammern gestellte Bemerkung »Les protestants français se souviennent aussi des pressions exercées sous Louis XIV pour qu’ils changent de religion«, in Gisel, Encyclopédie, Lemma: conversion. Weitaus nüchterner weisen zum Beispiel die Verfasser der entsprechenden Artikel in Müller, TRE, Lemma: Konversion III 1,5 (Frankreich) und Dictionnaire de spiritualité […], […] (dir. Marcel Viller, Paris: Beauchesne 1932ss, Lemma: conversion 7, 1.2), auf den gleichen Sachverhalt hin. 54  Tatsächlich wurde wohl mehrheitlich nur den Eliten empfohlen, gleichfalls zu konvertieren, um sich den Zugang zu wichtigen Ämtern offen zu halten.

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etwa in Form eines individuellen Berichts über eine conversio-Erfahrung, einer Korrespondenz oder eines Tagebucheintrags.55 Die Beiträger zweier Sammelbände, die in den 1980er Jahren und erneut 2003 speziell der Konversion im französischen Kontext gewidmet wurden, schlossen die Existenz religiös motivierter Konfessionswechsel einschließlich ihrer Dokumentation in so genannten récits de conversion im Zeitalter von Reformation und Konfessionalisierung nicht vollständig aus. Wer aber einen Blick ins Inhaltsverzeichnis der actes zu La conversion au XVIIe siècle wirft, merkt schnell, dass die angesprochene Atmosphäre der Unterdrückung auch hier bestimmend ist, zahlreiche Beiträge dem Problem der Zwangskonversionen oder der Frage nach dem vrai ou faux respektive sincère ou politique eines Konfessionswechsels gewidmet sind.56 Ein gänzlich anderes, aber für einen Literaturwissenschaftler auf der Suche nach geeigneten Textzeugnissen nicht weniger problematisches Bild zeichnet hingegen Elisabeth Labrousse im gleichen Band. Anhand ihrer Studie zur konfessionellen Situation in Mauvezin (1620–1646), einer 2000 Seelen Gemeinde in Südfrankreich57, zeigte sie exemplarisch auf, dass auch Personen, die nicht zur Konversion gezwungen wurden, diese nicht notwendig als einschneidende spirituelle Erfahrung erlebten.58 Stattdessen waren oftmals eher 55  Cf. beispielsweise die Darstellung der »reconquête religieuse« (Kapitelüberschrift) in Carbonnier-Burkard / Cabanel, Histoire: »Au service de la stratégie de reconquête pacifique des âmes sur l’hérésie se sont mobilisées les forces vives de l’Eglise, créées ou rénovées dans l’élan du concile de Trente. Religieux, évêques, prêtres et dévots proches de la Compagnie du Saint Sacrement ont expérimenté des moyens nouveaux: la controverse, la mission, la conversion personnalisée. […] A la demande d’un missionaire ou d’un curé, la compagnie porte un secours financier à ceux qui abjurent, mis au ban de leur communauté, afin d’en empêcher le retour […]. A l’abri du besoin, à l’abri de leurs parents, de leurs patrons, des pasteurs, elle les prépare à la conversion ou achève leur instruction.« (46 / 47). Ein ähnliches Bild vermitteln auch Janine Garrisson (L’Edit de Nantes et sa révocation. Histoire d’une intolérance. Paris: Seuil 1985, 81ss), Bernard Dompnier, in: Le venin de l’hérésie. Image du protestantisme et combat catholique au XVIIe siècle. Paris: Le Centurion 1985, 198ss sowie Jacques Le Goff / René Rémond in der von ihnen herausgegebenen Histoire de la France religieuse. Paris: Seuil 1988, hier vol. II, dirigé par François Lebrun, 477–511 und passim. 56  Cf. zum Beispiel Hans Bots / Pierre Eugène Leroy, »Conversion politique ou conversion sincère? Le cas de Théophile Brachet de la Milletière«, in: Louise Godard de Donville, (ed.), La conversion au XVIIe siècle. Actes du XIIe Colloque de Marseille (janvier 1982). Marseille: Robert 1983, 191–199. 57  Mauvezin liegt etwa 50 km westlich von Montauban und Toulouse und damit im protestantischen ›Kernland‹. 58  Cf. Elisabeth Labrousse, »Conversion dans les deux sens«, in: Donville, Conversion, 161–172, Diskussion 172–177, hier 171. Zur Situation in Mauvezin cf. auch Kapitel 2. 55.

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säkulare, das heißt familiäre und / oder finanzielle Argumente für die Entscheidung zum Konfessionswechsel ausschlaggebend:59 Beweggründe also, die in einem von der aufnehmenden Glaubensgemeinschaft oft geforderten offiziellen Konversionsbericht selbstverständlich verschwiegen wurden – was erneut die Frage nach der sincérité derartiger Berichte aufwirft. Tatsächlich steht eine systematische Untersuchung eben dieser récits de conversion bis dato aus. Zwar hatte Louis Desgraves bereits in den 1980er Jahren in sehr verdienstvoller Weise ein Répertoire des ouvrages de controverse entre Catholiques et Protestants en France (1598–1685)60 zusammengestellt, das auch eine große Anzahl von Textzeugnissen enthält, die einen Konfessionswechsel dokumentieren, eine Auswertung dieses Materials sowie weiterer, von Desgraves nicht erfasster Texte, hat bisher – vielleicht aufgrund der herrschenden Meinung über die Gegebenheiten ihrer Entstehung – kaum stattgefunden. Dies ist umso erstaunlicher, da Desgraves selbst im Rahmen des colloque in Marseille die Bedeutung dieser Quellengattung unterstrichen und denkbare Interpretationsansätze skizziert hatte: Mais cette description ne fait qu’effleurer le sujet proposé […]. Il conviendrait en effet, après avoir décrit ces documents, d’étudier en premier lieu le vocabulaire utilisé dans les titres, de relevér les mots les plus souvent utilisés, de noter aussi, au fil des ans, l’apparition des termes nouveaux dont l’utilisation est liée à l’évolution des mentalités. Il faudrait, ensuite, analyser le contenu même des textes, la variété des arguments mis en avant ou leur répétition, […]61

Dieser Vorstellung von Desgraves, der die Berichte über Konfessionswechsel als Teil einer Tradition sieht, bei der den sich wiederholenden mots und arguments ebenso viel Aussagekraft innewohnt wie der »apparition des termes nouveaux«, entspricht auch die Vorgehensweise von Yves Krumenacker, der im bereits erwähnten Kongressband von 2003 für die Analyse des Konversionsberichts eines »négociant protestant«62 aus dem 18. Jahr59  Cf. dazu Labrousse, Conversion, in: Donville, Conversion, 170: »Dans une telle optique, on s’explique sans peine que des considérations non religieuses – un mariage bien assorti ou avantageux, par exemple, ou, pour un enfant, un parrainage utile ou tous simplement, requis par les usages – puissent déterminer un passage dans l’autre confession«. 60  Erschienen 1984 / 1985 bei Droz in Genf. Das répertoire gilt bis dato unter Forschern als Referenzwerk. 61  Louis Desgraves, »Un aspect des controverses entre catholiques et protestants, les récits de conversion (1598–1628)«, in: Donville, Conversion 89–106, Diskussion 106–110, hier 105. Desgraves schied Ende der 80er Jahre aus dem Berufsleben als Bibliothekar. Für entsprechende Studien fehlte ihm also die Zeit. 62  Yves Krumenacker, »François Vernet. La conversion d’un négociant protestant«, in: Nicolas Brucker (ed.), La conversion. Expérience spirituelle, expression littéraire. Actes du colloque de Metz (5–7 juin 2003). Bern e. a.: Lang 2005, 81–100, Titel.

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hundert auf entsprechende Texte aus dem vorausgehenden Jahrhundert zurückgriff »pour mieux le comprendre«.63 Eine andere Bewertung von Tradition und Kontinuität bot Alain Cullière im gleichen Band: Er schloss seinen Beitrag »Écrire la conversion au temps de la Réforme et de la Contre-Réforme« mit der resignierten Feststellung: »[…] il est difficile de parler d’une écriture originale de la conversion aux XVIe et XVIIe siècles«.64 Diesem zweifelhaften Wunsch nach originalité ist dann vermutlich auch die intensive Auseinandersetzung der literaturwissenschaftlichen Forschung mit den Zeugnissen von conversio in den folgenden Jahrhunderten geschuldet. Interessanterweise verhält sich nämlich die wissenschaftliche Beachtung dieses Phänomens genau umgekehrt proportional zu dessen sozialen und gesellschaftlichen Impetus. Während derlei Texte aus dem 18.–20. Jahrhundert mittlerweile Gegenstand intensiver historischer aber vor allem literaturwissenschaftlicher Forschung geworden sind, wurde entsprechenden Zeugnissen aus dem 16. und 17. Jahrhundert bisher weitaus weniger Aufmerksamkeit gewidmet. Stehen letztere allgemein unter ›Stereotypieverdacht‹, werden die neueren Texte vielmehr als individuelle Zeugnisse einer tiefgreifenden persönlichen Erfahrung verstanden, eine Lesart, der durch das verstärkte Interesse, das seit einigen Jahren dem Ich, das heißt dem Subjekt respektive den Formen der Subjektivierung entgegengebracht wird, deutlich Vorschub geleistet wird, die aber bei näherem Hinsehen den Eigenheiten der literarischen Form Konversionsschrift nicht gerecht wird. Dem Verfasser eines récit de conversion liegt nicht daran, dem Leser Aufschluss über die Identitätsentwicklung seines zwar in der Gesellschaft und in der Geschichte verankerten, aber dennoch autonomen Ich zu geben.65 Im Mittelpunkt eines Vernet, in: Brucker, Conversion, 83. Cullière, »Écrire la conversion au temps de la Réforme et de la ContreRéforme«, in: Brucker, Conversion, 43–53, hier 52. Auf diese Schwierigkeit im Umgang mit den Konversionsschriften des 17. und 18. Jahrhunderts weist Cuillière im Laufe seines Artikels wiederholt hin, cf. auch »Il y a toujours dans la conver­sion autant de discours que de postures« (ibid., 45). Auch Didier Boisson, der in einer sehr aktuellen Studie »itinéraires d’écclésiastiques convertis au protestantisme« nachzeichnet (cf. Consciences en liberté? Paris: Champion 2009), beklagt in Hinblick auf die von ihm untersuchten récits de conversion den Rekurs der Verfasser dieser Berichte auf immer gleiche Modelle sowie deren Tendenz, die Chronologie der Ereignisse zu verschweigen (ibid. 26 / 27). 65  Cf. dazu die Definition von »Autobiographie« beispielsweise im Literaturwissenschaftlichen Wörterbuch für Romanisten (LWR), (ed. Rainer Hess e. a., Tübingen, Basel: Francke 42003), Lemma: Autobiographie. Dezidiert gegen ein Verständnis von (frühneuzeitlichen) Konversionsschriften als Zeugnis von Individualität bzw. von dessen Wandel oder Werden spricht sich auch Ute Lotz-Heumann im Kontext ihrer Studie »Konversionserzählungen im frühneuzeitlichen Irland zwischen »kommunikativem Muster« und »Individualität« aus (in: eadem / Jan-Friedrich Mißfelder / Matthias Pohlig (ed.), Konversion und Konfession in der frühen Neuzeit. 63  Krumenacker, 64  Alain

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Konversionsberichts steht das Wirken der göttlichen Gnade66 – und damit eben kein autonomes Ich, sondern ein Mensch in seinem Verhältnis zu Gott.67 Ein Bericht über eine Konversion ist immer auch ein Beweis des Wirkens dieser Gnade inmitten einer mehr oder weniger säkularisierten Welt. Das Zeugnis und nicht etwa die Persönlichkeitsentwicklung des Konvertiten – die natürlich auf einer zweiten Ebene gleichfalls Vorbildcharakter hat und damit Appell zur conversio sein kann – macht den vornehmlichen [Gütersloh]: Gütersloher Verlagshaus 2007, 517–545, hier 525–533). Dass die Diskussion um die Möglichkeit einer Interpretation frühneuzeitlicher conversio-Berichte als Erweis individueller Glaubenserfahrung weiter anhält, zeigt der von Maria Cristina Pitassi und Daniela Solfaroli Camilocci herausgegebene Band: Les modes de la conversion confessionelle à l’époque moderne. Autobiographie, altérité et construction des identiés religieuses. Florenz: Olschki 2010 – vor allem in Verbindung mit der von Jan-Friedrich Mißfelder verfassten Rezension des Werks, in der er sehr deutlich den ›Finger auf die Wunde‹ legt. So beginnt er seinen Text mit den Worten: »Ein Gespenst geht um in der Konversionsforschung: das Gespenst des Individuums. Konversionen, so zumindest die tendenzielle einhellige Meinung neuerer Religionssoziologie, seien als bewusste Glaubensentscheidungen religiös suchender Individuen zu begreifen. […] Wo, wenn nicht hier, sei das glaubende Individuum besser zu greifen? Was aber, wenn sich die Individuen dem analytischen Zugriff strukturell entziehen, wie es Gespenster nun einmal zu tun pflegen? Die frühe Neuzeit kann in dieser Hinsicht als eine besonders gespenstische Epoche gelten, in der ein modernes Selbst, das individuelle Glaubensentscheidungen zu treffen in der Lage wäre, allenfalls in Ansätzen auszumachen ist« und macht so auf die Problematik des gewählten Ansatzes aufmerksam. In welchem Maße er eine Interpretation von Konversionsberichten als Zeugnis von Indivdualität ablehnt, zeigt zudem die Struktur seiner Rezension, kommt er doch, nach manch lobenden Worten zur Introduction von Solfaroli Camilloci sowie zu einzelnen Beiträgen noch einmal auf seinen Hauptkritikpunkt zurück: Er schließt mit dem – berechtigten – Hinweis, es dränge sich nach der Lektüre des Bandes »der Gedanke auf, ob die beharrliche Frage nach dem Individuum im frühneuzeitlichen Konvertiten nicht vielleicht einfach falsch gestellt ist«. Rezension einsehbar unter http: /  / www.per spectivia.net / content / publikationen / francia / francia-recensio / 2011-4 / FN / pitassi_ missfelder (23.08.2013). 66  Nicht umsonst bezeichnete Räß seine Konvertitenbiographik als »Monumentum gratia Dei«, Räß, Convertiten, vol. I, VII. Cf. auch ibid., IX: »Wir haben es uns dabei zur ersten Aufgabe gestellt, wo die autobiographischen Mittheilungen fehlten, die Lebensgeschichte des Convertiten so treu als möglich und mit Benützung der besten Quellen zu geben. Den eigentlichen Gang des Lebensweges und die besondere Führung Gottes darin, darzustellen, mußten wir uns vor allem angelegen sein lassen« sowie Lamping, Menschen, 20, »Eine Konversion ist mehr als eine Schlußfolgerung. Sie ist eine geheimnisvolle Wirkung der göttlichen Gnade«. 67  Die Ausrichtung der Konversionsschriften auf das Wirken der grâce divine legt nahe, den bereits angesprochenen Rekurs zahlreicher Konvertiten auf die parabole du fils prodigue nicht nur durch die Parallelisierung ihrer Situation mit dem zurückkehrenden Sohn zu erklären. Es ist nämlich gleichfalls möglich, den Fokus weniger auf den Heimkehrer als vielmehr auf den gütigen, verzeihenden Vater zu richten. Cf. dazu infra, Kapitel 1.a).

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›Wert‹ derartiger Texte für den Konvertiten selbst sowie besonders für den Leser und damit auch für die ›neue Glaubensgemeinschaft‹ aus.68 Auch sind die Berichte über Konversionen auf ein immer gleiches, klar abgestecktes Ziel und einen Höhepunkt, eben die conversio, ausgerichtet, was sich notwendig auf die Gestaltung des Gesamttextes auswirkt. Die Verfasser von récits de conversion waren sich dieser Schwierigkeit durchaus bewusst. So riet Jacques Maritain seinem ami spirituel Léopold Levaux während dieser an seinem Konversionsbericht69 arbeitet: Tu dois tous revoir sévèrement, en ne laissant pas passer une virgule qui ne soit dans la perspective catholique. C’est à chaque instant que la vérité doit être, sinon explicitement formulée par mode de réflexion […] au moins explicitement suggérée par mode de représentation et de composition […]. Il faut si je puis dire, sacrifier ici la sincérité du récit à la sincérité plus haute de l’âme en possession du vrai,70

und kennzeichnete auf diese Weise die Problematik einer autobiographischen Lektüre von Konversionsberichten. Nun lässt sich zwar keinesfalls leugnen, dass auch die meisten sogenannten Autobiographien von Rousseau, Vico, Unamuno oder De Almeida – um nur einige bekannte Vertreter autobiographischen Schreibens im romanischen Sprachraum zu nennen – einer bestimmten Intention folgend geschrieben wurden, die Frage nach ihrer 68  Zur Propagandafunktion von Konversionsberichten cf. supra, 18 sowie ausführlich Kapitel 3.c) und 4. Dass conversiones auch heutzutage noch als ›Werbung‹ fungieren können, zeigt beispielsweise der im August 2010 in der Welt erschienene Artikel über die conversio des neuen Regierungssprechers von Angela Merkel, Steffen Seibert, zum Katholizismus (Jörn Lauterbach, »Merkels neuer Verkäufer« (17.08.10)) oder der Bericht über die Hochzeit im Hause des Steakhouseketten­ besitzers Eugen Block (Anonym, »Jawort im siebten Jahr« (Rubrik: Leute von Welt), in: Die Welt 23.08.10). Um Dirk Block heiraten zu können war die zukünftige Braut – der Tradition des katholischen Familienunternehmens entsprechend – zum Katholizismus übergetreten. Ob auch der Verfasser des Artikels über die conversio eines Kieler Politikwissenschaftlers (Anonym, Vom Atheismus zur Audienz bei Benedikt. Taufe Ostern 2008, in: Kieler Nachrichten (02.10.10)) propagandistische Zwecke erfüllen und Werbung für die aufnehmende Religionsgemeinschaft machen wollte, bleibt allerdings fraglich. Motivation des Zeitungsberichts war wohl eher die ›Kuriosität‹ des eingeschlagenen Weges. 69  Cf. Léopold Levaux, Quand Dieu parle. Paris: Bloud et Gay 1926. Schon der gewählte Titel macht deutlich, dass hier weniger die Person des Konvertiten, sondern vielmehr dessen Verhältnis zu Gott, der ihn rief, im Vordergrund steht. 70  Brief von Jacques Maritain an Léopold Levaux (15.02.1925), in: Achille Ledent, L’itinéraire spirituel de Léopold Levaux. Lille: PUL 1971, XV. Levaux kehrte 1913 zum Katholizismus, seiner religion de l’enfance, zurück. Zum Verhältnis der Korrespondenten, cf. Philippe Van den Heede, »Léopold Levaux – Jacques Maritain: une fraternelle affection«, in: Cahiers Jacques Maritain 42 (2001), 23–46, passim. Der Autor des Artikels bezeichnet den langen, und deshalb hier nur in Auszügen zitierten Brief gar als »véritable traité sur le récit de conversion« (ibid., 40).

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veracité also immer im Lichte von Entstehungszeit und Autorpersönlichkeit gesehen werden muss. Nichtsdestotrotz variieren die genannten Aspekte von Text zu Text, weshalb man wohl grundsätzlich von einer ähnlichen Orientierung all dieser Schriften – eben auf die Darstellung der Entwicklung eines Ich und damit oft verbunden der Gestaltung eines mythe personnel – gesprochen werden kann, die formale und inhaltliche Spannbreite bei der Umsetzung dieses ›Grobziels‹ aber, anders als bei Konversionsschriften, beträchtlich ist. Der Autobiograph greift zur Feder um seine Individualität herauszustellen, der Konvertit, wenn überhaupt, um Gemeinschaft – communio – herzustellen. Wie bereits angedeutet, ging es letzterem, wenn er sich denn bereitfand, seine Erfahrungen zu veröffentlichen, vorrangig um die Verbreitung der christlichen Botschaft und damit verbunden um die Unterstützung sowohl weiterer Konversionswilliger als auch der neuen Gemeinschaft. Jedwede Stilisierung der eigenen Person oder gar der Wunsch nach schriftstellerischer Anerkennung, wie es oftmals autobiographischem Schreiben zugrundeliegt, können als Motivation für das Verfassen von Konversionsberichten demnach weitgehend ausgeschlossen werden.71 Die Idee zu einer 71  Eine solche Stilisierung der eigenen Person ebenso wie des ›Bekehrungsmoments‹ lässt sich hingegen bei Rousseau konstatieren: Von seiner illumination auf dem Weg nach Vincennes, wo er 1749 Diderot zu besuchen beabsichtigte, berichtete der Autor wiederholt in seinen Werken: in einem Brief an Malesherbes (12.01.1762), in den Confessions sowie in seinen beiden Alterswerken Rousseau, juge de Jean-Jacques und Les Rêveries du promeneur solitaire. Von der üblichen Zurückhaltung eines Konvertiten ist hier nichts zu bemerken, im Gegenteil: Rousseau bediente sich in seinen Schilderungen zwar eindeutig des Bildinventars von Konversionsberichten und zog mit der Beschreibung seines Erlebnisses ausgerechnet im achten Buch seiner Confessions auch eine klare Parallele zur conversio von Augustinus, dessen »tolle-lege«-Episode gleichfalls in Buch VIII der Confessiones verortet ist (cf. dazu Kapitel 4.), wies die illumination de Vincennes aber sonst als säkulares Inspirationserlebnis mit umwälzender Bedeutung für sein Leben und seine schriftstellerische Karriere aus: Cf. zum Beispiel »[…] je devins auteur presque malgré moi« (Seconde lettre à M. le président de Malesherbes, in: Jean Jacques Rousseau, Œuvres complètes I. Les confessions. Autres écrits autobiographiques. Edition publiée sous la direction de Bernard Gagnebin et Marcel Raymond. Paris: Gallimard 1959, 1134–1138, hier 1136), ähnlich »A l’instant de cette lecture (i. e. der Lektüre des Mercure de France, in dem er die Preisfrage der Académie de Dijon entdeckte, die ihn zum Discours sur les sciences et les arts anregte), je vis un autre univers et je devins un autre homme«, (Les Confessions, in: Rousseau, OC I, 5–616, hier 351). Die Rückbindung an die religiöse Tradition der conversio, die zu Lebzeiten von Rousseau in den Köpfen der Menschen noch durchaus präsent war, ist hier strategischen Überlegungen geschuldet, die conversio von Vincennes ein wohlüberlegtes literarisches Konstrukt, dessen Faktizität letztlich unerheblich ist. Rainer Zaiser, der in seiner Studie zur Epiphanie in der französischen Literatur […] (Tübingen: Narr 1995) der Funktion der illumination de Vincennes im Werk von Rousseau nachspürt und auch die rege Forschungsdebatte zu diesem Thema zusammen-

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solchen Schrift beruhte zudem auch im 19. und frühen 20. Jahrhundert wohl nur selten auf einer individuellen, vollständig unabhängigen Entscheidung.72 Tatsächlich ist die Existenz zahlreicher Berichte dieser Jahre im Wesentlichen zwei Initiativen zu verdanken: der von Agathon organisierten Um­ frage Les jeunes gens d’aujourd’hui, deren Ergebnisse 1913 in einem Dokumentationsband veröffentlicht wurden, sowie der enquête des Dominikanerpaters Barge, über die »signes d’une renaissance catholique dans la jeunesse contemporaine«73, die er durch eine Serie von Konversionsberichfasst (cf. ibid., 104–134), bezeichnete sie deshalb zu Recht als »literarische Fiktion im autobiographischen Diskurs« (126). Iris Wenderholm sprach in Bezug auf Rousseau und seine conversio gar von »purer Erfindung und self-fashioning« (»Die Tränen der Reflexion oder eine Konversion im Park«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 22 (17.  Januar 2010), 4). Es ist dementsprechend nur konsequent, dass die Wende von Rousseau in den Werken von Heidrich oder Baden nicht behandelt wird. Ähnliches gilt für die conversio von Chateaubriand. Auch er berichtete im Vorwort zum Génie du christianisme […] und erneut in den Mémoires d’outre tombe von einem Bekehrungserlebnis, das bereits von seinen Zeitgenossen angezweifelt, derweil von der Forschung als Legende entlarvt worden ist (Cf. Zaiser, Epiphanie, 160–163). Das bedeutet jedoch nicht, dass eine conversio zur foi de l’enfance nie stattgefunden hat. Die Korrespondenz des Autors mit Fontanes und La Harpe ebenso wie der Tenor des Génie du Christianisme bezeugen vielmehr das Gegenteil (Cf. Marc Fumaroli, Chateaubriand, Poésie et Terreur. Paris: Editions de Fallois 2003, 370 sowie erneut Zaiser, Epiphanie, 157s). Anders als von Chateaubriand angegeben, scheint diese aber eher langsam und stetig als plötzlich vonstatten gegangen zu sein (cf. »Ces deux voix sorties du tombeau […] m’ont frappé. Je suis devenu chrétien. […] j’ai pleuré et j’ai cru«; François René de Chateaubriand, Génie du Christianisme, in: idem, Essais sur les révolutions. Génie du Christianisme ou beautés de la religion chrétienne. Texte établi, présenté et annoté par Maurice Regard. Paris: Gallimard 1978, 459–1367, hier 1282 (appendice: Préface de 1802). Der Autor gestaltete seine Konversion in einer Weise um, die einerseits die besondere Bedeutung des Ereignisses für ihn deutlich herausstreicht, andererseits dem Sinn seiner ›romantischen‹ Leserschaft für alles Übernatürliche, Mystische entgegenkommt. Wie bei Rousseau erweist sich die Integration des Bekehrungserlebnisses – zumindest in formaler Hinsicht – als literarische Strategie im Rahmen eines autobiographischen Konzepts). 72  Huysmans, dessen conversio allgemein auf die frühen neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts datiert wird, also zwischen der Publikation von La bàs (1891) und La haut / En route (1895), hat seinen itinéraire spirituel ›lediglich‹ fiktional verarbeitet – dies aber durchaus freiwillig. Ein expliziter Bericht über sein Bekehrungserlebnis liegt hingegen nicht vor, ließe sich aber aus zahlreichen Briefen an Freunde und Wegbegleiter rekonstruieren. Cf. dazu Marc Smeets, Huysmans l’inchangé. Histoire d’une conversion. Amsterdam: Rodopi 2003, 55–90 sowie die »Préface« von Dominique Millet in: Joris-Karl Huysmans, En route. Edition présentée, établie et annotée par Dominique Millet. Paris: Gallimard 1996, 7–49, passim. 73  Cf. Père Barge OP, Présentation, Revue de la Jeunesse, 10 / 1913, dazu Gugelot, Conversion, 229 / 230. Agathon sah die Initiative von Père Barge als Reaktion auf die eigene Untersuchung, cf. Agathon, Les Jeunes, 203.

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ten illustrierte, publiziert in den Jahrgängen 1913 und 1914 der Revue de la Jeunesse. Während aber Massis und De Tarde, so die Namen der jungen Männer, die sich hinter dem Pseudonym Agathon verbergen74, darauf verzichteten, die Ergebnisse ihrer Initiative im Wortlaut zu veröffentlichen, sondern stattdessen Synopsen aus ihrer eigenen Feder boten, war es dem Verantwortlichen der Revue de la Jeunesse, Pater Barge, daran gelegen, Konversionsberichte in toto und aus der Hand des Konvertiten selbst zu publizieren. Mag die Vorgehensweise von Agathon heutzutage problematisch erscheinen75 – 74  Informationen zu Massis bieten zum Beispiel Hermann Platz, Geistige Kämpfe im modernen Frankreich. München: Kösel und Pustet 1922, 187 sowie Raïssa Maritain in Maritain, Amitiés, 382 / 383. Maritain, die in den zwei Jahren vor Ausbruch des ersten Weltkriegs regelmäßig mit Massis zusammengekommen war, berichtete ausführlich über Genese und Inhalt der Agathonumfrage: »Massis nous parla aussi de l’enquête que lui et G. (sic!) de Tarde avaient conduite en 1912 auprès de la jeune élite intellectuelle de France sur ses tendances principales, et publiée dans l’Opinion sous le nom d’Agathon. Les conclusions de cette enquête furent ensuite réunies en volume, accompagnées des témoignages eux-mêmes qui les avaient motivées, et des lettres qu’elles avaient suscitées« (ibid., 383 / 384) Auf den folgenden Seiten referiert Maritain die Umfrageergebnisse, dabei gelegentlich wörtlich den Originaltext zitierend (cf. ibid., 384–389). 75  Cf. dazu ausführlich die Présentation von Jean-Jacques Becker in: Agathon (Henri Massis / Alfred de Tarde), Les jeunes gens d’aujourd’hui. Paris: BNF 1995, 7–40, passim. Becker stellte in seiner Einführung die aus heutiger Sicht zahlreichen Schwachstellen der Umfrage heraus: »En réalité, entre l’enquête d’Agathon et une véritable enquête ou un sondage, il y a une immense différence. Agathon n’est pas démocrate. Il ne croit pas à l’intérêt de ce que pense l’ensemble de la jeunesse, il croit que les intellectuels mènent le monde« (ibid., 12, Hervorhebung von Becker). »Il n’est pas question de soupçonner l’honnêteté, la bonne foi d’Agathon, mais leur mode de raisonnement les conduisait mécaniquement à cette sorte de tromperie. Leur échantillon est non seulement limité, mais très sélectionné« (ibid., 14). »Henri Massis et Alfred de Tarde n’ont pas soumis aux lecteurs les réponses obtenues au cours de leur enquête. Ils estimaient que, présentées ainsi, elles n’auraient présenté qu’une suite d’opinions incohérentes et contradictoires. Il fallait en quelque sorte organiser les réponses et la documentation qu’ils avaient rassemblée. Dans ces conditions, on ne peut s’empêcher de penser que l’opinion des auteurs a dû modeler les propos de leurs interlocuteurs« (ibid., 22). Dass diese Aspekte kritikwürdig sind, ist nicht zu leugnen. Bedenkt man aber die Propagandawirkung, die einer thematisch in vorliegender Weise gelagerten Umfrage notwendig inhärent ist – es geht neben der religiösen Orientierung der jeunes gens auch um deren »vie morale, foi patriotique« und »réalisme politique« (Agathon, Les jeunes, Kapitelüberschriften) – wird deutlich, dass hier ein Gesamtkonzept vorliegt, das sich hinsichtlich der Präsentation einer aufkommenden renaissance catholique und den damit verbundenen conversiones nicht von anderen Initiativen unterscheidet. Die Idee, die Reaktionen auf die Publikation der Umfrageergebnisse in L’Opinion zusammen mit diesen im Dokumentationsband zu veröffentlichen, vermittelt der Leserschaft zudem den positiven Eindruck von Offenheit und Wunsch nach Objektivität – was jedoch gleichfalls als

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aus Sicht eines in Bezug auf sein conversio-Erlebnis wenig mitteilungsfreudigen Konvertiten hat die von Massis und De Tarde gewählte Form einige Vorteile: Hier wird nämlich ohne Angabe des Namens der Betroffenen, in dritter Person Singular und Einzelerfahrungen großzügig zusammenfassend, von der Rückbesinnung auf religiöse Werte innerhalb der jungen Generation berichtet und angegeben, dass diese Tendenz in vielen Fällen in einer conversio zum Katholizismus mündet: Leur sentiment religieux a besoin d’une armature nette et définie où insérer sa vivante richesse, il tend à une discipline pour assurer sa liberté, il accepte les positions traditionnelles parce qu’elles lui semblent offrir un ›cadre merveilleux d’ampleur et de souplesse pour accueillir et organiser les découvertes du présent‹. C’est le goût de la vie, le besoin de réaliser une existence pleine et active, et non pas la désespérance, le manque de courage et de joie qui les guide vers la foi. Ils ne cèdent pas ›au vertige du néant divin‹, ils ont seulement besoin d’un appui solide pour leur vie. […] A ces jeunes réalistes, il faut ›la stabilité, la profondeur, l’inépuisable richesse de la religion‹. Le catholicisme leur apparaît moins comme un système de philosophie spéculative que comme une règle, une doctrine d’action morale et sociale.76

Agathon bot seinen ›Mitarbeitern‹ die Möglichkeit, Zeugnis vom Wirken Gottes in der Welt abzulegen, ohne aus der Anonymität treten zu müssen und auf diese Weise möglicherweise Probleme in Familie oder Freundeskreis heraufzubeschwören.77 Auch wenn gelegentlich Namen bekannter Konvertiten wie Maritain und Psichari als Unterstützer der Initiative fallen78, scheint Agathon mehr auf die Quantität79 denn auf die Qualität der Berichte gesetzt zu haben, büßen diese durch die unpersönliche und verallgemeinernde Darbietungsform doch einiges an emotionaler Schlagkraft ein.80 propagandistischer Schachzug gewertet werden kann: Agathon druckte nicht jeden Kommentar, sondern wählte diese gezielt aus bzw. bat von vorneherein bestimmte Personen um eine témoignage (cf. Becker, Présentation, 29, sowie Maritain, Amitiés, die aber auch darauf hinweist, dass »les conclusions (d’Agathon) furent reconnues exactes en dehors des milieux catholiques« (386)). 76  Agathon, Les jeunes, 104 / 105. Die Passagen in Anführungszeichen wurden den Originalzeugnissen der Befragten entnommen und von Agathon in vorliegender Weise zusammengefügt – was eventuell auch den steten Wechsel im Gebrauch von dritter Person Singular und Plural erklärlich macht. 77  Die Entscheidung für diese Arbeitsweise mag auch in der Tatsache begründet sein, dass Massis – selbst Konvertit – die Befürchtungen mancher Glaubensgenossen, mit ihrem Bekenntnis an die Öffentlichkeit zu treten ebenso wie ihre Hemmung, sehr persönliche Erlebnisse mitzuteilen, sehr gut nachvollziehen kann und deshalb versucht, ihnen ›goldene Brücken‹ zu bauen. 78  Cf. zum Beispiel Agathon, Les jeunes, 106, sowie passim. 79  Cf. die Darstellung der Heimkehrer in die Kirche als »großes Heer«, Holtz, Konversionen, 61.

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Anders Pater Barge! Der Verantwortliche der Revue de la Jeunesse81 wandte sich Anfang des Jahres 1913 an zahlreiche Freunde und Bekannte, von denen er wusste, dass diese eine conversio-Erfahrung gemacht hatten und bat sie, ihm ihren Konversionsbericht für die Veröffentlichung in seiner Zeitschrift zur Verfügung zu stellen. Wie zu vermuten war, stieß Père Barge mit seinem Anliegen zunächst auf wenig Gegenliebe: So antwortete ihm beispielsweise Claudel: 80

Mon révérend Père J’ai reçu votre lettre par laquelle vous me demandez de vous envoyer le récit de ma conversion. Je vous l’avoue, à tout autre que vous, je l’aurais refusé. Ce sont là de ces expériences intimes qu’on préfère en général réserver pour soi. Mais du moment où vous pensez que cette relation peut servir au salut des âmes, je ne me trouve pas le droit de vous la refuser.82

Und vier Tage später: C’est uniquement sur votre demande que je sors du silence ces choses sacrées qu’il est difficile de livrer au public sans faire violence à la pudeur de l’âme. Mais le bien à faire doit naturellement passer avant toute autre considération.83

Ob sich Claudel durch diesen zweiten Brief selbst von der Richtigkeit seines Vorgehens überzeugen wollte oder aber den geheimen Gedanken hegte, P. Barge möge ihm aufgrund seines mehrfach geäußerten Unwohlseins nahelegen, unter diesen Umständen seinen Bericht nicht zu veröffentlichen, kann nicht mehr eindeutig geklärt werden. Was aber aus der Korres­ pondenz eindeutig hervorgeht, ist das große Vertrauen in die modellhafte Wirkung einer conversio und die Hoffnung, durch das Publikmachen einer solchen etwas zum Heilsplan Gottes beizutragen, Aspekte, die schließlich alles andere zur Nebensache machen.84 80  Aufgrund dieser nur mittelbaren Übertragung der conversio-Erfahrungen, bietet Agathon für eine literaturwissenschaftliche Analyse nur wenig verwertbares Primärmaterial, aber einige Sachinformationen. 81  Die Zeitschrift wurde 1909 von dem Dominikaner Père Barge als Revue de la Jeunesse gegründet. Als Pater Sertillanges OP 1915 die direction übernahm, änderte er den Titel in Revue des Jeunes. Paul Claudel, Correspondance de Paul Claudel avec les ecclésiastiques de son temps. Le sacrement du monde et l’intention de Gloire, vol. I. Correspondance éditée par Dominique Millet-Gérard. Paris: Champion 2005, 82. 82  Brief von Claudel an Père Barge (s. l., 15.07.1913), in: Claudel, Correspondance avec les ecclésiastiques, 83. 83  Brief von Claudel an Père Barge (s. l., 19.07.1913), in: Claudel, Correspondance avec les ecclésiastiques, 84. 84  Die angesprochene Problematik durchzieht die gesamte Korrespondenz der beiden Briefpartner. Nachdem Claudel im November erneut betont hatte, welche »souffrance« es bei ihm auslöste zu wissen, dass nun »ces choses délicates« überall bekannt sind (Brief von Claudel an Père Barge (Hamburg., 27.11.1913), in: Claudel,

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Aus dieser Überzeugung heraus wurde Claudel zum vehementen Förderer der Initiative von Père Barge. Seine weitverzweigten Kontakte nutzte er, um weitere Berichte einzuwerben. An Louis Massignon schrieb er: Cher ami, Le R. P. Barge, dominicain, directeur de la Revue de la Jeunesse, publie en ce moment une série de récits de conversions. Il m’a demandé celui de la mienne, que je n’ai pas cru pouvoir lui refuser, malgré ma vive répugnance. Il paraît que ces écrits emportent avec eux une grande force de conviction et d’entraînement. Ne pourriez-vous donner au P. Barge la relation de votre conversion, qui est une des plus étonnantes que je connaisse […]? Je vois d’ici votre sursaut et sais d’avance ce que vous allez me répondre. Mais auriez-vous strictement le droit de répondre par un refus à une demande qu’on vous ferait? Croyez-vous que ce soit uniquement pour vous que vous avez été converti?85

Insbesondere der letzte Satz verweist erneut einerseits auf die gemeinschaftsstiftende Kraft einer Konversionsschrift, andererseits auf das Wirken der göttlichen Gnade, die stärker als der Konvertierende selbst im Mittelpunkt des Interesses steht.86 Der Kampagne von Père Barge – und Claudel – war im Allgemeinen großer Erfolg beschieden: Zwischen Oktober 1913 und Mai 1914 erschienen gut zehn Texte, in denen die Verfasser von ihrer conversio berichteten, unter ihnen so bekannte Männer wie Jammes, Rivière oder eben Claudel, aber auch Personen, die erst jetzt, im Zusammenhang mit ihrer conversio, ans Licht der Öffentlichkeit traten.87 Zwar lässt sich im Einzelnen nicht immer nachvollCorrespondance avec les ecclésiastiques, 86), teilte ihm Père Barge enthusiastisch mit, dass Claudel das von ihm angestrebte Ziel erreicht, das Leiden sich also gelohnt habe: »Que le récit de conversion ait fait du bien, vous ne pouvez en douter. Depuis plus d’un mois, la plupart des jeunes gens avec lesquels je suis en relation, me disent combien ils ont été remués par vos émouvantes confidences« (Brief von Père Barge an Claudel (Le Saulchoir, 28.11.1913), in: Claudel, Correspondance avec les ecclésiastiques, 87. Für den gesamten Briefwechsel, cf. 81–100). 85  Brief von Paul Claudel an Massignon (Hamburg, 17.11.1913), in: Paul Claudel/Louis Massignon, Correspondance (1908–1914). Correspondance établie et ­annotée par Michel Malicet. Paris: Desclee De Brouwer 1973, lettre 128. Hervorhebung im Original. Der Islamwissenschaftler Louis Massignon kehrte nach einer Vision 1908 zum katholischen Glauben, seiner foi de l’enfance, zurück. Zum Leben von Massignon cf. die »Introduction« von Malicet, ibid, 9–44, hier 9–12 und passim sowie Maritain, Amitiés, 432s. 86  Auch Massignon selbst sah sich, wie andere Konvertiten auch, eher als Objekt denn als Subjekt seiner conversio: »Que j’ai souffert quand Dieu m’a converti! Car j’ai éprouvé que c’était toute ma vie qu’Il voulait à Lui, et qu’aucun de mes actes n’échappait à son Ordre visible, l’Eglise« (Brief von Massignon an Claudel (La Ville-Evêque en Pordic, 28.08.1910), in: Claudel/Massignon, Correspondance, lettre 40). 87  Cf. La Revue des Jeunes 5–12 (10 / 1913–05 / 1914), jeweils passim. Die conversio von Jammes ist beispielsweise unter dem Titel Ma conversion in: La Revue des Jeunes 5 (1913), 92 / 93 zu finden.

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ziehen, ob die Autoren sich spontan zur Kooperation bereiterklärt hatten oder Überzeugungsarbeit geleistet werden musste, die Haltung Claudels sowie die konsequente Absage, die die Mitglieder des Kreises um Maritain und Bloy dem Ansinnen des Dominikanerpaters erteilten,88 mögen ausreichen, um den besonderen Status von Konversionsschriften zu illustrieren und diese deutlich von Formen der écriture de soi abzugrenzen.89 Mehr oder weniger unfreiwillige Veröffentlichung, schematische Ausrichtung auf einen immer gleichen Höhepunkt, Instrumentalisierung von conversiones als Propagandamittel für eine Kirche in Bedrängnis… lässt man die bisher anhand von ›modernen‹ Konversionsberichten zusammengetragenen Merkmale einmal Revue passieren, fällt auf, dass dieser Katalog grundsätzlich auch auf die entsprechenden frühneuzeitlichen Texte anwendbar wäre, hier also eine gewisse Kontinuität zu verzeichnen ist. Dieser Befund wirft die Frage auf, ob eine ähnliche Traditionslinie noch auf anderen Gebieten existiert, etwa hinsichtlich Wortgebrauch und Metaphorik. Auf die Notwendigkeit einer solchen Untersuchung hatte ja bereits Desgraves hingewiesen, allerdings lediglich in Bezug auf Texte, die zwischen dem Erlaß des Edikts von Nantes (1598) und dessen Widerruf (1685) verfasst wurden und – auf der Basis seiner Arbeit an den écrits de controverses – beschränkt 88  Cf. dazu Gugelot, Conversion, 231 sowie Maritain, Amitiés. Im selben Maße wie Claudel versuchte, andere Konvertiten zur Mitarbeit zu bewegen, riet Père Clérissac, einer der geistlichen Begleiter des Maritain-Kreises, seinen Schützlingen davon ab, ihre conversio-Erfahrungen zu veröffentlichen. Cf. dazu zum Beispiel die Aussage von Ernest Psichari: »Le R. P. Clérissac […], a été le premier à me décourager, à me défendre même de prendre la plume« (Ernest Psichari, Lettres du centurion, l’adolescent, le voyageur, le croyant. Introduction de Henriette Psichari. Préface de Paul Claudel Paris: Conard 1933, lettre au Révérend Père Barge, directeur de la Revue de Jeunesse, 13.11.1913, 294–297, hier 295). Ernest Psichari fand unter der Anleitung von Massis, den Maritains und Père Clérissacs 1913 zum katholischen Glauben zurück und fiel kurz darauf als Soldat im ersten Weltkrieg. Zum itinéraire spirituel von Psichari cf. Maritain, Amitiés, 331–380 und passim. Auch Massignon entschied sich übrigens gegen die Veröffentlichung seines Berichts (Cf. Brief von Claudel an Massignon (Hamburg, 24.11.1913), in: Claudel/Massignon, Correspondance, lettre 129). Zur ambivalenten Haltung der Konvertiten gegenüber der Publikation ihrer Erfahrung cf. auch Lamping, Menschen, 17: »Allerdings haben die meisten nur mit großem Widerstreben sich bereit erklärt, ihre Bekehrungsgeschichte zu schreiben. Sie haben es schließlich getan, um Gottes Erbarmungen zu preisen […]«. 89  Dass die Autoren des beginnenden 20. Jahrhunderts sich der Nähe der beiden literarischen Formen und damit auch der Gefahr bewusst waren, bei der Darstellung ihrer conversio in Schemata zu verfallen, die autobiographischem Schreiben eigentümlich sind, beweist ein weiterer Abschnitt des bereits zitierten Briefs von Psichari: »Il est si difficile de ne pas mettre dans ces sortes d’écrits quelques complaisances de soi-même, de ne pas verser dans cette vanité qui s’appelle la psychologie, de rester vraiment dans l’éternel et dans le divin. […]« (Psichari, Lettres, 294 / 295).

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auf Schriften, in deren Zentrum eine conversio im Sinne eines Konfessionswechsels steht. Es stellt sich allerdings die Frage, ob eine solch strikte Unterscheidung von Konversionsschriften, die vom Übertritt von einer Religionsgemeinschaft in eine andere künden und Schriften, in denen conversio im Sinne einer Rückkehr zu einem gottgefälligen Leben thematisiert wird, tatsächlich angebracht ist. Ist es nicht vielmehr denkbar, dass sich die Verfasser von écrit de conversion an bereits vorhandenen Formen respektive deren Anverwandlungen im Reformationszeitalter orientierten und sie für ihre speziellen Belange fruchtbar machten? Wie sähe demnach eine (literarische) Tradi­ tionslinie aus, wollte man sie von der Verarbeitung von conversio-Konzepten im späten 15. sowie frühen 16. Jahrhundert über die konfliktreichen Jahre von Reformation und Konfessionalisierung bis in die Zeit ziehen, in der das Phänomen conversio seinen sozialen und gesellschaftlichen Impetus wieder verliert? Anliegen dieser Studie ist die Erarbeitung der Entstehungsbedingungen, ebenso wie der sprachlichen und stilistischen Eigenheiten der literarischen Form Konversionschrift, die sich aufgrund der historischen Bedingungen für einige Jahrzehnte (ca. 1580–1660) als Parallelerscheinung zu Texten, in denen mit dem Konzept conversio in seiner ursprünglichen Form gearbeitet wurde, entwickeln und behaupten konnte.90 So werden in einem ersten Schritt die Facetten und Wandlungen des Konzepts conversio aufzuzeigen und die Herausbildung der Vorstellung von conversio als Konfessionswechsel aus demjenigen von conversio als Rückkehr zu einem gottgefälligen Leben zu erarbeiten sein. 90  Der Begriff »literarische Form« wird im Rahmen dieser Studie in Anlehnung an dessen Verwendung bei Desgraves und Kappler als Pendant zum französischen »genre littéraire« gebraucht. In einem Aufsatz von 1964 formulierte Desgraves: »la littérature de controverse est peu abondante, pour ne pas dire inexistente, dans cette région tout au moins; c’est particulièrement vrai et pour l’ensemble du royaume, semble-t-il, des écrits de conversion. Il faut que les Eglises rivales se constituent l’une face à l’autre. Le genre se développe ensuite. C’est essentiellement un phénomène du XVIIe siècle« (idem, »Aspects des controverses entre catholiques et protestants dans le Sud-Ouest, entre 1580 et 1630«, in: Annales de Midi 76 (1964), 153–187, hier 155. Emile Kappler stellte am Ende seiner Studie zu den Conférences théologiques entre catholiques et protestants en France au XVIIe siècle (thèse dactylographiée, soutenue à Clermont-Ferrrand en 1980. 2 vols, s. l. s. a.), fest: »Il nous paraît donc possible de les (i. e. les conférences) considérer comme un genre littéraire propre« (ibid., 254) und fügte anschließend in einer Fußnote (n. 28) an: »D’autre écrits de circonstance publiés à l’occasion de la conversion au catholicisme des pasteurs ou des laïcs, sous des titres comme ›Déclarations des causes […] etc‹ peuvent eux aussi être considérés comme constituant un genre littéraire propre, lui aussi mineur, dont l’étude, que nous envisageons, pourrait ne pas manquer d’intérêt«.

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In einem zweiten Schritt sind die gesellschaftlichen und politischen Bedingungen herauszustellen, die eine Ausbildung der literarischen Form Konversionsschrift möglich und nötig machten. Drittens wird die vermeintliche Stereotypie dieser Schriften in Verschränkung mit den Texten, in denen conversio als Rückkehr zu einem gottgefälligen Leben thematisiert wird, nunmehr positiv als langage de conversion gedeutet und deren Fruchtbarkeit im Kontext der historischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten analysiert. Bevor im Folgenden conversio als eines der zentralen Konzepte der christlichen Lehre gekennzeichnet und dessen Verarbeitung in verschiedenen Bereichen kulturellen Lebens herausgestellt wird, seien kurz die methodischen Überlegungen skizziert, auf denen diese Studie fußt. Es gibt wohl nur wenige Abschnitte der Weltgeschichte, zu denen ähnlich viel Tinte geflossen ist, wie zur Periode von Reformation und Konfessionalisierung. Das lässt sich umso sicherer behaupten, da das 16. und 17. Jahrhundert nicht nur aus historischer, sondern auch aus theologischer Perspektive von umwälzender Bedeutung war. Neben den zahlreichen rezenten historischen Überblickswerken existieren heutzutage auch viele theologische, in denen Ablauf und Ursache der Ereignisse sowie deren theologische Dimension aus protestantischem oder katholischen Blickwinkel dargestellt werden. Diesen Arbeiten soll mit vorliegender Studie keine weitere – etwa im Sinne einer Histoire de la conversion aux XVIe et XVIIe – hinzugefügt werden. Auf eine Darstellung des historischen und theologischen Hintergrunds wird stattdessen, wo es möglich ist, weitgehend verzichtet, chronologische Orientierung bieten die in Anmerkung 55 dieses Abschnitts aufgeführten historischen Überblickswerke. Wie anhand der Spanischen Brüder sehr deutlich wurde, hat die Entscheidung zur conversio im Sinne eines Konfessionswechsels im Zeitalter von Reformation und Konfessionalisierung eine ganz andere Tragweite als in der Gegenwart. Erntet ein Konvertit des 20. und 21. Jahrhunderts – ob er nun von einer Glaubensgemeinschaft zu einer anderen übertritt oder sich wieder seines ›alten‹ Glaubens besinnt und diesen fortan offen bekennt – schlimmstenfalls ›schiefe‹ Blicke und Unverständnis, verliert ein Konvertit im 16. oder 17. Jahrhundert oftmals Beruf, Familie und soziales Netzwerk – sogar das Leben – infolge entsprechender obrigkeitlicher Bestimmungen und der existentiellen Angst von Angehörigen und ehemaligen coreligionnaires.91 Vor dem Hintergrund dieser Veränderungen erscheint es angebracht, das Konzept der conversio und deren Manifestation als Konversionsschrift we91  Cf.

dazu ausführlich Kapitel 3.

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niger durch die Brille des 21. Jahrhunderts, sondern vorrangig ›aus ihrer eigenen Zeit heraus‹ zu beleuchten,92 also mit eben den Lehren und Deutungsmustern, die den Menschen der damaligen Zeit zur Verfügung standen.93 Denn nur unter diesem Vorzeichen wird es möglich sein, die litera­ rische Form écrit de conversion in ihrer historischen, theologischen und, wie zu zeigen sein wird, auch literarischen Verankerung im französischen 16. und 17. Jahrhundert greifbar zu machen.

92  Diese Vorgehensweise entspricht im Wesentlichen dem von Francis Goyet in der Introduction zu Les audaces de la prudence als doxographie bezeichneten Ansatz. Cf. Francis Goyet, Les audaces de la prudence. Littérature et politique aux XVIe et XVIIe siècles. Paris: Garnier 2009, 34, cf. auch: »[…] le chercheur doit apprendre à mettre de côté les préoccupations qu’il hérite de sa propre époque: on ne peut rendre compte sereinement d’une autre doxa si on est englué dans la sienne. […] (ibid., 34). 93  Goyet wies zu Recht darauf hin, dass diese Lehren und Deutungsmuster, eben die doxa, nicht unbedingt mit den Erwartungen heutiger Forscher übereinstimmen. Bei der Rekonstruktion von »cheminement de pensée« (Goyet, Audaces, 34) geht es weniger darum, ›Nischenweisheiten‹ und ›Querdenker‹ aufzuspüren, sondern die ­lignes de forces zu entdecken: »Un doxa est plus à chercher dans le centre que dans les marges« (ibid., 35).

Conversio zwischen christlicher Spiritualität und Machtpolitik

1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio Mit dem Appell »Kehrt um und glaubt an das Evangelium!«1 begann Jesus sein öffentliches Wirken in Galiläa; »Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe«2 hatte schon vor ihm Johannes der Täufer gemahnt: Der Aufruf zur Umkehr, conversio3, ist in den Evangelien ebenso wie in der Apostelgeschichte und in zahlreichen Briefen des Neuen Testaments omnipräsent.4 Auch in den alttestamentlichen Texten, vorrangig in den prophetischen Büchern, findet sich immer wieder die Aufforderung, das alte Leben zurückzulassen und ein neues, gottgefälliges zu beginnen.5 ›Schaltstelle‹ zwischen alt und neu ist das Moment der conversio, die – durch Gottes Gnade ermöglichte – persönliche Entscheidung zu Reue und Veränderung aus dem Glauben an den Gott Israels (AT) bzw. Christus (NT) heraus und damit Voraussetzung sine qua non des ›neuen‹ Lebens in der Nachfolge Jesu. 1  Mk

1, 15b, ähnlich Mt 4, 17: »Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe«. 3, 2. 3  Lateinisch conversio bzw. dessen Verbalform convertere umfasst sowohl griechisch μεταμέλομειν (= Abstand nehmen, bedauern) als auch ἐπιοτρέφειν sowie μετανοειν, die beide den Aspekt der (körperlichen) Rück- bzw. Hinwendung zu Gott akzentuieren. μετανοειν wird zudem in der LXX zur Wiedergabe von hebr. niham (einer Sache leid sein) verwendet, ἐπιοτρέφειν entspricht dem hebräischen šub, dem Ruf zur Umkehr der prophetischen Predigt, der ein persönliches Verhältnis zwischen Gott und Mensch bzw. dessen Störung voraussetzt. In den Schriften des Neuen Testaments tritt zum konkret körperlichen Aspekt von sub eine geistige Komponente, willentliche – durch Gottes Gnade ermöglichte – Umkehr wird in den synoptischen Evangelien sowie in der Apostelgeschichte mehrheitlich mit μετανοε ν respektive μετανοια wiedergegeben. Cf. Lothar Coenen / Klaus Haacker e. a. (ed.), Theologisches Begriffslexikon zum Neuen Testament. Wuppertal: Brockhaus, Neukirchen: Neukirchener Verlag 21997, Lemmata: Buße / Bekehrung. In The greek New Testament. Dictionnary (ed. Barbara Aland e. a., Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft 41993), wird μετανοια sehr allgemein als »change of heart, change of ways« gefasst, was der vorliegender Studie zugrundegelegten Definition von conversio als (plötzliche) Wende sehr nahekommt (cf. supra, 22 / 23). Darüberhinaus wird μετανοια gleichfalls im christlichen Sinne durch »turning from one’s sins, repentance« wiedergegeben. Im Johannesevangelium ebenso wie in den Briefen ist conversio an das Moment des plötzlichen Glaubens (πιστειν im Sinne von Vertrauen fassen (cf. πιστός geknüpft, glauben) entspricht dem Erkennen und (gemeinsamen) Bekennen einer (Glaubens)wahrheit, cf. Coenen / Haacker, Begriffslexikon, Lemma: Glaube). 4  Einen Eindruck der tatsächlichen Omnipräsenz des conversio-Themas in den Schriften des Alten und Neuen Testaments vermittelt die Tabelle in Anhang I. 5  Vgl. erneut die Aufstellung im Anhang I. 2  Mt 3.

42 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

Wenn conversio also notwendig am Beginn eines bewussten Lebens als Christ steht, und man davon ausgehen kann, dass sich in einer christlich geprägten Gesellschaft, wie sie ja im Abendland jahrhundertelang existierte, ein jeder im Laufe seines Lebens mit der Frage nach dessen Gottgefälligkeit konfrontiert sah,6 so wird nicht nur die Zentralität des Konzepts conversio für das christliche Selbstverständnis erklärlich, sondern auch dessen bleibende Aktualität. Gerade letztere hat dann wohl auch zahlreiche ›Literaturschaffende‹7, die ja ihrerseits mehrheitlich Christen und damit gleichfalls ›Betroffene‹ waren, dazu angeregt, das Thema conversio in ihren Werken aufzugreifen – sei es in Form eines ›Erfahrungsberichts‹ wie etwa in den augustinischen Confessiones, sei es als Zielpunkt einer spirituellen Handreichung wie es beispielsweise in den Ejercicios Espirituales von Ignacio de Loyola der Fall ist. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts gab es bei Weitem nicht in jedem Haushalt eine Bibel, geschweige denn eine Person, die sie lesen konnte. Zwar nahm die Verbreitung der Heiligen Schrift dank verschiedener Initiativen im Laufe der Zeit ebenso zu wie die Lesefähigkeit großer Teile der Bevölkerung,8 dennoch war die individuelle Lektüre der – volkssprach­ 6  Diese Frage stellte sich – wenn nicht schon vorher – mit aller Dringlichkeit spätestens auf dem Krankenlager oder gar Totenbett beim Empfang der Krankenbzw. Sterbesakramente. Auch wenn diese dazu angetan sind, dem Gläubigen Trost und Vertrauen zu spenden und die Angst vor Tod und Gottesgericht zu lindern, lässt sich nicht leugnen, dass im Laufe der Jahrhunderte – je nach vorherrschendem Gottesbild – die Sündhaftigkeit des Menschen und die Notwendigkeit von conversio sowie bei deren Ausbleiben, ggf. entsprechender Bestrafung, in unterschiedlichem Maße in den Gebetstexten betont wurden (cf. Jean Pourrias e. a.: Les sacrements dans l’histoire: L’onction des malades. Angers: CRER 1989, Leporello, n. p. insbesondere Abschnitt II). 7  Der Ausdruck Literaturschaffende wurde aufgrund seiner semantischen Spannweite gewählt. Er korrespondiert mit dem dieser Studie zugrundegelegten, »weitgefassten Literaturbegriff«, der sich wiederum aus dem »dichterischen Selbstverständnis des 17. Jahrhunderts« ergibt (Stephanie Wodianka, Betrachtungen des Todes. Formen und Funktionen der meditatio mortis in der europäischen Literatur des 17. Jahrhunderts. Tübingen: Niemeyer 2004, 15): Zu dieser Zeit, und ebenso bereits im 16. Jahrhundert sah man sich, ob als Verfasser von wissenschaftlichen Abhandlungen, Erbauungsschriften oder von fiktionalen Texten, als Teil der république des lettres. Cf. dazu Marc Fumaroli, L’âge de l’éloquence. Rhétorique et res literaria de la Renaissance au seuil de l’époque classique. Genf: Droz 32002, 17–34 (Abschnitt  II: Littérature et res literaria), insbesondere 18 / 19. 8  Auch wenn Bernard Roussel in Le temps des Reformes et la Bible (dir. Guy Bedouelle / Bernard Roussel. Paris: Beauchesne: 1989) enthusiastisch schreibt, »A la fin du premier tiers du XVIe siècle, toute personne qui en a les capacités financières et culturelles peut acquérir une Bible, le catalogue des éditions disponibles ne cessant de s’allonger« (»Des lecteurs«, 283–304, hier 283), sollte dies nicht darüber

1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio43

lichen – Bibel9 jahrzehntelang ein Privileg weniger, was nicht zuletzt aus der reservierten Haltung der ›alten Kirche‹ ihr gegenüber resultierte.10 Ort und Moment der Verkündigung des Gotteswortes war damals vorrangig die (sonn)tägliche Messe in der Pfarrkirche:11 Dort wurde die biblische Botschaft – und damit auch der Aufruf zur conversio – übermittelt, erklärt hinwegtäuschen, dass die Zahl derer, die eben über die finanziellen und vor allem kulturellen Mittel verfügten – also lesen konnten – noch gering war, zwar in der Stadt höher als auf dem Land und – mit Beginn der Konfessionalisierung – in protestantischen Kreisen höher als in katholischen (Cf. Jean-François Gilmont, »Réformes protestantes et lecture«, in: Guglielmo Cavallo / Roger Chartier, Histoire de la lecture dans le monde occidental. Paris: Seuil 22001, 267–296, hier 270 / 271). Da aber Bibeln grundsätzlich in drei verschiedenen Formaten, »pour le culte, l’étude, la piété personnelle« und zudem oft auch in Teilausgaben gedruckt wurden, nur AT, nur NT & Psalter & Confession de la Foy, (cf. Roussel, Des lecteurs, 295 / 296), war es meist möglich, eine dem eigenen Geldbeutel angemessene Variante zu finden. 9  Eine Zusammenschau damals greifbarer volkssprachlicher Bibelausgaben bietet Betty Thomas Chambers, Bibliography of French Bibles. French-language Editions of the Scriptures. 2 vols (XVe / XVIe et XVIIe siècle). Genf: Droz 1983 / 1994, passim. 10  Die Frage der Legitimität der Bibelübersetzung in die Volksprache wurde auf dem Konzil von Trient intensiv diskutiert (Cf. dazu ausführlich Herman A. P. Schmidt SJ, Liturgie et langue vulgaire. Le problème de la langue liturgique chez les premiers Réformateurs et au Concile de Trente. Traduction du néerlandais par Suitbert Caron OSB. Rom: Typis Pontificiae Gregorianae 1950, 83–95). Hatte man in Bezug auf die lateinische Übersetzung der Bibel deutlich Stellung bezogen und »haec ipsa vetus, et vulgata editio« (Wohlmuth, Dekrete III / concilium Tridentinum, sessio IV, decretum II) zur einzig autorisierten erhoben, kamen die Konzilsväter hinsichtlich der Frage nach der Übersetzung in die Volkssprache nicht auf einen Nenner – wohl aufgrund der Konkurrenzsituation mit den Reformatoren und der Sorge, die Sympathisanten derartiger Übersetzungen aus den eigenen Reihen in deren Arme zu treiben. Die Entscheidung wurde schließlich vertagt und direkt in die Verantwortung des Papstes und seiner engsten Mitarbeiter gegeben. Diese Kommission gab schließlich den Index librorum prohibitorum heraus. Regula IV des ihm vorangestellten Kriterienkatalogs klärt die Übersetzungsfrage: »Cum experimento manifestum sit, si sacra biblia vulgari lingua passim sine discrimine permittantur, plus inde, ob hominum temeritatem, detrimenti, quam utilitas oriri, hac in parte iuditio Episcopi, aut Inquisitoris stetur: ut cum consilio Parochi, vel Confessarii, bibliorum a Catholicis auctoribus versorum lectionem, in vulgari lingua eis concedere possint, quos intellexerint ex huiusmodi lectione, non damnum, sed fidei, atque pietatis augmentum capere posse: quam facultatem in scriptis habeant.« (Index librorum prohibitorum cum Regulis confectis per Patres a Tridentina Sinodo delectos, auctoritate Sanctiss. D. N. Pii IIII, Pont. Max comprobatus. Rom: apud Paulum Manucium, Aldi F. 1564 (Ed. J. M. de Bujanda: Index de Rome 1557, 1559, 1564. Les premiers index romains et l’index du Concile de Trente. Genf: Sherbrooke 1992). Diese neutrale Formulierung vermochte weder das Kirchenvolk noch die Reformatoren aufzubringen, da hier nichts verboten wurde, aber die Übersetzungen in vulgari lingua dennoch sehr einzuschränken (cf. Schmidt, Liturgie, 95). 11  Darüber hinaus bot sich – besonders in den Städten – regelmäßig die Möglichkeit, den Predigten der Mitglieder von Mendikantenorden beizuwohnen. Cf. dazu

44 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

und ›aktualisiert‹. Weitere Möglichkeiten, mit den entsprechenden Schriftpassagen in Berührung zu kommen und den Appell zur conversio wahrzunehmen, boten Bildkünste und Literatur, vor allem zahlreiche dramatische Werke, die ja ebenso wie ikonographische Zeugnisse auch von einem illiteraten Publikum rezipiert werden konnten. Vor diesem Hintergrund erscheint es angebracht, zur Erarbeitung des im Zeitalter von Reformation und Konfessionalisierung herrschenden Konzepts von conversio weniger die einschlägigen Bibelstellen zu Rate zu ziehen, als vielmehr die Quantität und Qualität ihrer Vermittlung im Rahmen von Gottesdienst, Literatur und Bildkunst in den Blick zu nehmen. Anhand der zu konstatierenden Schwerpunktsetzung und Interpretationen kann anschließend auf mögliche Besonderheiten des Verständnisses von conversio im 16. Jahrhundert allgemein, aber auch in Bezug auf die sich herausbildenden konfessionellen Lager, geschlossen werden. Bevor aber im Folgenden einzelne Texte exemplarisch analysiert werden, gilt es herauszufinden, ob im Frankreich des beginnenden 16. Jahrhunderts ein Aufruf zur conversio überhaupt Gehör finden konnte, im Klerus ebenso wie bei den Gläubigen also ein tatsächliches Interesse an spiritueller Erneuerung – conversio – herrschte. Wirft man einen Blick in die Werke von Historikern wie Delumeau12 und Le Goff13, gewinnt man den Eindruck, dass ein solcher Wunsch nach conversio wirklich vorhanden war, dass das Streben nach einem gottgefälligen Leben das geistliche Klima des späten 15. und frühen 16. Jahrhunderts bestimmte und in zum Teil neuen Frömmigkeitsformen seinen Niederschlag fand.14 Wenn Le Goff aber von einer »religion de la peur et du mérite«15 spricht, wenn von Ablassbriefen, Wallfahrten und Privatmessen die Rede ist, die vorrangig dazu dienten, die Zeit im Fegefeuer zu verringern, wird rasch deutlich, dass derlei ›Umkehr‹ mit dem biblischen conversio-Konzept wenig gemein hat. Während nämlich letzteres wie angeLarissa Taylor, »French Sermons, 1215–1535«, in: Beverly Mayne Kienzle, The sermon. Turnhout: Brepols 2000, 711–758, hier 722. 12  Cf. zum Beispiel Jean Delumeau, La peur en Occident (XIVe–XVIIIe siècle). Paris: Fayard 1978, sowie ähnlich Jean Delumeau, Le péché et la peur. Paris: ­Fayard 1983, jeweils passim. 13  Cf. beispielsweise Jacques Le Goff, Naissance du Purgatoire. Paris: Gallimard 1981, passim sowie die bereits zitierte Histoire de la France religieuse (Le Goff /  Rémond / Lebrun, Histoire, 129ss). 14  Lucien Febvre prägte zur Beschreibung dieses geistlichen Klimas die seitdem viel zitierte Formulierung, vom »immense appétit du divin«, Lucien Febvre, Au coeur religieux du XVIe siècle. Paris: Librairie Générale Française 21983, 52. 15  Le Goff / Rémond / Lebrun, Histoire, 217.

1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio45

sprochen auf einer persönlichen Entscheidung zur Veränderung aus dem Glauben heraus fußt, resultieren die Bußübungen des Spätmittelalters mehrheitlich aus einem verbreiteten Gefühl von Angst und mangelnder Heilsgewissheit.16 Die von der zeitgenössischen Theologie vermittelte Lehre versprach dem Gläubigen zwar grundsätzlich durch das Sakrament der Taufe eine Teilhabe am Gnadenschatz der Kirche, ob und in welchem Maße jedem einzelnen die göttliche Gnade aber tatsächlich zukam, war abhängig von dessen Verhalten, also von Qualität und Quantität der zeitlebens erbrachten guten Werke.17 Die ›fieberhafte‹ Akkumulation eben dieser – sei es in Form von Stiftungen, Prozessionen oder Bußübungen – ist in der beschriebenen Situation ebenso nachvollziehbar wie der Erfolg einer Idee, die eine Alternative zur gängigen Lehre bot und den Christen aus der Ungewissheit eines »Habe ich wirklich genug getan um Gottes Gnade zu bewahren bzw. zu erlangen« befreite!18 Ausgangspunkt dieses neuen Gedankens war, wie Luther rückblickend im sogenannten Selbstzeugnis festhielt, gleichfalls die Sorge um das Heil: Ego autem, qui me, utcunque irreprehensibilis monachus vivebam, sentirem coram Deo esse peccatorum inquietissimae conscientiae, nec mea satisfactione placatum confidere possem, non amabam, imo odiebam, iustum et punientem peccatores Deum.19

Dass Luther mit dieser Problematik anders umging als seine Zeitgenossen, er weder zusätzliche Almosen gab, noch Messen stiftete, um sein Heil zu sichern, sondern sich stattdessen intensiver Schriftlektüre und Medi­ tation widmete, während derer sich schließlich die ›reformatorische Erkenntnis‹20 Bahn brach, ist hinlänglich bekannt und muss deshalb im 16  Cf. Jean Delumeau / Thierry Wanegfellen, Naissance et affirmation de la Réforme. Paris: PUF 102003, 7, sowie Schnyder, Reformation, 19–23. 17  Es sei jedoch angemerkt, dass sich gegen diese allgemeine Tendenz bereits im 15. Jahrhundert eine gegenläufige herausgebildet hatte, die sogenannte devotio moderna. Die Anhänger dieser Richtung pflegten, angeleitet von Thomas von Kempens ›bestseller‹ De imitatione Christi, libri quattuor, eine von Innerlichkeit geprägte Frömmigkeit. 18  Cf. dazu Wilfried Joest, »Martin Luther«, in: Martin Greschat (ed.), Gestalten der Kirchengeschichte, vol. 5 (Reformationszeit I). Stuttgart e. a.: Kohlhammer 2 1994, 129–185, hier 131ss. 19  Martin Luther, Vorrede zum 1. Bande der Gesamtausgaben seiner lat. Schriften (1545), in: Martin Luther: Werke. Kritische Gesamtausgabe (WA). 60 vols, Weimar / Graz: Böhlaus Nachfolger / Akademische Druck und Verlagsanstalt Graz 1966, vol. 54, 180–188, hier 185. Dazu Bernhard Lohse, Luthers Theologie in ihrer historischen Entwicklung und in ihrem systematischen Zusammenhang. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1995, 97–110, insbesondere 102–105. 20  Cf. dazu erneut Luther, Vorrede, in: idem, WA 54, 185 / 186: »Furebam ita saeva et perturbata conscientia, pulsabam tamen importunus eo loco Paulum, ardentissime

46 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

Folgenden nicht erläutert werden.21 Im Zusammenhang mit der Frage nach dem potentiellen Erfolg eines conversio-Appells ist es vielmehr angebracht, nach der Aufnahme der lutherischen Schriften – und damit der neuen Sichtweise – zu fragen. Die lutherische »Rechtfertigungslehre«22 lenkt die Aufmerksamkeit der Gläubigen auf den im Voraus gnädigen Gott, lässt die Vorstellung von einem nachträglich richtenden Gott also in den Hintergrund treten. Das hat zur Folge, dass die Mechanismen der sogenannten ›Werkgerechtigkeit‹23 außer Kraft gesetzt werden, da die ›Anhäufung‹ guter Werke nicht mehr nötig ist. Auch wenn in Frankreich, anders als im Reich, noch bis in die dreißiger Jahre des 16. Jahrhunderts ein évangelisme nébuleux24 existierte und die reformatorischen Lehren25 nur sehr langsam Fuß fassten, lässt sich ein Interesse an den Texten Luthers26 ebenso wenig leugnen wie eine allmähliche sitiens scire, quid S. Paulus vellet. Donec miserente Deo meditabundus dies et noctes connexionem verborum attenderem, nempe: Iustitia Dei revelatur in illo, sicut scriptum est: Iustus ex fide vivit, ibi iustitiam Deo coepi intellegere eam, qua iustus dono Dei vivit, nempe ex fide, et esse hanc sententiam, revelari per evangelium iustitiam Dei, scilicet passivam, qua nos Deus misericors iustificat per fidem, sicut scriptum est: Iustus ex fide vivit«. Luther bezieht sich hier auf Röm 1, 17. 21  Zur Entwicklung Luthers und seiner Theologie cf. ausführlich Lohse, Luthers Theologie, 41–109 sowie Schnyder, Reformation, 35–41. Informationen zur Reformation im Reich bietet das gleichnamige Werk von Peter Blickle (Stuttgart: Ulmer 3 2000), 23–46. 22  Es sei darauf hingewiesen, dass die Bezeichnung »Rechtfertigungslehre« kein Quellenbegriff ist. Er wird in der Forschung zusammenfassend und a posteriori für die Erkenntnis Luthers ebenso wie für die daraus erwachsenen Konsequenzen verwendet (cf. Schnyder, Reformation, 37, sowie Blickle, Reformation, 55). Luther selbst hat nie systematisch eine Rechtfertigungslehre formuliert. 23  Der Begriff »Werkgerechtigkeit« wird oftmals zur Bezeichnung der Haltung der ›alten Kirche‹ verwendet (Heilsnotwenigkeit der guten Werke) und der reformatorischen Sichtweise (Gute Werke als Folge von Glaube und Gnade) antithetisch gegenübergestellt. Ein katholisch-lutherischer Konsens in dieser Frage, in dem die Unabhängigkeit des Heils von den Werken betont wird (mit Bezug auf Röm 3, 27 / 28), wurde in der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre 1999 erreicht. 24  Cf. Carbonnier-Burkard/Cabanel, Histoire, 13. Als Anhänger des évangelisme lassen sich ganz allgemein all jene Christen fassen, die ihre Heilsgewissheit einzig aus der individuellen Lektüre des Bibelworts, besonders der Evangelien sowie der paulinischen Briefe nähren, cf. Gisel, Encyclopédie, Lemma: évangelisme. 25  Als »reformatorische Lehren« werden hier und im Folgenden all diejenigen bezeichnet, die in Opposition zur gängigen Lehrmeinung der ›alten Kirche‹ entstanden sind. 26  Auf großes Interesse stießen die Werke Luthers zum Beispiel bei der Schwester des französischen Königs, Marguerite de Navarre (1492–1549), sowie bei den

1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio47

Veränderung der Frömmigkeitspraxis: Allein die Existenz eines Alternativkonzepts führte zu einer Konfrontation mit dem ›Althergebrachten‹, machte conversio jenseits aller institutionalisierten Frömmigkeitsformen, einzig auf der Grundlage von persönlicher Entscheidung und Reue, wieder verstärkt denkbar. Dabei hat die Tatsache, dass Luther seine Rechtfertigungslehre – prägnant zusammengefasst in den sola-Formulierungen sola gratia und sola fide – allein aus der Bibel heraus (sola scriptura)27 entwickelte, wesentlich zum Erfolg des Gedankens in Frankreich beigetragen.28 Dank der Arbeiten von Mitgliedern des cercle de Meaux. Mit dem Bischof Guillaume Briçonnet, dem ›Leiter‹ dieses Gelehrtenkreises, unterhielt Marguerite in den 20er Jahren des 16. Jahrhunderts eine intensive Korrespondenz: Gegenstand zahlreicher Briefe waren die neuen Lehren. Zum évangelisme von Marguerite und zu ihrer Haltung gegenüber den Reformatoren cf. infra, Kapitel 1.d) sowie Béatrice Jakobs: »Ein leiser Ruf zur Umkehr? Reformatorisches Gedankengut im ›profanen‹ Werk der Marguerite de Navarre«, in Volker Kapp / Dorothea Scholl (ed.), Bibeldichtung. Berlin: Duncker & Humblot 2006, 182–200, hier 184–188. 27  Der Prägnanz dieser Formulierungen, die nicht nur in Latein sondern auch in volkssprachlicher Übersetzung kursierten, war ein Großteil des Erfolgs des Wittenberger Reformators geschuldet. Es erstaunt deshalb nicht, dass die »[…] grands principes théologiques de Luther« sehr bald »communs à toute la Réforme protestante« waren. Cf. Carbonnier-Burkard/Cabanel, Histoire, 17 sowie zum Vergleich die Informationen zu Huldrich Zwingli (ibid., 19) und zur »Théologie de Calvin« (ibid., 23), ähnlich Schnyder, Reformation, 37. Die Zuspitzung der reformatorischen Lehre auf eine einprägsame Formel entspricht nämlich sehr genau dem im Spätmittelalter weitverbreiteten Wunsch nach Vereinfachung und Systematisierung; eine Tendenz, die Berndt Hamm treffend als »normative Zentrierung« bezeichnete. (Berndt Hamm, »Von der spätmittelalterlichen reformatio zur Reformation: der Prozeß normativer Zentrierung von Religion und Gesellschaft in Deutschland«, in: Archiv für Reformationsgeschichte 84 (1993), 7–82, sowie erneut Berndt Hamm, »Normative Zentrierung im 15. und 16. Jahrhundert«. Beobachtungen zu Religiosität, Theologie und Ikonologie«, in: Zeitschrift für Historische Forschung 26 (1999 / 2), 163–202). Hamm weist zudem darauf hin, dass sich sola-Formulierungen bereits in der Theologie der Alten Kirche sowie des Mittelalters aufgrund ihrer Plastizität großer Beliebtheit erfreuten (cf. Hamm, reformatio, in: ARG 84, 37s): »Die reformatorische sola-Theologie wird also durch eine gewisse spätmittelalterliche Tendenz auch terminologisch vorbereitet. An den vorreformatorischen Formulierungen zeigt sich, daß Fragestellungen und Erwartungen bereits in die Richtung einer solchen Zentrierung gehen – was für das Verständnis des großen Erfolgs der reformatorischen sola-Prinzipien von Gewicht sein dürfte« (ibid., 38 / 39). 28  Ein weiterer Grund für den Erfolg der Lehren Luthers im Reich sowie in Frankreich, war sicher die Kritik des Reformators an der zeitgenössischen Kirche – mit der er ja nicht alleine war, sondern ›auf den Punkt brachte‹ was seit einem Jahrhundert schwelte (Zu den innerkirchlichen Reformbestrebungen im 15. und 16. Jahrhundert cf. zum Beispiel Klaus Schatz, Allgemeine Konzilien – Brennpunkte der Kirchengeschichte. Paderborn: Schöningh 1997, 122–164). Wenn Luther die schlechte Ausbildung der Geistlichen und die daraus resultierende mangelnde Seel-

48 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

Faber Stapulensis und Erasmus genoss der Bibelhumanismus29 dort nämlich hohes Ansehen, fand eine auf dieser Grundlage entwickelte Idee fruchtbaren Boden. Mochte die mit den vierziger Jahren einsetzende calvinisation der Réforme in Frankreich auch deren institutionelle Gestalt verändert und fortan anstelle einer Reform der ›alten Kirche‹ gar einen Bruch mit dieser angestrebt haben30, blieb das ›geistliche Klima‹ dieser »période d’entre-deux confessionnel«31 spirituell anregend. Dies änderte sich auch nur wenig, als es mit Beginn der 1560er Jahre zur politisation der Réforme française kam und sich fortan réformés und ›papistes‹ in den Religionskriegen32 gegenüberstanden: Wie zu zeigen sein wird, führten die Auseinandersetzungen zwischen den beiden Parteiungen grundsätzlich zu einer Sensibilisierung der Gläubigen in Bezug auf ihr Verständnis von Glaube und Christsein – was unweigerlich eine Auf- und Neubewertung des Konzepts conversio nach sich ziehen musste. Inwieweit war nun der biblische Gedanke von conversio den Menschen im 16. Jahrhundert vertraut, das heißt, in welcher Weise wurde er den Gläubigen vermittelt?

a) … in der Predigt Aufgrund des bereits angesprochenen verbreiteten Misstrauens gegenüber selbständiger Bibellektüre durch Laien kamen die Menschen damals mit den Texten der Heiligen Schrift vorrangig im Rahmen von Gottesdiensten oder separaten Predigten in Berührung: Gelegenheit dazu gab es an den Sonnund Werktagen, an den Hoch- und Heiligenfesten sowie zu besonderen sorge anprangerte, war dies für viele sicher greifbarer als die von ihm erhobenen theologischen Einwände. 29  Zum ad fontes-Ruf der Bibelhumanisten sowie zu deren frühen Bibelübersetzungen auf der Grundlage des Griechischen und Hebräischen cf. Guy Bedouelle, »L’humanisme et la bible«, in: Bedouelle / Roussel, Bible, 53–121, passim. 30  Cf. Carbonnier-Burkard/Cabanel, Histoire, 13: »Entre 1540 et 1560, sous l’influence de Jean Calvin, l’une des composantes de la nébuleuse s’est structurée en rupture avec l’Église traditionnelle […]. La calvinisation de la Réforme française a conduit à la formation d’Églises réformées«. 31  Michèle Clement, »Scève le simple. Hypothèse sur une spiritualité«, in: Oli­ vier  Millet (ed.), La spiritualité des écrivains. Genf: Droz 2008, 35–46, hier 35: »Le début des années 1540 en France qui correspond à une période d’entre-deux confessionnel, et donc à une forte expansion de la spiritualité«. 32  Cf. Carbonnier-Burkard/Cabanel, Histoire, 13. Während es sich bei reformés um eine, seit den 1540er Jahren verwendete Selbstbezeichnung der evangelischen Protestanten handelt, wurde papiste von ihnen in polemischer Absicht für die Anhänger der ›alten Kirche‹ verwendet. Der erste Religionskrieg brach 1562 aus, ihm folgten bis zum Edit de Nantes (1598) sieben weitere, cf. dazu Kapitel 3.c)cc).



a) … in der Predigt49

Anlässen wie beispielsweise Beerdigungen. Angesichts des beschriebenen ›geistlichen Klimas‹ ist davon auszugehen, dass die Mehrzahl der Christen – wenn Entfernung, Zeit und Wetterlage es zuließen – diese Angebote auch wahrgenommen hat. Mögen auch eine latente Angst vor göttlicher Strafe oder weltlicher Zurechtweisung bei der Entscheidung zu Gottesdienst- oder Predigtbesuch eine gewisse Rolle gespielt haben, im Vordergrund stand wohl ein tatsächliches, spirituelles Bedürfnis.33 Während der Messe sprach der Priester die Gebete des ordo missae ebenso wie alle Schrifttexte aus dem Alten und Neuen Testament ausschließlich auf Latein, die anwesende Gemeinde feierte mehr oder weniger intensiv mit.34 Die einzigen Momente, in denen die Aufmerksamkeit der Gläubigen explizit gefordert und deshalb auch auf unterschiedliche Weise geweckt wurde, war die Elevation der Hostie sowie – in Hinblick auf die Vermittlung von conversio-Konzepten entscheidend – die volkssprachliche Predigt. Gegenstand der Ansprache – fand sie nun während des Gottesdienstes oder separat statt – war nämlich in der Regel die (neutestamentliche) Tagesperikope.35 In einer am Evangelium ausgerichteten Predigt musste also der 33  Albert Gerhards und Benedikt Kranemann verweisen zudem auf die identitätsstiftende Dimension gottesdienstlicher Liturgie – »In der Liturgie werden Gottesbeziehung, Kirchesein und Identität des Christseins realisiert« (Einführung in die Liturgiewissenschaft. Darmstadt: WBG 22008, 49) – ein Aspekt, der angesichts der Erfolge der reformatorischen Lehren im Laufe des Jahrhunderts immer bedeutender werden wird. 34  Die Frage, in welcher Sprache die Liturgie gefeiert werden sollte, wurde gleichfalls auf dem Tridentinum diskutiert. Wiederum mit Blick auf die Forderungen der Protestanten, die die Verwendung der jeweiligen Landessprache zur Voraussetzung des wortzentrierten Gottesdienstes erhoben, legten die Verantwortlichen fest, dass die Gültigkeit der Messe unabhängig von der benutzten Sprache sei (»Etsi missa magnam contineat populi fidelis eruditionem, non tamen expedire visum est patribus, ut vulgari passim lingua celebraretur« (Wohlmuth, Dekrete III / concilium Tridentinum, sessio XXII, caput VIII sowie der dazugehörige canon IX. »Si quis dixerit […] aut lingua tantum vulgari missam celebrari debere […], anathema sit« cf. dazu Schmidt, Liturgie, 154 / 155). Dass man dennoch die lateinische Sprache als Liturgiesprache beibehielt, man volkssprachliche Elemente wie zum Beispiel Gemeindegesänge, die im Laufe der Zeit Eingang in die Messe gefunden hatten, aus diesem wieder zu verbannen suchte, ist wohl dem Wunsch nach konsequenter Abgrenzung und der Angst, auf Außenstehende ›protestantisch beeinflusst‹ zu wirken, geschuldet (cf. Gerhards/Kranemann, Liturgie, 92). 35  Cf. Taylor, Sermons, in: Kienzle, Sermon, 719: »[…] most preaching was done in the liturgical year in the presence of the community of the faithful.«, sowie »Large numbers of sermones […] have been preserved under the rubric of sermones de tempore or sermones dominicales, often comprising sixty or seventy sermons that take as their theme the epistle of the day« (ibid., 723).

50 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

biblische Aufruf zur conversio gelegentlich thematisiert werden. Während aber die jeweils gültige Leseordnung und damit die behandelten Bibelpassagen anhand der Ausgaben des Missale problemlos ermittelt werden können36, ist die Predigt eine zunächst ephemere Form, deren tatsächliche Realisierung sich im Nachhinein kaum noch nachvollziehen lässt.37 Da aber seit dem 13. Jahrhundert immer wieder kirchliche Reformvorschläge in Bezug auf ein erfolgreiches Predigen formuliert wurden und zudem eine umfangreiche ars praedicandi-Literatur existiert, ist es durchaus möglich, auf der Grundlage der dort gemachten Aussagen, den sermo38 formal und inhaltlich zu fassen und auf diese Weise einen Eindruck von der Predigt im 16. Jahrhundert zu gewinnen. Eines der sowohl frühesten als auch einflussreichsten Werke, die Anweisungen hinsichtlich der Kunst zu predigen bereithalten, ist die Summa de arte predicatoria aus dem späten zwölften Jahrhundert. Ihr Verfasser, der Gelehrte Alanus ab Insulis, formulierte eine Definition von praedicatio 36  Das Missale ist das liturgische Buch, in dem für alle Tage des Kirchenjahres sowie für Votivmessen die jeweils zu sprechenden Gebete und Schrifttexte des römischen Ritus’ zusammengestellt sind. Seit seiner Entstehung im achten Jahrhundert wurden manche Teile des Missale, wie beispielsweise die eucharistischen Gebete, immer wieder verändert, andere – wie die Leseordnung – blieben weithin konstant. Die Überarbeitung des Messbuchs war eines der Reformprojekte des Tridentinum, das 1570 mit der Publikation des Missale Romanum seinen Abschluss fand. Zu den eingebrachten Neuerungen im Missale Romanum im Einzelnen cf. Hubert Jedin, »Das Konzil von Trient und die Reform des Römischen Messbuches«, in: Liturgisches Leben 6 (1939), 30–66, insbesondere 56ss; sowie in Bezug auf die Schrifttexte, Bedouelle, »La Réforme catholique«, in: Roussel / Bedouelle, Bible, 327–368, hier 358: »Le lectionnaire reproduit celui de Murbach qui date de cette époque (i. e. le VIIIe siècle): la répartition médiévale des péricopes pour les dimanches et grandes fêtes est donc gardée. Son inconvénient est de ne proposer pour les féries, mais aussi pour les fêtes des saints, qu’un nombre limité de textes aux répétitions très fréquentes […]. On avait évidemment gardée l’antique répartition quotidienne des textes du temps du carême«. 37  Cf. dazu Taylor, Sermons, in: Kienzle, Sermon, 750: »The late medieval sermon was an oral event within an oral culture«. Zu den Unterschieden zwischen der mündlichen Predigt und deren Niederschrift, sei sie nun vor oder nach der actio entstanden und der daraus resultierenden Deutungsproblematik cf. Kienzle (dir.), »Introduction«; »Conclusion«, in: Kienzle, Sermon, 143–174; 963–983, insbesondere 151–159, sowie 965ss. Trotz der angesprochenen Schwierigkeiten wird im Folgenden davon ausgegangen, dass die Botschaft einer Predigt in mündlicher oder schriftlicher Form grundsätzlich dieselbe bleibt und damit für die weitere Analyse verwertbar ist. 38  Der Begriff »sermo« hat sich seit dem vierten Jahrhundert in der einschlägigen Literatur allgemein als Gattungsbezeichnung für die verschiedenen Formen von eloquentia sacra (i. e. conférence, prône, homélie) durchgesetzt (cf. Christine Mohrmann, »Praedicare-tractare-sermo«, in: Christine Mohrmann (ed.), Etudes sur le latin des chrétiens, vol. 2. Rom: Edizioni di Storia e Letteratura 1961, 63–72, hier 71) und wird deshalb im Folgenden auch entsprechend verwendet.



a) … in der Predigt51

»echoed in almost every manual that follows«39: »Praedicatio est, manifesta et publica instructio morum et fidei informationi hominum deserviens, ex rationum semita, et auctoritatum fonte proveniens.«40 Die allgemeine Akzeptanz dieser Definition ergibt sich wohl aus der Tatsache, dass hier einerseits Bekanntes auf prägnante Weise festgeschrieben – Predigt wird seit biblischer Zeit als öffentliche Belehrung über Glaube und Moral verstanden41 – andererseits aber auf die seinerzeit aktuellen Schwierigkeiten der Kirche Bezug genommen wurde. Ende des 12. Jahrhunderts erhielt der römisch-katholische Glaube nämlich zeitweilig ›Konkurrenz‹ durch die Lehren der Waldenser, also Anhängern der Armutsbewegung, und Katharer. Bei der Konfrontation mit den Anhängern dieser Gruppierungen – die im Wesentlichen den Mitgliedern der in Gründung begriffenen Mendikantenorden oblag – erhielt die Legitimation des Predigenden »auctoritatum fonte« deshalb neue, das heißt abgrenzende, Bedeutung.42 Auch Form und Inhalt der sermones mussten angesichts der veränderten Situation teilweise umgestaltet und in Hinblick auf die Erfordernisse der persuasio ebenso wie des docere und movere angepasst werden.43 Das vierte Laterankonzil (1215), das von Innozenz III. schließlich unter anderem aufgrund der von den Katharern ausgehenden Gefahr einberufen worden war, beschäftigte sich dann auch weniger mit den konkreten, militärischen Maßnahmen zur Bekämpfung der Häresie44, sondern widmete sich 39  Marianne G. Briscoe, Artes praedicandi, in: Marianne G. Briscoe / Barbara H. Jaye, Artes praedicandi and Artes orandi. Turnhout: Brepols 1992, 11–76, hier 21. 40  Alanis ab Insulis, Summa de arte praedicatoria, in: Jacques Paul Migne (ed.), Patrologia cursus completus (seu Biblioteca universalis, integra, uniformis, commoda, oeconomica omnium SS Patrum, Doctorum, Scriptorumque Ecclesiasticorum). Series latina. Paris: Petit Montrouge 1855 e. a., vol. CCX, cc. 110–198, hier c. 111. 41  Cf. erneut die biblische Sendung der Apostel in Mt 28. 19 (20, n. 20) sowie dazu Anne Régent-Susini, »Introduction«, in: eadem (ed.), L’éloquence de la chaire. Les sermons de saint Augustin à nos jours. Paris: Seuil 2009, 10–76, hier 12. 42  Ein Hinweis auf die legitimierende Autorität steht oft auch zu Beginn der paulinischen Briefe (cf. zum Beispiel I. Kor 15, 3–8) sowie als Einleitung zur Predigt der Apostel: (cf. beispielsweise Apg 3, 12–26). Cf. dazu auch den Abschnitt »paroles et autorité« bei Régent-Susini, L’Éloquence, 23–26. 43  Entsprechende Hinweise formulierte bereits Augustinus in De doctrina christiana: „Dixit enim quidam eloquens, et verum dixit, ita dicere debere eloquentem, ut doceat, ut delectet, ut flectat.“ (Aurelius Augustinus: De doctrina christiana libri IV, in: idem, Sancti Aurelii Augustini: De doctrina christiana, De vera religione. Cura et studio Iosephus Martin. Turnhout: Brepols 1963, 1–168, lib. IV, XII, 27, ähnlich IV, XXIV, 53. Es sei daran erinnert, dass die Predigtlehre Augustinus’ in De doctrina christiana gleichfalls von einer Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Irrlehren beeinflusst ist. 44  Zum Begriff »Häresie« cf. ausführlich Kapitel 2.

52 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

intensiv der innerkirchlichen Reform: Nach Meinung der Konzilsväter war der Erfolg der Waldenser und Katharer nämlich im Wesentlichen eine Folge der unzureichenden Seelsorge und der geringen Kenntnisse der Menschen über die christlichen Glaubensgeheimnisse – und damit eine Konsequenz fehlender oder mangelhafter Predigt. Aus dieser Notlage heraus wurde das Dekret De praedicatoribus instituendis erlassen: Inter caetera quae ad salutem spectant populi cristiani, pabulum verbi Dei per maxime sibi noscitur esse necessarium, quia sicut corpus materiali sic anima spirituali cibo nutritur, eo quod non in solo pane vivit homo, sed in ogni verbo quod procedit de ore Dei. Unde cum saepe contingat, quod episcopis […] per se ipsos non sufficiunt ministrare populum verbum Dei […] generali constitutione sancimus, ut episcopi viros idoneos ad sanctae praedicationis officium salubriter exequendum assumant, potentes in opere et sermone […]45

Hier wird zunächst mit Rekurs auf ein Bibelwort die Bedeutung der Predigt als Verkündigung (und Erläuterung) von Gottes Wort als wesentlicher Faktor der cura animarum festgeschrieben.46 Die Tatsache, dass die Bischöfe als ihre Vertreter, »viros idoneos […] potentes in opere et sermone« auswählen sollen, verleiht dem officium pradicationis zusätzliches Gewicht, wird die Wendung »potens in opere et sermone« doch in der Emmausgeschichte als Beschreibung für Jesus selbst gebraucht.47 Die Konzilsväter von 1215 wollten durch ihre Maßnahmen die Bedeutung der Predigt grundsätzlich betonen und ihrer Vernachlässigung in der Seelsorge praktisch entgegen wirken. Als gut dreihundert Jahre später das westliche Christentum in Gestalt der ›alten Kirche‹ erneut in Bedrängnis geriet – mit dem Unterschied, dass die ›häretischen‹ Ideen nun keineswegs regional begrenzt auftraten, sich ihre Anhänger im Gegenteil umfassend gegen die alteingesessene Lehre und Institution auflehnten – griffen die Verant45  Wohlmuth, Dekrete II / concilium Lateranense IV, constitutio 10 – De praedicatoribus instituendis (Hervorhebung im Original). In den folgenden Zeilen des Dekrets werden den viros ideneos weitere seelsorgerische Aufgaben übertragen. Cf. dazu Schatz, Konzilien, 110 / 111. 46  Cf. Mt 4, 4, als Rückgriff auf Dtn 8, 3. 47  Cf. Lk 24, 19: »et dixerunt de Iesu Nazareno qui fuit vir propheta potens in opere et in sermo coram deo et omni populo«. Text nach Novum Testamentum Domini Nostri Iesu Christi Latine secundum Editionem sancti Hieronymi. Ad codice manuscriptorum fidem recensuit Iohannis Wordworth in operis societatem Henrico Iuliano White. Pars Prior Quattuor evangelia. Oxford: Clarendon Press 1889–1898. Diese Ausgabe findet im weiteren Verlauf der Studie Verwendung, wenn Bezüge zur Zeit vor 1590 bestehen, die auf dem Tridentinum angestoßene überarbeitete Fassung der Vulgata also noch nicht greifbar war.



a) … in der Predigt53

wortlichen des Trienter Konzils im Wesentlichen auf das Reform­ instrumentarium des vierten Laterankonzils zurück: Quia vero christianae rei publicae non minus necessaria est praedicatio evangelii, quam lectio, et hoc est praecipuum episcoporum munus, statuit, […] omnis epis­ copos […] teneri per se ipsos, […] ad praedicandum sanctum Iesu Christi evangelium. Si vero contigerit, episcopos […] viros idoneos assumere teneantur ad huiusmodi praedicationis officium salubriter exequendum. […] Archipresibyteri quoque, plebani, et quicunque parochialis, vel alias curam animarum habentes ecclesias quocumque modo obtinent, per se, vel alios idoneos, […] diebus saltem dominicis, et festis solemnibus, plebes sibi comissas pro sua, et earum capacitate pascant salutaribus verbis, docendo ea, quae scire omnibus necessarium est ad salutem, annunciandoque eis cum brevitate et facilitate sermonis, vitia, quae eos declinare, et virtutes, quas sectari oporteat; ut poenam aeternam evadere, et caelestam gloriam consequi valeant.48

Wie schon 1215 wird der praedicatio evangelii – jetzt allerdings unter besonderer Betonung ihrer didaktischen und paränetischen Dimension – eine bedeutende seelsorgerische Funktion zugesprochen. Deutlich erweitert wurden zudem die praktischen Hinweise: Möglicherweise als Antwort auf bisherige Missstände finden sich nun auch Angaben zu Frequenz und Gestaltung der Predigt. Insbesondere die Empfehlung, bei sermones »brevitate et facilitate« walten zu lassen, zeugt von einer verstärkten Orientierung am ›einfachen Kirchenvolk‹, also an der Mehrheit der christlichen Bevölkerung, die es vor dem Einfluss der ›Häresie‹ durch eine Verbesserung ihrer Kenntnisse zu bewahren galt. In die gleiche Richtung weist auch die Aufforderung an die Geistlichen, im Rahmen von Sonn- und Festtagsgottesdiensten »quae in missa leguntur, aliquid exponant atque inter cetera sanctissimi huius sacrifii mysterium«49 der Gemeinde zu erklären. Derartige Erläuterungen fanden wiederum im Rahmen der Predigt statt. Mögen die angeführten konkreten Angaben zu Form und Inhalt einer Predigt auch in Zeiten der Not zur Abwehr ›häretischen‹ Gedankenguts entstanden sein: Ihrem biblischen Ursprung entsprechend richtet sich eine Predigt grundsätzlich weniger an Außenstehende denn an die Gemeinschaft 48  Wohlmuth, Dekrete III / concilium Tridentinum, sessio V, caput II, constitutiones IX–XI. Schärfer als im Dekret von Lateranum IV werden nachfolgend die Strafen für diejenigen aufgelistet, die ihre Seelsorgepflichten nicht wahrnehmen oder ohne bischöfliche Bestellung predigen. Régent-Susini weist zudem mit Recht darauf hin, dass die Frage nach der angemessenen Form der Predigt schon sehr früh auf der Tagesordnung des Konzils stand, was die Wertschätzung dieses Instrumentariums auch bei der Kirchenobrigkeit ermessen lässt (cf. Régent-Susini, L’Éloquence, 15). 49  Wohlmuth, Dekrete III / concilium Tridentinum, sessio XXII, caput VIII.

54 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

von Glaubenden,50 um deren Heil sich der Predigende bemüht und sie deshalb zur Änderung ihres Lebenswandels – eben zur conversio – einlädt.51 Wie ein solcher Aufruf zur Umkehr konkret gestaltet und auf der Basis welcher Schrifttexte er formuliert wurde, lässt sich aufgrund des bereits angesprochenen ephemeren Charakters von Predigten ausschließlich anhand von gedruckten Exemplaren von sermones erfolgreicher Redner sowie mit Hilfe des Missale nachvollziehen.52 Hochzeit der Thematisierung von conversio im Sinne einer Abkehr vom bisherigen sündigen Leben ist die vierzigtägige Bußzeit, die quadragesima, zur Vorbereitung auf die Feier von Passion und Auferstehung Christi. Der Ruf nach Umkehr ist dementsprechend in den vorgesehenen Perikopen aus AT und NT gleichermaßen präsent.53 Während aber die Lesungstexte ex negativo die Folgen göttlichen Zorns aufgrund mangelnder Bereitschaft zur Umkehr vorstellen54, bieten die Evangelienabschnitte mehrfach Schilderungen gelungener conversio. Als festgelegte Tagesperikopen waren beispiels50  Als »célébration d’une foi commune« (Régent-Susini, L’Éloquence, 32) trägt die Predigt zudem zur bereits angesprochenen identitätsstiftenden Funktion gottesdienstlicher Liturgie bei. 51  Cf. Taylor, Sermons, in: Kienzle, Sermon, 719 sowie ausführlich Régent-Susini, L’Éloquence, 31: »Les différentes formes de la prédication (i. e. conférence, prône etc) partagent également un autre point commun: leur puissante aspiration à permettre cette régénération morale et spirituelle de l’auditeur qu’on appelle à l’âge classique, conversion. Entendue en se sens, la conversion n’implique nul changement de religion ou de confession; conformément à son sens étymologique, elle désigne le fait de se tourner vers Dieu« (Hervorhebung von Régent / Susini). Eine gänzlich andere Intention haben demgegenüber Predigten an Außenstehende, also zum Beispiel Kontrovers- oder Missionspredigten (cf. ibid. 32s). 52  Predigtsammlungen machten im 16.  Jahrhundert ein Viertel des religiösen Buchmarktes aus. Sie fanden besonders als Modelle für eigene Predigten reißenden Absatz bei Klerikern, cf. Larissa Taylor, Soldiers of Christ. Preaching in Late Medieval and Reformation France. New York/Oxford: Oxford University Press 1992, 5. 53  Im Folgenden beruhen alle Angaben von Perikopen auf dem Missale ad usum sacrosanctae romanae Ecclesiae: recens diligenti studio recognitum. Lyon: ohne Druckervermerk 1544 bzw. – für die Zeit nach dem Tridentinum – auf dem Missale Romanum Ex decreto sacrosancti Concilii Tridentini Restituum Pii V pont. Max. iussu editum et Clementis VIII auctoritate recognitum. Cum missis novis de Sanctis a Paulo V, Gregorio XV SDN Urbano VIII ordinatus. Antwerpen: Baltasar Moreti 1631. Ein Vergleich beider Ausgaben ergab, dass diese hinsichtlich der relevanten Perikopen vollständig übereinstimmen (Unterschiede liegen hingegen im Wortlaut einiger Gebete vor). 54  Cf. beispielsweise Jes 55, 6–12 am Dienstag und Ez 18, 19–22 am Freitag nach dem ersten Fastensonntag; Dan 9, 15–19 am Montag nach dem zweiten Fastensonntag; Jer 7, 1–7 am Freitag nach dem dritten Fastensonntag. Cf. dazu die Aufstellung in Anhang I.



a) … in der Predigt55

weise die Berichte über die Begegnung Jesu mit dem Hauptmann von Kafarnaum55 oder der Frau am Jakobsbrunnen56 selbstverständlicher Bestandteil von Predigtzyklen, die vom Gemeindepfarrer oder – häufiger – von Prädikanten gehalten wurden.57 Einer von ihnen war der Dominikanerpater Guillaume Pepin, Prior in Évreux sowie Lehrer an der Pariser Universität. Er hielt während der österlichen Bußzeit der Jahre 1506–1510 mehrere Fastenpredigten, die er anschließend ins Lateinische übertrug und drucken ließ. Aufgrund seines guten Rufs, der sowohl auf seiner Ausbildung als auch seinem untadeligen Leben fußte, wurden seine Predigten in der Folgezeit oft als Modelltexte herangezogen.58 In den Mittelpunkt der Predigten zu Mt 8 und Joh 4 stellt Pepin den plötzlichen Christusglauben. Dieser wird im Falle des Hauptmanns von Kafarnaum lediglich von seiner Hoffnung getragen. Sein unbedingter Glaube findet in der Parallelisierung der Machtbefugnisse Jesu mit der eigenen Befehlsgewalt über die Soldaten deutlichen Ausdruck.59 Im Matthäustext zeigt sich die Demut des Hauptmanns in der Formulierung: »Domine, non sum dignus, ut intres sub tectum meum, sed tantum dic verbo, ed sanabitur puer meus«60, in der lukanischen Parallelstelle, auf die Pepin explizit verweist,61 in der Tatsache, dass er sich nicht selbst Jesus nähert, sondern einen seiner Diener schickt. 55  Mt

8, 5–13 am Donnerstag nach Aschermittwoch. 4, 7–42 am Freitag vor dem vierten Fastensonntag. 57  Üblich waren solche Zyklen vor allem anlässlich der beiden Fastenzeiten des Kirchenjahres (sermones de adventu, sermones quadragesimales). Sammlungen von Predigten für Heiligenfeste werden als sermones de sanctis zusammengefasst. Cf. dazu Taylor, Soldiers, 17 / 18. 58  Cf. Taylor, Soldiers, 44ss. Es ist dementsprechend anzunehmen, dass die Texte anderer Prediger denjenigen von Pepin in Anlage, Tenor und Argumentationsführung sehr ähneln. Die Predigten von Pepin sind vor dem Tridentinum entstanden, sind also ein Beispiel für eine Form des sermo, die die Konzilsväter bei ihren Entscheidungen im Blick hatten. 59  Cf. Mt 8, 9. Hier wie im Folgenden wurde zur Orientierung die moderne Verszählung ergänzt. Diese wurde erstmals konsequent von Lefèvre d’Etaples verwendet und im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts von immer mehr Übersetzern und Druckern übernommen. 60  Mt 8, 8. Pepin zitiert hier wörtlich aus der Bibel. Um die Verbindung von Schrifttext und Predigt zu bewahren, werden die Bibelstellen im Folgenden in lateinischer Sprache angegeben. 61  (Guillaume Pepin, OP), Sermones quadragesimales super evangelia preclarissimi & excellentissimi theologie doctoris alme Universitatis Parisiensis. Magistri Guillermi Pepin et religiossimi conventus Ebroicensis divi Fratrem predicatorum de observantia. Paris: Chevallon 1526, sermo ad feria quinta post cineres, XVIIr-XIIv, hier VIIIr. Pepin bezieht sich hier auf Lk 7,7. 56  Joh

56 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

Der Prediger hebt deutlich hervor, dass sich der Glaube des Hauptmanns, anders als derjenige der Frau am Jakobsbrunnen, nicht infolge eines Wunders eingestellt hat: »[…] vel tanta fidei facilitatem i(n) credendo. Multi enim tracti sunt ad fidem per evidentia miracula iuxta illud χριοτός Joh IIII«62. Diese Unterscheidung geht aber keinesfalls mit einer Negativbewertung der Samariterin einher, im Gegenteil: Pepin betont auch hier, allein der Glaube habe die Frau gerettet.63 Anders als beim Hauptmann ist der Glaube aber (auch) einer »fructuosa predicatione«64 erwachsen. Dem johanneischen Konzept entsprechend, setzt conversio keine penitentia65 voraus, der Mensch kommt durch Gott zum Glauben66 und beginnt dann ein neues Leben in Christus. Interessanterweise betont Pepin sowohl hinsichtlich des Hauptmanns als auch in Bezug auf die Frau am Jakobsbrunnen deren gesellschaftliche Außenseiterrolle. Beide gehören nämlich nicht dem jüdischen Volk an, sondern einer heterodoxen Gruppe bzw. den römischen Besatzungstruppen.67 Ein offenes Bekenntnis zu einem – jüdischen – Messias konnte ihnen also durchaus Probleme innerhalb ihrer (Glaubens-)Gemeinschaft bereiten, was ihrer conversio, vor allem vor dem Hintergrund der damals herrschenden historischen Verhältnisse, Brisanz und gleichsam Aktualität verleiht und beide Figuren zu möglichen Vorbildern im mutigen Bekennen werden lässt.68 Sermones quadragesimales / sermo ad feria quinta post cineres, Xr. Sermones quadragesimales / sermo ad feria sexta post tert. dom quadr., CXXIr-CXXVIIr, hier CXXIIr: »Dixit autem ad mulierem: Fide tua te salvam fecit«. Die Tatsache, durch ein Wunder zum Glauben zu kommen, wird von Pepin nicht grundsätzlich verworfen. In seiner Predigt zu Mt 8 verweist er sogar explizit auf die Schlagkraft von Wundern und die Neugier der Menschen, mit der man bei der Bekehrung von infideles durchaus rechnen könnte: »Et talis curiositas seu abusus est occasio retrahendi infideles ne convertant ad fide«; Pepin, Sermones quadragesimales / sermo ad feria quinta post cineres, IXr. 64  Pepin, Sermones quadragesimales / sermo ad feria sexta post tert. dom quadr., CXXIIr. Pepin unterstreicht auf diese Weise die ›Macht‹ seines eigenen Instrumentariums, der Predigt. 65  Die penitentia des Hauptmanns manifestiert sich in seiner Demut. 66  Der Glaube ist also »unmittelbar von Gott gewirktes Geschehen«; Johannes Schneider, Das Evangelium nach Johannes. Aus dem Nachlass herausgegeben unter Leitung von Erik Fascher. Berlin: Evangelische Verlagsanstalt 1976, 92. Eine »fructuosa predicatione« kann ohne das Zutun Gottes nichts bewirken, bliebe entsprechend infructuosa. Zum johanneischen conversio-Konzept im Vergleich mit der μετανοια-Vorstellung der Synoptiker cf. supra 41, n. 3 sowie Paul Cheminée, La Conversion dans les Evangiles. Montauban: Granié 1902, 49. 67  Cf. Pepin, Sermones quadragesimales / sermo ad feria quinta post cineres, VIIv; sermo ad feria sexta post tert. dom quadr., CXXIIv. 68  Cf. Ulrich Luz, Das Evangelium nach Matthäus (2. Teilband, Mt 8–17). Evangelisch-katholischer Kommentar zum Neuen Testament. Zürich, Neukirchen: Benzinger, Neukirchener Verlag 1990, 17. 62  Pepin, 63  Pepin,



a) … in der Predigt57

Die gedankliche Ausrichtung beider Predigten auf die Bekehrung von Ungläubigen zeigt sich zudem an der Auswahl mancher Beispiele: So führt Pepin in seiner Predigt zu Joh 4 als eine Qualität des Wassers des Lebens an, es könne denen Linderung bringen, die um das Leid und die Sünde ihrer Mitmenschen weinen. Illustrierend fügt er an: »Hanc denique aquam debent habere patres et matres quotiens vident insolentas filiorum suorum currentum ad mille diabolos. Sic enim flebat sancta monica perditionem filii sui Aug. ante illius conversionem ad rectam fide«69 – ein zwar passendes, aber in der Situation nicht angelegtes Beispiel, das aber eine grundsätzliche enge assoziative Verbindung des conversio-Begriffs mit Augustinus als Konvertit nahelegt. Die zitierten Passagen mögen den Eindruck vermitteln, Pepin setze conversio mit einem Glaubenswechsel gleich, was seinen Predigten einen vorrangig missionarischen, ad extra gerichteten Tenor verliehe. Indem der Pater aber die körperliche Heilung des Knechts in Mt 8 mit der seelischen Heilung des Sünders, also mit der Vergebung seiner Sünden gleichsetzt,70 greift er auch die zweite Dimension von conversio auf, die für seine Zuhörer, unabhängig von der historischen Situation, auf jeden Fall von Relevanz ist: »Christus sanat […] liberaliter […] integraliter […] et velociter«.71 Ein Sünder kann also, wie schwerwiegend seine Vergehen auch sein mögen, auf die unbedingte Barmherzigkeit Christi hoffen. Der Appell zur conversio, also zur Rückkehr zu einem gottgefälligen Leben ist hier nur implizit – wer auf misericordia hoffen darf, kann conversio wagen! Wie auch hinsichtlich des Beispiels vom lebendigen Wasser angemerkt, wird hier wiederum ein Hinweis auf conversio integriert, obwohl dieser im Bibeltext nicht evident ist. Die Barmherzigkeit als besondere Qualität des christlichen Gottes hebt Pepin anschließend durch einen Verweis auf das Gleichnis vom verlorenen 69  Pepin, Sermones quadragesimales / sermo ad feria sexta post tert. dom quadr., CXXIIr. 70  Cf. Pepin, Sermones quadragesimales / sermo ad feria quinta post cineres, Xv: »Christus sanavit hunc puerum tribus modis. Primo quidem liberaliter: quia nihil exigendo, nisi fidei meritum. Ideo ait Centurioni. Sicut credidisti fiat tibi. Non dicit aliquid, temporale dedisti. Secundum vero integraliter, ait sanatus est puer. Non dicit sanatus est pes vel oculus aut aliquid simile: sed puer. Nec immerito dei perfecta sunt opera. Tertio autem velociter: ex illa hora. Non sic autem curant egrotos ceteri medici. Practica per singula. Moraliter sicut: Christus tribus predictis modis sanavit corporaliter predictum servum centurionis: sic etiam sanat quotidie quemlibet peccatorem ad eum reverti volentem spiritualiter. Primo quidem liberaliter: quia inde salarium non petitum: (se) gratis hoc facit. […] Secundo vero integraliter. […]. Deus cum liberat: non partem liberat: sed totum liberat. […] Tertio autem velociter. Misericordia eius preveniet me«. 71  Pepin, Sermones quadragesimales / sermo ad feria quinta post cineres, Xv.

58 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

Sohn hervor: »In cuius etiam rei signum legit Lu XV quod pater filij prodigi occurit et revertenti domum«72, ein Gedanke, den er in der Predigt über eben dieses Gleichnis vertiefen wird.73 In der Einleitung seines sermo stellt er zunächst die Barmherzigkeit des Vaters und die Entscheidung des Sohnes, nach Hause zurückzukehren, auf eine Stufe: In presenti ergo evangelio de tribus principaliter sit mentio videlicet de damnosa(r?) flebili aversione pectoribus abiit in regionem longiquas, de fructuosar pia rever­ sione penitentis ibi (in se aut reversus), de amorosa et iocunda receptione dei miserantis ibi74

Während er aber zum Verhalten des Sohnes lediglich anmerkt, dieser sei zwar demütig, aber dennoch recht eigennützig zurückgekommen, erhoffte sich dieser doch, auf dem Familienhof als Tagelöhner arbeiten zu können und keinen Hunger mehr leiden zu müssen75, illustriert Pepin die Barmherzigkeit des Vaters unter Rückgriff auf zahlreiche weitere Bibelstellen: gratia suam abundantissime largitus est peccatoribus. Sicut patet de Petro, Matheo, Paulo, Zacheo et huiusmodi. Sicut peccatricibus sicut de magdalena cum dixit ei remittunt tibi peccata tua Luc. 7. Item de muliere in adulterio deprehenda cui ait. Ego non te condemnabo vade amplius etc. Jo. 8. Tunc autem pavit iste filius prodigus porcos […]76

Wenn Pepin hier auf die Verzeihung hinweist, die beispielsweise der Christusverleumder Petrus, der Christenverfolger Paulus oder die Sünderin Maria Magdalena erfahren haben, macht er deutlich, dass Gottes Reaktion keinesfalls außergewöhnlich ist, sondern er allen reuigen Sündern entsprechend begegnet.77 Sermones quadragesimales / sermo ad feria quinta post cineres, Xv. Pepin, Sermones quadragesimales / sermo ad sabato post sec. dom. quadr., XCr-XCVv, passim. Tagesperikope ist Lk 15, 11–32. 74  Pepin, Sermones quadragesimales / sermo ad sabato post sec. dom. quadr., XCIr. 75  Cf. Lk 15, 17 / 18. Heinrich Kahlefeld weist in seiner Abhandlung Gleichnisse und Lehrstücke im Evangelium (Bd. II, Frankfurt am Main: Knecht 1963) zu Recht darauf hin, dass die Reaktion des Vaters auf der Basis der eigennützigen Beweggründe des Sohnes zu bewerten ist: »Gerade wenn diese Sätze nicht zu hoch, also im Sinne einer ›Bekehrung‹ interpretiert werden, tritt das überraschende Moment im folgenden Geschehen heraus« (ibid., 48). 76  Pepin, Sermones quadragesimales / sermo ad sabato post sec. dom. quadr., XCIIr. Pepin bezieht sich hier außer auf die von ihm selbst genannten Bibelstellen Joh 8, 2–12 (Jesus und die Ehebrecherin) und Lk 7, 36–50 (Jesu Begegnung mit der Sünderin) auf Lk 22, 54–63 (Jesu Verleugnung durch Petrus); Mt 9, 9 (Berufung des Matthäus), Apg 9, 1–22 (Bekehrung des Saulus); Lk, 19, 1–10 (Jesus im Haus des Zöllners Zachäus). 77  Die hier von Pepin aufgeführten Personen werden traditionell als ›reuige Sünder‹ bezeichnet und oft in Verbindung mit Figuren des AT (David, Manasse) zu einer Gruppe zusammengefasst. Die Prediger der ›alten Kirche‹ bedienten sich der 72  Pepin, 73  Cf.



a) … in der Predigt59

Wie in seiner Predigt zu Mt 8 ermutigt Pepin also seine Zuhörer, umzukehren und sich der Gnade78 Gottes anzuvertrauen, mögen die Sünden auch in großer Zahl vorhanden und schwerwiegend sein. Dabei lässt er sich von der bei Lukas mehrfach illustrierten Idee79 leiten, dass sich die Engel des Himmels über die conversio eines Sünders mehr freuen als über viele Gerechte: »Per hoc autem delignatur gaudium quod habent angeli dei super uno peccatore penitentia agente luce 25 (sic!). Unde……… (unlesbar) dicit maius gaudium fit in celo de peccatore converso de stante iusto«80 und bekräftigt diese innerhalb seiner Predigt durch repititio.81 Nicht nur das: Die ›reuigen Sünder‹ gerne zur Illustration von Buße und Vergebung (cf. zum Beispiel Jean Clerre, Prediger in Paris und Beichtvater von Louis XII (cf. Taylor, Soldiers, 235): »Si negasti christum cum petro, si persecutor fuisti cum paulo: si publice peccasti cum magdalena: si convertaris & penitentiam egeris misericordiam obtinebis«; Jean Clerre, Precordialissimi ac impecciabiles de adventu Domini sermons. Paris: Engleberto Marnesio 1526, sermo ad sec. dom. adv., fol XXVIIIr. Zur ikonographischen Ausgestaltung des Motivs, cf. infra, Kapitel 1.d). 78  Die Tatsache, dass Pepin die Haltung Gottes gegenüber dem Sünder einmal als Zeichen seiner »gratia abundantissima« einmal als Beweis göttlicher »misericordia« (cf. zum Beispiel Pepin, Sermones quadragesimales / sermo ad sabato post sec. dom. quadr., XCVIv sowie passim) anführt, ist keinesfalls auf definitorische Nachlässigkeit zurückzuführen. Tatsächlich handelt es sich bei »gratia« um einen dogmatischen, bei »misericordia« um den entsprechenden praktisch-theologischen Begriff. Beide stehen, auch im theologischen Verständnis des 16. Jahrhunderts, zueinander in pleonastischer Beziehung: gr. ελεος (= mercy, mercyful) ist semantisch in χάρις (= grace, kind, kindness, goodwill, mercy) enthalten: cf. Aland, Dictionnary, Lemmata: ελεος, χάρις. Dazu Viller, Dictionnaire, Lemma: grâce I, 2: »La grâce est la faveur, la bienveillance gratuite et miséricordieuse du Père à l’égard des hommes pecheurs« sowie Coenen / Haacker, Begriffslexikon, Lemma: Gnade: »In der Verkündigung Jesu ist vermutlich der Gnadenbegriff nicht vorgekommen, aber die Inhalte seiner Verkündigung und sein gesamtes Handeln vergegenwärtigen Gottes Herablassung zu den Armen, Hoffnungslosen, Verlorenen (Mt 11, 5, 28ss; Mk 10, 26ss, Lk 15)«. 79  Cf. das Gleichnis vom verlorenen Schaf, Lk 15, 4–7, hier 7: »gaudium erit in caelum super uno peccatore paenitentiam agente quam super nonaginta novem iustis, qui non indigent paenitentia« und von der verlorenen Drachme, Lk 15, 8–10, hier 10: »Gaudium erit coram angelis dei, super uno peccatore paenitentiam agente«. Der gleiche Gedanke schwingt auch in der Antwort des Vaters am Ende des Gleichnisses vom verlorenen Sohn mit: »Epulari autem et gaudere oportebat, quia frater tuus hic mortuus est erat et revixit perierat et inventus est« (Lk 15, 31 / 32), cf. dazu erneut Kahlefeld, Gleichnisse, 53 sowie ibid. n. 37. Lk 15, 3–10 ist Tagesperikope am dritten Sonntag nach Pfingsten. Wie bereits angedeutet, findet insbesondere das Bild von der brebis égarée oft Anwendung in Konversionsschriften, cf. dazu ausführlich infra, Kapitel 4.b). 80  Cf. Pepin, Sermones quadragesimales / sermo ad sabato post sec. dom. quadr., XCVIv. 81  Cf. zum Beispiel Pepin, Sermones quadragesimales / sermo ad sabato post sec. dom. quadr., XCVIv: »Ecce auditis carissimi quod qual iter exultare facimus sanctus dei angelos (qn) convertimur ad vera penitentia« sowie passim.

60 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

Freude des Himmels über die Reue der Sünder steht auch im Mittelpunkt des sermo zu Lk 7, 36–50 (Jesu Begegnung mit der Sünderin, i. e. Maria Magdalena)82 sowie weiterer Predigten des Zyklus’ und kann somit als eines der Leitmotive der sermones quadragesimales von Pepin gelten. Ist der Appell zur conversio, sei es im Sinne eines Glaubenswechsels oder – vorrangig – im Sinne innerer Umkehr, während der gesamten Fastenzeit also omnipräsent, wird die Notwendigkeit der Umkehr ebenso wie die positive Aufnahme einer conversio bei Gott auch zu anderen Zeiten des Kirchenjahres, besonders an den Heiligenfesten, den Gläubigen immer wieder durch entsprechende Bibelpassagen und Predigten in Erinnerung gerufen.83 82  Cf. zum Beispiel Pepin, Sermones quadragesimales / sermo ad feria quinta post dom. in pass., CLXXXVIIIv-CXCVv, hier CXCIv, »Gaudium est angelis dei super una peccatrice penitentiam agente«. Pepin setzt in seiner Predigt die Sünderin aus Lk 7 mit Maria Magdalena gleich, eine Auslegung, die im Abendland Tradition hatte, zumal sie einerseits durch die Aussagen maßgeblicher Kirchenlehrer (cf. beispielhaft den Hinweis Gregors des Großen: »Hanc vero quam Lucas peccatricem mulierem, Joannes Mariam nominat, illam esse Mariam credimus de qua Marcus septem daemonia eiecta fuisse testatur«, Gregor der Große: »Homilia XXIII«, in: Homiliarum in Evangelia, libri II, in: Migne, PL, vol. LXXVI, cc. 1075–1312 / 1238–1246, hier 1239. Der Markusvers (16,  9), auf den hier angespielt wird, lautet »surgens autem mane prima sabbati apparuit primo Maria Magdalenae de qua eiecerat septem demonia«), andererseits durch die Version der Legenda Sanctorum von Jacopo da Varazze sanktioniert worden war (cf. Jacopo da Varazze, Legenda aurea. Seconda edizione rivista dall’autore. Edizione critica a cura di Giovanni Paolo Maggioni. Florenz: Sismel 1998, 628–642, 23–25. In der verwendeten Ausgabe wurden die Sätze vom Hrsg. durchnummeriert. Die Zahlen nach dem Komma verweisen auf diese Nummern). Da sich diese von Jacopo da Varazze besorgte Sammlung von Heiligenviten seit ihrer Fertigstellung im 13. Jahrhundert großer Beliebtheit und Anerkennung – beim Klerus ebenso wie beim Kirchenvolk – erfreute, was ihr dann ja auch den Ehrentitel Legenda aurea eintrug, wird die von Pepin vorgeschlagene Gleichsetzung kaum jemanden verwundert haben. Um seine Deutung dennoch gegenüber den zu seiner Zeit sich mehrenden Zweiflern (zur »querelle de la Madeleine« cf. Bedouelle, L’humanisme, in Bedouelle /  Roussel, Bible, 96 / 97) an der Berechtigung der Identifikation der Sünderin aus Lk 7 mit der Schwester von Marta und Lazarus (Lk 10, 38–42 sowie Joh 11, 1–44), der Frau, der Jesus sieben Dämonen austrieb (Mk 16, 9, Lk 8, 2) und der Auferstehungszeugin (Joh 20, 1–18), wägt er die Argumente für das Für und Wider der Gleichsetzung erneut gegeneinander ab. Auf der Basis der von ihm begründet dargelegten Meinung folgert Pepin schließlich, die Bedeutung der conversio Maria Magdalenas stehe derjenigen von Paulus in nichts nach: »Et ibi dat exemplum de conversione pauli que facta est cum miraculosa prostatione exteriori eiusdem. Propter quo huiusmodi conversio tanta miraculosa celebratur in ecclesia. Idem autem t…… (unlesbar) iudicium videntur esse de conversione peccatricis magda­ lene«, Pepin, Sermones quadragesimales / sermo ad feria quinta post dom. in pass, CXCIv. 83  Außerhalb der österlichen Bußzeit wird conversio in den Evangelien beispielsweise am dritten Sonntag nach Epiphanie (Mt 8, 5–13), am Dreifaltigkeitssonntag



a) … in der Predigt61

Die in der ›alten Kirche‹ im 16. Jahrhundert gängige Predigtpraxis ließ sich anhand der von Missale und Konzilstexten recht problemlos nachvollziehen – was wohl nicht zuletzt der auf Einheit und Universalität ausgerichteten, seit Jahrhunderten gewachsenen Struktur der römischen Kirche geschuldet ist. Zwar wurde diese wie gezeigt durch die Vorgänge von Wittenberg, Zürich oder Straßburg erschüttert und gerieten ihre ›Amtsträger‹ teilweise in die Kritik, dennoch behielt die Kirche ihre traditionelle, in ihrem gesamten Einflussgebiet gültige Organisation – und damit auch Liturgie- und Predigtformen – mehr oder weniger bei. Es kann dementsprechend davon ausgegangen werden, dass die hier am Beispiel der vorreformatorischen Predigt erarbeiteten conversio-Konzepte einschließlich ihrer steten Präsenz auch im Trubel der Reformation zunächst die gleichen blieben.84 Herrschte in der ›alten Kirche‹ also weitgehend Kontinuität, mussten in den reformatorischen Kirchen notwendig vollständig neue Strukturen geschaffen werden. Die Predigt erfuhr eine deutliche Aufwertung: Auf der Grundlage des bereits angesprochenen sola scriptura-Prinzips sowie eines veränderten Sakramentsverständnisses wurde die prêche neuer Mittelpunkt des sonntäglichen Gottesdienstes.85 Diese Akzentverschiebung trug nicht nur den ge(Joh 3, 1–13), am zweiten (Lk 14, 15–24) und dritten Sonntag nach Pfingsten sowie am Samstag vor dem 18. Sonntag nach Pfingsten (Lk 13, 1–9) thematisiert. Im Bereich der alt- oder neutestamentlichen Lesungen erweist sich wiederum die quadragesima als Hochzeit des Appells zur conversio; neben den bereits erwähnten sei auf die Lesung der Ostervigil Jon. 3, 1–10 hingewiesen. In der Oster- und Pfingst­ oktav werden vorrangig die Berichte aus der ersten Zeit der christlichen Gemeinde (Apg 1–8) zu Gehör gebracht, in denen conversio in Form der Annahme des Christusglaubens thematisiert wird (cf. erneut die Aufstellung in Anhang I). Die Aufforderungen zu Nachfolge und furchtlosem Bekenntnis, die ja oft eng mit einem conversio-Moment verbunden sind, werden beispielsweise anlässlich der Gedenktage von Agnes (Januar), Petrus und Paulus (Juni, mit Vigil und Oktav); Maria Magdalena (Juli), Matthäus (September) in Erinnerung gerufen. Am Fest conversio Pauli (Januar) ist als Lesung der entsprechende Abschnitt der Apostelgeschichte vorgesehen (Apg 9, 1–22). Intention der Predigten de sanctis war vor allem, die Gläubigen zur Nachahmung anzuregen (cf. Taylor, Soldiers, 115). 84  Zu deutlichen Veränderungen kam es erst im 17. Jahrhundert, als mit Persönlichkeiten wie Bossuet, Bellarmin e. a. die Predigt zu einem gesellschaftlichen Ereignis wurde. 85  Diese zentrale Stellung der Predigt spiegelt sich auch in der semantischen Ausweitung des Begriffs wider: Ursprünglich nur als Bezeichnung für die Ansprache, wurde presche bald für den gesamten Gottesdienst, schließlich auch für den Versammlungsort verwendet. Im 17. Jahrhundert wurde presche metonymisch für den Protestantismus, messe für den Katholizismus verwendet. Cf. Willy Richard, Untersuchungen zur Genesis der reformierten Kirchenterminologie in der Westschweiz und Frankreichs mit besonderer Berücksichtigung der Namengebung. Bern: Francke: 1959, 86.

62 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

nannten theologischen Neuerungen Rechnung, sie schuf auch die Voraussetzung für den Erfolg der neuen Lehre. Denn in der in weiten Teilen auf mündliche Kommunikation ausgerichteten Gesellschaft des 16. Jahrhunderts war die volkssprachliche Predigt zudem der erste Ort, an dem Überzeugungsarbeit zugunsten der neuen Lehre geleistet werden konnte.86 Es ist deshalb kaum verwunderlich, dass sich in der Mehrzahl der protestantischen Bekenntnisschriften und Kirchenordnungen, seien sie lutherischer oder calvinscher Prägung, Hinweise zu Inhalt, Frequenz und Gestalt von Predigten finden. Gab man damit zunächst dem neuen protestantischen Kirchenverständnis Ausdruck, war man zudem bemüht, die Qualität des ›Erfolgskonzepts Predigt‹ für die Zukunft zu sichern, wenn nicht gar zu steigern. In enger Anlehnung an die Confessio Augustana (1530)87 formulierte Calvin bereits 1536 in der lateinischen Institutio christianae religionis sowie erneut 1541 in deren erweiterter französischer Fassung: Car par tout où nous voyons la parolle de Dieu estre purement preschée et escoutée, les Sacremens estre administrez selon l’Institution de Christ, là il ne fault doubter nullement qu’il n’y ait Eglise, d’autant que la promesse qu’il nous a baillée ne nous peut faillir: Partout où il y a deux ou trois assemblez en mon Nom, je seray au milieu d’eux.88 86  In seiner Einleitung zur Confessio Augustana (Einführung in die Hauptgedanken der lutherischen Reformation. Übersetzung aus dem Dänischen von Eberhard Harbsmeier. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 51996, 9–20, hier 10) kennzeichnet Leif Grane die ›Reformation‹ in ihrer Frühzeit deshalb sehr treffend als »Predigtbewegung«. Diese enge Verbindung zwischen Predigt und oraler Kultur unterstreicht auch Andrew Pettegree in: Reformation and the culture of Persuasion. Cambridge: Cambrigde University Press 2005, 10: »In a world, where most information continued to be conveyed by word of mouth, few could doubt that preaching represented one of the primary means of communication with a wider public. This was a world the reformers instinctively understood. Few doubted, that, if they were to reach their audience, it would be through the medium of the word: and that meant in the first instance the word preached«. 87  Cf. Confessio fidei […] Augsburgensis, art. 7: »Item docent, quod una sancta ecclesia perpetuo mansura sit. Est autem ecclesia congregatio sanctorum, in qua evangelium pure docetur et recte administrantur sacramenta«; Confessio fidei exhibita invictissimo imperator Carolo V Caesari in comitis Augsburgensis (1530), in: Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche. Herausgegeben vom Deutschen Evangelischen Kirchenausschuß im Gedenkjahr der Augsburger Konfession 1930. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1930. 88  Jean Calvin, Institution de la religion chrétienne (1541). Edition critique par Olivier Millet. Genf: Droz 2008, IV, 661. Die römische Ziffer bezeichnet das Kapitel, die arabische die Seite. Lateinische wie französische Institutio / n sind gleichfalls in der Gesamtausgabe der Werke Calvins, Iohannis Calvini Opera quae supersunt omnia (= vols. XXIX–LXXXIX des Corpus Reformatorum (ed. Wilhelm Baum, Eduard Cunitz, Eduard Reuss. Braunschweig: Schwetschke & Sohn 1864 e. a.) greifbar (vols. XXIX–XXXII), auf Französisch allerdings in der mehrfach überarbeiteten



a) … in der Predigt63

Die besondere Bedeutung der Predigt hervorhebend, kennzeichnet Calvin Kirche hier als creatura verba divini und als solche mit Rekurs auf Mt 18, 20 als Abbild und legitime Nachfolgerin der Gemeinschaft Christi mit seinen Jüngern.89 Diese Vorstellung von Eglise schlägt sich auch in drei Texten nieder,90 die vom Genfer Conseil Général und der dortigen Compagnie des Pasteurs 1541 veröffentlicht wurden und für Kirchenordnung und Liturgie der Stadt selbst sowie Frankreichs maßgeblich werden sollten: Der Genfer Catéchisme und La forme des Prières ecclésiastiques91 – bald im Verbund mit der Bibel herausgegeben – entwickelten sich zu festen Größen der »culture réformée commune«92; die Ordonnances ecclésiastiques93, »fondement de Fassung von 1560, die für die hier betrachtete Frühzeit nicht relevant ist. Auch verfügt die anlässlich des Calvin-Jubiläums besorgte Ausgabe von Millet über zahlreiche liminaires auf neuestem Forschungsstand, weshalb ihr im Folgenden der Vorzug gegeben wird. Gleiches gilt für die ebenfalls im Jubiläumsjahr 2009 erschienene Sammlung der Œuvres de Calvin. 89  Die im Nicaenum (heutzutage Nicaeno-Constantinopolitanum genannt) festgeschriebene Apostolizität der Kirche als eine der vier notae ecclesiae (i. e. una, sancta, catholica, apostololica) beruht nach calvinschem Verständnis also weniger auf der Idee apostolischer Sukzession als vielmehr auf dem Beachten und Bewahren der in der Bibel angelegten Glaubenspraxis der christlichen Gemeinschaft. Die Kirchen der Reformation ergänzten dementsprechend die traditionellen notae ecclesiae um die notae externae Predigt und Spendung der Sakramente nach biblischem Vorbild. Cf. dazu Gisel, Encyclopédie, Lemma: Église 3.3 sowie Olivier Millet, Calvin. Un homme, une œuvre, un auteur. Gollion: Infolio 2008, 53ss. 90  Zu den Verbindungen zwischen Institutio / n und Genfer Kirchenordnung sowie zu den Aufenthalten Calvins in Genf 1537 sowie ab 1541 cf. Schnyder, Reformation, 66–80 sowie erneut Millet, Calvin, 45, 53s. 91  La Forme des prières ecclésiastiques (ursprünglicher Titel: La forme des prières et chants ecclésiastiques, avec la manière d’administrer les Sacrements, et consacrer le mariage: selon la coutume de l’Eglise ancienne) ist das »formulaire liturgique protestant«, das zusammen mit dem Catechisme de Genève das Werk Calvins war, »qui toucha le plus longtemps le plus grand nombre des réformés, qui, pendant plusieurs générations des XVIe et XVIIe siècles, en firent un usage tant public que privé, en français ou dans de nombreuses traductions« (notice zu Jean Calvin, La forme des prières ecclésiastiques (1542), in: idem, Œuvres. Edition établie par Francis Higman / Bernard Roussel. Paris: Gallimard 2009, 269–306, notice, 1161–1166, hier 1163). La forme des prières enthält keine Angaben zu Form oder Inhalt der Predigt, führt sie aber als eine der »trois choses« an, que notre Seigneur nous a commandé d’observer en nos assemblées spirituelles«, Calvin, Œuvres / La forme des prières, 270. 92  Notice zu Calvin, Œuvres / La forme des prières, 1165. Zum Erfolg von La Forme des prières in Frankreich cf. Marianne Carbonnier-Burkard, »Le temps de la cène chez les réformés français«, in: Maria-Cristina Pitassi (ed.), Édifier ou instruire? Les avatars de la liturgie réformée du XVIe au XVIIIe siècle. Paris: Champion 2000, 57–73, hier 68. 93  Ordonnances ecclesiastiques (1541), in: Registres de la compagnie des pasteurs de Genève au temps de Calvin, vol. I (1546–1553). Publiés sous la direction

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toute l’organisation et de la discipline de l’Eglise de Genève«94 wurden zum anerkannten Vorbild aller Eglises réformées Frankreichs.95 Deutlich spürbar wird dieses bewusste Anknüpfen an das Neue Testament bereits in der Eröffnungssequenz der Ordonnances ecclésiastiques: »Et ainsi avons ordonné et estably de suyvre et garder en nostre ville et territoire la police ecclesiastique qui s’ensuit, comme nous voyons qu’elle est prise de l’evangile de Jesuchrist«.96 In ihr werden neben dem Geltungsbereich der Kirchenordnung auch die »quatres ordres d’offices que nostre Seigneur a institué pour le gouvernement de son esglise«97 eingeführt. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung entscheidend sind die Aussagen zum Amt des pasteur: Quant est des pasteurs que l’escripture nomme aussi alcunesfois surveillans, anciens et ministres, leur office et d’annuncer la parolle de Dieu pour endoctriner, admonester, exorter et reprendre tant en publicq comme en particulier, administrer les sacremens et faire les corrections fraternelles avec les anciens ou commis.98

Wenn die Aufgabe der pasteurs hier mit den Worten »annuncer la parolle de Dieu endoctriner, admonester, exorter et reprendre« umrissen wird, lassen sich daraus erste Hinweise auf Inhalt und Funktion von Predigt erschließen. Sie dient, ebenso wie die Gespräche, die ein pasteur gelegentlich mit – sündigen – Gemeindemitgliedern zu führen hatte, der Belehrung, Ermahnung und Rüge der Gläubigen und konnte, wie die tautologische Wiederholung von admonester und exorter in Verbindung mit dem Verb »reprendre« nahe legen, durchaus einem ›Strafgericht‹ gleichkommen. Durch den Rückgriff auf das Bild vom Guten Hirten99 wird der pasteur des Archives d’État de Genève par Robert-M. Kingdon et Jean-François Bergier. Genf: Droz 1964, 1–13. 94  Ordonnances écclesiastiques, in: Registres, 1, n. 1. 95  Cf. Jean-François Bergier, »Introduction«, in: Registres VII–XI, hier IX. Zur Bedeutung Genfs für die Ausbildung der Eglises réformées in Frankreich cf. auch Joseph Lecler, Histoire de la tolérance au siècle de la Réforme. Paris: Michel 21994, 403: »De Genève se diffusent partout en France l’Institution chrétienne, des Bibles et des petits traités doctrinaux. De Genève partent des prédicants bien formés, munis d’une doctrine claire, de règles disciplinaires et liturgiques précises«. 96  Ordonnances écclesiastiques, in: Registres, 1. Cf. auch »la doctrine du sainct evangile de nostre Seigneur soit bien conservée en sa purité et l’esglise christienne deuement entretenue« (ibid, 1). 97  Ordonnances écclesiastiques, in: Registres, 1. Der Geltungsbereich der Ordonnances écclesiastiques wurde 1546 auf die Genf umgebenden Landgemeinden erweitert. 98  Ordonnances écclesiastiques, in: Registres, 2. 99  Cf. Joh 10, 1–16; hier insbesondere 11–15: »Ich bin der gute Hirt. Der gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe. Der bezahlte Knecht aber, der nicht Hirt ist und dem die Schafe nicht gehören, läßt die Schafe im Stich und flieht, wenn er den



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schließlich als Seelsorger gekennzeichnet, der seine Aufgabe zum Wohl der ihm anvertrauen brebis erfüllt100 – und deshalb auch einmal deutliche Worte sprechen muss, um die Gläubigen wieder auf den rechten Weg zu bringen, sie also zur conversio anzuhalten. Die knappen Angaben zur Predigt in den Ordonnances ecclesiastiques101 spiegeln die historische Situation ihrer Entstehungszeit deutlich wider: Von den städtischen Autoritäten 1541 aus Straßburg zurückgerufen, sollte Calvin die kommunale sowie die kirchliche Administration neu gestalten und eng miteinander verzahnen. Die Ordonnances ecclesiastiques sind Teil dieses Gefüges und mit ihren Abschnitten zur Kirchenzucht dazu angetan, die sittliche Ordnung in der Stadt wieder herzustellen und zu bewahren.102 Der Wunsch, dieses Ziel zu erreichen, wird auch bei der Formulierung der Vorgaben für die Predigt leitend gewesen sein, was den erwähnten mahnenden Tenor einmal mehr nachvollziehbar macht. Gänzlich anders war die Situation, als die Verantwortlichen der Eglises réformées auf der ersten Nationalsynode in Paris 1559 übereinkamen, allen Kirchen auf französischem Boden, die »à la genevoise«103 strukturiert waren, eine gemeinsame constitution zu geben. Nun galt es nämlich nicht, auch gegen den Willen des Einzelnen eine gemeinsame Ordnung durchzusetzen. Wer sich in den fünfziger Jahren des 16. Jahrhunderts als Mitglied einer Eglise réformée offenbarte, tat dies unter Vernachlässigung aller damit verbundenen Gefahren, wollte einerseits dazuWolf kommen sieht […]. Er flieht, weil er nur ein bezahlter Knecht ist und ihm an den Schafen nichts liegt. Ich bin der gute Hirt, ich kenne die Meinen und die Meinen kennen mich«. Calvin bediente sich des Bildes vom Guten Hirten gleichfalls in der Institutio / n, cf. zum Beispiel Calvin, Institution, III, 467. 100  Das Bild vom Guten Hirten bildet selbstverständlich auch die Grundlage für die in der ›alten Kirche‹ gängige Sammelbezeichnung pastores für Bischöfe und Priester sowie für die Begriffe »Priester« respektive »prêtre«. Calvin stellte diesen den protestantischen pasteur als wahren Seelsorger gegenüber (cf. Richard, Kirchenterminologie, 123). Das Bild vom Guten Hirten, der sich um seine Herde kümmert, steht zudem in enger Verbindung zum bereits mehrfach erwähnten Gleichnis von der brebis égarée, das zum vertrauten Bildgut der Verfasser von Konversionsschriften gehört (cf. dazu erneut infra, Kapitel 4.b)). 101  Weitere Angaben zur Predigtpraxis bietet lediglich Abschnitt 5: Du nombre, lieu et temps des predications; Ordonnances ecclesiastiques, in: Registres, 5. 102  Cf. Millet, Calvin, 60–64, Schnyder, Reformation, 66–68. Die entsprechenden Abschnitte der Ordonnances ecclesiastiques sind L’établissement d’un jour pour le Consistoire und S’ensuyvent les personnes que les anciens doibvent admonester et comme on doibvra proceder (Ordonnances ecclesiastiques, in: Registres, 11–13). 103  Carbonnier-Burkard/Cabanel, Histoire, 26. Zum von den Genfer Autoritäten stark forcierten dressement von Eglise à la genevoise cf. auch Delumeau / Wanegfellen, Naissance, 148–152.

66 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

gehören, sich andererseits aber auch deutlich von dem abgrenzen, was er verlassen hatte. Beide Aspekte kommen in der Discipline des Eglises réformées klar zum Ausdruck. Artikel 12 regelt die Aufgaben der ministres, wie die Genfer pasteurs in Frankreich mehrheitlich genannt werden104, und gibt an, wie Predigten gestaltet (Abschnitt 1 und 2) bzw. nicht gestaltet (3) sein sollen: (1) La charge des Ministres est principalement d’évangéliser et annoncer la Parole de Dieu à leurs peuples, et seront exhortés de s’abstenir de toute façon d’enseig­ ner étrange et non convenable à édification, et se conformer à la simplicité et style ordinaire de l’esprit de Dieu, se donnant garde qu’il y ait chose aucune en leurs prédications qui puisse apporter préjudice à l’honneur et autorité de l’Écriture sainte. (2) Ne prêcheront sans avoir pour sujet de tout leur propos un texte de l’Écriture sainte, qu’ils suivront ordinairement: et du texte, ils en prendront et exposeront le plus qu’ils pourront, (3) s’abstenant de toutes amplifications non nécessaires, de digressions longues et sans occasions, d’un amas de passages de l’Écriture hors le besoin, et d’un récit vain de diverses expositions. N’allègueront que bien sobrement les écrits des anciens docteurs, et beaucoup moins les histoires et auteurs profanes. Ne traiteront aussi la doctrine en forme scholastique, ou avec mélange des langues. Bref, fuiront tout ce qui peut servir à ostentation, ou en donner soupçon en quelque sorte. […]105

Die Abschnitte (1) und (2) knüpfen deutlich an die Aussagen der Ordonnances ecclesiastiques an. Hier wie dort wird Predigt als Erklärung der Heiligen Schrift – und nur der – zum Wohl der Gemeinde gekennzeichnet. Abschnitt (3) bietet Anhaltspunkte zur formalen und inhaltlichen Gestaltung der Predigt, allerdings ex negativo und mit einem deutlichen Seitenblick auf die in der ›alten Kirche‹ gängige Praxis. Verboten werden beispielsweise der Rückgriff auf die Schriften der Kirchenväter oder profane Geschichten 104  Cf. Richard, Kirchenterminologie, 117. Der Begriff »ministre« ersetzt in den vierziger Jahren des 16. Jahrhunderts den Begriff »prédicant« und wird zur gängigen Bezeichnung des evangelischen Pfarrers. Während sich ministre, oft mit der Ergänzung de la parole de Dieu auf das (Dienst-)Verhältnis zwischen Mensch und Gott bezieht, integriert pasteur auch die seelsorgerische Komponente des Amtes (cf. im Bereich der ›alten Kirche‹ das semantische Verhältnis prêtre-curé). 105  Discipline des Eglises réformées de France. Annotée et précédée d’une in­ troduction historique par François Mejan, Préface de M. le pasteur Marc Boegner. Paris: Je sers 1947, art. 12. Abschnittseinteilung von mir. Zu Genese und Bedeutung der Discipline, also der Kirchenordnung cf. die Introduction historique der verwendeten Ausgabe sowie Carbonnier-Burkard/Cabanel, Histoire, 28 / 29. Neben der Discipline einigten sich die Teilnehmer der Nationalsynode auch auf eine gemeinsame confession de foi (cf. ibid., 28 / 29). Zu deren Einfluss und Inhalt cf. die Einleitung zu La confession de foi des Eglises réformées de France dite ›Confession de la Rochelle, in: Olivier Fatio (dir.), Confessions et catéchismes de la foi réformée. Introduction de Gabriel Widmer. Genf: Labor et Fides 22005, 111–127, hier 111–113. 105.



a) … in der Predigt67

(exempla), die Verwendung scholastischer Methoden oder die Integration nicht volkssprachiger – also wohl lateinischer – Passagen.106 Einzige Parallele zu den Forderungen des Trienter Konzils, das ja ungefähr zur selben Zeit stattfand und deshalb auf vergleichbare Entwicklungen reagierte, scheint der Hinweis auf den notwendig einfachen Stil zu sein. Während aber die Konzilsväter mit ihrer Forderung nach »facilitat(i) sermonis«107 das Verständnis der Predigten nun auch bei den unteren Gesellschaftsschichten sichern wollten, rekurrierten die Verfasser der Discipline hier auf die Vorstellung, dass den ministres die Fähigkeit zu predigen nur kraft des Heiligen Geistes eigen sei108, dessen Stil, wie die Texte der Bibel zeigten, ein bewusst einfacher, das heißt verständlicher sei.109 Auch wenn die Mitglieder der Eglises réformées, wie gezeigt, bemüht waren, sich von den Methoden der ›alten Kirche‹ zu distanzieren, ist deren Einfluss auf die Entwicklung im protestantischen Bereich kaum zu leugnen, schon deshalb, weil viele ministres de la parole de Dieu der ersten Generation, bevor sie sich der Reformationsbewegung anschlossen, eine traditionelle Ausbildung genossen hatten.110 In deren Rahmen waren sie auch mit Predigthandbüchern und -sammlungen in Berührung gekommen und hatten sie entsprechend schätzen gelernt, was wiederum dazu beitrug, dass vergleichbare Hilfsmittel und Vorlagen auch auf protestantischer Seite entwi106  Artikel XII der Discipline schließt mit dem Hinweis: »A quoi les Consistoires, Colloques et Synodes tiendront la main soigneusement« (cf. Mejan, Discipline, art. 12) Die Beachtung dieser Hinweise wurde also überprüft, wohl zu Recht: Aufgrund zahlreicher Verstöße gegen die Regeln wurden diese nämlich auf der Nationalsynode von Gergeau (1601) bekräftigt, Fehlverhalten mit Strafe »jusqu’à la suspension du ministère« belegt, »Revision de la discipline ecclesiastique« der XVIe Synode National des Églises Réformées de France (Gergeau, mars 1601), in: Jean Aymon (ed.), Tous les synodes nationaux des Églises réformées de France auxquels on a joint des mandemens roiaux et plusieurs lettres politiques […]. Den Haag: Charles Delo 1710, art. VIII. 107  Cf. supra, 53. Kasusangleichung von mir. 108  Diese Vorstellung zeigt erneut die enge Verbindung protestantischen Predigtverständnisses mit der urkirchlichen Tradition, cf. zum Beispiel Mt 10, 19 / 20: »[…] macht euch keine Sorgen, wie und was ihr reden sollt, denn es wird euch in jener Stunde eingegeben, was ihr sagen sollt. Nicht ihr werdet dann reden, sondern der Geist eures Vaters wird durch euch reden«. In der ersten Fassung der Instruction et confession de foi, die Calvin 1537 verfasste und die später die Grundlage für den Catéchisme de Genève wurde, formulierte der Reformator entsprechend: »[…] Christ n’a pas donné proprement cette puissance aux hommes, mais à sa parole de laquelle il a fait les hommes ministres« (Jean Calvin, Instruction et confession de foi (1537), in: Calvin, Œuvres, 221–268, hier 264 (Des pasteurs de l’Église et de leur puissance). 109  Cf. dazu beispielsweise Calvin, Institution, IV, 467 / 468. 110  Cf. Pettegree, Reformation, 12.

68 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

ckelt wurden.111 Eine theoretische Abhandlung über Form und Inhalt evangelischer Predigt legte der deutsche Theologe Andreas Hyperius 1553 mit De formandis concionibus sacris seu de interpretatione Scripturam populari vor. Das Werk wurde 1563 ins Französische übersetzt und erfreute sich bei den ministres Frankreichs großer Beliebtheit.112 Produktivster Lieferant von Modellpredigten war Calvin selbst, weshalb im Folgenden in Hinblick auf die Frage nach Präsenz und Verständnis des conversio-Konzepts in der protestantischen Predigt und Liturgie113 auch auf die Texte des Reformators zurückgegriffen wird.114 1549 entschied der Rat der Stadt Genf, die Predigten Calvins – anfangs gegen dessen Willen – stenographieren zu lassen.115 Auch wenn eine Vielzahl dieser Mitschriften bis ins 19. Jahrhundert in Genfer Archiven schlummerte und deshalb erst spät von der Forschung genutzt werden konnte116, 111  Dieses Phänomen einer Doppelprägung‹ ist kennzeichnend für zahlreiche Konvertiten, also Wechsler des konfessionellen Lagers: Verfügen sie aus der Zeit vor ihrer conversio über Kenntnisse und Traditionen der Gruppe, die sie verlassen, reagieren sie nach dem Übertritt zwar bewusst ablehnend repektive konsequent bejahend, können aber dennoch ihre Erfahrungen nicht auslöschen und richten ihr Handeln implizit am Wissen über den anderen aus. 112  Cf. Andreas Hyperius, Enseignement à bien former les sainctes prédications et sermons ès Églises du Seigneur. Genf: Crespin 21564. Zu Inhalt und Erfolg des Werks von Hyperius sowie zu weiteren protestantischen Predigthandbüchern cf. Françoise Chevalier, Prêcher sous l’Édit de Nantes. La prédication réformée au XVIIe siècle en France. Genf: Labor et Fides 1994, 53s. 113  Wie an La forme des prières ecclésiastiques ersichtlich, besteht der protestantische Gottesdienst in der Tradition Calvins aus Predigt, Psalmengesang sowie – viermal im Jahr – der cène. Die einzelnen Teile werden durch oraisons verknüpft. Der Gottesdienst beginnt mit einer confession générale des péchés (Calvin, Œuvres / La forme des prières, 276–280), in der die Gläubigen nach dem Bekenntnis ihrer Schuld um Vergebung und Nachsicht für sich sowie die barmherzige Aufnahme von (anderen) Sündern und Notleidenden bitten: »Nous te recommandons tous ceux que tu visites et châties par croix et tribulation […] que tu leur veuilles faire entendre ton affliction paternelle, qui est de les châtier pour leur amendement: à fin que de tout leur cœur ils se convertissent à toi: et étant convertis, reçoivent entières consolation, et soient delivrés de tous maux«. (ibid., 276). Das Erkennen eigener Sündhaftigkeit sowie der Hinweis auf die Notwendigkeit von conversio standen also am Beginn jeden Gottesdienstes, wurden den Gläubigen stetig vor Augen geführt. 114  Auch sind gerade aus der Frühzeit der Reformation in Frankreich nur wenige protestantische Predigten erhalten. Gründe dafür waren zum einen die grundsätz­ liche, auch bei Calvin spürbare Zurückhaltung, das ursprünglich gesprochene Wort zu verschriftlichen, zum anderen die mit einer Drucklegung verbundenen Gefahren, der sich die Mitglieder der Eglises réformées zum Schutz ihrer Person und ihrer Mission nicht unnötig ausetzen wollten, cf. Taylor, Soldiers, 189–191. 115  Cf. Pettegree, Reformation, 22–25 sowie Millet, Calvin, 97. 116  Von den rund 2300 von Denis Raguenier stenographierten Predigten Calvins sind nur rund 1500 erhalten, cf. Delumeau / Wanegfellen, Naissance, 112. Die Mehr-



a) … in der Predigt69

wurde ein Teil des umfangreichen Predigtwerks schon zu Lebzeiten Calvins gedruckt.117 Manchmal auf offiziellem Wege, oft mit Hilfe der zahlreichen französischen Flüchtlinge, die vorübergehend in Genf lebten, gelangten diese Schriften nach Frankreich, wo sie bei Privatleuten und ministres gleichermaßen positive Aufnahme erfuhren. War im Bereich der ›alten Kirche‹ das Missale nötig, um die thematische Ausrichtung der im Laufe eines (Kirchen-)Jahres gehaltenen sermones nachzuvollziehen, reicht in Hinblick auf das protestantische Christentum calvinscher Prägung ein Blick in die Bibel. Nach dem Vorbild der Schriftlesung in der Synagoge sowie in der frühen Kirche folgte man dort dem Prinzip der lectio continua.118 Von Zwingli eingeführt, von Calvin für Genf übernommen, wurde sie in den Eglises réformées Frankreichs mindestens bis zum Ende des 17. Jahrhunderts zwar nicht zur Vorschrift, wohl aber zur gern befolgten Regel.119 In deutlicher Abgrenzung vom bisherigen Usus120 heit von ihnen fand im 19. Jahrhundert Eingang in die Iohannis Calvini Opera sowie in die Sammlung von Sermons inédits (= Supplementa Calviniana, ed. James I. McCord, Erwin Mülhaupt e. a. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag des Erziehungsvereins 1930 e. a.). 117  Cf. Millet, Calvin, 119–121. Vor allem philologische Bedenken – Calvin pflegte die Bibelpassagen, die er seiner prêche zugrunde legte meist ad hoc aus dem Hebräischen oder Griechischen zu übersetzen und auch die Predigt ohne perfekt ausformulierte Vorlage zu sprechen – ließen Calvin anfangs eine ablehnende Haltung gegenüber der Publikation seiner Texte einnehmen: »Au total, la demande semble l’avoir de plus en plus emporté, au fil des ans, sur la gêne de l’auteur« (ibid., 120). 118  Die Idee der lectio continua / lecture continue entsprach demzufolge dem Selbstverständnis der Calvinisten, die von ihnen gestaltete Eglise knüpfe, anders als die ›alte‹ Kirche, deutlich an die Tradition der Urkirche an. Dieses Arguments bedient sich auch Hyperius bei der Empfehlung der lectio continua; cf. Hyperius, Enseignement, 57. 119  Cf. Marianne Carbonnier-Burkard, »La tradition des lectures bibliques dans le culte réformé«, in: Achille M. Triacca / Yves-Marie Blanchard (ed.), La liturgie, interprète de l’écriture I. Les lectures bibliques pour les dimanches et fêtes. Conférences Saint-Serge, XLVIIIe semaine d’études liturgiques. Rom: Edizioni liturgiche 2002, 83–96, hier 87, 92. 120  Die Auswahl der Perikopen im Missale richtet sich nach den im Laufe des Kirchenjahres gefeierten, auf Ostern hingeordneten Mysterien, die zusammengenommen die Erlösungstat Christi an den Menschen vergegenwärtigen. Darüber hinaus sollen Bibelstelle und Auslegung auch auf den Empfang des Altarsakraments vorbereiten. Diesem »approche mystique« wird mit der lectio continua die Möglichkeit der »appropriation d’une leçon intelligible« (Carbonnier-Burkard, Tradition, in: Triacca / Blanchard, Liturgie, 84) gegenübergestellt, die zudem keinen Unterschied zwischen dem ›Geistlichen‹ und seiner Gemeinde vorsieht, da letzterer nichts vorenthalten wird, was wiederum dem protestantischen Gedanken des Priestertums aller Gläubigen entspricht (cf. ibid., 87). Auf diesen Gedanken sowie grundsätzlich auf das Prinzip der lectio continua rekurriert wohl auch der bereits zitierte zweite Abschnitt des Artikels XII der Discipline.

70 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

wurden nun im Gottesdienst die Bücher des Alten und Neuen Testaments in toto vorgetragen und erklärt.121 Grundlage der prêche waren drei bis höchstens acht ›versets‹, selten längere Abschnitte, die meist direkt an die vorangegangenen anschlossen. Unterbrochen wurde diese lectio continua lediglich anlässlich von cène oder jeûne.122 Erste Hinweise auf eine mögliche Thematisierung von conversio in den Predigten Calvins böte dementsprechend eine Liste der biblischen Bücher, über die er en lecture continue gepredigt hat. Eine solche Aufstellung der zwischen 1549 und 1560 gehaltenen prêches liefert der catalogue des sermons trancrits par Raguenier.123 In dieser Hinsicht ertragreich wären demnach Teile der Reihen über die Bücher der ›großen‹ Propheten, also über Jesaja (1557 / 1558, 73 Predigten), Jeremia (1549, 91 Predigten), Ezechiel (1552, 343 Predigten) Daniel (1552, 47 Predigten), sowie über die Bücher der ›Kleinen‹ nämlich Joël (1551, 17 Predigten), Jonas (1552, 6 Predigten), ferner einige prêches über verschiedene Psalmen (1549ss, 72 Predigten) und über die Apostelgeschichte (1549 / 1552, 189 Predigten). Auch die im Katalogzusatz erwähnten prêches zur Evangelienharmonie (1559 / 1560,

121  In Genf sowie in den französischen Églises réformées waren die Texte des Neuen Testaments dem Gottesdienst am Sonntagmorgen vorbehalten. Gegenstand der Predigt am Sonntagnachmittag waren die Psalmen (cf. dazu infra, Kapitel 1.b)), Thema der Werktagspredigten die Bücher des Alten Testaments; cf. Ordonnances ecclésiastiques, in: Régistres, 5 sowie Carbonnier-Burkard, Tradition, in: Triacca / Blanchard, Liturgie, 86. 122  An den vier Sonntagen der cène war es möglich, die lectio continua zu unterbrechen und stattdessen über Passagen zu predigen, »plus ou moins directement en rapport avec la cène« (Carbonnier-Burkard, Cène, in: Pitassi, Édifier, 67 sowie passim). Gleichfalls an die Situation angepasst wurden Bibeltext und Predigt, wenn von den Verantwortlichen ein jeûne ausgerufen wurde. Dies geschah »chaque fois que les événements font craindre le courroux de Dieu« (Chevalier, Prêcher, 37). La Forme des prières hielt entsprechende Gebetstexte bereit: »Veuilles donc regarder en pitié toutes tes Eglises, et tous les peuples que tu as maintenant affligés, ou par peste, ou par guerre, ou par tes autres verges: les personnes battues de tes verges, soit de maladie, prison ou pauvreté: les consolant tous, selon que tu connais qu’ils en ont besoin«; Calvin, Œuvres / La Forme des prières, 287. Die Ausrufung einer période de jeûne kommt dementsprechend einem Appell zur conversio gleich. Die besondere Bedeutung der jeûne für das Gemeindeleben ebenso wie für das Verhältnis des einzelnen Gläubigen zu Gott hatte Calvin bereits in der Institutio / n betont (cf. Calvin, Institution, V, 733). 123  Dieser catalogue wurde 1557 von Raguenier erstellt und 1560 von ihm selbst überarbeitet. Nach dem Tod des Reformators wurde er von dessen erstem Biographen, Nicolas Colladon, auf den neuesten Stand gebracht und den Registres beigefügt. Bernard Gagnebin veröffentlichte ihn erstmals im Rahmen der »Histoire des manuscrits des sermons de Calvin«, in: Calvin, Supplementa Calviniana / 1961 II, XIV–XXVIII, hier XV–XVII.



a) … in der Predigt71

65 Predigten) und zur Matthäuspassion (1562, 6 Predigten) wären von Interesse.124 Das Thema conversio war also in den Predigten Calvins tatsächlich omnipräsent.125 Eine für den vorliegenden Zusammenhang repräsentative Auswahl zu treffen fiele entsprechend schwer. ›Erleichtert‹ wird sie durch den Verlust großer Teile des Predigtwerks Calvins, der beispielsweise eine Pa­ rallelanalyse zu den Predigten von Pepin über Mt 8, Lk 7, 15 und Joh 4 unmöglich macht. Gleiches gilt für die naheliegende Beschäftigung mit der Predigt zu Apg 9, 4–22, also über die Bekehrung Saulus’, könnte die Auslegung dieses Schlüsseltextes durch Calvin selbst für die weitere Auseinandersetzung mit dem Konzept conversio doch durchaus erhellend sein.126 Einen dennoch vergleichbaren Ausgangspunkt bieten die Predigten zu Mt 4, 17 und Apg 3, 19–21, denn wie die Mehrzahl der betrachteten sermones von Pepin beruhen sie auf dem Prinzip einer conversio im Sinne von μετανσια, setzen also ein Erkennnen persönlichen Fehlverhaltens und ›willentliche‹ respektive durch Gottes Gnade gewirkte Umkehr voraus. In beiden Texten geht es um ein Moment beginnender Verkündigung. Im Matthäusevangelium ist es Jesus selbst, der, nach Galiläa gekommen, in die Nachfolge Johannes’ des Täufers tritt. In der Apostelgeschichte sucht Petrus die zweifelnden Juden von der heilbringenden Botschaft dessen, den sie gekreuzigt haben, zu überzeugen. Jesus ebenso wie der Apostel formuliert gegenüber seinen mehr oder weniger willigen Zuhörern einen Appell zur conversio: »Amendez-vous, car le Royaume des cieux est prochain«127 heißt 124  Cf. Gagnebin, Histoire, in: Calvin, Supplementa Calviniana / 1961, XVII. Für eine detaillierte Aufstellung der Passagen der einzelnen biblischen Bücher, in denen jeweils conversio thematisiert wird, sei erneut auf Anhang I verwiesen. 125  Pettegree weist darauf hin, dass »to Luther and others, adherence to the Gospel message was, in the first instance, an acceptance of a call to repentance« (Pet­ tegree, Reformation, 3). Zwischen der protestantischen Predigt und einem Ruf nach conversio besteht somit gewissermaßen eine organische Verbindung. 126  Von den Predigten über die Apostelgeschichte ist lediglich der erste Band erhalten (Apg 1–7), die Reihe zur Evangelienharmonie endet bei Mt 5 / Lk 6. Eine Liste der verlorenen und vorhandenen Texte bietet Gagnebin, Histoire, in: Calvin, Supplementa Calviniana II / 1961, XXV–XXVIII. 127  Mt 4, 17 lautet vollständig: »Dés lors Iesus commencea à prescher et dire, Amendez-vous, car le Royaume des cieux est prochain«, die entsprechende, von Calvin gleichfalls angegebene Parallelstelle bei Mk 1, 15: »Et disant, Le temps est accompli, et le Royaume de Dieu est prochain: amendez-vous, et croyez l’Evangile«. Da Calvin wie angemerkt die auszulegenden Bibelverse meist selbst aus dem ­hebräischen oder griechischen Original übersetzte, werden diese hier und im Fol­ genden in der in Verbindung mit den Predigten überlieferten Form zitiert; Jean Calvin, »Cinquanteetdeuxieme Sermon«, in: idem, Sermons sur l‘harmonie des trois evangelistes S. Matthieu, S. Luc et S. Marc, in: Calvin, Calvini Opera, vol. XLVI,

72 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

es bei Matthäus; »Repentez vous et vous convertissez« entsprechend in der Apostelgeschichte.128 Für Calvin bieten diese Szenen Anlass zu fragen, was sich eigentlich hinter den Begriffen »se convertir« respektive »conversion« verbirgt.129 Der Formulierung in der Apostelgeschichte folgend, nähert sich Calvin dem Begriff »conversio« über denjenigen der »penitence«: Il faut que nous nous submettons du tout à la parolle de Dieu pour suyvre ce que nous congnoissons qu’il nous commande par icelle, luy priantz qu’il luy plaise tousjours nous conduyre par son sainct Esprit, afin que nous puissions faire chose qui luy soit agréable. Voilà donc quelle doibt estre la vray penitence.130

Atmet der Hinweis auf »la parolle de Dieu« als einzige normgebende Instanz durchaus reformatorischen Geist, deckt sich die Aussage, ein gottgefälliges Leben bedürfe der Unterstützung des Heiligen Geistes, im Wesentlichen mit den auch von Pepin in seinen Predigten propagierten Ideen. Im weiteren Verlauf seiner prêche skizziert Calvin zunächst die in seinen Augen angemessene Haltung eines penitent gegenüber Gott und sich selbst: Il fault que vous soyez mortiffiez, que vous ne demoriez plus en vous mesmes, que vous ne suyviez plus ce qui vous semblera bon, mais que vous soyez assubjectiz du tout à Dieu pour escouter sa doctrine et souffrir qu’il soit maistre pardessus vous. Brief, que vous soyez comme nouvelles creatures.131

Zentral ist hier die Forderung nach mortification: »soyez mortiffiez«, werdet euch eurer Sündhaftigkeit bewusst, wendet euch von allem Welt­ lichen ab, ›sterbt‹ für die Welt und strebt zu Gott.132 Alle weiteren Angaben, cc.  1–826, hier cc. 643–656; c. 643. Der zweite Teil der Predigt ist Lk 3, 19 und 4, 14 / 15 gewidmet. 128  Calvin zitiert Apg 3, 19 nur in dieser unvollständigen Form im Laufe seiner Predigt; Jean Calvin, »Actes, 17–19, Du Dimanche 9e jour de mars 1550«, in: idem, Sermons on the Acts of the Apostels., in: Calvin, Supplementa Calviniana VIII / 1994, 64–72, hier 69. Vers 19 der Apg lautet vollständig: »Repentez vous donc et vous convertissez, afin que vos pechez soyent effacez«; La Bible Française de Calvin. Texte tiré de l’édition de la bible de 1546 avec les variantes des éditions de 1548, 1554, 1555, 1559, 1562 et 1563, in: Calvin, Calvini Opera, vols. LVI / LVII, hier LVI. 129  Wörtlich. »Mais ceste conversion, qu’emporte-elle?«; Calvin, Harmonie / »Cinquanteetdeuxieme Sermon«, in: Calvin, Calvini Opera, vol. XLVI, c. 652. 130  Calvin, Sermons / »Actes, 3, 17–19«, in: Calvin, Supplementa Calviniana VIII / 1994, 69. 131  Calvin, Sermons / »Actes, 3, 17–19«, in: Calvin, Supplementa Calviniana VIII / 1994, 69. 132  Cf. Viller, Dictionnaire, Lemma: mortification. Die Metapher des Sterbens für die Welt und des Lebens im Glauben entstammt paulinischem Gedankengut, das ja für die Entwicklung der reformatorischen Ideen von Luther und auch Calvin weg-



a) … in der Predigt73

die Ausrichtung am und völlige Unterwerfung unter den Willen Gottes heben einzelne Facetten der geforderten mortification erneut hervor, dienen gewissermaßen als Illustration des paulinischen Begriffs, der den Zuhörern in der Frühphase von Calvins Wirken in Genf noch nicht unbedingt vertraut gewesen sein muss. Wenn Calvin anschließend fortfährt »Brief, que vous soyez comme nouvelles creatures«, verweist er damit bereits auf das Moment der conversio als vollständige Umkehr und Neuanfang, macht aber durch die Integration des »comme« darauf aufmerksam, dass die beschriebene Haltung der penitence allein nicht ausreicht. Um conversio zu vollziehen, bedarf es im Gegenteil der Wirkung des Heiligen Geistes: En quoy il signifie que nous ne povons point estre amenez à Dieu par quelques exhortations qu’on nous sache faire, sinon que nous soyons premierement touchez de noz faultes, et par ce moyen nous y deplaire tellement que nous soyons plainement convertiz à Dieu pour les delaisser du tout et estre renouvellez par le Sainct Esprit. Il est vray qu’un homme pourra bien estre touché de la congnoissance de ses pechez après qu’on luy remonstrera, mais s’il ne vient à ce point de se convertir, ceste congnoissance ne luy proffictera de rien, mais ne fera qu’augmenter sa condampnation.133

Neben der Wirkmacht des Heiligen Geistes bringt Calvin hier den Begriff der »cognoissance« ins Spiel, Zentralbegriff seiner Theologie, den er bereits in den ersten beiden Kapiteln der Institutio / n umfänglich erklärt hatte.134 »Toute la somme de nostre saigesse, laquelle merite d’estre appellée vraie et certaine saigesse, est quasi comprinse en deux parties, à sçavoir la congnoissance de Dieu, et de nousmesmes«,135 formulierte er gleich im Eröffnungssatz des Werkes und fügte hinzu: weisend war. Der Reformator aus Genf schlägt mit dem Rückgriff auf die vor allem im Römerbrief formulierten Konzepte also keineswegs einen Sonderweg ein. Cf. dazu infra, Kapitel 4.c). 133  Calvin, Sermons / »Actes, 3, 17–19«, in: Calvin, Supplementa Calviniana VIII / 1994, 6. 134  Cf. Calvin, Institution, I, 187–235, »De la congnoissance de Dieu«, ibid. II, 247–388: Kapitelüberschrift: »De la congnoissance de l’homme et du liberal arbitre«. Gerade diese ersten beiden Kapitel zur cognoissance wurden von Calvin selbst immer wieder überarbeitet – durchaus ein Indiz für die ihr beigemessene Bedeutung. In der französischen Ausgabe von 1560 beispielsweise, der letzten vom Reformator selbst besorgten, werden congnoissance de Dieu et congnoissance de l’homme von vornherein gemeinsam dargestellt: cf. I Kapitelüberschrift: »Comment la cognoissance de Dien et de nous sont choses coniointes, et du moyen et liaison«; Jean Calvin, De la religion chrestienne. Nouvellement mise en quatre livres: et distinguée par chapitres, en ordre et methode bien propre: augmentée aussi de tel accroissement, qu’on la peut presque estimer un livre nouveau. Genf: Crespin 1560, in: Calvin, Calvini Opera, vols. III / IV, hier vol. III, cc. 38–43, c. 38. 135  Calvin, Institution, I, 187.

74 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio Or, il n’est pas facile de discerner laquelle des deux precede et produit l’autre. Car veu qu’il se trouve un monde de toute misere en l’homme, nous ne nous pouvons pas droictement regarder, que nous ne soions touchez et poincts de la congnoissance de nostre malheurté, pour incontinent eslever les yeulx à Dieu, et venir pour le moins en quelque congnoissance de luy. Ainsi pour le sentiment de nostre petitesse, rudesse, vanité, mesmes aussi perversité et corruption, nous recongnoissons que la vrai grandeur, sapience, verité, justice et pureté gist en Dieu.136

Erkenntnis von grandeur de Dieu und misère de l’homme interferieren demnach, zusammen genommen führen sie dazu, dass der Mensch sich selbst in seiner Sündhaftigkeit missfällt,137 was wiederum der Haltung des homme penitent gleichkommt, der sich entweder mit Gottes Hilfe bekehrt oder aber, da er an diesen Beistand nicht glaubt oder nicht darauf zu hoffen wagt, an seiner Sündhaftigkeit verzweifelt.138 Damit kommt Calvin bei der Beantwortung der Frage nach dem Gehalt des conversio-Begriffs trotz aller Differenzen im Einzelnen zu einem ähn­ lichen Ergebnis wie Pepin: Wie der Dominikanerpater betont er die Wirkmacht des Heiligen Geistes, wie dieser weist er auf die Möglichkeit unbedingten Vertrauens auf die göttliche Barmherzigkeit hin: »d’autant que tu ne veux pas la mort des pecheurs, ains qu’ils se convertissent et qu’ils vivent, ayant confiance en ta grande misericorde«.139 Nach Calvins Verständnis ist conversio also eine ›Angelegenheit (allein) zwischen Mensch und Gott‹, deren Voraussetzung wie dargelegt zunächst cognoissance de Dieu / de soi, schließlich penitence und damit Bereitschaft zur Annahme der göttlichen Gnadengabe ist. In seiner einige Jahre später gehaltenen Predigt zu Mt, 4, 17 setzt er penitence und conversio gar gleich: Voyla donc pourquoy la conversion est nommee repentance, pour ce que iamais nous ne pourrons nous ranger à Dieu, isuques à ce que nous soyons faschez contre nous-mesmes, et qu’il nous desplaise d’estre tels que nous sommes. Car ce mot Institution, I, 189. Institution, I, 189: »nous deplaire du tout en nous mesmes«. 138  Cf. die bereits zitierte Passage der Predigt zu Apg 3, 19: »ceste congnoissance ne luy proffictera de rien, mais ne fera qu’augmenter sa condampnation«. Als Beispiele so gearteter Verzweiflung führt Calvin hier Kain und Judas an (cf. Calvin, Sermons / »Actes, 3, 17–19«, in: Calvin, Supplementa Calviniana VIII / 1994, 69. Beide waren sich ihrer Schuld bewusst, anstatt aber auf Gottes Barmherzigkeit zu vertrauen, ziehen sie es vor, sich von Gott abzuwenden respektive ihr Leben zu beenden (cf. Gen 4, 1–16; Kain und Abel; Mt 27, 5, Ende des Judas, ähnlich Apg 1, 18, Wahl des Matthias (als Ersatz für Judas)). 139  Calvin, Sermons / »Actes, 3, 17–19«, in: Calvin, Supplementa Calviniana VIII / 1994, 70. 136  Calvin, 137  Calvin,



a) … in der Predigt75 de conversion vient de ce que nous avons este comme esgarez, que nous avons tourné le dos à Dieu, et que nous avons couru apres nos cupiditez desbordees: et que puis apres Dieu nous fait tourner bride, et nous fait ranger à luy, pour l’escouter parler, et pour suyvre le chemin qu’il nous propose. Nous voyons maintenant quelle est la raison de ces mots, et à quoy tend la substance.140

Conversio respektive penitence wird hier erneut als Ergebnis eines menschlichen Erkenntnisprozesses in notwendiger Verbindung mit einem göttlichen Gnadenakt definiert, ein Konzept, das er auch im Kapitel V der Institution »De penitence«141 vertreten hatte – dort mit Rekurs auf die Bedeutung der Wörter im hebräischen und griechischen Original142 und in scharfer Abgrenzung vom traditionellen Verständnis von penitence.143 Hatte er dieses in den verschiedenen Ausgaben der Institutio / n ebenso wie in zahlreichen Briefen immer wieder mehr oder weniger ausführlich dargestellt und als eine der superstitions papales gebrandmarkt144, beschränkt er sich 140  Calvin, Harmonie / »Cinquanteetdeuxieme Sermon«, in: Calvin, Calvini Opera, vol. XLVI, c. 653. Calvin bedient sich hier eines vergleichbaren Bildrepertoires wie in der Predigt zu Apg 3, 19, was einmal mehr die Konstanz des Konzepts beweist. Zur Verwendung dieser Bildsprache durch die Verfasser von écrits de conversions cf. erneut infra, Kapitel 4.b). 141  Cf. Calvin, Institution, V: »De penitence«, 719–812. 142  Cf. Calvin, Institution, V, 726 / 727: »Le mot qu’ont les Hebrieux pour signifier Penitence signifie conversion; celuy qu’ont les Grecz signifie changement de conseil et volunté; et de faict, la chose ne correspond point mal à ses vocables, veu que la somme de Penitence est que, nous estans retirez de nous-mesmes, soyons convertiz à Dieu, et ayans delaissé nostre premiere cogitation et volunté, en prenions une nouvelle. Parquoy, à mon jugement, nous la pourrons proprement diffinir en ceste sorte«. Cf. dazu erneut supra, 41, n. 3 sowie Alexandre Ganoczy, Le jeune Calvin. Genèse et évolution de sa vocation réformatrice. Mit einer Einleitung von Joseph Lortz. Wiesbaden: Steiner 1966, 274–276, hier 275. 143  Cf. Calvin, Institution, V, 738–812. Um einen Eindruck vom polemischen Ton der Darstellung zu vermitteln seien einige Passagen aus der Einleitung des Abschnitts zitiert: »Premierement, en donnant la diffinition de Pénitence, ilz montrent evidemment qu’ilz n’ont jamais entendu que c’estoit« (ibid., V, 739), ähnlich: ­»Après avoir si subtilement diffiny que c’est que Penitence […]« (ibid., V, 740). 144  Calvin lehnt vor allem die gängige Lehre von der penitence / poenitencia als dreischrittigen Prozess (contritio – confessio – satisfactio) ab (cf. zum Beispiel Calvin, Institution, V, 739 / 740, ähnlich Calvin, Commentarius, 71, Kommentar zu caput III, 19), manifest in der sakramentalen Form der Buße, die seit dem 13. Jahrhundert verstärkt als Privatbeichte begangen wurde. Anstoß erregte vor allem die Vorstellung, es bestünde die Möglichkeit, Gott durch Reue und Taten der Buße umzustimmen und so die Vergebung der Sünden gewissermaßen zu ›verdienen‹. Auf die Folgen dieses Bußverständnisses wurde bereits zu Beginn dieses Kapitels mit Rekurs auf die Ausführungen bei Delumeau und Le Goff verwiesen. Zur Einstellung Calvins cf. Ganoczy, Calvin, 274. Eine knappe Darstellung des Bußverständnisses der ›alten Kirche‹ bietet Kasper, LThK, Lemma: Buße III (Historisch-theologisch, im Vergleich zu Luther und Calvin insbesondere im Abschnitt zur »Auseinandersetzung mit der Reformation«). Das Tridentinum schrieb die Lehre von der dreischrittigen

76 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

in der Predigt zu Apg 3, 19 lediglich auf einige wenige Bemerkungen hinsichtlich der Bußpraxis der ›alten Kirche‹.145 In seiner späteren prêche zu Mt 4, 17 verzichtet er darauf fast vollständig. Mit Bezug auf die markinische Parallelstelle greift er hingegen auf ein anderes gleichfalls bereits mehrfach dargelegtes Konzept zurück: auf den Glauben an Gott und dessen Barmherzigkeit als Voraussetzung für gelungene conversio. Für Calvin kommt der Glaube einem Versprechen gleich, dem noch in der Zeit der Erwartung einer möglichen Einlösung bereits ausreichend Kraft innewohnt, um dem sündigen Menschen Führung und Hoffnung zu geben.146 Für das Verhältnis von foi, repentance und conversio bedeutet dies: que la repentance nous seroit preschee en vain et sans aucun fruit, sinon que Dieu adioustast la promesse, que nous serons subvenus par son sainct Esprit, veu qu‘il n‘y a en nous que toute fragilité, et mesmes nous sommes induits à mal, tellement qu‘il faut bien qu‘il supplee à ce qui nous defaut, et qu‘estans purgez par luy, nous puissions vrayement monstrer que nous sommes changez, et que nous ne sommes plus tels que nous estions.147

Foi und repentance stehen hier im gleichen Verhältnis zueinander wie congnoissance de Dieu und de soi, ja, wie im Text ersichtlich, bezeichnen sie letztlich einen ähnlichen Sachverhalt, da der Glaube sein wesentliches sakramentalen poenitencia im Dekret über die Rechtfertigung (De iustificatione) fest und betont ausdrücklich, dass satisfaktorische Werke wie Prozessionen, Almosen etc. nur zum Erlass der poena temporalis dienlich sein konnten, nicht aber hinsichtlich der poena eterna, die allein durch einen göttlichen Gnadenakt getilgt werden kann (cf. Wohlmuth, Dekrete III / concilium Tridentinum, sessio VI, caput 14). 145  Cf. zum Beispiel: »Car le monde s’est toujours abusé en cecy, que quand on parle de penitence, il semble que ce soit une façon de faire pour s’accquicter envers Dieu, comme nous voyons que les papistes le praticquent aujourd’huy. Car ilz diront que ce temps de leur karesme est le temps de penitence«; Calvin, Sermons / »Actes, 3, 17–19«, in: Calvin, Supplementa Calviniana VIII / 1994, 68 / 69. 146  Cf. Calvin, Harmonie / »Cinquanteetdeuxieme Sermon«, in: Calvin, Calvini Opera, vol. XLVI, c. 651. Zum für die protestantische Theologie zentralen Konzept des Glaubens als »confrontation inamissible de l’homme avec Dieu (Gisel, Encyclopédie, Lemma: foi) cf. die Anmerkungen zu den Exklusivpartikeln (cf. supra, Kapitel 1.) sowie erneut die Angaben bei Gisel (ibidem). 147  Calvin / Harmonie / »Cinquanteetdeuxieme Sermon«, in: Calvin, Calvini Opera, vol. XLVI, c. 654. Cf. die entsprechende Passage der Institution: »La vraye Penitence peut elle consister sans Foy? Nenny pas! Mais combien qu’elles ne se puisent diviser, toutefois il les fault distinguer. Car comme la foy ne peut estre sans Esperance, neansmoins Foy et Esperance sont deux choses differentes; aussi pareillement la Penitence et la Foy, combien qu’elles s’entretiennent d’un lyen indivisible, toutefois elles se doivent plutost conjoindre que confondre. Je n’ignore pas que, soubz le nom de Penitence, toute la conversion à Dieu est comprinse, dont la Foy est une des principales parties«; Calvin, Institution, V, 726.



b) … in der Kirchenmusik77

Fundament eben in der congnoissance de Dieu hat, repentance wiederum, wie gezeigt, auf der Erkenntnis eigener Sündhaftigkeit fußt. Wie an den beiden Predigten exemplarisch aufgezeigt, hat Calvin während seiner Zeit in Genf ein Verständnis von conversio entwickelt – und dies auch konsequent angewandt – das zwar als conversion-penitence148 auf anderen Grundlagen beruht, in der Betonung der Notwendigkeit göttlichen Zutuns aber dennoch mit den bis dato gängigen Vorstellungen übereinstimmt. Es wird im Rahmen der Analyse von Konversionsschriften zu zeigen sein, inwieweit sich dieses Verständnis von conversio in den Texten widerspiegelt. Hatte man dem sermo als Ort möglicher persuasio im Rahmen der theologischen Umwälzungen des 16. Jahrhunderts sowohl in der ›alten Kirche‹ als auch seitens der Reformer erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt und ihn der neuen Situation umfassend angepasst, blieb seine primäre Funktion ebenso wie seine Verortung im Leben der Gläubigen unangetastet: Als verbindlicher Teil der Liturgie von Messe und prêche diente die Predigt weiterhin der Erklärung des Schriftworts und der Ermahnung der Gläubigen – was ja auch einen regelmäßigen Hinweis auf die Notwendigkeit von conversio impliziert. Lässt sich die Ansprache also trotz aller genannten Unterschiede hinsichtlich der Vermittlung von conversio-Konzepten als Konstante fassen, zeigen sich in anderen Bereichen der Liturgie ebenso wie bei der Gestaltung des liturgischen Raums deutliche Brüche. Im Rahmen dieser Studie von Relevanz sind vor allem die Aspekte Musik und Kunst.

b) … in der Kirchenmusik In den reformatorischen Kirchen calvinscher Prägung etablierte sich der gemeinschaftliche Psalmengesang und eröffnete damit zusätzliche Gelegenheiten, einen Appell zur conversio innerhalb des Gottedienstes anzubringen. Werden hinsichtlich der Bildkunst zwei deutlich zueinander in Konkurrenz stehende Ansätze zu betrachten sein, existierte in der Kirchenmusiktradition bis dato kein Pendant für den gemeinschaftlichen Psalmengesang. Musik war zwar integraler Bestandteil der römischen Liturgie, allerdings vorrangig in Form des gregorianischen Chorals oder – später – polyphoner Ordinariumsgesänge, die entweder von den Geistlichen selbst oder einem 148  Wie zu zeigen sein wird, bietet es Calvin ebenso wie den sich dem Protestantismus zuwendenden Gläubigen nicht nur die Verstehensgrundlage für conversiones im Sinne einer Rückkehr zum gottgefälligen Leben, sondern auch für conversions confessionelles und conversion-miracle (Begriffe nach Ganoczy, Calvin, 281, 285).

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dafür ausgebildeten Chor in lateinischer Sprache vorgetragen wurden.149 Die Tradition des von der Gottesdienstgemeinde gemeinsam gesungenen volkssprachlichen ›Kirchenlieds‹ im Rahmen der Messe war hingegen kaum angelegt, gemeinschaftlicher Gesang lediglich in paraliturgischen Formen wie Andachten, Prozessionen oder in der Tagzeitenliturgie üblich.150 Dass sich derlei »religiöser Volksgesang«151 dennoch großer Beliebtheit erfreute, lässt sich nicht nur an den zahlreichen Texten aus dem 15. und 16. Jahrhundert ablesen, die noch in unserer Zeit in den Kirchengesangbüchern vorhanden sind, sondern vor allem an den intensiven Gegenmaßnahmen, die die römische Kirche im Zeitalter von Reformation und Konfessionalisierung zu ergreifen als notwendig erachtete, um besonders in gemischtkonfessionellen Regionen das Kennenlernen und Imitieren der nun im ›gegnerischen‹ Lager üblichen Formen zu verhindern.152 Die weitverbreitete Begeisterung für das Singen als Ausdrucksform im Allgemeinen sowie im besonderen für gemeinschaftlichen – ein Gefühl von Zusammengehörigkeit stiftenden – Gesang,153 mag dann auch den spontanen Erfolg der Cinquante pseaulmes de David von Clement Marot befördert haben. Von ihrem Autor auf »airs alors en vogue«154 abgestimmt, entsprachen sie nämlich nicht nur dem Wunsch nach Unterhaltung, sondern auch dem spirituellen Bedürfnis eines französischen Publikums, das sich als religiöse Minderheit eben nach Sicherheit und Gemeinschaft sehnte.155 Aber es war wohl nicht 149  Cf. Eckhard Jaschinski, Kleine Geschichte der Kirchenmusik. Freiburg im Breisgau: Herder 2004, 63s, sowie Kasper, LThK, Lemmata: Kirchenlied, Kirchenmusik, Gregorianischer Gesang, jeweils passim. 150  Cf. Jaschinski, Kirchenmusik, 66, ebenso Gerhards/Kranemann, Liturgie, 196. 151  Gerhards/Kranemann, Liturgie, 197. 152  Cf. dazu Gerhards/Kranemann, Liturgie, 197: »Aus mittelalterlichen Cantiones und Leisen […] entwickelte sich das Kirchenlied, zunächst aus reformatorischem Impuls, bald auch in gegenreformatorischer Reaktion. Während die Reformationskirchen dem Gemeindelied einen hohen liturgischen Rang zubilligten, wurde es von der katholischen Liturgie trotz mancher Teilerfolge in der Zeit des Barock und der Aufklärung systematisch ferngehalten. Dies ist ein Grund dafür, dass in rein katholischen Ländern kaum eine Tradition des Kirchenliedes anzutreffen ist«. 153  Cf. dazu Werner Friedrich Kümmel, Musik und Medizin. Ihre Wechselbeziehungen in Theorie und Praxis von 800 bis 1800. Freiburg / München: Alber 1977, 115ss. 154  Roger Zuber, »Les psaumes dans l’Histoire des Huguenots«, in: Bulletin de la Société de l’Histoire du Protestantisme français (BSHPF) 123 (1977), 350–361, hier 351. 155  Cf. dazu Millet, Calvin, 56. Einen Überblick über die in den Psalmen behandelten Themen bietet Zuber, Psaumes, in: BSHPF, 355–360. Psalmen, in denen conversio explizit angesprochen wird, figurieren unter Angabe ihrer Ordnungszahl (ohne Versnummern, da sie stets vollständig rezitiert wurden) in der Tabelle in Anhang I.



b) … in der Kirchenmusik79

nur der Reiz des Neuen, Anderen, des ›In-der-Tradition der-›alten-Kirche‹nicht-vertretenen‹, der Calvin dazu bewog, Gemeindegesang zum festen Bestandteil der Genfer Liturgie zu machen.156 Schon 1542 hatte er sich grundsätzlich für dessen Einführung ausgesprochen, mit Rekurs auf die Tradition der frühen Kirche, die Aussagen von Paulus und Augustinus157 – also zwei der wichtigsten Gewährsmänner reformierter Theologie – sowie letztlich auf seine eigenen positiven Erfahrungen mit einer Musik, fähig »d’emouvoir et enflamber le cœur des hommes«.158 Wenn Calvin nach der Einführung der von Marot und Guillaume Franc eingerichteten Psalmen in Genf in einer späteren Ausgabe seiner Agende schließlich enthusiastisch ergänzt: Nous ne trouverons meilleures chansons […] que les Psaumes de David: lesquels le saint Esprit lui a dits et faits. Et pourtant, quand nous les chantons, nous sommes certains que Dieu nous mets en la bouche les paroles, comme si luimême chantait en nous pour exalter sa gloire159 156  Tatsächlich hatte er bereits in seiner Straßburger Zeit erste Psalmdichtungen von Marot kennengelernt und diese zusammen mit eigenen Psalmübersetzungen herausgegeben. Allerdings war den 19 von Greiter und Dachstein vertonten Texten der Aulcuns Pseaulmes et cantiques mys en chant kein weitreichender Erfolg beschieden, sie erfuhren lediglich regionale Verwendung; die Texte von Marot wurden später in leicht veränderter Fassung in die Cinquante pseaulmes de David integriert, cf. Gisel, Encyclopédie, Lemma: psautier huguenot, sowie Gérard Defaux, »Introduction«, in: Clément Marot, Cinquante pseaumes de David mis en françoys selon la vérité hébraïque. Edition critique sur le texte de l’édition publiée en 1543 à Genève par Jean Gérard. Introduction, variantes et notes par Gérard Defaux. Paris: Champion 1995, 5–69, hier 28. 157  Cf. Eph 5, 19: »Laßt in euer Mitte Psalmen, Hymnen und Lieder erklingen, wie der Geist sie eingibt. Singt aus vollem Herzen zum Lob des Herrn!« und Kol. 3, 16: »Singt Gott in eurem Herzen Psalmen, Hymnen und Lieder, wie sie der Geist eingibt, denn ihr seid in Gottes Gnade«. An diesen Passagen sollten sich übrigens auch die ›Theoretiker‹ und ›Praktiker‹ der ›alten Kirche‹ orientieren, die gehalten waren, Musik ad maiorem Dei gloriam zu schreiben oder zu spielen (cf. Jaschinski, Kirchenmusik, 13).  Augustinus berichtet im neunten Buch seiner Confessiones (cap. VIII) über die Wirkung, die die Lieder des Davidici Psalterii nach seiner conversio auf ihn ausgeübt haben: »Quas tibi deus, voces dedi, cum legerem psalmos David, cantica fidelia […] quas tibi voces dabam in psalmis illis, et quomodo in te inflammabar ex eis et accendebar eos recitare, si possem, toto orbi terrarum adversus typhum generis humani! Et tamen toto orbe cantatur, et non est, qui si abscondat a calore tuo’«, Aurelius Augustinus, Confessiones / Bekenntnisse. Lt. / Dt. Übersetzt von Wilhelm Thimme. Mit einer Einführung von Norbert Fischer. Düsseldorf, Zürich: Artemis & Winkler 2004. 158  Calvin, Œuvres / La forme des prières, 272. Es sei daran erinnert, dass das »formulaire liturgique« ursprünglich den Titel La forme des prières et chants ecclésiastiques [….] trug und 22 französische Psalmen auf Melodien von Guillaume Franc beinhaltete (cf. Gisel, Encyclopédie, Lemma: Psautier huguenot). 159  Cf. Calvin, Œuvres / La forme des prières, 274 (Epître au lecteur, Ergänzung von 1545). Diese Epître wurde in ihrer erweiterten Form 1543 auch der ersten Ausgabe der Cinquante pseaumes de David vorangestellt: »A tous Chretiens, et ama-

80 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

rechtfertigt er mit dem Hinweis auf deren biblischen Ursprung (sola scriptura) und die damit verbundene göttliche Inspiration nicht nur die Verwendung des Psalters per se. Durch die Betonung der Tatsache, dass es sich bei den Gesängen um Texte Davids160 handelt, nährt er darüber hinaus die im Protestantismus calvinscher Prägung stets forcierte und für die Identität der Reformierten zunehmend wichtige Parallelisierung der veritable Eglise persecutée mit dem Volk Israel des Alten Testaments.161 Einen ersten Eindruck von Gehalt und Tenor des Psautier huguenot162 vermittelt die Epistre aux Dames de France, die Marot der Genfer Ausgabe von 1543 voranstellte:

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16

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[…] O vous dames & damoyselles Que Dieu fit pour estre son temple Et faictes soubz mauvais exemple, retentir & chambres & salles De chansons mondaines ou salles; Je veux icy vous presenter De quoy, sans offense, chanter: Et sachant que point ne vous plaisent Chansons que de l’armour se taisent: Celles qu’icy presenter j’ose, Ne parlent, certes, d’autre chose, Ce n’est qu’amour, Amour lui mesme, Par sa sapience supresme, Les composa, & l’homme vain N’en a esté que l’écrivain. Amour, duquel parlant je voys, A fait en vous langage & voix

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Pour chanter ses belles louanges, Non point celles des dieux estranges Qui n’ont ne povoir, ny aveu De faire en vous un seul cheveu L’amour dont je veux que chantez Ne rendra vos cueurs tourmentez, Ainsi que l’autre, mais sans doute Il vous remplira l’ame toute De ce plaisir solacieux Que sentent les anges aux cieux, Car son esprit vous fera grace De venir prendre en vos cueurs place, Et les convertir & muer, Faisans vos levres remuer, Et voz doytz, sur les espinetes Pour dire saintes chansonettes. […]163

teurs de la Parole de Dieu, salut«. Die dort vorgenommenen Ergänzungen wurden wiederum 1545 in die Neuausgabe der Agende übernommen, cf. Defaux, Marot, Pseaumes, Anmerkung zum Appendice, 318. 160  Calvin weist nicht nur in der Epîstre au roi, sondern auch in La forme des prières selbst wiederholt auf »le bon roi David« als ›Autor‹ der Psalmen hin. Cf. darüber hinaus den Titel der Sammlung von Marot. 161  Cf. dazu ausführlich Calvin, Institution, VII, passim sowie die dazugehörige notice des Herausgebers, insbesondere 960 / 961, sowie des Weiteren Zuber, Psaumes, in: BSHPF, 357, n. 21. 162  Der vollständige Psautier huguenot mit 150 Gesängen in französischen Versen einschließlich aller Vertonungen lag erst 1562 vor. Nach dem Tod Marots, 1544, wurde die Arbeit von Théodore de Bèze weitergeführt, cf. dazu Pettegree, Reformation, 54–58 sowie ausführlich Christian Meyer, »Le psautier huguenot: notes à propos de quelques éditions antérieures à son achèvement (1554–1561)«, in: BSHPF 130 (1984), 87–95, passim. 163  Marot, Pseaumes, »Clement Marot aux Dames de France, humble salut« (01.08.1543).



b) … in der Kirchenmusik81

Der Dichter betont hier zunächst die Andersartigkeit der im Folgenden zu lesenden »chansons«164 und stellt sie in deutliche Opposition zum bisher bekannten und beliebten Liedgut.165 Um dennoch Interesse für diese Neuerung zu wecken, verweist er auf die thematische Kontinuität, die zwischen den »chansons mondaines ou salles« und den hier präsentierten Liedern besteht: Immer noch geht es um die Liebe, einziges Thema, das die Damen tatsächlich reizt;166 nun allerdings nicht mehr um amour profane, der ›nur‹ das Herz berührt, aber über keine weitreichende Macht verfügt167, sondern um amour sacré.168 Dieser erfüllt im Psalmengesang durch Gottes Gnade Herz und Seele und verändert auf diese Weise den Menschen, le convertit, so dass er wie David selbst zum instrument de Dieu werden kann.169 164  Die Psalmnachdichtungen von Marot lassen sich demnach – ebenso wie die Konversionsschriften – als neue literarische Form fassen, die ihre Entstehung den Religionskonflikten ›verdankt‹. 165  Cf. Marot, Pseaumes / Aux Dames, vv. 12; 40. Die Versziffern entsprechen denjenigen der verwendeten Ausgabe. Der Dichter stellt hier die »chansons mondaines ou salles« den »saintes chansonnettes« antithetisch gegenüber. Eine vergleichbare Opposition hatte Calvin, mit Bezug auf Augustinus, auch in seiner Vorrede zum Psalmenbuch respektive dem Epître au lecteur der Forme des prières aufgespannt: »Le chant ne soit pas leger ou volage, mais ait poids et majesté« (Calvin, Œuvres / La forme des prières, 272; Calvin, A tous Chretiens, in: Marot, Pseaumes, 315–320, hier 318. Zum Verständnis des Begriffs »mondain« im religiösen Kontext, cf. infra, Kapitel 1.d) sowie – mit Bezug auf die Konversionsschriften – Kapitel 4.c). 166  Cf. Marot, Pseaumes / Aux Dames, vv. 15 / 16. 167  Cf. Marot, Pseaumes / Aux Dames, vv. 27 / 28. Der Dichter spielt mit diesen Versen auf eine Passage des Lukasevangeliums an, in dem Jesus seinen Jüngern von den kommenden Verfolgungen und Gefahren berichtet, denen sie als seine Anhänger zwar ausgesetzt sein werden, die ihnen aber aufgrund des gewährten göttlichen Schutzes nichts anhaben können: »Aber bevor das alles (i. e. die Zerstörung des Tempels und die Passion Christi) geschieht, wird man euch festnehmen […]. Nehmt euch fest vor, nicht im Voraus für eure Verteidigung zu sorgen, denn ich werde euch die Worte und die Weisheit eingeben […]. Und ihr werdet um meines Namens willen von allen gehaßt werden. Und doch wird euch kein Haar gekrümmt werden«; Lk 21, 12–18; auch Mt 10, 16–33. 168  Cf. Marot, Pseaumes / Aux Dames, V. 30. Marot bedient sich mit »tourmentez« absichtlich eines Begriffs aus der zeitgenössischen Liebeslehre. Gleiches gilt für die Gegenüberstellung von amour sacré und amour profane. Wie Lucien Febvre anhand des Heptaméron von Marguerite de Navarre aufzeigte, prägte der Konflikt zwischen der irdisch-körperlichen Liebe einerseits und der Liebe zu und von Gott andererseits die literarische Produktion der gesamten ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, cf. Lucien Febvre, Amour sacré, amour profane. Autour de l’Heptaméron. Paris: Gallimard 21996, 12s sowie passim. Marot thematisierte den Antagonismus in seinen frühen Werken, indem er folle amour und ferme amour gegenüberstellte. Cf. dazu ausführlich Defaux, Introduction, in: Marot, Pseaumes, passim sowie die notes zu Aux dames de France, insbesondere 223 / 224. 169  Der topos vom instrument de Dieu steht erneut in paulinischer Tradition: Dieser hatte in den Briefen an seine Gemeinden, mit deutlichem Bezug auf das

82 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

Dass die Beschäftigung mit dem Psalter – sei es in Form von individueller Leküre, sei es im Rahmen des Psalmengesangs im Gottesdienst – dem Menschen spirituell nützlich sein kann, bekräftigt auch mehrfach Calvin im Préface aux commentaires des Psaumes von 1558. Ein Beispiel sei zitiert: Il n’y a livre auquel soyent recitees tant de délivrances, ni auquel les témoignages et expériences de sa providence et sollicitude paternelle envers nous, soyent si richement exaltez et d‘une façon si authentique. […] D’avantage, jà soit que ce livre soit plein de tous enseignemens qui peuvent servir pour reformer nostre vie à toute saincteté […].170

Der Reformator empfiehlt die Psalmen als ›Lehrbuch des Lebens‹, in dem die Weisheit und väterliche Fürsorge Gottes ebenso vergegenwärtigt werden wie die Möglichkeiten, das Leben zukünftig nach göttlichem Willen auszurichten – was einem Aufzeigen von Wegen zur conversio gleichkommt!171 Johannesevangelium (cf. 12, 48–50, ähnlich 14, 10–11), immer wieder betont, dass all seine Autorität nicht von ihm selbst, sondern aus Gott kommt; cf. zum Beispiel II. Kor 13, 10: »Deswegen schreibe ich das alles aus der Ferne, um nicht, wenn ich zu euch komme, Strenge gebrauchen zu müssen, kraft der Vollmacht, die der Herr mir zum Aufbauen, nicht zum Niederreißen gegeben hat«. Auch vv. 17–22, die auf den ersten Blick von Bescheidenheitstopik geprägt zu sein scheinen, stehen in der Tradition des Bildes, hier allerdings mit direktem Bezug auf ein weiteres ›Werkzeug Gottes‹, nämlich dem Psalmist selbst: »Der Geist des Herrn sprach durch mich, sein Wort war auf meiner Zunge (II Sam, 23, 2). Zum topos vom instrumentum Dei cf. auch Defaux, notes zu Aux dames de France, in: Marot, Pseaumes, 225, n. 9. Die Auseinandersetzung mit den Psalmen hat also auch den Dichter selbst verändert, hatte er sich doch vom poète de cour zum poète de Dieu gewandelt. 170  Calvin, Préface aux commentaires des Psaumes, in: Calvin, Œuvres, 107–120, hier 110. An anderer Stelle nennt er den Psalter »un livre […] utile en le lisant« (ibid., 108). Die Préface zum Psalmenkommentar Calvins ist auch in den Calvini Opera auf Französisch und Latein greifbar (vol. XXXI, cc. 1–32); aus bereits dargelegten Gründen wird erneut auf die von Higman und Roussel besorgte Ausgabe zurückgegriffen und auf Französisch zitiert. Der Kommentartext ist hingegen lediglich im Corpus Reformatorum und auf Latein zugänglich (vol. XXXI, 508–524). 171  Dies gilt natürlich im besonderen Maße für die beiden ›Bußpsalmen‹ VI – Domine, ne in furore arguas me – und LI – Miserere mei Deus, secundum magnam misericordiam tuam; Titel nach Marot, Pseaumes. Wie im weiteren Verlauf der Préface zum Psalmenkommentar offenbar wird, hat Calvin sich die enseignements des Psalters fruchtbar gemacht, hat er anhand der dort beschriebenen »douleurs, tristesses, craintes, doutes, espérances, sollicitudes, perplexités (et) émotions confuses« (Calvin, Œuvres / Préface, 109) seinen Werdegang ebenso wie seine »vocation« (ibid., 112) (besser) zu verstehen und als gottgewollt anzunehmen gelernt. Da der Reformator beim Nachzeichnen seines Lebenswegs auch erwähnt, Gott »dompta et rangea à docilité (s)on cœur par une conversion subite« (ibid., 112), ist der vorliegende Text in der Vergangenheit immer wieder als autobiographischer Bericht Calvins über seine conversio zur foi evangélique interpretiert worden – eine Lesart, die sich schon aufgrund der Gegensätzlichkeit der Konzepte Autobiographie und conversio ausschließt (cf. supra, Einleitung). Zur Préface des Psalmenkommentars, cf. auch infra, Kapitel 4.c).



c) … in der religiösen Bildkunst83

Auf der Grundlage dieses grundsätzlichen Befundes kann die Omnipräsenz des conversio-Moments in den Psalmen als erwiesen gelten, erscheint eine intensive Analyse einzelner Psalmen – von denen im regulären Sonntagsgottesdienst drei, in périodes de jeûnes bis zu 19 (!) von der Gemeinde gesungen wurden172 – entbehrlich. Auch würde eine solche Untersuchung einzelner Psalmverse der Rezeptionssituation nicht gerecht, nicht nur weil die Psalmen auch von den Gläubigen ohne Erläuterung rezipiert wurden173 sondern vor allem, weil ihre positive, Sicherheit und Vertrauen vermittelnde, Wirkung wohl weniger durch die einzelnen Worte als durch das Zusammenspiel von Formulierungen, klanglicher Gestalt und Situation hervorgerufen wird. Derlei ephereme Gegebenheiten sind jedoch durch textbasierte (literaturwissenschaftliche) Analyse nicht fassbar.

c) … in der religiösen Bildkunst Ungleich ›bessere‹ Voraussetzungen, der Art und Weise nachzuspüren, in der die Gläubigen des 16. Jahrhunderts mit dem Thema conversio konfrontiert wurden, bieten sich im Bereich der Kunst. Zwar kann auch hier ebensowenig wie bei Predigt und Psalmengesang die Wirkung des Dargestellten vollständig rekonstruiert werden, die Botschaft der Bildwerke sowie die Form eines eventuellen conversio-Apells lassen sich dennoch recht pro­ blemlos analysieren, da Kunst anders als Musik per se konservierbar ist. Gemälde und Skulpturen präsentieren sich – von den Folgen des Zahns der Zeit einmal abgesehen – dem modernen Betrachter in materieller Hinsicht in gleicher Weise wie dem Rezipienten vergangener Jahrhunderte, so dass keine zusätzlichen, vergänglichen Faktoren berücksichtigt werden müssten, eine ›Arbeit am Bild allein‹ also keinesfalls zu kurz greift. In Genf engagierten sich Farel und bald auch Calvin in den 1530er Jahren für die Entfernung jedweder Form von figürlicher Darstellung aus dem kultischen Raum174 und verzichteten auf diese Weise auf eine Vielzahl von Möglichkeiten, die Notwendigkeit von conversio sowie deren Früchte den Gläubigen vor Augen zu halten. Und nicht nur das, der offensiv vertretene 172  Cf. Zuber, Psaumes, in: BSHPF, 353. Die 150 Psalmen wurden im Allgemeinen der Reihenfolge nach gesungen. Ein Durchgang dauerte ein, in manchen Gemeinden auch nur ein halbes Jahr (ibid., 353, n. 7). 173  Erklärungen erfuhren die Psalmen allerdings im Rahmen von Psalmenpredigten, die – zumindest in Genf – allsonntagnachmittäglich stattfanden. Dieser Brauch unterstreicht einmal mehr die besondere Wertschätzung, die den Psalmen im Protestantismus allgemein, sowie besonders in dessen reformierter Ausprägung zuteil wurde (und wird). 174  Zur Verwendung von Bildern mit religiösen Motiven im privaten Bereich, etwa als Buchillustration cf. infra, Kapitel 2.

84 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

aniconisme calvinscher Prägung führte auch zu ikonoklastischen Ausschreitungen: Von der Haltung ›ihrer‹ Kirche überzeugt, zerstörten die Anhänger der Eglises reformées während der guerres de religion in Frankreich175 die Innen- wie- Außenausstattung zahlreicher Sakralbauten und zogen sich auf diese Weise den Hass der Obrigkeiten ebenso zu wie den des ›einfachen‹ Kirchenvolkes. Dieses sah nämlich mit den niedergerissenen Christus- und Heiligenfiguren das zerstört und entweiht, was ihm in den Widrigkeiten des Diesseits ebenso wie in der Angst vor dem Jenseits Halt und Trost gegeben hatte. Als die Genfer Reformatoren sich mit der Bilderfrage auseinandersetzten, gehörte diese in Zürich ebenso wie in den von Luthers Ideen beeinflussten Gebieten längst nicht mehr zu den strittigen Themen: Im Einflussbereich Zwinglis waren die Bilder in Umsetzung der Beschlüsse der Zürcher Disputation bereits 1523 aus den Kirchen entfernt und damit auch die »wilde Bilderstürmerei«176 beendet worden. Luther hatte sich im Rahmen der Konfrontation mit Karlstadt 1522 zwar deutlich für die Bewahrung des Bildschmucks in den Kirchen ausgesprochen, da er dessen didaktischen Wert schätzte.177 Sorge bereitete ihm hingegen die unter den Gläubigen der ›alten Kirche‹ verbreitete Hoffnung, durch das Stiften oder Schmücken von Bil175  Cf. Denis Crouzet, Les guerriers de Dieu. La violence au temps des troubles de religions, vers 1525–1610. Préface de Pierre Chaunu. Avant-propos de Denis Richet. 2 vols, Seyssel: Champ Vallon 1990, I, 496–501. Zwischen 1520 und dem Beginn der guerres de religion kam es in Frankreich nur gelegentlich zur Zerstörung von Sakralgegenständen wie Marienstatuen und Wegkreuzen – durch Einzelpersonen, an bestimmten Tagen des Kirchenjahres und zudem meist im Rahmen von ›Nacht und Nebel-Aktionen‹. Dies änderte sich schlagartig mit dem Beginn der militärischen Auseinandersetzungen, 1562: Von diesem Zeitpunkt an kam es – je nach Stimmungslage auf protestantischer Seite – zur mehr oder weniger systematischen Zerstörung jedweder signes d’idolâtrie unter den Augen der Anhänger der ›alten Kirche‹; cf. ibid., I, 527–540 sowie Delumeau / Wanegfellen, Naissance, 195. In Genf war es bereits 1534, vor der Ankunft Calvins und Farels also, zur Beschädigung von Kircheneinrichtungen und Sakralgegenständen gekommen. Um den zögernden Magistrat der Stadt von der Notwendigkeit der »expulsion de l’abomination papale« (Crouzet, Guerriers, I, 549) zu überzeugen, leitete Farel 1535 absichtlich derartige Schritte ein (ibid., I, 548), so dass für Calvin in dieser Hinsicht nicht mehr viel zu tun blieb. 176  Blickle, Reformation, 22. Zur Situation in Zürich cf. auch Delumeau / Wanegfellen, Naissance, 59–61. 177  Cf. Delumeau / Wanegfellen, Naissance, 42 sowie ausführlich Margarete Stirm, Die Bilderfrage in der Reformation. Gütersloh: Mohn 1977, 71–89. Luther vertrat die Ansicht, man solle nicht alle Bilder vernichten, sondern ein »cruzifix odder ein heyligen bilde lassen zum ansehen, zum zeugnis, zum gedechtnis, zum zeychen«, Martin Luther, Wider die himmlischen Propheten, von den Bildern und Sakrament, in: idem, WA, vol. 18, 37–214, hier 80.



c) … in der religiösen Bildkunst85

dern einen Verdienst vor Gott zu erwerben und auf diese Weise ihre zeit­ liche Sündenstrafe verringern zu können.178 Dreh- und Angelpunkt aller Debatten, ob sie nun zwischen den Vertretern der ›alten Kirche‹ einerseits und den Reformatoren andererseits oder ›innerreformatorisch‹ geführt wurden, war stets das erste respektive zweite Gebot des Dekalogs. Während sich Luther im Wesentlichen der Tradition der ›alten Kirche‹ anschloss, die Bilderfrage in Katechismen lutherischer Prägung – wenn überhaupt – als Teil des ersten Gebots und damit eng an die Forderung der Verehrung nur eines einzigen Gottes geknüpft, präsentiert wurde,179 gingen die Schweizer Reformatoren eigene Wege.180 Sie trennten Monotheismusbestimmung (erstes Gebot) und Bilderfrage (zweites Gebot) und gaben letzterem, nun formuliert als rigoroses Bilderverbot, auf diese Weise deutlich mehr Gewicht.181 178  »Man that auch got sein dienst noch wolgefallen darinne, wenn wir im ein Bild lassen machen und theten besser wann sie einem armen menschen einen gulden geben, dann gotte einen gulden bilde, dan diß hette got verboten« wetterte Luther 1522 von der Kanzel; Martin, Luther, Predigt am 12. März 1522 – 4. Invocavitpredigt, in: idem, WA, vol. 10 / 3, 30–36, hier 32. Cf. dazu Stirm, Bilderfrage, 60 sowie Müller, TRE, Lemma: Bilder VI, 1. 179  Da Luther die Bilder als άδιάφσρα betrachtete, also als nicht heilsnotwendig, wurde der zweite Teil des ersten Gebots – besonders in Werken für Kinder – auch oft gar nicht aufgeführt, in Erwachsenenkatechismen eine Erklärung angefügt, in der die didaktische Bedeutung der Bilder betont wurde. Eine Übersicht der verschiedenen Ausgaben mit und ohne Bilderverbot bietet Stirm, Bilderfrage, Exkurs III, Beilage III: »Das Bilderverbot in katholischen Beichtbüchlein, vorreformatorischen und reformatorischen Katechismen«. 180  Dieser scheinbar sehr freie Umgang mit der Schrift war durchaus zu rechtfertigen, da die Zählung der Gebote selbst in Ex 20, 2–17 und Deu 5, 6–21 voneinander abweicht. In der reformierten Tradition, die aufgrund des besonderen Fokus der vorliegenden Studie auf Frankreich hier maßgeblich ist, lautet das zweite Gebot »Tu ne te feras image ne semblance aucune des choses qui sont au ciel lassus, ou en la terre ça-bas, ou ès eaulx qui sont sous la terre. Tu ne leur feras inclination et ne les honoreras […]«; Calvin, Œuvre / Instruction, 228, cf. Ex 20, 4 / 5a, der Bible Française de Calvin, in: Calvin, Calvini Opera, LVI. Um die Zehnzahl der Gebote zu bewahren, werden die Gebote des Nichtbegehrens von Frau und Hab und Gut des Nächsten als zehntes Gebot zusammengefasst: »Tu ne convoicteras point la mayson de ton prochain et ne desireras point sa femme, ne son serviteur, ne sa chambrière, ne son bœuf, ne son âne, ne nulles choses qui sont à lui«, Calvin, Œuvre / Instruction, 233, cf. Ex 20, 17, der Bible Française de Calvin, in: Calvin, Calvini Opera, LVI. 181  Die Schlichtheit dieses Prinzips ebenso wie die Tatsache, dass mit der Zürcher Kirche und ihrer erfolgreichen Vorgehensweise ein imitationsfähiges Vorbild existierte und bei Calvins Ankunft in Genf zudem wesentliche Maßnahmen bereits eingeleitet worden waren, sollten nicht zu der Schlussfolgerung verleiten, Calvin habe sich mit

86 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

Für die Suche nach eventuellen conversio-Konzepten im christlichen Bildgut ergibt sich daraus eine notwendige Beschränkung auf die Tradition der ›alten Kirche‹, deren Botschaften jedoch zumindest in ›Kopf und Herz‹ der ersten Protestantengeneration weiterhin gegenwärtig, wenn nicht lebendig, waren und sie deshalb entsprechend beeinflussen konnten. Die Vertreter der ›alten Kirche‹ zogen bei ihrer Auseinandersetzung mit der Bilderfrage wie gewöhnlich neben der Bibel auch die Auslegungstradition zur Argumentation heran. In dieser Hinsicht einschlägig sind zunächst die Bestimmungen des zweiten Konzils von Nicäa (787): Dieses war einberufen worden, um den im byzantinischen Reich entflammten Ikonenstreit endgültig zu beenden.182 Gegenstand der Auseinandersetzung war – wie im 16. Jahrhundert auch – die Darstellbarkeit Gottes im Bild. Mit der entspredem second commandement kaum auseinandergesetzt. Das Gegenteil ist der Fall: Der Reformator legte seine Vorstellung, ein »Dieu spirituel« könne auch nur »être servi et honoré en esprit et verité« zunächst in kurzen Worten in seiner Instruction et confession de foi dar, Calvin, Œuvre / Instruction, 228 (»De la loi du Seigneur«). In den verschiedenen Ausgaben der Institutio / n nimmt die Beschäftigung mit dem zweiten Gebot bald einen immer größeren Raum ein, cf. beispielsweise Calvin, Institution, III, »De la loy«, 391–508. In diesem Kapitel werden alle zehn Gebote erklärt. Die Erläuterung des second commandement erstreckt sich über die Seiten 416–431. In der 1560er Ausgabe wurde den einzelnen Aspekten des zweiten Gebots (Darstellungsverbot, Götzenverehrung, Vererbung der Schuld) jeweils ein einzelnes Kapitel gewidmet, cf. Calvin, Institution, in: Calvin, Calvini Opera III, I, chap. X / XI / XII, cc. 114–144. Die Bilderfrage thematisierte er weiterhin im Kommentar zur Pentateuch-Harmonie, cf. Calvin, Mosis reliqui libri quatuor in formam harmoniae digesti […]: cum eiusdem commentariis, in: Calvin, Calvini Opera XXIV, zum secundum praeceptum, cc. 375–560. Wie bereits in der Instruction betont er die spiritualité de Dieu, die eine Form der Verehrung, bei der die menschliche imaginatio eine Rolle spielt – was ja bei der Gestaltung oder Verwendung von Bildern der Fall wäre, grundsätzlich ausschließt: »Summa autem est, spiritualem esse Dei cultum, ut eius naturae respondeat. Etsi enim tantum de idolis verba facit Moses, dubium tamen non est quin per synecdochen (sicut in tota lege) omnes fictitios cultus damnet quos pro suo ingenio homines excogitant« (ibid., c. 376). Auf gleiche Weise argumentiert er auch in verschiedenen Predigten zum Buch Deuteronomium (1555), cf. beispielsweise Jean Calvin, »Cinquieme Sermon sur le chap IV. 15–20«, in: idem, Sermons sur le Deuteronome. Seconde partie (sur les chap. ii-ix), in: idem, Calvini Opera, XVI / LIV, cc. 147–159, passim sowie wohl noch 1562 in: De cultu imaginum, cf. Calvin, Tractus theologici minores, in: Calvini Opera, X / XXXVIII, cc. 193–202. Bemerkenswert ist hier neben der Beharrlichkeit, mit der Calvin das Thema bearbeitete – und seine Überlegungen immer mehr verfeinerte – auch, dass er dieses für eine breitgefächerte Zuhörer- und Leserschaft aufbereitete. Cf. dazu ausführlich Daniel Augsburger, »Calvin et le second commandement«, in: Olivier Fatio/Pierre Fraenkel, Histoire de l’exégèse au XVIe siècle. Textes du colloque international tenu à Genève en 1976. Genf: Droz 1978, 84–94, insbesondere 93 / 94. 182  Zur Vorgeschichte des zweiten Konzils von Nizäa cf. Kasper, LThK, Lemma: Byzantinische Kunst (II), sowie vor allem Hans Belting, Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst. München: Beck 1990, 166ss.



c) … in der religiösen Bildkunst87

chenden Entscheidung des Niceanum wurden nicht nur die Beschlüsse des »Pseudokonzils«183 von Hiereia (754), auf dem man eine erste Einigung versuchte hatte, außer Kraft gesetzt und jede Form von Ikonoklasmus unter Strafe gestellt. Der Einsatz von Bildern in der Liturgie und als Kirchenschmuck wurde zudem grundsätzlich befürwortet, da aus figürlicher Darstellung ebensolcher Nutzen für die Gläubigen hervorgehe – »utilitas commode proficiens«184 – wie aus der erzählenden Darstellung des Evangeliums. Darüber hinaus werde der Betrachter »ad primitivorum earum memoriam et desiderium«185 angeregt, weshalb er ihnen dann adorationem zolle.186 Primitivorum bzw. primitivus steht für griechisch πρωτοτύπος: Die Verbindung von Abbildung und Abgebildetem, also von Bild und (göttlicher) Person, wird hier mit Rückgriff auf eine Formulierung des Kirchenvaters Basilius von Caesarea als Verhältnis von Gestalt und Urgestalt – griechisch τύπος / τρωτοτύπος – festgelegt.187 Für die kultische Nutzung von Bildern bedeutet dies wiederum: »qui adorat imaginem, adorat in ea depicti subsistentiam, (nam) honor imaginis ad primitivum transit«.188 Welche Folgen sich daraus für die Praxis ergeben, lässt sich ex negativo anhand der dem Entschluss angefügten De sacris imaginibus anathematismi rekonstruieren: (1) Si quis Christum Deum nostrum circumscriptum non confitetur secundum humanitatem, anathema sit. (2) Si quis evangelias historias imaginibus expressas non admittit, anathema sit. (3) Si quis eas non salutat, cum sint in nomine Domini et sanctorum eius, anathema sit.189 Dekrete I / concilium Niceanum II, Einführung, 131 / 132, hier 131. Dekrete I / concilium Niceanum II, sessio VII, ορος / terminus. Kasusangleichung von mir. Im Original im Akkusativ: »utilitatem commode profi­ ciens«. 185  Wohlmuth, Dekrete I / concilium Niceanum II, sessio VII, ορος / terminus. 186  Cf. Wohlmuth, Dekrete I / concilium Niceanum II, sessio VII, ορος / terminus. 187  Cf. Basilius von Caesarea, De spirito sancto, in: Migne, PG, vol. XXXII, cc. 67–218, hier 149: » διότί ἡ τῆς εἰκόνος τιμὴ ἐπὶ τὸ πρωτότυπον διαβαίνει« Die deutsche Übersetzung von primitivus / πρωτοτύπος – »Urgestalt« folgt derjenigen in Wohlmuth, Dekrete I / concilium Niceanum II, sessio VII, ορος / terminus, Anmerkung b zur deutschen Übersetzung. 188  Wohlmuth, Dekrete I / concilium Niceanum II, sessio VII, ορος / terminus. Syntaxanpassung von mir. Original: »Imaginis enim honor ad primitivum transit, et qui adorat imaginem, adorat in ea depicti subsistentiam«. In einer anderen Passage der Entscheidung heißt es entsprechend: »Quae namque se mutuo indicant, indubitanter etiam mutuas habent significationes« (ibid.). 189  Wohlmuth, Dekrete I / concilium Niceanum II, sessio VII, De sacris imaginibus anathematismi. 183  Wohlmuth, 184  Wohlmuth,

88 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

Abbildungen mit religiösen Bildinhalten, seien es Illustrationen von Evangeliumsszenen, seien es (separate) Darstellungen Jesu Christi in seiner menschlichen und damit bildnerisch fassbaren Gestalt, soll demnach kultische Verehrung zukommen.190 Satz (1) verweist zudem ausdrücklich auf das Verständnis der Christusikone als Bild des Auferstandenen, das sich dem Betrachter erst durch ein ›neues Sehen‹ erschließt.191 Die (Christus)-Ikone wird damit zum Glaubenszeugnis, ihre Zerstörung – Ikonoklasmus – kommt dementsprechend einem Leugnen der Menschwerdung Christi gleich. Mit den Konzilsbeschlüssen von Nicäa II war die »grundsätzliche Bedeutung und de(r) theologische […] Ort des Bildes in der Kirche formuliert«192 worden. Tatsächlich konnten diese aber nur für sehr kurze Zeit ihren Status als allgemein ›geltendes Recht‹ und damit Entscheidungsgrundlage bei etwaigen Diskussionen zur Bilderfrage behaupten. Schon im neunten Jahrhundert kam es zu einer Trendwende: Im Westen begann man vornehmlich das didaktische Potential der Bildkünste herauszustellen, die »inkarnatorische Begründung«193 figürlicher Darstellung geriet als spezifisch östliche Tradition weitgehend aus dem Blick.194 Eine 190  Die hier verwendete Formulierung »soll demnach Verehrung zukommen« gibt den Tenor der Anathematismen sicher nur unzureichend wieder, da ihr eine sakrale, eine metaphysische Bedrohung andeutende Komponente fehlt. Die lateinische Wendung »anathema sit«, die im Deutschen mit »Wenn…, gelte das Anathem« oder »Wer sagt, …, der sei im Banne« wiedergegeben wird, stammt ursprünglich aus der griechichen Sakralsprache, ἀνάθεμα steht in der LXX für hebräisch cherem »das der Gottheit überantwortete«, zu Weihe oder Fluch«, Wohlmuth, Dekrete I / concilium Niceanum I, 5, n. e, cf. zudem Kasper, LThK, Lemma: Anathema. Die Bannformel wird seit dem ersten Konzil von Nizäa (325) zur »Grenzziehung der kirchlichen Gemeinschaft im Bereich von Lehre und Disziplin« verwendet (seit dem zweiten Vaticanum abgeschafft), cf. Wohlmuth, Dekrete I / concilium Niceanum I, 5, n. e. Eine Missachtung von mit Anathema belegten Lehren zieht Exkommunikation nach sich, schließt aber Umkehr und Wiederaufnahme nicht aus. Die zitierten Anathematismen erhalten vor diesem Hintergrund zusätzliches Gewicht, die daraus ableitbare Lehre entsprechende Verbindlichkeit. 191  Cf. Joseph Ratzinger, Der Geist der Liturgie. Eine Einführung. Freiburg im Breisgau. e. a.: Herder 52000, 103–105. Beispiele für diese Form des ›neuen Sehens‹ bieten die Passagen der Evangelien, in denen davon berichtet wird, dass die Jünger oder die Frauen beim ersten Zusammentreffen mit dem Auferstandenen diesen nicht erkannten: cf. beispielsweise Lk 24, 15–34 (Die Begegnung mit dem Auferstandenen auf dem Weg nach Emmaus), hier 24, 31: »Da gingen ihnen die Augen auf und sie erkannten ihn, dann sahen sie ihn nicht mehr«. Cf. dazu auch Ratzinger, Liturgie, 114: »Das Bild Christi und die Bilder der Heiligen sind keine Fotografien. Ihr Wesen ist es, über das bloß materiell Feststellbare hinauszuführen, die inneren Sinne zu wecken und ein neues Sehen zu lehren, das im Sichtbaren das Unsichtbare wahrnimmt«. 192  Ratzinger, Liturgie, 115. 193  Ratzinger, Liturgie, 107. 194  Cf. Belting, Bild, 195ss.



c) … in der religiösen Bildkunst89

Folge davon ist die in der abendländischen Kunst der nächsten Jahrhunderte sich vollziehende Hinwendung zu historisch narrativen Darstellungsformen, manifest beispielsweise in der Figur des Schmerzensmanns oder in Passionsszenen. An die Stelle der Präsentation des den Menschen ›entrückten‹ Auferstandenen, tritt bald das Bild des leidenden, sein Leben für die Sünder opfernden Christus’.195 Im Zuge dieser Entwicklung vom Mysterien- zum Andachtsbild und des daraus resultierenden zunehmend mimetischen Charakters sakraler Kunst ergaben sich auch Möglichkeiten der Thematisierung von conversio. Denn im gleichen Maße wie sich die Schwerpunktsetzung bei der Darstellung Christi veränderte, nahm auch das Interesse an der bildnerischen Ausgestaltung von Szenen aus Jesu Erdenleben sowie aus Heiligenviten und (seltener) dem Alten Testament zu. Vom zwölften Jahrhundert an wurden Abbildungen biblischen oder hagiographischen Gegenstands vornehmlich in den Kirchenräumen angebracht, um die Gemeinde an die göttlichen Heilstaten und deren Weiterwirken im Leben der Heiligen zu erinnern und sie auf die Weise in ihrem Glauben zu unterstützen.196 Bonaventura, der sich im Kontext der Vermittlung franziskanischer Kreuzestheologie und -frömmigkeit, die ja im 13. Jahrhundert einen gehörigen Aufschwung nahm, auch mit der grundsätzlichen Bedeutung von bildnerischen Darstellungen für den Glaubensvollzug beschäftigte, sprach sich für die Verwendung von Bildern in Gottesdienst und Kirchenraum aus: Dicendum, quod imaginum introductio in Ecclesia non fuit absque rationabili causa. Introductae enim fuerunt propter triplicem causam, videlicet propter simplicium ruditatem, propter affectum tarditatem et propter memoriae labilitatem. Propter simplicium ruditatem inventae sunt, ut simplices, qui non possunt scripturas legere, in huiusmodi sculpturis et picturis tanquam in scripturis apertius possint sacramenta nostra fidei legere. Propter affectus tarditatem similiter introductae sunt, videlicet ut homines, qui non excitantur ad devotionem in his quae pro nobis Christus gessit, dum illa aure percipient, saltem excitentur, dum eadem in figuris et picturis tanquam praesentia oculis corporeis cernunt. […] Propter memoriae labilitatem, quia ea quae audiviuntur solum, facilius traduntur oblivioni, quam ea quae videntur.197

Die hier angelegte Dreiheit von narratio – affectio – memoria sollte, wenn auch nicht immer mit bewusstem Rekurs auf den Kirchenlehrer, für 195  Cf. Ratzinger, Liturgie, 108 / 109; Belting, Bild, 253ss sowie passim. Zum von diesem Motiv ausgehenden Gefühl der Sicherheit und dessen Bedeutung für das Leben der Gläubigen in der damaligen Zeit cf. infra, 95s. 196  Cf. Ratzinger, Liturgie, 109, Belting, Bild, 457ss. 197  (Doctoris seraphici S. Bonaventurae), Commentaria in quatuor libris Senten­ tiarum Magistri P. Lombardi, in: idem, Opera Omnia. Iussu et auctoritate Bernar­dini A Portu Romatino. 10 vols, Quaracchi: Typographia collegiis Bonaventurae 1887, vols I–IV, hier vol. III, art. 1, qu. 2 (con.). Hervorhebung im Original.

90 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

den Umgang mit religiösem Bildgut der nächsten Jahrhunderte bestimmend sein.198 Insbesondere hinsichtlich des erzählerischen, illustrierenden Aspekts stellt sich jedoch für die bildnerische Gestaltung von conversio das Problem der Darstellbarkeit. Wie bereits herausgearbeitet, ist gelungene conversio die Frucht eines göttlichen Gnadenakts. Das Moment der conversio per se ist deshalb kaum fassbar – wie zu zeigen sein wird, weder bildkünstlerisch noch literarisch. Maler, die sich dennoch dieses Motivs annahmen, etwa in der Darstellung der conversio Pauli auf dem Weg nach Damaskus nach Apg 9, 4–7, bedienen sich zum Ausdruck des ineffable ikonographischer topoi wie Licht, Sturz, furor (der Begleiter) oder bestimmter Gesten (Weisungsgeste Christi), die im Text angelegt und dem Metapherninventar von Konversionsschriften vergleichbar sind.199 Bis zu einem gewissen Grad bildnerisch zu gestalten ist hingegen der Umkehrer, sei es in der Person des reuigen Sünders, der sich der Barmherzigkeit Gottes anvertraut und auf die göttliche Gnade der conversio hofft, sei es in der Gestalt des bereits Bekehrten. Damit das Bild des Umkehrers wie des Bekehrten Wirkung erzielen kann, muss der Betrachter ihn als solchen erkennen. Das wiederum ist anhand bestimmter Attribute, typischer Körperhaltungen oder personaler Verbindungen möglich, die der Figur durch 198  Die hier genannten Funktionen bildnerischer Darstellungen kommen den traditionell als docere – placere – movere gefassten Aufgaben der Rhetorik, die ja unter anderem in der Predigt Anwendung fand, sehr nahe. 199  Cf. dazu ausführlich infra, Kapitel 4. Die wohl bekanntesten Darstellungen der conversio Pauli entstanden im 16., einige auch noch im 17. Jahrhundert, was wohl mit der Aktualität des conversio-Motivs im Zeitalter von Reformation und Konfessionalisierung erklärbar ist, sowie mit der Tatsache, dass der Bericht in Apg 9, 4–22 respektive 22, 6–16; 26, 13–20 sowohl von Protestanten als auch von den Anhängern der ›alten Kirche‹ als Modelltext verwendet wurde. Aufgrund der herrschenden bilderfeindlichen Haltung in den Eglises réformées Frankreichs sind allerdings kaum Bilder protestantischer Künstler erhalten, die als Buchillustration für den privaten Gebrauch ja durchaus ihre Berechtigung gehabt hätten. Gestaltet wurde das Motiv zum Beispiel von Michelangelo Buonaroti (Vatican, Cappella Paolina, um 1540); Pieter Bruegel d. Ä. (derzeit: Wien, Kunsthistorisches Museum, 1567) oder Caravaggio, i. e. Michelangelo da Merisi (Rom, Santa Maria del Popolo, 1600), cf. Anhang II, ill. 1. Auf weitere Werke verweist zum Beispiel Sabine Poeschel im Handbuch der Ikonographie: sakrale und profane Themen der bildenden Kunst. Darmstadt: Primus 32009, Lemma: Paulus – Der Sturz des Paulus vor Damaskus. Eine Conversion de Saint Augustin gestaltete – unter Verwendung vergleichbarer ikonographischer topoi – beispielsweise Gérard de Lairesse noch etwa ein halbes Jahrhundert später (Öl auf Leinwand, 275 x 327 cm, derzeit Caen, Musée des Beaux Arts, um 1660), cf. Anhang II, ill. 2. Einen Überblick zur »Iconographie de la conversion (de St. Augustin)« bietet Pierre Courcelle, Les Confessions de Saint Augustin dans la tradition littéraire. Antécédents et Postérité. Paris: Etudes Augustiniennes 1963, 737–739.



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ihr Leben oder ihre Legende ›zugewachsen‹ sind. Um ein entsprechendes Bildprogramm zu entschlüsseln und die Botschaft – den Aufruf zur conversio – ›herauszulesen‹, ist selbstverständlich Vorwissen nötig; Kenntnisse, über die viele Gläubige des Spätmittelalters ebenso wie des Zeitalters von Reformation und Konfessionalisierung, problemlos verfügten. Ebenso decodierbar war für sie meist auch die in der Abbildung eines Umkehrers respektive Bekehrten verdichtete narratio. Beim Anblick nur des einen Bildes fächert sich diese vor den Augen des wissenden Betrachters in ihre einzelnen Episoden auf und ›sendet‹ auf diese Weise ihren Appell.200 In dieser Form gestaltete Abbildungen haben demnach den Status von exempla, die zur Nachahmung auffordern und damit an die Notwendigkeit, vor allem aber die Möglichkeit, an conversio erinnern können. Bevor im Folgenden zwei der wohl häufigsten Formen der Thematisierung von conversio in der christlichen Bildkunst des 15. und 16. Jahrhunderts vorgestellt und hinsichtlich des von ihnen an die Gläubigen vermittelten conversio-Verständnisses analysiert werden, sei abschließend zur theoretischen Auseinandersetzung mit Funktion und Wertschätzung der Bildkunst in der ›alten Kirche‹ ein Blick auf das Konzilsdekrets De invocatione, veneratione et reliquis sanctorum, et de sacris imaginibus von 1563 geworfen. Dessen Inhalt und Tenor sollten nämlich sowohl für die Verantwortlichen der ›alten Kirche‹ – die Auftraggeber für potentielle bildkünstlerische Arbeiten also – als auch für die mehr oder weniger feindliche Haltung der Protestanten durchaus bestimmend sein. Tatsächlich liegt der Schwerpunkt des Dekrets erneut auf der Betonung der didaktischen Funktion der Bildkünste »erudiri et confirmari populum in articulis fidei commemorandis et assidue recolendis«201 und ihrer damit verbundenen Nützlichkeit: »magnum fructum percipi«.202 Auf diese Weise wird die Entwicklung der letzten Jahrhunderte nachträglich als einzig angemessener Umgang mit Abbildungen Christi oder der Heiligen, deren Vorbildfunktion gleichfalls bekräftigt wird, »ad sanctorumque imitationem vi-

200  Zur Wirkung der Bildkünste cf. zudem Frédéric Cousinié, »Poétique de l’image de dévotion. Image et méditation dans les traités illustrés d’oraison du ­XVIIe siècle«, in: Ralph Dekoninck / Agnès Guiderdoni-Bruslé (ed.), Emblemata sacra. Rhétorique et herméneutique du discours sacré dans la littérature en images. The Rhetoric and hermeneutics of illustrated sacred discourse. Turnhout: Brepols 2007, 93–107, hier 97. Der Autor spricht hier sogar explizit von der »transformation« des »lecteur / spectateur en converti« (ibid., 99). 201  Wohlmuth, Dekrete III / concilium Tridentinum, sessio XXV – De invocatione, veneratione et reliquis sanctorum, et de sacris imaginibus decretum. 202  Wohlmuth, Dekrete III / concilium Tridentinum, sessio XXV – De invocatione, veneratione et reliquis sanctorum, et de sacris imaginibus decretum.

92 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

tam moresque suos componant«203 herausgestellt. Des Weiteren wird die Gültigkeit des ορος / terminus von Nicäa II bestätigt204 und jeder Verstoß gegen die Anordnungen, wie beispielsweise das Aufstellen von »imaginibus insolitis«205 oder eine Verwendung von Bildern, die eine abergläubische Praxis vermuten lässt »omnis superstitio in sanctorum invocatione […] et imaginum sacro usu tollatur«, mit Anathema belegt. Die Verantwortung für die Korrektur eventueller Missverständnisse oder Fehlverhaltens bei den Gläubigen – etwa »commessationes atque ebrietates« an Heiligenfesttagen oder auf Wallfahrten – erhielten die Bischöfe, die auch dafür Sorge tragen mussten, dass derlei notwendige Reformen durchgeführt werden.206 Hatten die Kritik an den eigenen Reihen und die Betonung der didaktischen Funktion der Bildkünste – die ja zumindest im Protestantismus lutherischer Prägung auf gewisses Einverständnis traf – der Verurteilung jedweder ikonoklastischer Maßnahmen bereits die Schärfe genommen, offenbart sich besonders in Hinblick auf die durchzusetzenden Änderungen der konziliante, die bisherige Praxis eher festschreibende denn innovative Ton des gesamten Dekrets.207 Den Verfassern war nämlich daran gelegen, das Aufbrechen alter und neuer Fronten zu vermeiden. Deshalb griffen sie einerseits auf gängige, zumindest in der ›alten Kirche‹ weithin anerkannte Erklärungsmodelle zurück, in der Hoffnung, auf diese Weise neue Diskussionen zu vermeiden.208 Andererseits reinigten sie zwar die gängigen Formen der 203  »Quoniam honos, qui eis exhibetur, refertur ad prototypa, quae illae repraesentant: ita ut per imagines, quas osculamur et coram quibus caput aperimus et procumbimus, Christum adoremus, et sanctos, quorum illae similitudinem gerunt, veneremur«, Wohlmuth, Dekrete III / concilium Tridentinum, sessio XXV – De invocatione, veneratione et reliquis sanctorum, et de sacris imaginibus decretum. Cf. dazu 87 s. Das im ορος / terminus von Nizäa II verwendete »primitivorum« bzw. »primitivus« für griechisch πρωτοτύπος wird hier durch das Lehnwort »prototypa« bzw. »prototypum« ersetzt. 204  Wohlmuth, Dekrete III / concilium Tridentinum, sessio XXV – De invocatione, veneratione et reliquis sanctorum, et de sacris imaginibus decretum. Alle folgenden lateinischen Textpassagen entstammen diesem Dekret. 205  Kasusanpassung von mir. Im Original: »ullam insolitam ponere vel ponendam curare imaginem«. 206  Cf. Wohlmuth, Dekrete III / concilium Tridentinum, sessio XXV – De invocatione, veneratione et reliquis sanctorum, et de sacris imaginibus decretum. 207  Durch das Dekret wurden die Rahmenbedingungen für die figurative Gestaltung des conversio-Motivs also keinesfalls geändert, die bevorzugte ›Lesart‹ blieb eine didaktische, die allerdings im 17. Jahrhundert durch die Einflüsse der Mystik bis zu einem gewissen Grad zum vom Niceanum II propagierten ›neuen Sehen‹ zurückfand, cf. Ratzinger, Liturgie, 110 sowie Belting, Bild, 195s. 208  Diese Haltung erntete mehrfach Kritik, da man der Meinung war, auf diese Weise seien fruchtbare Anstöße, die beispielsweise aus der franziskanischen Kreuzestheologie erwachsen waren, aus Angst vor neuen Konfliktfeldern vernachlässigt



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Heiligen- und Reliquienverehrung von allem, was nicht mit der verkündeten Doktrin vereinbar war, sahen aber im Bedarfsfall behutsame Änderungen vor,209 deren Missachtung zudem für den Einzelnen nicht unter Strafe gestellt wurde, wissend, dass es anderenfalls zu Unsicherheit und Misstrauen im Kirchenvolk kommen würde. Denn die Bilder der Heiligen ebenso wie des Kreuzes, die Wallfahrten und Prozessionen boten den Gläubigen nicht nur ein Gefühl des Aufgehobenseins und der Sicherheit in den Schrecknissen des Lebens210 – sondern auch einen Moment der Ruhe und der Abwechslung vom Alltagsleben. Auf das eine wie das andere wollten und konnten sie nicht ohne weiteres verzichten, weshalb die Verantwortlichen wohl gut daran taten, auch Kritikwürdiges nicht ad hoc zu unterbinden oder grundlegend zu verändern. Ein Gefühl der Sicherheit mögen auch Darstellungen vermitteln, deren Bildinhalt beim Betrachter conversiones in Erinnerung rufen. Von Paulus, der vom Verfolger zum Apostel Christi wurde; von Franziskus, der einem ausschweifenden Leben den Rücken kehrte und den Minoritenorden gründete. Abbildungen dieser Heiligen ›erzählen‹ von sündigen Menschen, die durch ihre conversio zu einem gottgefälligen, ›heiligen‹ Leben kamen und rufen auf diese Weise nicht nur zur Nachahmung, sondern zeigen gleichfalls auf, dass Umkehr möglich ist, Gott sich gegenüber jedem Sünder barmherzig erweist, wenn dieser zur conversio bereit ist. Um diese Botschaft zu lancieren, bedienten sich die Künstler respektive deren Auftraggeber bevorzugt Maria Magdalenas. Diese barg nämlich gegenüber den obengenannten Heiligen zunächst den Vorteil relativer ›Normalität‹. Während die Früchte der conversiones von Paulus und Franziskus den Gläubigen zwar beeindrucken, aber auch durch ihre ›Größe‹ entmutigen worden. Zahlreiche zeitgenössische Theologen, unter ihnen der Kontroverstheologe Robert F. Bellarmin, sahen den Bilderstreit durch das Dekret keinesfalls als beigelegt oder gar gelöst an und widmeten sich dem Thema erneut in ihren Schriften. Vgl. dazu beispielsweise Christian Mouchel, Rome franciscaine. Essai sur l’histoire de l’éloquence dans l‘Ordre des Frères Mineurs au XVIe siécle. Paris: Champion 2001, 612–616. 209  Cf. Klaus Ganzer, »Das Konzil von Trient und die Volksfrömmigkeit«, in: Hansgeorg Molitor / Heribert Smolinsky, Volksfrömmigkeit in der frühen Neuzeit. Münster: Aschendorff 1994, 17–26, hier 23s sowie passim. 210  Jean Delumeau widmete diesem Wunsch nach Sicherheit eine umfangreiche Studie (Jean Delumeau, Rassurer et protéger. Le sentiment de sécurité dans l’Occident d’autrefois. Paris: Fayard 1989), in der er zeigt, dass in Zeiten ohne Sozial-, Lebens-, Hausrats- oder Berufsunfähigkeitsversicherung das Gebet zu Christus ebenso wie die Anrufung der Heiligen, den Gläubigen das nötige Gefühl von Sicherheit und Schutz vermittelten, das den Alltag erträglich machte (cf. ibid, 210s sowie passim). Eine vergleichbare Funktion erfüllten auch die gemeinsame Feier des Kirchenjahres sowie die oft eingesetzten Sakramentalien.

94 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

konnten, da ihre Taten post conversionem unerreichbar, wenn nicht unnachahmbar scheinen, steht Maria Magdalena den Menschen vor allem als bereuende, auf Gottes Barmherzigkeit angewiesene Sünderin vor Augen.211 Damit ist das Identifikationspotential dieser Figur ungleich höher, zumal ihr die Gnade der conversio ja auch wirklich zuteil wurde.212 Das manifestiert sich zunächst in der Nachfolge Jesu, schließlich in ihrer Rolle als Auferstehungszeugin213, die sie wiederum zur Trägerin menschlicher Erlösungshoffnung macht.214 Die ikonographische Präsenz Maria Magdalenas beschränkte sich in den ersten christlichen Jahrhunderten auf Vita-Christi-Zyklen, in denen sie gleichermaßen als reuige Sünderin wie als Jüngerin Jesu gezeigt wurde, eine Festlegung auf eine bestimmte Rolle fand indes nicht statt.215 Dies änderte sich im zehnten Jahrhundert: Fortan trat die Bußfertigkeit der Heiligen in den Mittelpunkt des Interesses.216 Diese zunächst im italienischen Kulturraum erkennbare Tendenz beeinflusste auch die französischen Künstler, die sich bisher vorrangig der bildnerischen Gestaltung des Aufenthalts der Heiligen in der Provence sowie ihres Rückzugs in die Einsamkeit gewidmet hatten.217 Als beide Traditionen Eingang in die bereits erwähnte einflussreiche Legenda aurea fanden,218 kam es zur teilweisen Verschmelzung der 211  Zur traditionellen Gleichsetzung Maria Magdalenas mit der Figur der Sünderin aus Lk 7, 36–50, cf. supra, Kapitel 1.a). 212  Cf. dazu Elisabeth Pinto-Mathieu, Marie Madeleine dans la littérature du Moyen-Age. Paris: Beauchesne 1997, 281, »La sainte incarnait l’humanité et par elle s’abolissait l’ancienne dichotomie du péché et de la grâce«. 213  Cf. Mk 15, 40; Joh 19, 25: Maria Magdalena begleitet aus der Ferne Jesu Passion; Mt 28, 1–8; Mk 16, 1–8; Lk 24, 1–12; Joh 20, 11–18: Maria Magdalena als Auferstehungszeugin bzw. Trägerin der Auferstehungsbotschaft. 214  Damit wohnt Maria Magdalena-Darstellungen auch immer eine eschatologische Komponente inne. 215  Cf. Engelbert Kirschbaum SJ e. a. (ed.), Lexikon der christlichen Ikonographie (LCI). 8 vols. Freiburg im Breisgau: Herder 1994, Lemma: Maria Magdalena. 216  Cf. Justus Müller Hofstede, » ›O felix Poenitentia‹ – Die Büßerin Maria Magdalena als Motiv der Gegenreformation bei Peter Paul Rubens«, in: Franz Wagner (ed.), Imagination und Imago. Festschrift zum 65. Geburtstag von Kurt Rossacher und zum zehnjährigen Jubiläum des Salzburger Barockmuseums. Salzburg: Verlag des Salzburger Barockmuseums 1983, 203–227, hier 203. 217  Cf. Kirschbaum, LCI, Lemma: Maria Magdalena. 218  Jacopo da Varazze fasst in seiner Version der Legende zunächst die biblischen Szenen um Maria Magdalena zusammen. Anschließend beschreibt er, wie sie zusammen mit ihren Geschwistern Marta und Lazarus sowie Maximinus, einem Schüler Petri, ein Schiff bestieg, um nach abenteuerlicher Seefahrt »Marsiliam advenerunt« (Jacopo da Varazze, Legenda, 35), wo sie alle Götzenbilder zerstörten und das Evangelium Christi predigten (ibid., 128). Der Dominikaner Jacopo da Varazze schildert des Weiteren die dreißigjährige Bußzeit Maria Magdalenas: »in loco angelicis ma-



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Motivkreise. In der Folgezeit setzte sich die Darstellung Maria Magdalenas als Büßerin allgemein durch, an ihr legendäres Leben als Eremitin erinnert auf manchen Abbildungen ihr ungebändigtes langes Haar sowie ihre teils zerrissenen, aber noch ihren alten Glanz verratende Kleider.219 Auch wenn jede Abbildung Maria Magdalenas beim Betrachter die Notwendigkeit und Möglichkeit von conversio in Erinnerung ruft, seien im Folgenden zwei in der damaligen Zeit besonders verbreitete Darstellungsvarianten präsentiert und hinsichtlich des von ihnen vermittelten conversioVerständnisses analysiert. In beiden Fällen, die aber auch miteinander verknüpft sind, ist Maria Magdalena nicht alleinige Trägerin der conversioBotschaft, sondern tritt in Verbindung mit anderen Figuren oder Objekten auf, die dem Appell zur Umkehr ihrerseits Aspekte hinzufügen, was vielleicht auch für den ›Erfolg‹ dieser Darstellungen maßgeblich war. Das sogenannte fons pietatis-Motiv tritt seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts im deutschen, französischen und niederländischen Raum auf und bleibt bis ins 18. Jahrhundert ein häufig gestalteter Gegenstand der christlichen Kunst.220 Es bezieht sein Bildmaterial aus einer alttestament­ nibus preparato« (ibid., 130). Mit dem Bericht von der Übertragung ihrer Reliquien »Vizeliacense monasterium« (ibid., 168) und den durch sie gewirkten Wunder (ibid., 188–202) rechtfertigt er zudem den Status von Vézelay als Hauptwallfahrtsort des Magdalenenkults, den das Städtchen jedoch bereits bei Erscheinen der Legenda aurea an St. Maximin-la-Ste-Baume, ein Ort in der Nähe der Büßergrotte Maria Magdalenas, in der Nähe von Marseille verloren hatte. Trotz dieses Bedeutungsverlusts blieb das burgundische Vézelay eine der Hauptkultstätten der Heiligen, was nicht zuletzt auf seine Lage am Jakobsweg zurückzuführen ist. Viele Pilger des zwölften Jahrhunderts machten auf dem Weg nach Santiago de Compostela in Vezelay Halt, um die Büßerin um Kraft für ihre eigene conversio zu bitten. 219  Cf. dazu Kirschbaum, LCI, Lemma: Maria Magdalena sowie ausführlich Müller Hofstede, Poenitentia, in: Wagner, Imagination, passim, insbesondere 204– 206. Das aufgelöste Haar erinnert jedoch gleichfalls an die Szene in Lk 7, in der Maria Magdalena Jesu Füße mit ihrem Haar trocknete, nachdem sie diese mit ihren Tränen der Reue benetzt hatte. Zum Symbolgehalt des langen Haares »enseigne du féminin« dessen bildnerische Gestaltung von zahlreichen Theologen des späten 16. sowie 17. Jahrhunderts abgelehnt wurde, da es die Vorbildlichkeit der repentance Maria Magdalenas zu bedrohen schien cf. ausführlich Estrella Ruiz-Galvez, »Une chevelure mythique. Les cheveux de Madeleine, enseigne du féminin et emblème d’un repentir. Illustrations littéraires et iconographiques d’un thème (XVe–XVIIe siècle)«, in: Alain Montandon (dir.), Marie-Madeleine. Figure mythique dans la littérature et les arts. Clermont-Ferrand: Presses universitaires Blaise Pascal 1999, 75–86. 220  Cf. Maj-Britt Wadell, Fons pietatis. Eine ikonographische Studie. Göteborg: Elanders Boktryckeri 1969, 7. Weitere in der Forschungsliteratur gängige Bezeichnungen für dieses Motiv sind fons misericordiae oder fons vitae sowie deren volkssprachlichen Entsprechungen (cf. ibid., 7 / 8). Hochzeit des fons pietatis-Motivs in Frankreich ist das 15. / 16. Jahrhundert (cf. ibid. 55, sowie passim).

96 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

lichen Weissagung des Erlösertods Christi: »An jenem Tag wird für das Haus David und für die Einwohner Jerusalems eine Quelle fließen zur Reinigung von Sünde und Unreinheit«.221 Ganz wörtlich verstanden wird die »Quelle«, lateinisch »fons«222, hier mit einer Brunnendarstellung verknüpft, über der sich ein Kreuz erhebt. Aus den fünf Wunden des am Kreuz hängenden Körpers Jesu fließt – quillt – Blut in so reichem Maße in ein Brunnenbecken, dass es möglich wäre, darin zu baden und auf diese Weise Sünde und Unreinheit abzuwaschen. Diese Basisausstattung, die ja alle bedeutungstragenden Elemente bereits enthält, wurde je nach verwendeter Darstellungstechnik, Ort, Zeit und Intention, durch weitere Figuren oder Gegenstände ergänzt, um einzelne Aspekte der Grundaussage des Motivs zu akzentuieren oder zu erklären.223 Diese Funktion erfüllt auch die schon kurz nach dem ersten Auftreten des fons-pietatis-Motivs hinzugefügte Figur Maria Magdalenas. Sie erscheint vornehmlich auf französischen Darstellungen und steht meist links unterhalb des Kreuzes und damit neben dem Brunnenbecken oder auf dessen Rand. Als Maria Magdalena identifizierbar wird sie durch ihre Attribute, Salbenglas und langes, offenes Haar. In Verbindung mit dem Gnadenbrunnen ruft die Heilige nun nicht mehr ›nur‹ zur Nachahmung der von ihr gelebten conversio auf, sondern verweist auch auf denjenigen, an den sich ein Sünder wenden kann, mag seine Schuld – wie bei Maria Magdalena selbst – auch noch so groß sein. Wohl nicht nur aus Gründen der Symmetrie wird der Figur im Zusammenhang mit der fons pietatis stets eine zweite hinzugesellt, die dementsprechend auf der rechten Seite des Kreuzes ihren Platz hat.224 Bei dieser handelt es sich um die ägyptische Maria (auch Maria Aegyptiaca, Maria Gipsiaca), eine Heilige, die »in geistiger Beziehung als ihre (i. e. Maria Magdalenas) Zwillingsschwester betrachtet werden kann«.225 Ganz ähnlich 221  Sach

13, 1. entsprechend die lateinische Version des Textes: Zach 13,1, »In die illa fons patens domui David et habitantibus Hierusalem in ablutionem peccatoris et menstruatae«; Biblia sacra iuxta Latinam vulgatam versionem ad codicum fidem ex interpretatione sancti Hieronimi. Rom: Libreria editrice Vaticana 1987. 223  Cf. dazu ausführlich Wadell, Fons, 26–34 sowie Kirschbaum, LCI, Lemma: Brunnen (4). 224  Das so entstehende Bild zweier Gestalten unter dem Kreuz ruft beim Betrachter unwillkürlich die Assoziation der Kreuzigungsszene mit Maria (Mutter Jesu) und Johannes auf, erinnert aber gleichsam daran, dass auch Maria Magdalena im Moment der Kreuzigung nicht fern war (cf. Mt, 27, 55 / 56) den Herrn also nicht verlassen hatte, was ihrer conversio nachträglich Gewicht verleiht. 225  Wadell, Fons, 37. Zur ikonographischen Präsenz von Maria Aegyptiaca in der französischen Kunst des ausgehenden Mittelalters, cf. ibid., 37 / 38. 222  Cf.



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wie Maria Magdalena hatte die ägyptische Maria nämlich vor ihrer conversio ein ausschweifendes Leben geführt, dieses später bereut und war zur Buße in die Wüste gegangen, wo sie bis zu ihrem Tod 47 Jahre später als Einsiedlerin lebte.226 Kennzeichen der Heiligen sind ihre einfache Kleidung – die im deutlichen Kontrast zu derjenigen Maria Magdalenas steht – und ein ihren Körper vollständig bedeckendes ›Haargewand‹.227 Da Maria Aegyptiaca ähnlich wie ihre ›Schwester‹ vornehmlich als Sünderin wahrgenommen wurde228, unterstützt ihre Figur zunächst die Aussage Maria Magdalenas. Die Ergänzung der beiden Figuren zum Grundmotiv der fons pietatis verweist aber nicht nur auf die Quantität der im Gnadenbrunnen abzuwaschenden Schuld. Durch die Verbindung gerade dieser Heiligen wird auch die an das fons pietatis-Motiv geknüpfte Botschaft bekräftigt, dass die Möglichkeit zur conversio jedem in jeder Situation offensteht, da Christus durch seinen Tod alle gleichermaßen erlöst hat. Dies wird einerseits durch die unterschiedliche Herkunft der beiden Frauen deutlich – Maria Magdalena stammt aus reichem, Maria Aegyptiaca aus ärmeren Hause229 – anderer226  Cf. Jacopo da Varazze, Legenda, 374–377. Die Vita der ägyptischen Maria war lange Zeit »une des plus belles, et certainement une des plus répandues«, Peter F. Dembowski, »Préface«, in: idem (ed), La vie de Sainte Marie l’Égyptienne. Versions en ancien et en moyen français. Genf: Droz 1977, 9–11, hier 9. Neben der Legenda aurea-Fassung war vom 13.–15. Jahrhundert vor allem die von Dembowski als Version O (BNF, ms. fr. 17229) bezeichnete Variante der Legende im Umlauf, die oft im Verbund mit der Vita von Maria Magdalena aufzufinden ist, cf. Dembowski, Marie L’Égyptienne, 171. 227  Dieses ›Haargewand‹ entwickelte sich allerdings erst im Laufe der ikonographischen Ausformung der Figur. Das den Körper völlig umhüllende Haar ist als Attribut möglicherweise in Abgrenzung zur Darstellung von Maria Magdalena entstanden. Diese wird zwar ebenfalls mit langem, offenen Haar abgebildet, ihre – kostbare – Kleidung bleibt aber stets deutlich sichtbar, cf. dazu Ruiz-Galvez, Chevelure, in: Montandon, Marie-Madeleine, 84. 228  Jacopo da Varazze beginnt die Legende der ägyptischen Maria mit den Worten »Maria Aegyptiaca, que peccatrix appellatur«, Jacopo da Varazze, Legenda aurea, 374, 1. 229  Sowohl die entsprechenden Passagen der Bibel als auch die Legenden, die natürlich bis zu einem gewissen Grad auf den Schriftzeugnissen beruhen, stellen Maria Magdalena als wohlhabend vor (cf. Lk 7, 36–50, Salbung mit wohlriechendem Öl; Lk 10, 38–42, Joh 11, 1–44: Haushalt der Geschwister). Jacopo da Varazze schreibt: »Maria Magdalena a Magdalo costro cognomi nata clarissimis et exorta natalibus, utpote ex regia stirpe descendentibus« (Jacopo da Varazze, Legenda aurea, 629, 16). Diese Tradition werden auch die Verantwortlichen der Mysterienspiele übernehmen und die Figur der Maria Magdalena in reichen Gewändern auftreten lassen (cf. dazu infra, 137s), eine Sitte, die von den Theologen des Tridentinums sowie des 17. Jahrhunderts verurteilt werden wird. Über die Herkunft Maria Aegyptiacas berichtet der Legendensammler, sie sei Tochter eines Ägypters und habe mit 228.

228.

98 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

seits durch die Verschiedenheit der Rahmenbedingungen, in denen der einen wie der anderen die Gnade der conversio zuteil wurde. Die Zeitgenossin Jesu wird sich bei dessen Anblick der Sündhaftigkeit ihres bisherigen Lebens bewusst und bereut (Lk 7, 36–50) bzw. wendet sich aus Dankbarkeit für ihre Heilung Jesus zu (Mk 16, 9; Lk 8, 2). In beiden Fällen ist conversio das Resultat direkten Erlebens und beruht damit – trotz allen angesprochenen Identifikationspotentials, das von der Figur der Sünderin ausgeht – auf anderen Prämissen als conversiones späterer Zeiten. Maria Aegyptiaca hingegen lässt sich erst lange nach Christi Erlösungstat von dessen Botschaft ansprechen und kehrt um.230 Damit unterscheiden sich die äußeren Voraussetzungen ihrer conversio in keiner Weise von denjenigen potentieller Betrachter so gestalteter fons-pietatis-Abbildungen im Zeitalter von Reformation und Konfessionalisierung. Inwieweit diese allerdings die angesprochenen einzelnen Facetten des Motivs aufzunehmen und für sich fruchtbar zu machen vermochten, ist im Nachhinein schwerlich nachvollziehbar. Wie beispielsweise die Konkretisierungen des fons pietatis-Motivs in Avignon231 und Dissay aber zeigen, ergriffen die Künstler und / oder ihre Auftraggeber neben dem Ergänzen der beiden Frauenfiguren noch weitere Maßnahmen, um das universale Motiv mit der Lebenswirklichkeit der Menschen zu verknüpfen und auf diese Weise die Schlagkraft der Bilder – und damit auch des Aufrufs zur conversio – zu erhöhen. Der Maler eines heutzutage in Avignon befindlichen Gemäldes232 bettete die fons pietatis mitsamt den beiden Marienfiguren beispielsweise in eine zwölf Jahren das väterliche Haus verlassen, um in Alexandrien der Prostitution nachzugehen (cf. ibid., 375, 18–19). Als sie sich einer Gruppe von Jerusalempilgern anschließen wollte, konnte sie die Schiffsfahrt nicht bezahlen: »Non habeo, fratres, aliud naulum, sed pro naulo habeatis corpus meum« (ibid., 375, 22, ähnlich Version O, in: Dembowski, Marie L’Égyptienne, Abschnitt 31 / 32). Diese Notlage sowie der Verschleiß der Kleider in der Wüste lassen die Heilige, vor allem im Kontrast zu Maria Magdalena, traditionell ärmlich erscheinen. 230  Den Moment der conversio – der hier erneut an ein Gefühl der Demut gekoppelt ist – schildert Jacopo da Varrazze: »pro adoranda cruce usque ad fores ecclesie cum aliis devenissem, subito et invisibiliter repulsam patior nec intus intrare permettor«, Jacopo da Varazze, Legenda aurea 375, 24. Cf. auch Version O, in: Dembowski, Marie L’Égyptienne, Abschnitt 38. 231  Die fons pietatis Darstellung von Avignon stammt allerdings bereits aus dem dritten Viertel des 15. Jahrhunderts. Sie wurde dennoch für die Analyse des ihr inhärenten conversio-Verständnis ausgewählt, da sich an ihr sehr kompakt ein Großteil aller Aspekte des Motivs aufzeigen lassen, die in späteren Konkretisierungen jeweils vereinzelt auftreten werden. Zu weiteren, hier nicht besprochenen fons pietatisDarstellungen in Frankreich cf. Wadell, 47ss. 232  Das auf Holz gemalte Tafelbild (164x89 cm) befindet sich heutzutage im Musée Calvet in Avignon. Eine detaillierte Beschreibung des Gemäldes bietet Wadell, Fons, 34–37.



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sanft hügelige, provenzalisch anmutende Landschaft ein und erhöhte auf diese Weise die Identifikationsmöglichkeiten eines Betrachters. Dieser sah nämlich in den ›Büßerinnen‹ nicht ›nur‹ einen Spiegel seiner selbst.233 Als Bewohner des abgebildeten Landstrichs fühlte er die fons pietatis auch in greifbarer Nähe, was den Entschluss zur conversio möglicherweise erleichterte. Die Urheberschaft dieses Bildes ist bis dato nicht vollständig geklärt. Einig scheint man sich aufgrund der formalen Gestaltung von Landschaft und Figuren über eine Verbindung des Künstlers zur sogenannten école d’Avignon zu sein, eine Gruppe, die sich in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts um Enguerrand Quarton gebildet hatte.234 Zweifel an dieser Zuordnung ergeben sich jedoch aus der Tatsache, dass das Motiv in Südfrankreich zu jener Zeit gänzlich unbekannt war und zudem die farbliche Gestaltung in rot und grün eher in Nordfrankreich üblich war.235 Auch die sprachliche Gestaltung der dem Motiv zugegebenen Spruchbänder, auf deren Inhalt im Folgenden noch einzugehen sein wird, weist eher auf eine nördliche Provenienz des Gemäldes hin.236 Im Rahmen vorliegender Studie ist das Problem der exakten Zuschreibung des Werkes allerdings zweitrangig. Festzuhalten ist hingegen, dass es hier wohl tatsächlich ein Künstler als sinnvoll erachtete, das fons ­pietatis-Motiv nicht nur in eine andere Region einzubringen, sondern auch zu akkulturieren, um auf diese Weise die ›Erfolgschance‹ für die von ihm vermittelte Botschaft – die Ermunterung zur conversio – zu steigern. Eine solche zusätzliche Möglichkeit der Absicherung, wenn nicht gar Unterstützung der Bildaussage, bieten auch die bereits erwähnten Spruchbänder. Diese befinden sich links und rechts oberhalb der Heiligenfiguren sowie auf dem unteren Rand des Brunnenbeckens. Letzteres dient der Vorstellung der fons pietatis: Fontaine suiz que pour lumain linage / Grant source faiz de sang a habundance / Sy qlome home qu’ay fait amon ymage / Y puisse avoir parfaicte congnoissance / Ou aler doit sa folle outrecuidance / Et les vices dont estes entachez / Nettoyer tous p(ar) vraye repentance / Or viengne cy et lave ses pechez.237 233  Angesichts der engen Verbindungen, die zwischen Maria Magdalena und der Provence ja bestanden, ist zudem davon auszugehen, dass einem Betrachter aus dieser Region die Figur und der von ihr ausgehende conversio-Appell vertraut waren. 234  Cf. dazu ausführlich Charles Sterling, Enguerrand Quarton. Le peintre de la Pietà d’Avignon. Paris: Editions de la Réunion des musées nationaux 1983, 7–9. 235  Die Zuschreibungsdebatte referieren ausführlich Wadell (Wadell, Fons, 38) sowie Sterling, Quarton, 139–141. Man nimmt mittlerweile einen aus dem Norden gekommenen Künstler an, der erst in Avignon von Enguerrand Quarton und dessen entourage beeinflusst wurde. 236  Cf. dazu erneut Wadell, Fons, 38, Sterling, Quarton, 140. 237  Diese sowie alle weiteren im Zusammenhang mit der Analyse der Gemälde von Avignon und Dissay zitierten Verse wurden direkt von den Bildern bzw. ihren

100 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

Der Brunnen präsentiert sich hier nicht nur als fons pietatis, sondern auch als fons cognitionis. Der Mensch soll beim Anblick des Kreuzes und des »sang a habundance« verstehen, dass es zwischen diesem und der Sündhaftigkeit seines Lebens, seiner »folle outrecuidance«, einen kausalen Zusammenhang gibt, dass eben dieses »sang a habundance« dem reuigen Sünder aber auch die Möglichkeit bietet, seine Sünden zu tilgen: »lave(r) ses pechez«. Damit ›richtet‹ der Brunnen an den Betrachter zwar mahnende, aber auch ermutigende Worte, die dank ihrer exponierten Stellung am Ende des Textes besonders in Erinnerung bleiben. Die heilbringende Wirkung des Todes Christi wird im Anschluss an die zititerten Verse durch einen Bibeltext bekräftigt, der allerdings, da in rot geschrieben und zudem am unteren Rand des Bildes platziert, wohl von Anfang an schwierig zu entziffern war.238 Er wurde zudem in lateinischer Sprache angebracht, was das Verständnis für manch einen Betrachter zusätzlich erschwert, wenn nicht unmöglich macht. Dieser Befund wirft die Frage nach der grundsätzlichen Funktion der Spruchbänder auf, scheint doch der volkssprachliche Text der Bildaussage kaum neue Aspekte hinzuzufügen und der lateinische wiederum den französischen ›theologisch‹ abzusichern. Um diesbezüglich Klarheit zu gewinnen, sei zunächst ein Blick auf die Maria Magdalena und Maria Gipciaca239 zugeordneten Verse geworfen, die übrigens auch auf dem fons pietatis-Gemälde in Dissay mit fast identischem Wortlaut zu lesen sind:

Reproduktionen übernommen. In Zweifelsfällen, hervorgerufen durch die teils schlechte Lesbarkeit der Verse, wurde der Text durch die von Wadell (Wadell, Fons, 35, 42–45) und Robert Favreau (»Les inscriptions de la chapelle du château de Dissay et le milieu angevin«, in: Noël Coulet / Jean-Michel Matz (ed.), La noblesse dans les territoires angevins à la fin du Moyen Âge. Actes du colloque international organisé par l’Université d’Angers. Angers-Saumur, 03–06. juin 1998. Rom: École française de Rome 2000, 653–676, annexe I / II) erstellten Abschriften abgesichert; die Schriftzitate entsprechend anhand der Bibel. Abkürzungen wurden aufgelöst, Unstimmigkeiten ggf. vermerkt. 238  Cf. Favreau, Inscriptions, in: Coulet / Matz, Noblesse, 655. Bei der Bibelpassage handelt es sich um Hebr. 9, 13 / 14: »Si enim sanguis yscorum aut taurorum, et civis vitule asp(e)rsus inquinatos sanctificat ad emundacionem carnis, quanto magis sanguis xpisti, qui per Spiritum Sanctum semetipsum obtulit inmaculatum Deo, emundabit concienciam nostram ab operibus mortuis, ad serviendum Deo viventi […]«. 239  Diese provenzalische Namenform findet sich auch auf dem unteren Bildrand, zu Füßen Maria Aegyptiacas sowie in deren Heiligenschein. Bei Maria Magdalena liest man entsprechend »S. MariaMagdelena« [sic!], unterhalb des Brunnens am Bildrand »fons pietatis«.



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(Maria Magdalena) (Maria Gipsiaca) O vous pecheurs querans avoir pardon Ce est ycy qu’un chescun doit venir 10 Laver de cuer en grant devocion De vos pechez vecy la vray fontaine De laquelle sort grace a grant abandon Tous ses pechiez pour net en devenir Ou chescun peult laver sa coulpe vaine La fontaine qu’est de remission 5 Comme j’ay fait moy Marie Magdelaine Comme j’ay fait en vraye contriction Qu’estoye souilie de pechiez lais et ors Moi Gipcienne qui de peches avoye Nette en sui de tous poins sauve et saine 15 Tant que c’estoit abominacion Vennez y donc et croyez mes recors240 Or en suis necte cy vous montre la voye.241

Die Texte auf den von den beiden Marienfiguren gehaltenen Spruchbändern weisen eine deutliche Parallelstruktur auf. Beide Achttzeiler umfassen jeweils die Versicherung, dass »chescun« seine Schuld im Gnadenbrunnen wird bereinigen können, eine Rückschau auf das sündhafte Leben, das die Heiligen vor ihrer conversio führten sowie einen Aufruf, sie in ihrem gegenwärtigen Zustand der Reinheit – »sauve et saine« bzw. »necte« – als Vorbilder anzunehmen. Maria Gipciaca ›verweist‹ zudem auf die für die Sündenvergebung notwendige Disposition des Menschen, nämlich »grant devocion« und »vraye contriction«.242 Wie schon im Anschluss an die Analyse des Brunnentextes vermutet, übersetzen die Verse aller drei Spruchbänder lediglich die in den Figuren bzw. Objekten verdichtete narratio und haben auf diese Weise vor allem bekräftigende Funktion. Die Aussage des Bildes wäre auch ohne diese Texte entschlüsselbar, würde sicher nicht an Gehalt wohl aber an Schlagkraft einbüßen. Dies gilt besonders für die am Ende der beiden Achtzeiler jeweils formulierte Aufforderung: »Vennez y donc et croyez mes recors« respektive »cy vous montre la voye«, die eine direkte Verbindung zwischen der bekehrten Sünderin und dem Betrachter herstellt, was dessen Entscheidung, nun gleichfalls den Weg der conversio einzuschlagen, möglicherweise vereinfacht. Bei den auf Latein angebrachten, wiederum schwer lesbaren Versen, die den französischen Texten auf den Spruchbändern der beiden Ma­ rien­figuren beigefügt wurden, handelt es sich um Passagen aus den prophetischen Büchern des Alten Testaments, die, den damaligen Gepflogenheiten typologischen Bibelverständnis’ entsprechend, als Vorausdeutung auf Christi Sühnetod gelesen werden können.243 240  Wadell

notiert Vers 4: »Ouche scun peult laver sa coulpe vaine«. notiert Vers 12: »Alafontaine quest de remission«. 242  In die gleiche Richtung weist auch der Text des Brunnens mit der Forderung nach »vraye repentance«. 243  Zu Maria Magdalena: »Ipse (autem) vulneratus est propter iniquitates nostras […] et livore eius sanati sumus« (Jes 53, 5); der Maria Aegyptiaca zugeordnete Vers ist kaum lesbar, Favreau schlägt »Ut nos lavaret crimine manavit unda sanguine« als Paraphrase von Ez 16, 9 vor (cf. Favreau, Inscriptions, in: Coulet / Matz, Noblesse, 656). Der entsprechende Vers lautet: »Et lavi te aqua et emundavit sanguinem tuum«. 241  Wadell

102 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

Das Tafelbild von Avignon kann also – je nach Lesefähigkeit und Vorbildung des Betrachters – auf verschiedenen Verständnisebenen rezipiert werden, wobei die vermittelte Botschaft in ihrer Tiefe und eventuellen Nachhaltigkeit eine andere wird, nicht aber inhaltlich. Da allerdings bis dato keine Kenntnisse über den ursprünglichen Ort der Verwendung, etwa als Retabel, vorliegen, muss die Frage, an wen dieser Aufruf zur conversio anfänglich gerichtet war, bis auf Weiteres unbeantwortet bleiben.244 Diese Ungewissheit herrscht in Bezug auf die zweite zu analysierende Konkretisierung des Motivs nicht. In Dissay bildet die fons pietatis nämlich das Zentrum der Wandmalereien, die von Pierre d’Amboise, Bischof von Poitiers, für die neueinzurichtende Privatkapelle des Schlosses Anfang des 16. Jahrhunderts in Auftrag gegeben worden waren.245 Es ist dementsprechend davon auszugehen, dass der Bischof, durchaus mit Unterstützung seiner Berater, das Motiv für den Andachtsraum auswählte, da es ihn selbst ansprach und / oder er es als spirituelle Anregung für andere Benutzer der Kapelle, wie beispielsweise die wohl immer sehr zahlreichen Gäste,246 wünschte – oder für notwendig hielt. Dem ›weitgereisten‹ Bischof – respektive dem von ihm beauftragten, namentlich nicht bekannten Künstler – mag das Motiv von Reisen in den deutschen Raum bekannt gewesen sein. Zudem war um die Jahrhundertwende im nicht weit entfernten Chinon247 gleichfalls ein Bilderzyklus entstan244  Die Avignoneser fons pietatis ist seit Beginn des 19. Jahrhunderts Teil der collections permanentes des Musée Calvet. 245  Cf. Favreau, Inscriptions, in: Coulet / Matz, Noblesse, 653. Das Örtchen Dissay liegt etwa 15 km nordöstlich von Poitiers am rechten Ufer der Clain, das château de Dissay, das den Bischöfen als Landsitz diente, ein wenig außerhalb. Pierre d’Amboise starb 1505 und hat wohl die Fertigstellung der gesamten Bildserie nicht mehr erlebt. 246  Zur gesellschaftlichen und politischen Rolle von Pierre d’Amboise, die ihn auch immer wieder dazu ›verpflichtete‹ ein intensives Hofleben zu führen cf. François Villard, »Pierre d’Amboise, évéque de Poitiers (1481–1505), in: Pierre Gallais / Yves-Jean Riou (ed.): Mélanges offerts à René Crozet. 2 vols. Poitiers: Société d’Études Médiévales 1966, vol. 2, 1381–1387, hier 1385 sowie passim. 247  Chinon liegt etwa zehn Kilometer südwestlich von Tours. Die Wandmalereien, zu der neben der fons pietatis noch Darstellungen des Jüngsten Gerichts sowie Gottvaters mit Engeln gehören (und eine weitere, heutzutage nicht mehr erkennbare), befinden sich in einer Privatkapelle der ehemaligen Kollegienkirche. Auf eine Analyse des Bildes wird an dieser Stelle verzichtet, da die Konkretisierung der fons pietatis sich kaum von derjenigen in Avignon unterscheidet, hinsichtlich des zugrundeliegenden conversio-Verständnisses also keine neuen Erkenntnisse bringt. Eine detallierte Beschreibung der Malereien in Chinon bieten Favreau, Inscriptions, in: Coulet / Matz, Noblesse, 657, Sterling, Quarton, 141 sowie Wadell, Fons, 39–41, dort auch Reproduktionen aller Bilder des Zykus sowie Abbildungen der Außenanlagen von Chinon.



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den, der mit den Abbildungen in Dissay nicht nur die fons pietatis einschließlich der Figuren Maria Magdalenas und Maria Aegyptiaca gemein hat, sondern auch die Verse auf den Spruchbändern der Heiligen sowie des Brunnens – die übrigens auch »à quelques différences minimes«248 mit den Texten auf dem Tafelbild in Avignon identisch sind. Dass hier eine wie auch immer geartete Beeinflussung stattgefunden hat, erscheint offensichtlich. Der Eindruck findet sich bei der Auseinandersetzung mit dem Wandgemälde in Dissay249 durchaus bestätigt. Die Gestaltung der fons pietatis per se unterscheidet sich kompositorisch zunächst kaum von derjenigen in Avignon und Chinon. Auffällig ist allerdings die Größe des unteren Brunnenbeckens, das fast die gesamte Breite des Gemäldes einnimmt.250 Durch das scheinbare Missverhältnis zwischen der großen Menge Bluts, die dieses Becken fassen kann, und der zierlich anmutenden Christusfigur am Kreuz, wird die Notwendigkeit aber auch die Größe dessen Opfers für die Menschen besonders herausgestellt, die einer so großen Menge Bluts bedürfen, um all ihre Schuld abwaschen zu können. Den Figuren von Maria Magdalena und Maria Aegyptiaca wurden hier zwei weitere Heilige hinzugesellt: Petrus, erkennbar am Attribut des Schlüssels, rechts neben Maria Magda­ lena und Paulus, gekennzeichnet durch ein Schwert, links neben Maria ­Aegyptiaca. Die vier Heiligen stehen auf dem Rand des unteren Brunnenbeckens. Dort sind auch ihre Namen sowie die Aufschrift »La fontaine de la misericorde« zu lesen, auf dem Rand des oberen Beckens entsprechend ein »fons pietatis« zu erahnen. Eingerahmt wird das fons pietatis-Motiv durch eine archivoltähnliche Bordüre mit sieben Engeln, die Jesu Marterwerkzeuge in den Händen halten.251 Allen elf Figuren ebenso wie dem 248  Favreau, Inscriptions, in: Coulet / Matz, Noblesse, 657. Zu den tatsächlich minimalen Unterschieden cf. die Reproduktionen im Anhang II (ill. 3, 5–8) dieser Arbeit, sowie Wadell, Fons, 39–41, Favreau, Inscriptions, in: Coulet / Matz, Noblesse, 657s und passim. 249  Cf. Anhang II, ill. 3. 250  Das Brunnenbecken ist zudem nicht nur breit, sondern wirkt aufgrund der perspektivischen Darstellung auch tief, sein Fassungsvermögen war also wirklich immens. Dieser Umstand wird durch die tiefrote Farbe, die den unteren Teil des Gemäldes dominiert, unterstrichen, was jedoch auf der schwarz-weiß-Reproduktion nicht zum Ausdruck kommt. Eine Vorstellung von den Größen- und Raumverhältnissen der Kapelle und damit auch der Bildproportionen vermittelt ill. 4 im Anhang II. 251  Die oft von Engeln präsentierten Marterwerkzeuge (Nägel & Dornenkrone, Geißel, Speer & Schwamm, Martersäule, Kreuz, Leichentuch, Börse mit 30 Silberlingen) entwickelten sich als arma Christi seit dem zwölften Jahrhundert im Zusammenhang mit einer steigenden Kreuzes- und Passionsfrömmigkeit zu einem ikonographischen topos (cf. Kirschbaum, LCI, Lemma: Arma Christi). In Verbindung mit dem Schmerzensmann sowie mit Kreuzigungs- oder Gerichtsszenen erinnern und bekräftigen sie das stellvertretende Leiden Christi und mahnen gleichzeitig den Sün-

104 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

Brunnen ist jeweils ein Spruchband mit einem Achtzeiler in französischer Sprache zugeordnet. Angebracht auf der Vorderseite des unteren Beckens, oberhalb der Köpfe von Petrus und Paulus sowie zu Füßen des entsprechenden Engels, nehmen diese Schriftzüge im wahrsten Sinne des Wortes, auf dem Bild weiten Raum ein. Während sie sich auf dem Avignoneser Tafelbild problemlos in die Gesamtkonzeption des Bildes einfügen, so dass beispielsweise die provenzalische Landschaft weiterhin zur Geltung kommt, ist auf dem Gemälde von Dissay der Hintergrund nur erahnbar, werden das schmale Kreuz ebenso wie die Heiligenfiguren von der ›Buchstabenflut‹ fast erdrückt. Auf diese Disproportion, die umso erstaunlicher ist, da zum Beispiel die Gestaltung der Figuren wohl durchaus den Pinsel eines Malers von Rang verrät, wurde in der Forschung mehrheitlich hingewiesen.252 Eine mögliche Erklärung für dieses Missverhältnis wäre, dass hier nicht die Verse dem Bild, sondern das Bild den Versen hinzugefügt wurde, diese also bereits existierten und sich die Anlage des Gemäldes, vielleicht gar des gesamten Zyklus, aus den in den Texten angesprochenen Aspekten ergibt. Dies würde auch das bereits konstatierte Verhältnis zwischen Abbildung und Text erklären, das in Dissay und Chinon keinesfalls ein anderes ist als auf dem Tafelbild von Avignon. Wurden die Gemälde nämlich tatsächlich als Illustrationen bereits vorhandener Verse konzipiert, ergibt sich die inhaltliche Deckungsgleichheit der Bild- und Textaussage fast als logische Konsequenz – erst recht, wenn der Text aus der Feder einer Autorität stammt! Dann kam nämlich ein Vernachlässigen oder Ergänzen von Aspekten für den Künstler selbst, aber auch für Außenstehende einer impliziten Kritik gleich, die als unpassend und anmaßend empfunden worden wäre. Eine solche anerkannte Persönlichkeit war René d’Anjou (1409–1480), von dessen Autor- oder zumindest ›Tutor‹-schaft man mittlerweile ausgeht,253 damals auf jeden Fall. Sein guter Ruf basierte allerdings weniger auf politischen Erfolgen, sondern vielmehr auf seinem Engagement für Literatur der zu Reue und Umkehr (cf. Kasper, LThK, Lemma: Arma Christi). Zur Gestaltung der Engel mit arma Christi in Dissay cf. Wadell, Fons, 43. 252  Cf. beispielsweise Émile Mâle, L’Art religieux de la fin du Moyen Âge en France. Etude sur l’iconographie du Moyen Âge et sur ses sources d’inspiration. Paris: Colin 1908, 106–109; auch Wadell, Fons, 44; Favreau, Inscriptions, in: Coulet / Matz, Noblesse, 666. Alle drei Autoren zeigen anhand von Einzelaspekten (Faltenwurf, Gewicht und Dynamik der Figuren, Perspektivierung des Brunnens), dass der Künstler des Zyklus von Dissay sein Handwerk überdurchschnittlich gut verstand. 253  Cf. beispielsweise Albert Lecoy de la Marche, Le roi René, sa vie, son administration, ses travaux artistiques et littéraires II. Paris: Firmin-Didot Frères 1875, 75–78, zuletzt Favreau, Inscriptions, in: Coulet / Matz, Noblesse, 667.



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und Kunst, das sich sowohl in eigenen literarischen Werken als auch in der Unterstützung anderer Künstler manifestierte.254 Aus der Annahme einer Verantwortung des bon roi René255 für die Inschriften in Dissay sowie an weiteren Orten des angevinischen Einflussbereichs ergeben sich zwei im Rahmen vorliegender Studie wichtige Aspekte: Stammen die Verse tatsächlich von René d’Anjou oder einem seiner Schützlinge, zeigt dies deutlich, dass das Thema conversio bereits literarisch verarbeitet wurde, bevor es im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts kontroverstheologisch und konfessionell aufgeladen wurde – und zwar nicht nur von Gelegenheitsdichtern – und beim Publikum auf Interesse stieß. Die Tatsache, dass man die Verse eines in seiner Zeit so berühmten Autors wie René d’Anjou aber nicht per se wirken ließ, sondern in eine ikonographische Darstellung integrierte, zeigt aber auch, dass man sich der Schlagkraft bildnerischer Darstellungen und ihrer besonderen Wirkung auf den Leser wohl durchaus bewusst war und sich zunutze zu machen wusste. Wie dargestellt, unterscheidet sich die Komposition der fons pietatis Darstellung in Dissay kaum von denjenigen in Chinon und Avignon. Während aber die neu hinzugefügten Engel mit den Marterwerkzeugen lediglich die 254  »The image of René as a good prince was to a large extent established […] by his literary works and his patronage of painting, architecture, sculpture and other arts«, Margaret Lucille Kekewich, The good king. René d’Anjou and fifteenth century Europe. London: Palgrave Macmillan 2008, 155. 255  Die Annahme beruht im Wesentlichen auf zwei Tatsachen: Zum einen bestehen sowohl formale als auch inhaltliche Parallelen zwischen den Schriftzügen auf den Gemälden und den Werken Renés bzw. seiner Schützlinge. Beispielhaft sei hier auf das 1455 von René fertiggestellte und von ihm selbst verbreitete Le mortifiement de vaine plaisance verwiesen (cf. dazu Kekewich, King, 167), in dem der Autor die Notwendigkeit der Reue (contriction) über die menschliche Weltverfallenheit und die Hinwendung zu göttlicher Tugend thematisiert – also zur conversio aufruft! Metrik und Reimform der Schriftzüge auf den Bildern entsprechen zudem den von René üblicherweise verwendeten Schemata – meist Acht- oder Elfsilber, zusammengefügt in zwei Quartetten mit Kreuzreim a-b-a-b-b-c-b-c (cf. beispielsweise im Livre du Cuer d’amour épris). Zu weiteren Ähnlichkeiten cf. Favreau, Inscriptions, in: Coulet / Matz, Noblesse, 666. Zum anderen befinden sich alle Orte, an denen (fast) identische Begleitverse zu den arma Christi respektive zum fons pietatis-Motiv nachweisbar sind, im angevinischen Einflussbereich, sei es in der Provence, sei es im Anjou selbst oder in Dissay nur wenige Kilometer davon entfernt (Zu den Kunstwerken in Angers, Boumois, Montriou und Pimpéan cf. ausführlich Favreau, Inscriptions, in: Coulet / Matz, Noblesse, 658–668, sowie Wadell, Fons, 47s.). Aus der engen Verbindung des Hauses Anjou mit der Provence resultiert auch die besondere Verehrung Maria Magdalenas, die dort ebenso wie im Stammland von der Familie gepflegt wurde (Möglicherweise spielte die enge Beziehung Renés zur Figur der Büßerin Maria Magdalena auch bei der Gestaltung des Mystère d’Angers (1486) eine Rolle, cf. infra, Kapitel 1.d). Sterling zeigt zudem eine Förderung von Enguerrand Quarton durch René auf (cf. Sterling, Quarton, 43), Kekewich bezeichnet ihn gar als »master of king René«, Kekewich, King, 176.

106 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

Botschaft von Gnadenbrunnen und Marienfiguren bekräftigen, erhält sie durch die Ergänzung von Petrus und Paulus eine neue Facette. Beide Heilige verkörpern die Kirche, in der sie jeweils eine besondere Stellung innehaben: Petrus wurde von Christus zum Sachwalter seiner Kirche ernannt,256 Paulus, als Völkerapostel, ist verantwortlich für die Verkündigung des Evangeliums in der Welt.257 Mit ihrer Präsenz am Gnadenbrunnen empfehlen die beiden Heiligen die ganze Kirche der Barmherzigkeit Gottes an. Diese Verantwortung für die Kirche Christi spiegelt sich auch in den beiden Aposteln zugeordneten Versen wider, die insbesondere in der direkten Ansprache des »peuple chretien« als Auftakt des Petrusverses zum Ausdruck kommt. Ansonsten ermutigen auch Petrus und Paulus zur »fontaine« zu kommen, um alle Sünden abzuwaschen, fügen also den Texten von Maria Magdalena, Maria Aegyptiaca und dem Brunnen keinen neuen Aspekt hinzu, sondern bekräftigen bereits Gesagtes erneut.258 Eine zusätzliche Bedeutungserweiterung des fons pietatis Motivs ergibt sich aus der Verbindung von Petrus und Paulus mit den beiden Büßerinnen. Auf diese Weise wird die Aufmerksamkeit des Betrachters, der mit den Apostelfürsten eine Vielzahl von biblischen Szenen und Legenden verbinden mochte, auf die jeweilige conversio des Heiligen gelenkt. »Ich verfolgte die Kirche Gottes maßlos und suchte sie zu vernichten«,259 schrieb Paulus an die Gemeinden in Galatien; »Saulus aber wütete immer 256  Cf. Mt 16, 18 / 19: »Du bist Petrus, und auf diesen Fels werde ich meine Kirche bauen […]. Ich werde dir die Schlüssel des Himmelsreichs geben […]«. Petrus ist zudem Namenspatron des Auftraggebers Pierre d’Amboise sowie Patron der Kathedrale der Bischofsstadt Poitiers, durch seine Anwesenheit an der fons ­pietatis werden also Bistum und Oberhirte dieser in besonderer Weise anvertraut. 257  Zur Stellung Paulus’ als Völkerapostel cf. Jürgen Becker, Paulus. Der Apostel der Völker. Tübingen: Mohr Siebeck 31998, 4–7 sowie passim. 258  Insbesondere der Paulustext ist zudem in weiten Teilen mit dem Brunnentext identisch: »(Paulus): »Cueur endurci par folle oultrecuidance / Panse aux vices dont tu es entaché / Nettoye toy par vraye repentance / Et vien icy pour laver ton peché« Die kursivgedruckten Passagen hier und im Petrustext stimmen mit dem Brunnentext überein, im letzten Vers liegt allerdings statt der zweiten Person Plural hier die zweite Singular vor. Der Petrustext weist nur eine Parallele zum Brunnentext auf: »(Petrus): »Peuple chretien, regarde la fontaine / Remplie du sang de Crist en habondance / Ou est trouvé misericorde plaine / Vien toy laver et purgier ton offence«. Ob die offensichtliche Ähnlichkeit der Texte tatsächlich als weitere Bekräftigungsmaßnahme zu werten ist oder ob die Verse von Petrus und Paulus (ebenso wie die nur fragmentarisch erhaltenen Texte auf den anderen Bildern möglicherweise erst für die Bilderfolge in Dissay entstanden sind und damit nicht von René d’Anjou, sondern von einem Autor verfasst wurden, der Stil und Vokabular des Meisters weitestgehend beibehalten wollte, kann wohl nicht eindeutig geklärt werden. 259  Gal 1, 13. Syntaxanpassung von mir. Original: »Ihr habt doch gehört, wie […] maßlos ich die Kirche Gottes verfolgte und zu vernichten suchte«.



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noch mit Drohung und Mord gegen die Jünger des Herrn«,260 berichtete der Verfasser der Apostelgeschichte: Dass Paulus vor seiner Bekehrung eine Gefahr für die Christen darstellte, wird weder von ihm selbst noch von Lukas verschwiegen. Im Gegenteil: Durch den wiederholten Verweis auf die Situation vor der conversio sowie die detaillierte Schilderung der Untaten Saulus’261 wird die vormalige Sündhaftigkeit des Apostels immer wieder ins Gedächtnis gerufen und damit implizit die Größe der eingetretenen Veränderung unterstrichen.262 Mag auch das Moment der conversio per se, die Christophanie auf dem Weg nach Damaskus263, nicht aus einem Gefühl der Reue erwachsen sein, sondern diese vielmehr ausgelöst haben264, die gött­ 260  Apg

9, 1. beispielsweise 1 Kor 15, 9 »weil ich die Kirche Gottes verfolgt habe«; Apg 9, 13 / 14: »Hananias antwortete: Herr, ich habe von vielen gehört, wie viel Böses dieser Mann deinen Heiligen in Jerusalem angetan hat. Auch hier hat er Vollmacht von den Hohenpriestern, alle zu verhaften, die deinen Namen anrufen« Diese Aussage Hananias’, ein in Damaskus lebender Christ, der von Gott beauftragt wird, Paulus durch Handauflegung sein Augenlicht wiederzugeben (cf. Apg 9, 12), bestätigt einmal mehr, dass die wiederholten Hinweise auf die Taten Saulus’ ebenso wie die Beschreibungen rhetorisch begründet sind. Hananias weiß hier nämlich mehr, als er wissen kann, es geht hier nur um ein erneutes Evozieren der Schuld, cf. Rudolf Pesch, Die Apostelgeschichte. (2. Teilband, Apg 13–28). Evangelisch-katholischer Kommentar zum Neuen Testament. Zürich: Benzinger, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 1986, 305. Die gleiche Funktion erfüllt Apg 9, 21. Cf. des Weiteren die Rede Pauli im Tempelvorhof von Jerusalem (Apg 22, 4–5, 19–20, hier auch ein Hinweis auf die Teilnahme an der Steinigung von Stephanus, cf. Apg 7, 58) sowie diejenige vor dem Statthalter und König Agrippa (cf. Apg 26, 9–11). 262  Darüber hinaus ist der Mensch Paulus aufgrund der von ihm selbst in seiner Korrespondenz immer wieder betonten allgemein menschlichen Disposition, natürlich gleichfalls Sünder. Die Konzepte Schuld, Kreuz und Sühne thematisiert Paulus vor allem in seinen Briefen an die Gemeinden in Korinth und Rom, die später zum Ausgangspunkt der reformatorischen ›Rechtfertigungslehre‹ werden sollten. 263  Cf. Apg 9, 3, 7; 22, 6–10; 26, 13–15. Die Sünde der Verfolgung der Christen wird Paulus auch direkt von Christus vorgeworfen: »Er stürzte zu Boden und hörte, wie eine Stimme zu ihm sagte ›Saul, Saul, warum verfolgst du mich?‹ Er antwortete: ›Wer bist du, Herr?‹ Dieser sagte: ›Ich bin Jesus, den du verfolgst‹ «, Apg 9, 4 / 5. Zu Inhalt, formaler Gestalt und Bedeutung der Christophanie cf. ausführlich Christian Dietzfelbinger, Die Berufung des Paulus als Ursprung seiner Theologie. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 1985, passim (insbesondere 44s), zur Anverwandlung der paulinischen conversio-Darstellung durch die Konvertiten, cf. infra, Kapitel 4.b). 264  Cf. Dietzfelbinger, Berufung, 45 / 46. Die Frage der Vorbedingungen des Geschehens vor Damaskus und der Konsequenzen einer eventuellen Voraussetzungslosigkeit für dessen Bewertung als conversio oder eher vocatio war zwar im 19. und 20. Jahrhundert Gegenstand zahlreicher theologischer Debatten (cf. dazu Ulrich Wilckens, »Die Bekehrung des Paulus als religionsgeschichtliches Problem«, in: ZThK 56 (1959), 273–293, passim, zum derzeitigen Stand der Debatte cf. Rudolf Zewell, »Das Bekehrpaket«, in: Rheinischer Merkur 52 (2009), 20, cc. 3 / 4), im 261  Cf.

108 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

liche Gnade also – anders als bei der conversio Maria Magdalenas beispielsweise – nicht mit menschlicher Schulderkenntnis und Reue zusammengewirkt, sondern ›den Stein erst ins Rollen gebracht‹ haben, markiert auch die conversio Pauli den Wendepunkt im Leben eines Sünders. Die Kategorisierung des Apostels als bußfertiger Sünder ist damit durchaus gerechtfertigt, zumal das Verhalten Pauli in den drei Tagen nach dem Konversionserlebnis tatsächlich einem Bußhandeln vergleichbar ist – bzw. in den Berichten der Apostelgeschichte als solches stilisiert wurde.265 Die conversio Petri entspricht eher dem bekannten Schema, allerdings ›schweigt‹ der Bibeltext hinsichtlich der Buße, was nicht heißen muss, dass diese nicht stattgefunden hat. Wie alle vier Evangelisten berichten, leugnete Petrus am Abend vor Jesu Kreuzigung dreimal diesen zu kennen, aus Angst als sein Jünger gleichfalls in Lebensgefahr zu geraten.266 Nachdem er zum dritten Mal bestritten hatte, zu ihm zu gehören, krähte ein Hahn, genau so, wie Jesus es vorausgesagt hatte,267 worauf der Jünger sich seiner Schuld bewusst wurde, »bitterlich weinte«268, sich anschließend bekehrte und fortan zu Christus stand: bekanntlich mit aller Konsequenz und in verantwortlicher Stellung für die Kirche. Nicht nur im Vergleich mit der conversio Pauli war die Verleugnung durch Petrus als Teil der Passion, die mindestens in der Karwoche, darüber hinaus auch in Andachten während der Fastenzeit zu Gehör gebracht wurde, in der Liturgie – und in diesem Fall wohl auch den Gläubigen – sehr präsent.269 Für diese bot die Szene aber nicht nur hohes Mittelalter ebenso wie im Zeitalter von Reformation und Konfessionalisierung wurde die Christophanie hingegen als paulinischer Sonderweg akzeptiert (cf. Dietzfelbinger, Berufung, 54) und anderen Formen der conversio selbstverständlich gleichgestellt: Deshalb feiert die Kirche seit dem achten Jahrhundert am 25.  Januar das Fest conversio Pauli, deshalb konnten die entsprechenden Abschnitte von Apostelgeschichte und Briefen auch zu Referenztexten späterer Konversionsberichte werden (cf. dazu infra, Kapitel 4.b). 265  Cf. beispielsweise Apg 9, 9–12: »Und er war drei Tage blind, und er aß nichts und er trank nichts. […] Der Herr sagte zu ihm (i. e. Hananias): Steh auf […] frag […] nach einem Mann namens Saulus, aus Tarsus. Er betet gerade«. Indem hier die Erblindung durch Gottesschau sowie Fasten und Gebet, die üblichen Elemente der Buße also, erwähnt werden, wird das Verhalten Pauli als Bußhandlung gekennzeichnet. 266  Cf. Mt 26, 69–75; Mk 14, 66–72; Lk 22, 54–62; Joh 18, 17, 25–27. 267  Cf. Mt 26, 33–35; Mk 14, 29–31; Lk 22, 31–34; Joh 13, 37 / 38. 268  Mt 26, 75; Lk 22, 62. Syntaxanpassung von mir. Original (identisch bei Mt und Lk): »Und er ging hinaus und weinte bitterlich«. Die Tränen Petri sowie grundsätzlich die Darstellung seines Gemütszustands nach der Verleugnung wurden zu beliebten Themen des »affektgeladenen Barock«, Poeschel, Handbuch, Lemma: Die Verleugnung Petri. 269  In der Karwoche war mit Ausnahme von Karmontag, Gründonnerstag und Karsamstag täglich eine Passion neutestamentliche Tagesperikope. Die Verleugnung war zudem fester Bestandteil der seit dem 14. Jahrhundert üblichen Kreuzwegan-



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Identifikationspotential, da die Angst, aus der hier die Verleugnung erwachsen ist sowie die Bestürzung über das eigene Versagen so sehr nachvollziehbar sind, sondern auch Grund zur Hoffnung: Wenn nämlich eine Persönlichkeit wie Petrus, dem Jesus immer wieder Zeichen großen Vertrauens entgegengebracht hatte, Schwäche diesen Ausmaß’ zeigen konnte, aber dennoch nicht verstoßen wurde, stattdessen, weil er bereut hatte, die Barmherzigkeit Gottes erfahren und seine ›alte‹ Stellung wieder einnehmen konnte, dann war es wohl auch dem ›kleinen, unbedeutenden Sünder‹ möglich, Erlösung zu erlangen. Und nicht ›nur‹ das: Im Zusammenhang mit der Voraussage der Verleugnung übermittelt Lukas die Worte Jesu an Petrus: »Simon, Simon, der Satan hat verlangt, daß er euch wie Weizen sieben darf. Ich aber habe für dich gebetet, daß dein Glaube nicht erlischt. Und wenn du dich wieder bekehrt hast, dann stärke deine Brüder«270 Daraus ergibt sich, dass ein Konvertit für Gott tatsächlich kein ›Gläubiger zweiter Klasse‹ ist, Reue und Umkehr vielmehr notwendig zu einem Leben mit Gott dazugehören und die positive Erfahrung für die Gemeinschaft fruchtbar gemacht werden kann und soll. Diese explizite Aufforderung Jesu, die allerdings im Laufe der Jahrhunderte unterschiedlich starke Beachtung gefunden hat271, begründet bzw. rechtfertigt demnach auch das Abfassen von Konversionsschriften nach dem Prinzip einer conversio per conversionem. Die Figuren der Apostelfürsten neben denjenigen der Büßerinnen auf dem Wandgemälde in Dissay dienen also dazu, zusätzliches Identifikationspotential für den Betrachter zu schaffen, damit dieser sich ungeachtet der Qualität und Quantität seiner Sünden der fons pietatis anvertraut. Die Tatsache, dass hier genau vier bußfertige Sünder am Gnadenbrunnen versammelt sind, steht symbolisch für die Vollständigkeit der Reinigung von Schuld aller Menschen, die sich dem Gnadenbrunnen nähern. Sie schlagen zudem eine Brücke zu den übrigen Gemälden des Bildprogramms der Schlosskapelle, auf denen mit Adam (Nordwand), David (Südwand), Manasse (Nordostwand) und Nebukadnezar (Südostwand) vier weitere biblische Persönlichkeiten abgebildet sind, die sich auf unterschiedliche Weise schuldig gemacht haben.272 Alle dachten (cf. Kasper, LThK, Lemma: Kreuzweg, sowie Febvre, Cœur, 40). Verleugnung durch Petrus und conversio Pauli wurden auch dramatisch verarbeitet, cf. infra, Kapitel 1.d). 270  Lk 22, 31. 271  Cf. dazu ausführlich François Bovon, Das Evangelium nach Lukas (4. Teilband, Lk 19, 18–24, 53). Evangelisch-Katholischer Kommentar zum neuen Testament. Düsseldorf: Patmos, Neukirchen: Neukirchener Verlag 2009, 270 / 271 (»Das letzte Gespräch«, Erklärung zu Lk 22, 31–34) sowie besonders 282–289 (»Wirkungsgeschichte«), vor allem 284. 272  Cf. Anhang II, ill. 5–8. Alle Angaben zu diesem Teil des Zyklus’ beruhen auf Wadell, Fons, 47.

110 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

Figuren stellen Augenkontakt zur fons pietatis her und bitten somit um Vergebung ihrer Schuld. Anhand der Abbildungen sowie der allerdings nur sehr fragmentarisch überlieferten Texte auf den Spruchbändern lässt sich erkennen, dass sich Adam »le père des humayns« hier für seine »inobeissance«273 anklagt, David, »le psalmiste nommé« für »adultere et murtre«,274 Manasse »plain de peché« als »ydolatre«.275 Eine gewisse Sonderstellung scheint auf den ersten Blick Nebukadnezar »hault roi de Babilloyne« einzunehmen, da er als einzige der abgebildeten Figuren nicht zum auserwählten Volk Israel gehört. Nach Dan 3, 93–97 erkannte der König, beeindruckt durch die Rettung der drei Männer im Feuerofen, den Gott Israels als »einzigen Gott an, der auf diese Weise retten kann«276, und stellte fortan den jüdischen Glauben unter seinen persönlichen Schutz, eine Verhaltensänderung, die sich durchaus als conversio fassen lässt. 273  Cf. Gen 3, 7. Gott zeigte sich gegenüber Adam barmherzig, da er ihn nach dem Essen vom Baum der Erkenntnis nicht sterben ließ, sondern ihn zwar aus dem Garten Eden hinausschickte, ihn aber zunächst mit Kleidung ausstattete (Gen 3, 21) und ihm später eine reiche Nachkommenschaft schenkte (Gen 4, 25–32). Das Gemälde in Dissay zeigt neben dem Baum der Erkenntnis und dem Sündenfall auch die Vertreibung aus dem Garten Eden. Die abgebildeten Werkzeuge verweisen auf die Strafe, mühselige Arbeit verrichten zu müssen, um leben zu können (cf. Gen 3, 17). 274  Cf. 2. Sam 11, 4–17. David beging zunächst mit der Frau des Hetiters Urija Ehebruch, anschließend sorgte er dafür, dass dieser im Kampf den Tod fand. Zur Strafe ließ Gott David durch einen Propheten ausrichten, dass sein Sohn, der aus dem Ehebruch hervorgegangen war, sterben werde. Nachdem sich Gott durch Reue und Buße Davids nicht hatte umstimmen lassen, hatte er Erbarmen und schenkte David einen weiteren Sohn, Salomo (cf. 2 Sam 12, 25). Auf dem Wandgemälde ist neben den angesprochenen Szenen aus 2 Sam 11 auch eine detailgenaue Abbildung des Schlosses von Dissay zu sehen. Auf diese Weise wird der aktuelle Betrachter einmal mehr in das Gnadengesuch der bußfertigen Sünder einbezogen. 275  Manasse »tat, was dem Herrn mißfiel« (2 Chr 33, 2). Er führte in Israel den Götzendienst ein und »betrieb Zauberei und andere geheime Künste« (2 Chr 33, 6). Nachdem er mehrere Mahnungen Gottes, umzukehren, in den Wind geschlagen hatte, schickte dieser ein Heer des Königs von Assur, um Manasse gefangenzunehmen und nach Babel zu verschleppen (cf. 2 Chr 33, 11). Erst in dieser Situation »suchte er den Herrn, seinen Gott, zu besänftigen. Er beugte sich tief vor dem Gott seiner Väter und betete zu ihm« (2 Chr 33, 12). Daraufhin erbarmte sich Gott seiner, »erhörte sein Flehen und ließ ihn nach Jerusalem zurückbringen« (2 Chr 33, 13). Die conversio von Manasse ist Gegenstand des sogenannten Gebet des Manasse, ein psalmartiges Bittgebet, das als apokryphe Schrift manchen Bibelausgaben beigegeben war. 276  Dan 3, 96. Cf. auch Nebukadnezars Traum vom stolzen Baum, Dan 4, 1–34, besonders Vers 34 »Ich, Nebukadnezar, lobe preise und rühme nun den König des Himmels. Denn all seine Taten sind vortrefflich und seine Wege gerecht. Die Menschen, die in stolzer Höhe dahinschreiten, kann er erniedrigen«. Auf diese Einsicht bezieht sich wohl auch der Text des Spruchbands: »Ung s……….. (unlesbar) de pensee haultayne«.



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Wie bereits im Zusammenhang mit der Predigt des Dominikaners Pepin erwähnt, wurde die Gruppe der bußfertigen Sünder, zu der neben den in Dissay abgebildeten und den vom Pater erwähnten neutestamentlichen Bibelgestalten noch der ›gute Räuber‹ Dismas und der ›verlorene Sohn‹ gehören, seit langem in der kirchlichen Verkündigung als exemplum eingesetzt, um die Gläubigen einerseits zu angemessener Reue zu ermahnen, sie aber andererseits an die große Barmherzigkeit Gottes zu erinnern, derer auch sie teilhaft werden können.277 Im späten 15. Jahrhundert entwickelt sich aus dieser Tradition ein eigener ikonographischer topos mit meist vier bußfertigen Sündern,278 der je nach ›Einsatzort‹ und Kombination der Figuren unterschiedliche Bedeutung annehmen konnte. Während beispielsweise in Dissay durch die Verknüpfung des topos mit dem fons pietatis-Motiv das Übermaß der göttlichen Gnade 277  Eines der frühesten Beispiele solcher Verwendung findet sich bereits in einer Predigt von Gregor dem Großen über den Propheten Ezechiel. Diese liefert nicht nur der Gruppe der bußfertigen Sünder ihre ›Gründungsakte‹, in ihr wird auch erstmals der Bezug zum fons pietatis Motiv hergestellt: »Est idem Deus incarnatus fons vero patiens. In hoc fonte ipse quoque David lotus est cum rediit lamenta peonitentiae post maculas gravis culpae. In hoc fonte misericordiae lota est Maria Magdalene quae prius famosa peccatrix, postmodem lavit maculas lacrymis, detensit maculas corrigendo mores (Luc VII, 37 / 38). In hoc fonte misericordiae coram omnibus lavit Petrus quod negaverat, qui flevit amare (Mt XXVI, 75). In hoc fonte misericordiae in fine suo lotus est latro qui semetipsum in morte reprehendens, a culpa sua ablatus est confessione veritatis (Luc XXIII, 41). In hoc fonte pietatis […]«; Gregor der Große: »Homilia VIII«, in: Homiliarum in Ezechielem propheta, libri II, in: Migne, PL, vol. LXXVI, cc. 786–1072 / 1027–1041, hier cc. 1039–1041. 278  Ein möglicher Grund für die Ausbildung und Verselbstständigung des ikonographischen topos mag im großen Erfolg des Speculum humanae salvationis liegen, einer Erbauungsschrift, die heutzutage als eines der »most widely disseminated and influential works of the later Middle Ages« angesehen wird (Adrian Wilson / Joyce Lancaster Wilson, A medieval Mirror. ›Speculum humanae salvationis‹ 1324–1500. Berkeley / Los Angeles: University of California Press 1984, 9). Das Werk bietet dem Leser, oder besser Betrachter, da die Illustrationen hier weitaus mehr Raum einnehmen als der Text – das Werk war also auch einem illiteraten Publikum zugänglich – eine typologische Auslegung der Erlösungstat Christi (cf. ibid., 10). In Kapitel XIV des Speculum wird die conversio von Maria Magdalena (Anonym, Speculum humanae salvationis. Kritische Ausgabe. Übersetzung von Jean Mielot (1448). Die Quellen des Speculums und seine Bedeutung in der Ikonographie, besonders in der elsässischen Kunst des XIV. Jahrhunderts. Mit der Wiedergabe in Lichtdruck (140 Tafeln) der Schlettstadt-Handschrift, ferner sämtlicher alter Mülhauser Glasmalereien sowie einiger Scheiben aus Colmar, Weißenburg etc. von Jules Lutz und Paul Perdrizet. Leipzig: Beck, Mühlhausen: Meiniger 1907, XIV, vv. 1–19) mit derjenigen von Manasse (ibid., XIV, vv. 20–50), die conversio des verlorenen Sohns (ibid., XIV, vv. 51–82) mit derjenigen Davids (ibid., XIV, vv. 83–88) konfrontiert.

112 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

im Vordergrund stand, lag der Schwerpunkt auf dem Aspekt von Reue und Umkehr, wenn die Gruppe der Ausgestaltung einer Beichtkapelle diente.279 Lässt sich der Verbund der bußfertigen Sünder in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts in Frankreich sowie grundsätzlich im Abendland zwar vereinzelt, aber dennoch konsequent nachweisen,280 steigt die Verwendung des ikonographischen topos in der Zeit nach dem Tridentinum und besonders zu Beginn des 17. Jahrhunderts sprunghaft an. Gründe und Folgen dieser Entwicklung seien im Folgenden knapp dargestellt und reflektiert – obwohl auf diese Weise der gesetzte chronologische Rahmen des vorliegenden Kapitels überschritten wird – da sich aus ihnen wesentliche Aspekte des conversio-Verständnisses im Zeitalter von Reformation und Konfessionalisierung ergeben. Eine erste Verbreitungswelle erfuhr der topos in Folge der verbindlichen Einführung der Dies irae, dies illa-Sequenz ins Messformular der Missa pro defunctis (1570).281 Der wohl im 13. Jahrhundert gedichtete Text ist von Zef 1, 15 inspiriert282 und als Gebet eines Sünders gestaltet, der sich voller Angst vor dem Jüngsten Gericht mit der Bitte an Gott wendet, trotz all seiner Schuld Erbarmen mit ihm zu haben.283 In Strophe 13 und 14 wird die Gruppe der bußfertigen Sünder evoziert: 279  Cf. Kirschbaum, LCI, Lemma: Sünder, reuige, bussfertige sowie Louis Réau, Iconographie de l’art chrétien. 5 vols. Paris: PUF 1958, hier vol. 3, 2, Lemma: pénitents. Dort auch weitere Beispiele. An dieser Stelle sei Prof. em. Dr. Ulrich Kuder vom Kunsthistorischen Institut der Universität Kiel herzlich für seinen Hinweis auf die Büßergruppe der Beichtkapelle im Birgitinnenkloster zu Altomünster in Oberbayern (heutzutage Landkreis Dachau) gedankt, der mich auf die Spur des ikonographischen topos brachte. 280  Cf. dazu Réau, Iconographie, Lemma: pénitents; Müller Hofstede, Poenitentia, in Wagner, Imagination, 208–215 (mit Fokus auf Maria Magdalena) sowie Ewald Maria Vetter, »Der verlorene Sohn und die Sünder im Jahrhundert des Konzils von Trient«, in: Johannes Vincke (ed.), Gesammelte Aufsätze zur Kulturgeschichte Spaniens 15 (1960), 175–218, hier 192ss (mit Schwerpunkt auf dem verlorenen Sohn). 281  Cf. Kees Vellekoop, Dies ire dies illa. Studien zur Frühgeschichte einer Sequenz. Bilthoven: Creyghton 1978, 131. Vor der offiziellen Aufnahme in das Missale Romanum war die Sequenz bereits in zahlreichen Messbüchern im italienischen, deutschen und französischen Sprachraum vertreten, cf. Ludwig Finscher, e. a. (ed.), Musik in Geschichte und Gegenwart (MGG). Allgemeine Enzyklopädie der Musik in 20 Bänden, begründet von F. Blume. Kassel e. a.: Metzler 21994, Lemma: Dies irae. 282  Cf. Soph 1, 15: »Dies irae, dies illa, dies tribulationis et augustiae, dies calamitates et miseriae, dies tenebrarum et calumnis dies nebuae et turbinis«. 283  Cf. Vellekoop, Dies ire, 91. Die Strophen 1–6 sind der Beschreibung der Schrecken des Jüngsten Tags gewidmet, in den Strophen 7–11 wird die Angst des Sünders, das Bekenntnis seiner Schuld und die Wendung zu Gott thematisiert. Die Strophen 12–16 handeln von der Hoffnung des Sünders auf Erlösung.



c) … in der religiösen Bildkunst113 Qui Maria, absolvisti Et latronem exaudisti Mi hi quoque spem dedisti Preces mee non sunt digne Sed tu bone fac benigne Ne perhenne cremer igne284

Der Beter – vertreten durch die erste Person Singular – wird hier durch das Reimschema ebenso wie durch die deutliche Anspielung auf die Worte des verlorenen Sohnes – »pater peccavi in caelum et coram te: iam non sum dignus vocari filius tuus«285 eng mit der Gruppe der bußfertigen Sünder verknüpft, die sich daraus ergebene Wirkung – »spem dedisti« – betont. Das Vertrauen auf die Barmherzigkeit Gottes schwingt in dem »tu bone fac benigne« gleichfalls mit. Auch wenn der zumindest im Rahmen der Totenliturgie lateinisch gesungene Text sicher nicht von allen verstanden wurde, war er im Bewusstsein der Gläubigen sehr präsent und trotz der Verbindung mit Tod und Trauer letztlich positiv konnotiert.286 Es lag deshalb für Geistliche ebenso wie für Künstler respektive für deren Auftraggeber durchaus nahe, sich mit dem Inhalt der Sequenz auseinander zu setzen und diese als Ausgangspunkt einer Predigt zu benutzen oder sie eben ikonographisch umzusetzen bzw. gestalten zu lassen287 – und damit auch die Gruppe der bußfertigen Sünder. Entscheidender Faktor für den Erfolg des topos war die schon bald nach dem Tridentinum einsetzende Offensive der ›alten Kirche‹ gegen die ›Rechtfertigungslehre‹. Sie schlug sich in theoretischer Hinsicht in den Kontroversgesprächen nieder, die von den Theologen der verschiedenen christ­ lichen Kirchen des Abendlandes mit aller Vehemenz geführt wurden, im praktischen Glaubensvollzug manifestierte sie sich im Wesentlichen in einer verstärkten Bußkatechese. Ganz im Sinne des bereits angesprochenen Drei284  Anonym, Dies irae, dies illa. Hier zitiert nach der Missa pro defunctis in der Version des Missale Romanum von 1631. Die Sequenz ist des Weiteren für die Missa in Die obitus, die Missa in anniversario sowie im Rahmen der Oratio generalis pro fidelibus defunctis vorgesehen. In vv. 22–24 der Sequenz (= Strophe 8) findet sich gleichfalls das Bild der fons pietatis für Christus. 285  Lk 15, 21. Die Wendung »non sum dignus« verweist gleichermaßen auf die conversio des Hauptmann von Kafarnaum, Lk 8, 8. 286  Cf. Finscher, MGG, Lemmata: Dies irae, Requiem. 287  Cf. Vellekoop, Dies ire, 129ss sowie Jean-Charles Payen, »Le Dies Irae dans la prédication de la mort et des fins dernières au Moyen Âge«, in: Romania 86 (1965), 46–74, insbesondere 70–74, auf denen sich der Autor in einer Art Ausblick dem 16. Jahrhundert widmet. Zum Rückgriff der Prediger auf den topos cf. auch die genannten Beispiele von Pepin und Clerre in Kapitel 1.a).

114 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

schritts von contritio – confessio – satisfactio wurde nun die aktive Rolle des Sünders betont: Unde docendum est, christiani hominis poenitentiam post lapsum multo aliam esse a baptismali, eaque contineri non modo cessationem a peccatis et eorum detestationem, aut cor contritum aut humiliatum, verum etiam et eorumdem sacramentalem confessionem, saltem in voto et suo tempore faciendam, et sacerdotalem absolutionem, itemque satisfactionem per ieiunium, eleemosynas, orationes et alia pia spiritualis vitae exercitia288

Diese Vorstellung von tätiger Buße war keinesfalls neu, wurde aber in der Formulierung des Decretum de Iustificatione auf den Punkt gebracht und in der Folgezeit in deutlicher Abgrenzung von den protestantischen Lehren allseits publik gemacht. Bildnerische Umsetzung erfuhr die Idee eben unter Rückgriff auf den topos der bußfertigen Sünder. Sie werden nun nämlich nicht mehr unbeteiligt und in sich gekehrt dargestellt wie auf dem Gemälde in Dissay289, sondern in dynamischer Hinwendung zu Christus. Dies zeigt sich beispielhaft in einem um die Jahrhundertwende entstandenen Altarbild des Rubenslehrers Otto van Veen, einem der »renomiertesten Vertreter der gegenreformatorischen Bilderneuerung in den Niederlanden«290. Im Zentrum des Bildes291 steht Christus, durch das Kreuz als salvator mundi gekennzeichnet, auf einem Piedestal. Ihn umringen von links nach 288  Wohlmuth, 289  Zahlreiche

sim.

Dekrete III / concilium Tridentinum, sessio VI, caput 14. weitere Beispiele bei Vetter, Sohn, in: Gesammelte Aufsätze, pas-

290  Birgit Schwarz, »Otto van Veen, Christus mit den reuigen Sündern«, in: Sigrun Paas / Sabine Mertens (ed.), Beutekunst unter Napoleon. Die ›französische Schenkung‹ an Mainz 1803.  Mainz am Rhein: von Zabern 2003, 277–280 (Kat. Nr. 193), hier 277. Die Tatsache, dass im Folgenden mit den Werken von Otto van Veen und Rubens flämische Werke besprochen werden, ist dem Bildquellenmaterial geschuldet. Dies ist von beiden Malern in sehr guter Qualität greifbar, französische Werke hingegen in schlecht erkennbarem Schwarz-Weiß-Format oder gänzlich ohne Abbildung. Da aber die konfessionelle Situation der Niederlande derjenigen Frankreichs ähnlich ist, sich auch hier die ›alte Kirche‹ gegen einen erstarkenden Protestantismus reformierter Prägung zur Wehr setzen musste (cf. Crouzet, Guerriers, I, 550s sowie Müller, TRE, Lemma: Niederlande 3.2 (Die Entstehung konfessioneller Prägungen (1566–1619)), kommt den Bildern eine vergleichbare Propagandafunk­ tion zu. 291  Cf. Anhang II, ill. 9, Otto van Veen (1556–1629), Christus mit den reuigen Sündern (1605 / 1607), Öl auf Holz (269  x  214  cm), heutzutage Landesmuseum Mainz; Mittelteil des Altares der Antwerpener Kaufmannszunft in der Kathedrale von Antwerpen, 1794 von den französischen Revolutionstruppen nach Paris überführt, seit 1803 in Mainz. Alle Angaben nach Schwarz, Otto van Veen, in: Paas /  Mertens, Beutekunst, 277. Dort auch eine detaillierte Bildbeschreibung des hier besprochenen Altarmittelteils sowie der Flügel, auf denen mit der Berufung des ­



c) … in der religiösen Bildkunst115

rechts Dismas, gleichfalls erkennbar an seinem Kreuz, König David mit Krone und edlem Königsgewand, der verlorene Sohn, in einfacher Kleidung und mit Hirtenstab sowie Maria Magdalena als Büßerin mit Salbenglas. Alle vier haben den Blick nach oben, auf den Messias gerichtet, insbesondere die Handbewegung Davids und das Muskelspiel von Dismas zeigen Bewegung an, verdeutlichen, dass die Initiative von den Sündern ausgeht, die von der Christusfigur angenommen wird.292 Ein vergleichbares, wenn nicht engeres Verhältnis zwischen den sich aktiv Jesus zuwendenden Sündern und einem die tätige Buße annehmenden Christus, gestaltete auch Rubens selbst: Auf dem um 1610 fertiggestellten Gemälde293 sind der Gottessohn und die Sünder ganz eng zusammengerückt: Auf der rechten Bildhälfte ist Jesus mit einladender Geste abgebildet, auf der linken drängen sich die vier Sünder, um ihm möglichst nah zu sein: Maria Magdalena im Büßergewand mit offenem Haar, Dismas mit dem Kreuz, David, gekennzeichnet durch seine Krone und Petrus, erkennbar an der seit dem sechsten Jahrhundert für ihn festgelegten Physiognomie mit Zöllners Zachäus ein weiterer ›bußfertiger Sünder‹ conversio erfährt. Zu Otto van Veen cf. Harald Olbrich e. a. (ed.), Lexikon der Kunst. 7 vols, Leipzig: Seemann 2 1994, Lemma: van Veen, Otto. 292  Cf. Müller Hofstede, Poenitentia, in: Wagner, Imagination, 208: »Der Salvator mundi wird von den vier Büßern aktiv verehrt und erblickt. Darin lag der gegenreformatorische Wandel. Christus erweist sich in der Aussage des Altargemäldes […] denen als Gnadenbringer, die sich ihm in tätiger poenitentia zuwenden.« Wenn der Autor aber fortfährt, der Maler habe »den Salvator […] in statuarischer Ruhe« dargestellt, die aktive Bewegung läge allein bei den Sündern (ibid., 208) wird der Bogen überspannt, Handhaltung, und Muskelspiel vermitteln auch der Christusfigur eine gewisse Dynamik, zudem nimmt er den Blick der versammelten Sünder ebenso wie des gleichfalls schuldigen Betrachters auf. Cf. dazu Schwarz, Otto van Veen, in: Paas / Mertens, Beutekunst, 277 / 278. 293  Cf. Anhang II, ill. 10, Peter Paul Rubens, Christus und die reuigen Sünder (um 1610), Öl auf Holz (147 × 130 cm), heutzutage in der Alten Pinakothek in München. Das besondere Interesse des Malers für diese Thematik ist möglicherweise durch seine persönliche Erfahrung als Sohn reformierter Flüchtlinge aus Antwerpen im katholischen Köln erwachsen: »Das Kind erlebte fraglos die Abschirmung, den Streit, die gegenseitigen Verdächtigungen und war wach genug, den Übertritt der Familie zur katholischen Kirche als solchen zu begreifen«; cf. Kurt Löcher, »Die Familie Rubens in Köln und Siegen«, in: Gerhard Bott (ed.), Peter Paul Rubens (1577–1640) – Ausstellungskatalog Wallraf Richartz-Museum Köln, 2  vols, Köln: Greven & Bechtold 1977, vol. I, 1–11, hier 8. Zu den Konsequenzen dieser frühen Sensibilisierung für die Folgen der »unheilvollen Glaubensspaltung« für die Kunst Rubens cf. Gerhard Finckh, »Faszination Rubens«, in: idem / Nicole Hartje-Grave, Peter Paul Rubens. Ausstellungskatalog Von der Heydt-Museum Wuppertal. Wuppertal: Von der Heydt-Museum 2012, 12–49, hier 20 / 21. Eine detaillierte Bildbeschreibung bietet Müller Hofstede, in: idem, Poenitentia, in: Wagner, Imagination, 213–214.

116 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

lockigem Haar und Bart.294 Auch hier wird die tätige Buße der Sünder sichtbar gemacht: durch das Muskelspiel Dismas’, das Bemühen Davids, sich zwischen dem ›guten Räuber‹ und Petrus für Christus bemerkbar zu machen, den Faltenwurf von Maria Magdalenas Gewand  …, aber auch herausgestellt, dass die Aktivitäten der Büßer ›Erfolg‹ haben, Christus sich ihnen barmherzig zeigt. Die Liste der Gemälde mit vergleichbarer Bildaussage ließe sich fortsetzen, sie folgten spätestens seit dem Werk van Veens »in dichter Reihe«295 aufeinander und wurden von der ›alten Kirche‹ bald nicht mehr nur zur Illustration des ›neuen‹ Beichtverständnis’ eingesetzt, sondern auch als Mahnung »zur reuigen Umkehr zum Katholizismus«.296 Für die Analyse der Auffassung von conversio ist dieser Befund umso bedeutungsvoller, als der Zeitabschnitt, in dem diese Bedeutungserweiterung stattgefunden hat, mit der Hochzeit der Übertritte von der ›alten Kirche‹ in die Eglise réformée sowie besonders vom Protestantismus zum Katholizismus und damit auch des Verfassens von Konversionsschriften zusammenfällt. Wer damals seine conversio, hier im Sinne eines Wechsels der Glaubensgemeinschaft, niederschrieb, hatte also, oft im wahrsten Sinne des Wortes, diese exempla der Bußfertigkeit vor Augen, was dazu führen sollte, dass der letztlich administrative Akt des Übertritts von einer christlichen Kirche zur anderen auf der Folie von conversiones gedacht und auch beschrieben wurde, die ursprünglich einen gänzlich anderen Sachverhalt, nämlich die Hinbzw. Rückwendung zu einem gottgefälligen Leben, implizierten. Die oft von der Forschung vertretene These, es handle sich bei der conversio im Sinne eines Wechsels der Religionsgemeinschaft und der conversio im biblischen Sinne einer Umkehr zu Gott – die ja auch Literatur und Theologie des Mittelalters zugrunde liegt – um zwei gänzlich verschiedene Phänomene, erscheint damit obsolet. Es wird im Rahmen der vorliegenden Studie noch zu zeigen sein, in welchem Maße zwischen conversio im Sinne einer Umkehr zu einem gottgefälligen Leben und conversio im Sinne eines Konfessionswechsels tatsächlich Kontinuität herrscht.

294  Cf. Rosa Giorgi, Les saints. Repères iconographiques. Traduit de l’italien par Dominique Férault. Paris: Hazan 2004, Lemma: Pierre, apôtre. 295  Müller Hofstede, Poenitentia, in: Wagner, Imagination, 208. 296  Poeschel, Handbuch, Lemma: Die Verleugnung Petri. Poeschel nennt als Beispiele für diese Umdeutung das besprochene Werk von Rubens Christus und die reuigen Sünder. Zur Instrumentarisierung des topos als ›Konversionspropaganda‹ cf. auch Christoph Wetzel, (ed), Belser Stilgeschichte. Studienausgabe, 3 vols, Stuttgart: Belser 1998, III, 339; Vetter, Sohn, in: Gesammelte Aufsätze, 192ss. sowie Müller Hofstede, Poenitentia, in: Wagner, Imagination, 216s. Eine ähnliche Verwendung erfuhren auch der ›weinende Petrus‹ und die Büßerin Magdalena als Einzelszenen.



d) … im religiösen Drama117

d) … im religiösen Drama Maria Magdalena, Petrus, Paulus, Dismas … – die gleichen biblischen Persönlichkeiten, die im Rahmen der Bildkunst dem Betrachter als exempla dienen und ihn von der Notwendigkeit ebenso wie von der Möglichkeit von conversio überzeugen sollten, begegneten den Menschen des 16. Jahrhunderts noch auf einem weiteren Terrain religiösen Lebens: in den mystères. Diese hatten sich aus dem schlichten Kirchraumtheater und den liturgischen Spielen einzelner confréries und Klerikergruppen entwickelt, die im zehnten Jahrhundert begonnen hatten, an den kirchlichen Hochfesten die Tagesperikope der Evangelien dramatisch umzusetzen.297 Anfangs nur für die zum Gottesdienst versammelte Gemeinde und in sehr ritualisierter, knapper und schmuckloser Form aufgeführt, erhielt das théâtre édifiant im späten 14. Jahrhundert nicht nur eine neue Bühne – le parvis – sondern mit der Zeit auch eine immer großzügigere Ausstattung.298 In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, der Zeit also, die in Hinblick auf die Frage nach Vermittlung und Kenntnis von conversio-Konzepten hier entscheidend ist, waren in Frankreich vornehmlich zwei Varianten religiösen Theaters verbreitet:299 die bereits erwähnten mystères300, spektakuläre Groß297  Cf. Heinz Kindermann, Das Theaterpublikum des Mittelalters. Salzburg: Müller 1980, 93–96 sowie Le Goff / Rémond / Lebrun, Histoire, 96 / 97. 298  »A partir des dernières décennies du XIVe siècle, le théâtre sacré sort de l’église plus fréquemment, s’installe sur les parvis, utilise un nombre toujours plus grand d’acteurs, de décors, de machines […]«; Le Goff / Rémond / Lebrun, Histoire, 97. Cf. zudem ausführlich Charles Mazouer, Le théâtre français du Moyen Âge. Paris: Sedes 1998, 89–140. 299  »(L)e seul théâtre vraiment vivant au XVIe siècle, du moins jusque vers 1560, est le théâtre des mystères, des moralités et des farces«, Madeleine Lazard, Le ­théâtre en France au XVIe siècle. Paris: PUF 1980, 37. 300  Der Begriff »mystère«, abgeleitet von lat. »ministerium« (Dienst, Auftrag) respektive »mysterium« (Geheimnis, auch Gottesdienst), wurde im 14. / 15. Jahrhundert für eine Vielzahl von Werken sehr unterschiedlicher Länge verwendet, deren Gemeinsamkeit lediglich das Thema – biblisch oder hagiographisch – und die Form – dramatische Interaktion – war. Erst zu Beginn des 16. Jahrhunderts erschien mit dem anonymen Instructif de la Seconde Rhétorique (um 1472, veröffentlicht 1501 im Jardin de Plaisance et Fleur de Rhétorique) eine, allerdings sehr weit gefasste ›Gattungsdefinition‹: »Pour faire croniques notables / ou hystoires ou beaux misteres / qui soient aux gens delictables, / après que l’on a des matieres / vrayes translacions entieres, / selon les faiz sans rime ou prose / l’on doit par ornees manieres en brief traicter une grant chose«, L’Instructif de Seconde Rhétorique, in: Jardin de Plaisance et Fleur de Rhétorique. Réproduction en fac-similé de l’édition publiée par Antoine Vérard vers 1501. Introduction et notes par Eugénie Droz et Arthur Piaget. 2 vols, Paris: Firmin-Didot & Cie, Champion 1910 / 1924, vol. 1, a ii-c ii, hier c iir, cap. X, vv. 1–8: »Pro misteriis compilandis cronicis et hystoriis«. Demnach bedarf es für ein mystère einer authentischen Quelle und eines Themas mit einer gewissen

118 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

veranstaltungen für ein zunächst städtisches Publikum – das allerdings durch eine Fülle Zugereister aus der näheren und weiteren Umgebung ergänzt wurde – und die vor allem im privaten Rahmen, an Fürstenhöfen und collèges gespielten, oft allegorischen moralités.301 Diese beiden Formen, die Tragweite, das es in ausgefeilter Sprache vorzutragen gilt, zum Gefallen der Zuhörer (cf. dazu Graham A. Runnalls, »Le Mystère Français: un drame romantique?«, in: idem: Etudes sur les mystères. Un recueil de 22 études sur les mystères français, suivi d’un répertoire du théâtre religieux français du Moyen Age et d’une bibliographie. Paris: Champion 1998, 15–34, hier 20). Zu einer relativen formalen Vereinheitlichung – auf der auch das moderne Verständnis von mystère fußt – kam es im 16. Jahrhundert, als die Dramatisierungen biblischer Szenen allgemein zu einem »événement exceptionelle« avancierten (Mazouer, Théâtre, 153). Zumindest die Aufführungen der grands mystères cycliques verliefen bald alle nach einem vergleichbaren Schema und differierten auch in ihrer ›Großartigkeit‹ nur noch geringfügig voneinander, obwohl die Städte in einer Art Wettstreit um das längste, aufwändigste, bestbesuchte und damit auch einträglichste mystère standen (cf. Lazard, Théâtre, 7). Cf. dazu den Bericht eines zeitgenössischen Beobachters, des Hauslehrers der Grafen von Zimmern, der seine Schützlinge auf einer Studienreise durch Frankreich begleitete, zu den Planungen in Bourges (um 1534): »Es konnte der passion zu Essoudun (zehen französisch meil von Burges gelegen) kum ußgespilt werden, es erschalle, wie dieselbigen burger dessen ein sollichen grosen nutz gehapt, also das sie etlich tausendt franken über allen uncosten heten erübriget, zu dem lob, das sie darbei erlangt. Do thetten sich die fürnempsten burger zu Bourges zusamen, berathschlagten, seitmals alle sachen so wol und mit nutz zu Essoudun, als in einem stetlin abgangen, das sollichs alles mit grosen ehren und magnificenz zu Burges möchte verricht werden, darzu sie allen platz zum theatro und anderer gelegenhait in alle weg bösser möchten haben, als die zu Essoudun«; Die Chronik der Grafen von Zimmern. Handschriften 580 und 581 der Fürstlich Fürstenbergischen Hof­ bibliothek Donaueschingen. Ed. von Hansmartin Decker-Hauff unter Mitarbeit von Rudolf Seigel. Darmstadt: WBG 1972, vol. III. 87 / 88. Wenn nicht anders angegeben, wird mystère im Folgenden zur Bezeichnung eines solchen »événement exceptionelle« verwendet. 301  Über den semantischen Gehalt des Begriffs »moralité« als Gattungsbezeichnung ist in der Forschung fast ebenso viel diskutiert worden wie über denjenigen des »mystère« (cf. dazu den Forschungsüberblick bei Werner Helmich, Die Allegorie im französischen Theater des 15. und 16 Jahrhunderts. Tübingen: Niemeyer 1976, 18ss). Einig ist man sich über die didaktisch-moralische Intention der in den Manuskripten als moralité bezeichneten Werke sowie über die Tatsache, dass es grundsätzlich zwischen der erbaulichen moralité religieuse (cf. idem, »Introduction«, in: Moralités françaises. Réimpression fac-similé de vingt-deux pièces allégoriques imprimées aux XVe et XVIe siècles. Edition et introduction par Werner Helmich. vol. I. Genf: Slatkine 1980, VII–XXXI, hier XVII) und der moralité polémique (de tendance protestante) zu unterscheiden gilt (cf. Jonathan Beck, Théâtre et propagande aux débuts de la Réforme, six pièces du recueil La Vallière. Genf: Slatkine 1986, 17–21). Strittig bleibt die Frage, ob eine moralité notwendig durch rein allegorisches Personal gekennzeichnet ist. Im Einklang mit der neueren Forschung (cf. Beck, Théâtre, 17 sowie Helmich, Allegorie, 22) wird im Folgenden das allegorische Element zwar als Gattungsnorm, aber nicht als obligatorisch angesehen, was es erlaubt, auch die farces polémiques von Marguerite de Navarre (cf. infra, 143ss) sowie Le



d) … im religiösen Drama119

übrigens von den Vertretern der ›alten Kirche‹ wie von den Anhängern der reformatorischen Bewegung in fast identischer Weise gepflegt wurden, haben auf den ersten Blick wenig gemein: hier die von viel Pomp und Maschinenzauber begleitete Darstellung von biblischen (oder hagiographischen) Szenen, vielfach vermischt mit zum Lachen reizenden Passagen, dort die Gegenüberstellung allegorischer Figuren wie Raison und Rebellion oder Bonne Fin und Malle Fin in mehr oder weniger aufwändigem Kostüm und Dekor, aber oft mit satirischem Biss. Dennoch verfolgten ihre Verfasser mit den auf die Bühne gebrachten exempla gottgefälligen Lebens das gleiche Ziel, nämlich »de renvoyer le spectateur à sa vie personnelle dans le monde, hic et nunc, à sa conversion et à sa conduite droite en vue de salut«.302 Die Orientierung an der Lebenswelt303 und die didaktisch-erbauliche Ausrichtung der Aufführungen waren den Zuschauern der damaligen Zeit durchaus bewusst, zumal die conduiseurs derartiger Spiele, deren Nutzen und Notwendigkeit »au proufit de noz ames«304 stets deutlich herausstellten. Entsprechende Bemerkungen finden sich nämlich nicht nur in den Prologues zahlreicher mystères und moralités, sondern auch in manchem cry, der je nach Größe und Geldbeutel der Stadt unterschiedlich pompös ausstaffierten Ankündigung eines geplanten mystère in Form eines Straßenumzugs.305 Wer Marchant converti von Naogeorgus / Crespin (cf. infra, 155ss) in die Überlegungen mit einzubeziehen. Zur moralité cf. auch Kindermann, Theaterpublikum, 101, 142– 144 sowie ausführlich Raymond Lebègue, La tragédie religieuse en France. Les débuts (1514–1573). Paris: Champion 1929, 81–109; zur moralité polémique gleichfalls Gerard Dirk Jonker, Le protestantisme et le théâtre de langue française au XVIe siècle. Groningen: Wolters 1939, 3–97. 302  Mazouer, Théâtre, 147. Ähnlich: ibid., 225: »il s’agit toujours de la lutte du bien et du mal, des efforts finalement vains entrepris par les forces diaboliques pour tenter de contrecarrer la volonté salvifique de Dieu«. 303  Die Transposition der dargestellten biblischen und hagiographischen Szenen in die Lebenswelt geschah beispielsweise durch die Verwendung zeitgenössischer Kostüme, cf. Mazouer, Théâtre, 151: »Le Christ des Passions réalise sa mission au milieu des realia du XVe (et XVIe) siècle; on parle, on s’habille, on vit, on pense sur la scène des mystères comme le font les spectateurs des mystères (ibid., 151). 304  (Anonym), Le cycle de Mystères des Premiers Martyrs du manuscrit 1131 de la Bibliothèque Sainte-Geneviève. Edité avec une introduction et des notes par Graham A. Runnalls. Genf: Droz 1976, »Le prologue«, 139d-141b, hier 139a (Die Seitenangaben entsprechen denjenigen des Manuskripts). Der cycle besteht aus vier kurzen mystères von insgesamt 2214 Versen (Le martire Saint Etienne; La convercion Saint-Pol; La conversion Saint Denis; Le Martire Saint Père et Saint Pol) und wurde, allerdings wohl nie in der hier vorliegenden Form, sondern stets nur in Teilen, im 15. Jahrhundert an mehreren Orten Frankreichs (Orléans; Compiègne; Beauvais, Amboise), durch verschiedene confréries aufgeführt (cf. Graham A. Runnalls, »Introduction« in: Anonym/Runnalls, Cycle, 7–62, hier 50). 305  Cf. beispielsweise Le cry & proclamation publique: pour iouer le mistere des Actes des Apostres en la Ville de Paris: faict le Jeudy seiziesme iour de Decembre

120 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

sich zum Besuch einer entsprechenden Aufführung oder gar zur aktiven Teilnahme an einer solchen entschloss, wusste also, was auf ihn zukam.306 Auch konnte er sich, einmal abgesehen von eventuellen gesellschaftlichen oder sozialen Zwängen,307 selbst entscheiden, ob er sich der mahnenden Worte zur Veränderung seines Lebens, die ihn in mystère oder moralité sicher erwarteten, aussetzen wollte – er gar ein entsprechendes spirituelles Bedürfnis hegte – oder nicht. Denn auch wenn sicher ein Großteil des Publikums der grands mystères cycliques in deren Aufführung nur eine willkommene Abwechslung vom Alltag und eine Chance sahen, sich selbst und die Familie zu präsentieren, war es einem anderen Teil der Zuschauerschaft wohl tatsächlich an der moralischen Botschaft der Darbietung gelegen.308 Dass die Zahl der grundsätzlich Interessierten gar nicht so gering gewesen ist, wie oft von der Forschung angenommen, scheint sich bei einem Blick auf die Verkaufszahlen der Druckfassungen mancher Spiele zu bestätigen – wobei jedoch zu fragen ist, ob die Texte tatsächlich zur Lektüre oder eher als ›Prestigeobjekt im Bücherschrank‹ oder Erinnerung an ein beeindruckenl’an mil cinq cens quarante: Par le commandement du Roy nostre Sire Francoys premier de ce nom: et monsieur le Prevost de Paris affin de venir prendre les rooles pour iouer ledict mistere (Paris: Ianot 1541). Paris: Pinard 1830. Hier wird die Teilnahme am mystère, ob als Spieler oder Zuschauer, als »honneste œuvre de catholiques« und »exercice au jeu de verité« angepriesen und zur Vemeidung von »dannable decours« empfohlen. Die Entscheidung zur Mitwirkung oder Betrachtung des mystère war also gleichsam ein erster Schritt zu einem gottgefälligen Leben. 306  Die didaktische Ausrichtung und der implizite Appell zur conversio waren zudem bereits anhand des Titels zahlreicher moralités erkennbar, cf. zum Beispiel Bien Advisé, Mal Advisé oder L’homme pecheur. 307  Gerade in kleinen Städten, in denen das kaufmännische wie soziale Leben zu den Spielzeiten der mystères ohnehin stillstand (cf. Lazard, Théâtre, 27), war der Besuch der Aufführungen fast ein gesellschaftliches Muss, ein Fehlen war lediglich in Folge von Krankheit oder Reise gerechtfertigt oder weil man die Eintrittspreise nicht zahlen konnte, was jedoch für einen nicht geringen Teil der Bevölkerung der Fall gewesen ist. Ein Kleinbürger musste dementsprechend lange sparen, um sich den Besuch eines mystères leisten zu können, vom Arbeits- und Verdienstausfall einmal abgesehen; cf. Lazard, Théâtre, 22, Kindermann, Theaterpublikum, 105. 308  Cf. dazu Kindermann, Theaterpublikum, 109: »Aber es gab auch einen sehr wertvollen Zuschauer-Teil, der den Bühnenvorgängen verständnisvoll, tief betroffen und urteilsfähig zu folgen vermochte«; Lazard, Théâtre, 27: »Le mystère jouit de la faveur du grand public, particulièrement en province, où le spectacle est une occasion de rencontre, un divertissement autant qu’un instrument d’édification religieuse«. Auch die weitverbreitete Sitte, religiöse Spiele zu veranstalten, um Gott oder einem (lokalen) Heiligen zu danken, etwa für das Ende einer Epidemie oder um ihn um eine reiche Ernte zu bitten (cf. Lazard, Théâtre, 16), mag die Empfänglichkeit des Publikums für einen Aufruf zur Umkehr, oft in Form einer nachahmenswerten conversio eines (lokalen) Heiligen gestaltet, sicherlich gesteigert haben.



d) … im religiösen Drama121

des Ereignis erworben wurden.309 Die Passion von Jean Michel beispielsweise gehörte im ausgehenden 15. sowie in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, obwohl vergleichsweise teuer, zu den meistverkauften gedruckten Texten Frankreichs.310 Auch die von Marguerite de Navarre unterstützte editio princeps des mystères des Actes des Apotres sowie die Texte zahlreicher moralités gingen damals über die Ladentische und wurden möglicherweise von ehemaligen Zuschauern zur Erinnerung aufbewahrt, von anderen nachgelesen oder gar neu entdeckt.311 In Hinblick auf Liturgie und religiöse Kunst ist es nötig gewesen, die theoretischen Aussagen der jeweils verantwortlichen Personen oder Institutionen in die Analyse der conversio-Konzepte einzubeziehen, weil diese deren praktische Umsetzung in Predigt, Gesang und Bild im großen Maße bestimmte. Bezüglich der Ausgestaltung des religiösen Dramas sind entsprechend allgemein gültige Vorschriften wie Konzils- oder Synodenbeschlüsse kaum und für die hier betrachtete erste Hälfte des 16. Jahrhunderts gar nicht vorhanden.312 Einzige Ausnahme mag wohl das vom parlement de Paris 309  Graham Runnalls geht davon aus, dass die mystères nicht nur, wie oft vermutet, mehrheitlich von einem illiteraten Publikum besucht wurden, sondern zwischen Zuschauern und Käufern und damit potentiellen Lesern eine deutliche Schnittmenge bestand; cf. idem, »The Theatre in Paris in the late middle age« (1992), in: idem, Etudes, 83–100, hier 98 / 99 sowie Roger Chartier in: »Lecture et lecteurs populaires« in: Cavallo / idem, Lecture, 337–354, hier 341. Anders Mazouer, Théâtre, 146. Zum Bucherwerb aus Prestige, cf. infra, Kapitel 1.e). 310  Cf. »La Passion de Jean Michel devint le best-seller des mystères imprimés«, Graham A. Runnalls, Les mystères français imprimés. Une étude sur les rapports entre le théâtre religieux et l’imprimerie à la fin du Moyen Age français suivie d’un Répertoire complet des mystères français imprimés (ouvrages, éditions, exemplaires) 1484–1630. Paris: Champion 1999, 82 / 83. Cf. auch »L’œuvre de Jean Michel se lit, et l’on peut soutenir qu’elle est conçue tout autant pour la lecture individuelle que pour la représentation. […] il semble qu’il (i. e. l’auteur) n’ait pas trop mal réussi à s’intégrer au mouvement de l’imprimerie«; Maurice Acarie, Le théâtre sacré de la fin du moyen âge. Étude sur le sens moral de la Passion de Jean Michel. Genf: Droz 1979, 433. Zum Mystère de la Passion de Jean Michel cf. die Analyse in diesem Kapitel. 311  Cf. Raymond Lebègue, Le mystère des Actes des Apotres. Contribution à l’étude de l’humanisme et du protestantisme français au XVIe siècle. Paris: Champion 1929, 40 / 41. Die Tatsache, dass in Hinblick auf die Editionen des Mystère des Actes des Apotres (1538, 1540) – erst recht nach dessen Aufführung in Genf 1546 auch mit einer Zuschauer- und Leserschaft aus dem Kreis der Eglise réformée zu rechnen war, deren Lesefähigkeit von den Verantwortlichen ja intensiv gefördert wurde, erhöhte allerdings die Zahl derer, die tatsächlich an der Lektüre der Texte interessiert waren. Zum Erfolg der Druckausgaben von moralités religieuses oder moralités polémiques cf. Pettegree, Reformation, 128ss sowie Lazard, Théâtre, 36s. 312  Ebensowenig haben sich führende Persönlichkeiten wie beispielsweise Calvin – anders als dann im 17. Jahrhundert Nicole oder Bossuet – in dieser Frühzeit grundsätzlich zum Für oder Wider von Theateraufführungen geäußert. Das bedeutet

122 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

ausgesprochene Verbot von Mysterienspielen (1548) gewesen sein, dem jedoch weder in der Hauptstadt selbst noch in der Provinz große Beachtung geschenkt wurde.313 Das endgültige Aus für die Aufführungen von grands mystères cycliques brachten vielmehr die guerres de religion ab 1562: Nicht nur, da die Menschen nun keine Ruhe mehr hatten, einem mystère beizuwohnen, sondern auch weil die Stadtbevölkerung oft in zwei einander ablehnende Lager geteilt war, die zur Organisation einer gemeinsamen Sache nicht mehr zusammen zu bringen waren.314 Die latente Unsicherheit, die in den Jahrzehnten der militärischen Auseinandersetzung herrschte, führte bald zu einer vollständigen Verlagerung von Theateraufführungen – wenn sie denn überhaupt stattfanden – in den halböffentlichen oder privaten Raum, also in collèges, académies und salons und damit zur Entwicklung des Schultheaters.315 Da solcherart Aufführungen aber in der Verantwortung des allerdings aber nicht, dass sie diesen gleichgültig gegenüberstanden, im Gegenteil: Als es 1546 darum ging, das Mystères des Actes des Apostres in Genf aufzuführen, setzte sich Calvin intensiv mit den Vor- und Nachteilen einer solchen Darbietung für die ihm anvertrauten Gläubigen auseinander. Cf. dazu die Ausführungen zum Ende dieses Kapitels. 313  Die hier gewählte, sehr vorsichtige Formulierung ergibt sich aus der Tatsache, dass auf dieses Verbot zwar in der Forschungsliteratur mehrfach hingewiesen wird (cf. beispielsweise Lebègue, Tragédie, 59: »En novembre 1548, celui de Paris accorde aux Confrères de la Passion le monopole du théâtre dans Paris et la banlieue, mais il leur défend de jouer les ›mystères sacrées«; Lazard, Théâtre, 28: »L’interdiction fameuse des mystères par le Parlement de Paris en 1548 n’a pas tué le genre«; Heinz Kindermann, Das Theaterpublikum der Renaissance. Salzburg: Müller 1986, 87: »Diese ganze Theaterentwicklung, die beginnend ›avec le prononcé de l’arrêt du Parlement de 1548, prohibent les Mystères‹ (Bapst), ohne engstes Mitgehen des gebildeten Zuschauerkreises nicht möglich gewesen wäre«; Pettegree, Reformation, 79: »In 1548 the Paris authorities ordered a ban on further performances by the previously privileged Confrérie de la Passion«), allerdings ohne Quellenangabe. Da die Bestimmung aber meinerseits weder in der von Antoine Fontanon besorgten Edition: Les Edicts et ordonnances des rois de France, traittans de la Police sacrée et discipline écclesiastique, ensemble de ce qui en dépend. (Paris: Morel 1611) noch im von Antoine Jacques Louis Jourdan und François-André Isambert e. a. zusammengestellten Recueil géneral des anciennes lois françaises, depuis l’an 420 jusqu’à la Revolution de 1789. (21 vols, Paris: Belin-Leprieur 1822–1833) nachgewiesen werden konnte, ist die Information bis auf Weiteres mit einem Fragezeichen zu versehen. Grund für das Verbot, wenn es denn überhaupt erlassen wurde, war wohl die Sorge der Verantwortlichen, das Publikum könne, ›angesteckt‹ von den Protestanten, Interesse daran finden, die in den mystères dargebotenen biblischen Szenen, in der Heiligen Schrift nachlesen wollen und so zur in der ›alten Kirche‹ mit Skepsis betrachteten individuellen Bibellektüre angeregt werden, cf. Marguerite Soulié, »Le théâtre et la Bible au XVIe siècle«, in: Bedouelle / Roussel, Bible, 635– 658, hier 636. 314  Cf. dazu Lebègue, Tragédie, 47s. 315  Cf. Pettegree, Reformation, 93s, Kindermann, Theaterpublikum der Renaissance, 77s, Jonker, Protestantisme, 217.



d) … im religiösen Drama123

Trägers der jeweiligen Institution lagen – auf Seiten der ›alten Kirche‹ waren dies vorrangig die Jesuiten (seit ~1560 in Frankreich), auf Seiten der Eglises réformées die Provinzialsynoden – lassen sich hier nur wenige allgemeingültige Aussagen treffen: Pädagogische Richtschnur aller von Jesuiten geführten collèges war deren ratio studiorum. Sie enthält in Bezug auf das Theaterspiel neben Anmerkungen zur Aufführungpraxis nur den Hinweis: »Tragoediarum et comoediarum, quas nonnisi latinas ac rarisimas esse oportet, argumentum sacrum sit ac pium«.316 Dass damit der Darbietung von Farcen und moralités polémiques weitgehend ein Riegel vorgeschoben war, erscheint ebenso offensichtlich wie die Tatsache, dass diese Regel in der Folgezeit oftmals sehr großzügige Auslegung erfuhr.317 Von den im 16. Jahrhundert gespielten Stücken sind nur wenige erhalten, neben Texten mit biblischem Inhalt (Herode, 1579) wurden wohl auch solche mit hagiographischen und historischen Themen gespielt.318 Beruhte die Theaterpraxis der Jesuiten aber auf einem durchdachten Erziehungskonzept, das wiederum von der Lehre des Ordensgründers durchdrungen war, sind die auf den Provinzial- und Nationalsynoden der Eglise réformée erlassenen Artikel mehrheitlich das Resultat schlechter Erfah­ rungen.319 Was die Bestimmungen von Poitiers (1560), Nîmes (1562) und Figeac (1579) bezüglich der »amusements qui corrompent les bonnes mœurs«320 verbindet, ist nämlich der ›Schutz‹ des Bibeltextes vor Miss316  Regulae provinciales, in: Monumenta Paedagogica Societas Iesu IV (1573– 1580). Penitus retracta multisque textibus aucta edidit Ladislaus Lukács S. I. Rom: Institutum Historicum Societatis Iesu 1981, cap. VI (De litterarum studiis), art. 57. cf. dazu Giovanna Zanlonghi, »Il teatro nella pedagogia gesuitica: una ›scuola di virtù‹ «, in: Manfred Hinz / Roberto Rihl e. a. (ed.), I gesuiti e la Ratio studiorum. Rom: Bulzoni 2004, 159–190, passim, insbesondere 162–165. 317  Cf. Ernest Boysse, Le Théâtre des Jésuites. Genf: Slatkine 1970 (Paris 1880), 91s, Kindermann, Theaterpublikum der Renaissance, 223–226. 318  Cf. Boysse / Théâtre, 17 / 18, Lazard, Théâtre, 89ss, sowie Kai Bremer, »Konversion und Konvertiten auf dem Theater der Frühen Neuzeit«, in: Lotz-Heumann / Mißfelder / Pohlig, Konversion, 431–446, hier 440 (Bremer setzt sich in seinem Artikel vornehmlich mit dem Theater der Jesuiten im deutschsprachigen Raum auseinander, dessen Eigenarten teilweise auf die französische Situation übertragbar sind (ibid., 438). 319  Cf. Soulié, Théâtre, in: Bedouelle / Roussel, Bible, 649 / 650. 320  »Addition au XVIIIe art. (i. e. de la Discipline ecclesiastique) touchant les particuliers« (Aymon, Synodes nationaux / VIIIe Synode, Nîmes (1562)). Die vollständige addition […] lautet: »Il ne sera permis aux fidèles d’assister aux spectacles profanes, comme aux danses de Théâtres, aux Comédies, Tragédies ou farces, soit qu’on les présente en public ou en particulier, parce qu’ils ont été défendus de tous tems par les Églises de Dieu comme des Amusements qui corrompent les bonnes mœurs, particulierement lorsque la Sainte Ecriture y est profanée. Mais si le collège juge convenable pour exercer la jeunesse de representer des histoires qui ne soient par contenuës

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brauch sowie die Sorge über den Verfall der Sitten – genau die Aspekte also, die den von der ›alten Kirche‹ geduldeten, wenn nicht sogar geförderten Darbietungen von mystères und – in eingeschränktem Maße – moralités religieuses, vorgeworfen wurden.321 Wie bei einem Blick in einschlägige Überblickswerke aber deutlich wird, haben die Verantwortlichen der reformatorisch geprägten académies und salons dennoch Mittel und Wege gefunden, an den Büchern der Bibel orientierte Stücke zu verfassen und zur Aufführung zu bringen.322 Da in ihnen aber das Phänomen conversio eine ebenso untergeordnete Rolle spielt wie in den aus dem 16. Jahrhundert erhaltenen Texten der Jesuiten, sei im Folgenden der Fokus einerseits auf das bereits erwähnte Mystère de la Passion von Jean Michel gelegt, andererseits auf einige frühe moralités polémiques de tendance protestante, deren dramatischer Höhepunkt jeweils eine conversio darstellt.323 Das mystère von Jean Michel »fut joué a Angiers moult triumphantement et sumptueusement en l’an mil quatre cens vingts et six, en la fin d’aoust«324, dans la Sainte Ecriture (laquelle ne nous a pas été donnée pour nous servir de passtems mais pour être prêchée & pour notre conversion et consolation) pourvû que cela se fasse rarement, et par l’avis du Colloque, qui en fournira le sujet, ces représentations seront tolérées«. Wie die Existenz vergleichbarer Anordnungen in den Akten der Synoden von Poitiers und besonders Figeac aber nahelegt, scheinen sich die Verantwortlichen in den Gemeinden und colloques ebenso wenig wie die Bevölkerung an die Bestimmungen gehalten zu haben – was wiederum die Beliebtheit von derlei Zerstreuung beweist. Um ihr Anliegen durchzusetzen, mussten die Synoden ihre Mahnungen immer schärfer formulieren. So wurde dem sehr allgemein gefassten Verbot von »toutes danses, mommeries, tours de Gibecières (i. e. un jeu) et comedies« (Aymon, Synodes nationaux / IIe Synode […], Poitiers (1560), Faits généraux, art. II) zunächst in Nîmes die Mahnung, die Bibel nicht zu verwenden, beigefügt, in Figeac, 17 Jahre später also, das biblische Theater gar explizit verboten: »Les livres de la Bible, soit canoniques, soit apocryphes ne seroient point emploiés en comédies & tragédies par aucune representation des Histoires ou des autres choses qu’ils contiennent« ­(Aymon, Synodes nationaux / Xe Synode […], Figeac (1579), Matières générales, art. XII) – wie sich zeigen wird allerdings erneut erfolglos. 321  Cf. Soulié, Théâtre, in: Bedouelle / Roussel, Bible, 637. 322  Cf. beispielsweise Jonker, Protestantisme, 98–127, Lazard, Théâtre, 97ss. 323  Die Idee, im Rahmen einer moralité polémique eine conversio auf die Bühne zu bringen, ist keinesfalls ›typisch protestantisch‹. Tatsächlich existiert eine Fülle von Texten aus der Feder von ›Altgläubigen‹, die in ihrer religiösen Polemik denjenigen der reformatorisch Gesinnten in nichts nachstehen. Da diese sich aber häufig gegen bestimmte Personen richten – etwa gegen Marguerite de Navarre oder den König – spiegeln sie die Belange der ›alten Kirche‹ in weitaus weniger allgemeiner Weise als die ›protestantischen‹ Stücke (cf. Kindermann, Theaterpublikum der Renaissance, 78). 324  Archives d’Angers, BB 13, 29v, auch greifbar in Célestin Port (ed.), Inventaire analytique des archives anciennes de la mairie d’Angers. Paris, Angers: Dumoulin, Cosnier & Lachèse 1861, 350. Das Werk wird deshalb in der Forschungsliteratur auch oft als Passion d’Angers gehandelt.



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weitere Aufführungen sind für die Jahre 1490, 1498 und 1507 belegt.325 Damit ›ragt‹ das Werk zwar in seinen Anfängen chronologisch über den hier gesetzten Zeitrahmen hinaus, aufgrund seiner bereits angesprochenen Wirkungsgeschichte als Druckwerk im 16. Jahrhundert sowie vor allem seiner thematischen Orientierung, ist die Betrachtung gerade dieses Textes im vorliegenden Rahmen durchaus gerechtfertigt, denn: »La conversion: voilà bien le thème essentiel orchéstré par toute La Passion de Jean Michel, et qui fait son originalité«.326 Diese Ausrichtung auf das conversio-Thema wird bereits bei einem ersten Blick auf die mansions des in vier journées unterteilten Werks erkennbar.327 Anders als traditionell üblich,328 lässt Jean Michel die Handlung seines mystères mit dem Auftreten Johannes’ des Täufers am Jordan beginnen329 – einem Aufruf zur conversio also – widmet dann die erste und zweite journée vollständig dem Wirken Jesu in Galiläa, um schließlich, nun wieder eng an die Arbeiten seiner Vorgänger angelehnt, in der dritten und vierten journée Leiden und Tod Jesu zu thematisieren.330 Während die meisten 325  Cf. Graham A. Runnalls, »La circulation des textes des mystères à la fin du Moyen Age: les éditions de la Passion de Jean Michel« (1996), in: idem, Etudes, 413–444, hier 441. 326  Mazouer, Théâtre, 205. Hervorhebung von Mazouer. 327  Cf. Jean Michel, Le Mystère de la Passion (Angers 1486). Édité par Omer Jodogne. Gembloux: Duculot 1959, passim. Der Herausgeber der Ausgabe bietet zudem auf Seite XLIII seiner Introduction eine Zusammenstellung aller vorgesehenenen mansions (= liste des mansions). 328  Unmittelbare Vorläufer der Passion von Michel waren die Eustache Mercadé (auch Marcadé) zugeschriebene Passion d’Arras (vor 1440) sowie das Mystère de la Passion von Arnoul Gréban (um 1452). Zusammen mit dem Werk von Michel »(c)es trois œuvres, abrégées, amalgamées l’une à l’autre ou revisées devaient être les textes de base de la plupart des représentations du XVe et du XVIe siècle«, Lazard, Théâtre, 15, cf. dazu Mazouer, Théâtre, 172–181. 329  Cf. Michel, Passion, vv. 889–1171. Die Verse 1–888 umfassen den Prologue capital. Thema der ersten journée bei Mercadé und Gréban ist hingegen die Kindheit Jesu (Verkündigung–zwölfjähriger Jesus im Tempel), der Mercadé ein procès de paradis, Gréban die Darstellung der Schöpfung voranstellt, cf. Eustache Mercadé, Le mystère de la Passion (texte du ms 697 de la bibliothèque d’Arras). Édité par Jules-Marie Richard. Arras: Alphonse Picard & Fils 1893, vv. 1–6424, die annon­ ciation beginnt bei v. 1057; Arnoul Gréban, Le mystère de la Passion. Publié d’après les manuscrits de Paris avec une introduction et un glossaire par Gaston Paris et Gaston Raynaud. Genf: Slatkine Reprints 1970 (Paris 1878), vv. 3395–9975, créa­ tion, vv. 249–1715 als Teil des Prologue). 330  Die dritte und vierte journée von Michel entspricht über weite Teile wörtlich der tierce journée von Gréban (cf. Gréban, Passion, vv. 9947–27451). Neben geringfügigen Veränderungen des Wortlauts einiger Passagen, fügte Michel seiner Vorlage lediglich einige »amplifications morales« (Acarie, Théâtre sacré, 115) hinzu, die bezeichnenderweise stets einen Aufruf zur conversio beinhalten; cf. beispielsweise

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anderen mystères de la Passion allerdings mit der Auferstehung schließen331, endet die Passion von Michel mit der Darstellung der Reaktionen verschiedener personnages auf den mehr oder weniger erwarteten und tatsächlich eingetretenen Kreuzestod Jesu.332 Durch die veränderte Struktur des mystère, die der Darstellung des öffentlichen Lebens Jesu nun ebenso viel Raum gibt wie der Passion per se, nämlich jeweils rund 15000 Verse, unterstreicht der fatiste, was er auch im Prologue capital zum Ausdruck bringt: Im Mittelpunkt des Interesses stehen für ihn »les fais de Jesus en tant que homme / qui ont esté tres fructueux«.333 Zu diesen »fais fructueux« zählen neben Leiden und Sterben, »actes méritoires« par excellence auch prédication und miracles.334 Dargestellt in journée I und II können sie den Menschen nämlich im gleichen Maße von der Wahrheit der christlichen Botschaft überzeugen wie der Opfertod Christi – und damit Anstoß zur conversio sein. die Gespräche der Räuber am Kreuz (Michel, Passion, vv. 27582–277613; 28842– 28859; 28870–28897) oder die »pénitence de Longis« (ibid, vv. 29028–29060). Einem Hinweis der apokryphen Pilatusakten zu Folge ist Longis (auch Longin(us)) der Name des Soldaten, der Jesus nach seinem Tod mit einer Lanze in die Seite stieß (cf. Joh, 18, 34). In der mitteltalterlichen Tradition wird er immer öfter mit der Person des Hauptmanns gleichgesetzt, der nach dem Tod Christi ein Glaubenszeugnis ablegte: »Als der Hauptmann sah, was geschehen war (i. e. die Sonnenfinsternis im Augenblick des Todes Jesu sowie dessen Worte »Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist«, Lk 23, 46), pries er Gott und sagte: ›Das war wirklich ein gerechter Mensch‹ «, ibid., 23, 47), was ihn schließlich zum Umkehrer werden lässt (cf. Kasper, LThK, Lemmata: Longinus, Pilatus (II) sowie beispielhaft Jacopo da Varazze, Legenda aurea: »De sancto Longino« 307 / 308). Ebenso wie Dismas gehört Longinus zum festen Personal von Passionsspielen, cf. Jean Pierre Bordier, Le Jeu de la Passion. Le message chrétien et le théâtre français (XIIIe-XVIe s.). Préface de Daniel Poirion. Paris: Champion 1998, 257. 331  Cf. beispielsweise Mercadé / Passion, vv. 21586–24945, Gréban, Passion, vv. 29500ss. Die Verse bis zum Ende des mystère handeln vom Erscheinen des Auferstandenen bei verschiedenen Personengruppen. 332  Cf. zum Beispiel die bereits erwähnte »pénitence de Longis« (Michel, Pas­ sion, vv. 29028–29086) oder die Initiative von Nicodesme und Joseph d’Arimatie, den Leichnam Jesu vom Kreuz zu nehmen und zu bestatten (cf. ibid., vv. 29175– 29220; 29304–29356). 333  Michel, Passion, »Prologue capital« vv. 730 / 731. 334  Cf. dazu Bordier, Message, 251 / 252: »La suppression […] de l’Incarnation et de la vie cachée de Jésus découlent d’une même décision, montrer l’œuvre du salut et elle seule. En revanche, la vie publique est toute entière méritoire et toute entìere représentée. La prédication est méritoire en ce qu’elle vise le bien spirituel des auditeurs. Les miracles le sont parce qu’ils procèdent de la compassion de Jésu pour la souffrance des corps et la déréliction des âmes. […] La Résurrection n’est pas méritoire et n’entre pas le processus de la Rédemption, parfaitement accompli à la mort du Christ«.



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Welche Wirkung Jesu Taten zu dessen Lebzeiten erzielten, führt Michel den Zuschauern des mystère anhand der »biographies spirituelles«335 einzelner biblischer Persönlichkeiten vor Augen. Dabei schreckt der fatiste keinesfalls davor zurück, mit Lazarus oder Judas Menschen zu präsentieren, deren Entscheidung für die christliche Lehre (zunächst) unvollkommen blieb oder gar gänzlich misslang.336 Die conversio Lazarus’ wird von Michel in drei Etappen dargestellt: ­ iner ersten Vorstellung von Maria Magdalenas Bruder, »habillé bien riE chement en estat de chevalier son oyseau sur le poing […]«337, folgt dessen erster Schritt zur conversio, ausgelöst durch die Auferweckung des Sohnes der Witwe von Naïn.338 Beeindruckt durch miracle und prédication339 Jesu erkennt Lazare seine Schuld und bereut seinen bisherigen Lebenswandel:

7025

7030

En plaisirs mondains, ligiers et souldains, tost passés et vains ay prins mon desir et ay quis tout mondain plaisir en serfs et en daings Mais Sire, j’en regrecte et plains le fol souvenir J’ay mon temps perdu

7035

au monde entendu, tous mes sens tendu a folle plaisance. Dont mon cueur, plein de deplaisance, c’est a toy rendu. Reçoy moy, et, au residu, feray penitence.340

Schlüsselwort dieser Passage – und gewissermaßen des gesamten mystère – ist monde bzw. mondain. Mondanité ist also die Sünde, die von der Mehrzahl der von Michel vorgestellten Persönlichkeiten begangen wurde und von der sie sich durch conversio befreien wollen, aber nicht immer könMessage, 253. der Passion du Palatinus (um 1300, benannt nach dem Manuskript Palatinus Latinus, in dem es enthalten ist) entwickelte sich die Tradition, in den mystères Sünder und bekehrte Sünder antithetisch gegenüberzustellen. Neben den beiden Räubern aus Lk 23, 39–43 waren dies Maria Magdalena & Judas; Malchus & Longis / n sowie Petrus & Judas. Eines oder mehrere dieser Paare findet sich in der Mehrzahl der Werke des 14.–16. Jahrhunderts (cf. Bordier, Message, 257). Michel thematisiert alle vier: Zu Longinus und dem guten bzw. schlechten Räuber cf. supra, 126, zu Judas und Maria Magdalena cf. infra, 130 ss. Die conversio Petri nach dessen Verleugnung Jesu ebenso wie die ira Malchus sind Themen der dritten journée (cf. Michel, Passion, vv. 20227–20288; 22123–22239). 337  Michel, Passion, Didaskalie, vor v. 5797. 338  Cf. Lk 7, 11–17, cf. Michel, Passion, vv. 6810–6998. 339  Cf. Michel, Passion, vv. 6999–7003: »Vecy les plus grandes merveilles / dont jamais j’eu la connaissance / O benoites soyent les oreilles / qui ont ouy telle eloquence«. 340  Michel, Passion, vv. 7023–7039. 335  Bordier, 336  Seit

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nen.341 Johanneischer Tradition folgend und damit ganz den Gepflogenheiten der Zeit entsprechend, wird der Begriff »monde« hier zur Bezeichnung einer Sphäre verwendet, in der die göttlichen Gesetze keine Beachtung finden, als »mondain« gleichsam ein Verhalten gebrandmarkt, das einer »Jesus Christus konformen Lebensführung entgegengesetzt ist«342: das Festhalten an alten Gewohnheiten, an Geld, Familie, Ansehen … 341  Die Sünde der mondanité begingen neben Maria Magdalena, Lazarus und Judas (cf. jeweils infra, 129, 130, 132) zum Beispiel auch Jesabel, »eine Frau, die beim Ehebruch ertappt worden war« (Joh 8, 3–11, hier 3; cf. dazu Jesabels Sündenbekenntnis, Michel, Passion, vv. 11611–11635); sowie Thabite, die einzige Tochter des »maistre archisinagogue Jaïrus« (cf. Michel, Passion, v. 5925, Lk 8, 40–42, 49–56). »Couchée sur ung beau lit« (Michel, Passion, v. 5960) vergeht sie, angesichts der Aussicht, bald die Welt verlassen zu müssen, vor Selbstmitleid (cf. ibid. vv. 5961– 5992; 6053–6076). Darüber hinaus konstruiert Jean Michel auch die »evocacion des apostres« (ibid. vv. 3896–4264) als Folge von Individualberufungen, in dem er die Jünger alle mit einer biblischen oder legendären Biographie ausstattet und sie so beim Ruf Jesu gezwungen sind, sich von ihrem alten Leben zu lösen, umzukehren: »La structure de ›l’evocacion des apostres‹ est donc celle de toutes les conversions individuelles: la scène du ralliement, tirée de l’Evangile ou imaginée à partir de ses indications, est précédée du tableau de la vie mondaine« (Acarie, Théâtre sacré, 294). Dabei geben beispielsweise Simon (Petrus), Andreas, Johannes, Jakobus der Ältere und Philippus ihr Leben als Fischer auf: »je laisse rethz, engins et barque / […] / biens mondains, parens et amys (ibid. v. 3925); Thomas seine lukrative Arbeit als Zimmermann (cf. ibid. vv. 4190–4207); Bartolomäus, »habillé en filz de roy (ibid., Didaskalie vor 4140) sein interessantes Leben unter »gens lectrés et docteurs« (ibid. v. 4148). Matthäus und Johannes, die ebenso wie Judas vor ihrer Zeit als Jünger in besonderem Maße dem monde verfallen waren – der eine als Wucherer, der andere als Ehemann – bedurften beide größerer Anstrengungen um sich vom Alten loszusagen: Johannes wird durch das Weinwunder auf der Hochzeit von Kanaan überzeugt (cf. ibid. vv. 4086–4097; 5319–5357, Joh 2, 1–12), Matthäus zum Ende des von ihm selbst ausgerichteten Festmahls (cf. »le convy de Matthieu«, ibid. vv. 4266–4377; vv. 4912–4922). Die Vorstellung, dass sich die Apostel im Moment ihrer Berufung von einer mehr oder weniger sündhaften vie mondaine lossagen mussten, findet sich interessanterweise auch im bereits erwähnten cap. XIV des Speculum humanae salvationis. Der Verfasser fügt den ausführlich dargestellten exempla eine Liste weiterer poenitentes an, denen Gott aufgrund seiner »magna pietas« verzieh, in der neben den bereits ›bekannten‹ Büßern David, Manasse, Petrus, Paulus, Dismas, Zachäus, Maria Magdalena und Aegyptiaca auch die Apostel Thomas und Matthäus, sowie Longinus, die Ehebrecherin und die Samaritanerin (Anonym, Speculum, XIV, vv. 91–96) figurieren, Personen also, die auch im vorliegenden mystère als Umkehrer gekennzeichnet werden. 342  Klaus Wengst, Der erste, zweite und dritte Brief des Johannes. Ökumenischer Taschenbuchkommentar zum Neuen Testament. Gütersloh: Mohn, Würzburg: Echter 1978, 94. Der Autor bezieht sich hier auf eine Passage aus dem ersten Johannesbrief (2, 15–17), die paradigmatisch zur Erläuterung des johanneischen Verständnis’ von »monde« herangezogen werden kann. Sich an seine Christengemeinde wendend, mahnt der Verfasser des Briefes: »Liebt nicht die Welt und was in der Welt ist! Wer die Welt liebt, hat die Liebe zum Vater nicht. Denn alles was in der Welt ist, die Begierde des Fleisches, die Begierde der Augen und das Prahlen mit dem Besitz, ist



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Eben solcher Vergehen bezichtigt sich auch Lazarus. Wie allerdings im weiteren Verlauf des mystère deutlich wird, gelingt es ihm keineswegs, sich vollständig von seinem bisherigen Lebenstil abzuwenden: Er trägt weiterhin vornehme Kleider und beklagt zusammen mit Marthe das wenig standesgemäße Verhalten seiner Schwester Marie Madeleine.343 Auch scheint er auf dem Sterbelager, einem »beau lit paré«344 zunächst den Heilmitteln von Marthe mehr Vertrauen entgegenzubringen als dem noch abwesenden Freund Jesus.345 Dass Lazarus seine conversio aber schließlich vollendet, wird in dessen langem Monolog kurz vor seinem Ableben deutlich, »lutte ultime entre l’homme terrestre et l’homme spirituel«346: Nun bittet er nicht mehr um ein Wunder zur Wiederherstellung seiner Gesundheit, sondern um Trost und Kraft, um dem Tod entgegen zu gehen: »[…] Jesus debonnaire / espoir salutaire / ad ce dur affaire / donne moy confort«.347 Zum äußeren Zeichen der erfolgreichen conversio Lazarus’ werden dessen Kleidungsstücke nach seiner Auferweckung »tous nouveaux, bien simples et honnestes«.348 nicht vom Vater, sondern von der Welt. Die Welt und ihre Begierde vergeht, wer aber den Willen Gottes tut, bleibt in Ewigkeit«. Die Gegenüberstellung von ›Reich Gottes‹ und ›Reich der Welt‹ ist sowohl für das Johannesevangelium als auch für den ersten, zweiten und dritten Johannesbrief prägend und wurde in der antiken wie mittelalter­ lichen Theologie mannigfach kommentiert (cf. LThk, Lemma: Johanneisches Schrifttum, I / II). Eine Veränderung des Verständnisses trat im 17. Jahrhundert ein, als der Begriff monde auf der Grundlage neuer Entdeckungen und gesellschaftlicher Entwicklungen (civilité, urbanité) semantische Erweiterung erfuhr (cf. Bernard Beugnot, »Les lieux du monde«, in: Littératures classiques (La notion de ›monde‹ au XVIIe siècle) 22 (1994), 7–23, hier 8, insbesondere n. 3), der monde condamné im biblischen Sinne gleichwohl Gültigkeit behielt (ibid., 8: »l’image du monde, sur laquelle continue de peser explicitement ou sourdement la condamnation johannique«). Zum Umgang mit der notion in den Konversionsschriften im 17. Jahrhundert, cf. infra, Kapitel 4.c). Dass der Rekurs auf den Weltbegriff zur Kennzeichnung ›unchristlichen‹ Verhaltens bei Michel keine Ausnahme ist, beweist zum Beispiel die Wendung »adolescente totaliter mundano« derer sich der Dominikanerpater Pepin in seiner Predigt bedient, um seinen Zuhörern den filium prodigum vorzustellen. (Pepin, Sermones quadragesimales / sermo ad sabato post sec. dom. quadr, fol. XCIr). Als biblischer Begriff wurde »monde / Welt« von den Anhängern der Reformation in vergleichbarer Bedeutung verwendet, cf. dazu Chevalier, Prêcher, 142: »Le mondain, terme qui dans la bouche des pasteurs désigne le pécheur impénitent, ne regarde qu’aux plaisirs présents. Le fidèle doit, au contraire, n’avoir pour souci que les biens du ciel«. 343  Cf. beispielsweise Michel, Passion, vv. 10141–10149. 344  Michel, Passion, v. 13190. 345  Cf. Michel, Passion, vv. 13220ss. 346  Acarie, Théâtre sacré, 282. 347  Michel, Passion, vv. 13393–13396. Zur »biographie spirituelle« Lazarus’ cf. des Weiteren ausführlich Acarie, Théâtre sacré, 241–251; 282–285. 348  Michel, Passion, Didaskalie vor v. 13377. Der fatiste hatte sich der Symbolkraft des neuen Gewands als Hinweis auf eine innere Wandlung bereits im Zusammenhang mit der »evocacion des apostres« bedient. Diese brechen nämlich zunächst

130 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

In vergleichbar ausführlicher Weise präsentiert Michel auch die »biographie spirituelle« von Judas. Der fatiste beschränkt sich nämlich keinesfalls auf die Darstellung des durch die Passionsberichte allseits bekannten Verrats an Jesus349 und der anschließenden Verzweiflung Judas’, die diesen dazu veranlasste, sich selbst das Leben zu nehmen.350 Ganz den gängigen Traditionen folgend stellt er Judas als ›neuen Ödipus‹ vor,351 der sich nach Bruder- und Vatermord sowie inzestuöser Ehe mit der eigenen Mutter – die von Pilatus arrangiert worden war, dem er als intendant diente352 – an Jesus wendet, um ihn für seine eben erst entdeckten Fehler um Verzeihung zu bitten: Las, je suis le pire du monde, je le confesse et mon accuse! Mais, vray Dieu; s’il te plest, excuse les pechéz dont j’ay commis tant car tu sces que en suis ignorant.353 alle »en leurs habis méchaniques« (ibid., Didaskalie vor v. 4268) auf, um Jesus nachzufolgen, bevor sie, zu Beginn der zweiten journée »en habis de apostre« (ibid., Didaskalie vor v. 7921) auftreten und auf diese Weise das tatsächliche Zurücklassen des monde und die Gefolgschaft Jesu bekräftigen. 349  Wie bereits angedeutet war die Passion Jesu – und damit auch dessen Verrat durch Judas im Garten Getsemani – den Gläubigen durch die Perikopen der Karwoche sowie die Texte der Kreuzwegandachten vertraut. Während aber die Auslieferung selbstverständlicher Teil der Leidensgeschichte war (cf. Mt 26, 48–50; Mk 14, 44 / 45; Lk 22, 47 / 48 (Verrat durch Kuss); Joh 18, 2 informiert nur Matthäus (Mt  27,5) über das weitere Schicksal Judas’. 350  Zur Verzweiflung Judas’ nach dessen Verrat an Jesus cf. supra, Kapitel 1.a). Bordier bezeichnet die Situation Judas’ treffend als »désespoir spirituel«, Bordier, Message, 325. Bei Michel geht dem Tod Judas’ entsprechend ein Gespräch zwischen diesem und (Dame) Desesperance voraus (cf. Michel, Passion, vv. 23832–23948). 351  Die Legenden, in denen Judas als ›neuer‹ Ödipus vorgestellt und damit von vorneherein als Sünder gekennzeichnet wurde, waren im Mittelalter weit verbreitet und standen denjenigen über Maria Magdalena hinsichtlich ihrer Popularität bei den Gläubigen in nichts nach. Eine Anerkennung oder nur Beachtung seitens der kirchlichen Autoritäten blieb ihnen allerdings verwehrt (cf. Acarie, Théâtre sacré, 251– 262). Selbst Jacopo da Varazze bezweifelt die Wahrheit der Berichte über das Leben Judas’ vor dessen Berufung zum Apostel: »Legitur enim in quadam hystoria licet apocrypha« (Jacopo da Varazze, Legenda aurea, »De sancto Mathia«, 277–284, hier 277, 14) ein Vorbehalt, der sich in der Legenda aurea nur sehr selten findet und einmal mehr die Unsicherheit der Überlieferung beweist. Trotz seiner Zweifel integriert Jacopo da Varazze den Bericht über das Vorleben Judas’, also den Traum der Mutter Cyborea, die Aussetzung und Aufnahme in Scarioth, den Bruder- und Vatermord sowie die von Pilatus arrangierte Ehe zwischen Judas und seiner Mutter (cf. ibid., 277–280, 14–52) in die Legende von Matthias, der den Platz Judas’ im Jüngerkreis einnehmen sollte (cf. ibid., 281, 64–70). 352  Cf. Michel, Passion, Judas, v. 2695. Pilatus engagiert Judas, da er ihm »de bon affaire« erscheint. 353  Michel, Passion, vv. 4614–4618.



d) … im religiösen Drama131

Anders als noch bei Gréban354 fungiert der Hinweis auf den Status der Unkenntnis, in dem Vatermord und Inzest begangen worden waren, aber keinesfalls als Entschuldigung, im Gegenteil: Indem Judas diese Taten vielmehr als von ihm zu bereuende Sünden anerkennt und Jesus um Verzeihung bittet, vollzieht er eine conversio, deren Wahrhaftigkeit außer Zweifel steht355, ja sogar durch die Aufnahme des Sünders in den engsten Jüngerkreis bekräftigt wird.356 Und nicht nur das: Jesus ernennt Judas auch zum Schatzmeister der Gruppe und bietet ihm, dessen mondanité sich im Wesentlichen als Geiz und Habgier manifestierte, die Möglichkeit, sich gerade in dieser Hinsicht zu bewähren.357 Hatte der fatiste im Zusammenhang mit der conversio Lazarus’ dessen Gewand »tout nouveau, bien simple et honneste«358 zum äußeren, und damit für die Zuschauer deutlich sichtbaren Zeichen der inneren Wandlung gemacht, wird nun das Geld – ob geraubt, geerbt oder verdient – zur Konstante der »biographie spirituelle« Judas’ und damit zum Symbol von dessen Nicht-conversio. Wie der weitere Verlauf der Handlung nämlich zeigt, gelingt es Judas keineswegs, sich gänzlich von seinem alten Leben zu lösen: So veruntreut er beispielsweise das Geld aus der Gemeinschaftskasse359 und beklagt öffentlich seinen Fehler, sich anstelle des reichen Pilatus einem armen und wenig repräsentativen Herrn angeschlossen zu ­ haben.360 Den Scheitelpunkt seiner »biographie spirituelle« bildet schließlich die Sequenz am Ende der zweiten journée: Als »dame Madeleine«361 im Haus 354  Cf. Gréban, Passion, vv. 11055–11062: »Nouveau dueil, nouveau vitupere, / nouvelle rage composee! / puis cella j’ay tué mon pere / et ma propre mere espousee; / mes ma coulpe en est excusée / quant au demourant, / car vray ignorant, / ay fait ce trespas«, cf. dazu Acarie, Théâtre sacré, 261. 355  »Combien que je fusse ignorant / Que je fusse son propre enfant / Toutesfoys, cela pas n’excuse / La coulpe de quoy je m’accuse / Comme de tous pecheurs le pire et pour toute verité dire / a tout mal suis condescendu / Mais, pour ce que j’ay entendu / que des povres pecheurs avés / mercy et que les recepvés / je viens demander votre grace« (Michel, Passion vv. 4947–4957). Judas hatte zudem selbst entschieden (cf. ibid., vv. 4654ss), Jesus aufzusuchen, war also ernsthaft an einer Änderung seines Lebenswandels interessiert. 356  Cf. Michel, Passion, vv. 4956ss. 357  Cf. Michel, Passion, v. 4963. 358  Cf. Michel, Passion, v. 13190. Numerusanpassung von mir. Im Original im Plural. 359  Cf. Michel, Passion, v. 14996, dazu Joh 12, 6. »er hatte […] die Kasse und veruntreute die Einkünfte«. 360  Cf. beispielsweise Michel, Passion, vv. 16125–16182. 361  Michel, Passion, v. 14996.

132 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

Simons des Aussätzigen Jesus mit kostbarem Öl das Haar salbt362, ärgert sich Judas über diese Verschwendung:

15005

15010

A quoy sert la perdicion de ceste liqueur precïeuse? De quoy sert ministration Quant la chose est infructueuse? C’est trop folle presumption a ceste femme vicïeuse et me deplaist oblacion qui m’est perte dommageuse. degateresse de biens, pleine de prodigalité

15015

15020

Et qui trop peu de compte tiens des biens de temporalité, eusse par beaucop mieux esté d’avoir ceste ognement vendu et l’argent au(x) povres jecté que l’avoir ainsi respandu? J’estime qu’on l’eust bien vendu la somme de troys cens deniers, desquelz, pour le mains, j’en eusse eu trente pour ma part des premiers.363

Aus Judas Worten spricht hier nicht nur völliges Unverständnis für die liebevolle Geste Maria Magdalenas, die in seinen Augen, trotzdem ihr die Sünden vergeben worden waren, noch immer eine »femme vicïeuse« ist, sondern auch seine alte Habgier. Wenn er hier den Vorwurf formuliert, die Frau achte nicht ausreichend die »biens de temporalité«, und feststellt, dass er mit dem Verkauf des Öls »trente deniers« für sich selbst hätte verdienen können, zeigt er deutlich, dass ihm – obwohl er bereits eine Weile als Jünger Jesu gelebt hat – sein eigenes, privates Glück wichtiger ist als die Gemeinschaft mit Christus und die von diesem verkündete Botschaft, er seine mondanité also nicht überwunden hat. Von Jesus für seine Worte zurechtgewiesen,364 beschließt Judas sich zu rächen und den Herrn – gegen Bezahlung von trente deniers – zu verraten365, was er dann ja auch in die Tat umsetzt. 362  Michel vermischt hier die Tradition von Matthäus und Markus, die von einer nicht näher bestimmten Frau sprechen, die im Hause Simons des Aussätzigen »mit einem Alabastergefäss voll kostbarem riechenden Öl zu ihm (i. e. Jesus) trat und (es) über sein Haar goß« (Mt 26, 6–13, hier 7; ähnlich Mk 14, 3–10, hier 3) mit dem Bericht von Johannes, der die Salbung ins Haus des eben auferstandenen Lazarus verlegt und von Maria Magdalena vornehmen lässt (cf. Joh, 12, 3–5). Michel gab wohl der johanneischen Variante den Vorzug, da sie ihm nicht nur die Möglichkeit bot, Judas und Maria Magdalena direkt zu konfrontieren sondern vor allem, um auch die conversio Maria Magdalenas als Prozess darzustellen. 363  Michel, Passion, vv. 15003–15021. Zum »murmure de Judas« cf. ausführlich Bordier, Message, 285ss sowie 318s. 364  Cf. Michel, Passion, vv. 15053–15074. 365  Cf. Michel, Passion, vv. 15037–15038, 15077–15079: »si quelque ung ne me recompence / je me vengeray de l’injure / […] / mais par le ciel, je traicteray / Une trahison si apperte / Que je recouvreray la perte«. Matthäus und Markus berichten von diesem Unwillen bei einigen Jüngern (Mt 27, 8; Mk 14, 4) bzw. nur bei Judas (Joh 12, 4 / 5), hervorgerufen durch die ›Verschwendung‹ des Öls und von dem daraus resultierenden Beschluss Judas’, Jesus gegen Bezahlung von »dreißig Silberstücken« an die Hohenpriester auszuliefern (Mt 27 14–16; Mk 14, 10 / 11; Joh 13, 2). Zu den



d) … im religiösen Drama133

Die conversio Lazarus’ gelingt nicht ›auf Anhieb‹, diejenige von Judas, verheißungsvoll begonnen, scheitert gar. Nichtsdestrotrotz bieten auch diese problematischen conversiones dem Zuschauer respektive Leser des mystère Möglichkeiten, aus ihnen zu lernen. Sie zeigen nämlich einerseits, dass grundsätzlich alle Sünden, mögen sie auch noch so zahlreich und / oder schwerwiegend sein, verziehen werden können, wenn man sie vor Gott trägt – eine Botschaft, die auch in den Predigten sowie durch die fons pietatisAbbildung vermittelt wurde. Andererseits wird deutlich, dass es nicht ausreicht, einmal zu bekennen und zu bereuen, sondern dass es nötig ist, diesen Schritt vorzubereiten und anschließend konsequent weiterzudenken, das Gelingen einer conversio also nicht nur göttliches Gnadengeschenk ist, sondern auch Einsatz seitens des Gläubigen verlangt.366 Gerade dieser letztgenannte Aspekt wird von Michel besonders hervorgehoben, nicht zuletzt anhand des ausgefeiltesten exemplum seines Werkes: der conversio von Maria Magdalena. Dass ihrer »biographie spirituelle« von Michel außerordentliche Beachtung geschenkt wird, ist zunächst keinesfalls ungewöhnlich. Wie bereits dargelegt, bestand spätestens seit dem zehnten Jahrhundert bei Geistlichkeit und Bevölkerung ein intensives Interesse an der Maria Magdalenenfigur, die als Büßerin und Eremitin zum nachahmenswerten Vorbild wurde. Als Jüngerin Jesu und Auferstehungszeugin gehörte sie zudem zum selbstverständlichen Personal von Mysterienspielen. Während sich aber ein Großteil der übrigen Figuren in ihrer szenischen Repräsentation von Werk zu Werk kaum unterscheidet, lässt sich in Bezug auf Maria Magdalena konstatieren: »aucune Marie Madeleine […] n’est semblable à l’autre«.367 dreißig Silberlingen als eine der sieben arma Christi cf. supra, Kapitel 1.c) (Fons pietatis-Darstellung von Dissay). 366  Auf die Notwendigkeit dieses Mittuns des Gläubigen verweist Michel bereits im Prologue capital sowie, ausführlicher, in der bereits erwähnten Eröffnungspredigt von Johannes dem Täufer; »[…] que vous preparerez le lieu / de voz ames a votre Dieu / et qu’en grace serez receuz. […] O […] peuple de Dieu / donne, donne à ton salut lieu, / corrige ta mortelle offence, / examine ta conscience! […] Pour ce, chacun devant sa face / Prepare la sente et la voye / de son cueur, affin qu’il le voye / et humblement se convertisse / a verité et a justice / pour recevoir grace par luy« Michel, Passion, vv. 939–941, 1078–1082, 1043–1048. Auf diese Weise werden von vorne­ herein die Weichen für ein Verständnis von conversio als Erkennntnisprozess gestellt, der notwendig ist, damit die göttliche Gnadengabe conversio wirksam werden kann (cf. Acarie, Théâtre sacré, 135). Diese Idee ist keinesfalls neu, sondern schwingt in der grundsätzlichen Aufforderung zur aktiven Reue, wie sie beispielsweise durch die ikonographischen Zeugnisse vermittelt wurde, eindeutig mit. Auch im Rahmen des calvinschen Konzepts einer conversion-pénitence ist das göttliche Gnadengeschenk nicht voraussetzungslos, sondern verlangt eine Auseinandersetzung des Menschen mit seiner eigenen Sündhaftigkeit. Diese Verinnerlichung, auf die ja auch die Verfechter der devotio moderna drängten, war also im späten 15. und 16. Jahrhundert weit verbreitet. 367  Pinto-Matthieu, Marie Madeleine, 201.

134 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

Den Gründen für diese Differenzen muss hier nicht nachgespürt werden.368 Festzuhalten ist, dass Michel aufgrund der beschriebenen Sachlage alle Freiheiten hatte, ›seine‹ Maria Magdalena in einer Weise zu gestalten, die nicht nur den Vorstellungen seines Angeviner Publikums entsprach369, sondern auch seinem Konzept von conversio als persönlichem Weg zu Gott, den es zu finden gilt und der, um zu gelingen, immer wieder bestätigt werden muss, das heißt genährt von einer spirituellen Auseinandersetzung mit den »fais fructueux« Christi. Die conversio Maria Magdalenas ist zentrales Thema der zweiten journée: gut 1500 der 7404 Verse werden von ihr gesprochen, verteilt auf acht Sequenzen, die sich wiederum zu drei Gruppen zusammenfassen lassen, nämlich »mondanité de la Madeleine« (vier Sequenzen, ~ 500 Verse), »conversion et confession de la Madeleine« (zwei Sequenzen, ~ 800 Verse) sowie »deuxième conversion et adhérance à la vie contemplative« (zwei Sequenzen, ~ 200 Verse).370 Bemerkenswert ist hier zweierlei: die detailreiche Darstellung der mondanité, also des sündhaften Lebens vor der conversio sowie die Tatsache, dass der fatiste die conversio Maria Magdalenas gleichfalls als eine zweistufige präsentiert. So fungiert die onction im Hause Simons (Lk 7, 36–50), traditioneller Teil aller Mysterienspiele des 13. bis 16. Jahrhunderts,371 oft auch als Auslöser für den »murmure de Judas« oder aber die zweite Salbung wird von einer Unbekannten durchdazu ausführlich Pinto-Matthieu, Marie Madeleine, 201ss sowie passim. Einwohner von Angers hatten unter der erst sechs Jahre vor der ersten Aufführung des Werkes endenden Herrschaft des bon roi René nicht nur von dessen Theaterleidenschaft profitiert, sondern auch dessen besondere Verehrung von Maria Magdalena mitgetragen, deren Kult von ihm im Anjou etabliert worden war. Die besondere Berücksichtigung der Maria Magdalenenfigur war also beim einheimischen Publikum durchaus willkommen, wenn nicht gar gefordert. 370  Cf. Michel, Passion, vv. 7921–15321, passim. Eine Zusammenstellung aller Sequenzen der zweiten journée bietet zudem Acarie, Théâtre sacré, 152. Zu den aufgeführten Passagen, in denen der Maria Magdalenenfigur Sprechpartien zugeordnet sind, treten die ›stummen‹, in denen sie aber dennoch anwesend ist (cf. zum Beispiel ibid., vv. 10533–10798, »sermon de Jésus«, der die Reue Maria Magdale­ nas über ihren bisherigen Lebenswandel auslöst). Die Figur ist damit im Laufe der zweiten journée fast ununterbrochen präsent, was ihr beim Publikum den Status einer ständigen Begleiterin Jesu vermittelt, die dementsprechend von großer Bedeutung ist: Das Identifikationspotential der Figur und damit auch die Nachhaltigkeit des von ihr ausgehenden Appells zur conversio wird auf diese Weise fraglos gesteigert. 371  Cf. Mazouer, Théâtre, 186 sowie vor allem Pinto-Matthieu, Marie Madeleine, 206–209, insbesondere 209: »Pas un mystère médiéval n’ignore cette scène de l’onction«. Diese Aussage bezieht sich selbstverständlich nur auf Texte, in denen das Erdenleben Jesu über dessen Passion hinaus thematisiert wird. Zur Salbungsszene aus Lk 7, 36–50, cf. supra, Kapitel 1.a). 368  Cf.

369  Die



d) … im religiösen Drama135

geführt.372 Dass Michel hier eine zweite onction durch Maria Magdalena einfügt, macht einmal mehr deutlich, wie sehr dem fatiste daran gelegen ist, conversio als Prozess darzustellen: Wird Maria Magdalena durch die erste conversio, symbolisiert durch die kostbaren Öle, die sie sich nun nicht mehr selbst zugute kommen lässt, sondern »qui […] soyent jectés sur le filz de Dieu / pour commuer en penitence«373 ›nur‹ zur pécheresse pénitente, wird sie durch die zweite, wiederum verkörpert durch »l’ognement somptueux / le plus cher, le plus précieux«374 vollends zur Jüngerin Christi: »Je sens mon cueur tant incité, / Tant embrasé de charité / Et de l’amour du vray saulveur«.375 Wie dargestellt ist Maria Magdalena im Laufe der zweiten journée zwar fast fortwährend auf der Bühne präsent, dennoch spielt sie nicht in allen Sequenzen eine Rolle.376 Den Absenzzeiten der Figur – in denen die Handlung des mystère aber voranschreitet – misst Michel ebenso viel Bedeutung zu wie den Momenten der conversio per se. Die Phasen zwischen den conversio-Sequenzen stehen nämlich symbolisch für die Zeit, die der Konvertit benötigt – und mit ihm auch der Zuschauer oder Leser – um in Auseinandersetzung mit den »fais fructueux« Christi zu reifen und den Entschluss zur endgültigen Ablösung von allen biens mondains realisieren zu können.377 Konnte Michel in Hinblick auf die conversio Maria Magdalenas also teilweise auf biblische und literarische Vorbilder zurückgreifen, betrat er mit der Ausgestaltung der mondanité weitestgehend Neuland378, zumal die entsprechenden Sequenzen der für die mystères bis dato gängigen Dramaturgie 372  Cf. dazu Pinto-Matthieu, Marie Madeleine, 208. Bei Mercadé beispielsweise findet eine onction durch Maria Magdalena im Haus von Simon dem Aussätzigen statt, die dann den Unwillen Judas‘ auslöst; cf. Mercadé / Passion, vv. 10069–10240. 373  Michel, Passion, vv. 11869–11871. 374  Michel, Passion, vv. 14873 / 14874. 375  Michel, Passion, vv. 14849–14851. Das Parfum wird hier zum Ausdruck der »devotion«, die Maria Magdalena ihrem »saulveur« vermitteln möchte und die von ihm, nicht aber von Judas verstanden wird, cf. ibid., vv. 15063–15068: »Doncques, ne vous soit a rebours / si sa devotion la meult / a me servir quant elle peult. / Ce qu’elle (m’) a fait, c’est oingture / signifiant ma sepulture / qu’elle a prevenu maintenant«. 376  Abwesend ist sie beispielsweise in den Verklärungssequenzen (Michel, Passion, vv. 9222–9279; 9386–9647). für weitere cf. erneut die Übersicht in Acarie, Théâtre sacré, 152. 377  Cf. dazu Acarie, Théâtre sacré, 181 / 182, Bordier, Message, 285ss. Die »biens mondains« sind hier Metapher für alles einem Leben in der Nachfolge Christi Entgegenstehende. 378  Cf. Pinto-Matthieu, Marie Madeleine, 265. Diese Aussage bezieht sich allerdings nur auf den französischen Raum, in deutschsprachigen Mysterienspielen zum

136 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

des »faire voir« zuwiderlaufen.379 Üblicherweise werden die einzelnen Personen vor Beginn ihres dramatischen Handelns nur insoweit vorgestellt, als es für deren Erkennen durch die Zuschauer notwendig ist,380 Maria Magdalena hingegen wird mit ihren Neigungen und Gefühlen von Michel in vier langen Monologen präsentiert, obwohl das Publikum die Figur sicher schon anhand ihrer vornehmen, edlen Kleidung, spätestens aber bei ihren ersten Versen identifizieren konnte. Aufgrund dieser Ausgangslage erscheint es lohnend, einzelne Passagen des Portraits der mondaine im Detail zu betrachten: 8470

Ou Fortune donne richesse Et Nature belle jeunesse Avecques courage de sorte, Plaisir mondain veult que on s’asorte En toute joyeuse lïesse […]

8480

Si on me nomme pecheresse s’on dit de moy mainte traverse, peu me chault de ce qu’on rapporte. Je me tiens de mon honneur forte, si Malheur mon faicte ne renverse.381

Beispiel war die – wenn auch wesentlich knappere – Darstellung der Vorgeschichte Maria Magdalenas zu Zeiten Michels bereits gang und gäbe (cf. ibid., 273ss.). 379  Cf. Mazouer, Théâtre, 165. Grundlage dieser Dramaturgie war das Verständnis eines mystère als »catéchisme dramatisé« (ibid., 148), in dessen Mittelpunkt das »was« und »wie«, aber nicht das »warum« steht: »Les raisons profondes des événements n’intéressent guère le fatiste, seule compte la manière dont ils se sont pro­ duits, historiquement, littéralement […]. L’enseignement s’impose à lui dans les images, (non pas) à travers les explications d’un discours autonome« (Acarie, Théâtre sacré, 119). Die neue Ausrichung von Michel wird bereits im Prologue capital zu seiner Passion offensichtlich. Hatte sein Vorgänger noch auf die vornehmlich visuelle Darstellung, aber auch Aufnahme der Ereignisse hingewiesen, cf. beispielsweise »Monstrer voulons par personnages / aucuns des principaux ouvrages« (Gréban, Passion, vv. 111 / 112); »Ouvrez vos yeulz et regardez« (ibid., v. 223); »si verrez en briefve sentence / le fait de la creation« (ibid., vv. 228 / 229), und bereits im Prologue eine Vorschau auf die im Folgenden präsentierten Ereignisse gegeben, stellt Michel gleich zu Beginn heraus, dass die »materielz yeulx« (Michel, Passion, v. 34) die dargestellten Geheimnisse nicht werden fassen können, sondern ein Verfolgen der Ereignisse »en haulte pensée devote« (ibid., v. 58) notwendig ist, um aus der »humble protestacion« (ibid., v. 88) eine Lehre für das eigene Leben ziehen zu können: »Soit doncques tout cueur debonnaire / diligent a considerer / ce que voulons rememorer / de la passion Jesus Crist / affin d’en rapporter le fruit / tres utile […]« (ibid., vv. 108–112). Damit deutet Michel bereits im Prologue capital an, was bei einer Durchsicht besonders der ersten beiden journées seines mystère offensichtlich wird: »un primat de la parole sur l’image« (Mazouer, Théâtre, 205), manifest in den zahlreichen sermons von Johannes dem Täufer und Jesus ebenso wie in den Monologen Maria Magdalenas, während derer es wenig zu sehen, aber viel zu hören und zu verarbeiten gibt. Eben diese Ausrichtung auf das Wort mag dann auch für den besonderen Erfolg der Passion d’Angers als Druckwerk ausschlaggebend gewesen sein. 380  Cf. Mazouer, Théâtre, 166 / 167. 381  Michel, Passion, vv. 8469–8483.



d) … im religiösen Drama137

Geld, Schönheit und eine gewisse Sorglosigkeit: das sind die Kennzeichen des jungen Mädchens, das hier vor den Augen der Zuschauer des mystère tanzt und singt382 und dabei sicherlich die Erinnerung an manche Bürgersdame oder Aristokratin wachruft, die mit all ihren Reizen kokettierend auf dem letzten Ball erschienen war oder bei ihrem Gang durch die Straßen der Stadt den Männern den Kopf verdreht hatte. Auch wenn Maria Magdalena hier als Vertreterin eines Standes auftritt, der für einen Großteil des Publikums nur schwer erreichbar scheint, thematisiert sie Wünsche, die für (fast) jedermann nachvollziehbar sind.383 Auch ihr ›Schäkern‹ mit dem Liebhaber384 und das sich Herausputzen durch schöne Kleider, Schmuck und Parfum,385 um auf diese Weise Aufmerksamkeit zu erregen, sind Verhaltensweisen, die jede Frau kennt und fast jeder Mann schätzt. Der positive Eindruck, den die Figur, trotz allen moralischen Unbehagens, das man bei ihrem Verhalten empfinden konnte, vermittelte, ergibt sich vorrangig aus ihrer ansteckenden Fröhlichkeit, sowie aus der Tatsache, dass sie sich keineswegs als von Sünden gebeutelt und der mondanité verfallen präsentiert, im Gegenteil: 382  Cf. zum Beispiel Michel, Passion, Didaskalie vor v. 8469, ähnlich vv. 9286s: »Damoyselles, / disons quelques chansons nouvelles / et vivons de joyeuse vie«. 383  Cf. beispielsweise Michel, Passion, vv. 8537: »ornée, dyaprée, fardée«, v. 8543: »doulces et fleurantes odeurs«, v. 8548: »du balme egipciën / Storax / calamite«, v. 8550: »Musch d’Anthïoche et spicenard«. Die von Maria Madgalena formulierten Wünsche entsprechen im Wesentlichen den Gepflogenheiten des 15. und 16. Jahrhundert. Dieser Teil der mondanité-Sequenz bietet demnach insbesondere für die reichen Kaufmannsgattinnen und Adligen aus Angers alle Möglichkeiten, sich mit der Figur zu identfizieren und über die eigene Haltung nachzudenken, cf. PintoMatthieu, Marie Madeleine, 255, 268ss. 384  Cf. Michel, Passion, vv. 9310–9384. 385  Cf. Michel, Passion, vv. 10463–10532, insbesondere 10518–10532). Die ›Verführungsszene‹ blieb den Zuschauern wohl vor allem deshalb besonders in Erinnerung, weil es sich bei dem ›unbekannten‹ Mann, den sie, wohl ausstaffiert, zu beeindrucken gedachte, um Jesus handelte: »Vrayment il me vient en courage / damoyselles, pour m’esjouyr / d’aller ce saint prophete ouyr / en qui gist tant de loyaulté. / Je veuil comtempler sa beauté / et aller ouyr son sermon pour tempter, en l’oyant, si mon / vouloir a luy s’adonnera / et veoir s’il me regardera / de quelque regard amïable«; Michel, Passion, vv. 10505–10516. Das Wissen um den Status dieses Mannes und seine außergewöhnliche Rolle lässt dieses per se normale Verhalten der Frau skandalös, und deshalb interessant erscheinen. Nach Pinto-Matthieu handelt es sich bei dieser Szene gar um die bekannteste des mittelalterlichen Theaters, der von der Forschung besonders starke Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Zu Zeiten Michels wurde die Sequenz meist kommentarlos übergangen, cf. Pinto-Matthieu, Marie Madeleine, 265 sowie ausführlich eadem, »Vision du corps et conscience du péché dans les passions médiévales. Une approche«, in: Claude Thomasset (ed.), Apogée et déclin: Actes du Colloque de l’URA 411, Provins 1991. Paris: Presses de l’Uni­ versité de la Sorbonne 1993, 237–248, hier 246.

138 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio 8490

8495

Je vueil estre tousjours jolye 8500 Maintenir estat hault et fier, […] Je ne quiers que magnifier ma pompe mondaine et ma gloire tant me vueil au monde fier qu’il en soit 8505 a jamais memoyre J’ay mon chasteau de Magdalon,

dont on m’appelle Magdaleine, ou le plus souvent nous allon gaudir en toute joye mondaine. Je vueil estre de tous biens pleine tant que au monde n’ait la pareille et passer en plaisance vaine toute autre qu’a moy s’apareille386

Was hier sofort ins Auge springt, ist das mehrfach wiederholte »je vueil« sowie weitere Formulierungen, die eine freie Willensäußerung ausdrücken.387 Sie werfen ein klares Licht auf das dahinter stehende Subjekt, Maria Magdalena. Diese erscheint hier als Person, die sich bewusst für eine Lebensform entschieden hat, die zwar nicht den allgemeinen Vorstellungen von Sitte und Anstand entspricht, die sie aber dennoch genießt… zumindest bis zu dem Moment, an dem sie dem »saint prophète de fort belle apparence«388 zum ersten Mal begegnet und ein Prozess des Umdenkens einsetzt. Im Lichte der weiteren Entwicklung der Figur, die den Zuschauern ja wohlbekannt war, spricht ihr Portrait eine deutliche Sprache: Es zeigt nämlich wiederum, dass conversio jederzeit und für jeden möglich ist, auch Passion, vv. 8490–8505. legt Maria Magdalena in ihrem hier in Auszügen zitierten Monolog (Michel, Passion, vv. 8469–8505) ebenso wie im Laufe des anschließenden Gesprächs mit ihren Bediensteten, i. s. damoiselles Pasiphée & Perusine, (cf. ibid., vv. 8522–8589) in steter Regelmäßigkeit die Formulierung »je vueil« in den Mund (Zudem beginnen sechs der elf als Terzinen gestalteten Dialog-Repliken Maria ­Magdalenas mit »je vueil«, in den anderen steht diese oder eine vergleichbare Formulierung im ersten oder zweiten Vers, cf. ibid., v. 8557: »Ne me chault […]«; 8573: »toute melodie vueil ouyr«). Damit wird deutlich hervorgehoben, dass die Entscheidung hier keine von Gott gegebene war, sondern auf seiten Maria Magdalenas lag, wird die Figur somit zur Illustration des libero arbitrio – allerdings mehr für den nachreformatorischen denn zeitgenössischen Zuschauer bzw. Leser, da der Streit um die menschliche Willensfreiheit – manifest in der Opposition von liberum arbitrium und servum arbitrium – erst in Verbindung mit der Diskussion um die ›Rechtfertigungslehre‹ (wieder) aufflammen sollte. Im Moment der Entstehung, ersten Aufführungen und wohl auch noch Drucklegung des Mystère d‘Angers war die Vorstellung von einer menschlichen Disposition und damit auch Entscheidungsfähigkeit für das Gute – das dann allerdings zu seiner Entfaltung der göttlichen Gnade bedarf – hingegen weithin theologischer Konsens. Zur Ausbildung der Vorstellung vom libero respektive servo arbitrio sowie zu den Auseinandersetzungen im 16. / 17. Jahrhundert cf. Hans Dieter Betz e. a. (ed.), Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG). Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft. 8 vols, Tübingen: Siebeck, Mohr 42005, Lemma: Willensfreiheit III, 1 / 2 / 3 (Kirchengeschichtlich, Antike, Mittelalter, Neuzeit). 388  Michel, Passion, v. 10464. 386  Michel, 387  Michel



d) … im religiösen Drama139

wenn man sich bereits vorher (mehrfach) anders, das heißt gegen ein Leben mit und für Christus entschieden hatte. Das exemplum Maria Magdalena gewinnt also gerade durch die Erweiterung ihrer »biographie spirituelle« um die Vorgeschichte ihrer conversio deutlich an Schlagkraft, da hier formuliert bzw. präsentiert wird, was beispielsweise in den ikonographischen Darstellungen zwar implizit vorhanden war, aber nicht tatsächlich vor Augen geführt werden konnte, sondern dessen Ausgestaltung von Wissen und Phantasie des Betrachters abhing. Während es bei Abbildungen aber möglich ist, einen Teil der narratio auszublenden, um eventuelle unangenehme Parallelen zum eigenen Leben ›unentdeckt‹ zu lassen, werden diese durch die mondanité von Maria Magdalena (und anderen) schonungslos ans Licht gebracht. Das Konzept conversio erhält damit einen ausgeprägt moralischen Zug.389 Es wird im Folgenden zu zeigen sein, wie die von Michel im Mystère d’Angers formulierte moralische Botschaft, die in moralités wie Bien Advisé, Mal Advisé oder der Moralité de l’Enfant Prodigue390 gleichfalls 389  Dieser Tenor klingt bereits im Prologue capital an: »chacun de nous sa vie sote / corrige vertueusement«, Michel, Passion, vv. 59 / 60. 390  Bien Advisé, Mal Advisé bildet zusammen mit dem gleichfalls bereits erwähnten L’homme pecheur, L’homme juste et l’Homme mondain, sowie der oben genannten Moralité de l‘Enfant Prodigue eine Gruppe von Texten, die im 15. Jahrhundert entstanden, aber bis weit ins 16. Jahrhundert hinein mit Erfolg gespielt und dann auch gedruckt wurden (cf. Mazouer, Théâtre 250 / 251, Helmich, Allegorie, 32). Alle vier Stücke funktionieren nach dem gleichen Schema: Zwei »Menschenvertreter, die in ihrer Antithetik gemeinsam die Menschennatur verkörpern« (Helmich, Allegorie, 56, Hervorhebung von Helmich, Syntaxanpassung von mir, im Original ohne Relativkonstruktion), müssen auf ihrem Lebensweg fortwährend moralische Entscheidungen treffen: Zur Illustration sowohl des richtigen als auch des falschen Weges, geht die Wahl einmal zugunsten der Tugend, einmal zugunsten des (vorübergehenden) Lasters aus, beendet der homo viator sein Leben also entweder im Himmel oder in der Hölle, cf. Anonym, L’Enfant Prodigue. Moralità del secolo XVI. Edizione a cura di Guiseppe Macri: Lecce: Adriatica Editrice Salentina 1982, passim, sowie Anonym, Bien Advisé, Mal Advisé, in: Moralités françaises. Réimpression fac-similé de vingt-deux pièces allégoriques imprimées aux XVe et XVIe siècles. Edition et introduction par Werner Helmich. 3 vols. Genf: Slatkine 1980, vol. I, 1–109, sowie L’Homme juste et l’homme mondain, in: ibid., vol. I, 423–881, jeweils passim. In L’Homme pecheur tritt hingegen nur ein »Menschenvertreter« auf, der zunächst den guten, dann den schlechten Weg einschlägt, cf. ibid. vol. I, 111–421, passim. Die Nähe dieser moralités zur Botschaft des Mystère d’Angers und besonders der »biographie spirituelle« Maria Magdalenas ist offensichtlich, so tritt in Bien Advisé, Mal Advisé beispielsweise gleichfalls eine Figur namens Franche Volonté auf. In welchem Maße die Verfasser von moralités um das rechte Verständnis der intendierten Botschaft besorgt waren, wird beispielhaft an L’Enfant Prodigue deutlich. Dessen Handlung wird nämlich immer wieder durch das Rezitieren des biblischen Originaltexts unterbrochen und gipfelt in einer méditation morale, die das rechte Verständnis des Gleichnisses ›absichern‹ sollte: »En ceste presente hystoire sont plusieurs parsonnaiges.  Mais troy principaulx: le Père et ses deux fils, desquelz le plus jeune est dit Enfant prodigue. Et morallement celuy père est Dieu, et ses deux enfans sont

140 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

mannigfache Illustration erfuhr, im Zuge der konfessionellen Auseinandersetzungen des 16. und vor allem 17. Jahrhunderts umgedeutet wird, dann nicht mehr mondanité als moralisch verwerflich empfunden wurde, sondern die Zugehörigkeit zur ›falschen‹ Konfession.391 Erste Anzeichen für eine solche Entwicklung lassen sich bereits in einigen moralités des frühen 16. Jahrhunderts finden. In diesen Texten ging es selbstverständlich noch nicht um die Frage der institutionellen Mitgliedschaft in der einen oder anderen christlichen Konfessionskirche sondern vielmehr um ein Ablehnen respektive Bestärken der jeweiligen Denkrichtung – jedoch keinesfalls mit dem Ziel zu trennen, sondern im Gegenteil, auf Missstände hinzuweisen und auf diese Weise Einheit (wieder) herbeizuführen.392 Nichtsdestotrotz klingen in Theaterstücken von Marguerite de deux manières de gens au monde; les ungs bons, les autres pecheurs. Par l’Enfant aisné sont entendus les justes […] et par l’Enfant Prodigue les pécheurs qui despendent les biens receuz de Dieu follement en volupté et plaisance mondaine […]. Comme le père a receu son enfant, pardonné et festoyé, aussi Notre Seigneur reçoit les pecheurs qui se retournent à Luy, comme dict est leur faisant misericorde et leur promettant donner Paradis« (Anonym, L’Enfant Prodigue, 36). Zum Erfolg von Dramatisierungen des Gleichnisses, das ja stets einen Aufruf zur conversio impliziert, cf. Jean-Claude Aubailly, »Variations dramatiques sur la parabole du Fils prodigue à la fin du moyen âge«, in: idem (ed.), Et c’est la fin pour quoy sommes ensemble. Littérature, Histoire et Langue du Moyen Âge. Hommage à Jean Dufournet. 3 vols. Paris: Champion 1993, I, 109–124, passim. 391  Eine solche Bewertung schwingt auch in den Worten des entsetzten Bruders im Gedicht Meyers mit: »Nie hat ein Diaz falsch geglaubt!«; Meyer, Gedichte / Die spanischen Brüder, v. 33. 392  Cf. dazu auch infra, Kapitel 2. Dies gilt für den deutschen Raum – es sei daran erinnert, dass weder Luther noch seine Anhänger ursprünglich eine Spaltung der abendländischen Kirche intendiert hatten – und im besonderen Maße für Frankreich, dessen König lange Zeit keine einheitliche Linie für oder gegen die esprits reformateurs verfolgte, was ihm von den Vertretern der ›alten Kirche‹ vorgeworfen wurde, da in ihren Augen dieses Schwanken die Ausbreitung der neuen Ideen nur förderte. Sah sich François I einerseits in seiner Stellung als roy très chrétien – wie seine Vorgänger und Nachfolger auch – als Garant der unité religieuse seines Landes (ein Wert, der im 16. Jahrhundert von keiner Seite in Zweifel gezogen wurde, cf. Lecler, Tolérance, 405–407, sowie erneut infra, Kapitel 2.) und deshalb verpflichtet, rigorose anti-protestantische Maßnahmen durchzuführen (cf. dazu gleichfalls infra, Kapitel 2.), stellte er sich andererseits unter dem Einfluss seiner Schwester mehrfach auf die Seite der parti reformiste und verteidigte diese gegen die Anschuldigungen der Vertreter der Sorbonne, deren Faculté de Théologie sich als Verteidigerin des wahren Glaubens verstand. Mag die Kontaktaufnahme des Königs mit einigen Vertretern des deutschen Protestantismus auch vornehmlich außenpolitisch motiviert gewesen sein (cf. Delumeau / Wanegfellen, Naissance, 145), trug sie gleichfalls dazu bei, das Bild des Königs, der keine klare Stellung bezieht und auf diese Weise dem Treiben der ›Häretiker‹ Tür und Tor öffnet, in der altgläubigen Öffentlichkeit zu verstärken – eine Sicht, die François I wiederum durch hartes Vorgehen gegen die Protestanten aus der Welt zu schaffen suchte (cf. ibid., 146s).



d) … im religiösen Drama141

Navarre oder Mathieu Malingre, in denen sich zunächst unsympathisch gezeichnete Figuren durch eine Konfrontation mit l’Escripture verändern und ›angenehme Zeitgenossen‹ werden, moralische Bewertungen an. Bevor im Folgenden zu zeigen sein wird, wie die Autoren in ihren Texten eine wenn auch implizite, aber dennoch deutliche Zuordnung alte Lehre – schlechte Lehre, neue Lehre – gute Lehre vornehmen und das Phänomen conversio auf diese Weise schon in den ersten Jahrzehnten des Zeitalters der Reformation eine konfessionelle Komponente erhält, sei kurz ein Blick auf das bereits mehrmals erwähnte Mystères des Actes des Apotres geworfen, dem eine wichtige Brückenfunktion zwischen der Tradition der ›alten Kirche‹ und den Formen des théâtre protestant zukommt.393 Das bereits 1478 von René d’Anjou bei den Brüdern Gréban in Auftrag gegebene Werk394 ist nämlich das einzige der grands mystères cycliques, das auch in dezidiert protestantischem Umfeld Erfolge feiern konnte: wie bereits erwähnt als Druckwerk sowie 1546 bei seiner Aufführung in Genf.395 Ausschlaggebend für die Entscheidung des conseil des pasteurs, das mystère spielen zu lassen, war wohl dreierlei: Im Mittelpunkt des mystère steht die Gemeinschaft der Apostel, nach deren Vorbild Calvin und seine Anhänger die Kirche insbesondere in Genf ja zu gestalten suchten: ein Besuch des mystère konnte dementsprechend die Grundlagen des christlichen Zusammenlebens in Erinnerung rufen. Die Situation der Apostel ähnelt zudem derjenigen der réformés, besonders der zahlreichen französischen Flüchtlinge in der Stadt. Wie die ersten Christen mussten sie ihren Glauben verteidigen: »Il faut prêcher, exposer la foi et argumenter, entrer souvent dans la controverse«.396 Auch in dieser Hinsicht konnte das mystère der Stadtbevöl393  Cf. Yves Le Hir, Les Drames bibliques de 1541 à 1600. Études de langue, de style et de versification. Grenoble: PUG 1974, 5. 394  Cf. Runnalls, Mystères, 85. Das Werk wurde wohl von Simon Gréban zusammengestellt und von seinem Bruder Arnoul ergänzt. Darüber hinaus wurde der Text bei jeder Aufführung von einem reviseur überarbeitet und der Situation der Gastgeberstadt angepasst. Im Mystère des Actes des Apotres wird nicht nur die biblische Apostelgeschichte ›nacherzählt‹, sondern auch das weitere Schicksal aller zwölf Apostel sowie einiger Diakone berichtet, was auch seine enorme Länge von ~ 60 000 Versen erklärt, cf. Mazouer, Théâtre, 218, 229 sowie Arnoul et Simon Gréban, Mystère des Actes des Apotres. Représenté à Bourges en avril 1536 et publié d’après le manuscrit original par Auguste de Girardot. Paris: Didron 1854, passim. 395  Cf. Lebègue, Actes, 29. Weitere Aufführungen sind für Bourges (1536), Paris, Tournai (beide 1541), Tours und Amiens (beide 1542) belegt. Eine Fülle von text­ lichen oder dramaturgischen Übernahmen im Theater der 50er Jahre und darüber hinaus – einer Zeit also, in der die konfessionellen Fronten bereits verhärtet waren – lässt sich vorrangig auf die Rezeption dieses mystère in beiden konfessionellen Lagern erklären (cf. Jonker, Protestantisme, 197s, Lebègue, Actes, 12). 396  Mazouer, Théâtre, 229.

142 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

kerung also nützlich sein. Als dritter Punkt ist das rege Publikumsinteresse zu nennen, dem sich Calvin nicht entgegenstellen wollte, um sein noch junges Reformprojekt nicht zu gefährden.397 Auch wenn erneut nicht auszuschließen ist, dass ein Teil der Zuschauer das mystère tatsächlich aus religiösen Motiven anzusehen gedachte, waren viele Besucher wohl neben dem gesellschaftlichen Ereignis vor allem an der Umsetzung des Geschehens, also an Kostümen, Dekor und feintes interessiert.398 Denn nicht nur die entsprechenden Hinweise in der 1538 erschienenen Druckausgabe, sondern auch der cry der fünf Jahre zurückliegenden Pariser Aufführung des Actes des Apotres waren wohl einem Großteil des Publikum damals bekannt bzw. noch in Erinnerung und versprachen ein bisher in Genf nie dagewesenes Spektakel…399 Aufgrund der skizzierten Situation sowie in Anbetracht der Tatsache, dass die feintes bei der Analyse des Mystère d’Angers unberücksichtigt geblieben waren, wird im Folgenden der Auseinandersetzung mit dem Text ein Blick eben auf die feintes vorgezogen. Im Mystère des Actes des Apotres wird notwendig über eine Vielzahl von conversiones berichtet: Es steht deshalb zu vermuten, dass sich der conduiseur zur Darstellung des jeweiligen conversio-Moments stets vergleichbarer dramaturgischer Mittel bedient, um auf diese Weise seinem – nicht immer aufmerksamen – Publikum Orientierung zu bieten bzw. dessen Interessen wieder auf das Spielgeschehen zu lenken, damit es diese Schlüsselpassagen in der ›Erfolgsgeschichte des Christentums‹ nicht verpasste. 397  Diese Einstellung spiegelt sich in einem Brief von Calvin an seinen Mitstreiter Farel deutlich wider: »[…] Nihil hic habemus novi, nisi quod secunda comoedia iam cuditur. Cuius actionem testati sumus nobis minime probari. Pugnare tamen ad extremum noluimus, quia periculum erat ne elevaremus nostram autoritatem, si pertinaciter repugnando tandem vinceremur. Video non posse negari omnia oblectamenta. Itaque mihi satis est si hoc, quod non est adeo vitiosum, indulgeri sibi intelligant, sed nobis invitis«; Jean Calvin, »(Epistola) Calvinus Farello, 03 / 06 / 1956«, in: idem, Thesauri epistolici Calviniani, in: Calvin, Calvini Opera, vol. XII, cc. 347 / 348. Den Streit um die Aufführung, der durch die klaren Worte Calvins bei Weitem nicht aus der Welt geschafft worden war, sondern im Gegenteil noch bis zur Aufführung am 04. Juli und darüber hinaus zwischen Calvin, Farel und dem pasteur Cop, einem ebenso vehementen Theatergegner wie Farel, weitergeführt wurde, zeichnet Jonker in Jonker, Protestantisme, 197–202 detailliert nach. Trotz aller Gegenstimmen scheint das Votum Calvins doch ausschlaggebend gewesen zu sein, was einmal mehr dessen 1546 schon recht gefestigte Autorität beweist. 398  Lebègue gibt an (cf. Lebègue, Actes, 118–175), dass für die Genfer Aufführung wohl zahlreiche Sequenzen des Mystère, wie beispielsweise die diableries, gekürzt werden mussten, die sermons der Apostel im Gegenzug mit Versen aus dem Alten Testament unterfüttert worden waren. 399  Cf. Jonker, Protestantisme, 202s, ähnlich Lebègue, Actes, 29; Kindermann, Theaterpublikum, 108.



d) … im religiösen Drama143

Tatsächlich kamen bei der Darstellung des conversio-Moments vorrangig zwei Elemente zum Einsatz: Licht und Donner(grollen): (1) Fault une lettre de commission pour bailler à Saulus pour aller en Damas pour les princes de la loy. Fault ung Cheval pour Saulus et d’autres pour ses gens. […] Doit descendre une grande lumiere du ciel avec tonnerre dessus, Saulus qui fait trésbucher son cheval et luy par terre. (2) Fault que se face lumiere et gros tremblement de terre, tellement que lhuys de lad. Prison se doit ouvrir de luy mesme, et se convertit le geollier puis est baptiszé par st Paul.400

Wurde zur Darstellung der conversio Pauli der im Original nicht erwähnte Donner hinzugefügt, ergänzte man bei der Bekehrung des Kerkermeisters das Licht. Da Erdbeben und Donnergrollen nach Auskunft des Herausgebers der verwendeten Ausgabe durch Kanonenschläge nachempfunden wurden,401 bestätigt sich die oben formulierte Vermutung, der Moment der conversio werde immer auf die gleiche, durchaus traditionelle Weise dargestellt: Der Lichtsymbolik zur Darstellung des ineffable hatten sich auch die Gestalter ikonographischer Zeugnisse bedient. Durch die Beigabe des ebenso majestätischen wie erschreckenden, Aufmerksamkeit erregenden auditiven Signals wird conversio zudem als etwas Außergewöhnliches, Unfassliches, Gött­ liches gekennzeichnet – Attribute, die, wie zu zeigen sein wird, von den Verfassern von Konversionsschriften gleichfalls verwendet werden, um ihre Erfahrung von conversio in Worten auszudrücken. Mag auch in den moralités von Marguerite de Navarre402 und Malingdie conversio der Hauptfigur / en gleichfalls den dramatischen Höhe-

re403

400  Gréban, Actes, 11, 13, cf. Apg 9, 4–22 (Bekehrung des Paulus); 16, 19–34 (Bekehrung des Kerkermeisters). Der Text wurde hier aus den Extraits des fainctes qu’il conviendra faire pour le Mystère des Actes des Apotres zitiert, die dem Mystère vom Herausgeber vorangestellt wurden (10–24). Die identischen Angaben finden sich auch – aufgeteilt auf mehrere Didaskalien – im Text. Für weitere Beispiele cf. Gréban, Actes respektive die extraits des fainctes, jeweils passim. 401  Cf. Auguste de Girardot, »Introduction«, in: Gréban, Actes, 1–8, hier 7. 402  1492 geboren, führte Marguerite d’Angoulême bis zur Thronbesteigung ihres Bruders 1515 ein recht beschauliches Leben in der Provinz an der Seite ihre ersten Ehemanns Charles d’Alençon. Als Schwester des Königs erhielt sie alsbald eine Fülle von repräsentativen und vor allem diplomatischen Aufgaben. 1525 Witwe geworden, heiratete sie in zweiter Ehe Henri d’Albret, König von Navarre (was ihr den Titel ›de Navarre‹ einbrachte) und zog an dessen Hof in Pau und Nérac, wo sie in den folgenden Jahren nicht nur zahlreichen ›reformatorisch gesinnten Geistern‹ Schutz gewährte, sondern auch ein reges literarisches Leben mit Theateraufführungen und Lesungen pflegte (cf. Jakobs, Ruf, in: Kapp / Scholl, Bibeldichtung, 183 / 184). Um Verwirrung durch ständig wechselnde Namenformen zu vermeiden, wird die Autorin im Folgenden nur Marguerite genannt. Zum Austausch der Königin mit dem Reformbischof Guillaume Briçonnet und dem cercle de Meaux cf. supra, Kapitel 1. 403  Zu Malingre, cf. die Ausführungen am Ende dieses Kapitels.

144 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

punkt der Stücke markiert haben – visuelle oder auditive Untermalung wie im mystère werden diese Momente wohl nicht erfahren haben. Denn auch wenn den Texten in der Regel präzise Angaben zu den Kostümen vorangestellt wurden, beschränken sich die Angaben zum Dekor meist auf wenige Details, die für das szenische Spiel unabdingbar sind, um eine Aufführung auch im kleinen privaten Rahmen zu ermöglichen.404 Insbesondere die Werke von Marguerite sind im hohen Maße auf das Wort ausgerichtet, verlieren also auch als Lesestücke nichts von ihrer Schlagkraft. Von den sieben comédies non-bibliques, die die Schwester von François I in den 30er und 40er Jahren des 16. Jahrhunderts verfasste,405 seien im Folgenden zwei exemplarisch auf die ihnen zugrunde liegenden conversioKonzepte untersucht: L’Inquisiteur und La Comédie de Mont-de-Marsan. Erstere ist eng mit dem historischen Kontext der Protestantenverfolgung verknüpft, letztere durch einen (beabsichtigten?) intertextuellen Bezug mit der Passion d’Angers verbunden, was ein neues Licht auf die in beiden Texten vorhandene Figur der mondaine wirft. L’Inquisiteur beginnt mit der Präsentation der namengebenden Figur des Stückes, einem docteur en theologie an der Sorbonne, der seit vier Jahren als inquisiteur arbeitet,406 die Ausbreitung des »savoir neuf«407 aber – wie er sich selbst eingestehen muss – bisher nicht verhindern konnte: 404  Im Gegensatz zu Marguerite, die an ihrem Hof über alle Freiheiten verfügte, waren Malingre und andere reformatorisch gesinnte Autoren stets bemüht, kein Aufsehen zu erregen. Als verfolgte Minderheit lag es ihnen daran – auch im Interesse des Publikums – keinesfalls durch Menschenaufläufe, aufwändige Vorbereitungen oder laute Musik die Aufmerksamkeit der Obrigkeit auf sich zu lenken (cf. Jonker, Protestantisme, 66s, Beck, Théâtre, 27–29). 405  Das Korpus des dramatischen Werks von Marguerite umfasst insgesamt elf Stücke. Vier von ihnen lassen sich aufgrund ihrer thematischen Ausrichtung, die Kindheit Jesu, problemlos als comédies bibliques fassen. Die anderen sieben wurden von den Verantwortlichen für die Gesamtausgabe der Werke Marguerites schlicht als comédies non-bibliques zusammengefasst, eine Klassifizierung, die zwar wenig über Thema und Tenor der Texte aussagt, aber dennoch glücklicher ist als der von Verdun L. Saulnier für seine Ausgabe dieser Texte gewählte Titel Théâtre profane (Paris: Droz 1946), geht es doch in der Mehrzahl der sieben Texte um die Auseinandersetzung mit den reformatorischen Ideen und den Konsequenzen für die eigene Lebensführung. Trotz aller Unsicherheiten bei der Datierung der Werke im Einzelnen lässt sich wohl davon ausgehen, dass die comédies bibliques vor den comédies non-bibliques entstanden sind, letztere wiederum zwischen 1535 und 1549. Cf. dazu ausführlich Geneviève Hasenohr / Olivier Millet, »Introduction générale«, in: Marguerite de Navarre, Œuvres complètes IV – Théâtre. Sous la direction de Nicole Cazauran. Edition critique, présentée et annotée par Geneviève Hasenohr et Olivier Millet. Paris: Champion 2002, 7–18 sowie die »Introduction« zu den einzelnen Texten.



d) … im religiösen Drama145 Le temps s’en va tousjours en empirant; Ce savoir neuf, qui le nostre surmonte, L’on ne faict plus de religion compte. 6 Nous oustera en fin honneur et bruict, Nostre credit – dont je voys soupirant – Dont tous les jours fault qu’en chaire Se pourroict bien en fin tenir à honte               je monte Jusques à ce que par moy soit destruict.408 406407

2

Das Wesen der hier vorgestellten Figur war den Zuschauern respektive Lesern der Texte von Marguerite keinesfalls unbekannt: In den 30er Jahren waren es vorrangig die Vertreter der Sorbonne, die jedem reformatorisch gesinnten Geist Frankreichs das Leben schwer machten, und ›tout ce qui sent l’héresie‹ verfolgt und vernichtet sehen wollten.409 Umso größer war wohl die Genugtuung, wenn die Autorin ihre Figur im Folgenden den Grund für das bisherige Scheitern ihrer Mission – und damit wohl auch derjenigen ihrer Kollegen – klar benennen lässt: 10

Si je n’avoys qu’aux ignorans affaire, Je les Contanter je ne les puis de faincte. ferois retourner par la crainte  14 Toujours leur fault alleguer l’Escripture, Mais je ne puis les sçavans faire taire Dont ilz me font soustenir peine maincte Qui mieulx que moy ont l’Escripture Car je n’en feiz jamais bonne lecture.410 saincte, 

Der Fehler des Inquisiteur liegt offensichtlich in seinem bisherigen Umgang mit der Escripture, der zunächst dazu führt, dass er in Diskussionen mit den »sçavans« deren schriftbasierten Argumenten nicht gewachsen ist.411 Wie sich im weiteren Verlauf des Stückes aber zeigt, ist nicht etwa 406  Cf. Marguerite de Navarre, L’Inquisiteur, in: eadem, Théâtre, 271–299, vv. 17–19. Die Aufgabenbeschreibung des Inquisiteur, als Theologe an der Sorbonne für die Verteidigung des rechten Glaubens zuständig zu sein, stimmt mit der Realität durchaus überein, cf. Beck, Théâtre, 71 sowie infra, Kapitel 2. Zu eventuellen konkreten historischen Vorbildern des Inquisiteur, zumindest für die Zeit vor seiner conversio, cf. Olga Anna Duhl, »La polémique religieuse dans le théâtre de Marguerite de Navarre«, in: Jelle Koopmans e. a. (ed.), Le Théâtre polémique français 1450–1550. Rennes: PUR 2008, 189–210, hier 195–197. 407  Marguerite de Navarre, Théâtre / L’Inquisiteur, v. 5. 408  Marguerite de Navarre, Théâtre / L’Inquisiteur, vv. 1–8. 409  Diese Entschlossenheit gegen die ›Häretiker‹ mit aller Härte vorzugehen, illustriert Marguerite auch im weiteren Verlauf des Monologs vom Inquisiteur: »Il (i. e. l’hérétique) passera par le feu toutefoiz / Et, si un peu mon cerveau il irrite, / Brusler tout vif par grant compte je n’en faiz«, Marguerite de Navarre, Théâtre / L’Inquisiteur, vv. 30–32. Zu Methode und ›Philosophie‹ der ›Häretiker‹verfolgung cf. erneut infra, Kapitel 2. 410  Marguerite de Navarre, Théâtre / L’Inquisiteur, vv. 9–16. 411  Marguerite spielt hier auf die Auseinandersetzungen um die Übersetzung der Bibel und den ad fontes-Ruf der Bibelhumanisten an, bildete doch die Kenntnis der Texte die Voraussetzung für eine schriftbasierte Theologie auf der Grundlage des sola scriptura-Prinzips.

146 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

mangelnde Textkenntnis das Hauptproblem, sondern dessen ›mauvaise lecture‹, da ihm diese den Zugang zur wahren christlichen Botschaft verstellt: Als der Inquisiteur zusammen mit seinem varlet auf eine Schar Kinder trifft412, die auf die Frage nach dem Grund ihrer Sorglosigkeit zunächst auf ihren gemeinsamen Vater verweisen, dessen Erbe sie antreten und der ihre Zukunft sichern wird,413 um schließlich Psalm III anzustimmen, der gleichfalls von unerschütterlichem Vertrauen in den »Dieu treshault / de qui attendre fault / vray salut et deffence«414 handelt, erkennt der Inquisiteur sein bisheriges Unverständnis: 471

480

L’INQUISITEUR Ils ne disent rien d’aventure: J’ay tout dedans la Bible leu Et leur parolle est si trespure Que jamais tels sens j’en ay veu, […] LE VARLET Mon maistre, je sens dans mon cueur Divines inspirations

412  Cf. Marguerite de Navarre, Théâtre / L’Inquisiteur, v. 91. Indem Marguerite Inquisiteur und varlet auf heiter spielende Kinder treffen lässt, die schließlich beider Umdenken herbeiführen werden, verweist sie auf die Idee der Gotteskindschaft, grundgelegt in Mk 10, 14 / 15: »Lasst die Kinder zu mir kommen, hindert sie nicht daran! Denn Menschen wie ihnen gehört das Himmelreich. Amen, das sage ich euch. Wer das Reich Gottes nicht so annimmt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen«. Die Kinder sind hier bildlicher Ausdruck für Vertrauen und Erlösungsgewissheit, wie es sich im weiteren Verlauf des Textes ja auch manifestiert. Cf. dazu Helmich, Allegorie, 333 sowie Millet, »Introduction à L’Inquisiteur«, in: Marguerite de Navarre, Théâtre, 261–268, hier 268. 413  Cf. Marguerite de Navarre, Théâtre / L’Inquisiteur, vv. 241 / 242; 245 / 246: »Notre pere est, entendez vous? / Heritiers sommes de son bien«; »Nostre partaige et notre sort / Tenons seur sans solicitudes«. Mit dem Gespräch zwischen Inquisiteur und enfans (ibid., vv. 159–275) wird der Höhepunkt des Werkes, die conversio des Inquisiteur, unmittelbar vorbereitet: Die Autorin setzt hier die traditionellen Mechanismen des zum Lachen Reizens ein, hier vor allem Gegenbildlichkeit und Erwartungsdurchbrechung, um den Inquisiteur dem Lachen der Zuschauer / Leser preiszugeben. Während diese nämlich das Missverständnis hinsichtlich des Begriffs »pere« (i. e. himmlischer Vater versus leiblicher Vater, cf. zum Beispiel »INQUISITEUR: ›Mon enfant, qui est votre pere? Donnez m’en signes apparens‹, JACOT: ›Le votre‹, INQUISITEUR: ›Non est. Par sainct Père, / Nous ne sommes en rien paren«, ibid., vv. 211–214) zwischen enfans und Inquisiteur rasch durchschaut haben werden, gerät letzterer immer mehr in Rage, droht mit Prügel (cf. ibid., vv. 263 / 264) und zeigt dadurch deutlich, dass er – trotz seiner Stellung als docteur en théologie – wesentliche Aspekte der christlichen Botschaft nicht verstanden hat. Die aufgespannte Opposition zwischen ›wutschnaubender Unwissenheit‹ und ›heiterer Gelassenheit‹ schlägt die Sympathie eindeutig auf seiten der enfans und macht einen Sinneswandel des Inquisiteur zunächst unvorstellbar – und anschließend die Lehre, die diese conversio bewirkte, umso schlagkräftiger! 414  Marguerite de Navarre, Théâtre / L’Inquisiteur, vv. 359–361.



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530

d) … im religiösen Drama147 L’INQUISITEUR Et je sens Jesuchrist vainqueur Et moy de toutes passions LE VARLET Je ne sens plus nulle avarice, Mon cueur brusle de charité. L’INQUISITEUR Je sens l’orgueil mort et tout vice Par l’esperit de verité. […] Chantez, terre et cieulx, Chants delicieux Pour ce cas estrange Dieu, d’un homme vieulx. Diable vicieulx, A faict ung jeune ange! Donnez luy louenge, Qui a faict tel change Si soubdainement415

Ganz der persönlichen Einstellung Marguerites entsprechend, die sich für eine Erneuerung der ›alten Kirche‹ auf der Basis recht verstandener Bibellektüre einsetzte, bildet die Auseinandersetzung mit der Escripture hier die Voraussetzung für den göttlichen Gnadenakt der conversio – »change si soubdain« – der aus einem »homme vieulx / Diable vicieulx« einen »jeune ange« werden lässt. Die doppelte Antithese vieux-jeune, d ­ iable-ange sowie der Rekurs auf das paulinische Modell eines bekehrten Verfolgers416 machen deutlich, dass es sich tatsächlich um eine con­versio handelt, die den ganzen Menschen betrifft, ein veränderter Umgang mit der Heiligen Schrift also die Grundlage für ein ›neues‹ Leben darstellt.417 Mag die Schwester von François I die conversio des Inquisiteur auch ›nur‹ in vorliegender Weise konstruiert haben, um die Schlagkraft der Bibel 415  Cf. Marguerite de Navarre, Théâtre / L’Inquisiteur, vv. 471–531. Varlet: »Vous m’en avez faict la lecture / Et Dieu m’en a donné l’esprit«, vv. 380 / 381. Der Text des von den Kindern gesungenen Psalms entspricht demjenigen der Cinquante ­pseaulmes de David von Marot. Zu dieser Textsammlung und der Bedeutung des Psalmengesangs für die Eglises réformées cf. supra, Kapitel 1.b). 416  Zum paulinischen Vorbild cf. Duhl, Polémique, in: Koopmans, Théâtre, 196 sowie Millet, »Introduction à L’Inquisiteur«, in: Marguerite de Navarre, Théâtre, 266. 417  Auch wenn der Inquisiteur hier auf die Lektüre der Bibel allgemein abhebt, sollte die Rolle des von den Kindern gesungenen Marot-Psalms, der ja gleichfalls auf der Escripture basiert und hier dem ›catéchisme‹ (cf. Marguerite de Navarre, Théâtre / L’Inquisiteur, vv. 365–470, dazu Millet, »Introduction à L’Inquisiteur«, in: Marguerite de Navarre, Théâtre, 266) unmittelbar vorausgeht, nicht übersehen werden: »La traduction de ce psaume, ici chantée, accomplit dans l’action de la pièce la mission par excellence de la parole divine, en manifestant sa toute-puissance par la conversion de l’inquisiteur« (ibid., 264).

148 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

und damit ihrer eigenen Überzeugung herauszustellen,418 lässt sich die ›geistige Verwandtschaft‹ der Figur des Inquisiteur mit einigen zeitgenössischen anti-protestants ebenso wenig leugnen wie die Nähe des von Marguerite propagierten évangelisme zum lutherischen sola scriptura-Prinzip, das, wie bereits dargelegt, auch in Frankreich Anklang gefunden hatte. Ein Verständnis von conversio im Sinne eines Konfessionswechsels respektive eines Übergangs von der alten, anfänglich vom Inquisiteur vertretenen ›Lehre‹ zur neuen, von den Kindern vermittelten, klingt hier zwar an, wird aber noch nicht explizit formuliert.419 Vergleichbares gilt auch für die 1548 aufgeführte Comédie de Mont-deMarsan. In dieser stehen sich zunächst La Mondaine und La Superstitieuse gegenüber. Zu Beginn des Werks stellen sie sich dem Publikum sowie der hinzugetretenen Figur, La Sage, vor:

210

215

LA MONDAINE Madame, je suis corporelle, Aymant mon corps, tant naturelle Qu’à riens fort à vivre ne pense. J’entends vivre joieusement En biens et honneur longuement, En tous plaisirs, jeux, ris et dances. J’ayme mon corps, voyla la fin: C’est mon amy, c’est mon afin; C’est mon tout, mon Dieu, mon idolle.

220

[…] LA SUPERSTICIEUSE Pas ne suis comme elle, Madame, Car je n’ayme riens que mon ame Et ne veulx, sinon la saulver. Et pour la rendre nect et pure, Mal et peine en mon corps j’endure, Pour ma vertu mieux eprouver.420

Die Unterschiede zwischen den Damen könnten größer nicht sein, hier die Asketin, die ihrem Körper Leid antut, um ihr Seelenheil zu retten, dort die ›Lebefrau‹, deren Gedanken einzig um Schönheit und Vergnügen kreisen. Beide sind anfangs von der Richtigkeit ihres Lebenswandels überzeugt und schenken den mahnenden Worten von La Sage entsprechend wenig Beachtung. Dennoch gelingt es dieser schließlich, La Mondaine von der einseitigen Beachtung alles Körperlichen und der Vernachlässigung ihrer Seele421, La Superstitieuse von der Fokussierung auf ihr persönliches Heil Kindermann, Theaterpublikum der Renaissance, 216. implizite Zuordnung wird weiterhin durch die Integration des Psalms in der vorliegenden Funktion unterstützt, der von den Vertretern der ›alten Kirche‹ ebenso wie von den Vertretern der Reformation schon früh ganz selbstverständlich als ›typisch‹ protestantisch angesehen wurde. 420  Cf. Marguerite de Navarre, La Comédie de Mont-de-Marsan, in: eadem, Théâtre, 453–497, vv. 207–224. Der Titel nimmt Bezug auf den Aufführungsort, das Städtchen Mont-de-Marsan im Königreich Navarra, etwa 40 km nördlich von Pau, 50 km südwestlich von Nérac. 421  Cf. Marguerite de Navarre, Théâtre / La Comédie de Mont-de-Marsan, vv. 243–332. 418  Cf.

419  Diese



d) … im religiösen Drama149

abzubringen.422 Als Ersatz empfiehlt La Sage die Lektüre der Heiligen Schrift: 375

380

LA SAGE à LA MONDAINE Pour vous metre toute à delivre, Je vous faictz present de ce livre: C’est la loy et vielle et nouvelle. En luy verrez ce qu’il faut faire Et qui pour vous peult satisfaire Pour vous metre en vie eternelle424

545

LA SAGE à LA SUPERSTICIEUSE Or, me lisez ceste escripture Où verité se fait entendre.423

La Mondaine und La Superstitieuse erklären sich im Folgenden bereit – mehr oder weniger zögerlich allerdings – sich mit der Bibel auseinander zu setzen,425 was La Sage mit den Worten: Grande joye j’ay de vos deux / Veoir lire en ces livres si neufs / Que neufves serez en vostre euvre«426 kommentiert und auf diese Weise beider conversio einleitet. Die Umkehr der Damen war damit, anders als diejenige des Inquisiteur, weder »estrange« noch »soubdain«, sondern im Wesentlichen das Ergebnis von überzeugender Argumentation und Überlegung427 – ein Phänomen, das in den Konversionsschriften des späten 16. sowie 17. Jahrhunderts sehr häufig 422  Cf. Marguerite de Navarre, Théâtre / La Comédie de Mont-de-Marsan, vv. 483–542. 423  Marguerite de Navarre, Théâtre / La Comédie de Mont-de-Marsan, vv. 534–545. 424  Marguerite de Navarre, Théâtre / La Comédie de Mont-de-Marsan, vv. 375–380. 425  Während sich La Mondaine sofort zur Lektüre der Bibel bereit erklärt »Puis qu’il vous plaist de le me dire, / Incessament je le veux lire / Pour y chercher mon sauvement«, Marguerite de Navarre, Théâtre / La Comédie de Mont-de-Marsan, vv. 381– 383, reagiert La Superstitieuse bei der Vorstellung, sich selbständig mit der Bibel auseinanderzusetzen, fast entsetzt: »Madame, je suis bien trop sotte / Pour chanter de si haute notte / Certe, je n’y puis rien comprandre, ibid., vv. 546–549, ähnlich vv. 551–553. Die Haltung von La Superstitieuse entspricht derjenigen der Vertreter der ›alten Kirche‹ gegenüber individueller Bibellektüre von Laien, erst recht von Frauen. Die Autorin stellt dieser Einstellung ihre eigene Vorstellung gegenüber, derzufolge nicht nur jeder Gläubige Zugang zur Bibel haben sollte, sondern der persönliche Umgang mit der Schrift Voraussetzung von Glaube und Heilsgewissheit ist. Diese Idee ist einer der Leitgedanken der Spiritualität Marguerites (entspricht aber auch weitestgehend der Haltung von Luther und später Calvin). Sie prägt nicht nur die hier betrachteten moralités, sondern durchzieht beispielsweise auch das Heptaméron: Oisille, eine der weiblichen devisants, übernimmt hier nämlich – gewissermaßen in Konkurrenz zu den Angeboten des Klosters, als Repräsentant der ›alten Kirche‹ – die Verantwortung für die geistliche Unterweisung der Gruppe; cf. Marguerite de Navarre, L’Heptaméron. Texte établi sur les manuscrits avec une introduction, des notes et un index des noms propres par Michel François. Paris: Garnier 1967, passim, dazu Jakobs, Ruf, in: Kapp / Scholl, Bibeldichtung, 197–199. 426  Marguerite de Navarre, Théâtre / La Comédie de Mont-de-Marsan, vv. 570–572. 427  Cf. beispielsweise Marguerite de Navarre, Théâtre / La Comédie de Mont-deMarsan, v. 327: »Ce que vous dictes bon me semble«. Zur Funktion von La Sage als Begleiterin, convertisseuse, cf. die Ausführungen am Ende des Kapitels.

150 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

anzutreffen sein wird, göttlichen Einfluss allerdings nur implizit zum Ausdruck bringt. Dass die conversio der beiden dennoch vollständig war, ergibt sich aus dem weiteren Verlauf des Stückes: Obwohl die Unterhaltung mit der hinzugekommenen Bergère mehrmals die Gelegenheit dazu bietet, fallen nämlich weder La Mondaine noch La Superstitieuse in ihre alten Verhaltensweisen zurück.428 Die Comédie de Mont-de-Marsan birgt damit ein conversio-Konzept von interessanter Vielschichtigkeit. Zunächst ist die conversio der beiden Damen ein Beispiel für eine conversio-pénitence, die dem Zuschauer zeigt, dass conversio, unabhängig von der Sündhaftigkeit des bisherigen Lebensentwurfs, jederzeit möglich ist. Diese Deutung ergibt sich vor allem aus der auffälligen Ähnlichkeit der von Marguerite de Navarre konzipierten Mondaine zur Maria Magdalena der Passion d’Angers.429 Beide Figuren präsentieren sich nämlich anfangs ›atemberaubend skandalös‹, da vollständig amoralisch, aber entwaffnend ehrlich und haben dann die Kraft, ihrem Leben eine neue Richtung zu geben und damit conversio zu erfahren. Ob und in welcher Form Marguerite die Passion von Jean Michel kannte, ihre Mondaine also möglicherweise absichtlich der Maria Magdalenenfigur an die Seite stellte, lässt sich zwar nicht sicher nachweisen, die Belesenheit der Königin und die bereits angesprochene Erfolgsgeschichte des mystère als aufgeführtes Werk wie im Druck machen eine Vertrautheit mit dem Text aber durchaus wahrscheinlich.430 In jedem Fall wird eine Parallelisierung der beiden Figuren wohl in den Köpfen der Zuschauer bzw. Leser stattgefunden haben, was wiederum zu einer Verquickung der Konzepte von conversio im Sinne einer Umkehr zu einem gottgefälligen Leben und einer conversio im Sinne der Annahme einer neuen ›Lehre‹, nämlich des von Marguerite propagierten évangelisme, führt. In einer Zeit zunehmender Abgrenzung zwischen den Vertretern der ›alten Kirche‹ und den Eglises réformées, wie sie Ende der 40er Jahre in Frankreich stattfand,431 kommt dies 428  Cf. Marguerite de Navarre, Théâtre / La Comédie de Mont-de-Marsan, vv. 575–1015, passim. Da das Gespräch zwischen La Mondaine, La Superstitieuse, La Sage und La Bergère hinsichlich der conversio der beiden erstgenannten keine neuen Erkenntnisse bringt, kann auf eine Betrachtung desselben verzichtet werden. 429  Cf. Millet, »Introduction à la Comédie de Mont-de-Marsan«, in: Marguerite de Navarre, Théâtre, 442–453, hier 445: »La Mondaine de notre pièce rappelle d’ailleurs la Marie-Madeleine dans sa ›mondanité‹, telle que Jehan Michel l’avait représentée dans sa Passion, une femme franche dans ses choix et ses erreurs, et capable par là-même de s’en détacher pour acceder à un plan de liberté superieure«. 430  Zur culture livresque von Marguerite de Navarre cf. ausführlich Pierre Jourda, Marguerite d’Angoulême. Duchesse d’Alençon, Reine de Navarre (1492–1589). Étude biographique et littéraire. 2 vols Paris: Champion 1930, 21–24. 431  Bereits 1543 hatte François I ein Edikt erlassen, das »les inquisiteurs de la foi« dazu aufforderte, »de poursuivre les luthériens et herétiques comme séditieux,



d) … im religiösen Drama151

einer konfessionellen Lesart des Begriffs – wenn auch nicht notwendig von Marguerite intendiert und ausgesprochen – erneut sehr nahe.432 Eine ›geistige Verwandte‹ von La Superstitieuse hatte bereits einige Jahre vor der Königin Mathieu Malingre in den Mittelpunkt seines Werkes La Maladie de Chrestienté gestellt. Seit 1533 als pasteur in Neuchâtel, später im gleichfalls eidgenössischen Yverdon und zeitweiliger Mitarbeiter von Antoine Marcourt, dem mutmaßlichen Verfasser der placards contre la messe,433 war Malingre ein früher Verfechter der neuen Ideen, die er in Predigten und Theaterstücken gleichermaßen vehement vertrat.434 La Maladie de Chrestienté entstand 1533, aus diesem Jahr existiert auch eine Druckversion, mehrere Aufführungen sind bis 1558 bezeugt.435 Dem Werk war damals eine große perturbateurs de la paix publique, et conspirateurs contre la sureté de l’état« (Jourdain / Isambert, Recueil, vol. XII, n. 367 (23.07.1543). Der Verfügung waren die bereits 1525 von den Verantwortlichen der theologischen Fakultät der Sorbonne formulierten 25 articles de foi beigefügt, »(qui définissent), de manière aussi concise que possible, l’orthodoxie, telle qu’elle se conçoit en cette année 1543 face à l’Hérésie, qu’elle s’efforce de réfuter« (Beck, Théâtre, 71, im Original, im Singular: »la liste qui définit«). Die konfessionellen Fronten waren also im Moment der Aufführung der Comédie de Mont-de-Marsan seitens der ›alten Kirche‹ bereits definiert, die Eglises réformées de France formulierten entsprechendes in der bereits erwähnten confession de foi des Églises réformées de France dite ›Confession de la Rochelle‹ von 1559. Cf. dazu supra, 66, n. 105 sowie Kapitel 2. 432  Dieser Lesart entspricht auch die Tatsache, dass es sich beim vorliegenden Werk um ein Fastnachtsspiel handelt. Aufgeführt am Abend des mardi gras (cf. Marguerite de Navarre, Théâtre / La Comédie de Mont-de-Marsan, Titel: »[…] jouée […] le jour de caresme prenant […]«) war es wohl gleichfalls Anliegen der Autorin, ihr Publikum daran zu erinnern, dass nun zwar die Zeit des Karnevals, und damit der Ausgelassenheit vorbei war, es aber auch in der anbrechenden Fastenzeit um mehr ginge als um Selbstkasteiung und gute Werke wie von La Superstitieuse vorgelebt, nämlich um den aus der Bibel genährten Glauben: »Croire il te faut fermement«, ibid. v. 369. 433  1534 wurden an vielen Orten Frankreichs, darunter die königlichen Gemächer in Blois, anonyme weithin sichtbare Anschläge angebracht, die über die »abus de la messe papale, horribles, grands et insupportables, inventée dirèctement contre la sainte cène de notre Seigneur, seul Médiateur et seul Sauveur Jésus Christ« Auskunft gaben, cf. Carbonnier-Burkard/Cabanel, Histoire, 21. Da diese Plakate mit Messe und alleiniger Mittlerstellung Jesu zwei der wesentlichen Streitpunkte zwischen den Vertretern der ›alten Kirche‹ und reformatorisch Gesinnten betrafen, blieb die Reaktion der Erstgenannten nicht lange aus. Cf. dazu Delumeau / Wanegfellen, Naissance, 145: »La polémique visait à ›confessionaliser‹ la situation religieuse française, et la répression qui s’ensuivit y contribua fort bien«. 434  Cf. Charles-Antoine Chamay, »La moralité de Maladie de Chrestienté à XIII personnages de Mathieu Malingre et la polémique religieuse«, in: Koopmans, Théâtre, 179–187, hier 180. 435  Cf. Lazard, Théâtre, 156 / 157, Kindermann, Theaterpublikum der Renaissance, 215, 218 sowie Helmich »Introduction«, in: Moralités françaises, vol. III. VII–XXI, hier XI.

152 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

Resonanz beschieden, was sich wohl einerseits mit der Persönlichkeit des Autors sowie der identitätsstiftenden Wirkung des gemeinsamen Besuchs von gegen die Traditionen der ›alten Kirche‹ gerichteten Theaterstücken erklären lässt, andererseits mit der Beliebtheit des in ihm verarbeiteten Motivs. In etwa zeitgleich mit dem Stück von Malingre feierten nämlich weitere Texte mit fast identischem Handlungsstrang auf der Bühne oder in den librairies vergleichbare Erfolge.436 Stets geht es um eine / n Kranke / n, der / dem zur Heilung seines Leids von (allegorischen) Figuren wie Bon oeuvre, Peché oder Hypocrisie eine Fülle von Hinweisen erteilt werden, so die Teilnahme an Wallfahrten und Prozessionen, Fasten, oder die Anrufung zahlreicher Heiliger, durch deren Wunder er / sie schließlich Gesundheit zurückgewinnen werde. Kommt es trotz des Befolgens einiger Vorschläge zu keiner Verbesserung des Zustands und ist der / die Kranke oft bereits dem Tod nahe, wird eine Arznei verabreicht, die schließlich zur Heilung führt.437 Im Zentrum des Werks von Malingre steht Chrestienté. Sie klagt über Leib- und Gliederschmerzen sowie allgemeine Schwäche438 und beschließt, da ihr weder die Anrufung der Heiligen noch der Rückgriff auf die ›Schulmedizin‹439 Linderung verschaffte, einen letzten Rat bei einem Wahrsager 436  Cf. Jonker, Protestantisme, 56–59, Chamay, Moralité, in: Koopmans, Theâtre, 185, Lebègue, Tragédie, 290s. Einige Beispiele seien genannt: die anonyme moralité Les Theologastres (ca. 1523–1529), die Comédie du Pape malade et tirant à sa fin von Conrad Badius (1561), die Comédie du Monde malade et mal pensé (= pansé) von Jacques Bienvenu (1568), Le Mallade von Marguerite de Navarre (ca. 1535) sowie gleichfalls Le Marchant converti von Naogeorgus / Crespin (1540 / 1561), cf. dazu infra, 155. 437  Texte mit vergleichbarem Handlungsstrang und Motivinventar rekurrieren auf die Vorstellung vom Christus medicus. Diese hatte sich, analog zum antik-heidnischen Modell der Übertragung der Heilsgewalt von Apollo medicus auf seinen Sohn Asklepios und genährt durch einschlägige Schriftpassagen (cf. vor allem Jes Sir 38, 1–15 sowie die Krankenheilungsberichte aus Evangelien und Apg) im christlichen Kulturkreis seit dem fünften Jahrhundert herausgebildet (cf. Wolfgang U. Eckart, Geschichte der Medizin. Heidelberg e. a.: Springer 42000, 45) und beruht auf der Idee, dass Christus einerseits idealtypisch den Weg zum Heil durch Leid verkörpert, andererseits sowohl körperliche als auch spirituelle Heilung bietet (ibid., 104). Praktisch schlug sich dies in der Übernahme der Verantwortung der Kirche für die Krankenfürsorge nieder, spirituell beispielsweise in der Einrichtung der Krankenseelsorge sowie im Sakrament der Krankensalbung (cf. Pourrias, Les sacrements, n. p. insbesondere Abschnitt II). Die große Beliebtheit von Texten, die auf das Christus medicus-Motiv Bezug nehmen, mag wohl in dessen Lebensnähe begründet sein, waren doch die Leiden einer Krankheit ebenso für jedermann nachvollziehbar wie die Freude über eine (plötzliche) Heilung. Zur Bedeutung des Motivs für das Bildinventar von écrits de conversion cf. infra, Kapitel 4.b)aa) und 4.b)cc). 438  Cf. Mathieu Malingre, La Maladie de Chrestienté, in: Moralité françaises, III, 13–108, hier 42, 44, 46. Hier und in allen weiteren Drucken aus dem 16. und 17. Jahrhundert wurde die Orthographie modernisiert, i. e. alle Abkürzungen aufgelöst und u / v unterschieden.



d) … im religiösen Drama153

zu suchen und dann zum »grand pardon a Rome«440 aufzubrechen, um sich auf den Tod vorzubereiten.441 Durch die Figur Inspiration von ihrem Vorhaben abgehalten, vertraut sich Chrestienté schließlich erneut einem Arzt an442, der nach eingehender Untersuchung der Kranken zunächst die Diagnose stellt und anschließend eine Therapie einleitet: 439

Premierement il faut viser A rendre paix et unité Aux membres de Chrestienté Et que tout soit bien reforme En tous estats & conforme A Jesus christ sans plus tarder […] Et pour la guarir a ma guise Mener la fault en saincte eglise Hors laquelle nul na salut […] Elle se doibt regir par foy: Et par levangile & la loy De Jesu Christ non par lhumaine Tradition en quoy lung meine Dunq coste & lautre de lautre.

Or notez ce bon recipe Je lecriray icy en forme: Il fault avoir la langue dhome Langue de lyon & de bœuf Et langue d’aigle doulv & souef: Puis tout passer par un passot. […] En bon vin blanc que baillerez A boire a la Chrestienté […] Il signifie amour divin Lamour qu’on doibt avoir a dieu Grace & pardon nauro(n)t point lieu Au corps de la Chrestienté: Si les membres en charite Ne sont par doulv accord unis.443

Mit dem Gemisch aus vier ›Evangelistenzungen in Weißwein‹ empfiehlt der Medecin hier letztlich nichts anderes als La Sage und die Kinder in den behandelten Texten von Marguerite de Navarre: Es symbolisiert die pure Escripture, die hier nicht nur in ihrer Qualität als Gegenpol zur von der ›alten Kirche‹ vertretenen Lehre, die Schrift und Tradition gleichberechtigt nebeneinander stellt, Erwähnung findet, sondern auch als Zeugnis göttlicher Liebe, der sich der Gläubige bedingungslos anvertrauen kann.444 Die Nähe zur reformatorischen sola-Theologie ist hier erneut offensichtlich. Interessant – und weniger im Moment der Entstehung des Werkes in den 30er Jahren denn im Augenblick seiner Aufführungen in den Folgejahrzehnten von großer Brisanz – ist der Hinweis auf den Mangel an »paix et unité« 439  Cf. Malingre, Maladie, in: Moralités françaises, III, 45: »Je prins envie / Puis que les saincts ne me fo(n)t rien / Avicenna ne Galien«. 440  Malingre, Maladie, in: Moralités françaises, III, 46. 441  Cf. Malingre, Maladie, in: Moralités françaises, III, 45 / 46. 442  Cf. Malingre, Maladie, in: Moralités françaises, III, 69s. Auf das Christusmedicus Motiv wird von Ärzten und Patienten der moralité gleichermaßen angespielt, cf. ibid., 16: »A Jesus Christ qui est nostre secours / Nostre advocat & nostre medecin«; sowie ibid., 107 »Vray medecin des ames & des corps«. 443  Cf. Malingre, Maladie, in: Moralités françaises, III, 89 / 90. 444  Zu den Parallelen der hier vertretenen Lehren beispielsweise in Les Theologastres und Le Mallade cf. Chamay, Moralité, in: Koopmans, Theâtre, 185 sowie Duhl, Polémique, in: ibid., 192 / 193.

154 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

sowie die Notwendigkeit von Reformen »en tous estats & conforme A Jesus christ«. Mag die Formulierung anfangs tatsächlich Ausdruck des bereits angedeuteten Reformwillens, der weniger trennen denn vereinen wollte, gewesen sein, kam sie zu Zeiten konfessioneller Verhärtung einer Schuldzuweisung gleich. Wenn Malingre dem Medecin als Vertreter der ›neuen Lehre‹ mit »Mener la fault en saincte eglise / Hors laquelle nul na salut« ein vorrangig von der ›alten Kirche‹ als ›Kampfbegriff‹ verwendetes Axiom in den Mund legt, das üblicherweise dazu diente, ihre Stellung als einzig wahre Kirche Christi im Gegensatz etwa zu den aus der reformatorischen Bewegung hervorgegangenen, herauszustellen,445 wird die Formel ironisiert und der ›schwarze Peter‹ der Verantwortung für den désaccord innerhalb der Christenheit eindeutig der ›alten Kirche‹ zugeschoben. Vor dem Hintergrund dieser Therapiemaßnahmen kommt die Heilung von Chrestienté446 – zumindest in den Köpfen der Zuschauer der 40er und 50er 445  Das Axiom »extra ecclesiam nulla salus« wurde erstmals von Caecilius C. Cyprian, (†  258), Bischof von Karthago, formuliert, cf. (Cyprian), epistula 73, in: Sancti Cyrpriani Episcopi Epistularium (Cyprianus epistulae 58–91 et appendix epistulas V complectens quarum II dubiae sunt III suppositiae). Ad fidem codicum summa cura selectorum necnon adhibitis editionibus prioribus praecipuis edidit G. F. Dierks. Turnholt: Brepols 1996, XXI, 2 (Die römische Zahl verweist auf das Kapitel, die arabische auf den Absatz). Er fand für die Lehre von der Heilsuniversalität der Kirche, die bereits in Joh 15, 4 / 5 angelegt ist (»Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht, denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen«) im Rahmen des Ketzertaufstreits zwischen der Ortskirche Kathagos und Rom, vertreten durch Papst Stephan I, diese einprägsame Formel. Sie wurde im Laufe der Jahrhunderte von der ›alten Kirche‹ vor allem in Krisenzeiten immer wieder verwendet, um ihre Stellung als einzige legitime Nachfolgerin der apostolischen Gemeinschaft zu unterstreichen, vor allem gegenüber Häretikern wie den bereits erwähnten Waldensern oder Katharern (cf. supra, Kapitel 1.a)). Die Formel fand deshalb Eingang in das auf dem vierten Laterankonzil formulierte Glaubensbekenntnis, cf. Wohlmuth, Dekrete II / concilium Lateranense IV, constitutio 1 – De fide catholica) – oder eben den Anhängern der Reformation. Letztere scheinen dieses Axiom nicht als ›Kampfbegriff‹ verwendet zu haben – auch wenn sie, wie gezeigt, gleichfalls der Meinung waren, in der Nachfolge der frühen Kirche zu stehen. Calvin zitiert sie deshalb in der Instutio / n im Rahmen der Erklärung des Symbole des Apostres, cf. Calvin, Institution, IV, 599; dazu cf. Bernard Sesboüé, » ›Hors de l’Eglise, pas de salut‹ – Cet axiome faussement clair (Y. Congar)«, in: Études 401 (2004), 65–75, passim. Der Autor skizziert hier den Umgang der ›alten‹ Kirche mit dieser Formel von den Anfängen bis zur Konfrontation mit der dogmatischen Konstitution Lumen Gentium (1964). Zur Präsenz der Formel in den Konversionsschriften, cf. infra, Kapitel 4.a). 446  Cf. Malingre, Maladie, in: Moralités françaises, vol. III, 102 / 103, »[…] Jay en mon cœur ung vers qui poinct / Lequel me mort, pique et oppresse / […] Puis que iay la foy ie proteste / De la garder & Esperance / Et si veulx avoir alliance / A Charite toute ma vie. […] Grace vous rends mon redempteur / De tous les biens que mavez faict / Votre parolle ma reffaict«.



d) … im religiösen Drama155

Jahre – einem Wechsel zum neuen Glauben gleich, erweist sich das Phänomen conversio also erneut als konfessionell aufgeladen. Gewissermaßen einen Beweis für das Zusammenfallen der beiden Konzepte von conversio als Rückkehr zu einem gottgefälligen Leben und conversio im Sinne eines Konfessionswechsels – die für die aufnehmende Konfession ohnehin notwendig identisch sind – liefert Jean Crespin.447 Der Genfer Drucker übersetzte die 1540 von Thomas Kirchmeyer, genannt Naogeorgus448, verfasste tragedia nova Mercator Seu Iudicium ins Französische. 1558 erschien sie unter dem Titel Le Marchant converti.449 Im Mittelpunkt des Textes steht ein geiziger, einzig der Welt zugewandter Kaufmann. Auch er erkrankt, sieht sein Ende nahen und wird deshalb von Conscience dazu angehalten, vor seinem Tod die Sterbesakramente zu empfangen. Da die Beichte jedoch immer wieder von Satan gestört wird, bringt sie schließlich – trotz des vom Curé gegebenen Versprechens, gegen eine Schenkung von »neuf cens escus ou pour dix«450 an die Kirche in den Himmel zu kommen – dem Marchant nicht die erhoffte spirituelle Erleichterung. Von der daraufhin einsetzenden Verzweiflung des Kaufmanns berührt, betraut Christus, der das bisherige Geschehen verfolgt hatte, Paulus mit einer Aufgabe: CHRIST Ie veux que soit ce Marchant diverty De ce fardeau, & a moy converty: Comme tu fais, tu le pourras apprendre

Crespin cf. ausführlich infra, Kapitel 3.b)cc). Kirchmeyer verbrachte seine Lehrjahre in München, Tübingen und Ingolstadt und ist seit den 30er Jahren des 16. Jahrhunderts in Sachsen als Anhänger der reformatorischen Lehren Luthers und Prediger in Sulza greifbar. Seine »humanistisch-reformatorisch-dramatischen Arbeiten« (Traugott Bautz, Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon. 32 vols, Hamm / Westf.: Bautz 1975 e. a., Lemma: Kirchmeyer, Thomas), brachten ihm für einige Jahre hohes Ansehen, bevor er aufgrund von Differenzen zur lutherischen Lehre – man warf ihm calvinsche Tendenzen vor – Sachsen verlassen musste, cf. ibid, Lemma: Kirchmeyer, Thomas. 449  Thomas Kirchmeyer (Naogeorgus), Le Marchant Converti, tragédie nouvelle. Traduction par Jean Crespin. s. l. (Genf?): Crespin 1561. Crespin gibt an, vom Autor selbst um eine Übersetzung gebeten worden zu sein, cf. »Jean Crespin aux Lecteurs et Spectateurs de cette tragédie«, in: Naogeorgus / Crespin, Marchant, 4 / 5, hier 5. Die Kategorisierung des Werks als tragedia nova / tragédie nouvelle verleiht dem Werk humanistischen Anstrich, deutet aber an, dass hier zwar die überkommene Form übernommen wurde (fünf Akte, negativer Ausgang für einen Großteil des Personals, allerdings nicht für die Hauptfigur), aber kein von den ›Alten‹ überlieferter Stoff verarbeitet wurde, cf. Crespin, »Prologue«, in: ibid., 5 / 6, hier 5, »Or escoutez: C’est une Tragedie / Comme verrez, de nouveau composée«. Zur Erfolgsgeschichte des Werkes, cf. Jonker, Protestantisme 77. 450  Kirchmeyer / Crespin, Marchant, II, 4. 447  Zu

448  Thomas

156 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio PAUL Ce n’est pas peu de cas de desapprendre Cela desia dont l’homme est endurcy CHRIST Je luy donray de mon Esprit aussi Qu’il ne succombe és laqs de l’adversaire PAUL Entierement cela est necessaire451

Paulus wird hier – ebenso wie La Sage in der Comédie de Mont-deMarsan und Le Varlet in L’Inquisiteur – zum Begleiter oder Helfer des Konvertiten und steht damit in der Tradition von Hananias, der ihm bei seiner eigenen conversio zur Seite stand,452 sowie von Simplicianus, Ponticianus und Alipius, den Begleitern von Augustinus.453 Ihre Aufgabe ergibt sich zum einen aus dem bereits angesprochenen missionarischen Charakter des Christentums, zum anderen aus der Tatsache, dass conversio – ob im Sinne einer Rückkehr zu einem gottgefälligen Leben oder im Sinne eines Übertritts von einer Konfessionskirche zur anderen – immer einem Beitritt zu einer Gemeinschaft – communio – gleichkommt, die der Begleiter vertritt und in der er den converti willkommen heißt. Personen, die diese Funktion wahrnehmen, waren besonders im 17. Jahrhundert weit verbreitet. Indem der Autor hier Paulus – den wohl bekanntesten Konvertit der Kirchengeschichte – dem Marchant an die Seite stellt, damit dieser ihn belehre, kennzeichnet er die bevorstehende, gottgewollte conversio a priori als conversio im Sinne einer Umkehr zu einem gottgefälligen Leben (conversionpénitence). Diesem Konzept entspricht auch der Hinweis auf die Notwendigkeit göttlichen Zutuns, hier in Form der Sendung des Heiligen Geistes. Auf eine konfessionelle Lesart von conversio deutet hingegen die zweideutige Formulierung »Qu’il ne succombe és laqs de l’adversaire« hin, bleibt doch ungeklärt, ob mit »adversaire« hier ›nur‹ Satan als Gegenspieler Gottes gemeint ist oder aber die ›alte Kirche‹, deren Vertreter, le Curé, l’Evesque, le Cordelier ebenso wie die von ihnen verkündete Lehre durchweg negativ gezeichnet sind.454 Bestätigung findet diese Vermutung im weiteren Verlauf des Textes: Der Marchant erbricht, nachdem er von Lukas ein Antitoxin gegen die vom Curé Marchant, III, 1. Apg 9, 10ss. 453  Cf. Augustinus, Confessiones, VIII, 1–12, passim sowie infra, Kapitel 4. In der gleichen Tradition stehen auch die dargestellten Initiativen von beispielsweise Claudel, Père Clérissac und Léon Bloy, cf. supra, Einleitung. Nichtsdestotrotz bleibt conversio eine Sache zwischen Mensch und Gott, deren Gelingen oder Scheitern ein Begleiter nicht beeinflussen kann. 454  Kirchmeyer / Crespin, Marchant, passim, insbesondere Akt IV / V. 451  Kirchmeyer / Crespin, 452  Cf.



d) … im religiösen Drama157

verabreichte »potage«455 erhalten hatte, zunächst »pardons et pelerinages«, »ymages«, »oraisons feintes«, »voeux et chandelles«456, die hier symbolisch für die von den Anhängern der Reformation verurteilte ›Werkgerechtigkeit‹ der ›alten Kirche‹ stehen. Anschließend erhält er, von Altlast befreit, eine Lektion protestantischer Glaubenslehre, die – wie in den moralités polémiques à tendance protestante üblich – wiederum in dem Ratschlag kulminiert »Savoir te faut par l’Escriture / Comment l’humaine creature / Obtient salut par Iesus-Christ«.457 Die conversio des Marchant manifestiert sich entsprechend in dessen Bitte um Unterweisung in angemessener Bibellektüre: »Ie vous pry’ donc, de cest escrit / Donnez-moy vraye intelli­gence«458. Bekräftigt wird seine Umkehr zudem durch die Tatsache, dass der nunmehr verstorbene Marchant, im Gegensatz zu den Anhängern der »fausse doctrine«459, sich keinesfalls scheut, vor Gottes Richterstuhl zu treten und dann als einziger von Christus eingeladen wird, ihm in den Ort zu folgen »ou toute joye abonde460«, während Prince, Cordelier und Evesque sich Satan anschließen müssen.461 Damit erhält das Phänomen conversio, das ja bereits im von Crespin gewählten Titel anklingt, nicht nur eine deutliche konfessionelle Konnotation, die Zugehörigkeit zur ›alten‹ oder ›neuen‹, das heißt protestantischen Kirche, erfährt erneut auch moralische Bewertung. Wie aufgezeigt, entsprechen die im religiösen Drama vermittelten Konzepte von conversio im Sinne einer Umkehr zu einem gottgefälligen Leben weitgehend denjenigen der anderen Bereiche.462 Neu ist hingegen die mehr oder weniger explizite Übertragung des überkommenen Prinzips conversio auf konfessionelle Belange. Vergleichbare Mechanismen waren zwar auch im Marchant, II, 4. Kirchmeyer / Crespin, Marchant, III, 2. 457  Kirchmeyer / Crespin, Marchant, III, 2. 458  Kirchmeyer / Crespin, Marchant, III, 2. 459  Cf. dazu auch Kirchmeyer / Crespin, Marchant / Prologue, 6, »Regardez bien que la fausse doctrine / Amene fin autre que la divine / Ecoutez donc, & prestez audience«. 460  Kirchmeyer / Crespin, Marchant, V, 3. 461  Kirchmeyer / Crespin, Marchant, V, 3. 462  Der auffälligste Unterschied ist wohl chronologischer Natur: Während nämlich im Rahmen der Bildkunst zunächst die unbedingte Barmherzigkeit Gottes gegenüber jedem Sünder im Vordergrund stand, die Notwendigkeit des Einsatzes seitens der Gläubigen erst im Gefolge des Tridentinum herausgestellt und vermehrt ikonographisch umgesetzt wurde, hatte Michel ebenso wie mancher anonymer Verfasser einer moralité religieuse schon früh das Mittun der Gläubigen gefordert – aber auch deutlich gemacht, dass conversio nicht für jeden und nicht jederzeit möglich ist, wenn die entsprechende Disposition fehlt. Die Gründe für diese zeitliche Verschiebung müssen hier nicht diskutiert werden, sie ergeben sich unter anderem aus der Entwicklung der Bildkunst per se im 16. Jahrhundert, cf. Wetzel, Stilgeschichte III, passim, besonders 120s. 455  Kirchmeyer / Crespin, 456  Cf.

158 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

Bereich der Bildkunst festgestellt worden, allerdings erst gut ein halbes Jahrhundert später und weitaus weniger offensichtlich als in den hier betrachteten Theaterstücken von Marguerite de Navarre, Malingre oder Kirchmeyer bzw. Crespin. Eine mögliche Erklärung für diese Neuerung gerade im Bereich des religiösen Dramas mag dessen bereits angesprochene Rezeption auf freiwilliger Basis sein: Wer sich zum Besuch einer Theateraufführung entschloss, hatte von dem jeweiligen Autor und der von ihm vertretenen Lehre schon gehört, war gar bereits Mitglied bestimmer Kreise, suchte vielleicht weniger Erbauung oder Zerstreuung denn Unterstützung in seiner Situation als Verfolgter. Oder er war noch unentschieden und hoffte auf eine überzeugende Botschaft. In jedem Fall lud ein auf solche Weise zusammengesetztes Publikum weitaus mehr dazu ein, in konfessioneller Hinsicht Stellung zu beziehen, als eine Schar sonntäglicher Kirchgänger, die sich über das Für und Wider der einen oder anderen Richtung bis dato wenig Gedanken gemacht hatte, da sie sich mit dieser Frage bisher nicht konfrontiert sah.463

e) … in anderen Bereichen der litterae War es bisher möglich, die Formen des Aufrufs zur conversio ebenso wie dessen potentielle Empfänger aus dem Quellenmaterial sowie den Ergebnissen milieuhistorischer Forschung herauszulesen, ergibt sich in Bezug auf die Gestaltung des Appells und dessen Aufnahme in den anderen Bereichen der litterae ein zweifaches Dilemma. Dies besteht seitens der ›Sender‹ aus einer unübersehbaren Fülle, seitens der Rezipienten aus einer großen Unsicherheit hinsichtlich deren Lesegewohnheiten, da gesicherte Belege weitgehend fehlen. Nun mag man einwenden, dass es auch hinsichtlich Predigt, Kirchenmusik, Bildkunst und Drama andere als die im Rahmen der Studie bearbeiteten Zeugnisse gegeben hätte. Bei näherem Hinsehen wird allerdings deutlich, dass in den ersten beiden Gebieten die Auswahl der Beispiele an die überlieferten liturgischen Richtlinien gebunden war. Im Abschnitt II.1.c) wäre es zwar möglich gewesen, auf andere Abbildungen von Maria Magdalena, Paulus usw. zurückzugreifen, dies hätte aber an der herauszuarbeitenden Botschaft wenig geändert. War es aber hinsichtlich des religiösen Dramas, das ja wie die gedruckte Predigt, gleichfalls zu den litterae gehört, denkbar, die Auswahl von den historisch überlieferten Aufführungsdaten und dem daraus ablesbaren Bekanntheitsgrad der Stücke, abhängig zu machen, fällt diese Möglichkeit in anderen Bereichen der litterae aus. Auch beschränkte 463  Dabei sei jedoch angemerkt, dass man zumindest in der hier betrachteten Frühzeit deutlich davor zurückschreckte, église oder temple zu einem Ort religiöser Polemik werden zu lassen.

e) … in anderen Bereichen der litterae159



sich das religiöse Theater auf einige wenige Formen, sodass es möglich war, aus den einzelnen Kategorien jeweils ein repräsentatives Stück auszuwählen. All dies ist im zu betrachtenden Bereich schwerlich möglich, weil er sich kaum eingrenzen lässt. Wie Michel Zink in seiner Studie zu Poésie et conversion im Mittelalter eindrücklich nachgewiesen hat, war conversio »ce vers quoi doit tendre toute vie. Non pas, bien entendu, la conversion d’une religion à une autre, mais le mouvement par lequel l’âme se tourne vers Dieu«464 und zwar – wie sich aufgrund der bisher angestellten Überlegungen feststellen lässt – zum Teil bis weit ins 16. Jahrhundert hinein. Und nicht nur das: Die litterae galten auch bis dahin als selbstverständliches Forum für einen Aufruf zur conversio außerhalb der Liturgie, die Beschäftigung mit profanen Themen und deren Verarbeitung verlangten hingegen eine gesonderte Rechtfertigung.465 Wenn man zudem bedenkt, dass beispielsweise die Divina Commedia, bei der man heutzutage geneigt ist, sie als zeitkritisches Dokument oder Jenseitsreise zu lesen, als Bericht über eine gelungene conversio rezipiert wurde,466 wird deutlich, Zink, Poésie et conversion au Moyen Âge. Paris: PUF 2003, 5. seither in der Forschung als ›Apologie der heidnischen Dichtung‹ bezeichnete Verteidigungsschrift mit damals weitreichender Wirkung verfasste beispielsweise Giovanni Boccaccio und fügte sie seinen Genealogie deorum gentilium an, in denen er in enzyklopädischer Manier den griechischen und römischen Götterhimmel erklärte. In Buch XIV (Abschnitt II–V) verteidigt er poetica gegenüber den fiktiven Vorwürfen einiger Zeitgenossen, darunter Theologen, Juristen, Ärzte, Grammatiker, die traditionell die Dichtkunst verurteilen und konfrontiert sie mit ihren Vorwürfen um diese im Rahmen seines Werks zu entkräften; cf. Giovanni Boccaccio, Genealogie deorum gentilium. A cura di Vittorio Zaccaria, in: idem, Tutte le opere di Giovanni Boccaccio VIII (Genealogie deorum gentilium, De montibus, silvis, fontibus, lacubus, fluminibus, stagnis seu paludibus, et de diversis nominibus maris). A cura di Vittore Branca. 8 vols.  Mailand: Mondadori 1998, 44–1606, passim. Zur Rezeption der Schrift cf. die Ausführungen bei Brigitte Hege zu (Giovanni Boccaccio): Boccaccios Apologie der heidnischen Dichtung in der ›Genealogia deorum gentilium‹. Buch XIV: Text, Übersetzung, Kommentar und Abhandlung von Brigitte Hege. Tübingen: Stauffenburg 1997, 190ss. 466  Cf. beispielhaft John Freccero, »The prologue scene«, in: idem, Dante. The poetics of Conversion. Edited and with an introduction by Rachel Jacoff. Cambridge / Massachusetts, London: Harvard University Press 1986, 3–28, passim sowie die Erläuterung in der »Introduction« von Rachel Jacoff, »Virgil tells Dante that he must ›go another way‹ leading him into the complex infernal itinerary that figures the death of the self necessary for a true conversion; […] Conversion is the central organizing principle and preoccupation of these essays – conversion understood both as religious experience and as poetique structure« (eadem, Introduction, in: ibid., IX–XVI, hier XII); dazu Zink, Poésie, 306: »Tout est contenu dans l’œuvre de Dante, elle est la perfection d’une poésie servante de la conversion«. Curtius zeichnete den topos vom peota theologus, der mit der Vorstellung von litterae als Ort für den Aufruf zur conversio eng verknüpft ist, unter anderem mit Rekurs auf Dante 464  Michel 465  Eine

160 1. Conversio ubique praesens: Konzepte von conversio

dass eine Bestimmung der Werke, die im 16. Jahrhundert die Vorstellung von conversio beinflusst haben, ohne Informationen über deren Rezeption nicht gelingen kann. Entsprechendes Belegmaterial ist aber, wie angedeutet, kaum vorhanden. Denn anders als bei den anderen betrachteten Bereichen, lässt sich in Bezug auf beispielsweise religiöse Dichtung und Meditationsliteratur bis ins 16. Jahrhundert kaum nachvollziehen, inwieweit die Menschen tatsächlich damit in Berührung kamen. Während nämlich der sonntägliche Kirchgang selbstverständlich zum Leben dazugehörte, relativ einfach realisierbar und kostenfrei war, bedurfte es für die Lektüre entsprechender Texte, wie für den Besuch von Theaterstücken auch, deutlich größerer Anstrengungen. War mit der Teilnahme an letzteren noch ein gewisses Prestige verbunden, fand die Lektüre anderer Werke meist hinter geschlossenen Türen statt, sodass deren Rezeption tatsächlich nur der eigenen Erbauung diente. Dass entsprechende Praktiken existierten, scheint gewiss, allerdings liegen entsprechende Belege vorrangig für Lesekreise vor, mit denen man in höheren Gesellschaftsschichten versuchte, die Schwierigkeit der illiterati zu kompensieren.467 Offen bleibt die Frage, was in diesem Rahmen gelesen wurde. Bei einem Blick in die Inventarlisten der Bibliotheken entsprechender Haushalte oder in Nachlassverzeichnisse wird sehr deutlich, dass Werke zu im weitesten Sinne religiösen Themen zwar in großen Mengen vorhanden waren, ob diese aber entsprechend genutzt wurden, bleibt zweifelhaft.468 Vielmehr waren Bücher Prestigeobjekte, nicht nur weil eine wohlgefüllte Bibliotkek den Eindruck von Gelehrsamkeit vermittelte, sondern auch, weil sie von der Prosperität eines Hauses bzw. einer Familie kündeten. Über die tatsächlichen Lesegewohnheiten scheinen die Werke in den Regalreihen wenig auszusagen: So hat man beispielsweise bei einer Untersuchung über den Buchbesitz in Metz in den Bibliotheken überzeugter Protestanten zahlreiche hagiographische Werke aufgespürt – sie waren wohl durch eine Erbschaft ins Haus gelangt!469 Konkrete Angaben über Kauf- und Lesegewohnheiten lassen sich wohl erst für die letzten Jahrzehnte des 16. sowie für das 17. Jahrhundert machen – und damit genau für die Periode, in der in zeitlicher Parallelität zur Entwicklung der literarischen Form Konversionsschrift, conversio auf tranach; cf. Ernst Robert Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. Bern, München: Francke 61967, 226ss. 467  Cf. Roger Chartier, »La culture de l’imprimé«; in: idem (dir.), Les usages de l’imprimé. XVe–XIXe siècle. Paris: Fayard 1987, 7–18, hier 18. 468  Cf. Chartier, Culture, in: idem, Usages, 16, 18: »le livre fait pour être lu ne l’est pas toujours«, ähnlich Benedict, Faith, 156: »Conversely, mere possession of a book was no guarantee that the owner had read it«. 469  Cf. Benedict, Faith, 155 sowie ausführlich 172–190, mit weiteren Beispielen.

e) … in anderen Bereichen der litterae161



ditionelle Art, das heißt im Sinne einer Umkehr zu einem gottgefälligen Leben in den litterae thematisiert wurde. Um dieser Gegenüberstellung nicht vorzugreifen, wird hier auf eine Auseinandersetzung mit den Konzepten von conversio in der Erbauungs- und Meditationsliteratur dieser Jahre verzichtet.470 In Vorbereitung auf die in Kapitel 3. zu erarbeitenden Entstehungsbedingungen der literarischen Form Konversionschrift seien im Folgenden deren ideelle Voraussetzungen beleuchtet.

470  Cf.

dazu infra, Kapitel 5.

2. Sujets hérétiques ou ›brebis égarées‹? Car il vaut mieux qu’un homme innocent meure Cruellement, pour estre exemple à tous Que cest erreur plus longuement demeure, Par qui noz loiz vont sens dessus dessoubz Si l’homme meurt innocent, simple et doulx, Bien heureulx est: au ciel trouvvera place. S’il est maulvais, soustenir pouvons nous Qu’en le faisant mourir, on lui faict grace1

Gleichgültig gegenüber dem Tod eines Menschen, auf den eigenen Vorteil bedacht und selbstgerecht: so etwa könnte man die Haltung des Inquisiteur zusammenfassen, jener bereits bekannten Figur aus dem gleichnamigen Theaterstück von Marguerite de Navarre. Die letzte Verszeile lässt zudem erneut an die Aussage des ›altgläubigen‹ Spaniers denken, der im Gedicht von Meyer seinen Bruder tötet, um dessen Übertritt in die ›ketzerische‹ Glaubensgemeinschaft zu verhindern und damit dessen Seelenheil zu bewahren.2 Mögen beide Figuren auch ihrem jeweiligen fiktionalen Rahmen verhaftet sein, die historischen Gegebenheiten der ersten Jahrzehnte des de Navarre, Théâtre / L‘Inquisiteur, vv. 33–40. den bereits zitierten Schlussvers der Spanischen Brüder »Noch starbest als ein Christ du jetzt« (Meyer, Gedichte / Die spanischen Brüder, v. 52). Die hier wie in vv. 39 / 40 des Inquisiteur illustrierte Vorstellung, dem Häretiker durch seinen Tod etwas Gutes zu tun, war weit verbreitet. Im 17. Jahrhundert wurde die physische Zerstörung des Häretikers aufgrund der veränderten politischen Bedingungen (cf. infra, Kapitel 3.b)aa)) weitgehend durch dessen Zwangskonversion ersetzt. Zur zeitgenössischen Auffassung derartiger Formen der contrainte salutaire cf. infra, 178, n. 57). Durch die Aufforderung »Ertränk in Wein die Ketzerei« (Meyer, Gedichte / Die spanischen Brüder, v. 16) wird die Haltung des Bruders zudem eindeutig als ›häretisch‹ gekennzeichnet. Der Begriff »Häresie« sowie seine aus dem mittellateinischen haeresis (auch heresis) hervorgegangenen romanischen Entsprechungen (zum Beispiel frz. hérésie, ital. eresia, port. heresia) und deren Derivationen basieren etymologisch auf gr. αἵρεσιϚ = Wahl, Neigung, Entscheidung. Der deutsche Begriff »Ketzer« geht zurück auf mhd. »kether«. Ursprünglich nur zur Bezeichnung einer bestimmten Gruppe von Häretikern, nämlich der bereits erwähnten im 12. und 13. Jahrhundert verbreiteten Katharer, wurde der Begriff bald anthonomasisch für alle christlichen Irrlehren verwendet und damit zum (allgemeinsprachlichen) Synomym von Häretiker (Für die Derivate beider Wörter gilt entsprechendes), cf. Kluge, Etymologisches Wörterbuch sowie Rey, Dictionnaire historique, Lemmata: Häresie, Ketzer, hérésie. 1  Marguerite 2  Cf.

2. Sujet hérétiques ou ›brebis égarées‹?163

16. Jahrhunderts spiegeln sich in ihren Aussagen sehr genau wider: Von den Vertretern der ihre Vermittlung als heilsnotwendig3 betrachtenden ›alten Kirche‹ wurden die Anhänger der Reformation nämlich als Bedrohung empfunden: Nicht nur weil sie die etablierte geistliche und weltliche Ordnung völlig durcheinanderbrachten – »noz loiz vont sens dessus dessoubz« – sondern vor allem, weil sie ihr, anders als bisherige Dissidenten, schon recht bald eine eigene funktionierende und keinesfalls provisorische Ordnung an die Seite stellten.4 Um der Gefahr entgegenzutreten und die Ausbreitung von »cest erreur« zu vermeiden, sahen sich weltliche und geistliche Macht gezwungen, Gewalt anzuwenden, als Strafe für die einen und Abschreckung für die anderen: »Car il vaut mieux qu’un homme innocent meure / Cruellement pour estre exemple à tous«. Mag es dem christliches Ökumenestreben gewohnten Leser unserer Tage auch seltsam vorkommen: Im 16. Jahrhundert waren in den Augen von ›Altgläubigen‹ wie Protestanten die Anhänger der jeweils anderen Richtung Häretiker und damit Leute, vor denen man sich in Acht nehmen musste. Aufgrund ihrer jahrhundertelangen gemeinsamen christlichen Tradition bezogen beide Parteien die Kriterien zur Begriffsbestimmung von Häresie und Häretiker ebenso wie die Ratschläge zu einem angemessenen Umgang mit diesen – allerdings mehr oder weniger direkt – zunächst aus den gleichen Quellen. Zu diesen gehörten neben der Apostelgeschichte und den neutestamentlichen Briefen einschlägige Passagen aus den Werken der Kirchenväter, vor allem von Augustinus. Man griff also grundsätzlich auf Texte zurück, die in den Jahrhunderten der Bewährung des Christentums und damit auch der Abgrenzung von Häresien entstanden waren. Vergleichbares gilt – im Bereich der ›alten Kirche‹ – beispielsweise für die entsprechenden Constitutiones des vierten Laterankonzils 1215 sowie für die jeweiligen Abschnitte der Summa Theologiae von Thomas von Aquin: Entwickelt unter dem Eindruck verschiedener Lehrkontroversen sowie des zeitweiligen Erfolgs häretischer Bewegungen wurden diese Texte gleichfalls als Referenz herangezogen.5 3  Zu diesem Anspruch der ›alten Kirche‹, manifest im Axiom »extra ecclesiam nulla salus« cf. supra, Kapitel 1.d) sowie infra, Kapitel 4.a). 4  Cf. dazu Jacques Le Brun, »La notion d’hérésie à la fin du XVIIe siècle: La controverse Leibniz-Bossuet«, in: idem, La jouissance et le trouble. Recherches sur la littérature chrétienne de l’âge classique. Genf: Droz 2004, 137–160, hier 140: »En effet la grande nouveauté du XVIe siècle est de présenter l’exemple d’une hérésie qui a ›réussi‹, au sens politique et sociologique, qui s’est constituée en ›confessions‹, puis en Eglises«. Im Moment der entsetzten Worte von Inquisiteur und spanischem Bruder lag die confessio der Lutheraner im deutschen Sprachraum schon einige Jahre zurück, die Einrichtung von Eglises réformées war in vollem Gange. 5  Cf. Wohlmuth, Dekrete II / concilium Lateranense IV – constitutiones I. De fide catholica und III. De haereticis. Zu weiteren Referenztexten, die beiden Seiten

164 2. Sujet hérétiques ou ›brebis égarées‹?

Den überkommenen Aussagen zufolge ist ein Häretiker an drei wesentlichen Merkmalen zu erkennen: am Verfolgen einer ›falschen‹, also den von Christus und den Aposteln etablierten Inhalten zuwiderlaufenden Lehre; am hartnäckigen Festhalten an eben dieser Irrlehre sowie an deren konsequenter Verbreitung. Gerade dieser letztgenannte Aspekt machte den Ketzer zu einer riskanten Person, zog er doch mit der Streuung der Irrlehre andere Gläubige an seine Seite – und brachte damit neben dem eigenen auch deren Seelenheil in Gefahr. Da es zwischen den so entstehenden Parteiungen jederzeit zu Konflikten kommen konnte, sah man im Häretiker stets auch einen potentiellen Unruhestifter, was ihn wiederum zum Gegenstand des Anstosses auch für die weltliche Obrigkeit machte. Die Bezeichnung von religiösen Abweichlern als Häretiker ist bereits in den Gründungsjahren des Christentums nachweiswar: So wurde beispielsweise Paulus von den Juden als »Rädelsführer der Nazoräersekte« tituliert: »πρωτοστάτη τε τ Ϛ t ν Ναζωραίων αἱρεσεωϚ«,6 er selbst bediente sich des Begriffs »αἵρεσις« gleichfalls in Abgrenzung von den Juden7 aber auch in Bezug auf innerchristliche Parteiungen.8 Ein vergleichbarer Umgang ist auch im über weite Strecken als Warnung vor Irrlehrern konzipierten zweiten Petrusbrief feststellbar, dessen Grundgedanken in der Literatur der Kirchenväter mannigfachen Widerhall finden sollten.9 Auch das zweite Ketzermerkmal hat zunächst biblische Wurzeln: Wenn nämlich Paulus seinem Begleiter Titus empfiehlt, einen »Sektierer / αἵρετικος« zu meiden, nachdem man ihn »einmal und ein zweites Mal ermahnt hat«10, lässt sich dies durchaus als Hinweis auf konsequentes Beharren auf einer vertretenen Irrlehre deuten. Vor solcherart pertinacia bei Häretikern warnte auch Augustinus: »Sed qui sententiam suam quamvis falsam atque perverzur Bestimmung von Häresien dienten, cf. zum Beispiel Müller, TRE, Lemma: Häresie, II, 3 / 4. Die Konzilsväter von Trient gaben im Rahmen der Konzilsöffnung an, »ad extirpationem haeresum« zusammengekommen zu sein (Wohlmuth, Dekrete III / concilium Tridentinum, sessio I – Decretum de inchoando concilio), sprechen sich aber explizit nur gegen die protestantische Rechtfertigungslehre aus (cf. ibid., sessio VI – Decretum de iustificatione, caput 9: »Contra inanem haereticorum induciam«) und verweisen bezüglich der Begriffsbestimmung von »Häresie« auf die constitutiones von Lateran IV (cf. ibid.). 6  Apg 24, 5. Zitiert nach Novum testamentum Graece et Latine. Testum Graecum post Eberhard Nestle et Erwin Nestle communiter ediderunt Kurt Aland e. a. Textus Latinus Novae Vulgatae Bibliorum Sacrorum Editioni debetur. Utriusque textus apparatum criticum recensuerunt et editionem novis curis elaboraverunt Kurt et Barbara Aland. Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft 261984. 7  Cf. Apg 24, 14. 8  Cf. 1 Kor 11, 19. 9  Cf. vor allem 2. Petr 2, 1–22, dazu Müller, TRE, Lemma: Häresie, II, 3.3. 10  Tit 3, 10.

2. Sujet hérétiques ou ›brebis égarées‹?165

sam nulla pertinaci animositate defendunt […] ipsum haereticum quamlibet […] pervicacia malae contentionis insanum«.11 Mit Rekurs auf die zitierte Passage aus dem Titusbrief diskutierte schließlich Thomas von Aquin »si adhuc pertinax inveniatur, Ecclesia, de eius conversione non sperare, aliorum saluti providere debuisset?«12 und kennzeichnet den Häretiker damit gleichfalls als pertinax. Mit dem Hinweis auf die notwendige Sorge um das Heil der anderen spielte er bereits auf das dritte Hauptkriterium zur Bestimmung eines Ketzers an: die Verbreitung der Irrlehre. Als problematisch galt aber nicht nur deren Streuung per se. Schon der Verfasser des bereits erwähnten zweiten Petrusbriefs monierte die von den Häretikern angewandte Methode: »In ihrer Habgier werden sie euch mit verlogenen Worten zu kaufen versuchen«.13 Vergleichbare Vorwürfe erhob auch Augustinus, so beispielsweise gegen die ›verführerischen‹ Aussagen, mit denen Kinder von ihren häretischen Eltern auf ihre Seite gezogen werden: »praesertim quam non audacia praesumptionis suae peperunt, sed a seductis atque in errorem lapsis parentibus acceperunt«.14 Die Möglichkeit, Mitglieder der christlichen Gemeinde aufgrund der von ihnen vertretenen ganz oder teilweise von der anerkannten Lehre abweichenden Aussagen der Häresie zu bezichtigen, war also von jeher angelegt und wurde von Autoren wie Augustinus oder Thomas von Aquin nunmehr bestätigt. Sowohl die vom Bischof von Hippo verworfenenen Donatisten und Pelagianer als auch die vom Aquinaten gebrandmarkten Katharer beriefen sich nämlich trotz aller Widersprüche auf christliches Erbe, hielten also zumindest in ihren Augen an einigen Aspekten der christlichen Lehre durchaus fest. Inwieweit entsprachen nun die Anhänger reformatorischen Gedankenguts einerseits, der ›alten Kirche‹ andererseits den angeführten Ketzerkriterien, 11  Aurelius Augustinus, epistula XLIII, in: idem, Sancti Aurelii Augustini, Epistulae I–LV. Cura et studio Klaus Detlef Daur. Turnhout: Brepols 2004. Weitere augustinische Aussagen zu diesem Themenbereich finden sich vorrangig in De civitate Dei, De utilitate credendi sowie anderen Briefen. 12  St. Thomas Aquinas, Summa Theologiae. vol. 32 (2a2ae, 8–16) Latin text, English translation, Introduction, Notes and Glossary Thomas Gilby OP. Cambridge, New York e. a.: Cambridge University Press 22006, hier q. II, art. 3, res., Syntaxund Modusanpassung von mir, im Original: »Postmodum vero, si adhuc pertinax inveniatur, Ecclesia, de eius conversione non sperans, aliorum saluti providet«. 13  2. Petr 2, 3. 14  Augustinus, epistula XLIII, in: idem, Epistulae. Der Vorwurf, ihre ketzerische Lehre mit unlauteren, i. e. heimlichen und hinterlistigen Methoden zu verbreiten, wird auch in der Debatte um die ›Ketzerei‹ der Protestanten eine wichtige Rolle spielen.

166 2. Sujet hérétiques ou ›brebis égarées‹?

waren sie also – fern von jeder Polemik – nach damals gängigen Vorstellungen mit ›Fug und Recht‹ als Häretiker zu bezeichnen? Hinsichtlich des hartnäckigen Festhaltens an einer ›Irrlehre‹, sowie der Streuung eben dieser Lehre, lässt sich die Frage problemlos beantworten und auf jeden Fall bejahen – anderenfalls wäre es nämlich nicht zur Ausbildung von Konfessionskirchen gekommen. Dabei ist in Bezug auf den Aspekt der Verbreitung der Lehre allerdings nur der Vorgang per se zu konstatieren, eventuelle Vorwürfe gegenüber den angewandten Methoden fallen eher in den Bereich der Polemik. Schwierig ist zudem eine objektive Bewertung des Kriteriums der ›falschen‹ Lehre. Festzuhalten bleibt zunächst, dass die Verurteilung einer Lehre als ›falsch‹ notwendig die Existenz einer ›richtigen‹ voraussetzt, die in ausformulierter und allgemein anerkannter Form vorliegt und somit als Maßstab dienen kann. Die christliche Kirche verfügte über eine solche in Form des Nicaenum bzw. Nicaeno-Constantinopolitanum. Anders als frühchristliche oder mittelalterliche Häretiker, wie die bereits mehrfach erwähnten Katharer oder die von Augustinus bekämpften Ketzergemeinschaften, standen aber weder Protestanten noch ›Altgläubige‹ im offenen Widerspruch zum Credo, sondern beriefen sich im Gegenteil explizit auf diese Texte. Zusammen mit Dekalog und Vater unser gehören sie zu den christlichen Grundlagentexten, die den Gläubigen nicht nur im Rahmen der Taufkatechese, später in gedruckten Katechismen gewissermaßen als Zusammenfassung des christlichen Glaubens vermittelt wurden,15 sondern auch selbstverständlicher Teil des christlichen Gottesdienstes waren. Vor dem skizzierten Hintergrund war es zunächst nur mit deutlichem Rekurs auf die Etymologie des Häresiebegriffs möglich,16 die Anhänger der 15  Cf. dazu Kasper, LThK, Lemmata: Glaubensbekenntnis, Katechismus. Der Kleine Katechismus (1529) Martin Luthers, Calvins Instruction et Confession de foi und der von Carlo Borromeo beeinflusste Catechismus ex decreto Concilii Tridentini ad Parochos (1566) – um einige Beispiele zu nennen – weisen eine thematische Ordnung entsprechend dieser Texte auf. 16  Dass man sich im 17. Jahrhundert der Etymologie des Begriffs ebenso bewusst war, wie der Tatsache, dass der zeitgenössische Gebrauch des Wortes der ursprünglichen Bedeutung kaum mehr entsprach, sondern die französischen Verhältnisse widerspiegelt, beweist zum Beispiel der Eintrag »hérésie« im von Antoine Furetière herausgegebenen Dictionaire universel contenant generalement tous les mots francois tant vieux que modernes et les Termes de toutes les sciences et des Arts (Den Haag, Rotterdam: Leers 1690): »Heresie, s. f. Erreur en la Foy Chrestienne, Toutes les doctrines qu’on avance contre les decisions de l’Eglise catholique & des Conciles sont de vrayes heresies. Ce mot vient du verbe Grec, haireomai, eligo, je choisis. Suivant cette étymologie ce mot est du nombre de ceux qui tiennent le milieu, & qui peuvent se prendre en bonne & en mauvaise part. Cependant, l’usage a tellement prevalu, que par le mot heresie on n’entend plus autre chose qu’une attache opiniastre à une proposition erronée & condamnée«. Eine vergleichbare Perspektivierung wie im Dictionnaire von Furetière lässt sich im etwa zeit-

2. Sujet hérétiques ou ›brebis égarées‹?167

jeweils anderen Seite als Ketzer zu bezeichnen, als Personen also, die sich entschieden haben, neben vielen ›richtigen‹ christlichen Glaubenssätzen auch einigen ›falschen‹ zu folgen. Aus Sicht der ›alten Kirche‹ gehörte beispielsweise der Glaube an die göttliche Trinität und an Christi Tod und Auferstehung zum Heil der Menschen zu den ›richtigen‹; die von den Protestanten vertretene ›Rechtfertigungslehre‹ ebenso wie das sola scripturaPrinzip und damit verbunden die Ablehnung der Tradition als gleichwertige Autorität zu den von diesen gewählten ›falschen‹ Glaubenssätzen. Aus protestantischer Perspektive sind die ›richtigen‹ Artikel notwendig identisch mit denjenigen der Gegenseite, als ›falsche‹ Entscheidung wurden vor allem die sogenannte ›Werkgerechtigkeit‹ sowie die Institution des Papstamts und die damit verbundene kirchliche Organisation einschließlich der ihren Verantwortlichen zugeschriebenen Befugnisse im geistlichen wie weltlichen Bereich eingestuft. Die ›alte Kirche‹ konnte aufgrund ihrer bereits bestehenden institutionellen Ordnung recht schnell auf die geänderten Verhältnisse reagieren und tat dies beispielsweise mit den schon erwähnten 25 articles de foi, die 1525 verfasst und 1543 von François I zum Maßstab des orthodoxen Glaubens der römischen Kirche erhoben worden waren.17 Nach Ende des Tridentinum wurde dieser Text allerdings funktionell durch die von Papst Pius IV erlassene Bulle Iniunctum nobis (1564), abgelöst. Deren Text, der als Trienter Glaubensbekenntnis bzw. Profession de foi imposée par Pie IV in die Geschichte einging, enthält, anders als die 25 articles de foi, keine explizite Papstgehorsamsformel, weshalb man ihr im gallikan gesinnten Frankreich gerne den Vorzug gab.18 gleich erschienenen Dictionnaire de l‘Académie française (1694) sowie in demjenigen von Richelet (1680) auch für die Lemmata hérésiarque und hérétique nachweisen. 17  Cf. Peter Hünermann (ed.), Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen. Verbessert, erweitert, ins Deutsche übertragen und unter Mitarbeit von Helmut Hoping. Freiburg im Breisgau e. a.: Herder: 381999, n. 1862, Überschrift; Carl Joseph Hefele (ed.), Histoire des conciles. D’après les documents originaux, traduite en français avec des notes critiques et bibliographiques par Henri Leclercq. vol. X. Hildesheim, New York: Olms 1973, livre LIX (décrets du concile sous Pie IV), 638–641, hier 638, Überschrift. 18  Cf. hingegen art. 23 der 25 articles de foi, in: Jourdain / Isambert, Recueil, vol. XII. n. 367, cf. dazu Thierry Wanegfellen, »Se convertir ou abjurer? Indices de la construction confessionelle dans les cérémonies d’adhésion aux Eglises réformées et catholique en France au XVIe siècle«, in: Marie-Madeleine Fragonard / Michel Peronnet (ed.), Catéchismes et confessions de foi. Actes du XIIIe colloque du Centre d’histoire des réformés et du protestantisme de l’Université de Montpellier. Montpellier: Université Paul Valéry 1995, 65–93 (+ débat, 93–97), hier 76. Zur Funktion des Textes als formule d’abjuration cf. infra, Kapitel 3.a).

168 2. Sujet hérétiques ou ›brebis égarées‹?

Die protestantischen Kirchen zogen mit ihren jeweiligen Bekenntnisschriften, in denen sie die Maximen des neuen Glaubens über die christlichen Wahrheiten hinaus festschrieben, entsprechend nach und schufen damit ihrerseits eine rechtliche Grundlage für die Kennzeichnung bestimmter Glaubenssätze als häretisch. Die Confession de foi réformée, dite de La Rochelle von 1559 enthält dementsprechend einen Rejet de fausses doctrines: Puisque Jésus-Christ nous a été donné pour seul Avocat et nous a ordonné de nous adresser directement à son Père en son Nom, et puisqu’il ne nous est permis de prier qu’en nous conformant à la manière que Dieu nous a prescrite dans sa Parole: Nous croyons que tout ce que les hommes ont inventé quant à l’intercession des saints trépassés n’est qu’abus et ruse de Satan pour les détourner de la manière de bien prier. Nous rejetons aussi tous les autres moyens que les hommes présument avoir pour se racheter envers Dieu, parce qu’ils discréditent le sacrifice de la mort et de la passion de Jésus-Christ. Enfin, nous considérons le purgatoire comme une erreur provenant de cette même boutique, d’où découlent aussi les vœux monastiques, les pèlerinages, l’interdiction de se marier et de consommer certains aliments, l’observation cérémonieuse des jours, la confession auriculaire, les indulgences et toutes choses semblables, par lesquelles on pense mériter la grâce et le salut. Toutes ces choses, nous les rejetons non seulement à cause de l’idée mensongère de mérite qui y est attachée, mais aussi parce qu’elles sont des inventions humaines qui imposent un joug à nos consciences19

Es wäre jedoch falsch, aus der zeitlichen Verzögerung, mit der seitens der französischen Eglises réformées eine allgemein anerkannte Confession de foi verfasst wurde, auf eine eventuelle Zurückhaltung hinsichtlich der (polemischen) Verurteilung ketzerisch anmutender Praktiken zu schließen. Tatsächlich standen sich wohl die Verantwortlichen beider Seiten beim Zeichnen eines negativen, ja abschreckenden Häretikerbilds im 16. Jahrhundert in nichts nach. Eine der besten Illustrationen der Vorstellungen, die seit jeher an die Figur des Ketzers geknüpft waren, und die im Zeitalter von Reformation und Konfessionalisierung von der Kanzel wie in theologischem Traktat, Theaterstück und Gesetzblatt verkündet und damit an die Bevölkerung weitergegeben wurden, bietet wohl die von Cesare Ripa (i. e. Giovanni Campani) in seine Iconologia aufgenommene donna Heresia. Wie der Sammler und Autor im Proemio seines erstmals 1593 veröffentlichten Werkes schreibt, stellte er die »immagini fatte per significare una diversa cosa da quella, che si vede con l’occhio«20 nämlich auf der Grundlage an19  Confession

de foi […], in: Fatio, Confessions, art. 24. Ripa, Iconologia, overo descrittione di diverse imagini cavate dell’antichità, e di propria invenzione. With an introduction by Erna Mandowsky. Hildesheim / New York: Olms 1970, 216 / 217. Das Werk umfasst mehr als 500 Abbildungen von »le virtù, & i vitÿ« dargestellt »con la figura humana« (ibid., proemio, n. p. (eigene Paginierung, 3) und schreibt sich damit in die Tradition der europäischen Emblematik ein (»L’iconologie fait partie de l’emblématique, dans la 20  Cesare

2. Sujet hérétiques ou ›brebis égarées‹?169

tiker Zeugnisse sowie auf der Basis von »proprie inventioni«21 zusammen. Während ihm als antike Quellen die Abbildungen dienten, »che si trovano ne’ Libri, nelle Medaglie, e ne’ Marmi intagliate«22, wurden seine eigenen Erfindungen wohl wesentlich durch die (literarischen) Diskussionen mit Zeitgenossen beeinflusst, die am Hof seines Dienstherrn, Kardinal Salviati sowie im Rahmen der Accademia degli Intronati, der Ripa angehörte, regelmäßig stattfanden. Es lässt sich dementsprechend davon ausgehen, dass bei der Gestaltung der Heresia sowohl antike – und damit beide christlichen Konfessionen betreffende Einflüsse – als auch deren zeitgenössische Anverwandlungen zusammengewirkt haben. An dieser Stelle mag man einwenden, dass die Akademiemitglieder wohl allesamt Anhänger der ›alten Kirche‹ waren, die Iconologia also entsprechend einseitig geprägt sein muss. Tatsächlich lässt sich die Heresia a posterori als Verkörperung der Ansichten und Ängste beider Parteien fassen: Wie sich nämlich herausstellen wird, unterscheiden sich diese nur geringfügig und waren wohl – aufgrund der mésure où elle repose sur la visualisation d’idées abstraites«; Anne-Elisabeth Spica, Symbolique humaniste et emblématique. L’évolution et les genres (1580–1700). Paris: Champion 1996, 305). Grund für die wachsende Beliebtheit von Emblemen als Illustration von Erbauungsbüchern war deren Eigenart, Bild- und Textelemente miteinander zu verknüpfen: Üblicherweise vereinen Embleme unter einem aussagekräftigen Motto (inscriptio) eine graphische Ausgestaltung eben dieses Mottos (pictura) und ausdeutende Texte in prägnanter Kürze (subscriptio), bieten also einerseits deutende Klarheit, durch die oft allegorische Darstellung aber auch ein Maß an interpretatorischer Offenheit, das einen persönlichen Zugang denkbar macht – und damit auch die Möglichkeit, Glaube und Gewissen des Einzelnen zu berühren. Im Bereich der reformierten Kirche entdeckte man Embleme schon früh als unproblematische Alternative zu biblischen Szenen und nahm sich deshalb in besonderer Weise dieser Form an, so beispielsweise in den Quarante Quatre Emblemes Chrestiens von Theodore de Bèze oder den Emblemes, ou devises chrestiennes von Georgette de Montenay (cf. dazu ausführlich Alison Adams, Webs of Allusion. French protestant Emblem books of the sixteenth century. Genf: Droz 2003, passim). Nach anfänglichem Zögern, barg die Nutzung von Emblemen im religiösen Kontext doch die Gefahr als protestantisch beeinflusst zu gelten, bediente sich auch die ›alte Kirche‹ dieser Bild-Text Kombinationen, allerdings vorrangig zur Ausgestaltung der Predigt (cf. dazu beispielhaft Fernando R. De la Flor, »La Imagen del mundo. Emblemática y contrarreforma«, in: Sagrario López Poza (ed.), Florilegio de estudios de emblemética / A florilegium of studies on emblematics. Actas del VI Congreso Internacional de Emblemática de The Society of Emblem Studies / Proceedings of the 6th International Conference The Society of Emblem Studies. A Coruña 2002. Ferrol: Sociedad de Cultura Valle Inclán 2004, 65–77, besonders 65, 67). 21  Ripa, Iconologia, Untertitel. 22  Cf. Spica, Symbolique, 306; Erna Mandowsky / Introduction, in: Ripa, Iconologia, n. p. (eigene Paginierung, 4). Ripa selbst deutet den Einfluss der Zeitgenossen im proemio an: »Tali sono quasi universalmente tutte quelle de gl’ Antichi, e quelle ancora de’ Moderni«, Ripa, Iconologia, n. p. (eigene Paginierung, 4).

170 2. Sujet hérétiques ou ›brebis égarées‹?

gemeinsamen antiken Tradition – auch im ganzen Abendland weitgehend identisch. Ripa präsentiert Heresia »secondo S. Tommasso […], & altri dottori«23 als: una vecchia estenuata di spaventevole aspetto, getterà per la bocca fiamma affumicata, haverà i crini disordinatamente sparsi & irti, il petto scoperto, come quasi tutto il resto del corpo, le mamelle asciutte e assai pendenti, terrà con la sinistra mano un libro succhiuso uscire fuori serpenti, & con la destra mano mostri di spargere varie sorti.24

Bemerkenswert in Hinblick auf die damals gängigen Vorstellungen ist einerseits die sofort ins Auge springende, ausnehmende Hässlichkeit der donna Heresia, andererseits die Präsenz der Schlangen. Interessanterweise werden hier genau die Körperteile der Frau in ihrer Deformierung beschrieben, die traditionell zur Ausgestaltung weiblicher Schönheit und damit verbunden, von Tugendhaftigkeit, herangezogen werden, nämlich Mund, Haar und Busen. Die Darstellung von Heresia als alte, hässliche Frau kennzeichnet sie also – ganz unabhängig von der im Folgenden gelieferten Erklärung einzelner Details25 – als ›vollständig lasterhaft‹26 und damit als ›Wesen‹, das es als Christ in jeder Hinsicht zu vermeiden galt. Unterstützt wird diese Aussage durch die von Heresia mitgeführten Schlangen. Diese gelten als Symbol zum einen für den menschlichen Sündenfall und damit für den anmaßenden Versuch, gottähnlich zu werden und über richtig und falsch urteilen zu können27, zum anderen für Weisheit und eine gewisse Hinterlist, manifest in der lautlosen, fast unmerklichen Art von Schlangen, Iconologia, 216. Iconologia, 216 / 217, cf. Anhang II, ill. 11. 25  Ripa, Iconologia, 216 / 217. Der Sammler liefert in der subscriptio eine detaillierte Erklärung der von ihm gewählten Darstellungsweise. 26  Die durch die graphische Darstellung implizit aufgespannte Opposition von Tugend und Laster wird explizit durch die Formulierung »elle è nuda di ogni virtù« (Ripa, Iconologia, 217) verstärkt. Zur Verbindung von Schönheit und Tugend in der emblematischen Tradition cf. Adams / Webs, 128. Ein vollständig lasterhaftes Wesen steht zudem in offensichtlicher Opposition zu Gott und könnte damit auch mit dem Teufel identifiziert werden. 27  Cf. Gen 3, 4–6, »Daraufhin sagte die Schlange zur Frau: ›Nein, ihr werdet nicht sterben (wenn ihr von den Früchten des Baumes eßt, der in der Mitte des Gartens steht). Gott weiß vielmehr: Sobald ihr davon eßt, gehen euch die Augen auf, ihr werdet wie Gott und erkennt Gut und Böse. Da sah die Frau, dass es köstlich wäre, von dem Baum zu essen, daß der Baum eine Augenweide war und dazu verlockte, klug zu werden‹«. Diese von der Schlange provozierte menschliche Anmaßung ist auch ursächlich für den »errore dell’intelletto«, aus dem wiederum die auch von Ripa erwähnte ostinazione sowie »empie persuasioni« und »rei pensieri« (Ripa, Iconologia, 216 / 217) resultieren, mit denen Heresia gegen die Wahr23  Ripa,

24  Ripa,

2. Sujet hérétiques ou ›brebis égarées‹?171

sich einem Opfer zu nähern und dann ihr tödliches Gift zu spritzen.28 Ripa bedient sich beider Assoziationsrichtungen, um die Vorgehensweise der Häretiker als mit dem Teufel im Bunde29 zu kennzeichnen und die Folgen der Verbreitung der »falsa dottrina & (del)le sentenze più nocive, & abominevoli, che i più velenosi serpenti«30 zu verdeutlichen. Der Vergleich mit den »velenosi serpenti« birgt zudem eines der wohl fruchtbarsten Bilder der Häretikertopik: das Gift. Wie Bernard Dompnier, der für sein Werk zum »image du protestantisme et combat catholique au XVIIe siècle«31 den bezeichnenden Titel Le venin de l’hérésie wählte, im avant propos schreibt, war die Giftmetapher »en effet celle que les clercs préfèrent à toutes les autres lorsqu’ils désirent ramasser en peu de mots leur conception du protestantisme«:32 Pour eux, l’hérésie conduit infalliblement à la mort puisque ces adeptes sont tout promis à la damnation éternelle. Elle agit pernicieusement, comme un vénin, car elle persuade ses victimes qui sont dans la vérité, alors qu’elle leur fait adopter des maximes religieuses et morales contraires au salut. Enfin, par cette image, l’hérésie est rattaché à son véritable père et chef, Satan, comme il prenait l’aspect heit der christlichen Botschaft vorgeht und ihre eigene Lehre verteidigt (cf. ibid., 216 / 217). 28  Entsprechende Eigenschaften werden der Schlange sowohl in der Bibel (cf. beispielsweise Gen 3,1 (Weisheit), Mt 10,16 (List); Dtn 32, 33 (Bosheit)) als auch in der Mythologie zugeschrieben, cf. Müller, TRE, Lemma: Schlange. 29  Diese Verbindung ergibt sich schon aus der Tatsache, dass der Teufel grundsätzlich als Widersacher Gottes verstanden wurde. Zur »invasion démoniaque« (Jean Delumeau, La peur en Occident (XIVe-XVIIe siècles). Une cité assiégée. Paris: Fayard 1978, 233), die seit dem 14. Jahrhundert das Abendland heimsuchte und sich in ikonographischen Abbildungen ebenso wie in der Ausbildung zahlreicher Schutzbräuche niederschlug, cf. ausführlich ibid., 231–249). Es sei daran erinnert, dass sich Luther der Sage nach mit dem Teufel getroffen haben soll, was die Verbindung Teufel-Protestantismus zusätzlich bestärkte. Zur Entwicklung dieser Tradition cf. David El Kenz, Les bûchers du roi. La culture protestante des martyrs (1523–1572). Seyssel: Champ Vallon 1997, 41–44. 30  Ripa, Iconologia, 217. Eines vergleichbaren Bilds bedient er sich auch im letzten Satz der subscriptio: »Il spargere i serpi dinota l’effetto di seminare false operationi« (ibid, 217). Die schleichende, verdeckte Vorgehensweise der Häretiker ebenso wie die von ihnen ausgehende Gefahr wird auch durch das Verb »seminare« illustriert: Genauso wie Sämereien aufgrund des drohenden Verlusts zunächst großzügig verteilt werden und der Sämann den genauen Standort und die endgültige Menge der Pflanzen erst bemerkt, wenn diese bereits zu wachsen beginnen, deren Entfernen dann aber sehr mühsam und selten vollständig gelingt, ist auch die Streuung der false operazioni im Vorhinein schwer einzuschätzen und sind deren Früchte im Nachhinein schwer wieder auszurotten. 31  Dompnier, Venin, Untertitel. Dompnier nimmt jedoch mehrfach auch das 16. Jahrhundert in den Blick, cf. beispielsweise 11; 33s. 32  Dompnier, Venin, avant propos, 5–8, hier 5.

172 2. Sujet hérétiques ou ›brebis égarées‹? du serpent tentateur dans le jardin d’Eden, il multiplie encore les ruses et masque son véritable visage pour mieux perdre les âmes.33

Die Nähe zur Heresia-Darstellung ist hier offensichtlich, das von Dompnier auf der Basis umfangreichen Archivmaterials34 gezeichnete Bild so eindringlich, dass dem Aspekt der gelehrten Häretikerpolemik von seiten der ›alten Kirche‹ an dieser Stelle nichts hinzugefügt werden muss.35 Für den vorliegenden Zusammenhang scheint es vielmehr notwendig, zunächst einen kurzen Blick in die entgegengesetzte Richtung zu werfen – also nach dem image du catholicisme au(x) XVIe (et XVIIe) siècle zu fragen. Anschließend gilt es den praktischen Auswirkungen des Verständnis’ der Vertreter der jeweils anderen Seite als Ketzer sowie möglichen Veränderungen infolge gewandelter politischer Verhältnisse nachzuspüren. Nur auf dieser Grundlage wird es später möglich sein, die Tragweite einer (mehr oder weniger) freiwilligen conversio fassen zu können, konnte diese doch einem Eintritt in eine bis dato als häretisch gebrandmarkte und von den ehemaligen correligionnaires möglicherweise weiterhin als solche empfundene Gemeinschaft gleichkommen. Kann man als Forscher, wie angedeutet, bei der Erarbeitung der gängigen Vorstellungen vom ›häretischen‹ Protestanten aus Sicht der ›Altgläubigen‹ Venin, avant propos, 5 / 6. Dompnier, Venin, avant propos, 5: »Le venin de l’héresie. Ce titre s’est peu à peu imposé de lui-même au cours du travail de préparation de cet ouvrage, à la lecture des documents d’archives et des volumineux traités publiés par les ecclésiastiques du XVIIe siècle«. 35  Zur Orientierung seien lediglich die Hauptakteure des polemischen Feldzugs gegen die Häretiker im späten 16. und 17. Jahrhundert genannt (zumal deren Namen im Kontext der kontroverstheologischen Streitgespräche erneut fallen werden, cf. infra, Kapitel 3.c)), Personen also, deren Texte als Ideenfundgrube für zahlreiche weitere Autoren, aber auch für den Pfarrer bei der Vorbereitung seiner Sonntagspredigt fungierten (cf. Dompnier, Venin, 34). Einer der einflussreichsten war der im protestantischen Glauben erzogene Florimond de Raemond. Er verließ 1566 die Eglise réformée zugunsten der ›alten Kirche‹ und verfasste – als Kenner der Materie – seither Streitschriften um seine neuen correligionnaires bestmöglich vor den Gefahren der héresie zu schützen. Sein folgenreichstes Werk, das im 17. Jahrhundert mehrmals neu aufgelegt wurde, war die 1605 erschienene Histoire de la naissance, progrez et décadence de l’hérésie de ce siècle. Wie anhand des Datums der posthumen Erstpublikation ersichtlich, spiegelt das Werk die Ansichten des späten 16. Jahrhunderts wider. Einen vergleichbaren Erfolg konnte auch der Jesuitenpater Louis Richeome mit seinen Texten erzielen. 1608 gab er L’idolatrie huguenote figurée au patron de la vieille paienne heraus, zwei Jahre später, als Antwort auf eine protestantische Verteidigungsschrift zum ersten Text (L’Idolâtrie papistique von Jean Bansilion), Le Panthéon huguenot découvert et ruiné. Zu weiteren Texten, ebenso wie zu den Aktivitäten der Assemblée du clergé, die auf ihre Weise zur Ausgestaltung eines negativen Bilds vom protestant hérétique beitrug, cf. Dompnier, Venin, 60ss; 111ss sowie die Ausführungen am Ende des vorliegenden Kapitels. 33  Dompnier, 34  Cf.

2. Sujet hérétiques ou ›brebis égarées‹?173

aus dem Vollen schöpfen, ist man in Bezug auf das Komplementärbild auf wenige Texte angewiesen, die mehrheitlich aus der Feder Calvins stammen.36 Diese Sachlage erklärt sich einerseits aus der besonderen Autorität, die der Reformator als Autor der Institutio / n und Hauptorganisator der Genfer Kirche in der Stadt selbst sowie in Frankreich innehatte, andererseits aus dem Status der Protestanten als religiöse Minderheit. Denn auch wenn sich seit der zweiten Hälfte des 16. sowie besonders im 17. Jahrhundert die Wogen ein wenig geglättet hatten37 und die religion prétendue réformée38 – als zweite Religionsgemeinschaft neben der religion catholique, apostolique et romaine im Edit de Nantes mehr oder weniger anerkannt und ihren Anhängern gewisse Freiheiten bei der Gestaltung ihres religiösen Lebens gewährt wurden, waren ihnen sowohl Gespräche über religiöse Streitfragen39 als auch das Verfassen religiöser oder theologischer Schriften verbo36  Einen ersten Eindruck bietet Gisel, Encyclopédie, Lemma: Heresie. Außer in den Werken Calvins lassen sich Aussagen zu den papistes als hérétiques vor allem im erwähnten Text von Bansilion finden sowie bei de Bèze und – vereinzelt – bei den pasteurs Charles Drelincourt und Pierre du Moulin. 37  Diese Bemerkung mag auf den ersten Blick den Ereignissen in Frankreich Hohn sprechen, kam es doch seit 1562 regelmäßig zu militärischen Auseinandersetzungen zwischen den Parteien. Tatsächlich war die Phase der guerres de religion, in der sich Krieg und Befriedungsversuche abwechselten und zwischendurch für einige Monate oder Jahre durchaus ›Ruhe‹ herrschte, für die verfolgten Protestanten wohl wesentlich kalkulierbarer und sicherer als die Zeit des Umbruchs, die eher von unkontrolliertem Vorgehen gegen die Störer von repos publique und unité religieuse denn von verlässlichen Gesetzen geprägt war, die Unruhestifter beider Seiten in die Schranken zu weisen vermochten (cf. Mack P. Holt, The French Wars of Religion, 1562–1629. Cambridge: Cambridge University Press 1995, 52s). Spiegel der Unsicherheit der ersten Jahrhunderthälfte ist auch die große Zahl der Hinrichtungen von luthériens und évangéliques. Die Exekutionen nahmen seit 1520 beständig zu und erreichten ihren Höhepunkt zwischen 1555–1560, cf. David El Kenz, Bûchers, 39 / 40, sowie William Monter, »Les exécutés pour hérésie par arrêt du Parlement de Paris (1523–1560)«, in: BSHPF 142 / 2 (1996), 191–224. Der Autor geht von Opferzahlen zwischen 140–160 Personen (männlich wie weiblich) aus. 38  So die offizielle Bezeichnung für die aus der reformatorischen Bewegung hervorgegangene Kirche in Frankreich, festgelegt im Edit de Beaulieu, das den fünften Religionskrieg (1575 / 1576) beschloss: »En tous actes et actions publiques où sera parlé de ladite religion, sera usé de ces mots religion prétendue reformée«; »Edit sur la Pacification des troubles du royaume, les protestans, les religionnaires fugitifs, la convocation des Etats généraux, etc« in: Jourdain / Isambert, Recueil, vol. XIV, n. 46 (14.05.1576), art. 16. In zeitgenössischen Dokumenten wird religion prétendue ­reformée oft mit R.P.R. abgekürzt. 39  Cf. beispielsweise art. 36 des Edit de Chateaubriand von 1551 »Nous défendons à toutes personnes non lettrées, de quelque estat, qualité ou condition qu’ils soient, et à tous estrangers, pendant qu’ils seront en nostre royaume, de ne faire plus d’oresnavant telles propositions, questions et disputes, sur les poincts de nostre foy«, Edit de Chateaubriand, in: Jourdain / Isambert, Recueil, vol. XIII, n. 155 (27.06.1551). Vergleichbare Verbote enthalten zahlreiche weitere édits de pacification sowie das

174 2. Sujet hérétiques ou ›brebis égarées‹?

ten bzw. einer strengen Kontrolle seitens der Verantwortlichen der ›alten Kirche‹ unterworfen.40 Da allerdings gerade derlei Texte Raum für etwaige Angriffe gegen Häretiker boten, ist deren relative Seltenheit nur nachvollziehbar, brächte man doch mit entsprechender Polemik einen ohnehin fragilen Frieden und sich selbst in Gefahr. Auch die im Folgenden zu betrachtenden Werke Calvins lassen nicht von vornherein erahnen, dass in ihnen eine harsche Kritik an mancher häretischer Praxis der Anhänger der ›alten Kirche‹ enthalten ist. Bei der ersten Schrift handelt es sich um einen offenen Brief an den König, François I. Der Reformator hatte den Text unter dem Eindruck von affaire des placards und daraufhin einsetzender verstärkter Verfolgung der Anhänger der »sanae doctrinae«41 verfasst und stellte ihn 1536 der editio princeps sowie allen weiteren Ausgaben der Institutio / n auf Latein oder Französisch voran.42 Gleich zu Beginn des Briefes weist Calvin den Adressaten seines Briefes darauf hin, dass es nicht etwa die Anhänger des »novi Evangelii«43 sind, die in seinem Reich Unfrieden stiften, sondern dass die Altgläubigen »ferro et ignibus regnum tuum hodie turbant«44, weil sie wütend gegen die von Edit de Nantes, cf. Edit de pacification (dit de Nantes) suivi des articles secrets, in: ibid., vol. XV, n. 124 (02.02.1598), art. 2, 17. 40  Cf. erneut beispielhaft art. 5 des Edit de Beaulieu: »Ne pourront en notre Royaume, pays, terres, et seigneuries de notre obéissance, être vendu aucun livre, sans être premierement vu par nos officiers des lieux, ou (pour le regard des livres concernant ladite religion) par les chambres si après par nous ordonnés en chacun Parlement, pour juger des causes et différends de ceux de ladite religion: défendant très expressément l’impression, publication et vendition de tous livres, libelles et écrits diffamatoires […]«, Jourdain / Isambert, Recueil, vol. XIV, n. 46. Eine entsprechende Überwachung von Druckwesen und Büchermarkt war auch im Edit de Nantes verankert, cf. ibid., vol. XV, n. 124, art. 21. 41  Ioannis Calvino, Christianae Religionis Institutio totam fere pietatis summam et quidquid est in salutis cognitu necessarium complectens. Omnibus pietatis studiosis lectu dignissimum opus ac recens editum. Basel: Thomas Plattero & Balthasar Lasio 1536 (editio princeps), in: Calvin, Calvini Opera, vol. I, cc. 9–252, hier: »Praefatio ad Christianissimum Regem Franciae Qua Hic Ei Liber Pro Confessione Fidei Offertur«, cc. 9–26, hier c. 9. 42  Cf. notice zur Epistre au Roi in: Calvin, Institution, 113–137, hier 114–119. Da der Text seit der Ausgabe von 1541 stärker auf Französisch denn auf Latein rezipiert und zudem in den einzelnen Fassungen geringfügig verändert wurde, wird im Folgenden nicht nur exemplarisch auf die entsprechende französische Parallelstelle im Text von 1541 verwiesen, sondern es werden ggf. auch Veränderungen in Tenor und Aussage hervorgehoben. 43  Calvino, Institutio, in: Calvin, Calvini Opera, vol. I, c. 25. Kasusanpassung von mir, im Original im Ablativ: »novo evangelio«, dem ein »(sic enim appellant)« folgt; Calvin, Institution, Epistre au Roy, 139–180, hier 177. 44  Calvino, Institutio, in: Calvin, Calvini Opera, vol. I, c. 9; Calvin, Institution, Epistre au Roy, 140, cf. auch die nachfolgende Fußnote.

2. Sujet hérétiques ou ›brebis égarées‹?175

ihm in der Institutio (ruhig) dargelegten Lehre zu Felde ziehen.45 Durch den strategischen Schachzug einer unerwarteten Gegenattacke – standen doch bisher die Häretiker in dem Ruf den repos publique zu stören – lenkt der Verfasser des Briefes von sich und seinen coreligionnaires ab, rückt also die von ihm vertretenen Ansichten von Anfang an in ein gutes, seine Gegner in ein schlechtes Licht.46 In einem weiteren direkten Vergleich lässt der Reformator altes und neues Kirchenverständnis aufeinanderprallen: Sed non parum a vero ipsi aberrant, dum ecclesiam non agnoscunt, nisi quam praesenti oculo cernant, et eam iis finibus circumscribere conantur, quibus minime inclusa est. In his cardinibus controversia nostra vertitur: primum, quod ecclesiae formam semper apparere et spectabilem esse contendunt, deinde quod formam ipsam in sede Romanae ecclesiae et praesulum ordine constituunt. Nos contra asserimus: et ecclesiam nulla apparente forma constare posse, nec formam externo illo splendore, quem stulte admirantur, sed longe alia nota contineri, nempe: pura verbi Dei praedicatione et legitima sacramentorum administratione.47

Erneut fällt die Konfrontation für die Vertreter der ›alten Kirche‹ negativ aus, als »admiratori stulti splendoris formae externae ecclesiae« erscheinen sie in hohem Maße oberflächlich und abergläubisch, besonders im Kontrast zu denjenigen, die Gotteswort und rechtmäßig angebrachtes Gotteszeichen, also die beiden von den Reformatoren ergänzten notae externae, als Wesensmerkmale der Kirche ansehen. Unterstützt wird dieser Gegensatz durch die geschickte Verwendung von Adjektiven wie »minime« oder »longe«, die die Einstellung der ›Altgläubigen‹ noch ein wenig unverständlicher wirken lassen als sie es aus protestantischer Perspektive ohnehin sind.48 Die in der exemplarisch analysierten Textpassage vorgenommene Gegenüberstellung steht im Zusammenhang mit weiteren ekklesiologischen Überlegungen, die in der gesamten epistola nuncupatoria weiten Raum einneh45  Cf. Calvino, Institutio, in: Calvin, Calvini Opera, vol. I, c. 9: »confessionem apud te ederem unde discas qualis sit doctrina in quam tanta rabie exardescunt furiosi illi«; »d’une telle rage, furieusement sont enflambez ceux qui par feu et par glaive troublent aujourd’huy ton Royaume«; Calvin, Institution, Epistre au Roy, 140. Die auch im lateinischen Text einprägsame Formel »ferro et ignibus« wird in der französischen Version durch den vorausgehenden Satz und die dadurch entstehende erhöhte Rekurrenz des ›f‹-Lauts in ihrer Deutlichkeit noch verstärkt. 46  Cf. Olivier Millet, Calvin et la dynamique de la parole. Etude de rhétorique réformée. Genf: Slatkine 1993, 471. 47  Calvino, Institutio, in: Calvin, Calvini Opera, vol. I, cc. 20 / 21; Calvin, Institution, Epistre au Roy, 167. 48  Im Französischen wird die aufgespannte Opposition zusätzlich durch die Verwendung des unverbundenen Personalpronomens »eux« im Kontrast zu »nous« unterstützt: »Mais eux, ils sont bien loing de la verité […]. Nous au contraire affirmons […]«, Calvin, Institution, Epistre au Roy, 167.

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men.49 In Anbetracht der Tragweite dieses Themenkomplexes, resultieren doch beispielsweise die Vorstellungen vom kirchlichen Amt unmittelbar, die Sakramentsauffassung mittelbar aus dem geltenden kirchlichen Selbstverständnis, ist die polemische Instrumentalisierung bestehender Differenzen ebenso nachvollziehbar wie deren frühe und konsequente Thematisierung.50 Tatsächlich rückt die Frage nach den Merkmalen der veritable ­église de Dieu51, die bald jede der drei sich auf dem Kontinent bildenden christlichen Konfessionskirchen zu erfüllen beanspruchen wird, im Laufe der Zeit ins Zentrum kontroverstheologischer Diskussionen.52 49  Zu den einzelnen Aspekten der ekklesiologischen Diskussion cf. erneut ­Ganoczy, Calvin, 95. 50  Die betrachteten Passagen gehören wohl tatsächlich zu den frühesten Überlegungen Calvins in dieser Richtung. Weitere Ausführungen zur Ekklesiologie finden sich vorrangig in seinen Briefen sowie in den jeweiligen Kapiteln der Instiutio / n, die besonders in dieser Hinsicht von Calvin immer wieder überarbeitet wurde, cf. Auguste Lecerf, »La doctrine de l’Eglise dans Calvin«, in: Bulletin de la Société Calviniste de France 12 (1930), 256–270, insbesondere 256–260. 51  Wanegfellen brachte den unüberwindbar scheinenden Gegensatz im Kirchenverständnis beider Seiten auf den Punkt: »Du côté catholique, on voit l’unique ­Eglise confrontée à des desvoyés, et du côté reformée, la véritable Eglise opposée à une Anti-Eglise«; Wanegfellen, Se convertir, in: Fragonard / Peronnet, Catéchismes, 69. 52  Cf. dazu Le Brun, Hérésie, in: idem, Jouissance, 140: »La controverse entre catholiques et protestants va peu à peu confluer sur le problème essentiel de l’Eglise, les questions d’Eucharistie et de la justification passent au second plan«. Dass ekklesiologische Fragestellungen seitens der ›alten Kirche‹ eine vergleichbare Wertschätzung erfuhren, zeigt sich beispielsweise im von Richelieu verfassten Traité qui contient la méthode la plus facile et la plus assurée pour convertir ceux qui se sont séparés de l’Eglise (Œuvres théologiques II, texte établi et introduit par StéphaneMarie Morgain et Françoise Hildesheimer, annotation et annexes par Stéphane-Marie Morgain. Paris: Champion 2005). Im Mittelpunkt der 1651 posthum erschienenen und im Laufe des 17. Jahrhunderts zwei weitere Male aufgelegten Abhandlung steht wie üblich die Frage, welche der beiden Parteien »est dans la véritable voie qui conduit au salut?« (ibid, avant propos, 99–118, hier 104). Um eine Antwort darauf zu finden, empfiehlt der Kardinal – dem Titel des Werks ganz entsprechend – nicht alle Streitpunkte zu diskutieren, sondern mit dem zu beginnen, von dem man sich schnellstmögliche und nachvollziehbarste Klarheit erhofft: »Comme il se trouve souvent divers chemins pour aller à un même lieu, il y a trois différentes façons d’agir pour faire connaître à nos adversaires qui, de nous ou d’eux, est dans la véritable voie qui conduit au salut. La premiere n’oblige pas à l’examen des points particuliers entre eux et nous, mais requiert seulement qu’on sache qui de nous ou d’eux a l’Église, puisqu’il est certain, comme la reconnaissent nos adversaires mêmes, que celui qui a cet avantage est assuré d’avoir la vérité de la doctrine et d’être dans le vrai chemin de son salut. Les deux autres requièrent qu’on examine la doctrine, mais par divers moyen [… zweiter Weg: Doktrin auf Basis der Écriture, dritter Weg: Doktrin auf Basis von Bibel und Tradition]. Puisqu’il n’y a personne qui ne reconnaisse que, des deux chemins, le plus court et le plus assuré est le meilleur, la première voie est évidemment préférable aux autres. […]« (ibid, avant

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Als abergläubisch zeichnet Calvin die Vertreter der ›alten Kirche‹ auch in der Defensio orthodoxae fidei de sacra Trinitate, contre prodigiosoros errores Michaelis Serveti Hispani ubi ostenditur haereticos jure gladii coercendos esse, et nominatim de homine hoc tam impio juste et merito sumptum Genevae fuisse suplicicium. Der Reformator reagierte mit dieser Schrift sowie der nur wenige Monate später veröffentlichen französischen Version Déclaration pour maintenir la bonne vraie foi qui tiennent tous Chrétiens de la Trinité des personnes en un seul Dieu. Contre les erreurs détestables de Michel Servet espagnol. Ou il est aussi montré qu’il est licite de punir les hérétiques, et qu’à bon droit ce méchant a été exécuté par justice en la ville de Genève53 auf die sich mehrende Kritik an der Verurteilung des Antitrinitariers Michel Servet, der 1553 in Genf als Häretiker verbrannt worden war.54 Die polemischen Worte gegenüber der ›alten Kirche‹ fallen vorrangig in dem Abschnitt des Textes, der im lateinischen wie französischen Titel jeweils nur mit einem Halbsatz angekündigt wird, in der Schrift aber weiten Raum einnimmt: in der grundsätzlichen Verteidigung obrigkeitlicher Maßnahmen gegen Häretiker. Tenor und Gegenstand der gegen die papistes erhobenenen Anschuldigungen entsprechen weitgehend denjenigen in der epistola nuncupatoria zur Institutio / n. Wie dort werden Lehre und Glaubenspraxis der Vertreter der ›alten Kirche‹ als im Widerspruch zur Kirche Christi stehend gekennzeichnet – »Ainsi nous condamnons à juste raison le zèle enragé et sans science qui transporte les Papistes, tout ainsi que l’opiniâtreté qu’ils ont à suivre leurs superstitions, et de laquelle ils sont ensorcelés pour mépriser la parole de Dieu, est à condamner«55 – durch den Verweis auf »zèle enragé« und »opiniâtreté« wird gar implizit ein ›Ketzerurteil‹ gesprochen. Auf die ›Auspropos, 104–106). Einen thematischen Überblick über das Werk von Richelieu vermittelt das von den Herausgeberinnen erstellte sommaire (ibid, 49–87). 53  Die lateinische Fassung wurde 1554 durch Robert Stephan in Genf herausgegeben, die französische nur wenige Monate später gleichfalls in Genf durch Crespin. Da es sich beim französischen Text um eine sehr freie Übersetzung der lateinischen Version handelt, die sich passagenweise fast vollständig von der Vorlage löst, ist davon auszugehen, dass diese von Calvin selbst angefertigt wurde, wohl um eine breitere Leserschaft zu erreichen, cf. notice zu Déclaration pour maintenir la vraie foi, in Calvin, Œuvres, 1340–1351, hier 1340. Im Folgenden wird deshalb aus der französischen Ausgabe zitiert, greifbar in Calvin, Œuvres, 893–936. 54  Zu Persönlichkeit, Lehre und Prozess von Michel Servet (1509 / 1511–1553) cf. Gisel, Encyclopédie, Lemma: Servet, Michel. Dass Calvin in Servet einen Häretiker sah, wird beispielhaft am von ihm verwendeten Vokabular deutlich. Dessen Lehren bezeichnet er beispielsweise als »poison plus que mortel«; Calvin, Œuvres /  Déclaration, 893. 55  Calvin, Œuvres / Déclaration, 906. Calvin benutzt in seinen Texten mehrheitlich anstelle des hier verwendeten Terminus »superstition« den Begriff »idolâtrie«.

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wüchse‹ der superstition des papistes, also die von den Reformatoren als unbiblisch empfundenen äußeren Erscheinungsformen der ›alten Kirche‹, weist Calvin mehr oder weniger offen an zahlreichen weiteren Stellen der Declaration hin: Car puisque Dieu a donné une certaine règle à son peuple, devant qu’ordonner nulle punition sur les transgresseurs, par cela il condamne la témérité de tous ceux qui entreprennent de défendre à feu et à sang une religion forgée à l’appétit des hommes. Parquoi nous ne donnons point une licence confuse et exorbitante aux Magistrats pour tenir bon par force en quelque religion qu’ils aient inconsidérément reçue; plutôt nous les exhortons d’observer l’ordre établi de Dieu.56

Die in der zitierten Passage gleichfalls anklingende, letztlich in der gesamten Schrift diskutierte Frage, »s’il est licite aux Princes et juges Chré­ tiens de punir les hérétiques«,57 führt zum letzten in diesem Kapitel zu 56  Calvin, Œuvres / Déclaration, 921. Die Ablehnung einer solchen »religion forgée à l’appétit des hommes« werden die Verantwortlichen beim Formulieren der Confession de Foi, dite de la Rochelle erneut zum Ausdruck bringen, cf. den bereits zitierten Artikel 24 der Bekenntnisschrift. Wenn Calvin hier die »religion forgée à l’appétit des hommes« mit der von ihm unterstützten göttlichen Ordnung kontrastiert, lässt er wiederum ekklesiologische Fragestellungen anklingen, was erneut die Virulenz dieses Themenkreises im Konflikt der sich bildenden Konfessionskirchen beweist. 57  Calvin, Œuvres / Déclaration, 899. Indem Calvin diese Frage eindeutig bejahte, entfachte er eine Diskussion erneut, die seit Beginn der Christenheit mehr oder weniger intensiv geführt wurde und immer dann neuen ›Zündstoff‹ erhielt, wenn sich die Kirche von Irrlehrern bedroht sah: Stets ging es darum zu klären, inwieweit obrigkeitliches Vorgehen gegen Häretiker bzw. allgemeiner gefasst der Einsatz von contraintes salutaires zu rechtfertigen sei. Befürworter wie Gegner solcher Maßnahmen stützen sich in ihren Argumenten auf die Bibel, vor allem auf Mt 13, 24–30 (Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen) und Lk 14, 15–24 (Gleichnis vom Festmahl). Welche Position sich durchsetzen und für die nächsten Jahre richtungsweisend sein sollte, war abhängig von der jeweiligen historischen Situation. Hatten sich die Hauptzeugen der Häretikerdebatte, Augustinus – und für die ›alte Kirche‹ Thomas von Aquin – letztlich für ein obrigkeitliches Vorgehen gegen Häretiker ausgesprochen, plädierten später humanistisch gesinnte Autoren wie Erasmus sowie nach ihm Sebastian Castellion für einen Ausgleich zwischen den Parteien, der andere Maßnahmen überflüssig machte (cf. Lecler, Tolérance, 125ss). Castellion schuf mit seinen Schriften die philosophisch-theologische Grundlage für die Toleranzdebatte der nächsten zwei Jahrhunderte; cf. Hans R. Guggisberg, Sebastian Castellion, 1515–1563. Humanist und Verteidiger der religiösen Toleranz im konfessionellen Zeitalter. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1997, 89, 208 und passim, zu weiteren vor allem französischen Persönlichkeiten, die sich gleichfalls an der Debatte beteiligten cf. Lecler, Tolérance, 423–335, sowie Müller, TRE, Lemma: Toleranz, 3.2). Von den Ideen Castellions zeigte sich unter anderen Pierre Bayle beeinflusst (cf. Guggisberg, Castellion, 297–299). Dieser wandte sich unter dem Eindruck der Massenkonversionen nach dem Edit de Fontainebleau im Commentaire philosophique sur ces paroles de Jésus-Christ: Contrains-les d’entrer (1686 / 1687) gegen die Legitimation heuchlerischer contrainte salutaire durch die »compelle entrare«57.

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behandelnden Themenkomplex: zu den praktischen Auswirkungen des Umstands, dass die Vertreter der jeweils anderen Seite als Ketzer angesehen wurden. Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass die auf den vorausgehenden Seiten skizzierten Vorstellungen von und daraus resultierenden Einstellungen gegenüber Häretikern das Leben der Menschen auf unterschiedliche Weise beeinflusst hat. Während sich aber die Folgen auf überregionaler Ebene in notwendiger Verallgemeinerung anhand von Gesetzen, Gerichtsurteilen oder der Einrichtung spezifischer Institutionen rekonstruieren lassen, muss und soll vorerst offen bleiben, wie Dorfgemeinschaften oder gar Einzelpersonen auf den ›ketzerischen‹ Nachbarn reagiert haben. Eine Pauschalisierung wäre auch gar nicht möglich, da Menschen in Regionen mit identischer religiöser Ausrichtung sicher anders auf das ›unbekannte Wesen Ketzer‹ reagierten als solche in Gegenden mit uneinheitlicher Orientierung, die das Zusammenleben mit ›Häretikern‹ gewohnt waren. Kam es mancherorts wie angesprochen zu ikonoklastischen Übergriffen, in denen sich die Protestanten eben gegen die von Calvin als superstitions angeprangerten Frömmigkeitsformen der ›alten Kirche‹ wandten, spielte die religiöse Überzeugung des anderen im täglichen Miteinander anderorts kaum eine Rolle. Die Tatsache aber, dass sich die französische Obrigkeit wiederholt veranlasst sah, den ›altkirchlichen‹ Untertanen unter Androhung harter Strafen zu verbieten, die sujets hérétiques zu unterstützen, sogar deren Denunziation zu verlangen,58 lässt vermuten, dass trotz aller negativen Formel aus Lk 14, 23; cf. Lecler, Tolérance, 820s sowie ausführlich Elisabeth La­ brousse, Pierre Bayle, t. 2, Heterodoxie et rigorisme. Den Haag: Njhoff 1964, insbesondere Kapitel 19 »La liberté de conscience«, 544–591. 58  Entsprechende Ver- und Gebote beinhaltet beispielsweise das bereits erwähnte Edit de Chateaubriand (1551): »Pareillement nous défendons très-expressément à tous nosdits sujets, quel qu’ils soient, de n’escrire, envoyer argent, n’autrement favoriser ceux que s’en sont allez du royaume pour résider à Genève, et autres pays notoirement séparez de l’union de l’Eglise et de l’obéyssance du sainct siège apostolique«; Edit de Chateaubriand, in: Jourdain / Isambert, Recueil, vol. XIII, n. 159, art. 37 sowie »Tous ceux qui sauront et cognoistront, aucuns infectez d’hérésie, seront tenus incontinent et sans délay, révéler et déclarer aux juges […] et le plustost que faire se pourra«, ibid., art. 29. Vergleichbare Regeln wurden 1589 vom Parlement de Paris formuliert: »inhibitions et défenses à tout en général […] ni favoriser le parti des hérétiques, leurs fauteurs et adhérens, ni les assister, prêter conseil, confort et aide, ni faire levée de deniers pour eux directement ou indirectement sur peine d’être déclarés crimineux«; Arrêt du parlement séant à Paris qui défend d’exercer ou de tolérer l’exercice d’autre religion que la catholique et de méconnaître l’union (la ligue), in: Jourdain / Isambert, Recueil, vol. XV, n. 8 (25.09.1589).

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Propaganda ein mehr oder weniger großes Maß an innerstädtischer oder gar nachbarschaftlicher Solidarität vorhanden war.59 Derlei positive Bindungen zwischen Vertretern verschiedener religiöser Orientierung bringen normalerweise eine gewisse Kenntnis sowohl der (Not)-Lage als auch der Überzeugung des anderen mit sich – und bergen damit die Gefahr, obrigkeitlichen wie kirchlichen Interessen zuwider zu laufen. Denn so willkommen ein harmonisches Miteinander in einzelnen Orten des Reiches den Verantwortlichen auch sein mochte – stand doch in diesen eine Störung des repos publique kaum zu befürchten – so kontraproduktiv war es in Hinblick auf das allseits angestrebte Ziel, die unité religieuse wieder herzustellen. Oft blieben dort nämlich die für die Einheit notwendigen conversiones aus, da man überzeugt von seinem Glauben und im alltäglichen Leben vor keine unüberwindbaren Hindernisse gestellt, deren Notwendigkeit nicht sah, etwaige Missionsbemühungen also ins Leere liefen. Sprachen hingegen pragmatische Gründe wie die von Labrousse in Bezug auf die Situation in Mauvezin angemerkten, für eine conversio, wurde diese als äußerer Akt zwar vollzogen, die ›neue‹ Religion aber oft nicht gelebt.60 Bei der Analyse der praktischen Auswirkungen des Verständnis’ der Anhänger der jeweils anderen Richtung gilt es neben der bisher berücksichtigten örtlichen selbstverständlich auch eine zeitliche Komponente zu beachten. Denn genauso wie das Verhältnis der beiden Gruppen regional unterschied59  Cf. als Beispiel für harmonisches Miteinander die Situation in Mauvezin (cf. supra, Kapitel I), weitere bei Dompnier, Venin, 139–168; Pettegree, Reformation, 194 / 195 sowie Janine Garrisson, Les protestants au XVIe siècle. Paris: Fayard 1988, passim. Die Autorin skizziert aber auch Zeiten und Orte, in denen Streit und Misstrauen gegenüber den Anhängern der jeweils als ›ketzerisch‹ angesehenen Gemeinschaft an der Tagesordnung waren, cf. ibid., 281ss. 60  Wie stark diese Tendenz gewesen sein muss, wird gewissermaßen durch die Gegenmaßnahmen der Obrigkeit bestätigt, die sich noch 1686 genötigt sah, den nouveaux convertis harte Strafen anzudrohen, wenn sie, krank und dem Tod nahe, den Besuch eines katholischen Geistlichen ablehnten: »Si alcuns de nos sujets de l’un & l’autre sexe, qui auront fait abjuration de la R.P.R. venant à tomber malades, refusent aux Curez, Vicaires ou autres Prestres, de recevoir les Sacremens de l’Eglise, & declarent qu’ils veulent persister & mourir dans la R.P.R au cas que lesdits malades viennent à recouvrir la santé, le procès leur soit fait & parfait par nos Juges, & qu’ils les condamnent à l’égard des hommes à faire amende honorable, & aux galères perpetuelles, avec confiscation de biens, & l’égard des femmes & filles à faire amende honorable, & estre enfermées avec confiscation de leurs biens; & quant aux malades qui seront morts dans cette malheureuse disposition, Nous ordonnons que le procés sera fait aux cadavres ou à leur mémoire […] qu’il soient traînez sur la claye, jettez à la voyrie, & leur bien confisquez; »Déclaration du Roy contre ceux qui s’etant convertis, refuseront dedans leurs maladies de recevoir les sacremens« (29.04.1686), in: Léon Pilatte (ed), Edits, Déclarations et arrests concernans la Religion P. réformée (1662–1751). Précédés de l’Edit de Nantes. Paris: Fischbacher 1885, 282–284, hier 283 / 284.

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lich war, wandelte sich dieses auch im Laufe der Zeit, wurde manchmal aus Ablehnung und Skepsis Akzeptanz, wenn nicht Wohlwollen.61 Grund dafür ist die Tatsache, dass die Mitglieder der jeweils anderen Glaubensgemeinschaft mit den Jahren immer seltener als Ikonoklasten, Verfolger oder Belagerer empfunden wurden, sondern – je mehr die kollektive die persönliche Erinnerung überlagerte – schlicht als Nachbarn oder Mitbürger, deren anderer Glaube das Leben als Gemeinschaft mehr oder weniger beeinträchtigte. War es nämlich beispielsweise für die einen früher schier unmöglich gewesen, mit denjenigen, die Altar und Heiligenbilder ihrer Pfarrkirche zerstört hatten, friedlich zusammen zu leben, so war für die anderen ein Miteinander mit Personen undenkbar gewesen, die der Exekution ihrer Familienmitglieder pour crime de lèze majesté divine et humaine beigewohnt und sich womöglich am Leid der Verurteilten ergötzt hatten. Da der Zorn über derlei Geschehnisse mit den Generationen aber im Allgemeinen abnimmt, konnte sich trotz allem mit der Zeit jene coexistence pacifique der Anhänger beider Seiten etablieren, von der bereits im Zusammenhang mit den regionalen Unterschieden die Rede war und die besonders gut funktionierte, wenn den Nachgeborenen das ursprünglich Trennende im Einzelnen kaum mehr bewusst war.62 Die Tatsache aber, dass die im 16. Jahrhundert noch hart umkämpften Lehrunterschiede auf die Dauer zweitrangig wurden, hatte keineswegs zur Folge, dass man grundsätzlich über sie hinwegsah: Auch im 17. Jahrhundert konnte das gute Miteinander innerhalb einer gemischtkonfessionellen Gemeinschaft von einem Tag auf den anderen enden, etwa durch ein geöffnetes Geschäft am Heiligenfest oder eine gestörte prêche. Es oblag dann meist der weltlichen Obrigkeit, erhitzte Gemüter zu besänftigen und den repos publique wieder herzustellen – je nach Mehrheitsverhältnissen zulasten der einen oder anderen Seite, die mit Strafen entsprechend des derzeit gültigen Rechts, i. e. der zuletzt in Kraft getretenen ordonnance royale rechnen musste. Eine ganz ähnliche Entwicklung lässt sich auch bezüglich der Maßnahmen der weltlichen wie ›altkirchlichen‹ Obrigkeit konstatieren.63 Wie beDompnier, Venin, 141–144; Benedict, Faith, 300ss. dazu Dominique Deslandres, Croire et faire croire. Les missions françaises au XVIIe siècle (1600–1650). Paris: Fayard 2003, 184 / 185. 63  An dieser Stelle sei angemerkt, dass aufgrund der Situation in Frankreich in Bezug auf den öffentlichen Raum vorrangig die Maßnahmen der ›alten Kirche‹ in den Blick genommen werden. Die Interessen der Protestanten wurden von den ­Eglises réformées vor Ort, den seit 1559 regelmäßig tagenden Nationalsynoden sowie wechselnden Fürsprechern aus einflussreichen Familien vertreten. Sie alle suchten die Verständigung mit König und Klerus, konnten auch manche Formulierung der édits de pacification zu ihrem Nutzen ändern, waren aber dennoch weitgehend vom Wohlwollen der Repräsentanten der Gegenseite abhängig, cf. dazu Carbonnier61  Cf. 62  Cf.

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reits im Zusammenhang mit den polemischen Theaterstücken von Marguerite de Navarre und Malingre geäußert, gingen Monarchie und Kirche seit den 20er Jahren des 16. Jahrhunderts – allerdings mit wechselnder Konsequenz und Härte – gemeinsam gegen die »dogmatizans, sectateurs et imitateurs« vor »qui auroient infecté et séduit un nombre infiny des personnes«.64 Dieser Schulterschluss von geistlicher und weltlicher Macht war allerdings in Frankreich – wie anderswo auch – keinesfalls ungewöhnlich. Im Gegenteil: Als roi très chrétien war der französische König ein Repräsentant Gottes – lieutenant de Dieu – und in dieser Funktion selbstverständlich dazu aufgefordert, gegen dessen Feinde – die mit dem Teufel im Bund stehenden Ketzer – vorzugehen. Greifbar wird die Verknüpfung von welt­ licher und geistlicher Macht im sacre.65 Teil der sacre-Zeremonie ist der serment du royaume: Haec populo christiano et mihi subdito, in Christo promitto nomine. (1) In primis, ut ecclesiae Dei omnis populus christianus veram pacem nostro arbitrio in omni tempore servet. (2) Item, ut omnes rapacitates, et omnes iniquitates omnibus gradibus interdicam. (3) Item, ut in omnibus judiciis aequitatem et misericordiam praecipiam ut mihi et vobis indulgeat suam misericordiam clemens et misericors Deus. (4) Item, de terra mea ac juridictione mihi subdita universos haereticos ab ecclesia de notatos pro viribus bona fide, exterminare studebo. Haec omnia supradicto firmo juramento. Sic me Deus adjuvet et haec sancta Dei evangelia.66 Burkard/Cabanel, Histoire, 50, 68ss; Garrisson, Edit, 33ss sowie die Eröffnungstexte zahlreicher Synoden, cf. Aymon, Synodes nationaux, passim. 64  Ordonnance sur l’attribution aux juges d’église des accusations d’hérésie dirigées contre les protestans, et aux juges ordinaires et d’églises conjointement des causes où l’hérésie et quelque crime public se trouvent réunis, in: Jourdain / Isambert, Recueil, vol. XIII, n. 103 (15.11.1549). Die ordonnance enthält neben der Neuordnung der Zuständigkeit der Gerichte auch eine Definition des Straftatbestands hérésie als »erreurs et fausses doctrines, qui contiennent en soy crime de lèze majesté divine et humaine, sédition du peuple et perturbation de notre etat, et repos publique« (ibid.), die als Grundlage zukünftiger Anordnungen fungieren wird (cf. El Kenz, Bûchers, 30s). Hingewiesen sei zudem auf das verwendete Vokabular, das mit Verben wie »infecter« und »séduire« und der Formulierung »un nombre infiny de personnes« deutlich an die gängigen Vorstellungen über die von Heresia ausgehenden Gefahren anknüpft. 65  Cf. Richard A. Jackson, Vive le roi! A history of the French coronation from Charles V to Charles X. Chapell Hill, London: University of North Carolina Press 1984, 206–212. Durch den sacre wurde der Monarch in den Augen des Volkes legitimiert und symbolisch mit der Macht ausgestattet, die er aufgrund des salischen Erbfolgerechts bereits innehatte. Ein Beispiel für den Ablauf einer Krönungszeremonie einschließlich der Erklärung der einzelnen Rituale bietet der Autor in Kapitel 2, 1–3, »The coronation of Louis XIII«, 15–23. 66  Serment du roi à son sacre, in: Jourdain / Isambert, Recueil, vol. XV, n. 58 (27.02.1594), Nummerierung der Klauseln von mir. Der sermon du roy ist seit dem elften Jahrhundert fester und beinahe unveränderlicher Bestandteil der französischen Krönungszeremonie. Ursprünglich nur aus den Klauseln (1)–(3) bestehend, wurde er

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Wie die historischen Ereignisse seit dem elften respektive dreizehnten Jahrhundert beweisen, folgten dem Versprechen, die christliche Kirche zu beschützen, den Frieden zu bewahren oder wieder herzustellen, Gerechtigkeit walten zu lassen und Häretiker zu vertreiben nicht immer entsprechende Taten. Erfüllte der König einzelne Klauseln des geleisteten Schwurs nicht, konnte er dafür jedoch keinesfalls belangt werden, der Eidbruch belastete höchstens sein Gewissen.67 Seitens der Untertanen wurde dem serment du royaume hingegen ein hoher Wert beigemessen,68 verband sich mit ihm doch die Hoffnung auf ein ruhiges gefahrloses Leben im Diesseits und – dank der Protektion der Kirche und des Vorgehens gegen Häretiker – möglicherweise auch im Jenseits. Die Einstellung von kirchlicher und weltlicher Obrigkeit gegenüber den Anhängern der Reformation war also im 16. Jahrhundert klar umrissen und für jedermann offensichtlich: sie waren das Gemeinwohl gefährdende Häretiker und verdienten – je nachdem welche Verbrechen sie im Einzelnen begangen hatten – entweder Todesstrafe, Verbannung oder Kerkerhaft.69 Diese Überzeugung wurde in Frage gestellt, als mit Henri IV ein ›Ketzer‹ den französischen Thron bestieg,70 der sich fortan für eine coexistence im 13. Jahrhundert – in Reaktion auf die Erfahrungen mit Katharern und Waldensern  – um die Häretikerklausel (4) erweitert (cf. Jackson, Coronation, 58 / 59). 67  Cf. Jackson, Coronation, 210. 68  Cf. Jackson, Coronation, 211s; Delumeau / Wanegfellen, Naissance, 210. Jackson und mit direktem Rekurs auf ihn auch El Kenz (cf. El Kenz, Bûchers, 20) und Lucien Bély (in: idem (dir.), Dictionnaire de l’Ancien Regime. Royaume de France. XVIe-XVIIIe siècle. Paris: PUF 1996, Lemma: sacre., c. 1107) gibt an »that the oath of the kingdom sworn by Henry II in 1547 did not include the clause to expel heretics from the kingdom« (Jackson, Coronation, 59, erneut 210), was die Vermutung nahelegen würde, dass den Königen die Bedeutung des Eids für das Volk durchaus bewusst gewesen ist. Ein Fallenlassen der Klausel wäre dann als ›Friedensangebot‹ gegenüber den Häretikern zu deuten, die Gründe zu diskutieren. Da aber der Hinweis von Jackson bisher nicht anhand von Quellenmaterial überprüft werden konnte – Jourdain / Isambert und Fontanon notieren beide nur die Überschrift, nicht den Text des serment, geben aber in einer Fußnote an, dieser sei »semblable aux précendens« (Jourdain / Isambert, Recueil, vol. XIII, n. 17 (28.07.1547); Fontanon, Edicts, 210)  – wird im Folgenden darauf verzichtet, dem Problem nachzugehen. Zur Bindungskraft von Schwüren in der damaligen Zeit cf. auch infra, Kapitel 3.b)bb). 69  Informationen zu den unterschiedlichen Verbrechen und deren Ahndungsformen bietet El Kenz, Bûchers, 46ss. 70  Zur Persönlichkeit des ersten Bourbonen auf dem französischen Thron, seinem itinéraire spirituel über Abschwörung, conversio, Absolution und Königskrönung sowie den Anfeindungen, denen Henri IV sich seitens seiner ehemaligen wie neuen coreligionaires zeitlebens gegenüber sah – deren beste Illustration wohl der ihm oft in den Mund gelegte Satz ›Paris vaut bien une messe‹ ist, cf. ausführlich Michael Wolfe, The Conversion of Henri IV. Politics, Power, and Religious Belief in Early Modern France. Cambridge: Harvard University Press 1993 sowie Jacques

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pacifique der beiden Religionsgemeinschaften Frankreichs – in von ihm festgelegten Grenzen – engagierte. Ein Resultat seiner Bemühungen ist beispielsweise das Edit de Nantes: 1598 erlassen, beendete es nicht nur den achten Religionskrieg, sondern regelte, zum Verdruss vor allem des Klerus’, auch für die folgenden 87 Jahre das Zusammenleben.71 In Bezug auf die Ketzerproblematik von Interesse ist vor allem die Präambel des Edikts: ce qui peut concerner la gloire de son (i. e. de Dieu) sainct nom et service, et pourvoir qu’il puisse être adoré et prié par tous nos subjects; et s’il ne luy a pleu permettre que ce soit pour encore en une mesme forme et religion, que ce soit au moins d’une mesme intention et avec tele reigle qu’il n’y ait point pour cela ni trouble ni de tumulte entre eux, et que nous et ce royaume puissions tousjours mériter et conserver le tiltre glorieux de très-chrétien, qui a esté par tant de mérites et dès si long-temps acquis […].72

Wenn Henri IV hier formuliert, »la gloire de son sainct nom et service« werde in seinem Reich noch nicht in gleicher »forme et religion«, wohl aber in identischer »intention« verherrlicht, weil es Gott noch nicht gefallen habe, dies zu erlauben, übergibt er nicht nur die Wiederherstellung der unité religieuse in die Verantwortung der göttlichen Gnade, er erkennt auch die Anhänger der religion prétendue reformée als Christen an und macht damit gleichsam ihre Verurteilung als Ketzer in Zukunft undenkbar.73 Dass diese veränderte Situation keine unmittelbaren Folgen zeitigte, ist hinlänglich bekannt. Zwar verschwand in den Jahren nach dem Edit de Nantes der Häresiebegriff aus den offiziellen Dokumenten, und es war nicht mehr möglich, ein Mitglied der religion prétendue réformée der Ketzerei anzuklagen,74 dennoch erwies es sich im Allgemeinen als schwierig, einPerot / Pierre Tucoo-Chala, (ed.), Henri IV le roi et la reconstruction du royaume. Pau: J & D Editions 1990, beide passim, auch infra, Kapitel 3.a). 71  Cf. Delumeau / Wanegfellen, Naissance, 212; Elisabeth Labrousse, »Une foi, une loi, un roi?« Essai sur la révocation de l’Edit de Nantes. Genf: Labor et Fides, Paris: Payot 1985, 99. 72  Edit de Nantes, in: Jourdain / Isambert, Recueil, vol. XV. n. 124, Präambel. 73  Cf. Delumeau / Wanegfellen, Naissance, 216. 74  Cf. Bély, Dictionnaire, Lemma: hérésie: »Une fois reconnus l’existence et l’exercise de la religion protestante, par l’Edit de Nantes de 1598, ses fidèles ne purent faire l’objet de poursuites pour hérésie, jusqu’à la révocation par l’Edit de Fontainebleau de 1685«. In Konversionsschriften dient der Begriff »hérésie« ­einschließlich seiner Derivate allerdings weiterhin zur Bezeichnung der ›ehemaligen‹, nun verlassenen Religionsgemeinschaft, was die Beeinflussung der Verfasser durch kirchliche Verantwortliche sehr nahe legt. Cf. dazu infra, Kapitel 3.c) sowie 4., passim.

2. Sujet hérétiques ou ›brebis égarées‹?185

zelne Artikel des Edikts, die besonders günstig für die Protestanten erschienen, gegen den Widerstand mancher Gegner umzusetzen. Als besonders ›ärgerliche‹ Neuerungen des Edikts zugunsten der religion prétendue réformée wurden beispielsweise die Einrichtung von chambres mi-parties oder die Aufhebung fast aller Berufsbeschränkungen empfunden.75 Weiterer Stein des Anstoßes wäre sicherlich die in Artikel 37 der Articles secrets et particuliers des Edikts zugesicherte Unterstützung protestantischer Bildungseinrichtungen gewesen.76 Da die articles secrets aber nicht von den parlements bestätigt werden mussten, waren sie nicht von vornherein bekannt und konnten somit auch zunächst keine Kritik erregen. Zählten zu den Opponenten in der Frühphase vorrangig die Mitglieder der parlements, verharrten neben Theologen wie beispielsweise Pierre Coton oder François Véron – die mit ihren protestantischen Gegenspielern leidenschaftliche kontroverstheologische Debatten führten – im 17. Jahrhundert vor allem die Mitglieder der assemblée du clergé in deutlich ablehnender, unversöhnlicher Stellung.77 Bereits in den letzten Jahren des 16. Jahrhunderts und dann sicher durch die Initiative von Henri IV und den Lauf der Zeit befördert, hatte sich in weiten Kreisen der ›alten Kirche‹ die Erkenntnis durchgesetzt, dass die derzeitige Generation der Mitglieder der religion prétendue réformée, die 75  Cf. Edit de Nantes, in: Jourdain / Isambert, Recueil, vol. XV. n. 124, art. 27; 30–48. 76  Edit de Nantes, in: Jourdain / Isambert, Recueil, vol. XV. n. 124, articles secrets et particuliers, art. 37. Eine Analyse einzelner Artikel mit Blick auf die Vorteile für die Protestanten liefern beispielsweise Delumeau / Wanegfellen, Naissance, 216–218 sowie Benedict, Faith, 291s. 77  Die assemblée du clergé hatte sich Ende des 16. Jahrhunderts konstituiert, um eine eventuelle Unterstützung der französischen Kirche für die in finanzielle Not geratene Monarchie zu diskutieren (Cf. Pierre Blet SJ, Le clergé du Grand Siècle en ses assemblées (1515–1715). Paris: Cerf 1995, 7). Aus dieser zweckgebundenen Versammlung entwickelten sich bald regelmäßige Treffen der französischen Geistlichkeit, auf denen nicht mehr nur über pekuniäre, sondern auch über dokrinäre und kirchenrechtliche Fragen debattiert wurde. Die assemblée du clergé verfügte allerdings über keinerlei Befugnisse, die über diejenigen der Einzelpersonen hinausgingen (cf. ibid, 8, Bély, Dictionnaire, Lemma: clergé). Ihre negative Einstellung gegenüber der religion prétendue réformée, genährt durch den Ausbruch des sogenannten Rohan-Krieges (1620–1629) und die Tatsache, dass auf die vom Klerus finanziell unterstützte Niederschlagung der Protestanten das Edit de Nantes nicht widerrufen worden war (cf. Pierre Blet SJ, Le clergé de France et la Monarchie. Étude sur les Assemblées Générales du Clergé de 1615–1666. Rom: Imprimérie de l’Université Grégorienne 1957, 343), machte die assemblée du clergé zu einer latenten Gefahr der (mühevoll) etablierten Ordnung. Von diesem Gremium gingen dementsprechend auch die ersten Versuche aus, den jungen Louis XIV für ihre Sache zu gewinnen (cf. Dompnier, Vénin, 115ss).

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den Glauben von ihren Eltern übernommen hatten, nur noch wenig mit den opiniâtres verband, die durch die Verbreitung ihrer Irrlehren das Zerbrechen der abendländischen Christenheit herbeigeführt hatten. Tatsächlich war die vehemente Kritik an den herrschenden Zuständen der Anfangsjahre mehrheitlich einem friedlichen Ausüben der ›neuen‹ Religion gewichen, über deren historisches Werden und theologische Sinnhaftigkeit man sich in weiten Teilen der reformierten Bevölkerung wenig Gedanken machte.78 Einzig die ministres zeigten die alte ›Kampfbereitschaft‹ und gaben sie teilweise in ihren prêches an die Gläubigen weiter.79 Dies ließ sie auch zum erklärten Ziel nicht nur der conversio-Pastoral, sondern später auch der Verfolgung werden.80 Für einen Großteil der Verantwortlichen der ›alten Kirche‹ ergab sich aus oben genannter Einsicht und beobachtbarem Verhalten der Protestanten, dass es den Anhängern der religion prétendue réformée im Wesentlichen an Informationen über den ›rechten‹ Glauben fehle.81 Hier Abhilfe zu schaffen war Aufgabe der mission intérieure. Sie oblag in den Städten vornehmlich den Pfarrern, auf dem Land den Angehörigen einzelner Ordensgemeinschaften. In Umsetzung der Beschlüsse des Tridentinum hatte man schon in den letzten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts in Frankreich die »ignorance religieuse des milieux populaires et ruraux«82 durch angemessene Katechese im Rahmen von Pastoralreisen zu verringern gesucht.83 Dieses Engagement 78  Cf. dazu beispielhaft Carbonnier-Burkard/Cabanel, Histoire, 64–74; Chevalier, Prêcher, 27–35; Philip, Faith, 200ss, 279s. Dies gilt natürlich nicht für die Zeit des bereits erwähnten neunten Religionskriegs (Rohan-Krieg), der alte Feindseligkeiten wieder aufleben ließ. Zu den politischen Hintergründen und den Folgen des Krieges cf. Holt, Wars, 173–189. 79  Cf. Chevalier, Prêcher, 193–250. 80  Man warf grundsätzlich den ministres vor, die Gläubigen zu beeinflussen und deren conversiones zu verhindern, cf. Dompnier, Vénin, 103, 106. Auf dieser Einschätzung beruht auch die besondere Aufmerksamkeit, die man später im Edit de Fontainebleau den ministres in ihrer Funktion als Seelsorger, Vorbild und Gemeindeleitung entgegenbringen sollte. 81  Cf. Dompnier, Venin, 101; Le Goff / Remond / Lebrun, Histoire, 338ss. 82  Deslandres, Croire, 61. 83  Voraussetzung einer angemessenen Unterweisung der Gläubigen war selbstverständlich ein entsprechend ausgebildeter Klerus. Um dessen Kenntnisse war es jedoch – trotz der bereits geleisteten Reformarbeit in Umsetzung der Vorgaben des Tridentinum (das allerdings erst 1615 offiziell vom französischen Klerus angenommen wurde) – auch im 17. Jahrhundert noch nicht überall gleich gut bestellt (cf. Le Goff / Remond / Lebrun, Histoire, 298–305; zu den vom Tridentinum angestoßenen Reformen cf. supra, 53s (Vorgaben zur Predigt sowie Wohlmuth, Dekrete III /  concilium Tridentinum, sessio V – Decretum de reformatione, canones 1 / 2). Dieser Missstand war prekär, weil er nicht nur die gegenwärtigen Gläubigen in Mitleidenschaft zog. Oft gerieten die einfachen Priester nämlich auch gegenüber den gut

2. Sujet hérétiques ou ›brebis égarées‹?187

wurde nunmehr auf die Protestanten ausgeweitet. Vorreiter der Mission in den Indes noires de l’intérieur84 waren Jesuiten und Kapuziner.85 Die Mitglieder beider Orden organisierten zwischen 1600 und 1650 in verschiedenen Regionen Frankreichs missions, mit dem Ziel »ceux qui étoient sur le point de se perdre« und »ceux qui étoient desja perdu«86 zur conversio zu führen. Dabei machten sie in Bezug auf Inhalt und Methode keinerlei Unterschied zwischen den Adressatenkreisen, »catholiques tièdes ou protestants«87, was einmal mehr die veränderte Einstellung zu den ehemals gefürchteten Häretikern beweist: »Selon une conviction partagée par tous les autres agents convertisseurs du XVIIe siecle, les Capucins sont persuadés que l’attrait du catholicisme, ne peut résister aux protestants, ces ›plutôt errantz qu’hérétiques‹ «.88 ausgebildeten ministres ins Hintertreffen oder wussten auf die Fragen des ›einfachen‹ protestantischen Kirchenvolks keine kompetenten Antworten – was conversiones nicht begünstigte. Dass die Situation der Kleriker eine beständige Sorge der ›alten Kirche‹ im 17. Jahrhundert war, zeigt beispielsweise die Initiative von Bos­ suet, der sich noch in den 1670er genötigt sah, eine Anzahl von Gelehrten, darunter zahlreiche Bischöfe, um sich zu sammeln und sich als Petit Concile im besonderen Maße der »réforme du clergé« und damit eng verbunden der »christianisation de la société« zu widmen (die sich in zahlreichen conversiones niederschlagen sollte), cf. Fabrice Preyat, Le Petit Concile de Bossuet et la christianisation des mœurs et des pratiques littéraires sous Louis XIV. Berlin: Lit 2007, 88 sowie passim. 84  Cf. Deslandres, Croire, 14 und passim. 85  Auf Initiative von Papst Gregor XV wurde zudem 1622 die Sancta Congregatio de propaganda fide gegründet, deren Aufgabe vornehmlich darin bestand, die verschiedenen Missionskampagnen der ›alten Kirche‹ im Abendland ebenso wie in der ›Neuen Welt‹ zu koordinieren (cf. Kasper, LThK, Lemma: Glaubenskongrega­ tion). 86  Charles de Genève, Les trophées sacrés ou missions des capucins en Savoie, dans l’Ain, la Suisse romande et la vallèe d’Aoste, à la fin du XVIe et au VIIe siècle. Publié par Félix Tisserand, OFM Cap., vol. I. Lausanne: Imprimeries réunies de Lausanne 1976, 62, im Original im Singular. Der Missionar stellte das Werk in den Jahren 1651–1653 zusammen, zahlreiche Einzelmanuskripte mit Informationen zu den durchgeführten Pastoralreisen waren aber wohl vorher im Umlauf und fungierten als ›Anleitung‹ für erfolgreiche missions. 87  Deslandres, Croire, 175, ähnlich Dompnier, Vénin, 203. 88  Deslandres, Croire, 185, ähnlich 128 (mit Bezug auf die mission von François de Sales) sowie 153. Vergleichbare Einschätzungen der Protestanten bieten auch François Lebrun, »La pastorale de la conversion et les missions intérieures: l’exemple des lazaristes en Haute-Bretagne au XVIIe siècle«, in: Donville, Conversion, 247–255, passim sowie Dompnier, Vénin, 198–224. Wie Hildesheimer in ihrer Einführung zum Traktat von Richelieu andeutet, fand die veränderte Situation auch in der ›großen Politik‹ ihren Niederschlag, indem man nämlich im religiösen Bereich die Zügel vorübergehend lockerte: »C’est que le problème protestant tel qu’il se pose alors à l’intérieur du royaume est bien d’ordre politique et religieux. Or c’est désormais le versant politique […] qui forme l’aspect conflictuel de la question protestante; en revanche, le versant religieux, lequel a été à l’origine des guerres du XVIe siècle, tend,

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Trotz aller ›Erfolgsmeldungen‹ der Missionare in Stadt und Land gelang es bis in die späten 50er Jahre des 17. Jahrhunderts nicht, die religion prétendue réformée auf ›natürliche‹ Weise, das heißt durch aus spirituellem Bedürfnis erwachsene conversio ihrer Mitglieder auszulöschen, und auf diese Weise den immer noch bestehenden Wunsch nach unité religieuse zu realisieren. Einflussreiche Kreise sahen deshalb im persönlichen Regierungsantritt von Louis XIV die Chance, eine Richtungsänderung in der Religionspolitik durchzusetzen. Dass ein solcher Wandel schließlich eintrat, zeigen nicht nur die zahlreichen restriktiven Maßnahmen,89 die in den kommenden Jahrzehnten verordnet wurden und alle dazu dienten, die brebis égarées wieder in den giron de l’Eglise zurück zu lenken, sondern auch der Widerruf des Edit de Nantes durch dasjenige von Fontainebleau (1685). Aus dem Dargestellten ergibt sich, dass sich die Konversionsschrift als neue literarische Form nur im letzten Drittel des 16. sowie vor allem in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts herausbilden und entfalten konnte. Einzig in dieser Phase der religiösen Konflikte bot sich den Verfassern nämlich die Möglichkeit, Texte, die einen Übertritt von einer Religionsgemeinschaft in eine andere thematisieren, in relativer Ruhe zu verfassen und vor allem mit berechtigter Hoffnung auf Erfolg als écrit de controverse einzusetzen. In den zwanzig Jahren vor und nach dem Revokationsedikt hingegen war eine solche Nutzung der Texte entweder kaum mehr möglich (wenn sie den Wechsel in die Eglise Réformée bekanntgaben) oder in vorliegender Form nicht mehr nötig, was schließlich ihre médiatisation beispielsweise im Mercure Galant nach sich zog. Wie bereits einleitend angemerkt, impliziert die Tatsache, dass aufgrund der besonderen Gegebenheiten der Jahrzehnte vor und nach dem Erlass des Edit de Nantes eine neue literarische Form entstand, die trotz der Verschiedenheit des von ihr gefassten Phänomens eng an die ›ursprüngliche‹ Vorstellung von conversio anknüpft, keinesfalls einen Bruch in der traditionellen Verwendung des conversio-Motivs. Tatsächlich thematisierten nämlich zahlreiche Autoren des 16. und 17. Jahrhunderts das Konzept weiterhin in seiner traditionellen Form, das heißt im Sinne einer Rückkehr zu einem gottgefälligen Leben, viele von ihnen im Zuge der sogenannten conversion au XVIIe siècle; à se confiner dans la sphère privée. De ce fait, une certaine tolérance est rendue possible – au sens fort restreint du temps néanmoins, qui demande de supporter ce qu’on ne peut (mais qu’on souhaite vivement) éradiquer«; Françoise Hildesheimer, »Richelieu et les huguenots«, in: Richelieu, Traité, 7–21, hier 13. 89  Cf. dazu ausführlich Martin Dinges, »Gegenreformation und Calvinismus in Frankreich. Von der staatlich garantierten Duldung zur Zwangskonversion«, in: Rudolf Leeb, Staatsmacht und Seelenheil. Gegenreformation und Geheimprotestantismus in der Habsburgermonarchie. Wien, München: Oldenbourg 2007, 396–406, hier 402ss, sowie Preyat, Bossuet, 188ss (Anwendung von contraintes salutaires).

2. Sujet hérétiques ou ›brebis égarées‹?189

des muses, einer durch die Initiatoren von Sammelwerken wie La Muse chrestienne am Ende des Renaissancezeitalters angestoßenen Umorientierung von heidnisch-mythologischen zu christlichen Inhalten und Fragestellungen. Die Entstehungsbedingungen und Spezifika der literarischen Form Konversionsschrift stehen im Mittelpunkt der Kapitel 3. und 4. Die Analyse des Umgangs mit dem conversio-Motiv bei den Dichtern der conver­sion des muses folgt im Kapitel 5, bevor im Schlusskapitel nicht nur die beiden Parallelstränge zusammengeführt werden, sondern auch ein Blick auf die weitere Entwicklung des genre geworfen wird.

3. Entstehungsbedingungen einer literarischen Form a) Institutionelle Grundlagen von conversio Am Morgen des 25.  Juli 1593 herrschte in St. Denis vor den Toren von Paris großer Aufruhr: Schon um acht Uhr in der Frühe hatte sich eine große Menschenmenge eingefunden, geladene Gäste ebenso wie eine große Schar Neugieriger beider Konfessionen. Sie alle wollten – allerdings aus unterschiedlichen Motivationen heraus – die conversio des ehemaligen Protektors und erfolgreichen Heerführers der Protestanten und derzeitigen französischen Königs miterleben.1 Als Henri IV schließlich erschien, ertönten Trommelwirbel und Vivatrufe und man geleitete den König und seinen Hofstaat durch die geschmückten Straßen bis zum Portal der Basilika. Dort nahmen der Bischof von Bourges, der Kardinal de Bourbon und viele weitere Mitglieder des Klerus seine Majestät in Empfang: 1  Quellen zu den Ereignissen rund um die conversio von Henri IV existieren in großer Zahl und in sehr unterschiedlichen Formen; dabei handelt es sich neben ›offiziellen‹ Chroniken vor allem um private Aufzeichnungen mehr oder weniger polemischen Charakters. Da es im Kontext der vorliegenden Studie vor allem darum geht, einen Gesamteindruck zu vermitteln, die Bewertung der Entscheidung von Henri IV zur conversio durch die Anhänger der einzelnen Gruppierungen aber nicht relevant ist, wurden als Grundlage für die folgende Darstellung zwei ›offizielle‹ Texte herangezogen, auf die in der Forschungsliteratur regelmäßig Rekurs genommen wird (die sich nichtsdestotrotz in Einzelheiten widersprechen): das von Pierre de L’Estoile, Gerichtsdiener in der königlichen Kanzlei, auf der Grundlage seines persönlichen Tagebuchs angefertigte journal zum 23–25 juillet 1593 (idem, Journal de L’Estoile pour le règne de Henri IV, vol. I (1589–1600). Texte intégral présenté et annoté par Louis-Raymond Lefèvre. Paris: Gallimard 61948, 294–298) und der anonyme Discours des ceremonies observées à la conversion du très grand & très belliqueux Prince Henri IV, Roi de France & de Navarre, à la Religion Catholique, Apostolique & Romaine, die der pasteur Simon Goulart de Senlis in die von ihm zusammengestellten Mémoires de la Ligue integrierte (idem, Mémoires de la Ligue. Collection de documents attribuée à ce pasteur. Contenant les évenemens les plus remarquables depuis 1576, jusqu’à la Paix accordée entre le Roi de France & le Roi d’Espagne, en 1598. Nouvelle édition revue, corrigée & augmentée de Notes critiques et historiques. 6 vols. Amsterdam: Arkstée & Merkus 1758, hier vol. V, 383–385). Eine Liste weiterer »royalist accounts of the abjuration ceremony« bietet Mark Greengrass in »The public contest of the abjuration of Henri IV«, in: Keith Cameron (ed.), From Valois to Bourbon. Dynasty, state and society in early modern France. Exeter: University of Exeter 1989, 107–126, hier 109 / 110; cf auch Wolfe, Conversion, 145–155.

a) Institutionelle Grundlagen von conversio191



Ledit Seigneur de Bourges qui faisoit l’Office, lui demanda quel il etoit, Sa Majesté lui repond, Je suis le Roi. Ledit Sieur de Bourges replique, que demandezvous? Je demande, dit Sa Majesté être reçu au giron de l’Eglise Catholique, Apostolique & Romaine. Le voulez-vous, dit Monseigneur de Bourges. A quoi Sa majesté fit reponse, Oui, je le veux & le desire. Et à l’instant, à genoux Sadite Majesté fit profession de sa Foi disant: ›Je proteste & jure devant la face de Dieu tout-puissant, de vivre & mourir en la Religion Catholique, Apostolique & Romaine, de la proteger & défendre envers tous, au péril de mon sang & de ma vie, renoncant à toutes hérésies contraires à celle de ladite Eglise Catholique, Apostolique & Romaine‹.2

Erst dann zogen König und Kleriker in die gleichfalls reich dekorierte Kirche ein, wo Henri IV zunächst vor dem Altar und auf das Evangelium sein Glaubensbekenntnis wiederholte, dann die Beichte ablegte, um anschließend »en très grande dévotion«3 dem Hochamt sowie einer am Nachmittag folgenden Predigt beizuwohnen. Mögen die überkommenen Berichte, die Augenzeugen und Chronisten über die Zeremonie anfertigten, auch im Einzelnen differieren, in zweierlei Hinsicht waren sie einhellig: Die conversio des Königs wurde übereinstimmend als außergewöhnliches Ereignis dargestellt, das die Bevölkerung beeindruckte und von der katholischen Kirche in imposant-feierlicher Form zelebriert wurde. Gleichfalls Einigkeit herrscht in Bezug auf das Aufnahmeritual. Dessen Riten finden sich in identischer Form und Reihenfolge in allen konsultierten Texten, was darauf hindeutet, dass die Zeremonie schlicht den damaligen liturgischen Richtlinien folgte.4 In Hinblick auf die Frage nach dem »wie« und »warum« von conversio können die Berichte über die Ereignisse vom 25. Juli 1593 also in doppelter Hinsicht von Nutzen sein. Sie zeigen zum einen, dass conversio im Sinne eines Konfessionswechsels auch spectacle sein kann, das möglicherweise unabhängig von der konvertierenden Person die Menschen aus ihrem Alltag reißen und deshalb ihre erbauliche Wirkung um so besser zu entfalten vermag; zum anderen bieten sie erste Hinweise darauf, wie ein Übertritt von einer christlichen Konfessionskirche in eine andere im Zeitalter von Reformation und Konfessionalisierung formal vonstatten ging. Dieser zweite Aspekt wird im Folgenden im Vordergrund stehen, die Idee von conversio als spectacle ist hingegen Gegenstand von Abschnitt 4.d). Die im 13. Jahrhundert entwickelten Messformulare für die Wiederaufnahme von Häretikern sahen zunächst die öffentliche Abschwörung von Discours, in: Goulart, Mémoires V, 383–385. Kursiva im Original. Discours, in: Goulart, Mémoires V, 385. 4  Diesbezügliche Änderungen wären nämlich sofort bemerkt worden, was die vom Verfasser gewünschte Glaubwürdigkeit seines Berichts in Frage gestellt hätte. 2  Anonym, 3  Anonym,

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3. Entstehungsbedingungen einer literarischen Form

allen Häresien und das Bekenntnis des christlichen Glaubens vor, anschließend dessen Besiegelung durch Absolution und Kommunionempfang.5 Dass sich an dieser Ritenfolge, die in ihrer Dreigliedrigkeit dem typischen Muster von Übergangsriten entspricht,6 in den folgenden Jahrhunderten wenig geändert hat, zeigt nicht nur die conversio von Henri IV: Auch die von den Verfassern von Konversionsschriften gelegentlich integrierten Informationen über den formellen Abschluss bzw. die Umsetzung eines conversio-Vorsatzes in Form eines Übertritts von der reformierten in die katholische Kirche vermitteln ein einheitliches Bild. Stets ist von einer Abschwörung entre les mains eines (Erz)-Bischofs – »Il abiura publiquement les erreurs de Calvin le jour de Noel dans l’Eglise de Saint Ouën entre les mains de Monsieur le Reverendissime Archevesque de ceste ville«7 – ei5  Cf. Wanegfellen, Se convertir, in: Fragonard / Peronnet, Catéchismes, 65 / 66 sowie ausführlich Raoul Naz, e. a. (dir.), Dictionnaire de Droit canonique: contenant tous les termes du droit canonique avec un sommaire de l’histoire et des institutions et de l’état actuel de la discipline. 8 vols. Paris: Letouzey & Ané 1924–1935, Lemmata: hérésie, abjuration. 6  Übergangsriten (rites de passage) bestehen aus Trennungs-Schwellen und Angliederungsriten und dienen – wie der französische Ethnologe Arnold van Gennep herausfand – grundsätzlich dazu, Momente der radikalen Veränderung erträglich zu machen (cf. idem, Übergangsriten (= Les rites de passage). Aus dem Französischen von Klaus Schomburg und Sylvia M. Schomburg-Scherff. Mit einem Nachwort von Sylvia M. Schomburg-Scherff. Frankfurt am Main / New York: Campus 1999, 14 / 15). Zu diesen Krisenzeiten im Leben eines Menschen gehören neben Geburt und Tod auch der Eintritt in eine neue Lebensphase oder der Wechsel des sozialen Umfelds (cf. ibid., 239s). Die christlichen ›Initiationsriten‹, Taufe, Firmung / Konfirmation, Ordination / Priesterweihe, die oftmals mit den genannten Übergangszeiten zusammenfallen bzw. den Eintritt in eine neue Gruppe markieren, weisen alle das durch van Gennep nachgewiesene Dreierschema auf. Die Gestaltung des Aufnahmerituals für ›Häretiker‹ – das heißt Konvertiten – als rite de passage trägt damit, vielleicht auch unbewusst, dem spirituellen und sozialen Impetus einer conversio Rechnung. 7  (Gabriel?) Madelenet, La conversion de P. Marcha Sieur de Pras, cy devant Ministre en Vivarais és pays de Languedoc. Rouen: Marin Michel 1617 (8 Seiten, in-8°), »Lettre A Monsieur (le ministre) Ferrier«, 1–8, hier 5. Der Brief von Madelenet wurde im Allgemeinen in Verbund mit einer 1618 entstandenen zweiten Schrift, die gleichfalls von der conversio von Marcha kündet, herausgegeben, cf. Anonym, Ample et fidelle narré de l’heureuse conversion de Pierre Marcha, Sieur de Pras, Ministre de la Religion prétendué reformée, és pays de Languedoc. Faites en l’Eglise de S. Ouën, le iour de Noël dernier, en la presence de sa MAIESTÉ Tres-chrestienne, de Messieurs les Princes de toute la Cour, & les Grands de son royaume. DEDIÉ au ROY. Paris: Fouët 1618 (23 Seiten, in-8°), Blockbuchstaben im Original). Die Tatsache, dass eine Abschwörung – und damit auch die anschließende profession de foi – tatsächlich nur von einem (Erz-)Bischof angenommen werden durfte und nicht von einem ›einfachen‹ Priester (cf. Naz, Dictionnaire, Lemma: abjuration), verlieh dem Schritt sowohl in den Augen des Konvertiten als auch vor der Gemeinde zusätzliche Bedeutung – und ließ zudem eine conversio-Zeremonie schnell zu einem



a) Institutionelle Grundlagen von conversio193

nem öffentlichen, feierlichen Bekenntnis – »Le iour de S. Bonaventure, iour de grace, & de benediction pour moy […] en fis une confession de Foy aussi solemnelle que m’a (sic  !) faute avoit esté publique«8 – sowie von Beichte und Kommunion die Rede, die entweder gleich im Anschluss oder am Folgetag abgelegt bzw. empfangen wurde: Le jour suivant qui estoit un Dimanche, il se confessa avec une tres-grande satisfaction du Pere qui oüyt sa confession, […]. Le Lundy matin entre huict & neuf heures il reçeut le tres Sainct Sacrement de l’Eucharistie.9 spectacle werden. Interessanterweise bedienten sich sowohl Furetière als auch die Herausgeber des Dictionnaire de l’Académie Française Ende des 17. Jahrhunderts der Wendung ›abjurer entre les mains d’un évêque‹ zur Erklärung des Begriffs »abjuration« respektive »abjurer«, was einmal mehr die Natürlichkeit und Frequenz des Vorgangs in der damaligen Zeit belegt; cf. Furetière, Dictionaire, Lemma: abjura­ tion: »renonciation solemnelle à une erreur, à une heresie. Ce ministre a fait abjuration entre les mains de l’Evêque«; Académie française (ed.), Dictionnaire de l’Académie françoise. Paris: Coignard 1694, Lemma: abjurer: »[…] Il a abjuré dans l’Eglise Nostre Dame; depuis qu’il eut abjuré entre les mains d’un tel Evesque«. Eine vergleichbare Lexikalisierung lässt sich in Bezug auf die kirchenrechtlich notwendige Verbindung von abjuration und conversion feststellen: »Cet homme […] a abjuré, pour dire: il a changé de Religion, il s’est converty«; Furetière, Dictionnaire, Lemma: abjurer. 8  Léonard Thevenot, Lettre escrite aux ministres assemblez en leur synode a Moze. Par le Sieur Thevenot, n’agueres Ministre de la Religion Pretenduë Reformée, & maintenant converty à la foy Catholique par Monseigneur l’Illustrissime & Reverendissime Evesque de Xainctes. Iouxte la Coppie Imprimée à la Rochelle. Paris: Huré 1634 (6 Seiten, in-8°), 5. Thevenot war im Jahr 1600 in die Église réformée eingetreten und hatte bereits anlässlich dieser ersten conversio eine Konversionsschrift verfasst; cf. (Leonard Thevenot), Declaration faite par Leonard Thevenot, cy devant Curé de la Paroiße de S. Savin, de la ville de Poictiers, faicte publiquement en ladicte Eglise de 26 Novembre 1600, in: Anonym, Diverses revocations et abiurations du Papisme, publiquement faittes en divers endroits du Royaume de France par certaines personnes Ecclesiastiques & nommément par Pere Abraham, iadis Prieur des Carmes en la ville d’Arles; Père Edmond de ­Beauval, iadis Iesuite & Docteur en Theologie; Sieur Melchior Roman Espagnol, iadis procureurs de l’ordre des Iacobins à Rome; Maistre Iean Norman, iadis Predicateur ordinaire de Mastas, Sieur Antoine Ginestet, iadis Confesseur & Prestre Franciscain; Leonard Thevenot, ci devant Curé dans la ville de Poitiers; Tout advenu l’an du dernier Iubilé de Rome 1600. Avec deux lettres escrites par deux personnes, l’un Iesuite, l’autre ayant esté & maintenant converti, & faict Ministre de la Parole de Dieu. A quoy est adiousté encores un brief recit De ce qui est advenu dans la ville Papale d’Avignon, en la belle Procession qui y fut tenue le iour du Sacrement dernier. Les six premieres imprimees iouxte les Originelles publiées en France. Les autres selon les Copies des lettres qui en ont esté escrites. Den Haag: Henry 1601 (52 Seiten, in-4°), 44–46. Zu den eventuellen Unterschieden der beiden Schriften hinsichtlich Struktur und verwendeter Bildsprache cf. Kapitel 4.a) und 4.b). 9  Bertrand, (Vorname nicht bekannt), La conversion de Monsieur Poylevé cydevant premier arcboutant de la Religion Prétendue Reformée de Limoges, conver-

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3. Entstehungsbedingungen einer literarischen Form

Die genannten Riten waren mehrheitlich auch Teil der conversio-Zeremonie von Henri IV. Die einzige Ausnahme bildet die dezidierte Abschwörung der religion (prétendue) réformée, die in den Texten nicht erwähnt wird, aber als Folge der Institutionalisierung der christlichen Konfessionskirchen nunmehr rechtlich notwendig geworden war. Bevor die Gründe für diese Unregelmäßigkeit erarbeitet werden, seien zwei Aspekte der bisherigen Auseinandersetzung mit den liturgischen Richtlinien festgehalten, die für die Bewertung von conversiones im 16. und 17. Jahrhundert von Bedeutung sind. Die Tatsache nämlich, dass für die conversio im Sinne eines Übertritts von der reformierten in die katholische Kirche kein neues Ritual entwickelt, sondern wie gezeigt, die aus dem Spätmittelalter überkommenen Formulare übernommen und adaptiert wurden, beweist zum einen, dass man die Mitglieder der Eglises réformées nach katholischem Verständnis trotz partieller coexistence pacifique weiterhin als Häretiker ansah, zum anderen, dass eine solche conversio als Rückkehr zu einem gottgefälligen Leben angesehen wurde und damit gegenüber den traditionellen, vorreformatorischen Formen Kontinuität besteht. Manifest wird dieses Verständnis im Moment der Beichte, sowie vor allem in Büßerkleidung und Körperhaltung der Konvertiten, so beispielsweise bei Abschwörung und / oder Glaubensbekenntnis, »à genoux«.10 Die Gründe für die Absenz eines dezidierten Abschwörungsritus im Rahmen der Zeremonie von Henri IV erschließen sich bei einem Blick auf die damals gängigen formules d’abjuration. Einen entsprechenden Hinweis auf die in Frage kommenden Texte bietet beispielsweise der Bericht von der Celebre Conversion de la Personne et Famille de M. Geoffroy de Vaux zum katholischen Glauben: Lequel (i. e. un chant) achevé, Monsieur le Cardinal suivant le Pontifical & rituel Romain user des ceremonies solennelles accoustumees de toute antiquité en l’Eglise de Dieu pour luy donner l’absolution de l’heresie qu’il abjura en la forme proposée du S. Concile de Trente & la signa de sa main.11 ty à la foy catholique, Apostolique et Romaine. Envoyée à Monseigneur le Vicomte de Rochechouart, Baron de Sainct Germain & autres places, Conseiller du Roy en ses Conseils d’Estats, Chevalier & Capitaine de cent homme d’armes de ces ordonnances. Paris: Quenet 1630 (24 Seiten, in-4°), 7 / 8. 10  Cf. dazu beispielhaft: Anonym, Discours, in: Goulart, Mémoires V, 384: »Et à l’instant, à genoux, Sadite Majesté fit profession de sa Foi«. Die sakramentale Beichte war zudem Voraussetzung für den späteren Kommunionempfang. Zur Gestaltung der conversio als Bußzeremonie cf. auch Greengrass, Abjuration, in: Cameron, Valois, 117ss. 11  (Geoffroy de Vaux / L’Imprimeur), Celebre Conversion de la Personne et Famille de M. Geoffroy de Vaux, jadis de l’ordre des S. François, Breton de Nation,



a) Institutionelle Grundlagen von conversio195

Wenn der Verfasser hier schreibt, Geoffrey de Vaux »abjura en la forme proposée du S. Concile de Trente«, spielt er damit möglicherweise auf das bereits erwähnte Trienter Glaubensbekenntnis an, das aufgrund seiner antiprotestantischen Ausrichtung im ausgehenden 16. sowie im 17. Jahrhundert – neben zahlreichen anderen – als Abschwörungstext fungierte und die bisher üblichen allgemein formulierten Klauseln ersetzte.12 Eine weitere gleichfalls explizit gegen die Lehre der religion prétendue réformée gerichtete Formel fand beispielsweise im Rahmen der conversio des (ehemaligen) ministre Jean Poylevé Verwendung. Sie wurde anschließend seiner Konversionsschrift beigefügt: Ce jourd’huy 6 juillet, de l’an 1630, Je Jean Poylevé, de cœur contrit & humilié, recognois & confesse devant la Tres Saincte Trinité & toute la Cour celeste, que j’ay grandement erré par le passé, m’estant tenu dans le parti des Heretiques, & y croyant diverses heresies comme sont entre autres que le corps de Jesus-Christ n’est point vrayement & réellement en l’Eucharistie, que la seule Foy justifie. Mais depuis m’estant recogneu par la grace & misericorde de Dieu, J’ABJURE & DETESTE de bon cœur & franche volonté, tant les susdites, que toutes autres Heresies, de quelle sorte qu’elles soient, voulant en tout & part tout suivre & tenir, ce que tient & suit l’Eglise Catholique, Apostolique & Romaine. Ce que je promets & jure devant Dieu. Ainsi signé Jean Poylevé.13

Deutlich kürzer als der Trienter Text umfasst die Formel weder eine Zusammenfassung des katholischen Glaubens nach nicaeno-constantinopolitanischem Vorbild noch eine Liste aller als häretisch gebrandmarkten Lehren. Stattdessen wird stellvertretend für alle Streitpunkte auf die Herrenmahls­ debatte hingewiesen und die genannten Häresien werden auf diese Weise eindeutig als die von der Eglise réformée vertretenen gekennzeichnet.14 du Diocèse de Triguier, après avoir esté Ministre de la Doctrine Calvinniene ès pays de Dauphiné, faicte à Toloze devant Monseigneur l’Illustriss. et Rever. Cardinal de Joyeuse, cinq ou six Evesques, tout le Clergé et bien dix mille personnes ou davantage en la grande place S. Etienne le dimanche 19 janiver 1597 apres la grande Messe de Paroisse et Predication. Paris: Jean Le Blanc 1597, jouxte la copie imprimée à Toloze: Colomiez 1597 (36 Seiten, in-8°), »L’imprimeur au lecteur chrestien«, 33. 12  Ein »résumé synoptique des formules« bietet Wanegfellen im Anhang seines Artikels, idem, Se convertir, in: Fragonard / Peronnet, Catéchismes, 89–93. 13  Bertrand, Conversion de M. Poylevé, 21 / 22. Blockbuchstaben im Original. 14  Wie der Verfasser der Konversionsschrift erklärt, hatte Poylevé besondere Schwierigkeiten, das katholische Verständnis vom Herrenmahl zu akzeptieren, cf. Bertrand, Conversion de M. Poylevé, 6: »(Poylevé) qui apres les complimens ordinaires commença à proposer la principale difficulté qu’il eust, qui estoit de la Transsubstantiation«. Wenn nun in der Abschwörungsformel ausgerechnet die Herrenmahlsdebatte als Beispiel für die katholisch / protestantischen Unstimmigkeiten fungiert, legt dies die Vermutung nahe, dass man für derartige Formeln nicht immer auf

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3. Entstehungsbedingungen einer literarischen Form

Macht man sich einmal bewusst, welche Reaktionen eine solcherart konzipierte Formel bei den Anhängern der Gegenseite hervorrufen könnte, die bei der conversio des Königs sicherlich in größerer Zahl vertreten waren als beim Übertritt des ›kleinen Mannes‹, wird leicht nachvollziehbar, warum bei Henri IV auf die Rezitation des Abschwörungstextes verzichtet und lediglich eine sehr allgemein formulierte profession de Foy verlesen wurde.15 Da diese in Bezug auf die Ketzerfrage inhaltlich nicht über die bereits zitierte Häretikerklausel des serment du royaume hinausgeht, war deren Eindruck auf die erhitzten Gemüter wohl durchaus kalkulierbar. Wie einzelne Chronisten aber berichten, hatte die formelle Abschwörung der religion prétendue réformée bereits einen Tag vorher stattgefunden, am Ende einer mehrstündigen Katechese.16 Der dort unterzeichnete Text, der mit einer wohl integrierten Papstgehorsamsformel17 zudem nicht nur den Protestanten, sondern auch gallikanisch gesinnten Klerikern und Gläubigen hätte missfallen können, wurde während der conversio-Zeremonie dem Bischof von Bourges lediglich stillschweigend übergeben.18 Mag der besondere Umgang mit der abjuration auch der Persönlichkeit und Situation des Konvertiten geschuldet gewesen sein – dass eine solche Formel wie im Falle des Königs als Ergebnis einer Glaubensunterweisung verfasst wurde, ja, dass möglicherweise der Entschluss zur conversio erst bei einer intensive(re)n Auseinandersetzung mit den umstrittenen Themen reifte, scheint hingegen durchaus üblich gewesen zu sein. Von entsprechenden instructions berichten nämlich auch die Verfasser vieler Konversionsschriften: So ging beispielsweise der conversio des bereits erwähnten Pierre Marcha eine mehrtägige Debatte mit angesehenen katholischen Geistlichen voraus: Ie luy ay fait voir […] quelques unes des plus grandes Lumieres jourd’huy en ceste Cour, avec lesquels il a conferé plusieurs fois & combat qu’un homme de sa robe sçauroit faire à la deffence d’une plorée. […] Si est ce que la frequentation de ces doctes Sermons

qui sont aurendu tout le cause si desl’a tellement

Existierendes zurückgriff, sondern sie gelegentlich der Persönlichkeit des Konvertiten und dessen Glaubenszweifeln anpasste. 15  Cf. Wolfe, Conversion, 151. 16  Cf. De L’Estoile, Journal I, 294: »Et depuis les six heures du matin jusques à une heure après midi, le roi a reçu l’instruction sur les articles de la foi catholique, desquels le roi doutait le plus«; Anonym, Discours, in: Goulart, Mémoires V, 383, cf. dazu Greengrass, Abjuration, in: Cameron, Valois, 113 / 114, Wolfe, Conversion, 142–144. 17  Cf. Greengrass, Abjuration, in: Cameron, Valois, 114. 18  Cf. Anonym, Discours, in: Goulart, Mémoires V, 384; De L’Estoile, Journal I, 297, dazu Greengrass, Abjuration, in: Cameron, Valois, 109 / 110, Wolfe, Conversion, 151.



a) Institutionelle Grundlagen von conversio197 edifié qu’il ne s’est pas plustost senty convaincu en sa conscience qu’il a franchement cedé à la verité […]19

Sich über die Glaubenswahrheiten der einen wie der anderen christlichen Konfession auszutauschen, war jedoch keinesfalls nur Sache der Theologen. Ein Bedürfnis, sich vor einer so folgenschweren Entscheidung zu informieren, hatten auch ›einfache‹ Gläubige, die, fühlten sie sich selbst einer Diskussion nicht gewachsen, sich kompetenten Beistand holten. Über entsprechende Versuche, die nach einigen Rückschlägen zum Erfolg, der conversio führten, berichtet zum Beispiel Jean de Beaumais, der als solch ein Helfer fungierte, in der Konversionsschrift seiner Schützlinge: Le Sieur de Meziere, n’aguieres de la Religion pretenduë reformée, & maintenant tenant par la grace de Dieu Catholique, quelques iours auparavant sa conversion, s’estant trouvé convaincu de la fausseté de sa Religion dans un entretien qu’il eust avec le sieur Beaumais marchand Mercier, pria ledit Beaumais d’en vouloir conferer avec ses Ministres, ce qu’il promit tres-volontiers. Là dessus, ledit sieur de Mezieres, son frere aisneé, s’en alla chez Mr le Faucheur, auquel le frere portant la parole, dit; Mr, voicy mon frere qui est de vostre Religion, & moy qui me suis fait Catholique depuis quelques iours, nous venons vers vous apres avoir parlé à un homme de l’Eglise Romaine, qui a mostré à mon frere beaucoup de faussetez en vostre Confession de Foy, & luy a dit qu’il les soûstiendroit devant vous, c’est pourquoy nous vous prions de nous donner iour & heure pour cela; car ce qu’il a dit à mon frere est veritable, il faut que mon frere quitte vostre religion, & se fasse Catholique: Mais si au contraire vos faites veoir devant cét homme que ce qu’il a dit de vostre doctrine est faux, & que vostre croyance est bonne, mon frere y demeurera, & moy pareillement i’en feray profession […]20

Die im vorangegangenen Kapitel skizzierten historischen Begebenheiten strafen derlei Berichte möglicherweise Lügen: Der hier suggerierte Anschein von Freiwilligkeit und persönlichem Informationsbedürfnis – der auch in den Berichten über die conversio des Königs durchschimmert21 – entsprach 19  Madelenet, La conversion de P. Marcha, 4 / 5. Einer der Gesprächspartner war der Jesuit Père Arnoux. 20  Jean de Beaumais, dit le Mercier de Paris, Le Combat du Mercier avec le Sieur Aubertin, Ministre de Charenton, qui a perdu une des ses oreilles, & deux de ses brebis, qui se sont rangez au troupeau Catholique, en la Chapelle Royale du petit Bourbon. Paris: ohne Druckervermerk 1651 (8 Seiten, in-4°), 1. Jean de Beaumais war theologisch gebildeter Laie. 21  Cf. zum Beispiel den Bericht von De l’Estoile über die bereits angesprochene Katechese am Vorabend der conversio. Eine weitere, gleichfalls vom König anberaumte instruction soll bereits zwei Monate vor dessen Übertritt in Mantes stattgefunden haben (cf. De L’Estoile, Journal I, 250 (10 mai 1593). Zu Teilnehmerkreis, Inhalt und Tenor dieser Zusammenkünfte cf. ausführlich Christian Desplat, »La religion d’Henri IV«, in: Perot / Tucoo-Chala, Henri IV, 223–267, besonders 247ss. Einen entsprechenden Wunsch nach instruction (der jedoch gleichfalls auf politischem Kalkül beruhen konnte) hatte Henri IV zudem bereits bei seiner Thronbestei-

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3. Entstehungsbedingungen einer literarischen Form

sicher nicht in allen Fällen der Realität, sondern diente vielmehr dazu, propagandistisch die sincerité der conversio zu unterstreichen oder die Helfer als Nachfolger von Hananias und Victorinus zu stilisieren.22 Dennoch kann wohl davon ausgegangen werden, dass einem Übertritt in die katholische Kirche notwendig eine instruction in Form einer mehr oder weniger freiwilligen Katechese vorausging. War es der katholischen Kirche, wie gezeigt, möglich gewesen, auf die veränderte Lage durch die Anverwandlung bereits bestehender Konzepte zu reagieren und auf diese Weise eine gewisse Kontinuität zu demonstrieren, mussten die Verantwortlichen der protestantischen Kirchen gänzlich neue Formen schaffen – und das nicht nur, weil sie die überkommene Liturgie ablehnten. Entscheidend für die Entwicklung eines Procedere für den Eintritt in die Eglises réformées waren vielmehr die Existenz einer Confession de Foi réformée sowie deren Akzeptanz nicht nur in ihrer identitätsstiftenden, bestätigenden,23 sondern auch in ihrer normativen und damit letztlich abgrenzenden Funktion. Ein solches Verständnis ihres Glaubensbekenntnisses entwickelte die communauté réformée aufgrund ihrer aus dem sola scriptura-Prinzip genährten, grundsätzlichen Skepsis gegenüber nicht direkt aus der Bibel entnommenen Texten zunächst nur zögerlich.24 Da man aber binnen kurzer Zeit den praktischen Nutzen einer für alle Gemeindemitglieder verbindlichen Formel erkannte, der vor allem darin bestand, das Zusammengehörigkeitsgefühl der Gläubigen zu stärken, wurde die anfängliche Sorge bald begraben.25 gung, 1589, formuliert: »[…] nous sommes tous prêts et ne desirons rien davantage que d’estre instruits par un bon légitime et libre concil et général et national pour en suivre et observer ce qui y sera conclu et arrêté […]«, Déclaration et serment du roi à son avènement à la couronne, suivie de l’adhésion des princes, ducs, pairs et auters seigneurs présens, sous condition de maintenir la religion catholique, in: Jourdain / Isambert, Recueil, vol. XV, n. 2 (04.08.1589). 22  Cf. dazu infra, Kapitel 4. 23  Eine solche Funktion erfüllte die confession de foi (ebenso wie die Discipline écclesiastique) sowohl bei ihrer Verlesung im Rahmen der Nationalsynoden als auch bei der Feier der cène. Denn zum Abendmahl war nur zugelassen »qui a premierement faict confession de sa foy, c’est à dire qu’il a déclairé devant le ministre qu’il veut vivre selon la Reformation de l’Evangile […]«; Ordonnances écclesiastiques, in: Registres, 9, ähnlich Calvin, Œuvre / La forme des prières, 295 (»La manière de célébrer la cène«) sowie François Mejan, »Introduction historique«, in: idem, Discipline, 1–63, hier 6. 24  Cf. André Gounelle, »Statut et autorité des confessions de foi réformées«, in: Fragonard / Peronnet, Catéchismes, 13–26, hier 13: »Les protestants ont tendance de nier tout caractère normatif aux textes ecclésiastiques«. 25  Cf. Bernard Roussel, »Le texte et les usages de la Confession de foi des Eglises réformées de France d’après les Actes des Synodes nationaux 1559–1659«, in: Fragonard / Peronnet, Catéchismes, 31–60, hier 38.

a) Institutionelle Grundlagen von conversio199



Hatte man sich, wie dargestellt, katholischerseits vorrangig bemüht, die Abschwörungsformel an die neuen Gegebenheiten anzupassen, stand in protestantischen Kreisen also die Suche nach einem adäquaten Bekenntnistext an erster Stelle.26 Denn anders als in der katholischen Kirche, wo man sich aufgrund des herrschenden kirchlichen Selbstverständnisses weiterhin des Nicaeno-Constantinopolitanum bediente oder schlicht auf Formeln wie »(je jure vouloir) tenir et suivre tout ce que tient & suit l’Eglise Catholique, Apostolique & Romaine«27 zurückgriff, war es den Eglises réformées an der Betonung der Besonderheiten des reformierten christlichen Glaubens gelegen. Ergebnis ihrer Bemühungen war die bereits mehrfach erwähnte Confession de foi des Eglises réformées de France dite ›Confession de la Rochelle‹, die bald den Status einer ›Beitrittserklärung‹ erhielt und die es zu unterschreiben oder in gekürzter Form öffentlich zu rezitieren galt, wollte man Mitglied einer Eglise réformée werden.28 Und nicht nur das: Der Logik der sich bildenden, sich konkurrierend gegenüberstehenden Konfessionskirchen folgend, setzte sich auch in protestantischen Kreisen mit der Zeit die Ansicht durch, dass es nur möglich war, einen ›neuen‹ Glauben zu bekennen, nachdem man vorher den ›alten‹ abgeschworen hatte.29 Die abjuration von »toute superstition & Idolatrie de l’Eglise Romaine«30 etablierte sich damit als zusätzliche Voraussetzung für die Aufnahme in eine der reformierten Kirchen Frankreichs, blieb aber gegenüber der confession immer zweitrangig. Konversionsschriften, die im 17. Jahrhundert anlässlich des Eintritts in eine Eglise réformée verfasst wurden, spiegeln die skizzierten Tendenzen deutlich wider: So verspricht beispielsweise Daniel Pistorius, der wohl im protestantischen Glauben aufgewachsen war, aber drei Jahre zuvor eine conversio zum Katholizismus vollzogen hatte: Wanegfellen, Se convertir, in: Fragonard / Peronnet, Catéchismes, 69. die bereits zitierte Konversionsschrift von Jean Poylevé; Syntaxanpassung von mir. Cf. auch die confession de foi von Henri IV. 28  Cf. Roussel, Confession, in: Fragonard / Peronnet, Catéchismes, 36 / 37. Dieser neue Status schließt allerdings nicht aus, dass der Text der Confession de foy fortwährend an der Ecriture gespiegelt und im Rahmen des Examen de la confession de foy, das zum Auftakt jeder Synode stattfand, Veränderungen vorgenommen werden konnten, cf. Aymon, Synodes nationaux, passim. 29  Cf. dazu Wanegfellen, Se convertir, in: Fragonard / Peronnet, Catéchismes, 70: »Les deux Eglises ne partent pas du même point, mais, au terme d’une évolution symétrique, elles parviennent à un stade similaire, qui marque le point d’aboutissement du processus de construction confessionelle«. 30  Aymon, Synodes nationaux / XVIe Synode […], Gergeau (1601), Revision de la discipine ecclésiastique. Der vollständige, art. XIV der Discipline hinzuzufügende Passus lautet: »Auci ne sera reçu à la Communion de l’Eglise qu’il n’ait pre­ mierement renoncé à toute superstition & Idolatrie de l’Eglise Romaine«. 26  Cf.

27  Cf.

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3. Entstehungsbedingungen einer literarischen Form

protestant sainctement devant sa face & les Anges de sa gloire, au conspect de ceste saincte assemblee, que ie renonce au Pape, à sa Messe, à toutes ses super­ stitieuses inventions & idolatries, pour vivre & mourir en la profession de la Religion Reformée, souscris à la confession de foy des Eglises de France & à leur discipline, promets de m’employer à toute bonne œuvre, confirmer ceux qui sont esbranlez, ramener les desvoyez, edifier mes prochains par bon exemple, & glorifier durant toute ma vie le Dieu de mon salut. Amen. FIN31

In seiner Confession et Reparation Publique sind Abschwörung und Bekenntnis zwar wie vorgeschrieben kombiniert, die »profession de la Reli­ gion Reformée« wird aber durch den zusätzlichen Hinweis auf das Leben nach den Richtlinien von Confession und Discipline »des Eglises de France« deutlich stärker profiliert als die abjuration: Wichtiger als die Vergangenheit ist hier die Zeit nach der conversio, in der Pistorius zum Wohle der neuen Gemeinschaft zu agieren verspricht. Den Blick auf die zukünftige communio der Eglise réformée lenkt beispielsweise auch der Verfasser der Konversionsschrift des ehemaligen Jesuitenpaters Pierre Jarrige. Der Acte de la profession de Foy de Monsieur Iarrige beinhaltet gleichfalls eine abjuration, betont aber die Idee des faire profession de Foi réformée: il prioit tres affectueusement ladite Compagnie (i. e. le consistoire) de le recevoir à en faire sa Profession au milieu d’elle. […] Au moyen de quoy (i. e. l’approbation de son desir) il a juré saintement devant Dieu et ses Anges, qu’il renonce de bon cœur aux erreurs & abus dont l’Eglise Romaine est remplie, et particulierement au pretendu Sacrifice de la Messe, & à toutes ses dependances. De plus, il a aussi renoncé à tous ses Vœux Monastiques, & declaré qu’il se range de pleine affection à la Foy & Communion des Eglises Reformées de ce Royaume, avec resolution ferme d’y perseverer, moyennant l’ayde de Dieu, iusques à son dernier soupir. D’ailleurs il a aussi promis de s’assujettir à l’ordre & discipline selon laquelle les Eglises de ces Royaume sont conduites. […] Signé de sa propre main.32

Grund für die besondere Wertschätzung des Bekenntnismoments seitens der Eglise Reformée – die einem Herausstellen der erfolgten abjuration de l’herésie seitens der katholischen Kirche gegenübersteht – ist wohl erneut dessen identitätsstiftender, bestärkender Charakter: Für eine Gruppe, die 31  (Daniel Pistorius), Confession et Reparation Publique, faite en l’Eglise d’Orange, le 18 Iuin 1623. Par la propre bouche de Daniel Pistorius, natif de Nismes, lequel a esté esgaré de la vraye Religion reformée durant trois ans. Nîmes: Vaguenar 1623 (8 Seiten, in-8°), 8. Blockbuchstaben im Original. Einen Gesamteindruck des écrit de conversion von Pistorius vermittelt dessen Abschrift in Anhang III. 32  »Acte de la profession de Foy de Monsieur Iarrige, extraits des Actes du Consistoire de l’Eglise Reformée de la Rochelle. Du Mercredi, 25 décembre 1647«, in: Laurent Drelincourt, La conversion de Monsieur Iarrige, cy-devant Iesuite, confesseur et Pere Spirituel de la Maison des Iesuites à La Rochelle, Admoniteur du Recteur, & Predicateur Ordinaire. Iouxte la copie imprimée à Saumur; Charenton: Louys Vendosme 1648 (31 Seiten, in-8°), 14–16, hier 15.



a) Institutionelle Grundlagen von conversio201

sich als ›gelittene Minderheit‹ fühlt, bedeutet die Anerkennung der von ihr vertretenen Wahrheit nicht nur eine Bestätigung, sondern auch Bestandssicherung für den petit troupeau.33 Die Betonung des Abschwörungsmoments erscheint hingegen als Merkmal der ecclesia triumphans, die nach außen hin zeigen will, dass die devoyez ihren Fehler eingesehen haben. Diese Tendenz erscheint besonders ausgeprägt während der letzten 20 Jahre vor der révocation des Edit de Nantes, als man – wie gezeigt – unter der Regierung von Louis XIV verstärkt versuchte, die unité religieuse wieder herzustellen. Ziel aller restriktiven Maßnahmen war »d’obtenir l’abjuration«, eine feierliche Aufnahmezeremonie fand in den 60–90er Jahren des Jahrhunderts wohl nur noch in Einzelfällen statt.34 Die analysierten Konversionsschriften enthalten zudem erste Hinweise darauf, in welchem Rahmen conversio im Sinne eines Eintritts in die Eglise reformée damals stattfand: Wie aus dem Titel des Textes von Pistorius hervorgeht, legte dieser seine Confession öffentlich in einer Kirche ab, Jarrige hingegen vor dem consistoire, also der Gemeindevertretung, bestehend aus anciens und ›einfachen Gläubigen‹.35 Anhaltspunkte hinsichtlich des Ablaufs einer conversio-Zeremonie finden sich, anders als in Texten, die vom Eintritt in die katholische Kirche handeln, äußerst selten. Eine knappe Information bietet der Bericht über die conversio von Jeanne d’Albret, der Mutter des späteren Henri IV. Der offizielle Historiograph und Verfasser der Histoire de Béarn notierte: 33  Natürlich bestand auch hier – wie in Hinblick auf die ›katholischen‹ Schriften angemerkt – die Möglichkeit, die beschriebene Sachlage auszunutzen, etwa indem der Verfasser einer Konversionsschrift das Bekenntnismoment besonders herausstellt und den Facetten des ›neuen‹ Glaubens mehr Aufmerksamkeit schenkt als denjenigen des ›alten‹. 34  Cf. Yves Krumenacker, »Jean Migault ou les dragonnades fondatrices«, in: Jean Migault, Journal de Jean Migault ou Malheurs d’une famille protestante du Poitou (1682–1689). Présenté par Yves Krumenacker. Paris: Les Editions de Paris 1995, 145–171, hier 153. Über seine eigene Abschwörung, die im Anschluss an einen mehrmonatigen Gefängnisaufenthalt stattfand, berichtet der Verfasser des von Krumenacker herausgegebenen Tagebuchs beispielsweise: »Au sortir de cette prison, un officier me conduisit au couvent de l’oratoire, et là je signai un billet sans m’enquérir de qui était écrit«; Migault, Journal, 75. Der Witwer Migault sah in der abjuration die einzige Möglichkeit, wieder frei zu kommen und sich um seine neun Kinder kümmern zu können; cf. ibid, 72–75 sowie infra, Kapitel 3.b)aa). 35  Zu Zusammensetzung und Aufgaben des consistoire cf. Garrisson, Protestants, 194–196 sowie grundlegend Mejan, Discipline, art. 6. Das Ablegen der Confession de foy vor dem Konsistorium war wohl keinesfalls unüblich und geschah meist während der dreiwöchigen Vorbereitungsperiode, die einer cène vorgeschaltet war. In dieser Zeit hatten die Gemeindemitglieder, spirituell angeleitet durch die prêche, die Möglichkeit, ihnen auferlegte Kirchenstrafen einzulösen, cf. Le Goff / Rémond / Lebrun, Histoire, 457.

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3. Entstehungsbedingungen einer literarischen Form

L’an donc 1561 à la Cène de Noël, ella abjura à Pau en Bearn la religion romaine et receust la reformée, et après avoir fait confession de sa foy, communiqua au sacrement de la Saincte Cene suivant la forme de ladite religion.36

Die hier aufgezeigte Ritenfolge Abschwörung – Glaubensbekenntnis – Teilnahme am Herrenmahl sollte in den Folgejahren zur »norme disciplinaire des Eglises réformées« werden.37 Dass zwischen den Aufnahmeritualen in beiden christlichen Konfessionskirchen zumindest strukturell weitgehende Ähnlichkeit besteht, ergibt sich aus der erwähnten Symmetrie bei der Einführung des Abschwörungsritus’ sowie besonders aus der Bedeutung, die beide Gemeinschaften dem Herrenmahl beimessen. Denn trotz aller Unstimmigkeiten, die zwischen den christlichen Konfessionen in Bezug auf das Verständnis des Sakraments herrschten, wurde es mit Rekurs auf 1 Kor 10 gemeinhin als Zeichen der Einheit von Gott und den Menschen ebenso wie unter den (versammelten) Gäubigen aufgefasst.38 Die Teilnahme des Konvertiten am Herrenmahl besiegelte also nicht nur dessen neue Gemeinschaft mit den künftigen coreligionnaires, sondern auch mit Gott,39 was wiederum bedeutet, dass conversio hier 36  Nicolas Bordenave, Histoire de Béarn et de Navarre. Publiée pour la première fois, sur le manuscrit original par Paul Raymond. Paris: Renouard 1873, 108. Die Tatsache, dass im Béarn schon 1561 eine Abschwörungsformel verwendet wurde, ergibt sich wohl aus der besonderen Situation dieser Region, in der nicht die Protestanten, sondern die Katholiken in der Minderheit waren, was die Ausbildung einer »conscience confessionelle« beförderte, cf. Wanegfellen, Se convertir, in: Fragonard / Peronnet, Catéchismes, 72. 37  Wanegfellen, Se convertir, in: Fragonard / Peronnet, Catéchismes, 73. 38  Cf. 1 Kor 10, 16–18: »Ist der Kelch des Segens, über den wir den Segen sprechen, nicht Teilhabe am Blut Christi? Ist das Brot, das wir brechen, nicht Teilhabe am Leib Christi? Ein Brot ist es. Darum sind wir viele ein Leib, denn wir alle haben teil an dem einen Brot« (Hervorhebung im Orignal). Diese Vorstellung wurde zudem sowohl von Calvin in der Institutio / n als auch von den Konzilsvätern des Tridentinum unterstrichen; es lässt sich also vermuten, dass sie in den Köpfen der Verantwortlichen tatsächlich präsent war. Cf. Calvin, Institution, XII, 1367: »De la cène du Seigneur. Et le pain de bénediction que nous rompons, est la participation du corps de Christ. Donc nous sommes un mesme corps, nous tous qui participent d’un mesme pain«; Wohlmuth, Dekrete III / concilium Tridentinum, sessio XIII – Decretum de sanctissimo eucharistiae sacramento, cap. 2: »Praeterae id (i. e. sacramentum) esse voluit […] symbolum unius illius corporis, cuius ipse caput existit, cuique nos tamquam membram arctissima fidei, spei et charitatis connexione astrictos esse voluit, ut idipsum omnes diceremus nec essent in nobis schismata«. Der in 1 Kor. 10 manifeste Einheitsgedanke wird hier mit der Idee von der Verbundenheit im Geist verknüpft, die vor Spaltung – Schisma und Häresie – schützt (cf. 1 Kor 1, 10). 39  Cf. dazu Carbonnier-Burkard, Cène, in: Pitassi, Édifier, 62. Besonders greifbar wird dieser gemeinschaftsstiftende Gedanke in der Bezeichnung »Exkommunikation« für die in den christlichen Konfessionen übliche Kirchenstrafe des (vorüber-



a) Institutionelle Grundlagen von conversio203

gleichfalls als Rückkehr zu einem gottgefälligen Leben – also als conversiopénitence verstanden wird. Anders als im katholischen Bereich ist das Aufnahmeritual in die Eglise réformée jedoch nicht auf den ersten Blick als Bußhandlung erkennbar, was sich allerdings vorrangig aus der bewussten Ablehnung äußerer Zeichen – wie Kleidung und Kniefall – sowie der sakramentalen Buße im Protestantismus calvinscher Prägung ergibt. Das bedeutet jedoch nicht, dass eine Gewissenserforschung und ein Erkennen der eigenen Sündhaftigkeit, die ja Voraussetzung für eine conversio-pénitence ist, nicht stattfanden. Beides hatte Calvin – neben der ohnehin zu Beginn jeden Gottesdienstes abzulegenden confession générale des péchés in seiner Institutio / n sowie erneut im Petite Traicté de la sainte Cène […] mit Rekurs auf 1 Kor 11, 28 – explizit empfohlen.40 Wird die sakramentale Buße durch ein analoges Sündenbekenntnis ersetzt, fungiert dies zusammen mit der confession de Foi als Schwellenritus, ist demnach auch der reformierte Aufnahmeritus als rite de passage konzipiert. Auf der Verknüpfung von conversio, im Sinne eines Konfessionswechsels mit dem ›alten‹ Konzept von conversio als Rückkehr zu einem gottgefälligen Leben,41 beruht auch die Tatsache, dass ein sich-Abwenden von der eigenen Religionsgemeinschaft und der eventuelle Eintritt in die rivalisierende, als Sünde qualifiziert wurden. So entschied die 1571 in La Rochelle zusammengetretene Nationalsynode, die Bestrafung des Verlassens der Eglise réformée sowie der conversio zur Gegenseite allein in Gottes Hände zu legen, »nous les laissons au jugement de Dieu«,42 und definierte damit den Sachverhalt

gehenden) Ausschlusses aus der kirchlichen communio, i. e. sowohl von allen kirchlichen Ämtern, als auch explizit vom Herrenmahl. Die Aufhebung der Strafe wird konsequenterweise durch die Teilnahme des vormals Exkommunizierten an cène bzw Eucharistie und Kommunion markiert, cf. Kasper, LThK, Lemma: Exkommunikation; Gisel, Encyclopédie, Lemma: excommunication. 40  »Jeder soll sich selbst prüfen, erst dann soll er von dem Brot essen und von dem Kelch trinken«. 41  Cf. Calvin, Institution, XII, 1370 »Sainct Paul commande que l’homme s’epreuve soymesme devant qu’il menge de ce pain, ou qu’il boive de ceste couppe. Parquoy, comme je l’interprete, il a voulu qu’un chascun regarde et pense en soymesme si en fiance de cœur il recognoist Jesus Christ estre son Sauveur […]«; ähnlich Jean Calvin, Petite Traicté de la sainte Cène de nostre Seigneur Iesus Christ auquel est demontré la Vraye Institution, Proffit Et Utilité D’icelle: Ensemble La Cause Pourquoy Plusieurs Des Modernes Semblent En Avoir Escrit Diversement, in: Calvin, Calvini Opera, vol. V, cc. 433–460, hier cc. 438. 42  Aymon, Synodes nationaux / VIIe Synode […], La Rochelle (1571), Matières générales, art. II; cf. im gleichen Abschnitt: »on doit laisser telles personnes, & se contenter que le Seigneur en juge«.

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conversio auch in diesem Sinne eindeutig als Fehlverhalten, das pénitence notwendig machte, wollte man mit Gott wieder ›ins Reine kommen‹.43 Der Synodenbeschluss von La Rochelle bietet die Gelegenheit, einen kurzen Blick auf die Folgen eines Konfessionswechsels im 16. und 17. Jahrhundert zu werfen. Es steht nämlich zu vermuten, dass das skizzierte Verständnis eines Übertritts in die jeweils andere christliche Konfession als vor Gott zu verantwortende Sünde eher für die theologisch geschulten ministres respektive Kleriker als für die ›einfachen‹ Gläubigen nachvollziehbar war. Tatsächlich sahen diese in den Konvertiten – die sie oft seit Jahren kannten und mit ihnen nicht nur in einer Dorf- oder Stadtgemeinschaft zusammengelebt hatten, sondern mit denen sie auch manch eine brenzlige Situation in Konfrontation mit der Gegenseite geteilt hatten – wohl weniger die Sünder denn die Verräter. Die Verantwortlichen beider Kirchen taten also gut daran, ihre neuen Gemeindemitglieder vor deren ehemaligen coreligionnaires zu schützen. Entsprechende Schritte waren katholischerseits bereits zu Beginn des 17. Jahrhunderts eingeleitet worden: Hatte man zunächst nur finanzielle Hilfen gewährt, etwa um einen Umzug in eine andere Stadt zu finanzieren, entstanden im Laufe der Jahre vielerorts maisons de nouveaux convertis.44 In diesen konnten die Neuaufgenommenen die ersten Monate nach ihrer conversio verbringen – nicht nur, um bei den Mitgliedern ihrer ehemaligen Glaubensgemeinschaft in Vergessenheit zu geraten, sondern auch, um Beruf, Familie und soziales Netzwerk zu reorganisieren. Hauptverantwortlich für diese Unterstützungsmaßnahmen zeichneten neben den Jesuiten vorrangig die bereits erwähnte Sancta Congregatio de propaganda fide sowie – später – zahlreiche Einzelinitiativen, von denen die von Paul Pellisson verwaltete caisse de conversion wohl die bekannteste ist.45 Im Vergleich zu den aufgeführten Hilfsmaßnahmen der katholischen Kirche nehmen sich diejenigen der Protestanten bescheiden aus: Nicht nur weil ihnen – erst recht nach der conversio zahlreicher finanzkräftiger Adliger zum Katholizismus – die monetären Mittel fehlten,46 sondern auch, 43  Als sündhaft wurde eine abjuration allerdings auch von denjenigen empfunden, die gegen ihre Überzeugung abgeschworen hatten: Der bereits erwähnte Migault erklärt beispielsweise, er sei sich seiner Schuld sehr bewusst gewesen und »jamais criminel n’a eu tant d’accusateurs qu‘il trouvait chez soi pour se reprocher son crime et son péché«; Migault, Journal, 76 (im Original in erster Person Singular), dazu Krumenacker, Migault, in: Migault, Journal, 162. 44  Cf. Dompnier, Vénin, 217–221; 240s. 45  Cf. Preyat, Concile, 241s; Dompnier, Vénin, 218 / 219; Garrisson, Edit, 136ss. 46  Cf. Labrousse, Révocation, 156ss, Le Goff / Rémond / Lebrun, Histoire, 449– 453.

a) Institutionelle Grundlagen von conversio205



weil der Aufbau von Heimen und Übergangshäusern sich für eine geduldete Minderheit weitaus schwieriger, wenn nicht unmöglich gestaltete, als für die Vertreter der anerkannten Mehrheitsreligion. Häufigste Form der Unterstützung war deshalb das Ermöglichen der Flucht oder das Angebot eines Verstecks.47 Die Eglise Réformée musste zudem an ›zwei Fronten‹ kämpfen: Oft ging es nämlich für sie nicht nur darum, ihre neu aufgenommenen Gemeindemitglieder zu schützen. Wie die wiederholten Diskussionen auf den Nationalsynoden sowie die dort empfohlenen Maßnahmen nämlich beweisen, war es wohl genauso nötig, die Gemeinschaft gegen die Missionierungsversuche ehemaliger Protestanten abzuschirmen.48 Da die Katholiken anders als ihre reformierten Brüder für ihre Kirche offen ›werben‹ konnten, machten sich nämlich zahlreiche nouveaux convertis ihre alten Bekanntschaften ebenso wie ihre Kenntnisse der religion prétendue réformée zunutze, um ihre ehemaligen coreligionnaires zur conversio zu bewegen. Wurde anfangs nur sehr allgemein gewarnt: »celui qui est denoncé hérétique ou schismatique, sera aussi declaré tel aux autres Eglises, afin qu’on s’en donne de garde«49, erstellte man im 17. Jahrhundert regelmäßig roles des ministres apostats, déposés et vagabonds, um ein rechtzeitiges Erkennen der ›Wölfe im Schafspelz‹ zu ermöglichen.50 Solcherart Schutz von respektive vor (ehemaligen) coreligionaires war allerdings vorrangig im letzten Drittel des 16. sowie der ersten Hälfte des 17. Jahrhundert notwendig. Als mit der Umsetzung des Edikts von Nantes à la rigueur51 die Restriktionen und damit die Gefahren für Familie, Hab Le Goff / Rémond / Lebrun, Histoire, 456s. Boisson, Consciences, 22s. 49  Aymon, Synodes nationaux / IIe Synode […], Poitiers (1560), Faits généraux, art. III, ähnlich »Nous trouvons qu’il seroit bon de declarer au peuple (après avoir attendu quelques tems, & fait tout ce qui est nécessaire pour lui donner à connoître ces pervers qu’ils ne sont plus des nôtres«; Aymon, Synodes nationaux / VIIe Synode […], La Rochelle (1571), Matières générales, art. II. Cf. auch Le Goff / Rémond /  Lebrun, Histoire, 455s. 50  Cf. beispielhaft die Beschreibung von »Daniel Bourguignon, ci-devant Pasteur de l’Eglise de Dolot, & de la Selle, aiant abandonné la Religion Reformée, a été déposé du saint Ministere par le Synode de la Province d’Orléans tenu dans le Berri, l’An 1617. Il est d’environ 40 ans, aiant le corps un peu vouté & ventru, sa Taille est d’une grandeur mediocre, sa Face riante, son Teint rouge, son Nez couperose, & sa Barbe noire«; Aymon, Synodes nationaux / XXIIIe Synode […], Alais (1620), Role des ministres apostats, déposés et vagabonds, depuis le dernier Synode national jusqu’à présent. Derartige roles, mit bis zu 50 Personeneinträgen, sind seit dem Beginn des 17 Jahrhunderts fester Bestandteil der Synodalakten. 51  Die Umsetzung des Edikts von Nantes à la rigueur – frz. application de l’Edit de Nantes à la rigueur – ist eine zeitgenössische Wendung, die wohl auf einer 47  Cf. 48  Cf.

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und Gut immer mehr zunahmen, entwickelte sich unter den Protestanten nämlich große Solidarität sowie eine neue Beurteilung der von der katholischen Obrigkeit verlangten Abschwörung. Diese wurde immer öfter nicht mehr als Verrat empfunden, sondern als rein äußerlicher Schritt, der notwendig werden konnte, um das Wohl der Familie zu retten.52 Finanzielle Unterstützung beim Neuanfang, eine gute Anstellung, ein freieres Leben für die Kinder, aber eben auch Verlust von traditionellen Bindungen, Haus und Hof: Dass derlei Erwägungen bei der Entscheidung für oder gegen eine conversio im Sinne eines Konfessionswechsels damals eine fast ebenso große, vielleicht zuweilen größere, Rolle gespielt haben als die Frage, in welcher Glaubensgemeinschaft man sich mit seinen existentiellen Nöten aufgehoben fühlte, ist aufgrund der dargestellten Konkurrenzsituation der Kirchen durchaus nachvollziehbar – umso mehr, wenn man sich noch einmal in Erinnerung ruft, dass Religion im 16. und 17. Jahrhundert anders als in der heutigen Zeit keine ›Privatsache‹ war, sondern selbstverständlicher Teil des gesellschaftlichen Lebens. Wie in der Einleitung dieser Studie zusammenfassend referiert, wurde diese Sachlage in der Forschungsliteratur mannigfach beklagt und als Erklärung sowohl für das Desinteresse der an Subjektivität interessierten Forscher als auch für den geringen historischen Quellenwert von Konversionsschriften angeführt.

b) Motivationen von conversio Der Beweggrund einer conversio lässt sich anhand der Texte nicht immer erschließen, da konkrete Angaben zur Lebenssituation des Konvertiten nicht in allen Fällen verfügbar sind. Für die Analyse der Schriften aus literaturBemerkung von Louis XIV bei seinem Regierungsantritt bezüglich seiner Vorstellungen zum Umgang mit den Anhängern der religion prétendue réformée basiert. Schriftlich fixiert und damit gleichfalls inhaltlich definiert wurden diese gut zehn Jahre später in den Mémoires pour l’instruction du Dauphin für das Jahr 1661: »Je crus, mon fils, que le meilleur moyen pour réduire peu à peu les Huguenots de mon royaume était de ne les point presser du tout par aucune rigueur nouvelle contre eux, de faire observer ce qu’ils avaient obtenu sous les règnes précedents, mais aussi de ne leur accorder rien de plus, et d’en renfermer même l’exécution dans les plus étroites bornes que la justice et la bienséance le pouvaient permettre«; Louis XIV, Mémoires pour l’Intruction du Dauphin. Présentation Pierre Goubert. Paris: Impriméries Nationales 1992, 81. Die Feststellung, dass der König diese Formulierung 1671 fand – also zu einer Zeit, da die Umsetzung à la rigueur schon im vollen Gange war – ergibt sich aus dessen Hinweis im Text der Mémoires zum Jahr 1661: »c’est ici la dixième année que je marche« (ibid., 58). Sie kann also gewissermaßen als Regierungserklärung der Anfangszeit gelesen werden. 52  Cf. Garrisson, Edit, 127–130; Krumenacker, Migault, 163ss sowie die Umstände der abjuration von Migault.



b) Motivationen von conversio207

wissenschaftlicher Perspektive, also in ihrer Besonderheit als literarische Form, sind derlei Informationen jedoch weitgehend unerheblich. Wenn im Folgenden die wohl häufigsten Gründe für conversio im Zeitalter von Reformation und Konfessionalisierung systematisierend vorgestellt werden, geht es also keinesfalls darum, eine spätere Zuordnung der in den Schriften des Korpus thematisierten conversiones zu einer der drei Kategorien vorzubereiten. Eine solche Einteilung wäre in vielen Fällen auch gar nicht möglich, da bei der Entscheidung für eine conversio oftmals mehrere Faktoren zusammenspielen. Stattdessen kann die Vielfalt der dargestellten Motive von conversio einen Eindruck der Präsenz des Phänomens conversio als Konfessionswechsel, aber auch der Schwierigkeiten vermitteln, vor die sich die Gläubigen angesichts der conversio ihrer coreligionnaires gestellt sahen. aa) conversio aus Angst oder Zwang Aufgrund der historischen Situation Frankreichs im letzten Drittel des 16. sowie vor allem im 17. Jahrhundert handelt es bei den aus Angst um Leben, Hab und Gut oder auf familiären oder politischen Druck hin vollzogenen conversiones selbstverständlich in überwältigender Mehrheit um Übertritte von der Eglise réformée in die katholische Kirche. Zwar wechselten in Regionen mit hohen protestantischen Bevölkerungsanteilen, etwa im Poitou oder der Dauphiné, wohl vereinzelt Katholiken die Glaubensgemeinschaft und schlossen sich der örtlichen Eglise réformée an, »pour vivre plus tran­ quillement«53, inwieweit solche conversiones aber wirklich von Furcht um das tägliche Überleben motiviert waren, lässt sich im Nachhinein nicht einwandfrei feststellen, mit Sicherheit ließen sich einige der ohnehin nur schwach dokumentierten Fälle auch als conversio aus Opportunismus fassen. Anders als die Mitglieder der Eglise réformée waren die Katholiken an (fast) jedem Ort Frankreichs als coreligionnaires willkommen, bestand für sie also jederzeit die Möglichkeit, der schwierigen Situation als Teil einer Minderheit den Rücken zu kehren und anderswo neu anzufangen. 53  Boisson, Consciences, 17. Ein Hinweis auf eine aus Angst vollzogene conversio im Sinne eines Übertritts in die Eglise réformée findet sich allerdings in der Konversionsschrift von Geoffroy de Vaux. Wie schon am Titel seines écrit de conversion ersichtlich, war er zunächst Mitglied des Franziskanerordens, dann ministre, bevor er erneut zum katholischen Glauben zurückkehrte (cf. De Vaux, Celebre conversion, Titel sowie passim). Über die Umstände seines Wechsels in die Eglise réformée berichtet er: »ie tombay entre les mains des hereticques & fuz blessé de quatre playes mortelles sur moy, constitué néantmoins prisonnier entre leurs mains, lesquelz me proposant la mort & la vie devant mes yeux, m’esbranlerent si grandement, que pour sauver ma vie, je promis estre de leurs & faire tous ce qu’ils me diroient« (ibid., 7).

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3. Entstehungsbedingungen einer literarischen Form

Die Gefahr, ihrem Glauben gegen die eigene Überzeugung abschwören zu müssen, war für Katholiken also durchaus kalkulier- und vermeidbar; für Protestanten nahm sie hingegen immer mehr zu. Zu ersten conversiones aus Angst oder Zwang kam es bereits im Gefolge der Bartholomäusnacht sowie besonders im Laufe des neunten Religionskriegs, zahlreiche weitere wurden in Folge sogenannter Dragonaden sowie weiterer Maßnahmen vollzogen, die im Zusammenhang mit der Umsetzung des Edikts von Nantes à la rigueur seit den 1660er Jahren standen. Während aber die conversiones der 1570er Jahre zwar unter dem Schock der Ereignisse, aber dennoch ›freiwillig‹ vollzogen wurden,54 also ohne dass weltliche oder geistliche Verantwortliche konkrete Maßnahmen ergreifen mussten, um die Menschen zum Konfessionswechsel anzuregen, bedurfte es im 17. Jahrhundert teilweise deutlich größerer ›Anstrengungen‹ um die Gläubigen zur conversio zu führen. Mit welchen Mitteln man dann versuchte, die Mitglieder der Eglise réformée zur conversio zur bewegen, schildert der Protestant Elie Benoist in seiner fünfbändigen Histoire de l’Edit de Nantes.55 Auch wenn das Werk, wie schon am Untertitel ersichtlich, deutlich konfessionell geprägt ist und sich über weite Strecken liest wie ein ›kopfschüttelnder‹ Bericht über das den Protestanten zugefügte Leid,56 bietet es sowohl chronologisch als auch inhaltlich präzise Informationen, die mit anderen Augenzeugenberichten ebenso wie mit quellenbasierten Studien späterer Jahrhunderte weitgehend 54  Cf. Garrisson, Protestants, 287–289. Viele Protestanten, die zum Katholizismus übergetreten waren, ließen ihre Kinder sogar erneut taufen – obwohl das Sa­krament grundsätzlich von beiden christlichen Kirchen anerkannt wurde – um ihren Willen, Mitglied der katholischen Kirche zu sein, besonders zu unterstreichen. 55  Elie Benoist, Histoire de l’Edit de Nantes, contenant Les choses les plus remarquables qui se sont passées en France avant & après sa publication à l’occasion de la diversité des Religions: Et principalement les Contraventions, Inexecution, Chicanes, Artifices, Violences, & autre Injustices, que les Reformez se plaignent d’y avoir souffertes, jusques à L’Edit de Revocation en octobre 1685. Avec ce qui a suivi ce nouvel Edit jusqu’à présent. 5 vols, Delft: Beman 1693–1695, passim. Das Werk des pasteur und historien, wurde nicht umsonst in Delft publiziert, gehörte aber im 18. Jahrhundert zu den meistgelesensten Werken in französischen protestantischen Kreisen; cf. Garrisson, Édit, 167 und passim. 56  Cf. beispielsweise Benoist, Histoire I, »Préface generale«, n. p. (eigene Paginierung 3. Die römische Ziffer bezeichnet den Band): »Qu’un conseil (i. e. le conseil du roi) dont la Politique est si profonde & si raffinée […], qui semble passer les bornes de la condition humaine, ait neansmoins conduit ce dessein particulier d’une manière si peu proportionnée à ses maximes ordinaires, que pour opprimer des gens qui ne pouvoient se défendre, il ait prit le chemin des injustices & des chicanes les plus grossieres, les plus basses, les plus malignes, jusqu’à ne garder pas même de certaines bienseances, qu’on ne doit jamais negliger dans les choses qui se font sous le nom d’un Roy, c’est ce que la postérité ne se persuaderoit pas, si on ne luy en conversoit de fidèles preuves«.



b) Motivationen von conversio209

deckungsgleich sind. Eine Verwendung des Textes ist also, trotz aller Parteilichkeit und Übertreibung, durchaus zu rechtfertigen, zumal er den Eindruck, den das Verhalten und die Forderungen der Katholiken auf die Mitglieder der Eglises reformées damals machten, sehr genau widerspiegelt, was seinen Quellenwert im vorliegenden Kontext sogar erhöht.57 Wie Benoist zusammenfassend berichtet, kam es im Laufe des RohanKrieges nach der militärischen Niederlage einer Stadt regelmäßig zu Zwangskonversionen, da die Verantwortlichen der königlichen Armee gehalten waren, deren Einwohner auch in religiöser Hinsicht der Krone (wieder) anzuschließen: Les supplices d’une infinité de misérables, qu’en faisoit perir dans toutes les Places qui se rendoient, l’embrasment de Tonneins, de Monhurt, de Negrepelisse & autres lieux, les séditions frequentes contre les Reformez, les conversions forcées dont cette guerre fournit divers exemples, feroient fremir d’horreur ceux qui en liroient l’Histoire.58

Die conversiones suchte man durch den Einsatz geübter convertisseurs aus dem Jesuiten- oder Kapuzinerorden herbeizuführen. Sie wurden oft gleich nach der Niederlage vor Ort geschickt, um das Gefühl des Miss­ erfolgs bestmöglich für ihre Mission ausnutzen zu können.59 Eine andere Vorgehensweise schildert Benoist am Beispiel der 1627 gefallenen Stadt Aubenas: Le marquis d’Ornano sous prétexte de la guerre […] fit de grandes violences aux Reformez de cette ville. […] Il desarma tous les Reformez; il mit la Regence entres les mains des Catholiques; il leur commit la garde de la ville aux frais des Reformez; & ayant été obligé de fortifier son party de quelques Troupes, parce que les Catholiques étoient en beaucoup moindre nombre que les autres, il logea 57  Offzielle Schriften wie beispielsweise die roles des Nouveaux Convertis à la foy catholique, apostolique et romaine einzelner Gemeinden bieten hingegen im Wesentlichen Daten und Namen, aber keine Zusatzinformationen. Die Mehrzahl der entsprechenden Dokumente aus den französischen Gemeindearchiven wurde im 19. Jahrhundert an die Archives Nationales de France übergeben, wo sie unter der série TT, liasse 1–94 greifbar sind. Zahlreiche weitere befinden sich – topographisch sortiert – in der Bibliothèque de la Societé de l’Histoire du Protestantisme français. 58  Benoist, Histoire II, 392. Hervorhebung im Original. Die genannten Orte wurden während des Feldzugs der königlichen Armee 1621 gegen Agen und Montauban eingenommen, cf. Holt, Wars, 178. 59  Cf. Deslandres, Croire, 62s. Die Niederlage war dann Ausgangspunkt einer pastorale de la peur, bei der die Sündhaftigkeit der Bewohner als ursächlich für die nunmehr eingetretene Situation interpretiert wurde. Auch die im Rahmen der mis­ sions intérieures herbeigeführten conversiones konnten also teilweise aus einem Gefühl der Angst resultieren – allerdings mehr vor dem göttlichen denn vor mensch­ lichem Strafgericht. Über die Erfolge des Kapuziners Villate bei seiner Mission in Foix (1622), berichtet Benoist beispielsweise in idem, Histoire II, 392 / 393.

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la garnison toute entiere chez les Reformez seuls. Elle y commit des excès pareils à ceux de nos jours, & dont ces malheureux ne purent se racheter, qu’en changeant de Religion.60

Die Anspielung »pareils à ceux de nos jours« legt nahe, dass man sich zu Zeiten des Rohan-Krieges bereits einer Methode bediente, die besonders in den 20 Jahren vor dem Edit de Fontainebleau angewandt wurde, um Protestanten unter dem Anschein der Freiwilligkeit zur Abschwörung ihrer Religion zu bewegen: der sogenannten Dragonade.61 Benoist zeigt deren Mechanismen detailliert am Beispiel vom Montauban auf, wo 1661 eine gut 5000 Soldaten umfassende Garnison für mehrere Monate in den Häusern der Reformierten untergebracht wurde. Anfangs noch finanziell von der Stadt unterstützt, waren die Menschen schließlich bei der Verpflegung der Soldaten vollständig auf sich selbst gestellt, was sie über kurz oder lang materiell zu ruinieren drohte: Mais ce logement de troupes ayant duré quatre mois, la depense qu’il causa épuisa le fond de la ville, & reduisit les particuliers dans une grande extremité. Cependant afin qu’on ne pût douter que c’etoit à la Religion qu’on en vouloit, on exemta de ce logement ceux qui embrasseroient la Religion catholique. Aussi-tôt que le premier qui se lassa de sa garnison s’en fut dechargé par ce moyen, l’exemple en seduisit d’autres: mais de peur que l’exemple ne fût pas suffisant pour ebranler les gens qui aimoient leur Religion, il y fallut joindre un autre artifice: On renvoya chez les Reformez qui avoient déjà des soldats logez chez eux, ceux dont on delivroit les Convertis: & par ce moyen un homme voyoit doubler sa garnison, sans autre raison que ce qu’il étoit ou voisin, ou mal-voulu de quelcun qui venoit de se faire Catholique. Ce fut là ce qui causa le plus de conversions: tel qui ayant souffert patiemment le logement de trois ou quatre soldats, vit en trois ou quatre jours sa maison remplie de douze ou quinze, par le changement de ses voisins, ne put resister à cette surcharge, & pour s’en delivrer fit comme les autres.62 60  Benoist, Histoire II, 476. Aubenas wurde 1627 im Rahmen des LanguedocFeldzugs der königlichen Truppen von den Katholiken eingenommen, cf. Garrisson, Edit, 78 / 79. 61  Der Begriff »Dragonade«, frz. »dragonnade« ist ein Derivat von »dragon«, Bezeichnung für die leicht bewaffneten Kavalleriesoldaten, derer man sich im 17. Jahrhundert vornehmlich bediente, um die später nach ihnen benannten Maßnahmen gegen die Mitglieder der Eglise réformée durchzuführen; cf. Rey, Dictionnaire historique, Lemmata: dragon, dragonnade. Von den zeitgenössischen Lexika des 17. Jahrhunderts, die alle von der Gunst des Königs bzw. der entsprechenden, für die Erteilung der Druckerlaubnis zuständigen Behörde abhängig waren, enthält bezeichnenderweise keines ein Lemma dragonnade, wohl aber ein Lemma dragon mit dem entsprechenden Hinweis auf die Waffengattung. 62  Benoist, Histoire III / 1, 350 / 351. Der dritte Band der Histoire de Nantes umfasst drei parties (von denen der erste Teil separat, Teil 2 und 3 fortlaufend paginiert sind), hier bezeichnet durch die arabische Zahl hinter dem Schrägstrich nach der Bandangabe.



b) Motivationen von conversio211

Wie anhand der Textpassage leicht vorstellbar, fühlten sich die Protestanten durch die dragonades nicht nur finanziell, sondern auch psychisch unter Druck gesetzt, weil sie sich über die Konsequenzen einer conversio für ihre coreligionaires durchaus im Klaren waren. Nichtsdestotrotz sahen sich viele zum Schutz ihrer eigenen Familie zur conversio gezwungen, andere zogen es vor, Haus und Wohnort zu verlassen. Dass eine solche Flucht wiederum nicht folgenlos für die Zurückbleibenden sein sollte, berichtet Jean Migault, der 1681 Opfer der dragonnades im Poitou wurde, in seinem Journal: Le jour étant venu, toute la paroisse se trouva être changée de religion […], excepté quinze ou vingt familles, lesquelles, pour la plupart avaient fait comme nous, accablées de cavaliers le premier jour de leur arrivée, s’étaient ôtées de leur chemin, en abandonnant leur maison à leur discrétion. Les nôtres furent contraints de déloger, et, pour se payer de leur peines et avoir de l’argent de leur journée, ils prirent tous nos lits, linges, hardes, vaiselles et autres choses qu’ils purent porter chez les voisins, qui achetèrent pour cinq sous ce qui, à bon marché en valait cent. Toute la compagnie fut contrainte de déloger aussi, et s’en fut dans la paroisse voisine de Souché, où elle fit les mêmes désordres.63

»Où elle fit les mêmes désordres« – wie Recht Migault mit dieser ­ emerkung hatte, wird beim Durchblättern nicht nur seines Tagebuchs, B sondern auch des Werks von Benoist sowie zahlreicher Texte der Forschungsliteratur deutlich: Von der Obrigkeit als eine der effizientesten (und billigsten) Methoden der Protestanten-conversio erachtet, schickte man systematisch Dragonerregimenter in die Regionen Frankreichs mit hohem reformierten Bevölkerungsanteil64 und kam auf diese Weise – zumindest statistisch – der angestrebten unité religieuse sehr viel näher. Conversio aus Angst oder Zwang ist jedoch keineswegs nur ein Massenphänomen. Die vor einem solchen Hintergrund vollzogenen conversiones resultierten zwar mehrheitlich aus Situationen, in denen die communauté réformée einer Gemeinde in ihrer Gesamtheit bedroht war. Seit der Verschärfung der Gesetzgebung in den 1660er Jahren kam es aber immer öfter dazu, dass Einzelpersonen vor die Alternative gestellt wurden, entweder die Glaubensgemeinschaft zu wechseln oder deutliche Nachteile für sich und ihre Familie, manchmal auch den Tod in Kauf nehmen zu müssen, weil sie entsprechende ordonnances royales missachtet hatten.

63  Migault, Journal, 34 / 35. Zu den Dragonaden von 1681 im Poitou, cf. auch Benoist, Histoire III / 2, 472 / 473. 64  Cf. beispielhaft Delumeau / Wanegfellen, Naissance, 229 / 230; Labrousse, ­Révocation, 174 / 175 sowie François Bluche, La vie quotidienne au temps de Louis XIV. Paris: Hachette 1984, 341–343.

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Einen solchen Fall schildert beispielsweise Jacques Fontaine, wie Migault Verfasser einer Familiengeschichte.65 Der ehemalige ministre berichtet, weil er selbst nicht vor Ort sein konnte, habe sich seine Gemeinde 1684 in Ermangelung des temple, der wohl kurz vorher von den Behörden zerstört worden war, in einem Wald hinter seinem Haus versammelt, um dort unter der Leitung eines »maçon de profession, quelques chapitres de l’Ecriture sainte, un sermon et les prières de l’eglise«66 zu hören und »quelques psaulmes« zu singen »suivant les coutumes de nos églises«. Solcherart Zusammenkünfte waren zwar recht üblich, aber nicht gestattet, weil reformierte Gottesdienste nur an den dafür vorgesehenen Orten abgehalten werden durften.67 Weil aber ein ehemaliger coreligionaire die Protestanten denunziert hatte, seien anschließend, »le grand prévot et ses archers« ins Dorf gekommen, hätten aber lediglich den »pauvre maçon qui avait officié« gefunden, weil es allen anderen gelungen war, sich zu verstecken. Die Situation, aus der schließlich die conversio des Maurers erwachsen sollte – der sich bis dato in Wort und Tat als überzeugter Anhänger der reformatorischen Lehre erwiesen hatte68 – beschreibt Fontaine sehr ausführlich, wohl um die besondere Lage des Betroffenen zu verdeutlichen und eine Verurteilung des Schritts von vornherein auszuschließen: On le conduisit ainsi cruellement à Saintes […] où sont les prisons […] lui faisant croire qu’ils l’allaient pendre aussitôt arrivé. […] Comme il faisait tard, arrivant à la prison, ils lui dirent, qu’il était trop tard pour l’aller pendre, qu’ils le mettraient en prison jusqu’au lendemain matin; qu’il choisît, qu’avant que d’entrer en prison, il lui était encore permis de sauver sa vie en changeant de religion; mais que, si une fois il entrait en prison, cent religions ne lui sauveraient pas la corde; qu’au reste, on ne lui demandait rien que ne fût raisonnable, qui était de renoncer aux erreurs de Calvin […]. Ils n’oublièrent pas de lui faire penser à l’état pitoyable où il allait laisser sa veuve et le nombre de ses enfants orphelins. Enfin le pauvre homme, n’ayant personne qui l’osât encourager ni conseiller, succomba à la ten65  Cf. Jacques Fontaine, Mémoires d’une Famille Huguenote victime de la révocation de l’édit de Nantes. Présentés par Bernard Cottret et suivis de »Jacques Fontaine ou la providence dans le texte«. Montpellier: Chaleil 1992, passim. Jacques Fontaine wurde 1658 geboren, wirkte nach seinem Theologiestudium in verschiedenen Orten der westfranzösischen Saintonge als ministre. Aufgrund heimlich gefeierter Gottesdienste an nicht erlaubter Stelle wurde er 1684 verhaftet, konnte die Verantwortlichen aber überzeugen, dass seine Gefangennahme auf einem Missverständnis beruhte und deshalb entlassen. 1685 flieht er nach England, wo er heiratet und als Händler, später auch als pasteur arbeitet. Berufliche Schwierigkeiten zwingen ihn 1694 nach Irland zu gehen und sein Geld als Fischer zu verdienen. Er starb 1728; cf. ibid, »Chronologie«, 226–228. 66  Fontaine, Mémoires, 82. Wenn nicht anders angegeben, entstammen alle weiteren Zitate dieser Seite. 67  Cf. Edit de Nantes, in: Jourdain / Isambert, Recueil, vol. XV. n. 124, art. 13. 68  Cf. Fontaine, Mémoires, 75s.

b) Motivationen von conversio213



tation et abjura toutes les erreurs de Calvin, et eut tout aussitôt sa liberté, comme une récompense de son obéissance aux ordres de sa Majesté.69

Der bereits in Hinblick auf die conversiones im Zusammenhang mit den Dragonaden konstatierte psychische wie finanzielle Druck wird erneut deutlich. Denn auch wenn die conversio keine direkten Auswirkungen auf die Gemeinde hatte – aufgrund der Umstände besaß sie wohl auch keinen Vorbildcharakter – wäre nichtsdestrotrotz die Familie in Bedrängnis geraten, hätte sich ihr Oberhaupt anders entschieden. Interessant ist hier auch der Hinweis Fontaines, der Maurer habe seine Freiheit als Belohnung für seinen Gehorsam gegenüber den »ordres de sa Majesté« erhalten. Dies lässt nämlich erneut vermuten, dass die Abschwörung von beiden Seiten zunehmend als administrativer Akt zur Befriedigung des obrigkeitlichen Wunsches nach unité religieuse durchgeführt wurde, die spirituelle Dimension immer öfter in den Hintergrund trat.70 Es wäre sicher möglich, aus den einschlägigen Quellen weitere Beispiele für conversiones Einzelner zu nennen, die während der Religionskriege in unmittelbarer Konfrontation mit der Gegenseite sowie vornehmlich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ihrem Glauben aus Angst oder Zwang (in den meisten Fällen ließe sich das »oder« gar durch ein »und« ersetzen) abschworen. Der Erkenntnisgewinn einer solchen weiterführenden Auseinandersetzung wäre allerdings im Kontext der vorliegenden Studie gering. Stattdessen soll abschließend ein kurzer Blick auf eine im 17. Jahrhundert relativ häufige Form von conversio aus Zwang geworfen werden, bei der allerdings der Aspekt Angst tatsächlich keine Rolle spielte: Eine conversio aus dynastischen Interessen lässt sich zwar seitens der Verhandlungspartner, also meistens der Eltern der zu verheiratenden Sprösslinge, als conversio aus Opportunismus fassen. Die unmittelbar Betroffenen, die oft sehr jungen Töchter, erfahren sie jedoch als conversio aus Zwang. Eines der wohl prominentesten Beispiele für einen solcherart motivierten Wechsel der Glaubensgemeinschaft ist der Übertritt von Elisabeth Charlotte – bekannt als Lieselotte – von der Pfalz in die katholische Kirche (1671). Er wurde nötig, weil ihr Vater, Kurfürst Karl Ludwig sie aus politischem Sicherheitsbedürfnis mit dem eben verwitweten Bruder von Louis XIV zu verheiraten gedachte, erhoffte er sich doch auf diese Weise französische Protektion für sein Land.71 Zudem galt Philippe, duc d’Orléans, sicher als Fontaine, Mémoires, 82 / 83. Migault wurde auch der maçon nicht als Verräter verurteilt, sondern sofort wieder von seiner Gemeinde aufgenommen, seine »faiblesse« verziehen, cf. Fontaine, Mémoires, 83. 71  Cf. Meinrad Schaab, »Die Pfalz und Frankreich zwischen Westfälischem Frieden und Wittelsbacher Hausunion (1649–1724), in: Klaus J. Mattheier / Paul Valen69  Cf.

70  Wie

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›gute Partie‹ und das Angebot aus Paris war deshalb durchaus schmeichelhaft. In Frankreich sah man in der Pfalz einen wichtigen Baustein französischer Expansionspolitik.72 Auch war die Pfälzer Kurprinzessin Elisabeth Charlotte eine der wenigen Damen im heiratsfähigen Alter, gegen die weder Philippe noch Louis XIV aus politischen oder persönlichen Motiven größere Einwände vorbrachten: einziger Hinderungsgrund war für sie die protestantische Konfession der Braut. Da sich die Verhandlungspartner aber darauf einigen konnten, diesen ›Störfaktor‹ dezent zu beseitigen, stand dem Bündnis nichts mehr im Wege.73 An Diskretion in dieser Frage war nämlich auch der Kurfürst interessiert, war sein Land doch eine Hochburg des Protestantismus calvinscher Prägung.74 Karl Ludwig musste also befürchten, eine conversio, die auch nur den geringsten Verdacht weckte, politisch motiviert zu sein, werde unter der Bevölkerung einen Skandal auslösen und ihn selbst unglaubwürdig erscheinen lassen.75 Da es beides zu vermeiden galt, wurde Lieselotte in aller Heimlichkeit mit der katholischen Lehre vertraut gemacht,76 der Glaubenswechsel selbst auf Bitten des Kurfürsten erst auf französischem Boden vollzogen. Bekannt wurde er schließlich durch einen Brief der Tochter an ihren Vater: Monseigneur, je ne doute pas que la profession que je viens de faire de la religion catholique et romaine ne surprenne Votre Altesse Électorale. Si je n’ai osé lui declarer ce dessein avant de partir d’auprès d’Elle, je la supplie très humblement de croire que la seule appréhension de lui déplaire m’en a oté la liberté, et que tous les avantages du monde n’auraient pu me faire prendre cette résolution si je n’avais cru le devoir faire pour mon salut […]77 tin / Helmut Peter Schwake (ed.), Pathos, Klatsch und Ehrlichkeit. Liselotte von der Pfalz am Hofe des Sonnenkönigs. Tübingen: Stauffenburg 1990, 21–53, hier 30. 72  Cf. Arlette Lebigre, Lieselotte von der Pfalz. Eine Biographie. Deutsch von Andrea Spingler. Düsseldorf: Claassen 1988, 21–23. 73  Cf. Beate Lüder, Religion und Konfession in den Briefen Lieselottes von der Pfalz. Mannheim: Gesellschaft der Freunde Mannheims und der ehemaligen Kurpfalz 1987, 19. 74  Cf. Schnyder, Reformation, 105. Die Kurpfalz hatte nicht nur französischen Glaubensflüchtlingen Zuflucht gewährt, sondern sich sogar im 16. Jarhundert aktiv an den guerres de religions beteiligt, cf. Schaab, Pfalz, in: Mattheier / Valentin / Schwake, Pathos, 22. 75  Cf. Schaab, Pfalz, in: Mattheier / Valentin / Schwake, Pathos, 30; Lüder, Reli­ gion, 19 / 20. 76  Lieselotte wurde im Oktober 1671 nicht wie sonst üblich durch einen Ordensgeistlichen in den katholischen Glauben eingeführt, sondern – auf Geheiß des Vaters, der den Widerspruch seiner Tochter fürchtete – durch den Gelehrten Urbain ­Chevreau. Da Lieselotte sich nämlich sehr für Wissenschaft und Literatur interessierte, hoffte man, dass sie einen weltlichen convertisseur eher akzeptieren würde als einen Kleriker, cf. Lebigre, Lieselotte, 27.

b) Motivationen von conversio215



Die erzwungene conversio wird hier als conversio aus spirituellem Bedürfnis ›getarnt‹ und als persönliche Entscheidung Elisabeth Charlottes ausgegeben, die ihren Vater vor vollendete Tatsachen stellte. Im vorliegenden Zusammenhang entscheidend ist weniger die Frage, inwieweit dieser Brief – der wohl in weiten Teilen des Abendlandes zur Rechtfertigung der französisch-pfälzischen Verbindung verbreitet worden war – die Skeptiker überzeugen und damit den Ruf der Pfalz und auch Frankreichs bewahren konnte.78 Hervorzuheben ist vielmehr, mit welcher relativen Sorglosigkeit man in Frankreich im Jahre 1671, also zur Zeit der Umsetzung des Edikts von Nantes à la rigueur, die Aufnahme einer ehemaligen Häretikerin in die königliche Familie akzeptierte, bestätigt dies doch den Befund, dass man oft stärker an der Abschwörung der erreurs de Calvin interessiert war und damit an einer zumindest äußerlich wiederhergestellten unité religieuse des Landes, denn am gelebten katholischen Glauben des Einzelnen.79 77

bb) conversio aus Opportunismus oder Königstreue Auch bei den conversiones aus Opportunismus handelt es sich aufgrund der damals herrschenden Verhältnisse in Frankreich mehrheitlich um Übertritte in die katholische Kirche. Denn trotz aller Rechte, die den Mitgliedern der Eglise réformée in den unterschiedlichen édits de pacification sowie schließlich im Edit de Nantes zugestanden worden waren, sahen sich die Protestanten in weiten Teilen des Landes gegenüber der katholischen Bevölkerung oft benachteiligt und lediglich geduldet.80 Dieser Eindruck beruhte unter anderem auf den wiederholt in den Edikten enthaltenen Verboten für 77  Brief von Elisabeth Charlotte an ihren Vater Karl Ludwig Kurfürst von der Pfalz (Metz, 16.11.1671), in: Madame Palatine, Lettres françaises. Éditées, présentées et annotées par Dirk Van der Cruysse. Paris: Fayard 1989, n. 1. 78  Cf. dazu ausführlich Lüder, Religion, 22. 79  Dass Lieselotte von den Pfalz den angenommenen Glauben nur äußerlich gelebt hat, sich aber weiterhin spirituell und emotional dem Protestantismus calvinscher Prägung verbunden fühlte, wird nicht nur an zahlreichen Äußerungen in ihren Briefen deutlich, sondern auch an ihrem ganz praktischen Einsatz für die Verfolgten. Cf. dazu ausführlich Lüder, Religion, 64–73 sowie Olivia Ayme, »J’auray bientôt ›une petite religion apart moy‹: la préservation de l’identité religieuse chez une convertie, Madame Palatine«, in: Deniz Lopez e. a. (ed.), La religion des élites au XVIIe siècle. Actes du colloque du Centre de recherches sur le XVIIe siècle euro­ péen  (1600–1700) en partenariat avec le Centre Aquitain d’Histoire Moderne et contemporaine, Université Michel de Montaigne-Bordeaux 3, 30.11.–02.12.2006. Tübingen: Narr 2008, 381–393, passim. 80  Cf. dazu Carbonnier-Burkard/Cabanel, Histoire, 36: »Avec l’édit de Nantes, la minorité réformée se trouve certes legitimée, mais aussi cantonée géographiquement, gelée en l’état de minorité et même de minorité très diminuée«.

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die Reformierten, an bestimmten Orten prêches zu halten, Schulen einzurichten oder an katholischen Feiertagen zu arbeiten.81 Die Katholiken hingegen waren weder bezüglich ihrer Religionsausübung noch hinsichtlich der Schul- oder Berufswahl irgendwelchen Beschränkungen unterworfen. Inwieweit diese Ungleichheit der Ausgangspositionen zu Konflikten zwischen den Mitgliedern der beiden Glaubensgemeinschaften führte, die Katholiken etwa ihre privilegierte Stellung in den Augen der Protestanten ausnutzten und es deshalb auch zu persönlichen Streitigkeiten und Mißverständnissen kam – etwa weil ein katholischer Handwerksmeister einen protestantischen Gesellen mangels ausreichender Qualifikation nicht einstellen wollte, dieser sich aber aufgrund seiner Konfession zurückgewiesen fühlte – kann nur vermutet werden. Aber auch wenn das Miteinander der beiden Konfessionen, wie bereits angedeutet, nicht nur regional unterschiedlich war, sondern sich auch im Laufe der Zeit verändern konnte, lässt sich festhalten, dass eine conversio aus Opportunismus, das heißt zur Veränderung respektive Verbesserung der eigenen bzw. familiären Lebenssituation82 aufgrund der historischen Rahmenbedingungen fast ausschließlich als Wechsel vom Protestantismus zum Katholizismus denkbar ist. Eine conversio im Sinne eines Übertritts in eine Eglise réformée hingegen ist, wie schon in Bezug auf conversiones aus 81  Da entsprechende Artikel wie angemerkt meist in mehrere édits de pacification sowie erneut ins Edit de Nantes integriert wurden, sei hier und im weiteren Verlauf des Kapitels stets exemplarisch auf eines der édits de pacification sowie die Artikel des Edit de Nantes verwiesen. Eine Auflistung der Orte, an denen »l’exercice de ladite religion« gestattet respektive verboten ist, bietet beispielsweise das Edit de St. Germain, das den dritten Religionskrieg (1568–1570) abschloss, cf. Jourdain /  Isambert, Recueil, vol. XIV, n. 145 (11.08.1570), art. 8–11. Im bereits erwähnten Edit de Beaulieu wird der Passus hinsichtlich der »exercice de ladite religion« wieder aufgenommen und durch die Möglichkeit, an vorgesehenen Orten auch »écoles et leçons publiques« abhalten zu können, erweitert, allerdings »du gré et consentement des autres propriétaires, auxquels ils pourraient appartenir«, Edit de Beaulieu, in: ibid., vol. XIV, n. 46, art. 4. Ein Verbot »de besogner, vendre, ni étaler […] boutiques ouvertes« an katholischen Feiertagen enthält beispielsweise das Edit de Boulogne, das nach langen Verhandlungen die vierte guerre de religion beschloss, cf. Edit de Boulogne, in: ibid., vol. XIV, n. 189 (23.07.1573), art., 24. Cf. zudem Edit de Nantes, in: ibid., vol. XV. n. 124, art. 13, 20, 22. 82  Die Mechanismen einer solchen conversio aus Opportunismus – im Gegensatz zu einer conversio aus spirituellem Bedürfnis hat Labrousse in ihrem Artikel über das Leben in Mauvezin sehr prägnant zusammengefasst: »On pèse, on dose, on évalue le pour et le contre, on calcule les avantages et les inconvénients. Nulle illumination de chemin de Damas dans un tel processus. Nous ne sommes pas ici en face d’un dilemme manichéen entre le Bien et le Mal, la Vérité et l’Erreur, Dieu et le Diable, mais devant un problème d’ajustement social, de mieux-être«; Labrousse, Conversion, in: Donville, Conversion, 168.



b) Motivationen von conversio217

Angst oder Zwang angemerkt, nur in Gebieten mit mehrheitlich protestantischer Bevölkerung zur Vermeidung von persönlichen Nachteilen im Alltag vorstellbar. Ließen sich Existenz und Mechanismen von conversiones aus Angst oder Zwang relativ problemlos anhand zeitgenössischer Dokumente aufzeigen, ist die Quellenlage bei den conversiones aus Opportunismus eine gänzlich andere: Haben nämlich hinsichtlich der Zwangskonversionen beide involvierten Glaubensgemeinschaften ein Interesse daran, die Ereignisse an die Nachwelt zu übermitteln; die eine um Zeugnis abzulegen und Erinnerungen zu bewahren,83 die andere um ihre Erfolge bei der Verbreitung des Glaubens – teils unter Verschweigen der jeweils angewandten Methoden – numerisch festzuhalten, sind im Gegensatz dazu offensichtlich opportunistisch motivierte conversiones für beide Seiten kein Ruhmesblatt. Solcherart Übertritte können nämlich einerseits als Beweis für die (zu) geringe Überzeugungskraft der von der verlassenen Gemeinschaft vertretenen Lehre interpretiert werden, andererseits als Hinweis auf die Leichtigkeit, mit der ein Konfessionswechsel unter Vorspiegelung von falscher sincérité vollzogen werden konnte – und damit möglicherweise gar zur Nachahmung einladen. Berichte, in denen die Verbesserung der familiären oder beruflichen Position explizit als Grund für einen Übertritt in eine andere Glaubensgemeinschaft genannt wird – man denke an die Sorge des Kurfürsten von der Pfalz – sucht man deshalb wohl zu allen Zeiten vergeblich. Gerade dieses Fehlen entsprechender Dokumente scheint allerdings grundsätzlich die Verdachtsmomente zu nähren, sodass oft die Tendenz besteht, hinter jeder conversio aus spirituellem Bedürfnis versteckte opportunistische Motive zu vermuten 83  Diese Absicht verfolgten beispielsweise auch Fontaine und Migault. In einleitenden Briefen an ihre Kinder schrieben sie: »afin […] que l’exemple pieux de ceux de qui nous tenons la vie vous engage, et les vôtres après vous, à vous dédier en­ tièrement au service du Dieu qu’ils ont adoré au péril de leur vie« (Fontaine, Histoire, 13); ähnlich: »Ce que je me suis proposé d’écrire […] a été en vue de faire voir aux quatre aînés de vous, principalement, et à tous dix en général, si vous prenez la peine de donner quelque moment à lire […] combien de traverses et combien de peines il m’a fallu supporter auparavant que trouver lieu de sortir de la persécution de ce désolé royaume […]. J’ai cru aussi qu’en lisant ces particularités de ma sortie de France […] il y aurait ample matière pour vous donner lieu à louer la bonté de Dieu« (Migault, Journal, 20 / 21). Wie Benoist gleich in den ersten Zeilen der préface générale formulierte, wollte er gleichfalls souvenir et instruire: »Si l’Histoire est proprement consacrée à souvenir des choses les plus remarquables qu’on voit arriver dans le monde, on ne peut nier que la triste fin des libertez dont les Reformez ont jouï si long-tems en France, ne soit un évenement des plus ­memorables, dont elle se puisse charger d’instruire ceux qui vivront après nous«; Benoist, Histoire I, »Préface generale« (eigene Paginierung, 1).

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und den conversiones im Zeitalter von Reformation und Konfessionalisierung von vornherein jede sincérité abzusprechen. Lebensmittelpunkt der Menschen des 16. und 17. Jahrhunderts war neben der Suche nach dem göttlichen Heil die Sicherung der irdischen Existenz. Um diese zu gewährleisten, war es zunächst nötig, den (richtigen) Partner zu wählen, um eine Familie zu gründen, dann einen einträglichen Beruf zu haben, um die Seinen ernähren zu können und schließlich den Kindern ein standesgemäßes Fortkommen zu ermöglichen, um auf diese Weise die Versorgung auch in Zukunft zu sichern. In Folge der zunehmenden Reglementierung durch die königlichen Edikte, die mit den seitens der Kirchen ausgesprochenen Empfehlungen, Häretiker zu meiden, ja weitgehend konform gingen, wurde gerade in Bezug auf Eheschließung, Bildung und Berufswahl die Konfessionszugehörigkeit im Laufe der Zeit immer wichtiger. Frequenz und Formen sogenannter mariages bigarrés sind in der Ver­ gangenheit von zahlreichen Forschern auf der Grundlage von Eheverträgen und consistoire-Akten aus Orten mit zwar mehrheitlich katholischer Bevölkerung, aber solide verankerter protestantischer Minderheit untersucht worden. Sie alle kamen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass die Frage der Konfession bei der Wahl des Partners wohl eine eher untergeordnete Rolle spielte, die Zugehörigkeit der potentiellen Gatten zu verschiedenen Glaubensgemeinschaften zumindest für die Familien kein Ehehindernis ­ ­darstellte.84 Die christlichen Kirchen lehnten Ehen zwischen Partnern verschiedener Konfessionen allerdings ab. Eine so enge Verbindung mit einem Ketzer stellte nämlich nicht nur eine Gefahr für den Glauben des Partners, sondern vor allem für eventuelle Kinder dar, deren Unterweisung in der jeweiligen Religion durch den häretischen Gatten in Frage gestellt wurde, der ja seinerseits Wert auf eine entsprechende instruction der Sprösslinge legte. In der katholischen Kirche ist die Ehe zudem ein Sakrament, das zwar, um gültig zu sein, des priesterlichen Segens bedarf, dessen Spender aber die Eheleute selbst sind.85 Ein solches Eheverständnis schließt die Beteiligung eines ›Häretikers‹, auch wenn dieser getauft ist, grundsätzlich aus.86 84  Cf. Dompnier, Vénin, 155: »Dans les régions de coexistence confessionelle, le nombre des marriages ›mixtes‹ n’est nullement négligeable, et la diversité des religions ne constitue pas un obstacle à la conclusion des unions«, ähnlich La­ brousse, Révocation, 83s; Benedict, Faith, 318–325. 85  Der Sakramentscharakter der Ehe ebenso wie die Frage, wer Spender der Ehe ist, wurde im Mittelalter mannigfach diskutiert und schließlich unter anderem von Thomas von Aquin in der Summa theologiae festgeschrieben (q. 42). Die Konzilsväter von Trient orientierten sich an diesen Vorgaben, stellten aber die Einsegnungsworte des Priesters ebenso wie die Anwesenheit von mindestens zwei Zeugen als obligatorisch heraus, um Klandestinehen zu unterbinden; cf. Müller, TRE, Lemma:

b) Motivationen von conversio219



Sollte dennoch eine Hochzeit von konfessionsverschiedenen Partnern gefeiert werden, setzte dies also in jedem Fall eine abjuration und eine anschließende conversio voraus. Denn auch wenn die Eheschließung in den reformierten Kirchen ein vorrangig administrativer Akt war, verlangten sie eine confession de foy reformée des ehemaligen papiste – was einer conversio gleichkommt.87 86

In der Regel scheint jedoch der Konvertit – in der Mehrheit der Fälle die ehemals protestantische Ehefrau – nach einem »decent interval«88 und entsprechender öffentlicher Reue wieder in seine ursprüngliche Glaubensgemeinschaft zurückgekehrt zu sein.89 Überspitzt gesagt folgte also auf fast jeden durch eine Eheschließung motivierten Übertritt eine conversio aus spirituellem Bedürfnis. Von den Kirchen ebenso wie von der Gesellschaft wurde diese Praxis notgedrungen gebilligt, nicht nur weil man sich der Tatsache bewusst war, dass die Auswahl an Ehepartnern aufgrund des geltenden Rechts bezüglich der Ehe unter Verwandten90 besonders in ländlichen Gebieten sehr gering war, was ein grundsätzliches Ignorieren der Anhänger der jeweils anderen Konfession – erst recht für Protestanten – fast unmöglich machte.91 Die kirchlichen Verantwortlichen hofften wohl auch, der Konvertit werde durch das gemeinsame Leben mit dem Ehepartner von der verité des angenommeEhe (7) sowie Wohlmuth, Dekrete III / concilium Tridentinum, sessio XXIV – canones super reformatione circa matrimonium – caput I. 86  Zu den kirchenrechtlichen Grundlagen im Umgang mit konfessionsverschiedenen Ehen cf. Betz, RGG, Lemma: Ehe (2). Zudem gehörte die ›Siebenzahl der Sakramente‹ zu den Hauptstreitpunkten zwischen den Vertretern der ›alten Kirche‹ und den Reformatoren. Da letztere die Ehe, ebenso wie Firmung, Priesterweihe, letzte Ölung / Krankensalbung und in eingeschränktem Maße auch die Buße nicht als Sakrament betrachten, sondern diese damals mit harschen Worten und aller Offenheit als cérémonies superstitieuses verurteilten, war die Eheschließung mit einem Anhänger dieser erreurs gewissermaßen im doppelten Sinne ausgeschlossen. Calvin legte seine Einstellung zur den »cinq autres ceremonies qu’on a faussement appellez sacremens« im so titulierten Kapitel der Institution dar; cf. Calvin, Institution, XIII, 1413–1479, hier 1413 zur mariage cf. ibid. XIII 1471–179. 87  Cf. Labrousse, Révocation, 83. In der katholischen Kirche sprach man in solchen Fällen ganz offiziell von abjurationes pro matrimonio, cf. Dompnier, Venin, 155. Vor Abschluss einer marriage bigarée wurden die Väter zudem vor das Konsistorium ihrer Gemeinde zitiert und bestraft, weil sich ihre Kinder mit papistes eingelassen hatten, cf. ibid., 155. 88  Benedict, Faith, 320. 89  Cf. Benedict, Faith, 322; Labrousse, Révocation, 83. 90  Cf. beispielsweise Edit de Beaulieu, in: Jourdain / Isambert, Recueil, vol. XIV, n. 46, art. 10; Edit de Nantes, in: ibid., vol. XV. n. 124, art. 23 sowie ibid., articles secrets et particuliers, art. 40. 91  Cf. Dompnier, Venin, 156; Labrousse, Révocation, 83s.

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nen Glaubens überzeugt, sodass die Rückkehr in die alte Gemeinschaft schließlich ausbliebe.92 Bis in die 1660er Jahre war es also durchaus möglich, sich zu arrangieren. Dies änderte sich, als zunächst 1665 die Rückkehr zur einst abgeschworenen religion prétendue réformée93 untersagt, schließlich eine conversio in Form eines Übertritts in die Eglise réformée grundsätzlich verboten und mit harten Strafen belegt wurde.94 Da der Weg zurück in die alte Religionsgemeinschaft nunmehr verbaut war, sank die Zahl der Verbindungen zwischen ursprünglich konfessionsverschiedenen Partnern – die mancherorts bis zu 15 % aller Ehen ausgemacht hatten – auf ein kaum noch messbares Minimum.95 92  Cf. Labrousse, Conversion, in: Donville, Conversion, 167. In der Regel wurden wohl die Mädchen in der Konfession der Mutter, die Söhne in derjenigen des Vaters erzogen. Blieb die Ehegattin trotz des Einflusses ihres Mannes zeitlebens ihrer Konfession treu, wurde dies oft als erneuter Beweis für die opiniâtreté von Ketzern und damit als indirekte Bestätigung der von ihnen ausgehenden Gefahr gesehen, cf. dazu Dompnier, Venin, 156. 93  Cf. »Déclaration du Roy pour la peine contre les relaps« (20.06.1665), in: Pilatte, Déclarations, 9–12. 94  Cf. »Edit du Roy portant defenses aux Catholiques de quitter leur Religion pour professer la pretenduë reformee« (25.06.1680), in: Pilatte, Déclarations, 51– 53, hier 52 / 53: »[…] nos sujets […] faisans profession de la Religion Catholique, Apostolique & Romaine ne puissent jamais la quitter, pour passer en la R.P.R. pour quelque cause, raison, prétexte ou consideration que ce puisse estre. Voulons que les contrevenans a ce qui est en cela de nostre volonté, soient condamnez à faire amende honorable, & au banissement perpetuel hors nostre Royaume, & que tous leurs biens soient confisquez«. Dass nur wenige Monate später ein weiteres Edikt erlassen wurde, mit dem Ehen zwischen »Catholiques« und »ceux de la R.P.R« direkt verboten wurden (cf. »Édit du Roy, portant défenses aux Catholiques de contracter mariage avec ceux de la R.P.R.« (11.1680), in: Pilatte, Déclarations, 61 / 62) mag ein Hinweis auf die Sitte einflussreicher Kreise sein, für die Ehe zwischen Partnern verschiedener Konfessionen Dispens zu erbitten – die ihnen oft genug wohl auch gewährt worden ist – was fortan nicht mehr möglich sein sollte. Ein Beispiel für eine solche Verbindung, bei der aufgrund entsprechenden Dispenses auf eine abjuratio pro matrimonio verzichtet werden konnte, ist die im August 1572 geschlossene Ehe zwischen der katholischen Marguerite de Valois und dem Protestanten Henri de Navarre. Der spätere König Henri IV wechselte nämlich erst in Folge der Ereignisse der sogenannten Bartholomäusnacht zum katholischen Glauben, schwor diesen aber einige Monate später wieder ab. Cf. dazu ausführlich Wolfe, Conversion, 24; zur grundsätzlichen Einstellung gegenüber »MehrfachKonvertiten‹ cf. Kaspar von Greyerz, »Konfessionelle Indifferenz in der Frühen Neuzeit«, in: Andreas Pietsch / Barbara Stollberg-Rilinger (ed.), Konfessionelle Ambiguität. Uneindeutigkeit und Verstellung als religiöse Praxis in der Frühen Neuzeit. [Gütersloh]: Gütersloher Verlagshaus 2013, 39–61, hier 53–57 (= Abschnitt VII Konversionen). 95  Cf. Dompnier, Vénin, 157; Benedict, Faith, 323.

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Das bisher mit Blick auf die Ehe Gesagte lässt sich weitgehend auf andere Personenbindungen übertragen. So war es beispielsweise durchaus üblich, dass Eltern die Konfession wechselten, um ihren Kindern die Möglichkeit zu geben, bestimmte (einfluss)reiche Persönlichkeiten als Paten oder Lehrer zu haben.96 Auch folgten Hausangestellte oft ihren Dienstherrn in deren conversio oder aber sie wechselten die Konfession, um eine Stelle bei bestimmten Familien annehmen zu können.97 Die letztgenannten Beispiele schlagen eine Brücke zu den Bereichen Ausbildung und Berufswahl, die, wie bereits angedeutet, damals gleichfalls Motive für conversio aus Opportunismus boten. Dass Eltern die Glaubensgemeinschaft wechselten, um den Kindern eine angemessene Schulausbildung ermöglichen zu können, war vor allem der finanziell oft prekären Lage der Gemeinden in ländlich geprägten Regionen und Kleinstädten geschuldet. Diese konnten es sich nämlich in der Regel nicht leisten, für die Kinder beider Konfessionen jeweils einen Lehrer zu finanzieren repektive eine Schule einzurichten, sodass oft alle Kinder gemeinsam unterrichtet wurden. Kam es allerdings zwischen den Konfessiobeispielsweise Labrousse, Conversion, in: Donville, Conversion, 163. ein Dienstherr einen ›häretischen‹ Angestellten im Haus und damit in unmitttelbarer Nähe zu sich und seiner Familie haben mochte, hing selbstverständlich zunächst von seiner persönlichen Einstellung ab, die kirchlichen Verantwort­ lichen scheinen vor solcherart Arbeitsverhältnis stets gewarnt zu haben. Daraus ergibt sich auch die Tatsache, dass in zahlreichen écrits de conversion die abschließende confession de foi mit einem Versprechen verknüpft ist, für das Seelenheil der Familienangehörigen und Hausangestellten – und damit letztlich für ihre conversio – Sorge zu tragen; cf. beispielhaft »Ie vouë & iure retenir […] confesser sans aucune contrainte cette vraye Foy catholique, sans laquelle personne ne peut estre sauvé: & promets que ie la garderay constamment, moyennant la grace de Dieu, iusques au dernier souspir de ma vie, & tant qu’il me sera possible. La feray tenir, garder, & observer par tous ceux desquels i’auray charge en ma maison«; (Perdrix, D(aniel  ?.), Declaration du Sieur D. Perdrix, cy devant faisant profession de la Pretenduë Religion Reformée; où il fait voir les faussetez & profanations que ceux de ladite Pretenduë Religion enseignent : & aussi par consequent les causes & motifs qui l’ont poussé à la quitter. Le tout prouvé par Passages de la Sainte Escriture & par ceux Peres qui ont vescu six cens ans immediatement suivant la mort de nostre Sauveur. Paris: Boulanger 1642 (40 Seiten, in-8°), 40. Dass diese Zusage oftmals nicht mehr als ein Lippenbekenntnis war, das möglicherweise gar dem Konvertiten von den jeweiligen Verantwortlichen vorgegeben wurde, und die Wirklichkeit ganz anders aussah, wird an den zahlreichen Erlassen hinsichtlich entsprechender Dienstverhältnisse ersichtlich, die sich die Obrigkeit noch 1685 sowie erneut 1686 zu erlassen genötigt sah: cf. »Déclaration du Roy portant défences à ceux de la R.P.R. d’avoir des domestiques catholiques« (09.07.1685), in: Pilatte, Déclarations, 203 / 204 sowie »Ordonnance du Roy concernant les Domestiques dont les P. R. et les Nouveaux Convertis peuvent se servir« (11.01.1686), ibid., 268–270). 96  Cf. 97  Ob

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nen zu Spannungen, konnte die gegenseitige Unterstützung rasch enden, was allerdings zur Folge hätte, dass die Kinder der örtlichen konfessionellen Minderheit die Schule verlassen müssen – für die Eltern ein Anlass zur conversio.98 Den kirchlichen Verantwortlichen war die beschriebene Form der Kooperation im Allgemeinen ein Dorn im Auge, bot doch der Schulunterricht eine sehr gute Möglichkeit, die Kinder zu beeinflussen, und für die eigene, aber ›leider‹ auch für die jeweils andere Konfession zu begeistern. Insbesondere die Jesuiten, deren Einrichtungen auch bei vielen Protestanten aufgrund der Qualität der dort vermittelten Ausbildung geschätzt wurde,99 machten wohl von den Möglichkeiten, die sich innerhalb der Schulen zur Mission ergaben, reichlich Gebrauch. Die Väter zahlreicher reformierter Jesuitenschüler mussten sich deshalb vor dem consistoire ihrer Gemeinde verantworten, da dies den Nachwuchs gefährdet sah.100 Um jedwede Zusammenarbeit der Konfessionen zu unterbinden, bemühte man sich auf beiden Seiten, die Anzahl der Schulen zu erhöhen, um auf diese Weise die gegenseitige Abhängigkeit zu unterbinden.101 Eltern und Lehrer riskierten hohe Strafen, wenn sie die konfessionellen Grenzen missachteten102 – was erneut conversiones aus Opportunismus provozierte. Weitaus weniger als auf Eherecht und Schulwesen nahmen weltliche und kirchliche Obrigkeit Einfluss auf die Berufswelt. Inwieweit nämlich die Mitglieder von Eglise réformée und katholischer Kirche Anhänger der je98  Cf. Dompnier, Venin, 158 / 159. Die beschriebenen Schwierigkeiten, denen erneut die grundsätzliche Prämisse zugrundeliegt, dass für zahlreiche Familien ein Ortswechsel in vielen Fällen ausgeschlossen war, machen deutlich, in welchem Maße die obrigkeitlichen Edikte und die Wirklichkeit vor Ort manchmal auseinanderklafften. Bereits im Edit de St. Germain (1570) und erneut im Edit de Nantes war nämlich festgelegt worden »(qu‘)il ne sera faite différence ni distinction pour raison, a recevoir tant ès universités, écoles […] les écoliers […]«; Edit de St. Germain, in: Jourdain / Isambert, Recueil, vol. XIV, n. 145, art. 15; Edit de Nantes, in: ibid., vol. XV. n. 124, art. 22. Zum protestantischen Schulwesen allgemein, cf. Garrisson, Protestants, 110ss. 99  Cf. Dompnier, Venin, 158; Gisel, Encyclopédie, Lemma: Education (1 / 2). Da eine Vielzahl der Protestanten kaufmännische oder akademische Berufe ausübte, waren sie in besonderem Maße an einer soliden Bildung ihrer Kinder interessiert, hofften sie doch, dass die Sprösslinge einmal in ihre Fußstapfen würden treten können. Zur Zusammensetzung der protestantischen Bevölkerung cf. Benedict, Faith, passim, insbesondere 132–149. 100  Cf. Dompnier, Venin, 159 / 160. 101  Cf. Dompnier, Venin, 160 / 161. 102  Cf. »Déclaration du Roy portant réglement de choses qui doivent être gardées et observées par ceux qui font profession de la Religion prétendue réformée« (01.02.1669), in Pilatte, Déclarations, 14–26, hier 24 (art. XL).

b) Motivationen von conversio223



weils anderen Konfession anstellten, war – zumindest bis zum Beginn der Umsetzung des Edit de Nantes à la rigueur – Angelegenheit der Laden­ inhaber, Handwerksmeister, Gutsbesitzer. Solange die Konfessionszugehörigkeit des Einzelnen für den Vorgesetzten ebenso wie für die Angestellten bedeutungslos war, mochten Nachbarn, consistoire oder ministre respektive curé vor dem Umgang mit Ketzern warnen so viel sie es für nötig hielten: dass man deshalb einer guten Arbeitskraft kündigte – und sie dadurch indirekt der Konkurrenz zur Verfügung stellte – war äußerst selten.103 Spielte das Bekenntnis hingegen für den Verantwortlichen eine Rolle – was sich in den Dörfern und Städten Frankreichs sehr schnell herumsprach – musste man sich, so man einer anderen Glaubensgemeinschaft angehörte, entweder nach einer anderen Arbeitsstätte umsehen oder eine conversio vollziehen. Erst in den zwanzig Jahren vor Erlass des Revokationsedikts wurde für einzelne Tätigkeitsfelder ein Berufsverbot für Anhänger des religion prétendue réformée ausgesprochen. So durften Protestanten beispielsweise ab 1680 nicht mehr als Hebamme arbeiten, weil man befürchtete, dass sie aufgrund ihres besonderen Taufverständnisses die Nottaufe sehr schwacher Kinder durch Laien nicht veranlassten und zahlreiche Babys deshalb ungetauft stürben104 – was für katholische Gläubige damals eine fast unerträg­ liche Vorstellung war.105 Benedict, Faith, 80, Bluche, Vie, 275–296. »Déclaration du Roy portant défenses à ceux de la R.P.R. de faire fonctions de Sages-Femmes«. (20.02.1680), in: Pilatte, Déclarations, 49–51, hier 49. Wie im Text des Dekrets explizit erwähnt, sah man im reformierten Christentum die Taufe nicht als unbedingt heilsnotwendig an »en ce que suivant les principes de leur Religion, ne croyant pas le Baptême absolument necessaire« (ibid., 49, cf. entsprechend Calvin, Institution XI, 1306 »Du baptesme«: »qu’il n’est pas tellement necessaire que celuy ne soit excusable de ne l’avoir point receu, qui aura empeschement legitime«), da man davon ausging, dass sich die in der Taufe vermittelte Gnade auf das gesamte Leben des Christen erstreckt. Dem entspricht auch die Formulierung in der Confession de Foy réformée: »Le Baptême nous est donné en témoignage de notre adoption, parce que nous sommes alors greffés au corps de Christ, afin d’être lavés et nettoyés par son sang, et puis renouvelés par son Esprit pour vivre d’une vie sainte. Bien que nous ne recevions qu’une seule fois le Baptême, nous affirmons aussi que les bienfaits qui nous y sont présentés s’étendent au cours entier de notre vie, et même à notre mort, en sorte que nous avons une attestation permanente que Jésus-Christ sera toujours notre justice et notre sanctification«; Confession de foi […], in: Fatio, Confessions, art. 35. 105  »Ohne Taufe zu sterben galt als ein Makel, für den kaum Abhilfe geschaffen werden konnte«, Walter Hartinger, Religion und Brauch. Darmstadt: WBG 1992, 131. Nach katholischem Verständnis ist die Taufe mit Rekurs auf Joh 3, 5 »necessarium ad salutem«; cf. beispielsweise Wohlmuth, Dekrete III / concilium Tridentinum, sessio VII – canones de sacramento baptismi, can. 5. Starb ein Kind ungetauft, 103  Cf. 104  Cf.

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Wollte man also seinen Beruf als Hebamme, der im 17. Jahrhundert auch von Männern ausgeübt wurde und gutes Auskommen sicherte,106 weiter nachgehen, musste man entweder das Land verlassen – was allerdings gleichfalls verboten war107 – oder konvertieren. Ein Berufsfeld war jedoch von vornherein obrigkeitlicher Kontrolle unterstellt: der ›öffentliche Dienst‹. Bereits das Edit de St. Germain sowie weitere édits de pacification und das Edit de Nantes beinhalten einen Artikel, in dem den Protestanten der Zugang zu »tous états, dignités, et charges publiques royales, seigneuriales, et des villes de ce royaume« ebenso zugesichert wird wie ein gleichberechtigtes Mitwirken in »tous conseils, déliberation, assemblées, états et fonctions qui dépendent des choses susdites«.108 war ihm das ewige Leben verschlossen und es war dem Teufel ausgeliefert. Es durfte deshalb auch nicht auf einem regulären Friedhof, etwa im Familiengrab, beigesetzt werden, cf. Hartinger, Religion, 131. Zu weiteren Praktiken im Umgang mit ungetauft verstorbenen Kindern, etwa das Kinderzeichnen an »Gnadenstätten« cf. ibid, 130ss. Weiterhin lag das Berufsverbot für sage-femmes protestants in der Tatsache begründet, dass illegitime Kinder traditionell der Fürsorge der Hebammen anvertraut wurden: »A quoy voulant pourvoir & empescher en mesme temps, que les enfants illegitimes dont on cache la naissance, & dont l’éducation est ordinairement confiée à ceux qui accouchent les meres, s’ils font profession de la Religion prétenduë réformée, ne les instruisent dans ladite Religion, bien que les peres & meres fassent profession de la Religion Catholique, Apostolique & Romaine«, »Déclaration du Roy portant défences à aux de la R.P.R. de faire fonction de Sages-Femmes«, in: Pilatte, Déclarations, 49–51, hier 50. Ohne ein entsprechendes Berufsverbot bestünde also das Risiko, eine Vielzahl illegitimer Kinder an die Eglise réformée zu ›verlieren‹. 106  Cf. Bély, Dictionnaire, Lemmata: naissance, femme. 107  Dies wurde erstmals 1669 »à peine de confiscation de corps et de biens, et d’être censez et réputez Etrangers, sans qu’ils puissent être cy-après rétablis, ny réhabilitez, ni leurs Enfans naturalisez, pour quelque cause que ce soit« verboten; »Edit du Roy portant défences à tous ses sujets de se retirer de son Royaume, pour aller s’établir sans sa permission dans les Pais Etrangers« (08.1669), in: Pilatte, Déclarations, 26–29, hier 26 / 27. 108  Edit de St. Germain, in: Jourdain / Isambert, Recueil, vol. XIV, n. 145, art. 22. Vergleichbare Artikel beinhalten beispielsweise auch das Edit de Beaulieu, in: ibid. XIV, n. 46, art. 17, das Edit de Poitiers (das den sechsten Religionskrieg zwischen März und September 1577 beschloss), in: ibid. XIV, n. 75 (08.10.1577), art. 19 sowie dasjenige von Nantes, in: ibid., vol. XV. n. 124, art. 27. Inwieweit bei der Verteilung der Ämter beispielsweise im Rat einer Stadt persönliche Sympathien ebenso wie (alte) konfessionelle Reibereien eine Rolle spielten, kann im Nachhinein schwerlich rekonstruiert werden. Dass den Protestanten dennoch nicht alle Ämter offenstanden, beweist die conversio von François de Bonne, Duc de Lesdiguières. Als erfolgreicher Militär der Religionskriege war er die ›Karriereleiter‹ bis zum Duc und Pair de France hinaufgestiegen, eine weitere Stufe zu erklimmen und connétable, also Oberbefehlshaber der königlichen Armee zu werden, war aber für Protestanten zunächst unmöglich – es sei denn, sie konvertierten (cf. Jan-Friedrich Mißfelder, »Zum König konvertieren: Zur politischen Funktion von Konversionsberichten im Frankreich des frühen 17. Jahrhunderts«, in: Lotz-Heumann / idem / Pohlig,



b) Motivationen von conversio225

Seitens der Obrigkeit zielte diese Regelung darauf ab, den Anhängern der religion prétendue réformée zu signalisieren, dass sie – so sie sich nicht séditieux erwiesen – keineswegs ›Untertanen zweiter Klasse‹ waren, sondern neben dem königlichen Schutz auch das Vertrauen des Monarchen genossen. Wenn sich nun der Herrscher bereiterklärte, Protestanten wie Katholiken an der Regierung und Verwaltung des Reiches, der Region oder Stadt zu beteiligen, setzte dies im Umkehrschluss eine Anerkennung des ›obersten Dienstherrn‹ durch die Angestellten voraus. Bekleideten Anhänger der ­Eglise réformée aber ein öffentliches Amt, ergab sich für sie ein Gewissenskonflikt, der sich als Zwiespalt zwischen beruflichem Pflichtbewusstsein und persönlicher Einstellung fassen lässt. In den Augen eines protestantischen officier war der von ihm unterstützte Monarch ein roi impie. Die Frage, ob man einem solchen ungläubigen König dienen sollte und welche Formen weltliche Macht annehmen durfte, um von den Gläubigen weiterhin als »von Gott eingesetzt«109 akzeptiert werden zu können, wurde im 16. und 17. Jahrhundert vor allem von den Reformierten intensiv diskutiert. In dieser Debatte ging es jedoch keinesfalls um eine grundsätzliche Infragestellung weltlicher Obrigkeit. Deren Notwendigkeit und Aufgabe als Beschützerin der Kirche und der durch Sünde korrumpierten menschlichen Gesellschaft war durch zahlreiche Bibelstellen110 verbürgt und gehörte nach allgemeiner Auffassung zu den Säulen christlichen Gemeinwesens.111 Vielmehr wurden in Frankreich Stimmen gegen die Legitimation einer Herrschaft laut, die sich zwar christlich gab, tatsächlich aber die Protestanten unter Druck setzte und im Umkreis der Ereignisse um die Bartholomäusnacht sowie bei Häretikerprozessen sogar verfolgte und tötete. Die sogenannten Monarchomachen zum Beispiel vertraten die Ansicht, dass bestimmte Vorgehensweisen des Souveräns eine Verweigerung des Gehorsams durch den christlichen Untertanen notwendig machen konnten, und setzten Konversion, 147–169, hier 157–159). Lesdiguières vollzog diesen Schritt 1622 und setzte damit einen intensiven publizistischen Schlagabtausch in Gang, zwischen den Protestanten, die ihm Opportunismus vorwarfen, und den Katholiken, die den »Makel des Kuhhandels mit der Charge zu verwischen« suchten (ibid., 161). Zu den dafür angewandten Strategien, cf. ibid, 161–165 sowie ausführlich idem, »Die allzu politische Konversion des Duc de Lesdiguières. Zur diskursiven Produktion von Aufrichtigkeit«, in: Pietsch / Stollberg-Rilinger, Ambiguität, 170–182, hier 176ss. 109  Röm 13, 1. 110  Neben Röm 13, 1 / 2 vor allem Mk 12, 17, 1 Petr 2, 13 sowie Spr 8, 15 / 16. 111  Die Achtung der weltlichen Obrigkeit wurde deshalb bereits 1559 in die Confession de foy aufgenommen und gehört damit zu den konstitutiven Elementen des Glaubens der Eglises réformées, cf. Confession de foi […], in: Fatio, Confessions, art. 39, 40.

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3. Entstehungsbedingungen einer literarischen Form

sich für eine Kontrolle weltlicher Obrigkeit ein.112 Auch wenn diese Forderungen im Einzelnen in ihrer Radikalität wenig Anklang fanden, wurden sie innerhalb der république des lettres mannigfach rezipiert.113 Dass es sich bei dieser Diskussion keinesfalls nur um eine Auseinandersetzung unter Gelehrten handelte, wird beispielsweise an der Tatsache deutlich, dass Calvin bereits 1537 in die für die Gemeinde in Genf bestimmte Instruction et confession de foi einen Abschnitt »Du magistrat« integrierte114 oder im Rahmen seiner wöchentlichen Predigten auf Verhaltensweisen der Obrigkeit hinwies, die den Ungehorsam der Untertanen rechtfertigten.115 Die Qualitäten eines bon roi ebenso wie eines roi impie wurden zudem in zahlreichen Texten des zeitgenössischen protestantischen Theaters themati112  Zu den Vorstellungen der Monarchomachen, frz. monarchomaques, abgeleitet von μαχη = Kampf, μοναρχία = Alleinherrschaft; cf. Gisel, Encyclopédie, Lemma: monarchomaques sowie Delumeau / Wanegfellen, Naissance, 204–206. Monarchomachische Ideen vertraten beispielsweise François Hotman, in: La Gaule française (1573) und Théodore de Bèze, in Du droit des magistrats (1574). 113  Cf. Garrisson, Protestants, 297 sowie ausführlich Jean-Marie Constant, Les Français pendant les guerres de religion. Paris: Hachette 2002, 148, 159 / 160. 114  Cf. Calvin, Œuvre / Instruction, 228: »Mais en l’obéissance des supérieurs il faut toujours excepter une chose: c’est qu’elle ne nous retire de l’obéissance de celui aux édits duquel il convient que les commandements de tous les rois cèdent. Le Seigneur donc est le roi des rois. […] En après nous sommes sujets aux hommes lesquels sont constitués sur nous, mais non point autrement qu’en lui. S’ils commandent quelque chose contre lui, on n’en doit rien faire ne tenir compte, ains plutôt celle sentence ait lieu ›Qu’il faut obéir à Dieu que aux hommes‹, Actes 4, 19«. Der Reformator thematisiert das Problem des Gehorsams gegenüber einem roi impie auch in der Institutio / n, cf. beispielhaft Calvin, Institution, XVI »Du gouvernement civil«, 1632 / 1633. Cf. dazu infra, Kapitel 3.c). 115  Cf. beispielhaft die Predigt zu Gen 16, 5–9. Ausgehend von der Auseinandersetzung zwischen Sarai und Hagar – die von ihrer Herrin schlecht behandelt worden war, weil sie – auf Geheiß Sarais selbst – von Abram ein Kind erwartete – zieht Calvin eine Parallele zwischen häuslichem Ungehorsam, wie hier zwischen Herrin und Dienerin, und der ›großen‹ Politik und erklärt, dass man zwar körperliche Misshandlung ertragen müsste »mais ce n’est pas à dire qu’il nous faille […] déroguer au souverain empire de Dieu pour complaire à ceux qui ont préeminence dessus nous. Comme si les rois veulent contraindre leurs sujets à suivre leurs superstitions et idolatries, Oh, là, ils ne sont plus rois, car Dieu n’a pas résigné ni quitté son droit quand il a établi les principautés et seigneuries en ce monde. […]. Mais quand il adviendra que les rois voudront pervertir la vraie religion, […] ils (i. e. les sujets) avisent qu’ils leur vaudraient mieux mourir cent fois que de décliner du vrai service de Dieu. Que les fidèles rendent donc à Dieu ce qui lui appartient et qu’ils méprisent tous édits et toutes menaces, et tous commandements et toutes traditions«; Jean Calvin, La Servante chassée. Sermon inédit sur l’histoire d’Agar (23.03.1560). Édition préparée, annotée et préfacée par Max Engammare. Genf: Zoé 1995, 28 / 29. Zu weiteren Aussagen Calvins zu diesem Themenkomplex cf. das postface des Herausgebers, in: ibid, 41–47, hier 41–44.



b) Motivationen von conversio227

siert, das vor allem biblisches Drama war und seit dem Pionierwerk von Thédor de Bèze – Abraham sacrifiant (1550) bis weit ins 17. Jahrhundert hinein reges Interesse bei Autoren und Publikum fand.116 Tatsächlich betraf die Frage der Solidarität mit dem Herrscher nicht nur die umittelbar in der Regierung oder Verwaltung Beschäftigten, sondern letztlich alle Mitglieder der Eglise réformée. Trotz mancher Verbindungen mit den Protestanten in Genf oder dem Reich fühlten sich diese nämlich als sujets ihres Königs: Dieser übernahm, wie gezeigt, mit dem serment du royaume Verantwortung für Harmonie und Sicherheit im Königreich, seine Untertanen brachten ihm im Gegenzug Loyalität entgegen. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass politisch motivierte conversiones vornehmlich während der Religionskriege vollzogen wurden.117 Angetrieben von dem Gedanken, dass man sich als Protestant und Verteidiger seiner Sache gegen die königliche Armee in hohem Maße illoyal gegenüber seinem Herrscher verhielt, was weder mit der grundsätzlichen Verpflichtung zum Gehorsam gegenüber der Obrigkeit, noch mit der Erfüllung eventueller 116  Die Werke beruhen vornehmlich auf den Geschichtsbüchern des Alten Testaments (1 / 2 Sam, 1 / 2 Kön, 1 / 2 Chr,) und sollen dem Zuschauer neben Vertrauen in das Handeln Gottes vor allem die tröstliche Botschaft vermitteln, dass es Gott, trotz allen irdischen Ungemachs, gut mit den Menschen meint (cf. Jonker, Protestantisme, 98). Als Vorbild des bon roi dient neben König David vor allem Joschija / Josias, der Sohn König Amons (cf. 2 Kön 22; 2 Chr 34). In einem aus dem Italienischen übersetzten und in Genf gedruckten und aufgeführten drame biblique wird Joschija / Josias die »règle du bon roi« in den Mund gelegt: »C’est d’establir de Dieu la Religion vraye / Benignité, iustice, amour, bonté, prudence / Grace et humanité, ce sont vertus divines / Et les vrais ornements de royale excellence«, Philone, Josias (tragédie de M. Philone). Traduite d’Italien en François. Vray miroir des choses advenues de nostre temps. Genf: Perrin 1566, II, 31. Joschija / Josias hatte den Götzendienst in Juda beendet und sein Volk zur conversio geführt. Die Frage, inwieweit Gehorsamspflicht gegenüber einem roi impie besteht, thematisiert beispielsweise Louis des Masures in David fugitif (um 1563): Als Jonathan seinem Vater Saul helfen soll, David zu verfolgen, weigert er sich: »[…] A son père ne doit / Le fils obeissance, où inique il le voit / Ni au père le fils, ni le subject au Prince / Est tenu d’obéir en aucune province, / Quand il sait et cognoit que ce qu’on cerche et tente /  Par les armes, n’est rien qu’impieté patente«; Louis des Masures, David fugitif, in: idem, Tragédies saintes. David combattant, David triomphant, David fugitif. Edition critique publiée par Charles Comte. Paris: Cornély et Cie 1907, 181–277, vv. 1257– 1262. Das Werk erfuhr ebenso wie die zwei weiteren der David-Trilogie von Des Masures im 16. Jahrhundert fünf Auflagen und wurde 1627 in der überwiegend protestantischen Stadt Montbéliard aufgeführt (cf. Lebègue, Tragédie, 368), was als Indiz für seine bleibende Aktualität zu werten ist. 117  Cf. Keith Luria, Sacred boundaries. Religious coexistence and conflict in Early-modern France. Washington D.C.: The Catholic University of America Press 2005, 272s.

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3. Entstehungsbedingungen einer literarischen Form

serments de fidélité zu vereinbaren war,118 zeigten sich viele Anhänger der Eglise réformé empfänglich für die Argumente von convertisseurs, die sich den Gewissenskonflikt der Reformierten zunutze zu machen wussten.119 Im 16. Jahrhundert waren conversiones aus Königstreue noch relativ selten. Eine Änderung trat mit Beginn des Rohan-Kriegs ein, als die katholische Kirche eine intensive Propagandakampagne für Kirche und König lancierte. Sie veranlasste nämlich meist bald nach Eroberung und erfolgreicher Missionierung einer Stadt die Veröffentlichung entsprechender Berichte, in denen das Motiv der conversio im Sinne eines Eintritts in die katholische Kirche mit dem politisch-moralischen Motiv einer conversio zum König deutlich verbunden wurde.120 Ein Beispiel für diese Vorgehensweise bietet eine Schrift, die 1622 anlässlich der Kapuzinermission in Foix (1622) herauskam: Quelques iours apres le corps de la ville s’asembla, ou d’un commun consentement des vieux Catholiques & nouveaux convertis, il fut resolu, que n’y ayant plus dans la ville, ny Pasteur, ny brebis pretenduës, il n’y auroit aussi plus de Temple & qu’il seroit demoly, comme preiudiciant aussi au chasteau du Roy, & commandant la grand’ruë de la ville, affin qu’estant tout unis de foy & de religion, le fussent aussi de volonté, pour le service de sa Maiesté.121

Die Absicht, mit dieser Form von Konversionsbericht noch verbleibende villes séditieuses und rébelles an ihre Pflichten gegenüber dem König zu erinnern, ist hier offensichtlich. Durch die Verknüpfung von katholischer Konfession und Königstreue wird zudem der reformierte Glaube ex negativo mit politischer Rebellion und Illoyalität identifiziert.122 Da sowohl die 118  Offizielle Personalbindungen, zwischen Herr und Diener, Souverän und Vasall usw. wurden üblicherweise mit einem serment bestätigt, der entweder direkt oder in Stellvertretung geleistet werden konnte (cf. Bély, Dictionnaire, Lemma: serments). Da die traditionelle Form des Schwörens auf das Evangelium für die Protestanten nicht akzeptabel war, wurde ihnen in Artikel 24 des Edit de Nantes zugesichert, dass sie nicht verpflichtet werden durften »(d‘) assister à aucunes cérémonies contraires à leurdite religion et […] ne seront tenus d’en faire d’autre que de lever la main et promettre à Dieu qu’ils diront la vérité«; (Edit de Nantes, in: Jourdain / Isambert, Recueil, vol. XV. n. 124, art. 24), was die Virulenz des Problems für die Protestanten unterstreicht. 119  Cf. Luria, Boundaries, 272; Mißfelder, König, in: Lotz-Heumann / idem / Pohlig, Konversion, 157. 120  Cf. Mißfelder, König, in: Lotz-Heumann / idem / Pohlig, Konversion, 149. 121  Anonym, L’Heureuse Conversion de tous les pretendues Religionnaires de la ville de Foix. Avec les Noms & Qualitez desdicts Religionnaires, qui sont en nombre de Cent vingt-deux. Ensemble la fuitte honteuse du Ministre, & de la demolition & rasement du Temple des Huguenots d’icelle. Par le Père Villate de la grand’Observance de Bordeaux. Bordeaux: Millanges 1621 (7 Seiten, in-8°), 6. Von der Massenkonversion in Foix berichtete auch Benoist, cf. dazu supra, Kapitel 3.b)aa). 122  Cf. Mißfelder, König, in: Lotz-Heumann / idem / Pohlig, Konversion, 153.



b) Motivationen von conversio229

officiers mancher Städte mit hohem reformierten Bevölkerungsanteil als auch protestantische Einzelpersonen eine so grundsätzliche Gleichsetzung aber ablehnten, waren viele von ihnen bemüht, eventuellen Zweiflern das Gegenteil zu beweisen. Dies geschah oft im Rahmen einer anlässlich eines Konfessionswechsels verfassten Konversionsschrift: Der ehemalige ministre Le Blanc beispielsweise hatte sich während der Belagerung von Montauban in der Stadt aufgehalten und die Reformierten unterstützt. Von seiner conversio zur katholischen Kirche und zum »Roy tout remply de Clemence« berichtet ein ehemaliges Gemeindemitglied von Le Blanc in der 1621 von ihm veröffentlichten Konversionsschrift: Claude Peliot, Chirurgien de Beaune, certifie avoir veu Monsieur le Blanc, iadis Ministre de Lyon & puis de Beaune, faire profession de la foy & loy Catholique, Apostolique & Romaine. Ce qui est dit afin que les errans retournent au bon chemin, qui est la religion Chrestienne & antique de nos peres & ayeuls, & qu’ainsi finalement nous ayons une mesme foy & une loy, sous un mesme Roy tout remply de Clemence […] Que le nom de nostre Roy soit parmy nous & parmy tout, rendu immortel. Loué soit Dieu de ceste liberalité, & de ce qu’ayans esté miserablement cy devant destournez du service de nostre Roy, maintenant nous avons recogneu plus particulierement l’obeyssance que nous luy devons rendre. Arriere doncques Iniques, deslogez Tyranniques, qui nous avez seduits, nous faisans accroire que c’estoient les guerres de Dieu, que de resister & se rebeller à son Roy. Ce sont plustost les guerres du diable, comme il appert par les effects detels acariastres.123

Konversionszeugnis und Königspanegyrik fallen hier zusammen und werden mit einem Aufruf zur Wiederherstellung der unité religieuse verbunden. Illoyalität gegenüber dem König – »son roy«, wie es im Text heißt, um die enge Verbindung von Souverän und Untertan zu verdeutlichen – wird durch den Hinweis auf die Machenschaften der Protestanten, die positiv bewerteten, was sich als Teufelswerk entpuppte, klar verurteilt. Unterstrichen wird die Aussage durch die tautologische Wendung »resister & se rebeller« sowie die augenfällige Opposition von guerres de Dieu und guerres de diable, die der Leser allerdings selbständig dem angemessenen Verhalten gegenüber dem König zuordnen muss – weshalb sie ihm möglicherweise besonders im Gedächtnis bleibt. Während sich Konversionszeugnis und Königslob im Text von Peliot noch die Waage halten, gewinnt im zwei Jahre später entstandenen écrit de conversion des ehemaligen Stadtkämmerers von La Rochelle, Benoist Berault, die panegyrische Tendenz gar die Oberhand: Dies wird nicht nur 123  (Claude Peliot), L’Admirable Conversion de l’un des pretendus Ministres de Lyon, dict Monsieur Blanc, en la foy Catholique, Apostolique & Romaine. Avec l’acqueil Royal de Pons, & le Cordial. acqueil de ceux de Montauban. Paris: Guichard Paillé 1621 (Iouxte la coppie imprimée à Lyon) (15 Seiten, in-4°), 9–11.

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3. Entstehungsbedingungen einer literarischen Form

durch die Konzeption des Textes als Brief »AU ROY«124 deutlich: Entscheidend ist vor allem, dass die conversio des Verfassers hier lediglich im Titel des Briefes zur Sprache kommt,125 im Text selbst wird der König zunächst in der Tradition von David, Salomon, Josias und Ezechias126 als Beschützer und Garant der religiösen Ordnung sowie als religiöses Vorbild für seine Untertanen gezeichnet: »car il n’y a rien qui rende les subiets meilleurs, que quand ils se trouvent sous le regne d’un bon Prince«.127 Konsequenterweise entschließen sich dann auch zahlreiche »bons François« dazu, den Glauben ihres Königs anzunehmen: Que devons nous donc faire, nous autres qui nous estimons bons François, n’ayans que toute bonne pensée pour le service de vostre Majesté, sinon embrasser la vraye Religion, & la vraye Eglise, dont vous estes fils aisné, & prier l’Eternel qu’il vous face longuement regner sur cette Monarchie & vous donner une sainte lignee, & offrir continuellement nos vœuz pour la santé, prosperité, & aggrandissement de vostre royale Majesté.128

Den hier eingeflochtenen guten Wünschen für »vostre royale Majesté« folgt eine Auflistung all derjenigen Personen, die in den vergangenen Wochen in die katholische Kirche eingetreten sind, wobei Berault sehr deutlich darauf achtet, bei allen Konvertiten stets die enge Verbindung zum König129 124  (Benoist Berault), »Lettre de Benoist Berault Escuyer sieur de Fraisne, premier Pair de la Rochelle, & premier Tresorier des deniers de la ville, sur sa Conver­sion à la foy Catholique, Apostolique & Romaine«, in: Anonym, L’heureuse conversion de noble Homme Benoist Berault, Escuyer sieur de Fraisne, premier Pair de la Rochelle, & premier Tresorier des deniers de ladite ville. De Iacques Blamont, Escuyer sieur de la Faye, fils de Ieremie de la Faye, Ministre. De Maistre Paul Groüard, Iuge de la Prevosté de Loudun. De Maistre Paul Aubry, Advocat à Loudun & conseil de Madame de Fronteneaux, & de plusieurs autres, qui en ces derniers mois ont abiuré l’heresie, & protesté de la Religion Catholique Apostolique & Romaine. Instruits & absoults par le R. Père Athanase Molé, Capucin, Predicateur Apostolique, & Gardien du Convent des Capucins de l’Hospice, aux Marets du Temple. Paris: Pierre Ramier 1623 (16 Seiten, in-8°), 10–16, hier 10, Anrede. Blockschrift im Original. Einen Gesamteindruck des écrit de conversion von Berault vermittelt dessen Abschrift in Anhang III. 125  Berault, Lettre, in: Anonym, L’heureuse conversion, 10. 126  Ezechias ist besser unter dem Namen Hiskija bekannt und war – wie David, Salomon und Josias – judäischer König (cf. 2 Kön 18). 127  Berault, Lettre, in: Anonym, L’heureuse conversion, 11. 128  Berault, Lettre, in: Anonym, L’heureuse conversion, 13. 129  Cf. beispielhaft Berault, Lettre, in: Anonym, L’heureuse conversion, 14: »Plus le 19 Novembre, fit aussi protestation de la foy Catholique, Apostolique & Romaine […] une Damoiselle de Madame de Clermont, […] fille de René Gorron, Escuyer, Garde de Monseigneur le Prince de Condé, & Capitaine d’une compagnie de cent hommes d’armes, entretenus pour le service du Roy. Paul Groüard, Iuge de la Prevosté de Loudun, Advocat en Parlement, presenté par Monsieur



b) Motivationen von conversio231

und damit dessen besondere Rolle herauszustellen, die dieser – direkt und indirekt – bei der Wiederherstellung von paix du royaume und unité reli­ gieuse einnimmt.130 Die Schlagkraft, die in solcher Weise konstruierte Schriften unter dem Eindruck des Krieges von 1621 entfalteten, lässt sich wohl kaum überschätzen.131 Vor diesem Hintergrund konnte nämlich die Idee einer nötigen conversion au roi auch in Gebieten, die in den neunten Religionskrieg kaum involviert waren – wie beispielsweise Paris oder die Normandie – auf fruchtbaren Boden fallen und weitere conversiones aus Königstreue provozieren. Auch wenn das beschriebene Phänomen des se convertir au Roi und damit eng verbunden auch die Integration von panegyrischen Elementen in die entsprechenden écrits de conversion aufgrund der historischen Verhältnisse natürlich nur bei conversiones zum Katholizismus eine Rolle spielen, sollte nicht verschwiegen werden, dass sich vergleichbare Formulierungen auch in Schriften finden lassen, die anlässlich einer conversio zum Protestantismus verfasst wurden – selbstverständlich nur »en ce temps de la liberté des consciences, sous l’Empire du Trespuissant & Tres genereux Monarque, HENRI quatriesme«132, also bis einschließlich 1610, dem Todesjahr von Henri. Ziel dieses Königslobs war wohl einerseits, dem König Dank zu zollen – auch wenn dieser sicher nicht direkt bei ihm ankam – andererseits Personen, die über eine conversio nachdachten, zu ermuntern, diesen Schritt zu tun, da sie in dieser Zeit der garantierten Gewissensfreiheit133 und unter d’Armeignac, Gouverneur de Loudun, premier valet de Chambre du Roy, s’est converty […]«. 130  Möglicherweise aufgrund der sehr einseitigen Darstellung des Briefes von Berault, in dem spirituelle Argumente wenig Raum haben, wurde der Lettre au Roy der Text eines anonymen Schreibers beigegeben, der die allzu offensichtlich poli­ tische Motivation der conversiones in ein anderes Licht rücken sollte, cf. dazu Kapitel 4. 131  Cf. dazu ausführlich Luria, Boundaries, 275–282. 132  (Ginestet, Antoine), La conversion du Sieur Antoine Ginestet, natif de Lautrec en Albigeois, jadis Confesseur & Prebstre Religieux de l’Ordre du pretendu S. François, suivant sa protestation faicte le 22 Octobre 1600. En l’Eglise de Bragerac. Ensemble celle du Sieur Louy de Caransy, natif de la ville d’Angoulesme, jadis Prebstre comme appert par leurs lettres, in: Anonym, Diverses revocations, 38–44, hier 43 / 44. Blockbuchstaben im Original. 133  Die mehr oder weniger klar definierte liberté des consciences, i. e. die Zusicherung, zu keinerlei Handlungen oder Worten gezwungen zu werden, die nicht mit ihrer religiösen Haltung vereinbar waren (beispielsweise die Teilnahme an Prozes­ sionen oder das Schwören auf das Evangelium) war bereits fester Bestandteil fast aller Pazifikationsedikte des 16. Jahrhunderts gewesen, im Edit de Nantes wurde sie dann erneut explizit festgeschrieben; cf. beispielhaft: »Et pour ne laisser aucune

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3. Entstehungsbedingungen einer literarischen Form

dem Schutz des Königs keine Repressalien infolge des Konfessionswechsels zu befürchten hatten. cc) conversio aus spirituellem Bedürfnis Machten in den vorangegangenen Teilkapiteln die Eintritte in die katholische Kirche das Gros der zu betrachtenden Fälle aus, rücken im Folgenden verstärkt die conversiones zur Eglise réformée in den Blick. Denn anders als bei den Übertritten zum Katholizismus, die natürlich gleichfalls stattfanden, denen aber wie angedeutet oft ein Opportunismusverdacht anhaftet, kann ein solcher bei einem Wechsel zum reformierten Christentum aufgrund der historischen Gegebenheiten in weiten Teilen Frankreichs von vornherein ebenso ausgeschlossen werden wie eine Zwangssituation.134 Da aus ›freien Stücken‹ vollzogene conversiones die jeweils aufnehmende Glaubensgemeinschaft nicht nur quantitativ verstärken, sondern vor allem qualitativ auszeichnen, war den Verantwortlichen beider Kirchen selbstverständlich daran gelegen, Übertritte zu ihren Gunsten stets als unabhängig von weltlichen Motiven darzustellen. Als Gegenstand von Konversionsschriften kommt deshalb einzig eine conversio in Betracht, die weder aus Opportunismus, noch aus Angst oder Zwang, sondern einzig aus der – gottgewirkten – Überzeugung erwachsen ist, dass die jeweils andere Gemeinschaft eher den spirituellen Bedürfnissen entspricht als diejenige, der man bis dato angehörte. Wenn also im Folgenden Textpassagen einzelner Konversionsschriften herangezogen werden, um die häufigsten Gelegenheiten aufzuzeigen, die im Zeitalter von Reformation und Konfessionalisierung occasion de troubles et différends entre nos sujets, avons permis et permettons à ceux de ladite religion prétendue réformée vivre et demeurer par toutes les villes et lieux de cestui nostre royaume et pays de nostre obéissance sans estre enquis, molestés, ni astreints à faire chose pour le fait de la religion contre leur conscience […]«, Edit de Nantes, in: Jourdain / Isambert, Recueil, vol. XV, n. 124 (02.02.1598), art. 6. Vor diesem Hintergrund und in dem Wissen, dass den Protestanten die versprochene Gewissensfreiheit auch im 17. Jahrhundert nicht immer gewährt wurde, versah Didier Boisson in seinem Buch über die itinéraires d’écclésiastiques convertis au protestantisme die consciences en liberté zu recht mit einem Fragezeichen (cf. Boisson, Consciences, Titel). 134  Entsprechende Aufnahmeanfragen wurden nämlich auch von den Mitgliedern der consistoires der Eglise réformée vor Ort nicht immer mit Enthusiasmus begrüßt. Aufgrund des zunehmenden Drucks auf die Anhänger der religion prétendue réformée im 17. Jahrhundert und wohl auch der einen oder anderen schlechten Erfahrung wurden Übertritte von Katholiken anfangs oft mit Skepsis betrachtet, wohl weil man Spionage oder unterschwellige Missionierung befürchtete (cf. Boisson, Consciences, 156–158). Seitens der Eglises réformées kam es also keinesfalls zu einem »course à l’abjuration«, ibid., 157.



b) Motivationen von conversio233

den Anstoß für solche conversiones gaben, ist damit keinesfalls eine Wertung hinsichtlich der sincérité der verwendeten Texte verbunden. Eine solche ist im vorliegenden Zusammenhang auch nicht notwendig, da, wie bereits angedeutet, die Frage, ob eine conversio in der beschriebenen Form tatsächlich stattgefunden hat oder nicht, für die literaturwissenschaftliche Analyse nicht von Belang ist. Vollzogen Gläubige – seien sie katholisch oder protestantisch – aus ›freien Stücken‹ einen Konfessionswechsel, taten sie dies also mehrheitlich135 aus spirituellem Bedürfnis, das heißt aus einem weder materiell noch rational stillbarem religiösen Verlangen. Mit dem Begriff »Spiritualität«, abgeleitet von spiritualis, der lateinischen Lehnbildung zum neutestamentlichen πνευματικ ς – dem (Heiligen) Geist gemäß, wird allgemein die Ausrichtung des Menschen an und durch eine geistige Kraft bezeichnet, die sich in alltäglichen Lebensvollzügen ebenso niederschlägt wie in seiner Glaubenspraxis.136 Im Christentum hat diese Orientierung an und durch Gott nicht nur im Laufe der Jahrhunderte unterschiedliche Formen angenommen, sie variiert auch je nach geistiger Disposition, Alter und Geschlecht des Einzelnen. So verstanden beispielsweise die frühen Christen die Askese, viele Gläubige im 16. und 17. Jahrhundert die Mystik als vollkommenste Umsetzung der paulinischen Forderung eines Lebens »aus dem Geist heraus«137; so sieht der eine seinen Glauben eher durch Gemeinschaftserlebnisse in Form von Wallfahrten oder ›liturgischen Großereignissen‹ bekräftigt, der andere mehr in der Geborgenheit des stillen Gebets. Wie die Beispiele zeigen, steht die Spiritualität gewissermaßen in einer Mittel- und damit auch Mittlerposition zwischen der verfassten religiösen Doktrin und den äußerlich sichtbaren Frömmigkeitsformen, die sie auf individuelle Weise und »von Geist beseelt«138 mit Leben füllt.139 Erscheint 135  Einige Katholiken wandten ihrer Kirche wohl auch ›aus Protest‹ den Rücken zu, weil sie mit den restriktiven Maßnahmen gegen die Protestanten, die zwar von der Kirche nicht angeordnet, aber gebilligt wurden, nicht einverstanden waren; cf dazu Boisson, Consciences, 141: »Les convertis expriment un sentiment de culpabilité d’avoir appartenu et apporté leur soutien à une institution persécutrice«. 136  Cf. Viller, Dictionnaire, Lemma: spiritualité; Kasper, LThK, Lemma: Spiritualität IV (Systematisch-theologisch). 137  Gal 5, 25. 138  Kasper, LThK, Lemma: Spiritualität II (Religionswissenschaftlich). 139  Auf die ›Individualität‹ spiritueller Erfahrung, die zur verfassten Lehre einer Religionsgemeinschaft in einem Komplementärverhältnis steht, verweist auch Millet im »liminaire« des von ihm besorgten Travaux de littérature-Bandes zur Spiritualité des écrivains: »spiritualité se distingue de la doctrine, philosophique ou religieu-

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3. Entstehungsbedingungen einer literarischen Form

dies dem Gläubigen innerhalb seiner Religionsgemeinschaft nicht (mehr) möglich, weil er mit der vertretenen Lehre und / oder den Glaubenspraktiken nicht (mehr) konform geht, entsteht der Wunsch, dieses Defizit auszufüllen, also ein spirituelles Bedürfnis. Wie sich dieser Mangel im Einzelfall manifestiert, ist mit Worten ebenso schwer fassbar wie das Wirken der Kraft, die ihn zu überwinden vermag. Bevor anhand einzelner Konversionsschriften exemplarisch gezeigt wird, welche Auslöser für eine conversio aus spirituellem Bedürfnis damals üblicherweise in Frage kamen, seien kurz die Rahmenbedingungen skizziert, die für solche conversiones nötig und im Zeitalter von Reformation und Konfessionalisierung durchaus gegeben waren. Tatsächlich zeitigte die damalige ständige Präsenz religiöser Konflikte im Alltag der Menschen nicht nur die in den beiden vorausgehenden Teilkapiteln dargestellten negativen Folgen. Die Situation führte auch dazu, dass sich zahlreiche Zeitgenossen veranlasst sahen, sich in neuer Weise mit ­ihrem Glauben auseinanderzusetzen. Von dieser Tendenz zeugt – seitens der Autoren – die bereits angesprochene conversion des muses, seitens der Leserschaft eine »auffallend große Nachfrage nach Erbauungs- und Medi­ tationsliteratur«140 im letzten Viertel des 16. sowie vor allem im 17. Jahrhundert.141 Diese selbstverständlich miteinander korrelierenden Phänomene se, dans la mesure où cette dernière est nettement définie, univoque et collectivement transmise. Du côté de la doctrine (ou de l’institution ou encore des rites, ce qui peut revenir au même), on a affaire à une exigence d’allégeance, à des idées bien circonstrites et munies des formes particulières de leurs exercices propres, […]; du côté de la spiritualité, c’est le caractère individuel et libre […] qui s’affirme, en fonction d’affinités du cœur ou d’élections librement choisies«; Olivier Millet, »Liminaire« in: idem, Spiritualité, 7–16, hier 9. Hervorhebung im Original. 140  Wodianka, Betrachtungen, 52. Henri Bremond fing die besondere Atmosphäre dieser Jahre ebenso wie deren literarischen Niederschlag in seiner Histoire littéraire du sentiment religieux en France. Depuis la fin des guerres de la religion jusqu’à nos jours (Nouvelle édition sous la direction de François Trémolières. Grenoble: Millon 2006) ein. Trotz des Titels, der ein Nachzeichnen des sentiment religieux bis in die 1930er Jahre, dem Moment des Erscheinens der Erstausgabe erwarten lässt, behandelt Bremond ausschließlich das 17. Jahrhundert. Für das vorliegende Kapitel relevant ist vor allem der erste Abschnitt des ersten Bandes der Neuausgabe (vol. I, t. I) – L’humanisme dévot – in dem er »les directions principales de la littérature religieuse pendant la première moitié du XVIIe siècle« skizziert, ibid. vol. I, I, 71– 435, hier 71, sowie passim. Angaben zur Originalausgabe, auf die sich auch die Indices beziehen, in Klammern (I, 1–541). 141  Als Grund für den Aufschwung dieser literarischen Formen ist neben der weitverbreiteten Krisenstimmung, die die Gläubigen in Anbetracht der wiederholten militärischen Auseinandersetzungen und damit verbundenen, fortwährenden Bedrohungssituation auch in wirtschaftlicher oder religiöser Hinsicht empfanden, auch eine Verinnerlichung und ›Individualierungstendenz‹ der Gläubigen gegenüber den



b) Motivationen von conversio235

lassen sich wohl grundsätzlich als »überkonfessionell«142 fassen, da Schriften protestantischer Autoren auch von Katholiken gelesen wurden und umgekehrt,143 das bedeutet aber keinesfalls, dass die Ausrichtung der Texte vollständig gleichgültig war, im Gegenteil. Durch die oft tägliche Konfrontation mit der Gegenseite sensibilisiert, stellten viele Christen ihre bisherigen Glaubensüberzeugungen vielmehr (unbewusst) auf den Prüfstand. Ergab sich bei diesen Gläubigen dann der Eindruck, dass die ›Angebote‹ der jeweils anderen Konfession ihnen bei ihrer Suche nach Heilsgewissheit hilfreicher sein konnten als diejenigen der eigenen Glaubensgemeinschaft, erschien die empfundene Leere also ausgefüllt, konnte dies zur Grundlage oder zumindest zum Anstoß für eine spätere conversio aus spirituellem Bedürfnis werden. Wie aus den Konversionsschriften hervorgeht, bildete das spirituelle Bedürfnis nach einem ›mehr‹ oder ›anders‹ oft nur die erste Anregung zu einer vertiefenden Auseinandersetzung mit Lehre und Frömmigkeitsformen der Gegenseite. So berichtet beispielsweise Madelenet, der ehemalige ministre Pierre Marcha, »fameux Predicateur & habile Religieux«144, habe »tous­ iours eu soif d’estre instruit de son salut depuis son retour du Synode national de Vitray«145, was sich durchaus als spirituelles Bedürfnis in Anbetracht unerquicklicher Diskussionen auf der eben beendeten Synode oder einer Lehre, die nicht mehr aus vollem Herzen anerkannt wird, gedeutet werden kann. Diese Lesart wird durch eine weitere Passage der mehrteiligen Konversionsschrift gestützt, in der ihr Verfasser nicht nur auf die besonderen Fähigkeiten von Marcha als ministre hinweist, sondern auch auf dessen sich langsam verändernde Haltung gegenüber seiner Kirche: Bref, il s’est tellement comporté en sa charge, que ceuz de son party l’ont souvent deputé vers plusieurs grands de ce Royaume comme zelant & habile Ministre; […] il est esleu du pays pour se trouver au Synode National de Vitrey […]. Le Angeboten der Kirchen zu nennen (cf. Wodianka, Betrachtungen, 51–53), cf. dazu infra, Kapitel 5. Als Erbauungsliteratur wurden übrigens auch die Konversionsschriften gelesen, was ihren Erfolg ebenso erklärt, wie den Einsatz kirchlicher Verantwortlicher für deren Publikation, cf. dazu Kapitel 3.c) sowie 4. 142  Wodianka, Betrachtungen, 53. 143  Cf. Wodianka, Betrachtungen, 51. 144  Madelenet, La conversion de P. Marcha, 7. 145  Madelenet, La conversion de P. Marcha, 4, Syntaxanpassung von mir. Im Original: »la fervente affection qu’il avoit d’estre instruit de son salut dont il a tousiours eu soif depuis son retour du Synode national de Vitray«. Bei der Synode handelt es sich um die XXIIe Synode national de Vitré (Mai–Juni 1617). Die Orthographie des Ortsnamens »Vitré« richtet sich nach dem »Table de tous les synodes nationaux des Eglises réformées de France«, in Aymon, Synodes nationaux, 289 / 290.

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3. Entstehungsbedingungen einer literarischen Form

voila bien avant engagé en l’erreur & enveloppé és tenebres de l’infidelité obstinée, non toutefois sans avoir souvent des touches de Dieu et de vives attraites de son esprit, principalement pendant ces deux dernieres années.146

Erneut wird hier die Synode von Vitré als Auslöser für die gewandelte Einstellung des ministre angegeben, die Marcha, wie an anderer Stelle bereits dargelegt, zunächst im Rahmen von Gesprächen, unter anderem mit dem bekannten jesuitischen Kontroversisten Jean Arnoux, zu einer intensiven Beschäftigung mit der katholischen Lehre, schließlich zur conversio führte. Die Veränderung wird zudem als durch »des touches de Dieu« sowie besonders »vives attraites de son esprit« hervorgerufen dargestellt und damit als Ergebnis nicht einer rationalen Entscheidung, was ja im Zusammenhang mit Synodendiskussionen gleichfalls möglich wäre, sondern einer spirituellen Umorientierung. Ein sehr ähnliches Erlebnis schildert auch der ehemalige ministre Léonard Thevenot in einem Brief an seine Kollegen, in dem er sein Fernbleiben auf der Regionalsynode in Mozé erklärt: Ie ne vous fais point d’excuses de ne m’estre trouvé à vostre Assemblée de Mozé, […] l’excuse presuposerait la faute, une grace particuliere de la bonté de Dieu sur moy m’a arresté, estant en chemin pour aller à ceste Assemblée. La mesme lumiere qui parut à S. Paul, allant en Damas persecuter les Chrestiens, m’a esclairé, la mesme voys du Seigneur m’a appellé, bref le mesme Esprit qui rappella S. Paul de la voye de perdition à la voye du salut, m’a rappellé de l’heresie à la vraye Eglise. Ie vins donc en ce lieu où i’ay trouvé non un Ananias disciple seulement, mais un Apostre, puis que les Evesques comme il succedent & tiennent la place des Apostres, aussi en portent ils le nom & la qualité, duquel ie receus un si favorable accueil, une si grande solidité dans la resolution des doutes qui me pouvoient rester, une si merveilleuse charité pour compatir aux infirmitez d’une ame devoyée, que touché de l’Esprit de Dieu, ie me soubmis à tout ce qu’il m’ordonneroit.147

Die offensichtliche Konstruktion der eigenen Umkehr auf der Folie der conversio Pauli fällt hier sofort ins Auge. Auf die Gründe und Vorteile einer solchen Orientierung an einem anerkannten Vorbild sei in Kapitel 4. detailliert eingegangen. Im Kontext des vorliegenden Abschnitts ist von Interesse, dass die Ereignisabfolge strukturell die gleiche ist wie im Text über die conversio von Marcha, die »grace particuliere de la bonté de Dieu« also anders als im Bericht der Apostelgeschichte weder eine spontane conversio noch eine Bußhandlung auslöst.148 Stattdessen folgt bei 146  Madelenet, 147  Thevenot,

meint.

La conversion de P. Marcha, 8. Lettre, 3–5. Mit Mozé ist wohl Mozé-sur-Louet bei Nantes ge-

148  Zur conversio Pauli cf. ausführlich supra, Kapitel 1.c) sowie infra, Kapitel 4., passim.



b) Motivationen von conversio237

Thevenot auf den ersten Anstoß wie bei Marcha eine instruction durch einen angesehenen Theologen, in seinem Fall dem Bischof von »Xain­c­ tes«,149 die schließlich zur conversio führt. Indem der Verfasser seine eigenen Erfahrungen fortlaufend mit der bekannten Bibelstelle parallelisiert, werden die Unterschiede – bei denen es sich mit Ekklesiologie und apostolischer Sukzession jeweils um Lehrdifferenzen zwischen den Konfessionen handelt – besonders hervorgehoben und damit als Auslöser und ›Leerstellen‹ markiert, die seine conversio aus spirituellem Bedürfnis provoziert haben. Mit dem Schema Anstoß (zur conversio) – instruction – Entscheidung folgen diese conversiones also der üblichen Vorstellung, dass eine conversio als göttliche Gnadengabe nicht ad hoc geschieht, sondern in der Regel menschliches Zutun verlangt. Während die itinéraires von Marcha und Thénevot den mehrstufigen conversiones entsprechen, die Michel in seiner Passion den Menschen vor Augen geführt hatte, basiert die conversio von Louis Le Masson auf einem neuen Verhältnis zwischen Mensch und Gott, manifest in einem sich veränderten Empfinden gegenüber den üblichen Frömmigkeitsformen. Wie der docteur en théologie und curé, der zunächst in Montauban, dann in der Normandie einer Gemeinde vorstand, in seiner Apologie angibt, lagen zwischen seinem ersten intensiven Kontakt mit der Lehre der Eglise réformée und seiner abjuration 1656 in Charenton 23 Jahre.150 Le Masson beginnt sein Werk mit der Schilderung seiner – gottgewirkten  – Begegnung mit zwei katholischen Geistlichen: Le Seigneur qui dès lors vouloit ietter les premiers fondements de ma vocation, me fit tomber heureusement dans la connaissance de quelques Ecclesiastiques de conditions, establis en dignité & en reputation de sçavoir dans l’Eglise romaine, qui après quelques mois de conversation, ayant trouvé en moy, & assez de fidelité pour me confier le secrets de leurs lumieres, & assez de docilité pour croire que i’en profiterois se resolurent à me faire part de leurs advis, voulants sans doute pratiquer à mon égard ce commandement que nostre Seigneur fait à Saint Pierre. Et toy estant une fois converty, confirme tes freres.151 149  Thevenot, Lettre, 3. Xainctes ist eine im 16. und 17. Jahrhundert gängige Schreibweise für Sainctes in der westfranzösischen Saintonge. 150  Cf. (Louis Le Masson), Apologie de Louis Le Masson, docteur en theologie cy-devant prestre et curé en l’Eglise romaine. Contenant les motifs qui l’ont obligé d’embrasser la Communion des Eglises Reformées. La conduite de Dieu sur luy dans le commencement & progrez de sa vocation. Le retardement & la longue resistance qu’il y a apporté. Les combats d’esprit soufferts dans la recherche de la verité, avec le recit de quelques persecutions qui luy sont survenuës. Montauban: Pierre Bertié 1657 (84 Seiten, in-4°), 3, 61. Eine knappe Zusammenschau des itinéraire spirituel von Le Masson bietet Boisson in idem, Consciences, 160 / 161. 151  Cf. Le Masson, Apologie, 3. Kursiva im Original.

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3. Entstehungsbedingungen einer literarischen Form

Durch den Rückgriff auf das Bibelzitat (Lk 22, 31)152 werden die beiden Geistlichen als convertis gekennzeichnet, wobei sich jedoch im weiteren Verlauf der Apologie für den Leser herausstellen wird, dass die »Ecclesiastiques de condition« die »Eglise romaine« nicht verlassen haben, ihre »lumieres«, das heißt ihre geistgewirkten Erkenntnisse, also eine conversio zu einem gottgefälligen Leben herbeiführten.153 Des Weiteren etabliert der Autor auf diese Weise ein Verhältnis zwischen sich und den »Ecclesiastiques« und baut so eine gewisse Spannung auf, erwartet man doch allein aufgrund des Titels jederzeit den Konfessionswechsel des Verfassers. Dieser lässt zunächst auf sich warten, stattdessen folgt im Wesentlichen eine Gegenüberstellung der Lehrsätze beider Kirchen bezüglich der üblichen Streitpunkte.154 Ins Rollen kam die conversio im Sinne eines tatsächlichen Eintritts von Le Masson in die Eglise réformée erst durch den Tod eben der beiden ec­ clésiastiques convertis, die ihn ermuntert hatten, die katholische Kirche zu verlassen – »de n’y vivre pas«155. Das Erlebnis rief bei ihm neben Entsetzen auch ein deutliches spirituelles Bedürfnis hervor: la mort de deux Ecclesiastiques, qui connoissent la verité, & n’ayant pas glorifié Dieu en leur vie, le Seigneur ne leur fit point la grace de le glorifier en leur mort […], (ils etoient) environnez de femmes devotes autour de leur lict, qui firent d’eux tout ce qu’elles voulurent, leur amenant des Prestres, au lieu que ie suis tres-certain qu’ils eussent regardé plus agréablement le visage d’un Ministre, souffrirent qu’on leur apportât le dernier Viatique, & que l’on leur appliquat toutes les ceremonies de l’extréme-Onction, lesquelles ie sçay qu’ils consideroient comme des choses fort inutiles. […] J’avoüe que ces deux exemples me réveillèrent puissament l’esprit, & qu’ils furent à mon esgard comme ces violentes secousses desquelles l’on frape avec rudesse ceux qui tombent d’un mal lethargique pour les faire revenir d’un si funeste assoupissement. Touché vivement de ces accidents, & croyant que Dieu me parloit par l’exemple de ces morts, desquels la triste image, les bons desseins frustrez, & la mort precipitée se presentant tous les iours à mon esprit, cela reveillant les remords de ma conscience, reveilla ma 152  Zum Kontext des Bibelzitats aus Lk 22 – bei Le Masson als Marginalie notiert – cf. supra, Kapitel 1.c). 153  Die Tatsache, dass Le Masson von zwei Katholiken in den reformierten Glauben eingeführt wurde, ist durchaus bemerkenswert. Dies lässt nämlich vermuten, dass möglicherweise zahlreiche Anhänger der katholischen Kirche, denen die Lehre der Gegenseite ja durchaus bekannt war, nach reformierten Maximen lebten, aus Angst – oder Bequemlichkeit (?) – aber äußerlich weiter katholisch blieben und sogar weiterhin ihren Dienst als Geistliche verrichteten. 154  Cf. Le Masson, Apologie, 10–35. Der Verfasser vergleicht seinen Zustand während dieser Zeit selbst wiederholt mit einem »sommeil si funeste & lethargique«, ibid., 16, 33, 51. 155  Cf. Le Masson, Apologie, 51.



b) Motivationen von conversio239 sollicitude à ne negliger pas tant l’attrait de ma vocation & le desir d’ajouter lumiere sur lumiere156

Schwerwiegender als der Verlust der Freunde wiegt für Le Masson hier das Wissen, dass die Beiden, weil sie es versäumten, einen offiziellen Konfessionswechsel zu vollziehen, auf eine Weise in den Tod begleitet wurden, die ihrer Spiritualität nicht entsprach – und seiner eigenen wohl auch nicht. Mit der Kritik an den beschriebenen Ritualen wird hier implizit ein spirituelles Bedürfnis nach etwas anderem, neuen ausgedrückt, das vor allem deshalb so viel Wirkung entfalten und ihn schließlich zur conversio aninimieren konnte, weil im Laufe der Zeit connaissance de soi und connaissance de Dieu bei Le Masson zugenommen hatten und er das Erlebte als göttlichen Wink zu verstehen vermochte.157 Anders als im Falle von Marcha und Thevenot ergab sich der Anstoß zur conversio bei Le Masson also weniger aus einer Auseinandersetzung mit der Lehre, denn aus der Konfrontation mit den Frömmigkeitsformen, die ihm wohl ebenso leer und »inutiles« erschienen wie seinen Freunden. Dass ein spirituelles Bedürfnis aus der Beobachtung der Glaubenspraxis der Gegenseite erwächst, ist keinesfalls ungewöhnlich. Die bereits erwähnten missions intérieures der Jesuiten und Kapuziner, die sich ja gleichermaßen an ein katholisches wie protestantisches Publikum richteten, waren sogar bis zu einem gewissen Grad darauf ausgelegt. Die von den Ordensmitgliedern organisierten, zwischen drei Tagen und zwei Wochen dauernden missions,158 spielten sich nämlich keinesfalls hinter geschlossenen Türen ab, sondern unter den Augen aller Bewohner eines Dorfes oder einer kleinen Stadt. Das bedeutete, dass die Mitglieder der Eglise réformée – die zwar von den Verantwortlichen als Zielgruppe gesehen wurden, sich aber selbst nicht von vornherein angesprochen fühlten – zum ›unfreiwilligen‹ Zeugen von Predigten und Katechesen wurden. Diese fanden in der Regel an zentraler Stelle, etwa vor der Kirche, statt, so dass man beim Vorbeigehen manchen engagierten sermo unweigerlich mitbekam, erst recht, wenn durch den Einsatz von Bildern oder Devotionalien zusätzlich Aufmerksamkeit erregt wurde.159 Glei156  Cf. Le Masson, Apologie, 51 / 52. Der Autor notierte als Randbemerkung: »Mort de 2 de mes amis qui me fait rentrer en moy-mesme«, was das Ereignis als Wendepunkt auf dem Weg zur conversio kennzeichnet. 157  Cf. Le Masson, Apologie, 54s, Le Masson reiste noch unter dem Eindruck des Erlebten nach Charenton, wo er sich mit mehreren pasteurs traf und wiederholt an einer prêche teilnahm. Cf. dazu Boisson, Consciences, 111 / 112 sowie 160s. 158  Cf. Dompnier, Vénin, 200s. Den üblichen Ablauf von Kapuzinermissionen in »bourgs et petites villes« schildert Charles de Genève, in idem, Les trophées sacrés I, 30 sowie passim. Zur Jesuitenmission cf. Deslandres, Croire, 164s. 159  Cf. dazu Deslandres, Croire, 153 / 154. Da den Missionaren bewusst war, dass besonders bei der Landbevölkerung eine ›greifbare‹ Botschaft eher zum Erfolg –

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3. Entstehungsbedingungen einer literarischen Form

ches galt für die Prozessionen, die die Protestanten oft mehrere Tage hintereinander durch die Straßen und an sich vorüberziehen sahen: Wie von den Veranstaltern gewünscht, konnten sich viele von ihnen dem Eindruck der äußeren Pracht der Gewänder und liturgischen Geräte wohl ebenso wenig entziehen wie der durch Gesang und Gebet vermittelten Atmosphäre der Geborgenheit und des Zusammenhalts im Zeichen einer – zumindest äußerlich – von allen geteilten Wahrheit. Bei diesen Umzügen handelte es sich mehrheitlich um Sakramentsprozessionen, bei denen eine reich geschmückte Monstranz unter einem Baldachin durch die Straßen und oft auch über die Felder getragen wurde, um auf diese Weise die bleibende Gegenwart Christi zu feiern und Gottes Segen zu erflehen. Besonders ausgeprägt war diese eucharistische Frömmigkeit bei den Kapuzinern.160 Sie begannen ihre missions in der Regel mit dem Vierzigstündigen Gebet – l’oraison des Quarante-Heures161 – dem mit dem steten Wechsel von stiller Anbetung des Allerheiligsten und gemeinsamen, aufwändigen Prozessionen zur Ehre des Altarsakraments eine »indéniable dimension festive«162 inne war. Prunk und Ausmaß dieser Zeremonien beeindruckten »catholiques tièdes ou protestants« in gleicher Weise, so dass sie nicht nur als Erweis für die Wahrheit der von der katholischen Kirche verkündeten Botschaft – die hier ja einen direkten Kontrast zum Verständnis der cène im Protestantismus calvinscher Prägung bildet163 –,

also zur conversio – führen konnte, als wohlgesetzte Worte, waren sie stets bemüht, »(de) toucher les sens par la vue (images), l’ouïe (les cantiques) ou encore le toucher (chapelets, médailles, grains bénits)« (ibid., 154). Bei diesen Gelegenheiten kamen dann unter anderen auch die in Kapitel 1.c) genannten Bildmotive – Die Verleugnung Petri; Die reuigen Sünder; Die conversio Pauli und Maria Magdalenas zum Einsatz. Zur Verwendung von Bildern speziell in der Kapuzinermission cf. Bernard Dompnier, »Pastorale de la peur et pastorale de la séduction. La méthode de conversion des missionaires capucins«, in: Donville, Conversion, 257–273, Diskussion 273–281, hier 267 / 268. 160  Cf. Deslandres, Croire, 174s. 161  Das Vierzigstündige Gebet entwickelte sich im zwölften Jahrhundert als eucharistische Andacht während der Grabesruhe Christi, also zwischen dem Moment der Grablege am Karfreitag und der Auferstehungsfeier, bevor es im 16. Jahrhundert üblich wurde, entsprechende Andachten, die dann als Ewiges Gebet / Ewige Anbetung – oraison éternel / adoration éternelle – bezeichnet wurden, auch zu anderen Zeiten des Kirchenjahres und bei besonderen Anlässen abzuhalten; cf. Kasper, LThK, Lemma: Eucharistie IX / X (Eucharistieverehrung, Eucharistische Frömmigkeit). 162  Dompnier, Pastorale, in: Donville, Conversion, 263. 163  Da man im reformierten Christentum die Transsubstantiationslehre ablehnt, widersprechen Riten, die wie alle Formen eucharistischer Frömmigkeit eine bleibende Gegenwart Christi über den Augenblick des Herrenmahls hinaus annehmen, der von der protestantischen Theologie calvinscher Prägung vertretenen Lehre von der geistigen Gegenwart Christi einzig während der Abendmahlsfeier.



b) Motivationen von conversio241

sondern auch als Machtdemonstration der ecclesia triumphans empfunden wurden.164 Zunächst aus geweckter Neugier und dem Gefühl, im Rahmen der mission spirituelle Erfahrungen machen zu können, die ihnen bisher verschlossen geblieben waren, nahmen deshalb viele Anhänger der Eglise réformée an den Predigten, Messen, Katechesen und Prozessionen teil – und wechselten später möglicherweise die Konfession, eben weil sie ihre spirituellen Bedürfnisse in der katholischen Kirche eher erfüllt sahen als im Protestantismus.165 Aufgrund des beschriebenen Ausnahmezustands, der besonders in kleinen Ortschaften mit geringem protestantischen Bevölkerungsanteil zu Zeiten solcher mission wohl herrschte, ist nur nachvollziehbar, dass die Verantwortlichen der örtlichen Eglise réformée, sobald sie über eine bevorstehende Veranstaltung dieser Art informiert waren, alles taten, um ihre Gemeindemitglieder vor deren ›Gefahren‹ zu bewahren. Um die Kontaktmöglichkeiten gering zu halten, rief man oft für die Dauer des Aufenthalts der Missionare eine période de jeûne aus und verpflichtete damit die Gläubigen, lange Stunden bei Psalmengesang, Gebet und Predigt im temple zu verbringen – und damit weit ab von den katholischen Feierlichkeiten.166 Dies war möglich, weil das gesellschaftliche ebenso wie das kaufmännische Leben während einer mission ohnehin fast brach lag, die Anhänger beider Seiten sich also nicht wegen eventueller wirtschaftlicher Einbußen sorgen mussten.167 Selbstverständlich war eine vollständige Trennung der Mitglieder beider Kirchen während der gesamten mission nicht realisierbar, zumal die Konfessionsgrenzen ja manchmal quer durch Großfamilien liefen. Ein abendlicher Austausch über die Ereignisse des Tages, eine begeisterte Schilderung der erlebten Gemeinschaft oder der Erleichterung nach der Beichte, war dann durchaus dazu angetan, spirituelle Bedürfnisse zu wecken. Eine nicht unbeträchtliche Rolle für den Erfolg der missions kommt neben solchen Glaubenszeugnissen Einzelner auch der Überzeugungskraft der 164  Cf. Dompnier, Vénin, 212. Auf dem gleichen Prinzip beruhen auch conver­ sion-spectacle, cf. dazu infra, Kapitel 4.d). 165  Cf. Dompnier, Vénin, 209, »Les adèptes de la Réforme […] ne pouvaient rester insensibles à ce langage de l’émotion; insatisfaits du culte calviniste en raison de son dépouillement, ils allaient reconnaître à ses cérémonies la vérité et y adhérer«. 166  Cf. Dompnier, Vénin, 212. Auch brachen im Zusammenhang mit einer bevorstehenden mission – trotz aller sonst möglicherweise herrschenden coexistence pacifique – oft alte Agressionen zwischen den Konfessionen wieder auf, kam es beispielsweise zu ikonoklastischen Übergriffen. 167  Cf. Deslandres, Croire, 164 / 165.

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3. Entstehungsbedingungen einer literarischen Form

Massen zu. Man ging nämlich davon aus, dass neben der vermittelten Botschaft auch die große Zahl der teilnehmenden Gläubigen, die den Veranstaltungen zusätzlich eine gewisse Imposanz verlieh, den Zweiflern einen schlagenden Beweis für die Wahrheit der katholischen Lehre lieferte und sie deshalb zur conversio animieren konnte.168 Auf einem vergleichbaren Prinzip basieren auch die protestantischen Martyriologien. Auch sie wurden zusammengestellt, um den Leser einerseits durch die Menge des kompilierten Materials, das in der Regel von Auflage zu Auflage zunahm, andererseits durch die Glaubenszeugnisse per se von der Wahrheit der Lehre zu überzeugen. Wie im Kapitel 2. gezeigt, waren insbesondere während der Regierungszeit von François I und Henri II zahlreiche Franzosen pour crime de lèze majesté divine et humaine verurteilt und hingerichtet worden. Über viele von ihnen trug der bereits erwähnte, in Genf niedergelassene Drucker Jean Crespin169 Informationen und Berichte zusammen und veröffentlichte sie, nachdem der Genfer Conseil général Einspruch gegen den Titel Le livre des martyrs erhoben hatte, erstmals 1554 als Recueil de plusieurs personnes qui ont constamment enduré la mort pour le nom de N.S. Jesus Christ.170 In die Literatur- und Frömmigkeitsgeschichte sollte das Werk allerdings unter der anfangs beanstandeten Bezeichnung Livre bzw. His­ toire des martyrs eingehen, da sich Crespin bald über das Verbot hinwegsetzte und im Titel der Ausgabe von 1557 sowie in allen weiteren den Dompnier, Vénin, 210s. Crespin wurde um 1520 in Arras geboren, studierte Jura in Louvain und ließ sich nach einem kurzen Aufenthalt in Paris als Anwalt in seiner Heimatstadt nieder. Der Häresie angeklagt und verfolgt, floh er 1548 nach Genf, wo er bald zu einem der erfolgreichsten Drucker und Verleger vor allem reformatorischen Schrifttums wurde. 1572 starb er in Genf an der Pest; cf. Gisel, Encyclopédie, Lemma Crespin, Jean. 170  Cf. Jean-François Gilmont, Jean Crespin. Un éditeur réformé du XVIe siècle. Genf: Droz 1981, 167 sowie die von Gilmont als appendice angefügte »Liste abrégée des éditions crispiniennes«, 245–260, n. 54 / 7c. Parallel zur Initiative von Crespin entstanden auch im lutherischen und anglikanischen Protestantismus Martyriologien. Hinweise zu Autoren, Titel und Ausrichtung der Werke bietet Thomas Fuchs in »Protestantische Heiligen-memoria im 16. Jahrhundert«, in: Historische Zeitschrift 267 (1998), 587–614, hier 593 sowie Gilmont, Crespin 180. In gewisser Weise ein ›Konkurrenzprojekt‹ ging von Antoine de la Roche-Chandieu aus, der, in die Fußstapfen Crespins tretend eine Histoire des persécutions de Paris (1560) veröffentlichte. Der Genfer Drucker übernahm von ihm nicht nur zahlreiche Informationen, sondern glich auch den Tenor seines Werkes denjenigem von Chandieu an. Seit der 1564er Ausgabe wählte Crespin einen weitaus polemischeren Ton als in den vorangegangenen, was allerdings, aufgrund der derweil ausgebrochenen Religionskriege vom Publikum durchaus goutiert wurde (cf. ibid. 180 / 181). 168  Cf.

169  Jean



b) Motivationen von conversio243

Begriff »martyr« verwendete.171 Bei allem Unbehagen, das den reformatorisch gesinnten Zeitgenossen bei der Benutzung dieses Ausdrucks befallen mochte, assoziierte man mit ihm doch noch allzuoft die (Auswüchse) ›altkirchliche / r‹ Heiligenverehrung, wurde nämlich oft vergessen, dass das Konzept des Märtyrers172 bereits in den ersten christlichen Jahrhunderten entstand – und damit zur Zeit der frühen Kirche, als deren direkte Nachfolger sich die reformatorischen Kirchen ihrem Selbstverständnis nach ja sahen.173 Nach Überwindung dieser Anfangsschwierigkeiten konnte Crespin für sein geplantes Martyriologium durchaus auf die Rückendeckung des Genfer Pastorenkollegiums sowie besonders von Calvin zählen. Denn dieser hatte nicht nur mehrfach betont, dass der Tod einem Leben im Widerspruch zum Saincte Evangile vorzuziehen sei,174 sondern auch den didaktischen Wert 171  Cf. Gilmont, Crespin, »Liste abrégée des éditions crispiniennes«, passim, n. 60 / 5; 61 / 4; 63 / 9; 64 / 4. Eine Ausnahme bildet die 1570er-Auflage (n. 70 / 6), die als Histoire des vrays tesmoins de la verité de l’Evangile erschien. Für die nach dem Tod des Druckers veröffentlichten Auflagen (14 bis 1619) kehrte man zum alten Titel zurück, cf. El Kenz, Bûchers, 123. 172  Cf. Müller, TRE, Lemma: Martyrium (III.1 – Christentum (NT und Alte Kirche). Als »Märtyrer«, von gr. μάρτυς – Zeuge bezeichnete man im Sprachgebrauch des Neuen Testaments und der frühen Kirche zunächst jeden, der zu seinen eigenen Ungunsten für Christus Zeugnis ablegte, die Einschränkung des Begriffs auf diejenigen, die für ihren Glauben starben, ergab sich erst mit der Erfahrung der Verfolgungen unter Nero und Decius. Als ›Definition‹ des christlichen Verständnis gilt allgemein 1 Petr 4, 12–16: »Liebe Brüder, lasst euch durch die Feuersglut, die zu eurer Prüfung über euch gekommen ist, nicht verwirren, als ob euch etwas Ungewöhnliches zustoße. Stattdessen freut euch, daß ihr Anteil an den Leiden Christi habt, denn so könnt ihr bei der Offenbarung seiner Herrlichkeit voll Freude jubeln. […] Wenn er (aber) leidet, weil er Christ ist, dann soll er sich nicht schämen, sondern Gott verherrlichen, indem er sich zu diesem Namen bekennt«. 173  Um diesen Traditionszusammenhang herauszustellen, waren viele Berichte über Leben und Tod von Märtyrern »carefully patterned on the narration of early Christian martyrs«; Pettegree, Reformation, 206. Besondere Vorbildfunktion hatten dementsprechend die in der Apostelgeschichte genannten Märtyrer Stephanus (Apg  7) und Jakobus (Apg. 12). 174  Diese Ansicht vertritt Calvin nicht nur im bereits zitierten Kapitel XVI der Institution im Zusammenhang mit der Gehorsamspflicht gegenüber einem roi impie: »que vrayement nous rendons lors à Dieu telle obéissance qu’il la demande quand nous souffrons plustost toutes choses que declinions de sa sainct parolle« (XVI, 1633); sehr vehement fordert er auch im Petit traité montrant que doit faire un homme fidèle (1543) unter bestimmten Bedingungen zum Martyrium auf: »Parquoi, si j’étais en lieu où je ne pusse point fuir l’îdolatrie sans danger, je prierais notre Seigneur qu’il me confermât, et qu’il me donnât cette constance de préferer comme la raison le veut, sa gloire à ma propre vie. Et espère qu’il ne me délaisserait point« (in: Calvin, Œuvres 505–550 hier 537). Der vollständige Titel des Traktats lautet Petit traité montrant que c’est que doit faire un homme fidèle connaissant la vérité

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3. Entstehungsbedingungen einer literarischen Form

von Märtyrerakten175 hervorgehoben. Da der spätere Herausgeber des Livre des Martyrs Calvin persönlich gut kannte, die Texte zudem weit verbreitet waren176, wird vermutet, dass Crespin diese Werke wahrgenommen hat, bevor er sich an die Konzeption seiner Sammlung machte und insbesondere die Aussagen zur Intention von Märtyrerberichten in seine Überlegungen einbezog.177 Dies umso mehr, weil eine der Schriften anlässlich der Ermordung eines seiner engsten Freunde, des Spaniers Juan Diaz178 – bekannt aus den Spanischen Brüdern – verfasst wurde: Welche »fruits« aus den Berichten über »la mort de ceux qui endurent martyre pour la parole de Dieu«179 erwachsen können, formulierte Calvin einleitend zur Histoire d’un meutre execrable: Or, le principal fruit qui doit venir de cela est d’avertir les fidèles comme l’Église est sujette à beaucoup de persécutions, à fin qu’ils se préparent à en porter leur part, quand metier sera, et leur représenter comme en un miroir la constance et fermeté qu’ils doivent avoir à fin que cela leur serve d’exhortation, pour leur donner courage.180

de l’évangile, quand il est entre les papistes, avec une Épitre du même argument. Wie anhand der ›Einleitungsformel‹ erkennbar »Plusieurs me demandent souventefois comment ils se doivent gouverner au milieu des papistes« (ibid, 505) deutlich wird, schreibt der Autor diesen Text in der Haltung eines directeur d’âme, der ein enges Verhältnis zu den ihm Anvertrauten hat, was die Annahme der sehr drastischen Botschaft erleichtern soll, cf. Millet, Dynamique, 826 / 827. Zu weiteren Aussagen von Calvin und anderen Reformatoren zum Martyrium, cf. El Kenz, Bûchers, 86–89; 104ss. 175  Der Begriff »Akten / actes« geht zurück auf lt. agere (ago, egi, actus) und wird allgemein für Darstellungen von Taten bzw. dem Handeln einer Person verwendet. Cf. beispielsweise die lat. / frz. Bezeichnung für Apostelgeschichte: acta apostolorum, actes des apôtres. Crespin gab die Ausgaben von 1556, 1561, 1564 als Acta martyrum bzw. Actes des martyres heraus, cf. Gilmont, Crespin, »Liste abrégée des éditions crispiniennes«, 56 / 7; 61 / 4; 1564 / 4. 176  Cf. Millet, Dynamique, 810. 177  Cf. Gilmont, Crespin, 175ss. 178  Crespin hatte Juan Diaz während seines Parisaufenthalts 1541 / 1542 kennengelernt. 1545 reiste er mit ihm erstmals nach Genf, cf. Jean Crespin, Histoires des martyres persecutez. s. l. (Genf): Crespin 91582, III, 161b-168b, hier 161b / 162a: »de la vint à Paris où il demeura l’espace de treize ans & appliqua son esprit aux lettres sainctes […] se retira en Geneve avec Matthieu Budé et Jean Crespin«, dazu Gilmont, Crespin, 36–38. 179  Jean Calvin, Histoire d’un meutre execrable, in: idem, Œuvres, 445–450, hier 445. Die Schrift wurde sieben Monate nach dem Tod von Juan Diaz, im Oktober 1546, herausgeben (Genf: Girard 1546). Zu den Umständen der Ermordung cf. supra, Einleitung, 11ss. Trotz anonymer Veröffentlichung schrieb man aufgrund des herrschenden Tenors sowie stilistischer und syntaktischer Merkmale des Textes ­diesen schon sehr bald Calvin zu; cf. Notice zu Calvin, Œuvres / Histoire, 1252. 180  Calvin, Œuvre / Histoire, 445.



b) Motivationen von conversio245

Trotz aller Unterschiede, die hinsichtlich der Heiligen-memoria zwischen der ›alten Kirche‹ und den Ansichten der Reformatoren im Einzelnen bestehen, wird den Berichten über das Martyrium eines Gläubigen weiterhin die Funktion von exempla beigemessen: Die beschriebene Haltung des Verurteilten soll anderen »fidèles« nicht nur als Vorbild dienen, sondern ihnen auch Mut machen, genauso zu handeln, falls sie einmal in eine vergleichbare Situation kamen – was unter den gegebenen Bedingungen in Frankreich ja leicht möglich war. Verstärkt wird die Aussage des Reformators durch die Verwendung einer doppelten Tautologie, auf diese Weise wird nicht nur die Standhaftigkeit – »la constance et fermeté« des Märtyrers besonders hervorgehoben, sondern auch deren Wirkung auf die coreligionnaires »à fin que cela leur serve d’exhortation, pour leur donner courage«.181 Eine zusätzliche Funktion erhalten die Märtyrerakten, wenn man anders als Calvin für diese Dokumente kein reformatorisch gesinntes Publikum annimmt, sondern davon ausgeht, dass auch Anhänger der ›alten Kirche‹ zur Leserschaft gehörten. Da die in den Berichten geschilderten Ereignisse zudem noch nicht lange zurücklagen, mag der eine oder andere derlei Hinrichtungen persönlich miterlebt haben, aufgrund der herrschenden Mehrheitsverhältnisse waren dann die Unterstützer der Gegenseite sogar unter den Lesern in der Überzahl. Ob auf dem Papier oder in realitas: Grundsätzlich kann die ›Erfahrung‹ einer solchen Hinrichtung nicht ›nur‹ bestärken, sondern auch zur conversio führen. Im gleichen Maße wie die Haltung des Märtyrers nämlich seinen coreligionnaires die Hoffnung vermittelt, kraft ihres Glaubens an die parole de Dieu im Leiden gleichfalls bestehen zu können, kann sie den Außenstehenden als Beweis für die Wahrheit eben des Glaubens dienen, von dem der Verurteilte seinerseits zehrt – und auf diese Weise zum Anstoß einer conversio aus spirituellem Bedürfnis werden. Gewissermaßen zu Konversionsschriften werden Märtyrerakten, wenn in ihnen neben der Hinrichtung auch die durch sie ausgelöste conversio geschildert wird. Dies ist beispielsweise beim Bericht über den Tod des jungen Goldschmieds Claude Le Painctre der Fall: Et apres qu’il eut devant luy (i. e. le lieutenant criminel Morin de Chastelet) maintenu une pure et entiere confession de sa foy et de sa doctrine qu’il avoit annon181  Eine vergleichbare Funktion hatte Calvin den Märtyrerakten bereits im Petit traité montrant que doit faire un homme fidèle zugeschrieben: »Or leur (i. e. des martyrs) constance ne nous est pas recitée afin que nous la louions, mais afin qu’elle nous soit pour exemple, et que nous ne renoncions point la verité, laquelle ils ont si puissament maintenue, que nous n’anéantissions et ne corrompions point la gloire de Dieu, laquelle ils ont tant estimée que d’épandre leur sang pour la sceller et confermer«, Calvin, Œuvre / Petit Traité, 538.

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3. Entstehungsbedingungen einer literarischen Form

cée, Morin le comdamna à estre bruslé vif. J’estoye au nombre de ceux qui furent spectateurs de sa mort & issue tres heureuse, laquelle conferma plusieurs qui avoyent commencement et quelque sentiment de la verité, de laquelle le Seigneur rendoit devant nos yeux en la personne de Claude un vrai et vif témoignage. Ce fut une chose admirable de voir la constance & le maintien de ce ieune homme, passant de cœur alaigre une infinité d’opprobes qu’on luy iettoit en allant à la place Maubert, lieu ordonné au dernier supplice auquel lieu il endura la mort d’un cœur alaigre, l’an M.D.X.L182

Hinter dem in erster Person Singular schreibenden »spectateur« der Hinrichtung verbirgt sich – wie in der Forschung allgemein angenommen – Crespin selbst.183 Die Wirkung dieser Erfahrung hat der spätere Genfer Drucker im positiven Sinne also am eigenen Leib erlebt, was ihn wohl auch dazu ermunterte, Berichte über auf diese Weise hervorgerufene conversiones verstärkt in seine Sammlung aufzunehmen.184 Beispielhaft sei an dieser Stelle die conversio von Jacques Sylvestre angeführt: Une conversion tant rare, assavoir d’un bourreau qui devoit executer en dernier supplice ce Martyr, rend singuliere & admirable la bonté du Seigneur en la mort des Siens: & nous testifie que iamais elle n’est sans produire fruict à l’advancement de son Eglise.185

Im Gegensatz zu den meisten anderen in diesem Kapitel betrachteten conversiones aus spirituellem Bedürfnis scheint bei Sylvestre zwischen dem Anstoß gebenden Erlebnis und der tatsächlichen Entscheidung zur conversio nur ein sehr kurzer Zeitraum, keinesfalls aber eine tiefergehende Beschäftigung mit Lehre und Frömmigkeitsvorstellungen des ›neuen‹ Glaubens gelegen zu haben: De ceste mort ledit executeur nommé M. Jacques Sylvestre fut tellement confirmé, qu’il delibera expressement d’abandonner sa condition miserable, & ne plus estre executeur du sang innocent: de maniere que quelques temps apres il se retira à Geneve, pour y vivre selon la reformation de l’Evangile.186

Dieser Bericht über die ad hoc-conversio eines Henkers angesichts der Haltung eines Verurteilten – die sich aller Wahrscheinlichkeit nach nicht Histoires, III, 118b. Pettegree, Reformation, 203: »Crespin […] had himself, before leaving for Geneva witnessed the burning of one of the early martyrs of the French church«, ähnlich El Kenz, Bûchers, 64 sowie Gilmont, Crespin, 35 / 36. Als weiteren Zeugen der Hinrichtung vermutet Gilmont wiederum den ›spanischen Bruder‹ Juan Diaz (ibid, 36). 184  Cf. El Kenz, Bûchers, 64s. Dort auch weitere Beispiele. 185  Crespin, Histoires, V, 264a. Bei dem zitierten Text handelt es sich um eine durch Fettdruck hervorgehobene, dreizeilige Überschrift, die Inhalt und Tenor des folgenden Berichts knapp zusammenfasst. 186  Crespin, Histoires, V, 264a / b. Bei Crespin hingegen folgten auf das Erlebnis bei der Hinrichtung von Claude Le Painctre, noch einige Jahre spiritueller Unsicherheit; cf. Gilmont, Crespin, 39. 182  Crespin, 183  Cf.

c) Ecrits de conversion als écrits de controverse247



wesentlich von derjenigen anderer Hinzurichtender unterschied – kennzeichnet conversio einerseits erneut als göttlichen Gnadenakt, der durch den Menschen zwar vorbereitet werden kann, aber nicht muss. Er entspricht vielmehr dem Prinzip einer conversion-miracle, wie sie Calvin in der conversio Pauli gesehen hat und damit einer Sonderform der conversion-pénitence, bei der die pénitence nicht die conversio vorbereitet, sondern aus einem spirituellen Bedürfnis heraus auf sie folgt.187 Andererseits lässt diese Schilderung wohl insbesondere beim modernen Leser Zweifel am Realitätsgehalt der beschriebenen Ereignisse aufkommen. Ob die in protestantischen Märtyrerakten präsentierten Ereignisse tatsächlich in der dargestellten Weise stattgefunden haben, ist mit Blick auf ihre Funktion aber ebenso unerheblich wie die Frage nach der sincérité von Konversionsschriften. Beide literarischen Formen sind nämlich vorrangig darauf angelegt, eine Gemeinschaft zu stärken – communio herzustellen – sowie deren göttliche Legitimation herauszustreichen. Es wird im Folgenden zu zeigen sein, wie die damaligen Verantwortlichen – und möglicherweise auch die Konvertiten selbst – mit diesem Potential umgingen, indem sie Konversionsschriften als Propaganda einsetzten.

c) Ecrits de conversion als écrits de controverse »Ne presche plus en France une Evangile armée…«188

Als Pierre de Ronsard 1563 in einem seiner Discours sur les misères de ce temps die Bitte formulierte, die Protestanten mögen die Waffen niederlegen, sprach er damit vielen Franzosen aus der Seele: den einen, weil sie zunächst unabhängig von jeder konfessionellen Parteinahme Angst um Hab und Gut, Leib und Leben hatten und deshalb für ein Ende jeglicher militärischer Auseinandersetzung plädierten; den anderen, weil sie die politischen Folgen eines Bürgerkriegs für ihr Vaterland fürchteten;189 weiteren, weil sie Ganoczy, Calvin, 281. de Ronsard, Continuation du Discours des Misères de ce temps, in: idem, Discours des misères de ce temps, in: idem, Œuvres complètes II. Édition établie, présentée et annotée par Jean Céard, Daniel Ménager et Michel Simonin. Paris: Gallimard 1994, 991–1098 / 997–1006, v. 119. Ronsard richtet sich hier an Théodore de Bèze – »De Bèze, je te pris écoute ma parolle« (ibid., v. 95) – der anlässlich des Ausbruchs der militärischen Feindseligkeiten nach Frankreich gereist war. Als enger Mitarbeiter Calvins, dessen Nachfolge er später antreten sollte, sah man in ihm den geistigen Führer der Reformierten. 189  Cf. Hubert Carrier, »La crise de la Fronde: mémorialistes et pamphlétaires devant la guerre civile«, in: Jean Garapon (ed.), Armées, guerre et société dans la France du XVIIe siècle. Actes du VIIIe colloque du Centre International de Rencontres sur le XVIIe siècle. Nantes, 18–20 mars 2004. Tübingen: Narr 2006, 37–49, hier 187  Cf.

188  Pierre

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3. Entstehungsbedingungen einer literarischen Form

Krieg grundsätzlich nicht als adäquate Möglichkeit empfanden, über vérité und erreurs in Religionsangelegenheiten zu entscheiden. Die breite Zustimmung für die von Ronsard vertretene Haltung ist unter anderem am Erfolg der dem Teilkapitel vorangestellten Formulierung festzumachen, die anfangs nur gegen die Anhänger des ›neuen Glaubens‹, später auch gegen diejenigen der ›alten Kirche‹ gerichtet wurde,190 die ja gleichfalls die christliche Botschaft verteidigten. Durch das paradoxum intellectualis einer »évangile armée« wird nämlich deutlich herausgestellt, dass es unmöglich ist, eine Friedensbotschaft mit Waffen zu verbreiten, und jeder, der dies dennoch versucht, als unglaubwürdig gebrandmarkt. Bekanntlich haben weder das Engagement Einzelner, noch die wiederholten Friedensbemühungen der weltlichen Obrigkeit, in den 1560er Jahren vornehmlich vertreten von Catherine de Médicis und ihrem Kanzler Michel d’Hopital, Früchte getragen. Von 1562 bis 1598 kam es in Abständen von oft nur wenigen Monaten zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Protestanten und Katholiken.191 Zwar umfassten die Perioden, in denen tatsächlich an verschiedenen Orten Frankreichs Kampfhandlungen ausgetragen wurden – große, strategisch vorbereitete Schlachten, Belagerungen und Plünderungen ebenso wie kleine, oft spontane Scharmützel – selten mehr als zwölf Monate,192 nichtsdestrotrotz waren die anhaltenden militärischen Konflikte zwischen den Konfessionen gut dreißig Jahre lang aktuell. 37–39. Der Autor beschäftigt sich in seinem Artikel zwar vorrangig mit den Reaktionen auf die Fronde (1648–1653), bietet aber auf den ersten Seiten des Beitrags eine Zusammenfassung zeitgenössischer Stimmen zum Bürgerkrieg. Sie alle bewerten ihn negativ, »puisque de toute façon l’Etat en sort affaibli par un gaspillage de ressources et de vies humaines« (ibid., 38). Zu weiteren Reaktionen auf den Bürgerkrieg cf. Holt, Wars, 50s. 190  Cf. dazu Malcolm Smith, Anmerkung zu vv. 119–121 der Continuation […], in: Pierre de Ronsard, Discours des misères de ce temps. Publiés par Malcolm Smith. Genf: Droz 1979. 191  Die Abstände zwischen den einzelnen Religionskriegen betrugen zwischen sechs Monaten (03–09 / 1568) und vier Jahren (03 / 1563–7 / 1567 sowie 11 / 1580– 06 / 1584). Alle Angaben nach Holt, Wars, xi-xiii, »Chronological table of events« sowie den Daten der einzelnen édits de pacification, in: Jourdain / Isambert, Recueil, vols. XII–XVI, passim. 192  Mit Ausnahme der siebten und achten guerre de religion, die mit zwei Monaten (10 / 1580–11 / 1580) bzw. 15 Jahren (06 / 1584–04 / 1598) außergewöhnlich kurz bzw. lang waren, dauerten die Kriege in der Regel zwischen sechs Monaten und eineinhalb Jahren. Die extreme Länge des achten Kriegs ist vor allem den intensiven Verhandlungen geschuldet, die zwischen den Vertretern der beiden Parteien nötig waren, bis man sich auf die Regelungen des Edit de Nantes einigen konnte. Die Kampfhandlungen endeten mehrheitlich bereits 1594. Alle Angaben wiederum nach Holt, Wars, xi-xiii, sowie Jourdain / Isambert, Recueil, vols. XII–XVI, passim. Zum Kriegsalltag ebenso wie zu einzelnen Schlachten, Belagerungen usw. cf. ausführlich Holt, Wars, passim sowie Le Goff / Rémond / Lebrun, Histoire, 260–281.

c) Ecrits de conversion als écrits de controverse249



Das Edit de Nantes, das nach 15 Jahren den längsten aller Religionskriege beendete, wurde deshalb von einem Großteil der Bevölkerung begrüßt, da die Menschen hofften, dass auf dieser Grundlage zumindest für eine Weile Normalität in ihr Leben einkehren würde.193 Wie bereits gezeigt, wurde durch das édit de pacification von 1598, wie durch alle vorherigen auch, aber ›lediglich‹ ein modus vivendi für ein gemeinsames Miteinander geschaffen. Hinsichtlich der theologischen Streitfragen, die die Anhänger beider Seiten noch unmittelbar vor dem Ausbruch des ersten Religionskriegs auf dem colloque de Poissy (1561)194 gegeneinander aufgebracht hatten, war man sich hingegen über die Jahre nicht nähergekommen. Sollte über kurz oder lang auch auf diesem Gebiet eine Wandlung eintreten, um letztlich das Ziel einer wiederhergestellten unité religieuse im Königreich zu erreichen, mussten der neu geschaffenen Ordnung entsprechende Formen der interkonfessionellen Auseinandersetzung gefunden werden. An die Stelle der militärischen Konfrontation trat nun die verbale Herausforderung,195 sei es durch umfangreiche theologische Abhandlungen, sei es im Rahmen von conférences, deren Ablauf und Ergebnis anschließend als actes publiziert wurden, sei es durch écrits de conversion. Gemeinsames Ziel aller drei Formen von controverses war, dem Gegenüber durch seine Niederlage deutlich zu machen, dass die von ihm vertretene Lehre ein Irrtum, die von der eigenen Gemeinschaft verfochtene hingegen die wahre war, was den anderen wiederum zur conversio anregen sollte. Desgraves hat im bereits erwähnten Répertoire des ouvrages de controverse entre Catholiques et Protestants en France gut 7000 solcher écrits de Garrisson, Protestants, 334. de Médicis hatte das colloque de Poissy (09.09–14.10.1561) in der Hoffnung auf einen »consensus théologique« (Gisel, Encyclopédie, Lemma: Poissy (Colloque de)) organisiert, der ihr Land nicht nur vor dem drohenden Bürgerkrieg bewahren sollte, sondern auch eine einheitliche Kirchenreform zur Folge hätte, die sie selbst, ebenso wie ihre Berater für notwendig erachtete. Die Gespräche zwischen den Vertretern der beiden Glaubensgemeinschaften scheiterten an der grundsätzlichen »divergence de sensiblité religieuse entre catholicisme et protestantisme« (Delumeau / Wanegfellen, Naissance, 203), die im Streit um das Verständnis des Herrenmahls ihren deutlichsten Ausdruck fand (cf. ibid., 203). Zum Ablauf des Treffens ebenso wie zur angespannten Stimmung zwischen den Delegationen, cf. Georges Bordonove, Les Rois qui ont fait la France – Charles IX. Hamlet couronné. Paris: Pygmalion / Watelet 2002, 73–76, insbesondere 76: »Le seul résultat du colloque de Poissy fut d’aiguiser les fanatismes«. 195  Cf. Dompnier, Vénin, 176, »La controverse apparaît ainsi comme un substitut de la guerre, moins coûteux en vies humaines, mais non moins décisif dans l’esprit des protagonistes«; Jacques Solé bezeichnet »la littérature de controverses« grundsätzlich als »une continuation de la guerre civile par d’autres moyens«; idem, Le débat entre protestants et catholiques français de 1598 à 1685. 4 vols, Paris: Amateurs de Livres 1985, hier vol. I, 11. 193  Cf.

194  Catherine

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3. Entstehungsbedingungen einer literarischen Form

controverses zusammengetragen, allesamt verfasst und veröffentlicht zwischen dem Edit de Nantes und dessen Widerruf 1685.196 Auf den ganzen Zeitraum gerechnet, ergibt dies einen Mittelwert von rund 80 Schriften im Jahr. Betrachtet man lediglich die Zeit bis 1630 und damit die Periode, in der 70 % der Texte entstanden sind, ergibt sich ein Durchschnitt von 110. Da aber eine conférence in der Regel mehrere Publikationen nach sich zog, war die Zahl dieser Diskussionen wesentlich geringer: Emile Kappler wies 166 Diskussionen für die 87 Jahre des régime de l‘Edit nach.197 Zieht man Austragungsort und Datum dieser Veranstaltungen in Betracht, ergibt sich für die Zeit bis 1630 ein Durchschnitt von drei conférences pro Region und Jahr, für Paris eine Gesamtzahl von 36. Demnach lässt sich feststellen, dass die Hochzeit der écrits de conversion mit derjenigen der écrits de controverses im Allgemeinen weitgehend identisch ist. Anders als die Konver­ sionsschriften, deren Zahl aus den dargestellten Gründen erst mit der Umsetzung des Edit de Nantes à la rigueur schlagartig abnimmt,198 setzt ein solcher Rückgang hinsichtlich der Abhandlungen ebenso wie in Bezug auf die actes de conférences aber bereits am Ende des Rohan-Kriegs ein.199 Für diese Entwicklung entscheidend waren wohl mehrere, interferierende Faktoren: die Notwendigkeit für die Protestanten, sich nach Niederlage und paix d’Alès (1629) als religiöse Minderheit ohne jeglichen politischen Einfluss neu zu orientieren;200 der durch Richelieu unterstützte Richtungswechsel im Umgang mit den brebis errants, der statt der offenen Konfrontation bis zu einem gewissen Grad einen Ausgleich zwischen den Parteien vorsah;201 die 196  Cf. Desgraves, Répertoire, passim. Alle im Folgenden angegebenen Zahlen wurden auf der Grundlage dieses répertoire errechnet. 197  Cf. Kappler, Conférences, II, passim. Die römische Ziffer bezeichnet den Band; vol. I des Werks umfasst die Studie, vol. II das Textkorpus. Alle im Folgenden angegebenen Zahlen basieren auf diesem Korpus. 198  Außergewöhnlich viele écrits de conversion sind unmittelbar nach dem Erlass des Edit de Nantes (1600–1605) sowie zu Beginn und Ende des neunten Religionskriegs zu verzeichnen (1620–1623; 1629 / 1630). Cf. dazu auch die Übersicht in Anhang IV. 199  Eine erneute Zunahme von conférences und damit auch eine zweite Publikationswelle von aus ihnen hervorgegangenen Schriften lässt sich um 1670 ausmachen und wohl als Strategie werten, mit der die katholischen Verantwortlichen den Widerruf des Edit de Nantes zu beschleunigen hofften (cf. Kappler, Conférences, I, 100). Da diese Periode für die Auseinandersetzung mit den écrits de conversion als écrits de controverses im Rahmen dieser Studie nicht von Belang ist, wird auf eine Beschäftigung mit ihr an dieser Stelle verzichtet. 200  Cf. Holt, Wars, 187. 201  »A partir de 1630 le Cardinal s’occuppe activement de controverse, toute en comprenant l’urgence d’en modifier l’esprit et d’en organiser la méthode en fonction des exigences des adversaires«; Stéphane-Marie Morgain, »La méthode la plus facile est la plus assurée pour convertir ceux qui se sont séparés de l’Eglise«, in:



c) Ecrits de conversion als écrits de controverse251

zunehmenden Spannungen innerhalb der Konfessionen, die ein einheitliches Auftreten gegenüber dem Gegner unmöglich machten;202 letztlich auch das abnehmende Interesse an solchen Debatten. Da nämlich in diesem Rahmen über Jahre hinweg im Wesentlichen die gleichen Themenbereiche behandelt wurden, waren es die Beteiligten wohl auch auf Dauer müde »de ressasser sans fins les mêmes arguments«.203 Handelt es sich bei den Abhandlungen meist um dicke, in der ›Einsamkeit des Schreibtisches‹ verfasste Schriften für eine gelehrte oder zumindest theologisch geschulte Leserschaft,204 richten sich débats théologiques und écrits de conversion an ein breites Publikum, dessen Interesse an diesen Texten und Gesprächen sicher nicht nur theologischer Natur war. Aufgrund dieser sowie weiterer Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Formen – wie zu Beginn des vorliegenden Kapitels 3. gezeigt – ging vielen conversiones ein Kolloquium voraus – seien die institutionellen Grundlagen sowie Inhalt, Tenor und Rezeption dieser Gespräche im Folgenden knapp skizziert. Die gewonnenen ­Richelieu, Traité, 22–45, hier 26 sowie allgemein Hildesheimer, Richelieu, in: ibid, 19ss. 202  Während protestantischerseits vor allem Uneinigkeit hinsichtlich der einzunehmenden Haltung gegenüber den Katholiken herrschte (cf. Dompnier, Vénin, 192), sorgte im katholischen Lager der im 16. Jahrhundert entbrannte sogenannte Gnadenstreit für Unruhe, der trotz päpstlicher Schlichtungsversuche auch im 17. Jahrhundert nicht beigelegt werden konnte, im Gegenteil: Neue Nahrung erhielt die Auseinandersetzung um das Verhältnis von menschlichem freien Willen und göttlicher Allmacht durch das Werk Augustinus (1640) von Cornelius Jansenius. Es sollte die Gemüter der Kontrahenten, einerseits augustinisch gesinnte Theologen, die sich allerdings untereinander gleichfalls nicht einig waren, andererseits Jesuiten, noch bis weit ins 18. Jahrhundert erhitzen. Zu Gnadenstreit und Jansenismus sowie deren jeweiligen Folgen, cf. infra, Kapitel 4.c) sowie die entsprechenden Lemmata in Kasper, LThK und Müller, TRE. 203  Cf. Kappler, Conférences, I, 99. Zu den meistdiskutierten Themen gehörten selbstverständlich der Umgang mit der Bibel sowie das Kirchen- und Sakramentenverständnis. Weitere Streitpunkte waren Heiligenverehrung, Rechtfertigung und ›Werkgerechtigkeit‹ (cf. Kappler, Conférences II, passim) – also tatsächlich eben die Aspekte, um die man seit Beginn der Reformation rang. 204  Zu diesen Werken gehörten beispielsweise die bereits im Zusammenhang mit der Ketzerdebatte erwähnten Schriften von Richeome oder Florimond de Raemond (cf. supra, Kapitel 2.). Weitere verfasste der Jesuit Pierre Coton mit L’Institution catholique, où est déclarée et confirmée la verité de la foy contre les hérésies et superstitions de ce temps, (1610), einem abregé der Disputationes de controversiis christianae fidei (1596–1593) von Robert Bellarmin. Auf der Gegenseite legte zum Beispiel Philippe Duplessis-Mornay mit De l’institution, usage et doctrine du Saint Sacrement de l’Eucharistie en l’Eglise ancienne (1598) ein écrit de controverse vor, in dem er das Abendmahlsverständnis der beiden christlichen Kirchen einander gegenüberstellte. Zu den kontroverstheologischen Aktivitäten von Coton cf. Bremond, Histoire, I, II, 488–491 (II, 79–8), zu denjenigen von Duplessis-Mornay, cf. Gisel, Encyclopédie, Lemma. Duplessis-Mornay, Philippe.

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3. Entstehungsbedingungen einer literarischen Form

Einsichten können anschließend für die Analyse von écrits de conversion als écrits de controverses kontrastierend nutzbar gemacht werden. Wie vielleicht schon anhand der wechselnden Benennungen deutlich geworden, existiert für die von den Anhängern der beiden christlichen Konfessionen geführten theologischen Diskussionen keine einheitliche Begrifflichkeit. Die Zeitgenossen benutzten in den Titeln der entsprechenden actes recht wahllos die Bezeichnungen conférence, dispute oder pourparler. Zwischen den auf die eine oder andere Weise benannten Gesprächen sind nämlich keinerlei strukturelle oder inhaltliche Unterschiede erkennbar.205 In den wenigen Regeln, die seitens weltlicher oder kirchlicher Verantwortlicher für derlei Zusammentreffen aufgestellt wurden, setzen sich diese Unregelmäßigkeiten fort. Obwohl Religionsgespräche seit den Diskussionen von Augustinus mit den Donatisten und erst Recht seit Beginn der Reformation als privilegiertes Moment des Schlagabtauschs zwischen den Anhängern verschiedener Glaubensgemeinschaften Tradition hatten,206 bieten zunächst weder die Akten des Tridentinum noch diejenigen der Nationalsynoden des 16. Jahrhunderts Hinweise zu diesem Themenkomplex. Konkrete Angaben zu Teilnehmerkreis und Vorgehensweise finden sich hingegen in der Ergänzung zu Artikel 6 der Discipline ecclésiastique, die im Rahmen der 1601 in Gergeau tagenden Nationalsynode formuliert worden war. In Reaktion auf die durch das Edit de Nantes neu geschaffenen Bedingungen empfahl man: Les disputes de la Religion avec les Adversaires, seront reglées en telle sorte, que les nostres ne seront point agresseurs: et s’ils sont engagez en disputes verbales ils ne le feront qu’avec la règle de l’Escripture sainte, ne donnant lieu aux escrits des Anciens Docteurs, pour le jugement et décision, de la doctrine. N’entreront en 205  Von den 296 Publikationen, die aus den 166 von Kappler (cf. idem, Conférences, II, passim) zusammengestellten conférences hervorgegangen sind, führen 152 im Titel den Begriff »conférence«; 80 »dispute«; 10 »dispute et conférence«; 12 »conférence et dispute«; 33 »pourparler«; 6 »colloque«; 3 »dialogue«. 206  Bei den Donatisten handelt es sich um eine Gruppe karthagischer Christen, die in Fortsetzung des Ketzertaufstreits (cf. supra, Kapitel 1.c)) eine ›Gegenkirche‹ errichtet hatten, weil sie von in der Zwischenzeit als häretisch verurteilten Geistlichen gespendete Sakramente nicht akzeptierten und eine Wiedertaufe bzw. Wiederweihe verlangten. Um den Häretikern die Möglichkeit zu geben, in die Gemeinschaft der römischen Kirche zurückzukehren, zwang man sie im Jahr 410 zur Teilnahme an einem Religionsgespräch, dessen Akten unter dem Titel Breviculus collationis cum Donatistis greifbar sind. Die Diskussion in Karthago gilt als erstes institutionalisiertes theologisches Streitgespräch, das beispielsweise in den disputationes von Luther in Leipzig (1519) oder Zwingli in Zürich (1523) seine Fortsetzung fand; cf. dazu ausführlich Otto Scheib, Die innerchristlichen Religionsgespräche im Abendland. Regionale Verbreitung, institutionelle Gestalt, theologische Themen, kirchenpolitische Funktion. Mit besonderer Berücksichtung des konfessionellen Zeitalters (1517–1689). Wiesbaden: Harrassowitz 2009, 25s, 55, 78s, zu den Streitgeprächen der Reformatoren des 16. Jahrhunderts cf. auch Schnyder, Reformation, passim.



c) Ecrits de conversion als écrits de controverse253 dispute reglée que par des escrits respectifs, donner et signer de part et d’autre. Et pour ce qui est des disputes publiques ils n’y entreront que par l’advis de leur consistoire et de quelque nombre de pasteurs, qui pour cest effect seront choisis par les Colloques ou Synodes provinciaux. N’entrerons en aucune dispute ou conférence generale sans l’advis de toutes les Eglises assemblées ou Synode National, à peine aux Ministres qui s’y entreront d’estre declarez Apostats et deserteurs de l’union de l’Eglise.207

Der wohl auf der Grundlage erster praktischer Erfahrungen mit den »disputes de la Religion avec les Adversaires« verfasste Text ist in vielerlei Hinsicht aufschlussreich: So wird zunächst deutlich, dass für diese Diskussionen im damaligen Sprachgebrauch wohl tatsächlich keine feste Bezeichnung existierte, im Text heißt es mehrere Male »dispute«, aber auch »dispute ou conférence«, eine Formulierung, die kaum auf Unachtsamkeit zurückzuführen ist.208 Des Weiteren bietet der Text einzelne organisatorische Hinweise, aus denen allerdings keinesfalls Enthusiasmus hinsichtlich der Möglichkeit spricht, den »adversaires« die Wahrheit des reformierten Glaubens zu beweisen. Die wiederholten einschränkenden Formulierungen209 mit denen Textgrundlage, Teilnahmebedingungen, synodale Einwilligung sowie die notwendige offizielle Eröffnung jeweils eingeleitet werden, verleihen vielmehr der anfangs herausgestellten Haltung gegenüber diesen »disputes« zusätzliches Gewicht. Nach Meinung der Versammelten sollte die Intiative für derlei conférences grundsätzlich von katholischer Seite ausgehen – »Les 207  Aymon, Synodes nationaux / XVIe Synode […], Gergeau (1601), Revision de la discipine ecclésiastique, »Addition au VIe art. (i. e. de la Discipline ecclesiastique). 208  Diese Vermutung bestätigt sich durch einen Blick in die zeitgenössischen Lexika: Der 1606 sowie erneut 1621 herausgegebene Thrésor de la langue francoise tant ancienne que moderne von Jean Nicot (Paris: Doucer) bietet lediglich ein Lemma »conferer«, erklärt als »commenter, lt. consultare«, aber weder einen Eintrag »conference«, noch »dispute«, »pourparler« usw. Ein ähnliches Bild ergibt sich in den Nachschlagewerken des späten 17. Jahrhunderts. Furetière notiert in seinem Dictionnaire nur die Substantive »controverse« mit Verweis auf »Le père Véron (qui) était un homme fort sur la controverse« und controversiste: »Qui a écrit, préché la controverse«. Im Dictionnaire der Académie française wird unter dem Lemma »conférence« auf die conférence von Fontainebleau (1600) verwiesen, was auf die Titel der zahlreichen Veröffentlichungen zurückzuführen ist, die anlässlich dieser Veranstaltung erschienen sind und alle mit dem Begriff »conférence« operieren; cf. dazu die Übersicht in Kappler, Conférences, II, n. 14. Im Dictionnaire von Pierre Richelet (1680) wird »conférence« ganz allgemein als »Discours de personnes savantes sur quelque matière épineuse« (idem, Dictionnaire françois contenant les mots et les choses, plusieurs nouvelles remarques sur la langue française. Genf: Widerhold 1680, Lemma: conférence) definiert, was vielleicht daran liegen mag, dass in Genf keine entsprechende Tradition ausgebildet war. 209  Auf das »ne le feront que« in der zweiten Zeile folgt dreimaliges »n’entreront […] (que)«, beim dritten Mal in der Variante »n’entreront […] sans«. Die entrerrepititio wird anschließend durch die Formulierung »s’y entreront« fortgesetzt.

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3. Entstehungsbedingungen einer literarischen Form

disputes de la Religion avec les Adversaires, seront reglées en telle sorte, que les nostres ne seront point agresseurs: et s’ils sont engagez…«. Vor dem Hintergrund des Edit de Nantes und der Minderheitensituation ist diese Zurückhaltung nur verständlich. Zwar finden sich weder im Edikt selbst noch in den dazugehörigen articles secrets et particuliers oder brevets irgendwelche Bemerkungen oder Vorschriften zu etwaigen conférences, mit der Oblivionsformel in Artikel 2210 und Hinweisen für »prescheurs, lecteurs et autres qui parlent en public« in Artikel 17211 aber zwei Regelungen, die sich bei großzügiger Auslegung darauf beziehen ließen. Nicht nur aus Sorge vor Bestrafung des Einzelnen, sondern wohl auch aus der bereits angesprochenen Loyalität gegenüber dem König – erst recht gegenüber Henri IV – waren die Protestanten wohl besonders in den ersten Jahren des régime de l’edit sehr bemüht, nicht zu »infracteurs de paix et perturbateur du repos publique«212 zu werden. Wer nun aber der Vorstellung erliegt, zu Beginn des 17. Jahrhunderts hätten die katholischen controversistes aufgrund der für sie äußerst günstigen Situation in ähnlicher Weise wie die Missionare Städte und Landgemeinden Frankreichs durchwandert und ›jeden‹ ministre in ein anregendes theologisches Gespräch verwickelt, das alsbald von einem interessierten Publikum verfolgt worden wäre, hat sich getäuscht. Ein solches Vorgehen wird lediglich François Véron nachgesagt, einem ehemaligen Jesuitenpater, der 1620 den Orden verließ, fortan als »controversiste itinérant«213 über’s 210  »Deffendons à tous nous subjects, de quelque estat et qualité qu’ils soient d’en renouveler la mémoire, s’attaquer, injurier ny provoquer l’un l’autre par reproche de ce que s’est passé, pour quelque cause et prétexte que ce soit, en disputer, contester, quereller ny s’outrager ou s’offenser de faict ou de parole, mais se contenir et vivre paisiblement comme frères, amis et concitoyens, sur peine aux contrevenans d’estre punis comme infracteurs de paix et perturbateur du repos publique«; Edit de Nantes, in: Jourdain / Isambert, Recueil, vol. XV, n. 124, art. 2. Wie bereits angemerkt, enthielten zahlreiche weitere édits de pacification entsprechende Formeln (cf. supra, Kapitel 2.). 211  »Nous défendons à tous prescheurs, lecteurs et autres qui parlent en public, user d’aucunes paroles, discours et propos tendans à exciter le peuple à sédition, ains leur avons enjoinct et enjoignons de se contenir et comporter modestement et de ne dire rien qui ne soit à l’instruction et édification des auditeurs, et à maintenir le repos et tranquillité par nous établie en nostredit royaume«; Edit de Nantes, in: Jourdain / Isambert, Recueil, vol. XV, n. 124, art. 17. 212  Edit de Nantes, in: Jourdain / Isambert, Recueil, vol. XV, n. 124, art. 2. Cf. dazu Kappler, Conférences, I, 14: »En ce qui concerne les conférences, il y a de la part des intervenants un réel souci de ne pas contre-venir aux Edits du Roi«. Dass diese Haltung auch in die Tat – oder eher ›Nicht-Tat‹ – umgesetzt wurde, bestätigt Dompnier, in idem, Vénin, 176: »Le plus couramment, l’assaut est donné par les champions de l’Eglise romaine«. 213  Dompnier, Vénin, 180.



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Land zog und zahlreiche Protestanten durch seine spontanen, oft schwer fassbaren Fragen in Harnisch brachte.214 Die überwiegende Mehrzahl der conférences wurde hingegen von langer Hand vorbereitet und von den katholischen Verantwortlichen oft ganz gezielt zu bestimmten Anlässen geplant.215 So sollte beispielsweise eine dispute, die als Parallelveranstaltung zu einer mission organisiert wurde, die Protestanten zusätzlich demoralisieren, als Auftakt einer Predigtreihe während der Fastenzeiten diente sie eher dazu, die Menschen in ihrem Glauben zu bestärken.216 Waren derlei Diskussionen in einen solchen Rahmen eingebettet, nahmen an ihnen in der Regel auch bekannte ›Größen‹ teil. Zu diesen gehörten seitens der Katholiken neben den bereits erwähnten Jesuiten Coton und Véron vor allem deren Mitbrüder Jean Gontéry und Estienne Audebert sowie die Kardinäle Pierre de Bérulle und Jacques Davy du Perron;217 seitens der Protestanten die pasteurs Jean Bansilion (Nîmes, Aigues-Mortes (bei Nîmes)), Jean Maximilien des Baux de l’Angle (Rouen) Jean Mestrezat (Paris / Charenton); die 214  Viele ministres begegneten Véron deshalb mit Misstrauen: Einer der pasteurs von Rouen beispielsweise, Jean Maximilien des Baux de l’Angle, der 1618 von Véron zu einer conférence über das Herrenmahl herausgefordert wurde, präsentierte diesen in den später herausgegebenen actes als »un homme né à la contestation, […] qui faict partout bruire son courage et le désir qu’il a de colleter les Minis­tres. C’est un homme qui fait parade de ne vivre que de conférences«; idem, Recit de la conference tenue entre Iean Maximilien de l’Angle, Ministre de la Parole de Dieu en l’Eglise réformée de Rouen et François Véron Iesuite. […] Or de ces choses que ie vous escry voicy ie vous declare devant Dieu que je n’en ment point (Gal. 1,20). Quevilly: Velquin s. a. (1619?) (160 Seiten, in-8°), 3. Syntaxanpassung von mir, im Französischen als Satzreihe (cf. Kappler, Conférences, II, n. 74. In der Regel wurden die actes jeder conférence einmal von den Protestanten und einmal von den Katholiken herausgegeben, auf diese Weise war es möglich, nachträgliche Kommentare und Berichtigungen anzufügen, cf. ibid, I, 59). Grund für diesen Argwohn war die von Véron verwendete nouvelle méthode, facile et solide, später La Véronique genannt, bei der es darum ging, den Protestanten die Nichtigkeit des von ihnen gepflegten sola scriptura-Prinzips nachzuweisen. Dazu forderte man sie auf, einerseits die Confession de foy anhand von Bibelzitaten zu belegen, andererseits die katholischen Lehren durch Bibelstellen zu widerlegen (cf. Scheib, Religionsgespräche, 365–367). 215  Aufgrund der ablehnenden Haltung der Reformierten gegenüber diesen disputes war es wohl besonders in den ersten Jahren des 17. Jahrhunderts nicht immer einfach, einen protestantischen Gegenpart zu finden, cf. dazu Kappler, Conférences, I, 40; Dompnier, Vénin, 178s. 216  Cf. Kappler, Conférences, I, 70ss. 217  Hinweise zu Leben und Wirken dieser Persönlichkeiten bietet der »Index biographique des intervenants«; Kappler, Conférences, II, annexe IV. Wie schon an der Herkunft dieser ›Größen‹ ablesbar, waren die Teilnehmer an solchen disputes mehrheitlich Ordensmitglieder (67 %, davon 40 % Jesuiten und Kapuziner), etwa 25 % gehörten dem Säkularklerus an, 8 % waren Laien, darunter viele nouveaux convertis. Angaben nach Kappler, Conférences, I, 131 / 132.

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3. Entstehungsbedingungen einer literarischen Form

Professoren Pierre du Moulin, Daniel Tilenus und Daniel Chamier (Sedan, Montauban) sowie Jean Daille, Hauslehrer und -geistlicher des Politikers und Theologen Philippe Duplessis-Mornay.218 Angezogen von dem Ruf, der diesen controversistes aufgrund ihrer fachlichen Kenntnisse, aber vor allem dank ihres rhetorischen Geschicks vorauseilte, strömte dann oft eine große Zuschauermenge im Rathaus oder auf einem Herrensitz zusammen,219 um die immer vorausgesetzte Niederlage der Gegenseite mitzuerleben. Auch wenn die Organisatoren von conférences wohl streng darauf achteten, immer nur genau so viele Protestanten wie Katholiken im Publikum zuzulassen und auch die Diskussion selbst nach einer festen Redeordnung ablief,220 kam es vor Beginn und nach Ende solcher Veranstaltungen gelegentlich zu Tumulten,221 die den Anwesenden möglicherweise länger im Gedächtnis blieben als die theologischen Debatten. Selbstverständlich waren derlei aufsehenerregende disputes nicht alltäglich.222 Auch fanden sie lediglich in Städten statt, in Paris, ebenso wie in Rouen, Pau und Grenoble, in Orten mit einem hohen protestantischen Bevölkerungsanteil also,223 bei denen es sich oftmals um die Heimatgemeinden 218  Hinweise zu Leben und Wirken dieser Persönlichkeiten bietet erneut der »Index biographique des intervenants«; Kappler, Conférences, II, annexe IV sowie Gisel, Encyclopédie, Lemma: Duplessis-Mornay, Philippe. Bei den in Klammern notierten Orten handelt es sich um die Wirkungsstätten der pasteurs. Da in der reformierten Kirche zunächst alle pasteurs auf der gleichen hierarchischen Stufe stehen (was nicht heißt, dass sie sich nicht durch außergewöhnliche Seelsorge auszeichnen und dadurch besonderen Ruf erlangen konnten) kann hier keine Kategorisierung vorgenommen werden. Da die pasteurs mehrheitlich als ministres eine Gemeinde leiteten, setzten sie sich im Rahmen der Vorbereitung von prêche und catéchisme regelmäßig intensiv mit der reformierten Lehre auseinander. In der Regel waren sie deshalb – mehr als die meisten curés – einer Herausforderung durch die Gegenseite durchaus gewachsen. 219  Cf. Kappler, Conférences, I, 28; Scheib, Religionsgespräche, 322–338 (mit zahlreichen Beispielen). 220  Cf. Kappler, Conférences, I, 49. Die Synodenteilnehmer von Gergeau sprachen deshalb auch von »disputes réglées«. Besonders in den ersten Jahren des 17. Jahrhunderts verliefen diese wohl mehrheitlich nach dem Schema der universitären disputatio (daher vielleicht auch die Bezeichnung »dispute«.). So sinnvoll diese Reglementierung in praktischer Hinsicht auch war, so sehr gab sie den conférences den Anschein von Scheindiskussionen oder Schauprozessen, in denen es weniger um den Gegenstand denn um die Präsentation der eigenen Partei ging. 221  Cf. Kappler, Conférences, I, 44s. 222  Das Miterleben einer conférence stellte damit für die Teilnehmer, besonders für die Zuschauer, ebenso wie mission und conversion-spectacle auch eine willkommene Abwechslung vom Alltag dar. 223  Einen Eindruck über die geographische Verteilung der conférences der ›Größen‹ bietet die »Liste des conférences relévées« in Kappler, Conférences, I, 92–97: Paris: Tilenus-Du Perron (1597; 1609); Du Moulin-Gontery (1618); Mestrezat-Veron



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der pasteurs handelte.224 Man hoffte wohl, dass sich durch die Niederlage ›ihres‹ ministres umso mehr brebis errants davon überzeugen ließen, einem Irrglauben anzuhängen und zur conversio bereit wären. Eine Fülle weiterer conférences zwischen oft weniger bekannten controversistes fand hingegen entweder recht spontan am Kranken- oder Sterbebett eines conversio-Willigen oder aber, dann durchaus geplant und angekündigt, im Wohnhaus eines pasteur statt.225 In beiden Fällen waren in der Regel weitaus weniger Zuschauer anwesend als bei den bisher betrachteten disputes – es sei denn, es handelte sich bei den Leidenden um bekannte Persönlichkeiten. Sehr oft mochte die geringe Aufmerksamkeit, die manchen conférences zuteil wurde, schlicht dem Moment geschuldet sein – nicht jedem war es immer möglich, seine Arbeit zu unterbrechen oder weite Strecken zurück zu legen. (Zunehmendes) Desinteresse seitens der Gläubigen scheint als Grund für einen eventuellen Publikumsrückgang aber auszuscheiden: Nicht nur, weil das gesellschaftliche Ereignis pourparler für den Einzelnen, selbst in Städten wie Paris oder Rouen, eine relative Seltenheit war, sondern vor allem, weil ab 1630 zwar die conférences abnahmen, die aus ihnen hervorgegangenen actes aber, ebenso wie die anderen beiden Formen von écrit de controverses, wie gezeigt, weiterhin rezipiert wurden. Denn der errechnete Durchschnittswert von gut 70 publizierten Werken pro Jahr bis 1685 wäre wohl nicht zustande gekommen, wenn die Drucker und Buchhändler nicht einen stetigen Absatz dieser Texte hätten verzeichnen können.226 Dass der neugierige Besucher solcher disputes allerdings später zum regelmäßigen Käufer entsprechender actes de conférence werden sollte, steht doch zu bezweifeln. Denn nicht jeder, der Lust zeigte, den ›Darbietungen‹ solcher Diskussionen zu folgen, war auch willig – und fähig – die in schriftlicher Form niedergelegten theologischen Debatten nachzuvollziehen. Denn auch wenn die behandelten Themen grundsätzlich bekannt waren, wurden sie oft in einer unzugänglichen Sprache und zudem in aller Aus(1624); Rouen: de l’Angle-Veron (1618); Pau: Audebert-Abadie (1635); Grenoble: Coton-Cresson (1599); Aigues-Mortes: Bansilion-Veron (1625); Sezanne: Du Moulin-Berulle (1608); Nîmes: Chamier-Coton (1600); Fontainebleau: Du Plessis-Du Perron (1600). 224  Dies ist bei Aigues-Mortes (Bansilion); Rouen (De l’Angle); Pau (Abadie) und Grenoble (Cresson) der Fall; cf. Kappler, Conférences, II, annexe IV, »Index biographique des intervenants«. 225  Kappler, Conférences, I, 38. 226  Cf. Henri-Jean Martin, Livre, pouvoirs et société à Paris au XVIIe siècle (1598–1701). Préface de Roger Chartier, 2 vols. Genf: Droz 31999, 170–176; 195 sowie passim. Da die Bände fortlaufend paginiert sind (vol. I, 1–554, vol. 2, 555– 1091), wird im Folgenden auf die Angabe des Bandes verzichtet. Im gesamten vom Autor untersuchten Zeitabschnitt machte die religiöse Literatur das gros der gedruckten und verkauften Werke aus.

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3. Entstehungsbedingungen einer literarischen Form

führlichkeit dargelegt,227 was es wenig geschulten Lesern mitunter schwierig machte, die Texte zu verstehen.228 So wurde beispielsweise 1603 in Embrun zwischen Daniel Chamier und dem Pfarrer Pierre de Fénouillet eine conférence über das Verständnis des Herrenmahls abgehalten, die von Chamier noch im gleichen Jahr herausgegebenen actes dann über weite Strecken in Form von Syllogismen formuliert – wohl um den katholischen Gesprächspartner bloßzustellen.229 Dass auf diese Weise die Überzeugungskraft mancher Ideen im Keim erstickt wurde und ein tiefergehendes Interesse für die Materie oft gar nicht entstehen konnte, ist gut nachvollziehbar. Adressaten dieser actes waren demnach weniger die Personen aus dem Kreis der ehemaligen Zuschauer denn die acteurs selbst, von denen viele oft schon kurz 227  Zahlreiche actes de conférence waren in ihrer Endversion, das heißt mit allen nachträglichen Kommentaren, einige hundert Seiten lang, die kürzesten um die 50. Einen Eindruck von diesen Publikationen vermitteln die Photos zweier Titelblätter von Schriften, die in Reaktion auf actes de conférence verfasst wurden in Anhang II, cf. ill. 12: Anonym, Refutation du faux discours de la conférence entre le Reverend Père Gonthery de la Compagnie de Jesus & le Sieur du Moulin, Ministre de la Religion prétendue reformée. Paris: Chapelet 1609; sowie ill. 13: G(uillaume) du Puy, L’Impudence de l’Heresie au dernier advertissement de S r du Plessis sur l’escrit n’aguères publiés par le Sieur Evesque d’Evreux. Bordeaux: Budier & Breil 1602. Es sei darauf hingewiesen, dass beide Abbildungen nicht den ›Originalzustand‹ der Werke wiedergeben. Um sie besser lagern zu können, wurden sie mittlerweile mit anderen Texten zusammengebunden (Auskunft der Bibliothèque de la Societé de l’Histoire du Protestantisme français). 228  Cf. dazu Labrousse, Conversion, in: Donville, Conversion, 169: »C’est une littérature (i. e. la littérature de controverse) qui n’est à la portée que d’un milieu restreint de spécialistes«. Dieses Problem hatte Montaigne bereits einige Jahre vor Beginn des temps de controverses vorausgesehen und entsprechend in einem seiner Essais formuliert: »Dieu le sçache, en nostre presente querelle, où il y a cent articles à oster et remettre, grands et profonds articles, combien ils sont qui se puissent vanter d’avoir exactement recogneu les raisons et fondements de l’un et l’autre party? C’est un nombre, si c’est nombre, qui n’auroit pas grand moyen de nous troubler. Mais toute cette autre presse (i. e. foule), où va-t-elle? Sous qu’elle enseigne se jette-elle à quartier?« (Michel de Montaigne, Les Essais. Avec appendices, Sources, Index par Pierre Villey. Édition conforme au texte de l’exemplaire de Bordeaux. Paris: Quadrige / PUF 21992; I, 23, »De la coustume et de ne changer aisément une loy receüe«, 122. Dass die Verantwortlichen der Konfessionen unter diesen Bedingungen Wege finden mussten, um die »presse« dazu zu bewegen, sich eben ihrem »quartier« anzuschließen, liegt auf der Hand. Wie zu zeigen sein wird, war mit den Konversionsschriften eine solche Möglichkeit gegeben. 229  Cf. Daniel Chamier, Les Actes de la dispute d’Ambrun entre M. Daniel Chamier, ministre de la Parole de Dieu en l’Eglise reformée de Montélimard et M. Fenouillet, soy-disant Théologal de Gap. s. l. 1603 (Grenoble: ohne Druckervermerk 2 1648) (53 Seiten, in-8), passim. Pierre de Fénouillet war zunächst in Annecy, dann Prediger am Hof in Paris. 1607 wurde er Bischof von Montpellier, cf. Kappler, Conférences, II, annexe IV, »Index biographique des intervenants«. Der Text wurde 1648 erneut herausgegeben.



c) Ecrits de conversion als écrits de controverse259

nach Erscheinen der actes zur Feder griffen, um eine wütende Replik zu verfassen, weil sie sich und ihre Äußerungen falsch oder nicht hinreichend dargestellt sahen. Die einsetzende Kettenreaktion sicherte nicht nur den Druckern und Buchhändlern ihr Auskommen, sie näherte diese Texte auch den unabhängig von jeder dispute verfassten theologischen Abhandlungen an. An eine vergleichbare Leserschaft gerichtet, lösten auch diese Werke sogenannte chaînes de publications aus, die umso länger werden konnten, wenn es sich bei den Beteiligten um bekannte ›Größen‹ handelte.230 Der Unterschied zwischen den beiden Formen bestand dann lediglich in der Tatsache, dass in letzterer seltener mit Argumenten ad personam gearbeitet wurde, der Ton also im Allgemeinen sachlicher war als in den actes und ihren Folgeschriften. Gegenüber diesem sowohl inhaltlich als auch strukturell recht einheit­ lichen Block, heben sich die écrits de conversion als dritte Form von écrits de controverse deutlich ab. Während nämlich die Publikationen von actes und traités das Fortdauern einer theologischen Debatte anzeigen, deren letztes Ziel – die conversio der Gegenseite – in der Regel noch nicht erreicht ist, signalisiert das Erscheinen einer Konversionsschrift klar den Triumph des einen und die Niederlage des anderen konfessionellen Lagers. Damit wird ein écrit de conversion allein durch seine Existenz zum écrit de controverse. Bei Konversionsschriften handelt es sich meist um relativ kurze, unter dem Eindruck der Geschehnisse geschriebene Texte, deren inhaltliche und sprachlich-stilistische Ausgestaltung auf den ersten Blick ebenso wenig eine Rolle spielt wie die materielle. Als einfache livrets im Oktavformat mit selten mehr als 30 Seiten und fast ohne Illustrationen231 bestand ihre erste Funktion darin zu informieren.232 Ihre treffenden und immer ähnlichen Titel 230  Cf. Dompnier, Vénin, 170s. Ein Beispiel für eine solche chaîne de publications bietet Desgraves, Répertoire II, n. 4141–4151 (Auseinandersetzung (1638) zwischen dem ministre Jean Mestrezat und Théophile Brachet, Sieur de la Milletière über die Rechtfertigung) 231  Diese Beschreibung der materiellen Beschaffenheit der Texte nennt selbstverständlich Durchschnittswerte, viele écrits de conversion umfassen nur um die zehn Seiten, einige, besonders spätere, um die 80. Zur Orientierung werden Seitenumfang und Format bei allen Konversionsschriften angegeben. Des Weiteren bietet Anhang II erneut Titelblätter von Konversionsschriften (ill. 14/15). Die entsprechenden bibliographischen Angaben finden sich im Literaturverzeichnis (Korpus – Texte des 16. / 17. Jahrhunderts). 232  Cf. Martin, Livre, 253. Diese livrets standen damit hinsichtlich ihrer materiellen Beschaffenheit den libelles sehr nahe, für die sich in den 1650er Jahren die aus England übernommene Bezeichnung »pamphlet« durchsetzte (cf. Rey, Dictionnaire historique, Lemmata: pamphlet, libelle). Die Grenze zwischen einem libelle und einem livre, die sich sowohl im Preis als auch in der Wertschätzung durch Käufer

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3. Entstehungsbedingungen einer literarischen Form

wie L’heureuse conversion de…; Ample et fidèle narré de la conversion de…, Declaration de… sur les raisons qui l’ont meu à se repartir de l’Eglise Romaine, die meist in großen Lettern auf den ersten Seiten dieser Publikationen prangten, waren wohl dazu angetan, den Menschen beim Vorbeigehen an den Auslagen der libraires ins Auge zu fallen.233 Je nach persönlicher Einstellung konnte die aufgeschnappte Nachricht dann ihre Wirkung entfalten, Freude hervorrufen, wenn man seine Gemeinschaft durch die conversio gestärkt sah; Skepsis, wenn man dem neuen Mitglied nicht traute; Traurigkeit und Resignation, wenn die eigene Gemeinschaft erneut Anhänger verloren hatte; Ermutigung, wenn man sich selbst mit dem Gedanken an eine conversio trug. Manch einer wird die Information mündlich weitergetragen234 haben, der andere sie vergessen, ein dritter vielleicht nach Feierabend zum Buchhändler zurückgekehrt sein, um das entsprechende ­livret für ein paar sols zu kaufen. Für livrets bis zu 30 Seiten Umfang bezahlte man in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Paris zwischen zwei und fünf sols (= sous).235 Dies entspricht ein bis zwei Tageslöhnen eines Landarbeiters oder einer Amme, ein ›Facharbeiter‹ wie beispielsweise ein Maurermeister verdiente etwa zehn und Verkäufer niederschlägt, liegt im 17. Jahrhundert bei 48 Seiten im Oktav-, 44 Seiten im Quartformat; cf. Roger Chartier, »Pamphlets et gazettes«, in: idem, HenriJean Martin (dir.), Histoire de l’Edition française. 4 vols. Paris: Fayard 21989, hier vol. I, 501–526, hier 502. Dass es sich trotz dieser äußerlichen Gemeinsamkeiten dennoch verbietet, Konversionschriften als libelles zu klassifizieren, wird bei einem Blick in die zeitgenössischen Lexika sehr schnell deutlich. Dort wird libelle einstimmig als écrit diffamatoire gekennzeichnet (cf. beispielhaft Nicot, Thrésor, Lemma libelle (diffamatoire): »epigramma famosa, programma«; Furetière, Dictionnaire; Lemma: libelle: »negative, écrit, qui contient des injures«), was auf écrits de conversion nicht zutrifft. »Livret« hingegen ist lediglich als »petit livre« ohne Konnotation lexikalisiert, cf. zum Beispiel Académie Française: Dictionnaire, Lemma: livret. 233  Die Buchhändler stellten im Allgemeinen neben wenigen teuren – kolorierten oder mit Goldschnitt versehenen – Werken bekannter Autoren, die dazu dienten ihren Status sowie eventuell eine besondere Ausrichtung bekannt zu geben, vor allem Einblattdrucke (feuilles volantes) und livrets aus, da diese ihre Botschaft schnell ›an den Mann‹ brachten und deshalb am werbewirksamsten waren. Auch mussten die Händler bei ihnen am wenigsten um Verluste durch Diebstahl oder Wettereinwirkungen fürchten. Zum assortiment der Buchhändler sowie ihren Verkaufsstrategien cf. Martin, Livre, 296ss. 234  Cf. dazu Hélène Duccini, Faire voir, faire croire. L’opinion publique sous Louis XIII. Seyssel: Champ Vallon 2003, 61s. Livrets richten sich an den »lecteur pressé« (ibid., 61), der neben seiner Tagesarbeit über die wesentlichen Neuigkeiten informiert sein möchte. Die klaren, sehr schnell verständlichen Titel beugen demnach auch Missverständnissen vor. Da man als Verfasser die Rezeptionsbedingungen kannte und wusste, dass die Information auch mündlich weitergetragen wurde, waren die Titelblätter entsprechend gestaltet. 235  Cf. Duccini, Opinion, 19.



c) Ecrits de conversion als écrits de controverse261

sols am Tag.236 Konversionsschriften waren demnach auch für gering verdienende Menschen durchaus erschwinglich, zumal es sich bei diesen Texten nicht um einen Gegenstand des täglichen Gebrauchs handelte. Vielmehr kaufte man solche Schriften wohl vorrangig aus Neugier, etwa weil man einen der Beteiligten kannte oder eine Beziehung zum Ort des Geschehens hatte, vielleicht auch, da jemand anders bereits über das Ereignis erzählt hatte. Einige écrit de conversion wurden sicherlich auch aus spirituellem Bedürfnis und in der Hoffnung erstanden, durch die beschriebene Erfahrung Bestärkung für den eigenen Weg zu finden. In vielen Fällen wurden die Texte wohl auch in Vorleserunden miteinander geteilt237 oder gezielt in der instruction eingesetzt.238 Sieht man vom letztgenannten Fall der Verwendung im Rahmen einer Katechese ab, bei der die conversio-Willigen möglicherweise mit mehreren dieser Texte in Berührung kamen, kann deshalb davon ausgegangen werden, dass Kauf und Lektüre von Konversionsschriften – so man des Lesens denn mächtig war – zwar grundsätzlich ›jedermann‹ offenstand, die Gläubigen von diesem Angebot aber schon aufgrund der aufgezeigten anderen Informationsmöglichkeiten sicher nicht täglich, sondern höchstens monatlich – wenn nicht seltener – Gebrauch machten.239 Die von der modernen Forschung so beklagte Stereotypie dieser Schriften war demnach für viele der damaligen Leser gar nicht in gleichem Maße spürbar. Anders als die Nachgeborenen in den Bibliotheken und Archiven sah sich nämlich der Einzelne keiner Flut von Texten gegenüber – es sei denn in den Auslagen der libraires – sondern einer mehr oder wenigen großen Anzahl oft selbstausgewählter écrits de conversion, die dezidiert Interesse geweckt hatten. Wenn in diesen Schriften dann ähnliche – und allgemein bekannte – topoi und Erklärungsmuster für das Moment der conversio Verwendung fanden, vermittelte dies keine Langeweile, sondern Sicherheit,240 was dem erklärten Ziel, zur conversio anzuregen, sicher zuträglich war. Wie bereits anhand der Beschreibung der materiellen Beschaffenheit von Konversionsschriften ersichtlich, handelt es sich bei diesen – anders als bei actes und traités – in der Regel nicht um prestigereiche Druckerzeugnisse. 236  Angaben nach Gabriel Audisio, Des paysans. XVe–XIXe siècle. Paris: Colin 1993, 186. 237  Cf. Gilmont, Réformes, in: Cavallo / Chartier, Histoire, 295. 238  Cf. Dompnier, Vénin, 172. 239  Diese Annahme wurde in Analogie zum von Duccini und Martin (cf. eadem, Opinion, 54s; idem, Livre, 884s) erarbeiteten Rezeptionsverhalten der Stadtbevölkerung hinsichtlich vergleichbarer livrets zu faits divers (Mord; Diebstahl; Reisen, Wunderzeichen e. a.) erarbeitet, davon ausgehend, dass die Menschen sich damals aufgrund der Virulenz des Themas für ihr eigenes Leben für Konversionen besonders interessierten. Duccini geht von noch selteneren Kaufhandlungen aus. 240  Cf. dazu ausführlich Kapitel 4.b), passim.

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3. Entstehungsbedingungen einer literarischen Form

Stattdessen sind es »petits livres de peu de pages«241, von denen in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts große Mengen über die französischen Ladentische gingen.242 Für die Buchhändler bargen diese livrets ein gewisses Risiko, da täglich viele dieser œuvres de circonstances – Gedichte, Novellen, Gebete, Mathematikaufgaben, Konversionsberichte, faits divers – verkauft werden mussten, um die zwar im Einzelnen geringen, in der Masse aber dennoch beachtlichen Herstellungskosten zu decken.243 Ob sich das Wagnis unter Berücksichtigung der oben angestellten Überlegungen in Bezug auf das Kauf- und Leseverhalten in Bezug auf den Absatz von Konversionsschriften gelohnt hat, ist schwer zu beurteilen: Als Indiz für den Verkaufserfolg dieser Texte kann vielleicht die Tatsache gewertet werden, dass zum Beispiel die für diese Studie verwendeten écrits de conversion zu unterschiedlichen Zeiten bei verschiedenen, aber in der Regel namhaften libraires in Paris oder in der Provinz vertrieben wurden.244 Ein ähnliches Resultat ergab auch die Durchsicht des répertoire von Desgraves: Auch hier lassen sich für die Zeit von 1598 bis 1685 sowohl so bekannte Offizine ausmachen wie Quenet, Nivelle (beide Paris) oder Osmont (Rouen), aber auch solche von nur regionaler Bedeutung wie Pech (Montpellier) oder Du Pré (Genf).245 Der Vertrieb von livrets scheint also keinesfalls auf einige wenige libraires ambulants beschränkt gewesen zu sein, sondern allgemein zum Tagesgeschäft gehört zu haben.246 Eine weitere Sicherheit für die Buchhändler ergab sich eben aus dem Status der Konversionsschriften als écrits de controverse. Auch deren Pu­ blikation provozierte nämlich genauso wie diejenige von actes und traités in der Regel eine Reaktion der Gegenseite.247 Wenn sich ausgehend von diesem ersten Schlagabtausch eine entsprechende chaîne de publications Opinion, 18. Duccini, Opinion, 48s. 243  Cf. Martin, Livre, 172, 253, Duccini, Opinion, 49. 244  Die Angaben zu Druckort und Verkaufsstätte der verwendeten Konversionsschriften finden sich in der bibliographischen Notiz der jeweiligen Schrift im Literaturverzeichnis (Korpus – Texte des 16. / 17. Jahrhunderts), Informationen zu den libraires bietet Martin in: idem, Livre, 318–326 (Händler in Rouen, Montpellier, Nîmes usw.) sowie 331–358 (Händler in Paris). Eine tabellarische Übersicht der für die Studie bearbeiteten Schriften bietet Anhang IV. 245  Zu den genannten libraires im Einzelnen cf. Martin, Livre, 323, 327, 368. Eine Liste der Druckorte der von ihm aufgefundenen Konversionsschriften bietet Desgraves in idem, Aspects, in: Donville, Conversion, 101 / 102. 246  Cf. Martin, Livre, 330s. Livrets wurden sowohl von den prestigereichen Häusern in der Rue St. Jacques als auch von den weniger betuchten, aber dennoch allgemein anerkannten Händlern im Palais royal sowie von den, modernen bouquinistes vergleichbaren, Buchverkäufern auf dem Pont Neuf vertrieben. 247  Cf. Desgraves, Aspect, in: Donville, Conversion, 101. 241  Duccini, 242  Cf.



c) Ecrits de conversion als écrits de controverse263

entwickelte, gebildet einerseits aus den Angriffen und Rückholversuchen der Gegenseite, andererseits aus den Verteidigungsschriften des Konvertiten und seiner Fürsprecher248, stieg das Interesse für die einzelnen Glieder dieser Kette meist stark an – was dem Umsatz dann durchaus förderlich war. Diese Mechanismen setzten allerdings vorrangig ein, wenn die Konvertiten, von deren Konfessionswechsel die Schriften kündeten, Personen waren, deren Mitgliedschaft in der communauté religieuse vorher als besondere Auszeichnung empfunden worden war. Traten also beispielsweise hommes de lettres, Adlige oder gar Theologen in die andere Gemeinschaft über, löste dies dort außergewöhnliche Genugtuung, in der verlassenen hingegen besonderen Schmerz aus249 – was dann zu entsprechenden Attacken führte. So verkaufsfördernd diese chaînes de publications für die Buchhändler auch gewesen sein mochten, sie bargen auch die Gefahr mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten. Waren nämlich die Konversionsschriften, die ja aufgrund der herrschenden Verhältnisse in überwiegender Mehrheit einen Übertritt in die katholische Kirche bekanntgaben, der kirchlichen wie weltlichen Obrigkeit sehr willkommen, erregten eventuelle Gegenschriften, die ja notwendig aus protestantischer Feder stammten, die Aufmerksamkeit der Zensurbehörden. Zwar mussten grundsätzlich alle Druckerzeugnisse, vom feuille volante bis zum Folianten, den entsprechenden Stellen zur Genehmigung vorgelegt werden,250 nichtsdestotrotz waren die Grenzen des Akzeptablen während des régime de l’Edit für Bücher aus den Reihen der religion prétendue réformée wesentlich enger gezogen als für diejenigen der Gegenseite.251 In weiten Teilen des Landes, darunter auch in den Städten Paris und Lyon als den beiden Hochburgen der imprimerie, waren nach Artikel 21 des Edit de Nantes Druck und Verkauf von »livres concernant 248  Als Beispiel für eine chaîne de publications sei auf die 15 Schriften hingewiesen, die 1648 / 1649 in Reaktion auf die conversio des Jesuitenpaters Pierre Jarrige zum Protestantismus verfasst wurden, cf. Desgraves, Répertoire, II, n. 4708, 4715, 4729, 4739, 4743, 4745, 4752, 4753, 4771, 4772, 4775, 4776, 4777, 4779, 4817. Einige Publikationen enthalten auch einen Briefwechsel, cf. beispielhaft 4739, 4743. 249  Cf. Thierry Wanegfellen, »Les convertis du siècle des réformations. Discours confessionnel et expérience individuelle«, in: Jean-Christophe Attias (ed.), De la conversion. Paris: Cerf 1997, 183–202, hier 185. 250  Cf. Bernard Barbiche, »Le régime de l’édition«, in: Chartier / Martin, Histoire I, 457–471, passim. Nach einer Prüfung durch Experten des jeweiligen Fachbereichs wurden die Werke der chancellerie royale zur Genehmigung vorgelegt und gegebenenfalls durch die »lettres de privilège expediées par scel royal bestätigt« (ibid, 462). Mit dem privilège du roy erhielt ein Drucker bzw. Händler für eine bestimmte Zeit die Erlaubnis zu Herstellung und Vertrieb eines Werkes. 251  Cf. Barbiche, Régime, in: Chartier / Martin, Histoire I, 463 / 464.

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3. Entstehungsbedingungen einer literarischen Form

ladite religion prétendue réformée«252 verboten, in allen anderen einer strengen Kontrolle unterzogen.253 Ein livret, in dem etwa die sincérité der conversio im Sinne eines Übertritts in die katholische Kirche in Zweifel gezogen wurde, konnte entsprechend als »écrit diffamatoire«254 gewertet werden, dessen Herstellung und Veröffentlichung gleichermaßen untersagt und mit harten Strafen belegt war. Dass trotz dieser Bestimmungen, die, wie bereits erwähnt, in ähnlicher Form in vielen Edikten des 16. Jahrhunderts vorhanden waren, zahlreiche Werke dieser Art gedruckt und verkauft wurden, ist hinreichend bekannt: Um den officiers royales zu entgehen, stellte man viele Schriften im Ausland her, zunächst in Genf, im 17. Jahrhundert vor allem in den Niederlanden, schmuggelte sie über die Grenzen und verkaufte sie anschließend als anonyme Texte gewissermaßen ›unter dem Ladentisch‹.255 Da insbesondere die Veröffentlichung ohne oder unter einem falschen Namen es den Verantwortlichen beinahe unmöglich machte, der infracteurs de l’Edit habhaft zu werden, griff man wohl besonders gegen diese Sitte sehr hart durch.256 Meist unter Rückgriff auf eine bereits 1547 von Henri II erlassene ordonnance wurde deshalb wiederholt betont, dass nur Werke zum Verkauf angeboten werden durften, auf denen »le nom et surnom d’iceluy qui l’auray fait soit exprimé et apposé au commencement du livre, et aussi celuy de l’imprimeur avec l’enseigne de sondit domicile«.257 Wie bei einem Blick beispielsweise in die Bibliotheks­ kataloge von BNF oder BSHPF allerdings deutlich wird, hat sich an dieser Situation insbesondere im Bereich der religiösen Literatur über die Jahre sehr wenig geändert. Im Zeitabschnitt zwischen dem zitierten Erlass von Henri II und dem Widerruf des Edit de Nantes 1685 sind gut 40 % der Schriften als anonymes geführt, wobei allerdings unklar ist, ob diese Texte tatsächlich ohne Angabe des Autornamens publiziert wurden, oder aber von der Bibliotheksverwaltung auch dann als anonym bezeichnet wurden, wenn der notierte Name mit Sicherheit nicht mit dem Namen des Verfas252  Cf. Edit de Nantes, in: Jourdain / Isambert, Recueil, vol. XV, n. 124, art. 21: »Ne pourront les livres concernant ladite religion prétendue réformée, estre imprimez et vendus publiquement qu’ès villes et lieux où l’esercice publique de ladite religion est permis«. 253  Cf. Edit de Nantes, in: Jourdain / Isambert, Recueil, vol. XV, n. 124, art. 21. 254  Cf. Edit de Nantes, in: Jourdain / Isambert, Recueil, vol. XV, n. 124, art. 21: »Défendons très expressément l’impression, publication et vente de tous livres, libelles et écrits diffamatoires, sur les peines contenues en nos ordonnances; enjoignans à tous nos juges offiiciers d’y tenir la main«. 255  Cf. Duccini, Opinion, 35, 60–63. 256  Cf. Martin, Livre, 306–318. 257  »Edit qui défend d’imprimer et vendre aucun livre concernant la religion et l’Escriture Sainte, s’il n’a pas été vu et examiné par la faculté de théologie«, in: Jourdain / Isambert, Recueil, vol. XIII, n. 34 (11.12.1547).



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sers übereinstimmt.258 Einen schlagenderen Beweis sowohl für die Normalität der Anonymität als auch für deren Ablehnung von kirchlicher Seite liefert ein anonymes, 1671 in Paris erschienenes Werk mit dem Titel De la Delicatesse. Vollständig unabhängig, da in einem gänzlich anderen Zusammenhang stehend, erhalten die dort angestellten Überlegungen hier den Wert einer zeitgenössischen Situationsbeschreibung. Die entscheidenden Aussagen fallen im Rahmen der Auseinandersetzung mit den Qualitäten eines Autors sowie mit dessen Verantwortung gegenüber Text und Leserschaft: Ils sçavent (i. e. les critiques de Bouhours) par expérience que les noms qu’on met à la teste des Livres, ne sont pas toûjours ceux des veritables Autheurs; & de plus ils sont en possession de longue main de ne pas mettre leur nom dans la plupart de leurs Ouvrages quoy que l’esprit du Concile de Trente soit qu’on le mette toûjours, sur tout dans les ouvrages de Religion, où un Anonyme est toûjours suspect.259

Vor diesem Hintergrund erscheint die banale Tatsache, dass der Verfasser eines écrit de conversion, ob er nun seine eigene conversio beschreibt oder die Erfahrung seines Schützlings schildert, immer den Namen des Konvertiten nennt, in einem neuen Licht. Ein Bericht über eine conversio wird nämlich nur in Verknüpfung mit einem Namen zu einem Glaubenszeugnis mit Appellcharakter. Denn dann besteht die Möglichkeit, dass die Gläubigen den Konvertiten, der nicht nur durch seinen französischen Namen auf dem Titelblatt der Konversionsschrift, sondern oft zusätzlich durch seinen Beruf oder seine Herkunft als einer von ihnen gekennzeichnet ist, als Vorbild anerkennen – und dann vielleicht gleichfalls eine conversio in Betracht ziehen.260 258  Die Verantwortlichen beider Bibliotheken konnten bis dato keine entsprechende Auskunft erteilen. 259  Anonym, De la Delicatesse. Paris: Barbin 1671, I, 24. Die römische Ziffer bezeichnet den Dialog. In der verwendeten Ausgabe wurde nachträglich mit Bleistift der Autorname Montfaucon de Villars notiert. Nicolas-Pierre-Henri de Montfaucon, abbé de Villars (1635–1673) war zunächst Ordensmann, später verkehrte er vor allem in den salons von Paris, wo er gegen Port Royal und Pascal, aber auch Racine und Corneille polemisierte (cf. seine Critique de Bérenice, 1671); cf. Dominique Descotes, La première critique des ›pensées‹. Paris: Editions du CNRS 1980, 4 (»L’abbé de Villars et le Traité de la Delicatesse«). In De la Delicatesse (Dialog IV) verteidigt Montfaucon de Villars Bouhours, Autor der Entretiens d’Ariste et d’Eugène, im fünften Pascal gegenüber Barbier d’Aucour, der den Stil beider Schriftsteller kritisiert hatte (ibid., 5). 260  Auf dem gleichen Prinzip beruht die Histoire des Martyrs von Crespin. Auch dort sollte durch die Angabe von Name, Beruf, Hinrichtungsort usw. eine enge Verbindung zwischen dem Leser und der geschilderten Erfahrung hergestellt werden, um auf diese Weise dem Appell zu Standhaftigkeit und Gottvertrauen mehr Gewicht zu verleihen. Zur Histoire des Martyrs cf. supra, Kapitel 3.b)cc).

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3. Entstehungsbedingungen einer literarischen Form

Wenn also bei Konversionsschriften offensichtlich auf die sonst so verbreitete Anonymität bewusst verzichtet wurde, ergibt sich die Frage, wer darüber zu entscheiden hatte. Lässt man die im vorangegangenen Kapitel vorgestellten Motivationen, aus denen damals Konfessionswechsel vollzogen wurden, noch einmal Revue passieren, ist leicht vorstellbar, dass manche Konvertiten gerne darauf verzichtet hätten, ihren Namen auf dem Titelblatt zu sehen. Und nicht nur das: Aus den genannten Gründen erscheint es gleichfalls wenig wahrscheinlich, dass Gläubige sich nur aus vollständig eigenem Antrieb dazu entschlossen haben, ihre conversio niederzuschreiben und diesen Text anschließend selbständig zu veröffentlichen. In den écrits de conversion finden sich über die Umstände ihrer Entstehung in der Regel selten Angaben. Einen ersten Hinweis bietet die – allerdings sehr frühe Schrift – von Jean Haren. In einem dem Text in der Druckfassung vorangestellten Widmungsbrief an einen Freund erklärt dieser: Et d’autant que requerez par vos lettres de vous mander les causes principales qui m’ont esmeu de ce faire. Et quand tous Chrestiens sont admonestez par la bouche de sainct Pierre, de se tenir prests à rendre response à un chacun qui leur demande raison de leur esperance. I’ay bien voulu vous envoyer ce petit discours261

Der Grund für das Schicken des »petit discours« wird hier deutlich genannt, unklar bleibt hingegen, warum dieser überhaupt verfasst wurde und wer von den beiden Briefpartnern die Publikation der Schrift veranlasst hat: Haren, weil er die Chance nutzen wollte, mit seinem nun ohnehin formulierten Text seine coreligionnaires zu unterstützen oder der Empfänger, weil er, vielleicht um die Zurückhaltung des Konvertiten wissend, meinte, die Initiative ergreifen zu müssen, um das Zeugnis von Haren nicht ungenutzt zu lassen? Eine Antwort auf diese Frage muss bis auf Weiteres offen bleiben, da es zwar für die eine wie für die andere Alternative plausible Gründe, aber keine Belege gibt. Für die Wirkung solcher Schriften als écrit de controverse und témoignage ist die Tatsache, wer in solchen Fällen den Druck veranlasste, letztlich unerheblich.262 261  Jean Haren, Les causes iustes et equitables, qui ont menes Jean Haren, iadis ministre, de quitter la Religion pretendue Reformee, pour se ranger dans le giron de l’Eglise catholique. Paris: Pierre Ramier, rue S. Iean de Latran à l’enseigne du Serpent 1586 (29 Seiten, in-8°), Epistre dedicatoire de l’autheur, envoyée à Seigneur Philippe D. &c son bon amy, n. p. Haren bezieht sich hier auf 1 Petr 3,15. 262  Dass wohl gelegentlich écrit de conversion auch ohne Wissen des Verfassers publiziert wurden, zeigt beispielhaft der Hinweis des Druckers am Ende der Schrift zur conversio von Henri Vignier: »Lecteur, ie te donne ceste piece contre le sceau et consentement de son Autheur. Sa modestie l’empeschoit de la rendre publique, de vouloir retenir dans la solitude et dans le silence ce qui avait fait. Mais, l’ayant eu d’un homme de qualité qui l’avait tirée comme par force de son cabinet; & jugeant



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Wie er dazu kam, seinen Weg zur conversio niederzuschreiben, berichtet hingegen P(ierre?) de Pommiers, Professor an der Académie von Montauban: C’est là (i. e. à Uzès) que i’ay rencontré une charité vrayement Apostolique en Monseigneur l’Evesque, qui voyant une brebis égarée, laquelle n’avoit point d’autre Pasteur que le Mensonge, m’areste dans son sein, par une bonté d’autant plus obligeante, que luy estant inconnu, il m’a acceilly avec toutes les tendresses d’un Père: C’es aussi, pour luy obeïr, que ie donne au public les Motifs de ma Conversion, en attendant de les déduire tous par un plus grand ouvrage.263

Es steht zu vermuten, dass eine Vielzahl dieser Schriften nach dem hier vorgestellten Schema – Verfassen einer Konversionsschrift auf Aufforderung des vorherigen Begleiters – entstanden sind. In den meisten Fällen waren dies wohl – wie bei Pommiers – Geistliche, die sich der instruction des Konvertiten angenommen hatten.264 Schrieb der Konvertit seine Erfahrungen nicht selbst nieder, waren es in der Regel eben diese Begleiter und damit Zeugen der conversio, die den Text an seiner Statt formulierten und sich oft auch um dessen Veröffentlichung kümmerten.265 Grundsätzlich lässt sich davon ausgehen, dass jedwedes Engagement für das Entstehen einer solchen Schrift sich aus dem Wissen um das bewährte Prinzip der conversio per conversionem nährt. quist (sic!) important au public de le voir […] je l’ay fait mettre sous la presse sans autre recommandation que du nom de l’autheur assez connu pour son merite«; (Anonym), La Conversion de Henri Vignier, fils de Nicolas Vignier, Ministre à Blois, cy-devant Conseiller du Roy, bailli de Baugency, & maintenant Chartreux à Paris. Ensemble deux lettres envoyées par le dit Nicolas Vignier, père du dit Henry Vignier, Ministre à Blois, contre sa conversion. Avec la reponse du Fils au Pere, sur le mesme subject. Paris: Chez la Veufve Saugrin, à la petite porte du Palais en allant sur le quay 1629 (22 Seiten, in-8°), »lettre de l’imprimeur au lecteur«, n. p. (nach 21). Die Initiative des Druckers ebenso wie der Hinweis auf die »modestie« von Vignier, unterstreicht zudem erneut die Bedeutung der Namensnennung für die Wirkung von écrit de conversion. 263  P(ierre?) de Pommiers, Les Veritables Motifs de la Conversion de Monsieur P. de Pommiers Docteur en Theologie de la Religion Prétenduë Reformée, Professeur en l’Academie de Montauban. s. l. s. a. (1660) (8 Seiten, in-8°), 2. 264  Von einer solchen Unterstützung der Konvertiten seitens eines Geistlichen gehen auch die (wenigen) anderen Forscher aus, die sich mit der literarischen Form Konversionsschrift auseinandersetzten, ohne sich jedoch auf weiterführende Belege stützen zu können, cf. beispielsweise Dompnier, Vénin, 171 »(le récit de conversion, redigé) par un néophyte dont la main est souvent guidée par quelque théologien«; ähnlich in der Discussion zu Desgraves, Aspect, in: Donville, Conversion, 109 / 110 sowie bei Boisson, Consciences, 252s. 265  Gelegentlich wurden die Texte auch von Familien- oder Gemeindemitgliedern verfasst und veröffentlicht oder – wie im Fall von Haren – von Korrespondenten, die vom Konvertiten per Brief über seine conversio unterrichtet worden waren. Zu den Besonderheiten der Briefform cf. infra, Kapitel 4.a).

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3. Entstehungsbedingungen einer literarischen Form

Für das Vorhandensein einer gewissen Anleitung und Aufsicht spricht ferner die Tatsache, dass sich in diesen Texten an keiner Stelle sachliche und nur wenige orthographische Fehler finden. Auch werden beispielsweise Bibelpassagen, wenn überhaupt, stets mit genauer Kapitel- und Versangabe und oft auf Latein und Französisch zitiert. Denn auch wenn es sich bei vielen Konvertiten um ehemalige ministres, Ordensleute, Ärzte oder Juristen handelte, kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie alle von sich aus im Stande waren, die Lehrunterschiede der beiden Konfessionen sowie ihre eigenen conversio-Erfahrungen inhaltlich korrekt266 und für jedermann verständlich zu vermitteln. Inwieweit die Verantwortlichen tatsächlich die Redaktion von Konversionschriften beeinflussten, ließe sich durch einen Vergleich zwischen der Manuskript- und Druckversion von Konversionsschriften feststellen. Eine solche Gegenüberstellung nahmen Labrousse und Millet anhand zweier Texte von 1665 und 1690 vor und stellten eben in Hinblick auf die Darstellung der Doktrin sowie der Protestanten als Häretiker deutliche Unterschiede fest.267 Ob sich dieser Befund auch auf die Zeit vor 1660 übertragen lässt, muss aber bis dato offenbleiben, da entsprechende Dokumente fehlen.268 Dass die Ereignisse im Zusammenhang mit einer conversio verständlich dargestellt wurden, war für den Erfolg einer Konversionsschrift von großer Bedeutung, wollte man mit diesen doch all diejenigen erreichen, die mit der Lektüre von actes de conférence und traités wohl überfordert gewesen wären. Auch wenn es dennoch zahlreiche Konversionsschriften gibt, in denen beispielsweise im Rahmen einer Auflistung der conversio-Motive die wichtigsten Lehrsätze der neuen Glaubensgemeinschaft aufgeführt sind, liegt der Schwerpunkt dieser Texte eindeutig auf der Darstellung der conversio-Erfahrung und damit auf der am Konvertiten gewirkten göttlichen Gnade. Wanegfellen, Convertis, in: Attias, Conversion, 187 / 188. Elisabeth Labrousse, »La conversion d’un huguenot au catholicisme en 1665«, in: Revue de l’histoire de l’Eglise de France 64 (1978), 55–69, passim, sowie Olivier Millet, »Propagande catholique, convictions protestants et duplicité textuelle. La ›Paix de Dieu‹ (1685 / 1690) du Comte Gédéon de Reffuge, nouveau converti«, in: Revue d’Histoire et de philosophie religieuses 85 (2005), 73–85, passim. Darüber hinaus wurden im Text von Gédéon zahlreiche Passagen gekürzt, in denen er sich zur Verfolgung der Protestanten und seinem persönlichen itinéraire spirituel geäußert hatte (ibid., 80). 268  Manuskripte von Schriften aus der Zeit zwischen 1600 und 1660 wurden bisher nicht aufgefunden, cf. Wanegfellen, Convertis, in: Attias, Conversion, 187, Desgraves, Aspect, in Donville, Conversion, 91 sowie eigene Erfahrungen. Für die Untersuchung der Darstellung des conversio-Moments sind sie zudem von sekun­ därer Bedeutung. 266  Cf. 267  Cf.

c) Ecrits de conversion als écrits de controverse269



Diese Ausrichtung auf die speziellen Bedürfnisse des Adressatenkreises zeigt sich beispielhaft anhand der bereits erwähnten Konversionsschrift des ministre Jean Poylevé. Als dieser an Wassersucht erkrankte, sorgte sich sein Sohn um dessen Seelenheil: Le premier Juillet, deux Peres Jesuites furent visiter Monsieur Poylevé, detenu depuis trois ou quatre mois dans sa chambre par une hydropisie formée, auquel ils n’eussent eu aucun accès, si Monsieur son fils aisné ne s’y fust employé, pour le grand desir qu’il avoit du salut de son Pere, qui depandoit de sa conversion, […]. Le malade receut ces Peres fort courtoisement […]. Les Religionnaires cependant prennent l’allarme de ce que les Pères Jesuites voyent le malade, & se mettent en devoir de leur en empescher l’accès., & firent tant par leurs menées, que de tous le Mercredy ils ne purent aborder […] le Jeudy matin, son fils aisné l’alla trouver, & lui presenta le danger où il estoit du salut eternel, s’il mouroit en la creance qu’il avoit tousiours professé […] (Les peres Jesuites) se rendirent bien tost au logis du malade, qui après les complimens ordinaires commença à proposer la principale difficulté qu’il eust qui estoit de la Trans-substantiation […]. Durant ces trois jours le Malade disoit par fois qu’il ne pouvoit si tost se resoudre, & qu’il le vouloit faire avec cognoissance de cause. Enfin le Samedy au soir apres plusieurs conferences qu’il avoit euës ce jour-là, ne pouvant plus resister à l’esprit divin […].269

Hier steht im Mittelpunkt, was anderen zum Vorbild dienen kann: der itinéraire spirituel des Konvertiten und die Bedingungen, die seine conversio möglich machten. Über Verlauf und Inhalt der conférences zum Herrenmahlsverständnis im Einzelnen fällt hingegen kein Wort, weil dies im vorliegenden Zusammenhang nicht von Belang und für manchen Rezipient nicht nachvollziehbar gewesen wäre. Wichtig ist der Hinweis, dass Gespräche stattgefunden haben, die dem Konvertiten die Möglichkeit gaben, die Wahrheit zu erkennen und damit zur conversio bereit zu sein.270 Die Auseinandersetzung mit der Schrift zur conversio von Poylevé macht erneut deutlich, dass, wie bei anderen literarischen Formen auch, der ›Erfolg‹ von écrits de conversion über ihre Primärfunktion als écrit de controverse hinaus an inhaltliche, strukturelle sowie sprachlich-stilistische Aspekte gebunden ist.271 Nur wenn die im Text verwendete langage vom Rezi­ Conversion de M. Poylevé, 6 / 7. vergleichbare Struktur liegt auch in den Schriften anlässlich der conversiones von Thevenot (1634) und Marcha vor. Auch dort wurde nur erwähnt, dass Gespräche stattfanden, die als Diskussionen zwischen Partnern unterschiedlicher Konfessionen über theologische Themen als conférence gelten können, der Inhalt dieser Debatten nicht detalliert referiert. 271  Dass an diese Texte ein gewisser sprachlich-stilistischer ebenso wie ein theologischer Anspruch gestellt wurde, wird beispielhaft an einer entsprechenden Kritik deutlich, die ein sich Theotime le Zelé nennender Autor über die – nicht erhalte  – 269  Bertrand, 270  Eine

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3. Entstehungsbedingungen einer literarischen Form

pienten erfasst wird, weil er ›spirituell‹ darauf vorbereitet ist oder durch die Lektüre entsprechend angeleitet wird, kann die Botschaft – hier der Appell zu conversio – sich entfalten und Früchte tragen. Es wird im nächsten Kapitel zu zeigen sein, welcher Mittel sich die Verfasser von Konversionsschriften bedienten, um das Erlebte für andere Gläubige – die ja in Bezug auf die Konzepte von conversio durch liturgische, aber auch bildkünstlerische und literarische Vermittlung über ähnliche Erfahrungen verfügten wie sie selbst – ›greifbar‹ und damit für ihren eigenen itineraire spirituel nutzbar zu machen.

Konversionsschrift von Iean Dodeman äußerte: Dessen »gribouillage« habe ihn »enhardy à repartir, est qu’il a semblé que ce Dodeman n’est point grand champion, ny digne de la plume d’un grand docteur«; Theotime le Zelé, Repartie à Maistre Iean Dodeman, soidisant curé de Bourguet, Chapelain de la Chapelle sur Torchy, Diocese de Rouen, Doyenné de Longueville. Sur sa Declaration faicte à Dieppe le 29 juin 1608. Des principaux motifs qui l’ont induit de sortir de l’Eglise Romaine, pour se ioindre à la prétenduë reformée. Rouen: Osmont 1609 (49 Seiten, in-8°). Der Herausgeber der Schrift von Marguerite de Terride, die diese anlässlich ihrer conversio zum Katholizismus verfasste, lobt hingegen den »style pur« der Dame, weshalb er dann wohl auch beschlossen hatte, den Text »sans rien changer« zu veröffentlichen, »estant bien de telle qualité, que sa conversion merite d’estre entendue«; (Anonym), »Au lecteur catholique«, in: (Marguerite de Terride), La conver­ sion de damoiselle Marguerite de Terride, vefve de feu Monsieur de Belle Assize, cy devant de la Religion Pretendue reformée & maintenant tres-bonne catholique, Avec deux siens fils, & außi deux siennes filles. Paris: Fleury Bourriquant 1605, 3–6 (12 Seiten, in-8°), hier 5.

Conversio als Ausdruck spiritueller und konfessioneller Identität

4. Ecrits de conversion – Spezifika einer literarischen Form Die Zweifelnden und Ungläubigen gewinnen, die Entschlossenen bestätigen, der Gegenseite Stärke zeigen: So lassen sich in knappen Worten die Absichten umreißen – natürlich nur Zwischenetappen auf dem Weg zum Fernziel conversio – die die Verfasser respektive Initiatoren von Konver­ sionschriften im 17. Jahrhundert mit der Publikation dieser Texte verfolgten. Ob sie im Einzelfall erreicht wurden, muss wohl offen bleiben. Tatsächlich findet sich nämlich an keiner Stelle der Hinweis, ein Konvertit sei durch die Lektüre eines zeitgenössischen écrit de conversion zu diesem Schritt angeregt worden. Dass man damals dennoch von der Effektivität des Konzepts Konversionsschrift überzeugt war, wird nicht nur an dessen konsequenter Umsetzung deutlich, sondern liegt wohl auch an seinen prominenten Befürwortern: Christus selbst sowie besonders Augustinus. Wie mehrfach angedeutet, genoss der Kirchenlehrer damals in beiden Konfessionen hohes Ansehen, zudem sein Name durch den gleichfalls bereits erwähnten Gnadenstreit in aller Munde war. Der spätere Bischof von Hippo hatte nämlich im achten Buch seiner Confessiones geschildert, wie er die Realisierung der an Petrus gerichteten Forderung (Lk 22, 31) am eigenen Leib erfahren hatte. Die conversio des Kirchenvaters war jedoch nicht durch das persönliche Vorbild eines seiner Begleiter angeregt worden, sondern nur durch einen Bericht, den ihm Simplicianus über die conversio des Römers Victorinus erstattete.1 Mit dem sich 1  Cf. Augustinus, Confessiones, VIII, 3–9. Simplicianus war der Taufpate des Mailänder Bischofs Ambrosius und wird von Augustinus als »servus tuus (i. e. dei) in quid lucebat gratia tua« vorgestellt. Bei Victorinus handelt es sich wohl um Victorinus Afer, Übersetzer griechischer Philosophen und Pauluskommentator (cf. Anmerkung 2 der »Erläuterungen des Herausgebers« zum achten Buch). Victorinus war bis ins hohe Alter »venerator idolorum« (Augustinus, Confessiones, VIII, 3) geblieben, hatte sich dann für die christliche Lehre interessiert, aber lange nicht dazu durchringen können, sich offen zum Christentum zu bekennen: »dicebat Simpliciano, non palam, sed secretius et familiarius ›noveris me iam esse christianum‹ et respondebat ille, ›non credam nec deputabo te inter christianos, nisi in ecclesia Christi videro‹ « (Die einige Jahrhunderte später von Calvin verurteilte Haltung der Nicodemites (nach Joh, 3, 1–21, auch temporiseurs genannt) existierte also bereits zu Zeiten von Augustinus und wurde von ihm gleichermaßen verurteilt). Zeichen der conversio von Victorinus war schließlich das furchtlose Bekenntnis des Glau-

274 4. Ecrits de conversion – Spezifika einer literarischen Form

anschließenden Kommentar rechtfertigt Augustinus gewissermaßen jedes Erzählen über gelungene conversio – und damit auch jeden écrit de conversion: »Sed ubi mihi homo tuus Simplicianus de Victorino ista narravit, exarsi ad imitandum: ad hoc enim et ille narraverat«.2 Bestätigung erhält die Aussage letztlich durch die Existenz der Confessiones per se, da diese gemeinhin als Beschreibung des augustinischen Weges zu Gott wahrgenommen wurde3 und damit gleichfalls als Bericht über eine gelungene conversio.4 Dass sich die kirchlichen Verantwortlichen beider Seiten vor diesem Hintergrund verbens vor dem römischen Volk. Der Bericht wird mehrfach durch Reflektionen unterbrochen. 2  Augustinus, Confessiones, VIII, 10. 3  Cf. Romano Guardini, Die Bekehrung des Aurelius Augustinus. Der innere Vorgang in seinen Bekenntnissen.  Mainz: Matthias Grünewald, Paderborn: Schöningh 4 1989, 11s. Es sei darauf hingewiesen, dass es sich bei der conversio Augustini um eine Rückkehr zu einem gottgefälligen Leben handelt. Denn auch wenn der Kirchenvater erst im neunten Buch, also nach der berühmten Szene im Mailänder Garten von seiner Taufe berichtet (cf. Augustinus, Confessiones, IX, 14), bedeutet dies nicht, dass Augustinus vorher der christlichen Religion nicht nahestand: »Er beginnt nicht mit antikem Götterglauben. Auch nicht mit einer freischwebenden, aus zersetzten Religionen stammenden Gedanken und Gefühlswelt […]. Augustinus läßt keinen Zweifel darüber, daß er zu keiner Zeit Heide und ebensowenig glaubenslos gewesen sei […] Es ist unerlaubt, das in Frage zu stellen« (ibid., 156). Augustinus wurde bereits gleich nach seiner Geburt in den Kreis der Katechumenen aufgenommen (cf. Augustinus, Confessiones, I, 17: »signabar iam signo crucis eius, et condiebar eius sale«), dass die Taufe zu einem späteren Zeitpunkt stattfinden sollte, war im vierten Jahrhundert durchaus üblich (cf. Guardini, Bekehrung, 163). Die conversio des Kirchenvaters ist damit Thema des gesamten Lebensrückblicks, Gegenstand des achten Buches ist die letzte Etappe der conversio und das Moment per se. Andere Einschnitte sind die sogenannte Hortensius-Episode (cf. Augustinus, Confessiones, III, 4) und die Entdeckung der Lehre Platons (cf. ibid, VII, 9). 4  Guardini, Bekehrung, 14s. Dass Augustinus selbst seine Confessiones in dieser Weise verstanden wissen möchte, ergibt sich unter anderem aus idem, Confessiones X, 5. Ein Indiz für das zunehmende Interesse an diesem Text sind die Editions- und Übersetzungsinitiativen, die mit der lateinischen Gesamtausgabe von Erasmus (1529) ihren Anfang nahmen, durch diejenige der Theologen von Louvain (1576 / 177) fortgesetzt wurden und in der Confessiones-Übersetzung von 1649 durch einen der solitaires von Port Royal, Robert Arnauld d’Andilly ihren vorläufigen Höhepunkt fanden. In protestantischen Kreisen wurde weiterhin die Erasmus-Ausgabe verwendet (41571), cf. Jean-Louis Quantin, »L’Augustin du XVIIe siècle? Questions de corpus et de canon«, in: Laurence Devillairs (ed.), Augustin au XVIIe siècle. Actes du Colloque organisé par Carlo Ossola au Collège de France les 30 septembre et 1er octobre 2004. Florenz: Olschki 2007, 3–77, vor allem 74–77. Die Idee der conversio ist zudem nicht nur in den Confessiones präsent, vielmehr lässt sich der Dreischritt creatio – conversio – formatio als Leitmotiv augustinischen Denkens, und damit auch des Werkes, fassen. Mit dem Konzept conversio konnte also auch vertraut werden, wer sich mit einem anderen Werk des Kirchenlehrers auseinandersetzte, cf. Marie-Anne Vannier, »La conversion d’Augustin. Principe herméneutique de son œuvre«, in: Attias, Conversion, 282–294, passim, insbesondere 284.

4. Ecrits de conversion – Spezifika einer literarischen Form

275

pflichtet sahen, die Entstehung von Konversionsschriften zu fördern, liegt auf der Hand.5 Die Überzeugung über die adäquaten Mittel zu verfügen ebenso wie die beschriebene günstige historische Situation bilden zwei wesentliche Voraussetzungen für den Erfolg der literarischen Form Konversionsschrift. Eine dritte – und wesentliche – liegt in der Gestaltung der Texte per se. Um mit ihrer Hilfe die gesteckten Ziele zu erreichen, wurden sie, wie gezeigt, bis zu einem gewissen Grade als ›Streitschriften‹ konzipiert. Entscheidend für den Erfolg der neuen Form war jedoch ihre inhaltliche und sprachlich-stilistische Ausrichtung an den Kenntnissen und spirituellen Bedürfnissen der Konvertiten selbst sowie mehr noch an einer theologisch eher ungeschulten Leserschaft. Wie diese Orientierung an den historischen, gesellschaftlichen und religiösen Erfordernissen konkret realisiert wurde, sei im Folgenden auf der Grundlage eines Korpus’ von 43 exemplarisch ausgewählten Texten erarbeitet.6 Wie viele Konversionsschriften in den Jahren zwischen dem Erlass des Edit de Nantes und dem Beginn von dessen Umsetzung à la rigueur verfasst und veröffentlicht wurden, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Desgraves, der sein répertoire auf der Basis von Bibliothekskatalogen und Nachlassverzeichnissen7 erstellte, ermittelte 213 écrits de conversion, davon 146, die anlässlich eines Übertritts in die katholische Kirche, 67, die in Folge eines Eintritts in die Eglise réformée verfasst wurden. Da es Desgraves um eine Bestandsaufnahme der écrits de controverse ging, stehen in seinem répertoire titres de départ8, das heißt Primärtexte, deren unmittelbarer Gegenstand eine conversio ist, und die von ihnen provozierten Folgeschriften unterschiedslos nebeneinander. 5  Inwieweit das Schreiben der Konvertiten oder ihrer Helfer von augustinischen Konzepten geprägt ist, wird in Kapitel 4.b)bb) zu zeigen sein. 6  Viele der Schriften wurden im Rahmen dieser Studie bereits verwendet. Die Schriften des Korpus sind in BNF; BSHPF; BSG (Bibliothèque Ste Geneviève) und BM (Bibliothèque Mazarine) greifbar. Da die BSHPF seit ihrer Gründung im 19. Jahrhundert als Sammelstelle für Dokumente zum französischen Protestantismus fungiert, wurden die Bestände vieler Bibliotheken der province dort zusammengeführt, lediglich La Rochelle bewahrt Schriften, die mit der Belagerung der Stadt und dem Religionskonflikt in Verbindung stehen, weiterhin konsequent selbstständig in ihrer Stadtbibliothek auf. Einige Schriften des Korpus stammen demnach aus dem Bestand der BMLR (Bibliothèque municipale de La Rochelle). 7  Da es sich bei écrits de conversion, wie gezeigt, mehrheitlich um einfache Heftchen handelt, wurden sie oft in entsprechende Listen gar nicht aufgenommen, weil man sie als Gebrauchsliteratur betrachtete und ihnen deshalb keinen Wert für die Nachwelt zusprach (cf. Martin, Livre, 535–538). Auf diese Weise gingen wohl zahlreiche Werke nach dem Tod ihrer Besitzer verloren. 8  Begriff nach Desgraves, Répertoire II, passim.

276 4. Ecrits de conversion – Spezifika einer literarischen Form

Lässt man diese Antworttexte unberücksichtigt, da sie aufgrund ihrer differierenden Zielsetzung für eine Analyse der Darstellung und Vermittlung von conversio-Erfahrung nur von sekundärer Bedeutung sind,9 und betrachtet zudem auch nur die Schriften, die von conversion individuelle10 handeln, weil Massenkonversionen11 wie bereits an anderer Stelle angemerkt, eigenen Gesetzen folgen, ergibt sich eine Zahl von etwa 65 écrits de conversion, die als Grundlage für die Analyse in Frage kämen. Da ­einige der von Desgraves ermittelten Texte sich während der Arbeit am Material als réedition12 entpuppten oder die gleiche Schrift unter verschie-

9  Zwei solcher Werke fanden dennoch Eingang in das Korpus der verwendeten Texte: Die bereits zitierte Repartie von Theotime de Zelé sowie der Brief von Isaac Huisseau (Lettre de Monsieur d’Huisseau, Ministre de Saumur, à Léonard de Limbourg, cy-devant proposant à Sedan: sur le sujet de sa conversion à la foy catholique. Torcy: Poncelet 1639 (8 Seiten, in-8°)), da die Primärpublikationen beider Schriften nicht auszumachen respektive stark beschädigt und deshalb über weite Strecken unlesbar sind. Lettre und Repartie enthalten aber eine Version der vorausgehenden Texte in Kursivdruck, die auf diese Weise – mit aller gebotenen Vorsicht – in der Analyse berücksichtigt werden können. 10  Als conversions individuelles gelten sowohl conversiones einer Einzelperson als auch von einem groupe unanime, cf. zum Beispiel die conversiones von Geoffroy de Vaux oder Marguerite de Terride mit ihren Familien; cf. De Vaux, Celebre Conversion sowie De Terride, La Conversion, jeweils passim. 11  Von den 146 écrits de conversion, die anlässlich eines Eintritts in die katholische Kirche verfasst wurden, handeln 28 von Massenkonversionen, sechs Schriften davon sind wohl in Reaktion auf vorausgehende Publikationen verfasst worden. 12  Wird eine Schrift in mehr oder weniger identischer Form mehrmals wieder aufgelegt, lässt sich dies wohl grundsätzlich als Erweis für deren Verkaufserfolg deuten: kein Drucker respektive Verkäufer nimmt freiwillig einen ›Ladenhüter‹ in sein Programm auf. Seitens der Verfasser von écrits de conversion wird eine solche Neuauflage oft von dem Wunsch genährt, durch die Veränderung der ein oder anderen Formulierung oder die Akzentuierung einzelner Passagen auch den spirituellen Erfolg ihrer Schriften zu erhöhen – was einmal mehr das Prinzip der conversio per conversionem beweist. Antoine Poignant schaltet darüber hinaus gar die auctoritas der theologischen Fakultät der Sorbonne ein um seine ehemaligen coreligionnaires von ihren Irrtümern zu überzeugen und zur conversio zu bewegen: »Et d’autant que la plupart d’entre vous se sont repens d’esperance de mon retour avec vous à Charenton, c’est ce qui m’a fait corriger & augmenter, ce livret & vous cotter les passages faux de votre croyance, & de le faire aprouver par la sacrée faculté de Paris avant le reimprimer pour la troisiesme fois pour vous desabuser de l’esperance que vous avez  : & pour vous tesmoigner que mon but n’est autre chose que de rendre à Dieu la gloire qui lui est deuë, & que tout mon propos ne procede que d’un desir ardent que vous soyez sauvez, & que Dieu soit servy car ie n’ay autre interest que vostre salut«; Poignant, Antoine, Raisons et motifs de la conversion à la Foy Catholique, Apostolique & Romain du Sieur Antoine Poignant. Tiré en divers lieux de la Saincte Escriture par ledit Sieur Poignant, bourgeois de Paris. Paris: Gobert 3 1648 (142 Seiten, in-32°), 4 / 5.

4. Ecrits de conversion – Spezifika einer literarischen Form

277

denen Titeln figurierte13, reduzierte sich die Gesamtzahl der möglichen Texte auf 54, davon 33, die von einem Übergang zum Katholizismus künden, 21 entsprechend vom Eintritt in die Eglise réformée. Es sei jedoch angemerkt, dass das répertoire von Desgraves nur als Richtschnur diente, das für die Arbeit erstellte Korpus enthält demnach auch Schriften, die bei Desgraves nicht verzeichnet sind, andere fehlen, da sie nicht (mehr) greifbar sind. Da es angebracht schien, den gesamten Zeitabschnitt, in dem die Konversionsschrift als literarische Form existierte, in den Blick zu nehmen, wurden dementsprechend auch Texte aus dem 16. Jahrhundert in die Analyse einbezogen.14 Bei allen bearbeiteten Werken handelt es sich um gedruckte livrets, die mehrheitlich während der Hochzeit der écrit de controverse verfasst und unter den im vorausgehenden Kapitel dargestellten Bedingungen publiziert wurden, einige Texte entstammen zudem der Phase zwischen dem Ende des Rohan-Kriegs und dem Beginn der Umsetzung des Edit de Nantes à la rigueur. Mit Blick auf die genannten Ziele seien im Folgenden zunächst exemplarisch strukturelle und stilistische Aspekte der Texte (4.a)) sowie die in diesen verwendete Bildsprache (4.b)) untersucht. Anschließend sei mit der Analyse von conversio als Abkehr von der Welt (4.c)) zunächst ein Aspekt aufgegriffen, der in vorliegender Form fast ausschließlich in Schriften thematisiert wird, die anlässlich eines Übertritts in die Eglise réformée verfasst wurden; mit conversio als spectacle im Gegenzug ein typisch katholisches Phänomen (4.d)). Vorausgesetzt – und deshalb nicht erneut zum Gegenstand der Betrachtung – wird hingegen das Verständnis von conversio als göttliche Gnaden13  Oft wurden die Titel von Texten, die sich nicht gut verkauften, gekürzt, weil in der ersten Fassung die Primärinformation nicht deutlich genug hervortrat, um die Botschaft en passant unter die Leute bringen zu können. 14  Die Zahl der im 16. Jahrhundert entstandenen, noch erhaltenen Texte ist allerdings sehr gering. Forscher, die sich mit écrits de conversion auseinandersetzten, bezeichnen einstimmig die Schriften von Du Rosier (1573), Jean Haren (1586), und De Vaux (1597) als die wenigen Zeugnisse dieser Art (cf. die Aussagen von Greengrass (idem, Abjuration, in: Cameron, Valois, 118s; Desgraves (idem, Aspects, in: Donville, Conversion, 90s); Wanegfellen (idem, Convertis, in: Attias, Conversion, 183 / 184.). Alle drei genannten écrits de conversion sind Teil des Korpus. Zwei weitere, bisher unerwähnt gebliebene Dokument aus dieser Zeit sind die auf Latein verfasste Narratio anlässlich des Übertritts der princesse de Condé Charlotte Catherine de la Trémouille in die katholische Kirche (Rouen 1596, cf. dazu ausführlich Kapitel 4.d)) sowie die Schrift von Victor Pierre Cayer (Poitiers 1596, cf. dazu Kapitel 4.b)).

278 4. Ecrits de conversion – Spezifika einer literarischen Form

gabe. Diese Vorstellung wurde nämlich nicht nur im ersten Kapitel dieser Studie ausführlich erarbeitet. Im Zusammenhang mit den institutionellen Grundlagen von conversio sowie bei der Beschäftigung mit den Aussagen der Konvertiten zur Entwicklung ihrer spirituellen Bedürfnisse, die sie schließlich zur conversio führten, wurden auch bereits zahlreiche Textbelege aus den Konversionschriften geliefert. Dass die (damaligen) Gläubigen conversio als göttliche Gnadengabe auffassten, steht dementsprechend außer Zweifel, zu fragen bleibt, welcher sprachlichen Mittel sie sich bedienten, um diesen Sachverhalt auszudrücken.15

a) »Ami lecteur chrestien …«16 – Struktur und Stil von écrits de conversion Schon bei der ersten Durchsicht der Schriften des Korpus’ fällt auf, dass ein Großteil von ihnen ganz oder teilweise in Briefform verfasst sind – erkennbar an der typographisch abgesetzten Anrede- und Schlussformel. Eine Erklärung für diese Vorliebe der Konvertiten für das genre épistolaire ist rasch gefunden: In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts entwickelte sich der Brief nicht nur in allen sozialen Schichten zu einem verbreiteten Gebrauchsgegenstand, sondern auch zu einer angesehenen literarischen Form.17 Die Entscheidung, eine Konversionsschrift als Brief herauszugeben, war dementsprechend wohl vielfach dem Wunsch erwachsen, ihr durch die Verwendung dieser prestigereichen Form positive Aufnahme zu sichern.18 dazu infra, Kapitel 4.b) und c). Vaux/L’imprimeur, Celebre Conversion, 3. 17  Cf. Bernard Bray, Epistoliers de l’âge classique. L’Art de la correspondance chez Madame de Sévigné et quelques prédécesseurs, contemporains et héritiers. Etudes revues, réunies et présentées avec la collaboration d’Odile Richard-Pauchet. Tübingen: Narr 2007, 12. Die Grundlage für diese Entwicklung bildeten neben dem Erfolg von Erasmus’ De conscribendis epistolis (1520) die sich ausbildenden salons, die den épistoliers ein angemessenes Forum boten. Einen ersten Höhepunkt erreichte das genre épistolaire mit Henri-Louis Guez de Balzac (Lettres, 1624) und Nicolas Faret (Recueil de lettres nouvelles, 1627), deren als Sammlung publizierten Texte Vorbildcharakter erlangten; cf. Emmanuel Bury, »La prose d’art«, in: idem, Roger Zuber / Deniz Lopez / Liliane Picciola, Littérature du XVII e siècle. Paris: PUF 1992, 299–407, hier 305–307. 18  Cf. dazu Roger Zuber, Les émerveillements de la raison. Classicismes littéraires du XVIIe siècle français. Paris: Klincksieck 1997, passim, insbesondere 69s. Wie Raymund Wilhelm in seiner Studie über italienische Flugschriften des 16. Jahrhunderts herausstellte, war die Briefform für Flugschriften – erkennbar an der Formulierung »copia di una lettera« im Untertitel auf der Apenninenhalbinsel weit verbreitet (Cf. idem, Italienische Flugschriften des Cinquecento (1500–1550). Gattunggeschichte und Sprachgeschichte. Tübingen: Niemeyer 1996, 208s. Nicht nur 15  Cf. 16  De



a) Struktur und Stil von écrits de conversion279

Darüber hinaus bot die Briefform weitere Vorteile: Nachdem Cicero den Brief einmal als ›Gespräch mit einem abwesenden Freund‹ charakterisiert hatte19 war diese Formel im 17. Jahrhundert bereits zum Gemeinplatz geworden und sicher hatte der eine oder andere Verfasser oder Herausgeber einer Konversionsschrift diese im Sinn, als er zur Feder griff, um seinen Text einladend mit »ami lecteur chrestien« zu eröffnen.20 Auf diese Weise wurde nämlich gleich von Anfang an ein enges Band zwischen Autor und Leser geknüpft, das letzteren dem Text und dessen Inhalt gewogen machte.21 Die Briefform ›befreite‹ den Schreiber zudem bis zu einem gewissen Grad von der Verpflichtung zu Vollständigkeit und Kohärenz. Dem ›Gesprächscharakter‹ entsprechend war es möglich, beispielsweise die conversio-Motive hier und da in den Text einzuflechten, anstatt sie in einer Liste in logischer Ordnung zusammenzustellen, wie es beispielsweise für theologische Traktate üblich war. Nichtsdestotrotz standen zahlreiche Konver­ sionsschriften diesen aufgrund des auch dort verwendeten lakonischen Stils formal sehr nahe. Offensichtlich als Brief gekennzeichnet wurden sie jedoch durch die gelegentlich hinzufügte suscription sowie die entsprechende adlocution finale.22 In zahlreichen Werken gehen die Briefmerkmale aber auch über die genannten Äußerlichkeiten hinaus, werden beispielsweise die äußeren Umstände der Korrespondenz beschrieben. Bei diesen Texten ist davon auszudie enge Verbindung zwischen französischem und italienischem Kulturraum im 16. und 17. Jahrhundert, sondern vor allem die Gemeinsamkeiten hinsichtlich materieller Beschaffenheit, Adressatenkreis und Rezeptionsform (cf. supra, Kapitel 3.c)) lassen vermuten, dass hier eine wechselseitige Beeinflussung stattgefunden haben mag. 19  Cf. (Marcus Tullius Cicero), Cicero Attico (VIII. Id.V.45), in: Epistola ad Atticum XII / 39, in: idem, M. Tulli Ciceronis Epistulae ad Atticum, edidit David Roy Shakleton Bailey, 3 vols, Stuttgart: Teubner 1987, hier vol. II, (libri. IX–XVI), XII, 39, 2: »loquor tecum absens«. 20  Als weitere Beispiele für einen solchen Auftakt seien neben der mit »ami lecteur« eröffneten Schrift von François Clouet cf. (idem (en religion le Pere Basile de Rouen), Le retour au giron de l’Eglise du Pere Basile, cy-devant Apostat & maintenant Capucin. Contentant 25. Articles de ses protestations & dernieres volontez, fait par luy estant en son lit de malade. La Rochelle: Toussaincts de Govy (Imprimeur et Marchand Libraire près les Iesuites) 1648 (29 Seiten, in-8°), 3, die Repartie von Theotime le Zelé sowie der Brief des Herausgebers der Schrift von de Terride genannt: Théotime le Zelé beginnt seine Repartie mit »lecteur catholique«; idem, Repartie, erste Seite nach dem Titelblatt, n. p. Der Herausgeber des écrit de conversion von Marguerite de Terride stellt dem Text der Dame einen Brief »Au lecteur catholique« voran, in dessen erster Zeile er die recht neutrale Anrede durch den Einschub »Amy lecteur« affektiv auflädt; cf. Anonym, »Au lecteur catholique«, in: De Terride, La conversion, 3. 21  Cf. Bray, Epistoliers, 48 / 49. 22  Cf. Bray, Epistoliers, 78s.

280 4. Ecrits de conversion – Spezifika einer literarischen Form

gehen, dass es sich tatsächlich um Briefe handelte, deren Publikation von einem der Briefpartner veranlasst wurde.23 An ihnen lassen sich die Vorteile, die sich aus der Anverwandlung der Merkmale des genre épistolaire für die Beteiligten ergaben, sehr genau festmachen. Durch die dem Brief eigene (fingierte) Unmittelbarkeit entsteht nämlich beim Leser der Eindruck, gewissermaßen am Geschehen beteiligt zu werden.24 Dies zeigt sich beispielhaft in einem wohl schon kurz nach seiner Niederschrift gedruckten und veröffentlichten Brief eines Sieur de Vrillac an seinen Vater. In diesem unterrichtet er ihn über seine conversio-Pläne: Or comme i’espere vous avoir pour tesmoins irreprochables de ma bonne conversation durant le temps que i’ay esté au milieu de vous, aussi estoit-ie enflammé d’un desir tres-ardant de vous faire paroistre que ce n’est aucune legereté ny precipitation qui me porte à ce changement de Religion. Mais que ie me laisse vaincre à la force de la verité & aux mouvemens de l’esprit de Dieu […].25

In erster Person Singular verfasst und immer wieder den Kontakt mit dem Adressaten – »vous« – suchend, kann die Tatsache, dass nicht der Leser selbst, sondern der ursprüngliche Adressat mit dem »vous« gemeint ist, hier vorübergehend in Vergessenheit geraten. Die Teilhabe des Lesers an den Gedanken des Konvertiten und damit auch die (unbewusste) Überprüfung eigener Vorstellungen wird dadurch in jedem Fall begünstigt – was ein erster Schritt in Richtung conversio sein kann. Das zum Auftakt der Schrift Gesagte gilt auch für deren Ende: Oft schließt ein Werk mit einer in diesem genre üblichen Gruß- oder Segensformel – »Dieu par sa bonté vous face part de ceste grace«26 – die den Text plakativ zusammenfasst und den Leser mit einem Gefühl von Verbundenheit mit dem Verfasser, aber auch mit Gott, entlässt. Während aber die Segensbitte hier an einen – unbekannten – Leser gerichtet ist, bezieht sie sich im Text des ehemaligen Karmeliterpaters Michel Le Camus auf »Messieurs de l’Eglise romaine«27, an die er seine in Briefform verfasste Schrift richtet. 23  Cf. beispielsweise die bereits zitierte Schrift zur conversio von Vignier sowie die Lettre von Thevenot. 24  Cf. Bury, Prose d’art«, in: idem / Zuber / Lopez / Picciola, Littérature, 305. 25  (De Vrillac, Vorname nicht bekannt), Epistre envoyée par le sieur de Vrillac, Advocat au Parlement de Paris, au sieur de Vrillac son pere. Sur le suiect de sa conversion. Sedan: ohne Druckervermerk 1623 (30 Seiten, in-8°), 28. 26  (Antoine Rudavel), Declaration des Motifs qui ont porté Antoine Rudavel ministre de la Salle ès Cevennes à l’Abjuration de la Religion prétendue Réformée. Faite par luy solennellement dans l’Eglise de Montpellier. En mains de Monsieur Rebussi, vicaire general de Monseigneur L’Evesque. Le 10 Avril 1627. Paris: Ramier 1627. Jouxte la copie imprimée à Montpellier: Pech 1627 (30-Seiten, in-8°), 30. 27  (Le Camus, Michel), Déclaration du S r Michel Le Camus, cy-devant appelé père Eusebe de S. Michel, de l’Ordre des Carmes reformez, Predicateur et Prestre



a) Struktur und Stil von écrits de conversion281

Auch wenn diese dem Übertritt des ehemaligen »Père Eusebe de S. Michel«28 sicher eher negativ gegenüberstehen, bittet er für deren Seelenheil und damit letztlich um ihre conversio: Ie le suplie du meilleur de mon cœur que tous en general & en particulier, en vos familles & en vos personnes, à la campagne & dans les maisons, il vous comble en ce monde des benedictions & grace du Ciel & de la terre, & vous couronne en la vie à venir dans la gloire eternelle. Ainsi soit il29

Wie in der Schrift von De Vrillac wird auch hier durch die Verbindung von »ie«, »vous« und »il« eine Gemeinschaft hergestellt und geraten die tatsächlichen Adressaten durch die Verwendung der gängigen Gebetsabschlussformel »Ainsi soit-il«, die zudem gar typographisch abgesetzt ist und deshalb besonders ins Auge fällt, in Vergessenheit, was die Wirkung zusätzlich steigert, wird der Leser den Text doch als auch ihn einschließendes Gebet auffassen. In beiden Beispielen entsteht somit nicht nur communio, es wird auch ein Verhältnis zwischen den drei involvierten Parteien hergestellt, in dem der Konvertit – nach Lk 22, 31 – zum Mittler und Helfer derer wird, die die göttliche Gnade der conversio noch nicht erfuhren. Diese Funktion des Umkehrers schlägt sich selbstverständlich nicht nur in der Schlussformel, die wie angedeutet durch ihre Position natürlich ebenso wie die Anrede den Vorteil hat, dem Leser sofort ins Auge zu fallen, sondern auch in weiteren Passagen nieder. Derlei Abschnitte finden sich in der Regel gleichfalls auf den letzten Seiten des Werkes, um auf diese Weise den Lesern besser in Erinnerung zu bleiben oder – selten – relativ am Anfang der Schrift, wo sie dann gleichsam der captatio benevolentiae dienen. Als Beispiel für eine solche Verwendung sei erneut die Schrift von François Clouet angeführt. Nachdem der Kapuziner die Sorge geäußert hatte, dass seine ehemaligen coreligionnaires ihn aufgrund seiner conversio mit Streit- und Schmähschriften verfolgen und die sincérité seines Schritts in en l’Eglise romaine: Contenant les moyens de sa conversion à la Religion reformée, adressée à Messieurs de l’Eglise romaine. Avec les paroles de son abjuration et profession prononcées par luy en l’Eglise reformée de Bloys, sur le poinct de la saincte communion. Charenton: Vandosme 1640 (48 Seiten, in-8°), 3. 28  Le Camus, Declaration, Titel. 29  Le Camus, Declaration, 47 / 48. Die gleiche Funktion wie ein typographisch abgesetztes »Ainsi soit-il« erfüllt natürlich auch ein »Amen«, cf. beispielhaft im Text von Père Abraham (idem, Declaration chrestienne Du pere Abraham, jadis Prieur des Carmes, en a ville d’Arles: publiquement faicte en l’Eglise Reformée d’Uzez. 1600, in: Anonym, Diverses revocations, 5–8). Er beschließt seinen Text mit »Amen Amen Amen« hier zusätzlich gesteigert durch repititio (ibid., 8).

282 4. Ecrits de conversion – Spezifika einer literarischen Form

Zweifel ziehen würden,30 bittet er seine Leser, die von ihm verfassten »articles« in angemessener Weise aufzunehmen: Ie te prie, lecteur de tout mon cœur, par la charité ne (sic  !) nostre Dieu & Seigneur Iesus – Christ; & tous ceux qui entendront lire & parler desdits articles; de s’en servir à salut & edification; en attendant que sous la faveur & bon plaisir de Dieu, ie puisse publier un œuvre plus ample pour sa gloire, & pour le bien de mon prochain31

Insbesondere durch die biblisch geprägte Formulierung »pour le bien de mon prochain« verdeutlicht der Autor hier, dass er seine Schrift zum Wohle anderer, eben seiner Leser verfasste, die aus der folgenden, geneigten Lektüre mit Gottes Hilfe spirituellen Nutzen werden ziehen können. Auch hier liegt also, wie bereits in der Schlussformel, ein Dreiecksverhältnis zwischen Gott, Rezipient und Konvertit vor, wobei letzterem bzw. dessen Schrift die Rolle des Helfers zukommt.32 Während sich Clouet ganz allgemein an all diejenigen wandte »qui entendront lire & parler desdits articles« und damit eine erbauliche Funktion seines Werks für seine ehemaligen und gegenwärtigen coreligionnaires annimmt, richtet sich die Schrift von Thevenot, bei der es sich ursprünglich um einen Brief an dessen ehemalige Kollegen handelt, explizit an die Anhänger der religion prétendue reformée. Durch die Anrede »Compagnons d’erreur«33, mit der hier die letzten Zeilen des Textes, einer Schlussformel ähnlich, eingeleitet werden, können sich aber gleichsam alle protestantischen Leser angesprochen fühlen und damit auch zu Teilhabern an der von Thevenot formulierten Bitte werden: Compagnons d’erreur. Le changement de religion n’a en rien diminué mon affection envers vous, mais formant ma Foy, & augmentant ma Charité, me fait incessament prier sa souveraine Bonté qu’elle touche vos Cœurs & nous unisse tous en Iesus Christ, & en sa vraye Eglise qui est la Catholique, Apostolique et Romaine […].34

Hier wird das gewünschte Ziel, anders als bei Clouet, die zur union in Christus führende conversio, explizit genannt. Offen bleibt, ob diese Verei30  Cf. Clouet, Le retour, 3–6: »toute-fois de peur que quelqu’un ne prenne pendant ce temps-là occasion de parler ou d’escrire de ma Conversion & retour à une voye & vie meilleure, autrement que ie ne desire & entends que les fidelles en soient persuadez«. 31  Clouet, Le retour, 6. 32  Auf diese Funktion einer Konversionsschrift haben später auch Räß, Lamping und Lelotte in den Vorworten der von ihnen zusammengestellten Konvertitenbiographien hingewiesen (cf. supra, Einleitung), was einmal mehr die Kontinuität überkommener Modelle im univers des conversions beweist. 33  Thevenot, Lettre, 8. 34  Thevenot, Lettre, 8. Auf den zitierten Absatz folgen noch vier Zeilen.



a) Struktur und Stil von écrits de conversion283

nigung einzig durch die versprochene spirituelle Unterstützung im Gebet des Konvertiten oder auch durch die Lektüre des Briefes respektive der daraus hervorgegangenen Schrift angeregt werden kann. Klare Worte findet in dieser Hinsicht der ehemalige pasteur und zeitweilige Mitarbeiter von Henri IV, Hugues Sureau, bekannt als Du Rosier35: Or ie desire que ce discours soit leu & entendu de tous ceux qui ont fait profession en pretendue Religion mesme. A fin que cela puisse servir d’exemple, lequel ils imitent au moins sur la fin (si plus-tost ils n’ont peu) pour se retirer en l’Eglise Catholique, hors laquelle il n’y a point de salut.36

Wenn der Konvertit den Wunsch äußert, sein »discours« solle von allen Anhängern der »religion prétendue« gelesen oder gehört werden, stellt er diesen – und damit auch sich selbst – eindeutig in die Tradition der augustinischen Confessiones. Hier wie dort ergibt sich die Überzeugungskraft aus dem Berichteten selbst, zusätzliche Erklärungen oder die Bitte um göttlichen Beistand erscheinen nicht nötig. Die Parallele mit Werk und Wirken des Kirchenvaters geht bei Du Rosier allerdings noch weiter. Er sieht in dessen Worten »la reigle & adresse en toutes telles disputes touchant la religion«37 und dessen harscher Auseinandersetzung mit den Manichäern, einer häretischen Gruppe, der er selbst einmal angehört hatte,38 entsprechend eine Rechtfertigung für seine eigene Haltung gegenüber seinen ehemaligen coreligionnaires. Du Rosier vollzog seine conversio zum Katholizismus nur wenige Monate nach der Bartholomäusnacht und damit zu einer Zeit, in der man leicht in Verdacht geriet, aus opportunistischen Gründen oder gar Angst die Konfession zu wechseln. Der ständige Rekurs auf den Kirchenvater Augustinus lässt sich demnach auch als Versuch werten, für beide Seiten einen Leseanreiz zu schaffen – und sich selbst dadurch weniger angreifbar zu machen. Die Debatte um eine Kontinuität zwischen den altkirchlichen und neuzeitlichen Häresien inter-

35  Zur Person des pasteur und seiner Verbindung zu Henri IV cf. Wolfe, Conversion, 16 / 17. 36  Du Rosier (i. e. Sureau, Hugues), Confession de Foy faicte par H. S. Du Rosier, avec abiuration et détestation de la Profession hugenotique: faicte tant par devant Prélats de l’Eglise Catholique et Romaine, que Princes du Sang Royal de France et autres, ensemble la réfutation de plusieurs points mis en avant par Calvin et Bèze, contre la foy et Eglise Apostolique. Paris: Sébastien Nivelle 1573 (37 r/v Seiten, in-8°), 31v. 37  Du Rosier, Confession de Foy, 3r. Cf. dazu Wanegfellen, Convertis, in: Attias , Conversion, 197. 38  Cf. Augustinus, Confessiones, V, 3–24. Einen knappen Überblick zum Werdegang Augustinus’ bietet Michael von Albrecht, in: idem, Geschichte der römischen Literatur. 2 vols. München: dtv 32003, II, 1318–1321.

284 4. Ecrits de conversion – Spezifika einer literarischen Form

essierte nämlich beide Parteien gleichermaßen – und war 1572 keinesfalls abgeschlossen.39 Es wäre sicher möglich, noch zahlreiche weitere Beispiele anzuführen, in denen der Konvertit respektive Verfasser einer Konversionsschrift in der gezeigten Weise Verantwortung für die conversio seiner Mitmenschen und damit auch für die Gemeinschaft übernimmt. Sie alle beruhen auf dem genannten Prinzip der conversio per conversionem, wobei allerdings offen bleiben muss, inwieweit sich die Beteiligten dieser Traditionslinie bewusst waren. Es ist wohl anzunehmen, dass die Integration entsprechender Formulierungen bis zu einem gewissen Grad als Nachahmung erfolgte, weil sie ›dazugehörten‹ und vom Leser erwartet wurden. Wie schon an den drei analysierten Beispielen ersichtlich, vermitteln sie alle eine vergleichbare Botschaft, sind aber formal verschieden. In den Schriften, die anlässlich eines Übertritts zum Katholizismus verfasst wurden, wird das Ziel der conversio in aller Regel in der auch bei Thevenot und Du Rosier verwendeten Form notiert: l‘Eglise catholique (apostolique et romaine). Da diese Bezeichnung generell üblich war und, wie dargestellt, auch in den Abschwörungsformeln Verwendung fand, war sie den Autoren wohl vertraut, während die Zugabe des bekannten Axioms »hors de l’Eglise, pas de salut« – wie gezeigt, seit jeher als Kampfparole verwendet – je nach Bildungsstand des Konvertiten, möglicherweise die Hand eines theologisch geschulteren Helfers verrät. Der Satz findet sich in den Schriften des gesamten betrachteten Zeitabschnitts, seit 1610 allerdings immer seltener in der von Cyprian geprägten Form. Stattdessen finden sich Formulierungen wie: • Nul ne peut avoir Dieu pour pere qui n’a l’Eglise pour mere. Il n’y a point deux Barques pour parvenir au port salutaire.40 39  Eine vergleichbare Orientierung an den antihäretischen Schriften von Augustinus lässt sich erneut im Bericht über die conversio der ministres Pierre Cellete und Gilles Rigot (1611) ausmachen, was die anhaltende Aktualität der Häresieproblematik auch nach dem Erlass des Edit de Nantes beweist: »Sainct Augustin a esté le comble de nostre resolution, d’autant que nous prismes les mesmes causes pour nostre réduction et conversion en l’Eglise Catholique et Romaine«, cf. Matthieu Le Heurt, L’Heureuse Conversion de deux ministres appellez M. Pierre Cellette cy devant ministre de Bergerac en Perigord et M. Gilles Rigot, ministre de Clerac en Agenois. Lesquelz se sont rendus à la Foy Catholique, Apostolique, Romaine, quietans les Erreurs de la Pretenduë Reformée, ayant vescu es abus d’icelle vingtdeux ans, Avec la Confessions de Foy qu’ils ont faicte et abjuration de l’heresie Calvinienne en l’Eglise de Perigord le XVI de May 1611. Paris: Antoine Vitray 1611 (14 Seiten, in-4°), 11. 40  Daniel Bourguignon, L’heureuse conversion de sieur Daniel Bourguignon, cy devant Ministre de la Religion pretendue reformée, es villes de Gien & Iargeau & autres lieux, préz d’Orléans. A la foy Catholique Apostolique & Romaine. Paris: Guiffart 1613 (16 Seiten, in-8°), 12. Bourguignon verbindet die Formel hier mit zwei oft verwendeten Bildern, dem Bild der nährenden, heilsvermittelnden Mutter Kirche



a) Struktur und Stil von écrits de conversion285 • Considerez avec attention en la presence de Dieu, vostre souverain juge qu’il s’agit de l’Eternité, & du salut de l’ame, salut qu’on ne rencontre hors l’Eglise.41 • Plaise à la divine bonté leur dessiller les yeux, & les eclairant de la celeste lumiere, leur faire cognoistre qu’hors l’Eglise Romaine, il n’y peut avoir aucune esperance de salut?42 • L’EGLISE ROMAINE; HORS LAQUELLE je recognois & confesse QU’IL N’Y A NY VERITÉ NY SALUT.43

Die ursprüngliche Botschaft bleibt hier eindeutig erhalten. Durch das Aufweichen der Formel – die ein regelmäßiger Leser von Konversionsschriften bzw. von Kontroversliteratur44 allgemein sicher eher überlesen und vor allem nicht mehr überdenken würde – wird vielmehr die Aufmerksamkeit auf einen wichtigen Aspekt der katholischen Lehre gelenkt. Die hier durchscheinende Tendenz, bestimmte Gesichtspunkte durch besondere Wendungen hervorzuheben, manifestiert sich in den écrits de conversion im Allgemeinen eher auf struktureller denn auf stilistischer Ebene. Zwar lassen sich vereinzelt Formulierungen finden, die den Leser aufhorchen lassen, weil ein Sachverhalt durch die Verwendung bestimmter figurae besonders eindrücklich geschildert wird,45 grundsätzlich tritt die sprachlich-stilistische (nach Gal. 4, 26) – in diesem Sinne steht es mit dem Axiom in engster Verbindung – und dem Bild des Schiffes, gleichfalls in der patristischen Literatur ausgebildete Vorstellung von der Kirche Gottes auf dem Weg in den sicheren Hafen des ewigen Lebens. Beide Metaphern stehen für Sicherheit und sind typisch für Konversionsschriften, die anlässlich eines Übertritts zum Katholizismus verfasst wurden. 41  Rudavel, Declaration, 29. 42  Bertrand, Conversion de M. Poylevé, 17. 43  (Ange de Raconis OFMcap), Veritable Narré de ce qui s’est passé en la conversion de Mr Iean Rochette, le plus Ancien Advocat de Troyes: Après l’abandon que luy à fait son Ministre & l’entiere resolution de ses doutes; avec pleine instruction à luy donnée par le Père Ange de Raconis, predicateur capucin, dédié A Messieurs de St. Mards & à tous autres de la Religion pretenduë Reformée, pour les semondre à quitter leur Erreur, & r’entrer au giron de l’Eglise. Troyes: Jean Iacquard 1633 (95 Seiten, in-8°), 94. Blockbuchstaben im Original. 44  Wie bereits in Kapitel 2. dieser Studie herausgearbeitet, kulminierten im 17. Jahrhundert fast alle theologischen Gespräche irgendwann in der Frage nach der veritable Eglise – und damit auch nach ihren Möglichkeiten der Heilsvermittlung. Bei einer Stichprobe im Korpus von Kappler, bei der nur die neun dezidiert ekklesiologischen Fragen gewidmeten conférences untersucht wurden, ließ sich die Formel in jedem Text nachweisen (cf. dazu Kappler, Conférences I, 156s sowie ibid., II, passim). 45  Cf. beispielsweise die Beschreibung des Wegs zum Heil in der Konversionsschrift von Bourguignon: »Ie crois que la faveur de mon Createur m’assistant benignement, me prevenant, m’accompagnant, i’iray croissant de foy en foy, d’esperance (en esperance), de charité en charité, en matiere de salut« (Bourguignon, Heureuse conversion, 10). Die hier vorliegende, in einen fortlaufenden Klimax eingebundene Gemination ist ein Stilmerkmal des Schreibens von Bourguignon, das sich durch den gesamten Text zieht und sich auch in einigen actes de conférences wiederfindet, die

286 4. Ecrits de conversion – Spezifika einer literarischen Form

Ausgestaltung der Texte aber deutlich hinter der zu vermittelnden Botschaft zurück bzw. geht aus ihr hervor. Wer eine Konversionsschrift verfassen soll – oder möchte – steht vor dem Problem, eine Erfahrung in Worte fassen zu müssen, für die es keine Worte gibt, weil das Wirken der göttlichen Gnade letztlich ineffable ist.46 Die einzige Möglichkeit, über das Erlebte zu berichten, besteht für den Konvertiten respektive dessen Helfer deshalb im Rückgriff auf bereits Vorhandenes, das heißt auf mehr oder weniger bekannte Schilderungen, die andere über conversiones anfertigten. Diese bieten nicht nur dem Verfasser einer Konversionsschrift ein Repertoire an Ausdrucksmöglichkeiten, auf das er bei der Darstellung der eigenen conversio zurückgreifen kann, sondern dem Leser auch die notwendige ›Übersetzungshilfe‹, um die verwendete langage zu entschlüsseln. Jacques Le Brun hat für diese Mechanismen einmal die sehr eingängige Formel »Là où il y a langage, il y a héritage«47 gefunden, wobei dieser, modernem Verständnis vollständig zuwiderlaufende Rückgriff auf Überkommenes, keinesfalls als Zeichen mangelnden rhetorischen Geschicks oder Interesses zu werten ist: Der Rekurs auf Vorhandenes ist vielmehr Voraussetzung (literarischer) inventio. So ist beispielsweise die Bemerkung von De Pommiers: »Mais il a pleu à celuy qui éclaira S Paul en l’aveuglant, de m’éclairer dans mon aveuglement«48 ohne die Folie des biblischen Berichts über die conversio Pauli kaum nachvollziehbar. Nur wer die entsprechenden Passagen aus der Apostelgeschichte bzw. ihre bildkünstlerischen oder literarischen Umsetzungen kennt, wird die Bedeutung von éclairer und aveuglement hier erfassen können und die beschriebene Situation als conversio deuim Anschluss an von Bourguignon gehaltene Diskussionen veröffentlicht wurden, es scheint sich also um eine persönliche Note zu handeln. Bourguignon nahm nach seiner conversio häufig als intervenants an conférences teil (cf. zum Beispiel Kappler, II, n. 63; 143), da er sich aufgrund der finanziellen Unterstützung, die er anlässlich seiner conversio von der katholischen Kirche erhalten hatte, verpflichtet fühlte, sich für die Rückführung der devoyez einzusetzen (cf. ibid, 135). Wie bereits in Kapitel 3.a) erwähnt, wurde innerhalb der Eglise réformée deutlich vor den Missionierungsversuchen von Bourguignon gewarnt. 46  Cf. dazu Jacques Le Brun, »Expérience religieuse et expérience littéraire«, in: idem, Jouissance, 43–66, hier 51: »le langage est toujours insuffisant, l’expérience est ineffable«. Vor einem ähnlichen Dilemma sahen sich auch die Vertreter der science mystique, die, wie die Konvertiten versuchten, eine Erfahrung auszudrücken, die jenseits der traditionellen Instrumentarien der Theologie – im ursprünglichen Sinn des Wortes – lag, mit scholastischen Begrifflichkeiten also ebenso wenig fassbar war wie mit den Angeboten der auf Bibel und Patristik basierenden théologie positive, cf. Michèle Clément, Une poétique de crise: poètes baroques et mystiques (1570–1660). Paris: Champion 1996, 122. Zum Umgang mit diesem Problem cf. auch die folgenden Ausführungen zur langage mystique in diesem Kapitel. 47  Le Brun, Expérience, in: idem, Jouissance, 61. 48  De Pommiers, Véritables motifs, 3.



a) Struktur und Stil von écrits de conversion287

ten. Vergleichbares gilt für die Aussage von François Cupif, ehemaliger Priester und Theologe an der Sorbonne, der 1637 zur Eglise reformée übertrat: Wenn dieser schreibt: »Ç’a esté le bon plaisir de Dieu de m’appeller efficacement par sa grace, il a rompu tous ces liens, & m’a fait sentir que ie ne pouvois plus regimber contre la pointe de ses aiguillons«49, vermag nur derjenige die hier besonders herausgestellte Wirkmacht der Gnade Gottes zu erkennen, der mit dem Bibeltext aus der Apostelgeschichte respektive dessen Anverwandlung in den Konversionsschriften vertraut ist. Das hier zitierte Sprichwort gehörte nämlich auch im 17. Jahrhundert nicht zum allgemeinen französischen Sprachgebrauch,50 war aber in den Konversionsschriften als Bild für die Kraft des Heiligen Geistes, der sich der Mensch nicht widersetzen sollte – und es wohl auch nicht kann – recht geläufig.51 Was hier am Umgang mit der conversio Pauli gezeigt wurde, gilt in vergleichbarer Weise für alle Bilder, derer sich die Verfasser von Konfes­ sionsschriften bedienen, um entweder das Moment der conversio oder aber das Verhältnis zu Gott und der Gemeinschaft, in die man eintrat, sprachlich zu fassen. Ob ein écrit de conversion Erfolg hat, das heißt andere entweder zur conversio oder zumindest zum Nachdenken darüber anregt, ist damit in hohem Maße abhängig von der engen Anbindung des Textes an die gängigen Konzepte. Das sprachliche Material, dessen sich der Konvertit bedient, um eigenes Erleben in Worte zu fassen, stammt dabei aus der gleichen Quelle, aus der sich auch die Erwartungen an die Darstellung einer conversio-Erfahrung seitens des Lesers speisen: aus der schriftlichen Tradition, über Bibel und Kirchenväter (Augustinus) bis zu den zeitgenössischen écrits de conversion, aber vor allem aus dem Glaubensalltag, in dem die Vorstel49  François Cupif, Declaration de Maistre Francois Cupif, cy devant Curé de Contigné Diocese d’Angers, Docteur en Theologie de la Faculté de Paris, ou il deduict les raisons qui l’ont meu à se separer de l’Eglise Romaine pour embrasser la Reformée. Adressée à Monsieur l’Evesque d’Angers. Charenton: Mondiere 1637 (39 Seiten, in-8°), hier 39. Cupif rekurriert hier auf Apg 26, 14. 50  So merkte beispielsweise der ministre Simon de Goyon in seinen Predigten zu Apg 9, 3–6 an, »il addjouste ces paroles, estranges pour nous il est dur de regimber contre les aiguillons« (Simon de Goyon, ministre du S. Evangile en l’Eglise de Bordeaux, La conversion de Saint Paul expliquée en douze sermons. Saumur: ohne Druckervermerk 1654, »Sermon quatriesme: Actes, 9, 3–6«, 196–264, hier 224 / 225. Hervorhebung im Original), was vermuten lässt, dass das Sprichwort nicht allseits bekannt war. Cf. auch Rey, Dictionnaire historique, Lemma: aiguillon. 51  Cf. beispielsweise Bourguignon, Conversion, 13, »C’est pourquoy […], par les compassion(s) de nostre Seigneur Iesus Christ de vous resueiller, prendre garde a vous, ne vous point opiniastrer, ne regimber contre l’aiguillon, n’estouffer les dons de l’esprit de Dieu, lesquels il veut couronner en vous, si vous vous portez au bien, si vous cooperez à sa grace«. Ein weiteres Beispiel für einen nun sehr deutlichen Rekurs auf die conversio Pauli findet sich in der bereits zitierten lettre von Thevenot (cf. supra, Kapitel 3.b)cc).

288 4. Ecrits de conversion – Spezifika einer literarischen Form

lung von conversio in ihren verschiedenen Ausprägungen wie in Kapitel 1. gezeigt, allgegenwärtig war. Aufgrund dieser engen Anbindung an den Alltag christlicher Frömmigkeit lässt sich davon ausgehen, dass die überwiegende Mehrheit der Gläubigen mit der Zeit fähig war, den langage zu entschlüsseln und damit den Appell zur conversio zu verstehen. Stärker als der sich seit dem Erscheinen von De imitatione Christi sowie besonders mit den Werken von Teresa de Avila und Juan de la Cruz – um nur die bekanntesten zu nennen – im 16. Jahrhundert ausbildende langage mystique52, ist der langage de conversion damit auf communio ausgerichtet. Nicht die sprachliche Ausgestaltung eines persönlichen Gotteserlebnisses steht dabei im Vordergrund, sondern der von anderen Gläubigen in ähnlicher Weise zurückgelegte Weg zu Gott sowie das Erreichen eben dieses Ziels im Moment des Erfahrens göttlicher Gnade. Trotz der Individualität der darzustellenden Erlebnisse im Einzelnen standen die Autoren der mystischen Tradition grundsätzlich vor dem gleichen Problem wie die Verfasser von Konversionsschriften und lösten es auch auf ähnliche Weise: durch den Rückgriff auf das sprachliche Material, das ihnen in der Bibel sowie in den Werken ihrer Vorgänger bereit stand. Dabei ist das Repertoire von Ausdrucksmöglichkeiten nicht nur weitaus größer als dasjenige der Konvertiten, sondern über die Jahrhunderte auch variabler.53 Kennzeichen des in 52  Cf. Michel de Certeau, La fable mystique. XVIe-XVIIe siècle. Paris: Gallimard 1982, 156. Wie bereits im Zusammenhang mit der devotio moderna angedeutet (cf. supra, Kapitel 1.), hatten sich seit dem 15. Jahrhundert verstärkt Frömmigkeitsformen herausgebildet, die dem inneren Erleben der Nähe Gottes weiten Raum gaben. Sie standen in der Tradition der christlichen Mystik, die sich, ausgehend von den paulinischen Briefen, seit der frühen Kirche zunächst im monastischen Bereich herausgebildet hatten (cf. Kasper, LThK, Lemma: Mystik III / 1a / b), von Augustinus und Gregor dem Großen auch für Christen jenseits von Eremitage und Klostermauern fruchtbar gemacht worden waren (von Augustinus besonders ausgehend von seinen Confessiones, in deren Mittelpunkt ja gleichfalls eine persönliche Gotteserfahrung steht). Diese Tendenz findet sich – allerdings in steter Konfrontation mit der von Dionysios Areopagites (um 500) vertretenen Lehre von der Erwählung Einzelner – auch in späteren Werken wieder, etwa bei Hildegard von Bingen oder den Vertretern der sogenannten Deutschen Mystik, unter ihnen Meister Eckhardt und Johannes Tauler (cf. ibid. Mystik III / 1c). Eine Richtungsänderung trat im 16. Jahrhundert mit den Texten der genannten Spanier ein, in denen – zumindest nach Empfinden vieler Kritiker – die persönliche Gottesschau weniger Eingeweihter im Vordergrund stand, was den mystiques später den Vorwurf des Hermetismus einbrachte, cf. Clement, Poétique, 123, 126–129 sowie Christian Belin, La conversation intérieure. La méditation en France au XVIIe siècle. Paris: Champion 2002, 318, 327. 53  Cf. dazu Belin, Conversation, 340: »La science des saints s’est toujours montrée si féconde en langages nouveaux et si jalouse de son vocabulaire ou de ses phrases«. Die Autoren griffen besonders häufig auf die Psalmen, das Hohelied sowie die Offenbarung des Johannes zurück, cf. Bremond, Histoire, I, II, 811–820 (II, 585–601 (»Appendice – note sur la mystique«).

a) Struktur und Stil von écrits de conversion289



den Konversionsschriften verwendeten modus loquendi ist hingegen dessen, seit den Anfängen des Christentums mehr oder weniger konstante, in klaren Kategorien fassbare Bildsprache zum Audruck des Moments der conversio.54 Wie bereits an den zitierten Textpassagen deutlich geworden, erfuhren biblische Konzepte, anders als bei den Mystikern, in den Konversionsschriften in der Regel weder Verrätselung noch allegorische Überhöhung,55 sondern behielten meist ihre überkommene Bedeutung und ihren Status als exemplum bei. Oft wurden die bedeutungstragenden Begriffe direkt in den Text eingeflochten, gelegentlich durch Kursivdruck hervorgehoben. Die Folgen einer conversio beispielsweise malt Bourguignon seinen ehemaligen coreligionnaires mit den Worten aus: Et vous ayant par la force de l’esprit de Dieu amené a une saincte Conversion, vous faire gouster, savourer, digerer les heurs, consolations, instructions, ioyes incomparables, inenarrables, infinies, qui se treuvent en l’Eglise du Seigneur. […]. La promesse est au bout, que nous aurons recompense du centuple dé ce present siecle, & en l’autre gloire eternelle, que iamais œil n’a veu, qu’oreille n’a ouy, & n’est montée en cœur d’homme.56

Weil er die Freuden der »gloire éternelle« nicht mit eigenen Worten zu fassen vermochte, bediente er sich biblischer Formulierungen, zitiert diese aber keinesfalls wörtlich, sondern paraphrasierte sie oder zitierte vielmehr aus dem Gedächtnis und ohne die Kapitel genau anzugeben. Ein vergleichbarer Umgang mit dem Bibelwort lässt sich auch bei Le Masson feststellen, der allerdings die entsprechenden Verweise en marge notiert. Als einen der Gründe, die ihn zunächst davon abhielten, in die Eglise réformée einzutreten, gibt er an: Quand ie tournois mes yeux du costé de la Communauté Réformée avec quelque pensée que ie pourrois bien l’embrasser un iour, la multitude de l’Egl. Rom. opposée au petit nombre des Eglises Reformées de France, se presentoit à mon esprit pour me décourager. Mais lors que ie me donnois le loisir d’y faire un peu de reflexion, cette pensée de la multitude disparoissoit comme un vain phantosme au iour de la parole de Dieu, qui nous apprend de n’ensuivre point la multitude pour mal faire. Que tout le monde iroit aprés la beste: il me souvenoit que le Fils de Dieu appelle son Eglise le petit troupeau. Qu’il veut que l’on prenne le chemin étroit où fort peu de gens passent, pource que le large où marche la multitude meine à perdition.57

Ex 23 (2) Ap 13 (3) Lu 12 (32) 1 R 12

Auwahl der Bilder und ihrem Bedeutungsgehalt cf. infra, Kapitel 4.b). Certeau, Fable mystique, 157; Clement, Poétique, 167–320, passim, insbesondere 181ss, 279ss, 300ss. 56  Bourguignon, Heureuse conversion, 12. Bourguignon bezieht sich hier auf Mt 5, 12s, Lk 18, 30 sowie 1 Kor 2, 9. 57  Le Masson, Apologie, 12. Kursiva im Original. Zu Le Masson, cf. supra, Kapitel 3.b). Die biblischen Bücher wurden in den Randbemerkungen sowie in allen anderen Zitaten mit entsprechenden Marginalien in üblicher Weise abgekürzt. Die letzte 54  Zur 55  Cf.

290 4. Ecrits de conversion – Spezifika einer literarischen Form

Der hier vorliegende Umgang mit dem Bibelwort war im 16. und 17. Jahrhundert nicht nur in Bezug auf die Schrift, sondern auch hinsichtlich anderer auctoritates durchaus üblich.58 Durch die Integration von Versen aus der Bibel oder von sententiae aus der christlichen und griechisch-römischen Antike suchten zunächst vornehmlich Gerichtsredner, bald auch Autoren von beispielsweise philosophischen und poetologischen Traktaten, ihre Zuhörer oder Leser von der sachlichen Richtigkeit ihrer Aussagen zu überzeugen und sich selbst als Kenner der »verités originelles«59 auszuweisen. Diese rhétorique des citations beruht zudem auf der Annahme, dass sich durch das Zusammenspiel der Autoritäten eine zweite Vermittlungsebene herausbilden werde, die ein tieferes Verständnis der Botschaft seitens des Lesers ermöglichen und zudem zu deren Rechtfertigung beitragen könne.60 Für den Verfasser einer Konversionsschrift bot sie damit die Gelegenheit, seiner neuen Haltung ebenso wie der Anerkennung des religiösen Erbes der ihn aufnehmenden Gemeinschaft auf glaubwürdige Weise Ausdruck zu verleihen. Da in den Text eingefügte sententiae auf Latein61 oder Französisch auch zur Kategorie des ornatus gehören, konnten sie zudem das Lesevergnügen steigern – was dem Ziel, zur conversio anzuregen, sicher nicht abträglich war.62 Angabe der Bibelstelle (1 R 12) ist nicht nachvollziehbar; das Bild der zwei Wege – in Verbindung mit zwei Toren / Türen – steht in Mt 7, 13 / 14 sowie Lk 13, 24. 58  Cf. Fumaroli, Âge, 604ss. In den Konversionsschriften finden sich nur Bibelzitate, so dass die insbesondere von den Protestanten geforderte Trennung von ­sacré und profane hier gewahrt bleibt. 59  Volker Kapp, »Intertextualité et rhétorique des citations«, in: Recherches sur l’histoire de la poétique. Etudes publiées par Marc-Matthieu-Münch. Frankfurt, Bern: Lang 1984, 237–354, hier 239. 60  Cf. Fumaroli, Âge, 681, 689. 61  Lateinische Bibelzitate integrieren nur der anonyme Verfasser der Konversionsschrift von Pierre Marcha, De Vaux, der Herausgeber der Schrift von De Terride sowie B. Abbé de R., der über die conversio des Verstorbenen Jean Guillebert berichtete (cf. idem, La Conversion et heureuse mort de Jean Guillebert, de l’Ordre de Sainct Dominique. Paris: Sebastien Chappelet 1617 (18 Seiten, in-8°). Die geringe Präsenz des Lateinischen ergibt sich vor allem aus der Tatsache, dass viele Verfasser von Konversionsschriften als ehemalige Protestanten entweder nicht mit der lateinischen Bibel vertraut waren, da in ihrer bisherigen Gemeinschaft die Ecriture vorrangig in der Volkssprache rezipiert und dieser Umgang mit ihr auch vehement verteidigt wurde, oder weil sie als ›Neu-Protestanten‹ ihren coreligionnaires nicht vor den Kopf stoßen wollten, indem sie sich weiterhin des Lateins bedienten – was die sincérite ihres Übertritts von vornherein in Frage gestellt hätte. Auch wäre es einem Großteil der Leserschaft – die ja mehrheitlich aus Protestanten bestand – nicht möglich gewesen, die Texte vollständig zu rezipieren. Oft konnten sie diese Passagen zwar lesen, aber nicht verstehen oder wiedererkennen. Zur Leserschaft des vollständig auf Latein verfassten Textes über die conversio der princesse de Condé cf. infra, Kapitel 4.d). 62  Cf. Kapp, Intertextualité, in: Münch, Recherches, 239.



a) Struktur und Stil von écrits de conversion291

Indem sich die Verfasser von Konversionsschriften die rhétorique des citations zu Eigen machten, erwiesen sie sich, ebenso wie bei der Ausbildung einer langage und der Anverwandlung der gängigen Briefformen, als Kinder ihrer Zeit. Auch die Orientierung an Augustinus lässt sich bis zu einem gewissen Grad als Folge von dessen hohem Ansehen im 17. Jahrhundert – das nicht umsonst als »siècle de Saint Augustin«63 bezeichnet wird – fassen; auch wenn der Kirchenvater durch seine Aussagen zur Häresieproblematik sowie die augustinisch geprägte ›Rechtfertigungslehre‹ Luthers im Zeitalter von Reformation und Konfessionalisierung ohnehin sehr präsent war. Da die Zeit von 1570 bis 1660 auf kultureller – und damit auch sprachlich-stilistischer64 – ebenso wie auf gesellschaftlicher Ebene in vielerlei Hinsicht eine Einheit bildet, deren Grundfesten erst nach der Fronde und durch die Ausbildung der société de Cour ins Wanken gebracht wurden und wesentliche Veränderung erfahren haben, ist es nicht verwunderlich, dass die zu dieser Zeit verfassten Schriften keine wesentlichen diesbezüglichen Unterschiede aufweisen. Auch die politischen Veränderungen, vor allem die Niederlage der Protestanten im RohanKrieg, schlagen sich in keiner Weise im Tenor der écrits de conversion nieder. Trotz der grundsätzlich vorhandenen Einheitlichkeit, erregen einzelne Schriften des Korpus’ schon bei dessen erstem Durchblättern Aufmerksamkeit, so beispielsweise die beiden frühen Schriften von Du Rosier (1573) und Haren (1586), da hier eine Bibelpassage an den Anfang gestellt wurde: • Nostre aide soit au nom de dieu, qui a fait le Ciel & la Terre.65 • Levez vous sur les voyes, regardez et interrogez des anciens sentiers, quelle est la bonne voye, & cheminez en icelle, & vous trouverez soulas pour vos ames (Ierem 6, 16).66 63  Cf. beispielsweise Philippe Sellier, Port Royal et la littérature II. Le siècle de saint Augustin, La Rochefoucauld, Mme de Lafayette, Sacy, Racine. Paris: Cham­pion 2000, Untertitel, 139. 64  Auf die relative thematische und stilistische cohérence dieser Jahre beispielsweise im Bereich lyrischen Schreibens verweist auch Clement, in: eadem, Poétique, 349s (cf. auch ihren Untersuchungszeitraum, 1570–1660), cf. dazu auch die Ausführungen in Kapitel 5 dieser Studie. Auch gegen die rhétorique des citations hatten sich zwar schon seit Ende des 16. Jahrhunderts vermehrt kritische Stimmen erhoben (cf. Guillaume Du Vair, De l’Eloquence françoise et des raisons pourquoy elle est demeurée si basse, (1594), sowie später Claude Fleury, Si on doit citer dans les plaidoyers, 1664. Die Schrift blieb damals unveröffentlicht, cf. Kapp, Intertextualité, in: Münch, Recherches, 242), endgültig ihr Ansehen verlor sie aber erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, als man den Rekurs auf die sententiae der ›Alten‹ nunmehr konsequent als pédantisme verurteilte; zur dieser Entwicklung cf. Volker Kapp, »Le savoir livresque et / ou le style ›naturel‹ La métamorphose de la culture oratoire du XVIe au XVIIe siècle (Jacques Faye d’Espeisses et Claude Fleury)«, in: XVIIe siècle 227 (2005), 195–209, passim. 65  Du Rosier, Confession de Foy, 2r, Du Rosier zitiert hier Ps 124, 8. 66  Haren, Causes justes, Titelblatt.

292 4. Ecrits de conversion – Spezifika einer literarischen Form

Die Entscheidung, eine Konversionsschrift mit einem Schriftvers zu beginnen, beruht wohl auf der Überzeugung, auf diese Weise den Leser einstimmen zu können, ihm zu suggerieren, dass die im weiteren Verlauf der Schrift geschilderte conversio tatsächlich aus spirituellem Bedürfnis vollzogen worden war – was die Schwierigkeiten, die ja oft mit conversiones verbunden waren, möglicherweise schmälern konnte. Bekräftigt wird diese Annahme durch die Tatsache, dass sich eine vergleichbare Funktionalisierung der Bibelzitate als Blickfang und ›Versöhnungsangebot‹ auch in einigen Texten des 17. Jahrhunderts feststellen lässt, bei denen es sich um Schriften handelt, die von einer conversio zum Protestantismus künden, Besänftigung also notwendig war: • Sortez de Babylon mon peuple, afin que ne soyez participans de ses pechez (Apocal. 18)67 • Auiourd’huy si vous oyez sa voix n’endurcissez point vos cœurs (Heb. 3)68 • Ma chair est infirme mais mon esprit est prompt. […]69

Wenn hier Texte mit direktem thematischen Bezug zur conversio70 oder eine allgemeine Segens- und Bekenntnisformel, die in der zeitgenössischen Frömmigkeitsliteratur recht häufig Verwendung fand,71 genutzt werden, lässt sich dies zudem als Versuch werten, die entsprechende Konversionsschrift für den Leser schon beim ersten Durchblättern ersichtlich als Werk der Erbauungsliteratur zu kennzeichnen – was das Interesse an einer solchen Schrift, wie gezeigt, durchaus steigern konnte.72 Werden Abschlussformeln wie »[…], en disant pour action de graces, Te Deum laudamus etc«73 oder der Hinweis auf die erfolgte Abschwörung 67  (Iean Norman), Declaration chretienne, de Maistre Iean Norman, jadis Predicateur ordinaire de Mastas, & souprieur de Marestay, faite de vive voiy en l’Eglise reformée de Tors & Fraisneau, les dimenches dixseptiesme & vingt quatrieme iour de Septembre 1600, in: Anonym, Diverses revocations, 31–37, hier 37. Der Text von Norman ist der einzige der Sammlung mit eröffnendem Bibelzitat, was auf eine unabhängige Niederschrift der einzelnen écrits de conversion und eine erst nachträgliche Zusammenstellung als Sammlung hinweist. Zur Bedeutung und Funktion dieses recueil cf. infra, Kapitel 4.c). 68  Cupif, Declaration, 39. 69  Drelincourt, Conversion Iarrige, 39. Jarrige bezieht sich auf Mt 26, 41. 70  Cf. dazu Kapitel infra, Kapitel 4.b). 71  Cf. Clement, Poétique, 86s. 72  Diese Funktion erfüllt auch der Abschluss des Textes mit Ainsi soit-il oder Amen (cf. supra, beispielhaft in den Texten von Père Abraham und Le Camus). 73  Peliot, Heureuse conversion Le Blanc, 15. Als Gottes- und Christuslob war das Te Deum ursprünglich Teil der sonntäglichen Tageszeitenliturgie, wurde aber seit dem zwölften Jahrhundert immer öfter aus diesem Kontext gelöst und allgemein als Huldigungsgesang und zum Ausdruck von akklamatorischer Zustimmung eingesetzt,



a) Struktur und Stil von écrits de conversion293

respektive das Glaubensbekenntnis ganz ans Ende einer Schrift gestellt,74 vielleicht gar typographisch hervorgehoben75, zeigt dies erneut den Status der écrits de conversion als écrits de controverse, wird der Leser auf diese Weise doch mit einer der wichtigsten Informationen des Textes – dem ­Triumph über die Gegenseite – in den Alltag entlassen.

was gelegentlich zu Missbrauch im politisch-militärischen Kontext führte (cf. Kasper, LThK, Lemma: Te Deum laudamus); seit dem 16. Jahrhundert wird der Hymnus – oft in volksprachlicher Form und Umdichtung – von allen christlichen Konfessionen bei feierlichen Anlässen verwendet (cf. Jaschinski, Kirchenmusik, 78), so zum Beispiel an den Hochfesten oder bei der Weihe und Amtseinsetzung von Bischöfen, Äbten, Pastoren usw. In der Frühneuzeit auch im Rahmen von Zeremonien anlässlich von sacre (cf. Jackson, Coronation, 22 und passim) und Abschwörung bzw. conversio. Im discours zur conversio von Henri IV wird beispielsweise angegeben, während der Beichte des Königs »fut chanté en musique ce beau et très excellent Cantique Te Deum laudamus, d’une telle harmonie, que les grands & petits pleuroient tous de joie« (Anonym, Discours, in: Goulart, Mémoires V, 385, Kursiva im Original). Wie in Kapitel 3.b) dargestellt, handelt es sich bei der conversio von Le Blanc, wie im Text deutlich ersichtlich, um eine conversion au Roi. Wenn die Schrift auf diese Weise schließt, gilt die Zustimmung also nicht nur Gott, sondern auch dem König. 74  Die Schrift von Beaumais beispielsweise kulminiert nach vielen Peripetien und einer Diskussion über die Herrenmahlslehre (cf. Beaumais, Combat, 3–8) in der Nachricht: »En suite dequoy ledit sieur Mezieres, & sa Sœur, abiurerent l’heresie de Calvin dans la Chapelle du Petit Bourbon, le 10. Septembre 1651 entre les mains de Monseigneur de Saint Iean Granger, Chanoine de l’Eglise de Paris«. Auf eine vergleichbare Weise ist auch die Konversionschrift des Marquis de Bonivet, der 1616 zum Protestantismus übertrat, strukturiert, auch hier steht die confessio, mit einem Seitenhieb auf die idolatries der Katholiken, ganz am Ende: »Et c’est en ceste verité, & en la profession d’icelle que ie desire & ie promets iciy devant Dieu, les Anges, & son Eglise, de vouloir vivre & mourir, detestant de tout mon cœur toutes idolatries, superstitions, & erreurs, contraires à la Confession de Foy des Eglises de ce Royaume, & protestant de m’assujettir entierement à ce qui est de l’ordre & et de la discipline de l’Eglise. Ainsi signé, BONIVET«; (Henry Marc de Gouffier), Declaration de Henry Marc de Gouffier, Marquis de Bonivet, Seigneur de Crevecoeur, &tc. Faite au Consistoire de la Rochelle, en presence des Pasteurs & Anciens de ladite Ville, & encore des Sieurs de la Violette & Thevenot Pasteurs des Eglises de Marans & Bernet, le Mercredy troisiesme d’Aoust 1616. Et depuis a esté faicte mesme protestation par ledict sieur Marquis, en presence de toute l’Eglise de la Rochelle, le dimanche 7 dudict moys, après le Presche du matin au grand temple. La Rochelle: Hertman 1616 (8 Seiten, in-8°), 8. Blockbuchstaben im Original. Zur Schrift von Bonivet cf. zudem Anhang II, ill. 14. Auch die in Kapitel 3.a) zitierten Abschwörungs- und Bekenntnisformeln von Katholiken und Protestanten finden sich aus den gleichen Gründen mehrheitlich auf der letzten Seite der jeweiligen Schrift. 75  Cf. dazu Anhang II, ill. 16.

294 4. Ecrits de conversion – Spezifika einer literarischen Form

b) Conversio ineffable: die verwendete Bildsprache Wenn im Zeitalter von Reformation und Konfessionalisierung ein Konvertit oder sein Helfer auf der Suche nach Inspiration für einen abzufassenden écrit de conversion die Confessiones in die Hand genommen hat, wird er vor allem eines festgestellt haben: Augustinus bediente sich zur Gestaltung seines Weges zur conversio sowie des Moments per se – trotz aller sprachlichen Kunstfertigkeit, die ihm als ehemaligem Rhetoriklehrer sicher zu eigen war – keines breiten Repertoires an Ausdrucksmöglichkeiten. Die wenigen von ihm verwendeten Konzepte zur Darstellung seiner Erfahrung übernahm der Kirchenvater aus der Bibel, sie waren deshalb seinen Zeit­ genossen ebenso wie dem Konvertiten des ausgehenden 16. sowie des 17. Jahrhunderts durch die Schrift selbst respektive durch deren Vermittlung in Gottesdienst und Katechese vertraut. Für die Gläubigen im Zeitalter von Reformation und Konfessionalisierung boten sich, wie in Kapitel II gezeigt, selbstverständlich noch weitere Wege, mit dem Gotteswort in Kontakt zu kommen, nämlich, in unterschiedlicher Schwerpunktsetzung, Kirchenmusik, Bildkunst, religiöses Drama sowie weitere Werke der litterae. Entsprechende Verarbeitungen biblischer Stoffe waren zu Lebzeiten Augustinus’ zwar teilweise vorhanden, steckten aber noch in den Kinderschuhen und waren oft nicht der Allgemeinheit zugänglich.76 Lässt man nun aber die Schriftpassagen des Alten und Neuen Testaments, in denen conversio thematisiert wird,77 noch einmal Revue passieren, fällt auf, dass das Konzept zwar, wie gezeigt, omnipräsent ist, tatsächlich aber nur wenige Passagen konkrete Ausdrucksmöglichkeiten liefern, die dem Verfasser einer Konversionsschrift zur Gestaltung seines Textes zur Verfügung stehen. Oft sind Abschnitte, in denen es um conversio geht, nämlich nicht eindeutig an bestimmte Bilder gebunden. Wie im vorausgegangenen Teilkapitel gezeigt, ist aber gerade eine solche Verknüpfung nötig, um eine assoziative Verbindung zwischen »héritage« und »(propre) experience«, also dem bekannten Bibeltext und dem eigenen conversio-Bericht, herzustellen, um dessen Verständnis zu sichern. In den Büchern des Alten Testaments wird conversio vielfach in mahnender Rede eingefordert, immer wieder weisen die Propheten auf die Notwendigkeit der Umkehr hin, in dem sie die Folgen unterlassener oder den Lohn für gelungene conversio ausmalen. Gleiches gilt für die Geschichtsbücher des AT: Auch hier finden sich zahlreiche Beispiele für Gehorsam und Umkehr, Ungehorsam und Bestrafung, ohne dass sich wiederholende Motive auszu76  Cf. 77  Cf.

von Albrecht, Geschichte, II, 1017ss. dazu Anhang I.



b) Conversio ineffable: die verwendete Bildsprache

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machen wären. Einzig wiederkehrend ist der Appell per se, die Situationen sind variabel und selten an konkrete Bilder gebunden. Eine gewisse Ausnahme bilden die conversiones von Jakob, Jona und Nebukadnezar: sie alle wären entweder durch die Namen der Personen oder durch einen Verweis auf Himmelstreppe,78 Feuerofen, »stolzem Baum«79 oder Fisch80 – also letztlich durch die Auslöser der jeweiligen conversio – durchaus im Text aktualisierbar. Da es sich aber bei allen dreien um komplexe Persönlichkeiten, bei den Attributen entsprechend um vielschichtig bedeutungstragende Bilder handelt, fehlt es hier grundsätzlich an der nötigen Eindeutigkeit, die zum Einsatz als ›Übersetzungshilfe‹ für einen Konversionsbericht notwendig wäre.81 Im Neuen Testament ist die Lage eine andere: Hier stehen neben den Ermahnungen zur conversio durch Johannes den Täufer, die Apostel einschließlich Paulus, den Verfasser der Offenbarung sowie Jesus selbst eine Fülle von Berichten über conversiones. Sie alle sind mit einem Namen oder zumindest einer Gestalt verbunden, die als exemplum für gelungene conversio fungieren könnte: Maria Magdalena, der Hauptmann von Kafarnaum, Nikodemus, Zachäus, Dismas, Petrus, Paulus, der Äthiopier, der Kerkermeister, Lydia, Kornelius, die Jünger, der Hauptmann am Kreuz (Longinus), die Ehebrecherin …82 78  Gen 28, 12–22. Nachdem sich Jakob den Erstgeburtssegen erschlichen hatte, war er aus seinem Vaterhaus geflohen und hatte sich zum Schlafen niedergelegt. Während der Nacht träumte er von einer Himmelstreppe, auf der Engel auf und ab schritten und Gott, der ganz oben stand, ihm Land, zahlreiche Nachkommen und Schutz versprach. Unter dem Einfluss des Traums besann sich Jakob darauf, wieder dem Herrn zu folgen und ihm von allem, was er besaß, den zehnten Teil zu weihen. 79  Dan 3, 91–97; 4, 1–34. Da Nebukadnezar Teil des in Kapitel 1.c) analysierten Bildprogramms von Dissay ist, finden sich dort alle entsprechenden Textbelege. 80  Jon 2, 1–11. Weil Jona dem göttlichen Auftrag, nach Ninive zu gehen, nicht folgen wollte, versuchte er sich vor ihm zu verstecken: Während einer Meeresüberfahrt kam es deshalb zum Sturm und Jona, der ahnte, dass das Wetter von Gott zu seiner Strafe geschickt worden war, ließ sich von den Matrosen über Bord werfen, um die Winde zu besänftigen. Um Jona zu retten, schickte Gott ihm einen Fisch, der ihn verschlang. In dessen Bauch bereute Jona und kehrte wieder zum Herrn zurück, nachdem er von dem Fisch wieder auf’s Land gespien worden war. 81  Im Rahmen der geltenden Leseordnung der katholischen Kirche im 16. und 17. Jahrhundert wurde keine der angesprochenen conversiones thematisiert. Dass die Texte im protestantischen Gottesdienst präsent waren, ist aufgrund der dort gängigen lectio continua zwar möglich, aber nicht genau feststellbar, da der Rhythmus nicht in allen Eglises Reformées der gleiche war (cf. dazu supra, Kapitel 1.a)). 82  Die entsprechenden Bibelstellen finden sich in Anhang I, die conversiones des Hauptmanns von Kafarnaum, sowie von Maria Magdalena sind zudem Thema von Kapitel 1.a), diejenigen von den Jüngern, sowie von Dismas, Petrus, Paulus und erneut Maria Magdalenas von Kapitel 1.c), dort finden sich auch alle notwendigen Textbelege. Zu Maria Magdalena cf. auch infra, Kapitel 5.

296 4. Ecrits de conversion – Spezifika einer literarischen Form

Dass sich im Laufe der Jahrhunderte einige von ihnen als conversioexempla etablieren konnten, andere hingegen eher mit anderen Konzepten in Verbindung gebracht wurden, ergibt sich wiederum aus der mehr oder weniger ausgeprägten Vielschichtigkeit der Personen: So werden beispielsweise Longinus, der Kerkermeister oder der Hauptmann von Kafarnaum ausschließlich durch ihre conversio gekennzeichnet, Dismas, Maria Magdalena und Zachäus zusätzlich durch ihr besonders sündiges Leben, das conversio nötig machte.83 Wie bereits im Zusammenhang mit der fons pietatis-Darstellung von Dissay84 gezeigt, verkörpert Paulus zwar auch Heidenmission und Martyrium; das einschneidendste Ereignis seines Lebens aber war seine conversio, über die nicht nur der Verfasser der Apostelgeschichte berichtet, sondern auf die er selbst in seinen Texten immer wieder zurückkommt. Somit ist die conversio auf dem Weg nach Damaskus das erste, was jeder mit dem Völkerapostel assoziiert – zumal sie ja auch in der Liturgie sehr präsent war. Auch Petrus und die anderen Jünger lassen sich – wie in Dissay und der Passion von Jean Michel – bei entsprechender Kontextualisierung als Konvertiten fassen, ad hoc verbindet man mit diesen allerdings eher deren Jüngerschaft sowie bei Petrus die Schlüsselgewalt. Als unmissverständliche exempla für conversio, derer man sich als Verfasser einer Konversionsschrift bedienen könnte, fallen sie dementsprechend aus – es sei denn man kombiniert sie mit aussagekräftigeren Figuren. Vergleichbares gilt auch für Nikodemus oder die Ehebrecherin: auch sie vollziehen alle eine conversio, im Mittelpunkt des Interesses steht aber zunächst etwas anderes, nämlich die Aufforderung zu offenem Bekenntnis und zum Eingeständnis der eigenen Schuld. Schon an dieser Stelle ist offensichtlich, dass eine Bezugnahme auf Paulus dem Verfasser einer Konversionsschrift die beste Möglichkeit bietet, seine Erfahrungen für Außenstehende fassbar zu machen. Die conversio Pauli ist zudem die einzige, bei der nicht nur die Tatsache, sondern auch der ›Vorgang‹ – der Einbruch des Göttlichen in die Welt und damit das Wirken der Gnade Gottes – in Worte gefasst wird. Bei allen anderen conversiones ist das Faktum, dass eine Veränderung stattgefunden hat, einzig anhand der Taten und Aussagen der Person selbst oder des anschließenden Kommentars Jesu erkennbar.85 83  Neben ihrer Funktion als exempla für gelungene conversio tritt also gleichsam ihr Hinweischarakter auf die Barmherzigkeit Gottes und damit die Möglichkeit von conversio. 84  Cf. dazu supra, Kapitel 1.c). 85  Cf. beispielsweis die conversio von Dismas: »Einer der Verbrecher, die neben ihm hingen, verhöhnte ihn: ›Bist du denn nicht der Messias? Dann hilf dir selbst und auch uns‹. Der andere aber wies ihn zurecht und sagte: ›Nicht einmal du fürch-



b) Conversio ineffable: die verwendete Bildsprache

297

Einen wesentlichen Anteil des Sprachmaterials zur Darstellung von conversio liefert der Bericht über die Christophanie auf dem Weg nach Damaskus. Er sei im Folgenden noch einmal in französischer Sprache notiert, um in der anschließenden Analyse die Wiederaufnahme dieser Bilder durch die Konvertiten ›greifbar‹ machen zu können: Et en cheminant, il advint qu’il approcha de Damas, & soudainement une lumiere du ciel resplendit alentour de luy. Et cheant en terre, ouyt une voiy qui luy dict ›Saul, Saul pourquoy me persecutes tu?‹ Lequel dict: ›Qui est tu Seigneur?‹ Et iceluy dict: ›Ie suis Iesus, lequel tu persecutes. Il t’est dur de regimber contre l’aiguillon‹. Lequel en tremblant, & estonné, dict: ›Seigneur, que veus tu que ie face?‹ Et le Seigneur luy dict: ›Leve toy, & entre en la cité, & te sera dict ce qu’il te faudra faire. Mais les homes qui l’accompaignoient, estoient tous estonnez, oyans certes la voix & ne voians persone. Et Saul se leva de terre, & en ouvrant les yeux, ne voyoit rien. Donc ilz le menerent par les mains, & l’introduirent en Damas. Et fut trois iours sans veoir […]. Or y avoit quelque disciple en Damas, nommé Anania. […] Et le Seigneur luy dict: ›Leve toy, & va en la rue, qui est nommée Droite, & demande en la maison de Iudas, un nommé Saulus de Tharse: car voilà il prie‹ […] Et Ananias s’en alla, & entra en la maison. Et en mectant les mains sur luy, dict: ›Saul frere, le Seigneur Iesus m’a envoié, lequel t’est apparu en la voye, par laquelle tu venois, à fin que tu voye, & soys remply du sainct esprit‹. Et incontinent cheurent de ses yeux comme escailles, & receut la veue. Puis se levant, fut baptizé.86 test Gott? Dich hat doch das gleiche Urteil getroffen. Uns geschieht recht, wir erhalten den Lohn für unsere Taten, dieser aber hat nichts Unrechtes getan‹. Dann sagte er zu Jesus: ›Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst‹. Jesus antwortete ihm: ›Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir in meinem Paradies sein‹ « (Lk 23, 39–43). 86  Apg 9, 3–18. Es ist schwer abzuschätzen, an welcher Bibelversion sich die Verfasser von écrits de conversion orientierten: So wäre es denkbar, dass man sich des vertrauten Texts bediente und diesen, wie im vorangegangenen Teilkapitel gezeigt, zitierte oder – häufiger – paraphrasierte. Engagierte sich allerdings ein Verantwortlicher der aufnehmenden Kirche für die Konversionsschrift, ist davon auszugehen, dass man dem Neuling die Verwendung der in seiner neuen Gemeinschaft üblichen Übersetzung nahelegte. Aufgrund der herrschenden Mehrheitsverhältnisse wird deshalb im Folgenden der Text der Saincte Bible nouvellement translatée de latin en françois, selon l’édition latine, dernièrement imprimée à Louvain, reveue, corrigée & approuvée par gens sçavants, à ce députez: à chascun chapitre sont adjouxtez les sommaires, contenants la matière du dict chapitre, les concordances, & aucunes apostilles aux marges. Louvain: De Grave, Bergagne, Uvaen 1550 benutzt, die in katholischen Kreisen am Ende des 16. sowie im 17. Jahrhundert wohl sehr verbreitet war. (cf. Chambers, Bibliographie »Introduction«, I–XV, hier: XIIs). Die Verse aus der Bible de Genève werden ergänzt, wenn sie sich in einer Weise von der Louvain-Fassung unterscheiden, die für den vorliegenden Zusammenhang von Bedeutung ist. Da die Konversionsschriften auf Französisch verfasst wurden, kann auf die Angabe des lateinischen Texts nach der Vulgata Sixto Clementina verzichtet werden, auch wenn der ein oder andere Verfasser sicher deren Verse im Kopf hatte und sich von ihnen inspirieren ließ.

298 4. Ecrits de conversion – Spezifika einer literarischen Form

Lukas legte in seiner Schilderung besonderen Wert auf die »lumiere du ciel (qui) resplendit alentour de luy (i. e. Paul)«, das Licht ist für ihn höchster Ausdruck des Numinosen und bestimmend für den weiteren Gang der Handlung, also Erblindung – und damit Finsternis – ›Heilung‹ und Taufe. Diese besondere Bedeutung des Lichts unterstrich auch Paulus, als er nach seiner Verhaftung im Rahmen zweier Reden die Gelegenheit erhielt, seine Missionstätigkeit zu verteidigen: (Discours de Paul devant la foule) Et advint que moy allant, & approchant de Damas, environ Midy, une grande lumiere du ciel soudainement ………(unlesbar) alluysante autour de moy; & cheant par terre, i’ouy une voix me disant: ›Saul, Saul, pourquoy me persecutes tu?‹ Et ie respondy: ›Qui es tu, Seigneur?‹ Et il me dict: ›Ie suis Iesus de Nazareth lequel tu persecutes‹. Et ceux qui s’estoient avec moy, veirent vrayment la lumiere, mais ils n’ouyrent point la voix de celuy qui parloit avec moy. Et ie die: ›Seigneur, que feray ie?‹ Et le Seigneur me dict: ›Leve toy, & t’en va en Damas, & là te sera dit de toutes choses qu’il te fauldra faire‹. Et comme ie ne veoye goutte, pour la clarté d’icelle lumiere, estant amené par la main, de ceux de ma compaignie, ie vins à Damas. Et Ananias, un home selon la loy ayant tesmoingnage de tous les Iuifz demouran là, venans à moy, & estant present, me dict: ›Saul, frere, regarde‹. Et en ceste mesme heure ie regarday vers luy.87

(Devant le roy Agrippa) Ie vey (ô Roy) en chemin à midy, une lumiere du ciel plus grande que la splendeur du soleil, reluyre alentour de moy, & de ceux qui estoyent ensemble avec moy. Et quand nous tous fusmmes cheuts en terre, i’ouy une voix, parlant à moy, en langue Hebraique: ›Saul, Saul, pourquoy me persecutes tu? Il t’est dur de regimber contre l’aguillon‹. Et ie dis: ›Qui es tu Seigneur?‹ Et le Seigneur dict: ›Ie suis Iesus lequel tu persecutes. Mais leve toy; & te tiens sur tes piedz, car pour ceste cause ie te suis apparu; à fin que ie te constitue ministre, & tesmoing des choses que tu as veu, & de celles esquelles ie t’apparoistray, te delivrant des peuples, & des Gentilz, ausquelz maintenant ie t’envoye, pour ouvrir leurs yeux, à fin qu’ilz soyent convertis des tenebres à lumiere, & de la puissance de Sathan, à Dieu: pour recevoir la remis­ sion despechez, & partir entre les sainctz, par la foy qui est en moy‹.88

88

Es führte nun zu weit, die Bedeutung des Lichts in den angeführten Berichten im Einzelnen herauszuarbeiten und entspräche auch in keiner Weise der Rezeption dieser Passagen durch die Konvertiten. Es ist nämlich davon auszugehen, dass diesen, ebenso wie der potentiellen Leserschaft, auf deren 87  Apg 22, 6–16 (Bible de Louvain). Zu den Unterschieden zwischen den Versionen und der Präsenz in der Liturgie cf. Dietzfelbinger, Berufung, 45. In der katholischen Kirche war Apg 9, 1–22 Evangeliumstext des conversio Pauli-Fests. In Bezug auf die Eglise réformée und die ›Schwierigkeiten‹, die sich aus der dort ­üblichen lectio continua ergeben, gilt das zu den alttestamentlichen conversiones Gesagte. 88  Apg 26, 13–18 (Bible de Louvain). Paulus bedient sich hier gar selbst der Finsternis-Licht-Symbolik zur Erklärung des conversio-Vorgangs.



b) Conversio ineffable: die verwendete Bildsprache

299

Bedürfnisse es sich ja gleichfalls einzustellen galt, als regelmäßigen Gottesdienstbesuchern,89 der Gehalt der Lichtmetapher zwar nicht in allen Facetten, aber doch grundsätzlich geläufig war: »Der Herr ist mein Licht und mein Heil«90; »Das Volk, das im Dunkeln lebt, sieht ein helles Licht, über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf«91; »Ich bin das Licht der Welt, wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern wird das Licht des Lebens haben«92; »Denn einst wart ihr Finsternis, jetzt aber seid ihr durch den Herrn Licht geworden. Lebt als Kinder des Lichts«93 – die Gleichsetzung Finsternis-Gottesferne; LichtGottesnähe zieht sich wie ein roter Faden durch die biblischen Bücher.94 Dass eine conversio dementsprechend als Schritt vom Dunkel ins Licht, von der Sünde (der Ketzerei) zu einem gottgefälligen Leben dargestellt werden konnte, war für jeden, der mit der biblischen Sprache einigermaßen vertraut war, völlig einleuchtend!95 Darüber hinaus ist die Assoziation Licht – gut, Finsternis – schlecht auch lebensweltlich verankert, was ja zur Adaptation der heidnischen Lichtsymbolik und deren Übernahme in die verschiedenen Bü89  Viele Konvertiten waren zudem ministres, curé oder Mönch und demnach ohnehin mit dem Licht-Finsternis-Antagonismus vertraut. 90  Ps 27, 1. 91  Jes 9,1, auch Mt 4, 16. 92  Joh 8, 12. 93  Eph 5,3. 94  Eine Übersicht zu Verwendung und Bedeutung der Licht-Symbolik im Einzelnen bietet Coenen in: idem / Haacker, Begriffslexikon, Lemma: Licht / Finsternis. 95  Es sei daran erinnert, dass Augustinus, den Moment seiner conversio – also nach der Lektüre des Passage aus Röm 13, 13 / 14, die er auf den Hinweis des »tolle-lege« aufgeschlagen hatte – in die Worte fasste: »Je n’eus pas plutôt achevé de lire ce peu de lignes, qu’il se répandit dans mon cœur comme une lumière calme, qui le mit dans un plein repos, et dissipa toutes les ténèbres de mes doutes«; Saint Augustin, Confessions. Edition présentée par Philippe Sellier. Traduction d’Arnauld d’Andilly établie par Odette Barenne. Paris: Gallimard 1993, VIII, 12. Im Folgenden werden die Passagen der Confessiones in der bereits erwähnten Übersetzung von Arnauld d’Andilly notiert, um die Nähe zwischen den écrits de conversions und dem augustinischen Text zu bewahren. Zwar war diese Version erst greifbar, als viele Konversionsschriften schon geschrieben waren, nichtsdestotrotz kommt diese Fassung dem damaligen Sprachgebrauch wohl am nächsten, was insbesondere in Hinblick auf die Wortwahl bei der Wiedergabe der biblischen conversio-Konzepte von Interesse sein kann. Da die Confessiones in protestantischen Kreisen noch oft auf Latein rezipiert wurden, werden die entsprechenden Abschnitte in den Fn. entweder auf Latein ergänzt bzw. nur Buch und Kapitel angegeben, deren Zählung von derjenigen bei Arnauld abweicht; Augustinus, Confessiones, VIII, 29: »luce securitatis infusa cordi meo omnes dubitationis tenebrae diffugerunt«. Abgesehen von diesem Rückgriff auf eine Paulusstelle, ist der Völkerapostel auch noch durch eine Anspielung auf die Szene aus Apg 9, 1–22 präsent, die allerdings ohne das entsprechende Bildmaterial auskommt (cf. Augustin, Confes­sions, VIII, 4; Augustinus, Confessiones, VIII, 9).

300 4. Ecrits de conversion – Spezifika einer literarischen Form

cher der Bibel beigetragen hat.96 Die Verknüpfung war in Zeiten ohne Elektrizität, zu der die Entstehungsjahre von Altem und Neuen Testament ja ebenso zählen wie das Zeitalter von Reformation und Konfessionalisierung, für die Menschen noch in weitaus größerem Maße nachvollziehbar als heutzutage: Licht stand dementsprechend für Leben, Sicherheit, Wohlsein, Fin­ s­ternis hingegen für Nacht, Gefahr, Krankheit – (Blindheit) – und Tod.97 Sehr eng verwandt mit Licht und Finsternis ist ein weiteres Naturphänomen, das in der Bibel gleichfalls im Zusammenhang mit conversiones zum Ausdruck des Numinosen verwendet wird: das Erdbeben. Anders als bei der Christophanie von Damaskus manifestiert sich in diesem aber nicht die an ihnen gewirkte göttliche Gnade. Vielmehr erlebten sowohl der Kerkermeister als auch Longinus, »un grand tremblement de terre«98, das sie als Zeichen für göttliche Macht empfanden, woraufhin sie sich bekehrten. Bei beiden conversiones handelt es sich also um conversions-miracle. Auf die gleiche Weise wirkt noch ein anderes rekurrentes biblisches Motiv, das gewissermaßen als sekundäres Naturphänomen bezeichnet werden kann: die (plötzliche) Genesung.99 Während nämlich die ihr vorausgehende Krankheit in der Regel natürlichen Ursprungs ist – es sei denn, sie ist wie beispielsweise im Falle Hiobs von vornherein offensichtlich als Prüfung konzipiert100 – wird deren Heilung explizit durch göttliches Handeln er96  Cf. dazu Müller, TRE, Lemma: Licht, sowie ausführlich Hans H. Malmede, Die Licht-Symbolik im Neuen Testament. Wiesbaden: Harrassowitz 1986, passim, insbesondere 23s (Ausblick auf AT). 97  Cf. Delumeau, Peur, 87s., sowie idem, Rassurer, 210s. Das Reich der Finsternis war zudem das Reich des Teufels, des Widersachers Gottes. 98  Apg 16, 26 (Bible de Louvain): »Der Kerkermeister, der beautragt war, Paulus und Silas im Gefängnis zu beaufsichtigen, wurde in der Nacht von deren Beten und Gesang mit anderen Gefangenen geweckt, anschließend ereignete sich »un grand tremblement de terre, en telle maniere que les fondements de la prison furent remeutz, & incontinants, tous les huys furent … (unlesbar) & les liens de tous furent deslyez«. Longinus erlebte – wie bereits im Zusammenhang mit der Passion von Jean Michel herausgestellt, die Reaktionen der Natur auf den Tod Jesu mit, die bei Lukas unter anderem als Sonnenfinsternis – also Gottesferne – bei Matthäus als Erdbeben: »la terre fut emue, et les pierres furent fendues« (Bible de Louvain, Mt 27, 54) präsentiert werden. 99  Gleiches gilt letztlich für die Auferweckung bereits Verstorbener, nicht nur weil der Tod häufig infolge einer Krankheit eintritt, sondern auch aufgrund der vergleichbaren Folgen. Cf. dazu auch die folgenden Ausführungen. 100  Cf. Ijob 2, 1–10. Körperliche oder seelische Krankheit dient in den Büchern des AT mehrheitlich als Prüfung in das Vertrauen auf Gott oder entsprechend als Strafe für mangelndes Vertrauen, cf. Kasper, LThK, Lemma: Kranke I (Biblischtheologisch) sowie Paul Tournier, Bibel und Medizin. Deutsche Übertragung von Irmgard Vogelsanger-de-Roche. Mit einem Vorwort von Richard Siebeck. Zürich: Rascher 1953, 271–294.



b) Conversio ineffable: die verwendete Bildsprache

301

zielt.101 Wenn man bedenkt, dass das Verdikt ›krank‹ damals noch weitaus schwerer wog als in unserer Zeit, da die üblichen Heilmethoden wenig entwickelt und die Hoffnung auf Wiederherstellung der Gesundheit und damit die Chance, wie bisher seinen Lebensunterhalt verdienen zu können, sehr gering war,102 ist der Impetus einer solchen Heilung nachvollziehbar: So kann das Erstaunen über die plötzliche Sehkraft des vormals Blinden103 oder die klaren Worte der vormals Besessenen104 und damit letzlich über die Macht dessen, der diese Veränderung herbeiführte, sowohl conversionsmiracle, als auch einen Prozess auslösen, der schließlich in einer conversio gipfelt.105 Bevor im Folgenden anhand einzelner Textbeispiele aus den écrits de conversion zu zeigen sein wird, wie die Konvertiten die Leitmetaphern Licht und Finsternis sowie die Vorstellung einer die Macht Gottes illustrierenden Natur für ihre Bedürfnisse fruchtbar machten, sei noch ein Blick auf die Lehre Jesu über die Notwendigkeit, aber vor allem die Möglichkeit von conversio, geworfen, da diese weitere Ausdrucksmöglichkeiten für die Darstellung einer conversio ineffable bereit hält. Wer eine Konversionsschrift verfasst, legt Zeugnis ab über einen bereits vollzogenen Schritt. Daraus ergibt sich, dass von den zahlreichen Gleichnissen, in denen conversio thematisiert wird, nur diejenigen als Lieferanten entsprechender Bilder in Frage kommen, die nicht die Notwendigkeit von conversio illustrieren – wie beispielsweise dasjenige vom Feigenbaum106 – 101  Genesung tritt in den Heilungsberichten der synoptischen Evangelien entweder allein durch den Glauben des Kranken bzw. dessen Angehörigen oder Herrn ein (cf. beispielhaft Lk 18, 41–43 »›Herr, ich möchte wieder sehen können‹. Da sagte Jesus zu ihm: ›Du sollst wieder sehen. Dein Glaube hat dir geholfen‹. Im gleichen Augenblick konnte er wieder sehen«; Die Heilung eines Blinden bei Jericho) oder durch Berührung (cf. zum Beispiel Mt 8, 15 »Da berührte er ihre Hand«; Heilung der Schwiegermutter des Petrus). Unter anderem auf der Grundlage der Krankenheilungsberichte der Evangelien (Mt 8, 1–17, 28–9, 8; 9, 18–34; Mk 1, 21–2, 12; Lk 4, 40–5, 26; 7, 1–17; 8, 26–56; 9–37–43a) entwickelte sich auch das bereits im Zusammenhang mit dem Theaterstück von Matthieu Malingre La moralité de Maladie de Chrestienté à XIII personnages erläuterte Christus Medicus-Motiv (cf. dazu Kapitel 1.d)). 102  Cf. Eckart, Geschichte, 4s. 103  Cf. neben der bereits zitierten Passage aus Lk 8, beispielsweise Mk 10, 46–52. 104  Cf. zum Beispiel Mt 8, 28–34. 105  Ein Beispiel für eine durch das Erstaunen über eine Krankenheilung ausgelöste conversio ist die bereits von Pepin als exemplum verwendete Bekehrung des Hauptmanns von Kafarnaum (cf. dazu supra, Kapitel 1.a)). 106  Cf. Lk 13, 5–9: »Ihr alle werdet genauso (wie die von Pilatus getöteten Galiläer) umkommen, wenn ihr euch nicht bekehrt. […] Ein Mann hatte einen Feigenbaum, und als er kam und nachsah, ob er Früchte trug, fand er keine. Da sagte er zu seinem Weingärtner: ›Jetzt komme ich schon drei Jahre und sehe nach, ob dieser

302 4. Ecrits de conversion – Spezifika einer literarischen Form

nicht deren Voraussetzungen darlegen – wie die Parabel vom Schatz im Acker107 – sondern stattdessen gelungene conversio veranschaulichen. Bestes Beispiel für ein solches Gleichnis ist dasjenige vom verlorenen Sohn (Lk 15, 11–32), da hier nicht nur die Rolle des heimkehrenden Sohns ausgedeutet werden kann, sondern auch diejenige des barmherzigen Vaters und des murrenden älteren Bruders.108 Ähnlich fruchtbar erweist sich auch die gleichfalls bereits angesprochene Parabel vom verlorenen Schaf (Lk 15, 3–8, ähnlich Mt 18, 12–14), auch wenn das Tier zunächst sehr passiv erscheint. Der suchende Hirte hingegen kann als Bild für bedingungslose Liebe und Barmherzigkeit gewertet werden, die den Gläubigen dazu ermuntern, conversio zu wagen. Was die Gleichnisse miteinander verbindet, ist die Tatsache, dass hier jeweils eine Gemeinschaft wieder hergestellt wird, nämlich Familie und Schafherde. Und nicht nur das: Bei Vater und Sohn ebenso wie bei Schaf und Hirte handelt es sich zudem um affektiv sehr positiv aufgeladene Bilder(paare), weshalb man diesen wohl auch gegenüber dem Bild der Suche nach der verlorenen Drachme, das dem dritten Gleichnis im 15. Kapitel des Lukasevangeliums (Lk 15, 8–10) entstammt, den Vorzug gab.109 Trotz Feigenbaum Früchte trägt, und finde nichts. Hau ihn um! Was soll er weiter dem Boden seine Kraft nehmen?‹ Der Weingärtner erwiderte: ›Herr, laß ihn dieses Jahr noch stehen, ich will den Boden um ihn herum aufgraben und düngen. Vielleicht trägt er dann doch noch Früchte, wenn nicht, dann laß ihn umhauen‹«. Cf. dazu Cheminée, Conversion, 27. Eine ähnliche Botschaft vermittelt das Gleichnis vom königlichen Hochzeitsmahl (Mt 22, 2–14). Zu weiteren Gleichnissen cf. die Übersicht in Anhang I. 107  Cf. Mt 13, 44: »Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Schatz, der in einem Acker vergraben war. Ein Mann entdeckte ihn, grub ihn aber wieder ein. Und in seiner Freude verkaufte er alles, was er besaß, und kaufte den Acker«. Als Voraussetzungen für conversio werden hier Glaube, unbedingtes Verlangen nach dem Erreichen des Ziels sowie die Bereitschaft alles dafür aufzugeben aufgezeigt; cf. Cheminée, Conversion, 34. Eine vergleichbare Botschaft vermitteln auch die Gleichnisse vom reichen Mann (Lk 12, 16–21) und von der Perle (Mt 13, 45–46). Zu weiteren Gleichnissen cf. erneut Anhang I. 108  Zur den geläufigen Deutungen und Aktualisierungen des Gleichnisses cf. supra, Kapitel 1.a) (Predigten von Pepin); 1.c) (Motiv der vier bußfertigen Sünder); 1.d) (Moralité de l’Enfant Prodigue). 109  Die Gleichnisse vom verlorenen Sohn und Schaf werden auch von Augustinus angeführt. Sie dienen ihm als Erklärung für die besondere Freude der Menschen über die unerwartete conversio eines besonders großen Sünders: »Mon Dieu, d’où vient que les hommes se réjouissent davantages de la conversion d’une âme qui semblait désespérée, ou qui était dans un extrême péril, que si l’on avait toujours espéré son salut, ou qu’elle n’eût pas été dans un si grand danger de se perdre? Vous-même qui êtes le Père des miséricordes, vous vous rejouissez davantage d’un pénitent, que de quatre-vingt-dix-neuf justes qui n’ont point besoin de



b) Conversio ineffable: die verwendete Bildsprache

303

seiner grundsätzlich identischen Botschaft – der Freude über die Rückkehr des Sünders – wird das Bild kein einziges Mal verwendet – was allerdings wohl auch daran liegt, dass es sich hier um ein Objekt handelt, eine Identifikation Geldstück – Konvertit – ›comme une drachme retrouvée‹ – würde beim Lesen nicht nur stilistisch seltsam anmuten, sondern auch den Eindruck erwecken, dass man dem Geld, weltliches Gut par excellence, (zu) große Bedeutung beimesse. Fasst man nun die Ergebnisse der vorausgegangenen Spurensuche zusammen, ergibt sich, dass sich zur Darstellung einer conversio-Erfahrung vor allem ein Rückgriff auf einzelne, fiktive oder reale Gestalten des Neuen Testaments lohnt, die sich als exempla für eine gelungene conversio und / oder die dafür notwendige göttliche Barmherzigkeit in den Text integrieren lassen. Weiterhin lässt sich feststellen, dass man die in den Berichten verwendete Bildsprache auch unabhängig von den dort im Mittelpunkt stehenden Persönlichkeiten benutzen könnte, wobei zu fragen ist, welche weiteren Bilder neben dem durch die Schilderungen in der Apostelgeschichte beeinflussten Licht-Finsternis-Antagonismus einschließlich seiner Derivate in den Konversionsschriften gebraucht werden. Um eine Übersicht über die tatsächlich verwendeten Bilder zu gewinnen, ist es notwendig, die in den écrits de conversion benutzten Bilder und Bezüge zunächst in einer Tabelle zusammenzustellen, um dann Frequenz und Besonderheiten in deren Verwendung – auch in Bezug auf die konfessionelle Ausrichtung – festmachen und bewerten zu können.110 Entsprechend dem oben schon angeklungenen Schema bietet sich zunächt eine Unterteilung des Materials in drei Kategorien an:

pénitence. Et est-il vrai que nous ne saurions apprendre sans une extrême consolation, quel est le contentement que recoivent les Anges de voir le Pasteur rapporter sur ses épaules la brebis qui s’était égarée. […] Et quand on lit dans votre église ce qui est dit de votre jeune fils, qu’il était mort et qu’il est ressuscité; qu’il était perdu et qu’il a été retrouvé, cette solenelle réjouissance qui se passe dans votre maison arrache des larmes de nos yeux: car c’est en nous proprement et en vos Anges, que vous vous rejouissez par la charité sainte qui nous fait saints, puisque pour ce qui est de vous, vous êtes toujours le même, et vous connaissez toujours d’une même sorte les choses qui ne sont pas toujours ni d’une même manière«, Augustin, Confessions, VIII, 3. 110  Um die Tabelle übersichtlich zu gestalten, wird im Folgenden darauf verzichtet, die Passagen als Zitate auszuweisen (Seitenangabe in Klammern). Um einen möglichst vollständigen Überblick zu erreichen, wurden hier auch bereits zitierte Abschnitte aufgenommen, andere werden in den Unterkapiteln 4.c) und 4.d) erneut Beachtung finden.

304 4. Ecrits de conversion – Spezifika einer literarischen Form

•• expliziter Rückgriff auf ein exemplum als Beispiel für gelungene conversio. •• expliziter Verweis auf die göttliche Barmherzigkeit, vor allem unter Verwendung der bekannten Bilder, um einerseits die Haltung des Konvertiten und damit das Wagnis des Schritts zu erklären, andererseits einen indirekten Appell zu formulieren, ihn gleichfalls zu tun. •• von konkreten exempla unabhängige Verwendung der dort bereitgestellten Ausdrucksmöglichkeiten, die allerdings deutlich auf die bekannten Konzepte zurückweisen. Nota bene: •• Bei den grau unterlegten Schriften handelt es sich um Texte, die anlässlich einer conversio zum Protestantismus verfasst wurden. •• Grundsätzlich wurden nur Bilder aufgenommen, die in drei oder mehr Schriften des Korpus’ Verwendung fanden. •• Liegt in einem Text mehrmals das gleiche Bild vor, wurde in den einzelnen Kategorien nur ein Beispiel angeführt, die hohe Frequenz durch ein passim markiert. Wenn ein Abschnitt mehreren Kategorien zugeordnet werden kann, wurde er in die augenfälligste einsortiert. Rekurs auf exemplum gelungener conversio

Verweis auf Barmherzigkeit (+ gelungene conversio)

unabhängige Verwendung bekannter Konzepte









Dieu large en misericorde vueille faire la mesme grace à tant de pauvres brebis esgarees, & les reioindre en la bergerie de son fils bien aimé (29r)

des ma tendre ieunesse aix esté la pauvre brebis esgarée (epitre dedicatoire, n. p) passim

Victor Pierre Cayer (1596)







Princesse de Condé (1596)







(Hugues Sureau) Du Rosier (1573) Jean Haren (1586)

b) Conversio ineffable: die verwendete Bildsprache



Rekurs auf exemplum gelungener conversio Geoffroy De Vaux (1597)



305

Verweis auf Barmherzigkeit (+ gelungene conversio)

unabhängige Verwendung bekannter Konzepte

Et mon bon Ange mit au devant de mes yeux la misericorde de Dieu ­envers David son serviteur, envers S. Pierre & S. Paul, la Magdelaine, & le bon larron, pourveu que d’une vraye contrition je lamentasse avec­ que David: detestasse mon peché avec sainct Pierre, & desistasse de persecuter l’Eglise com­ me sainct Paul, me rendant d’inso­lant, fier, & presumptueux: paisible, debonnaire & humble avecque la Magdelaine. (21) je recours à Dieu misericordieux (30)

ce beau motet en musique: Pater peccavi in caelum & coram te. […] le Clergé alternativement chantoit le Psaume Miserere, […], en signe de reconciliation & rentrée dans la maison paternelle qui fut jadis faite a (sic!) l’enfant prodigue, chantans le Te Deum laudamus (31)

Dequoy me proffitoit que mes yeux fussent esclairez de ceste lumiere corporelle, si mon ame estoit assiegee des tenebres d’infidelité? (6)

Père Abraham (1601)





[…] Le Seigneur donc, soit louë, qui m’a desbendé les yeux, m’a fait voir la lumiere de son Evangile (6) […] Quelle santé m’estoitce, de respirer en un air agréable au corps puisque estant infecté de tant d’impieté il estoit si contagieux à mon ame? (6)

Edmond de Beauval (1601)





qu’il m’a monstré par la lueur de son S. Esprit, la naïfve clarté de sa saincte verité  : & que la splendeur d’icelle engendre son clair rayon és Eglises de ce Royaume (14) (Fortsetzung nächste Seite)

306 4. Ecrits de conversion – Spezifika einer literarischen Form (Fortsetzung von Seite 305) Rekurs auf exemplum gelungener conversio Iean Norman (1601)



Verweis auf Barmherzigkeit (+ gelungene conversio)

unabhängige Verwendung bekannter Konzepte

O bonté admirable de nostre Dieu! Il me souvient de la parabole de laquelle nostre Seigneur a usé en l’Evangile, disant (en marge Luc 15) Qui est l’homme d’entre vous qui ait cent brebis, s’il en perd une, ne laisse pas les 99 au desert, & ne s’en aille apres celle qui est perdue, tant qu’il l’ait trouvée? Et l’ayant trouvée, ne la mette sur son espaule bien ioyeux puis estant venu en la maison, n’appelle ses amis & voisins & ne leur die; Esiouisses vous avec moy : car jay trouvé ma brebis qui estoit perdue?  (32)

le remette en la vraye voye, vous le verriez tout tressaillir d’allegresse (31)

Nos yeux ayans esté illuminez des rayons de l’Eternel  (38)

Antoine Ginestet (1601) –



i’aspire a l’avenir moyennant la grace de mon Dieu (44)

Leonard Thevenot (1601) –

[…] que la discretion de ton esprit les conduise pour cuillir en ces jardins […], les herbes propres a la medecine de leurs maladies spirituelles, les plantes qui servent d’Antidote à la mort  (40) i’ay continuellement depuis entendu une voix resonnante aux oreilles de ma con­ science, […]. Or pour obëir a ceste voix, que les sainc­ tes Escritures m’enseignent estre l’Esprit de Dieu je me suis retiré en ce lieu vers vous, que je cognois estre brebis de la bergerie de Iesus Christ (45)

b) Conversio ineffable: die verwendete Bildsprache



Marguerite de Terride (1605)

Jacques Vidouze (1608)

Theotime le Zelé (Jean Dodeman) (1609)

307

Rekurs auf exemplum gelungener conversio

Verweis auf Barmherzigkeit (+ gelungene conversio)

unabhängige Verwendung bekannter Konzepte

Mais du iour de la Conversion S. Paul dernier, i’ay esté convertie, par la grace de Dieu (11)

D’autant que la grace & misericorde de Dieu […] est plus apparente sensiblement: l’Evangile aussi contient la mesme doctrine, monstrant que le bon Pasteur laisse les quatrevingts & dix brebis en la montagne, pour aller recercher celle qui estoit esgarée. Or, nous pouvons bien dire brebis esgarées, tous ceux & celles qui estans separés de l’Eglise, suivent les opinions de ceux qui n’ont nulle charge d’enseigner  (3 / 4)

Dieu m’a ouvert les yeux, & osté comme un bandeau d’iceux, pour me faire voir & cognoistre (10)

Conversion que sans iactance i’ose appeler miraculeuse, comme survenant extra-ordinairement, tant contre l’attente des Catholiques, qui m’ont autrefois cogneu Ministre à Agenois, qu’au dela la creance des Reformez, qui ont autrefois goustés quelque fonds de mes lettres; & mesmes diray-je contre ma propre esperance, apres avoir cruellement combatu de vive voix & par Escrits l’Eglise Catholique, Apostoli­ que & Romaine (6)



[…] m’a fait congnoistre la voye en laquelle ie dois cheminer (11)

Sur ce pas donc, que ie fay de la mort à la vie, des tenebres à la lumiere (9)





Saint Luc. xv nous rapporte les propres paroles de Iesus Christ, asseurant qu’au Ciel on sçait & on s’esiouit de la penitence que fait ça bas un pauvre pecheur (50) (Fortsetzung nächste Seite)

308 4. Ecrits de conversion – Spezifika einer literarischen Form (Fortsetzung von Seite 307) Rekurs auf exemplum gelungener conversio

Verweis auf Barmherzigkeit (+ gelungene conversio)

Pierre Cellette Gilles Rigot (1611)





unabhängige Verwendung bekannter Konzepte Pourquoi serons nous fourvoyants apres le troupeau des compagnons, comme si la pauvre ame esgarée de son droict chemin comme nous, à cause de la diversité de Religion vouloit dire: Je voy plusieurs pasteurs en ces montagnes qui ont grande multitude de brebis. (6) passim l’Eglise ma Mere […] de laquelle j’estois sorty com­ me un second enfant Prodigue, et estant en telle façon aveuglé, que ie ne croyois nullement que l’Eglise Catholique, Apostolique et Romaine fust la vraye Eglise  (4)

Daniel Bourguignon (1613)



H. M. De Gouffier Marquis de Bonivet (1616)

Loué soit Dieu, Messieurs, le Pere des misericordes, qui nous a arrachez les escailles de dessus les jeux, des tenebres d’horreur et abomination, nous a appelez à son admirable lumiere (3)

C’est pourquoy […], par les compassion(s) de nostre Seigneur Iesus Christ de vous resueiller, prendre garde a vous, ne vous point opiniastrer, ne regimber contre l’aiguillon, n’estouffer les dons de l’esprit de Dieu, lesquels il veut couronner en vous, si vous vous portez au bien, si vous cooperez à sa grace (13) Le lever du soleil s’approche, la lumière s’augmente et se fortifie en mon entendement (5)





Et puis que Dieu m’a faict ceste grace que sa parole serve auiourd’huy de lampe à mon pied & de lumiere pour mon sentier (7)

b) Conversio ineffable: die verwendete Bildsprache



Rekurs auf exemplum gelungener conversio

unabhängige Verwendung bekannter Konzepte

[…] soit que Dieu verse plus abondamment de ses misericordes parmy les derniers assauts, soit que les iustes frayeurs de ce passage à l’eternité, desillent bien mieux les yeux pour voir la verité que tous les discours des hommes (9)

Jean Guillebert (1617)



Pierre Marcha (1617)

Verweis auf Barmherzigkeit (+ gelungene conversio)

309

_

[…] Helas! mon Seigneur, ie ne suis pas digne que vous entriez soubs mon toict; mais dittes seulement un bon mot; & mon ame sera guerie: las! c’est bien moy qui dois tenir ce langage? moy plus incredule que S. Thomas, plus traistre que Iudas, desloyal que ie suis. Mon Dieu! mes crimes à la verité sont grands, mais la douceur de vos misericordes est bien encor plus grande  : […] redites encor un coup, ce que vous dites au bon larron, (21)

_



Dieu luy ayant suscité ce digne Prelat pour un autre Ananias pour luy faire tomber les escailles des yeux (9) Le voila bien avant engagé en l’erreur & enveloppé és tenebres de l’infidelité ob­ stinée (8) passim

Pierre Marcha (1618)





Le ROY, toute la Cour, & l’affluence des Peuples Catholiques, qui ont honoré de leur presence ceste celebre action s’en sont esiouys avec les Anges du Ciel, & la reputent à bon augure s’estant faite en la solénité de ce Sainct Iubilé, le gain d’une seule ame errante n’estant pas moins agreable a Dieu que la perseverance de plusieurs justes. (6) passim (Fortsetzung nächste Seite)

310 4. Ecrits de conversion – Spezifika einer literarischen Form (Fortsetzung von Seite 309) Rekurs auf exemplum gelungener conversio Le Blanc (1621)

François de Bonne Duc de Lesdiguieres (1622)

Benoist Berault (1623)

Ce qui s’est veu anciennement en ce grand Saül, reduit ap­ res en S. Paul, & petit selon qu’il se recog­ noist apres sa conversion pour tel, s’appellant avorton, & le moindre des Apostres par son humilité plus qu’admirable. Nous en pouvons recognoistre un tel subiet en monsieur Blanc, l’un des principaux ministres de la France (3 / 4)



Verweis auf Barmherzigkeit (+ gelungene conversio)

[…] lequel mal s’est rendu tellement Epidemique entre ces bons menagers, que presque tous ceux de la France s’en ressentent (6)





[…] Ce qui est dit afin que les errans retournent au bon chemin (11) passim

C’est (i. e. la conversion) un coup de ciel qui resiouit les Anges & les hommes & lequel toute l’Eglise Catho­ lique prend auiourd huy iuste occasion de louer Dieu en toute eternité. (4 / 5) ce R. P. qui a tant de zèle & d’amour pour la conversion des pecheurs, & particulièrement pour ses oüailles esgarées (7)

toutesfois celles là que le monde condamne, sont quelquefois reservées & attenduës de Dieu pour l’esclat de sa gloire, par la Con­ version soudaine, & miraculeuse d’icelle. […] A voir la vie lubrique & dissoluë de la Magdelaine […]; Qui eust vue une Samaritaine absorbée dans les vices […]; Un S. Matthieu, banquier, attaché à l’usure […]; Qui n’eust dit du Larron, complice de sedition […]; Qui eust vue un S. Paul, persecuteur de l’Eglise de Dieu […], Qui eust cogneu Nabugodonosor grand ennemy du peuple de Dieu […] (3–5)

unabhängige Verwendung bekannter Konzepte

une affection singulière envers toute ame esgarée (7)



b) Conversio ineffable: die verwendete Bildsprache



Rekurs auf exemplum gelungener conversio

Verweis auf Barmherzigkeit (+ gelungene conversio)

De Vrillac (1623) –

Daniel Pistorius (1623)



Antoine Rudavel (1627)

Après que l’apostre S.  Paul fust esclairé divinement des rayons de la grace de Jesus Christ, & qu’il eut ployé sainctement sa volonté rebelle soubs les efforts de la vocation efficace qui le changea si puissament en Pasteur de l’Eglise de laquelle il estoit le persecuteur; il n’eust ny dessein qui le pressast plus vivement, ny affections qui le poignist plus sensiblement, que de ramener au giron de la mesme Eglise, & à la profession de la mesme foy, ceux qu’il en avoit prealablement diverty par ses actions; & escarté par ses entreprinses. (4)



311

unabhängige Verwendung bekannter Konzepte ie m’estimerois heureux, si ce peu de lumiere que Dieu m’a communiqué pouvoit esclaircir vos tenebres, ie mourray content lors que ie vous verray avec moy au chemin de vie (30) passim

Ce Dieu de misericorde & de grande compassion qui cognoit mes pensées & entend les gemissemens de mon cœur froissé, veuille avoir pitié (de) moy pauvre pecheur, & effacer ma transgresion de laquelle ie luy demande pardon avec humilité. (7 / 8)

Dieu change par sa grace mes tenebres en lumiere (3)

Puisque la misericorde infinie de Nostre Dieu s’est daignée m’œillader favorablement, & verser dans mon sein les influences secourables de sa lumière, & que sa main m’a arraché avec non moins de bonheur que d’effort, des embrasemens de Sodome, pour me loger en seureté sur la haute montagne de son Eglise (4)

Le S.  Esprit, qui a bien voulu faire luire sur moy les rayons de la verité (5)

Ainsi frappé d’une saincte frayeur, ie me suis relevé hastivement, i’ay reprins ma lampe que i’avois iettée au loin, Dieu y a mis le feu de son esprit, versé l’huile de sa grace, & l’a rallumée par le souffle de sa bouche, lors i’ay cerché mon Dieu, & il m’a respondu, & me suis retourné au Sainct d’Israel que i’avois laissé (6) passim

(Fortsetzung nächste Seite)

312 4. Ecrits de conversion – Spezifika einer literarischen Form (Fortsetzung von Seite 311) Rekurs auf exemplum gelungener conversio Daniel Peyrol (1627)

Henri Vignier (1629)

Verweis auf Barmherzigkeit (+ gelungene conversio)

unabhängige Verwendung bekannter Konzepte Il m’en a prins comme à Nabuchodonosor, quand, par un long temps, le cœur d’homme luy fust osté, & au lieu d’iceluy luy fut donné un cœur de beste. Durant tout ce temps là je pouvais dire comme David au Psalm 73. Lors i’estois abruti, n’avois aucune cognoissance, i’estois, ô Dieu, une grosse beste en ton endroict. I’estoy comme assopi d’un profond letharge, tellement qu’il y a bien eu de la difficulté pour faire tant avec moy, que i’ouvrisse les Yeux et que ie m’esveillace de ce sommeil (12 / 13)

Il y a longtemps que Dieu qui ne veut point la mort du pecheur, ains qu’il se convertisse, & qu’il vive, tenant son arc bandé contre moy, & descochant sur moy les traicts inevitables de son courroux, & me poursuivant par iceux, comme iadis par les orages, & par les vents il poursuivit Ionas en l’esgarement de sa fuitte, m’a reduit finalement à ce point, que ne pouvant plus re­ sister à la force de son bras, ni regimber contre ses aiguillons, ie me suis rendu à sa mercy (3)













Dieu vueille que ce peu que j’en remarqueray serve d’aiguillon à ceux qu’il a eu pour confreres dans l’heresie pour les inciter à rechercher aussi soigneusement la lumiere de la verité qu’il l’a heureusement recontrée (5)



Benissant Dieu mille & mille fois le iour de la grace que sa bonté m’a faite, de m’avoir suscité le R. P. Ange de Raconis, Mißionaire Capucin […] Ou, comme un second Ananias, à l’endroit de moy, (qui n’agueres, en guise de Saul, persecutois l’Eglise CATHOLIQUE  (95)

Jean Poylevé (1630)

Jean Rochette (1633)

Après avoirs faict tomber de mon Entendement les TAYES de l’erreur

b) Conversio ineffable: die verwendete Bildsprache



Rekurs auf exemplum gelungener conversio Léonard Thevenot (1634)

La mesme lumiere qui parut à S. Paul, allant en Damas persecuter les Chrestiens, m’a esclairé, la mesme voys du Seigneur m’a appellé, bref le mesme Esprit qui rappella S. Paul de la voye de perdition à la voye du salut, m’a rappellé de l’heresie à la vraye Eglise (3)

Verweis auf Barmherzigkeit (+ gelungene conversio)

unabhängige Verwendung bekannter Konzepte





Ils nous a delivrez de la puissance des tenebres (11)

François Cupif (1637)

Isaac D’Huisseau (Léonard de Limbourg) (1639)

Sieur Papillon (1639)

313







demandez avec ardeur l’assistance du Ciel, à ce qu’il plaise au souverain Pasteur de nos ames vous ramener par la douceur de sa houlette en sa bergerie […] Ne permettez pas que vostre cheute devienne mortelle, mais par un prompte retour resiouïsssez les Anges (7)

Plusieurs Errans aussi avoient la curiosité de s’y trouver, qui n’eus­ sent pas creu cette glo­ rieuse conversion, s’ils ne l’eussent veuë euxmesmes; ce qui leur causa, & à leurs Freres un notable estonnement, à proportion de celuy des Iuifs, à la conversion de sainct Paul, lequel deffendit en suitte le Christianisme aussi vigoureusement, comme il l’avoit combatu auparavant (6 / 7)

Ç’a esté le bon plaisir de Dieu de m’appeller efficacement par sa grace, il a rompu tous ces liens, & m’a fait sentir que ie ne pouvois plus regimber contre la pointe de ses aiguillons (39)

Vous sçaurez donc, que depuis ma derniere escrite […] il ne s’est passé guere de iours qu’il n’y ait eu quelque nouvelle Conversion; & auquel l’Eglise ne se soit con­ iouïe à la reception de quelques brebis esgarée (2) –

(Fortsetzung nächste Seite)

314 4. Ecrits de conversion – Spezifika einer literarischen Form (Fortsetzung von Seite 313) Rekurs auf exemplum gelungener conversio Michel Le Camus (1640)



Verweis auf Barmherzigkeit (+ gelungene conversio)

unabhängige Verwendung bekannter Konzepte

Il ne m’arrivera iamais, Dieu aidant, d’estre si ridiculement resomptueux, que de m’accomparer en dons & vertus à cét illustre vaisseau d’élection S. Paul, mais ie puis dire par la misericorde de mon Dieu, que ce Père des lumieres & de compassions, qui ne prend point plaisir à la mort du pecheur, mais à ce qu’il se convertisse, & qu’il vive, m’a fait quelque chose de ce qu’il fit à ce grand Apostre sur le chemin de Damas. (4)

Car comme i’estois sur celuy (i. e. le chemin) d’Angers pour de là, selon l’ordre de ceux qu’en mon aveuglement ie reconnoissois pour Superieurs, prendre la commission d’aller à Vitré […], sa main charitable & puissante m’a tout court arresté dans la Ville de Tours, & depuis, apres quelques virevoutes de mon irresolution ramené en celle de Blois, où il a plus à sa divine bonté fortifier en moy d’une part le dégoust que i’avois ressenti dés quelque temps auparavant […] m’a donné de l’autre le desir de m’in­ struire particulierement de la Foy (4).

Que le Père des bontez & des misercordes ayant éclairé les tenebres, & desillé mes yeux pour me faire recognoistre la souveraine authorité (45 / 46) Jacques Benjamin Du Clos (1642) –



ai prins dés lors une vigoureuse resolution de reprendre le bon chemin, de sortir de mes égaremens, & de retourner, ainsi que fist autrefois l’Enfant prodigue, en la maison du Père Celeste (4) nous serons éclairez de la lumiere de sa face, pendant que les Infidelles & Heretiques seront jettez és tenebres de dehors (150)

b) Conversio ineffable: die verwendete Bildsprache



François Dumas (1642)

315

Rekurs auf exemplum gelungener conversio

Verweis auf Barmherzigkeit (+ gelungene conversio)

unabhängige Verwendung bekannter Konzepte

Et parce que ie remar­ que beaucoup de con­ formité entre les suc­ ces de ma vie, & la conduitte de celle de S. Augustin, ie ne craindray point d’entrer pour ce regard en parallèle avec ce grand Prelat, quoy que d’ailleurs ie recognoisse bien, que […], sa sublime doctrine, l’eslevent autant au dessus de mes demerites, que le plus haut des Cieux s’escarte du centre de la terre. (5) […]  comme S. Augustin (6) […]  pour me servir des propres termes de mon S. Augustin (7) […]  Cependant ma pauv­ re mere, comme une autre Monique, se consommoit d’ennuis pour mon desvoyement (11 / 12) En sa presence les tayes me tombèrent des yeux, comme celles de S. Paul en presence d’Ananias (27) ce grand Sainct, Patron de ma conversion [… ] (i. e. S. Augustin) (30)

esté aveugle quant à l’ame, & de m’estre escarté du chemin de la verité & de la vertu; afin que Dieu, par la grace, duquel i’ay recouvert la veuë, en soit glorifié (4)

Il n’y a point de doute que ceux, lesquels apres avoir esté heureusement gueris de de l’une des plus pernicieuses maladies de l’ame  (4)

Ayant donc receu ma commission & mes lettres d’envoy (comme un autre S. Paul avant sa conversion (en marge Rom 1) pour impugner la verité & la tenir iniustement captive; au lieu que l’ire de Dieu se devoit signaler du Ciel sur mon impiété, ie fus par sa pitié soudainement esclairé d’une lumière interieure, qui sans me priver (com­ me S. Paul) de la veuë du corps, commença à me rendre celle de l’esprit, me jettant dans le doute de la valeur de ma mission (21 / 22)

D(aniel?) Perdrix (1642)





Et cependant ie tombay dans cét aveuglement […], & comme un Enfant prodigue, estant sorty de la maison de mon père Celeste, qui est la saincte Eglise (11) Il est vray que mes tayes n’estoient pas tellement abbatuës que ie visse clairement la verité; […] Il restoit dans mon ame quantité de nuées de doutes qui la mettoient en trouble, & que ie ne pouvois dissiper de moymesme […] (26) Ie fus accueilly de luy (i. e. un Père Capucin) comme la brebis errante, du bon Pasteur, l’Enfant prodigue, de son père; S. Augustin apres sa conversion, de ce grand Evesque de Milan, S. Ambroise (28)

fasse cette grace de tellement ouvrir les yeux de vostre esprit, que puissiez vous remettre au chemin salutaire (n. p. vor 5) Aussi par la grace de Dieu voyons-nous qe ce venin d’hérésie est repoussé & chassé par ce contre poison de la parole de Dieu, duquel ie me suis servy pour me preserver de mort eternelle, non de moy mesme, mais de la grace qui m’est donnee d’enhaut qui me fait le revomir & rejetter. (5) (Fortsetzung nächste Seite)

316 4. Ecrits de conversion – Spezifika einer literarischen Form (Fortsetzung von Seite 315) Rekurs auf exemplum gelungener conversio Pierre Jarrige (1648) –

Antoine Poignant (1648)

François Clouet (1648)

Verweis auf Barmherzigkeit (+ gelungene conversio)

unabhängige Verwendung bekannter Konzepte

Dieu, qui par un secret merveilleux de sa Predestination appelle ceux qu’il luy plaist à sa sainte connaissance, & par elle au salut, a finalement esclairé mon ame, & m’a fait voir, par sa divine misericorde, que i’ay vescu dans les tenebres de l’erreur (16)

vue que depuis plusieurs années Dieu luy auroit fait grace de luy dessiller les yeux & de luy faire reconnoistre les erreurs & super­ stitions qui sont en l’Eglise Romaine (15) passim





qu’il touche vos cœurs de repentance; & illumine vos entendemens de sa clarté pour recognoistre le chemin du salut eternel (5)











quand il y va de la conversion d’une ame, car l’Ecriture sainte vous enseigne qu’il faut laisser les quatrevingt dix neuf brebis pour chercher celle qui est égarée; & au contraire, cette Brebis vous vient trouver, & vous la voulez abandonner.  (6)





(Jean de Beaumais) (1651)

Louis Le Masson (1657) P(ierre?) Pommiers (1660)

la lumière me trouva (18) passim En calmant les orages de mon esprit par l’éclaircissement de mes doutes (2)

Mais il a pleu à ce­ luy qui éclaira S Paul en l’aveuglant, de m’éclairer dans mon aveuglement (3) –

C’est là (i. e. à Uzès) que i’ay rencontré une charité vrayement Apostolique en Monseigneur l’Evesque, qui voyant une brebis égarée, laquelle n’avoit point d’autre Pasteur que le Mensonge. (2)



b) Conversio ineffable: die verwendete Bildsprache

317

aa) Die Bilder vom brebis égarée und vom fils prodigue Anhand der Zusammenstellung wird sehr deutlich, dass der Rekurs auf die Gleichnisse vom verlorenen Sohn und vom verlorenen Schaf über die ganze betrachtete Zeitspanne hinweg lebendig blieb. Auffällig ist jedoch, dass beide Bilder, die vor allem zur Illustration der Situation des Gläubigen vor seiner conversio bzw. seines Verhältnisses zur Kirche dienen, fast ausschließlich in Schriften Verwendung fanden, die anlässlich einer conversio zum Katholizismus verfasst wurden. Lediglich Iean Norman bedient sich in der Schrift, die er im Jahr 1600 anlässlich seines Übertritts zum Protestantismus verfasste, des Bildes vom verlorenen Schaf – wie zu zeigen sein wird allerdings auf etwas andere Weise als seine ›katholischen Kollegen‹.111 In den ›katholischen‹ Schriften steht dann nicht so sehr die Barmherzigkeit Gottes, dargestellt durch den liebenden Vater und den treusorgenden Hirten im Vordergrund, obwohl natürlich der Hinweis auf das mögliche Vertrauen in die göttliche Zuwendung und damit der Aufruf, gleichfalls conversio zu wagen, hier selbstverständlich mitschwingt. Vor dem Hintergrund der dargelegten historischen Bedingungen sowie des Selbstverständnisses der katholischen Kirche, die sich selbst als veritable Eglise, die Eglise reformée hingegen als häretisch betrachtete, liegt der Schwerpunkt des Gleichnisses auf dem Moment der Wiedereingliederung des Gläubigen in die Gemeinschaft der katholischen Kirche. Unterstützt wird diese Deutung durch die konsequente Verwendung des Bildes vom »brebis égarée« anstelle von »brebis perdue«, der damals gängigen Übersetzung des griechischen »ἀπόλλυμι« aus Lk 15, 6. Sowohl die Bible de Louvain als auch die Bible de Genève geben den entsprechenden Vers mit »Esiouissez-vous avec moi, car j’ai trouvé ma brebis qui etoit perdue«112 wieder, die Vulgata entsprechend mit »Congratulatimi mihi, quia inveni ovem meam quae perierat«113 Die Bezeichnung »brebis esgarée« geht hingegen auf die damals weitaus weniger bekannte Version des Gleichnisses aus dem Matthäusevangelium (Mt 18, 12–14) zurück,114 die al111  Tatsächlich verwendet auch Thevenot in seiner Schrift von 1601 das Bild des brebis, verbindet es aber mit demjenigen vom guten Hirten. Eine Verbindung zum genannten Gleichnis wird nicht hergestellt »Or pour obëir a ceste voix, que les sainctes Escritures m’enseignent estre l’Esprit de Dieu je me suis retiré en ce lieu vers vous, que je cognois estre brebis de la bergerie de Iesus Christ«, Thevenot, Declaration, in: Anonym, Diverses révocations, 45. 112  Lk 15, 6. Gleicher Wortlaut in Bible de Louvain und Bible de Génève. 113  Lk 15, 6; Biblia Sacra vulgatae editionis Sixti V Pont. Max. iussu recognita et clementis VIII auctoritate edita. Editio emendatissima apparatu critico instructa cura et studio Monachorum Abbatiae Pontificiae Sancti Hieronymi in Urbe Ordinis Sancti Benedicti. Turin: Marietti 1959. 114  Cf. Ulrich Luz, Das Evangelium nach Matthäus (3. Teilband, Mt 18–25). Evangelisch-katholischer Kommentar zum Neuen Testament. Zürich, Neukirchen:

318 4. Ecrits de conversion – Spezifika einer literarischen Form

lerdings keinen Hinweis auf die in den Konversionsschriften regelmäßig als »reiouissance des anges« evozierte »ioie au ciel« respektive »ioye devant les anges de Dieu«115 bereithält.116 Das deutet darauf hin, dass »perdue« hier durchaus mit Absicht gegen »esgarée« ausgetauscht wurde: Während nämlich »perdu(e)« lediglich den Zustand des Verlorenseins angibt, umfasst »e(s) garé(e)« notwendig das Abweichen von einem zunächst eingeschlagenen, dann aber verlassenen richtigen Weg117 – hier demjenigen in und mit der Gemeinschaft der katholischen Kirche. Unterstützung findet diese These bei einem Blick in den bereits erwähnten écrit de conversion von Norman: Dieser zitiert nämlich sehr ausführlich das Gleichnis vom brebis perdue: O bonté admirable de nostre Dieu! Il me souvient de la parabole de laquelle nostre Seigneur a usé en l’Evangile, disant Qui est l’homme d’entre vous qui ait cent brebis, s’il en perd une, ne laisse pas les 99 au desert, & ne s’en aille apres celle qui est perdue, tant qu’il l’ait trouvée? Et l’ayant trouvée, ne la mette sur son espaule bien ioyeux puis estant venu en la maison, n’appelle ses amis & voisins & ne leur die; Esiouisses vous avec moy : car jay trouvé ma brebis qui estoit perdue?

Luc 15

Während in der Schrift des zum Protestantismus übergetretenen Norman tatsächlich die Sorge und Barmherzigkeit des Vaters sowie die Freude über das Auffinden des Sünders / Schafes118 im Mittelpunkt steht – und damit die Benzinger, Neukirchener Verlag 1997, 30s. In der katholischen Liturgie war das Gleichnis gleichfalls nur in der Lukas-Version präsent, in Verbindung mit demjenigen von der verlorenen Drachme (cf. dazu supra, Kapitel 1.a)). 115  Die Formulierung »ioye au ciel« stammt aus Lk 15, 7 (Bible de Louvain, Bible de Genève): »Ie vous dy, que ainsy sera ioye au ciel sur un pecheur faisant penitence«; diejenige der »ioye devant les anges« aus dem Abschlussvers des sich anschließenden Gleichnisses von der verlorenen Drachme (Lk 15, 10), was einmal mehr die Provenienz des Schaf-Bildes aus dem Lukasevangelium bestätigt. 116  Mt 18, 12–14 (Bible de Louvain) »Si un home avoit cent brebis, & une d’icelles fut esgaree, ne laisse il point les quatre vingz & dixneuf aux montaignes, & va chercher celle qui a esté esgarée, & s’il advient qu’il la trouve, ie vous dy en verité, qu’il a plus de ioye d’elle, que des quatre ving dixneuf, qui n’ont pas esté esté esgarées. Ainsy n’est pas la volunté devant nostre père qui est ès cieux, qu’un seul de ces petits perissent«. An entscheidenden Stellen gleicher Wortlaut in der Bible de Genève. 117  Cf. Rey, Dictionnaire historique, Lemma: (s’)égarer: »perdre le bon chemin, s’écarter du bon sens«. Cf. beispielsweise Furetière, Dictionnaire, Lemma: esgarer: »perdre la bonne route«; Richelet, Dictionnaire: »détourner de son chemin«. 118  Grundsätzlich war das Bild der Freude der Engel im Protestantismus damals sehr beliebt und wurde oft zur Illustration des sola gratia-Prinzips benutzt, cf. ­Animosa Oveja, »Neunundneunzig sind nicht genug! (Vom verlorenen Schaf) Q  15.45a7«, in: Ruben Zimmermann e. a. (ed.), Kompendium der Gleichnisse Jesu. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2007, 205–219, hier 218. In dieser Weise ver-



b) Conversio ineffable: die verwendete Bildsprache

319

ursprüngliche Botschaft des Gleichnisses erhalten bleibt – erfährt das Bild in den katholischen Schriften wie gezeigt eine deutliche Umdeutung. Dies gilt allerdings nicht nur für das vom Weg abgekommene Schaf: Auch die »rejouissance des Anges« lässt sich nicht mehr allein als Freude über die Rückkehr fassen, sondern auch als Begeisterung über einen weiteren Schritt auf dem Weg zur angestrebten unité religieuse interpretieren. Auch wenn mit der Schrift von Norman ein Gegenbeispiel vorliegt, erscheint es legitim, den Rückgriff auf das Bildprogramm der beiden Gleichnisse als konfessionsspezifische – hier katholische – Besonderheit hervorzuheben. Ebenso ausschließlich in Schriften verankert, die anlässlich eines Eintritts in die katholische Kirche verfasst wurden, ist der Rückgriff auf weitere exempla, die im besonderen Maße die Möglichkeit von conversio herausstellen. Beispiele dafür bieten die Texte von De Vaux, Berault und Peyrol, in denen mit Nebukadnezar, David, Petrus, Paulus, Maria Magdalena, Dismas, Matthäus und der Samaritanerin Personen angeführt werden, die den Konvertiten seit jeher aus der Liturgie ebenso wie aus der religiösen Kunst oder aus Mysterienspielen als Sünder und Umkehrer bekannt waren.119 Da insbesondere der ikonographische topos der reuigen Sünder, zu denen ja auch der verlorene Sohn gehört, wie gezeigt, im ausgehenden 16. sowie im 17. Jahrhundert weit verbreitet war und entsprechende Abbildunwendet es auch der ministre Isaac d’Huisseau, als er in einem Brief versuchte, Léonard de Limbourg zur Rückkehr in die Eglise Réformée zu bewegen: »demandez avec ardeur l’assistance du Ciel, à ce qu’il plaise au souverain Pasteur de nos ames vous ramener par la douceur de sa houlette en sa bergerie […] Ne permettez pas que vostre cheute devienne mortelle, mais par un prompte retour resiouïsssez les Anges«; D’Huisseau, Lettre, 7. 119  Cf. De Vaux, Celebre Conversion, 30; Anonym, L’heureuse conversion (Berault), 3–5; (Peyrol, Daniel), Declaration de Daniel Peyrol, docteur en theologie, cy devant Ministre de la pretenduë Reformée en l’Eglise de Montpelier. De ce qui l’a induit à rechercher sa paix, & reconciliation avec l’Eglise Catholique, Apostolique, Romaine avec Diverses lettres du mesme sur ce subject. Le tout imprimé sur les Originaux escrits & signez de la propre main dudict Sieur Peyrol, & verifiez par Acte du Magistrat. Montpellier: Pech 1627 (26 Seiten, in-8°), 12 / 13. Peyrol vergleicht seine conversio darüber hinaus mit derjenigen von Jona (ibid, 3): So wenig wie sich dieser der göttlichen Macht (Sturm und Wind) widersetzen konnte und schließlich nach Ninive reiste, so wenig vermochte Peyrol gegen die von Gott gefügte Einsicht, auf dem falschen Weg zu sein, anzugehen. Zur Präsenz der in den Schriften genannten Persönlichkeiten in Predigt (Pepin), Bildkunst (Dissay) und religiösem Theater (Mystère von Jean Michel) cf. ausführlich supra, Kapitel 1.a); 1.c) und 1.d). Ein weiterer Bezug zu zeitgenössischen Frömmigkeitsformen ist im Hinweis auf das Motiv der fontaine de misericorde greifbar: »je viens à la fontaine de refrigeration, grevé grandement de mes pechés je recours à Dieu misericordieux«; De Vaux, Celebre Conversion, 30 sowie »estans pres de la fontaine de toute charité & misericorde«, Theotime le Zelé, Dodeman, 50. Zur fons pietatis cf. gleichfalls supra, Kapitel 1.c).

320 4. Ecrits de conversion – Spezifika einer literarischen Form

gen im Rahmen von mission ganz bewusst in der conversio-Pastoral eingesetzt wurden, liegt es nahe, dass diese Figuren den Gläubigen beim Verfassen von Konversionsschriften in den Sinn kamen und deshalb dort Eingang fanden. Darüber hinaus spielt aber auch der Aspekt der Nachahmung eine Rolle, ist doch davon auszugehen, dass jeder, der ein écrit de conversion verfasste, vorher schon den einen oder anderen Text dieser Art in den Händen gehabt hatte und dementsprechend die Bilder übernahm, die ihn spirituell ansprachen und die anderen fallen ließ. Dass sich aber jeder Verfasser von Konversionsschriften mit allen von ihm verwendeten Konzepten jeweils intensiv auseinandersetzte, ist unwahrscheinlich und sicher auch eine Frage des Interesses, des Bildungsstands, der verfügbaren Zeit. Dabei stellt sich dann erneut die Frage, wer für den jeweiligen Sprachgebrauch ebenso wie für den Rekurs auf bestimmte exempla verantwortlich zeichnet. Eine andere Situation ergibt sich nämlich, wenn die Konversionsschrift von einem Außenstehenden oder unter Anleitung verfasst wurde. Die Chance, dass die verwendeten Bilder dann eher den Ansichten der Verantwortlichen als denen der Konvertiten entsprachen, ist ungleich größer. So war beispielsweise die Vorstellung vom »brebis égarée« möglicherweise zunächst ›von oben‹ eingeführt worden, drang dann in die Schriften ein und wurde später weitertradiert, ohne dass die spezifische Bedeutung von »égarée« noch bekannt und dem Einzelnen bewusst war. bb) Paulus und Augustinus als Leitbilder In beiden Konfessionen verbreitet und mindestens seit dem 17. Jahrhundert üblich war der Rekurs auf die conversio Pauli. Wie an den Zitaten ersichtlich, manifestiert sich dieser entweder als direkte Übernahme der Situation (Le Camus) oder in der Art eines Vergleichs (Le Blanc; Thevenot 1634), manchmal auch durch die Anverwandlung der im Zusammenhang mit der Christophanie stehenden Begrifflichkeiten. Dabei verweisen jedoch beispielsweise »un autre Ananias« (Marcha), »une voix resonnante aux oreilles« (Thevenot 1601), »dessiller les yeux« (Jarrige, Guillebert) oder das bereits erwähnte Sprichwort »regimber contre l’aiguillon« (Bourguignon, Cupif, Peyrol) deutlich auf die Berichte der Apostelgeschichte, wohingegen die Varianten von Licht und Finsternis (»lumière«, »tenèbres«, »éclaircissement«, »lampe«, »rayon«) auch als allgemein biblisch beeinflusste Ausdrucksweise gefasst werden könnten. Im Rahmen eines écrit de conversion werden mit der literarischen Form Konversionsschrift vertraute Leser dies wohl als ›paulinisches‹ Sprachmaterial empfunden haben, zumal es in den entsprechenden Passagen ja auch tatsächlich vorkommt.

b) Conversio ineffable: die verwendete Bildsprache



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Vor dem Hintergrund dieses Befundes und der tatsächlich hohen Frequenz von Paulus-Bezügen, denen gegenüber sich diejenigen auf Augustinus oder andere ›erfolgreiche‹ Konvertiten recht mager ausnehmen, ist zu fragen, was seine conversio so außergewöhnlich macht, dass sie sich in so hohem Maße als Vorbild und Bezugspunkt eignet. Bevor darauf eine Antwort gegeben wird, seien die Texte mit Rekurs auf Augustinus analysiert. Tatsächlich finden sich im gesamten Textkorpus nur sechs Schriften mit explizitem Hinweis auf den Kirchenvater: die bereits erwähnten von Du Rosier und Le Heurt (Cellette und Rigot), in denen Augustinus vor allem als Autor antihäretischer Schriften hervortritt120; die Schrift von De Vaux, deren Verfasser sich eines lateinischen Zitats des Kirchenvaters zur Einleitung seiner Schrift bedient und durch den Herkunftsnachweis »c. 8 lib de dono perseverantiae«121 – den zumindest ein Teil seiner Leserschaft entschlüsseln konnte – gleichfalls Bezug auf das antihäretische Schrifttum von Augustinus nimmt, sowie die Texte von Bourguignon, Dumas und dem anonymen Verfasser des écrit de conversion von Pierre Marcha (1617). Nur in den drei letztgenannten orientieren sich die Autoren am ›Konvertiten‹ Augustinus: Bourguignon, indem er angibt, seine eigene conversio habe »le iour de la Conversion de S. Augustin«122 stattgefunden, der Verantwortliche für den Text von Marcha, indem er seine Schrift mit derjenigen von Victorinus »du narré de Sainct Augustin en ses confessions«123 vergleicht, hoffend dass auch dieses écrit de conversion ähnliche Wirkung erziele.124 Der Rekurs auf Augustinus beschränkt sich in beiden Fällen auf kurze Anspielungen auf Leben und Werk des Kirchenvaters. Deutlich breiteren Raum nimmt die conversio Augustini auf den ersten Blick in der Schrift von François Dumas ein, lässt doch bereits der Titel Les Confessions du Sr François Dumas125 vermuten, dass das Werk von Augustinus in struktureller und sprachlicher Hinsicht Modell gestanden hat. Wie aus den in der Tabelle angeführten Textbeispielen ersichtlich, zieht Dumas zwar fortlaufend Parallelen zwischen seinem eigenen Handeln und Denken und demjenigen von Augustinus, zum Ausdruck des ineffable, also des Moments der conversupra, Kapitel 4.a). De Vaux in idem, Celebre Conversion, 5. Es handelt sich um eine Sentenz aus De dono perseverantiae, eine gegen die Anhänger des als Häretiker verdächtigten Pelagius gerichteten Schrift. 122  Bourguignon, Heureuse conversion, 5. 123  Anonym, Ample et fidelle narré (Pierre Marcha), 16. 124  Zur Wirkung des conversio-Berichts von Victorinus und dessen Bedeutung für die conversion von Augustinus cf. supra, Kapitel 4.a). 125  Dumas, François, Les Confessions du Sr François Dumas, cy-devant Ministre de la Religion Prétendue reformée après sa conversion à la Religion Catholique, Apostolique et Romaine. Lyon: Cayne 1642 (31 Seiten, in-8°), Titel. 120  Cf. 121  Cf.

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sio per se sowie seines Gemütszustands nach deren Vollzug bedient er sich jedoch wiederum paulinischen bzw. allgemein biblischen Sprachmaterials. Damit fällt Augustinus hier wie in den anderen fünf analysierten Texten die Rolle des prestigereichen conversio-exemplum zu, in dessen Tradition man sich gerne stellt, dessen écrit de conversion aber kaum nennenswerte Spuren im sprachlichen Material hinterlassen hat, dessen man sich üblicherweise zur Darstellung von conversiones bedient. Grund dafür ist schlicht die Tatsache, dass sich Augustinus seinerseits, wie am Beispiel des bereits zitierten conversio-Moments klar ersichtlich,126 seinerseits des biblischen Repertoires bediente, spezifisch augustinisches Material also schwer auszumachen ist. Eine Ausnahme bildet das Motiv des combat intérieur, das deutlich augustinischen Einfluss erkennen lässt.127 Nichtsdestotrotz wäre es den Konvertiten im Zeitalter von Reformation und Konfessionalisierung wohl grundsätzlich im gleichen Maße möglich gewesen, beispielsweise die »tolle-lege«-Episode in ihren eigenen Werken nachzugestalten, um ihre conversio begreiflich zu machen, wie es später unter anderen Rousseau in seinen Confessions getan hat.128 Dass die Verfasser von écrits de conversion davon Abstand nahmen und dem paulinischen Modell den Vorzug gaben, ergibt sich vor allem aus der Parallelität der conversio-Situation: Wie bereits im vorangegangenen Kapitel angedeutet, geht es bei der Übernahme der Ausdrucksmittel ja nicht nur um das Schaffen eines Wiedererkennungseffekts: Im Vordergrund steht der Versuch, etwas Unerklärliches greifbar zu machen. Paulus, dessen conversio seine Zeitgenossen zunächst große Zweifel entgegenbrachten129 und den auch die übrigen Apostel anfangs mieden, weil sie seiner Veränderung keinen Glauben schenkten,130 der schließlich aber zu einer der tragenden Säulen der christlichen Gemeinde wurde, ist das beste Beispiel dafür, dass conversio – und zwar vollständige, radikale – möglich ist, ohne dass sie für die Person selbst fassbar ist. Wie die zitierten Passagen aus der Apostelgeschichte und weitere aus den Briefen,131 in denen Paulus auf das Ereignis zu sprechen kommt, zeigen, 126  Cf. supra, Kapitel 4.b). Wie ebenfalls bereits angemerkt, benutzt Augustinus die Gleichnisse vom verlorenen Schaf und vom verlorenen Sohn, um die göttliche Barmherzigkeit und die himmlische Freude über die conversio des Sünders zu illustrieren, cf. gleichfalls supra, Kapitel 4.b). 127  Cf. dazu infra, Kapitel 4.c). 128  Zur Anverwandlung der »tolle-lege«-Episode in den Confessions von Rousseau cf. supra, Kapitel I. 129  Cf. Apg 9, 23–25. 130  Cf. Apg 9, 26–27. 131  Cf. vor allem 1 Kor 8–10: »Als letztem von allen erschien er auch mir, dem Unerwarteten, der ›Mißgeburt‹. Denn ich bin der geringste von den Aposteln, ich



b) Conversio ineffable: die verwendete Bildsprache

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ringt er selbst (respektive Lukas) um Worte: Beide versuchen, die Art und Weise, in der Gott an Paulus wirkte, greifbar zu machen – mit Rekurs auf vertraute Bilder.132 Dabei bleibt das ›Wie‹ dieser conversio letztlich offen, entscheidend ist ihr Ergebnis: das Leben in und für die neue Gemeinschaft, die Kirche Christi. Die Parallele zur conversio der Konfessionswechsler des späten 16. und 17. Jahrhunderts ist hier offensichtlich. Wie gezeigt sahen sich die Konvertiten damals wie Paulus in einer Rechtfertigungssituation: die einen, weil sie die sincérité ihres Schritts beweisen mussten, die anderen, weil sie – wie Paulus – von ihren neuen coreligionnaires mit Skepsis betrachtet und als Spione verdächtigt wurden.133 Indem die Mitglieder beider Konfessionen ihren eigenen itinéraire spirituel mit demjenigen des Völkerapostels parallelisierten oder auch nur immer wieder durch einzelne Wörter Erinnerungen daran aufblitzen ließen, entledigten sie sich nicht nur bis zu einem gewissen Grad der Erklärungsnot, sondern bewiesen auch ihre lauteren Absichten im Dienst ihrer neuen Gemeinschaft. bin nicht wert, Apostel genannt zu werden, weil ich die Kirche Gottes verfolgt habe. Doch durch Gottes Gnade bin ich was ich bin, und sein gnädiges Handeln an mir ist nicht ohne Wirkung geblieben«; Gal 1, 15 / 16: »Als aber Gott, der mich schon im Mutterleib auserwählt und durch seine Gnade berufen hatte, mir in seiner Güte seinen Sohn offenbarte, damit ich ihn unter den Heiden verkündige, da zog ich keinen Menschen zu Rate«. 132  Cf. dazu ausführlich Karl Löning, Die Saulustradition in der Apostelgeschichte. Münster: Aschendorff 1973, 64–78, auch im Vergleich zu den paulinischen Selbstaussagen, sowie Dietzfelbinger, Berufung, 78s. 133  Zur Identifikation der zum Protestantismus übergetretenen katholischen Geistlichen mit Paulus, in dem sie die Figur eines persécuteur persécuté entdeckten, cf. ausführlich Boisson, Consciences, 263–265. Auch wenn Paulus auf den ersten Blick den in die Eglise réformée eintretenden Gläubigen besondere Anknüpfungsmöglichkeit bietet, ist die von Wanegfellen vertretene Ansicht: »La référence au chemin de Damas s’impose donc presque d’elle même pour rendre compte du passage d’un clerc catholique au protestantisme. Celle qui correspond le mieux à l’expérience inverse, l’adhésion au catholicisme d’un calviniste, est la conversion d’Augustin« (idem, Convertis, in: Attias, Conversion, 196) nicht haltbar, da, wie gezeigt, Paulus auch für den Übergang zum Katholizismus als Vorbild herangezogen wurde (Le Blanc, Thevenot, Rudavel). Darüber hinaus bedienten sich zahlreiche Gläubige für die Darstellung ihres itinéraire spirituel auf dem Weg zur conversio zum Protestantismus des bereits erwähnten, unter anderem bei Augustinus manifesten Kampfmotivs (cf. dazu Kapitel 4.c)). Wie zudem anhand der beiden Schriften von Thevenot ersichtlich, bedient sich dieser sowohl 1600 bei seinem Übertritt in die Eglise réformée als auch 1634 bei seiner conversio zum Katholizismus des paulinischen Modells, was einmal mehr die Vermutung nahelegt, dass die Verfasser von écrits de conversion, so sie denn selbst entscheiden konnten, die conversio-exempla wählten, die ihnen selbst vertraut waren und die sie deshalb auch für andere als spirituell ansprechend erachteten. Konfessionelle Unterschiede scheinen dabei keine große Rolle gespielt zu haben.

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Darüber hinaus hatte Paulus beispielsweise gegenüber Augustinus den Vorteil, Mitglied bzw. Mitbegründer der Urkirche zu sein, an der sich gerade die Protestanten orientieren wollten. Dies erlaubte es, ihn als biblische Gestalt als Vorbild anzunehmen. Ein Rekurs auf andere Persönlichkeiten wäre gerade im Rahmen einer Konversionsschrift, die anlässlich eines Übertritts in die Eglise Reformée verfasst wurde, nicht möglich gewesen, hätte man sich doch von vornherein des Verdachts ausgesetzt, alten Formen der Heiligenverehrung anzuhängen. Dass auch bei der Verwendung des paulinischen Musters die Aspekte Gewohnheit und Nachahmung eine Rolle spielen, viele sich der Ausdrucksmöglichkeiten bedienten, weil sie selbst damit gute Erfahrung machten und zudem – sowohl als Katholik als auch Protestant – mit der Figur seit Jahren vertraut waren, ohne sich aller theologischen Implikationen bewusst zu sein, liegt auf der Hand und hat den Erfolg der Texte keinesfalls geschmälert. Im Gegenteil: Gerade vor dem Hintergrund der dargestellten Entstehungsbedingungen der literarischen Form Konversionsschrift, war es einerseits notwendig, eingängige, an die Vorstellungen der Leser anknüpfende Bilder zu integrieren, andererseits die Werbefunktion der Texte nicht zu vernachlässigen. Gerade dieser letzte Aspekt macht den erfolgreichen Missionar Paulus stärker als die Büßer Maria Magdalena oder Dismas zu einer auch der Obrigkeit willkommenen Identifikationsfigur für Konvertiten. Das bedeutet allerdings nicht, dass der Hinweis auf die göttliche Barmherzigkeit demgegenüber an Bedeutung verliert, zumal conversio als Konfessionswechsel ja, wie gezeigt, von beiden Seiten als Rückkehr zu einem gottgefälligen Leben gedacht wird. Eine diesbezügliche Ermunterung ist deshalb, wie anhand der Tabelle ersichtlich, implizit – im Verweis auf die genannten Gleichnisse – oder explizit im ganzen betrachteten Zeitraum wichtiger Bestandteil von Konversionsschriften. cc) Weitere rekurrente Bilder (z. B. Weg, Licht, Kampf, Genesung) Bei der Durchsicht der écrits de conversion fallen sowohl im Zusammenhang mit der oft vorhandenen Auflistung der conversio-Motive, also der Lehrunterschiede, die einen Übertritt nahelegten, als auch bei der Darstellung des Lebenswegs, Übereinstimmungen hinsichtlich der verwendeten Ausdrucksmittel auf, die allerdings eher der Ähnlichkeit des Gegenstands geschuldet sind, denn als Ergebnis eines rhetorischen oder inhaltlichen Programms gelten können. Auch sind vereinzelt weitere biblische Motive auszumachen, die gleichfalls dazu dienen sollen, dem Leser die erlebte Erfahrung nahezubringen. Zu ihnen gehören beispielsweise Weg und Licht – die allerdings auch paulinisch gedeutet werden können – oder die bereits er-



b) Conversio ineffable: die verwendete Bildsprache

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wähnten Bilder von Schiff und Hafen.134 Die letztgenannten ebenso wie die Bezeichnung der katholischen Kirche als »la vraye colomne de verité«135 oder der Eintritt in dieselbe als »ancre enfin fermée«136 bzw. »ancre du salut«137 dienen alle dazu, der Gegenseite die besondere Stärke der Gemeinschaft zu demonstrieren.138 Da ein solches Anliegen trotz aller Glaubens134  Zu den von Bourguignon in seiner Schrift verwendeten Bildern Schiff und Hafen cf. supra, Kapitel 4.a). 135  Peliot, Heureuse conversion (Le Blanc), 5. Die Säule fungiert bereits in den biblischen Büchern als Zeichen für herausragende (Glaubens)kraft mit daraus resultierender Machtposition; cf. beispielhaft Gal 2, 9: »Deshalb gaben Jakobus, Kephas und Johannes, die als die ›Säulen‹ Ansehen genießen, mir die Hand zum Zeichen der Gemeinschaft«. 136  Haren, Causes justes, 7. Der Anker symbolisiert seit frühchristlicher Zeit wohl aufgrund seiner äußerlichen Ähnlichkeit zum Kreuz und seiner ›Aufgabe‹ Schiffen Standortsicherheit zu geben, Hoffnung und unerschütterlichen Glauben; cf. Kasper, LThK, Lemma: Anker. 137  Anonym, L’Heureuse conversion (Berault), 9. 138  Das gleiche Ziel verfolgen auch die Verfasser von Schriften, die versuchen, ihre Leser durch Wunder, die zugunsten von moines oder curés oder zum Schaden protestantischer ministres stattfanden, von der Wahrheit der katholischen Lehre zu überzeugen – also gewissermaßen conversion-miracles hervorzurufen (die allerdings in den entsprechenden Texten nicht thematisiert werden). Als Beispiel für derlei Schriften – die aufgrund der identischen Motivation und vergleichbaren Entstehungsbedingungen den écrits de conversion sehr nahestehen – sei ein anonymer Text von 1634 herangezogen: Dessen Verfasser berichtet von der göttlichen Bestrafung eines ministre während einer Predigt: »Monsieur Polu, lequel en son Presche disait à ses auditeurs […] qu’ils se doivent asseurer sans aucun doute, que quand bien le secours des hommes leur defailleroyt, celuy du Ciel ne manqueroit n’estant leurs prieres inutiles ne rejettées du Seigneur, duquel luy et les autres ses confreres Ministres estoient les vrais successeurs; lesquelles parolles dictes et prononcées comme criminelles et par entreprise sur l’authorité de Dieu, les auroit-elles voulu cognoistre à l’assistance, et par sa divine permission, permis et voulu que ce Ministre auroit eu par un esprit invisible le col tors dedans la cheze où il preschait en disant les susdits paroles […]. Laquelle mort et desastre voyant, toute l’assemblée en fut ­espouvantée et promptement fut ledit Ministre pris et enlevé par les surveillans, où ils ne furent si tost à la sortie de la porte dudit Presche, qu’il vint une nuée espoisse et noire, foudroyant sur ledit corps, rejettant d’un costé et d’autre ceux qui l’apportoient, et demeurerent long-temps sans se recognoistre, dont le corps fut emporté«; Anonym, La grande désolation de la Religion Prétendue Réformée sur la probation et Mort espouvantable du ministre de la ville de Nismes. Ayant eu le col tors dedans la chaize par un grand esclat de tonnere eslevé en l’air et rendu invisible au grand estonnement des auditeurs: En leur preschant le contraire de la vraye Foy Catholique Apostolique et Romaine. A Nismes, le 6 aoust 1634. Paris: Jean Brunet 1634 (7 Seiten, in-8°), 4 / 5. Der Verfasser greift hier auf die bereits angesprochene Möglichkeit zurück, die göttliche Macht durch den Einsatz von (furchteinflößenden) Naturgewalten darzustellen, ähnlich waren auch die Verantwortlichen des Mystère des Actes des Apostres vorgegangen (cf. supra, Kapitel 1.d)). Eine entsprechende Vorgehensweise findet sich in den Konversionsschriften relativ selten;

326 4. Ecrits de conversion – Spezifika einer literarischen Form

überzeugung der Mitglieder der Eglise réformée der historischen Situation ihrer communauté als religiöse Minderheit Hohn gesprochen hätte, wurden derartige Bilder dann auch weder von den Konvertiten verwendet noch von eventuellen Helfern ›verordnet‹. Lassen sich in dieser Hinsicht also erneut konfessionelle Unterschiede ausmachen, so ist der Rekurs auf die Dichotomie von Krankheit und Heilung als Bild für den Seelenzustand vor und nach der conversio in den écrits de conversion beider Ausrichtungen zu finden. Grund dafür ist vor allem die bereits angesprochene lebensweltliche Nähe des biblischen Motivs: Da fast jeder die Freude über die (plötzliche) Genesung eines Familien­ mitglieds aus eigener Erfahrung nachvollziehen kann, bietet das Begriffspaar einschließlich aller Periphrasen für diesen Vorgang, die beste Möglichkeit, das Moment der conversio sowie deren Wirkung verständlich zu machen: Wenn beispielsweise Père Abraham in seinem Text auf die »air agréable« anspielt, die er nach seinem Eintritt in die Église reformée atmen darf oder Ginestet in seiner aus gleichem Anlass verfassten Schrift Gott für die noch nicht zum Protestantismus Konvertierten um »les herbes propres a la medecine de leurs maladies spirituelles« und »les plantes qui servent d’Antidote à la mort« bittet, verweisen beide auf allgemein bekannte und weithin angewandte Konzepte der frühneuzeitlichen Heilkunst139 und machen ihre Situation damit für jedermann greifbar. Ebenso lebensweltlich verankert und damit allgemein nachvollziehbar wie die Freude über die Genesung eines Kranken ist das Bedürfnis darüber zu erzählen: da die Freude umso größer wird, wenn man sie teilt, aber auch weil auf diese Weise anderen die Möglichkeit gegeben wird, von den Erfahrungen zu profitieren und vielleicht Pommiers beispielsweise bezeichnet die einsetzende grace als »orage terrible« (De Pommiers, Véritables motifs, 4). 139  Hinweise auf die krankheitserregende Wirkung von verdorbener Luft finden sich bereits in den Schriften von Hippokrates und Galenus, die ja trotz aller Neuerungen in der medizinischen Wissenschaft auch im 16. und frühen 17. Jahrhundert noch hohes Ansehen genossen (cf. Eckart, Geschichte, 171s). In der Bevölkerung bekannt wurde das Phänomen vorrangig im Zusammenhang mit den in Europa immer wieder aufflackernden Pestepidemien, wurde die Verbreitung der Krankheit doch oft als Folge eben von ›verpesteter‹ Luft angesehen; cf. dazu ausführlich Klaus Bergdolt, Der Schwarze Tod in Europa – die große Pest und das Ende des Mittelalters. München: Beck 1994, 24s. Pflanzen, insbesondere Kräuter, werden seit der Antike als allopathisches, später auch als homöopathisches Heilmittel eingesetzt. Seitdem sich mit Beginn des 16. Jahrhunderts humanistisch interessierte Gelehrte für die antike Pflanzenkunde interessierten, erfuhr das vorher vorrangig in den Klöstern gepflegte Wissen um die Heilkraft der Kräuter vermehrte Anerkennung. Der Rückgriff auf »herbes« et »plantes« gehörte seither zum selbstverständlichen Repertoire jedes Arztes; cf. Eckart, Geschichte, 134 / 135 sowie ausführlich Karl Eduard Rothschuh, Konzepte der Medizin in Vergangenheit und Gegenwart. Stuttgart: Hippokrates 1978, 210ss.

b) Conversio ineffable: die verwendete Bildsprache



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eine existenzbedrohende Krankheit abzuwenden  … Spinnt man diesen Faden einmal weiter, wird das Schreiben eines écrit de conversion gewissermaßen zur Verpflichtung, um nachfolgende Generationen vor der maladie der ›falschen Konfession‹ zu bewahren. Beispiele für ein solches Verständnis bieten die Schriften von Poignant – »Ceux qui esté gueris amy lecteur d’une maladie dangereuse ne doivent celer à leurs amis detenus en mesme maladie les remedes dont ils se sont servis«140 und Dumas: Il n’y a point de doute que ceux, lesquels apres avoir esté heureusement gueris de l’une des plus pernicieuses maladies de l’ame, qui sont l’erreur & le vice, ne rendent un grand honneur à Dieu, & un notable service au public, quand ils ­publient les causent & les moyens d’ont ils se sont servis, par une particuliere inspiration de Dieu, pour s’en faire quittés.141 Raisons, 7. Les Confessions, 3 / 4. Im dieser Textpassage vorausgehenden Abschnitt zieht Dumas gar eine direkte Parallele zwischen seiner Entscheidung, eine Konversionsschrift zu verfassen und den Riten des antiken Asklepioskultes und beweist damit die tatsächliche Nähe zwischen dem hier diskutierten, biblisch fundierten Motivpaar und medizinischen Vorstellungen: »Si parmy les Anciens Idolatres on estoit obligé, apres s’estre relevé de quelque maladie, d’apprendre au Temple d’Esculape un tableau qui continst le recit de la nature, des causes, des symptomes du mal, & des moyens avec lesquels on avoit recouvert la santé, afin que le Dieu tutelaire qui avoit inspiré les remedes, en receust de la gloire, & la posterité, apprit à se servir des mesmes remedes contre la mesme maladie; (d’où l’on dit que l’art de Medecine a pris son origine)«. Wird der Bericht über die Krankheit und die erfolgreich eingesetzten Heilmittel in Antike und Frühneuzeit als selbstverständlich angesehen und positiv bewertet – was dann auch die Parallelisierung mit der conversio-Erfahrung möglich machte – wandelt sich diese Einstellung im Laufe der folgenden Jahrhunderte. Grund dafür ist eine grundsätzlich veränderte Bewertung der Phänomene Krankheit und Kranksein seit dem 19. Jahrhundert: so werden viele Krankheiten als weniger lebensbedrohlich, wird Kranksein nunmehr als private Angelegenheit empfunden (cf. dazu Eckart, Geschichte, 251ss). Es ist dementsprechend kaum verwunderlich, wenn Bernanos im April 1947 in einer Rede vor den »Petites sœurs du père de Foucauld« im Zusammenhang mit der weitverbreiteten Mode, écrit de conversion in Zeitungen zu veröffentlichen (cf. dazu ausführlich supra, Einleitung sowie infra, Schluss und Ausblick) äußert: »depuis une vingtaine d’années la mode est aux convertis, peut-être parce que les convertis parlent beaucoup, parlent énormement de leur conversion, un peu à la manière de ces malades guéris qui ne vous font grâce d’aucun des détails de leur ancienne maladie, vous assomment d’élexirs et de pilules« (Georges Bernanos, »Nos amis les saints« in: idem, La liberté pour quoi faire, in: idem, Essais et écrits de combat II. Textes établis, présentés et annotés par Yves Bridel, Jacques Chabot, Michel Estève, François Frison, Pierre Gille, Joseph Jurt et Hubert Sarrazin sous la direction de Michel Estève. Paris: Gallimard 1995, 1261–1383, 1371–1383, hier 1773). Im Kontext der vorliegenden Studie ist diese Aussage von Bernanos allerdings weniger aufgrund der veränderten Einstellung gegenüber Krankheitsberichten denn mit Blick auf die hier zu konstatierende Kontinuität hinsichtlich der explizit oder implizit verwendeten Bilder von Interesse. Zur Bewertung der Meditatisierung von Konversionsberichten durch die Leserschaft, cf. erneut infra, Schluss und Ausblick. 140  Poignant, 141  Dumas,

328 4. Ecrits de conversion – Spezifika einer literarischen Form

Mit der gewählten Formulierung setzt Dumas hier die Zeit vor der conversio zum Katholizismus mit Krankheit und demnach mit »erreur« und »vice« gleich, eine Verknüpfung, die unweigerlich an die von Ripa gestaltete donna Heresia und damit an die damals intensiv geführte Debatte um den Ketzerstatus der Protestanten erinnert.142 Noch deutlicher in diese Kerbe schlägt Perdrix, wenn er schreibt: Aussi par la grace de Dieu voyons-nous que ce venin d’hérésie est repoussé & chassé par ce contre poison de la parole de Dieu, duquel ie me suis servy pour me preserver de mort eternelle, non de moy mesme, mais de la grace qui m’est donnee d’enhaut qui me fait le revomir & rejetter.143

Der Konvertit bedient sich hier nicht nur der bekannten Giftmetapher, mit der man auf katholischer Seite Ausbreitung und Folgen des Protestantismus zu beschreiben pflegte. Durch den Verweis auf die damals üblichen therapeutischen Maßnahmen der Einnahme eines Gegengifts sowie des heilsamen Erbrechens144 – rhetorisch hervorgehoben durch die tautologische Wendung revomir & rejetter – kennzeichnet er den Protestantismus grundsätzlich als Krankheit, und damit als etwas Schreckliches, Lebensbedrohliches, von dem man einzig durch göttliche Gnade geheilt werden kann: eindrucksvoller und für die Menschen der damaligen Zeit nachvollziehbarer ist die Notwendigkeit von conversio sowie deren Wirkung wohl kaum zu schildern.145 142  Zur Frage, inwieweit es nach damaliger Auffassung möglich und gerechtfertigt war, die Anhänger der jeweils anderen christlichen Konfession als Häretiker zu bezeichnen sowie zu den praktischen Folgen dieser Anschuldigung für das Zusammenleben cf. ausführlich supra, Kapitel 2. 143  Perdrix, Declaration, 5. 144  Es sei daran erinnert, dass die Hauptfiguren beider in Kapitel 1.d) analysierten moralité polémique de tendance protestante auf diese Weise von ihren Leiden geheilt wurden: Der kranke Marchand in Kirchmeyers/Crespins Le Marchand converty ebenso wie Chrestienté in La moralité de Maladie de Chrestienté à XIII personnages von Malingre erhalten nämlich zunächst ein Antitoxin gegen das ›Gift des alten Glaubens‹ das le marchand gar erbrechen lässt, anschließend heilende Arznei. Der hier vorliegende Rückgriff auf diese Therapieformen beweist einmal mehr, dass es sich dabei keinesfalls um ärztliches Spezialwissen handelte, sondern diese tatsächlich allgemein bekannt und verbreitet waren. 145  Möglicherweise war es auch gerade die enge Verbindung der zunächst von den Gelehrten verwendeten Giftmetapher zu den gängigen therapeutischen Gegenmaßnahmen, die eine weite Verbreitung und Akzeptanz des venin-Bildes ermöglichte. Hinsichtlich der bereits in Kapitel 2. angesprochenen Frage, inwieweit es nach dem Edit de Nantes noch denkbar und üblich war, die Anhänger der Eglise reformée implizit oder explizit als Ketzer zu bezeichnen, geben die mit königlicher Druckerlaubnis ausgestatteten Texte von Dumas und Perdrix von 1642 eine klare Antwort: Mit ein wenig rhetorischem Geschick war es auch Jahrzehnte nach dem Toleranzedikt noch möglich, Protestanten recht offen als Ketzer zu brandmarken, was wiederum darauf hindeutet, dass diese als solche wahrgenommen wurden oder gar werden sollten (cf. dazu die Hinweise zu den Widerständen gegen das Edit de Nantes seitens



c) Bedürfnis oder Propaganda?

329

Ein weiteres wiederkehrendes Motiv ist dasjenige des Kampfes, in den Schriften als combat intérieur bezeichnet, das oft zur Gestaltung der Phase vor der conversio verwendet wird. Diese Vorstellung ist in der Bibel zwar durchaus vorhanden, so beispielsweise im Buch Hiob, in den Psalmen oder bei Paulus,146 ihre spezifische Form als Kampf zwischen virtutes und vitia erhält sie aber erst in der Spätantike, vor allem in der Psychomachie von Prudentius sowie in den Confessiones. Es ist deshalb durchaus naheliegend, dass die Integration dieses Motivs, das zudem mit einem besonderen Verständnis von conversio als Abkehr von der Welt einhergeht, seitens der Konvertiten eher auf augustinischer denn auf biblischer Grundlage stattfand. Deshalb scheint es angebracht, diesem ein gesondertes Kapitel zu widmen. Hinsichtlich der immer wieder im Zusammenhang mit Konversionsschriften aufkommenden Kritik an deren Stereotypie bleibt nach der Analyse des Textkorpus’ festzuhalten, dass der Anteil der wiederkehrenden Motive und festen Formulierungen in quantitativer Hinsicht im Verhältnis zum Gesamttextvolumen recht gering ist. Wie an der Tabelle deutlich wurde, verzichten einige wenige Verfasser sogar vollständig auf sie, andere bedienen sich ihrer hingegen sehr konsequent. Auf qualitativer Ebene bietet der Rückgriff auf Vorhandenes den Verfassern die Möglichkeit, sich verständlich zu machen, sich in eine Tradition einzuschreiben, dem Rezipienten zwischen den anderen Informationen in einer Konversionsschrift die Sicherheit des Vertrauten zu geben. Autor und Leser sprechen damit den gleichen langage, womit sich erneut die communio-stiftende Funktion dieser Texte erweist. Haftet dem Begriff »Stereotypie« im Allgemeinen etwas Negatives an, so ist eben diese Stereotypie – wenn man aufgrund der sehr verschiedenen Ausgestaltung der Einzeltexte überhaupt davon sprechen kann – in Bezug auf das genre littéraire Konversionsschrift in ihrer Gesamtheit positiv zu bewerten und für den Erfolg der literarischen Form écrit de conversion unabdingbar notwendig.

c) Bedürfnis oder Propaganda? Conversio als Abkehr von der Welt Seiner eigenen Schilderung nach brannte Augustinus nach Ende des Berichts über die conversio Victorinus’ darauf, es dem römischen Rhetor gleichzutun, musste aber bald darauf feststellen, dass er zu diesem Schritt noch nicht bereit war. Zwar hatte er sich seit geraumer Zeit intensiver Bibellektüre gewidmet, waren die dort entdeckten Wahrheiten »jusqu’au fond des französischen Klerus in Kapitel 2. sowie zur Übernahme von Verantwortung für Inhalt und Gestaltung der écrits de conversion durch Dritte in Kapitel 3.c). 146  Cf. beispielhaft Hi 40 / 41, Ps 22, 28, 84 und passim, Gal 5, 17.

330 4. Ecrits de conversion – Spezifika einer literarischen Form

de (s)on âme«147 gedrungen, was ihn dann ja auch dazu bewogen hatte, den weisen Simplicianus aufzusuchen, nichtsdestotrotz schien es ihm unmöglich, sich schon zu diesem Zeitpunkt von seinen alten Gewohnheiten vollständig zu lösen: J’avais bien une volonté de vous servir, mon Dieu, en qui seul se trouve une joie solide et veritable: mais cette volonté nouvelle ne faisait que de naître, n’était pas capable de vaincre l’autre qui s’étaient fortifiée par une longue habitude dans le mal. Ainsi, j’avais deux volontés, l’une ancienne, et l’autre nouvelle, l’une charnelle et l’autre spirituelle qui se combattaient, et en se combattant déchiraient mon âme.148

Was hier als Kampf zwischen »volonté charnelle« und »volonté spirituelle« beschrieben wird, ergibt sich aus der Auseinandersetzung des späteren Kirchenvaters mit den paulinischen Briefen. Der dort manifeste Dualismus von Geist und Fleisch wurde von Augustinus als Aufforderung erfahren, sich von seinem bisherigen Lebenswandel zu lösen und sich einem neuen, gottgefälligen zuzuwenden.149 Wie schwer ihm die Entscheidung fiel, wird auf den folgenden Seiten der Confessiones sehr deutlich: Es bedurfte zunächst des Evozierens zweier weiterer conversiones – derjenigen von Antonios sowie von zwei Freunden eines Hausgastes150 –, einer Phase großer Verzweiflung, in der Augustinus 147  Augustin, Confessions, VII, 21; Augustinus, Confessiones, VIII, 27. Personalformanpassung von mir, im Original: »jusqu’au fond de mon âme«. 148  Augustin, Confessions, VIII, 5; Augustinus, Confessiones, VIII, 10. 149  Der anthropologisch und damit auch theologisch relevante Geist-Fleisch (=  Sünde)-Dualismus durchzieht das paulinische Briefwerk wie ein roter Faden, die grundlegenden Aussagen finden sich in Röm, Gal, 1. / 2. Kor. Zur Verarbeitung der paulinischen Aussagen in den Confessiones cf. Paula Frederikson, »Paul and Augustine: Conversion narratives, orthodox traditions, and the retrospective self«, in: Journal of Theological Studies 37 (1986), 3–34, 27ss. 150  Der Christ Ponticianus, Gast im Hause Augustinus’, berichtete von der conversio zweier Freunde infolge der Lektüre der Vita Antonii: Un jour que la Cour était à Trèves […] lui et trois de ses amis s’allèrent pour se divertir en des jardins proche la ville, où s’étant mis sans dessein à se promener deux à deux, […] ces derniers […] entrèrent dans une petite maison de quelques-uns de vos serviteurs, mon Dieu, […] et là ils trouvèrent un livre où la vie de saint Antoine était décrite. L’un deux commença à le lire, à l’admirer, à s’échauffer, à méditer en soi-même d’embrasser une pareille vie et de ne servir que vous seul. […] Il lui dit ces paroles, étant agité des mouvements et des troubles que lui causait l’enfantement de sa vie nouvelle. Et recommençant à lire, vous le changiez dans le fond du cœur où vous voyiez ce qui se passait, et son âme se détachait des affections du monde comme il parut peu après«; cf.  Augustin, Confessions, VIII, 6; Augustinus; Confessiones, VIII, 14 / 15. Antonios (ca. 251–356 in Ägypten); führte nach seiner conversio ein nur selten (und nur auf Wunsch seiner Schüler) unterbrochenes Einsiedlerleben. Die Vita Antonii wurde von Augustinus’ Mentor, Ambrosius von Mailand verfasst; cf. Kasper, LThK, Lemma: Antonios (der Große; der Einsiedler).



c) Bedürfnis oder Propaganda?

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in einem ›Zwiegespräch‹ mit Gott sich selbst ob seiner Schwäche anklagte,151 sowie eines Ortswechsels und weiterer Zerknirschungen,152 bis Augustinus schließlich in der bereits angesprochenen »tolle-lege«-Episode die Kraft fand, das Pauluswort vorbehaltlos anzunehmen: »Ne vivez pas dans les festins et dans l’ivrognerie, ni dans les impudicités et les débauches, ni dans les contentions et les envies; mais revêtez-vous de notre Seigneur JésusChrist, et ne chercher pas à contenter votre chair selon les plaisirs de votre sensualité«.153 Entscheidender als die seit Jahren in der Augustinus-Forschung kontrovers diskutierte Frage nach dem Realitätsgehalt der Gartenszene154 ist im vorliegenden Zusammenhang, welche Forderung christlichen Lebens hier plötzlich unbedingte Anerkennung erhielt, um klären zu können, inwieweit sich das augustinische Modell als Vorlage für die Verfasser von Konversionsschriften überhaupt anbot. Auch wenn man mit Bezug auf Augustinus’ Biographie – soweit sich diese aus dessen Frühschriften sowie den Confessiones rekonstruieren lässt – heutzutage davon ausgeht, dass die hier besprochene letzte Etappe der conversio im Wesentlichen die Entscheidung hervorbrachte, sich künftig 151  Nicht nur das hier im Mittelpunkt stehende achte Buch der Confessiones, sondern das Werk in seiner Gesamtheit ist »in direkter Rede an Gott gerichtet« (Günter Niggl, »Rede und Gespräch in Augustins Confessiones«, in: Béatrice Jakobs, Volker Kapp (ed.), Seelengespräche. Berlin: Duncker & Humblot 2008, 41–56, hier 41), die sich in langen Reflexionen, in (Selbst)vorwürfen oder rhetorischen Fragen manifestiert. Gott ist dabei stets präsent in der Anrede »tu« (lt.), bzw. »vous« (frz.), sodass beim Leser des achten Buches der Eindruck eines fortdauernden StreitGesprächs zwischen den Kräften entsteht, die Augustinus einerseits den alten Gewohnheiten verhaftet zeigen, andererseits nach Neuem strebend. Den Höhepunkt dieser Auseinandersetzung gestaltete Augustinus in Form einer Psychomachie, also eines allegorischen Kampfs zwischen den vitia »ces niaiseries et ces folles vanités qui étaient ses anciennes amies« (»nugae nugarum et vanitates vanitantium, antiquae amicae suae«) und der virtus »chasteté […] pleine de majesté et de douceur« (»casta dignitas continentiae«) um seine Seele (Augustin, Confessions, VIII, 11; Augustinus, Confessiones, VIII, 26). Literarische Ausformung erhielt die Idee eines Kampfes von virtutes und vitia vorrangig in der Psychomachia (abgeleitet von μαχια ἐν τ ψυχ = Kampf um die Seele). Das Versepos wurde zwischen 392–405 von Prudentius verfasst und ist damit etwa zur gleichen Zeit entstanden wie die Confessiones (ca. 397–400), eponym für das Motiv Seelenkampf ist aber das Werk von Pruden­ tius, cf. Niggl, Rede, in: Jakobs/Kapp, Seelengespräche, 49. 152  Cf. Augustin, Confessions, VIII, 7–11; Augustinus, Confessiones, VIII, 17–28. 153  Cf. Röm 13, 13 / 14, hier bewusst zitiert nach Augustin, Confessions, VIII, 12; Augustinus, Confessiones, VIII, 29. 154  Einen knappen Überblick zum Stand der Forschungen vermittelt Wilhelm Geerlings, »Bekehrung durch Belehrung. Zur 1600-Jahrfeier der Bekehrung Augustins«, in: Gerd Röwerkamp (ed.), Fussnoten zu Augustinus. Gesammelte Schriften Wilhelm Geerlings. Turnhout: Brepols 2010, 115–133, hier 124s. Die Kontroversen bis 1963 bietet ausführlich Courcelle, Confessions, 138–168.

332 4. Ecrits de conversion – Spezifika einer literarischen Form

von Sinnesfreuden fernzuhalten,155 erscheint es gerechtfertigt, den augustinischen Schritt grundsätzlich als ein Lossagen von der Welt zu fassen. Diese Sichtweise, die ja auch im Reisebericht von Ponticianus bereits anklang, ergibt sich einerseits aus den Formulierungen, derer sich der Verfasser bedient, um seinen combat intérieur dem Leser begreiflich zu machen, andererseits aus der Gestaltung des conversio-Moments nach dem Vorbild der Vita Antonii. Sein anhaltendes, ihm selbst fast unerklärliches Zögern beispielsweise kommentiert Augustinus mit den Worten: »Je différais donc de jour en jour de renoncer à toutes les espérances du siècle pour ne suivre que vous, mon Dieu, et je croyais ne le faire qu’à cause que je ne voyais rien d’assuré à quoi je me pusse arrêter«.156 Die »espérances du siècle«, die den Verfasser hier gefangen halten, entsprechen den idées mondaines,157 denen zahlreiche Personalmitglieder der Passion von Jean Michel verfallen waren und die – wie Augustinus auch – der göttlichen Gnade bedurften, um sich von ihnen zu befreien. Einen noch deutlicheren Aufruf, sich von der Welt abzuwenden, enthält der von Augustinus im Rahmen der Gartenszene zitierte Passus aus der Antonioslegende.158 Nachdem er die »tolle-lege« Worte vernommen und über sie nachgedacht hatte: (il) se leva sans pouvoir penser à autre chose, sinon que Dieu lui commendait d’ouvrir le livre des Epitres de saint Paul, et de lire le premier endroit qu’il trouvera: car il avait appris que saint Antoine étant un jour entré dans l’eglise lorsqu’on lisait l’Evangile, avait écouté et reçu comme particulièrement adressées à lui ces paroles qu’on en lisait: ›Allez, vendez tout ce que vous avez, et donnezle aux pauvres, vous aurez un trésor dans le ciel; et venez et me suivez‹. Et que par cet oracle qu’il entendit, il fut dans le même moment converti à vous.159 155  Cf. beispielsweise Guardini, Bekehrung, 230; Geerlings, Bekehrung, in: Röwerkamp, Fussnoten, 132. Diese Deutung liegt auch aufgrund des oben angesprochenen Siegs von »chasteté« gegenüber »niaiseries« und »folles vanités« nahe. 156  Augustin, Confessions, VIII, 7; Augustinus, Confessiones, VIII, 18. 157  Cf. Beugnot, Lieux, in: Littératures classiques, 12. »Siècle« ist im 17. Jahrhundert gängige Bezeichnung für den »monde«. Zu Ursprung und Gehalt des monde-Begriffs cf. supra, Kapitel 1.d) (im Zusammenhang mit dem mystère von Jean Michel). 158  Um ihn besonders hervorzuheben, war das Moment, in dem der ›Vater des Mönchtums‹ durch ein Bibelwort bekehrt worden war, im Bericht von Ponticianus ausgespart worden. 159  Augustin, Confessions, VIII, 12; Augustinus, Confessiones, VIII, 30. Personalformanpassung von mir, im Original in erster Person Singular. Auch Alipius, der Augustinus in den Garten gefolgt war, bekehrte sich im Anschluss an die conversio von Augustinus unter dem Einfluss des an die Römerbriefstelle seines Freundes anschließenden Passus (Röm 14,1: »Nehmt den an, der im Glauben schwach ist«) und wird auf diese Weise gleichsam in seiner Rolle als Begleiter bestätigt; Augustin, Confessions, VIII, 12; Augustinus, Confessiones, VIII, 30.



c) Bedürfnis oder Propaganda?

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Mag der hier hervorgehobene, sehr bekannte Vers aus dem Matthäusevangelium (Mt 19, 21) auch von Antonios als Aufruf zum Eremitendasein verstanden worden sein, in weniger zugespitzter Auslegung lässt er sich allgemein als Appell zur Abkehr von der Welt160 und damit gleichfalls als Aufruf zur conversio zu einem gottgefälligen Leben fassen.161 In dieser Funktion, und meist als einer der Beweggründe für die vollzogene conversio, fand die Bibelpassage, in mehr oder weniger expliziter Form,162 dann auch Eingang in die Konversionsschriften – interessanterweise mehrheitlich in Texte, die anlässlich eines Übertritts in die Eglise réformée verfasst wurden. Bevor die Gründe für ein bevorzugtes Gestalten einer conversio als Abkehr von der Welt seitens ehemaliger Katholiken zu erörtern sind, erscheint es erneut sinnvoll, eine Bestandaufnahme des Textmaterials vorzunehmen: Ein deutlicher Bezug auf Jesu Aufruf zur Nachfolge findet sich bei Bourguignon: Il faut a l’exemple de ce bel, vendre tout ce qui est à nous, pour acheter ceste perle precieuse, ce thresor ineffable, quiter pere, mere, frere, sœur, mary, femme, enfans, alliez, amis, sans regret, sans dispute, sans consultation. La promesse est au bout, que nous aurons recompense du centuple dé ce present siecle, & en l’autre gloire eternelle, que iamais œil n’a veu, qu’oreille n’a ouy, & n’est montée en cœur d’homme.163

Wie schon anhand dieses Textauszugs deutlich wird, entwickelt der Verfasser den Gedanken jedoch nicht weiter, er steht neben vielen anderen als Beweis für all die Vorteile, die sich aus einer conversio ergeben – bei denen es sich selbstverständlich nicht um solche materieller Art handelt – ohne 160  Zur Auslegungstradition des Verses, auch in Verbindung mit Mt. 6, 24: »Niemand kann zwei Herren dienen, […], Gott und dem Mammon«, cf. Luz, Matthäus (3), 60s. 161  Zur Bedeutung, die dieser Aufruf zur Askese im Kontext der Confessiones und für jeden einzelnen Christen haben kann, cf. Guardini, Bekehrung, 200–202, hier 201 / 202: »Das Christentum will den ganzen Menschen in ein lebendiges Verhältnis zu Gott, in eine Bewegung auf Gott hin bringen. Dazu muß die Fessel gelöst werden, die ihn an die Welt bindet. Diese Fessel liegt aber im Willen, in der Verknechtung. […] In irgendeiner Weise muß dieser Bann gebrochen werden. Wie, bleibt Sache der individuellen Berufung […]. Der Glaube hat demnach Folgen für die Lebensführung. Daß man also, um Gott zu dienen, auf den Mammon verzichten; um für Ihn frei zu werden, die Verklammerung der Welt lockern muß«. 162  Oft wird auch Bezug auf die lukanische Parallelstelle genommen: »Je vous dy en vérité, il n’est aucun qui ayt delaissé maison, ou parens, ou freres, ou femme, ou enfans pour le royaume de Dieu, qu’il ne reçoive beaucoup plus en ce temps icy, & au siecle à venir vie éternelle«; Lk 18, 24, hier zitiert nach der Bible de Louvain. 163  Bourguignon, Heureuse conversion, 12. Bourguignon spielt hier auf das Gleichnis von der Perle (Mt 13, 44–46) sowie Lk 18, 24 an, zu den biblischen Bezügen im letzten Satz des Zitats cf. die entsprechenden Angaben in Kapitel 4.a).

334 4. Ecrits de conversion – Spezifika einer literarischen Form

aber explizit anzugeben, dass gerade dieses Argument für ihn eine besondere Rolle spielte.164 De Vaux kommt auf den Gegensatz zwischen einem gottgefälligen Leben und einem, das von den Gesetzen der Welt regiert ist, im Zusammenhang mit seiner conversio zum Protestantismus zu sprechen.165 Auch wenn er weiß, dass er diese aus Angst vollzogen hatte, da man ihm nach dem Leben trachtete, ist er sich der Sündhaftigkeit des Schritts wohl bewusst: Car c’est preferer le temporel & transitoire, à l’eternel: le corporel, au spirituel: la terre, au ciel: le corruptible, à l’incorruptible  : la vie corporelle, à la vie spirituelle: la sante du corps, au salut de l’ame: la volupté de ce monde, à la joye de Paradis: le monde à Dieu.166

Bei seiner späteren reversio zum Katholizismus wirft er diesen Aspekt allerdings nicht erneut in die Waagschale, als Begründung für seinen Schritt gibt er dann ›nur‹ die »verité de la doctrine« und »la grace de Dieu miséricordieux«167 an. Bei einigen Verfassern von Schriften, die anlässlich ihrer conversio zum Protestantismus zur Feder griffen, besteht hingegen die deutliche Tendenz, ihr spirituelles Bedürfnis nach einer Abkehr von der Welt als entscheidenden Faktor für den vollzogenen Konfessionswechsel zu präsentieren. Dies wird hervorragend deutlich in den Texten von De Gouffier, Cupif, und Vrillac. Insbesondere die beiden letztgenannten Werke mit ihren 39 und 30  Seiten sind in ihrer äußeren Gestalt sehr ähnlich und für Werke dieses Tenors durchaus repräsentativ. Sie bestehen zu großen Teilen aus den einschlägigen Schriftzitaten, die durch Kommentare miteinander verbunden sind, in denen die verschiedenen, nun überwundenen Bereiche des monde aufgezeigt werden. Das konfliktuelle Verhältnis der beiden Seiten wird in immer wieder variierter Form präsentiert, durchzieht somit die Schriften wie ein roter Faden und prägt sich auf diese Weise beim Leser ein. Lehrunterschiede zwischen den Konfessionen kommen beispielsweise bei Vrillac gar nicht mehr zur Sprache. Im Text von Cupif wird die Auflistung der conversioMotive – bei denen es sich vor allem um Lehrfragen handelt – von den Abschnitten bezüglich des Umgangs mit der Welt eingerahmt, so dass sie dem Leser als besonders wichtig ins Auge fallen und in Erinnerung bleiben. Um einen Eindruck dieser Texte zu vermitteln, seien zunächst einige prägnante Passagen aus den Werken von Vrillac und Cupif angeführt. Ein Kommentar erfolgt im Anschluss: 164  Nach eigenen Angaben war Bourguignon durch Lehrdiskussionen auf die Gnadengabe conversio vorbereitet worden, cf. Bourguignon, Heureuse conversion, 5. 165  Cf. dazu supra, Kapitel 3.b)aa). 166  De Vaux, Celebre Conversion, 8. 167  De Vaux, Celebre Conversion, 25, 29.



c) Bedürfnis oder Propaganda? • Cependant, ie confesse; que Dieu ne m’a point affermi en ceste resolution, qu’apres plusieurs combats, car la volupté pour m’oster ceste vigueur, me vouloit endormir en son giron, & cette chair ennemie de foy mesme m’arrester en ses delices, & m’empescher l’approche de la montagne de salut, me faisoit regarder derriere vers les avantages mondains qu’il falloit abandonner: […], & cette obiection estoit d’autant plus forte contre moy, que ie suis en un aage, qui pour l’ordinaire est affamé de plaisirs & alteré de loüanges, & que le progrés de mes estudes m’avoit mis sur les degrés, qui conduisent aux honneurs, ausquels la faveur de mes amis sembloit m’ouvrir la porte.168 • I’ay consideré que toutes les richesses & les honneurs du Monde, se tournent en amertume, en celuy lequel ne craint point Dieu, & que tous les plaisirs de la chair, ressemblent aux Mouches à miel, qui ont le miel en la bouche, & l’aiguillon au derriere, le comencement en est riant, mais la fin lamentable, car apres les ris & les passe-temps, en cette vie suit la mort eternelle […].169 • Et ce qui m’a le plus consolé a esté la response du Sauveur: ›En verité ie vous dy, Que quiconque aura delaissé maisons en frere, en sœurs, en pere, en mere, à cause de l’Evangile, & à cause de mon nom, en re­ cevra cent fois autant, & heritera la vie Eternelle‹.170 • Or ce n’est point de merveilles, si les promesses & les menaces du monde n’ont point eu pouvoir sur moy pour m’empecher de donner gloire à Dieu, veu que le monde ne peut rien promettre qui soit plus excellent que le Royaume des Cieux, ny menacer de peine plus griefve que l’enfer. Mais comme i’ay regardé d’un œil asseuré, & le monde que ie quitte & la Croix que i’embrasse.171 • Le conseil de l’Apostre est, de nous approuver en toutes choses, premierement à Dieu, & puis aux hommes selon Dieu: ce qui m’est facile. Quant au premier, ma conscience me rendant tesmoignage qu’au changement que i’ay fait de Religion, ie n’ay eu autre but que la gloire de Dieu, & le salut de mon ame, ayant long-temps luitté contre le monde, & les interests de ma chair qui se trouvent auiourd’huy du costé de l’Eglise Romaine; le second ne me seroit pas moins aisé, si les hommes estoient vuides de tous preiugés, & non prevenus de passions: Mais la parole de Iesus-Christ estant veritable, vous serez hays de tous à cause de mon nom, & celles de son bien-heureux Apostre, tous ceux qui veulent vivre selon pieté en IesusChrist souffriront persecution, ce seroit folie à moy d’esperer que ie peusse m’approuver tout ensemble à Dieu & aux hommes.172

335

Jg 16 Ge 19

Mt 18a

Mt 14, 9 1. Ti 3

Vrillac, Epistre, 11 / 12. Vrillac, Epistre, 13. 170  De Vrillac, Epistre, 15 / 16, ähnlich: »il propose ceste condition, ›Quiconque veut venir apres moy qu’il renonce à soy-mesme, & charge sur soy sa croix & me suive« (ibid., 20). Kursiva im Original. 171  De Vrillac, Epistre, 25. 172  Cupif, Declaration, 4 / 5. 168  De 169  De

336 4. Ecrits de conversion – Spezifika einer literarischen Form • Dieu […] m’a appareillé à porter ma croix apres son Fils pour estre de ses Disciples aimant mieux devenir Disciple de verité que de demeurer Docteur de mensonge. I’advouë, Monsieur, que i’ay long temps combattu contre l’esprit de Dieu par ma chair, d’un costé i’estois fort angoissé de me voir obligé par ma conversion d’abandonner le bien utile que ie possedois au monde, les esperances d’en posseder d’avantage, mesme avec plus de dignité et d’éclat, me retenoient d’autant plus, que personnes de qualité me faisoient esperer quelque part en leur bonnes graces pour cette fin, l’image de mes parents, mais principalement d’un Pere & d’une mere tres chers, entierement zelez en la creance Romaine se presentoit devant mes yeux pour attendrir mon cœur, & l’endurcir à la voix de Dieu qui m’appelloit, l’estat que ie faisoit de quelque reputation en laquelle ie me persuadois estre dans la province, mais surtout ce degré doctoral en la plus celebre faculté de Chrestienté Romaine m’estoient d’autres attaches qui me tenoient lié, de façon que selon l’esprit ie voulois, selon la chair ie ne faisois pas ce que ie voulois: mais quand ç’a esté le bon plaisir de Dieu de m’appeller efficacement par sa grace.173

Auch wenn beide Autoren hier sowohl mit dem Begriff »monde« als auch mit dem paulinischen »chair«-»esprit«-Dualismus operieren, wird sehr deutlich, dass der Bereich der Welt hier nicht nur umfasst, was einem gottgefälligen Leben entgegen steht, sondern grundsätzlich alles, was mit der »créance Romaine« verbunden ist: Dazu gehörten auf einer ersten Ebene sicherlich die katholischen Glaubenspraktiken und Lehren, die hier zwar kaum Erwähnung finden, aber von den Protestanten allgemein als idolatries angesehen wurden, auf einer zweiten, entscheidenden, das relativ bequeme Leben als Mitglied einer Glaubensgemeinschaft, deren Anhängern grundsätzlich alle Türen offen standen. Daraus ergibt sich, dass sich die von ihnen beschriebenen »combats« bis zu einem gewissen Grad als combats spirituels fassen und mit denjenigen Augustinus’ parallelisieren lassen. Vor dem dargestellten historischen Hintergrund ist aber davon auszugehen, dass hier auch materielle Sorgen mitschwangen. Wie gezeigt, musste ein Christ, der sich im Zeitalter von Reformation und Konfessionalisierung zu dem ›unpopulären‹ Schritt entschloss, in die Eglise Reformée einzutreten, mit einem radikalen Einschnitt in allen Lebensbereichen rechnen.174 Declaration, 38 / 39. diese Sorge weisen die Verfasser explizit hin, wenn sie einmal von der Reaktion ihrer Eltern sprechen, einmal von dem Verlust beruflicher Aufstiegsmöglichkeiten und akademischer Würden. Die Konflikte innerhalb der Familie führte Meyer in den Spanischen Brüdern auch als Grund für den Mord Alfons Diaz an seinem Bruder an; cf. Meyer, Gedichte / Die spanischen Brüder, vv. 29–32: »Der Vater ist ein alter Christ / Und sähe lieber dich im Grab! / Der Mutter, welche gläubig ist –  / Der Mutter drückst das Herz du ab!«. 173  Cupif, 174  Auf



c) Bedürfnis oder Propaganda?

337

Auf zwar andere, in Tenor und Ergebnis aber vergleichbare Weise stellte auch De Gouffier seine conversio zum Protestantismus dar, bediente sich dabei allerdings nicht des Kampf-Motivs, sondern gestaltete seine Entscheidung auf der Vorlage der Versuchung Christi175: Sur ceste resolution, qui me venoit de Dieu, voicy à la traverse force considerations qui me viennent d’ailleurs, voicy se presenter à mes yeux, d’un costé le lustre, l’apparat, les dignitez, les grandeurs, les esperances de la terre, & avec toute ceste ostentation des gloires du monde, comme une certaine voix, à peu près semblable à celle qui dit autrefois à nostre Seigneur, ›Ie te donneray toutes ces choses, si en te prosternant en terre tu m’adores‹; d’autre costé la pauvreté, les miseres, les ruines de maisons, la haine, le mespris, & tout ce qui est propre à desgouster, qui feroit mon asseuré partage en cas de changement. Ces deux tentations […] me font surprendre l’effet de ceste volonté que l’Esprit de Dieu avoit insinuée en mon esprit, ie regarde derrière moy tout un temps, ie detenois la vérité en iniustice: […] Voila mes esperances retrenchées dès la racine, voila plusieurs choses par moy possedées qui perissent pour moy, voila ma liberté, plus precieuse que tout le reste, qui m’est ravie: mais Dieu soit loüé, qui m’ayant tant osté de choses, m’en a tant donné, que s’il m’a envoyé du mal, ce n’a esté que pour m’envoyer du bien, s’il m’a rendu pauvre, ç’ à esté (sic  !) pour me rendre plus riche que iamais.176

Wie in den Schriften von Cupif und Vrillac geht auch hier die Gestaltung der conversio zum Protestantismus als Abkehr von der Welt mit einer harschen Verurteilung der katholischen Kirche einher und wird die Eglise réformée im Gegenzug als Hort der heilbringenden, christlichen Botschaft qualifiziert. Auf den ersten Blick erscheint die Vorgehensweise der Verfasser der hier exemplarisch analysierten drei Texte damit vor allem propagandistische Zwecke zu erfüllen, da hier neben der Diffamierung des Gegners auch die Stärke der eigenen Partei im besonderen Maße herausgestellt wird, die über eine Lehre verfügt, deren Schlagkraft den Zweifelnden über die Anfeindungen des »Fleisches« obsiegen lässt.177 175  Cf.

Lk 4, 1–13. Gouffier, Declaration, 5 / 6. 177  Eine solche propagandistische Tendenz lässt sich in besonderem Maße im Text von Ginestet ausmachen, in der die Église romaine als weltverfallener Sündenpfuhl präsentiert wird »Quant à nous (esclairez du sacré flambeau de la verité divine) estimons toute cette braverie semblable comme chose de neant, vanité perissable, indigne de la vraye Religion, incapable de mener au salut, ceux qui estans amusez, voire abusez par tels allechemens du monde, laissent en arriere le principal de la pieté ou adoration salutaire« (Ginestet, Conversion, 38); ähnlich »Nous avons renoncé au monde, ou nous estions bien nourris, bien vestus, bien accomodés, ou les delices charnelles ne manquent aucunement, renoncons aux erreurs du Papisme, notamment aux abus & superstitions de la Messe, pour estre […] entre les domestiques du Royaume Celeste« (ibid, 43 / 44). Dabei sei angemerkt, dass der recht aggressive Tenor der Schrift von Ginestet grundsätzlich dem176  De

338 4. Ecrits de conversion – Spezifika einer literarischen Form

Bei näherem Hinsehen reicht diese Erklärung allerdings nicht aus. Es bliebe nämlich unverständlich, warum Verfasser von Konversionsschriften, die von einer conversio zum Katholizismus künden, sich diese Gestaltungsmöglichkeit nicht zunutze machten, zumal die Confessiones – deren Einfluss insbesondere bei den Texten von Cupif und Vrillac ja offensichtlich ist – in ihren Kreisen gleichermaßen hohes Ansehen genossen. Als mögliche Begründung für den häufigen Rückgriff auf dieses Darstellungsmuster von zum Protestantismus Konvertierenden kann zunächst das calvinsche Konzept der conversion-pénitence herangezogen werden, das ja auf einem Erkennen der eigenen Sündhaftigkeit, hier manifest in der Einsicht, der Welt verfallen zu sein, ferner in einem Anerkennen des göttlichen Willens sowie schließlich im Vertrauen auf seine Gnade beruht, die letztlich conversio erst möglich macht.178 Der combat intérieur, also das Ringen mit den Reizen der Welt, spiegelt nämlich die von Calvin auf paulinischer Grundlage geforderte mortification – das Sterben für die Welt – in besonderer Weise wider. Es liegt also durchaus nahe, dass sich viele Verfasser dieses Konzepts bedienten, um von ihren zukünftigen coreligionnaires, die den Neuzugängen ja mit Skepsis begegneten, nicht nur verstanden, sondern auch als einer von ihnen akzeptiert zu werden – wobei natürlich gleichfalls nicht auszuschließen ist, dass die Entscheidung für dessen Verwendung auf eine tatsächliche spirituelle Erfahrung zurückgeht. Eine weitere Erklärungsmöglichkeit ergibt sich bei einem Blick auf die bereits erwähnte préface, die Calvin seinem Psalmenkommentar (1552) voranstellte und in der er von seiner Berufung zum pasteur in Genf berichtete.179 In diesem Text schilderte der Reformator die »combats«, denen er jenigen der lettre »Au Lecteur Chrestien« entspricht, die der anonyme Herausgeber seiner 1601 veröffentlichten Sammlung von écrits de conversion voranstellte (cf. Anonym, »Au Lecteur Chrestien«, in: Anonym, Diverses revocations, 3–5). Da die Sammlung kurz nach Erlass des Edit de Nantes veröffentlicht wurde, steht zu vermuten, dass der kämpferische, sich deutlich von späteren Texten unterscheidende Ton einzelner écrits de conversion sowie der pièce liminiaire eher aus einem Gefühl (vorübergehender) Stärke, denn aus einem besonderen Hass gegen die katholische Kirche resultiert. Für diese Deutung spricht auch die anonyme Veröffent­ lichung in den Niederlanden sowie das bereits angesprochene Königslob im Text von Ginestet (cf. dazu supra, Kapitel 3.b)bb)). Der Propagandaeffekt der Sammlung richtet sich also nicht nur an Außenstehende, die zur conversio aufgefordert werden sollen, sondern auch an die Mitglieder der Eglise reformée und fordert sie zu furchtlosem Bekenntnis auf. 178  Zum Verständnis von conversion als pénitence cf. supra, Kapitel 1.a). 179  Cf. Calvin, Œuvres / Préface, 112: »Dieu de mes petits et bas commencements m’a avancé jusqu’à m’appeler à cette charge honorable de ministre et précheur de l’Evangile«. Zu diesem Text und der Unmöglichkeit, ihn als autobiographischen Bericht zu lesen, cf. Ganoczy, Calvin, 298ss sowie supra, Kapitel 1.a).



c) Bedürfnis oder Propaganda?

339

sich als junger Mann und Philosoph ausgeliefert gesehen hatte,180 bevor sein Leben durch göttliches Eingreifen eine neue Richtung erhielt.181 Dabei ging es ihm – anders als vielleicht Augustinus – keineswegs darum, den Lesern seinen eigenen Weg zu Gott in detaillierter Weise nachzuzeichnen.182 Im Mittelpunkt seines Interesses stand vielmehr der Wunsch, den Gläubigen die Psalmen Davids, deren Wert er ja am eigenen Leib erfahren hatte und die er im Folgenden zu kommentieren gedachte, als Richtschnur und ›Lehrbuch des Lebens‹ zu empfehlen: Davantage, jà soit que ce livre soit plein de tous enseignements qui peuvent servir pour réformer notre vie à toute sainteté, droiture et justice, principalement il nous enseignera et duira à porter la croix, qui est une vraie épreuve de notre obéissance, à savoir, d’autant que, renoncant à nos propres affections, nous nous soumettons entièrement à Dieu.183

Auch wenn eine direkte Beeinflussung dieses Textes durch den Bericht in den Confessiones nicht nachzuweisen ist,184 ist die inhaltliche und konzeptuelle Nähe der hier beschriebenen »transformation spirituelle«185 von Calvin zu derjenigen von Augustinus offensichtlich. Da der Psalmenkommentar Calvins seit den 1560er Jahren auf Latein und Französisch greifbar war und man diesem, ebenso wie der Person des Reformators per se, ja durchaus Interesse entgegenbrachte,186 ist eine Orientierung an diesem Modell und damit implizit auch an demjenigen von Augustinus durchaus denkbar – und einer positiven Aufnahme in protestantischen Kreisen sicher nicht abträglich gewesen. 180  Cf. zum Beispiel Calvin, Œuvres / Préface, 111: »Je veux bien qu’ils (i. e. les lecteurs) sachent que l’expérience que j’ai eue par les combats esquels le Seigneur m’a exercé, encore qu’elle n’ait été des plus grandes, m’y a toutefois servi«. 181  Das Erfahren der göttlichen Gnade kommt damit einer göttlichen Erwählung gleich, was in der Passiv-Wendung »conversion subita – conversion subite« sehr deutlich wird, cf. dazu die bereits zitierte Passage aus Calvin, Œuvres / Préface, 112 sowie erneut ausführlich Heiko A. Oberman, »Subita conversio. The conversion of John Calvin«, in: idem, Ernst Saxer e. a. (ed.), Reformiertes Erbe. Festschrift für Gottfried W. Locher zu seinem 80. Geburtstag. 2 vols. Zürich: Theologischer Verlag 1993, II, 279–295, hier 286ss. 182  Cf. Calvin, Œuvres / Préface, 116: »Maintenant, si je voulais réciter les divers combats par lesquels le Seigneur m’a exercé depuis ce temps-là et par quelles épreuves il m’a examiné, ce serait une longue histoire«; cf. dazu Millet, Dynamique, 524. Zu Calvins Umgang mit den Psalmen und zu deren Bedeutung für die religiöse Praxis in den Eglises réformées cf. supra, Kapitel 1.b). 183  Cf. Calvin, Œuvres / Préface, 110 / 111. 184  Cf. Courcelle, Confessions, 138–168; Millet, Dynamique, 553. 185  Ganoczy, Calvin, 272. 186  Cf. notice zu Calvin, Œuvres / Préface, 1056–1059, hier 1059: »note sur le texte«.

340 4. Ecrits de conversion – Spezifika einer literarischen Form

Ein dritter Erklärungsansatz ergibt sich ex negativo, wenn man bedenkt, dass vor dem Hintergrund des Gnadenstreits und der Bedeutungszunahme von Port Royal die Gestaltung einer conversio als Abkehr von der Welt bei einem Eintritt in die katholische Kirche auch als ideelle Unterstützung der solitaires gewertet werden konnte.187 Da diese im Laufe der Jahrzehnte immer mehr in Gegensatz zur Obrigkeit gerieten, tat man als nouveau catholique durchaus gut daran, jedwede Verdachtsmomente in dieser Hinsicht gar nicht erst aufkommen zu lassen, umso mehr, da man nicht nur auf eventuelle materielle Unterstützung angewiesen war, sondern sich durch seine conversio ja auch als bon sujet du roi auszeichnen wollte. Wie schon in Hinblick auf Bildsprache und Struktur erweist sich die literarische Form der écrits de conversion hier erneut als im Spannungsfeld von konfessioneller Kontroverse, spirituellen Bedürfnissen und literarischer Tradition verankert. Während aber gerade in Hinblick auf die Gestaltung und das Verständnis von conversio als Abkehr von der Welt diese drei Aspekte interferieren, steht bei anderen Schriften der Propagandagedanke klar im Vordergrund.

d) Stärke zeigen: conversio als spectacle »Lorsqu’on se réjouit avec plusieurs, la joie de chacun en particulier est beaucoup plus grande, parce ce que l’on s’échauffe et que l’on s’enflamme les uns les autres!«188 Wie recht Augustinus mit dieser Aussage hatte, konnte wohl jeder schon einmal am eigenen Leib erfahren: der Sieg der Lieblingsmannschaft beim Fußball, der erfolgreiche Abschluss einer Arbeit, ein feierlicher Gottesdienst in einer geheimnisvoll lichtdurchfluteten Kathedrale: wieviel schöner und eindrucksvoller werden Erlebnisse, wenn man sie mit anderen teilt! Als der spätere Kirchenvater diese Zeilen schrieb, hatte er wohl vorrangig Ereignisse letztgenannter Art im Sinn: Gedanklich noch bei dem Bericht über die conversio von Victorinus, dessen Schritt von der christlichen Gemeinde Roms mit großer Freude begrüßt worden war,189 stellte er Überle187  Cf. Sellier, Port Royal, 20s. Zur Haltung der zum Protestantismus übergetretenen Geistlichen zum Jansenismus, cf. Boisson, Consciences, 422. 188  Augustin, Confessions, VIII, 4; Augustinus, Confessiones, VIII, 9. 189  Cf. Augustin, Confessions, VIII, 2; Augustinus, Confessiones, VIII, 5: »Tous les fidèles qui étaient présents, eussent voulu comme l’enlever pour le mettre dans le fond de leur cœur; et ils l’enlevaient en effet en l’aimant et en se rejouissant de la grâce particulière que Dieu lui faisait. Leur joie et leur amour étaient comme les deux mains avec lesquelles ils l’embrassaient et l’emportaient en quelque sorte dans eux-mêmes par une douce et une sainte violence«.

d) Stärke zeigen: conversio als spectacle341



gungen über die besondere Wirkung an, die von den conversiones der ›Großen‹ ausgeht: De plus, ceux qui sont connus de plusieurs, ouvrent aussi par leur exemple le chemin de salut à plusieurs: et l’autorité de leurs personnes rendant leurs actions considérables, il s’en trouve beaucoup qui les veulent suivre.190

Dass auch diese Feststellung in unserer Zeit noch Gültigkeit besitzt, wäre zumindest in Hinblick auf den Aspekt conversio sicher zu bezweifeln. Im ausgehenden 16. und 17. Jahrhundert hätte sie wohl allgemeine Zustimmung erhalten. Es war nämlich durchaus üblich, in die Konversionsschriften, die anlässlich des Konfessionswechsels bekannter Persönlichkeiten verfasst wurden, auch eine genaue Schilderung der oft aufwändigen Feierlichkeiten zu integrieren.191 Auf diese Weise sollte nicht nur einem größeren Personenkreis die Möglichkeit gegeben werden, an den Ereignissen teilzuhaben und entsprechenden Nutzen daraus zu ziehen, die Verfasser solcher Schriften wollten wohl auch beim Leser den Eindruck entstehen lassen, etwas Wichtiges verpasst zu haben – und damit zukünftiges Interes­ se schüren! Den Status solcher gesellschaftlicher Großereignisse hatten die conversioZeremonien von De Vaux, Marcha und der Princesse de Condé auf jeden Fall – schon weil es sich bei allen dreien um Personen handelte, die in der Eglise réformée hohes Ansehen genossen hatten. De Vaux und Marcha ­waren erfolgreiche ministres,192 Charlotte Cat(h)erine de la Trémouille, Confessions, VIII, 4; Augustinus, Confessiones, VIII, 9. die enthusiastischen Worte von Augustinus bei der Entscheidung, entsprechende Informationen in Konversionsschriften zu integrieren, tatsächlich eine Rolle gespielt haben, ist nicht eindeutig nachweisbar, aber auch nicht auszuschließen, wie bereits erwähnt, nennt Pierre Marcha, dessen conversio im Folgenden als eines der Beispiele für conversion-spectacle fungieren wird, den in den Confessiones genannten Text von Victorinus gar als Vorbild für sein eigenes écrit de conversion, cf. supra, Kapitel 4.b)bb). 192  De Vaux war, nachdem er sich nach eigenen Angaben aus Angst den Reformierten angeschlossen hatte (Cf. De Vaux, Celebre Conversion, 7, dazu supra, Kapitel 3.b)aa)) pasteur in Millau (zwischen Albi und Montpellier). Aufgrund seiner rhetorischen Begabung und seines politischen Geschicks nahm er zudem als Vertreter der Eglises réformées an den Verhandlungen des Friedens von Bérgerac (1577) und Nérac (1579) teil, cf. Greengrass, Abjuration, in: Cameron, Valois, 119. Informationen über den Lebensweg von Pierre Marcha bietet dessen Konversionsschrift selbst, wobei im Einzelnen offen bleiben muss, ob alle Details der Realität entsprechen: Demnach war Marcha ministre im Vivarais (bei Valence) und in St Etienne (nahe Lyon) und intervenant bei mehreren conférences (die allerdings nicht im Korpus von Kappler verzeichnet sind). Darüber hinaus nahm er an der Nationalsynode in Vitré teil; cf. Anonym, Ample et fidelle narré (Pierre Marcha), 7. 190  Augustin, 191  Dass

342 4. Ecrits de conversion – Spezifika einer literarischen Form

Princesse de Condé war die Witwe eines der einflussreichsten protestantischen princes de sang, Henri II de Bourbon, Prince de Condé.193 Auch wenn die conversiones dieser ›berühmten Protestanten‹ per se schon als Erweis für die Wahrheit der katholischen Lehre ausgelegt werden konnten, ließen es sich die Verfasser der Texte, die anlässlich ihres jeweiligen Übertritts publiziert wurden, nicht nehmen, zusätzliche Informationen zu ergänzen, um auf diese Weise die Bedeutung des Ereignisses – den Gewinn eines bisherigen Aushängeschilds der Gegenseite – dem Rezipienten umso greifbarer zu machen. Die Beschreibung der Abschwörungszeremonie, die Darlegung der conversio-Motivation sowie das Glaubensbekenntnis nehmen in diesen Schriften nicht mehr Raum ein als in anderen Texten vergleichbarer Länge.194 Wesentlich mehr Aufmerksamkeit widmen die Verfasser hingegen Qualität und Quantität von Mitwirkenden und Zuschauern. Schon daran wird deutlich, dass hier weniger conversio als Bußhandlung im Vordergrund steht, sondern vielmehr das damit verbundene spectacle. Auf die Überzeugungskraft der Massen hatten, wie gezeigt, schon die Verantwortlichen der mission intérieure vertraut. Suchten diese ihr Klientel unter anderem mit der Menge an Gläubigen, die sich durch Prozessionen und Predigten angezogen fühlten, von der Wahrheit der Lehre zu überzeugen, wird in den écrits de conversion meist schon gleich zum Auftakt des Berichts auf die immense Zahl derer hingewiesen, die am Tag der conversio anwesend waren. Der anonyme Verfasser der narratio zur conversio der Princesse de Condé beispielsweise beschreibt sehr eindrucksvoll die riesige Menschenmenge, die anlässlich der Feier zusammengekommen war und sich nun vor und in der Kathedrale von Rouen zusammendrängte: Adeoque etiam quia non existimabatur ab illa parte, fore magnum populi concursum, ut ille actus haberetur sine perturbatione et cum tranquilitate; sed contrarium accidit, quia tantum fuit, tamque magnus populi conventus […] & tam vehemens, 193  Cf. Raoul Garetta, »Introduction«, in: idem, La Conversion de la Princesse de Condé. A Rouen en 1596. Introduction et notes par Raoul Garetta. Rouen: Léon 1901, VII–XXXII: Charlotte (Cat(h)erine de la Trémouille (1567–1629) war die zweite Frau von Henri II de Bourbon; sie war, um ihn heiraten zu können, zum Protestantismus übergetreten. Nach dem frühen Tod ihres Mannes, wurde sie zunächst zusammen mit ihrem Sohn Henri inhaftiert, nachdem dieser schließlich zur katholischen Erziehung in ein Kloster geschickt wurde, erlangte sie zwar ihre Freiheit zurück, konnte die politischen Wogen aber erst durch ihre conversio zum Katholizismus (1596) glätten. 194  Zu Ritenfolge und Gestaltung von conversio-Zeremonien als Bußhandlung, cf. ausführlich supra, Kapitel 3.a). Alle diesbezüglichen Angaben in den Schriften zur conversio von De Vaux, Marcha und der Princesse bleiben deshalb im Folgenden unberücksichtigt.



d) Stärke zeigen: conversio als spectacle343 ut coacti fuerint stipatores & honoratij milites Illustrissimi Domini Comestabilis valla pangere aggestis arculis, lapidibus, & palis in circuitu Ecclesiae: et tandem fuit necessarium domino Comestabili, ipsis operis adesse pro sua virili. Vidi quaecunque ibi acta sunt. Cúm accederet ipsa Principessa cum illustrissima domina Comestabili, & domina Ammiralia cum aliis multis primariae nobilitatis dominabus praecipui stématis, cuncte fuerunt eo redactae, ut ipsa valla transcenderunt, in quo multum lavoravit Illustrissimus Comestabilis, dum eos ambabus vinis exceptas, in Ecclesiam asportaret: Et mihi ipsi manum praebuit adjutricem benignissime. Fortitan si ille non adfuisset, ego foras exclusus remansissem. Ab ipsa porrò ad capellam maiorem usque, ubi sedebat Illustrissimus Dominus Legatus in Pontificalibus propre altare magnum, multûm operae & temporis impenderunt illae, ut ad eum locum pervenerint summa cum difficultate. Qui non solum fornix Ecclesiae totus erat gente oppletus, quae magno impetu ferebantur, sed superius tectum, columnae, gradus, parientes cum scalis pensilibus onerabantur ingenti multitudine.195

Durch den Hinweis, dass nicht nur er selbst, sondern sogar die Hauptperson einige Mühe hatte, durch die Menschenmenge in das wirklich bis in den allerletzten Winkel besetzte Gotteshaus196 und zum Platz in der Nähe des Altars zu gelangen, wird klar herausgestellt, dass es sich bei der conversio der Prinzessin tatsächlich um eine Sensation handelte, um ein Ereignis, das es nicht zu verpassen galt – um der eigenen Erbauung willen, aber vor allem aus gesellschaftlicher Perspektive, regierte doch auch hier das Prinzip vom ›Sehen und Gesehen-Werden‹. Bei den conversiones von de Vaux und Marcha war es nicht viel anders, auch hier wird die Tragweite der Zeremonie durch Hinweise auf die große Zahl der Teilnehmer ausgedrückt. Diese fallen allerdings im Gegensatz zu denjenigen in der Narratio recht knapp aus: So berichtet der Herausgeber der Schrift von De Vaux, dessen Sündenbekenntnis sei zu verstehen gewesen »que par ceux seulement qui estoyent les plus proches à cause de la 195  Cf. Anonym (= P.V.D.P.G.), Narratio, in qua tractatur de apparitione, abjuratione, conversione, & synaxi Ilustrissimae Principis Carlottae Catharinae Trimolliae Principissae Condei Henrici Borbonii, primi in Francia Principis Sanguinis, primique Paris Mater, in: idem, Resiouyssance De La France, Sur la libre & volontaire Conversion de Madame la Princesse de Condé, à la foy Catholique, Apostolique & Romaine. Paris: Jean Le Blanc 1597, in: Garetta, Conversion (Princesse de Condé), 3–40, hier 8 / 9. Der Autor unterschrieb die Narratio mit dem oben angegebenen Kürzel, wer sich dahinter verbirgt, konnte bis dato nicht geklärt werden. 196  Dieser Aspekt wird dem Leser im Laufe der Schrift mehrere Male in Erinnerung gerufen, zunächst als der Geistliche zum Zeichen der Lossprechung nicht nur die Schultern der Prinzessin dem Ritus entsprechend berührt, sondern aufgrund der herrschenden Enge auch diejenigen ihrer Nachbarin, die sich darüber sehr erzürnt (cf. Anonym, Narratio, in: Garetta, Conversion (Princesse de Condé), 7), dann in Hinblick auf die erst am folgenden Tag stattfindende erste Teilnahme der Prinzessin am Herrenmahl, die erneut »multi […] viri magnates & nobiles, & femina innumerae, cum infinata populari gente« angelockt hatte (ibid., 35).

344 4. Ecrits de conversion – Spezifika einer literarischen Form

multitude du peuple«197; Madelenet erklärt zu Beginn seines Textes »Partant ie feray part à la France, ma chere patrie, du doux spectacle, que ceste grande & fameuse ville de Rouen a veu«198; der anonyme Verfasser des zweiten écrit de conversion von Marcha schreibt schlicht, »quinze mille personnes« seien »vrais & fidels tesmoins«199 des Übertritts geworden. Wenn so viele Menschen zusammenströmen, um am Ereignis conversio teil zu haben, wurde dies allgemein als Indiz für die Wahrheit der dahinter stehenden Lehre gewertet. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass wohl so mancher die Teilnahme an einer solchen Zeremonie auch als Zerstreuung und Abwechslung vom Alltag ansah, zumal sich bei derlei Veranstaltungen, ebenso wie bei den conférences der ›Großen‹ ja stets auch die Gelegenheit zu Plausch und Austausch bot. Ob also jeder Teilnehmer von vornherein begeistert war und in der conversio ein mögliches Vorbild zu entdecken hoffte, muss offen bleiben. Wie schon Augustinus vermutete, haben sich wohl viele erst im Rahmen des Gottesdienstes anstecken lassen: Hinsichtlich der Gestaltung der Konversionsschrift kann dieser Aspekt allerdings unberücksichtigt bleiben. Für den Leser zählt allein die Botschaft: Es waren sehr viele Menschen da! Der besondere Wert der conversiones der ›Großen‹ ergibt sich aber nicht nur aus der Quantität, sondern auch aus der Qualität der Teilnehmer. Wie schon in Verbindung mit den missions gezeigt, konnte schon aus der Feststellung, dass ein nahestehender Verwandter oder ein Nachbar an den Katechesen und Predigten mit Begeisterung und spirituellem Gewinn teilnahm oder vielleicht gar schon der anderen Kirche angehörte, Neugier, vielleicht gar Interesse erwachsen – oder auch einfach das Gefühl, gleichfalls dazu gehören zu wollen. Welchen Eindruck musste dann die Aufzählung all der hochkarätigen Persönlichkeiten machen, die der Zeremonie von Marcha oder der Fürstin beiwohnten?200 Um diese Frage zu beantworten, ist es 197  De Vaux, L’imprimeur, Celebre Conversion, 3 / 4. Darüber hinaus steht bereits im Titel der Hinweis »bien dix mille personnes ou davantage« hätten der Zeremonie beigewohnt (ibid, Titelblatt). 198  Madelenet, La conversion de P. Marcha, 3, cf. auch »l’affluence des Peuples Catholiques qui ont honoré de leur presence ceste celebre action«; ibid., 6. 199  Anonym, Ample et fidelle narré (Pierre Marcha), 17. 200  Dass nicht nur die Quantität, sondern auch die Qualität der Anhänger als Indiz für die Wahrheit gewertet werden konnte, gab später auch Louis XIV seinem Sohn mit auf den Lebensweg: Im Zusammenhang der Gegenüberstellung von Katholizismus und Protestantismus erklärte er beispielsweise: »Qu‘elle autre religion le peut emporter sur la nôtre, à laquelle tout ce qu’il y a eu de gens habiles et éclairés dans le monde se sont rendus quand elle a paru, qui est aujourd’jui embrassée et suivie, non pas comme des autres par des nations barbares, ignorantes et grossières,



d) Stärke zeigen: conversio als spectacle345

nötig, kurz den Adressatenkreis der hier besprochenen Texte in den Blick zu nehmen! Die Tatsache, dass die Schriften ganz oder abschnittweise auf Latein verfasst wurden, lässt auf ein recht gebildetes, städtisches, möglicherweise auch adliges Publikum schließen – also genau die Klientel, die sich bei den Zeremonien von Marcha und De Vaux in den Kirchenbänken drängten; Gläubige, die zumindest die Texte zur conversio von Marcha und De Vaux problemlos rezipieren und sich von den lateinischen Bibelzitaten, die ihnen vielleicht ohnehin aus anderen Zusammenhängen bekannt waren, nicht abschrecken ließen, sondern durchaus angesprochen fühlten.201 Etwas anders liegen die Dinge beim Text zur conversio der Princesse de Condé: Hier hatte der Verfasser möglicherweise seine Leserschaft genau vor Augen, die allerdings nicht rein protestantisch geprägt gewesen sein muss. Bei näherem Hinsehen wird nämlich deutlich, dass das Werk stärker als die beiden anderen mit seinem Entstehungsort verbunden ist. Einmal abgesehen von den im laufenden Text erscheinenden Namen enthält die Schrift eine zweiseitige Liste aller Teilnehmer an der Zeremonie, in der sich sicher der eine oder andere wiedergefunden haben wird,202 dazu eine Fülle kleiner Anekdoten sowie eine ausführliche Beschreibung des Festmahls, das anlässlich der conversio veranstaltet worden war und für eine Weile das Stadtgespräch bestimmt hatte.203 Damit erscheint die primäre Funktion der Schrift darin zu bestehen, an ein gemeinsames Erlebnis zu erinnern und der Bestärkung im Glauben zu dienen – was die Leser demnach vor einer conversio zum Protestantismus bewahren sollte. Nichtsdestotrotz ist ein Einsatz des Werkes als Konversionsschrift durchaus denkbar, zumal es dem Leser durch sein lateinisches Gewand vielleicht besonders im Gedächtnis blieb – was seine Wirksamkeit eventuell sogar erhöhte. Auch die Schriften, die anlässlich der conversio von De Vaux und Marcha publiziert wurden, bieten Informationen zu den Teilnehmern: Der Verfasser des Textes zum Übertritt von Marcha gibt an, König Louis XIII und mais par toutes celle où l’esprit et le savoir sont les plus cultivés«; Louis  XIV, Mémoires, 86. 201  Zur Integration lateinischer Bibelzitate und deren Funktion in écrits de conversion cf. supra, Kapitel 4.a). 202  Cf. Anonym, Narratio, in: Garetta, Conversion (Princesse de Condé), 26 / 27 sowie 35. Die zweite Liste bezieht sich auf den Empfang der Erstkommunion am Folgetag. Die Familie der Konvertitin war zudem seit Jahren der Stadt verbunden, cf. Garetta, Introduction, in: idem, Conversion, IX. 203  Cf. Anonym, Narratio, in: Garetta, Conversion (Princesse de Condé), 39 (Bericht über das convivium, 36–39). Der Verfasser der Narratio schildert das Mahl in allen Einzelheiten, um dann zu schließen: »Omnes denique ex ipso convivio adeò hilares exierunt, tantaque animi voluptate perfusi, ut multos post dies in aula nulli alii haberentur sermones, quam de eo«.

346 4. Ecrits de conversion – Spezifika einer literarischen Form

»toute la Cour« seien zugegen gewesen.204 Der Herausgeber des Textes zur conversio von De Vaux nennt ›lediglich‹ »cinq ou six Evesques« und »tout le Clergé«205, durch den integrierten Brief an den König (Henri IV), in dem der nouveau converti die clemence von Papst und Herrscher lobt und ihnen für die Aufnahme in die Kirche dankt,206 ist der Monarch zumindest indirekt und vor allem für den Leser aber gleichfalls präsent. Der König und sein Hofstaat, zahlreiche Bischöfe, dazu Gewänder, Kerzen und Gesänge, darunter »ce beau motet en musique: ›Pater peccavi in caelum & coram te‹ «207 oder das bereits erwähnte »Te Deum«208: Beim Lesen der Texte mag vor dem geistigen Auge des (protestantischen) Lesers von der conversio-Zeremonie ein ebenso imposant-feierlicher Eindruck entstehen wie von den genannten Prozessionen, Wallfahrten usw., die er bei anderer Gelegenheit hat an sich vorüberziehen lassen müssen …, ein Zustand, den es möglicherweise zu ändern galt. Die Texte enthalten damit eine deutliche Botschaft: »Wer sich nicht zur conversio entschließt, wird nie zu dieser Gemeinschaft dazugehören« und damit indirekt auch eine Aufforderung, es den hier im Mittelpunkt stehenden Gläubigen gleichzutun. Verstärkt wird dieser Appell durch die Anwesenheit des Königs und dessen – insbesondere bei Marcha herausgestellte »pieté vrayement Catholique«209. Auf diese Weise wird nämlich die enge Verbindung zwischen französischer Monarchie und katholischer Kirche unterstrichen – wenn nicht gar inszeniert210 – und damit die Untreue jedes Ample et fidelle narré (Pierre Marcha), 18ss. Vaux, L’imprimeur / Celebre Conversion, Titel. 206  Cf. De Vaux, L’imprimeur / Celebre Conversion, 25ss. 207  De Vaux, L’imprimeur / Celebre Conversion, 33. Die Motette auf die Worte des verlorenen Sohns an seinen Vater qualifiziert den Konvertiten als bußfertigen Sünder und Heimkehrer, was er im Fall von De Vaux ja auch war. Wie anhand der Tabelle in Kapitel 4.b) ersichtlich, bedient sich der Verfasser, ebenso wie jener des Textes von Marcha, zahlreicher Bilder dieser Art.  208  De Vaux, L’imprimeur / Celebre Conversion, 33. Das Te Deum erfüllt hier die Funktion eines akklamatorischen, Einheit stiftenden Lobgesangs. 209  Cf. Anonym, Ample et fidelle narré (Pierre Marcha), 21. 210  Mag der von den Schriften ausgehende Grundton der Freude tatsächlich die Begeisterung über die conversiones, Licht, Gewänder und Musik Ausdruck ›barocker‹ Maßlosigkeit ad maiorem Dei gloriam sein, deuten nicht nur die zitierte Formulierung hinsichtlich der »pieté vrayement Catholique« (ähnlich »Mon dit Seigneur, commença les ceremonies, & par fois commanda au peuple selon quelques ordonnances de l’Eglise […] de se prosterner à genoux, sa Maiesté commençoit tousiours ce sainct acte d’humilité«, Anonym, Ample et fidelle narré (Pierre Marcha), 17), sondern auch die bereits angesprochenen Chorgesänge und die »ceremonies solennelles accoustumees de toute antiquité en l’Eglise de Dieu« (De Vaux, L’imprimeur / Celebre Conversion, 33) deutlich auf die spectacles der auf représentation ausgerichteten Gesellschaft der zweiten Jahrhunderthälfte voraus, in denen 204  Anonym, 205  De



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Protestanten gegenüber seinem Herrscher deutlich vor Augen geführt.211 Von den Katholiken wurden solche Festlichkeiten unter Anwesenheit von weltlichen und geistlichen ›Größen‹ als weiteres Zeichen der Stärke ihrer Kirche angesehen – was der Intention entsprechender Berichte ja durchaus entsprach.212 Die Zweifelnden und Ungläubigen gewinnen, die Entschlossenen bestätigen, der Gegenseite Stärke zeigen: So war zu Beginn dieses Kapitels die Funktion von Konversionschriften umrissen worden. Wie die analysierten Beispiele zeigen, erfüllt kaum ein écrit de conversion alle drei Kriterien jeweils im gleichen Maße: Je nach Ausgangslage des Verfassers betont der eine den Aspekt des Unerwarteten, der andere sein langes Zögern, ein dritter sein besonderes Schuldgefühl, der nächste die Stärke der von ihm gewählten Glaubensgemeinschaft … Einendes Band der literarischen Form Konversionsschrift ist neben den zeittypischen Vorbildern, Formen und Strukturen der von allen Autoren verwendete relativ einfache, auf Bibel und Glaubenspraxis beruhende langage de conversion, die das Verständnis zwischen den Verfassern und ihren Lesern sichert. Es wird im Folgenden zu zeigen sein, inwieweit sich solch eine thematische und stilistische Geschlossenheit auch bei den Autoren konstatieren lässt, die den Traditionsfaden der literarischen Verarbeitung von conversio im Sinne einer Rückkehr zu einem gottgefälligen Leben in zeitlicher Parallelität zu den écrit de conversion weiterführten, ohne dabei wesentlich von konfessioneller Propaganda berührt zu sein.

Rollenspiel und Zurschaustellung eine weitaus größere Rolle spielen werden als ›ehrliche Gefühle‹. Tatsächlich näherten sich spectacle religieuse und spectacle profane im Laufe des Jahrhunderts immer mehr an, sodass schließlich für die Teilnehmer weder formal noch emotional ein Unterschied bestand zwischen den Festen der société de Cour von Louis XIV und dem Anhören der discours sacrés von Bossuet oder Bellarmin. Zu dieser Entwicklung cf ausführlich Dorothea Scholl, »Religion et spectacle«, in: Rainer Zaiser (ed.), L’âge de la représentation. L’art du spectacle au XVIIe siècle. Actes du IXe colloque du Centre International de Rencontres sur le XVIIe siècle. Kiel 16–18 mars 2006. Tübingen: Narr 2007, 309–329. 211  Zur Königstreue als Motivation von conversio cf. supra, Kapitel 3.b)bb). Diese inplizite Aufforderung zur Loyalität gegenüber dem Herrscher war umso erfolgversprechender, da die Leserschaft dieser Texte sich mit dem Personenkreis, die sich diesem Konflikt gegenüber sah, wohl weitgehend deckte. 212  Cf. Cuillière, Ecrire, in: Brucker, Conversion, 46 / 47.

5. Die andere Traditionslinie: conversio als Gegenstand religiöser Literatur Die verbreitete Krisenstimmung seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert ebenso wie die ständige Konfrontation mit Lehre und Glaubenspraxis der jeweils anderen Kirche regte, wie gezeigt, viele Christen dazu an, ihre eigene religiöse Überzeugung auf den Prüfstand zu stellen.1 Dies geschah sicher in vielen Fällen unbewusst und wenig zielgerichtet: durch die Teilnahme am Gottesdienst und anderen liturgischen Formen, im Gebet, im Austausch mit Anders- und Gleichgesinnten, vielleicht auch durch die Lektüre von écrits de conversion oder weiteren Formen der Erbauungs- und Meditationsliteratur. Während aber Konversionsschriften wie gezeigt, immer auch als écrits de controverse konzipiert waren, fehlt diese Komponente den anderen Texten meist vollständig, weshalb sie ja auch unabhängig von der jeweiligen konfessionellen Ausrichtung der Verfasser rezipiert wurden. Daraus ergibt sich, dass ein spirituelles Bedürfnis, das gelegentlich aus einer solchen vertieften Auseinandersetzung mit dem eigenen Glauben erwuchs und schließlich in einer conversio im Sinne eines Konfessionswechsels mündete, wohl nur in Ausnahmefällen der Lektüre derlei Werke geschuldet war.2 Zwar steht im Mittelpunkt von Erbauungs- und Meditationsliteratur – bei aller Verschiedenheit im Einzelnen – gleichfalls ein conversio-Appell, dieser ist aber keinesfalls konfessionell aufgeladen, sondern weist vielmehr dem Gläubigen den Weg zum Heil durch eine Orientierung an der christlichen Botschaft, knüpft also unmittelbar an die überkommene literarische Tradition an.3 dazu supra, Kapitel 3.b)cc). war beispielsweise möglich, wenn man als Leser um die Konfessionszugehörigkeit eines Dichters wusste, und sich von dessen Werk besonders angesprochen fühlte. Ob dann eine aus dieser Erfahrung erwachsene conversio eher durch die Botschaft des Textes oder das exemplum angeregt wurde, ist kaum eindeutig zu klären. 3  Cf. Belin, Conversation, 312 / 313, »On […] peut […] s’interroger sur cette quantité impressionante d’ouvrages spirituels, qui […] repètent tous essentiellement la même chose (la parfaite conversion à Dieu, la grande affaire du salut, la pensée de la mort, etc)«. Einen ersten Überblick über im betrachteten Zeitabschnitt entstandene Werke bietet die von Terence Cave und Michel Jeanneret besorgte Anthologie de la poésie religieuse française (1570–1630): Metamorphoses spirituelles. (Paris: Corti 1972), in neuerer Zeit, aber mit deutlichem Bezug auf das Werk von Cave/ Jeanneret; Jean Serroy, Poètes français de l’âge baroque (1571–1677). Paris: Imprimerie Nationale 1999. 1  Cf.

2  Dies

5. conversio als Gegenstand religiöser Literatur

349

Wie gezeigt, bildeten Texte mit einer vergleichbaren thematischen Ausrichtung das gros der lettres sacrées überhaupt, die allerdings in der ersten Hälfte des 16. Jahrhundert mit den lettres profanes in deutlicher Konkurrenz standen. Dies änderte sich, als durch die historisch bedingte Sensibilisierung für religiöse Fragen immer mehr Autoren den Eindruck gewannen, ihren eigenen Bedürfnissen ebenso wie denjenigen ihrer Leser durch Werke mit lediglich profanem Gegenstand nicht mehr gerecht zu werden, und sich deshalb geistlichen Fragestellungen zuwandten.4 Die daraufhin einsetzende Entwicklung innerhalb der republique des lettres wird gemeinhin als conversion des muses gefasst. Sie schlug sich in ihrer Anfangszeit vor allem in einer Fülle von Sammelwerken wie zum Beispiel L’Œuvre chrestienne de tous les poëtes françois (1581) oder La Muse chrétienne (1582) nieder,5 in denen namhafte Dichter Texte veröffentlichten und nun nicht mehr die heidnischen Gottheiten und die Liebe, sondern die christlichen Glaubensgeheimnisse im Vordergrund standen. Es wäre allerdings verfehlt, in Bezug auf diese Neuorientierung von einem umfassenden, punktuell einsetzenden Phänomen zu sprechen. Zwar lässt sich rückblickend festhalten, dass die Mehrzahl der Autoren beider Konfessionen im ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhundert im Laufe der Zeit von dieser Welle erfasst wurden, allerdings geschah dies weder flächendeckend noch auf der Grundlage eines dichterischen Programms, dem man zustimmen oder das man im Gegenzug ablehnen konnte.6 Es handelte sich vielmehr um eine Grundtendenz innerhalb der litterae, die ursprünglich aus dem Anliegen Einzelner hervorging, um sich dann im Laufe der Zeit zu einem topos zu entwickeln, der bald in keinem Vorwort christlicher Dichtung mehr fehlen durfte, ging 4  Cf. Marie-Madeleine Fragonard, La pensée religieuse d’Agrippa d’Aubigné. Paris: Champion 22004, 30: »les auteurs de littérature religieuse répudient la littérature profane, par un sentiment d’incompatibilité qui est plus fort que les faits«. 5  Cf. Anonym, L’Œuvre chrestienne de tous les poëtes françois: Recueillie des œuvres de Marot, Ronsard, Bellay, Belleau, Pybrac, Desportes, Saluste, Buttet, Jamin, de Billy et Pontoux. Lyon: Ancelin 1581 sowie Anonym, La Muse Chrestienne ou Recueil des poësies chrestiennes tirées des principaux poëtes françois. Avec un discours de l’influence des astres, du destin ou fatalité, de l’interprétation des fables ou pluralité des Dieux introduicts par les poètes. Paris: Malot 1582. Zahlreiche weitere Werke dieser Art führen auch Cave und Jeanneret in ihrer Anthologie auf, einen geordneten Überblick bietet Christophe Bourgeois, Théologies poétiques de l’âge baroque. La muse chrétienne (1570–1630). Paris: Champion 2006, 792–794. Dort finden sich auch Angaben zu den beteiligten Autoren und ihrer Konfessionszugehörigkeit. Bis auf wenige Ausnahmen, darunter die Muse Chrestienne von 1582, beinhalten die Werke in der Regel Texte von katholischen und protestantischen Schriftstellern. 6  Cf. Bourgeois, Théologies, 40, sowie ausführlich 39–169.

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man doch davon aus, dass er die positive Aufnahme des Textes zu sichern vermochte.7 Die Frage nach den lignes de force der von ihnen verfassten Werke, die es im Folgenden zu stellen und möglicherweise im Kontrast mit den in Hinblick auf die Konversionsschriften herausgearbeiteten Ergebnissen zu beantworten gilt, hätte die Autoren demnach sicher erstaunt: Nicht nur, weil die Orientierung an der christlichen Botschaft unter den gegebenen Bedingungen für sie damals zur Selbstverständlichkeit geworden war, sondern auch, weil sie sich eher als Einzelkämpfer, denn als Gruppe mit gemeinsamen, determinierten Zielen verstanden.8 Nichtsdestotrotz würden sicher alle Dichter der Aussage beipflichten, dass sie in ihren Werken das dichterische Wort in den Dienst Gottes stellen und es auf diese Weise zur TheoLogie, im Sinne eines »von Gott Sprechens« wird.9 Diese Verbindung war, wie gezeigt, keinesfalls neu, sondern bereits in der Bibel angelegt, und im Mittelalter selbstverständlich, nun wurde sie gewissermaßen mit Macht ›zurückerobert‹ und mit den zeitgenössischen Errungenschaften ebenso wie mit den spezifischen Anforderungen der »restauration religieuse«10 verquickt. Das bedeutet freilich nicht, dass alle Werke, die seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert entstanden sind und die Gläubigen bei ihrer Reorientierung auf eine christliche Lebensführung unterstützen konnten, notwendig lyrische Texte sind – auch wenn diese Form mit Sicherheit überwiegt. Neben 7  Ein plastisches Beispiel für die Verwendung dieses topos findet sich im Werk des Kapuziners Martiel de Brives. Im liminaire seiner dritten Sammlung geistlicher Werke schreibt er: »Depuis que la muse se pique / D’estre Chretienne, il a quitté / Le Parnasse idolâtre et a pris le Séraphique / […] / En suite te luy verras faire / A la gloire de Iesus Christ / De ce parnasse le Calvaire«; (Martiel de Brives), Le Parnasse séraphique et les derniers soupirs de la muse du R.P. Martiel de Brives, capucin. Lyon: Demasso 1660, »Stances au chretien«, n. p., vv. 3–10. Zur Entwicklung des topos cf. Bourgeois, Théologies, 99s. Ein ähnlicher Verweis auf die conversio seiner Muse findet sich auch bei La Ceppède, cf. dazu infra, Kapitel 5.a). 8  Cf. Bourgeois, Théologies, 734s. Zur Orientierung scheint es dennoch angebracht, die Autoren zu nennen, die mit dem Konzept der conversion de muses vorrangig in Verbindung gebracht werden. Bourgeois, der seine Studie der conversion des muses und der Muse chrétienne widmete, nennt als seine Hauptzeugen Agrippa d’Aubigné, Jean-Baptiste Chassignet, Pierre de Croix, Guillaume Salluste Du Bartas, Claude Hopil, Jean de La Ceppède, Pierre Poupo, Lazare de Selve und Jean de Sponde (ibid., passim). 9  Theologie ist abgeleitet von τηεος = Gott und λογσς = Wort, das Sprechen; cf. dazu Anne Mantero, La Muse théologienne. Poésie et théologie en France de 1629–1680. Berlin: Duncker & Humblot 1995, 9: »Que l’on entende par ›théologie‹ un discours sur Dieu – un discours à Dieu – toute poésie sacrée reçoit de droit la qualité théologique«. 10  Cf. Belin, Conversation, 146.

5. conversio als Gegenstand religiöser Literatur

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lyrischen Kurzformen, wie beispielweise Sonett und Ode, stehen Versepen11, denen die zahlreichen Psalmparaphrasen formal vergleichbar sind, kleine Prosaformen wie beispielsweise Novellen und récits hagiographiques sowie selbstverständlich religiöse Traktate.12 Das Primat der Lyrik ergibt sich aus den bereits mehrfach angesprochenen Tendenzen zur Innerlichkeit und dem selbständigen Umgang mit diesen Texten im Rahmen privater Frömmigkeitsübungen.13

11  Als Beispiel sei La Sepmaine ou création du monde von Du Bartas (1578) genannt. 12  Dieser Formen bediente sich unter anderem Jean-Pierre Camus, cf. dazu infra, Kapitel 5.c), zum récit hagiographique cf. die Hinweise zur Übersetzung der Vie des Saints Pères […] am Ende dieses Teilkapitels. Selbstverständlich griffen zu dieser Zeit neben den poetae theologi auch einige ›ausgebildete‹ Theologen zur Feder, um durch Traktate oder Predigten, die dann nachträglich veröffentlicht wurden, den Gläubigen Möglichkeit und Notwendigkeit von conversio ans Herz zu legen. In Ziel und Form mit solchen traités théologiques vergleichbar ist auch das Ecrit sur la conver­ sion du pécheur von Blaise Pascal, das dieser wohl unter dem Eindruck seiner eigenen conversio verfasste. Während das unmittelbare Zeugnis seiner conversio erst der Nachwelt zur Verfügung stand, da der Autor das heutzutage als Mémorial bezeichnete Schriftstück bis zu seinem Tod versteckt bei sich trug, wurde die Darstellung des itinéraire »de l’âme que Dieu daigne toucher véritablement« (Blaise Pascal, »Ecrit sur la conversion du pécheur«, in: idem, Œuvres complètes II. Edition présentée, établie et annotée par Michel Le Guern. Paris: Gallimard 2000, 99–102, hier 99) schon bald nach ihrer Entstehung (ca. 1655) anonym veröffentlicht. Pascal analysierte die Folgen von conversio im Sinne einer Rückkehr zu einem gottgefälligen Leben, die hier einer Abkehr von der Welt gleichkommt. Zur conversio Pascals, die wie bei Augustinus mehrstufig war und schließlich in einem Moment der Entscheidung kulminierte, der dann im Mémorial seinen Niederschlag fand, cf. Marcel Raymond, »La conversion de Pascal«, in: idem, Vérité et poésie. Etudes littéraires. Neuchâtel: La Baconnière 1964, 13–37, passim, sowie Zaiser, Epiphanie, 65–103, insbesondere 77ss und 95s. Es mag erstaunen, dass bei der Zusammenschau der literarischen Formen, in denen conversio thematisiert wird, das Drama nicht erwähnt wird, zumal gerade mit Le Veritable Saint Genest ein Werk vorliegt, das sich mit der conversio des Schauspielers auf der Bühne, deutlich in die hier gezeichnete Traditionslinie einzuschreiben scheint. Bei genauerem Hinsehen steht hier aber keinesfalls eine conversio als göttlicher Gnadenakt, sondern die Macht der Illusion im Mittelpunkt des Interesses (cf. François Bonfils et Emmanuelle Hénin, »Présentation«, in: Jean Routrou, Le Véritable Saint Genest. Présentation, analyse, notes, dossier, bibliographie, lexique par François Bonfils / Emmanuelle Hénin. Paris: Flammarion 1999, 7–28, passim, insbesondere 13ss), weshalb auf eine Analyse des Textes verzichtet werden kann. Es ist allerdings durchaus anzunehmen, dass Routrou sein Werk in der vorliegenden Weise gestaltete, weil das Thema conversio im Moment der Erstaufführung (1648) im Schwange war. Zu weiteren Dramen, in denen conversio thematisiert wird, ohne aber dem in Kapitel 1.d) und 3.b)bb) dar­ gestellten Tendenzen wesentlich Neues hinzuzufügen, cf. Jonker, Protestantismus, 180s sowie Boysse, Théâtre, 120s. 13  Cf. Terence Cave, Devotional poetry in France, c. 1570–1613. Cambridge: University Press 1969, 7ss.

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Zwar war die meditative Aneignung14 eines Prosatextes gleichfalls möglich – und wurde anhand der Bibel sowie beispielsweise an den Confessiones ja auch mannigfach praktiziert15 –, dennoch gab man wohl im 16. und 17. Jahrhundert dem genre lyrique den Vorzug gegenüber anderen Formen, nicht nur wegen Rhythmus und Reim, sondern auch aufgrund der zum Teil refrainhaften Wiederholungen, die das Eintauchen in den Text vereinfachten16 und damit auch den inhärenten conversio Appell leichter zugänglich machten. Bevor im Folgenden die Gestaltung dieses Aufrufs zur conversio anhand der Théorèmes von Jean de La Ceppède und den Poesies chrestiennes von Odet de la Noue exemplarisch herausgearbeitet und mit den in den Konversionsschriften vorliegenden Formen verschränkt werden, seien kurz und gleichfalls im ›Dialog‹ mit den Ergebnissen des vorangegangenen Kapitels eben die lignes de force aufgezeigt, die für diese Werke und die daran vorliegende Anverwandlung der überkommenden conversio-Konzepte prägend sind. Wie auch die Verfasser der Konversionsschriften orientierten sich die Autoren dieser Traditionslinie vornehmlich an der Bibel, sie bietet ihnen sowohl das Text- als auch das Metaphernmaterial.17 Dabei geht es jedoch, anders als in den écrits de conversion, weniger um die Übernahme einiger 14  Als »meditative Aneignung« wird hier generell jedes »geistig-sinnliche SichAneignen, In-Sich-Aufnehmen und Durchdringen des Betrachtungsgegenstands« ­eines Gläubigen mit dem Ziel »die Seele zu Gott zu erheben und durch die Selbsterkenntnis zu einer Gotteserkenntnis zu gelangen« (Wodianka, Betrachtungen, 16) gefasst. Zu den Merkmalen der Meditation, die teilweise den Phänomenen Gebet und Kontemplation sehr nahe sind, im vorliegenden Zusammenhang aber nicht von diesen unterschieden werden müssen sowie den verschiedenen Traditionen, aus denen sich die im 16. und 17. Jahrhundert üblichen Formen entwickelt haben (ohne diese im Einzelnen zu unterscheiden), cf. ibid., 16–36, sowie Belin, Conversation, 27–136. 15  Cf. Guardini, Bekehrung, 24. Indem Augustinus seine Confessiones – die ja wiederum im Dialog mit dem Bibeltext stehen – als Zwiegespräch mit Gott gestaltete (cf. dazu supra, Kapitel 4.c)), legte er gewissermaßen den Grundstein für die meditative Aneignung des Textes und des ›zu Gott Gelangens durch sich selbst‹. Entsprechendes hatte er bereits in De vera religione (um 389) formuliert: »Noli foras ire, in te ipsum redi, in interiore homine habitat veritas« (Sancti Aurelii Augustini, De vera religione, in: idem, Doctrina / Religione, 169–300. XXXIX, 72). 16  Cf. Belin, Conversation, 147. 17  Bourgeois spricht deshalb vom »primat de la source biblique«; cf. idem, Théologies, 171; dazu »La bible apparaît, quoiqu’à des titres divers selon les spiritualités, comme le fonds capable par excellence de vivivier et renouveler leur art«; Anne Mantero, »Récits bibliques et poésie religieuse en France«, in: Jean-Robert Armogathe (dir.), Le Grand Siècle et la Bible. Paris: Beauchesne 1989, 455–480, hier 455.

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weniger Bilder, denn um eine ré-écriture der Schrift, sei es durch Übersetzung, mehr oder weniger textnahe Paraphrase oder allegorische Deutung, die nur noch einige wenige Reminiszenzen an das Original erkennen lassen.18 Der verwendete langage ist dann nicht mehr notwendig derjenige der Bibel, sondern das Wort des Dichters wird »une parole véhémente […] qui bouleverse l’homme et entraîne l’adhésion passionnée à l’appel proclamé«.19 Häufigste Grundlage der Werke dieser Autoren sind wiederum das Hohelied, die Psalmen, Kohelet und – aufgrund der paulinisch beeinflussten Ausrichtung auf die christliche Erlösungstat – die Evangelien, besonders die Passion.20 Konfessionelle Vorlieben sind dabei grundsätzlich nicht erkennbar, obwohl die ›Mode‹ der Psalmparaphrasen sicherlich von den Protestanten angestoßen wurde.21 Damit lassen sich zwischen den beiden Traditionslinien grundsätzliche Unterschiede im Umgang mit dem Bibelwort feststellen, die sich einerseits aus den Produktions- und Rezeptionsbedingungen, andererseits aus der jeweiligen Intention der Schriften ergeben: Wie gezeigt, waren die Verfasser von écrits de conversion vor allem um Klarheit und Verständnis bemüht, weshalb sie sich nur weniger, dafür aber eindeutiger Bilder bedienten, die in beiden Konfessionen weitgehend identisch waren. Abweichungen ergaben sich, sobald einzelne von ihnen propagandistisch ausgenutzt werden konnten. Grundsätzlich dienten die Bilder dazu, in deutlicher Abgrenzung von der Gegenseite eine Erfahrung als exemplum zu gestalten, das zur Nachahmung einlud und damit communio zwischen dem Konvertiten und dem Adressaten zu schaffen – einem Adressaten, der erst noch davon überzeugt werden musste, dass conversio nötig war. Die Autoren der Muse chretienne konnten hingegen von einem grundsätzlich conversio-willigen Leser ausgehen, anderenfalls hätte er kaum zu entsprechender Literatur gegriffen. Ihre Aufgabe als Dichter bestand darin, den bereits bekannten Bibelstoff in einer Weise aufzubereiten, die neu und 18  Cf. Bourgeois, Théologies, 25: »chacun des poèmes étudiés comme la reformulation d’une parole donnée par la tradition chrétienne«. 19  Bourgeois, Théologies, 420. 20  Cf. dazu infra, Kapitel 5.a). 21  Wie in Kapitel 1.b) gezeigt, stammen die ersten Psalmnachdichtungen von Marot und De Bèze. Weitere wurden beispielsweise von De Sponde (1588); La Ceppède (1594); Desportes (1603), Chassignet (1613), Racan (1631 / 1651) angefertigt. Das Psalmgebet wurde besonders in der protestantischen Abendmeditation gepflegt, cf. Cave, Poetry, 38ss, die Bußpsalmen, VI und LI, waren zudem Teil der Gewissenserforschung in katholischen Beichtbüchlein, die aufgrund der besonderen Förderung des Bußsakraments durch die tridentinische Theologie im 17. Jahrhundert viel gelesen wurden.

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beeindruckend war und den Rezipienten deshalb dazu veranlasste, sich mit dem Text und seiner Botschaft auseinanderzusetzen und auf diese Weise ein vertieftes Bedürfnis nach conversio zu entwickeln. Wie an den meistverwendeten Büchern ersichtlich, griffen auch diese Autoren auf Bekanntes zurück, waren aber in ihrer Wahl weniger eingeschränkt als die Verfasser von Konversionsschriften, da sie anders als diese ihrem Leser zunächst Rätsel aufgeben konnten, ohne dass dadurch das Ziel der Schrift in Frage gestellt wurde. Stets ging es um die Darstellung des ineffable: Während aber die Verfasser von Konversionsschriften alles taten, um das Wirken Gottes an ihnen greifbar und damit für andere erfahrbar zu machen, bestand der Reiz zahlreicher Werke der religiösen Literatur der zweiten Traditionslinie vielmehr darin, den Leser es zunächst selbst entschlüsseln zu lassen. Trat bei den Konversionsschriften der Verfasser / Konvertit in Kontakt zum Leser, der den zurückgelegten Weg nachvollziehen soll, fungierte das lyrische-Ich in den anderen Texten vielmehr als Begleiter des sich entwickelnden ›Zwiegesprächs‹ zwischen Leser und Bibeltext und damit indirekt mit Gott. Das moi-lyrique wird dann zu einem »sujet-lyrique universel«22 nach dem Vorbild der Confessiones. Bevor im Folgenden das Gesagte an den Werken von La Ceppède und De la Noue illustriert wird, ist es sinnvoll, noch auf eine deutliche inhalt­ liche Abweichung zwischen den zwei Traditionslinien hinzuweisen. Denn obwohl beide auf das Konzept der conversio konzentriert sind, empfehlen nur die Autoren der religiösen Werke des ausgehenden 16. sowie des 17. Jahrhunderts in konsequenter Fortsetzung der in Kapitel II dieser Studie angeführten Tradition Maria Magdalena weiterhin als Vorbild für gelungene conversio,23 während die Figur in den Konversionsschriften fast vollständig absent ist. Eine Erklärung ergibt sich aus der Struktur ihrer conversio sowie aus der Biographie der Sünderin. Anders als beispielsweise der verlorene Sohn, der ja von den Vertretern beider Traditionslinien als 22  Bourgeois, Théologies, 105. Eine vergleichbare Vorgehensweise zeigt sich auch bei La Ceppède, cf. infra, Kapitel 5.a). 23  »Marie Madeleine était la grande sainte du XVIIe siécle«; Jean Rousset, La littérature de l’âge baroque en France: Circé et le Paon. Paris: Corti 1954, 47. Über die Omnipräsenz der Maria-Magdalena-Figur im 17. Jahrhundert ist in der Vergangenheit so viel geschrieben wurden, dass an dieser Stelle darauf verzichtet werden kann, auf die Werke im Einzelnen hinzuweisen, einen Überblick bietet Wolfgang Leiner, »Métamorphoses magdaléennes«, in: idem, Etudes sur la littérature française du XVIIe siècle. Préface de Roger Duchêne, ouvrage préparé par Volker Schröder et Rainer Zaiser. Tübingen: Narr 1996, 155–166; weitere Angaben bei Brémond, Histoire I, 328 (I, 383). Zu den conversiones von Maria Magdalena, cf. zudem ­supra, Kapitel 1.a); 1.c); 1.d).

5. conversio als Gegenstand religiöser Literatur

355

conversio-Appell fruchtbar gemacht wurde, kehrt Maria Magdalena nämlich nicht zu etwas zurück, was sie vorher verlassen hat, sondern sie geht einen neuen Weg aus der Welt in die Nachfolge Christi!24 Damit entspricht ihr itinéraire spirituel genau demjenigen, der den Gläubigen im 17. Jahrhundert allgemein empfohlen wurde. Wie besonders anhand der Passion von Jean Michel ersichtlich, handelt es sich bei der conversio von Maria Magdalena um ein stufenweises Ablösen von den Dingen der Welt, das getragen wird von dem Vertrauen in die göttliche Barmherzigkeit. Was einer Instrumentarisierung Maria Magdalenas als exemplum für eine conversio im Sinne eines Konfessionswechsels zudem entgegensteht, ist deren Status als belle péchéresse. Damit unterscheidet sie sich nämlich deutlich von den anderen Figuren, vor allem von Paulus und dem verlorenen Sohn, auf deren Beispiel die Verfasser von écrits de conversion ja zurückgriffen. Auch diese führten zwar kein vollständig gottgefälliges, aber auch kein vollkommen verwerf­ liches Leben, boten also als Ausgangsbasis für eine conversio als Konfes­sionswechsel deutlich stärkere Identifikationsmöglichkeiten als Maria Magdalena. Mochte deren Lebensweg sich mit seinen zwei extremen Polen, Amoralität einerseits, Jüngerschaft und Eremitendasein andererseits als Vorlage für einen Übertritt in eine andere Glaubensgemeinschaft wenig eignen, konnte er den Appell zur conversio im Sinne einer Rückkehr zu einem gottgefälligen Leben gerade aufgrund seiner moralischen Implikation umso besser unterstützen.25 Im Mittelpunkt der im Folgenden knapp vorgestellten und in Hinblick auf den ihnen inhärenten conversio-Appell untersuchten Werke steht weniger eine einzelne Persönlichkeit, die den Leser durch ihr Vorbild zur Umkehr führen soll. Vielmehr begleitet der jeweilige Autor, der im Laufe der Texte immer mehr hinter dem moi-lyrique zurücktritt, den Gläubigen bei seiner Auseinandersetzung mit zentralen Aspekten der christlichen Botschaft, die ihrerseits das Bedürfnis nach conversio hervorrufen sollen. Die Entschei24  Selbstverständlich kehrt auch Paulus nicht zu etwas Verlassenem zurück, vielmehr wechselte er tatsächlich die Religionsgemeinschaft, was seine Instrumentarisierung als Vorbild für eine conversio als Konfessionswechsel nahelegte. 25  Eine ähnliche Auslegung erfuhr im 17. Jahrhundert wohl auch die conversio von Maria Aegyptiaca (cf. dazu supra, Kapitel 1.c), sowie Belin, Conversation, 305), deren Vita Arnauld d’Andilly 1653 in die dritte Auflage seiner Übersetzung der Vie des Saints pères et de quelques Saintes integrierte und die sich so großer Beliebtheit erfreute, dass sie gelegentlich auch als Einzelexemplar verkauft wurde (cf. Martin, Livre, 931, weitere Auflagen folgten 41657; 51668; 61680). Maria Aegyptiaca wurde besonders in der Mädchenerziehung als exemplum für gelungene conversio zu einem gottgefälligen Leben eingesetzt; cf. Jacques Chocheyras, »Le modèle littéraire de la péchéresse repentie dans la ›La vie de Sainte Marie Egyptienne, pénitente‹, traduite par Arnauld d’Andilly (1653)«, in: Donville, Conversion, 403–410 (Diskussion 410–415), hier 404 / 405.

356 5. conversio als Gegenstand religiöser Literatur

dung für die Texte des katholischen Dichters La Ceppède sowie des Protestanten De La Noue ergibt sich einerseits aus deren jeweiliger Konfessionszugehörigkeit, andererseits aus der Tatsache, dass mit Passion und Abkehr von der Welt von ihnen zwei ›Modethemen‹ der damaligen Zeit behandelt werden.

a) Jean de La Ceppède: »Reformer sa vie«26 Cependant ie t’en (i. e. Ami lecteur) ay voulu donner icy un echantillon, à fin de pouvoir juger par l’accueil que tu luy feras, si l’etallement du tout pourra faire du fruict, et donner quelque consolation aux ames Chrestiennes parmy tant & tant de maux qui les affligent.27

Diese Worte stellte Jean de La Ceppède28 1594 seinen 12 Méditations sur le sacré mystère de Nostre Redemption voran und gab auf diese Weise nicht nur bekannt, dass er ein weiteres, umfangreicheres Werk in Vorbereitung hatte, das er bei Gefallen des ersten zu veröffentlichen gedachte, sondern auch, welche Intention er mit seinem Text verfolgte: die Gläubigen durch den Hinweis auf die christliche Erlösungstat trösten29 und ihnen auf diese Weise das Erdenleben erträglicher machen. Bei den Méditations handelt es sich um eine Reihe von zwölf Sonetten, in deren Quartetten die Passion ›nacherzählt‹ wird, in den Terzetten die Bedeutung des Leidens und Sterbens Christi für den Sünder reflektiert. Diese Grundstruktur findet sich auch in den erweiterten Versionen des Werkes im Wesentlichen wieder, die 1613 und 1622 unter dem Titel Théorèmes sur le sacré mystère de notre rédemp26  Jean de La Ceppède, Les Théorèmes sur le sacré mystère de notre rédemption. Reproduction de l’édition de Toulouse de 1613–1622. Préface par Jean Rousset. Genf: Droz 1966, Avant propos, 7–10, hier 10. 27  Jean de La Ceppède, Imitation des Pseaumes de la Pénitence de David. Contient un échantillon de douze sonnets qui annoncent les Théorèmes. Lyon: Tholoson 1594, liminaire, n. p. 28  Jean de La Ceppède (um 1550–1629) unterstützte während der Religionskriege offen den König, was ihn mehrere Male in Konflikt mit den Protestanten brachte. Seit 1608 und möglicherweise bis zu seinem Tod war er Präsident der cour des comptes; La Ceppède schrieb neben den im Folgenden betrachteten, immer wieder überarbeiteten und erweiterten Theorèmes und ihrer Vorstufe, den Méditations, wie erwähnt, eine Reihe von Psalmparaphrasen; zu Leben und Werk des Dichters cf. Lancelot Knox Donaldson-Evans, Poésie et méditation chez Jean de La Ceppède. Genf: Droz 1969, 181 / 182. 29  La Ceppède schließt sich damit dem bereits erwähnten, paulinisch geprägten, Trend an, Passion und Kreuz Christi in den Mittelpunkt der Frömmigkeit zu stellen. Vergleichbare Werke fertigten zum Beispiel auch Robert Estienne (1595), Jean ­Auvray (1622) und, später, Laurent Drelincourt (1677) an.



a) Jean de La Ceppède: »Reformer sa vie«

357

tion30 veröffentlicht wurden, allerdings schwillt die Zahl der Gedichte bis auf 519 in der letzten Fassung an. Darüber hinaus fügt der Autor ihnen detaillierte Anmerkungen bei, in denen er sich als Kenner von Schrift und litterae erweist.31 Aufschluss über den Umgang des Dichters mit gängigen conversio-Konzepten bieten vor allem die liminaires sowie die Terzette, »lieux de recueillement et de silence«.32 Zunächst allgemein gefasst und damit alle Menschen betreffend – und deshalb meist in der ersten Person Plural geschrieben – verengen sie sich in den Versen 12–14 auf die existentiellen Nöte eines Sünders, der dann als »sujet-lyrique universel« stellvertretend mit Gott in Beziehung tritt. Dieser Dreischritt entspricht damit sehr genau den gängigen Meditationsformen der Zeit,33 realisiert wird er sicher nicht in allen, aber doch in der Mehrzahl der Sonette. Er zeigt sich beispielhaft im Sonett ­XXXI der Théorèmes:

4

(Mais une froide peur me tient l’esprit transi) Ton Oraison ne sert qu’avec la pénitence Et je n’ay qu’un bien peu de froide repentance Que dis-je? J’ay le cœur à mal faire endurcy N’est faucé de sa peur l’epaise obscurité.

30  Über Ursprung und Bedeutung der Bezeichnung Théorèmes ist in der Forschung viel diskutiert worden, allgemein anerkannt ist wohl immer noch die Meinung von Jean Rousset, der »théorème« als »proposition dont la verité a été établie et qui permettra d’établir la verité d’autres propositions qui la suivront, qui seront d’autres théorèmes« definierte; cf. Jean Rousset, »Introduction«, in: Jean de La Ceppède, Théorèmes, 7–60, hier 48. 31  La Ceppède bezieht seine Kenntnisse zum einen aus der Bibel und den Schriften der Kirchenväter, zum anderen aus den zeitgenössischen litterae – auch aus den exakten Wissenschaften (Zu den Kenntnissen von La Ceppède cf. Mantero, Récits, in: Armogathe, Bible, 471 / 472). Durch den fortlaufenden Kommentar mit zahlreichen Bezügen untereinander werden die Sonette – die ja schon thematisch aneinander gebunden sind – zusätzlich verknüpft. Das Werk steht damit sowohl in der Tradition der italienischen canzonieri, die ja gleichfalls eine Geschichte ›erzählen‹ als auch in derjenigen des Heldenepos, hier aktualisiert durch den Beginn des Auftaktgedichts: »Ie chante les amours, les armes, la victoire« (La Ceppède, Théorèmes I, 1, 1, v. 1), der, wie andere zeitgenössische Epen auch, das »Arma virumque cano […]« aus Vergils Aeneis wieder aufnimmt (Publius Vergilius Maro, Aeneis. Recensuit atque apparatu critico instruxit Gian Viaggio Conte. Berlin / New York: Walter de Gruyter 2009, I, 1). La Ceppède macht also schon rein äußerlich deutlich, dass er einen Helden und eine Liebe besingen wird, beides aber – aufgrund der auch bei ihm vollzogenen conversion des muses – nicht heidnisch und profan, sondern christlich sein soll. 32  Rousset, Introduction, in: La Ceppède, Théorèmes, 15. 33  Zum üblichen Dreischritt von compositio – analysis – colloquium christlicher Meditation cf. Kasper, LThK, Lemma: Meditation, zu dessen Anwendung bei La Ceppède cf. Donaldson-Evans, Poésie, 155, zur allmählichen Auflösung der strengen Formen bestimmter Schulen cf. die Ausführungen im einleitenden Abschnitt von Kapitel 5.

358 5. conversio als Gegenstand religiöser Literatur

8

Il n’eut jamais pleuré son ny, s’il n’eut quitté Ce criminel hostel: et si n’est pas croyable Qu’à le quitter si tost il eut esté ployable. Si le mesme regard ne l’eut sollicité

11

Cet astre seul nous verse au cœur la Penitence Et si de son aspect l’influente assistance N’opère avec nous, vains sont tous nos efforts.

14

O flamboyant Soleil, foudroyez les deffences De ma chair et rendez mes desir assez forts Pour me tirer du monde, et pleurer mes offenses34

In den beiden Quartetten, wovon das erste durch eine Wiederaufnahme aus dem vorausgegangenen Sonett um einen Vers erweitert ist, wird zunächst die Verleugnung Jesu durch Petrus und deren mögliche Folgen für den Apostel, schließlich der erlösende Blick Christi analysiert.35 Des Weiteren wird aber bereits an dieser Stelle deutlich gemacht, dass die Heilstaten Gottes nur fruchtbar werden können, wenn sie vom Gläubigen mit der entsprechenden Haltung empfangen werden – eine Botschaft, die schon im Mystère von Jean Michel mitschwang. Der im ersten Quartett als »epaise obscurité« dargestellten Gottesferne Petri, wird in den beiden Terzetten Gottesnähe gegenübergestellt, aktualisiert im traditionellen Bild der Sonne der Gerechtigkeit.36 Sehr deutlich wird hier der oben beschriebene Dreischritt: Auf die Passion in den Quartetten folgt zunächst die Anwendung der daraus gezogenen Lehre auf das »nous« der Gemeinschaft der Gläubigen, die das lyrische Ich ebenso einschließt wie den Leser, schließlich die ›Personalisierung‹ im zweiten Terzett. Lyrisches Ich und Rezipient fallen dann in der ersten Person Singular zusammen und bitten ›gemeinsam‹ um conversio, hier wiederum in Form einer Abkehr von der Welt.37 Die Umkehr zu einem gottgefälligen Leben soll also nicht nach- sondern mitvollzogen werden, was die Schlagkraft des Textes möglicherweise erhöht. Auf diese Weise wird nämlich der moralischen Ermahnung, die zwar von einem pasteur oder curé, weniger aber von einem coreligionnaire annehmbar erscheint, die Schärfe geCeppède, Théorèmes I, 1, XXXI. conversio Petri, cf. supra, Kapitel 1.c). 36  Die Vorstellung von Christus als Sonne der Gerechtigkeit geht zunächst zurück auf Mal. 3, 20: »Für euch aber, die ihr meinen Namen fürchtet, wird die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen und ihre Flügel bringen Heilung«; die Verbindung Christi, des Lichts der Welt (Joh 8, 12) mit der Sonne, liegt zudem der Festlegung des Weihnachtsfests auf den 25.12., Tag der Wintersonnenwende und des Sol invictus zugrunde, cf. Kasper, LThK, Lemma: Sonne, dort zahlreiche weitere Beispiele. 37  Wie am Vokabular ersichtlich, liegt dieser Vorstellung wiederum der paulinische chair-esprit-Dualismus zugrunde; cf. dazu supra, Kapitel 4.c). 34  La

35  Zur



b) Odet de la Noue: se connaître pour connaître Dieu359

nommen. Entscheidend ist jedoch, dass conversio der göttlichen Gnade bedarf, der Sünder muss von ihr ›erwischt‹ – »foudroyé« werden, um seinen neuen Weg einschlagen zu können, eine Vorstellung, die ja auch in den Konversionsschriften allgegenwärtig war. Eine weitere Parallele zwischen den beiden Traditionslinien zeigt sich in der Verwendung des Licht-Finsternis-Antagonismus. Von den Verfassern der écrits de conversion, wie gezeigt, in zahlreichen Varianten gebraucht, bedient sich La Ceppède relativ konsequent des Symbols der Sonne. So auch im Avant propos der Théorèmes von 1613, in dem er die conversio seiner Muse bekanntgibt: I’en (i. e. de la poësie) parle comme experimenté, car dés le plus tendre avril de mon age affriandé de ses chatoüilleuses mignardises, ie la receus comme ma plus delicate delice, mais bien-tost apres (esclairé d’un favorable rayon du Soleil de Iustice), ie la demasqué, & recognu que celle, qui fut iadis fille du Ciel, estoit devenue serve de l’Enfer […] ie prins resolutions de l’arrester encore avecque moy, & de tenter si […] je pourroy restaurer ses anciennes beautez […]38

Der Leser, mit der Bedeutung des Bildes nicht nur aus Bibel und Liturgie, sondern auch aus den vorausgegangenen Méditations vertraut, kann den in dieser Weise eröffneten Text als gottgewollt annehmen und ihn, angeleitet durch die Abschlussworte des Avant-propos: »generalement chacun (trouve) icy le moyen de »reformer sa vie« sur le iuste modele de celuy, qui pour nostre amour a bien voulu se conformer à la nostre, hors de l’inclination au peché«39 zum Leitfaden seiner conversio machen. Das lyrische Ich erhält entsprechend die Funktion eines, allerdings unpersönlichen, Ananias prête à lui désiller les yeux.

b) Odet de la Noue: se connaître pour connaître Dieu Konnte La Ceppède seine Théorèmes in aller Ruhe am häuslichen Schreibtisch verfassen, musste sich Odet de la Noue mit wesentlich dürftigeren, unbequemeren Arbeitsverhältnissen zufrieden geben: Nach den Angaben des später dem Werk vorangestellten Epitre à Mme de la Noue verfasste der Autor die Poésies chrétiennes während seiner Gefangenschaft in Flandern.40 38  La Ceppède, Théorèmes, Avant-propos, 5–7. Zu weiteren Verwendungen des Sonnenbildes cf. Cave, Poetry, 135ss. 39  La Ceppède, Théorèmes, Avant-propos, 10. 40  »Epitre à Mme de La Noue«, in: (Odet de La Noue), Poésies chrestiennes de messire Odet de la Noue, nouvellement mises en lumiere par Le Sieur de la Violette. Genf: Vignon 1594, n. p. »Il me recita par cœur beaucoup de Sonnets, Cantiques et Odes Chrestiennes qu’il avoit composées lors’qu’il estoit detenu prisonnier en Flandre«. Ergänzen lassen sich die Informationen aus dem Brief durch die Angaben in den articles secrets et particuliers des Edit de Nantes: »Toutes

360 5. conversio als Gegenstand religiöser Literatur

Das Werk besteht aus sechs Abschnitten, davon ist der letzte als traité de controverse konzipiert, bei den anderen handelt es sich um religiöse Dichtungen in Form von sonnets, odes, stances oder cantiques. Im Folgenden wird ein kurzer Blick auf die Sonnets Chrestiens geworfen, mit Hilfe derer La Noue den itinéraire spirituel eines lyrischen Ich als Abkehr von der Welt nachzeichnet. Deutlich wird dieser Weg bereits anhand der drei Überschriften, unter die der Autor jeweils gut 50 Sonette gruppiert • Première Partie dite la Maladie, contenant cinquante Sonnets pleins de detestations des vanitez du monde & deploratión de la misere humaine. • Seconde Partie dite Le Remede contenant en cinquante Sonnets plusieurs sainctes prieres à Dieu, du pecheur affligé & touché au vif du sentiment de ses fautes. • Troisieme partie dite La Guérison, contenant en cinquante Sonnets plusieurs louanges de la bonte & misericorde de Dieu, avec actions de graces que le pecheur affligé lui rend pour avoir esprouvé son assistance au besoin.41

Gehört die Idee, Sündhaftigkeit als körperliche Krankheit, die Vereinigung mit Gott hingegen als Heilung darzustellen, zu den gängigen Vorstellungen spiritueller Literatur, die nicht zuletzt zur Ausbildung des bereits erwähnten Christus-Medicus-Motivs beigetragen hat, ist der stete Rekurs des Autors auf die Institutio / n von Calvin durchaus bemerkenswert. Die enge Anlehnung an die Vorstellungen des Reformators beginnt im Einleitungssonett von La Maladie mit der Darstellung des Gemütszustands des lyrischen Ich: J’ay vanté le séjour d’une estroite prison Comme l’estat meilleur qu’on trouve sur la terre, Lors que l’heureux malheur qui m’y tenoit en serre M’y fit voir quatre fois une mesme saison. Estant plus captif en plus libre maison, Je veux blasmer außi ceste impiteuse guerre Qui (plus i’y vois avant) plus cruelle m’aterre Faisant liguer mes sens pour troubler ma raison.42

An die Stelle von Vorwürfen und Klagen über das Schicksal des Eingesperrt-Seins tritt hier Freude und Lob, sieht sich das lyrische Ich doch auf poursuites, procédures, sentences, jugemens et arrêts donnez tant contre le feu sieur de la Noue, que contre le sieur Odet de la Noue, son fils, depuis leurs détention et prison en Flandres, avenues ès mois de mai 1580 et de novembre 1584, et pendant leur continuelle occupation au fait des guerres et service de S. M, demeureront ­cassez et annullez […]«; Edit de Nantes, in: Jourdain / Isambert, Recueil, vol. XV. n. 124, articles secrets et particuliers, art. 56, Über den Dichter ist darüber hinaus wenig bekannt, als Lebenszeit wird 1560–1618 angenommen (Angabe nach dem Katalog der BNF). 41  La Noue, Poésies, 1, 27, 53, Titel. 42  La Noue, Poésies, 1, vv. 1–8.

b) Odet de la Noue: se connaître pour connaître Dieu361



diese Weise vor einem Verfall an die Dinge der Welt bewahrt. Aus diesen scheint es sich auch nicht selbst befreien zu können, sondern ist – wie seine biblischen Vorbilder – auf göttlichen Beistand angewiesen. La Noue konstruiert hier einen Parallelismus zwischen den Ereignissen seines Lebens – die wohl zumindest bei seinen coreligionnaires recht bekannt waren43 – und dem von Calvin in der Institutio / n häufig verwendeten Bild der »chair, prison de l’homme«44. Da der Dichter davon ausgehen konnte, dass Calvins Werk in protestantischen Kreisen viel gelesen und benutzt wurde,45 bedient er sich des darin grundgelegten Konzepts und gestaltete es zum Ausgangspunkt der conversio seines lyrischen Ich, in der Hoffnung, auf diese Weise seinen sonnets positive Aufnahme zu verschaffen. Darüber hinaus beginnt La Noue die Poésies chrétiennes mit einer Selbstreflexion des lyrischen Ich und folgt damit der in der Institutio formulierten Prämisse Calvins, nach der Gotteserkenntnis, die ja Voraussetzung von conversion-pénitence ist, nur über den Weg der Selbsterkenntnis erreichbar ist: »Toute la somme de nostre saigesse, laquelle merite d’estre appellée vraie et certaine saigesse, est quasi comprinse en deux parties, à sçavoir la cognoissance de Dieu et de nousmesmes«.46 Diesem Konzept entsprechend, sind die Sonette des Abschnitts La Maladie vollständig auf das lyrische Ich konzentriert, eine Öffnung in Richtung auf ein »tu« setzt erst in La Remède47 ein, bevor in La Guerison ein Zwiegespräch zwischen lyrischem Ich und göttlichen Du beginnt. Damit wird in den ersten beiden Teilen des canzoniere / chansonier der von der »âme pénitente«48 zurückgelegte Weg zu Gott geschildert, in La Guerison schließlich die Ankunft am angestrebten Ziel. Um diese zu markieren, bediente sich der Dichter eines weiteren von Calvin in der Institutio / n angesprochenen Konzepts: des langage vidé, der göttlichen Beistand sucht, weil er das ineffable sonst nicht auszudrücken vermag.49 Im Einleitungssonett von La Guérison wendet sich das lyrische Ich deshalb an Gott: Bourgeois, Théologies, 742. beispielsweise Calvin, Institution, III, 432 (»De la loy«) und passim. Zur Vorstellung der prison de la chair bei Calvin, cf. auch Bourgeois, Théologies, 578 sowie Oberman, Conversion, in: idem / Saxer, Erbe, 282ss. 45  Cf. Paul Christoph Böttger, Calvins ›Institutio‹ als Erbauungsbuch. Versuch einer literarischen Analyse. Neukirchen: Neukirchener Verlag 1990, 56ss. 46  Calvin, Institution, I, 187. Zur Bedeutung von Selbsterkenntnis und Gottes­ erkenntnis für das Konzept der conversion-pénitence, cf. ausführlich supra, Kapi­ tel  II.1.a). 47  Cf. La Noue, Poésies, 40s. 48  Cf. beispielhaft La Noue, Poésies, 3, 9, 18, 37. 49  Cf. Calvin, Institution, IX, 1133 (»De oraison«), dazu Bourgeois, Théologies, 584. 43  Cf. 44  Cf.

362 5. conversio als Gegenstand religiöser Literatur Mais change (ie te pries), ainsi que mes miseres, Et le style et les mots de mes plaintes ameres: Car autrement (ô Dieu) de moy ie n’y puis rien. Quand tu m’as affligé, c’est toy, qui m’a fait plaindre, Et or’ que de mes maux l’ardeur tu fais esteindre, C’est à toy d’operer que ie vante un tel bien.50

La Noue bringt hier seinen Status als Dichter in Erinnerung, der gewissermaßen stellvertretend für seine coreligionnaires den itinéraire spirituel zurückgelegt und ihn anschließend aufgeschrieben hat. Dass er dafür die richtigen Worte fand, lag – wie der Rückgriff auf das Verb »operer« nahelegt – eher in der Macht Gottes, denn in derjenigen des Autors. Das lyrische Ich erweist sich damit erneut als »sujet-lyrique universel«, das den Lesern ein Vademecum für ihre eigene conversio an die Hand gibt – eine Tendenz, die ja auch bei La Ceppède sowie, nach augustinischem Vorbild, in den Konversionsschriften angelegt war. Auch wenn es sicher nahe liegt, die Sonnets chrestiens aufgrund der deutlichen Orientierung an der Institution chrétienne als ein vorwiegend an ein protestantisches Publikum gerichtetes Werk zu sehen – vom Dichter sind diesbezüglich keine Aussagen überliefert – bleibt festzuhalten, dass das Werk keinerlei Aspekte enthält, die einen katholischen Leser hätten abschrecken können,51 konfessionelle Polemik findet sich, wie erwähnt, nur im letzten Abschnitt der Poésies. Auch La Ceppède enthielt sich jeder negativen Äußerung gegenüber der Gegenseite, betont aber beispielsweise im Zusammenhang mit dem Abendmahl die katholisch-protestantischen Lehrunterschiede.52 Aufgrund seiner dezidiert antiprotestantischen Haltung, die den Reformierten aufgrund der Ereignisse während der guerres de religion durchaus bekannt war, steht zu vermuten, dass nur wenige Mitglieder der Eglises réformées zu seinen Werken griffen. Die Hinweise auf die konfessionellen Differenzen haben demnach wohl vor allem identitätsstiftende Funktion. Mag die Vergangenheit von La Ceppède die im Allgemeinen überkonfessionelle Rezeption von Erbauungs- und Meditationsliteratur in diesem Fall behindert haben, scheint die Tatsache, dass es sich bei Jean-Pierre Camus Noue, Poésies, 53, vv. 9–14. war allerdings durchaus möglich, dass katholische Leser Rekurs auf calvinsche Konzepte bemerkten – so sie denn mit dessen Institutio / n vertraut waren. Dies war allerdings wohl nur bei wenigen Theologen der Fall, darunter Richelieu, cf. dazu Hildesheimer, Richelieu«, in: Richelieu, Traité, 18. Zur katholischen Rezeption der Institutio / n cf. zudem Böttger, Institutio, 24. 52  Cf. La Ceppède, Théorèmes I, 1 XXV, dazu Donaldson-Evans, Poésie, 200s (mit weiteren Beispielen). 50  La 51  Es



c) Jean-Pierre Camus: »quelque profitable leçon«

363

um einen évêque romancier handelte, die Protestanten nicht von der Lektüre seiner Werke abgehalten zu haben.53 Auf seine Texte, die zwar auf gänzlich andere Weise gestaltet sind als die bisher betrachteten, aber dennoch zum gleichen Ziel führen sollen, nämlich zur conversio des Lesers, sei abschließend ein kurzer Blick geworfen.

c) Jean-Pierre Camus: »quelque profitable leçon«54 Hatte sich das lyrische Ich in den Texten von La Ceppède und La Noue dem Leser als Begleiter auf dem Weg zur conversio angeboten und diese gewissermaßen mitvollzogen, liegt in den Werken von Camus55 eine andere Ausgangssituation vor. Seine Texte sind Träger seines pastoralen Auftrags als Bischof. Mit ihrer Hilfe wollte er unter anderen diejenigen erreichen, die ihm als Gläubige entgingen, da sie den kirchlichen Angeboten nicht nachkamen, weil sie allzu sehr der Welt verhaftet waren: er strebte »la mutation (= conversio) du Lecteur en quête de divertissement en un lecteur chrétiennement accompli«56 an. Camus schrieb vorrangig während seiner Zeit in Belley (1608–1629) neben Kontroversschriften, Predigten und theologischen Traktaten auch eine Fülle sogenannter Histoires dévotes. Bei diesen handelt es sich um Prosatexte unterschiedlicher Länge, die thematisch im ›hier und jetzt‹ des 17. Jahrhunderts angesiedelt sind und alle ein erbauliches Ziel verfolgen.57 Letzteren eng verwandt sind weitere 45 histoires, die der Autor 1632 unter dem Titel Divertissement historique herausgab. Die Texte dieser Sammlung 53  Cf. Sylvie Robic de Baecque, Le salut par l’excès. Jean-Pierre Camus (1584–1652), la poétique d’un évêque romancier. Paris: Champion 1999, 6. 54  Jean-Pierre Camus, Divertissement historique (1632). Texte établi, annoté et commenté par Constant Venesoen. Tübingen: Narr 2002, »Avertissement sur ce divertissement«, 30–32, hier 32. 55  Jean Pierre Camus wurde 1584 in der Normandie geboren und nach Jurastudium und ersten Liebesbeziehungen für alle überraschend zum Bischof von Belley (östlich von Lyon) berufen (1609). Kritische Stimmen, die die sincérité seiner vocation in Frage stellten, begleiteten seine ganze, zwanzig Jahre dauernde Amtszeit. Zu Leben und Werk von Camus und seiner Verbindung zu François de Sales, cf. ausführlich Brémond, Histoire, I, 168–193 (I, 148–186). 56  Robic de Baecque, Salut, 14. 57  Gattungstheoretisch gesprochen handelt es sich bei diesen histoires dévotes – je nach Komplexität des Handlungsgefüges – wohl mehrheitlich um Romane oder Novellen, auch wenn Camus letzteren Begriff nie verwendete (cf. Robic de Baecque, Salut, 28). Wenn Camus sich hier der bekannten Prosaformen bedient und diese konsequent mit einem »but édifiant« versieht, kommt dies einer conversion de muse durchaus gleich: »Leur (i. e. des Histoires dévotes) programme est celui d’une conversion spirituelle des Belles Lettres«; ibid. 11.

364 5. conversio als Gegenstand religiöser Literatur

unterscheiden sich von den Histoires dévotes durch die historische Grundlage, auf der sie fußen, die der Phantasie des Bischofs zwar einige Fesseln anlegte – im vorliegenden Zusammenhang aber besonders hilfreich ist.58 Wenn Camus nämlich in den recueil, den er selbst in seinem Avertissement als Zeitvertreib bezeichnet – »regarde le titre de l’opuscule, & il te dira que cette ecrit est coulé de ma plume par un pur divertissement«59 – Texte mit einem deutlichen Appell zur conversio integriert, wird deutlich, wie sehr ihm an dieser Botschaft gelegen war. Dies zeigt sich beispielhaft an Histoire VI60: In ihr stehen sich zwei spanische Militärs gegenüber, Dorbin und Salsede. Letzterer beschuldigt seinen Kameraden, scheinbar zu Unrecht, Unruhe in der Truppe gesät und die Soldaten zur Revolte aufgerufen zu haben. Dorbin fühlt sich deshalb in seiner Ehre verletzt und verfolgt Salsede, das Schwert zum Kampf erhoben. Diese Angriffslust und Rache kann er auch nicht unterdrücken, als er schließlich dem Befehlshaber von Salsede, Marquis de Guast gegenübersteht, was einem deutlichen Verstoß gegen das Protokoll gleichkommt und normalerweise mit dem Tod bestraft wird. Als sich Dorbin seines Fehlers bewusst wird, fällt er vor dem Marquis auf die Knie und bietet ihm sein Leben an: »Monseigneur, lui dit-il, prenez cet estoc & m’en percez le cœur, qui a esté si impudent que de perdre le respect devant votre excellence«.61 Daraufhin wird ihm verziehen. Der Leser mag nun den naheliegenden Verweis auf die Freundlichkeit – theologisch gesprochen also die Barmherzigkeit – des Herrn erwarten, Camus allerdings legt seinen Schwerpunkt auf die »prompte repentance«62 von Dorbin und ergänzt: Cependant si nous faisons un peu d’arrest sur la soudaine recognaissance de Dorbin, revenant en un instant à son devoir, nous trouverons qu’il n’y a point de pénitence plus efficace ni plus agreable que celle qui se fait promptement […] O que c’est une bonne chose de ne croupir gueres dans le péché, mais de s’en relever au premier son de cette divine voix. Jeune homme je te dis leve toy: car quand une fois nos playes s’envieillissent dans leur pourriture et corruption par notre négligence et pure folie, il est malaisé de les guerir, si Jésus ne pleure pas & ne crie à haute voix, Lazare, vient dehors.63 58  Cf. dazu Constant Venesoen, »Avant-propos«, in: Camus, Divertissement, 7–28, hier 17: Les données brutes du récit lui sont imposées, et il a donc relativement peu de liberté pour faire conformer les faits à de stricts principes moraux préétablis. Bref, le récit historique est un carcan dont il faut bien s’accomoder, quitte à lui découvrir un peu artificiellement quelque vertu redémptrice«. 59  Camus, Divertissement / Avertissement, 32. 60  Cf. Camus, Divertissement / histoire VI, 57–59, passim. 61  Camus, Divertissement / Histoire VI, 58. 62  Camus, Divertissement / Histoire VI, 58. 63  Camus, Divertissement / Histoire VI, 58 / 59.



c) Jean-Pierre Camus: »quelque profitable leçon«

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Was im ersten Moment nur als banales Eingestehen eines Fehlers erscheint, wird von Camus in einen Aufruf zur conversio umgewandelt, der durch den Verweis auf »leur pourriture et corruption par notre négligence et pure folie« gar zu einem Aufruf zur Abkehr von der Welt wird. Erhält der Appell zur conversio hier durch den Überraschungseffekt besondere Schlagkraft,64 findet sich in anderen histoires die »édification au corps même du sujet«65; so beispielsweise in Histoire XXVII – La parfaicte mortification – in deren Mittelpunkt der Dialog einer im Sterben liegenden Schwester mit ihrem directeur de conscience steht. Durch die Verwendung der ersten Person Singular für die »plaintes mortelles« wird der Leser, selten bei Camus, wie vom moi-lyrique bei La Ceppède und La Noue in die  conversio – manifest in der Loslösung von allem Irdischen – ›mitgenommen‹.66 Ein vergleichbares Thema verarbeitet Camus in Histoire XXXIX. Dort erzählt er von zwei Prostituierten, die nach zahlreichen Peripetien ihr Leben im Kloster beenden wollen. Den Moment der Entscheidung, also der conversio, schildert Camus mit den bekannten sprachlichen Mitteln: Dieu qui veille sur Israël, & qui ne dort point, […] travailla sur le cœur de Caliope (i. e. une des filles), par l’entremise de la Mere Superieure de ce Monastere, où Gildarde (l’autre fille) n’étoit encore qu’en aprobation, que l’on appelle le Noviciat, & les écailles tombantes des yeux de Caliope, elle reconnut sa deplorable condition, & le perilleux estat où elle estoit pour son salut. Sur quoi ayant esté portée à la penitence & une serieuse confession de ses péchez, elle se disposa à embrasser la croix religieuse.67

Ein combat intérieur, ein Helfer, ein Moment der Erkenntnis, dargestellt durch die von den Augen fallenden Schuppen – ein Verfasser einer Konversionsschrift hätte den Moment seiner conversio kaum anders beschrieben.

64  Ein ähnliches Vorgehen findet sich auch in Camus, Divertissement / Histoire XIV; XXIV, XXXVI. 65  Notice zu Camus, Divertissement / Histoire, 130. 66  Cf. Camus, Divertissement / Histoire XXVII, 131–135, passim. 67  Camus, Divertissement / Histoire XXXIX, 181–187, hier 185. Indem Camus hier auf »penitence & […] serieuse confession« verweist, eine Botschaft, die ja auch in Histoire VI mitschwang, kommt er dem Wunsch der Konzilsväter von Trient nach einer verstärkten Pastoral mit Blick auf das Bußsakrament nach, cf. Ganzer, Konzil, in: Molitor / Smolinsky, Volksfrömmigkeit, 20 sowie die Ausführungen zur Beichte in Kapitel 1.a).

Schluss und Ausblick: »Le Cavalier luy fit croire qu’il l’avoit vue plusieurs fois à Charenton«1 Wer im 16. und 17. Jahrhundert conversio thematisiert, bedient sich dabei einer überschaubaren Anzahl biblischer Bilder, um sich bei seiner Leserschaft Verständnis zu sichern: Auf diese sehr einfache Formel könnte man die Ergebnisse der literarischen Analyse in Kapitel 4. und 5. dieser Studie bringen. Auf diese Weise würden zwar wichtige Einzelresultate vernachlässigt, eine der einleitend gestellten Fragen aber in aller Kürze beantwortet: Für die Gläubigen im Zeitalter von Reformation und Konfessionalisierung existierte in theologischer Hinsicht kein Unterschied zwischen einer conversio im Sinne einer Rückkehr zu einem gottgefälligen Leben und einer conversio als Konfessionswechsel. Beide galten als durch göttliche Gnade gewirkt – und konnten deshalb auch mit dem gleichen Vokabular begreiflich gemacht werden. Die in der Forschung gängige strikte Unterscheidung von Schriften, die anlässlich eines Konfessionswechsels verfasst wurden und solchen, die von einer conversio im Sinne einer Rückkehr zu einem gottgefälligen Leben handeln, kann auf der Grundlage dieses Befundes also nicht aufrecht erhalten werden. Im Gegenteil: Auf der Grundlage der in Kapitel 1. vorgenommenen Analyse der im späten 15. und 16. Jahrhundert gängigen Konzepte von conversio in beispielsweise Liturgie, religiösem Theater oder religiöser Bildkunst ist es vielmehr angebracht, die écrits de conversion als eine Variante der traditionellen Form der Thematisierung von conversio in den litterae zu fassen. Diese zeichnet sich zwar aufgrund des besonderen Anliegens dieser Texte durch eine veränderte Schwerpunktsetzung aus, nichtsdestotrotz lässt sich zwischen den Formen dieser Frühzeit und den Jahrzehnten der Konfessionalisierung eine deutliche Kontinuität hinsichtlich der sprachlichen und inhaltlichen Gestaltungsformen konstatieren. So profitierten nicht nur die Verfasser von Konversionsschriften, sondern beispielsweise auch Camus, La Ceppède oder La Noue – Autoren also, die man gemeinhin mit dem Konzept der conversion des muses in Verbindung bringt – von der Ubiquität des 1  Histoire veritable, in: Jean Donneau de Visé (ed.), Le Mercure Galant. Paris: Barbin (05 / 1681), 10–24, hier 15. Zum Verfasser dieser Geschichte sowie zu deren Bedeutung im univers des conversions cf. die Ausführungen am Ende des Kapitels.



Schluss und Ausblick367

Konzepts conversio in der Frühen Neuzeit. Während aber die Autoren der letztgenannten Traditionslinie in ihren Texten ›nur‹ die conversio des Einzelnen in seinem Verhältnis zu Gott thematisieren, geht es den Verfassern von écrits de conversion auch darum, communio herzustellen. Im Mittelpunkt von Konversionsschriften steht demnach nicht nur die conversio zu Gott sondern auch zur Gemeinschaft, deren Lehre und Traditionen ein Konvertit mit seinem Übertritt bejaht und zur Gegenseite abgrenzt. Aus dieser neuen, die konfessionelle Identität der Gläubigen herausstellenden Sichtweise ergibt sich die terminologische Einheitlichkeit der literarischen Form Konversionsschrift, die oft als Stereotypie bezeichnet wurde, bei näherem Hinsehen aber das notwendige Ergebnis aus den besonderen Entstehungs- und Produktionsbedingungen dieser Schriften ist. Die exemplarische Analyse von 43 Konversionsschriften (davon 31, die anlässlich einer conversio zum Katholizismus, 12 die infolge eines Übertritts zum Protestantismus verfasst wurden) hat gezeigt, dass sich ein Blick in die Texte lohnt. Zwar lassen sich dabei keinesfalls literarische Meisterwerke entdecken, auch wenn die Verfasser von Konversionsschriften die gängigen rhetorischen und strukturellen Trends wie beispielsweise die Vorliebe für die Briefform oder die rhétorique des citations ja durchaus übernahmen, wohl aber die Wechselwirkung zwischen den litterae und ihrer Entstehungszeit offen legen: Die literarische Form Konversionsschrift erweist sich mit ihrem spezifischen, aus dem Bilderfundus der Bibel gespeisten langage de conversion und ihrer eigenen, der Kokurrenzsituation der Konfessionen geschuldeten Intention nämlich als ›Kind ihrer Zeit‹, das seine Daseinsberechtigung und Schlagkraft verlor, als sich die historischen Bedingungen veränderten. Hinsichtlich der Schriften, die während der letzten Jahrzehnte des 16. sowie in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts anlässlich eines Eintritts in Eglise romaine oder Eglise réformée verfasst wurden, zeigt sich wie in Kapitel 3. und 4. erarbeitet, eine formale und inhaltliche Geschlossenheit: Die literarische Form écrit de conversion ist demnach als weiteres genre mineur zu definieren und der von Fritz Nies besorgten Erhebung zu »Theorie und Geschichte nichtkanonischer Literatur (vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart)« hinzuzufügen.2 2  Cf. Fritz Nies (ed.), Genres mineurs. Texte zur Theorie und Geschichte nichtkanonischer Literatur (vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart). Unter Mitarbeit von Jürgen Rehbein. München: Fink 1978. Nies und sein Mitarbeiter stellten insgesamt 88 genres mineurs vor, davon 21, die im 17. Jahrhundert erstmals erwähnt und definiert wurden. Wie Nies in der Einleitung betont, lag gerade auf dem »siècle classique« einer der »Epochenschwerpunkte« der Arbeit, um deutlich zu machen, dass dessen »Literatursystem, (das) der Poetologe als streng gegliedertes Gefüge relativ weniger Textarten zu sehen gewohnt ist, ein offenbar hochkomplexes Literatursystem besaß« (ibid., 13 / 14).

368

Schluss und Ausblick

Die in den 1660er Jahren beginnende Anwendung des Edit de Nantes à la rigueur veränderte die historischen Bedingungen, wie gezeigt, in einer Weise, die das selbständige Verfassen von écrits de conversion quasi unmöglich machte, weshalb conversio in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts immer seltener als Konfessionswechsel gefasst wurde, sondern wie vorher fast ausschließlich als conversio als Rückkehr zu einem gottgefälligen Leben. Dennoch existierten die écrits de conversion während der Regierungszeit von Louis XIV noch eine geraume Weile in veränderter Form weiter, bevor dieser Sonderweg wieder in den breiten Traditionsstrang der seit jeher üblichen Formen der Thematisierung von conversio in den litterae einmündete. Wie bereits mehrfach im Laufe dieser Studie angedeutet, kam es in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zur Mediatisierung des Konzepts conversio im Sinne eines Konfessionswechsels im Mercure Galant. Welche Wege dabei von den Herausgebern dieser Zeitschrift beschritten wurden und welche Veränderungen die literarische Form écrit de conversion erfuhr, die möglicherweise die Grundlage für die Entwicklung der folgenden Jahrhunderte bildeten, sei abschließend erörtert. Der Mercure Galant ist eine Monatszeitschrift, die 1672 von Donneau de Visé gegründet und bis 1710 bis auf wenige Ausnahmen jeden Monat erschien und jeweils rund 300 Seiten umfasste.3 Wie bereits am gewählten Titel der Zeitschrift erkennbar, ging es den Herausgebern4 des Mercure Galant anfangs vorrangig darum, ein Mitteilungsorgan zu schaffen, das seine Leserschaft in Paris aber auch in der Provinz über alle wichtigen – und unwichtigen – Ereignisse aus Politik und Kirche, Kultur und Gesellschaft unterrichtete. Da sich das Projekt recht bald großen Zuspruchs erfreute, erweiterten die Verantwortlichen ihren Zuständigkeitsbereich und schufen mit der Sonderbeilage Extraordinaire du temps5 nicht nur ein Forum für Leserbriefe, sondern publizierten auch immer häufiger Leserzuschriften, die nicht mehr allein der Information, sondern auch der Unterhaltung dienten.6 3  Cf. Giovanni Dotoli, Littérature et société en France au XVIIe siècle. Fasano: Schiena-Nizet 1987, 289–291. 4  Neben dem Hauptverantwortlichen Donneau de Visé gehörten unter anderen Thomas Corneille und Bernard le Bovier de Fontenelle zu den Entscheidungsträgern, cf. ausführlich Jean Sgard, (ed.), Dictionnaire des Journalistes. 1600–1789. Oxford: Voltaire Foundation 1999, Lemma: Jean Donneau de Visé. 5  Cf. Dotoli, Littérature, 289–291. Seit 1678 wurde alle drei Monate ein Extraordinaire du Mercure Galant herausgegeben, das ausschließlich aus Leserbriefen bestand und sich großer Beliebtheit erfreute (1688 und 1692 durch die Affaires du temps vergleichbaren Inhalts ersetzt). 6  Seit 1678 forderten die Herausgeber ihre Leser sogar explizit dazu auf, Informationen, Geschichten usw. einzureichen; cf. beispielhaft Le Mercure Galant



Schluss und Ausblick369

Die Mitarbeit am Mercure Galant wurde damit bald zur Prestigeangelegenheit: wer etwas auf sich hielt, bemühte sich, ein Rätsel, eine Geschichte oder auch nur eine von ihm beigesteuerte Information im Mercure Galant unterzubringen.7 Im Kontext der vorliegenden Studie wird die Zeitschrift interessant, weil ihre Herausgeber sich aufgrund der finanziellen und ideellen Unterstützung, die ihr Projekt seit jeher von Louis XIV erfahren hatte,8 dem König sehr verpflichtet fühlten. Ganz selbstverständlich entwickelten sie deshalb eine Rubrik »Les bienfaits du roi«9, in der sie ihre Leserschaft über die Wohltaten des Königs – und damit auch über die stetigen Erfolge bei der »destruction de l’heresie«10 auf dem Laufenden hielten. Aufgrund des früh erweiterten Anspruchs der Herausgeber, mit dem Mercure Galant nicht nur zu informieren, sondern auch zu unterhalten und zu belehren,11 beschränkten sich die Verantwortlichen dabei in der Regel nicht auf die wortgetreue Wiedergabe von Ordonnnances und Déclarations.12 Stattdessen schilderten und kommentierten sie meist ausführlich die gegen die Häresie eingeleiteten (01 / 1678), »Au lecteur«, n. p.: »J’ay déja dit, & et je ne puis m’empescher de le repeter, que ne pouvant tout sçavoir par moy-mesme, j’ay besoin de secours de ceux qui sont informez des choses, & qu’ils sont plus à blâmer que moy, quand leur négligence à m’envoyer un Billet sur ce qu’ils ont appris de considérable, est cause que ce Mercure ne publie point les Actions dans lesquelles l’amitié ou l’alliance leur fait prendre quelque interest«. In den Ausgaben des Mercure Galant wird in der Regel auf eine Angabe des Verfassers des jeweiligen Artikels verzichtet. Es ist allerdings davon auszugehen, dass viele von ihnen aus der Feder der Herausgeber stammen. Da auch die Leserzuschriften oft ohne Namensnennung Eingang ins journal fanden, erfolgen alle Angaben zum Mercure Galant ohne Autor. 7  Cf. Monique Vincent, »Le Mercure Galant et son public féminin«, in: Romanistische Zeitschrift für Literaturgeschichte 3 (1979), 76–85, hier 80s. 8  Louis XIV hatte das Erfolgspotential der Zeitschrift sehr schnell erkannt und wusste, dass ihm diese auch für seine politischen Ziele nützlich sein konnte. Seit den späten 1670er Jahren unterstützte er den Mercure Galant deshalb sowohl finanziell als auch ideell, cf. Jean Sgard, (ed.), Dictionnaire des Journaux. Oxford: Voltaire Foundation 1981, Lemma: Mercure Galant. 9  Cf. zum Beispiel Le Mercure Galant (10 / 1680), 316; ibid. (10 / 1681), 10 sowie passim. 10  Cf. zum Beispiel Le Mercure Galant (01 / 1687), 196; ibid. (03 / 1685), 316 sowie passim; unter dem Begriff »déstruction de l’héresie« samt Derivate wurden grundsätzlich alle antiprotestantischen Maßnahmen gefasst. 11  Cf. Vincent, Mercure Galant, 88. Wie bereits angedeutet, wird dem Wunsch, mit dem journal den horazischen Anspruch vom prodesse aut delectare durch die Integration einerseits von Gedichten, Novellen, Liedern, andererseits von politischen Reden, Kochrezepten oder Reiseberichten entsprochen. 12  Die Veröffentlichung dieser offiziellen Schreiben fiel zudem eher in das ressort der schon 1630 von Theophraste Renaudot gegründeten Gazette de France; cf. Sgard, Journaux. Lemma: Gazette de France.

370

Schluss und Ausblick

Schritte, die ja in der Regel entweder conversio und abjuration nach sich zogen – oder die Flucht der Betroffenen. Tatsächlich lassen sich im Mercure Galant vor allem drei Varianten der Thematisierung von conversio als Konfessionswechsel konstatieren13, die sich aufgrund der veränderten Bedingungen in Gestalt und Tenor von den bis dahin üblichen Formen in den écrits de conversion unterscheiden. Sie seien im Folgenden knapp analysiert, da sich an ihnen Tendenzen für den weiteren (literarischen) Umgang mit dem Phänomen conversio als Konfessionswechsel aufzeigen lassen. Die von den Herausgebern des Mercure Galant am häufigsten angewandte Methode, dem Leser die großen Fortschritte in Richtung auf das erklärte Ziel der unité religieuse vor Augen zu führen, besteht in der namentlichen Aufzählung der Konvertiten. Entsprechende Listen tauchen seit 1680 regelmäßig in den Monatsausgaben auf,14 sie füllen meist einige Seiten und dienen, wie der Verweis auf die anwesende Menschenmenge bei conversions-spectacle, vor allem dazu, den Leser durch die Quantität der conversiones entweder von der Wahrheit der katholischen Lehre zu überzeugen oder ein Gefühl von Gemeinschaft und Stärke zu wecken.15 Eingeleitet werden solche Listen oft durch Formulierungen wie: »On a eu nouvelles que depuis ce que je vous manday le dernier mois, […], plus de cinq mille Personnes y ont encore abjuré«16 oder »Je ne vous parle point de quantité de Conversions considérables qui se font icy de jour en jour. Je vous apprendray 13  Conversiones im traditionellen Sinne einer Rückkehr zu einem gottgefälligen Leben bleiben hingegen unberücksichtigt, schon weil sie oft mit wenig Außenwirkung verbunden sind. 14  Cf. dazu die einzelnen Ausgaben des Mercure Galant (1680–1690), passim sowie die Übersicht in Monique Vincent, Mercure Galant. Extraordinaire. Affaires du temps. Table analytique contenant l’inventaire de tous les articles publiés 1672– 1710. Préface par Jean Mesnard. Paris: Champion 1998, 941–958, Abschnitt »Religion«. 15  Da es zur Zeit des Mercure Galant keine andere Zeitschrift vergleichbaren Tenors und Inhalts gab, ist davon auszugehen, dass auch viele Protestanten sich für die dort dargebotenen Themen interessierten. Allerdings scheinen die Anhänger der Eglise Réformée aufgrund der sehr offensichtlichen Ausrichtung der Zeitung auf die Belange der katholischen Kirche, sich die Ausgaben oft heimlich besorgt und gelesen zu haben, wozu sich das Oktavformat ja auch anbot (cf. dazu André Blanc / Monique Vincent, »Le Mercure Galant et la propagande catholique«, in: Donville, Conversion, 45–57, Diskussion 57–58, hier 51). Die Hinweise auf die zahlreichen conversiones scheinen dementsprechend auch beim avisierten Adressatenkreis angekommen zu sein. Wie auch schon bei conversions-spectacle findet auch im Mercure Galant eine deutliche Verbindung katholische Kirche-König statt, die jedem Protestanten ein Dorn im Auge sein musste, da ihm seine ›Untreue‹ auf diese Weise permanent vor Augen geführt wurde. 16  Le Mercure Galant (07 / 1685), 137.



Schluss und Ausblick371

seulement celle de la nièce de …«.17 Die sehr vagen Formulierungen sind keinesfalls auf journalistische Ungenauigkeit zurückzuführen und deshalb zu verurteilen. Der Plauderton ergibt sich vielmehr aus der Gestaltung des gesamten Mercure Galant als Brief: Jede Nummer beginnt mit einem «Madame,..«. und endet mit Grüßen aus der Hauptstadt und dem Datum des Monatsletzten. Die in der ersten Ausgabe vom Mai 1672 entwickelte Fik­ tion eines Briefes an eine Dame, die sich derzeit nicht in Paris befindet und die der Verfasser des Schreibens, also des Mercure Galant, über alles informiert, was er seit seinem letzten Brief erfahren hat, wird dabei konsequent aufrecht erhalten.18 Die bereits in Kapitel III.4.a) angesprochenen Vorteile des genre épistolaire, persönliche Ansprache ebenso wie die Möglichkeiten zur Raffung und Dehnung ausgesuchter Themenbereiche, zu Vorausschau, Rückgriff und Wiederaufnahme gelten also auch hier.19 Wie die Berichterstatter über die conversiones der ›Großen‹ waren sich auch Donneau de Visé und seine Kollegen bewusst, dass neben der Masse auch die Klasse der zurückgewonnenen devoyez eine Rolle spielte: Befand sich unter den Konvertiten eines Monats eine bekannte Persönlichkeit oder hatte sich ein hérétique vor seiner conversio lange Zeit als außerordentlich opiniâtre erwiesen, war also der nun erzielte Erfolg umso triumphaler, erhielt der Leser auch einmal zusätzliche Informationen, so beispielsweise: C’est un homme de quarante ans, né en Languedoc, dans la Religion Prétendue Réformée: Il y en a quatorze ans qu’il est au service de ce Duc, qui avoit toujours 17  Le

Mercure Galant (04 / 1683), 136 / 137. äußere Gestalt ebenso wie manche Themengebiete hatten dazu geführt, den Mercure Galant schon in seiner Anfangszeit als Frauenzeitschrift abzutun, was ihrem Ruf sicher geschadet hätte. Die Herausgeber hatten sich von Beginn an dagegen verwehrt. Anlässlich des partiellen Neuanfangs von 1677 formulierten sie deshalb sehr eindeutig: »Je sçay que le titre a fait croire d’abord que le Mercure étoit simplement galant, & qu’il ne devait tenir que dans la bibliothèque des Femmes, mais on est sorty de cette erreur quand on y a veu des Pièces d’Eloquence, des Harangues, des Relations fidelles et exactes, des Sieges et des Batailles, des Evenements remarquables, des Morceaux d’Histoire et des Memoires glorieux à des Familles. Alors il est devenue le Livre des Sçavans et des Braves, après avoir été le divertissement du beau Sexe & et une marque incontestable de son succès, c’est qu’il a esté heureux pour plaire à Monseigneur le DAUPHIN & que ce Grand Prince veut bien soufrir qu’il paroisse toûjours à l’avenir sous son nom«; Le Mercure Galant (12 / 1677), »Au lecteur«, n. p. Blockbuchstaben im Original. Durch die Widmung an den Dauphin sicherten die Verantwortlichen zudem die finanzielle Unterstützung ihrer Zeitung. 19  Auch ein schlichtes Nicht-Erwähnen bestimmter Ereignisse – was im journalistischen Bereich ein unverzeihlicher Fehler wäre – lässt sich im Rahmen dieser Fiktion erklären. Aufgrund der gleichfalls in der Struktur des Mercure Galant angelegten lediglich wöchentlichen bzw. gar monatlichen Berichterstattung wird darüber hinaus jeder eventuelle Vorwurf mangelnder Aktualität im Keim erstickt. 18  Diese

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Schluss und Ausblick

esperé ce changement par la connoissance qu’il avoit de ses bonnes mœurs. Il a eu longtemps l’obstination des Herétiques qui demeurent dans leurs Erreurs, […] mais enfin le zele de Mr le Duc de S. Aignan l’a emporté sur l’opiniâtre refus qu’il faisoit d’entendre parler des Veritez Catholiques: Il l’a mis entre les mains du Père du Buc, Théatin; & ce Pere, dont les doctes Controverses ramenent tous les jours tant d’Egarez, luy a fait connoistre la faussété des maximes de Calvin. Il les abjura le 17 de ce mois.20

Die Notiz beinhaltet alle wesentlichen Elemente, die für diese Form der Thematisierung im Mercure Galant kennzeichnend sind: Die Namensnennung sowohl des kirchlichen Würdenträgers als auch des Konvertiten und eines möglichen Helfers; den Hinweis auf die Beharrlichkeit der Häretiker und den Eifer der Katholiken, mit dem sie diese wieder in den Schoß der römischen Kirche zurückführen möchten, die instruction, eine oppositionelle Wendung, die die Wahrheit des katholischen Glaubens den reformierten Irrlehren gegenüberstellt und schließlich das Ergebnis aller Mühen: l’abjuration. Auch wenn die Aussage solcher Artikel mit derjenigen mancher Konversionsschriften im Endeffekt gar übereinstimmt, unterscheiden sich die beiden Formen grundsätzlich in Tenor und Intention: Im Mittelpunkt des Textes steht nämlich keine dem Leser zur Nachahmung empfohlene Glaubenserfahrung eines Einzelnen, was ihn zudem jeder erbaulichen Qualität beraubt, sondern einzig das von allen Gliedern der Gemeinschaft erstrebte Resultat: die Rückkehr eines »égaré«, die den roi très chretien dem erklärten Ziel der unité religieuse seines Reiches wieder einen Schritt näher bringt. Die Gründe für diese Differenzen ergeben sich einerseits aus dem Zeitungsumfeld, andererseits aus der Orientierung an den Interessen des neuen ›Dienstherrn‹. Stärker an den Bedürfnissen der Leserschaft ausgerichtet und damit ungleich erfolgversprechender21 waren hingegen die beiden anderen Varianten, in denen üblicherweise conversio thematisiert wurde: die Integration von Originaldokumenten, die ursprünglich in einem anderen Zusammenhang entstanden waren, durch die Aufnahme in den Mercure Galant aber eine zusätzliche Bedeutungsebene erhielten und die Fiktionalisierung des Phänomens conversio als Konfessionswechsel und dessen Verknüpfung mit gängigen literarischen Formen und Motiven. Bestes Beispiel für eine solche Inanspruchnahme von conversio-Zeugnissen für die eigenen, das heißt letztlich obrigkeitlichen, Belange seitens der Herausgeber des Mercure Galant ist deren Umgang mit der Information 20  Le

Mercure Galant (07 / 1683), 171–173. Listen und Notizen liefen stets Gefahr, von den unterhaltungshungrigen Rezipienten auf der Suche nach Ansprechenderem übersprungen zu werden. 21  Die



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über den Eintritt des Philologenehepaares André und Anne Dacier in die katholische Kirche im September 1685, also kurz vor dem Erlass des Edit de Fontainebleau. André Dacier hatte einem Freund, Damien Mitton, in einem Brief seine conversio sowie diejenige seiner Frau, bekanntgegeben. Eben dieser erschien, mit einem entsprechenden Begleitschreiben in wohl ungekürzter Form in der Oktoberausgabe des Mercure Galant: Mais Madame, il ne s’agit plus de vous parler de la Conversion des Particuliers, comme j’ay fait dans la pluspart de mes Lettres, il faut presentement vous entretenir de celle de quantités de Villes entieres. Le zèle de Sa majesté pour la gloire de Dieu & et sa bonté pour tous ses sujets, l’ayant engagé à travailler avec de grands soins au salut des Ames de ceux qui étoient nez dans la Religion Pretenduë Réformée, beaucoup des principaux de cette Religion se sont fait instruire; & comme ils avaient plus de lumieres & plus d’esprit que les autres, ils ont eu aussi plus de pénétration, pour reconnoître que la seule Eglise Catholique est la veritable. […] Cela est si vray, que le changement qui est arrivé dans toute la ville de Castres, est une suite de celuy de deux personnes connues de toute l’Europe, par la force & par la beauté de leur esprit. Ce sont Monsieur Dacier & Mademoiselle le Fevre sa femme, dont les Ouvrages sont si estimez de tous les Sçavans. L’Abjuration qu’ils firent le dernier mois de la Religion Prétenduë Reformée, fut suivie de celle de beaucoup de personnes de marque […]. Ces conversions en attirèrent d’autres, et c’est par là que celles qui se sont faites depuis en si grand nombre dans toutes les Villes du Languedoc ont commencé. Vous le pouvez voir par cette Réponse que Monsieur Dacier a faite à une lettre de Monsieur Mitton, dont le merite est connu de tout le monde, & qui luy avoit écrit pour l’exhorter à ouvrir les yeux à la verité. A Castres le 25. Septembre 1685 Les marques que vous me donnez de vostre amitié, Monsieur, me sont si cheres & si precieuses, que je n’ay pû lire sans des transports de joye la Lettre que vous m’avez fait l’honneur de m’écrire. Ie suis persuadé que celle que je vous écris aujourd’huy ne vous en donnera pas moins: car elle vous apprendra, que ma Femme & moy sont tres-bons catholiques. Nous le serions il y a plus de quatre mois, si nous eussions menagé les choses pour rendre nostre Conversion plus agréable à Dieu & au Roy, & plus utile à nostre pays. Cela nous a heureusement reüssy: En nous declarant nous avons obligé la plus grande partie de la Ville à nous suivre. Ieudi dernier nous leur fismes signer une Deliberation tres conforme à la volonté du Roy. Cela entraine tout le reste, & tout Castres sera Catholiques dans quatre jours; l’on a sujet d’esperer que ce bon exemple servira d’instrument aux Villes voisines; & peut-estre mesme à tout le Languedoc. Si ce que nous avons fait pouvoit estre de quelque merite auprès de Sa Majesté, nous souhaiterions que cela nous servist à nous rapprocher de vous. […] nous laissons ce soin à la providence, de peur de souiller par des démarches qui paroistroient interessées, la plus sainte & le plus desinteressée de toutes les actions. […]22

22  Le

Mercure Galant (10 / 1685), 190–195.

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Schluss und Ausblick

Der Brief löste bei seinem Erscheinen großen Wirbel aus, da man sich in protestantischen Kreisen von den ehemaligen coreligionnaires, die für ihren engagierten reformierten Glauben bekannt waren,23 verraten fühlte und hinter der conversio opportunistische Gründe witterte.24 Auch ging man davon aus, dass das Ehepaar Dacier keineswegs zufällig nach Castres, einer Hochburg des Protestantismus, gekommen war, sondern die ganze Angelegenheit, einschließlich des Briefes, von langer Hand geplant gewesen sei.25 Inwieweit diese Vorwürfe berechtigt waren, ist für die Bewertung des Texts im vorliegenden Rahmen allerdings unerheblich. Entscheidend ist, dass die Verbreitung der Nachrichten über gelungene conversio anders als noch in der ersten Jahrhunderthälfte nun nicht mehr dem Zufall überlassen oder von einem erhofften Interesse der Leserschaft abhängig war, sondern – modern gesprochen – médiatisation – erfuhr.26 Zwar hatte man auch schon beim Verkauf der livrets auf die Zugkraft der Namen gesetzt und mit der Neugier der Leser gerechnet, nichtsdestotrotz war der Informationsverlust beträchtlich: Wer sich nicht selbst ein écrit de conversion kaufte oder im Rahmen von Katechese oder privat organisierten Vorleserunden mit Konversions23  Cf. Éliane Itti, »Tanneguy Le Fevre et les époux Dacier«, in: Littératures classiques 72 (2010), 23–47, hier 38. Anne Dacier, geborene Le Fevre und André Dacier stammten beide aus bekannten protestantischen Familien und übernahmen mehrmals Verantwortung für die communauté réformée in Charenton und Castres. Wie schon im Einleitungstext des Mercure Galant erwähnt, waren sie »deux personnes connues de toute l’Europe«, vor allem für ihre Übersetzungen und kommentierten Ausgaben von lateinischen und griechischen Klassikern. Anne Dacier übertrug beispielsweise Ilias und Odyssee sowie zahlreiche lateinische Komödien ins Französische; ihr Mann unter anderem die Werke von Hippokrates und Plutarch, cf. Christine Dousset-Seiden / JeanPhilippe Grosperrin, »Monsieur et Madame Dacier. Un couple de philologues entre absolutisme et Lumières«, in: ibid., 72 (2010), 5–19, passim. 24  Die Vorwürfe ergaben sich vor allem aus der Tatsache, dass das Paar der nouveaux convertis nach seinem Übertritt monetäre Unterstützung vom König erhielt (cf. Jean-Philippe Grosperrin, »Annexe III: André Dacier. Lettres relatives à la conversion au catholicisme« in: Littératures classiques 72, 251–255, hier 252), was allerdings, wie gezeigt, keine Seltenheit war, da viele Konvertiten nach ihrem Übertritt entsprechende Hilfen erhielten. Tatsächlich finanziell und ideell von seinem Katholisch-Sein profitiert hat André Dacier nach 1695, als er in die Académie française gewählt wurde und bald darauf eine lukrative Stelle im cabinet du Louvre antreten konnte, was ihm als Protestant nicht möglich gewesen wäre. Anne Dacier war aufgrund ihres Geschlechts der Zutritt zu öffentlichen Ämtern verwehrt. Sie konnte von der Finanzkraft ihres Mannes profitieren, cf. Éliane Itti, Madame Dacier, femme et savante du Grand Siècle (1645–1720). Préface de Roger Zuber. Paris: L’Harmattan 2012, 213ss. 25  Cf. Grosperrin, Annexe III, in: Littératures classiques 72, 252. 26  Cf. Seiden / Grosperrin, Dacier, in: Littératures classiques 72, 13: »La conver­ sion des élites protestantes était devenues pour Louis XIV et son entourage un ressort publique de première importance, et c’est bien ainsi que la lettre à Damien Mitton connue ce que nous appellerions aujourd’hui une médiatisation, éclatante, grâce au Mercure Galant«.



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schriften in Berührung kam, musste, wie gezeigt, in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts mit dem Hinweis auf Masse und Klasse – so es sich denn um bekannte Persönlichkeiten handelte – der Konvertiten vorlieb nehmen. Durch die Integration dieser Glaubenszeugnisse in den Mercure Galant hingegen wurde nicht nur eine breitere und vielleicht auch gesellschaftlich einflussreichere Leserschaft erreicht,27 sondern es wurden auch die Chancen gesteigert, dass das Dokument einer gelungenen conversio vollständig rezipiert wurde. Gesichert wurde dies durch den Einleitungstext – der den Inhalt des Briefes in den entscheidenden Teilen vorwegnimmt – darüber hinaus aber auch detaillierte Informationen zu den nouveaux convertis bereithält, so dass auch ein Leser, dem diese nicht vorher bekannt waren, die Tragweite der conversio einzuschätzen vermochte. Trotz der Versicherung von Dacier selbst, der Übertritt sei »la plus sainte & le plus desinteressée de toutes les actions«28 gewesen, wird sowohl im Brief als auch im Einleitungstext sehr deutlich, dass es sich hier um eine conversion au roy handelte, die offen darauf ausgelegt war, die vom König ergriffenen, antiprotestantischen Maßnahmen auf ihre Weise zu unterstützen.29 Nun mag die hier vorliegende médiatisation und offene politische Instrumentalisierung von conversiones in der allgemein antiprotestantischen Atmosphäre der Regierungszeit von Louis XIV, noch dazu in einem so herrschertreuen Blatt wie dem Mercure Galant, wenig erstaunen. Als richtungsweisend für den weiteren Umgang mit dem Phänomen conversio als Konfessionswechsel kann die Vorgehensweise von Donneau de Visé und seinen Kollegen bezeichnet werden, weil sich vergleichbare Tendenzen auch in den zahlreichen Intiativen wiederentdecken lassen, die im 19. Jahrhundert von Theologen, aber auch von Laienverbänden, Presseorganen und überzeugten Politikern ergriffen wurden, um die katholische Kirche, wenn nicht als »religion de l’Etat«, so doch zumindest als »religion de la nation« zu bewahren.30 Wie bereits im Einleitungskapitel dieser Studie dargestellt, waren 27  Auch wenn es im 17. Jahrhundert noch kein Zeitungsabonnement im heutigen Sinne gab, ist wohl davon auszugehen, dass jeder, der etwas auf sich hielt und gesellschaftlich mitreden wollte, monatlich den Mercure Galant erwarb, cf. Pierre Albert / Fernand Terrou, Histoire de la presse. Paris: PUF 1970, 30s, sowie Vincent, Mercure Galant, 84s. 28  Tatsächlich scheinen ein nur einer geringen Öffentlichkeit zugänglicher zweiter Brief von Dacier an einen seiner Lehrer sowie ein damals unpubliziert gebliebenes Petit Traité de Religion aus der Feder von André Dacier jeden Opportunismusverdacht zu dementieren, cf. dazu Seiden / Grosperrin, Dacier, in: Littératures classiques 72, 13–15 sowie Itti, Madame Dacier, 152–154. 29  Dies wird besonders deutlich in den Formulierungen von Dacier: »pour rendre nostre Conversion plus agréable à Dieu & au Roy, & plus utile à nostre pays« sowie »ce que nous avons fait pouvoit estre de quelque merite auprès de Sa Majesté«. 30  André Encrevé, »Préface«, in: Sacquin, Entre Bossuet, VII–XII, hier XI.

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nämlich die Jahre nach dem Ende der Herrschaft Napoléons zwar grundsätzlich für beide Kirchen eine Zeit des ›Aufschwungs‹31, die allerdings, nach anfänglichen Einheitsbestrebungen, mit deutlicher konfessioneller Abgrenzung einherging32. In diesem Rahmen stellte dann nicht nur Räß seine »gelehrte Konvertitenbiographik« zusammen und wurden zahlreiche écrits de conversion neu aufgelegt und als brochures religieuses zum Verkauf angeboten,33 man integrierte sie auch vollständig oder auszugsweise in Tages- und Wochenzeitungen, um sie auf diese Weise einer breiten Leserschaft mehr oder weniger ›nebenbei‹ zur Kenntnis zu bringen.34 Inwieweit diese Form des prosélytisme, der den Protestanten, wie dargestellt, verboten war, tatsächlich Früchte getragen hat, ist schwer zu sagen und muss hier nicht erörtert werden. Es bleibt aber festzuhalten, dass die jeweiligen Verantwortlichen dem Phänomen conversio als Konfessionswechsel und dessen Manifestation als Konversionsschrift über die Hochzeit der literarischen Form hinaus Überzeugungskraft beimaßen und sich deshalb weiterhin dieses Mediums bedienten,35 wozu die Initiative der Herausgeber des Mercure Galant möglicherweise eine erste Vorlage lieferte. 31  In Hinblick auf die Eglise réformée von Aufschwung zu sprechen, erscheint möglicherweise übertrieben, wenn man unter diesem Begriff einen Anstieg zum boom versteht. Tatsächlich waren die Mitglieder der Eglise reformée nach mehr als einem Jahrhundert désert – wie man die von Verfolgung und Flucht geprägte Zeit nach dem Widerruf des Edit de Nantes bis zum Ende des 18. Jahrhunderts gemeinhin nennt – durch die infolge des Konkordats Napoléons mit dem Vatikan abgeschlossenen articles organiques (1802), erstmals wieder offiziell als Kirche mit freier Kultausübung in Frankreich geduldet, was langfristig eine Zunahme der Protestanten und der protestantischen Kultur nach sich zog (cf. Sacquin, Entre Bossuet, 14s). Anstelle von Aufschwung »expansion, essor« ließe sich also eher von »refondation« oder »regéneration« sprechen; Carbonnier-Burkard/Cabanel, Histoire, 127. 32  Cf. Sacquin, Entre Bossuet, 108ss, ebenso Grane, Kirche, 72ss, 82s. 33  Neuaufgelegt und separat verkauft wurden beispielsweise die écrits de conversion, die anlässlich der conversiones von De Vaux (Lyon: Mougin-Rusand 1875); Cellete und Rigot (Lyon: Perrin 1874); Poylevé (Lyon: Mougin-Rusand 1875); Rudavel (Lyon: Mougin-Rusand 1875) verfasst worden waren sowie der Text über das miracle in Folge der Blasphemie des ministre Polu in Nîmes (Neudruck Lyon: Perrin 1874). Schriften, die von einem Übertritt zum Protestantismus künden, erfuhren selbstverständlich keine entsprechende offizielle Neuauflage, wurden aber wohl gelegentlich in den alten Ausgaben unter der Hand weitergegeben und im Untergrund gedruckt; cf. Claude Savart, »Le livre religieux«, in: Chartier / Martin, Histoire III (Paris: Fayard 21990), 449–454, hier 452. 34  Cf. Sacquin, Entre Bossuet, 260s. Auch bei der Initiative von Père Barge, der Anfang des 20. Jahrhunderts Konversionsberichte in der Revue des jeunes veröffentlichte (cf. supra, Einleitung), handelt es sich um eine Form von Mediatisierung. 35  Wie anhand der bereits zitierten Bemerkung von Bernanos aus dem Jahr 1947 erkennbar, scheint dieser Trend gar bis weit ins 20. Jahrhundert angehalten zu haben, was einmal mehr für die grundsätzliche »valeur publicitaire« dieser »témoignage« spricht (Bernanos, Nos amis, in: idem, Liberté, in: idem, Essais, 1773). Im



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Einen weiteren Beitrag zum Fortleben des Motivs conversio im Sinne eines Konfessionswechsels leisteten die Herausgeber des Mercure Galant, als sie es zum Gegenstand fiktionaler Literatur erhoben. Hatte Donneau de Visé bereits im Titel der ersten Ausgabe des Mercure Galant histoires véritables angekündigt,36 so blieb man diesem Vorsatz auch weiterhin treu und integrierte bis 1710 mehr als 350 solcher histoires veritables in die Zeitschrift. Dabei handelt es sich – literaturwissenschaftlich gesprochen – größtenteils um Novellen; Texte also, die ein zeitgeschichtliches Ereignis fiktional verarbeiten, indem sie es aus dem ursprünglichen Kontext herausheben, mit neuen Raum-Zeit-Koordinaten versehen und auf neue Weise verarbeiten. Als Teil der littérature salonnière erfreute sich die Novelle im 17. Jahrhundert insbesondere beim weiblichen Publikum großer Beliebtheit. Es ist also nur verständlich, dass die Herausgeber der Zeitschrift diese Form pflegten, zumal Donneau de Visé auf dem Gebiet bereits Erfahrung gesammelt und mit den von ihm 1662 veröffentlichten Nouvelles nouvelles sowie den Nouvelles galantes, tragiques et comiques von 1669 auch über einen Textfundus verfügte, der jedoch durch die Verarbeitung aktueller Geschehnisse – zu denen selbstverständlich auch die destruction de l‘heresie zu zählen ist – stetig ergänzt wurde.37 weiteren Verlauf seiner Rede spricht Bernanos aber auch die Problematik dieses exzessiven Einsatzes von écrits de conversion zu Propagandazwecken an: »Mais un chrétien tel que moi, ou que pour beaucoup d’entre vous pour lesquels la foi catholique est un élément hors duquel ils ne pourraient pas plus vivre qu’un poisson hors de l’eau, comment voudriez-vous qu’ils ne sentissent pas de l’angoisse, et comme une sorte de honte, en face de ceux de leurs frères, incompréhénsiblement privés de ce qui ne leur a jamais manqué une seconde ? Si j’étais converti pour ma part, j’aurais beau me répéter sans cesse que ce n’est pas moi qui ai trouvé Dieu, que c’est Lui qui m’a trouvé, c’est là un de ces raisonnements dont on cherche plutôt à se rassurer qu’à ce convaincre« (ibid, 1774). Das gleiche Gefühl, als Gläubiger, der seinen Glauben stets gelebt hat, ein weniger willkommenes Kirchenmitglied zu sein, als all die modernen fils prodigues wird auch in der Auftaktformulierung des Absatzes spürbar: »[…] je ne suis pas un converti, j’ai presque honte de l’avouer, puisque depuis une vingtaine d’années la mode est aux convertis« (ibid, 1773). Es bleibt allerdings festzuhalten, dass die hier von Bernanos angesprochene Schwierigkeit vorrangig ein Problem des 19. und 20. Jahrhundert und damit des laizistischen Frankreichs war. Ein auf die Wiederherstellung der unité religieuse und den roi très chrétien eingeschworener katholischer Leser des Mercure Galant wird derlei Sorgen kaum verspürt haben. 36  Cf. Mercure Galant contenant plusieurs histoires véritables, et tout ce qui s’est passé depuis le Ier janvier 1672 jusqu’au départ du Roi (05 / 1672), Titel. 37  Zu den histoires veritables im Mercure Galant sowie dem Erfolg von Donneau de Visé als Novellist, cf. ausführlich Jennifer R. Perlmutter, »Sociopolitical Education and the Nouvelles of Le Mercure galant«, in: Anne L. Birberick (ed.): The Art of Instruction. Essays on Pedagogy and Literature in 17th-Century France. Amsterdam/New York: Rodopi 2008, 53–82, passim, insbesondere, 56 / 57.

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Insgesamt lassen sich vier histoires veritables zu diesem Themenkomplex ausmachen, sie alle situiert in den Jahrgängen 1681–1686, also in zeitlicher Nähe zum Revokationsedikt. Drei dieser Novellen behandeln die Problematik interkonfessioneller Liebe, ein Thema, das, wie im Zusammenhang mit den conversiones aus Opportunismus ausführlich dargestellt, zumindest seit der Umsetzung des Edit de Nantes à la rigueur von steter Brisanz war und damit bei der Leserschaft auf allgemeines Interesse stieß. Im Gegensatz zu diesen nouvelles galantes, die alle auch das Phänomen conversio berühren und damit im weitesten Sinne als exempla fungieren können, soll die vierte conversio beim Leser auslösen oder zumindest ein Nachdenken darüber anregen, ist also konzeptuell dem Text über die Blasphemie des ministre von Nîmes vergleichbar.38 Im vorliegenden Zusammenhang von Interesse sind vor allem die anderen Novellen. Einmal abgesehen von der Tatsache, dass hier das Liebeshindernis nicht im Standesunterschied oder einem bereits existierenden, anderweitigen Eheversprechen besteht, sondern – Stoff und Anliegen der Texte geschuldet – in der unterschiedlichen Konfessionszugehörigkeit der beiden Partner, bedient sich deren Autor konsequent literarischer topoi und verknüpft auf die Weise das Thema conversio mit der Tradition. Da die Novellen keine Titel tragen und auch nicht vom Verfasser des Monatsbriefs thematisch vorgestellt werden, bleibt deren Gegenstand für den Leser in der Regel anfangs im Dunkeln. Für den Autor ergibt sich daraus die Möglichkeit, durch retardierende Momente und Andeutungen, die Spannung zu schüren und auf diese Weise die Aufnahmebereitschaft für die folgende Botschaft zu erhöhen. Diese ›Verzögerungstaktik‹ zeigt sich beispielhaft in der Histoire veritable vom Mai 1681: Sie beginnt – wie zahlreiche andere nouvelles galantes – auch mit dem Spaziergang eines »Cavalier« durch die »Thuileries«.39 Dort erblickt er eine »jeune damoiselle qui 38  Zur Blasphemie von Nîmes, cf. supra, Kapitel 4.b). Im Mittelpunkt der Novelle stehen zwei schwangere Frauen, die eine katholisch, die andere protestantisch, die während eines Streits über verschiedene Kleinigkeiten des täglichen Lebens auch auf die Unterschiede zwischen den Konfessionen zu sprechen kommen und sich schließlich so in Rage reden »que la Femme Calviniste pria Dieu de vouloir permettre que celle des deux, qui estoit dans la fausse religion, accouchait d’un Diable« (Histoire veritable, in: Le Mercure Galant (11 / 1683), 189–193, hier 190 / 191). Drei Tage später gebar die Protestantin, unter Anteilnahme des ganzen Dorfes (ibid., 193) tatsächlich »non pas (d’) un Enfant, mais (d’) un monstre, qui n’avait que des grifes & une bouche toujours ouverte. Il aboyoit comme un Chien, & tout le monde en fut effrayé« (ibid. 192 / 193). Die Novelle schließt mit der Be­mer­kung, der herbeigeeilte ministre sei entsetzt gewesen, dass so viele aus seiner Gemeinde das Ereignis mitbekommen haben und dem Hinweis, der Leser solle »telles consequences qu’il lui plaira de cette Avanture« ziehen (ibid., 193) – die allerdings offensichtlich sind, zumal die Häretiker ja traditionell mit dem Teufel in Verbindung gebracht wurden, cf. dazu supra, Kapitel 2. 39  Histoire veritable, in: Le Mercure Galant, 10.



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luy parut toute aimable«40 und versucht mit ihr in Kontakt zu kommen. Dies gelingt ihm schließlich über einen Bekannten, von dem er nicht nur erfährt, dass die Mutter dieser Dame, auf der Suche nach einem Mann für ihre Tochter ist, sondern auch, dass diese »estoit d’une Croyance contraire à la sienne«41. Mag der Leser den weiteren Verlauf der Handlung auch schon erahnen, erhält er in den nächsten Zeilen Gewissheit: Cependant les sentimens de son cœur l’emportant sur sa raison, il voulut lier habitude avec la Belle, & crût n’y pouvoir mieux réüssir qu’en se feignant Religionnaire. Ainsi l’ayant aperçeuë le jour suivant, accompagnée seulement d’une Parente, il fit si bien, qu’en passant tout proche d’elle, son Epée s’embarassa dans un des Rubans qui estoient autour d’un petit Habit d’Eté qu’elle portoit, couleur de Rose. La belle qui se sentit arrestée, demanda au Cavalier s’il ne vouloit point faire grace à son Ruban. Il luy répondit, que quand il l’emporteroit, elle devoit peu s’en inquiéter, puis qu’il luy laissoit un gage qui estoit d’un autre prix. La galanterie de la réponse obligea la Belle à répliquer; & la conversation s’estant nouée insensiblement, le Cavalier luy fit croire qu’il l’avoit vue plusieurs fois à Charenton, & qu’il souhaitoit depuis longtemps de trouver l’occasion que le hazard luy avoit fait naistre.42

Der Leser des 17. Jahrhunderts, mit den zeitgenössischen Begebenheiten ebenso vertraut wie mit den gängigen literarischen topoi, wird die Behauptung des Cavalier unschwer als Anverwandlung des Motivs der Begegnung im Tempel identifizieren43 und fortan wissen, dass sich die hier anbahnende Liebe zu einer »schicksalhaft bestimmten großen Leidenschaft«44 entwickeln wird, was der weitere Handlungsverlauf dann auch bestätigt. Indem der Autor sich zur Einleitung der im Folgenden beschriebenen interkonfessionellen Liebe mit all ihren Schwierigkeiten eines Motivs bedient, das in der Literaturgeschichte mit Namen wie Vergil, Petrarca und d’Urfé verbunden ist und sich seit dem 16. Jahrhundert großer Beliebtheit erfreut,45 wird 40  Histoire

veritable, in: Le Mercure Galant, 10. veritable, in: Le Mercure Galant, 13. 42  Histoire veritable, in: Le Mercure Galant, 14 / 15. 43  Es sei daran erinnert, dass Charenton der Ort war, an dem die Pariser Protestanten allsonntäglich zur presche zusammen kamen, da ihnen die Ausübung des reformierten Kults in der Hauptstadt nicht erlaubt war. Zur Bedeutung von Charenton als eines der Markenzeichen des französischen Protestantismus, cf. Chevalier, Prêcher, 71. 44  Bernhard König, Die Begegnung im Tempel. Abwandlungen eines literarischen Motivs in den Werken Boccaccios. Hamburg: Cram De Gruyter & Co 1960, 94. Die Begegnung im Tempel zum Auftakt einer Liebesbeziehung war über Jahrhunderte »ständiges Requisit von Liebesfabeln«, cf. ibid. 89. 45  Cf. König, Begegnung, 88–98. Der Autor zeichnet hier knapp die »Geschichte der Tempelbegegnung« von seinen Anfängen im hellenistischen Roman des vier41  Histoire

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der Gegenstand gewissermaßen offizialisiert und in den Rang literarischer Stoffe erhoben. Die Vorteile bekannter literarischer Motive machte sich auch der Verfasser der Histoire veritable der Februarausgabe 1686 zunutze: In seinem Text verarbeitet er ein zeitgenössisches Dokument, die Konversionsschrift des jüngst verstorbenen englischen Königs Charles II, das bis dahin in Frankreich unbekannt war und nun zum Auslöser einer conversio wird.46 Im Mittelpunkt der Novelle steht eine Protestantin, die ihrem Glauben ungeachtet aller Einschränkungen und vor allem trotz der Tatsache, dass im Laufe der Zeit alle Familienmitglieder ebenso wie ihr zukünftiger Ehemann und dessen Vater dem reformierten Glauben abschwören, unbedingt treu bleiben will – und damit alle anderen in Harnisch bringt.47 Bis sich die Dame schließlich nach der Lektüre der genannten Konversionsschrift bereit findet, in die katholische Kirche einzutreten, bedarf es nicht nur einer Liebesintrige, ausgelöst durch den nunmehr katholischen Liebhaber, sondern auch einiger zufällig verlorener billets, eines handfesten Gewissenskonflikts und eines schwatzhaften Bediensteten48 – die Nähe zur zeitgenössischen Novellen- und Komödientradition ist hier offensichtlich! Es bliebe zu klären, ob und inwieweit die durch die Verantwortlichen des Mercure Galant angestoßene Fiktionalisierung des Phänomens conversio im Sinne eines Konfessionswechsels in den folgenden Jahren Nachahmer gefunden hat. In Anbetracht der schwierigen Lage der Protestanten in Frankreich nach dem Edit de Fontainebleau steht zu vermuten, dass diese Tradition in dem Moment versiegt, in dem das Schaffen von conversio-exempla nicht mehr nötig ist, weil die entsprechende Situation nicht mehr virulent, ten vorchristlichen Jahrhunderts bis ins 18. Jahrhundert nach und gibt an, dass die Blütezeit des Motivs ins 17. Jahrhundert fällt (ibid., 94). 46  Monique Vincent stellte in einem Textvergleich fest, dass das Originaldokument, das 1686 in französischer Übersetzung in London veröffentlicht wurde, aber bereits vorher durch eine englische Reisende an den Hof von Louis XIV gelangt war, und die Version im Mercure Galant »sont d’une évidente similitude«; Monique Vincent, »Ecrits touchant la Conversion in articulo mortis de Charles II, roi de la grande Bretagne«, in: XVIIe siècle 137 (1982), 417–420, hier 417. 47  Cf. Histoire veritable, in: Le Mercure Galant (02 / 1686), 181–311, passim, cf. beispielhaft 195: »Vous sçavez combien sont obstinées en matiere de Religion, & mon amour, quelque fort qu’il soit, ne pourra vaincre l’opiniastreté de ma Maitresse«, ähnlich ibid. 239, 251. Wenn hier eine Frau im Mittelpunkt steht, die zwi­ schen Liebe und »devoir« – wie sie es selbst nennt (ibid., 265) – hin und hergerissen ist, bietet sie nicht nur eine hervorragende Identifikationsmöglichkeit für Leserinnen, sondern steht auch deutlich in einer literarischen Tradition, cf. dazu Perlmutter, Education, in: Birberick, Pedagogy, 69 / 70. 48  Cf. Histoire veritable, in: Le Mercure Galant, passim, besonders 225, 244, 277.



Schluss und Ausblick381

Verhaltensvorbilder also nicht mehr gebraucht werden. Inwieweit diese ›Reste‹ der literarischen Form Konversionsschrift die Fiktionalisierung von conversio als Rückkehr zu einem gottgefälligen Leben, wie es dann ja beispielsweise in En route von Huysmans vorliegt, beeinflusst haben oder gar erhalten blieben, mag im Rahmen anderer Studien untersucht werden. Es wird dann zu zeigen sein, ob das Motiv conversio in der französischen Literatur lediglich als »retour à la foi de l’enfance« manifest ist, oder ob nicht gelegentlich doch noch ein »cavalier« bei einer Dame Erfolg hatte, wenn er sie glauben machen konnte »qu’il l’avoit vue plusieurs fois à Charenton«.

Literaturverzeichnis Primärwerke Textkorpus – 16. und 17. Jahrhundert Das Textkorpus umfasst entsprechend dem der Arbeit zugrunde liegenden weit gefassten Literaturbegriff alle Primärwerke, die im 16. und 17. Jahrhundert verfasst bzw. vorwiegend rezipiert wurden. Zur besseren Orientierung wurden innerhalb dieses Korpus’ neben den Anonyma einerseits Gesetzestexte, Dekrete und Kirchenordnungen, andererseits Bibelübersetzungen und liturgische Bücher gesondert aufgeführt. Korpus – Texte des 16. Jahrhunderts Bordenave, Nicolas, Histoire de Béarn et de Navarre. Publiée pour la première fois sur le manuscrit original par Paul Raymond. Paris: Renouard 1873. Calvinus, Iohannis, De cultu imaginem (1562?), in: Calvin, Jean, Tractatus theologici minores, in: idem, Iohannis Calvini Opera quae supersunt omnia (= vols. XXX–LXXXIX des Corpus Reformatorum). Edidit Wilhelm Baum, Eduard Cunitz, Eduard Reuss, vols. X / XXXVIII. Braunschweig: Schwetschke & Sohn 1871, cc. 193–202. Calvin, Jean, La Servante chassée. Sermon inédit sur l’histoire d’Agar (23. 03.1560). Édition préparée, annotée et préfacée par Max Engammare. Genf: Zoé 1995. Calvinus, Iohannis, De la religion chrestienne. Nouvellement mise en quatre livres: et distinguée par chapitres, en ordre et methode bien propre: augmentée aussi de tel accroissement, qu’on la peut presque estimer un livre nouveau. Genf: Crespin 1560, in: idem, Iohannis Calvini Opera quae supersunt omnia (= vols. XXX– LXXXIX des Corpus Reformatorum). Edidit Wilhelm Baum, Eduard Cunitz, Eduard Reuss, vols. III / IV / XXXI. Braunschweig: Schwetschke & Sohn 1865. Calvinus, Iohannis, »Cinquanteetdeuxieme Sermon« (1555), in: idem, Sermons sur l’harmonie des trois evangelistes S. Matthieu, S. Luc et S. Marc, in: idem, Iohannis Calvini Opera quae supersunt omnia (= vols. XXX–LXXXIX des Corpus Reformatorum). Edidit Wilhelm Baum, Eduard Cunitz, Eduard Reuss, vols. XLVI / LXXIV. Braunschweig: Schwetschke & Sohn 1891, cc. 1–826, hier cc. 643–656. Calvinus, Iohannis, »Cinquieme Sermon sur le chap IV. 15–20« (1555), in: idem, Sermons sur le Deuteronome. Seconde partie (sur les chap. ii-ix), in: idem, Iohannis Calvini Opera quae supersunt omnia (= vols. XXX–LXXXIX des Corpus

Literaturverzeichnis383 Reformatorum). Edidit Wilhelm Baum, Eduard Cunitz, Eduard Reuss, vols. XXVI / LIV. Braunschweig: Schwetschke & Sohn 1883, cc. 147–159. Calvin, Jean, Déclaration pour maintenir la bonne vraie foi qui tiennent tous Chrétiens de la Trinité des personnes en un seul Dieu. Contre les erreurs détestables de Michel Servet espagnol. Ou il est aussi montré qu’il est licite de punir les hérétiques, et qu’à bon droit ce méchant a été exécuté par justice en la ville de Genève (1554), in: idem, Œuvres. Edition établie par Higman, Francis / Roussel, Bernard. Paris: Gallimard 2009, 893–936. Calvinus, Iohannis, Commentarius in acta apostolorum (1554), in: idem, Iohannis Calvini Opera quae supersunt omnia (= vols. XXX–LXXXIX des Corpus Reformatorum). Edidit Wilhelm Baum, Eduard Cunitz, Eduard Reuss, vols. XLVIII /  LXXVI. Braunschweig: Schwetschke & Sohn 1892, cc. 1–574. Calvin, Jean, Préface aux commentaires des Psaumes (1552), in: idem, Œuvres. Edition établie par Higman Francis / Roussel, Bernard. Paris: Gallimard 2009, 107–120. Calvin, Jean, »Actes, 3, 17–19, Du Dimanche 9e jour de mars 1550«, in: idem, Sermons on the Acts of the Apostels., in: Sermons inédits (Supplementa Calviniana VIII). Ed. by Willem Balke and Wilhelmus H. Th. Moehn. NeukirchenVluyn: Neukirchener Verlag des Erziehungsvereins 1994, cc. 64–72. Calvinus, Iohannis, »(Epistola) Calvinus Farello, 03 / 06 / 1546«, in: idem, Thesauri epistolici Calviniani, in: idem, Iohannis Calvini Opera quae supersunt omnia (= vols. XXX–LXXXIX des Corpus Reformatorum). Edidit Wilhelm Baum, Eduard Cunitz, Eduard Reuss, vols. XII / XXXX. Braunschweig: Schwetschke & Sohn 1874, cc. 347 / 348. Calvin, Jean, Histoire d’un meutre execrable (1546), in: idem, Œuvres. Edition établie par Higman, Francis / Roussel, Bernard. Paris: Gallimard 2009, 445–450. Calvin, Jean, Petit traité montrant que c’est que doit faire un homme fidèle connaissant la vérité de l’évangile, quand il est entre les papistes, avec une Épitre du même argument (1543), in: idem, Œuvres. Edition établie par Higman, Francis / Roussel, Bernard. Paris: Gallimard 2009, 505–550. Calvinus, Iohannis, Petite Traicté de la sainte Cène de nostre Seigneur Iesus Christ auquel est demontré la Vraye Institution, Proffit Et Utilité D’icelle: Ensemble La Cause Pourquoy Plusieurs Des Modernes Semblent En Avoir Escrit Diversement (1543), in: idem, Iohannis Calvini Opera quae supersunt omnia (= vols. XXX– LXXXIX des Corpus Reformatorum). Edidit Wilhelm Baum, Eduard Cunitz, Eduard Reuss, vols. I / XXIX. Braunschweig: Schwetschke & Sohn 1866, vols. V / XXXIII, cc. 433–460. Calvin, Jean, Institution de la religion chrétienne (1541). Edition critique par Olivier Millet. 2 vols. Genf: Droz 2008. Calvinus, Iohannis, Christianae Religionis Institutio totam fere pietatis summam et quidquid est in salutis cognitu necessarium complectens. Omnibus pietatis studiosis lectu dignissimum opus ac recens editum. Basel: Thomas Plattero & Balthasar Lasio 1536 (editio princeps), in: idem, Iohannis Calvini Opera quae ­supersunt omnia (= vols. XXX–LXXXIX des Corpus Reformatorum). Edidit

384 Literaturverzeichnis Wilhelm Baum, Eduard Cunitz, Eduard Reuss, vols. I / XXIX. Braunschweig: Schwetschke & Sohn 1863. Calvinus, Iohannis, Mosis reliqui libri quatuor in formam harmoniae digesti […]: cum eiusdem commentariis, in: idem, Iohannis Calvini Opera quae supersunt omnia (= vols. XXX–LXXXIX des Corpus Reformatorum). Edidit Wilhelm Baum, Eduard Cunitz, Eduard Reuss, vols. XXIV / LII. Braunschweig: Schwetschke & Sohn 1882. Clerre, Jean, Precordialissimi ac impecciabiles de adventu Domini sermones. Paris: Engleberto Marnesio 1526. Crespin, Jean, Histoires des martyres persecutez. s. l. (Genf): Crespin 91582. De Vaux, Geoffroy, Celebre Conversion de la Personne et Famille de M. Geoffroy de Vaux, jadis de l’ordre des S. François, Breton de Nation, du Diocèse de Triguier, après avoir esté Ministre de la Doctrine Calvinniene ès pays de Dauphiné, faicte à Toloze devant Monseigneur l’Illustriss. et Rever. Cardinal de Joyeuse, cinq ou six Evesques, tout le Clergé et bien dix mille personnes ou davantage en la grande place S. Etienne le dimanche 19 janiver 1597 apres la grande Messe de Paroisse et Predication. Paris: Jean Le Blanc 1597, jouxte la copie imprimée à Toloze: Colomiez 1597 (36 Seiten, in-4°). Du Rosier (i. e. Sureau, Hugues), Confession de Foy faicte par H. S. du Rosier avec abjuration & detestation de la Profession Hugenotique: faicte tant par devant Prelats de l’Eglise Catholique & Romaine, que Princes du sang Royal de France & autres, ensemble la refutation de plusieurs poincts, mise en avant par Calvin & Beze, contre la Foy et Eglise Apostolique. Paris: Sebastian Nivelle 1573 (37r / v Seiten, in-8°). Goulart, Simon (dit de Senlis) (ed.), Mémoires de la Ligue, contenant les événements les plus remarquables depuis 1576 jusqu’à la paix accordée entre le roi de France et le roi d’Espagne en 1598. Nouvelle édition revue, corrigée et augmentée de notes critiques et historiques. Amsterdam: Arkstée & Merkus 21758. Gréban, Arnoul, Le mystère de la Passion. Publié d’après les manuscrits de Paris avec une introduction et un glossaire par Gaston Paris et Gaston Raynaud. Genf: Slatkine Reprints 1970 (Paris 1878). Gréban, Arnoul et Simon, Mystère des Actes des Apotres. Représenté à Bourges en avril 1536 et publié d’après le manuscrit original par Auguste de Girardot. Paris: Didron 1854. Haren, Jean, Les causes iustes et equitables, qui ont menes Jean Haren, iadis ministre, de quitter la Religion pretendue Reformee, pour se ranger dans le giron de l’Eglise catholique. Paris: Pierre Ramier, rue S. Iean de Latran à l’enseigne du Serpent 1586 (29 Seiten, in-8°). Hyperius, Andreas, Enseignement à bien former les sainctes prédications et sermons ès Églises du Seigneur. Genf: Crespin 21564. Kirchmeyer, Thomas (Naogeorgus), Le Marchant Converti, tragédie nouvelle. Traduction par Jean Crespin. s. l. (Genf): Crespin 1561.

Literaturverzeichnis385 La Ceppède, Jean de, Imitation des Pseaumes de la Pénitence de David. Contient un échantillon de douze sonnets qui annoncent les Théorèmes. Lyon: Tholoson 1594. (La Noue, Odet de), Poésies chrestiennes de messire Odet de la Noue, nouvellement mises en lumiere par Le Sieur de la Violette. Genf: Vignon 1594. Luther, Martin, Vorrede zum 1. Bande der Gesamtausgaben seiner lat. Schriften (1545), in: idem: Werke. Kritische Gesamtausgabe (WA). 60 vols. Weimar / Graz: Böhlaus Nachfolger / Akademische Druck und Verlagsanstalt Graz 1966, vol. 54, 180–188. Luther, Martin, Wider die himmlischen Propheten, von den Bildern und Sakrament, in: idem: Werke. Kritische Gesamtausgabe (WA). 60 vols. Weimar / Graz: Böhlaus Nachfolger / Akademische Druck und Verlagsanstalt Graz 1966, vol. 18, 37–214. Luther, Martin, Predigt am 12. März 1522 – 4. Invocavitpredigt, in: idem: Werke. Kritische Gesamtausgabe (WA). 60 vols. Weimar / Graz: Böhlaus Nachfolger / Akademische Druck und Verlagsanstalt Graz 1964, vol. 10 / 3, 30–36. Malingre, Mathieu, La Maladie de Chrestienté, in: Moralités françaises. Réimpression fac-similé de vingt-deux pièces allégoriques imprimées aux XVe et XVIe siècles. Edition et introduction par Werner Helmich. 3 vols. Genf: Slatkine 1980, vol. III, 13–108. Marguerite de Navarre, L’Inquisiteur, in: eadem, Œuvres complètes IV – Théâtre. Sous la direction de Nicole Cazauran. Édition critique, présentée et annotée par Geneviève Hasenohr et Olivier Millet. Paris: Champion 2002, 271–299. Marguerite de Navarre, La Comédie de Mont-de-Marsan, in: eadem, Œuvres com­ plètes IV – Théâtre. Sous la direction de Nicole Cazauran. Édition critique, présentée et annotée par Geneviève Hasenohr et Olivier Millet. Paris: Champion 2002, 453–497. Marguerite de Navarre, L’Heptaméron. Texte établi sur les manuscrits avec une introduction, des notes et un index des noms propres par Michel François. Paris: Garnier 1967. Marguerite de Navarre, Théâtre profane. Édition établie par Verdun L. Saulnier. Paris: Droz 1946. Marot, Clément, Cinquante pseaumes de David mis en françoys selon la vérité hébraïque. Edition critique sur le texte de l’édition publiée en 1543 à Genève par Jean Gérard. Introduction, variantes et notes par Gérard Defaux. Paris: Champion 1995. Masures, Louis des, David fugitif, in: idem: Tragédies saintes. David combattant, David triomphant, David fugitif. Edition critique publiée par Charles Comte. Paris: Cornély et Cie 1907, 181–277. Mercadé, Eustache, Le mystère de la Passion (texte du ms. 697 de la bibliothèque d’Arras). Édité par Jules-Marie Richard. Arras: Alphonse Picard & Fils 1893. Michel, Jean, Le Mystère de la Passion (Angers 1486). Édité par Omer Jodogne. Gembloux: Duculot 1959.

386 Literaturverzeichnis Montaigne, Michel de, Les Essais. Avec appendices, Sources, Index par Pierre Villey. Édition conforme au texte de l’exemplaire de Bordeaux. Paris: Quadrige / PUF 2 1992. (Pepin, Guillaume OP), Sermones quadragesimales super evangelia precarissimi § excellentissimi theologie doctoris alme Unniversitatis Parisiensis. Magistri Guillermi Pepin et religiossimi conventus Ebroicensis divi Fratrem predicatorum de observantia. Paris: Chevallon 1526. Philone, Josias (tragédie de M. Philone). Traduite d’Italien en François. Vray miroir des choses advenues de nostre temps. Genf: Perrin 1566. Port, Célestin (ed.), Inventaire analytique des archives anciennes de la mairie d’Angers. Paris, Angers: Dumoulin, Cosnier & Lachèse 1861. Ripa, Cesare, Iconologia, overo descrittione di diverse imagini cavate dell’antichità, e di propria invenzione. With an introduction by Erna Mandowsky. Hildesheim / New York: Olms 1970. Ronsard, Pierre de, Continuation du Discours des Misères de ce temps, in: idem, Discours des misères de ce temps, in: idem, Œuvres complètes II. Édition établie, présentée et annotée par Jean Céard, Daniel Ménager et Michel Simonin. Paris: Gallimard 1994, 991–1098 / 997–1006. Theotime le Zelé, Repartie à Maistre Iean Dodeman, soidisant curé de Bourguet, Chapelain de la Chapelle sur Torchy, Diocese de Rouen, Doyenné de Longueville. Sur sa Declaration faicte à Dieppe le 29 juin 1608. Des principaux motifs qui l’ont induit de sortir de l’Eglise Romaine, pour se ioindre à la prétenduë reformée. Rouen: Osmont 1609. (Zimmern, Froben Christoph von), Die Chronik der Grafen von Zimmern. Handschriften 580 und 581 der Fürstlich Fürstenbergischen Hofbibliothek Donau­ eschingen. Ed. von Hansmartin Decker-Hauff unter Mitarbeit von Rudolf Seigel. vol. III. Darmstadt: WBG 1972.

Anonyma L’Enfant Prodigue. Moralità del secolo XVI. Edizione a cura di Guiseppe Macri: Lecce: Adriatica Editrice Salentina 1982. Bien Advisé, Mal Advisé, in: Moralités françaises. Réimpression fac-similé de vingtdeux pièces allégoriques imprimées aux XVe et XVIe siècles. Edition et introduction par Werner Helmich. 3 vols. Genf: Slatkine 1980, vol. I, 1–109. L’Homme pecheur, in: Moralités françaises. Réimpression fac-similé de vingt-deux pièces allégoriques imprimées aux XVe et XVIe siècles. Edition et introduction par Werner Helmich. 3 vols. Genf: Slatkine 1980, vol. I, 111–421. L’Homme juste et l’homme mondain, in: Moralités françaises. Réimpression fac-similé de vingt-deux pièces allégoriques imprimées aux XVe et XVIe siècles. Edition et introduction par Werner Helmich. 3 vols. Genf: Slatkine 1980, vol. I, 423–881. (Anonym = P.V.D.P.G.), Narratio, in qua tractatur de apparitione, abjuratione, conversione, & synaxi Ilustrissimae Principis Carlottae Catharinae Trimolliae

Literaturverzeichnis387 Principissae Condei Henrici Borbonii, primi in Francia Principis Sanguinis, primique Paris Mater, in: idem, Resiouyssance De La France, Sur la libre & volontaire Conversion de Madame la Princesse de Condé, à la foy Catholique, Apostolique & Romaine. Paris: Jean Le Blanc 1597, in: Garetta, Raoul, La Conversion de la Princesse de Condé. A Rouen en 1596. Introduction et notes par Raoul Garetta. Rouen: Léon 1901, 3–40. Anonym, La Muse Chrestienne ou Recueil des poësies chrestiennes tirées des principaux poëtes françois. Avec un discours de l’influence des astres, du destin ou fatalité, de l’interpretation des fables ou pluralité des Dieux introduicts par les poètes. Paris: Malot 1582. Anonym, L’œuvre chrestienne de tous les poëtes françois: Recueillie des œuvres de Marot, Ronsard, Bellay, Belleau, Pybrac, Desportes, Saluste, Buttet, Jamin, de Billy et Pontoux. Lyon: Ancelin 1581. Le cry & proclamation publique: pour iouer le mistere des Actes des Apostres en la Ville de Paris: faict le Jeudy seiziesme iour de Decembre l’an mil cinq cens quarante: Par le commandement du Roy nostre Sire Francoys premier de ce nom: et monsieur le Prevost de Paris affin de venir prendre les rooles pour iouer ledict mistere (Paris: Ianot 1541). Paris: Pinard 1830. L’Instructif de Seconde Rhétorique, in: Jardin de Plaisance et Fleur de Rhétorique. Réproduction en fac-similé de l’édition publiée par Antoine Vérard vers 1501. Introduction et notes par Eugénie Droz et Arthur Piaget. 2 vols. Paris: FirminDidot & Cie, Champion 1910, 1924, vol. 1, a ii-c ii.

Korpus – Texte des 17. Jahrhunderts (Père Abraham), Declaration chrestienne Du pere Abraham, jadis Prieur des Carmes, en la ville d’Arles: publiquement faicte en l’Eglise Reformée d’Uzez. 1600, in: Anonym, Diverses revocations et abiurations du Papisme, publiquement faittes en divers endroits du Royaume de France par certaines personnes Ecclesiastiques & nommément par Père Abraham, iadis Prieur des Carmes en la ville d’Arles; Père Edmond de Beauval, iadis Iesuite & Docteur en Theologie; Sieur Melchior Roman Espagnol, iadis procureurs de l’ordre des Iacobins à Rome; Maistre Iean Norman, iadis Predicateur ordinaire de Mastas, Sieur Antoine Ginestet, iadis Confesseur & Prestre Franciscain; Leonard Thevenot, ci devant Curé dans la ville de Poitiers; Tout advenu l’an du dernier Iubilé de Rome 1600. Avec deux lettres escrites par deux personnes, l’un Iesuite, l’autre ayant esté & maintenant converti, & faict Ministre de la Parole de Dieu. A quoy est adiousté encores un brief recit De ce qui est advenu dans la ville Papale d’Avignon, en la belle Procession qui y fut tenue le iour du Sacrement dernier. Les six premieres imprimees iouxte les Originelles publiées en France. Les autres selon les Copies des lettres qui en ont esté escrites. Den Haag: Henry 1601 (52 Seiten, in-4°), 5–8. Académie française (ed.), Dictionnaire de l’Académie françoise. Paris: Coignard 1694. (B. Abbé de R.), La Conversion et heureuse mort de Jean Guillebert, de l’Ordre de Sainct Dominique. Paris: Sebastien Chappelet 1617 (18 Seiten, in-8°).

388 Literaturverzeichnis (Ange de Raconis OFMcap), Veritable Narré de ce qui s’est passé en la conversion de Mr Iean Rochette, le plus Ancien Advocat de Troyes: Après l’abandon que luy à fait son Ministre & l’entiere resolution de ses doutes; avec pleine instruction à luy donnée par le Père Ange de Raconis, predicateur capucin, dédié A Messieurs de St. Mards & à tous autres de la Religion pretenduë Reformée, pour les semondre à quitter leur Erreur, & r’entrer au giron de l’Eglise. Troyes: Jean Iacquard 1633 (95 Seiten, in-8°). Beaumais, Jean de, (dit le Mercier de Paris), Le Combat du Mercier avec le Sieur Aubertin, Ministre de Charenton, qui a perdu une des ses oreilles, & deux de ses brebis, qui se sont rangez au troupeau Catholique, en la Chapelle Royale du petit Bourbon. Paris: ohne Druckervermerk 1651 (8 Seiten, in-4°). (Beauval, Edmon(d) de), Declaration de Pere Edmon de Beauval, iadis Iesuite, Docteur en Theologie, & Predicateur en Bourbonnois, publiquement faicte de vive voix, en l’eglise de S. Amand en ladicte Province le Dimanche, 16 Iuillet 1600, in: Anonym, Diverses revocations et abiurations du Papisme, publiquement faittes en divers endroits du Royaume de France par certaines personnes Ecclesiastiques & nommément par Père Abraham, iadis Prieur des Carmes en la ville d’Arles; Père Edmond de Beauval, iadis Iesuite & Docteur en Theologie; Sieur Melchior Roman Espagnol, iadis procureurs de l’ordre des Iacobins à Rome; Maistre Iean Norman, iadis Predicateur ordinaire de Mastas, Sieur An­ toine Ginestet, iadis Confesseur & Prestre Franciscain; Leonard Thevenot, ci devant Curé dans la ville de Poitiers; Tout advenu l’an du dernier Iubilé de Rome 1600. Avec deux lettres escrites par deux personnes, l’un Iesuite, l’autre ayant esté & maintenant converti, & faict Ministre de la Parole de Dieu. A quoy est adiousté encores un brief recit De ce qui est advenu dans la ville Papale d’Avignon, en la belle Procession qui y fut tenue le iour du Sacrement dernier. Les six premieres imprimees iouxte les Originelles publiées en France. Les autres selon les Copies des lettres qui en ont esté escrites. Den Haag: Henry 1601 (52 Seiten, in-4°) 9–14. Benoist, Elie, Histoire de l’Edit de Nantes, contenant Les choses les plus remarquables qui se sont passées en France avant & après sa publication à l’occasion de la diversité des Religions: Et principalement les Contraventions, Inexecution, Chicanes, Artifices, Violences, & autre Injustices, que les Reformez se plaignent d’y avoir souffertes, jusques à L’Edit de Revocation en octobre 1685. Avec ce qui a suivi ce nouvel Edit jusqu’à présent. 3 vols. Delft: Beman 1693–1695. (Benoist Berault), »Lettre de Benoist Berault Escuyer sieur de Fraisne, premier Pair de la Rochelle, & premier Tresorier des deniers de la ville, sur sa Conversion à la foy Catholique, Apostolique & Romaine«, in: Anonym, L’heureuse conversion de noble Homme Benoist Berault, Escuyer sieur de Fraisne, premier Pair de la Rochelle, & premier Tresorier des deniers de ladite ville. De Iacques Blamont, Escuyer sieur de la Faye, fils de Ieremie de la Faye, Ministre. De Maistre Paul Groüard, Iuge de la Prevosté de Loudun. De Maistre Paul Aubry, Advocat à Loudun & conseil de Madame de Fronteneaux, & de plusieurs autres, qui en ces derniers mois ont abiuré l’heresie, & protesté de la Religion Catholique Apostolique & Romaine. Instruits & absoults par le R. Père Athanase Molé, Capucin, Predicateur Apostolique, & Gardien du Convent des Capucins de l’Hospice, aux Marets du Temple. Paris: Pierre Ramier 1623 (16 Seiten, in-8°), 10–16.

Literaturverzeichnis389 Bertrand, (Vorname nicht bekannt), La conversion de Monsieur Poylevé cy-devant premier arcboutant de la Religion Prétendue Reformée de Limoges, converty à la foy catholique, Apostolique et Romaine. Envoyée à Monseigneur le Vicomte de Rochechouart, Baron de Sainct Germain & autres places, Conseiller du Roy en ses Conseils d’Estats, Chevalier & Capitaine de cent homme d’armes de ces ordonnances. Paris: Quenet 1630 (24 Seiten, in-4°). Bourguignon, Daniel, L’heureuse conversion de sieur Daniel Bourguignon, cy devant Ministre de la Religion pretendue reformée, es villes de Gien & Iargeau & autres lieux, préz d’Orléans. A la foy Catholique Apostolique & Romaine. Paris: Guiffart 1613 (16 Seiten, in-8°). Camus, Jean-Pierre, Divertissement historique (1632). Texte établi, annoté et commenté par Constant Venesoen. Tübingen: Narr 2002. Cave, Terence / Jeanneret Michel, Metamorphoses spirituelles. Anthologie de la poésie religieuse française (1570–1630). Paris: Corti 1972. Chamier, Daniel, Les Actes de la dispute d’Ambrun entre M. Daniel Chamier, ministre de la Parole de Dieu en l’Eglise reformée de Montélimard et M. Fenouillet, soy-disant Théologal de Gap. s. l. 1603 (Grenoble: ohne Druckervermerk 2 1648) (53 Seiten, in-8°). Charles de Genève, Les trophées sacrés ou missions des capucins en Savoie, dans l’Ain, la Suisse romande et la vallèe d’Aoste, à la fin du XVIe et au VIIe siècle. Publié par Félix Tisserand, OFM Cap., vol. I. Lausanne: Imprimeries réunies de Lausanne 1976. Clouet, François (en religion le Pere Basile de Rouen), Le retour au giron de l’Eglise du Pere Basile, cy-devant Apostat & maintenant Capucin. Contentant 25. Articles de ses protestations & dernieres volontez, fait par luy estant en son lit de malade. La Rochelle: Toussaincts de Govy (Imprimeur et Marchand Libraire pres les Iesuites) 1648 (29 Seiten, in-8°). Cupif, François, Declaration de Maistre Francois Cupif, cy devant Curé de Contigné Diocese d’Angers, Docteur en Theologie de la Faculté de Paris, ou il deduict les raisons qui l’ont meu à se separer de l’Eglise Romaine pour embrasser la Reformée. Adressée à Monsieur l’Evesque d’Angers. Charenton: Mondiere 1637 (39 Seiten, in-8°). (De Brives, Martiel), Le Parnasse séraphique et les derniers soupirs de la muse du R. P. Martiel de Brives, capucin. Lyon: Demasso 1660. (De Gouffier, Henry Marc), Declaration de Henry Marc de Gouffier, Marquis de Bonivet, Seigneur de Crevecoeur, &tc. Faite au Consistoire de la Rochelle, en presence des Pasteurs & Anciens de ladite Ville, & encore des Sieurs de la Violette & Thevenot Pasteurs des Eglises de Marans & Bernet, le Mercredy troisiesme d’Aoust 1616. Et depuis a esté faicte mesme protestation par ledict sieur Marquis, en presence de toute l’Eglise de la Rochelle, le dimanche 7 dudict moys, après le Presche du matin au grand temple. La Rochelle: Hertman 1616 (8 Seiten, in-8°) (auch Illustration 14 – Foto B. Jakobs, © SHPF, Paris).

390 Literaturverzeichnis (De Vrillac, Vorname nicht bekannt), Epistre envoyée par le sieur de Vrillac, Advocat au Parlement de Paris, au sieur de Vrillac son pere. Sur le suiect de sa conversion. Sedan: ohne Druckervermerk 1623 (30 Seiten, in-8°). (D’Huisseau, Isaac), Lettre de Monsieur d’Huisseau, Ministre de Saumur, à Léonard de Limbourg, cy-devant proposant à Sedan: sur le sujet de sa conversion à la foy catholique. Torcy: Poncelet 1639 (8 Seiten, in-8°). Donneau de Visé, Jean (ed.), Le Mercure Galant. Paris: Barbin 1672–1686. Drelincourt, Laurent, La conversion de Monsieur Iarrige, cy-devant Iesuite, confesseur et Pere Spirituel de la Maison des Iesuites à La Rochelle, Admoniteur du Recteur, & Predicateur Ordinaire. Iouxte la copie imprimée à Saumur; Charenton: Louys Vendosme 1648 (31 Seiten, in-8°). (Du Clos, Jacques Benjamin) Declaration de Me Iacques Beniamin Sieur du Clos, cy-devant Ministre en la ville de Falaise, & chez Madame la Comtesse de Mongommery. Contenant les principales raisons qui l’ont porté à se ranger au giron de l’Eglise catholique, Apostolique & Romaine. Caen: Pierre Poisson 1642 (151 Seiten, in-8°). Dumas, François, Les Confessions du Sr François Dumas, cy-devant Ministre de la Religion Prétendue reformée après sa conversion à la Religion Catholique, Apostolique et Romaine. Lyon: Cayne 1642 (31 Seiten, in-8°). Du Plessis, Armand-Jean, Cardinal Duc de Richelieu, Œuvres théologiques II – Traité qui contient la méthode la plus facile est la plus assurée pour convertir ceux qui se sont séparés de l’Eglise. Texte établi et introduit par Stéphane-Marie Morgain et Françoise Hildesheimer, annotation et annexes par Stéphane-Marie Morgain. Paris: Champion 2005. Fontaine, Jacques, Mémoires d’une Famille Huguenote victime de la révocation de l’édit de Nantes. Présentés par Bernard Cottret et suivis de »Jacques Fontaine ou la providence dans le texte«. Montpellier: Chaleil 1992. Furetière, Antoine, Dictionaire universel contenant generalement tous les mots francois tant vieux que modernes et les Termes de toutes les sciences et des Arts. Den Haag, Rotterdam: Leers 1690. (Ginestet, Antoine), La conversion du Sieur Antoine Ginestet, natif de Lautrec en Albigeois, jadis Confesseur & Prebstre Religieux de l’Ordre du pretendu S. François, suivant sa protestation faicte le 22 Octobre 1600. En l’Eglise de Bragerac. Ensemble celle du Sieur Louy de Caransy, natif de la ville d’Angoulesme, jadis Prebstre comme appert par leurs lettres, in: Anonym, Diverses revocations et abiurations du Papisme, publiquement faittes en divers endroits du Royaume de France par certaines personnes Ecclesiastiques & nommément par Père Abraham, iadis Prieur des Carmes en la ville d’Arles; Père Edmond de Beauval, iadis Iesuite & Docteur en Theologie; Sieur Melchior Roman Espagnol, iadis procureurs de l’ordre des Iacobins à Rome; Maistre Iean Norman, iadis Predicateur ordinaire de Mastas, Sieur Antoine Ginestet, iadis Confesseur & Prestre Franciscain; Leonard Thevenot, ci devant Curé dans la ville de Poitiers; Tout advenu l’an du dernier Iubilé de Rome 1600. Avec deux lettres escrites par deux personnes, l’un Iesuite, l’autre ayant esté & maintenant converti, & faict Minis-

Literaturverzeichnis391 tre de la Parole de Dieu. A quoy est adiousté encores un brief recit De ce qui est advenu dans la ville Papale d’Avignon, en la belle Procession qui y fut tenue le iour du Sacrement dernier. Les six premieres imprimees iouxte les Originelles publiées en France. Les autres selon les Copies des lettres qui en ont esté escrites. Den Haag: Henry 1601 (52 Seiten, in-4°), 38–44. Goyon, Simon de (ministre du S. Evangile en l’Eglise de Bordeaux), La conversion de Saint Paul expliquée en douze sermons. Saumur: ohne Druckervermerk 1654. La Ceppède, Jean de, Les Théorèmes sur le sacré mystère de notre rédemption. Reproduction de l’édition de Toulouse de 1613–1622. Introduction par Jean Rousset. Genf: Droz 1966. L’Angle, Jean Maximilien de, Recit de la conference tenue entre Iean Maximilien de l’Angle, Ministre de la Parole de Dieu en l’Eglise réformée de Rouen et François Véron Iesuite. A la fin de ce narré est adiousté un petit discours au libelle de Capuchin qu’il a fait contre le supplément. Or de ces choses que ie vous escry voicy ie vous declare devant Dieu que je n’en ment point (Gal. 1.20). Quevilly: Velquin s. a. (1619?) (160 Seiten, in-8°). L’Estoile, Pierre de, Journal de L’Estoile pour le règne de Henri IV, vol. I (1589– 1600). Texte intégral présenté et annoté par Louis-Raymond Lefèvre. Paris: Gallimard 61948. (Le Camus, Michel), Déclaration du S r Michel Le Camus, cy-devant appelé père Eusebe de S. Michel, de l’Ordre des Carmes reformez, Predicateur et Prestre en l’Eglise romaine: Contenant les moyens de sa conversion à la Religion reformée, adressée à Messieurs de l’Eglise romaine. Avec les paroles de son abjuration et profession prononcées par luy en l’Eglise reformée de Bloys, sur le poinct de la saincte communion. Charenton: Louys Vandosme 1640 (48 Seiten, in-8°). Le Heurt, Matthieu, L’Heureuse Conversion de deux ministres appellez M. Pierre Cellette cy devant ministre de Bergerac en Perigord et M. Gilles Rigot, ministre de Clerac en Agenois. Lesquelz se sont rendus à la Foy Catholique, Apostolique, Romaine, quietans les Erreurs de la Pretenduë Reformée, ayant vescu es abus d’icelle vingt-deux ans, Avec la Confessions de Foy qu’ils ont faicte et abjuration de l’heresie Calvinienne en l’Eglise de Perigord le XVI de May 1611. Paris: Antoine Vitray 1611 (14 Seiten, in-8°). (Le Masson, Louis), Apologie de Louis Le Masson, docteur en theologie cy-devant prestre et curé en l’Eglise romaine. Contenant les motifs qui l’ont obligé d’embrasser la Communion des Eglises Reformées. La conduite de Dieu sur luy dans le commencement & progrez de sa vocation. Le retardement & la longue resistance qu’il y a apporté. Les combats d’esprit soufferts dans la recherche de la verité, avec le recit de quelques persecutions qui luy sont survenuës. Montauban: Pierre Bertié 1657 (84 Seiten, in-4°). Louis XIV, Mémoires pour l’Intruction du Dauphin. Présentation Pierre Goubert. Paris: Impriméries Nationales 1992. Madame Palatine, Lettres françaises. Éditées, présentées et annotées par Dirk Van der Cruysse. Paris: Fayard 1989.

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Literaturverzeichnis393 (Peyrol, Daniel), Declaration de Daniel Peyrol, docteur en theologie, cy devant Ministre de la pretenduë Reformée en l’Eglise de Montpelier. De ce qui l’a induit à rechercher sa paix, & reconciliation avec l’Eglise Catholique, Apostolique, Romaine avec Diverses lettres du mesme sur ce subject. Le tout imprimé sur les Originaux escrits & signez de la propre main dudict Sieur Peyrol, & verifiez par Acte du Magistrat. Montpellier: Pech 1627 (26 Seiten, in-8°). (Pistorius, Daniel), Confession et Reparation Publique, faite en l’Eglise d’Orange, le 18 Iuin 1623. Par la propre bouche de Daniel Pistorius, natif de Nismes, lequel a esté esgaré de la vraye Religion reformée durant trois ans. Nîmes: Vaguenar 1623 (8 Seiten, in-4°). Poignant, Antoine, Raisons et motifs de la conversion à la Foy Catholique, Apostolique & Romain du Sieur Antoine Poignant. Tiré en divers lieux de la Saincte Escriture par ledit Sieur Poignant, bourgeois de Paris. Paris: Gobert 31648 (142 Seiten, in-32°). Pommiers, P(ierre?) de, Les Veritables Motifs de la Conversion de Monsieur P. de Pommiers Docteur en Theologie de la Religion Prétenduë Reformée, Professeur en l’Academie de Montauban. s. l. s. a. (1660) (8 Seiten, in-8°) (auch Illustration 16 – Foto B. Jakobs, © SHPF, Paris). Richelet, Pierre, Dictionnaire françois contenant les mots et les choses, plusieurs nouvelles remarques sur la langue française. Genf: Widerhold 1680. (Rudavel, Antoine), Declaration des Motifs qui ont porté Antoine Rudavel ministre de la Salle ès Cevennes à l’Abjuration de la Religion prétendue Réformée. Faite par luy solennellement dans l’Eglise de Montpellier. En mains de Monsieur Rebussi, vicaire general de Monseigneur L’Evesque. Le 10 Avril 1627. Paris: Pierre Ramier 1627. Jouxte la copie imprimée à Montpellier: Pech 1627 (30 Seiten, in-8°). Serroy, Jean (ed.), Poètes français de l’âge baroque (1571–1677). Paris: Imprimerie Nationale 1999. (Terride, Marguerite de), La conversion de damoiselle Marguerite de Terride, vefve de feu Monsieur de Belle Assize, cy devant de la Religion Pretendue reformée & maintenant tres-bonne catholique, Avec deux siens fils, & außi deux siennes filles. Paris: Fleury Bourriquant 1605 (12 Seiten, in-8°). Thevenot, Léonard, Lettre escrite aux ministres assemblez en leur synode a Moze. Par le Sieur Thevenot, n’agueres Ministre de la Religion Pretenduë Reformée, & maintenant converty à la foy Catholique par Monseigneur l’Illustrissime & Reverendissime Evesque de Xainctes. Iouxte la Coppie Imprimée à la Rochelle. Paris: Huré 1634 (6 Seiten, in-8°). (Thevenot, Leonard), Declaration faite par Leonard Thevenot, cy devant Curé de la Paroiße de S. Savin, de la ville de Poictiers, faicte publiquement en ladicte Eglise de 26 Novembre 1600, in: Anonym, Diverses revocations et abiurations du Papisme, publiquement faittes en divers endroits du Royaume de France par certaines personnes Ecclesiastiques & nommément par Père Abraham, iadis Prieur des Carmes en la ville d’Arles; Père Edmond de Beauval, iadis Iesuite & Docteur en Theologie; Sieur Melchior Roman Espagnol, iadis procureurs de l’ordre des Iacobins à Rome; Maistre Iean Norman, iadis Predicateur ordinaire

394 Literaturverzeichnis de Mastas, Sieur Antoine Ginestet, iadis Confesseur & Prestre Franciscain; Leonard Thevenot, ci devant Curé dans la ville de Poitiers; Tout advenu l’an du dernier Iubilé de Rome 1600. Avec deux lettres escrites par deux personnes, l’un Iesuite, l’autre ayant esté & maintenant converti, & faict Ministre de la Parole de Dieu. A quoy est adiousté encores un brief recit De ce qui est advenu dans la ville Papale d’Avignon, en la belle Procession qui y fut tenue le iour du Sacrement dernier. Les six premieres imprimees iouxte les Originelles publiées en France. Les autres selon les Copies des lettres qui en ont esté escrites. Den Haag: Henry 1601 (52 Seiten, in-4°), 44–46. (Vidouze, Jacques), Les causes qui ont meu Jacques Vidouze, ministre, de quitter les pretendus Reformez & de se ranger à l’Eglise Romaine. Paris: Jacquin 1608 (15 Seiten, in-8°).

Anonyma Anonym, La grande désolation de la Religion Prétendue Réformée sur la probation et Mort espouvantable du ministre de la ville de Nismes. Ayant eu le col tors dedans la chaize par un grand esclat de tonnere eslevé en l’air et rendu invisi­ble au grand estonnement des auditeurs: En leur preschant le contraire de la vraye Foy Catholique Apostolique et Romaine. A Nismes, le 6 aoust 1634. Paris: Jean Brunet 1634 (7 Seiten, in-8°). Anonym, La Conversion de Henri Vignier, fils de Nicolas Vignier, Ministre à Blois, cy-devant Conseiller du Roy, bailli de Baugency, & maintenant Chartreux à Paris. Ensemble deux lettres envoyées par le dit Nicolas Vignier, père du dit Henry Vignier, Misitre à Blois, contre sa conversion. Avec la reponse du Fils au Pere, sur le mesme subject. Paris: Chez la Veufve Saugrin, à la petite porte du Palais en allant sur le quay 1629 (22 Seiten, in-8°). Anonym, L’heureuse conversion de noble Homme Benoist Berault, Escuyer sieur de Fraisne, premier Pair de la Rochelle, & premier Tresorier des deniers de ladite ville. De Iacques Blamont, Escuyer sieur de la Faye, fils de Ieremie de la Faye, Ministre. De Maistre Paul Groüard, Iuge de la Prevosté de Loudun. De Maistre Paul Aubry, Advocat à Loudun & conseil de Madame de Fronteneaux, & de plusieurs autres, qui en ces derniers mois ont abiuré l’heresie, & protesté de la Religion Catholique Apostolique & Romaine. Instruits & absoults par le R. Père Athanase Molé, Capucin, Predicateur Apostolique, & Gardien du Convent des Capucins de l’Hospice, aux Marets du Temple. Paris: Pierre Ramier 1623 (16 Seiten, in-8°). (Anonym), La conversion de Monseigneur Le Duc Lesdiguieres à la Religion Catholique, Apostolique & Romaine. Ensemble: Le brevet de l’Estat de Connetable de France à luy envoyé par sa Majesté le septiesme Iulliet, 1622. Paris: Rocollet au Palais 1622 (8 Seiten, in-8°) (auch Illustration 15 – Foto B. Jakobs, © SHPF, Paris). Anonym, L’Heureuse Conversion de tous les pretendues Religionnaires de la ville de Foix. Avec les Noms & Qualitez desdicts Religionnaires, qui sont en nombre de Cent vingt-deux. Ensemble la fuitte honteuse du Ministre, & de la demolition

Literaturverzeichnis395 & rasement du Temple des Huguenots d’icelle. Par le Père Villate de la grand’Observance de Bordeaux. Bordeaux: Millanges 1622 (7 Seiten, in-8°). Anonym, Ample et fidelle narré de l’heureuse conversion de Pierre Marcha, Sieur de Pras, Ministre de la Religion prétendué reformée, és pays de Languedoc. Faites en l’Eglise de S. Ouën, le iour de Noël dernier, en la presence de sa MAIESTÉ Tres-chrestienne, de Messieurs les Princes de toute la Cour, & les Grands de son royaume. DEDIÉ au ROY. Paris: Fouët 1618 (23 Seiten, in-8°). Anonym, »Au Lecteur Chrestien«, in: Anonym, Diverses revocations et abiurations du Papisme, publiquement faittes en divers endroits du Royaume de France par certaines personnes Ecclesiastiques & nommément par Père Abraham, iadis Prieur des Carmes en la ville d’Arles; Père Edmond de Beauval, iadis Iesuite & Docteur en Theologie; Sieur Melchior Roman Espagnol, iadis procureurs de l’ordre des Iacobins à Rome; Maistre Iean Norman, iadis Predicateur ordinaire de Mastas, Sieur Antoine Ginestet, iadis Confesseur & Prestre Franciscain; Leonard Thevenot, ci devant Curé dans la ville de Poitiers; Tout advenu l’an du dernier Iubilé de Rome 1600. Avec deux lettres escrites par deux personnes, l’un Iesuite, l’autre ayant esté & maintenant converti, & faict Ministre de la Parole de Dieu. A quoy est adiousté encores un brief recit De ce qui est advenu dans la ville Papale d’Avignon, en la belle Procession qui y fut tenue le iour du Sacrement dernier. Les six premieres imprimees iouxte les Originelles publiées en France. Les autres selon les Copies des lettres qui en ont esté escrites. Den Haag: Henry 1601 (52 Seiten, in-4°), 3–5.

Bibelausgaben und liturgische Bücher (chronologisch) Die Heilige Schrift. Einheitsübersetzung. Stuttgart: Katholisches Bibelwerk / Deutsche Bibelgesellschaft 41986 (Referenzausgabe). Novum testamentum Graece et Latine. Testum Graecum post Eberhard Nestle et Erwin Nestle communiter ediderunt Kurt Aland e. a. Textus Latinus Novae Vulgatae Bibliorum Sacrorum Editioni debetur. Utriusque textus apparatum criticum recensuerunt et editionem novis curis elaboraverunt Kurt et Barbara Aland. Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft 261984. Missale Romanum. Ex decreto sacrosancti Concilii Tridentini Restituum Pii V pont. Max. iussu editum et Clementis VIII auctoritate recognitum. Cum missis novis de Sanctis a Paulo V, Gregorio XV SDN Urbano VIII ordinatus. Antwerpen: Baltasar Moreti 1631. Biblia Sacra vulgatae editionis Sixti V Pont. Max. iussu recognita et clementis VIII auctoritate edita. Editio emendatissima apparatu critico instructa cura et studio Monachorum Abbatiae Pontificiae Sancti Hieronymi in Urbe Ordinis Sancti Benedicti. Turin: Marietti 1959. La Bible Française de Calvin. Texte tiré de l’édition de la bible de 1546 avec les variantes des éditions de 1548, 1554, 1555, 1559, 1562 et 1563, in: (Calvin, Jean), Iohannis Calvini Opera quae supersunt omnia (= vols. XXX–LXXXIX

396 Literaturverzeichnis des Corpus Reformatorum). Edidit Wilhelm Baum, Eduard Cunitz, Eduard Reuss, vols. LVI / LVI / LXXXIV / LXXXV. Braunschweig: Schwetschke & Sohn 1896s. Saincte Bible nouvellement translatée de latin en françois, selon l’édition latine, dernièrement imprimée à Louvain, reveue, corrigée & approuvée par gens sçavants, à ce députez: à chascun chapitre sont adjouxtez les sommaires, contenants la matière du dict chapitre, les concordances, & aucunes apostilles aux marges. Louvain: De Grave, Bergagne, Uvaen 1550. Missale ad usum sacrosanctae romanae Ecclesiae: recens diligenti studio recognitum. Lyon: ohne Druckervermerk 1544. Calvinus, Iohannis, La forme des prières ecclésiastiques (1542), in: idem: Œuvres. Edition établie par Francis Higman / Bernard Roussel. Paris: Gallimard 2009, 269–306. Novum Testamentum Domini Nostri Iesu Christi Latine secundum Editionem sancti Hieronymi. Ad codice manuscriptorum fidem recensuit Iohannis Wordworth in operis societatem Henrico Iuliano White. Pars Prior Quattuor evangelia. Oxford: Clarendon 1889–1898. Biblia sacra iuxta Latinam vulgatam versionem ad codicum fidem ex interpretatione sancti Hieronimi. Rom: Libreria editrice Vaticana 1987.

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Anhang I Liste der Bibelstellen Die Tabelle umfasst alle Bibelpassagen, in denen conversio thematisiert wird, sei es in Form eines Aufrufs zur Umkehr, sei es in Form von Beispielen für gelungene oder ausgebliebene conversio. Wie die Aufstellung zeigt, ist das Konzept – trotz dessen grundsätzlich konstatierter Omnipräsenz – in den einzelnen Teilen der Heiligen Schrift mehr oder weniger stark vertreten. Um dies zu veranschaulichen, wurden in der linken Spalte alle biblischen Bücher aufgeführt. Die (teilweise gekürzten) Kapitelüberschriften sind diejenigen der Einheitsübersetzung, sie werden im Folgenden nicht als Zitate ausgewiesen. Auf die Angabe von Parallelstellen in den Evangelien sowie auf den Verweis auf einzelne Psalmverse wurde verzichtet. Altes Testament Gen

3, 19–23 (Fall des Menschen und Barmherzigkeit Gottes); 28, 12–22 (Jakobs Flucht nach Haran (Die Himmelstreppe))

Ex Lev

26, 39–45 (Umkehr und Vergebung)

Num Dtn

4, 29–31 (Ermahnung und Ausblick); 30, 1–3, 8 (Heimkehrverheißung)

Jos Ri

10, 15 / 16 (Erneute Unterdrückung der Israeliten)

Rut 1. Sam

7, 3 / 4 (Samuel als Richter)

2. Sam

12, 13 (Gottes Strafe für David); 24, 10–17 (Davids Volkszählung)

1. Kön

8, 33–51 (Weihegebet); 9, 6–9 (Verheißung für den Tempel); 13, 33 (Ungehorsamer Gottesmann)

2. Kön

17, 13 / 14 (Eroberung Samarias); 23, 21–25 (Beseitigung von Mißständen)

1. Chr



Liste der Bibelstellen421

2. Chr

7, 14 (Göttliche Verheißung für den Tempel); 15, 4 (Bundeserneuerung unter Asa); 29, 6 (Wiederherstellung des Kultes); 30, 6–9 (Feier des Paschafestes); 33, 12 / 13 (Manasse); 36, 11–13 (Zidkija)

Esr

6, 21 (Vollendung des Baus und Tempelweihe); 9, 1–10, 1 (Esras Bußgebet)

Neh

1, 5–9 (Gebet Nehemias); 9, 26, 32–37 (Bußgebet)

Tob

13, 1–9 (Tobits Lobgesang)

Jud Est 1. Mak 2. Mak

3, 31–40 (Bekehrung des Tempelräubers)

Hi

22, 23–25 (Mahnung zu Umkehr und Demut); 36, 10 (Über die Vergeltung Gottes); 42, 1–6 (Ijobs Umkehr und Unterwerfung)

Ps

4; 6; 7; 22; 32; 34; 38; 39; 40; 41; 50; 51; 69; 78; 82; 85; 94; 95; 102; 106; 119; 130

Spr

1, 22 / 23 (Mahnung Gottes); 28, 13 (Barmherzigkeit)

Koh Hld Wei

11, 23; 12, 10, 19 (Gottes Art zu strafen)

Sir

5, 7 (Über rechtes Verhalten gegen den Besitz); 8, 5 (Von Takt und Klugheit); 17, 24–29 (Von Reue und Umkehr); 18, 21 (Verhalten der Weisen); 48, 12–15 (Wundermacht Elischas)

Jes

1, 16 / 17, 27 (Vom falschen und vom wahren Gottesdienst, Gericht über Jerusalem); 6, 10 (Berufung des Propheten); 19, 22 (Ankündigung des Gerichts über Ägypten); 30, 15 (Bestrafung des trotzigen Volkes); 31, 6 (Jahwes Kampf für seine Getreuen); 44, 22 (Erlösung Israels); 45, 22 (Huldigung der Heidenvölker); Jes. 55, 6–13 (Mahnung zur Umkehr und zum Vertrauen auf Gottes Wort); Jes. 59, 20 (Hindernisse für das kommende Heil)

Jer

3, 14, 19–22–4, 1–4 (Bessere Zukunft, Umkehr durch Buße); 5, 3 (Schwere Schuld); 7, 1–15 (Tempelrede); 8, 5 / 6 (Abkehr und Strafe); 15, 7, 19–21 (Klage des Propheten); 18, 7 / 8, 11 / 12 (Gleichnis vom Töpfer); 23, 14 (Gegen falsche Propheten); 24, 1–10 (Die beiden Feigenkörbe); 25, 1–14 (Vom drohenden Exil); 26, 2–12 (Tempelrede); 31, 18 / 19; 35, 15–17 (Vorbild der Rechabiter); 36, 3 (Verbrennung der Buchrolle); 44, 5 / 6 (Warnung vor Götzendienst); 50, 4 / 5 (Ende des Exils)

Klgl

3, 40 (Drittes Lied); 5, 21 (Fünftes Lied)

Ez

3, 18–21 (Ezechiel als Wächter Israels); 14, 4–7 (Gegen die Götzendiener); 18, 21–32 (Von Schuld und Gerechtigkeit); 33, 9–12, 14–18, 31–33 (Freiheit zur Umkehr; unaufrichtige Zuhörer)

422

Anhang I

Dan

3, 91–97 (Die Rettung der drei Freunde im Feuerofen); 4, 1–34 (Nebukadnezars Traum vom stolzen Baum); 9, 5–19 (Weissagung von den siebzig Jahrwochen, Daniels Schuldbekenntnis)

Hos

3, 5 (Wiederaufnahme der treulosen Frau); 5, 4 (Abrechnung mit Führern und Volk); 6, 1–6 (Bußgebet und Antwort Gottes); 7, 10 (Verfehlte Politik); 11, 5 (Gottes große Liebe); 14, 2–9 (Umkehr als Bedingung für Rettung)

Joël

2, 12–17 (Aufruf zur Buße)

Am

4, 6–11 (Umkehr – nicht äußerlicher Kult)

Obad Jona

2, 1–11 (Die Rettung des Propheten); 3, 1–10 (Jona in Ninive)

Mich Nah Hab Zef Hag Sach

1, 1–6 (Aufruf zur Umkehr)

Mal

3, 7 (Gottes Erscheinen zum Gericht)

Neues Testament Mt

3, 1–10 (Johannes der Täufer); 4, 12–17 (Erstes Auftreten Jesu in Galiläa); 8, 5–13 (Hauptmann von Kafarnaum); 9, 9–13 (Berufung des Matthäus); 11, 20–24 (Gericht über die galiläischen Städte); 13, 13–15, 44–46 (Sinn und Zweck der Gleichnisse, vom Schatz und von der Perle); 18, 3 (Rangstreit unter den Jüngern); 21, 28–32 (Von den ungleichen Söhnen); 25, 1–13 (Von den zehn Jungfrauen), 27, 3 (Ende / Reue des Judas)

Mk

1, 15 (Erstes Auftreten in Galiläa); 4, 12 (Sinn und Zweck der Gleichnisse)

Lk

1, 16 (Verheißung der Geburt des Täufers); 5, 27–32 (Berufung des Levi); 7, 36–50 (Die Begegnung Jesu mit der Sünderin); 11, 32 (Verweigerung eines Zeichens); 13, 5–9, 44–46 (Vom Feigenbaum); 14, 15–35 (Vom Festmahl, vom Ernst der Nachfolge); 15, 3–7, 8–10, 11–32 (Gleichnisse vom verlorenen Schaf, der verlorenenen Drachme, dem verlorenen Sohn); 16, 30 (Beispiel vom reichen Mann und vom armen Lazarus); 17, 15–19 (Dankbarer Samariter); 18, 10–13 (Beispiel vom Pharisäer und vom Zöllner); 19, 1–10 (Zachäus); 22, 3, 61 / 62 (Die Ankündigung der Verleugnung und der Umkehr des Petrus, Verleugnung); 23, 39–43, 44–47 (Der Tod Jesu: die Räuber und der Hauptmann am Kreuz (Longin)); 24, 46–49 (Die Erscheinung des Auferstandenen in Jerusalem)



Liste der Bibelstellen423

Joh

3, 1–21 (Das Gespräch mit Nikodemus); 4, 7–42 (Das Gespräch am Jakobsbrunnen); 5, 5–14 (Heilung eines Gelähmten am Sabbat); 8, 1–11 (Jesus und die Ehebrecherin); 9, 1–34 (Die Heilung eines Blinden und das Eingreifen der Pharisäer); 12, 40–44 (Jesu Urteil über den Unglauben der Juden; Aufforderung zur Entscheidung zwischen Glauben und Unglauben)

Apg

2, 38 (Erste Bekehrungen); 3, 19 (Rede des Petrus auf dem Tempelplatz); 4, 2–4 (Petrus und Johannes vor dem Hohen Rat); 5, 29–31 (Apostel vor dem Hohen Rat); 8, 12, (18)-40 (Simon Magus; Taufe des Äthiopiers); 9, 4–22, 35 (Bekehrung des Paulus, Petrus in Lydda und Joppe); 10, 44–49 (Taufe des Kornelius); 11, 18–21 (Entstehung einer christlichen Gemeinde in Antiochien); 13, 24; 14, 1, 14–18 (Erinnerung an Johannes den Täufer; In Ikonien, Lystra und Derbe); 15, 3, 19 (Apos­ telkonzil); 16, 13–15, 19–34 (Wirken des Paulus in Philippi, Bekehrung der Lydia und des Kerkermeisters); 17, 2, 30–34 (Paulus in Thessalonich und Beröa); 19, 4, 17 / 18 (Erinnerung an Johannes den Täufer; Wundertaten des Paulus in Ephesus); 17, 30 (Paulus in Athen); 20, 21 (Abschiedsrede des Paulus); 26, 13–20 (Paulus vor dem Statthalter Festus und König Agrippa)

Röm

2, 4 / 5 (Der Mensch vor Gottes Gericht)

1. Kor 2. Kor

7, 8–10 (Die Sendung des Titus); 12, 21 (Befürchtungen und Besorg­ nisse)

Gal

4, 9 (Warnung vor Rückfall)

Eph Phil Kol 1. Thes

1, 9 (Thessalonicher – Vorbild für die Heidenchristen)

2. Thes 1. Tim 2. Tim

2, 14–16, 25 (Das rechte Verhalten gegenüber den Irrlehrern)

Tit Phlm Hebr

6, 1–8 (schwache Gemeinde); 10, 26 (Warnung vor dem Abfall)

Jak

4, 6–10 (Warnung vor Zwietracht und Weltsinn); 5, 19 / 20 (Verantwortung für den gefährdeten Bruder)

1. Petr

2, 25 (Nachfolge Christi)

2. Petr

3, 9 (Verzögerung der Ankunft)

1. Joh

424

Anhang I

2. Joh 3. Joh Jud Offb

2, 4 (Huldigung vor dem Thron Gottes); 2, 5 (An die Gemeinde in Ephesus); 2, 16 (An die Gemeinde in Pergamon); 2, 21 / 22 (An die Gemeinde in Thyatira); 3, 3 (An die Gemeinde in Sardes); 3, 19 (An die Gemeinde in Laodizea); 9, 20 (Sechste Posaune); 16, 9 (Sieben Engel mit den Schalen des Zorns)

Anhang II Abbildungen

Illustration 1 Caravaggio, Bekehrung Pauli, (Rom, Santa Maria del Popolo, um 1600).

426

Anhang II

Illustration 2: Gérard de Lairesse, La Conversion de St. Augustin (Caen, Musée des Beaux Arts, um 1660).

Illustration 3: Anonym, La fontaine de la miséricorde (Dissay, Schloss, Malerei der Westwand, um 1500).

Abbildungen427

428

Anhang II

Illustration 4 May-Britt Wadell, Plan der nordöstlichen Turmkapelle im Schloss von Dissay mit Wandmalereien (1:130).

Illustration 5 Anonym, Adam (Dissay, Schloss, Malerei der Nordwand, um 1500).

Abbildungen429

Illustration 6 Anonym, Le roi David (Dissay, Schloss, Malerei der Südwand, um 1500).

430 Anhang II

Abbildungen431

Illustration 7 Anonym, Le roi Manasses (Dissay, Schloss, Malerei der nordöstlichen Schrägwand, um 1500).

432

Anhang II

Illustration 8 Anonym, Le roi Nabuconodonosor (Dissay, Schloss, Malerei der südöstlichen Schrägwand, um 1500).

Abbildungen433

Illustration 9 Otto van Veen, Christus mit den reuigen Sündern, (Mainz, Landesmuseum, 1605 / 1607).

434

Anhang II

Illustration 10 Peter Paul Rubens, Christus und die reuigen Sünder (München, Alte Pinakothek, um 1610)

Abbildungen435

Illustration 11 Cesare Ripa, Heresia Iconologia (1593ss).

436

Anhang II

Illustration 12 Titelblatt eines écrit de controverse Foto B. Jakobs (© SHPF, Paris).

Abbildungen437

Illustration 13 Titelblatt eines écrit de controverse Foto B. Jakobs (© SHPF, Paris).

438

Anhang II

Illustration 14 Titelblatt eines écrit de conversion Foto B. Jakobs (© SHPF, Paris)

Abbildungen439

Illustration 15 Titelblatt eines écrit de conversion Foto B. Jakobs (© SHPF, Paris)

440

Anhang II

Illustration 16 Letzte Seite der Konversionsschrift von P. de Pommiers Foto B. Jakobs (© SHPF, Paris)

Abbildungen441

Abbildungsverzeichnis Anonym, Refutation du faux discours de la conférence entre le Reverend Père Gonthery de la Compagnie de Jesus & le Sieur du Moulin, Ministre de la Religion prétendue reformée. Paris: Chapelet 1609, Foto B. Jakobs, © SHPF, Paris (Illustration 12). Anonym, La Fontaine de la Miséricorde (Dissay, Schloss, Malerei der Westwand, um 1500), Foto B. Jakobs, Dissay / Frankreich (Illustration 3). Anonym, Adam (Dissay, Schloss, Malerei der Nordwand, um 1500), Foto B. Jakobs, Dissay / Frankreich (Illustration 5). Anonym, Le roi David (Dissay, Schloss, Malerei der Südwand, um 1500), Foto B. Jakobs, Dissay / Frankreich (Illustration 6). Anonym, Le roi Manasses (Dissay, Schloss, Malerei der nordöstlichen Schrägwand, um 1500), Foto B. Jakobs, Dissay / Frankreich (Illustration 7). Anonym, Le roi Nabuconodonosor (Dissay, Schloss, Malerei der südöstlichen Schrägwand, um 1500), Foto B. Jakobs, Dissay / Frankreich (Illustration 8). Caravaggio, i. e. Merisi Michelangelo da, Bekehrung Pauli (Rom, Santa Maria del Popolo, um 1600), in: Poeschel, Sabine, Handbuch der Ikonographie: sakrale und profane Themen der bildenden Kunst. Darmstadt: Primus 32009, Artikel: Paulus (Illustration 1). Du Puy G(uillaume), L’Impudence de l’Heresie au dernier advertissement de Sr du Plessis sur l’escrit n’aguères publiés par le Sieur Evesque d’Evreux. Bordeaux: Budier & Breil 1602, Foto B. Jakobs, © SHPF, Paris (Illustration 13). Lairesse, Gérard de, Conversion de Saint Augustin (Caen, Musée des Beaux Arts, um 1660), in: Sigrun Paas / Sabine Mertens (ed.), Beutekunst unter Napoleon. Die ›französische Schenkung‹ an Mainz 1803. Mainz am Rhein: von Zabern 2003, 287 (Illustration 2). Ripa, Cesare, Iconologia, overo descrittione di diverse imagini cavate dell’antichità, e di propria invenzione. With an introduction by Erna Mandowsky. Hildesheim / New York: Olms 1970, 217 (Illustration 11). Rubens, Peter Paul, Christus und die reuigen Sünder (München, Alte Pinakothek, um 1610), in: Simson, Otto von, Peter Paul Rubens (1577–1640). Maler, Humanist und Diplomat. Mainz: von Zabern 1996, Bildtafel XXIV (Illustration 10). Veen, Otto van, Christus mit den reuigen Sündern (Mainz, Landesmuseum, 1605 /  1607), in: Sigrun Paas / Sabine Mertens (ed.), Beutekunst unter Napoleon. Die ›französische Schenkung‹ an Mainz 1803. Mainz am Rhein: von Zabern 2003, 278 (Illustration 9). Wadell, Maj-Britt, Plan der nordöstlichen Turmkapelle (1:130), in: Wadell, Maj-Britt, Fons pietatis. Eine ikonographische Studie. Göteborg: Elanders Boktryckeri 1969, Abb. 56 (Illustration 4). Die Angaben zu den ill. 14-16 finden sich bei den entsprechenden Werken im Korpus.

Anhang III Vollständige Abschrift zweier écrits de conversion Bei den folgenden Dokumenten handelt es sich um wortgetreue Abschriften zweier écrits de conversion, die vor allem dazu dienen sollen, dem Leser den Gesamteindruck einer solchen Schrift zu geben, der durch das im Kontext der Studie nötige auszugsweise Zitieren nicht vermittelt werden kann. Darüber hinaus beinhalten die zwei hier exemplarisch ausgewählten Texte jeweils eine Vielzahl der in der Arbeit angesprochenen Phänomene, illustrieren aber auch, wie wenig sich konfessionelle Unterschiede bei der Auswahl der Ausdrucksmittel bemerkbar machen. Absätze und Hervorhebungen wurden beibehalten, der Seitenumbruch wird durch die Angabe der Seitenzahl in Klammern angezeigt. Wie auch in den Zitaten der Studie wurden alle druckbedingten Abkürzungen aufgelöst, u / v unterschieden. Die vollständigen bibliographischen Angaben bietet das Literaturverzeichnis. Confession et Reparation Publique, faite en l’Eglise d’Orange, le Dimanche 18. Iuing 1623 par Daniel Pistorius, natif de la ville de Nismes. MESSIEURS, Comme Dieu en la creation du monde tira par sa puissance la lumiere des tenebres ainsi auiourd’huy en ma conversion & repentance, Dieu change par sa grace mes tenebres en lumiere. La licence de ma ieunesse, l’amour du siecle & un mauvais chagrin m’avoyent fait sortir de devant l’Eternel pour trouver des logemens au monde, le bon Dieu qui avoit esté invoqué sur moy au S. Baptesme, le soin de mes parens pour mon education, l’exemple de mes Ancestres qui ont servi au Sanctuaire & la cognoissance que Dieu m’avoit donnée de la verité m’avoyent peu empescher l’effet d’une affection si desreiglée. I’ay suivi la Cour pendant les trois (p. 4) annees de mon esgarement, i’ay veu les plus celebres compagnies du Clergé de France, habité dans les palais de ses Prelats, visité les ordres les plus austeres, & finalement recerché les plus exquises devotions de la Papauté, me suis arresté durant trois mois à Tholoze dans la maison des Peres de l’Oratoire, qui sont comme l’elixe & le choix de tous les autres Religieux. Mais au lieu de verité, i’ay trouvé mensonge, au lieu de devotion, hypocrisie, au lieu d’humilité, arrogance, au lieu de paix, contention, au lieu de saincteté, souillure, au lieu de pieté, profanation  : l’Evangile y est une chose estrange & incogneu, les legendes fabuleuses, l’entretien ordinaire, la confession auriculaire un argument de raillerie, une prudence d’estat pour sonder le secret des familles, un artifice d’erreur



Vollständige Abschrift zweier écrits de conversion443

pour desbaucher les consciences & les attacher par liens d’impureté à la ceinture des moines, l’adoration un crime, car on n’adore que des images, la priere une abomina(p. 5) tion, car on y prie avec opinion de grand merite, à l’esgarée & sans y penser. Ceste secte establie despuis 13 ans, est issue de celle des Iesuites, qui soubs ce noms desguisés insinuent és lieux d’où leurs actes mauvais les ont chassez, c’est un ruisseau qui coule sans bruit sous terre, pour se rendre à sa source avec impetuosité, lors qu’il sera enflé des richesses du monde. Entrant en ceste societé, ie croyois sortir du monde, & là ie l’ay rencontré, accoustré de sa plus superbe parure, i’ay cerché lumiere, mais il n’y a que tenebres, ie m’y suis enquis de la pieté, mais au dedans ie n’en ay pas mesme veu l’apparence. I’ay pris garde à la conversation de ceux qui sont tombés devant moy, mais i’aperceu que leur changement ne les a pas rendus meilleurs, dans l’Eglise ils estoyent hypocrites, & dans la Papauté ils sont devenus Athées, publient leurs pechez comme Sodome, se glorifient de leur impiété, & semblent vouloir triompher (p. 6) en detenant sa verité en iniustice. La vie de ces desvoyez, qui sert d’achoppement à plusieurs, a servi pour me relever de ma cheute & leur mort tragique dont les exemples sont marquez en tous lieux, a fait que i’ay apprehendé, enfin, i’ay demandé à Dieu d’estre remis au chemin de vie pour trouver paix & consolation en la mort. Ainsi frappé d’une saincte frayeur, ie me suis relevé hastivement, i’ay reprins ma lampe que i’avois iettée au loin, Dieu y a mis le feu de son esprit, versé l’huile de sa grace, & l’a rallumée par le souffle de sa bouche, lors i’ay cerché mon Dieu, & il m’a respondu, & me suis retourné au Sainct d’Israel que i’avois laissé. La necessité ne m’a point contraint à ce retour, i’ay eu des biens en l’Eglise Romaine autant que ma condition le pouvoit requerir, point de travail, ains [unlesbar] lasche & sans sollicitude, les plus grands se sont employez pour mon advancement, & les moyens m’en ont [unlesbar] & offerts despuis peu (p. 7) en Avignon par l’Evesque d’Orange dans la maison du feu sieur de la Nerte. Mais i’ay choisi plustost d’estre affligé avec le peuple de Dieu, que de iouyr pour un temps des delices de peché, & i’ay estimé plus grandes richesses l’opprobre du Christ, que les thresors qui estoyent en Egypte. I’ay d’un costé regardé à la remuneration, & d’autre part i’ay apprehendé le iugement de Dieu contre ceux qui ayans esté une fois illuminez, ayans gousté le don celeste, & les puissances du siecle à venir, foulent aux pieds le Fils de Dieu, tiennent pour chose profane le sang de l’alliance par lequel ils avoyent esté sanctifiés, & oustragent l’Esprit de grace, car pour ceux qui pechent volontairement apres avoir reçeu la cognoisssance de verité, il ne reste plus de sacrifice pour les pechez, mais une attente terrible de iugement & une ferveur de feu qui doit devorer les adversaires. Loué soit Dieu qui me veut tirer de ce ieu par les ferveur de son Esprit, & qui me fait la grace de voir (p. 8) apres mon aveuglement ce iour de consolation pour le servir en crainte à l’advenir durant tout le cours de ma vie. Ce Dieu de misericorde & de grande compassion qui cognoit mes pensées & entend les gemissemens

444

Anhang III

de mon cœur froissé, veuille avoir pitié (de) moy pauvre pecheur, & effacer ma transgression de laquelle ie luy demande pardon avec humilité, protestant sainctement devant sa face & les Anges de sa gloire, au conspect de ceste saincte assemblee, que ie renonce au Pape, à sa Messe, à toutes ses superstitieuses inventions & idolatries, pour vivre & mourir en la profession de la Religion Reformée, souscris à la confession de foy des Eglises de France & à leur discipline, promets de m’employer à toute bonne œuvre, confirmer ceux qui sont esbranlez, ramener les desvoyez, edifier mes prochains par bon exemple, & glorifier durant toute ma vie le Dieu de mon salut. Amen. FIN L’heureuse conversion de noble Homme BENOIST BERAULT, Escuyer sieur de Fraisne, premier Pair de la Rochelle, & premier Tresorier des deniers de ladite ville. Il est bien veritable qu’encore que le nombre des ames abandonnées de Dieu soit grand & supernumeraire au prix du nombre mediocre des esleuz, & des ames choisies, secret de la divine sagesse qui fut iadis revelée à Abraham, grand Père des croyans par la similitude de sa semence à la proportion du nombre des Estoilles du Ciel, & de la mesure excessive du sable de la mer; & toutesfois bien que les Royaumes & Republiques du monde se voyent aujourd’huy peuplées d’une infinité d’ames perdues en apparence, & que peu soient estimées capables de la gloire, si est ce que dans les excrements de la terre se trouvent le diamant, & l’esmeraude de la valeur, dans le marc & les mines plus cachees, le prix & l’excellence de l’or & de l’argent, entre les espines & les ronces, les lys & les roses odoriferantes, entre l’iuroye & la zizanie le bon grain, entre les escousses & la paille le pur froment capable d’estre porté ès greniers eternels  : ainsi par quantité de ressorts incognus à l’homme, Dieu permet quelque temps que l’agneau pacifique demeure en mesme pasquis à la fuitte des boucs, & n’y a Province sur terre, ny ville en ce monde, ny peut estre famille & commuauté, où Dieu n’aye marqué quelque ame pour sa gloire, laquelle toutesfois il laisse & permet vivre ça bas entre les reprouvez, nous rendant incognue la conduite divine de ses hautes pensées, & inscrutables desseins. Aussi la sagesse du monde, contraire à la sagesse du Ciel, assit quelques fois son iugement trompeux sur les actions exterieures d’aucunes ames, (p. 3) que l’on void licentieusement courir au desordre du vice & du peché  : toutesfois celles là que le monde condamne, sont quelquefois reservées & attenduës de Dieu pour l’esclat de sa gloire, par la Conversion soudaine, & miraculeuse d’icelles. A voir la vie lubrique & dissoluë de la Magdelaine, publique pecheresse de Hierusalem, se trouver hardiment aux bals & compagnies luxurieuses de la Cour, servir de fable & de risée aux courtisans d’Herodes, estre l’obiect & suiect de la desbauche de tant de ieune Noblesse, consommer ses moyens aux attisets & artifices d’amour, aux fards, aux poudres, aux onguents & parfums, mettre ses parens en opprobre, descriée, diffamées, bref recognue pour une libertine publique, qui n’aymoit que les plaisirs, & les desbauches du monde, qui eust veu une telle ame volage, n’eust il pas iugé à la mode du monde que cette creature s’acheminoit au grand pas a sa ruine, & que Dieu l’avoit abandonnée; & cependant le fils de Dieu pour faire admi-



Vollständige Abschrift zweier écrits de conversion445

rer sa sagesse adorable, & reluire sa gloire à la confusion des mondains, luy iette seulement une œülade en prechant, & la voila aussi tost à ses pieds, plorant & gemissant, sans se partir de là, qu’il ne l’aye asseurée de son amour par les gages qu’il luy donne de sa beatitude en sa Conversion admirable, & pour la penitence insigne, à laquelle il la sceut attirer. Qui eust vue une Samaritaine absorbée dans les vices, & une abandonnée comme une infame paillarde, une reuesche, une insensible en son mal & à tout bon conseil, une voluptueuse, qui n’avoit (p. 4) moindre pensée que de changer de vie, & toutesfois pour le voyage d’une demie heure qu’elle employe à venir prendre de l’eau au puits surnommé de Iacob, quatre paroles du Fils de Dieu la iettent en resolution de quitter toute espece d’amour, pour n’embrasser à iamais que l’unique & seul amour du Ciel. Une Cananée, payenne & infidelle, n’estoit pas digne d’estre admise à la Table eternelle du Ciel, cela n’estoit reservé qu’aux enfans d’Israel, qui avoient la vraye foy, selon le iugement du monde, & cependant le Sauveur pour la gloire de Dieu, & faire voir les desseins incognus de sa divine sagesse, prend de la possession corporelle de sa fille, travaillée de Satan, occasion d’attirer cette femme, & de convertir cette ame mescroyante. Un S. Matthieu, banquier, attaché à l’usure, hantant les changes, les banquiers, & usuriers du monde, parmy lesquels peu d’ames sont sauvées, l’usure estant la ruine du salut, n’estoit il pas, selon l’advis du monde, en tres mauvais estat : veu que ces traffics illicites, où le dol & la tromperie se ioignent à la ruine des pauvres, sont autant d’obstacles à la perfection Chrestienne, & toutesfois Iesus-Christ le void en cette banque, le tire de là, en fait un Apostre, & son Evangeliste. Qui n’eust dit du Larron, complice de sedition, accoustumé aux crimes, & iustement envoyé au supplice de la croix pour tant de malefices commis, que veritablement cet homme qui alloit mourir avec l’opprobe & malediction du monde, estoit moins digne de salut, que plusieurs ames qui ne vivoient de la sorte; & neantmoins au seul vœu qu’il fait à Iesus-Christ en la Croix, c’est le pre- (p. 5) mier des iustes qui participe aux fruicts de la redemption, & qui reçoit la promesse du Paradis de la bouche mesme de Dieu. Qui eust vue un S. Paul, persecuteur de l’Eglise de Dieu, valet de chambre des bourreaux & tyrans qui lapidoient S. Estienne, courant comme un cruel à la persecution des Chrestiens, desquels il estoit ennemy, qui n’eust dit que iamais Dieu n’auroit pitié de cette ame, & que plustost il vengeroit en luy le sang espanché de ses Saincts, & neantmoins en courant à la poursuitte des fidelles, une vision divine le renverse par terre, l’arreste court, entend que Dieu luy parle, & le voila converty, avec ce tesmoignage divin, que c’estoit un vaisseau d’election & plaisir, que Dieu reservoit pour sa gloire. Qui eust cogneu Nabugodonosor, grand ennemy du peuple de Dieu, qui punissoit par flammes & par glaives ceux qui ne vouloient adorer son Idole, grand persecuteur des Iuifs, & profanateur miserable des sacrez vaisseaux qu’il avoit vollez dans le Temple de Dieu au sac de Hierusalem, eust on iamais creu qu’un si cruel tyran d’eust estre sauvé, & neantmoins Dieu qui veut tirer sa gloire de la Conversion de ce Roy, se sert d’inventions admirables pour le ietter en la cognoissance de foy mesme, le rend miserable parmy ses subiects, le metamorphose en beste, muglant,

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Anhang III

heurlant, paissant l’herbe & le foing, comme un bœuf, au bout de quoy ce Prince se souvint de Dieu, luy demande pardon, & est auiourd’huy un Sainct en Paradis. Dieu ne’st pas plus eschart ny liberal de ses graces envers les uns que les autres, il envoye ses lu- (p. 6) mieres à tous, & d’une volonté antecedente, il veut & procure que toute ame se sauve, & n’y en a aucune si miserable qui ne le puisse estre, cela ne depend avec cette grace que de la volonté que Dieu nous a laissée libre pour refuser ou recevoir la grace avec laquelle elle se porte à sa iustification que si en l’estat du peché elle resiste à la grace, elle demeure pour iamais abandonnée de Dieu, qui reprouve les consciences rebelles à ses volontez, que si la volonté se laisse manier aux mouvemens de la grace, elle se porte necessairement au bien & au salut. Ce n’est donc à Dieu qu’il se faut prendre de la damnation des ames, comme dit l’heretique, l’exercice de sa Iustice est pour l’object du mal, dont il n’est autheur & ne l’exerce que sur les meschans, & où il y a occasion de punir, il ne damne que ceux qui ne veulent cooperer à ses graces, & font litiere de ses benefices, que s’il sauve, il est la cause premiere de ce bien  : il ne couronne en nous que ce qui est à luy, & ne nous iustifie que selon les œuvres que nous faisons par le secours de ses graces. Et comme la malice des hommes est excessive, & la bonté de Dieu infiniment grande, il arrive que quoy qu’il heurte touiours à l’huys de nos consciences, peu se resueillent & se levent pour le recevoir & ceux qui le recoivent, & se laissent manier à ses mouvemens, ce sont ses ames qu’il esleue de l’ordure du peché à la grace, des tenebres au iour, du mespris à l’honneur, & d’abominables qu’il luy sont dans l’erreur & l’infidelité, par ce concours de la volonté avec la grace il les rend bien heureuses, aggreables & capables du Ciel. [unlesbar] (p. 7) ment les ames, qui profitans des mouvemens divins, quittent l’erreur, abandonnent les abus de Satan, & de ses Ministres, & se iettent à couvert du naufrage, dans l’Arche du salut de l’Eglise Chrestienne, Catholique Apostolique & Romaine, telles que sont celles qui ont courageusement abiuré l’heresie & la compagnie des errans entre les mains du R. P. Athanase Molé Capucin, Religieux par l’entremise duquel Dieu fait voir ses merveilles en la Conversion de mille à douze cens ames, que Satan pretendoit avoir gaignees à Dieu dans l’aveuglement du Calvinisme, & du libertinage de la Religion pretenduë reformée, d’où elles se sont finalement tirees par les sages conseils de ce R. P. qui a tant de zele & d’amour pour la Conversion des pecheurs, & particulierement pour ces oüailles esgarées du parc de Iesus-Christ, qu’il y employe iournellement ses veilles, ses travaux, ses prieres, ses vœuz, & ses austeritez, pour les ramener à l’Eglise Catholique, Apostolique & Romaine, & par qui Dieu fait tant voir de traits de sa divine sagesse, que luy ayant donné un zele & une affection singuliere envers toute ame esgarée de la vraye Religion, qui vient à recognoistre les veritez de la foy entre ses mains, s’en retourne non seulement satisfaite & contente, mais davantage frappant sa poictrine, & la larme à l’œil, regrettans le malheur precedent des fausses impressions qu’elle avoit receuës de la doctrine abusive des Ministres de la Religion pretenduë reformée : ainsi dedans & dehors le Royaume, depuis cent ans en ça, ne s’est trouvé homme qui ait esté plus heureux à la reduction des pauvres ames trompees par l’heresie, que ce devot personange, grande lumiere de son Ordre, fils chery & bien aymé du (p. 8) Pape, & tant affectionné de sa Majesté tres-Chrestienne, que l’un & l’autre luy tesmoignent iournellement les preuves du grand contentement qu’ils ont de ses saincts & labourieux travaux : mais sur tout la



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douceur & franchise qu’il employe à conquerir les ames pour le Ciel, est tellement louable, qu’il n’y en a aucune qui se puisse dedire de sa Conversion, si tost qu’avec toute sorte de facilité & d’amour il leur a fait voir la vraye lumiere de la verité au travers du nuage de l’erreur & du mensonge. Ce ne sont point des ames abiectes ignorantes, foibles & basses, qui se sont reduites par ses divines instructions, & qui ont entre ses mains abiuré l’heresie, ce sont pour la pluspart personnes des plus advancees & qualifiées aux charges & aux honneurs du party huguenot, ausquelles il enioint des penitences legeres, & nullement onereuses, mais toutesfois grandement raisonnables, sçavoir de prier Dieu pour le Roy, nostre tres-honnoré Seigneur, la Royne, sa chaste tres-chere espouse, la Royne sa tres honnorée Dame & Mere, pour Monsieur Frere du Roy, & à ce qu’il plaise à la divine bonté donner à sa Maiesté un Dauphin pour l’heureuse consolation de la France, & pour le reste des penitences, ledit Père meu de charité & de zele, les fait charitablement pour eux. Ces saints laborieux travaux, que Dieu iournellement benit & prospere, luy ont visiblement attiré, & presque tous les iours, quantité belle de bonnes ames de toutes qualitez, qui touchez de la grace [unlesbar] reconcilier à luy entre les [unlesbar] (p. 9) depuis 4 ou cinq années ont fait protestation solennelle de la foy Catholique, Apostolique & Romaine, apres avoir renoncé aux erreurs examinees & puissament refutés aux conferences, avec ledit R. Pere : Ie n’en rapporteray ici que quelquesuns, la pluspart personnes de merite & reputation qui se sont convertis par cette voye, depuis quelques mois en ça, & qui ont esté gaignées à l’Eglise de Dieu par ses instructions salutaires. Et tout premierement le Dimanche 3 Decembre dernier, fit abiuration publique & solemnelle de l’heresie, Noble homme Benoist Berault, Escuyer sieur de Fraisne, Premier Pair de la Rochelle, & premier Tresorier des deniers de ladite ville, personnage d’aage & d’authorité, qui ayant trouvé bon de vivre quelque temps avec les heretiques, s’est representé qu’il estoit tres mauvais d’y mourir, & d’y finir ses iours, subiect, avec la cognoissance que le dit R. P. Athanase luy a donnée de l’abus des Ministres, qui l’a fait chercher l’ancre de salut, en l’Eglise Catholique, Apostolique & Romaine, & a fait ladite abiuration audit iour, au Convent des R. P. Capucins, des marets du Temple entre les mains du dit R. P. Quantité de personnes qui l’ont frequenté & aymé, se conjouissent auiourd’huy avec luy de cette sainte resolution, & le Roy mesme, Prince le plus affectionné a la pieté qui soit en l’Europe, en ayant eu advis particulier, a tesmoigné en avoir du contentement  : c’est pourquoy pour un remerciement de son zele a l’heureuse Conversion de ses sujects de la Religion pretenduë reformee, le dit sieur [unlesbar]

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Anhang III

(p. 10) LETTRE À SA MAIESTÉ. LETTRE DE BENOIST BERAULT ESCUYER SIEUR DE FRAISNE, PREMIER PAIR DE LA ROCHELLE, & PREMIER TRESORIER DES DENIERS DE LA VILLE, SUR SA CONVERSION À LA FOY CATHOLIQUE, APOSTOLIQUE & ROMAINE. AU ROY Sire. Si les Escritures sainctes nous tesmoignent que David Roy de Iuda, a esté aymé de Dieu, & tellement trouvé capable des amours de son cœur, que iusques là il luy fit promesse, qu’il y auroit tousiours quelque Prince de sa race & Maison, qui seroit assis apres luy sur le throsne qu’il luy avoit donné : si Salomon son fils, grand Roy pacifique, comme vous, doüé de sagesse admirable, a porté tant de zele au culte & service de sa divine bonté, qu’il luy edifia un Temple magnifique, la premiere des merveilles du monde; si ces deux Roys Illustres, Iosias & Ezechias ont esté ci bons Princes en Hierusalem, & si zelez pour l’honneur de Dieu, que pour retirer le peuple des erreurs & impietez abominables du diable, firent briser les Autels de son culte pro [unlesbar) (p. 11) d’or, pour oster aux Hebreux l’occasion d’offenser & d’enfraindre les loix de la vraye Religion. Que pourra on dire de vous, grand Roy, qui avez employé tous vos soings, non seulement à faire restablir les Temples materiels és lieux où l’impieté & l’heresie sembloient avoir un absolu pouvoir, mais aussi de convertir en temples sacrez du Dieu vivant des ames profanes, par le bon exemple de vostre saincte vie  : car il n’y a rien qui rende les subiets meilleurs, que quand ils se trouvent sous le regne d’un bon Prince : Vous avez rendu la paix à vos subiects en France, & non satisfait de cette preuve de vostre grande bonté, recherchez encores tous les iours les moyens de la conserver à ceux qui ne respirent que vostre obeyssance, ce que vous faites en l’ardeur de vos devotions, & en l’octroy de vos declarations, de sorte qu’il ne tiendra qu’a ceux qui ne demandent qu’a pescher en eau trouble, & faire leurs affaires dans les troubles & rebellions des peuples, qu’elle ne soit maintenuë & religieusement gardée, veu que le bon naturel de vostre Majesté est autant esloigné du desordre, quelle se void iournellement tra [unlesbar] empescher ce qui pourroit (p. 12) troubler le doux regne de la paix en son Royaume, ne souhaittant rien tant que la continuation d’icelle à l’advantage des ses peuples, & pour leur faire rendre le droict & la iustice, vivans tous comme enfans sous la protection & gouvernement d’un bon Pere. Ceux qui retiennent encore quelque sorte d’opiniastreté en leurs cœurs ne doivent ils pas avoir recognu par une demonstration toute visible à leurs yeux, qu’il faudroit estre aveugle, qu’il ne l’auroi remarqué, deux merveilles signalees observees dans les choses insensibles, durant la guerre derniere contre les rebelles à vostre Maiesté  : la premiere quand descendant en Poictou, comme elle estoit sur la deffaite de ceux qui ne vouloient obeïr, croyans trouver leur salut par la mer à la faveur de leurs vaisseaux, Dieu fit voir ses merveilles en faveur du fils aisné de son Eglise, & voulut que la mer qui avoit accoustumé de croistre en son flux de trois en trois iours, retardast ce temps là de trois iours, de sorte que de trois, sa Maiesté en eust six, pour chastier ses rebelles, de mesme que Iosué pour venger les iniures de Dieu contre ses ennemis : La seconde est, qu’en mesme temps que l’armée navale de vostre Majesté fut arrivée à l’aspect de ses ennemis, & que l’on vit paroistre vos esten- (p. 13) darts & pavillons sur la mer, à l’instant mesme



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la muraille de la Rochelle s’en alla par terre, & se renversa miraculeusement iusques aux fondemens, ce que voyans les Rochelois effrayez de cet accident, s’employerent, mesme les deputez de l’Assembleé Generale à remplire le fossé, & à reparer le dommage, accident grandement remarquable, & qui fait cognoistre aux plus stupides que le Dieu des armees combattoit pour vous, en ce que mesme cette ruine de muraille, & de [unlesbar], arriva du costé du fort Louys, pour monstrer que mesmes les pierres, les materiaux insensibles, & les choses immobiles de foy, semblent s’estre animees pour signifier aux rebelles, que Dieu veut qu’ils obeïssent à vos loix, & qu’ils ployent au ioug de vos commandemens. Que devons nous donc faire, nous autres qui nous estimons bons François, n’ayans que toute bonne pensée pour le service de vostre Majesté, sinon embrasser la vraye Religion, & la vraye Eglise, dont vous estes fils aisné, & prier l’Eternel qu’il vous face longuement regner sur cette Monarchie, & vous donner une sainte lignee, & offrir continuellement nos vœuz pour la santé, prosperité, & aggrandissement de vostre royale Majesté. (p. 14) Le mesme iour de la Conversion dudit sieur Berault, fit aussi abiuration de l’heresie audit Convent des Capucins des Marets du Temple, Marc Moran natif de Saumur, Soldat du monsieur de Soubize, qui estoit dans S. Iean d’Angely pendant le siege, & qui du depuis a esté en Angleterre. Plus le 19 Novembre, fit aussi protestation de la foy Catholique, Apostolique & Romaine audit Convent, & entre les mains dudit R. Pere, une Damoiselle de Madame de Clermont, appellée Ieanne Gorron, aagee de 24 ans, natifve de Chasterellaut, fille de René Gorron, Escuyer, Garde de Monseigneur le Prince de Condé, & Capitaine d’une compagnie de cent hommes d’armes, entretenus pour le service du Roy. Paul Groüard, Iuge de la Prevosté de Loudun, Advocat en Parlement, presenté par Monsieur d’Armeignac, Gouverneur de Loudun, premier valet de Chambre du Roy, s’est converty entre les mains du R. Pere, & fait publique abiuration de l’heresie, ledit sieur d’Armeignac ayant donné advis à sa Maiesté de cette Conversion, elle en tesmoigna un grand contentement, & luy dit que c’estoient des bonnes œuvres du Pere Athanase, & qu’elle estoit bien aise qu’il continuoit tousiours à gaigner à Dieu & à son Eglise, ses subjets de la Religion pretendue reformee, que c’estoit le plus grand contentement qu’il sçauroit avoir que d’entendre que sesdits subiects le rangeassent au giron de l’Eglise, disant que ledit P. Athanase en avoit converty plus qu’aucun autre dans son Royaume : cette Conversion & abiuration s’est (p. 15) faite par ledit Grouard au Convent des Capucins du faux bourg S. Iacques lez Paris. S’est aussi converty & abiuré l’heresie par l’entremise dudit R. P. Paul Aubry, Advocat à Loudun, & conseil de Madame de Frontenault, ledit sieur Aubry outre son attestation, a produit une demie feuille de papier escrite de sa main, contenant la vie, & la volonté qu’il avoit d’estre Catholique, Apostolique & Romain, & l’eust esté il y a ja longtemps, n’eust esté le respect de ses père, mere, freres & sœurs. Le iour de la Toussainct derniere au Couvent des marets du Temple, fit encore abiuration de l’heresie, Iacques de Blamont, Escuyer sieur de la Faye, aagé de vingt quatre ans, natif de Badefou, à quatre lieue de Bergerac, fils de Ieremie de la Faye, Ministre de la Linde, & dudit Badefou. Simon Crossard fils du Procureur du Roy de Nogent le Roy, & cousin de monsieur de Monginat, premier Medecin du Roy, aagé de 23 ans, a fait aussi protestation de la foy Catholique audit Couvent, le 22. d’Octobre dernier.

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Plus Iean Geoffroy de Villeron, sieur de Bragerrat, aagé de 40 ans, natif d’Angenois en Guyenne, demeurant proche de S. Iean de Roquefueille, a abiuré l’heresie au mesme Couvent, par le soing du mesme R. Père. Michel Petit, maistre Doreur, Damasquineur, aagé de 24 ans, natif de Paris, fils de Iean Petit, aussi maistre Doreur, a fait pareille abiuration audit Couvent. André Fabré, Marchand Pourpointier de Paris, aagé de 26 ans, fut aussi converty par le mesme (p. 16) Pere, audit Couvent le 27 Octobre dernier. Iudith de la Mare, aagée de 23 ans, natifve de Sedan, veufve de feu Claude du Pré, maistre Libraire à Paris, convertie par le mesme Pere. Plus encore Abraham, Propre Maistre, Cellier, Bourrelier à Paris, & sa femme, tous deux convertis en un mesme iour audit lieu, par le mesme Pere Athanase. De toutes lesquelles les Conversions, & heureux retours d’une autre grande quantité d’ames qui ont abiuré les erreurs, & se sont reduites à l’Eglise Catholique, Apostolique & Romaine : nous devons rendre graces immortelles à Dieu, recognoissans que c’est luy qui donne le bon vouloir au pecheur pour se retirer du peché, qu’il fait ces merveilles en faveur de la pieté du Roy; & par l’entremise du zele, des prieres & merites du R. Pere Athanase, qu’il luy plaise conserver longues années, pour la reduction des pauvres errans, gain & profit de son Eglise. FIN

Anhang IV Übersichtstabelle zu den verwendeten écrits de conversion • Schriften, die anlässlich einer conversio zum Protestantismus verfasst wurden, sind grau unterlegt. • Die Jahreszahlen der ersten Spalte verweisen auf den Beginn des jeweiligen Jahrzehnts, die Angaben bei den Schriften auf deren Veröffentlichung. • Die écrits de conversion werden hier lediglich durch den Nachnamen der Konvertiten gekennzeichnet, alle weiteren Informationen bietet das Literaturverzeichnis. 1570

Sureau (1573)

1580

Haren (1586)

1590

de la Tré mouille (1596)

Cayer (1596)

de Vaux (1597)

1600

Pere Abraham (1601)

de Beauval (1601)

Norman (1601)

Ginestet (1601)

Thevenot (1601)

de Terride (1605)

1610

Celette Rigot (1611)

Bourguignon (1613)

De Gouffier (1616)

Guillebert (1617)

Marcha (1617)

Marcha (1618)

1620

Le Blanc (1621)

de Bonne (1622)

Berault (1623)

de Vrillac (1623)

Pistorius (1623)

Rudavel (1627)

1630

Poylevé (1630)

Rochette (1633)

Thevenot (1634)

Cupif (1637)

de Limbourg (1639)

Papillon (1639)

1640

Le Camus (1640)

Du Clos (1642)

Dumas (1642)

Perdrix (1642)

Iarrige (1648)

Poignant (1648)

1650

de Beaumais (1651)

Le Masson (1657)

1660

Pommiers (1660)

Vidouze (1608)

Dodeman (1609)

Peyrol (1627)

Vignier (1629)

Clouet (1648)