Erste Philosophie oder Ontologie: Lateinisch-Deutsch 3787317201, 3787318763, 9783787318766

Der Begriff »Erste Philosophie« ist aristotelischen Ursprungs. Er bezeichnet bei Aristoteles diejenige philosophische Di

205 101 3MB

German Pages [266] Year 2008

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Erste Philosophie oder Ontologie: Lateinisch-Deutsch
 3787317201, 3787318763, 9783787318766

Citation preview

CHRISTIAN WOLFF

ERSTE PHILOSOPHIE ODER ON TOLO GIE    ,           §§ 1–78

Übersetzt und herausgegeben von  

Lateinisch – Deutsch

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BAND 569

Bibliographische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.ddb.de› abrufbar. ISBN 3-7873-1720-1

www.meiner.de © Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 2005. Alle Rechte vorbe-

halten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Satz: Kusel, Hamburg. Druck: Strauss, Mörlenbach. Bindung: Litges & Dopf, Heppenheim. Werkdruckpapier: alterungsbeständig nach ANSI-Norm resp. DIN-ISO 9706, hergestellt aus 100 % chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany.

INH ALT

Einleitung. Von Dirk Effertz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

xi

Zu dieser Ausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . xxx CHRISTIAN WOLFF

Philosophia Prima sive Ontologia Erste Philosophie oder Ontologie Widmungsschreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

 

Prolegomena §1 §2 §3 §4 §5 §6

§7 §8 §9 § 10 § 11

Definition der Ersten Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . Ob ontologische Behauptungen zu beweisen sind Ein Einwand und seine Beantwortung . . . . . . . . . . . Besondere Gründe, warum der Ontologie die demonstrative Methode zukommt . . . . . . . . . . . . . . Die Ontologie ist eine Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . Warum die Philosophie ohne die Ontologie nicht mit der demonstrativen Methode gelehrt werden kann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wer die Erste Philosophie verbessert . . . . . . . . . . . . Was in der Ontologie zu behandeln ist . . . . . . . . . . Warum die Ontologie einen sehr weitreichenden Nutzen hat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Welches die Bedeutung von in der gewöhnlichen Sprache gebrauchten Ausdrücken sein muß . . . . . . Welche Ausdrücke der Scholastiker beizubehalten sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    

     

vi

inhalt

§ 12 Gibt es für die Ausdrücke der Scholastiker einen Ort ohne deren Philosophie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 13 Die Klarheit von gewöhnlichen ontologischen Ausdrücken, die schlecht definiert sind . . . . . . . . . . § 14 Die Klarheit der schlecht definierten scholastischen Ausdrücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 15 Die relative Dunkelheit dieser Ausdrücke . . . . . . . . § 16 Woran man erkennt, daß ein Ausdruck einem anderen klar war . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 17 Woran man erkennt, daß ein Ausdruck einem anderen dunkel war . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 18 Eine andere Weise, dasselbe zu erkennen . . . . . . . . § 19 Eine alltägliche Weise, zu ontologischen Begriffen zu gelangen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 20 Eine Weise, zu den ontologischen Begriffen der Scholastiker zu gelangen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 21 Die natürliche Ontologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 22 Was die Scholastiker in der Ontologie geleistet haben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 23 Die künstliche Ontologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 24 Die Vorzüge der künstlichen Ontologie . . . . . . . . . . § 25 Ob die Ontologie ein philosophisches Lexikon ist . § 26 Ob sie ein Fremdwörterbuch ist . . . . . . . . . . . . . . . .

              

Erster Teil Der Begriff des Seienden im allgemeinen und die aus ihm folgenden Eigentümlichkeiten erster abschnitt Die Grundsätze der Ersten Philosophie Kapitel 1 : Das Widerspruchsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . .



§ 27 Die Grundlage des Widerspruchprinzips . . . . . . . . § 28 Die Formel des Widerspruchsprinzips . . . . . . . . . . . § 29 Name und Geschichte dieses Prinzips . . . . . . . . . . .

  

§ 30 § 31 § 32 § 33 § 34

§ 35 § 36 § 37 § 38

§ 39

§ 40 § 41 § 42 § 43 § 44 § 45 § 46 § 47 § 48

inhalt

vii

Definition des Widerspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . In welchen Sätzen ein Widerspruch enthalten ist . . Qualität und Quantität dieser Sätze . . . . . . . . . . . . . Daß ein Widerspruch eigentlich nur zwischen singulären Sätzen stattfindet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Deduktion des Widerspruchs universeller und partikulärer Sätze aus dem Widerspruch singulärer Sätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Deduktion des Widerspruchs zwischen universellen Sätzen aus dem Widerspruch singulärer Sätze Der wahre universelle Satz ist widerspruchsfrei . . . Auch der wahre partikuläre Satz ist widerspruchsfrei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der verborgene Widerspruch in aufgrund des Fehlens einer Bestimmung des Subjekts falschen Sätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der verborgene Widerspruch in aufgrund eines Widerstreits des Prädikats mit einem möglichen Subjektsbegriff falschen Sätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein weiterer Beweis des verborgenen Widerspruchs in unbestimmten Sätzen . . . . . . . . . . . . . . . Wann eine Annahme einen Widerspruch einschließt Erweiterung des vorhergehenden Lehrsatzes . . . . . Eine Nominaldefinition, die einen Widerspruch einschließt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein verborgener Widerspruch in einer philosophischen Hypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eine widerspruchsfreie Annahme, eine widerspruchsfreie Nominaldefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein Mittel, einen verborgenen Widerspruch in Annahmen aufzudecken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erweis a posteriori, daß eine Annahme widerspruchsfrei ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wie a priori einzusehen ist, daß eine Annahme widerspruchsfrei ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

   

   



         

viii

inhalt

§ 49 Wie bewiesen wird, daß eine Annahme widerspruchsfrei ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 50 Eine andere Möglichkeit, die Widerspruchsfreiheit einer Annahme zu beweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 51 Ob die Analyse von Sätzen in singuläre Sätze von Nutzen ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 52 Die Grundlage der Ausschließung des Mittleren zwischen Kontradiktorischem . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 53 Die Ausschließung des Mittleren zwischen Kontradiktorischem wird allgemein bewiesen . . . . . . . . . . § 54 Ob dieses Prinzip unter dem Prinzip des Widerspruchs enthalten ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 55 Das Prinzip der Gewißheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

      

Kapitel 2 : Das Prinzip des zureichenden Grundes . . . . .



§ 56 § 57 § 58 § 59 § 60

   

§ 61 § 62 § 63 § 64 § 65 § 66 § 67 § 68 § 69

Definition des zureichenden Grundes . . . . . . . . . . . Definition des Nichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wann nichts etwas vortäuscht . . . . . . . . . . . . . . . . . . Definition des Etwas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ob nichts und etwas sich kontradiktorisch zueinander verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ob nichts etwas ist, wenn es einige Male gesetzt worden ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Quelle der Übereilung im Urteil über das Nichts Was ein leerer Ausdruck bezeichnet . . . . . . . . . . . . Warum die Kenntnis leerer Ausdrücke keine Erkenntnis einer Sache ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Warum leere Ausdrücke nicht an die Stelle eines Grundes treten können . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Warum nichts keinen Grund enthält . . . . . . . . . . . . Ob etwas von nichts prädiziert werden kann . . . . . Ob nichts etwas bewirken kann . . . . . . . . . . . . . . . . Wenn nichts gesetzt worden ist, wird nicht etwas gesetzt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

         

inhalt

§ 70 Das Prinzip des zureichenden Grundes wird erwiesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 71 Definition und Geschichte des Prinzips des zureichenden Grundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 72 Ob dieses Prinzip der Erfahrung entgegengesetzt ist § 73 Wie es von Beispielen abstrahiert wird . . . . . . . . . . § 74 Das Prinzip des zureichenden Grundes ist unserem Geist natürlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 75 Ob das Prinzip des zureichenden Grundes ohne Erweis angenommen werden kann . . . . . . . . . . . . . . § 76 Wie dieses Prinzip als ohne Erweis angenommenes gewisser wird . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 77 Die Fabelwelt ist dem Prinzip des zureichenden Grundes entgegengesetzt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 78 Warum hier nicht noch mehr über das Prinzip des zureichenden Grundes gelehrt wird . . . . . . . . . . . . .

ix

        

Anmerkungen des Herausgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .



Bibliographie der Schriften Wolffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . .



Zeittafel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .



Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .



Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .



Index capitum der zweiten Auflage der »Ontologia«, Frankfurt und Leipzig .

EINLEITUN G

Die erste Auflage von Christian Wolffs Philosophia Prima sive Ontologia erschien  in Frankfurt und Leipzig. Sie ist ein Werk aus Wolffs Marburger Zeit ( – ).1 Nach der vorausgehenden Lateinischen Logik eröffnet sie das metaphysische Œuvre Wolffs in seiner zweiten, lateinischen Fassung, das sich in Ontologia, Cosmologia generalis, Psychologia und Theologia naturalis gliedert. Die Architektonik der gesamten wolffschen Philosophie ist nicht leicht zu bestimmen. Im Discursus praeliminaris, Wolffs einleitender Abhandlung über Philosophie im allgemeinen, die der Lateinischen Logik vorangeschickt ist, findet sich eine Dreiteilung der Gegenstände der Philosophie, die es im wesentlichen mit Gott, der Seele und den materiellen Dingen zu tun hat.2 Verfolgt man die Hinweise im Discursus praeliminaris genauer, so läßt sich folgende Reihe der philosophischen Disziplinen aufstellen : Philosophie der Erkenntnis, Metaphysik, praktische Philosophie, Physik oder Philosophie der Natur, Philosophie der Künste, Philosophie der Jurisprudenz.3 Zur Biographie : Christian Wolff, Gesammelte Werke, hg. von Jean Ecole u. a., Hildesheim  ff. (GW) I, , Biographie, herausgegeben und mit einem Vorwort versehen von H. W. Arndt, Hildesheim  ; M. Campo, C. Wolff e il razionalismo precritico,  voll. Mailand , Nachdruck Hildesheim  ; Werner Schneiders, Deutsche Biographische Enzyklopädie, hg. von Walther Killy, Darmstadt o. J. s. v. 2 Christian Wolff, Discursus praeliminaris de philosophia in genere. Einleitende Abhandlung über Philosophie im allgemeinen. Historischkritische Ausgabe. Übersetzt, eingeleitet und herausgegeben von Günter Gawlick u. Lothar Kreimendahl, Stuttgart-Bad Cannstatt , § . 3 Vgl. dazu Jean Ecole, La métaphysique de Christian Wolff, Hildesheim u. a. , S.  f. 1

xii

Dirk Effertz

Der Begriff »Erste Philosophie« ist offenkundig aristotelischen Ursprungs.4 Er bezeichnet bei Aristoteles diejenige philosophische Disziplin, die das göttliche, selbständige und unbewegliche Seiende betrachtet. Wolffs Erste Philosophie ist dagegen deshalb die erste, weil sie eine bestimmte Funktion im Verband der wissenschaftlichen Disziplinen erfüllt ; sie stellt die Grundsätze und elementaren Begriffe bereit, welche die Grundlage für ein deduktives Erkennen bilden.5 Der Titel »Ontologie« ist erst in der Neuzeit belegt, und zwar zuerst bei Goclenius.6 Indem Wolff nach dem Vorbild bereits vorliegender Metaphysikhandbücher des . Jahrhunderts 7 die Ontologie zu einer eigenständigen Disziplin erhebt, trennt er die onto-theologisch verfaßte aristotelische Metaphysik in zwei Gebiete. Die Ontologie behandelt der aristotelischen Maßgabe getreu das Seiende als solches, während die philosophische Theologie zu einer Theologia naturalis ausgebaut wird. Die Philosophie überhaupt wird von Wolff als Wissenschaft des Möglichen als solchen bestimmt. Im Discursus praelimiAristoteles, Metaphysik  a . 5 Werner Schneiders, Deus est philosophus absolute summus. Über Christian Wolffs Philosophie und Philosophiebegriff, in : Christian Wolff :  –  ; Interpretationen zu seiner Philosophie und deren Wirkung, mit einer Bibliographie der Wolff-Literatur, hg. von Werner Schneiders, ., durchgesehene Auflage Hamburg , S.  – , hier S. . 6 Rudolphus Goclenius, Lexicon philosophicum quo tamquam clave philosophiae fores aperiuntur, Frankfurt . 7 Die Trennung von Seins- und Gotteswissenschaft wird nach B. Pererius, De communibus omnium rerum naturalium principiis et affectionibus, , vor allem durch Micraelius vollzogen, Lexikon philosophicum, , . Auflage Stettin , Nachdruck , mit Einschränkungen auch von Joannes-Baptista du Hamel, Philosophia vetus et nova ad usum scholae accomodata in regia Burgundia olim pertractata, Paris . Für diese Zusammenhänge ist heranzuzuiehen der Art. »Ontologie« in : Joachim Ritter (Hg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Basel  ff. 4

Einleitung

xiii

naris gibt er an, diese Definition  entdeckt und  mit Caspar Neumann, dem Inspektor der evangelischen Kirchen und Schulen in Breslau, diskutiert zu haben. Zuerst veröffentlicht hat Wolff sie dann  im Vorwort zu den Aerometriae Elementa : »Ich pflege die Philosophie als Wissenschaft des Möglichen als solchen zu definieren. Es ist also Aufgabe des Philosophen, nicht nur zu wissen, was geschehen kann und was nicht, sondern auch die Gründe zu durchschauen, durch die etwas geschehen kann oder nicht sein kann.« 8 Die Erläuterung, die Wolff zu dieser vielbesprochenen Formel an dieser Stelle gibt, geht zunächst darauf, das Bedenken der angeblichen Anmaßung, die in dieser Aufgabenbestimmung der Philosophie zu liegen scheint, zu zerstreuen. Wenn die Philosophie als Wissenschaft des Möglichen und sogar alles Möglichen gefaßt wird, dann liegt darin eine scheinbar grenzenlose Erweiterung ihres Feldes, und es ist nicht abzusehen, wie sie dieser Aufgabe gerecht werden sollte. Dagegen macht Wolff klar, daß mit der Aufgabenbestimmung nicht eo ipso die Erfüllung dieser Aufgabe prätendiert wird, ferner daß derjenige, der diese Definition vorschlägt, damit nicht ein solches umfassendes Wissen in Besitz zu haben behaupten muß. Vielmehr steht eine Prüfung der Kräfte und Grenzen des menschlichen Verstandes noch aus, aufgrund deren dann erst entschieden werden kann, wie und in welchem Maße er sich dieses Gegenstandsgebietes bemächtigen kann.9 So verstanden führt diese Definition zum evidenten Bewußtsein der mangelnden Perfektion der mensch»Philosophiam ego definire soleo per rerum possibilium, qua talium, scientiam. Philosophi igitur est, non solum nosse, quae fieri possint, quae non ; sed & rationes perspicere, ob quas aliquid fieri potest, vel esse nequit.« Aerometriae Elementa, Praefatio (nicht paginiert), GW II, . 9 »Etenim num intellectus humanus capax sit Philosophiae, & quinam sint ejus in ea percipienda limites, ex ipsis intellectus humani viribus & earundem ad res possibiles relationibus demum deducendum.« Aerometriae Elementa, Praefatio, GW II, . 8

xiv

Dirk Effertz

lichen Wissenschaften, also nicht zu anmaßlichen Ansprüchen, sondern zu einer wohlbegründeten Bescheidenheit. Diese trotz Erläuterung schwerverständliche Definitionsformel hat Wolff während seiner gesamten Lehrtätigkeit beibehalten und mehrfach wiederholt, der wichtigste Beleg findet sich im §  des Discursus praeliminaris : »Philosophie ist die Wissenschaft des Möglichen, insofern es sein kann«.10 In den folgenden Paragraphen wird dieser bekannte Satz insofern neu akzentuiert, als nicht die statische Möglichkeit, sondern die Aktualisierung von Möglichkeit Gegenstand der philosophischen Untersuchung ist. Die für die Philosophie im allgemeinen beigebrachte Definition wird sodann konsequent für die philosophischen Einzeldisziplinen konkretisiert. Die natürliche Theologie ist »die Wissenschaft dessen, was als durch Gott möglich verstanden wird«.11 Während in den vorangehenden Definitionsversuchen der doch naheliegende Bezug zur Konzeption der möglichen Welten nicht ausgeführt wurde, knüpft Wolff zumindest hier wieder an die leibnizsche Vorstellung an. Die Definitionen der Psychologie (»Die Psychologie ist daher die Wissenschaft dessen, was durch die menschliche Seele möglich ist«)12 und der Physik (»Ich definiere die Physik daher als die Wissenschaft dessen, was durch die Körper möglich ist«)13 scheinen aber nicht mehr mit der Spekulation über mögliche Welten zusammenzuhängen, sondern gehen auf die Möglichkeit im Sinne von Vermögen oder Kraft.14 Discursus praeliminaris, hg. von Gawlick / Kreimendahl, S. . 11 Ebd., § , S. . 12 Ebd., § , S. . 13 Ebd., § , S. . 14 Das wird schon in der Praefatio zu den Aerometriae Elementa klar : »Inde Physicam esse intelliges eam Philosophiae partem, in qua demonstrandum, quicquid per vires corporum naturalium possibile existit.« (GW II, ) – Zur gesamten Problematik der Philosophiedefinition ist heranzuziehen : Hans Lütje, Wolffs Philosophiebegriff, in : KantStudien  (), S.  –  ; Hans Werner Arndt, Anmerkungen zum 10

Einleitung

xv

Es fällt auf, daß Wolffs Definition der Ontologie nicht mehr auf die Definition der Philosophie als Wissenschaft des Möglichen Bezug nimmt. Die Begriffe der Möglichkeit und Unmöglichkeit führen jedoch die Liste der von den Grundsätzen der Ersten Philosophie abhängigen ontologischen Begriffe an.15 Vor allem aber ist zu beachten, daß die zentrale Bestimmung des Seienden, welches Gegenstand der ontologischen Wissenschaft ist, dieses genau als das Mögliche faßt : »Seiend wird genannt, was existieren kann, dem folglich die Existenz nicht widerstreitet (§  Ontologia & §  Logica).« 16 Sieht man auf die Deutsche Metaphysik zurück, so werden die Kapitel dieser Schrift zu selbständigen Teilen des lateinischen metaphysischen Werkes ausgestaltet. Die Ontologie entspricht grosso modo dem zweiten Kapitel der Deutschen Metaphysik : »Von den ersten Gründen unserer Erkäntniß und allen Dingen überhaupt«. 17 Das kurze erste Kapitel mit seinem klassisch zu nennenden Anfang (»Wir sind uns unserer und anderer Dinge bewußt«) und damit die Grundlegung im Ich entfällt in der Ersten Philosophie. Vorbericht zu : Vernünftige Gedanken von den Kräften des menschlichen Verstandes und ihrem richtigen Gebrauche in der Erkenntnis der Wahrheit (GW I, ), S.  ; Norbert Hinske, Die Geliebte mit den vielen Gesichtern, in : Hermann Lübbe, Wozu Philosophie?, Stellungnahmen eines Arbeitskreises, Berlin und New York , S.  – , hier S.  ; Werner Schneiders, Deus est philosophus absolute summus, Über Christian Wolffs Philosophie und Philosophiebegriff, in : ders. (Hg.), Christian Wolff  – , Interpretationen zu seiner Philosophie und deren Wirkung, Mit einer Bibliographie der Wolff-Literatur, (= Studien zum achtzehnten Jahrhundert, Herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts, Bd. ) Zweite, durchgesehene Auflage Hamburg , S.  –  ; Jean Ecole, La métaphysique de Christian Wolff, Bd. II, Hildesheim , S.  f. 15 Ontologie, §  ff. 16 Ontologie § . 17 Vernünfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt, GW I, ., S.  ff.

xvi

Dirk Effertz

Die Ontologie wird gemäß den Regeln der wissenschaftlichen Methode ausgeführt, die mit der mathematischen und philosophischen Methode identisch ist. Dies bedeutet, daß Begriffe definiert werden müssen, so daß sie zumindest die Stufe der Klarheit erreichen, also zur Identifikation eines Gegenstandes und Unterscheidung desselben von allen anderen Gegenständen hinreichen. Begriffe müssen widerspruchsfrei sein und in einer Ordnung definiert werden derart, daß die an späterer Stelle gebrauchten Begriffe zuvor erklärt werden sollen. Die Sätze der Wissenschaft sind einerseits unbeweisbare theoretische Axiome und praktische Postulate,18 andererseits direkt oder indirekt beweisbare Theoreme, schließlich durch Erfahrung, a posteriori begründete Sätze. Auch für sie wird eine Ordnung gefordert, an späterer Stelle gebrauchte Sätze sind zuvor zu begründen.19 Neben diesen Regeln der wissenschaftlichen Methode entwickelt Wolff eine Konzeption philosophischer Arbeit, die auch im gegenwärtigen Denken noch Interesse beanspruchen kann. Die Alltagssprache enthält bereits eine Reihe von ontologischen Begriffen, so etwa Ursache, Zweck, Notwendigkeit, Zufall, Möglichkeit, Vollkommenheit, Einheit, Wahrheit, Ordnung, Raum etc. Die Philosophie darf deren Bedeutung durchaus festhalten und insofern von dieser »natürlichen Ontologie«20 ausgehen, Als Beispiel kann dienen : »Von einem beliebigen Punkt kann eine gerade Linie zu einem beliebigen Punkt gezogen werden«, Lateinische Logik (GW II, ), § . 19 Für Wolffs Beweisbegriff ist der §  Lateinischen Logik wichtig, in dem zu den Vordersätzen eines Beweises neben Definitionen, Axiomen und Theoremen auch »unbezweifelte Erfahrungen« gerechnet werden. 20 Vgl. Sonia Carboncini, Transzendentale Wahrheit und Traum. Christian Wolffs Antwort auf die Herausforderung durch den Cartesianischen Zweifel (= Forschungen und Materialien zur deutschen Aufklärung, FMDA, hg. von Norbert Hinske, Abteilung II, Monographien, Bd. ), Stuttgart-Bad Cannstatt , S.  ff.,  ff. 18

Einleitung

xvii

sie muß aber zugleich diese Begriffe prüfen und präzisieren. In diesen Zusammenhang stellt Wolff auch die von den Scholastikern erarbeitete Begrifflichkeit, die ebenso wie diejenige des alltäglichen Verständnisses durch eine naturalis mentis vis erbracht wird.21 Das Kernstück des hier übersetzten Textes bildet die wolffsche Prinzipienlehre, welche die Grundsätze des ausgeschlossenen Widerspruchs, des ausgeschlossenen Dritten, der Identität und des zureichenden Grundes umfaßt. Die Zusammenordnung insbesondere des Widerspruchsprinzips und des Prinzips des Grundes kann auf den ersten Blick befremdlich erscheinen, sie wird jedoch verständlich, wenn man sich die Vorgeschichte der wolffschen Prinzipienlehre bei Leibniz anschaut. Das Widerspruchsprinzip und das Prinzip des zureichenden Grundes erstrecken sich bei Leibniz auf die Vernunft- und Tatsachenwahrheiten, daß heißt auf notwendige und zufällige Wahrheiten, die jedoch insgesamt – in letzter Instanz – als analytisch zu betrachten sind. Zunächst war Leibniz der Auffassung, daß nur die Vernunftwahrheiten analytischer Natur seien, sich also auf die Form »a est a« oder »ab est a« bringen lassen. Später hat er diese analytische Urteilstheorie auch auf die Tatsachenwahrheiten ausgedehnt, den alten Unterschied zwischen Vernunftund Tatsachenwahrheiten aber insofern aufrechterhalten, als die rationalen Wahrheiten Subjektbegriffe haben, die aus endlich vielen Teilbegriffen zusammengesetzt sind, die faktischen Wahrheiten aber Subjektbegriffe voraussetzen, die aus unendlich vielen Teilbegriffen bestehen. Diese wolffsche Konzeption entfaltet eine späte, direkte oder indirekte Wirkung in Heideggers Verständnis der ontologischen Frage. In Sein und Zeit wird darauf hingewiesen, daß das alltägliche Dasein bereits über ein gewisses Verständnis von Sein verfügt, welches die phänomenologische Analyse als Ausgangspunkt ihrer Untersuchungen nehmen kann, auch dann, wenn sie sich destruktiv gegen es wendet. Sein und Zeit, Gesamtausgabe I. Abteilung, Bd. , Frankfurt am Main , § , S.  ff. 21

xviii

Dirk Effertz

Das Widerspruchsprinzip wird von Leibniz in leichten Varianten angeführt.22 Eine ausführliche Erwähnung in Verknüpfung mit dem Prinzip des ausgeschlossenen Dritten bieten die Neuen Abhandlungen : »Das Prinzip des Widerspruchs ist im allgemeinen : Ein Satz ist entweder wahr oder falsch ; dies schließt zwei wahre Aussagen ein ; erstens, daß das Wahre und das Falsche in demselben Satz nicht zusammen bestehen können, oder daß ein Satz nicht zugleich wahr und falsch sein kann ; zweitens, daß das Gegenteil oder die Verneinung des Wahren und des Falschen nicht zugleich stattfindet, oder daß es zwischen Wahrem und Falschem kein Mittleres gibt, oder auch, daß ein Satz unmöglich zugleich weder wahr noch falsch sein kann. Dies alles nun gilt ebenso im Besonderen für alle nur erdenklichen Sätze, z. B. : Was A ist, kann nicht Nicht-A sein ; oder AB kann nicht nicht-A sein ; ein gleichseitiges Rechteck kann kein Nicht-Rechteck sein.« 23 Eine deutlichere Formulierung bietet die späte Monadologie, insofern sie das Widerspruchsprinzip vom Prinzip des ausgeschlossenen Dritten trennt : »Unsre Vernunfterkenntnisse beruhen auf zwei großen Prinzipien : erstens auf dem des Widerspruchs, kraft dessen wir alles als falsch bezeichnen, was einen Widerspruch einschließt, und als wahr alles das, was dem Falschen kontradiktorisch entgegengesetzt ist (§  ; § ).«24 Das Widerspruchsprinzip hat hier also sowohl eine logische, auf Sätze bezogene als auch eine ontologische, auf Dinge bezogene Bedeutung.25 Es ist für Leibniz eine eingeborene WahrTheodizee, übers. v. Artur Buchenau, Hamburg , §§ , . 23 Gottfried Wilhelm Leibniz, Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand, übersetzt, eingeleitet und erläutert von Ernst Cassirer, Hamburg , Viertes Buch, Kap. II, S.  f. 24 Leibniz, Monadologie § , in ders., Hauptschriften zur Grundlegung der Philosophie, übersetzt von A. Buchenau, durchgesehen und mit Einleitungen und Erläuterungen herausgegeben von Ernst Cassirer, Bd. II. S. . 25 Die heute übliche Formulierung des Widerspruchsprinzip in der 22

Einleitung

xix

heit, die erfahrungsunabhängig ist, was sowohl die Erfahrung im Sinne Lockes als auch die ursprüngliche Erfahrung in der Präexistenz der Seele im Sinne Platons ausschließt. Die Formulierung, die Wolff dem Widerspruchsprinzip gibt, zeigt, daß er neben den bei Leibniz vorhandenen Momenten des Logischen und Ontologischen auch die psychologische Seite dieses Gesetzes behauptet : »Wir erfahren dies als die Natur unseres Geistes, daß er, während er urteilt, daß irgend etwas ist, nicht zugleich urteilen kann, daß dasselbe nicht ist.«26 Wolffs Überzeugung ist es also, daß es uns aufgrund der Verfassung unseres Geistes unmöglich ist, etwas Widersprechendes zu behaupten. Diese psychologistische Sicht hat bis in die Logik-Handbücher des . Jahrhunderts gewirkt 27 und ist erst durch die Kritik Gottlob Freges 28 und Edmund Husserls in den formalen Logik läßt sich ohne Mühe an die logische Fassung des Prinzips bei Leibniz und Wolff anschließen : (1) ¬ (p ∧ ¬ p). Vgl. dazu Ludwik Borkowski, Formale Logik. Logische Systeme, Einführung in die Metalogik, München , S.  ; Ansgar Beckermann, Einführung in die Logik, ., neu bearbeitete und erweiterte Auflage Berlin/New York , S. . 26 Ontologie § . 27 Vgl. dazu John Stuart Mill, A System of Logic Ratiocinative and Inductive, Erstausgabe London , auch in Collected Works VII und VIII, Toronto  – , insbesondere Bd. I, Buch II, Kap. , §  : »The original foundation of it [d. h. des Principium Contradictionis ] I take to be, that Belief and Disbelief are two different mental states, excluding one another.« (Bd. VII, S. ) Christoph Sigwart, Logik I und II (Erste Auflage  – ), Bd. I, Tübingen , S.  : »So gewiss die Verneinung nur in einer über das Seiende hinausgreifenden Bewegung unseres Denkens wurzelt, welche auch das Unvereinbare an einander versucht, und die Falschheit nicht in der Sache, sondern nur in der menschlichen Meinung Sitz hat, so gewiss kann der aristotelische Satz [des Widerspruchs] direkt und unmittelbar nur die Natur unseres Denkens treffen.« 28 Gottlob Frege, Der Gedanke, in : Ders., Logische Untersuchungen, hg. v. Günter Patzig, 3. Aufl. Göttingen , S.  – , bes. S.  f., .

xx

Dirk Effertz

Logischen Untersuchungen29 überwunden worden (vor allem in den Prolegomena, . Kap.). Es muß auffallen, daß Wolff mit dem Widerspruchsprinzip einen eine Negation einschließenden Grundsatz an die Spitze seines Systems stellt, das Identitätsprinzip aber an den Schluß der ersten Kapitels der Ontologie verweist.30 Vermutlich besaß das Widerspruchsprinzip für ihn den höchsten Grad an Gewißheit, zudem stand für ihn fest, daß sich die übrigen Prinzipien aus diesem ersten Prinzip ableiten lassen. Kant wird dies in der Nova Dilucidatio in Frage stellen : »Wem erschiene es schließlich nicht etwas hart und noch viel schlimmer als ein Paradoxon, gerade einem verneinenden Satz den ersten Platz im Felde der Wahrheiten zu überlassen und ihn als Hauptstütze aller zu begrüßen, da nicht einzusehen ist, warum die verneinende Wahrheit vor der bejahenden dieses Vorrecht genießen sollte.«31 Dieser Einsatz beim Negativen macht sich auch in der Reihung Edmund Husserl, Logische Untersuchungen, Erster Band, Prolegomena zur reinen Logik, in : Gesammelte Schriften, hg. von Elisabeth Ströker, Bd. , Hamburg  (Textgrundlage : Edmund Husserl, Gesammelte Werke (Husserliana), Band XVIII : Logische Untersuchungen, Erster Band, hg. von Elmar Holenstein). 30 Zur Erklärung ist aber auch daran zu erinnern, daß die Negation in Fragen der Erkenntnistheorie im gesamten neuzeitlichen Denken eine zentrale Rolle spielt, was spätestens seit Francis Bacon belegbar ist, so Neues Organon, Hamburg , Buch II, §  : »Aber nur Gott, der die Formen geschaffen und den Dingen eingeprägt hat, oder vielleicht den Engeln und anderen höheren Wesen, steht es zu, diese Formen durch bejahende Fälle in unmittelbarer Anschauung ein für allemal vollkommen zu begreifen, denn das geht über Menschenkräfte hinaus. Dem Menschen ist nur vergönnt, über verneinende Fälle voranzuschreiten, um am Ende nach gänzlichem Ausschluß alles Abwegigen zu einer Bejahung zu gelangen.« Die bedeutendsten Ausprägungen erfährt dieser Gedanke in Descartes’ methodischem Zweifel und in Hegels Negativität. 31 Kant, Principiorum primorum cognitionis metaphysicae nova dilucidatio, Werke, hg. von Wilhelm Weischedel, Bd. I, Darmstadt , S. . 29

Einleitung

xxi

der Kategorien geltend, innerhalb deren dem nihil (§ ) eine vergleichsweise hohe Rangstelle zugesprochen wird.32 Während das Widerspruchsprinzip in der Ontologie im wesentlichen als beweisunfähig und als unmittelbar evident angesetzt wird, versucht Wolff das Prinzip des ausgeschlossenen Dritten aus dem Widerspruchsprinzip abzuleiten. Da ein Korrelat des Prinzips des ausgeschlossenen Dritten in der Lateinischen Logik zu finden ist, ist auch der dort gegebene, ausführlichere Beweis mit zu berücksichtigen. Die Formulierungen des Grundsatzes im §  der Lateinischen Logik und in den §  –  der Ontologie lauten : »Von zwei kontradiktorischen Sätzen ist der eine notwendigerweise wahr, der andere notwendigerweise falsch.« 33 »Wir erfahren auch dies als die Natur unseres Geistes, daß er urteilt, daß jegliches entweder ist oder nicht ist.« 34 »Wenn nämlich der Satz A ist B wahr ist, ist der andere A ist nicht B falsch, und umgekehrt.«35 Derselbe Grundsatz kann also äquivalent durch eine Disjunktion und eine Konjunktion von Implikationen ausgedrückt werden.36 Im §  der Lateinischen Logik werden zum Beweis ein universell bejahender Satz und ein partikulär verneinender Satz herausgegriffen. Wenn das Prinzip des ausgeschlossenen Vgl. dazu Heinz Heimsoeth, Studien zur Philosophie Immanuel Kants, Metaphysische Ursprünge und Ontologische Grundlagen (= Kantstudien Ergänzugshefte Bd. ), Chr. Wolffs Ontologie und die Prinzipienforschung I. Kants, Ein Beitrag zur Kategorienlehre, S.  ; dort auch der wichtige Hinweis auf die im . Jh. entwickelte Vorstellung, alles Seiende aus der Mischung von Gott und Nichts zu begreifen. 33 §  Lateinische Logik. 34 §  Ontologie. 35 §  Anm. Ontologie. 36 Die Formulierung des Prinzips des ausgeschlossenen Dritten in heutiger aussagenlogischer Notation gestaltet sich komplexer. Als Grundform ist anzusehen (Borkowski, S. , Beckermann, S. ) : 32

(2) p ∨ ¬ p

xxii

Dirk Effertz

Dritten nicht gilt, dann sind diese kontradiktorischen Sätze beide falsch oder beide wahr. Im ersteren Fall sei also der universell bejahende Satz falsch. Daraus, daß dieser Satz falsch ist, kann aber gefolgert werden, daß der partikulär verneinende Satz wahr ist – was der Annahme, daß die beiden kontradiktorischen Sätze falsch seien, widerspricht. Also ist es falsch, daß der universell bejahende Satz und der partikulär verneinende Satz beide falsch sind. Es ist aber sogleich klar, daß hier zirkulär argumentiert wird. Denn die Folgerung, daß, wenn der universell bejahende Satz falsch ist, der partikulär verneinende Satz wahr sei, ist identisch mit dem Prinzip des ausgeschlossenen Dritten, genauer mit einer der zu ihm gehörigen Implikationen.37 In der Ontologie zitiert Wolff zwar noch den in der Lateinischen Logik versuchten Beweis, beschreitet jedoch noch einen anderen, überzeugenderen Weg. Er setzt das Prinzip des ausgeschlossenen Dritten als evident und beweisunfähig hinsichtlich der singulären Sätze (»Entweder ist es Tag, oder es ist nicht Tag«38) an und leitet daraus durch eine Induktion den allgemeinen Grundsatz ab. Dabei sollte aber der Funktor »∨« als ausschließendes Oder (aut – aut) verstanden werden, was hier und im folgenden geschieht. Wählt man die dazu äquivalente Konjunktion von Implikationen und gebraucht zugleich die Prädikate wahr und falsch, so ergibt sich : [(p ist wahr) → (¬ p ist falsch)] ∧ [(p ist falsch) → (¬ p ist wahr)] ∧ [(¬ p ist wahr) → (p ist falsch)] ∧ [(¬ p ist falsch) → (p ist wahr)] Betrachtet man nur einen einzigen Satz p ohne Rücksicht auf dessen Negat ¬ p, lautet das Prinzip : (3.1) (3.2) (3.3) (3.4)

(4.1) (4.2) (4.3) (4.4)

[(p ist wahr) → (p ist nicht falsch)] ∧ [(p ist falsch) → (p ist nicht wahr)] ∧ [(p ist nicht wahr) → (p ist falsch)] ∧ [(p ist nicht falsch) → (p ist wahr)]

Also in unserer Darstellung mit Teilsatz (.) des Prinzips des ausgeschlossenen Dritten. 38 §  Ontologie. 37

Einleitung

xxiii

Das herkömmliche Prinzip der Identität wird bei Wolff als Prinzip der Gewißheit bezeichnet und in einer Doppelformulierung vorgebracht : »Jegliches ist, während es ist, das heißt, wenn A ist, ist es auf jeden Fall wahr, daß A ist.« 39 Es empfiehlt sich, die zweite Formulierung vorzuziehen, da in ihr die unstatthafte zeitliche Bestimmung zugunsten einer reinen Implikation wegfällt.40 Leicht modifiziert müßte der Beweis also folgendermaßen geführt werden : (1) Man verneine, daß A ist, wenn es ist. (Annahme des indirekten Beweises) (2) A ist und A ist nicht. (3) Satz () widerspricht dem Widerspruchsprinzip, somit ist () ad absurdum geführt. Diese Argumentation ist schlüssig. Es bleibt jedoch ein grundsätzliches Bedenken : Das Prinzip der Identität ebenso wie die Prinzipien des ausgeschlossenen Widerspruchs und des ausgeschlossenen Dritten sind – als Gesetze des Denkens 41 – derart unverzichtbar für jegliches Argumentieren und Beweisen, daß ohne deren Anerkennung schwerlich irgendein Gedankenschritt vollzogen werden kann. Wenn man also im vorliegenden Ontologie § . 40 Wenn man die wolffsche Formulierung leicht modifiziert, kann man in Entsprechung zu () bis () schreiben : 39

(5) p → p (Borkowski S. , Beckermann S. ). 41 Vgl. dazu Martin Heidegger, Bremer und Freiburger Vorträge, . Grundsätze des Denkens, Gesamtausgabe III. Abteilung, Bd. , Frankfurt am Main , S.  f. : »Was immer und wie auch immer man über die Denkgesetze verhandelt, man hält sie für unmittelbar einsichtig, meint sogar häufig, dies müßte so sein. Denn die Grundsätze lassen sich, recht besehen, nicht beweisen. Ist doch jeder Beweis schon eine Tätigkeit des Denkens. Der Beweis steht also bereits unter den Denkgesetzen. Wie kann er sich da über sie stellen wollen, um erst ihre Wahrheit zu rechtfertigen?«

xxiv

Dirk Effertz

Beweis den Übergang von () zu () machen will, so ist daran zu erinnern, daß dieser Schritt notwendig voraussetzt, daß die Termini und Sätze, die gebraucht werden, mit sich identisch bleiben. Das Prinzip des Grundes findet sich bei Leibniz entsprechend seiner zentralen Bedeutung vielfach belegt. Es empfiehlt sich, die Formulierung aufzunehmen, die es in der reifen Metaphysik Leibnizens annimmt, im §  der Monadologie : »Unsere Vernunfterkenntnisse beruhen auf zwei großen Prinzipien : erstens auf dem des Widerspruchs […] Zweitens auf dem des zureichenden Grundes, kraft dessen wir annehmen, daß keine Tatsache wahr und existierend, keine Aussage richtig sein kann, ohne daß ein zureichender Grund vorliegt, weshalb es so und nicht anders ist, wenngleich diese Gründe in den meisten Fällen uns nicht bekannt sein mögen (§  ; § ).«42 Demgegenüber lautet die wolffsche Formulierung : »Nichts ist ohne zureichenden Grund, warum es eher ist als nicht ist.«43 Auch dieses Prinzip besitzt wiederum eine ontologische und logische 44 Dimension, zu der bei Wolff erneut die psychologische 45 hinzutritt. Zur Rechtfertigung des principium rationis bietet Wolff eine Reihe von Gründen auf : Er versucht einen förmlichen Beweis, beruft sich auf Erfahrung, sei es negativ – es ist keine Gegeninstanz beizubringen – oder positiv, indem er das Prinzip aus einem einzelnen Fall abstrahiert, er stellt es alternativ als Axiom auf und verweist schließlich auf den Zusammenhang von Welt und Prinzip des Grundes. Sehen wir uns den Beweis etwas näher an. Zunächst wird als Annahme eines indirekten Beweises gesetzt :

Die Paragraphenangaben in Klammern beziehen sich auf die Theodizee. 43 §  Ontologie. 44 Die logische Bedeutung des Grundes tritt bei Wolff etwas zurück, ist aber explizit angesprochen im § . 45 Ontologie, § . 42

Einleitung

xxv

(1) »Setzen wir, daß A ohne zureichenden Grund ist, warum es eher ist als nicht ist«46 Dieser Satz wird nun in leichter Abwandlung wiederholt : (2) »Also ist nichts zu setzen, von woher eingesehen wird, warum A ist (§ ).«47 Mit Verweis auf §  wird lediglich die Definition des Grundes angegeben. Der folgende Schritt trägt nun aber die volle Beweislast : (3) »Es wird also zugestanden, daß A ist, weil angenommen wird, daß nichts ist.«48 Der Übergang von () zu () ist jedoch unzulässig. Wenn behauptet wird, daß x keinen Grund hat, so läßt sich dies alltagssprachlich sowohl im Lateinischen49 als auch im Deutschen ohne weiteres so ausdrücken : Nichts ist der Grund von x. Diesen Satz deutet Wolff nun so, daß hier das Nichts positiv der Grund von x sein soll und hypostasiert also das Subjekt des Satzes. Wenn diese Hypostasierung erst einmal zugestanden ist, kann in der Tat gezeigt werden, daß die resultierende Behauptung absurd ist, weil einem Nichts die Eigenschaft des Grundes zugeschrieben wird ; die Hypostasierung selbst aber ist unhaltbar.50 Ontologie § . 47 Ebd. 48 Ebd. 49 Vgl. dazu Karl Ernst Georges, Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch, Hannover , s. v. nihil : nihil est, cur, quamobrem, quod, es ist kein Grund vorhanden, warum, oder daß. 50 Zur Problematik des Nichts vgl. : Ernst Tugenhat, Die sprachanalytische Kritik der Ontologie, in : Hans-Georg Gadamer (Hg.), Das Problem der Sprache, VIII. Deutscher Kongreß für Philosophie, München , S.  – . Karen Gloy, Die paradoxale Verfassung des Nichts, in : Kant-Studien , S.  –  ; Jürgen Stolzenberg, Die Bestimmtheit selbst. Zu Wolfgang Cramers erster Konzeption des Absoluten in »Die Monade«, in : Hans Radermacher, Peter Reisinger und Jürgen 46

xxvi

Dirk Effertz

Baumgarten übernimmt in seiner Metaphysik51 den Beweisversuch Wolffs, versteht den Grund aber als den des Möglichen und bleibt also dem wolffschen Programm einer scientia possibilium näher. Crusius setzt sich kritisch mit der wolffschen Lehre auseinander und hebt denselben Schwachpunkt des Beweises hervor, der hier geltend gemacht wurde : »Man nehme an, A sei nichts, B sei ein Seiendes und sein zureichender Grund sei C. Der berühmte Wolff sagt : Wenn B gesetzt ist, wird C gesetzt, weil sonst gesetzt würde, C und A seien ein und dasselbe, was absurd ist. Es ist aber darauf schon geantwortet worden, daß dies vom Gegener nicht gesetzt werde, sondern es werde nur B gesetzt und C werde nicht gesetzt.« 52 Crusius ist der Auffassung, daß der Nerv des Beweises in der Ontologie und der Deutschen Metaphysik derselbe sei.53 Der entscheidende Passus in der Deutschen Metaphysik lautet : »Wo etwas vorhanden ist, woraus man begreiffen kann, warum es ist, das hat einen zureichenden Grund (§ ). Derowegen wo keiner vorhanden ist, da ist nichts, woraus man begreiffen kann, warum etwas ist, nehmlich warum es würcklich werden kann, und also muß es aus Nichts entstehen. Was demnach nicht aus Nichts entstehen kan, muß einen zureichenden Grund haben, warum es ist, als es muß an sich möglich seyn und eine Ursache haben, die es zur Würcklichkeit bringen kann, wenn wir von Dingen reden, die nicht nothwendig sind. Da nun unmöglich ist, daß aus Nichts Stolzenberg (Hgg.), Rationale Metaphysik, Die Philosophie von Wolfgang Cramer, Bd. II, Stuttgart , S.  – , besonders S. . 51 Alexander Gottlieb Baumgarten, Metaphysica (Editio VII), . Nachdruck der Ausgabe Halle , Hildesheim / New York , § . 52 Christian August Crusius, Kleinere philosophische Schriften, herausgegeben von Sonia Carboncini und Reinhard Finster (= Die philosophischen Hautpwerke, begründet von Giorgio Tonelli, Bd. IV, Teil ), Hildesheim u. a. , Dissertatio philosophica de usu et limitibus principii rationis determinantis, vulgo sufficientis, § XII, S. . 53 Crusius, Dissertatio, § XII, S. .

Einleitung

xxvii

etwas werden kann (§ ) ; so muß auch alles, was ist, seinen zureichenden Grund haben, warum es ist, das ist, es muß allezeit etwas seyn, daraus man verstehen kan, warum es würcklich werden kan (§ ).54 Dieser Beweis ist jedoch nicht identisch mit dem in der Ontologie vorgelegten. Dort war behauptet worden, daß beim Fehlen eines Grundes das Nichts die Ursache von etwas sein müsse, hier ist das Nichts dasjenige, aus dem etwas nicht werden kann ; im ersten Fall kommt dem Nichts die absurde Funktion einer causa efficiens zu, im anderen Fall gleichsam die Funktion einer causa materialis. Daß aber im Geschehen einer Verursachung etwas entsteht, was zuvor nicht war, ist ein trivialer Sachverhalt, der nicht gegen die Annahme einer Grundlosigkeit von etwas ins Feld geführt werden kann. Wenn auch dieser förmliche Beweis nicht zu überzeugen vermag, so bedeutet dies nicht, daß das principium rationis zu verwerfen ist. Wolff beschreitet, wie bereits angedeutet, noch einen anderen Weg, den er gegen Ende des zweiten Kapitels skizziert und später weiter ausbaut. Der Beweis des Satzes vom Grund wird indirekt geführt : Wenn dieses Prinzip nicht wahr ist, wird die Welt zum Schlaraffenland.55 Wie ist dies zu verstehen? Dazu ist die Unterscheidung von transzendentaler und logischer Wahrheit heranzuziehen. Die transzendentale Wahrheit56 ist eine Eigenschaft der Dinge selbst und beruht auf der Ordnung ihrer zeitlichen und räumlichen Vielfalt, die logische Wahrheit ist die des Urteils und des näheren die Bestimmbarkeit des Subjekts durch den Prädikatsbegriff. Eine entscheidende Einsicht Wolffs geht nun darauf, daß die logische Wahrheit von der transzendentalen Wahrheit abhängig ist.57 Wenn es keine transzendentale Wahrheit gibt, das heißt Ordnung und Beständigkeit in den Dingen, kann es keine wahren allgemeinen 54 55 56 57

Deutsche Metaphysik (GW I, ), § . Ontologie § . Ontologie § . Ontologie § .

xxviii

Dirk Effertz

Urteile geben ; singuläre Urteile können allenfalls in einem Augenblick gültig sein. Mit Berücksichtigung des Widerspruchsprinzips ist also festzustellen : »Wenn das Widerspruchsprinzip und das Prinzip des zureichenden Grundes aufgehoben werden, wird die logische Wahrheit allgemeiner Sätze aufgehoben, und Wissenschaften sind nicht möglich«.58 Nun ließe sich zweifellos fragen, was denn verbürgt, daß es logische Wahrheit und Wissenschaft gibt und geben muß. Man könnte argumentieren : Wenn die beiden großen Prinzipien nicht gültig sind, dann gibt es eben keine logische Wahrheit und keinen systematischen Zusammenhang logischer Wahrheiten in Gestalt der Wissenschaften. Doch diesen Schritt tut Wolff nicht. Er begnügt sich – mit Recht – damit, auf den Zusammenhang der genannten Prinzipien und der logischen Wahrheit aufmerksam zu machen und erkennt an, daß innerhalb einer wissenschaftlichen Untersuchung die Möglichkeit von Wahrheit und Wissenschaft schlechterdings vorausgesetzt werden muß. Abschließend sei die Wirkungsgeschichte der wolffschen Prinzipienlehre in der kantischen Philosophie skizziert. Während das Widerspruchsprinzip in Kants Kritik der reinen Vernunft eindeutig mit dem obersten Grundsatz aller analytischen Urteile zu identifizieren ist, ist der Ort des Prinzips des Grundes nicht völlig klar. Zunächst ist an die zweite Analogie der Erfahrung zu denken, zu berücksichtigen sind aber auch der oberste Grundsatz aller synthetischen Urteile und im Bezirk der Dialektik der reinen Vernunft das oberste Prinzip der reinen Vernunft : »wenn das Bedingte gegeben ist, so sei auch die ganze Reihe einander untergeordneter Bedingungen, die mithin selbst unbedingt ist, gegeben, (d. i. in dem Gegenstande und seiner Verknüpfung enthalten).« 59 Um die abschließende Sicht Kants kennenzulernen, ist die Streitschrift gegen Eberhard 60 heranzuziehen, in der Kant seine Auseinandersetzung mit Leib58 59

Ontologie § . Kant, Kritik der reinen Vernunft, B .

Einleitung

xxix

niz und seinen Anhängern dokumentiert. Das Widerspruchsprinzip ist für Kant sowohl logisches als auch ontologisches (transzendentales) Prinzip, das für alle Gegenstände überhaupt gültig ist, bei dem also die kritische Einschränkung auf die Gegenstände, die uns in der Erfahrung gegeben sind, keinen Ort hat. In der Kritik Eberhards macht Kant jedoch darauf aufmerksam, daß die logische und transzendentale Seite des Prinzips des Grundes sorgfältig voneinander zu trennen sind und eine gesonderte Begründung verlangen. Das logische Prinzip des Grundes lautet : »Ein jeder Satz muß einen Grund haben«61 und ist für Kant aus dem Widerspruchsprinzip ableitbar. Das transzendentale Prinzip »Ein jedes Ding muß seinen Grund haben«62 ist dagegen nicht aus dem Widerspruchsprinzip zu beweisen. Für Kant ist der wolffsche Beweis, den er hier nur durch Baumgarten vermittelt zitiert, offenkundig verfehlt. Zudem bezweifelt Kant, daß das Prinzip des Grundes schlechterdings allgemein gelten könne. Das Urwesen hat seinen Grund nicht in ihm selbst, da ein realer Grund stets außerhalb des Begründeten liegt. Mit den gehörigen Einschränkungen ist jedoch das Prinzip des Grundes als objektives Naturgesetz »augenscheinlich klar«.63 Als subjektives Prinzip ist es bei Leibniz nur als Hinweisung darauf zu verstehen, daß es neben dem Widerspruchsprinzip, das sämtliche analytischen Urteile begründet, noch eines anderen Prinzips bedarf, das Kant mit dem obersten Grundsatz aller synthetischen Urteile in der Kritik aufgefunden zu haben beansprucht.

Kant, Über eine Entdeckung, nach der alle neue Kritik der reinen Vernunft durch eine ältere entbehrlich gemacht werden soll, Akademieausgabe, Berlin  ff, Bd. VIII, S.  – . 61 Kant, Streitschrift gegen Eberhard, Akademieausgabe Bd. VIII, S.  f.,  f. 62 Ebd. S.  f. 63 Ebd. S. . 60

Z U DIESER AUSGABE

Dem lateinischen Text liegt die dritte Nachdruckauflage Hildesheim  der zweiten Auflage Frankfurt und Leipzig  zugrunde (im Apparat als B bezeichnet, A bezieht sich auf die erste Auflage Frankfurt und Leipzig ). Diesen Text habe ich vollständig verglichen mit der von Sereri 64 besorgten Ausgabe Verona  65 (im Apparat als C bezeichnet), die mir Herr Professor F. Marcolungo (Verona) freundlicherweise als PDF-Datei zur Verfügung gestellt hat ; die entsprechenden Varianten sind im Apparat dokumentiert bzw. in den Haupttext aufgenommen worden. Zur Gestaltung des Textes sei vor allem vermerkt, daß der im Original sich findende Kleindruck der Anmerkungen zum Haupttext der Paragraphen nicht übernommen wurde ; statt dessen werden die Anmerkungen durch einen Zwischenraum vom Haupttext abgesetzt. Die Marginaltitel des Originals sind als Überschriften gesetzt. Die Punkte nach den Marginaltiteln und den Paragraphenzeichen und -ziffern sind fortgelassen bzw. durch Kommata ersetzt worden. Kursivierungen des Originals wurden beibehalten. Die Paragraphenübersicht findet sich nicht im Original. Die Abbildungen sind wie in der Veronenser Ausgabe in den Text integriert. Ziel meiner Übersetzung war zum einen die Treue zum Original, zum anderen aber die Verständlichkeit für den gegenwärtigen Leser. Dies bedingt, daß manche Prägungen Wolffs und seiner Zeitgenossen nicht übernommen werden konnten, so Zu den von Joseph Sereri herausgebrachten Veronenser Ausgaben vgl. Discursus praeliminaris, hg. von Gawlick / Kreimendahl, S. LV, Anm. . 65 Im Titelblatt wird sie als »Editio tertia latina emendatior« bezeichnet. 64

Einleitung

xxxi

etwa Lehrart für methodus, Grundwissenschaft für philosophia prima.66 Die zum Teil sehr umfangreichen Perioden des Originals wurden bisweilen aufgegliedert. Die Anmerkungen zum deutschen Text basieren auf der genannten Ausgabe von Jean Ecole, Hildesheim . Die Bibliographie der Schriften Wolffs dient zur ersten Orientierung und verzeichnet im allgemeinen keine Rezensionen und Briefe. Als umfassende Bibliographie der Literatur zu Wolff steht seit kurzem die Arbeit von Gerhard Biller zur Verfügung : Wolff nach Kant. Eine Bibliographie, Hildesheim . Die (noch nicht erschienenen) Akten des . Internationalen Wolff-Kongresses in Halle (April ), herausgegeben von Jürgen Stolzenberg und Oliver-Pierre Rudolph, dokumentieren den gegenwärtigen Forschungsstand. Ich möchte Herrn Professor Dr. Jürgen Stolzenberg (Halle) meinen Dank aussprechen, der mich zuerst auf das Desiderat einer Übersetzung der lateinischen Schriften Wolffs aufmerksam gemacht und mich bei dieser Arbeit mit Rat und Tat unterstützt hat. Für eine Lektüre des Manuskripts oder Teilen davon bin ich auch Herrn Professor Dr. Luigi Cataldi Madonna (L’Aquila) und Herrn Gregor Damschen, M. A. (Halle) zu Dank verpflichtet. Halle, im Juli 

Dirk Effertz

Eine kurze Anmerkung zur hier gewählten Übersetzung des »ens« als des Seienden : In der Deutschen Metaphysik gebraucht Wolff selbst für »ens« den Ausdruck »Ding«. Es empfiehlt sich jedoch, dem lateinischen Text näherzubleiben und ens mit »das Seiende« wiederzugeben, da so die Vermischung mit »res« vermieden wird, das im Deutschen allgemein mit »Ding« übersetzt wird. Vgl. dazu auch Ludger Honnefelder, Scientia transcendens. Die formale Bestimmung der Seiendheit und Realität in der Metaphysik des Mittelalters und der Neuzeit, Hamburg , S.  f. 66

CHRISTIAN WOLFF

ERSTE PHILOSOPHIE ODER ON TOLO GIE §§ 1 – 78

2

serenissimo et potentissimo principi ac domino, domino friderico, suecorum, gothorum et vandalorum regi &c. &c. &c. hassiarum landgravio, reliqua. regi ac domino longe clementissimo. 1 rex auguste,2 Inter tot ac tantas virtutes, quibus majestas tua in Orbe universo effulget, haud postrema ea est, quod solidam ac utilem humano generi scientiam in pretio habeas, cum Principibus hanc quoque curam datam esse intelligas, ut opes generis humani amplificent, quas in veritatibus utilitate praestantibus consistere dudum agnoverunt, quotquot de felicitate generis humani ac Rerumpubl. judicare datum. Scientiae mathematicae jam olim in eam formam redactae sunt, ut in publicos privatosque usus converti potuerint, quos, rex sapientissime , satis perspexisti, cum Te in bello Heroem fortissimum praeberes, & etiamnum perspicis, dum terno regnorum diademate coronatus cura provida Septentrioni secula aurea reducis. Philosophia, qua humano generi nihil praestantius a Deo immortali datum esse agnovit antiquitas, manum adhuc expectat emendatricem, ut praeclaros inde fructus percipiant mortales. Ego tanto oneri humeros meos subjeci, cui ferendo ut eos, quantum daretur, pares efficerem, continuo plurimorum annorum studio atque labore annisus sum. Quemadmodum vero jam olim Eu1

2

serenissimo et potentissimo … longe clementissimo ] B serenissimo principi friderico, svecorum, gothorum et vandalorum regi &c. hassiarum landgravio &c. C. rex auguste, ] B om. C.

3

1 2

dem durchlauchtigsten und mächtigsten fürsten und herrn herrn friedrich könig der schweden, goten und vandalen usw. dem landgrafen von hessen usw. dem gütigsten könig und herrn erhabener könig, Unter den zahlreichen und bedeutenden Tugenden, durch die sich Eure Majestät im gesamten Weltkreis auszeichnet, ist die keineswegs die letzte, daß Ihr die gründliche und dem Menschengeschlecht nützliche Wissenschaft schätzt, da Ihr einseht, daß den Fürsten auch die Sorge anvertraut ist, den Reichtum des Menschengeschlechts zu vermehren, der in nützlichen Wahrheiten besteht, wie es diejenigen, denen das Urteil über das Glück des Menschengeschlechts und der Staaten gegeben ist, schon lange erkannt haben. Die mathematischen Wissenschaften sind schon früh in eine solche Form gebracht worden, daß sie öffentlich und privat von Nutzen sein konnten, den Ihr, weisester König, klar erkannt habt, als Ihr im Krieg ein hervorragender Held wart, und auch jetzt noch erkennt, während Ihr, mit dem dreifachen Diadem der Reiche gekrönt, in vorausschauender Sorge für den Norden wieder goldene Zeiten herbeiführt. Die Philosophie, von der das Altertum wußte, daß nichts Wichtigeres als sie dem Menschengeschlecht vom unsterblichen Gott gegeben ist, erwartet noch eine verbessernde Hand, auf daß die Sterblichen ihre glänzenden Früchte ernten können. Ich habe meinen Schultern diese beträchtliche Last auferlegt und durch beharrliche Anstrengung und Arbeit vieler Jahre darauf hingearbeitet, dieser Anforderung, soweit dies

4

dedicatio

clides omnis scientiae mathematicae principia in Systema redegit, ut eorum veritas inconcussa pateret; ita ejus exemplo omnis cognitionis humanae principia prima, quae inter ea etiam continentur, a quibus euclides evidentiam suis mutuatus, in Systema simile coegi, cujus multiplicem ac forsan inexpectatum usum posthac ostensurus. Hoc igitur Systema, quod omnis scientiae, ipsius etiam mathematicae, fundamenta continet, ad pedes majestatis tuae humillima ac venerabunda mente depono, ut propensam Tuam in scientiam voluntatem publico cultu venerarer. Servet Te Deus, rex auguste ! Servet Te per lustra plurima, Nestoreis annis dignum atque coeptis Tuis constanter annuat! augustae majestatis tuae humillimus 1 ac devotissimus cultor christianus wolfius

1

humillimus ] B Humillimus C.

widmung

5

möglich ist, gerecht zu werden. Wie aber Euklid schon früh die Prinzipien der gesamten mathematischen Wissenschaft in ein System gebracht hat, damit deren unerschütterliche Wahrheit offenbar werde, so habe ich nach seinem Vorbild die ersten Prinzipien aller menschlichen Erkenntnis, unter denen sich auch die finden, von denen Euklid die Evidenz für seine Prinzipien bezogen hat, in ein ähnliches System zusammengetragen, dessen vielfältigen und vielleicht unerwarteten Nutzen ich später zeigen werde. Dieses System also, das die Grundlagen aller Wissenschaft, sogar der mathematischen, enthält, lege ich Eurer Majestät mit demütigstem und ehrfürchtigstem Geiste zu Füßen, um Eurem der Wissenschaft geneigten Willen öffentlich zu huldigen. Gott möge Euch behüten, erhabener König, er möge Euch durch viele Jahre hindurch behüten, die Ihr nestorischer Jahre würdig seid, und beständig Eurem Beginnen geneigt sein! Eurer erhabenen Majestät demütigster und ergebenster Verehrer christian wolff

6

PR AEFATIO

Philosophia prima1 invidendis elogiis a Scholasticis exornata; sed, postquam Philosophia Cartesiana invaluit, in contemtum adducta omniumque ludibrio exposita fuit. Cartesius enim clare ac distincte philosophari coepit, ut non admittantur termini, nisi quibus notio clara obvia respondet, aut qui definitione in istiusmodi notiones simpliciores resolubili constant, & res per rationes intrinsecas intelligibili modo explicentur. In Philosophia prima vero terminorum definitiones ut plurimum obscuriores erant ipsis terminis, & canones, quos appellabant, non minus obscuri, quam ambigui, ut adeo nullus propemodum tam horum, quam illarum2 esset usus. Accedebat terminorum istorum in partibus ceteris Philosophiae, ipsis etiam Facultatibus, quas vocant, superioribus abusus: unde perversa illa enascebatur opinio, quasi Ontologia sit Lexicon barbarum philosophicum, in quo explicentur termini philosophici,3 quorum maxima parte tuto carere possimus. Nec parum etiam contemtum Philosophiae primae promovebat, quod Cartesius de terminis ontologicis, quibus carere non possumus, definiendis desperans, eos definitione nulla indigere pronunciasset, quod ipsius opinione ex eorum sint numero, quae rectius intelliguntur, quam definiuntur. Quam primum mihi proposueram philosophiam & certam, & generi humano utilem efficere, atque ea fini in rationem evidentiae demonstrationum Euclidearum inquirebam, praeter formam, quam nuper in Logica delineavi, deprehendebam, eam a notionibus ontologicis pendere. Prima enim, quibus Euclides utitur, principia sunt defini1 2 3

Philosophia prima ] B philosophia prima C. illarum ] B illorum C. philosophici, ] B Philosophici, C.

7

VORREDE

3

4

5

Die Erste Philosophie wurde von den Scholastikern über die Maßen gelobt, fiel aber nach dem Aufstieg der kartesischen Philosophie der Verachtung anheim und wurde von allen verspottet. Descartes nämlich begann, klar und deutlich zu philosophieren; es sollten nur Ausdrücke zugelassen werden, denen ein offenkundig klarer Begriff entspricht oder die durch eine Definition, die in solche einfacheren Begriffe aufgelöst werden kann, feststehen, und die Dinge sollten durch innere Gründe auf einsehbare Weise erklärt werden. In der Ersten Philosophie jedoch waren die Definitionen der Ausdrücke zumeist dunkler als die Ausdrücke selbst, ebenso waren die sogenannten Regeln unklar und vieldeutig, so daß man also beide fast nicht gebrauchen konnte. Hinzu kam noch der Mißbrauch dieser Ausdrücke in den übrigen Teilen der Philosophie und selbst in den sogenannten höheren Fakultäten, wodurch dann die verkehrte Ansicht entstand, die Ontologie sei ein philosophisches Fremdwörterbuch, in dem philosophische Ausdrücke erklärt würden, auf die man größtenteils verzichten könne. Weiterhin trug zur Verachtung der Ersten Philosophie die Tatsache bei, daß Descartes, der hinsichtlich der Definition der ontologischen Ausdrücke, auf die wir doch nicht verzichten können, verzweifelte, erklärte, daß sie einer Definition nicht bedürften, da sie seiner Auffassung nach zu dem gehören, was sich besser verstehen als definieren läßt. Nachdem ich mir vorgenommen hatte, die Philosophie sowohl gewiß als auch für das Menschengeschlecht nützlich zu machen, und zu diesem Zweck den Grund der Evidenz der Euklidischen Beweise erforscht hatte, erkannte ich, daß sie, abgesehen von der von mir neulich in der Logik beschriebenen Form, von den ontologischen Begriffen abhängt. Die ersten von Euklid gebrauchten Prinzipien sind nämlich

8

praefatio

tiones nominales, quibus per se nulla inest veritas, & axiomata, quorum pleraque sunt propositiones1 ontologicae. Atque ita intelligebam Mathesin omnem certitudinem Philosophiae primae acceptam referre, ex qua principia prima desumit. Cum deinde in philosophia theoremata demonstrare conarer praedicatum ex determinationibus subjecti legitimis ratiociniis deducturus, & principia per iteratas demonstrationes ad indemonstrabilia reducere tentarem; ipso opere didici, in omni veritatum genere perinde ac in Mathesi tandem perveniri ad principia Philosophiae primae, ut adeo nullus dubitarem, non ante Philosophiam, adeoque multo minus ea, quae ad Facultates vulgo superiores dictas spectant, methodo scientifica tradi posse, ut illa & certa, & utilis evadat, quam Philosophia prima ad eandem formam esset reducta. Denique ubi primum Mathematicorum tam veterum, quam recentiorum, atque deinde Physicorum quoque in Philosophia praesertim experimentali inventa singulari studio examinarem, quomodo ex aliis quibusdam praesuppositis per certa artificia analytica fuerint deducta, aut deduci saltem potuerint; praecepta quoque Artis inveniendi generalia ex notionibus ontologicis demonstranda esse intellexi, quemadmodum suo tempore fidem oculatam daturus sum, quando Artem inveniendi expositurus & inventa praeclara, quae prostant, ad suas regulas reducturus sum. Immo2 cum & Logicae probabilium, quam adhuc desiderari Leibnitius aliquoties monuit, notionem quandam formarem ac specimina quaedam investigarem; non minus reperi, absque notionibus ontologicis illius praecepta demonstrari minime posse. Abunde igitur utilitatis, immo3 necessitatis prorsus indispensabilis convictus de ea emendanda cogitare coepi. Id autem mihi proposui, ut quaererem notiones distinctas cum entis in genere, tum eorum, quae ipsi conveniunt, praedicatorum, 1 2 3

propositiones ] B Propositiones C. Immo ] B Imo C. immo ] B imo C.

vorrede

6

7 8

9

einerseits Nominaldefinitionen, in denen an sich keine Wahrheit ist, andererseits Axiome, von denen die meisten ontologische Sätze sind. Und so sah ich ein, daß die Mathematik all ihre Gewißheit der Ersten Philosophie verdankt, aus der sie ihre ersten Prinzipien nimmt. Als ich daraufhin versuchte, in der Philosophie Theoreme zu beweisen, indem ich das Prädikat aus den Bestimmungen des Subjekts mit rechtmäßigen Schlüssen ableitete, und mich bemühte, die Prinzipien durch wiederholte Beweise auf Unbeweisbares zurückzuführen, habe ich bei dieser Arbeit herausgefunden, daß man bei jeder Art von Wahrheit ebenso wie in der Mathematik schließlich bei den Prinzipien der Ersten Philosophie anlangt. Deshalb hatte ich keinen Zweifel mehr daran, daß die Philosophie und erst recht die sogenannten höheren Fakultäten nur dann nach der wissenschaftlichen Methode behandelt werden können, um gewiß und nützlich zu werden, wenn die Erste Philosophie in dieser wissenschaftlichen Form ausgearbeitet ist. Als ich dann die Erfindungen der alten und neuen Mathematiker und darauf auch die der Physiker, besonders in der Experimentalphilosophie, mit besonderer Aufmerksamkeit prüfte, wie sie aus gewissen Voraussetzungen und durch bestimmte analytische Kunstgriffe hergeleitet wurden oder zumindest hergeleitet werden konnten, sah ich ein, daß auch die allgemeinen Regeln der Erfindungskunst durch die ontologischen Begriffe bewiesen werden können, wie ich es zu seiner Zeit einleuchtend darlegen werde, wenn ich die Erfindungskunst ausführen und bedeutende vorhandene Erfindungen auf ihre Regeln zurückführen werde. Als ich dann auch einen Begriff der Wahrscheinlichkeitslogik, deren Desiderat Leibniz öfters betont hatte, bildete und einige Proben untersuchte, fand ich ebenso heraus, daß ohne die ontologischen Begriffe deren Regeln nicht bewiesen werden können. Von der Nützlichkeit, ja der gänzlich unverzichtbaren Notwendigkeit der Ersten Philosophie hinreichend überzeugt, begann ich, über ihre Verbesserung nachzudenken. Ich nahm mir aber vor, deutliche Begriffe sowohl des Seienden im allge-

10

praefatio

sive ens qua tale in se consideres, sive ad entia alia, quatenus entia sunt, referas; ut ex istis notionibus deducerem propositiones determinatas, quas solas ad ratiocinandum esse utiles in Logica abunde docui; ut denique in demonstrandis propositionibus istis non admitterem principia nisi in antecedentibus stabilita, quemadmodum in methodo demonstrativa fieri debere in Logica itidem ostendi. Atque sic tandem enatum est praesens, quod nunc in publicum prodit, opus1 Philosophiam primam novo prorsus habitu indutam sistens. Etsi autem methodus scientifica, qua usus sum & in sequentibus Philosophiae partibus utar, postulet, ut singula eo tradantur loco, quo ex praecedentibus intelligi ac demonstrari possunt; cum eadem tamen scholae ordinem simul observare libuit, quantum illa permittit, quemadmodum & in Logica factum est: Atque 2 ideo totum opus in duas partes secui, quarum utramque denuo in sectiones & has rursus in capita subdividere libuit. Ita vero factum est, ut subinde usus fuerim terminis nondum explicatis: quod etsi methodi scientificae legibus adversari videatur, sine ullo tamen periculo fieri potuit, propterea quod per notiones claras, etsi confusas, vulgo obvias intelliguntur, notiones autem earum distinctae, antequam in medium afferuntur, demonstrationem nullam instar principii ingrediuntur. Quodsi quis miretur, vel prorsus reprehendat, definiri in hoc opere, quae per notiones confusas satis apte agnoscuntur & ab aliis distinguuntur, atque talia probari, quae nemo sanus in dubium vocaverit & quisvis 3 ultro sine probatione concesserit; is praesens institutum minime capit. Philosophiam de ente in genere tradimus: non igi-

1 2 3

opus ] B opus, C. Atque ] B atque C. quisvis ] B quivis C.

vorrede

9

10

11

11

meinen als auch der ihm zukommenden Prädikate aufzusuchen, ob man nun das Seiende als solches für sich betrachtet oder auf andere Seiende, sofern sie Seiende sind, bezieht, weiterhin, aus diesen Begriffen bestimmte Sätze abzuleiten, die, wie ich in der Logik hinreichend nachgewiesen habe, allein zum Schließen zu gebrauchen sind, schließlich aber, beim Beweis von diesen Sätzen nur im Vorhergehenden begründete Prinzipien zuzulassen, wie es in der demonstrativen Methode geschehen muß, die ich ebenfalls in der Logik dargestellt habe. Auf diese Weise ist endlich das jetzt der Öffentlichkeit vorgelegte gegenwärtige Werk entstanden, welches die Erste Philosophie in gänzlich neuer Gestalt enthält. Obwohl aber die wissenschaftliche Methode, die ich angewandt habe und in den folgenden Teilen der Philosophie anwenden werde, fordert, daß das Einzelne an dem Ort gelehrt wird, an dem es aus dem Vorhergehenden eingesehen und bewiesen werden kann, hat es mir doch gefallen, zugleich mit dieser Methode auch die Schulordnung zu befolgen, sofern sie es zuläßt, wie ich es auch in der Logik getan habe. Ich habe also das ganze Werk in zwei Teile gegliedert, von denen jeder wiederum in Abschnitte und diese in Kapitel zerfallen. So ist es nun dazu gekommen, daß ich öfter noch nicht erklärte Ausdrücke gebraucht habe. Auch wenn dies mit den Gesetzen der wissenschaftlichen Methode nicht vereinbar zu sein scheint, konnte es doch ohne Gefahr geschehen, da diese Ausdrücke durch klare, wenn auch undeutliche, und gemeinhin bekannte Begriffe verstanden werden, die entsprechenden deutlichen Begriffe aber in keinen Beweis als Prinzip eingehen, bevor sie vorgestellt worden sind. Wenn sich jemand aber darüber wundert oder es sogar tadelt, daß in diesem Werk definiert wird, was durch undeutliche Begriffe hinreichend erkannt und von anderem unterschieden wird, und solches erwiesen wird, was von keinem Verständigen bezweifelt wird und was jeder gerne ohne Erweis zugesteht, so versteht er das gegenwärtige Vorhaben in keiner Weise. Wir stellen die Philosophie über das Seiende im allgemeinen dar: Es genügt also nicht,

12

praefatio

tur sufficit recensere ejus praedicata sive absoluta, sive respectiva, sed reddenda etiam ratio est, cur praedicata ista eidem conveniant, ut a priori convincamur, quod eidem recte tribuantur semperque tribui possint, ubi eaedem determinationes, quas praedicatum supponit, adfuerint. Neque enim sufficit, propositiones aliquas per notiones confusas, quae iisdem respondent, esse claras; sed evolutione illarum facta ostendendum, quid in iis contineatur, ut praedicatum a notione subjecti divelli non posse judicemus. Exempla propositiones tantummodo illustrant, quas experientia suggerit, minime autem illarum universalitatem stabiliunt, quae tum demum in aprico posita est, ubi patet ex determinationibus, quae notioni subjecti insunt, legitima ratiocinatione inferri posse praedicatum. Si quis methodi scientificae vim in cogendo assensu semel expertus fuerit; is nunquam amplius de nimio demonstrandi studio conqueretur. Qui vero quaedam absque probatione admittere voluerit, is per me suo abundet sensu ac demonstrationem praetermittat a propositione sejunctam eamque iis relinquat, qui nimiam in demonstrando scrupulositatem minime reprehendunt, sed in delitiis habent. Quoniam terminorum ontologicorum notiones vulgo nonnisi confusas habemus, distinctae autem abstractorum notiones saepissime diversae judicantur1 a confusis; ideo notionum nostrarum distinctarum identitatem cum confusis aut minimum incompletis vulgaribus demonstrandam esse duxi, ut appareat, nos terminorum receptorum significatum minime immutare. Notiones nostras distinctas ex rebus ipsis derivavimus, ex quibus per omnem Philosophiam sapere potius nobis visum est, quam ex aliorum cogitatis. Notiones communes confusae iisdem respondent, nisi quod male eloquantur

1

judicantur ] B judicentur C.

vorrede

13

dessen absolute oder relative Prädikate anzuführen, sondern man muß den Grund angeben, warum diese Prädikate ihm zukommen, so daß wir a priori überzeugt werden, daß sie ihm zu Recht zugesprochen werden und stets zugesprochen werden können, wenn dieselben Bestimmungen, die das Prädikat voraussetzt, vorhanden sind. Es genügt nämlich nicht, daß einige Sätze durch die undeutlichen Begriffe, die ihnen entsprechen, klar sind, es ist vielmehr durch deren Entwicklung zu zeigen, was in ihnen enthalten ist, so daß wir urteilen, das Prädikat könne vom Subjektsbegriff nicht getrennt werden. Beispiele erläutern lediglich Sätze, die die Erfahrung an die Hand gibt, begründen aber keineswegs deren Allgemeinheit, die erst dann ans Licht kommt, wenn aus den Bestimmungen, die im Subjektsbegriff sind, klar wird, daß das Prädikat durch einen rechtmäßigen Schluß gefolgert werden kann. Wer die Kraft der wissenschaftlichen Methode, Zustimmung zu erzwingen, einmal erfahren hat, der wird sich nie wieder über eine übertriebene Bemühung um Beweise beklagen. Wer aber etwas ohne Erweis zulassen will, der möge meinetwegen auf seiner Anschauungsweise beharren und den vom jeweiligen Satz ohnehin abgetrennten Beweis übergehen und ihn denen überlassen, die eine große Gewissenhaftigkeit im Beweisen keineswegs tadeln, sondern sich daran erfreuen. Da wir gewöhnlich nur undeutliche Begriffe von ontologischen Ausdrücken haben, die deutlichen Begriffe von abstrakten Gegenständen aber sehr oft für verschieden von den undeutlichen gehalten werden, war ich der Auffassung, daß die Identität unserer deutlichen Begriffe mit den undeutlichen oder zumindest unausführlichen gewöhnlichen Begriffen zu beweisen sei, damit klar werde, daß wir die Bedeutung der allgemein angenommenen Ausdrücke nicht verändern. Unsere deutlichen Begriffe haben wir aus den Sachen selbst geschöpft, denen gemäß man meiner Überzeugung nach in der gesamten Philosophie arbeiten muß, statt sich nach den Gedanken anderer zu richten. Die gewöhnlichen undeutlichen Begriffe stimmen mit diesen überein, wenn man davon

14

praefatio

Autores1, quae bene cogitant. Non igitur mirum, quod inter utrasque deprehendatur consensus, etsi de eodem parum fuerimus solliciti. Qui vero modum, quo consensum istum stabilimus, perpendere valet; is satis intelliget, nostra nobis potius profuisse ad ea, quae sunt aliorum, intelligenda, quam aliena ad nostra invenienda. Hoc ipso autem simul innotescit, quomodo nostra obscurius ab aliis dictis lucem affundant, ut plenissime intelligantur: id quod non solum in Philosophia prima obtinet, sed in omni cognitione reliqua, quemadmodum hujus rei specimina & alias dedimus in oratione de Sinarum philosophia practica atque in Horis nostris subsecivis, pluraque inposterum in his ipsis, tum operibus quoque philosophicis,2 dabimus 3 & re ipsa experientur, qui nostra sibi indefesso studio familiaria reddiderint. Si qui forte sint, quibus principia ontologica, quae hic proponuntur, sterilia aut exigui momenti videntur; illi perpendant velim, usum principiorum non ante apparere, quam ad alia demonstranda fuerint applicata, ut adeo judicium praecipitent, qui de eorum usu judicant, ubi de iisdem applicandis nondum fuere solliciti, aut eorum applicandorum nulla adhuc sese obtulit occasio. Multo steriliora videntur elementa4 Euclidea, ut nemo Matheseos reliquae ignarus usum eorum hariolari possit. Ubi vero ad ceteras Matheseos partes pedem promoveris, tantum eorum usum deprehendis, quantum tibi a nemine persuaderi passus fuisses. Aliqua de quantitate principia, quae hic ex notionibus a priori deducta reperies, ea sunt, in quae universa elementa5 Euclidea resolvuntur 6 & unde eadem, atque adeo Mathesis universa,7 evidentiam omnem habet. Ceterae

1 2 3 4 5 6 7

Autores ] B Auctores C. philosophicis, ] B philosophicis C. dabimus ] B dabimus, C. elementa ] B Elementa C. elementa ] B Elementa C. resolvuntur ] B resolvuntur, C. universa, ] B universa C.

vorrede

12

13

15

absieht, daß die Autoren schlecht ausdrücken, was sie gut denken. Es ist also nicht verwunderlich, daß man eine Übereinstimmung zwischen beiden feststellt, auch wenn wir uns nur wenig um sie bemüht haben. Wer aber die Weise, in der wir diese Übereinstimmung begründen, überdenkt, wird hinreichend einsehen, daß unsere Gedanken uns eher dazu dienlich waren, die der anderen zu verstehen, als daß die Auffassungen anderer dazu beigetragen hätten, das Unsrige aufzufinden. Eben dadurch wird aber auch klar, wie das Unsrige die dunklen Aussagen anderer erhellen kann, so daß sie voll verständlich werden. Dies gilt nicht nur in der Ersten Philosophie, sondern in allen übrigen Erkenntnisgebieten; wir haben Proben dafür auch anderswo gegeben, in der Rede über die praktische Philosophie der Chinesen und in unseren Nebenstunden, und wir werden künftig weitere Beispiele in diesen Stunden und auch in den philosophischen Werken geben, wie es diejenigen durch die Sache selbst erfahren werden, die sich mit unseren Schriften durch unermüdliches Studium vertraut gemacht haben. Wenn die hier dargelegten ontologischen Prinzipien einigen unergiebig oder bedeutungslos erscheinen sollten, mögen sie bedenken, daß der Nutzen von Prinzipien erst dann greifbar wird, wenn sie zum Beweis anderer Sätze angewendet werden, so daß also diejenigen das Urteil übereilen, die über ihren Nutzen urteilen, wenn sie sich noch nicht um ihre Anwendung bemüht haben oder sich ihnen noch keine Gelegenheit zu ihrer Anwendung geboten hat. Noch viel unergiebiger scheinen die Euklidischen Elemente zu sein, so daß kein der übrigen Mathematik Unkundiger deren Nutzen vermuten könnte. Wenn man aber zu den übrigen Teilen der Mathematik übergeht, wird man feststellen, daß sie einen großen Nutzen besitzen, von dem man sich durch niemanden hätte überzeugen lassen. Einige Prinzipien über die Quantität, die man hier aus Begriffen a priori abgeleitet findet, sind diejenigen, auf die sich die gesamten Euklidischen Elemente zurückführen lassen und von denen her diese Elemente und so die gesamte Mathematik ihre ganze Ge-

16

praefatio

autem disciplinae philosophicae non minus sua ab Ontologia principia expectant, sine quibus evidentia ea destituuntur, quae ad convictionem sola sufficit. Dici autem vix potest, quantum adjumenti meditanti1 ac docenti2 afferant notiones istae ontologicae, quas ex opere3 praesenti haurire licet, ut ideo easdem notionum directricium4 nomine compellare sueverim. Ceterum longe plurima supersunt, quae his superaddi possunt, sed ex iis deducenda, quae nos tradidimus. Quamobrem qui nostra sibi familiaria reddent, iis ad ulteriora progredi haud erit difficile, ubi methodi scientificae leges habuerint perspectas 5 easque ad praxin transferre didicerint. Sequentia autem opera philosophica6 fertilitatem principiorum ontologicorum palam loquentur, cum ibi demonstranda in eadem resolvantur. Dabam Marburgi 7 d .Sept. .

1 2 3 4 5 6 7

meditanti ] B Meditanti C. docenti ] B Docenti C. opere ] B Opere C. notionum directricium ] B Notionum directricium C. perspectas ] B perspectas, C. opera philosophica ] B Opera Philosophica C. Marburgi ] B Marburgi Cattorum C.

vorrede

17

wißheit beziehen. Auch die übrigen philosophischen Disziplinen erhalten von der Ontologie ihre Prinzipien, ohne die sie jener Evidenz ermangeln, die allein zur Überzeugung zureicht. Es läßt sich aber kaum sagen, wie sehr diese ontologischen Begriffe, die man aus dem vorliegenden Werk schöpfen kann, dem Nachdenkenden und Lehrenden helfen, so daß ich sie mit dem Namen »Leitbegriffe« zu bezeichnen pflege. Im übrigen gibt es noch vieles, was sich hinzufügen ließe, aber aus unserer Lehre abgeleitet werden kann. Wer sich mit unseren Ergebnissen vertraut macht, wird demnach ohne Schwierigkeiten fortschreiten können, sobald er die Gesetze der wissenschaftlichen Methode verstanden und sie auf die Praxis zu übertragen gelernt hat. Die folgenden philosophischen Werke werden aber die Ergiebigkeit der ontologischen Prinzipien deutlich bezeugen, da das dort zu Beweisende auf sie zurückgeführt wird. Marburg, den . September 

18

PHILOSOPHI AE PRIM AE SIVE ON TOLO GI AE PROLEG OMENA

§1 Philosophiae primae definitio Ontologia seu Philosophia prima est scientia entis in genere, seu quatenus ens est. Dedimus hanc definitionem in Discursu praeliminari Logicae praemisso (§ ). Dicitur autem haec philosophiae pars Ontologia, quia de ente in genere agit, nomen suum sortita ab objecto, circa quod versatur. Philosophia prima eadem appellari suevit, quia prima principia notionesque primas tradit, quae in ratiocinando usum habent. Vix aliud hodie contemtius est nomen quam Ontologiae. Postquam enim sterilis Scholasticorum tractatio philosophiae partem utilissimam eamque fundamentalem in contemtionem adduxit ; qui per praecipitantiam statuunt, eam prorsus rejecerunt non sine detrimento scientiarum. Nos eandem a contemtu, quo laborat, vindicamus, sterili tractatione in foecundam conversa. §2 An ontologica sint demonstranda Quoniam scientia est habitus asserta demonstrandi (§  Disc. praelim.) ; quae in Ontologia proponuntur, demonstranda sunt. Sterilis nimirum fuit tractatio Scholasticorum, quod ad formam methodi demonstrativae non attenderint, notionibus confusis,

19

PROLEG OMENA Z UR ER STEN PHILOSOPHIE ODER ON TOLO GIE

§1 Definition der Ersten Philosophie Ontologie oder Erste Philosophie ist die Wissenschaft des Seienden im allgemeinen oder insofern es Seiendes ist. Wir haben diese Definition in der einleitenden Abhandlung gegeben, die der Logik vorangeschickt ist (§ ). Dieser Teil der Philosophie wird aber Ontologie genannt, weil er vom Seienden im allgemeinen handelt, wobei er seinen Namen vom Gegenstand erhalten hat, mit dem er befaßt ist. Derselbe Teil wird gewöhnlich Erste Philosophie genannt, weil er die ersten Prinzipien und ersten Begriffe lehrt, die im Schließen gebraucht werden. Kaum ein anderer Name ist heute mehr verachtet als derjenige der Ontologie. Nachdem nämlich die unergiebige Untersuchung der Scholastiker einen sehr nützlichen und grundlegenden Teil der Philosophie der Verachtung preisgegeben hatte, verwarfen diejenigen, die aus Übereilung urteilen, ihn gänzlich, nicht ohne Schaden für die Wissenschaften. Wir aber befreien diesen Teil von der Verachtung, unter der er leidet, indem wir seine unfruchtbare Untersuchung in eine fruchtbare verwandeln. §2 Ob ontologische Behauptungen zu beweisen sind Da Wissenschaft die Fertigkeit ist, seine Behauptungen zu beweisen (§  Discursus praeliminaris), ist das in der Ontologie Vorgelegte zu beweisen. Die Untersuchung der Scholastiker war nämlich unergiebig, weil sie nicht auf die Form der demonstrativen Methode auf-

20

prolegomena

immo1 subinde prorsus obscuris contenti & a propositionibus determinatis earundemque rationibus intrinsecis alieni. §3 Objectio et responsio Quodsi negas, Ontologiam per scientiam recte definiri, & hinc infers, perperam inde colligi, quod in ea proponenda demonstrari debeant : ego contraria ratione ostendam in Ontologia demonstrativa utendum esse methodo & hinc colligam, quod sit scientia. Sunt utique definitiones nominales arbitrariae atque abunde sufficit, ubi realitatem earum adstruxeris, ut tanquam principiis demonstrandi iisdem uti possis (§  Log.). Ontologiam autem methodo demonstrativa pertractari posse, ipso opere docemus, atque adeo opus non est, ut definitionis realitatem alia ratione evincamus (§  Log.). Ne tamen Logicae nondum satis periti haereant nostra ad examen revocaturi ; eorum gratia alteram quoque viam ingredimur. §4 Rationes speciales cur Ontologiae 2 methodus demonstrativa conveniat In philosophia prima utendum est methodo demonstrativa. Si in Logica, Philosophia practica & Physica, Theologia naturali, Cosmologia generali & Psychologia omnia rigorose demonstranda sunt ; saepius utendum est principiis ontologicis (§ , , ,  & seqq. Disc. prael.), consequenter in Ontologia admittendum non est, nisi quod sufficienter explicatum atque

1 2

immo ] B imo C. Ontologiae ] scripsi ontologiae B C.

prolegomena 1

21

merksam waren, indem sie sich mit undeutlichen, ja oft gänzlich dunklen Begriffen begnügten und bestimmte Sätze und deren innere Gründe nicht kannten. §3 Ein Einwand und seine Beantwortung Wenn man aber verneint, daß die Ontologie richtig als Wissenschaft definiert wird, und von daher folgert, daß deshalb fälschlich geschlossen wird, daß in ihr das Vorgelegte bewiesen werden muß, so werde ich umgekehrt zeigen, daß man in der Ontologie die demonstrative Methode anwenden muß, und von daher schließen, daß sie Wissenschaft ist. Nominaldefinitionen sind jedenfalls willkürlich. Wenn man ihre Realität begründet, so reicht dies vollkommen dafür aus, daß man sie als Beweisprinzipien gebrauchen kann (§  Logica). Daß die Ontologie aber mit der demonstrativen Methode behandelt werden kann, zeigen wir durch unser Werk selbst, und so ist es nicht nötig, daß wir die Realität der Definition auf eine andere Weise dartun (§  Logica). Damit jedoch die in der Logik noch nicht genug Erfahrenen nicht steckenbleiben, wenn sie unsere Überlegungen einer Prüfung unterziehen, beschreiten wir ihnen zuliebe noch einen anderen Weg. §4 Besondere Gründe, warum der Ontologie die demonstrative Methode zukommt In der Ersten Philosophie ist die demonstrative Methode anzuwenden. Wenn in der Logik, praktischen Philosophie, Physik, natürlichen Theologie, allgemeinen Kosmologie und Psychologie alles streng zu beweisen ist, muß man sehr oft ontologische Prinzipien anwenden (§ , , ,  ff. Discursus praeliminaris), folglich darf in der Ontologie nur das zugelassen werden, was zureichend erklärt ist und sich auf unbezweifelte Erfah-

22

prolegomena

experientia indubitata & demonstratione nititur (§  Log.). Utendum igitur in ea methodo demonstrativa sive scientifica (§  & seqq. Log.). Suppono nimirum in disciplinis laudatis certa tradi debere : constat autem neglecta methodo philosophica (§  Disc. prael.), consequenter scientifica (§  Log.), vel absque experientia indubitata & demonstratione certam non obtineri cognitionem (§ ,  Log.). Poteramus vero propositionem praesentem generali quoque ratione stabilire. Nimirum in Ontologia tradenda non sunt, nisi quae sufficienter intelligi & evidenter vera agnosci atque ad casus vitae humanae commode applicari possunt. Eam igitur methodo philosophica (§ , §  Disc. prael.), consequenter eadem, qua Mathematici utuntur (§  Disc. prael.), adeoque demonstrativa tractari convenit. Rationes speciales, ubi generalibus superaccedunt, fortius assensum movent & saepius illis evidentiores sunt, praesertim ubi habueris animum ab abstractis adhuc alienum. §5 Quod Ontologia scientia sit Philosophia prima est scientia. Quae enim in philosophia prima affirmamus, vel negamus, ea demonstrare debemus (§ ). Est igitur scientia (§  Log.). Quousque autem haec scientia sit in potestate nostra, ex sequente pertractione patebit, tum porro olim ex iis, quae alii nostris adjuti iisdem superaddent.

prolegomena

23

rung und Beweis stützt. (§  Logica). Es ist also in ihr die demonstrative oder wissenschaftliche Methode anzuwenden (§  ff. Logica). Ich setze nämlich voraus, daß in den zitierten Disziplinen Gewisses gelehrt werden muß. Es steht aber fest, daß mit Vernachlässigung der philosophischen Methode (§  Discursus praeliminaris), folglich der wissenschaftlichen (§  Logica), oder ohne unbezweifelte Erfahrung und Beweis eine gewisse Erkenntnis nicht erreicht wird (§ ,  Logica). Wir hätten aber den gegenwärtigen Lehrsatz auch mit einem allgemeinen Grund befestigen können. Denn in der Ontologie ist nur das zu lehren, was zureichend eingesehen, evident als wahr erkannt und auf die Fälle des menschlichen Lebens angemessen angewandt werden kann. Es ist also angemessen, sie mit der philosophischen Methode (§ ,  Discursus praeliminaris), folglich mit derselben, welche die Mathematiker anwenden (§  Discursus praeliminaris), also mit der demonstrativen Methode zu behandeln. Wenn besondere Gründe zu den allgemeinen hinzukommen, erzeugen sie eine kräftigere Zustimmung und sind recht oft evidenter als jene, besonders wenn man ein Gemüt besitzt, das dem Abstrakten noch fremd ist. §5 Die Ontologie ist eine Wissenschaft Die Erste Philosophie ist eine Wissenschaft. Was wir nämlich in der Ersten Philosophie bejahen oder verneinen, das müssen wir beweisen (§ ). Sie ist also eine Wissenschaft (§  Logica). Inwieweit uns diese Wissenschaft aber zur Verfügung steht, wird aus der folgenden Untersuchung erhellen, dann weiterhin aus dem, was andere, die unseren Bemühungen behilflich sind, denselben hinzufügen werden.

24

prolegomena

§6 Cur philosophia absque Ontologia methodo demonstrativa tradi nequeat Quoniam 1 philosophia prima methodo demonstrativa pertractanda, ut disciplinae philosophicae ceterae omnes eadem methodo tradi queant, quemadmodum ex demonstratione anteriore liquet (§ ) ; ideo nunc patet, quod in Discursu praeliminari (not. § ) asseruimus, absque philosophia prima philosophiam in universum omnem methodo demonstrativa pertractari non posse. Atque ea potissimum ratio nos impulit, ut tenebras ex philosophia prima expelleremus, ne disciplinae ceterae luce sufficiente destituerentur. Patebit sane ex pertractatione sequente, quam turpiter sese dent vulgo de rebus maximi momenti misere ratiocinantes, qui notiones in philosophia prima explicandas ignorant. Notabo subinde praecipitantiam in judicando plurimis familiarem & judicii lapsus ab ignorantia profectos, ut oculatam efficiam fidem. §7 Quinam philosophiam primam emendet Qui philosophiam primam methodo scientifica pertractat, is philosophiam scholasticam non postliminio in scholis 2 revocat, sed eam emendat. Qui philosophiam primam methodo scientifica pertractat, atque adeo philosophica (§  Log.) : 3 is non utitur terminis nisi accurata definitione explicatis, nec principiis nisi sufficienter probatis (§ ,  Disc. prael.), nec admittit propositiones, nisi accurate determinatas & ex principiis

1 2 3

Quoniam ] C Ecole Qoniam B. in scholis ] B in scholas C. (§  Log.): ] B (§  Log.); C.

prolegomena

25

§6 Warum die Philosophie ohne die Ontologie nicht mit der demonstrativen Methode gelehrt werden kann Da die Erste Philosophie mit der demonstrativen Methode zu behandeln ist, damit alle übrigen philosophischen Disziplinen mit derselben Methode gelehrt werden können, wie es aus dem vorhergehenden Beweis einleutend wird (§ ), so erhellt jetzt, was wir im Discursus praeliminaris (§  Anm.) behauptet haben, daß nämlich ohne die Erste Philosophie die ganze Philosophie insgesamt nicht mit der demonstrativen Methode behandelt werden kann.

2

Die Dunkelheit aus der Ersten Philosophie zu vertreiben, dazu bewegt uns hauptsächlich dieser Grund, daß die übrigen Disziplinen nicht ihres zureichenden Lichtes beraubt werden sollen. Es wird aus der folgenden Untersuchung sicherlich klar werden, wie schimpflich sich gewöhnlich diejenigen verhalten, die über Sachen von größter Bedeutung schlecht nachdenken, weil sie die in der Ersten Philosophie zu erklärenden Begriffe nicht kennen. Ich werde immer wieder eine den meisten vertraute Übereilung im Urteilen und aus Unkenntnis hervorgehende Urteilsfehler tadeln, um einen sehenden Glauben hervorzubringen. §7 Wer die Erste Philosophie verbessert

3

Wer die Erste Philosophie mit der wissenschaftlichen Methode behandelt, der holt die scholastische Philosophie nicht nach dem Rückkehrrecht in die Schulen zurück, sondern verbessert sie. Wer die Erste Philosophie mit der wissenschaftlichen und also philosophischen Methode behandelt (§  Logica), der gebraucht nur durch eine genaue Definition erklärte Ausdrücke, nur zureichend erwiesene Grundsätze (§ ,  Discursus praeliminaris), und läßt nur Sätze zu, die genau bestimmt und aus zureichend erwiesenen Grundsätzen rechtmäßig abgeleitet

26

prolegomena

sufficienter probatis legitime deductas (§ ,  Disc. praelim.), consequenter cum terminos ad notiones completas & determinatas (§  Log.), adeoque distinctas (§ ,  Log.), tum propositiones ad notiones possibiles (§  Log.), easque determinatas (§ ,  Log.), revocat. Quoniam vero Scholastici in philosophia utuntur terminis male definitis, notionibus plerumque confusis, subinde prorsus obscuris, contenti, nec principia sufficienter probant, sed in canonibus vagis atque adeo multae exceptioni obnoxiis acquiescunt, id quod Ontologiam Scholasticorum in contemtionem adduxit, postquam Cartesius confusas & obscuras notiones ex philosophia arceri jussit ; satis profecto superque patet, philosophiam Scholasticam in scholas minime revocari, ubi methodo scientifica traditur ; verum id potius emendari, quod in illa jure reprehendi poterat, ut, quae antea inutilis fuerat (§  Disc. prael.), nec certam ac distinctam cognitionem offerebat (§  Disc. prael.), immo 1 nec sufficienter intelligi, nec vera agnosci poterat (§  Disc. prael.), nunc ad scientiam & vitam utilis sit (§ ,  Disc. prael.), nec solum a Scholasticis dicta & clarius intelligantur, & ad majorem certitudinem perducantur eorumque cum ceteris veritatibus nexus perspiciatur (§  Disc. prael.), sed & nova Ontologia incrementa capiat (§  Disc. praelim.). Agnovit defectus Ontologiae scholasticae Leibnitius & ejus emendationem apprime necessariam judicavit. Etsi autem eandem jam A.  in Actis Eruditorum p.  & seqq. publice commendaverit eruditis ; nemo tamen eandem aggressus est. Equidem jam ante Johannes Claubergius, optimus omnium con-

1

immo ] B imo C.

prolegomena

4

5

27

sind (§ ,  Discursus praeliminaris). Folglich bezieht er sowohl Ausdrücke auf ausführliche und bestimmte (§  Logica) und also deutliche Begriffe (§ ,  Logica) als auch Sätze auf mögliche (§  Logica) und bestimmte (§ ,  Logica) Begriffe. Da die Scholastiker jedoch in der Philosophie schlecht definierte Ausdrücke verwenden, sich mit zumeist undeutlichen, oft gänzlich dunklen Begriffen begnügen und auch Grundsätze nicht zureichend erweisen, sonder sich mit unbestimmten und deshalb vielfachen Ausnahmen unterworfenen Leitsätzen zufrieden geben – was die Ontologie der Scholastiker der Verachtung preisgab, nachdem Descartes die undeutlichen und dunklen Begriffe aus der Philosophie ausschließen ließ –, so ist gewiß mehr als genug klar, daß die scholastische Philosophie keineswegs in die Schulen zurückgeholt wird, wenn sie mit der wissenschaftlichen Methode behandelt wird, sondern daß vielmehr das verbessert wird, was in jener Philosophie zu Recht getadelt werden konnte. Infolgedessen wird diese Philosophie, die vorher nutzlos war (§  Discursus praeliminaris), keine gewisse und deutliche Erkenntnis bot (§  Discursus praeliminaris), ja weder zureichend verstanden noch als wahr anerkannt werden konnte (§  Discursus praeliminaris), jetzt für die Wissenschaft und das Leben nützlich (§ ,  Discursus praeliminaris) ; und es werden nicht nur die Aussagen der Scholastiker sowohl klarer verstanden als auch zu einer größeren Gewißheit gebracht und deren Verknüpfung mit den übrigen Wahrheiten durchschaut (§  Discursus praeliminaris), sondern die Ontologie erhält auch neuen Zuwachs (§  Discursus praeliminaris). Leibniz erkannte die Mängel der scholastischen Ontologie und war der Auffassung, daß ihre Verbesserung besonders nötig sei. Obwohl er aber schon  in den Acta Eruditorum S.  ff. diese Verbesserung öffentlich den Gelehrten empfahl, hat gleichwohl niemand sie in Angriff genommen. Freilich gab es schon vorher Johannes Clauberg, nach aller Eingeständnis der beste

28

prolegomena

fessione Cartesii interpres, qui classicum canente Cyriaco Lentulo, Professore Herbornensi, homine Litteratore,1 sed philosophiae ignaro, fastu ventoso & ingenio turbulento praedito, ob culturam philosophiae Cartesianae plurimum vexatus (qua de re Lentuli evolvatur Tractatus, sub titulo : Cartesius triumphatus & Nova sapientia ineptiarum & blasphemiae convicta, Francofurti ad Moenum A.  in . editus) emendationem philosophiae primae in Metaphysica de ente, quae tertia vice Amstelodami  in . prodiit, tentaverat ; sed non satis felici successu, ut ideo Leibnitius, meritorum Claubergianorum praeco ingenuus, in Miscellaneis Leibnitianis a Joachimo Friderico Fellero Lipsiae A.  in .2 editis part. , num. , p. , philosophiam primam (loc. cit.) adhuc inter quaerenda retulerit. Neque adeo mirum, quod scientia illa princeps, quam recte omnino appellat Leibnitius (loc. cit), a contemtu, quo laborat, nondum fuerit liberata. Difficilior vero est philosophiae primae scientifica tractatio, quam Matheseos, cum,3 quae notionibus metaphysicis respondent,4 non aeque sub sensus atque imaginationem cadant, quemadmodum mathematica, nec tam facile ad examina revocantur. Etsi autem Scholastici lucem exoptatam Ontologiae affundere non potuerint ; non tamen ideo nulla eorum sunt in hanc scientiam merita. Etenim terminis Scholasticorum notiones claras, utut confusas, respondere deprehendi, sicque eos minime inanes esse intellexi (§  Log.), quemadmodum vulgo putatur. Immo 5 ubi notiones distinctas primarum quarundam reperissem, ipsam terminorum etymologiam viam haud raro indicare notiones cum iis conjungendas inve-

1 2 3 4 5

Litteratore, ] B Literatore, C. . ] B . C. cum, ] B cum C. respondent, ] B respondent C. Immo ] B Imo C.

prolegomena

6

7, 8

9

29

Interpret des Descartes ; während Cyriacus Lentulus, ein Professor aus Herborn, zwar ein gelehrter Mensch, aber der Philosophie unkundig, mit einem aufgeblasenen Stolz und einem unruhigem Temperament versehen, nur das Angriffssignal dazu gab, hatte er eine Verbesserung der Ersten Philosophie versucht, in seiner Metaphysica de ente, die in der dritten Auflage Amsterdam  als Quartband erschienen ist, da er wegen seiner Pflege der cartesischen Philosophie sehr angegriffen worden war (bezüglich dieser Sache möge die Abhandlung des Lentulus eingesehen werden, die unter dem Titel Cartesius triumphatus & Nova sapientia ineptiarum & blasphemiae convicta Frankfurt am Main  als Quartband erschien). Dies geschah jedoch mit nicht hinreichend glücklichem Ausgang, so daß deshalb Leibniz, der edle Verkünder der Verdienste Claubergs, in den vermischten Leibnizschen Schriften, die von Joachim Friedrich Feller Leipzig  als Oktavband herausgegeben wurden, Teil , Nr. , S.  die Erste Philosophie (a. a. O.) noch als eine zu suchende betrachtete. Es ist also nicht verwunderlich, daß jene Leitwissenschaft, wie sie Leibniz (a. a. O.) ganz zu Recht nennt, von der Verachtung, unter der sie leidet, noch nicht befreit worden ist. Die wissenschaftliche Behandlung der Ersten Philosophie ist jedoch schwerer als die der Mathematik, da das, was den metaphysischen Begriffen entspricht, nicht in der gleichen Weise wie das Mathematische unter die Sinne und die Einbildungskraft fällt und auch nicht so leicht einer Prüfung unterzogen wird. Auch wenn die Scholastiker nun der Ontologie nicht das erwünschte Licht bringen konnten, so waren doch deshalb ihre Verdienste im Hinblick auf diese Wissenschaft nicht nichtig. Ich habe nämlich bemerkt, daß den Ausdrücken der Scholastiker klare, wenn auch undeutliche Begriffe entsprechen, und so eingesehen, daß sie keineswegs leer sind (§  Logica), wie man gewöhnlich meint. Im Gegenteil, sobald ich die deutlichen Begriffe zu gewissen ersten Begriffen gefunden hatte, bemerkte ich, daß allein schon die Etymologie von Ausdrücken nicht selten einen Weg weist, die mit ihnen zu ver-

30

prolegomena

niendi didici (§  Log.). Sunt vero notiones clarae, utut confusae, cognitionis humanae initium (§ ,  Log.), quo sine ulterior non sperandus progressus, cum distinctae primae confusarum a posteriori acquisitarum evolutione obtineantur (§ ,  Log.). Acumine cum opus sit ad abstracta in concretis pervidendum (§  Log.) ; haud raro accidit, ut, qui feliciter ulterius progredi valet, initium facere nequeat. Casus non absimiles in ipsa Mathesi occurunt. Hinc Leibnitius, qui acumine eminebat, affirmabat, se fungi vice cotis. §8 Quaenam in Ontologia pertractanda Quoniam Ontologia de ente in genere agit (§ ) ; ea demonstrare debet, quae entibus omnibus sive absolute, sive sub data quadam conditione conveniunt. E. gr. Duo quaecunque entia A & B vel similia sunt, vel dissimilia. Notiones adeo similitudinis & dissimilitudinis in Ontologia explicandae & generalia similitudinis ac dissimilitudinis principia exinde deducenda. §9 Cur Ontologia amplissimi usus Cum adeo definitiones ac propositiones ontologicae ad entia quaecunque sive in omni, sive in dato quodam statu applicari possint (§ ), Ontologiae usus ubivis sese exerit. Atque inde est, quod, ubi principiorum demonstrationem eo usque continuamus, donec a priori evadent 1 manifesta, semper

1

evadent ] B evadant C.

prolegomena

31

bindenden Begriffe aufzufinden (§  Logica). Es sind aber die klaren, wenn auch undeutlichen Begriffe der Anfang der menschlichen Erkenntnis (§ ,  Logica), ohne den ein weiterer Fortschritt nicht zu hoffen ist, da man die ersten deutlichen Begriffe durch die Entwicklung von undeutlichen, a posteriori erworbenen erhält (§ ,  Logica). Da Scharfsinn nötig ist, um Abstraktes im Konkreten zu erschauen (§  Logica), geschieht es nicht selten, daß, wer glücklich weiter fortschreiten kann, nicht den Anfang zu machen vermag. Nicht unähnliche Fälle begegnen in der Mathematik. Deshalb sagte Leibniz, der sich durch Scharfsinn auszeichnete, er erfülle die Aufgabe eines Wetzsteins. §8 Was in der Ontologie zu behandeln ist Da die Ontologie vom Seienden im allgemeinen handelt (§ ), muß sie das beweisen, was allen Seienden entweder absolut oder unter einer gewissen gegebenen Bedingung zukommt. Beispiel : Zwei beliebige Seiende A und B sind entweder ähnlich oder unähnlich. Daher sind die Begriffe der Ähnlichkeit und Unähnlichkeit in der Ontologie zu erklären und die allgemeinen Prinzipien der Ähnlichkeit und Unähnlichkeit daraus abzuleiten. §9 Warum die Ontologie einen sehr weitreichenden Nutzen hat Weil also die ontologischen Definitionen und Sätze auf beliebige Seiende entweder in jedem oder in einem gewissen gegebenen Zustand angewendet werden können (§ ), zeigt sich der Nutzen der Ontologie überall. Und daher kommt es, daß, wenn wir den Beweis von Prinzipien soweit fortführen, bis sie a priori offenkundig werden, wir

32

prolegomena

ad principia philosophiae primae tandem delabamur, ita ut absque iis in ceteris disciplinis demonstrativa cognitio obtineri haud quaquam possit. Loquitur ipsa Mathesis asserti veritatem. Etenim Euclides demonstrationes suas in principia ontologica resolvit, quae instar axiomatum absque probatione sumit, veluti quod totum sit aequale omnibus suis partibus simul sumtis, 1 quod totum sit majus qualibet sua parte, quod aequalia eidem tertio sint aequalia inter se. Etsi autem principia, quae Mathesis pura ex Ontologia mutuatur, si Elementa Euclidea spectes, adeo manifesta sint, ut absque probatione sumi possint, & notiones, quae 2 inde mutuatur, veluti aequalitatis, majoritatis, minoritatis, congruentiae, adeo clarae, ut confusae satisfaciant ; non tamen idem obtinet in disciplinis philosophicis, quae notiones mutuantur ex Ontologia, ubi confusae non satisfaciunt, sed ad errores facile seducunt, & principia ex ea sumunt, quae sine probatione vera minime agnoscuntur. Immo 3 nec Mathesis notionibus distinctis & principiis ontologicis demonstratis tuto semper caret. Illustria exempla in ipsa pertractatione occurent. Suffecerit hic provocasse ad notionem similitudinis & pendentia hinc principia 4 quae non contemnendum in Geometria habere usum, in Elementis Matheseos universae ostendi. Apparebit quoque ex sequentibus, quantus sit Ontologiae in vita usus & quanta sit praecipitantia in iudicando 5 ex defectu notionum ontologicarum profecta.

1 2 3 4 5

sumtis, ] B sumptis, C. quae ] B quas C. Immo ] B Imo C. principia ] B principia, C. iudicando ] B judicando C.

prolegomena

10 11 12

13 14

15

33

schließlich immer auf die Prinzipien der Ersten Philosophie kommen, so daß ohne diese in den übrigen Disziplinen eine demonstrative Erkenntnis auf keine Weise erreicht werden kann. Die Mathematik selbst zeigt die Wahrheit dieser Behauptung. Denn Euklid führt seine Beweise auf ontologische Prinzipien zurück, die er als Axiome ohne Erweis annimmt, wie zum Beispiel : Das Ganze ist allen seinen zugleich angenommenen Teilen gleich ; Das Ganze ist größer als ein beliebiger Teil von ihm ; Die demselben Dritten Gleichen sind untereinander gleich. Auch wenn nun die Prinzipien, welche die reine Mathematik aus der Ontologie entlehnt, wenn man die Euklidischen Elemente betracht, so offenkundig sind, daß sie ohne Erweis angenommen werden können, und die Begriffe, die sie aus ihr entlehnt, beispielweise Gleichheit, Größersein, Kleinersein, Kongruenz, so klar sind, daß sie als undeutliche befriedigen, so gilt dies doch nicht in den philosophischen Disziplinen, die Begriffe aus der Ontologie entlehnen, wo undeutliche Begriffe nicht befriedigen, sondern leicht zu Fehlern verführen, und Prinzipien aus ihr nehmen, die ohne Erweis keineswegs als wahr erkannt werden. Ja, sogar der Mathematik mangelt es nicht immer ohne Gefahr an deutlichen Begriffen und bewiesenen Prinzipien der Ontologie. Bedeutende Beispiele werden in der Untersuchung selbst vorkommen. Es mag hier wohl genügen, sich auf den Begriff der Ähnlichkeit berufen zu haben und die davon abhängigen Prinzipien, die, wie ich in den Elementen der gesamten Mathematik gezeigt habe, einen nicht zu verachtenden Nutzen in der Geometrie haben. Es wird auch aus dem Folgenden erhellen, wie groß der Nutzen der Ontologie im Leben und wie groß die Übereilung im Urteilen ist, die aus einem Mangel der ontologischen Begriffe entsteht.

34

prolegomena

§ 10 Quinam esse debeat significatus terminorum in communi sermone usitatorum Si qui termini ontologici in communi sermone adhibentur, receptus vulgo iisdem tribuendus est significatus, determinatus tamen idemque fi xus. Etenim in omni philosophia (§  Disc. praelim.), consequenter etiam in Ontologia, quae pars eius 1 est (§  Disc. praelim.), a recepto verborum significatu non est recedendum. Quamobrem terminis quoque ontologicis, quorum in communi sermone usus est, non alius tribuendus est significatus, quam qui vulgo iisdem tribui solet. Quoniam tamen in philosophia significatus vagus & indeterminatus ad determinatum reducendus (§  Disc. praelim.) & ejusdem vocis idem constanter significatus retinendus (§  Disc. praelim.) ; si vel maxime terminorum ontologicorum significatus ob inconstantiam loquendi non constanter invariatus custodiatur in sermone communi, in Ontologia tamen singulis terminis 2 determinatus significatus vindicandus, isque invariatus custodiendus. Terminos multos ontologicos in communi sermone adhiberi nemo ignorat. Quis enim nescit nos saepius loqui de causa, fine, necessario, contingente, possibili, impossibili, perfecto, uno, vero, ordine, spatio, 3 &c. quae notiones omnes in Ontologia explicantur? Terminos illos sumi in significatu recepto probatur, ubi judiciorum receptorum, in quibus adhibentur, ratio inde redditur : id quod & a nobis observabitur. Sufficit autem ex sig-

1 2 3

eius ] B ejus C. singulis terminis ] coni. singulis B C. spatio, ] B spatio C.

prolegomena

35

§ 10 Welches die Bedeutung von in der gewöhnlichen Sprache gebrauchten Ausdrücken sein muß Wenn ontologische Termini in der gewöhnlichen Sprache angewendet werden, ist ihnen die gewöhnlich angenommene Bedeutung zu erteilen, diese jedoch als bestimmte und feste. Denn in aller Philosophie (§  Discursus praeliminaris), folglich auch in der Ontologie, die ein Teil derselben ist (§  Discursus praeliminaris), darf man nicht von der allgemein angenommenen Bedeutung der Wörter abgehen. Deshalb ist auch den ontologischen Ausdrücken, die in der gewöhnlichen Sprache gebraucht werden, keine andere Bedeutung als diejenige zu erteilen, die man ihnen gewöhnlich zu erteilen pflegt. Da jedoch in der Philosophie die schwankende und unbestimmte Bedeutung auf eine bestimmte zurückzuführen ist (§  Discursus praeliminaris) und dieselbe Bedeutung desselben Wortes beständig beizubehalten ist (§  Discursus praeliminaris), so ist doch in der Ontologie, selbst wenn in der gewöhnlichen Sprache die Bedeutung der ontologischen Ausdrücke aufgrund der Unbeständigkeit des Sprechens nicht beständig als unveränderliche bewahrt wird, den einzelnen Ausdrücken eine bestimmte Bedeutung zuzuordnen und diese als unveränderliche zu bewahren. Jeder weiß, daß viele ontologische Ausdrücke in der gewöhnlichen Sprache angewendet werden. Denn wer weiß nicht, daß wir recht oft von Ursache, Zweck, Notwendigem, Zufälligem, Möglichem, Unmöglichem, Vollkommenem, Einem, Wahrem, Ordnung, Raum usw. sprechen, welche Begriffe insgesamt in der Ontologie erklärt werden? Daß diese Ausdrücke in der allgemein angenommenen Bedeutung gebraucht werden, wird bewiesen, wenn der Grund von allgemein angenommenen Urteilen, in denen sie angewendet werden, von daher angegeben wird – was auch von uns befolgt werden wird. Es genügt aber, aus den meisten schwankenden Bedeutungen, die meistens

36

prolegomena

nificatibus vagis pluribus, qui plerumque obtinent, fixum constituisse, qui pluribus iisque magis obviis judiciis satisfacit. § 11 Quinam termini scholasticorum retinendi Termini scholasticorum, quibus aliqua notio, quae vulgo non attenditur, respondet, sunt retinendi. Si enim iis aliqua notio respondet, termino opus est ad eam significandam (§  Log.). Quoniam vero ista vulgo non attenditur, per hypoth. terminus quoque in communi sermone nullus occurrit, adeoque philosophico opus est (§ ,  Disc. praelim.1). Quamobrem cum termini philosophici semel recepti non sint immutandi (§  Disc. praelim.) ; ubi a Scholasticis quidam fuerint introducti, iidem retinendi sunt. Repetenda hic sunt, quae in discursu 2 praeliminari (not. § ) 3 inculcavimus, cum de terminis philosophicis semel receptis non immutandis in genere loqueremur. § 12 An terminis scholasticorum locus sit absque eorum philosophia Si termini Scholasticorum retinentur et non satis accurate definiti accuratius definiuntur ; philosophia prima Scholasticorum non postliminio introducitur. Philosophia Scholasticorum non terminis, quibus utuntur, sed eorum definitionibus minus accuratis & propositionibus perperam determinatis absolvitur. Quamobrem qui terminos Scholasticorum retinet, sed non satis accurate definitos accuratius definit ; is minime philosophiam Scholasticorum suam facit, quin potius praecipuam ejus

1 2 3

praelim. ] B Praelim. C. discursu ] B Discursu C. (not. § ) ] B (§ ) C.

prolegomena

37

vorkommen, eine feste Bedeutung zu bilden, die den meisten und offensichtlicheren Urteilen genügt. § 11 Welche Ausdrücke der Scholastiker beizubehalten sind Die Ausdrücke der Scholastiker, denen ein Begriff entspricht, der gewöhnlich nicht beachtet wird, sind beizubehalten. Denn wenn diesen Ausdrücken ein Begriff entspricht, ist ein Ausdruck zu dessen Bezeichnung nötig (§  Logica). Da aber dieser Begriff gewöhnlich nicht beachtet wird, nach Voraussetzung, kommt auch kein Ausdruck in der gewöhnlichen Sprache vor, also bedarf es eines philosophischen Ausdrucks (§ ,  Discursus praeliminaris). Da die einmal allgemein angenommenen philosophischen Ausdrücke nicht verändert werden dürfen (§  Discursus praeliminaris), so sind, wenn einige von den Scholastikern eingeführt worden sind, dieselben beizubehalten. Hier ist zu wiederholen, was wir im Discursus praeliminaris (§  Anm.) eingeschärft haben, als wir im allgemeinen davon gesprochen haben, daß einmal allgemein angenommene philosophische Ausdrücke nicht verändert werden dürfen. § 12 Gibt es für die Ausdrücke der Scholastiker einen Ort ohne deren Philosophie? Wenn die Ausdrücke der Scholastiker beibehalten werden und die nicht hinreichend genau definierten genauer definiert werden, wird die Erste Philosophie der Scholastiker nicht nach dem Rückkehrrecht eingeführt. Die Philosophie der Scholastiker wird nicht durch die Ausdrücke, die sie verwenden, sondern durch deren zu wenig genaue Definitionen und die fälschlich bestimmten Sätze vollendet. Wer die Ausdrücke der Scholastiker beibehält, jedoch die nicht hinreichend genau definierten genauer definiert, der macht deshalb die Philosophie der Scho-

38

prolegomena

partem emendat, cum definitiones in Ontologia Scholasticorum longe plures sint quam propositiones. Hebetis ingenii est ex identitate terminorum, quibus eadem res denotatur, identitatem inferre philosophiae. Deproperatur judicium ex defectu notionis distinctae identitatis & ignorantia principiorum logicorum de notionibus & terminis. Eidem termino, quo 1 eadem res denotatur, alius jungit notionem obscuram, alius claram, sed confusam, alius distinctam, alius completam, alius incompletam, alius magis, alius minus adaequatam (§ , , ,  Log.). Plures adeo eodem termino ad rem eandem denotandam utentes diversa admodum cognitione gaudent. Retinuimus in Logica terminos scholasticorum receptos 2 nec eorum immutavimus significatum : nemo tamen dixerit, nos Logicam scholasticorum a recentioribus abrogatam denuo quasi ex orco revocasse. Rideretur ab Astronomis, si quis ob retentos terminos Astronomiae veteris simile de Keplero judicium ferret (not. §  3 Disc. prael. 4). § 13 Claritas terminorum ontologicorum communium male definitorum Termini ontologici, qui in communi sermone adhibentur, sunt clari, etsi male definiantur. Cum satis constet, quando iisdem sit utendum, utut nulla definitione utamur ; iisdem claras jungi-

1 2 3 4

quo ] C quibus B. receptos ] B receptos, C. §  ] C Ecole §  B. prael. ] B pr. C.

prolegomena

39

lastiker keineswegs zu der seinen, vielmehr verbessert er ihren vorzüglichsten Teil, da es in der Ontologie der Scholastiker bei weitem mehr Definitionen als Sätze gibt.

16

Es ist Zeichen eines stumpfen Geistes, aus der Identität von Ausdrücken, mit denen dieselbe Sache bezeichnet wird, auf die Identität der Philosophie zu schließen. Dieses Urteil wird übereilt aufgrund des Fehlens eines deutlichen Begriffs der Identität und aufgrund der Unkenntnis der logischen Prinzipien bezüglich von Begriffen und Ausdrücken. Mit demselben Ausdruck, durch den dieselbe Sache bezeichnet wird, verbindet einer einen dunklen Begriff, ein anderer einen klaren, jedoch undeutlichen, ein anderer einen deutlichen, ein anderer einen ausführlichen, ein anderer einen unausführlichen, ein anderer einen mehr, ein anderer einen weniger vollständigen (§ , , ,  Logica). Mehrere also, die denselben Ausdruck zur Bezeichnung derselben Sache verwenden, erfreuen sich einer ziemlich verschiedenen Erkenntnis. Wir haben in der Logik die allgemein angenommenen Ausdrücke der Scholastiker beibehalten und ihre Bedeutung nicht verändert. Niemand kann jedoch sagen, daß wir die von den Neueren verworfene Logik der Scholastiker gleichsam aus der Unterwelt wieder zurückgeholt haben. Von den Astronomen würde jemand verlacht werden, wenn er aufgrund der Beibehaltung der Ausdrücke der alten Astronomie ein ähnliches Urteil über Kepler fällte (§  Discursus praeliminaris Anm.). § 13 Die Klarheit von gewöhnlichen ontologischen Ausdrücken, die schlecht definiert sind Ontologische Ausdrücke, die in der gewöhnlichen Sprache angewendet werden, sind klar, auch wenn sie schlecht definiert werden. Da hinreichend feststeht, wann man sie gebrauchen muß, auch wenn wir keine Definition besitzen, so verbinden wir mit

40

prolegomena

mus notiones (§ ,  Log.), etsi confusas (§  Log.), quas loquentibus de rebus praesentibus attendentes ipso usu acquisivimus (§  Log.). Termini adeo clari sunt, si vel maxime male definiantur (§  Log.). E. gr. Existentiam, substantiam, personam male definiunt Scholastici ; termini tamen ideo non obscuri sunt, sed clari, cum clarae iisdem respondeant notiones usu acquirendae, vi quarum existentiam, substantiam, personam agnoscimus. § 14 Claritas terminorum scholasticorum male definitorum Termini philosophici a Scholasticis in Ontologiam introducti clari sunt, si non omnes, saltem plurimi, utut male ab ipsis fuerint definiti. Etenim examine instituto deprehendi 1 si non omnibus saltem plerisque respondere notiones claras, per exempla & judicia de rebus obviis communicandas (§  Log.), atque eos, qui terminorum istorum autores 2 sunt, notiones illas habuisse. Termini adeo isti clari sunt iidemque eorum autoribus 3 clari fuerunt, non obscuri, utut male definiti (§  Log.). E. gr. Modus obscure definitur, quod sit forma separabilis ex parte subjecti et plane inseparabilis ex parte sui : respondet tamen voci notio clara per exempla manifesta, veluti quod calor sit modus lapidis, quae ad eum agnoscendum sufficit. Hinc termini Scholasticorum ex exemplis intelliguntur, qui per definitionem apparebant obscuri.

1 2 3

deprehendi ] B deprehendi, C. autores ] B auctores C. autoribus ] B auctoribus C.

prolegomena

41

ihnen klare (§ ,  Logica), obgleich undeutliche (§  Logica) Begriffe, die wir durch den Gebrauch selbst erworben haben (§  Logica), indem wir auf diejenigen aufmerksam waren, die über die gegenwärtige Sache sprachen. Die Ausdrücke sind also klar, selbst wenn sie schlecht definiert werden (§  Logica). Beispiel : Die Scholastiker definieren Existenz, Substanz, Person schlecht. Diese Ausdrücke sind deshalb jedoch nicht dunkel, sondern klar, da ihnen durch den Gebrauch zu erwerbende klare Begriffe entsprechen, kraft deren wir Existenz, Substanz, Person erkennen. § 14 Die Klarheit der schlecht definierten scholastischen Ausdrücke Wenn auch nicht alle, so sind doch wenigstens die meisten von den Scholastikern in die Ontologie eingeführten philosophischen Ausdrücke klar, obschon sie von ihnen schlecht definiert worden sind. Nach einer Prüfung habe ich nämlich herausgefunden, daß, wenn nicht allen, so doch wenigstens den meisten Ausdrücken klare Begriffe entsprechen, die durch Beispiele und Urteile über offensichtliche Sachen mitzuteilen sind (§  Logica), und daß diejenigen, die Urheber dieser Ausdrücke sind, jene Begriffe besaßen. Diese Ausdrücke sind also klar und waren auch ihren Urhebern klar, nicht dunkel, obgleich sie schlecht definiert waren (§  Logica). Beispiel : Modus wird dadurch dunkel definiert, daß er eine bezüglich des Subjekts abtrennbare Form und bezüglich seiner selbst eine gänzlich unabtrennbare Form sei. Diesem Wort entspricht jedoch ein durch Beispiele offenkundiger klarer Begriff (beispielsweise daß Wärme ein Modus des Steins ist), der zureicht, ihn zu erkennen. Deshalb werden die Ausdrücke der Scholastiker, die gemäß ihrer Definition dunkel schienen, durch Beispiele verstanden.

42

prolegomena

§ 15 Obscuritas illorum terminorum relativa Cum fieri possit, ut terminus aliquis sit alteri clarus, qui alteri est obscurus (§  Log.), immo 1 ut terminus idem uni sit obscurior, quam alteri (§  Log.) ; minime repugnat, ut lectori termini ontologici Scholasticorum sint obscuri, qui autoribus 2 eorum erant clari, immo 3 ut uni lectori sint obscuriores, quam alteri. Per praecipitantiam adeo termini metaphysici seu ontologici Scholasticorum obscuritatis redarguuntur, ubi aliam rationem reddere non possis, quam quod a te atque aliis non intelligantur 4. Hac enim ratione tantum probas, quod tibi atque aliis sint obscuri. Probaturus adeo, eosdem terminos autoribus 5 suis fuisse obscuros demonstrare teneris, eos cum iisdem non conjunxisse ideam confusam, quae cum clara esset (§  Log.) 6 terminum clarum effecit illis (§  Log.), cum autem distincta non esset, ab iis cum aliis per definitionem communicari minime potuit (§ ,  7 Log.). § 16 Unde agnoscatur terminum alteri fuisse clarum Si quis terminum rite definire nequit, ab exemplis vero, quae profert, communis quaedam notio abstrahi potest ; ei terminum fuisse clarum recte colligitur. Etenim si qua exempla ad eundem terminum illustrandum affert, iis communem quandam notionem inesse supponit : quod per se patet. Quoniam itaque communis quaedam notio ab iis abstrahi potest, ad eam ille atten1 2 3 4 5 6 7

immo ] B imo C. autoribus ] B auctoribus C. immo ] B imo C. intelligantur ] C intelligantut B. autoribus ] B auctoribus C. (§  Log.) ] B (§  Log.), C.  ] B  C.

prolegomena

43

§ 15 Die relative Dunkelheit dieser Ausdrücke Da es geschehen kann, daß ein Ausdruck dem einen klar ist, der einem anderen dunkel ist (§  Logica), ja daß derselbe Ausdruck dem einen dunkler ist als dem anderen (§  Logica), ist es keineswegs widersprüchlich, daß einem Leser die ontologischen Ausdrücke der Scholastiker dunkel sind, die deren Urhebern klar waren, ja daß sie dem einen Leser dunkler als dem anderen sind. Die metaphysischen oder ontologischen Ausdrücke der Scholastiker werden also aus Übereilung der Dunkelheit bezichtigt, wenn man dafür keinen anderen Grund angeben kann als den, daß sie von dir und anderen nicht verstanden werden. Durch diesen Grund beweist du nur, daß sie dir und anderen dunkel sind. Wenn man also erweisen will, daß dieselben Ausdrücke ihren Urhebern dunkel waren, ist man gehalten, zu beweisen, daß sie mit ihnen keine undeutliche Vorstellung verbunden haben ; da diese klar war (§  Logica), machte sie den Ausdruck für jene klar (§  Logica), da sie aber nicht deutlich war, konnte sie von ihnen keineswegs anderen durch eine Definition mitgeteilt werden (§ ,  Logica). § 16 Woran man erkennt, daß ein Ausdruck einem anderen klar war Wenn jemand einen Ausdruck nicht auf rechte Weise definieren kann, von den Beispielen jedoch, die er vorbringt, ein gewisser allgemeiner Begriff abstrahiert werden kann, so schließt man zu Recht, daß ihm der Ausdruck klar gewesen ist. Wenn er nämlich Beispiele vorbringt, um den Ausdruck zu erläutern, setzt er voraus, daß ein gewisser allgemeiner Begriff in ihnen ist – was durch sich klar ist. Da also ein gewisser allgemeiner Begriff von ihnen abstrahiert werden kann, nimmt man zu Recht an, daß

44

prolegomena

disse recte praesumitur. Quamobrem cum vi istius notionis exempla agnoverit (§  Log.), clara fuerit necesse est (§  Log.)1. Patet adeo, quod erat probandum. E. gr. Definitio modi paulo ante (not. § ) in medium allata accurata non est. Sed si jam exempli afferuntur loco calor lapidis & color ruber vitri, quae duo ad communem notionem reduci possunt, nimirum quod sint enti inexistentia, sed quae per essentiam ejus non determinantur ; facile apparet, autorem 2 definitionis obscurae notionem habuisse claram, vi cujus in dato casu judicavit, quod hoc vel istud in modorum numerum referri debeat. § 17 Unde agnoscatur terminum alteri fuisse 3 obscurum Si quis terminum rite definire nequit, exempla vero, quae profert, ad communem notionem revocari nequeunt ; eidem terminus 4 fuisse obscurus 5 probabiliter colligitur. Etenim dum exempla ad illustrandum terminum profert, hic communem quandam notionem inesse supponit. Quoniam tamen nulla istiusmodi notio locum habet, per hypothesin ; aut enti alterutri inesse perperam judicavit, quod non inest, aut non satis claram, consequenter obscuram notionem cum illo conjunxit (§ ,  Log.). Quamdiu ergo nulla apparet ratio, cur prius praesumatur, posterius probabiliter praesumitur, consequenter terminus 6 eidem obscurus 7 fuisse probabiliter colligitur (§  Log.).

1 2 3 4 5 6 7

(§  Log.) ] Ecole (§ ) B C. autorem ] B auctorem C. fuisse ] B fuiße C. terminus ] B terminum C. obscurus ] B obscurum C. terminus ] B terminum C. obscurus ] B obscurum C.

prolegomena

45

jener auf ihn aufmerksam war. Da er kraft dieses Begriffs die Beispiele erkannte (§  Logica), ist es deswegen notwendig, daß er klar war (§  Logica). Es erhellt also, was zu beweisen war. Beispiel : Die kurz vorher (Anm. § ) angeführte Definition des Modus ist nicht genau. Wenn jetzt aber die Wärme des Steins und die rote Farbe des Glases als Beispiele beigebracht werden, welche beide auf einen allgemeinen Begriff zurückgeführt werden können, nämlich daß sie etwas sind, was in einem Seienden existiert, was aber nicht durch dessen Wesen bestimmt wird, so wird leicht klar, daß der Urheber der dunklen Definition einen klaren Begriff hatte, kraft dessen er in einem gegebenen Fall urteilte, daß dieses oder jenes unter die Modi gerechnet werden müsse. § 17 Woran man erkennt, daß ein Ausdruck einem anderen dunkel war Wenn jemand einen Ausdruck nicht auf rechte Weise definieren kann, die Beispiele jedoch, die er vorbringt, nicht auf einen allgemeinen Begriff bezogen werden können, so schließt man mit Wahrscheinlichkeit, daß ihm der Begriff dunkel war. Denn indem er Beispiele zur Erläuterung des Ausdrucks vorbringt, so setzt er hierbei voraus, daß ein gewisser allgemeiner Begriff in ihnen ist. Da jedoch kein derartiger Begriff einen Ort hat, nach Voraussetzung, urteilte er entweder fälschlich, daß dem einen von beiden Seienden inhäriert, was ihm nicht inhäriert, oder er verband mit jenem Ausdruck einen nicht hinreichend klaren, folglich dunklen Begriff (§ ,  Logica). Solange sich also kein Grund zeigt, warum das erstere angenommen werden soll, wird das letztere mit Wahrscheinlichkeit angenommen, folglich wird mit Wahrscheinlichkeit geschlossen, daß ihm der Ausdruck dunkel war (§  Logica).

46

prolegomena

Quodsi quis ea, quae de definitionis applicatione syllogismo contenta dicta sunt (§  Log.), ad notionis confusae applicationem transfert ; ei probatio propositionis praesentis manifestior evadit. Exemplum cape istiusmodi. Si quis existentiae terminum illustraturus provocaret tum ad aedificium, quod contuetur, tum ad aedificium, cujus sibi imaginem vi imaginationis format, tanquam ad entia existentia, is existentiae obscuram haberet notionem, cum nulla sit communis utrique enti existentiae notio. § 18 Alius modus idem agnoscendi Si quis ea perspicit, quae enti insunt, num tamen eidem terminus tribui possit haeret ; ei obscurus est. Etenim si clarus esset, notionem claram eidem jungeret (§  Log.), perspiciens adeo, quae enti insunt, agnosceret, utrum is eidem tribui possit, nec ne (§  Log.) : id quod hypothesi contrariatur. Alia huc spectantia in ipsa Ontologiae pertractatione monituri sumus, ubi istiusmodi probationibus opus habebimus. § 19 Modus vulgaris perveniendi ad notiones ontologicas Quoniam ea est mentis natura, ut ab ente quocunque removere nequeat, quod eidem inesse observat, quemadmodum in ipsa tractatione expressius ostensuri sumus ; universalia autem singularibus, quae percipimus, insunt (§  Log.) ; notiones confusae, quae terminis ontologicis in communi sermone adhibitis

prolegomena

47

Wenn nun jemand das, was über die Anwendung einer Definition in einem Syllogismus gesagt wurde (§  Logica), auf die Anwendung eines undeutlichen Begriffs überträgt, wird ihm der Erweis des gegenwärtigen Lehrsatzes offenkundiger. Man nehme ein Beispiel von der folgenden Art. Wenn jemand, um den Ausdruck »Existenz« zu erläutern, sich sowohl auf ein Gebäude, das er anschaut, als auch auf ein Gebäude, dessen Bild er sich mit Hilfe der Einbildungskraft hervorbringt, als existierende Seiende beriefe, würde er einen dunklen Begriff der Existenz haben, da es keinen für beide Seiende gemeinsamen Begriff der Existenz gibt. § 18 Eine andere Weise, dasselbe zu erkennen Wenn jemand das durchschaut, was einem Seienden inhäriert, jedoch in Verlegenheit ist, ob ihm ein Ausdruck zugeordnet werden kann, ist er ihm dunkel. Denn wenn er klar wäre, würde er mit ihm einen klaren Begriff verbinden (§  Logica) und also, da er durchschaut, was dem Seienden inhäriert, erkennen, ob der Ausdruck ihm zugeordnet werden kann oder nicht (§  Logica). Dies wiederspricht jedoch der Voraussetzung. 17

Anderes hierher Gehöriges werden wir in dieser Abhandlung der Ontologie erinnern, wo wir solche Erweise benötigen werden. § 19 Eine alltägliche Weise, zu ontologischen Begriffen zu gelangen

18

Da dies die Natur unseres Geistes ist, daß er von einem beliebigen Seienden nicht trennen kann, was ihm nach seiner Beobachtung inhäriert, wie wir in dieser Abhandlung ausführlicher zeigen werden, das Allgemeine aber dem Einzelnen, das wir wahrnehmen, inhäriert (§  Logica), werden die undeutlichen Begriffe, die den in der gewöhnlichen Sprache angewendeten

48

prolegomena

respondent, naturali mentis vi acquiruntur, dum rebus obviis tribuimus, quae iisdem insunt, et talia nos jam ante aliis tribuisse recordamur. Hac ratione comparantes res corporeas secundum magnitudinem, v. gr. secundum altitudinem, ad notionem confusam aequalium, majoris atque minoris pervenitur. Postquam vero ista notio menti ingenerata &, dum saepius recurrebat, familiaris facta fuit ; eadem utut confusa in dijudicandis aequalibus ab inaequalibus, majore a minore utimur (§  Log.). § 20 Modus perveniendi ad notiones ontologicas Scholasticorum Et quia in Psychologia annotabimus, quod experientia clara comprobatum, acumen pervidendi universalia in singularibus non modo usu intendi, verum etiam cognitionibus praeviis juvari ; notiones confusas, quae terminis philosophicis a Scholasticis in Ontologiam introductis respondent, similiter acquiri, dum rebus obviis tribuuntur, quae iisdem insunt, et talia nos jam antea aliis tribuisse, vel tribuere potuisse recordamur, satis patet. Ita e. gr. enti omni tribuere Scholastici potentiam obedientialem praevia cognitione determinationis actus vi supernaturali Numinis : quemadmodum suo loco clarius ostendetur. Ipsa quoque tractatione manifestum evadet, quomodo acumen notitiis aliis praeviis, quibus mens imbuta est, juvetur. Hic sufficit no-

prolegomena

19

49

ontologischen Ausdrücken entsprechen, durch eine natürliche Kraft des Geistes erworben, indem wir zugänglichen Sachen das zusprechen, was ihnen inhäriert, und uns erinnern, solches schon vorher anderen Sachen zugesprochen zu haben. Indem man auf diese Weise körperliche Sachen gemäß ihrer Größe, beispielsweise gemäß ihrer Höhe, vergleicht, kommt man zum undeutlichen Begriff des Gleichen, des Größeren und Kleineren. Nachdem aber dieser Begriff in den Geist gelegt und, indem er häufiger wiederkehrte, ihm vertraut geworden ist, gebrauchen wir ihn, obgleich er undeutlich ist, beim Unterscheiden des Gleichen vom Ungleichen, des Größeren vom Kleineren (§  Logica). § 20 Eine Weise, zu den ontologischen Begriffen der Scholastiker zu gelangen Und weil wir in der Psychologie bemerken werden, was durch eine klare Erfahrung bestätigt ist, daß nämlich der Scharfsinn, Allgemeines im Einzelnen zu erschauen, nicht nur durch den Gebrauch gesteigert wird, sondern auch durch vorausgehende Erkenntnisse unterstützt wird, so ist hinreichend klar : Die undeutlichen Begriffe, die den von den Scholastikern in die Ontologie eingeführten philosophischen Ausdrücken entsprechen, werden auf ähnliche Weise erworben, indem zugänglichen Sachen das zugesprochen wird, was ihnen inhäriert, und wir uns erinnern, daß wir solches schon vorher anderen Sachen zugesprochen haben oder zusprechen konnten.

20

21

So haben beispielsweise die Scholastiker jedem Seienden ein Vermögen, zu gehorchen, zugesprochen, nachdem sie vorher die Bestimmung der Wirklichkeit durch die übernatürliche Kraft der Gottheit erkannt hatten – wie an seinem Ort klarer gezeigt werden wird. Auch durch die Abhandlung selbst wird offenkundig werden, wie der Scharfsinn durch andere vorausge-

50

prolegomena

tasse, quod ratiocinando fiat, principiis cognitionis acquisitis ad casus obvios, vel suppositos applicatis (§  Log.). § 21 Ontologia naturalis Notiones ontologicae confusae vulgares constituunt quandam Ontologiae naturalis speciem. Unde (§ ) Ontologia naturalis definiri potest per complexum notionum confusarum terminis abstractis, quibus generalia de ente judicia exprimimus, respondentium, communi facultatum mentis usu acquisitarum. Atque inde est, quod, cum indispensabilis sit Ontologiae usus, eadem tamen carere sese posse sibi videantur, qui eidem nullam navarunt operam. § 22 Scholastici quid in Ontologia praestiterint Unde consequitur, Scholasticos Ontologiam naturalem magis completam effecisse. Addiderunt enim notiones confusas terminis suis discretas, quales in Ontologia naturali occurunt, sed quae in eadem deficiebant (§ ). Quoniam vero illarum notionum indispensabilis usus in ceteris disciplinis, quocunque tandem nomine veniant, perinde deprehenditur, ac vulgarium in sermone communi, quando de rebus vulgo in vita obviis judicatur ; Ontologiam naturalem, quae ad hunc scopum minime sufficiebat, magis completam reddiderunt.

prolegomena

51

hende Kenntnisse, mit denen der Geist ausgestattet ist, unterstützt wird. Hier genügt es, bemerkt zu haben, was im Schließen geschieht, wenn erworbene Prinzipien der Erkenntnis auf zugängliche oder angenommene Fälle angewendet werden (§  Logica). § 21 Die natürliche Ontologie Die alltäglichen undeutlichen ontologischen Begriffe bilden eine gewisse Art von natürlicher Ontologie. Daher (§ ) kann die natürliche Ontologie definiert werden als ein Komplex von undeutlichen Begriffen, die den abstrakten Ausdrücken, mit denen wir allgemeine Urteile über das Seiende ausdrücken, entsprechen und durch den gewöhnlichen Gebrauch der Geistesvermögen erworben wurden. Und daher kommt es, daß, obwohl der Gebrauch der Ontologie unverzichtbar ist, diejenigen, die auf sie keine Mühe verwendet haben, doch glauben, sie könnten ihrer entbehren. § 22 Was die Scholastiker in der Ontologie geleistet haben 22

Daher folgt, daß die Scholastiker die natürliche Ontologie ausführlicher gemacht haben. Sie fügten nämlich undeutliche, durch ihre Ausdrücke unterschiedene Begriffe hinzu, welche in der natürlichen Ontologie vorkommen, aber in ihr zu schwinden begannen (§ ). Da man aber feststellt, daß der Gebrauch jener Begriffe in den übrigen Disziplinen – gleichgültig, welchen Namen sie tragen – ebenso unverzichtbar ist wie der Gebrauch der alltäglichen Begriffe in der gewöhnlichen Sprache, wenn über alltäglich im Leben zugängliche Sachen geurteilt wird, haben sie die natürliche Ontologie, die zu diesem Ziel keineswegs zureichte, ausführlicher gemacht.

52

prolegomena

Sumimus nimirum terminum completi eodem sensu, quem eidem tribuimus in notione completa (§  Log.) & in scripto completo (§  Log.). § 23 Ontologia artificialis Quemadmodum itaque Logica artificialis est distincta explicatio naturalis (§  Log.) ; ita distincta quoque explicatio Ontologiae naturalis dici potest Ontologia artificialis. Atque haec ipsa est, quam supra (§ ) definivimus. Nempe notiones confusae, quae Ontologiae sunt naturalis, in artificiali revocantur ad distinctas, & propositiones vagae, quae ab illis pendent, reducuntur ad determinatas. § 24 Ontologiae 1 artificialis praerogativae Quoniam adeo Ontologia artificialis determinatas tradit propositiones (§ ) ; ideo cum ad scientiam, tum ad vitam utilis (§  Disc. praelim.2). Et quia notiones praeterea terminorum distinctas offert (§ ) ; ideo efficit, ut a Scholasticis et aliis dicta et clarius intelligantur, et ad majorem certitudinem perducantur, et eorum cum certis veritatibus nexus perspiciatur (§  Disc. praelim.) : id quod etiam ex eo patet (vi. § cit.), quod methodo demonstrativa tractetur (§ , ). Hinc apparet Ontologiae artificialis necessitas & eius 3 prae naturali utilitas, cujus neglectui familiaris plurimis praecipitantia in judicando debetur.

1 2 3

Ontologiae ] C Ontologia B. praelim. ] B Praelim. C. eius ] B ejus C.

prolegomena

53

Wir gebrauchen freilich den Ausdruck das Ausführliche in demselben Sinn, den wir ihm beim ausführlichen Begriff (§  Logica) und bei der ausführlichen Schrift (§  Logica) gegeben haben. § 23 Die künstliche Ontologie Wie demnach die künstliche Logik eine deutliche Entfaltung der natürlichen ist (§  Logica), so kann auch eine deutliche Entfaltung der natürlichen Ontologie künstliche Ontologie genannt werden. Und diese ist genau ist die, welche wir oben (§ ) definiert haben. Die undeutlichen Begriffe nämlich, die der natürlichen Ontologie angehören, werden in der künstlichen auf deutliche Begriffe bezogen, und die unbestimmten Sätze, die von jenen abhängen, werden auf bestimmte Sätze zurückgeführt. § 24 Die Vorzüge der künstlichen Ontologie Da die künstliche Ontologie also bestimmte Sätze lehrt (§ ), deshalb ist sie sowohl für die Wissenschaft als auch das Leben nützlich (§  Discursus praeliminaris). Und weil sie außerdem deutliche Begriffe von Ausdrücken bietet (§ ), bewirkt sie deshalb, daß die Aussagen der Scholastiker und anderer sowohl klarer verstanden als auch zu einer größeren Gewißheit gebracht werden und daß ihre Verknüpfung mit gewissen Wahrheiten durchschaut wird (§  Discursus praeliminaris). Dies wird auch daraus klar, (kraft des zit. §), daß sie mit der demonstrativen Methode behandelt wird (§ , ). Von hier aus zeigt sich die Notwendigkeit der künstlichen Ontologie und ihre Nützlichkeit im Vergleich mit der natürlichen Ontologie ; durch ihre Vernachlässigung wird eine den meisten vertraute Übereilung im Urteilen hervorgerufen.

54

prolegomena

§ 25 An Ontologia sit Lexicon philosophicum Quoniam in philosophia prima demonstrari debent, quae entibus omnibus sive absolute, sive sub data quadem conditione conveniunt (§ ), in Lexicis autem vocum saltem significatus explicatur ; Ontologia sive Philosophia prima Lexicon philosophicum non est. Sumo in Lexicis tantum explicari vocum significatus, aut, quod perinde est, voces unius linguae vocibus alterius reddi, propterea quod hoc Lexicorum proprium est. Non attendo morem nunc receptum, quo Lexicis inseruntur scriptis dogmaticis sive historicis, sive scientificis propria. Ceterum veritas propositionis praesentis ex eo etiam apparet, quod Ontologia determinatas tradit propositiones, ad scientiam ideo atque ad vitam utilis (§ , ).1 Impositum vero fuit Ontologiae nomen Lexici philosophici, cum moris esset, ut nonnisi termini ontologici in ceteris disciplinis male applicati in eadem traderentur. Etenim omnis eius 2 usus huc redire videbatur, ut nobis innotescerent termini, quorum in philosophia usus est, generales : termini enim singulis disciplinis proprii in Ontologia locum habent nullum. Ista vero appellatio Ontologiae neglectum non parum promovit, cum plurimi sibi persuaderent, se aut plerisque terminis prorsus carere, aut eos, quibus opus est, ipso usu addiscere posse, quemadmodum voces in communi sermone usitatae non ex Lexicis hauriuntur, sed usu addiscuntur. Immo 3 eadem de causa philosophiae primae honos, quem merebatur, delatus non est : invidenda Scholasticorum elogia, quibus eandem condeco-

1 2 3

(§ , ). ] C (§ , ) B eius ] B ejus C. Immo ] B Imo C.

prolegomena

55

§ 25 Ob die Ontologie ein philosophisches Lexikon ist Da in der Ersten Philosophie bewiesen werden muß, was allen Seienden entweder absolut oder unter einer gewissen gegebenen Bedingung zukommt (§ ), in Lexika aber nur die Bedeutung von Wörtern erklärt wird, ist die Ontologie oder Erste Philosophie kein philosophisches Lexikon.

23

24

25

Ich nehme an, daß in Lexika nur Wortbedeutungen erklärt werden, oder, was vergleichbar ist, daß Wörter einer Sprache durch Wörter einer anderen Sprache übersetzt werden, weil dies die Eigentümlichkeit von Lexika ist. Ich beachte die jetzt allgemein angenommene Gewohnheit nicht, gemäß der in Lexika eingefügt wird, was dogmatischen Schriften, sei es historischen oder wissenschaftlichen, eigentümlich ist. Im übrigen wird die Wahrheit des gegenwärtigen Lehrsatzes auch dadurch klar, daß die Ontologie bestimmte Sätze lehrt, also für die Wissenschaft und das Leben nützlich ist (§ , ). Der Ontologie wurde aber der Name eines philosophischen Lexikons beigelegt, weil es Gewohnheit war, daß in ihr nur ontologische Ausdrücke gelehrt wurden, die in den übrigen Disziplinen schlecht angewendet wurden. Denn ihr ganzer Nutzen schien darauf hinauszulaufen, daß uns die allgemeinen Ausdrücke, die in der Philosophie gebraucht werden, bekannt würden ; Ausdrücke nämlich, die den einzelnen Disziplinen eigentümlich sind, haben in der Ontologie keinen Ort. Diese Bezeichnung der Ontologie förderte aber erheblich ihre Vernachlässigung, da die meisten zu der Überzeugung kamen, daß sie entweder die meisten Ausdrücke gänzlich entbehren oder die Ausdrücke, die benötigt werden, durch den Gebrauch selbst hinzulernen könnten, wie in der gewöhnlichen Sprache gebräuchliche Wörter nicht aus Lexika geschöpft, sondern durch den Gebrauch hinzugelernt werden. Aus demselben Grund ist sogar der Ersten Philosophie die Ehre, die sie verdiente, nicht erwiesen worden ; fast alle haben die beneidenswerten Lobsprüche der

56

prolegomena

rarunt, riserunt hodienumque rident tantum non omnes, & qui Leibnitii acumen admirantur attoniti quasi haerent, quando is philosophiam primam Principem illam scientiam appellat. Ex hoc ipso autem elogio colligitur, si vel aliunde minime constaret, Leibnitium, virum summum, philosophiam primam seu Ontologiam pro Lexico philosophico minime habuisse. § 26 An sit Lexicon barbarum Quoniam vero in Ontologia enodantur notiones quam maxime abstractae, utpote enti in genere convenientes (§ ), iisdem vero, cum vulgo non attendantur, nomina nulla in communi sermone usitata respondent ; ideo termini philosophici in eam fuere introducendi (§  Disc. praelim.), quos ignoravit vetus Latium. Ob istos igitur terminos Ontologia multo minus Lexicon philosophicum barbarum appellari potest. Nimirum meo judicio voces barbarae sunt, quae substituuntur aliis in Latina lingua receptis praeter necessitatem ; minime autem id nominis merentur, quae excogitantur ad ea denominanda, quibus nondum aliquod impositum fuit nomen. Non modo in Ontologia, verum etiam in omni disciplina alia termini philosophici occurrunt, quos ignorarunt Romani, & in quavis scientia atque arte hodienum tales fabricantur, cum terminorum indispensabilis sit usus. Ceterum appellatio Lexici philosophici barbari magis adhuc in contemtum Ontologiam addu-

prolegomena

26

57

Scholastiker, mit denen sie dieselbe schmückten, verlacht und verlachen sie bis heute. Und diejenigen, die den Scharfsinn des Leibniz bewundern, stocken gleichsam erstaunt, wenn dieser die Erste Philosophie als die führende Wissenschaft bezeichnet. Aus genau diesem Lobspruch wird aber geschlossen, selbst wenn es anderswoher keineswegs feststünde, daß Leibniz, dieser herausragende Mann, die Erste Philosophie oder Ontologie keineswegs für ein philosophisches Lexikon gehalten hat. § 26 Ob sie ein Fremdwörterbuch ist Da in der Ontologie aber höchst abstrakte, nämlich dem Seienden im allgemeinen zukommende (§ ) Begriffe entwickelt werden, diesen jedoch, da sie gemeinhin nicht beachtet werden, keine in der gewöhnlichen Sprache gebräuchliche Namen entsprechen, deshalb mußten philosophische Ausdrücke in sie eingeführt werden (§  Discursus praeliminaris), die das alte Latium nicht kannte. Wegen dieser Ausdrücke also kann die Ontologie noch viel weniger ein philosophisches Fremdwörterbuch genannt werden. Nach meinem Urteil sind nämlich Fremdwörter diejenigen, die ohne Notwendigkeit an die Stelle von anderen, in der lateinischen Sprache allgemein angenommenen gesetzt werden ; einen solchen Namen verdienen aber keineswegs Wörter, die zur Bezeichnung dessen ausgedacht werden, dem noch kein Name beigelegt worden war. Nicht nur in der Ontologie, sondern auch in jeder anderen Disziplin kommen philosophische Ausdrücke vor, welche die Römer nicht kannten, und in jeder beliebigen Wissenschaft und Kunst werden sie bis heute gebildet, da der Gebrauch von Ausdrücken unverzichtbar ist. Im übrigen brachte die Bezeichnung »philosophisches Fremdwörterbuch« die Ontologie noch mehr in Verachtung, da diejenigen, die aus Übereilung aufgrund von nicht denselben Begriffen entspre-

58

prolegomena

xit, cum per praecipitantiam ex terminis non respondentibus iisdem notionibus judicantes inde intulerint, se barbara illa lingua carere posse, qua 1 clara evadant obscura. Finis Prolegomenorum

1

qua ] coni. quibus B C.

prolegomena

59

chenden Ausdrücken urteilten, daher schlossen, sie könnten jene fremde Sprache entbehren, durch welche Klares dunkel würde. Ende der Prolegomena

60

PHILOSOPHIAE PRIMAE SIVE ONTOLOGIAE

pars i de notione entis in genere et proprietatibus, quae inde consequuntur sectio i. de principiis philosophiae primae caput i. de principio contradictionis

§ 27 Fundamentum principii contradictionis Eam experimur mentis nostrae naturam, ut, dum ea judicat aliquid esse, simul judicare nequeat, idem non esse. Experientia, ad quam hic provocamus, obvia est, ut alia magis obvia censeri nequeat : ea enim praesto est, quamdiu mens sui sibi conscia. Quis enim nescit, quod rem quamcunque videntes judicare nequeamus, nos eam non videre, etsi nil obstet, quo minus conscientia repugnante idem asseramus. Quis nescit, quod quidpiam1 imaginantes judicare minime valeamus nos idem non imaginari? Quis nescit, quod rei visae vel imaginationis vi repraesentatae quidpiam inesse deprehendentes judicare non possimus, idem eidem non inesse? Quis denique nescit, quod, dum certi nobis esse videmur enti cuidam dato vel absolute vel sub data conditione convenire aliquod praedicatum, haud quaquam in potestate nostra positum reperiamus judicare,2 idem eidem vel absolute, vel sub data conditione non convenire? Patet adeo nos experiri, quod simul judicare minime valeamus, idem esse & non esse (§  Log.).

1 2

quidpiam ] B quodpiam C. judicare, ] B om. C.

61

ERSTE PHILOSOPHIE ODER ONTOLOGIE

erster teil : der begriff des seienden im allgemeinen und die aus ihm folgenden eigentümlichkeiten erster abschnitt : die grundsätze der ersten philosophie kapitel  : das widerspruchsprinzip

§ 27 Die Grundlage des Widerspruchprinzips

27

Wir erfahren dies als die Natur unseres Geistes, daß er, während er urteilt, daß irgend etwas ist, nicht zugleich urteilen kann, daß dasselbe nicht ist. Die Erfahrung, auf die wir uns hier beziehen, ist so offenkundig, daß keine andere für offenkundiger gehalten werden kann : Sie ist nämlich gegenwärtig, solange der Geist sich seiner selbst bewußt ist. Wer wüßte nicht, daß wir, wenn wir eine Sache sehen, nicht urteilen können, daß wir sie nicht sehen, auch wenn nichts hindert, daß wir dies gegen das Zeugnis unseres Bewußtseins behaupten? Wer wüßte nicht, daß wir, wenn wir uns irgend etwas einbilden, keinesfalls urteilen können, daß wir es uns nicht einbilden? Wer wüßte nicht, daß wir, wenn wir wahrnehmen, daß etwas einer gesehenen oder durch das Vermögen der Einbildungskraft vorgestellten Sache inhäriert, nicht urteilen können, es inhäriere ihr nicht? Wer wüßte schließlich nicht, daß wir, während wir sicher zu sein glauben, irgendeinem gegebenen Seienden komme ein Prädikat entweder absolut oder unter einer gegebenen Bedingung zu, es keinesfalls als in unserer Macht stehend erfahren, zu urteilen, dasselbe komme ihm entweder absolut oder unter einer gegebenen Bedingung nicht zu? Es erhellt also, daß wir erfahren, daß wir keinesfalls zugleich urteilen können, dasselbe sei und sei nicht (§  Logica).

62

pars i · sectio i · caput i

Si quis neget, se idem in se experiri, nec affirmare dubitet, se, dum Solem intuetur, atque sibi conscius est, quod eum intueatur, sibi tamen persuadere posse, quod eum non videat, & ita porro ; eum vel mente captis, vel sponte insanientibus annumeramus, cum quibus nobis nihil negotii est. Sceptici sane, nimiam in evitanda judicandi praecipitantia cautionem adhibentes, phaenomena tamen non negarunt, Sexto Empirico referente, hoc est, ultro largiti sunt, se haec videre vel imaginari, & sibi haec talia, non vero simul aliter videri. Unde Cartesius Scepticos convicturus in Meditationibus de prima philosophia, Medit. 1. p. m.  & seqq. in dubium minime vocavit, se talia videre vel imaginari, sibique judicanti certum videri, ipsi A competere B ; sed tantum modo 1 negavit, inde nobis certo constare, entia talia existere, qualia videmus, &, si existant, talia esse, qualia apparent, vel etiam ideo ipsi A competere B, quod certum nobis hoc videatur. Etsi autem experientia, ad quam hic provocamus, obvia sit ; hoc tamen non obstante attentionem meretur, ne alia minus obvia claritate destituantur. § 28 Tenor principii contradictionis Naturae igitur mentis nostrae nobis conscii ad exempla attendentes sine probatione concedimus propositionem terminis generalibus enunciatam : Fieri non potest, ut idem simul sit et non sit, seu quod perinde est, si A sit B, falsum est idem A non esse B, sive A denotet ens absolute consideratum, sive sub data conditione spectatum.

1

tantum modo ] B tantummodo C.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

28

29

63

Wenn jemand leugnet, dasselbe in sich zu erfahren, und nicht zögert, zu behaupten, daß er, während er die Sonne anschaut und sich dessen bewußt ist, daß er sie anschaut, sich dennoch davon überzeugen könne, daß er sie nicht sehe usw., dann zählen wir ihn entweder zu den Wahnsinnigen oder zu den absichtlich Närrischen, mit denen wir nichts zu tun haben. Sogar die Skeptiker, die eine allzu große Vorsicht in der Vermeidung von übereilten Urteilen walten ließen, leugneten gleichwohl nach dem Zeugnis des Sextus Empiricus die Phänomene nicht, das heißt, sie räumten von selbst ein, sie sähen dies oder bildeten es sich ein, und dies erscheine ihnen so, nicht aber zugleich anders. Daher hat Descartes in der Absicht, die Skeptiker zu widerlegen, in den Meditationen über die Erste Philosophie (Meditatio , S.  meine Seitenzählung ff.) es keineswegs in Zweifel gezogen, er sehe oder bilde sich etwas ein und es erscheine ihm als Urteilenden gewiß, daß dem A ein B zukomme. Er verneinte vielmehr lediglich, daß es deshalb für uns gewiß sei, daß so beschaffene Dinge, wie wir sie sehen, existierten, oder wenn sie existierten, daß sie so beschaffen seien, wie sie erscheinen, oder auch, daß allein deshalb dem A B zukomme, weil uns dies gewiß erscheine. Auch wenn die Erfahrung, auf die wir uns hier beziehen, offenkundig ist, verdient sie gleichwohl unsere Aufmerksamkeit, damit nicht anderes, weniger offenkundiges unklar werde. § 28 Die Formel des Widerspruchsprinzips

30

Da wir uns also der Natur unseres Geistes bewußt sind, indem wir unsere Aufmerksamkeit auf Beispiele richten, räumen wir ohne Erweis folgenden in allgemeinen Termi ausgedrückten Satz ein : Es kann nicht geschehen, daß dasselbe zugleich ist und nicht ist, oder, was ebenso gilt, wenn A B ist, ist es falsch, daß dasselbe A nicht B ist, ob nun A ein Seiendes bezeichnet, das absolut betrachtet wird, oder eines, das als unter einer gegebenen Bedingung stehend angesehen wird.

64

E. gr. Fieri non potest, ut coelum 1 nunc sit serenum & simul non serenum ; ut triangulum rectilineum habeat tres angulos duobus rectis aequales & ut non habeat tres angulos duobus rectis aequales ; ut duo triangula aeque alta habeant rationem basium & ut non habeant rationem basium ; ut lapis ex alto delapsus celeriter moveatur & ut non celeriter moveatur ; ut mundus materialis extra ideas nostras existat & ut extra easdem non existat.

§ 29 Nomen et historia ejusdem Propositio haec ; 2 Fieri non potest, ut idem simul sit & non sit, dicitur Principium Contradictionis, ob rationem mox adducendam. Principium autem Contradictionis jam olim adhibuit Aristoteles eodemque usi sunt Scholastici in philosophia prima instar axiomatis maxime generalis. Foecunditas ejus ex sequentibus patebit & parumper attentus haud difficulter animadvertet, omnes demonstrationes logicas 3 eodem niti. Sane si idem simul esse & non esse concesseris, idem praedicatum eidem subjecto sub eadem determinatione & convenire, & non convenire poterit, & eadem propositio simul & vera erit, & falsa (§  Log.) : quo posito, Logica nullum amplius locum habet, utpote quae docere debet, quomodo facultas cognoscitiva dirigatur in veritate cognoscenda, ne praecipites in errores delabamur (§  Log.).

1 2 3

coelum ] B caelum C. haec ; ] B haec : C. logicas ] B Logicas C.

65

Beispiel : Es kann nicht geschehen, daß der Himmel jetzt heiter ist und zugleich nicht heiter ; daß ein geradliniges Dreieck drei Winkel hat, die zwei rechten gleich sind, und nicht drei Winkel hat, die zwei rechten gleich sind ; daß zwei gleich hohe Dreiecke ein Verhältnis der Grundseiten haben und ein Verhältnis der Grundseiten nicht haben ; daß ein Stein, der aus einer Höhe herabfällt, sich schnell bewegt und sich nicht schnell bewegt ; daß die materielle Welt außerhalb unserer Vorstellungen existiert und außerhalb derselben nicht existiert. § 29 Name und Geschichte dieses Prinzips

31 32 33

Der Satz : Es kann nicht geschehen, daß dasselbe zugleich ist und nicht ist, wird als Widerspruchsprinzip bezeichnet, aus einem Grunde, der im folgenden anzuführen ist. Das Widerspruchsprinzip hat schon Aristoteles angenommen, und die Scholastiker haben es in der Ersten Philosophie als zuhöchst allgemeines Axiom angesetzt. Seine Fruchtbarkeit wird im folgenden klar werden, und wer auch nur ein wenig aufmerksam ist, wird unschwer feststellen, daß sich alle logischen Beweise auf es gründen. Wenn man einräumt, daß dasselbe zugleich ist und nicht ist, wird freilich dasselbe Prädikat demselben Subjekt unter derselben Bestimmung sowohl zukommen als auch nicht zukommen können, und derselbe Satz wird zugleich wahr und auch falsch sein (§  Logica). Unter dieser Voraussetzung hat die Logik keinen Ort mehr. Sie hat nämlich die Aufgabe zu lehren, wie das Erkenntnisvermögen in der Erkenntnis der Wahrheit geleitet wird, damit wir nicht durch Übereilung in Irrtümer verfallen (§  Logica).

66

pars i · sectio i · caput i

§ 30 Contradictionis definitio Nimirum Contradicere sibimet ipse dicitur, qui idem simul esse & non esse pronunciat. Unde contradictio est simultanea ejusdem affirmatio & negatio, aut, si mavis, simultaneitas in affirmando & negando. Hinc in Logica duae propositiones dicuntur contradictoriae, quibus idem simul esse & non esse ponitur (§  Log.) : quae earundem definitio ex notione contradictionis fluit, quemadmodum mox patebit. § 31 Contradictio quibusnam propositionibus contineatur Quoniam contradicentium unus affirmat quidpiam esse, quod idem alter esse negat (§ ) 1 ; ideo contradictio duabus continetur propositionibus, quarum una idem esse negatur, quod altera esse affirmatur, seu una tollitur, quod altera ponitur. Ita contradictio duorum Astronomorum, quorum unus Solis motum, alter eiusdem 2 quietem defendit, continetur duabus hisce propositionibus : Sol movetur & Sol non movetur. Cum enim Sol moveri & non moveri simul dicatur ; motus Solis simul esse & non esse ponitur. § 32 Qualitas et quantitas illarum propositionum Demonstravimus vero jam alibi (§ , ,  Log.), propositiones duas contradictorias vel esse singulares, alteram quidem affirmantem, alteram negantem, vel, si altera fuerit universaliter affirmans, alteram esse particulariter negantem ; si vero al-

1 2

(§ ) ] B (§ ) C. eiusdem ] B ejusdem C.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

67

§ 30 Definition des Widerspruchs Es heißt, daß derjenige sich ohne Zweifel widerspricht, der ausspricht, daß dasselbe ist und nicht ist. Deshalb ist Widerspruch die gleichzeitige Bejahung und Verneinung desselben, oder, anders gewendet, die Gleichzeitigkeit im Bejahen und Verneinen.

34

Daher werden in der Logik zwei Sätze widersprechend genannt, durch die gesetzt wird, daß dasselbe zugleich ist und nicht ist (§  Logica). Diese Definition derselben fließt aus dem Begriff des Widerspruchs, wie im folgenden klar werden wird. § 31 In welchen Sätzen ein Widerspruch enthalten ist Da von zwei Sich-Widersprechenden der eine bejaht, daß etwas ist, der andere aber verneint, daß ebendasselbe ist (§ ), so ist ein Widerspruch in zwei Sätzen enthalten, von denen der eine verneint, daß genau das ist, von dem der andere bejaht, daß es ist, oder : von denen der eine aufhebt, was der andere setzt. So ist der Widerspruch zweier Astronomen, von denen der eine die Bewegung der Sonne, der andere die Ruhe derselben verteidigt, in diesen zwei Sätzen enthalten : Die Sonne bewegt sich und Die Sonne bewegt sich nicht. Indem nämlich zugleich gesagt wird, daß die Sonne sich bewegt und nicht bewegt, wird gesetzt, daß die Bewegung der Sonne zugleich ist und nicht ist. § 32 Qualität und Quantität dieser Sätze Wir haben jedoch schon andernorts bewiesen (§ , ,  Logica), daß zwei widersprüchliche Sätze () entweder beide singulär sind, wobei der eine bejaht, der andere verneint, () oder es gilt : wenn der eine universell bejahend ist, ist der andere partikulär verneinend, wenn aber der eine universell verneinend ist,

68

pars i · sectio i · caput i

tera fuerit universaliter negans, alteram esse particulariter affirmantem : quae in usum praesentem probe notanda sunt. E. gr. In exemplo praecedente, Sol movetur & Sol non movetur 1 contradictio continetur duabus propositionibus singularibus (§  2 Log.). Enimvero dum Astronomi recentiores affirmant, planetas omnes esse 3 opacos, veterum autem nonnulli defendunt, planetas quosdam non esse 4 opacos, sed nativo radiare lumine ; contradictio eorum continetur propositione universaliter affirmante & particulariter negante. Veram autem hic adesse contradictionem patet ex ipsa ejus notione. Etenim dum recentiores affirmant, planetas omnes esse opacos, eo ipso negant, dari planetam ullum, qui non sit opacus : dum vero quidam veterum defendunt, quosdam planetas non esse opacos, eo ipso affirmant, dari utique planetas aliquos, qui non sint opaci : quod adeo unus esse negat, id alter esse affirmat. Unde manifesta in hoc casu contradictio. Eadem eodem modo patet in casu simili quocunque. Similiter si recentior Astronomus propugnat, nullum planetam nativo lumine fulgere, dum veterum nonnulli asserunt, planetas quosdam nativo lumine fulgere ; contradictio eorum continetur propositione universaliter negante & particulariter affirmante. Veram autem hic adesse contradictionem non absimili, quo ante, modo patet. Etenim dum recentior Astronomus universaliter negat, dari planetam, qui nativo lumine fulgeat, & veterum aliquis affirmat, dari utique planetam, qui nativo lumine fulgeat ; quod unus negando ponit, alter affirmando tollit. Unde denuo manifesta adest contradictio. Etsi autem propositionum contradictoriarum quantitas & qualitas in Logica fuerit demonstrata, atque adeo generaliter in casu quocunque stabilita ; haud quaquam tamen inutile est, ut

1 2 3 4

movetur ] B movetur, C. §  ] B §  C. esse ] B eße C. esse ] B eße C.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

69

ist der andere partikulär bejahend. Dies ist in gegenwärtigem Zusammenhang durchaus zu beachten.

35 36

Beispiel : Im vorigen Beispiel Die Sonne bewegt sich und Die Sonne bewegt sich nicht, ist der Widerspruch in zwei singulären Sätzen enthalten (§  Logica). Wenn aber die neueren Astronomen behaupten, alle Planeten seien dunkel, einige ältere aber behaupten, einige Planeten seien nicht dunkel, sondern leuchteten durch ihr eigenes Licht, so ist deren Widerspruch im universell bejahenden und im partikulär verneinenden Satz enthalten. Daß hier aber ein echter Widerspruch vorliegt, erhellt aus dem Begriff des Widerspruchs selbst. Wenn nämlich die Neueren bejahen, alle Planeten seien dunkel, so verneinen sie eben dadurch, daß es irgendeinen Planeten gibt, der nicht dunkel ist. Wenn aber einige Ältere verteidigen, daß einige Planeten nicht dunkel sind, so bejahen sie eben dadurch, daß es jedenfalls einige Planeten gibt, die nicht dunkel sind. Der eine verneint also, daß genau das ist, von dem der andere bejaht, daß es ist. Der Widerspruch ist in diesem Fall also offenkundig, und er ist auch in jedem ähnlich gelagerten Fall auf dieselbe Weise offenkundig. Ebenso : Wenn ein neuerer Astronom den Satz verteidigt, daß kein Planet durch eigenes Licht leuchtet, während einige ältere behaupten, daß einige Planeten durch eigenes Licht leuchten, ist deren Widerspruch in einem universell verneinenden und partikulär bejahenden Satz enthalten. Daß hier aber ein echter Widerspruch in einer mit der vorigen durchaus vergleichbaren Weise vorliegt, ist klar. Indem nämlich ein neuerer Astronom universell verneint, daß es einen Planeten gibt, der durch eigenes Licht leuchtet, und einer der älteren bejaht, daß es mindestens einen Planeten gibt, der durch eigenes Licht leuchtet, setzt der eine durch Verneinung, was der andere durch Bejahung aufhebt. Wiederum also liegt ein offenkundiger Widerspruch vor. Auch wenn die Quantität und Qualität der kontradiktorischen Sätze in der Logik aufgewiesen und so generell für jeden Fall festgesetzt worden ist, ist es doch

70

pars i · sectio i · caput i

hoc pacto notionem contradictionis nobis clariorem reddamus, cum ea notiones ontologicas alias ingrediatur. Quemadmodum paulo post constabit, impossibilitatem probari non posse, nisi de contradictione statuere valeas. Quamobrem consultum est, ut non minus cetera, quae de contradictoriis propositionibus demonstrata sunt (§ , , ,  Log.) sibi familiaria reddat de eadem in casu quolibet obvio judicium exasciatum laturus. § 33 Quod contradictio proprie sit nonnisi singularium In casu contradictionis propositionis universaliter affirmantis et particulariter negantis atque universaliter negantis et particulariter affirmantis contradictio revera obtinet inter propositiones singulares ejusdem subject : et praedicati, consequenter in omni casu contradictio est singularium (§ ) 1. Etenim si quis ait, Omne 2 A est B, contradicturus regerit : Non omne A est B, atque adeo Omne tollit per non omne, quod valet quoddam negative sumtum. Si quis vero ait, Nullum A est B, contradicturus regerit : Non nullum A est B, atque adeo nullum tollit per non nullum, quod valet quoddam affirmative sumtum (§ ) 3. Illud autem quoddam, quod sub omni & nullo continetur, includit aliqua singularia sive individua, quae una cum aliis sub propositionis universalis subjecto continentur (§  Log.), & de quibus iisdem in particularibus negatur vel affirmatur, quod de iisdem affirmabatur vel negabatur in universalibus (§ ) 4. Patet adeo contradictionem hic obtinere inter propositiones singulares ejusdem subjecti & praedicati, quarum complexus consti-

1 2 3 4

(§ ) ] Ecole (§ ) B C. Omne ] B omne C. (§ ) ] Ecole (§ ) B C. (§ ) ] Ecole (§ ) B C.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

37

71

nützlich, daß wir uns auf diese Weise den Begriff des Widerspruchs klarer machen, da dieser Begriff auf andere ontologische Begriffe Einfluß hat. Wie sich im folgenden herausstellen wird, kann eine Unmöglichkeit nur erwiesen werden, wenn man einen Widerspruch feststellen kann. Deshalb ist es ratsam, daß jemand, der über die Unmöglichkeit in irgendeinem vorkommenden Fall ein durchdachtes Urteil fällen möchte, sich auch mit den anderen Dingen, die im Bereich der kontradiktorischen Sätze bewiesen sind (§ , , ,  Logica), vertraut macht. § 33 Daß ein Widerspruch eigentlich nur zwischen singulären Sätzen stattfindet Im Fall des Widerspruchs () zwischen einem universell bejahenden und partikulär verneinenden Satz und () zwischen einem universell verneinenden und partikulär bejahenden Satz besteht der Widerspruch in Wahrheit zwischen singulären Sätzen mit demselben Subjekt und Prädikat, und folglich besteht ein Widerspruch in jedem Fall zwischen singulären Sätzen (§ ). Wenn jemand nämlich sagt, Alle A sind B, antwortet der Widersprechende : Nicht alle A sind B, und hebt also das Alle durch das Nicht alle auf, was etwas negativ Verstandenes bedeutet. Wenn jemand aber sagt, Kein A ist B, antwortet der Widersprechende : (Nicht-kein) Einige A sind B, und hebt so Kein durch (Nicht-kein) Einige auf, was etwas positiv Verstandenes bedeutet (§ ). Jenes »etwas« aber, das unter dem »alle« und dem »kein« steht, schließt einige singuläre oder individuelle Dinge ein, die zusammen mit anderen im Subjekt des universellen Satzes enthalten sind (§  Logica), und von denen in partikulären Sätzen etwas verneint oder bejaht wird, was von denselben in universellen Sätzen bejaht oder verneint wurde (§ ). Es erhellt also, daß hier ein Widerspruch zwischen singulären Sätzen mit demselben Subjekt und Prädikat besteht.

72

pars i · sectio i · caput i

tuit propositionem particularem & partem subjecti propositionis universalis. E. gr. In exemplo praecedente, Omnes planetae sunt opaci & Quidam planetae non sunt opaci, sub subjecto planeta omnis continentur Saturnus, Jupiter, Mars, Venus, Mercurius, Luna & Satellites Saturni atque Jovis. Qui ergo affirmat, omnem planetam esse opacum, is utique affirmat, Saturnum esse opacum, Jovem esse 1 opacum, Martem esse opacum & ita porro. Atque adeo propositio universalis est complexus plurium propositionum singularium, quarum plerumque nullum inire datur numerum. Quodsi quis cum Keplero in Paralipomenis in Vitellionem p.  & seqq. existimet, de Venere atque adeo etiam de Mercurio ex ratione ibidem adducta clarissime constare, quod nativum quendam habeant fulgorem ; is sub propositione particulari, quam tanquam contradictoriam universali opponit, comprehendit has singulares, Venus non est opaca, Mercurius non est opacus. Propositio adeo particularis, Quidam planetae non sunt opaci, in hoc casu contradicit universali, quatenus particularis constituitur per duas singulares, Venus non est opaca, Mercurius non est opacus 2 quarum oppositae Venus est opaca, Mercurius est opacus sub universali, Omnis planeta est opacus, continentur. 3 Atque adeo contradictio non obtinet, nisi inter propositiones singulares ejusdem subjecti & praedicati, Venus est opaca & Venus non est opaca, Mercurius est opacus & Mercurius non est opacus.

1 2 3

esse ] B eße C. opacus ] B opacus, C. continentur. ] C continetur. B.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

73

Ein Komplex solcher singulärer Sätze bildet einen partikulären Satz und den Teil des Subjekts eines universellen Satzes.

38

Beispiel : Im vorigen Beispiel Alle Planeten sind dunkel und Einige Planeten sind nicht dunkel sind im Subjekt jeder Planet enthalten Saturn, Jupiter, Mars, Venus, Merkur, der Mond und die Satelliten des Saturn und Jupiter. Wer also behauptet, jeder Planet sei dunkel, der behauptet im besonderen : Der Saturn ist dunkel, Der Jupiter ist dunkel, Der Mars ist dunkel usw. So ist also ein universeller Satz ein Komplex mehrerer singulärer Sätze, deren Zahl zumeist nicht angegeben werden kann. Wenn aber jemand mit Kepler in seinen Zusätzen zur Optik des Witelo S.  ff. der Auffassung ist, daß es in bezug auf die Venus und sogar in bezug auf den Merkur aus dem dort angeführten Grund klar sei, daß sie ein eigenes Leuchten besitzen, so umfaßt er in dem partikulären Satz, den er dem universellen Satz als kontradiktorischen entgegensetzt, folgende singuläre Sätze : Die Venus ist nicht dunkel, Der Merkur ist nicht dunkel. Der partikuläre Satz Einige Planeten sind nicht dunkel widerspricht also in diesem Fall dem universellen Satz, insofern der partikuläre Satz aus zwei singulären Sätzen gebildet wird (Die Venus ist nicht dunkel, Der Merkur ist nicht dunkel), deren Gegenteile Die Venus ist dunkel, Der Merkur ist dunkel im universellen Satz Jeder Planet ist dunkel enthalten sind. Und so besteht der Widerspruch nur zwischen singulären Sätzen mit demselben Subjekt und Prädikat : Die Venus ist dunkel und Die Venus ist nicht dunkel, Der Merkur ist dunkel und Der Merkur ist nicht dunkel.

74

pars i · sectio i · caput i

§ 34 Contradictio universalium et particularium ex contradictione singularium deducta Ex eo igitur 1 quod contradictio intercedit inter propositiones singulares ejusdem subjecti et praedicati, quarum altera affirmativa, altera negativa, sequitur, quod etiam eadem intercedere debeat inter universaliter affirmantem et particulariter negantem atque inter universaliter negantem et particulariter affirmantem. Si dubitas, sume in casu singulari contradictorias esse propositiones, Hoc A est B et Hoc A non est B, Istud A est B et Istud A non est B, Illud A est B et Illud A non est B &c. Jam cum propositio particularis, Quoddam A est B ex singularibus istis componatur, Hoc A est B, Istud A est B, Illud A est B, & particularis negativa, Quoddam A non est B sit complexus singularium, Hoc A non est B, Istud A non est B, Illud A non est B ; propositio autem universalis 2 Omne A est B praeter alias etiam continet has singulares, Hoc A est B, Istud A est B, Illud A est B &c. negativa autem, Nullum A est B praeter singulares alias etiam istas, Hoc A non est B, Istud A non est B, Illud A non est B &c. (§ ,  Log.) : evidens omnino est, si dicas, Omne A est B et Quoddam A non est B, vel Nullum A est B & Quoddam A est B, hoc ipso simul poni, Hoc A est B & Hoc A non est B, Istud A est B & Istud A non est B, Illud A est B & Illud A non est B. Quodsi adeo contradictio inter propositiones singulares intercedit, id quod sumitur ; utique etiam inter universalem & particularem intercedere debet. Notandum hic est principium analyticum, quod non exigui usus genus & speciem in sua individua resolvit, ex quibus veluti

1 2

igitur ] B igitur C. universalis ] B universalis, C.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

75

§ 34 Deduktion des Widerspruchs universeller und partikulärer Sätze aus dem Widerspruch singulärer Sätze

39

Ein Widerspruch besteht zwischen singulären Sätzen mit demselben Subjekt und Prädikat, von denen der eine bejahend, der andere verneinend ist. Daraus folgt also, daß ein Widerspruch auch zwischen einem universell bejahenden und einem partikulär verneinenden Satz und zwischen einem universell verneinenden und partikulär bejahenden Satz bestehen muß. Wenn Zweifel über diesen Satz bestehen, so nehme man an, daß im Fall des singulären Satzes die widersprüchlichen Sätze die folgenden seien : Dieses A1 ist B und Dieses A1 ist nicht B, Dieses A2 ist B und Dieses A2 ist nicht B , Dieses A3 ist B und Dieses A3 ist nicht B usw. Nun setzt sich der partikuläre Satz Einige A sind B aus den singulären Dieses A1 ist B, Dieses A2 ist B, Dieses A3 ist B zusammen, und der partikulär verneinende Satz Einige A sind nicht B ist ein Komplex der singulären Sätze : Dieses A1 ist nicht B, Dieses A2 ist nicht B, Dieses A3 ist nicht B. Der universelle Satz Alle A sind B jedoch enthält neben anderen auch diese singulären Sätze : Dieses A1 ist B, Dieses A2 ist B, Dieses A3 ist B usw., der verneinende Satz Kein A ist B aber enthält neben anderen singulären Sätzen auch die folgenden : Dieses A1 ist nicht B, Dieses A2 ist nicht B, Dieses A3 ist nicht B usw. (§ ,  Logica) Wenn man also sagt : Alle A sind B und Einige A sind nicht B, oder : Kein A ist B und Einige A sind B, so wird offenkundig eben dadurch zugleich gesetzt : Dieses A1 ist B und Dieses A1 ist nicht B ; Dieses A2 ist B und Dieses A2 ist nicht B ; Dieses A3 ist B und Dieses A3 ist nicht B. Wenn also nach Annahme ein Widerspruch zwischen singulären Sätzen besteht, so muß er jedenfalls auch zwischen einem universellen und partikulären Satz bestehen. Hier ist das analytische Prinzip anzuführen, dem gemäß mit beträchtlichem Nutzen Gattung und Art in ihre Individuen aufgelöst werden, aus denen wiederum gleichsam ein Ganzes

76

pars i · sectio i · caput i

totum quoddam ex partibus componitur. Cui demonstratio generalis nimis abstracta videtur, quam ut eam capere possit, is repetat exemplum paulo ante (not. § ) allatum. § 35 Contradictio universalium inter se ex contradictione singularium deducta Non absimili modo ostenditur, si propositionum contrariarum una fuerit vera, alteram eidem contradicere, minime autem, si utraque fuerit falsa. Omnes enim propositiones contrariae continentur sub his duabus generalibus Omne A est B et Nullum A est B (§  Log.). Ponamus vi principii analytici modo commemorati (§ ) 1, omne A constare ex C, D, E, F. Propositiones adeo universales Omne A est B et Nullum A est B, ubi una earum veluti Omne A est B vera, aequivalent hisce singularibus simul sumtis, C est B, D est B, E est B, F est B & C non est B, D non est B, E non est B, F non est B. Quare singulae propositiones, quae continentur sub negativa, Nullum A est B, contradicunt singulis propositionibus, quae continentur 2 affirmativa, consequenter tota propositio negativa toti affirmativae contradicit. Quodsi propositio utraque fuerti falsa, singulares sub propositione universali affirmativa contentae non amplius sunt C est B, D est B, E est B, F est B &c. nec contentae sub negativa C non est B, D non est B, E non est B, F non est B ; sed Quoddam A est B & Quoddam A non est B, consequenter propositiones contradictoriae particulares utramque constituunt, atque adeo si vi principii analytici resolvantur, nulla inter ipsos est contradictio.

1 2

(§ ) ] B (not. § ) C. continentur ] B continentur sub C.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

77

aus Teilen zusammengesetzt wird. Wem der eben vorgetragene allgemeine Beweis zu abstrakt erscheint, als daß er ihn verstehen könnte, der erinnere sich des kurz zuvor (§  Anm.) angeführten Beispiels. § 35 Deduktion des Widerspruchs zwischen universellen Sätzen aus dem Widerspruch singulärer Sätze Auf ähnliche Weise wird gezeigt : Wenn von zwei konträren Sätzen der eine wahr ist, widerspricht der andere ihm, dies gilt jedoch nicht, wenn beide falsch sind. Alle konträren Sätze nämlich sind unter diesen zwei generellen enthalten : Jedes A ist B und Kein A ist B (§  Logica). Wir wollen vermöge des eben erwähnten (§ ) analytischen Prinzips setzen, »Jedes A« bestehe aus C, D, E, F. Die universellen Sätze Jedes A ist B und Kein A ist B, von denen einer, etwa Jedes A ist B, wahr ist, sind nun folgenden singulären Sätzen äquivalent, sofern man sie zusammen annimmt : C ist B, D ist B, E ist B, F ist B und : C ist nicht B, D ist nicht B, E ist nicht B, F ist nicht B. Daher widersprechen die einzelnen Sätze, die im verneinenden Satz Kein A ist B enthalten sind, den einzelnen Sätzen, die im bejahenden Satz enthalten sind, und demzufolge widerspricht der ganze verneinende Satz dem ganzen bejahenden Satz. Wenn aber beide Sätze falsch sind, dann sind die singulären, im universell bejahenden Satz enthaltenen Sätze nicht mehr C ist B, D ist B, E ist B, F ist B, usw. und die im verneinenden Satz enthaltenen nicht mehr C ist nicht B, D ist nicht B, E ist nicht B, F ist nicht B, sondern enthalten sind : Einige A sind B und Einige A sind nicht B. Folglich bilden kontradiktorische partikuläre Sätze jeden dieser beiden Sätze, und wenn diese mit Hilfe des analytischen Prinzips aufgelöst werden, ergibt sich zwischen ihnen kein Widerspruch.

78

pars i · sectio i · caput i

Apparet hinc, quod asseruimus alibi (§  Disc. praelim.), Logicam ex Ontologia petere principia, ubi singula rigorose allatis rationibus genuinis demonstranda. Non igitur taedet hic denuo demonstrare, quae iam 1 suo loco (§ , , ,  Log.) evicta fuere. § 36 Propositio universalis vera a contradictione libera Patet ex analysi nostra propositionum universalium in singulares, propositionem universalem veram constare ex meris singularibus veris, consequenter cum eam non ingrediantur propositiones contradictoriae, nullam contradictionem involvere. Exemplum paulo ante (not. § ) allatum idem manifesto loquitur, nimirum quod propositio universalis omnis planeta est opacus constet ex meris singularibus veris, Saturnus est opacus, Jupiter est opacus, Mars est opacus &c. quibus omnibus simul sumtis aequivalet. Idem etiam patet in casu propositionum universalium negativarum verarum. Etenim propositio universalis Nullus planeta nativo lumine fulget constat ex meris singularibus veris, Saturnus non fulget nativo lumine, Jupiter non fulget nativo lumine, Mars non fulget nativo lumine etc. § 37 Item particularis vera Ex eadem patet, propositionem quoque particularem veram constare ex meris singularibus veris (§  Log.), consequenter cum eam non ingrediantur propositiones contradictoriae, nullam contradictionem involvere. Exempli loco est propositio : Quidam planetae Soli nunquam opponuntur, scilicet inferiores, quae constat ex duabus singu-

1

iam ] B jam C.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

79

Es zeigt sich hier, was wir andernorts (§  Discursus Praeliminaris) behauptet haben, daß nämlich die Logik sich Prinzipien aus der Ontologie holt, wo das Einzelne streng mit echten Gründen zu beweisen ist. Es ist also nicht überflüssig, hier erneut zu beweisen, was bereits an seinem Ort ( § , , ,  Logica) dargetan wurde. § 36 Der wahre universelle Satz ist widerspruchsfrei Aus unserer Analyse der universellen Sätze in singuläre Sätze erhellt, daß ein wahrer universeller Satz aus lauter wahren singulären Sätzen besteht. Da in ihn also keine widersprüchlichen Sätze eingehen, schließt er keinen Widerspruch ein. Das zuvor (§  Anm.) angeführte Beispiel drückt denselben Sachverhalt offenkundig aus. Der universelle Satz Jeder Planet ist dunkel besteht aus lauter wahren singulären Sätzen : Der Saturn ist dunkel, Der Jupiter ist dunkel, Der Mars ist dunkel usw. und ist denselben äquivalent, sofern sie zusammen angenommen werden. Dasselbe ist auch im Fall der wahren universell verneinenden Sätze klar. Der universelle Satz Kein Planet leuchtet durch eigenes Licht besteht nämlich aus lauter wahren singulären Sätzen : Der Saturn leuchtet nicht durch eigenes Licht, Der Jupiter leuchtet nicht durch eigenes Licht, Der Mars leuchtet nicht durch eigenes Licht usw. § 37 Auch der wahre partikuläre Satz ist widerspruchsfrei Aus derselben Analyse erhellt, daß auch der wahre partikuläre Satz aus lauter wahren singulären Sätzen besteht (§  Logica). Da in ihn also keine widersprüchlichen Sätze eingehen, schließt er keinen Widerspruch ein. Als Beispiel dient folgender Satz : Einige Planeten stehen nie in Opposition zur Sonne, nämlich die unteren – welcher Satz aus

80

pars i · sectio i · caput i

laribus veris, Venus Soli nunquam opponitur et Mercurius Soli nunquam opponitur, quibus aequivalet. In genere si Quoddam A est B, & A sub se comprehendit individua C, D, E, F, G &c. propositio particularis componitur ex singularibus C est B, D est B, E est B, F est B, G est B &c. vel in casu negativo propositio, Quoddam A non est B, vel Quaedam A non sunt B, constat ex singularibus C non est B, D non est B, E non est B, F non est B, G non est B &c. Plerumque enim numerus individuorum sub subjecto particulariter posito contentorum determinari nequit. E. gr. non constat, quantus sit numerus lapidum, qui sunt calidi, adeoque sub subjecto propositionis particularis.1 Quidam lapides sunt calidi, contenti. § 38 Contradictio latens in propositionibus falsis ob defectum determinationis subjecti Si propositio universalis fuerit falsa ob defectum determinationis subjecti ; pars eius 2 ex singularibus contradictoriis componitur, atque ideo illa contradictionem involvit. Etenim si propositio universalis fuerit falsa ob defectum determinationis subjecti, sub certa quadam conditione est, quod de subjecto absolute posito aut insufficienter determinato affirmatur vel negatur (§  Log.), atque adeo particulariter & vera est, & falsa : vera nempe in casu conditionis praesentis ; falsa in casu conditionis absentis. Nimirum si propositio Omne A est B fuerit falsa ob defectum determinationis C subjecto A adjiciendae, verae sunt propositiones particulares, Quaedam A sunt B et Quaedam A non sunt B, ubi Quaedam A, quae sunt B, sunt illa, quibus adjecta est determinatio C, & quaedam A, quae non sunt B, cetera, quibus non adjecta est determinatio C, consequenter utraque

1 2

particularis. ] B particularis, C. eius ] B ejus C.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

40

81

zwei wahren singulären Sätzen besteht, denen er äquivalent ist : Die Venus steht nie in Opposition zur Sonne und Der Merkur steht nie in Opposition zur Sonne. Im allgemeinen : Wenn gilt : Einige A sind B und A unter sich die Individuen C, D, E, F, G usw. befaßt, dann setzt sich der partikuläre Satz aus den folgenden singulären Sätzen zusammen : C ist B, D ist B, E ist B, F ist B, G ist B usw. Oder im negativen Fall besteht der Satz Irgendein A ist nicht B oder Einige A sind nicht B aus den singulären Sätzen : C ist nicht B, D ist nicht B, E ist nicht B, F ist nicht B, G ist nicht B usw. Zumeist nämlich ist es unmöglich, die Zahl der Individuen zu bestimmen, die unter einem partikulär gesetzten Subjekt enthalten sind. Beispiel : Es steht nicht fest, wie groß die Zahl der Steine ist, die warm sind, und die demnach unter dem Subjekt des partikulären Satzes Einige Steine sind warm enthalten sind. § 38 Der verborgene Widerspruch in aufgrund des Fehlens einer Bestimmung des Subjekts falschen Sätzen Wenn ein universeller Satz falsch ist aufgrund des Fehlens einer Bestimmung des Subjekts, besteht ein Teil seiner aus singulären kontradiktorischen Sätzen, und so schließt er einen Widerspruch ein. Wenn nämlich ein universeller Satz falsch ist aufgrund des Fehlens einer Bestimmung des Subjekts, so steht das, was vom absolut gesetzten oder unzureichend bestimmten Subjekt bejaht oder verneint wird (§  Logica), eigentlich unter einer gewissen Bedingung, und folglich ist er partikulär sowohl wahr als auch falsch : wahr nämlich im Fall der gegebenen Bedingung, falsch im Fall der nicht gegebenen Bedingung. Wenn etwa der Satz Alle A sind B falsch ist aufgrund des Fehlens einer Bestimmung C, die dem Subjekt A hinzuzufügen ist, sind die partikulären Sätze Einige A sind B und Einige A sind nicht B wahr, wobei die »Einige A«, die B sind, jene sind, denen die Bestimmung C hinzugefügt worden ist, die »Einige A« aber, die nicht B sind, sind die übrigen, denen die Bestimmung C

82

pars i · sectio i · caput i

simul constituunt omne A in propositione universali. Quoniam itaque omnis propositio particularis ex singularibus conflatur (§ ), duplicem habemus seriem propositionum singularium verarum, alteram affirmativarum, alteram negativarum. Nimirum si A cum determinatione C continet sub se D, E, F, G &c. & idem A absque determinatione C sub se complectitur H, I, K, L, M &c. propositiones singulares erunt sub particularibus contentae : D est B, E est B, F est B, G est B &c. & H non est B, I non est B ,1 K non est B, L non est B, M non est B &c. Enimvero quoniam etiam ex nostra propositionum anlysi liquet, propositionem universalem Omne A est B, in qua A sub se continet & D, E, F, G &c. & H, I, K, L, M &c. per demonstrata, constare ex propositionibus singularibus D est B, E est B, F est B, G est B, &c. & H est B, I est B, K est B, L est B, M est B &c. (§ 2) ; modo vero ostendimus, quod H non sit B, I non sit B,3 K non sit B, L non sit B, M non sit B &c. evidens omnino est, partem alteram propositionis, unde falsitas manat, & quae esse debebat, Quaedam A non sunt B, contradictoriis constare, consequenter propositionem ipsam 4 contradictionem involvere. Idem eodem modo ostenditur, si propositio falsa fuerit negativa, scilicet Nullum A est B. E. gr. Falsa est propositio, Omnis planeta Soli opponitur, ob defectum determinationis subjecti, quod planetae tantum intelligantur superiores et secundarii. Propositio igitur particulariter falsa est, & simul particulariter vera, scilicet Quidam planetae Soli non opponuntur & Quidam planetae Soli opponuntur. Negativa sub se continet singulares, Mercurius Soli non opponitur,

1 2 3 4

I non est B, ] C om. B. §  ] Ecole §  B C. I non sit B, ] C om. B. propositionem ipsam ] B om. C.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

83

nicht hinzugefügt worden ist ; folglich bilden die beiden Gruppen von A zusammengenommen das »Alle A« im universellen Satz. Da nun jeder partikuläre Satz aus singulären Sätzen gebildet wird (§ ), haben wir eine doppelte Serie wahrer singulärer Sätze, die eine besteht aus bejahenden, die andere aus verneinenden Sätzen. Wenn etwa A mit der Bestimmung C unter sich D, E, F, G usw. enthält und dasselbe A ohne die Bestimmung C unter sich H, I, K, L, M usw. enthält, dann werden die singulären, unter den partikulären enthaltenen Sätze die folgenden sein : D ist B, E ist B, F ist B, G ist B, usw. und H ist nicht B, I ist nicht B, K ist nicht B, L ist nicht B, M ist nicht B usw. Da nun aus unserer Satzanalyse folgt, daß der universelle Satz Alle A sind B, in dem A sowohl D, E, F, G usw. als auch H, I, K, L, M usw. nach Beweis unter sich befaßt, aus den singulären Sätzen D ist B, E ist B, F ist B, G ist B usw. und H ist B, I ist B, K ist B, L ist B, M ist B usw. besteht (§ ), wir aber eben gezeigt haben, daß H nicht B ist, I nicht B ist, K nicht B ist, L nicht B ist, M nicht B ist usw., so ist vollkommen evident, daß der eine Teil des Satzes, von dem die Falschheit herrührt und der lauten müßte : Einige A sind nicht B, aus widersprüchlichen Sätzen besteht, und daß folglich der Satz selbst einen Widerspruch einschließt. Auf dieselbe Weise wird derselbe Sachverhalt aufgewiesen, wenn der falsche Satz verneinend ist : Kein A ist B. Beispiel : Der Satz Jeder Planet steht in Opposition zur Sonne ist falsch aufgrund einer mangelnden Bestimmung des Subjekts, weil nämlich unter Planeten nur die oberen und sekundären verstanden werden sollten. Der Satz ist also partikulär falsch und zugleich partikulär wahr, nämlich : Einige Planeten stehen nicht in Opposition zur Sonne und Einige Planeten stehen in Opposition zur Sonne. Der verneinende Satz befaßt unter sich die singulären Sätze Merkur steht nicht in Opposition zur Sonne, Venus steht nicht in Opposition zur Sonne, der bejahende Satz aber die folgenden : Saturn steht in Opposition zur Sonne, Jupiter steht in Opposition zur Sonne, Mars steht in Opposition zur

84

pars i · sectio i · caput i

Venus Soli non opponitur, affirmativa vero sequentes, Saturnus Soli opponitur, Jupiter Soli opponitur, Mars Soli opponitur, Luna Soli opponitur &c. Universalis falsa, omnis planeta Soli opponitur, continet sub se singulares, Saturnus Soli opponitur, Jupiter Soli opponitur &c. Venus Soli opponitur, Mercurius Soli opponitur, quarum duae priores cum ceteris eo spectantibus verae sunt, duae autem posteriores contradictoriae verarum Venus Soli non opponitur, Mars Soli non opponitur. § 39 Contradictio latens in falsis ob repugnantiam praedicati 1 cum notione subiecti possibili Si propositio fuerit falsa, propterea quod praedicatum notioni subjecti possibili repugnat ; ex meris propositionibus singularibus componitur, quae verarum contradictoriae sunt, atque ideo contradictionem involvit. Etenim si praedicatum notioni subjecti repugnat, subjecto salva definitione in propositionibus categoricis, salva determinatione illi adjecta in hypotheticis sive formaliter talibus, sive ad formam categoricarum reductis convenire nequit (§ , , , ,  Log.).2 Cum adeo per notionem subjecti minime determinetur (§  Log.) ; id quod per eam determinatur, adeoque vi definitionis (§  Log.) vel determinationis subjecto adjectae eidem tribuendum (§  Log.), diversum, non idem cum illo est. Nempe si propositio falsa fuerit, Omne A est B, ubi A denotat subjectum tam absolute, quam sub data determinatione positum ; quod per A determinatur, B non est. Propositio adeo vera, quae falsae opponitur, erit : Nullum A est B. Jam si A sub se tanquam individua conti-

1 2

praedicati ] B predicati C. (§ , , , ,  Log.). ] C (§ , , , ,  Log) B.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

41

85

Sonne, der Mond steht in Opposition zur Sonne etc. Der falsche universelle Satz Jeder Planet steht in Opposition zur Sonne befaßt unter sich die singulären Sätze Saturn steht in Opposition zur Sonne, Jupiter steht in Opposition zur Sonne usw., Venus steht in Opposition zur Sonne, Merkur steht in Opposition zur Sonne. Die ersten beiden dieser Sätze mit den übrigen dazu gehörenden sind wahr, die zwei letzteren aber sind die kontradiktorischen Sätze zu den wahren Venus steht nicht in Opposition zur Sonne, Mars [= Merkur Konj. des Übers.] steht nicht in Opposition zur Sonne. § 39 Der verborgene Widerspruch in aufgrund eines Widerstreits des Prädikats mit einem möglichen Subjektsbegriff falschen Sätzen Wenn ein Satz falsch ist, weil das Prädikat einem möglichen Begriff des Subjekts widerstreitet, besteht er aus lauter singulären Sätzen, welche die kontradiktorischen zu den wahren Sätzen sind, und schließt so einen Widerspruch ein. Wenn nämlich ein Prädikat dem Subjektsbegriff widerstreitet, kann es in kategorischen Sätzen dem Subjekt nicht zukommen ohne Verletzung seiner Definition, in hypothetischen Sätzen aber kann es dem Subjekt nicht zukommen ohne Verletzung einer dem Subjekt hinzugefügten Bestimmung, wobei die hypothetischen Sätze entweder formal solche sind oder auf die kategorische Satzform zurückgeführt wurden. (§ , , , ,  Logica) Da das Prädikat also auf keinen Fall durch den Subjektsbegriff bestimmt wird (§  Logica), ist das, was durch den Subjektsbegriff bestimmt wird, und das, was kraft Definition (§  Logica) oder vermöge einer dem Subjekt hinzugefügten Bestimmung demselben zuzuschreiben ist, verschieden von und nicht identisch mit dem Prädikat. Wenn etwa der Satz Alle A sind B falsch ist, wobei A das Subjekt sowohl absolut gesetzt als auch unter einer gegebenen Bestimmung gesetzt bezeichnet, dann ist das, was durch A bestimmt wird, nicht B. Der wahre, dem

86

pars i · sectio i · caput i

neat C, D, E, F &c. propositio Omne A est B componitur ex singularibus C est B, D est B, E est B, F est B &c. quae sunt contradictoriae verarum C non est B, D non est B, E non est B, F non est B &c. (§  Log.), in quas abit propositio vera, Nullum A est B. Atque sic falsa Omne A est B contradictionem involvit. E. gr. Falsa est propositio : Omne triangulum habet quatuor angulos, propterea quod numerus quaternarius angulorum numero ternario laterum, adeoque definitioni trianguli repugnat. Jam cum falsae sint propositiones singulares, ex quibus ea componitur, Hoc triangulum habet quatuor angulos, Istud triangulum habet quatuor angulos, Illud triangulum habet quatuor angulos &c. contradictoriae, Hoc triangulum non habet quatuor angulos, Istud triangulum non habet quatuor angulos, Illud triangulum non habet quatuor angulos &c. verae sunt. Per numerum ternarium laterum determinatur numerus ternarius angulorum, quod ex notionibus Geometriae elementaris liquet, ut adeo verae sint propositiones singulares, Hoc triangulum habet tres angulos, Istud triangulum habet tres angulos, Illud triangulum habet tres angulos &c. quibus positis, ponuntur etiam negativae, Hoc triangulum non habet quatuor angulos, Istud triangulum non habet quatuor angulos, Illud triangulum non habet quatuor angulos &c. consequenter propositio, Omne triangulum habet quatuor angulos, componitur ex singularibus, quae verarum contradictoriae sunt.

§ 40 Alia demonstratio contradictionis latentis in propositionibus indeterminatis Quoniam falsitas propositionis universalis, in qua subjectum sufficienter determinatum non est, oritur a particulari falsa, quae partem ejus alteram constituit, hoc est, falsum est, Omne

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

87

falschen entgegengesetzte Satz wird also sein : Kein A ist B. Wenn nun A gleichsam als Individuen C, D, E, F usw. unter sich befaßt, dann setzt sich der Satz Alle A sind B aus den singulären Sätzen C ist B, D ist B, E ist B, F ist B zusammen, welche die kontradiktorischen Sätze sind zu den wahren Sätzen C ist nicht B, D ist nicht B, E ist nicht B, F ist nicht B usw. (§  Log.), in die sich der wahre Satz Kein A ist B auflösen läßt. Und so schließt der falsche Satz Alle A sind B einen Widerspruch ein.

42

Beispiel : Der Satz Alle Dreiecke haben vier Winkel ist falsch, weil die Vierzahl der Winkel der Dreizahl der Seiten und so der Definition des Dreiecks widerstreitet. Da nun die singulären Sätze, aus denen er zusammengesetzt ist, falsch sind, Dieses Dreieck1 hat vier Winkel, Dieses Dreieck2 hat vier Winkel, Dieses Dreieck3 hat vier Winkel usw., sind die zu diesen kontradiktorischen Sätze wahr : Dieses Dreieck1 hat nicht vier Winkel, Dieses Dreieck2 hat nicht vier Winkel, Dieses Dreieck3 hat nicht vier Winkel usw. Durch die Dreizahl der Seiten wird die Dreizahl der Winkel bestimmt, was aus den elementaren Begriffen der Geometrie ersichtlich ist. Deshalb sind die singulären Sätze Dieses Dreieck1 hat drei Winkel, dieses Dreieck2 hat drei Winkel, dieses Dreieck3 hat drei Winkel usw. wahr. Wenn man aber diese Sätze annimmt, sind auch die verneinenden Sätze Dieses Dreieck1 hat nicht vier Winkel, dieses Dreieck2 hat nicht vier Winkel, dieses Dreieck3 hat nicht vier Winkel usw. zu setzen. Folglich setzt sich der Satz : Alle Dreiecke haben vier Winkel aus singulären Sätzen zusammen, die sich kontradiktorisch zu den wahren verhalten. § 40 Ein weiterer Beweis des verborgenen Widerspruchs in unbestimmten Sätzen Die Falschheit eines universellen Satzes, in dem das Subjekt nicht hinreichend bestimmt ist, rührt her von einem falschen partikulären Satz, der den einen Teil dieses universellen Satzes

88

pars i · sectio i · caput i

A esse B, quia Quaedam A non sunt B ; in hac autem particulari subjecto A praedicatum B repugnat : ideo per modum corollarii ex propositione praecedente fluit, quod jam ante ostensum (§ ), partem propositionis falsae ob defectum determinationis subjecti constare ex singularibus, quae verarum contradictoriae sunt, atque hoc nomine contradictionem involvere.

§ 41 Sumtio quando contradictionem involvat Si quae assumuntur per se invicem non determinantur, per quaedam tamen eorum vel unum determinatur contrarium ejus, quod una sumitur ; sumtio contradictionem involvit. Si qua 1 enim simul sumimus, ea eidem enti una convenire ponimus. Quoniam tamen nullum eorum, quae sumuntur, per cetera aut eorum aliquod determinatur, per hypothesin ; igitur nullum inest, quia inest alterum, seu,2 quod perinde est, nullum enti isti convenit, propterea quod eidem convenire ponuntur cetera, quae sumuntur, vel eorum aliquod (§  Log.). Nempe si simul sumantur C, D, E &c. tanquam eidem enti A convenientia, quia eidem conveniunt C & D, vel quia convenit C vel D, ideo eidem non convenit E. Quodsi jam porro per quaedam eorum, quae una sumuntur, veluti per C & D, aut per eorum unum, veluti per C, determinatur contrarium ejus, quod una sumitur, nempe ipsius E, vi hypotheseos ; contrarium ipsius E enti A convenit (§  Log.). Habemus adeo propositionem universalem veram : Omni, cui convenit C et D simul, non convenit E, vel in casu altero, Omni, cui convenit C, non convenit E. Sumitur vero propo-

1 2

Si qua ] B Siqua C. seu, ] B seu C.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

89

bildet. Das heißt : Alle A sind B ist falsch, weil Einige A nicht B sind, in welchem partikulären Satz das Prädikat B dem Subjekt A widerstreitet. Deshalb ergibt sich aus dem vorhergehenden Lehrsatz als Korollar, was schon vorher gezeigt wurde (§ ) : Ein Teil eines aufgrund des Fehlens einer Bestimmung des Subjekts falschen Satzes besteht aus singulären Sätzen, die sich kontradiktorisch zu den wahren verhalten, und schließt aus diesem Grunde einen Widerspruch ein. § 41 Wann eine Annahme einen Widerspruch einschließt Wenn das, was angenommen wird, sich nicht untereinander bestimmt, durch einiges oder eines aus dem Bereich dessen, was angenommen wird, jedoch das Gegenteil dessen bestimmt wird, was zugleich angenommen wird, schließt die Annahme einen Widerspruch ein. Wenn wir mehreres zugleich annehmen, setzen wir, daß es demselben Seienden zugleich zukommt. Da jedoch nichts von dem, was angenommen wird, durch das übrige oder eines von diesem bestimmt wird nach Voraussetzung, so inhäriert nichts, weil ein anderes inhäriert, oder, was dasselbe bedeutet, nichts kommt diesem Seienden zu, weil gesetzt wird, daß das übrige Angenommene oder eines von diesem ihm zukommt. (§  Logica). Wenn etwa zugleich angenommen wird, daß C, D, E usw. demselben Seienden zukommen, dann kommt E diesem Seienden nicht aus dem Grunde zu, weil ihm C und D, oder weil ihm C oder D zukommt. Wenn nun aber weiterhin durch einiges von dem, was zugleich angenommen wird, etwa durch C und D, oder durch eines von diesen, etwa durch C, das Gegenteil von dem bestimmt wird, was zugleich angenommen wird, nämlich von E nach Voraussetzung, dann kommt dem Seienden A das Gegenteil von E zu (§  Logica). Wir haben also folgenden wahren universellen Satz : Allem, dem zugleich C und D zukommt, kommt E nicht zu ; oder im anderen Fall, Allem, dem C zukommt, kommt E nicht zu. Dage-

90

pars i · sectio i · caput i

sitio universalis, Omni, cui convenit C et D simul, etiam convenit E, vel in casu altero, Omni, cui convenit C, quoque convenit E, aut particularis, Cuidam, cui convenit C et D simul, vel in casu altero, cui convenit C, etiam E convenit, vi hypotheseos ; quae cum priori negativae contradicat (§ ), sumtio contradictionem involvit. E. gr. Sumamus figuram rectilineam quinque terminari lateribus, quae inter se aequalia sunt & angulos rectos comprehendunt. Summa ergo omnium angulorum simul erunt quinque recti. Constat vero ex elementis Geometriae, summam omnium angulorum in figura quinque lateribus terminata esse ° seu  rectorum. Singuli ergo anguli recti esse nequeunt. Vera adeo est propositio universalis negativa, Figura rectilinea quinque lateribus aequalibus terminata non habet singulos angulos rectos : cui cum contradicat, quae sumitur, Omnis figura rectilinea quinque lateribus aequalibus terminata habet singulos angulos rectos, vel etiam, si sumtio tantum particularis ponatur, Quaedam figura quinque lateribus terminata habet singulos angulos rectos ; sumtio contradictionem involvit. Atque hinc apparet, quomodo innotescat, num ea, quae arbitrario sumuntur, contradictionem involvant.

§ 42 Extensio propositionis antecedentis ulterior Demonstrationem adhuc subsistere patet, si vel maxime inter assumta contineantur, quae per se mutuo determinantur : ea autem, quae per alia determinantur, in praesente casu tanquam superflua spectantur, ut adeo perinde sit ac si abessent. Sumtio igitur in omni casu contradictionem involvit, si per quaedam vel

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

91

gen wird jedoch der universelle Satz angenommen Allem, dem C und D zugleich zukommt, kommt auch E zu, oder im anderen Fall : Allem, dem C zukommt, kommt auch E zu ; oder aber der partikuläre Satz Einigem, dem C und D zugleich zukommen, kommt auch E zu, bzw. Einigem, dem C zukommt, kommt auch E zu, nach Voraussetzung. Da diese Annahme der vorhergehenden negativen Annahme widerspricht (§ ), schließt die Annahme einen Widerspruch ein.

43

Beispiel : Wir wollen annehmen, daß eine geradlinige Figur von fünf Seiten begrenzt wird, die gleich lang sind und rechte Winkel einschließen. Die Winkelsumme wird also fünf rechte betragen. Aus den Elementen der Geometrie ist jedoch bekannt, daß die Winkelsumme in einer fünfseitigen Figur ° oder sechs rechte beträgt. Die einzelnen Winkel können also keine rechten sein. Folgender universell verneinender Satz ist also wahr : Eine geradlinige Figur mit fünf gleichlangen Seiten hat nicht einzelne rechte Winkel. Diesem Satz widerspricht der Satz, der angenommen wird : Jede geradlinige Figur mit fünf gleichlangen Seiten hat einzelne rechte Winkel, oder auch, wenn die Annahme nur partikulär gesetzt wird : Irgendeine fünfseitige Figur hat einzelne rechte Winkel. Die Annahme schließt also einen Widerspruch ein. Hieraus wird also klar, wie sich herausstellt, ob eine willkürliche Annahme einen Widerspruch einschließt. § 42 Erweiterung des vorhergehenden Lehrsatzes Es ist klar, daß der eben vorgetragene Beweis auch dann noch Gültigkeit besitzt, wenn sich im äußersten Fall unter den Annahmen auch solche befinden, die sich gegenseitig bestimmen. Diejenigen Annahmen aber, die durch andere bestimmt werden, sind im vorliegenden Fall als überflüssig zu betrachten, und zwar so, als ob sie nicht gegeben seien. Eine Annahme schließt also in jedem Fall einen Widerspruch ein, wenn durch

92

pars i · sectio i · caput i

quoddam eorum contrarium ejus determinatur, quod una sumitur. Noluimus tamen propositionem formare generaliter, propterea quod ea, quae per se invicem determinantur, sumi non debent : probandum enim est alterum ex uno assumto. V. gr. Non sumitur, triangulum, cujus tria latera aequalia sunt, angulos tres aequales habere, propterea quod posita laterum aequalitate ponitur simul angulorum aequalitas. Aequalitate igitur laterum sumta, angulorum demonstratur aequalitas & contra. Notanda haec sunt, ne in demonstratione praecedente minus intulisse videamur, quam inferri debebat. § 43 Definitio nominalis contradictionem involvens Quoniam in definitionibus nominalibus sumenda non sunt, quae per se invicem determinantur (§  Log.) ; definitio nominalis contradictionem involvit, ubi per quaedam in eadem assumta, vel per unum eorum determinatur contrarium ejus, quod una sumitur. E. gr. Si fingeremus triangulum birectangulum rectilineum, hoc est, si sumeremus, figuram rectilineam terminari debere tribus lineis & angulos duos actu rectos esse debere ; definitio contradictionem involveret. Ex eo enim, quod figura tribus lineis rectis terminatur, sequitur, quemadmodum in Elementis Geometriae demonstratur, angulos duos non esse actu rectos, adeoque contrarium ejus, quod sumitur, nempe quod anguli duo sint actu recti. Quodsi una sumeretur, figuram istam tres habere debere angulos ; quod superfluum est utique sumeretur, atque adeo in praesente negotio attendendum non foret.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

93

einiges oder eines von dem, was angenommen wird, das Gegenteil dessen bestimmt wird, was zugleich angenommen wird.

44

Wir wollen gleichwohl den Lehrsatz nicht allgemein fassen, weil das, was sich untereinander bestimmt, nicht angenommen zu werden braucht. Die eine Annahme kann nämlich aus der anderen erwiesen werden. Beispiel : Es wird nicht angenommen : Ein Dreieck, dessen drei Seiten gleich sind, hat drei gleiche Winkel. Denn wenn die Gleichheit der Seiten gesetzt wird, wird zugleich die Gleichheit der Winkel gesetzt. Wenn man also die Gleichheit der Seiten annimmt, kann die Gleichheit der Winkel bewiesen werden, und umgekehrt. Das ist zu bemerken, damit es nicht den Anschein hat, wir hätten im vorhergehenden Beweis weniger als erforderlich bewiesen. § 43 Eine Nominaldefinition, die einen Widerspruch einschließt Da in Nominaldefinitionen das, was sich untereinander bestimmt, nicht angenommen werden darf (§  Logica), schließt eine Nominaldefinition einen Widerspruch ein, wenn durch einiges oder eines von dem, was in ihr angenommen wird, das Gegenteil dessen bestimmt wird, was zugleich angenommen wird.

45

Beispiel : Wenn wir uns ein geradliniges Dreieck mit zwei rechten Winkeln vorstellen, das heißt, wenn wir annehmen, eine geradlinige Figur solle durch drei Linien begrenzt sein und zwei aktuell-rechte Winkel besitzen, dann schließt die Definition einen Widerspruch ein. Denn aus der Tatsache, daß eine Figur durch drei gerade Linien begrenzt wird, folgt, wie in den Elementen der Geometrie bewiesen wird, daß zwei Winkel nicht aktuell-rechte sind, und somit das Gegenteil dessen, was angenommen wird, nämlich daß zwei Winkel aktuell-rechte sind. Wenn aber zugleich angenommen würde, jene Figur solle drei Winkel besitzen, so wäre dies gewiß eine überflüssige Annahme und im gegenwärtigen Zusammenhang zu vernachlässigen.

94

pars i · sectio i · caput i

§ 44 Contradictio latens in hypothesi philosophica Quoniam in hypothesi philosophica sumuntur, quae esse nondum demonstrari potest, tanquam essent (§  Disc. praelim.) ; hypothesis philosophica contradictionem involvit, si ex uno vel altero assumto, vel ex aliquot simul determinatur contrarium ejus, quod una sumitur (§ ). Dicuntur istiusmodi hypotheses contradictoriae, atque adeo constat, quomodo demonstretur, hypothesin datam esse contradictoriam. § 45 Sumtio et definitio nominalis a contradictione libera Quoniam sumtio contradictoria est, ubi ex quibusdam sumtis vel eorum uno contrarium eius 1 determinatur, quod una sumitur (), atque idem quoque de nominali definitione valet (§ ) ; sumtio quaelibet atque definitio nominalis a contradictione libera est, ubi ex uno vel aliquot eorum, quae sumuntur, contrarium ejus, quod una sumitur, non determinatur. E. gr. Quadrati definitio nominalis est, quod sit figura quadrilatera, aequilatera, rectangula. Si ponas figuram esse quadrilateram & aequilateram, non inde sequitur, quod rectangula non sit. Si ponas eandem esse quadrilateram & rectangulam, non inde sequitur, quod aequilatera non sit. Si denique ponas eandem esse aequilateram & rectangulam, non inde sequitur, quod quadrilatera non sit. Atque ideo definitio quadrati a contradictione libera. Patet autem in definitione nominali Quadrati nihil

1

eius ] B ejus C.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

95

§ 44 Ein verborgener Widerspruch in einer philosophischen Hypothese Da in einer philosophischen Hypothese etwas als seiend angenommen wird, von dem noch nicht bewiesen werden kann, daß es ist (§  Discursus Praeliminaris), schließt eine philosophische Hypothese einen Widerspruch ein, wenn aus der einen oder anderen Teilannahme oder aus einigen Teilannahmen zugleich das Gegenteil von etwas bestimmt wird, was zugleich angenommen wird (§ ). Dies sind die widersprüchlichen Hypothesen, und so steht fest, wie der Nachweis zu führen ist, daß eine gegebene Hypothese widersprüchlich ist. § 45 Eine widerspruchsfreie Annahme, eine widerspruchsfreie Nominaldefinition Da eine Annahme widersprüchlich ist, wenn durch einige Teilannahmen oder eine Teilannahme das Gegenteil dessen bestimmt wird, was zugleich angenommen wird (§ ), und dasselbe von einer Nominaldefinition gilt (§ ), ist eine beliebige Annahme und Nominaldefinition widerspruchsfrei, wenn aus einer oder einigen Teilannahmen das Gegenteil dessen, was zugleich angenommen wird, nicht folgt. 46

Beispiel : Die Nominaldefinition des Quadrats lautet, daß es eine vierseitige, gleichseitige, rechtwinklige Figur ist. Wenn man setzt, daß eine Figur vierseitig und gleichseitig ist, folgt daraus nicht, daß sie nicht rechtwinklig ist. Wenn man setzt, daß sie vierseitig und rechtwinklig ist, folgt daraus nicht, daß sie nicht gleichseitig ist. Wenn man schließlich setzt, daß sie gleichseitig und rechtwinklig ist, folgt daraus nicht, daß sie nicht vierseitig ist. Also ist die Definition des Quadrats widerspruchsfrei. Es ist nun klar, daß in der Nominaldefinition des Quadrats nichts an-

96

pars i · sectio i · caput i

assumi, quod ceteris, quae una sumuntur, repugnet, dum vel ex definitione genetica, vel ex constructione Quadrati liquet, gigni vel construi posse figuram, quae simul & quadrilatera, & aequilatera, & rectangula est (§ ) 1. Cavendum vero, ne existimemus ex aliquot eorum, quae sumuntur, non determinari contrarium ejus, quod una sumitur, quando illis positis demonstrare nequimus, istud inde sequi : etsi enim ex eo, per quod alterum determinatur, demonstrari possit, quod una cum isto eidem subjecto inesse debeat, fieri tamen potest, ut nos idem demonstrare nequeamus 2. Quamobrem per praecipitantiam judicat, eandem figuram & quadrilateram, & aequilateram, & rectangulam esse posse, ubi ostendere non valet, ideo eam rectangulam esse minime posse, quod quadrilatera sit & aequilatera. Praesens theorema, aut, si mavis, 3 corollarium de hypothesibus quoque philosophicis accipiendum esse, attendenti facile patet (§ ). Quamobrem hic quoque cautione opus est, ne judicium deproperemus, dum easdem a contradictione liberas pronunciamus. § 46 Medium detegendi contradictionem in assumtis latentem Quoniam in demonstratione apogogica ex assumto colligitur, quod vel eidem, vel propositioni alicui verae contradicit (§  Log.) ; vi demonstrationis apogogicae detegitur, num, quod sumitur, aut definitio aliqua nominalis contradictionem involvat. Patet adeo, qui contradictiones in notionibus latentes detegere voluerit, eum in demonstrando probe versatum esse debere.

1 2 3

(§ ) ] B (not. § ) C. nequeamus ] C nequamus B. mavis, ] B mavis C.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

97

genommen wird, was den übrigen Teilannahmen widerstreitet, wenn aus der genetischen Definition oder aus der Konstruktion des Quadrats hervorgeht, daß eine Figur erzeugt oder konstruiert werden kann, die zugleich vierseitig, gleichseitig, rechtwinklig ist (§ ). Man muß sich aber hüten anzunehmen, daß aus einigen Teilannahmen das Gegenteil dessen, was zugleich angenommen wird, nicht bestimmt wird, wenn wir nicht beweisen können, daß unter der Voraussetzung dieser Teilannahmen dieses Gegenteil folgt. Auch wenn nämlich aus demjenigen, durch das ein anderes bestimmt wird, bewiesen werden könnte, daß es zusammen mit dem anderen demselben Subjekt inhärieren muß, kann es gleichwohl geschehen, daß wir das nicht beweisen können. Deshalb urteilt jemand voreilig, daß dieselbe Figur vierseitig, gleichseitig und rechtwinklig sein könne, wenn er den folgenden Satz nicht dartun kann : Weil diese Figur vierseitig und gleichseitig ist, kann sie keinesfalls rechtwinklig sein. Daß das vorliegende Theorem oder Korollar (wenn man es lieber so nennen möchte) auch in bezug auf die philosophischen Hypothesen anzunehmen ist, wird dem aufmerksamen Leser leicht klar werden (§ ). Deshalb ist auch bei diesen philosophischen Hypothesen Vorsicht geboten, damit wir nicht das Urteil übereilen, wenn wir sie als widerspruchsfrei bezeichnen. § 46 Ein Mittel, einen verborgenen Widerspruch in Annahmen aufzudecken 47

Da in einem apagogischen Beweis aus einer Annahme etwas geschlossen wird, was eben derselben Annahme oder irgendeinem wahren Satz widerspricht (§  Logica), wird mittels eines apagogischen Beweises aufgedeckt, ob eine Annahme oder eine Nominaldefinition einen Widerspruch einschließt. Es ist also klar, daß derjenige, der in Begriffen verborgene Widersprüche aufdecken will, im Beweisen tüchtig geübt sein muß.

98

pars i · sectio i · caput i

Unde facile intelligitur, in demonstrando parum versatos per praecipitantiam facile statuere, ubi judicium a detegenda contradictione latente pendet. § 47 Sumtionis a contradictione liberae probatio a posteriori Si talia sumuntur, quae in eodem subjecto una observamus, sumtio a contradictione libera. Ponamus enim, ea, quae sumuntur, contradictionem involvere. Per unum igitur vel aliquot 1 eorum, quae sumuntur, determinabitur contrarium ejus, quod una sumitur, consequenter una cum ceteris inest eidem subjecto (§ ). Fieri adeo non potest, ut, quod una sumitur, cum ceteris simul eidem subjecto insit : Quod 2 cum experientiae repugnet, per hypoth. absurdum est. Quamobrem ubi talia sumuntur, quae in eodem subjecto una observamus ; sumtio a contradictione libera. E. gr. Lapis & durus est, & gravis, vi observationis. Quamobrem ubi sumimus duritiem & gravitatem enti alicui una inesse ; quae sumuntur, a contradictione libera sunt. Ponimus autem nihil praeterea sumi, ne forsan vel durities, vel gravitas repugnet ei, quod praeterea sumitur : tum enim perinde foret,3 ac si enti cuidam tribuere vellemus, quae sibi mutuo non repugnant, antequam constaret, num eadem eidem tribui queant.

1 2 3

aliquot ] B aliquod C. Quod ] B quod C. foret, ] B foret ; C.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

99

Von daher läßt sich leicht einsehen, daß die im Beweisen zu wenig Geübten leicht übereilte Feststellungen treffen, wenn ein Urteil vom Aufdecken eines verborgenen Widerspruchs abhängt. § 47 Erweis a posteriori, daß eine Annahme widerspruchsfrei ist Wenn das angenommen wird, was wir als im selben Subjekt zusammen vorkommend beobachten, ist die Annahme widerspruchsfrei. Wir wollen setzen, daß das, was angenommen wird, einen Widerspruch einschließt. Dann wird durch eines oder einiges von dem, was angenommen wird, das Gegenteil dessen bestimmt, was zugleich angenommen wird, und folglich inhäriert dieses Gegenteil zugleich mit dem übrigen demselben Subjekt (§ ). So kann es also nicht geschehen, daß das, was zugleich angenommen wird, mit dem übrigen gleichzeitig demselben Subjekt inhäriert. Dies ist jedoch absurd, weil es nach Voraussetzung der Erfahrung widerstreitet. Folglich ist eine Annahme widerspruchsfrei, wenn das angenommen wird, was wir im selben Subjekt gleichzeitig beobachten. Beispiel : Ein Stein ist sowohl hart als auch schwer, kraft Beobachtung. Deshalb gilt : Wenn wir annehmen, daß Härte und Schwere einem Seienden gleichzeitig inhärieren, ist diese Annahme widerspruchsfrei. Wir setzen aber, daß keine zusätzliche Annahme gemacht wird, damit nicht etwa die Härte oder Schwere diesen Zusatzannahmen widerstreitet. In diesem Fall nämlich wäre es so, als ob wir einem Seienden etwas zusprechen wollten, was sich gegenseitig nicht widerspricht, bevor ausgemacht ist, ob eben dieses demselben Seienden zugesprochen werden kann.

100

pars i · sectio i · caput i

§ 48 Quomodo sumtio a priori a contradictione libera intelligatur Si ea, quae sumimus, per se invicem non determinantur, ex aliis tamen, quae fieri posse constat (sive vi experientiae, sive demonstrationis,) 1 combinari posse intelliguntur ; sumtio a contradictione libera est. Etenim si intelligimus, ea, quae sumimus, fieri posse, nonnisi talibus combinatis, quae fieri posse constat, ideam nobis formamus, ad quam attendentes perspicimus, illa simul esse posse. Quoniam adeo impossibile, ut eadem simul esse nequeant (§ ) ; quae sumuntur, a contradictione libera sunt. Pleraeque propositiones Mathematicorum exempli loco esse possunt, quarum hypotheses hoc modo a contradictione liberae intelliguntur. E. gr. Si sumimus, duas lineas parallelas a recta quadam oblique secari ; vi imaginationis facile producimus ideam, quae duas parallelas a recta obliqua sectas exhibet. Super ea autem reflectentes intelligimus, nihil in ea contineri, nisi quod fieri posse constet, cum recordemur, datae rectae cuicunque intervallo quocunque parallelam duci posse, a puncto quocunque in una parallelarum assumto ad punctum quodcunque in altera rectam duci eamque utrinque continuari posse. Quemadmodum itaque mente his principiis convenienter ducimus lineas, dum ideam condimus 2 quae linearum situm ad se invicem exhibet, qui sumebatur ; ita non minus manu easdem ducere licet, ut imaginem isti similem in plano delineemus, quae eundem linearum situm oculis spectandum exhibet. Sit enim

1 2

demonstrationis,) ] B demonstrationis), C. condimus ] B condimus, C.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

101

§ 48 Wie a priori einzusehen ist, daß eine Annahme widerspruchsfrei ist Wenn sich das von uns Angenommene nicht untereinander bestimmt, jedoch eingesehen wird, daß es aus anderem, von dem feststeht, daß es geschehen kann (aufgrund von Erfahrung oder Beweis), kombiniert werden kann, ist die Annahme widerspruchsfrei. Wenn wir nämlich einsehen, daß das, was wir annehmen, geschehen kann, sofern nur solches kombiniert wird, von dem feststeht, daß es geschehen kann, bilden wir uns eine Vorstellung, im Blick auf die wir einsehen, daß das Angenommene zugleich sein kann. Weil es also unmöglich ist, daß dieses Angenommene nicht zugleich sein kann (§ ), ist die Annahme widerspruchsfrei. Die meisten Sätze der Mathematiker können hier als Beispiel dienen, ihre Hypothesen werden auf diese Weise als widerspruchsfrei eingesehen. Beispiel : Wenn wir annehmen, daß zwei parallele Linien von einer Geraden schräg geschnitten werden, bilden wir leicht mit Hilfe der Einbildungskraft eine Vorstellung, die zwei von einer Geraden schräg geschnittene Parallelen zeigt. In der Reflexion über diese Vorstellung sehen wir ein, daß nur solches in ihr enthalten ist, von dem feststeht, daß es geschehen kann, wenn wir folgendes vergegenwärtigen : () Zu einer beliebigen gegebenen Geraden kann in beliebigem Abstand eine Parallele gezogen werden. () Von einem beliebigen, auf einer der Parallelen angenommenen Punkt zu einem beliebigen Punkt auf der anderen Parallele kann eine Gerade gezogen werden, die in beide Richtungen verlängert werden kann. Wir wir also im Geist nach diesen Prinzipien angemessen Linien ziehen, indem wir eine Vorstellung bilden, welche die angenommene Lage der Linien zueinander zeigt, so können wir sie ebenso gut mit der Hand ziehen und auf diese Weise ein jener Vorstellung ähnliches Bild auf der Fläche zeichnen, welches dieselbe Lage der Linien zueinander vor Augen führt. Es

102

pars i · sectio i · caput i

recta quaecunque AB : poterit adeo intervallo quocunque duci eidem parallela CD. Sumantur jam puncta E & F ad arbitrium, recta EF connectenda : quae si porro utrinque intelligatur producta in H & I ;1 habebis rectam HI secantem parallelas CD & AB. Atque ita a contradictione libera censetur hypothesis de sectione parallelarum ab obliqua recta. Non absimili modo constat, a contradictione liberam esse hypothesin, quod duo parallelogramma constituantur super eadem basi et inter easdem parallelas. Constat nimirum dari vel construi posse parallelogrammum, rectam quamcunque posse quocunque intervallo continuari, ex recta quacunque abscindi posse partem alteri rectae aequalem & a quocunque puncto ad quodcunque punctum posse duci lineam rectam. His igitur principiis dum utimur, tum vi imaginationis ideam, tum 2 manu imaginem isti similem condimus, quarum ista 3 menti, haec oculis intuenda exhibet duo parallelogramma super eadem basi & inter easdem parallelas constituta. Describatur enim parallelogrammum 4 ABCD, latus superius DC continuetur, quantum libuerit, resecetur EF basi AB aequalis &

1 2 3 4

H & I ; ] B H & I C. tum ] coni. quam B cum C. ista ] B illa C. parallelogrammum ] B parallelogramum C.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

48

49

103

sei AB eine beliebige Gerade ; dann kann also in einem beliebigen Abstand eine zu ihr parallele Gerade CD gezogen werden. Es seien jetzt zwei beliebige Punke E und F angenommen, die durch die Strecke EF zu verbinden sind. Wenn man sich diese Strecke nach beiden Seiten in Richtung von H und I verlängert denkt, erhält man die Gerade HI, welche die Parallelen CD und AB schneidet. Auf diese Weise wird die Hypothese über den Schnitt zweier Parallelen durch eine zu ihnen schräge Gerade als widerspruchsfrei beurteilt. Auf ähnliche Weise steht fest, daß folgende Hypothese widerspruchsfrei ist : Zwei Parallelogramme können über derselben Basis und zwischen denselben Parallelen errichtet werden. Es steht nämlich fest, daß ein Parallelogramm gegeben oder konstruiert werden kann, daß eine beliebige Gerade um ein beliebiges Intervall verlängert werden kann, daß von einer beliebigen Geraden ein Teil abgetrennt werden kann, welcher einer anderen Geraden gleich ist, und daß von einem beliebigen Punkt zu einem beliebigen anderen Punkt eine Gerade gezogen werden kann. Indem wir diesen Prinzipien folgen, bilden wir sowohl durch die Einbildungskraft eine Vorstellung als auch mit der Hand ein jener Vorstellung ähnliches Bild. Die Vorstellung bietet dem Geist, das Bild den Augen zur Anschauung zwei Parallelogramme, die über derselben Basis und zwischen denselben Parallelen errichtet sind. Es werde ein Parallelogramm ABCD gezeichnet, die obere Seite DC werde beliebig weit verlängert, es werde eine Strecke EF abgetrennt, die gleich

104

pars i · sectio i · caput i

denique puncta A & F, atque E & B connectantur rectis AF & EB : ita habes duo parallelogramma ABCD & EFAB super eadem basi AB & inter easdem parallelas AB & DE. Esse enim FABE parallelogrammum, vi demonstrationis constare hic suppono, quam ex elementis Geometriae contexere facile 1 licet. Ex eo ipso autem intelligitur, quanta circumspectione opus sit, ne ideam a nobis conditam menti exhibere existimemus, quae sumimus, in ea tamen minime continentur. Nec difficulter intelligitur, majore adhuc circumspectione opus esse extra Mathesin, ne quid precario sumatur, cum per ideam, quae animo obversatur, intuitiva 2 ratione minime pateat, quod una cum ceteris assumtis in eadem contineatur. Subinde tamen etiam extra Mathesin adeo manifestum est, a contradictione libera esse, quae sumuntur, ut idem probaturus inanem operam sumeret. Exempla istiusmodi plura in nostro opere Logico occurrunt, nec rara erunt in ceteris philosophiae partibus. § 49 Quomodo sumtio a contradictione libera esse demonstretur 3 Si modus, quo fieri possunt, quae simul sumuntur, demonstrari queat ; sumtio a contradictione libera. Etenim si explicetur modus, quo ens quodpiam fieri possit, cui ea simul insunt, vel partim insunt, partim adsunt, quae sumuntur, atque ea inesse vel adesse sic formato demonstrari possit ; verum est, enti sic formato, quae sumuntur vel inesse, vel adesse (§  Log.). Pro-

1 2 3

facile ] C fac e B. intuitiva ] C iutuitiva B. Quomodo sumtio a contradictione libera esse demonstretur ] B Quomodo sumtionem a contradictione liberam esse demonstretur C.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

105

lang wie die Basis AB ist, und schließlich sollen die Punkte A und F sowie E und B durch die Strecken AF und EB verbunden werden : auf diese Weise hat man zwei Parallelogramme ABCD und EFAB über derselben Basis AB und zwischen denselben Parallelen AB und DE. Daß nun FABE ein Parallelogramm ist, dies setze ich als feststehend kraft eines Beweises voraus, den man leicht aus den Elementen der Geometrie zusammensetzen kann. Hieraus aber wird ersichtlich, welch große Vorsicht nötig ist, damit wir nicht meinen, eine von uns gebildete Vorstellung zeige dem Geist das, was wir annehmen, wo doch dies in ihr keineswegs enthalten ist. Unschwer ist auch einzusehen, daß noch größere Vorsicht außerhalb der Mathematik erforderlich ist, damit nicht irgend etwas bittweise angenommen wird, obgleich durch die Vorstellung, die dem Gemüt vorschwebt, auf intuitive Weise keineswegs feststeht, daß es zusammen mit dem übrigen Angenommenen in derselben Vorstellung enthalten ist. Oft jedoch ist es auch außerhalb der Mathematik klar, daß eine Annahme widerspruchsfrei ist, und derjenige, der dieses noch erweisen wollte, unterzöge sich einer überflüssigen Bemühung. Beispiele dieser Art kommen in unserem logischen Werk sehr zahlreich vor und werden in den übrigen Teilen der Philosophie nicht selten anzutreffen sein. § 49 Wie bewiesen wird, daß eine Annahme widerspruchsfrei ist

50

Wenn die Weise bewiesen werden kann, in der das, was zugleich angenommen wird, entstehen kann, ist die Annahme widerspruchsfrei. Wenn nämlich die Weise erklärt wird, wie irgendein Seiendes entstehen kann, dem das zugleich inhäriert oder teils inhäriert, teils anhängt, was angenommen wird, und wenn bewiesen werden kann, daß dies dem so Formierten inhäriert oder anhängt, dann ist es wahr, daß dem so formierten Seienden das entweder inhäriert oder anhängt, was angenommen wird (§ 

106

pars i · sectio i · caput i

positio autem vera a contradictione libera (§ ). Ergo etiam ea, quae sumuntur, a contradictione libera sunt. Differt modus hic probandi ab anteriore (§ ), quod ibi possibilium combinatione obtineantur statim, quae sumuntur ; hic vero obtineatur ens, cui ea vel inesse, vel adesse ex iis, quae vi geneseos vel formationis per se patent, demonstrari demum debet. Pertinent huc constructiones & definitiones figurarum in Geometria, quae ad definitiones nominales referuntur, in quibus praedicata earum essentialia seu notae, quibus ab aliis distingui debent, sumuntur, antequam constet, utrum ea contradictionem involvant, nec ne. E. gr. in definitione Quadrati sumitur, quod sit figura quadrilatera, aequilatera & rectangula ; non vero per se patet, num haec simul sumere liceat. Si jam figura construi jubeatur, assumta recta AB & in ejus extremitatibus A & B excitatis perpendicularibus 1 AD & BC eidem aequalibus, punctisque D & C inter se connexis ; ex ipsa constructione nondum patet, quod etiam latus DC sit ceteris aequale & anguli D atque C sint recti, consequenter ea, quae sumuntur, simul eidem figurae competere posse. Quae igitur ex constructione intuitiva ratione minime patent, ea demum demonstranda sunt. Demonstrandum nempe est, quod etiam latus DC sit ipsi AB, consequenter & ceteris AD atque BC aequale, quodque anguli D & C sint recti. Quodsi figuram generari concipias, si recta DC ipsi AD aequalis jungatur

1

perpendicularibus ] C perdendicularibus B.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

107

Logica). Ein wahrer Satz ist aber widerspruchsfrei (§ ). Also ist auch das, was angenommen wird, widerspruchsfrei.

51

Dieser Erweismodus unterscheidet sich von dem vorigen (§ ) dadurch, daß sich dort durch die Kombination des Möglichen sofort ergibt, was angenommen wird, hier aber erhält man ein Seiendes, von dem erst noch aufgrund dessen, was kraft der Entstehung oder der Formation durch sich klar ist, bewiesen werden muß, daß ihm das Angenommene entweder inhäriert oder anhängt. Hierher gehören die Konstruktionen und Definitionen von Figuren in der Geometrie, die auf Nominaldefinitionen zurückgeführt werden, in denen ihre wesentlichen Prädikate oder die Merkmale, durch die sie von anderen Figuren zu unterscheiden sind, angenommen werden, bevor feststeht, ob sie einen Widerspruch einschließen oder nicht. Beispiel : In der Definition des Quadrats wird angenommen, daß es eine vierseitige, gleichseitige und rechtwinklige Figur ist ; es ist jedoch nicht durch sich selbst klar, ob sich dies zugleich annehmen läßt. Wenn nun eine Figur konstruiert werden soll, indem eine Gerade AB angenommen wird, an ihren Grenzpunkten A und B zwei Senkrechte AD und BC errichtet werden, die AB gleich sind, und die Punkte D und C untereinander verbunden werden, dann erhellt aus der Konstruktion selbst noch nicht, daß auch die Seite DC den übrigen gleich ist und die Winkel D und C rechte sind, daß folglich das Angenommene zugleich derselben Figur zukommen kann. Was also aus der Konstruktion auf anschauliche Weise keineswegs erhellt, ist erst noch zu beweisen. Es ist nämlich zu beweisen, daß auch die Seite DC der Seite AB und folglich auch den übrigen Seiten AD und BC gleich ist, und daß die Winkel D und C rechte sind. Wenn man sich nun die Erzeugung einer Figur vorstellt, indem eine Gerade DC, die AD gleich ist, mit dieser in einem rechten Winkel verbunden wird und in einer sich stets

108

pars i · sectio i · caput i

ad angulos rectos & motu sibi semper parallelo deorsum moveatur ; non statim patet, quod singula latera sint inter se aequalia & anguli A, B & C etiam 1 recti, consequenter in definitione nominali sumi, quae a contradictione libera sunt, sed ea demum ex symptomatis parallelarum demonstranda sunt. Dantur casus, ubi multo minus patet, figurae constructae vel genitae convenire simul, quae in definitione nominali sumuntur. Nemo autem non intelligit, quod, sive per observationem, sive a priori per demonstrationem innotescat, ea, quae sumuntur, eidem subjecto una inesse, vel partim inesse, vel adesse posse, probandi nervus semper idem sit, nempe quod impossibile sit ut una esse nequeant, quae simul esse possunt. In exemplis mathematicis acquiescimus, quia planissima sunt & in limine philosophiae supponuntur, propterea quod nemo ad philosophiam accedere debet nisi salutata Mathesi. Quae vero in disciplinis philosophicis vel Facultatibus, quae ita dicuntur, superioribus traduntur, ea in limine philosophiae praesupponi absonum est. § 50 Sumtionis a contradictione liberae probandae casus alius Si demonstrari possit, per quaedam eorum, quae sumuntur, cetera determinari ; sumtio denuo a contradictione libera. Cum enim vera sint, quae demonstrari possunt (§  Log.) ; ea, quae per cetera determinari demonstratur, ideo insunt, quia insunt cetera (§  Log.). Quoniam adeo cum ceteris una eidem subjecto insunt ; verum est, quae sumuntur, una eidem subjecto convenire (§  Log.). Sumtio igitur a contradictione libera.

1

etiam ] B etjam C.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

52

53

109

parallelen Bewegung abwärts bewegt wird, dann erhellt nicht sofort, daß die einzelnen Seiten unter sich gleich sind und auch die Winkel A, B, und C rechte sind, daß also in der Nominaldefinition etwas Widerspruchsfreies angenommen wird. Dies muß vielmehr aus den Eigenschaften der Parallelen noch bewiesen werden. Es gibt Fälle, bei denen es viel weniger klar ist, daß der konstruierten oder erzeugten Figur zugleich zukommt, was in der Nominaldefinition angenommen wird. Ob nun durch Beobachtung oder durch Beweis a priori erkannt wird, daß das Angenommene demselben Subjekt zusammen inhärieren oder teils inhärieren, teils anhängen kann, – jeder sieht ein, daß der Hauptpunkt des Beweises immer derselbe ist, daß es nämlich unmöglich ist, daß nicht zusammen sein kann, was zugleich sein kann. Wir begnügen uns mit den mathematischen Beispielen, weil sie sehr leicht verständlich sind und am Anfang der Philosophie vorausgesetzt werden. Niemand nämlich darf zur Philosophie hinzutreten, ohne Bekanntschaft mit der Mathematik gemacht zu haben. Unangemessen ist es jedoch, das, was in den philosophischen Disziplinen oder in den sogenannten höheren Fakultäten gelehrt wird, bereits am Anfang der Philosophie vorauszusetzen. § 50 Eine andere Möglichkeit, die Widerspruchsfreiheit einer Annahme zu beweisen Wenn bewiesen werden kann, daß durch einiges von dem, was angenommen wird, das übrige bestimmt wird, ist die Annahme erneut widerspruchsfrei. Da nämlich das wahr ist, was bewiesen werden kann (§  Logica), inhäriert das, was nach Beweis durch das übrige bestimmt wird, deshalb, weil das übrige inhäriert (§  Logica). Da es also zusammen mit dem übrigen demselben Subjekt inhäriert, ist es wahr, daß das Angenommene zusammen demselben Subjekt zukommt (§  Logica). Die Annahme ist also widerspruchsfrei.

110

pars i · sectio i · caput i

Equidem sumi non debent, quae per se invicem determinantur, sed ex quibusdam sumtis cetera demonstranda sunt. Accidit tamen subinde praesertim extra Mathesin, immo 1 jam in Mathesi mixta, veluti Astronomia, ut, antequam inquisiveris, vel etiam inquirere possis, num per se invicem determinentur quae sumuntur, talia sumantur. Quodsi tamen a priori certus esse volueris, quod ea, quae sumuntur, a contradictione libera sint ; eadem demonstratione opus est, qua usus fuisses, ubi nonnisi ea sumsisses, quae per se invicem minime determinantur. Ob imperfectionem adeo cognitionis humanae in veritate investiganda admittenda sunt, quae in scientia adulta improbantur. Keplerus in gratiam motuum coelestium 2 sumebat, planetas moveri circa Solem in ellipsi, ita ut radius vector verrat areas tempori proportionales & cubi distantiarum seu radii vectoris sint ut quadrata temporum periodicorum, utut demonstrare non posset, ea sibi invicem non repugnare, multo 3 minus autem demonstrare valeret, quibusdam eorum positis poni una cetera : id quod nostro demum aevo opera Isaaci Newtoni 4 atque Joannis Bernoullii innotuit. Etsi autem Keplero deficeret demonstratio, non tamen deerant rationes probabiles : sed cum his nobis in praesente nihil est negotii, quae a principiis Logicae probabilium pendent suo demum loco tradendis.

1 2 3 4

immo ] B imo C. coelestium ] B caelestium C. multo ] C mu to B. Newtoni ] scripsi Nevvtoni B C.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

54

55

111

Allerdings darf nicht angenommen werden, was durch sich untereinander bestimmt wird, vielmehr ist aus einigen Annahmen das übrige zu beweisen. Es kommt jedoch oft vor allem außerhalb der Mathematik, aber auch in der angewandten Mathematik, etwa in der Astronomie, vor, daß, bevor man untersucht hat oder überhaupt untersuchen kann, ob das Angenommene durch sich untereinander bestimmt wird, solches angenommen wird. Wenn man aber doch a priori gewiß sein möchte, daß das Angenommene widerspruchsfrei ist, bedarf es desselben Beweises, den man benutzt hätte, wenn nur das angenommen worden wäre, was keineswegs durch sich untereinander bestimmt wird. Aufgrund der Unvollkommenheit der menschlichen Erkenntnis ist also in der Erforschung der Wahrheit zuzulassen, was in der reifen Wissenschaft mißbilligt wird. Kepler nahm wegen der Himmelsbewegungen an, daß sich die Planeten in Ellipsen um die Sonne bewegen, und zwar so, daß der Radiusvektor der Zeit nach proportionale Flächen überstreicht und die Kuben der Abstände oder des Radiusvektors sich wie die Quadrate der Umlaufzeiten verhalten. Gleichwohl konnte er nicht beweisen, daß diese Annahmen einander nicht widerstreiten, viel weniger aber war er in der Lage, zu beweisen, daß, wenn einige dieser Annahmen gesetzt sind, eine übrige gesetzt wird. Dies wurde erst in unserem Zeitalter durch die Bemühung Isaak Newtons und Johann Bernoullis bekannt. Auch wenn Kepler dagegen der Beweis fehlte, besaß er doch sehr wohl Wahrscheinlichkeitsgründe. Mit diesen haben wir es jedoch gegenwärtig nicht zu tun, sie hängen von den Prinzipien der Wahrscheinlichkeitslogik ab, die erst an ihrem Ort zu behandeln sind.

112

pars i · sectio i · caput i

§ 51 An propositionum analysis in singulares utilis Quoniam analysis propositionum universalium & particularium in singulares, qua in antecedentibus usi sumus, quae maxime abstracta sunt, veluti oculis spectanda exhibet ; in Mathesi autem non infimum claritatis gradum inde oriri constat, quod ad intuitivam cognitionem reducantur, quae discursivae subsunt, quale subsidium extra Mathesin hactenus desideratum ; propositionum universalium et particularium in singulares analysis, claritatis conservandae medium, inter steriles nugas referenda non est ; multo autem minus eadem, quae clara sunt, obscurari dicendum. Haec addimus doctrinae praesenti, ne per praecipitantiam contemnantur, quae maximi fieri debebant. Conquestus est Leibnitius in Actis Eruditorum A. , p. , de tenebris philosophiae primae, conqueruntur de iisdem vulgo tantum non omnes. Et Leibnitius quidem loco citato p.  jam monuit, in philosophia prima magis luce ac certitudine opus esse, quam in Mathematicis, atque ideo singularem quandam proponendi rationem necessariam judicavit, cujus ope non minus quam Euclidea methodo ad calculi instar quaestiones resolvantur, servata nihilominus claritate, quae nec popularibus sermonibus quicquam concedat. Sed singularis illa proponendi ratio nodus est, quem nemo philosophorum hactenus solvit, nec quomodo solvi debeat Leibnitius innuit, nedum docuit. Nulli tamen dubitamus, quod beneficio analyseos propositionum universalium & particularium in singulares in doctrina de contradictione nodum istum simplicissima ratione solverimus, cum adeo pro-

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

113

§ 51 Ob die Analyse von Sätzen in singuläre Sätze von Nutzen ist Da die im vorigen angewandte Analyse universeller und partikulärer Sätze in singuläre Sätze zuhöchst Abstraktes gleichsam anschaulich vor Augen stellt, es aber feststeht, daß in der Mathematik ein beträchtlicher Grad an Klarheit dadurch gewonnen wird, daß das diskursiv Zugrundeliegende auf eine anschauliche Erkenntnis zurückgeführt wird, welches Hilfsmittel außerhalb der Mathematik bisher vermißt wurde, so gilt : Die Analyse universeller und partikulärer Sätze in singuläre Sätze – ein Mittel, um Klarheit zu bewahren – ist nicht als unnütze Nebensächlichkeit anzusehen, viel weniger aber kann gesagt werden, daß Klares durch sie verdunkelt wird.

56

57

58

Dies fügen wir der gegenwärtigen Lehre hinzu, damit nicht voreilig etwas geringgeschätzt wird, was als sehr wertvoll angesehen werden müßte. Leibniz hat sich in den Acta Eruditorum A. , S.  über die Dunkelheiten der Ersten Philosophie beklagt, gewöhnlich beklagen sich fast alle darüber. Und Leibniz erinnerte bereits an der zitierten Stelle S.  daran, daß es in der Ersten Philosophie mehr des Lichtes und der Gewißheit bedarf als in der Mathematik. Deshalb hielt er eine gewisse eigentümliche Methode, Sätze aufzustellen, für notwendig, mit deren Hilfe wie durch die Euklidische Methode Fragen in der Weise eines Kalküls zu lösen seien, wobei jedoch die Klarheit bewahrt werde, die der populären Darstellungsart keine Zugeständnisse macht. Jene eigentümliche Methode, Sätze aufzustellen, ist jedoch der Knoten, den keiner der Philosophen bislang gelöst hat, und auch Leibniz hat nicht angedeutet, wie er zu lösen sei, geschweige, daß er es gelehrt hätte. Wir zweifeln jedoch nicht im mindesten daran, daß wir mit Hilfe der Analyse universeller und partikulärer Sätze in singuläre Sätze in der Lehre vom Widerspruch jenen Knoten auf die einfachste Weise gelöst haben, da diese Analyse so leicht zu sein scheint, daß je-

114

pars i · sectio i · caput i

na esse videatur, ut unusquisque sibimet ipsi indignari debeat, quod eam non viderit. Et de geminis artificiis in notionibus aliis extricandis cogitabimus. Ne tyrones 1 dubitent, doctrinae de contradictione nostra propositionum analysi tantam affundi lucem, quanta in Elementis Geometriae minime deprehenditur, & ad calculi instar propositiones demonstrandas resolvi ; non hic eorum gratia moneri superfluum ducimus, quae perspicacioribus me tacente manifesta sunt. Nimirum propositionum resolutiones eo modo scribendae sunt, ut calculi quendam typum exhibeant : quo facto, intuitive patent oculis spectanda subjecta, quae ratiociniorum firmitate assequi debebamus. E. gr. Sumamus propositionem (§ ), quod pars propositionis universalis ob defectum determinationis subjecti falsae ex singularibus verarum contradictoriis componatur, & resolvamus eandem in singulares. Typus analyseos erit istiusmodi : Omne A = A cum C + A sine C. Sit A cum C = D + E + F + G &c. A 2 sine C = H + I + K + L + M &c. erit Omne A = D + E + F + G &c. + H + I + K + L + M &c. (§  Arith.). Ergo si Omne A est B D est B E est B F est B G est B &c.

1 2

tyrones ] B tirones C. A ] C B B.

Si Quoddam A est B, nempe A cum C D est B E est B F est B G est B &c.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

59

115

der sich selbst die Schuld geben muß, daß er sie nicht gesehen hat. Über ähnliche Techniken, Begriffe aus anderen Begriffen herauszuziehen, werden wir nachdenken. Damit Anfänger nicht daran zweifeln, daß durch unsere Satzanalyse soviel Licht auf die Lehre vom Widerspruch geworfen wird, wie es in den Elementen der Geometrie keineswegs gefunden wird, und daß zu beweisende Sätze in der Weise eines Kalküls analysiert werden, halten wir es nicht für überflüssig, um dieser Anfänger willen hier an etwas zu erinnern, was Einsichtigeren auch bei meinem Schweigen offenbar ist. Die Satzauflösungen sind nämlich so aufzuschreiben, daß sie einen gewissen Typ von Kalkül darbieten. Dadurch wird das, was wir durch die Sicherheit von Schlüssen hätten erhalten müssen, als vor Augen zur Anschauung Gestelltes intuitiv klar. Beispiel : Nehmen wir den Satz (§ ) : Ein Teil eines aufgrund des Fehlens einer Bestimmung des Subjekts falschen universellen Satzes besteht aus singulären, zu den wahren kontradiktorischen Sätzen und lösen ihn in singuläre Sätze auf. Der Typ der Analyse wird folgender sein : Alle A = A mit C + A ohne C Es sei A mit C = D + E + F + G usw. A ohne C = H + I + K + L + M usw. dann gilt : Alle A = D + E + F + G usw. + H + I +K + L + M usw. (§  Arithmetica) Also : Wenn alle A B sind, dann gilt : Wenn einige A (nämlich die A mit C) B sind, dann : D ist B E ist B F ist B G ist B usw.

D ist B E ist B F ist B G ist B usw.

116

pars i · sectio i · caput i

Si Quoddam A non est B, nempe A sine C H est B I est B K est B L est B M est B &c.

H non est B I non est B K non est B L non est B M non est B &c.

ubi Omne A est B summa est singularium D est B, E est B, F est B &c. Quoddam A est B colligitur summatione singularium, D est B, E est B, F est B &c. & denique Quoddam A non est B summando singulares H non est B, I non est B, K non est B &c. Quoniam vero verae sunt propositiones Quoddam A est B & Quoddam A non est B ; falsa vero universalis Omne A est B ; evidens est ipso oculorum judicio falsae partem alteram constare ex singularibus veris D est B, E est B, F est B, G est B &c. partem vero alteram H est B, I est B, K est B, L est B, M est B &c. ex singularibus, quae verarum negativarum a latere positivarum 1 contradictoriae sunt, modo utramque propositionum seriem uno obtutu comprehendas, postquam singulas sigillatim perpendisti. Quae de summatione dixi, ex eo patent, quod Omne A est B = D + E + F + G &c. + H + I + K + L + M &c. est B & Quoddam A est B = D + E + F + G &c. est B Quoddam A non est B = H + I + K + L + M &c. non est B. Qui in his lucem non videt, is sibi imputet, quod nimiam ferre non possit & ad meridianam caliget. Nostra demum philosophandi methodo claret, quod Plato apud Theonem Smyrnaeum c. , p. , affirmat, disciplinas mathematicas animam praeparare ac defaecare, ut ipsa ad philosophiam capessendam idonea reddatur, &, quae Xenocratis olim sententia erat, Matheseos

1

positivarum ] scripsi positarum B C.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

117

Wenn einige A (nämlich die A ohne C) nicht B sind, gilt : H ist B I ist B K ist B L ist B M ist B usw.

H ist nicht B I ist nicht B K ist nicht B L ist nicht B M ist nicht B usw.

Dabei ist Alle A sind B die Summe der singulären Sätze D ist B, E ist B, F ist B usw. Einige A sind B wird zusammengenommen durch Summation der singulären Sätze D ist B, E ist B, F ist B usw. Und schließlich ergibt sich Einige A sind nicht B durch Summation der singulären Sätze H ist nicht B, I ist nicht B, K ist nicht B usw. Da nun die Sätze Einige A sind B und Einige A sind nicht B wahr sind, der universelle Satz Alle A sind B jedoch falsch ist, ist es bloß durch das Urteil der Augen evident, daß der eine Teil des falschen Satzes aus den wahren singulären Sätzen D ist B, E ist B, F ist B, G ist B usw. besteht, der andere Teil aber, H ist B, I ist B, K ist B, L ist B, M ist B usw., aus singulären Sätzen, welche die kontradiktorischen Sätze zu den wahren verneinenden Sätzen neben den positiven sind, wofern man nur beide Satzreihen mit einem Blick erfaßt, nachdem man die einzelnen Reihen im einzelnen betrachtet hat. Was ich über die Summation gesagt habe, erhellt aus folgendem : Alle A sind B = D + E + F + G usw. + H + I + K + L + M usw. sind B und : Einige A sind B = D + E + F + G usw. sind B Einige A sind nicht B = H + I + K + L + M usw. sind nicht B.

60

Wer darin kein Licht sieht, schreibe sich selber zu, daß er zuviel Licht nicht ertragen kann und bei hellichtem Tag trübe sieht. Durch unsere philosophische Methode wird endlich klar, was Platon bei Theo Smyrnaeus, Kap. I, S. , behauptet, daß nämlich die mathematischen Disziplinen die Seele vorbereiten und reinigen, so daß sie sich dazu eignet, die Philosophie zu ergreifen, und weiterhin das, was einst die Ansicht des Xenokrates war, daß jemand ohne die Hilfe der Mathematik eher für Woll-

118

pars i · sectio i · caput i

praesidio destitutum lanificio potius, quam philosophiae aptum esse. Xenocrates enim, referente Laertio lib. , c. , si quis Mathematum imperitus ejus disciplinae se tradere cupiebat, eum abire jussit, quod ansis & adminiculis philosophiae careret, addens : apud se vellus non molliri. Quis igitur nobis vitio vertet, quod non scribamus nisi iis, quibus solida ac utilis doctrina convenit? § 52 Fundamentum exclusionis medii inter contradictoria Eam quoque experimur mentis nostrae naturam, ut quodcunque vel esse judicet, vel non esse. In singularibus casibus idem obvium est. Nemo enim non judicat : 1 Aut Petrus fuit Romae, aut non fuit Romae ; Aut Venus nativo lumine gaudet, aut non gaudet : Aut dies est, aut dies non est. Haec secum habitanti denuo adeo evidentia sunt, ut insanientibus annumerandus foret, qui idem in dubium vocare vellet in casibus singularibus. Non autem postulamus, nisi ut in singulari concedatur, A est vel non est : ubi esse vel non esse considerari debet instar alicuius 2 praedicati B ipsi A in singulari tribuendi, ut adeo propositio singularis A est vel non est comprehendatur etiam sub hac forma A est B, quae adeo universali quadam ratione propositiones singulares repraesentat. § 53 Exclusio medii inter contradictoria universaliter adstructa Quodsi vero in singulari concesseris, A esse B 3 seu A vel esse,4 vel non esse ; nostra propositionum analysi veritas in universali facillime ostenditur illius principii ontologici :5 Quodlibet vel est,6 1 2 3

judicat : ] C judicat. B. alicuius ] B alicujus C. B ] B B, C.

4 5 6

esse, ] B esse C. ontologici: ] B Ontologici: C. est, ] B est C.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

61

119

arbeiten als für die Philosophie tauglich ist. Nach dem Zeugnis des Laertius Buch , Kap.  schickte Xenokrates nämlich jemanden weg, wenn er ohne Kenntnis der mathematischen Wissenschaften bei ihm studieren wollte, weil er die Handhaben und Hilfsmittel der Philosophie nicht besaß, wobei er hinzufügte : Bei mir wird keine Wolle gewalkt. Wer wird es uns also zum Fehler anrechnen, daß wir nur für diejenigen schreiben, die im Besitz dieser gediegenen und nützlichen Kenntnis sind. § 52 Die Grundlage der Ausschließung des Mittleren zwischen Kontradiktorischem Wir erfahren auch dies als die Natur unseres Geistes, daß er urteilt, daß jegliches entweder ist oder nicht ist. In einzelnen Fällen ist das offenkundig. Jeder urteilt nämlich : Entweder war Petrus in Rom, oder er war nicht in Rom. Entweder besitzt die Venus ein eigenes Licht, oder sie besitzt es nicht. Entweder ist es Tag, oder es ist nicht Tag. Dies ist dem, der mit sich vertraut ist, erneut so evident, daß jemand, der es in einzelnen Fällen bezweifeln wollte, zu den Wahnsinnigen zu rechnen wäre. Wir fordern aber nur, daß im einzelnen zugestanden wird : A ist oder es ist nicht. Dabei ist »sein« oder »nicht sein« wie ein Prädikat B zu betrachten, das A im einzelnen zuzuschreiben ist, so daß also der singuläre Satz A ist oder es ist nicht auch unter die Form A ist B fällt, die somit auf eine gewisse allgemeine Weise singuläre Sätze ausdrückt. § 53 Die Ausschließung des Mittleren zwischen Kontradiktorischem wird allgemein bewiesen Wenn man nun im einzelnen einräumt : A ist B bzw. A ist entweder oder es ist nicht, wird durch unsere Satzanalyse sehr leicht die Wahrheit des ontologischen Prinzips Jegliches ist ent-

120

pars i · sectio i · caput i

vel non est. Ponamus enim G sub se comprehendere individua A, B, C, D, E &c. Quoniam in singulari concedis, quodlibet esse vel non esse (§ ) ; igitur negare non potes, quod A vel sit,1 vel non sit ; B vel sit,2 vel non sit ; C vel sit,3 vel non sit ; D vel sit,4 vel non sit ; E vel sit,5 vel non sit &c. Quoniam adeo G & A + B + C + D + E &c. idem sunt ; igitur etiam G vel est,6 vel non est. Atque adeo universaliter patet, Quodlibet vel esse,7 vel non esse. Conincidit haec propositio cum altera in Logicis demonstrata (§  Log.), quod propositionum contradictoriarum altera necessario 8 vera, altera necessario 9 falsa. Communiter etiam dicitur, inter contradictoria non dari medium. § 54 An sub principio contradictionis contineatur Quoniam esse vel non esse considerari debet instar alicujus praedicati B, quod ipsi A tribuitur, ut adeo propositio singularis, A vel est,10 vel non est, sub hac formula generali omnium singularium, A est B, contineatur, (not. § ) 11 quod A sit B, hoc est, quod A vel sit vel non sit, admittimus tanquam verum vi principii contradictionis (§ ), atque adeo propositio, quodlibet est vel non est, tanquam corollarium sub principio contradictionis continetur. Quodsi quis demonstrationem propositionis, quod propositionum contradictoriarum altera sit necessario 12 vera, altera necessario falsa, quam dedimus (§  Log.), perpendere voluerit ; is non minus animadvertet, eandem in principium contradictionis resolvi. Quoniam vero propositio, Quodlibet est vel non est, aut, si mavis, principium exclusi medii inter duo contra1– 5 6 7 8, 9

sit, ] B sit C. est, ] B est C. esse, ] B esse C. necessario ] B neceßario C.

10 11

12

est, ] B est C. contineatur, (not. § ) ] B contineatur (not. § ), C. necessario ] B neceßario C.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

121

weder oder es ist nicht im allgemeinen gezeigt. Setzen wir nämlich, G enthalte unter sich die Individuen A, B, C, D, E usw. Da im einzelnen zugestanden wird, daß jegliches ist oder nicht ist (§ ), kann also nicht verneint werden, daß A entweder ist oder nicht ist, B entweder ist oder nicht ist, C entweder ist oder nicht ist, D entweder ist oder nicht ist, E entweder ist oder nicht ist usw. Da nun G und A + B + C + D + E usw. dasselbe sind, gilt auch : G ist entweder oder es ist nicht. Und so ist im allgemeinen klar, daß jegliches entweder ist oder nicht ist.

62

Dieser Satz fällt mit dem anderen in der Logik bewiesenen (§  Logica) zusammen, daß von kontradiktorischen Sätzen der eine notwendigerweise wahr, der andere notwendigerweise falsch ist. Im allgemeinen sagt man auch : Zwischen Kontradiktorischem gibt es kein Mittleres. § 54 Ob dieses Prinzip unter dem Prinzip des Widerspruchs enthalten ist Da »sein« oder »nicht sein« wie ein Prädikat B betrachtet werden muß, das dem A zugesprochen wird, so daß also der singuläre Satz A ist entweder oder es ist nicht unter dieser allgemeinen Formel aller singulären Sätze A ist B enthalten ist (§  Anm.), so räumen wir als wahr ein kraft des Widerspruchsprinzips (§ ), daß A B ist, das heißt, daß A entweder ist oder nicht ist, und so ist der Satz »Jegliches ist entweder oder es ist nicht« als Korollar unter dem Widerspruchsprinzip enthalten. Wenn nun jemand den gegebenen (§  Logica) Beweis des Satzes, daß von kontradiktorischen Sätzen der eine notwendigerweise wahr ist, der andere notwendigerweise falsch ist, durchdenken wollte, wird er ebenso bemerken, daß derselbe auf das Widerspruchsprinzip zurückgeführt wird. Da aber der Satz Jegliches ist oder es ist nicht oder, wenn man lieber will, das Prinzip des ausgeschlossenen Dritten zwischen zwei kontradiktorischen

122

pars i · sectio i · caput i

dictoria ex principio contradictionis deduci potest, ideo illo posito, hoc una ponitur. Unde non mirum, quod vice versa ex principio exclusi medii inter duo contradictoria principium contradictionis deduci possit, in casu nimirum universali, cum in singulari utrumque pateat per naturam mentis nostrae (§ , ). Nimirum si Quodlibet est vel non est, per modum corollarii statim sequi videtur, impossibile esse, ut idem simul sit & non sit. Atque ideo etiam fuere, qui principium exclusi medii inter duo contradictoria principio contradictionis prius statuerunt, consequenter illud, non hoc pro primo principio habuerunt. Enimvero si vim consecutionis, qua principium contradictionis ex principio exclusi medii inter duo contradictoria infertur, ad vivum reseces ; attendenti constabit, committi utique circulum in demonstrando, hoc est, principium contradictionis, quod inferri debebat, revera supponi, ut inferri possit. Etenim si quodlibet est vel non est, per hypothesin ; alterutra propositio, A est B, A non est B, vera est, nempe si vera propositio A est B, falsa est altera, A non est B & contra. Pone jam contra principium contradictionis, utramque propositionem, A est B & A non est B esse veram : falsum igitur, alterutram tantum earum esse veram, hoc est, si A sit B, falsam esse propositionem alteram, A non est B. Quod cum sit contra hypothesin, absurdum adeoque impossibile est. Quis non videt, nisi hebetior 1 fuerit, vi principii contradictionis ex eo, quod utraque propositio, A est B et A non est B, sit vera, inferri, falsum esse, si A sit B, idem A non esse B? Latet adeo in modo, quo principium contradictionis ex principio exclusi medii inter duo contradictoria

1

hebetior ] C hebet or B.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

63

64

123

Gegensätzen aus dem Widerspruchsprinzip abgeleitet werden kann, so wird, wenn man jenes setzt, dieses mitgesetzt. Daher ist es nicht verwunderlich, daß umgekehrt aus dem Prinzip des ausgeschlossenen Mittleren zwischen zwei kontradiktorischen Gegensätzen das Widerspruchsprinzip deduziert werden kann, und zwar im allgemeinen Fall, während im singulären Fall beide Prinzipien durch die Natur unseres Geistes klar sind (§ , ). Wenn nämlich Jegliches ist oder nicht ist, so scheint in der Weise eines Korollars sofort zu folgen, daß es unmöglich ist, daß dasselbe zugleich ist und nicht ist. Deshalb hat es auch einige gegeben, die das Prinzip des ausgeschlossenen Mittleren zwischen zwei kontradiktorischen Gegensätzen dem Widerspruchsprinzip vorangestellt haben und folglich jenes, nicht dieses für das erste Prinzip hielten. Wenn man nämlich die Kraft der Folgerung, durch die das Widerspruchsprinzip aus dem Prinzip des ausgeschlossenen Mittleren zwischen zwei kontradiktorischen Gegensätzen erschlossen wird, genau seziert, so wird für den aufmerksamen Beobachter feststehen, daß jedenfalls ein Zirkel im Beweisen begangen wird, das heißt, daß das Widerspruchsprinzip, das hätte erschlossen werden sollen, in Wahrheit vorausgesetzt wird, so daß es erschlossen werden kann. Wenn nämlich jegliches ist oder nicht ist, nach Voraussetzung, dann ist einer von den beiden Sätzen A ist B, A ist nicht B wahr ; wenn nämlich der Satz A ist B wahr ist, ist der andere A ist nicht B falsch, und umgekehrt. Man setze nun gegen das Widerspruchsprinzip, daß beide Sätze A ist B und A ist nicht B wahr sind. Es ist also falsch, daß nur einer von diesen beiden Sätzen wahr ist, das heißt, daß, wenn A B ist, der andere Satz A ist nicht B falsch ist. Da dies gegen die Voraussetzung ist, ist es absurd und also unmöglich. Wer sieht nicht, wenn er nicht allzu stumpf ist, daß kraft des Widerspruchsprinzips daraus, daß beide Sätze A ist B und A ist nicht B wahr sind, geschlossen wird : Wenn A B ist, dann ist es falsch, daß dasselbe A nicht B ist. In dem Modus also, gemäß dem das Widerspruchsprinzip aus dem Prinzip des ausgeschlossenen Mittleren zwischen zwei kontradiktorischen

124

pars i · sectio i · caput i

colligitur 1 aliquis circulus. Idem ex eo patet, quod modus iste sit demonstratio per indirectum ; haec autem valida vi principii contradictionis (§  Log.). Enimvero cum principio contradictionis demonstratio non minus directa, quam indirecta & omnis syllogismus nitatur, quemadmodum ex demonstrationibus logicis liquido apparet ; principium exclusi medii inter contradictoria ex principio contradictionis citra circulum infertur, quacunque demonstrandi forma utaris. Apparet adeo, cur Aristoteles ipsumque secuti 2 principium contradictionis pro primum omnium principiorum habuerint, & cur nos eandem sententiam tueamur. Cum vero principium exclusi medii inter duo contradictoria sit propositio de contradictione, quae perinde ac aliae ex principio contradictionis legitime inferuntur ; igitur nos illud ad principium contradictionis una referimus, quippe quo nititur omnis de contradictione doctrina. Ceterum ex his apparet, quanta circumspectione opus sit in philosophia prima, ne a veritate aberremus, & quod omnino intersit, ut demonstrationibus utamur maxime evolutis &, quantum fieri potest, ad intuitum reductis, ut singula quasi coram intueamur, nequaquam autem in confusis ratiociniis, quae notionibus involutis 3 mentem percellere videntur, acquiescamus. § 55 Principium certitudinis Quoniam impossibile est, idem simul esse & non esse (§ ),4 Quodlibet, dum est, est, hoc est, si A est, utique verum est, A esse. Nega enim A esse, dum est ; concedere ergo debes, A simul esse & non esse : id quod principio contradictionis repugnat, adeoque vi ejusdem principii admitti nequit. 1 2 3 4

colligitur ] secuti ] C involutis ] (§ ), ] B

B colligitur, C. Ecole securi B. C involutae B. (§ ) ; C.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

65, 66

67 68

69

125

Gegensätzen erschlossen wird, liegt ein Zirkel verborgen. Dasselbe erhellt auch daraus, daß dieser Modus ein indirekter Beweis ist ; letzterer ist aber gültig kraft des Widerspruchsprinzips (§  Logica). Da aber ein direkter ebensosehr wie ein indirekter Beweis und jeder Syllogismus sich auf das Widerspruchsprinzip stützen, wie aus den Beweisen in der Logik deutlich zu sehen ist, so wird das Prinzip des ausgeschlossenen Mittleren zwischen Kontradiktorischem aus dem Widerspruchsprinzip ohne Zirkel geschlossen, gleichgültig, welche Beweisform man verwendet. Es zeigt sich also, warum Aristoteles und seine Anhänger das Widerspruchsprinzip für das erste aller Prinzipien hielten, und weshalb wir dieselbe Auffassung vertreten. Da aber das Prinzip des ausgeschlossenen Mittleren zwischen zwei kontradiktorischen Gegensätzen ein Satz über den Widerspruch ist, der wie andere Sätze auch aus dem Widerspruchsprinzip rechtmäßig geschlossen wird, beziehen wir jenes also zusammen auf das Widerspruchsprinzip, auf welches sich die ganze Lehre vom Widerspruch stützt. Im übrigen wird hieraus ersichtlich, welche Umsicht in der Ersten Philosophie vonnöten ist, damit wir nicht von der Wahrheit abirren, und daß es sehr darauf ankommt, daß wir zuhöchst entwickelte und möglichst auf die Anschauung zurückgeführte Beweise gebrauchen, damit wir das Einzelne gleichsam mit eigenen Augen anschauen, keineswegs aber uns mit undeutlichen Schlüssen begnügen, die durch eingewikkelte Begriffe den Geist zu zerrütten scheinen. § 55 Das Prinzip der Gewißheit Da es unmöglich ist, daß dasselbe zugleich ist und nicht ist (§ ), ist jegliches, während es ist, das heißt, wenn A ist, ist es auf jeden Fall wahr, daß A ist. Man verneine nämlich, daß A ist, während es ist. Man muß also zugestehen, daß A zugleich ist und nicht ist. Dies widerstreitet dem Widerspruchsprinzip und kann also kraft desselben Prinzips nicht zugelassen werden.

126

pars i · sectio i · caput i

Patet adeo principium contradictionis esse fontem omnis certitudinis, quo posito, ponitur certitudo in cognitione humana ; quo sublato, tollitur omnis certitudo. Pone enim, idem simul esse & non esse posse. Ergo dum cogitas, seu tui tibi conscius es, fieri poterit, ut non cogites, seu tui tibi non sis conscius. Perit adeo certitudo cognitionis ejus propositionis, quae tantae evidentiae censetur, ut de omnibus dubitans de ea tamen dubitare nequeat, & quam Cartesius primam esse judicavit, quam de omnibus dubitans certo cognoscit, atque adeo omnis evidentiae normam constituit. Patet tamen a vero aberrare eos, qui principium certitudinis, Quodlibet, dum est, est, primum omnium constituunt, propterea quod principio contradictionis nitatur, adeoque hoc praesupponat. Facile autem apparet, probandum ante esse, quod aliquid sit, antequam vi huius principii certi esse queamus idem esse. Quamobrem eodem abutuntur, qui exinde colligunt, mundum materialem existere, quod eum existere vident. Sed ea de re suo loco diserte dicemus.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

70

71

72

127

Es erhellt also, daß das Widerspruchsprinzip die Quelle aller Gewißheit ist ; durch dessen Setzung wird die Gewißheit in der menschlichen Erkenntnis gesetzt und durch dessen Aufhebung wird alle Gewißheit aufgehoben. Man setze nämlich, daß dasselbe zugleich sein und nicht sein kann. Während du denkst oder dir deiner bewußt bist, wird es also geschehen können, daß du nicht denkst oder dir deiner nicht bewußt bist. Es verschwindet also die Gewißheit der Erkenntnis desjenigen Satzes, dessen Evidenz als so groß eingeschätzt wird, daß der an allem Zweifelnde an ihm gleichwohl nicht zweifeln kann, und den Descartes als den ersten ansah, den der an allem Zweifelnde gewiß erkennt und der also die Norm aller Evidenz konstituiert. Es ist jedoch klar, daß diejenigen vom Wahren abirren, die das Prinzip der Gewißheit Jegliches ist, während es ist als das erste von allen ansetzen, weil es sich auf das Widerspruchspinzip stützt und so dieses voraussetzt. Es ist aber leicht zu sehen, daß zuerst zu erweisen ist, daß etwas ist, bevor wir kraft dieses Prinzips gewiß sein können, daß dasselbe ist. Deshalb mißbrauchen diejenigen dieses Prinzip, die daraus, daß sie die materielle Welt existieren sehen, schließen, daß sie existiert. Über diese Sache werden wir jedoch an ihrem Ort ausdrücklich sprechen.

128

pars i · sectio i · caput ii

caput ii. de principio rationis sufficientis § 56 Rationis sufficientis definitio Per Rationem sufficientem intelligimus id, unde intelligitur, cur aliquid sit. E. gr. Ex eo, quod quis sumit, triangulum tribus lineis contineri, intelligitur, quod tres habere debeat angulos. Etenim si lineae AB, BC & CA spatium comprehendere debent ; punctum B extremum lineae AB & cognomine, quod est extremum lineae CB, itemque punctum C extremum lineae BC & cognomine, quod est extremum ipsius AC, tandemque punctum A extremum 1 ejusdem lineae AC & cognomine, quod est extremum ipsius AB, coincidere debent. Patet igitur tria sic obtineri puncta B, C, A, in quibus binae rectae CB & AB, CB & CA, CA & AB ad se invicem inclinantur. Cum itaque duarum linearum in puncto quodam concurrentium ad se invicem inclinatio dicatur angulus, quemadmodum ex Elementis Geometriae constat ; tres in triangulo, non plures esse angulos evidens est. Ternarius adeo laterum numerus in triangulo dicitur ratio sufficiens numeri ternarii angulorum, propterea quod sufficit, ut intelligamus, triangulum tres habere angulos. Similiter ponamus, personam quandam, cui reverentiam me debere pro certo habeo, in conclave intrare, dum sedens scribo, & me abjecto calamo extemplo surgere : ratio sufficiens, cur calamum abjiciam & protinus surgam, est introitus personae, cui me reverentiam debere judico. Ex eo enim, quod persona illa in con-

1

A extremum ] coni. extremum A B C.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

129

kapitel  : das prinzip des zureichenden grundes § 56 Definition des zureichenden Grundes Unter zureichendem Grund verstehen wir das, von woher eingesehen wird, warum etwas ist. 73

74

Beispiel : Daraus, daß jemand annimmt, ein Dreieck werde von drei Linien umschlossen, wird eingesehen, daß es drei Winkel haben muß. Wenn nämlich die Linien AB, BC und CA einen Raum umfassen sollen, müssen der Punkt B, das Ende der Linie AB, und der namengleiche Punkt B, der das Ende der Line CB ist, ebenso der Punkt C, das Ende der Linie BC, und der namengleiche Punkt C, der das Ende von AC ist, und schließlich der Punkt A, das Ende derselben Linie AC, und der namengleiche Punkt A, der das Ende von AB ist, zusammenfallen. Es erhellt also, daß man auf diese Weise drei Punkte B, C, A erhält, in denen sich jeweils zwei Geraden, CB und AB, CB und CA, CA und AB, gegeneinander neigen. Da nun die wechselseitige Neigung zweier Linien, die in einem Punkt zusammenlaufen, Winkel genannt wird, wie es gemäß den Elementen der Geometrie feststeht, ist es evident, daß es in einem Dreieck drei und nicht mehr Winkel gibt. Die Dreizahl der Seiten in einem Dreieck wird zureichender Grund der Dreizahl der Winkel genannt, weil sie dafür zureicht, daß wir einsehen, daß ein Dreieck drei Winkel hat. In ähnlicher Weise wollen wir setzen, daß eine Person, von der ich sicher weiß, daß ich ihr Ehrerbietung schulde, in das Zimmer kommt, während ich im Sitzen schreibe, und daß ich sogleich aufstehe, nachdem ich meine Feder niedergelegt habe. Der zureichende Grund, warum ich meine Feder niederlege und sofort aufstehe, ist dann der Eintritt der Person, von der ich urteile, daß ich ihr Ehrerbietung schulde. Daraus nämlich, daß jene Person das Zimmer betritt,

130

pars i · sectio i · caput ii

clave intret, quodque me eidem reverentiam exhibere debere agnoscam, quod denique judicem, reverentiae contrariari, si non surgam, intelligo, cur potius surgere, quam sedentem in scribendo pergere libuerit. Ubi postmodum in notionem entis & praesertim actus seu existentiae inquisituri sumus ; notio rationis sufficientis clarior evadet. Immo 1 majorem adhuc lucem eidem affundet 2 suo loco specialis explicatio modi, quo contingentium actus cum in mundo materiali, tum in anima nostra determinatur : quorum istud 3 in Cosmologia, hoc in Psychologia docetur. Inprimis tum demum patebit, quando ratio sit sufficiens : vulgo enim in insufficiente acquiescere solent. Sed specialia tradenda sunt suo loco,4 nec hic in genere cumulanda, quae nondum demonstrari possunt. § 57 Nihili definitio Nihilum dicimus, cui nulla respondet notio. Unde Erhardus Weigelius 5, Mathematum quondam in Academia Jenensi Professor, in Philosophia Mathematica sect. , def. , p. , non inepte nihilum definit per id, quod cogitamus, quando plane non cogitamus. Etsi enim disputatum fuerit inter philosophos, an unquam plane non cogitemus ; in definitione tamen nihili sumere licet vel hypothesin impossibilem. Ne tamen nos in definitionem ingredi pateremur, quod disceptationi obnoxium, 6 nec in limine philosophiae decidi potest ; igitur aliam dedimus. Ipso autem principio contradictionis docemur, quando nulla respondeat notio. Pone enim, te habere notionem

1 2 3 4 5 6

Immo ] B Imo C. affundet ] C affunde B. istud ] B illud C. loco, ] B loco C. Weigelius ] B VVeigelius C. obnoxium, ] B obnoxium C.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

75 76, 77

78, 79

131

daß ich erkenne, ich müsse ihr Ehrerbietung erzeigen, und daß ich schließlich urteile, es widerstreite der Ehrerbietung, wenn ich nicht aufstünde, sehe ich ein, warum es mir gefällt, eher aufzustehen, als sitzend mit dem Schreiben fortzufahren. Sobald wir später den Begriff des Seienden und im besonderen den der Wirklichkeit oder der Existenz untersuchen, wird der Begriff des zureichenden Grundes klarer werden. Die besondere Erklärung der Weise, wie die Wirklichkeit von Zufälligem sowohl in der materiellen Welt als auch in unserer Seele bestimmt wird, wird an ihrem Ort sogar ein noch größeres Licht auf diesen Begriff werfen ; von diesen beiden wird jenes in der Kosmologie, dieses in der Psychologie gelehrt. Vor allem wird dann erst erhellen, wann ein Grund zureichend ist ; gewöhnlich begnügt man sich nämlich mit einem unzureichenden. Das Besondere ist jedoch an seinem Ort zu behandeln, und hier darf nicht im allgemeinen aufgehäuft werden, was noch nicht bewiesen werden kann. § 57 Definition des Nichts Nichts nennen wir das, dem kein Begriff entspricht.

80

81

Erhard Weigel, vormals Professor der Mathematik an der Universität Jena, definiert deshalb in seiner mathematischen Philosophie, Abschnitt , Definition , S.  nicht unpassend nichts als das, was wir denken, wenn wir schlechterdings nicht denken. Auch wenn nämlich unter Philosophen darüber gestritten worden ist, ob wir irgendwann schlechterdings nicht denken, so ist es doch erlaubt, in der Definition des Nichts sogar eine unmögliche Hypothese anzunehmen. Damit wir gleichwohl in die Definition nichts eingehen lassen, was dem Streit unterliegt und nicht am Anfang der Philosophie entschieden werden kann, geben wir demnach eine andere Definition. Durch das Widerspruchsprinzip selbst werden wir aber darüber belehrt, wann kein Begriff entspricht. Man setze nämlich, man habe

132

pars i · sectio i · caput ii

trianguli, dum tibi repraesentas figuram tribus lineis comprehensam. Pone ulterius, te removere illam notionem, nec aliam in ejus locum succedere : quod igitur remanet, erit nihil. Unde patet, sublata notione,1 poni nihil. Quare nihilum quoque definiri poterat, quod relinquitur vel ponitur,2 notione sublata, vel si notioni extra mentem respondeat aliquid eidem simile, tanquam eadem repraesentatum, quod relinquitur, re sublata. Haec notio conformis est Arithmeticae, ubi numero, qui ponebatur, sublato, nihil relinqui ponitur. § 58 Nihilum quando mentiatur aliquid Quando igitur termino jungitur notio deceptrix, quae revera nulla est, etsi talis videatur (§  Log.), nihilum mentitur aliquid. E. gr. Qui bilineum rectilineum esse ait figuram duabus lineis rectis terminatam ; is termino bilinei rectilinei jungit notionem deceptricem. Etsi igitur nulla sit notio, quae figurae duabus lineis rectis terminatae respondeat, consequenter nec termino bilinei rectilinei talis respondere possit ; quamdiu tamen notionem verbis istis respondere existimamus, nihilum nobis tanquam aliquid repraesentamus, atque adeo ipsum aliquid mentitur. Notiones deceptrices cum non sint infrequentes, experientia teste ; nec infrequens casus est, in quo nihilum per modum entis concipitur. Cumque subinde eruditi de notionibus deceptricibus disputent ; evidens est eos de nihilo disputare, quatenus pro aliquo perperam habetur.

1 2

notione, ] B notione C. ponitur, ] B ponitur C.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

133

einen Begriff des Dreiecks, indem man sich eine von drei Linien umfaßte Figur vorstellt. Man setze weiterhin, daß man diesen Begriff entfernt und kein anderer an seine Stelle rückt : was also bleibt, wird nichts sein. Auf diese Weise erhellt, daß durch Wegnehmen eines Begriffs Nichts gesetzt wird. Infolgedessen hätte nichts auch als das definiert werden können, was zurückbleibt oder gesetzt wird, wenn ein Begriff weggenommen wird, oder, wenn dem Begriff außerhalb des Geistes etwas ihm Ähnliches entspricht, das gleichsam durch diesen Begriff vorgestellt wird, als das, was zurückbleibt, wenn eine Sache weggenommen wird. Dieser Begriff entspricht der Arithmetik, in der gesetzt wird, daß nichts zurückbleibt, wenn die Zahl, die gesetzt wurde, weggenommen worden ist. § 58 Wann nichts etwas vortäuscht Wenn also mit einem Ausdruck ein betrügerischer Begriff verbunden wird, der in Wahrheit keiner ist, auch wenn er als solcher erscheint (§  Logica), täuscht nichts etwas vor.

82

Beispiel : Wer sagt, daß eine zweilinige geradlinige Figur eine Figur ist, die durch zwei gerade Linien begrenzt ist, verbindet mit dem Ausdruck »zweilinige geradlinige Figur« einen betrügerischen Begriff. Auch wenn es also keinen Begriff gibt, der einer durch zwei gerade Linien begrenzten Figur entspricht, und wenn folglich auch dem Ausdruck »zweilinige geradlinige Figur« ein solcher Begriff nicht entsprechen kann, so stellen wir uns doch nichts als etwas vor, solange wir glauben, daß diesen Worten ein Begriff entspricht, und so täuscht nichts etwas vor. Da nach dem Zeugnis der Erfahrung betrügerische Begriffe nicht selten sind, ist auch der Fall nicht selten, in dem nichts in der Weise eines Seienden begriffen wird. Und weil die Gelehrten oft über trügerische Begriffe diskutieren, ist es evident, daß sie über nichts diskutieren, insofern es fälschlich für etwas gehalten wird.

134

pars i · sectio i · caput ii

§ 59 Alicujus definitio Aliquid est, cui notio aliqua respondet. E. gr. Triangulo respondet aliqua notio : neque enim contradictionem involvit, ut spatium terminetur tribus lineis rectis. Est igitur triangulum aliquid.

§ 60 Nihilum et aliquid num sint contradictoria Patet adeo, nihilum non esse aliquid (§ , ), atque adeo nihilum et aliquid sibi mutuo contradicere (§ ), consequenter inter nihilum et aliquid non dari medium (§ ). E. gr. Triangulum vel est aliquid, vel est nihil. Quodsi ergo probaveris esse aliquid ; statim patet, quod non sit nihil. Similiter Bilineum rectilineum vel est aliquid, vel nihil. Quodsi ergo probaveris esse nihil (§ ) ; eo ipso patet, quod non sit aliquid.

§ 61 An nihilum aliquoties positum sit aliquid Si nihilum ponas, quotiescunque libuerit ; quod ponitur nihilum est, non aliquid. Sit nihilum A : ergo si A ponis, per hypoth. ponis id, cui nulla respondet notio (§ ). Si A denuo ponas ; denuo ponis id, cui nulla respondet notio (§ ). Ergo cum A prima vice posito nulla respondeat notio & eidem altera vice posito nulla notio respondeat ; ipsi A bis posito notio nulla respondet, atque adeo A seu nihilum bis positum est etiam nihil (§ ). Cum adeo A bis positum aequivaleat ipsi A semel posito ; facile

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

135

§ 59 Definition des Etwas Etwas ist das, dem ein Begriff entspricht.

83

Beispiel : Dem Dreieck entspricht ein Begriff ; denn es schließt keinen Widerspruch ein, daß ein Raum von drei geraden Linien begrenzt wird. Als ist das Dreieck etwas. § 60 Ob nichts und etwas sich kontradiktorisch zueinander verhalten Es erhellt also, daß nichts nicht etwas ist (§ , ), daß also nichts und etwas sich gegenseitig widersprechen (§ ), und daß es folglich zwischen nichts und etwas kein Mittleres gibt (§ ). Beispiel : Ein Dreieck ist entweder etwas oder es ist nichts. Wenn man also erweist, daß es etwas ist, so erhellt sofort, daß es nicht nichts ist. In ähnlicher Weise ist eine zweilinige geradlinige Figur entweder etwas oder nichts. Wenn man also erweist, sie sei nichts (§ ), so erhellt genau daraus, daß sie nicht etwas ist. § 61 Ob nichts etwas ist, wenn es einige Male gesetzt worden ist

84

Wenn man nichts beliebig oft setzt, dann ist das, was gesetzt wird, nichts, nicht etwas. Es sei nichts A. Wenn man also A setzt, so setzt man nach Vorraussetzung das, dem kein Begriff entspricht (§ ). Wenn man A erneut setzt, so setzt man erneut das, dem kein Begriff entspricht (§ ). Da also dem zuerst gesetzten A kein Begriff entspricht und dem darauf gesetzten A kein Begriff entspricht, entspricht dem zweimal gesetzten A kein Begriff, und so ist das zweimal gesetzte A oder Nichts auch nichts (§ ). Da also das zweimal gesetzte A dem einmal gesetzten A gleichwertig ist, so erhellt leicht, daß dieser Schluß

136

pars i · sectio i · caput ii

patet hanc ratiocinationem in infinitum posse continuari, consequenter A sive nihilum vel infinities positum esse nihilum. Concipere etiam licet nihilum A tanquam individuum, cui convenit hoc praedicatum, quod nulla eidem notio respondeat. Unde habes propositionem singularem : A nullam habet notionem sibi respondentem (§ ). Sint jam B, C, D, E &c. alia individua, quibus singulis idem convenit praedicatum, quod nulla iisdem respondeat notio. Habes igitur propositiones singulares : B nullam habet notionem sibi respondentem, C nullam habet notionem sibi respondentem, D nullam habet notionem sibi respondentem, E nullam habet notionem sibi respondentem &c. Ergo summando habemus : A + B + C + D + E &c. nullam habet notionem sibi respondentem. Sit jam K = A + B + C + D + E &c. Ergo K nullam habet notionem sibi respondentem, consequenter nihil est (§ ). Quare cum K sit nihilum toties positum, quoties libuerit, evidens est, nihilum toties positum, quoties libuerit, esse nihilum, consequenter non aliquid (§ ). Guido Grandus, Mathematicus celebris, in Tractatu de Quadratura Circuli & Hyperbolae part. I, prop. , p. , sibi demonstrasse visus est, nihilum infinities positum seu summam ex infinitis nullitatibus esse medietatem integri, atque ideo eam infiniti vim agnovit, ut etiam, quod per se nullum est, multiplicando 1 in aliquid commutet. Leibnitius in epistola ad me data, quam Actis Eruditorum Tom. V, supplem, Sect. VI, p. , inseruit, negavit simplici nihilorum repetitione fieri aliquid ; concessit tamen 1 – 1 + 1 – 1 + 1 – 1 &c. in infinitum esse = ½ , negans scilicet, propterea quod sit 1 – 1 = 0, seriem 1 – 1 + 1 – 1 + 1 – 1 &c. in casu infiniti esse 0 + 0 + 0 &c. in infinitum. Sed nos in Analyseos nostris Elementis Latinis ostendimus, nec esse 1 – 1 + 1 – 1 + 1 – 1 &c. in infinitum = ½ , consequenter Leibnitii ea de re cogitata

1

multiplicando ] B multiplicando, C.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

137

ins Unendliche fortgesetzt werden kann, daß folglich A oder nichts auch dann, wenn es unendlich oft gesetzt worden ist, nichts ist. Es ist auch möglich, das Nichts A als ein Individuum zu begreifen, dem das Prädikat zukommt, daß ihm kein Begriff entspricht. Demnach hat man folgenden singulären Satz : A hat keinen ihm entsprechenden Begriff (§ ). Es seien jetzt B, C, D, E usw. andere Individuen, denen als einzelnen dasselbe Prädikat zukommt, daß ihnen kein Begriff entspricht. Man hat also die singulären Sätze : B hat keinen ihm entsprechenden Begriff, C hat keinen ihm entsprechenden Begriff, D hat keinen ihm entsprechenden Begriff, E hat keinen ihm entsprechenden Begriff usw. Also haben wir durch Summation : A + B + C + D + E usw. hat keinen ihm entsprechenden Begriff. Es sei nun K = A + B + C + D + E usw. Also hat K keinen ihm entsprechenden Begriff, folglich ist es nichts (§ ). Da nun K das beliebig oft gesetzte Nichts ist, ist es evident, daß das beliebig oft gesetzte Nichts nichts ist, folglich nicht etwas (§ ).

85

86

87

Der berühmte Mathematiker Guido Grandus glaubte in seinem Traktat über die Quadratur des Kreises und der Hyperbel, Teil , Satz , S. , bewiesen zu haben, daß das unendliche Male gesetzte Nichts oder die Summe aus unendlichen Nullheiten die Hälfte des Ganzen sei, und erkannte also eine solche Kraft des Unendlichen an, daß es sogar das, was an sich nichts ist, durch Vervielfältigen in etwas verwandelt. Leibniz verneinte in einem mir gesendeten Brief, den er in die Acta Eruditorum Band V, Ergänzung, Abschnitt VI, S.  einfügte, daß durch einfache Wiederholung von Nichtsen etwas wird. Er räumte jedoch ein, daß 1 – 1 + 1 – 1 + 1 – 1 usw. ins Unendliche = ½ sei, wobei er nämlich verneinte, daß deshalb, weil 1 – 1 = 0 sei, die Serie 1 – 1 + 1 – 1 + 1 – 1 usw. im Falle des Unendlichen 0 + 0 + 0 usw. ins Unendliche sei. Wir jedoch haben in unseren lateinischen Elementen der Analysis gezeigt, daß auch 1 – 1 + 1 – 1 + 1 – 1 usw. ins Unendliche nicht = ½ ist, daß folglich die Gedanken

138

pars i · sectio i · caput ii

magis ingeniosa, quam solida haberi debere. Ceterum propositio nostra clarius enunciat, quod obscurius a veteribus dictum, ex nihilo nihil fieri : neque enim istud aliter intelligendum esse censemus, quam nihilorum repetitione seu iterata positione non fieri aliquid. § 62 Fons praecipitantiae in judicando de nihilo Si ignoratur notio ipsi A respondens ; non ideo A est nihil. Etenim si notio ipsi A respondens ignoratur, non ideo nulla datur, quae eidem convenit : multa enim esse, quae ignoramus, neminem fugit. Ergo ideo, quod notio ipsi A respondens ignoratur, A nihil non est (1 § ). Vulgo ad hoc non attendunt, qui per praecipitantiam de nihilo judicant. Neque enim advertunt, antequam inferri possit, A esse nihil,2 probandum esse, quod nulla eidem notio conveniat (§  Log.). § 63 Terminus inanis quid denotet Quoniam terminus inanis est, cui notio nulla respondet, nisi deceptrix (§  Log.), nihilum autem est, cui notio nulla respondet (§ ), & aliquid tantum mentitur, si eidem notio deceptrix attribuitur (§ ) ; terminus inanis nihil denotat, quatenus aliquid mentitur. Ita videbantur Scholastici habere notionem vis attractricis magneticae, quatenus habetur pro causa phaenomeni, quod observatione innotescit, atque adeo per praecipitantiam notio phaenomeni tanquam effectus attribuitur causae. Postquam vero

1 2

( ] B om. C. nihil, ] B nihil ; C.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

88

139

Leibnizens zu dieser Sache eher für geistreich als für gründlich gehalten werden müssen. Im übrigen spricht unser Satz deutlicher aus, was von den Alten dunkler gesagt worden ist : Aus nichts wird nichts. Wir sind nämlich der Auffassung, daß dieser Satz nicht anders als folgendermaßer zu verstehen ist : Durch die Wiederholung oder wiederholte Setzung von Nichtsen wird nicht etwas. § 62 Die Quelle der Übereilung im Urteil über das Nichts Wenn der A entsprechende Begriff nicht gewußt wird, dann ist A deswegen nicht nichts. Wenn nämlich der A entsprechende Begriff nicht gewußt wird, dann bedeutet dies nicht, daß es keinen Begriff gibt, der ihm zukommt. Niemandem entgeht nämlich, daß es vieles gibt, was wir nicht wissen. Es ist also A nicht deshalb nichts, weil der A entsprechende Begriff nicht gewußt wird (§ ). Gewöhnlich bemerken dies diejenigen nicht, die aus Übereilung über das Nichts urteilen. Denn sie erkennen nicht, daß zuerst bewiesen werden muß, daß dem A kein Begriff zukommt, bevor geschlossen werden kann, daß A nichts ist (§  Logica). § 63 Was ein leerer Ausdruck bezeichnet Weil ein Ausdruck leer ist, dem nur ein betrügerischer Begriff entspricht (§  Logica), nichts aber das ist, dem kein Begriff entspricht (§ ), und nichts etwas nur vortäuscht, wenn ihm ein betrügerischer Begriff beigelegt wird (§ ), so gilt : Ein leerer Ausdruck bezeichnet nichts, insofern es etwas vortäuscht.

89

So schienen die Scholastiker den Begriff der magnetischen Anziehungskraft zu haben, insofern diese für die Ursache desjenigen Phänomens gehalten wird, was durch Beobachtung bekannt wird ; auf diese Weise wird durch Übereilung der Begriff

140

pars i · sectio i · caput ii

Cartesius docuit, notionem ipsis fuisse nullam, distinctam phaenomeni explicationem daturus ; igitur 1 patet vim attractricem revera denotasse nihil, quatenus aliquid mentitur, nempe quatenus mentitur causam attractionis magneticae. § 64 Cur terminorum inanium notitia sit rei cognitio nulla Cum terminus inanis nihil denotet, quatenus aliquid mentitur (§ ) ; qui terminos inanes novit, nihil novit, neque adeo intelligit, cur aliquid sit, ubi nihilum mentitur causam. Ita Scholastici nihil noverunt de attractionis magneticae causa, utut eam fieri assererent per vim attractricem, cum vis attractrix ipsis revera nihil denotaret, & tantummodo causam mentiretur. Nil obstaret, quo minus causa 2 attractionis magneticae diceretur vis attractrix, cum nominum impositio sit arbitraria. Enimvero quamdiu causae nullam habes notionem eamque vim 3 attractricem appellas, tibique eam nosse videris, proterea quod notionem phaenomeni eidem attribuis ; nihil profecto causae cognoscis, etsi quaedam detur, vis attractricis nomine compellanda. Opportune hic monemus, ut scientiis operam daturi sibi caveant a terminis inanibus, nullos admittentes, nisi quibus notionem aliquam respondere sufficienter probare valeant, ne magno conatu nihil discant sibique scire videantur, quorum nihil prorsus cognovere. Objicimus haec vulgo Physicae Scholasticorum. Sed non sola philosophia scholastica hoc naevo la-

1 2 3

igitur ] B om. C. Nil obstaret, quo minus causa ] B Non obstaret, ut causa A C. vim ] C v m B.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

90

141

des Phänomens als Wirkung der Ursache beigelegt. Nachdem jedoch Descartes gezeigt hatte, daß die Scholastiker keinen Begriff hatten, um daraufhin selbst eine deutliche Erklärung des Phänomens zu geben, ist es also klar, daß die Anziehungskraft in Wahrheit nichts bezeichnet, insofern es etwas vortäuscht, insofern es nämlich die Ursache der magnetischen Anziehung vortäuscht. § 64 Warum die Kenntnis leerer Ausdrücke keine Erkenntnis einer Sache ist Da ein leerer Ausdruck nichts bezeichnet, insofern es etwas vortäuscht (§ ), kennt derjenige nichts, der nur leere Ausdrücke kennt, und er sieht also auch nicht ein, warum etwas ist, wenn nichts eine Ursache vortäuscht. So kannten die Scholastiker nichts von der Ursache der magnetischen Anziehung, obgleich sie behaupteten, sie geschehe durch die Anziehungskraft ; denn die Anziehungskraft bezeichnete für sie in Wahrheit nichts und täuschte eine Ursache lediglich vor. Es spräche nichts dagegen, die Ursache der magnetischen Anziehung als Anziehungskraft zu bezeichnen, da die Beilegung von Namen willkürlich ist. Solange man nun keinen Begriff der Ursache hat, diese als Anziehungskraft benennt und sie zu kennen glaubt, weil man ihr den Begriff des Phänomens beilegt, erkennt man in der Tat nichts von der Ursache, auch wenn es eine Ursache gäbe, die mit dem Namen der Anziehungskraft anzusprechen ist. Hier mahnen wir an passender Stelle, daß die um die Wissenschaften Bemühten sich vor leeren Ausdrücken hüten und nur solche zulassen, von denen sie zureichend beweisen können, daß ihnen ein Begriff entspricht, damit sie nicht mit großem Aufwand nichts lernen und das zu wissen glauben, von dem sie überhaupt nichts erkannt haben. Wir machen diese Einwände im allgemeinen gegen die Physik der Scholastiker. Es leidet jedoch nicht allein die scholastische

142

pars i · sectio i · caput ii

borat, verum alii quoque complures hodienum inanibus terminis sibimet ipsis illudunt. Atque hinc intelligitur tractationem de nihilo non esse inutilem, sed maximi momenti. Ipso autem facto docemur, non adeo facile esse, ut quis a notionibus deceptricibus sibi caveat,1 nec nihil pro aliquo amplectatur. Nos inprimis philosophiam emendare studemus, ut in posterum facilius sit sibi ab iisdem cavere. Nec contemnenda hic auxilia feret philosophia nostra prima, ubi cum rationali conjungetur. § 65 Termini inanes cur rationis vicem tueri nequeant Terminis inanibus non redditur ratio eorum, quae sunt. Etenim per rationem intelligimus, cur aliquid sit (§ ), beneficio autem termini inanis minime intelligimus, cur aliquid sit, ubi causam mentitur (§ ). Terminis adeo inanibus perperam redditur ratio eorum, quae sunt. E. gr. Anima rationalis dirigens operationes vitales in corpore humano est nihilum, quatenus mentitur causam eorum, quae in corpore humano vitae conservandae gratia fiunt. Nullam enim habemus istius animae notionem, adeoque terminus animae rationalis hoc respectu inanis est, cum per fallaciam ipsi tribuatur notio mentis humanae, cujus longe aliae sunt operationes, de quibus in Psychologia dicemus. Quamobrem qui rationem redditurus operationum vitalium in corpore, v. gr. cur corpori noxia secernantur, ad animam provocat ; is rationem nullam reddit, neque enim inde intelligimus, quomodo operationes istae absolvantur, aut cur ipsae potius fiant, quam aliae. Non obscura loquor iis, quibus ex Logicis perspectum est, nos non ante certos esse posse, quod notio sit minime deceptrix, nisi ubi

1

caveat, ] B caveat C.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

143

Philosophie an diesem Fehler, vielmehr betrügen sich auch viele andere bis auf den heutigen Tag mit leeren Ausdrücken. Daraus ist einzusehen, daß die Untersuchung des Nichts nicht unnütz ist, sondern von größter Bedeutung. Durch die Tatsachen selbst werden wir jedoch belehrt, daß es nicht so leicht ist, daß sich jemand vor betrügerischen Begriffen hütet und nicht nichts als etwas erfaßt. Wir bemühen uns in erster Linie darum, die Philosophie zu verbessern, damit es künftig leichter sei, sich vor diesen leeren Ausdrücken zu hüten. Unsere Erste Philosophie trägt hierzu nicht zu verachtende Hilfsmittel bei, wenn sie mit der rationalen Philsophie verbunden wird. § 65 Warum leere Ausdrücke nicht an die Stelle eines Grundes treten können Durch leere Ausdrücke wird nicht der Grund dessen angegeben, was ist. Durch einen Grund sehen wir nämlich ein, warum etwas ist (§ ), mit Hilfe eines leeren Ausdrucks sehen wir aber keineswegs ein, warum etwas ist, wenn dieser eine Ursache vortäuscht (§ ). Durch leere Ausdrücke wird also fälschlich der Grund dessen angegeben, was ist.

91

92

Beispiel : Die vernünftige Seele, welche die vitalen Tätigkeiten im menschlichen Körper lenkt, ist nichts, insofern es die Ursache dessen vortäuscht, was im menschlichen Körper um der Erhaltung des Lebens willen geschieht. Wir haben nämlich keinen Begriff dieser Seele, und so ist der Ausdruck »vernünftige Seele« in dieser Hinsicht leer, da ihm durch einen Trugschluß der Begriff des menschlichen Geistes beigelegt wird, dessen Tätigkeiten bei weitem andere sind, von denen wir in der Psychologie reden werden. Derjenige also, der, um den Grund vitaler Tätigkeiten im Körper anzugeben – warum beispielsweise das dem Körper Schädliche ausgeschieden wird –, sich auf die Seele beruft, gibt keinen Grund an ; denn von daher sehen wir nicht ein, wie sich diese Tätigkeiten vollziehen oder warum

144

pars i · sectio i · caput ii

vel demonstrare, vel a posteriori probare potueris, nihil eam ingredi, quod non sit (§ , ). Quam arduum vero sit nil admittere nisi sufficienter probatum, nec combinare, nisi quae simul in eodem subjecto poni possunt ; ipso facto experiuntur, qui ad solidam rerum cognitionem sibi comparandam omnes ingenii nervos intendunt, atque ex iis patet, quae de forma demonstrationis praecipiuntur (§  & seqq. Log.) & ad assensum ipsius vi extorquendum requiruntur (§ ,  Log.). § 66 Cur nihilum non contineat rationem Nihilum non continet rationem, cur aliquid sit. Etenim nihilo nulla convenit notio, sed ipsum potius ponitur, notione omni remota (§ ). Nemo igitur non largitur, per nihilum intelligi non posse, cur A sit, vel cur A sit B, aut cur B sit in ipso A. Quamobrem in nihilo contineri nequit ratio, cur aliquid sit (§ ), nempe cur A sit, vel A sit B 1 aut potius B sit in A. In exemplis haec adeo manifesta sunt, ut, qui certitudinem cognitionis universalis a certitudine singularis 2 distinguere nescientes evidentiam, quae singulari inest, ad universalem perperam transferunt, probatione nulla opus esse existimaturi sint. Etenim quis sibi persuadet, per nihilum posse reddi rationem, cur lapis sit calidus, cur Sol luceat, cur Newtonus 3 eminentem in Mathesi cognitionem fuerit consecutus, cur Demas ab ipso

1 2 3

B ] B B, C. singularis ] B singularis, C. Newtonus ] scripsi Nevvtonus B C.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

145

diese eher als andere geschehen. Ich rede nicht dunkel für diejenigen, denen aus der Logik einsichtig ist, daß wir nicht gewiß sein können, daß ein Begriff keineswegs betrügerisch ist, wenn man nicht vorher entweder beweisen oder a posteriori erweisen kann, daß nichts in diesen Begriff eingeht, was nicht ist (§  und ). Wie schwer es jedoch ist, nur zureichend Bewiesenes zuzulassen und nur solches zu kombinieren, was zugleich im selben Subjekt gesetzt werden kann, erfahren diejenigen durch die Tatsachen selbst, die alle Kräfte des Geistes anspannen, um sich eine gründliche Erkenntnis der Dinge zu verschaffen. Klar wird dies auch aus dem, was über die Form des Beweises gelehrt wird (§  ff. Logica) und was erforderlich ist, um eine Zustimmung mit Hilfe eines Beweises zu erzwingen (§ ,  Logica). § 66 Warum nichts keinen Grund enthält Nichts enthält nicht den Grund, warum etwas ist. Dem Nichts nämlich kommt kein Begriff zu, sondern es wird vielmehr gesetzt, wenn jeder Begriff weggenommen worden ist (§ ). Jeder gesteht also zu, daß durch nichts nicht eingesehen werden kann, warum A ist, oder warum A B ist, oder warum B in eben diesem A ist. Deswegen kann in nichts nicht der Grund enthalten sein, warum etwas ist (§ ), nämlich warum A ist, oder A B ist, oder vielmehr B in A ist. In Beispielen ist dies so offenkundig, daß diejenigen, die, in Unwissenheit über den Unterschied der Gewißheit der allgemeinen Erkenntnis von der Gewißheit der einzelnen Erkenntnis, die Evidenz, die in der einzelnen Erkenntnis ist, auf die allgemeine Erkenntnis fälschlich übertragen, glauben, daß kein Erweis nötig sei. Denn wer überzeugt sich davon, durch nichts könne der Grund dafür angegeben werden, warum ein Stein warm ist, warum die Sonne leuchtet, warum Newton in der Mathematik eine herausragende Erkenntnis erreicht hat, war-

146

pars i · sectio i · caput ii

Paulo veritatem religionis christianae & veram vivendi rationem edoctus ab eo defecerit & voluptatibus sese dederit? Sane si nihilum contineret rationem sufficientem, cur aliquid sit ; vi definitionis rationis admittendum foret, nihilo aliquam respondere notionem (§ ) : quod cum definitioni nihili repugnet (§ ), contradictorium est (§ ), atque adeo salva mentis nostrae natura admitti nequit (§ , ). Atque hinc denuo patet, cur ex notionibus deceptricibus ratiocinantes rationem eorum, quae sunt, nullam reddant, utut eam reddere sibi videantur, cum notiones deceptrices repraesentent nihil tanquam aliquid. Non vero ideo nihilo tribui potest, quod eidem repugnat, quoniam videtur quod non est. Non contemnenda 1 sunt principia de nihilo, etsi satis obvia videantur. Saepius vel viri magni, quorum praeclara sunt in scientias merita, in errores incidunt, quod ad obvia animum non advertunt. Et sane in hoc ipsum principium non modo injurii sunt, qui ex notionibus deceptricibus rationem reddunt ; verum etiam qui rationem sibi reddidisse videntur, ubi causam allegant ejus, quod est, utut in ea nihil ponant, unde intelligatur, quod causa illius esse potuerit. Ita e. gr. perperam sibi persuadent, se reddidisse rationem, cur hic appetitus in anima sit, ubi eum ab anima seu ipsius vi productum affirmant, nihil in eadem supponentes, unde intelligi possit, quomodo ad eundem pervenerit. Utemur hoc principio inferius, ubi demonstrandum, nihilum non posse esse 2 causam alicujus.

1 2

contemnenda ] C contemnonda B. esse ] B eße C.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

93

94

147

um Demas, der von Paulus selbst über die Wahrheit der christlichen Religion und die wahre Lebensweise belehrt worden war, von ihm abfiel und sich den Vergnügungen hingab? Wenn nichts den zureichenden Grund enthielte, warum etwas ist, wäre in der Tat kraft der Definition des Grundes zuzugestehen, daß dem Nichts ein Begriff entspricht (§ ). Da dies aber der Definition des Nichts widerstreitet (§ ), ist es widersprüchlich (§ ) und kann also ohne Verletzung der Natur unseres Geistes nicht zugestanden werden (§ , ). Von hier aus wird erneut klar, warum diejenigen, die in betrügerischen Begriffen denken, keinen Grund von dem angeben, was ist, obgleich sie glauben, diesen anzugeben, weil die betrügerischen Begriffe nichts als etwas vorstellen. Es kann jedoch dem Nichts nicht aus dem Grunde, weil es zu sein scheint, was es nicht ist, das beigelegt werden, was ihm widerspricht. Die Prinzipien über das Nichts sind nicht zu verachten, auch wenn sie naheliegend genug erscheinen. Ziemlich oft verfallen selbst große Männer, deren Verdienste in den Wissenschaften herausragend sind, in Irrtümer, weil sie Naheliegendes nicht bemerken. Gegen eben dieses Prinzip verstoßen gewiß nicht nur diejenigen, die mit betrügerischen Begriffen einen Grund angeben, sondern auch diejenigen, die einen Grund angegeben zu haben glauben, wenn sie eine Ursache dessen, was ist, anführen, obgleich sie in dieser Ursache nichts setzen, von woher eingesehen wird, daß die Ursache sich auf jenes beziehen konnte. So sind beispielsweise diejenigen fälschlich davon überzeugt, sie hätten einen Grund angegeben, warum dieses Begehren in der Seele ist, wenn sie behaupten, es sei von der Seele oder von einer Kraft der Seele hervorgebracht worden, dabei aber in ihr nichts annehmen, woraus eingesehen werden könnte, wie sie zu diesem Begehren kam. Wir werden dieses Prinzip weiter unten gebrauchen, wo zu beweisen ist, daß nichts nicht Ursache von etwas sein kann.

148

pars i · sectio i · caput ii

§ 67 An aliquid de nihilo praedicari possit De nihilo non potest praedicari aliquid. Si enim de nihilo praedicari potest aliquid, aliquid eidem convenit (§  Log.), consequenter notio aliqua eidem respondet (§  Ontol. & §  Log.). Esset ergo aliquid (§ ) : 1 Quod cum sit absurdum (§ ), de nihilo aliquid praedicari nequit. Vulgo dicitur : Nihili nulla sunt praedicata. Enimvero cum propositio ita enunciata ambigua sit, ut exceptioni obnoxia evadat ; eam ab ambiguitate liberare sicque aliter enunciare maluimus 2. Ipsa propositio satis manifesta est, ut nemo facile absque probatione eam in dubium revocaverit. Quis enim concesserit, A esse nihilum 3 & hoc tamen non obstante eidem convenire, quod nonnisi enti alicui convenire potest ; v. gr. nihilum esse calidum, nihilum agere &c? § 68 An nihilum quid efficere possit Ergo nihilum producere, vel efficere nequit aliquid. Nemo hoc non concedit, cum utique contradictorium sit esse nihilum atque adeo nullam habere notionem (§ ) & hoc tamen non obstante posse aliquid efficere, consequenter habere aliquam notionem sibi respondentem. Etenim qui affirmat, nihilum effecisse aliquid, is sibi repraesentat nihilum tanquam aliquid efficiens. Exempla quoque veritatem propositionis manifesto loquuntur. Nemo enim sanus largietur, nihilum efficere Solem lucidum ; nihilum producere calorem in lapide, quando est calidus ; nihilum protrudere gemmas in arbore &c.

1 2 3

(§ ) : ] B (§ ). C maluimus ] C maluumus B. nihilum ] C mhilum B.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

149

§ 67 Ob etwas von nichts prädiziert werden kann Von nichts kann nicht etwas prädiziert werden. Wenn nämlich von nichts etwas prädiziert werden kann, kommt ihm etwas zu (§  Logica), folglich entspricht ihm ein Begriff (§  Ontologia & §  Logica). Es wäre also etwas (§ ). Da dies absurd ist (§ ), kann von nichts nicht etwas prädiziert werden. 95

Gewöhnlich sagt man : Von nichts gibt es keine Prädikate. Da dieser so formulierte Satz jedoch zweideutig ist, so daß er sich als einer Ausnahme unterworfen herausstellt, wollten wir ihn lieber von dieser Zweideutigkeit befreien und ihn so anders formulieren. Der Satz selbst ist offenkundig genug, so daß ihn niemand leicht ohne Erweis in Zweifel gezogen hat. Wer gäbe nämlich zu, A sei nichts und ihm komme dessen ungeachtet zu, was nur einem Seienden zukommen kann, beispielsweise daß nichts warm ist, daß nichts handelt usw.? § 68 Ob nichts etwas bewirken kann Folglich kann nichts nicht etwas hervorbringen oder bewirken. Jeder gibt zu, daß es auf jeden Fall widersprüchlich ist, nichts zu sein und so keinen Begriff zu haben (§ ), und doch dessenungeachtet etwas bewirken zu können und folglich einen ihm entsprechenden Begriff zu haben. Denn wer behauptet, nichts bewirke etwas, der stellt sich nichts vor als etwas bewirkend. Auch Beispiele belegen offenkundig die Wahrheit dieses Satzes. Niemand nämlich, der recht bei Verstande ist, wird zugeben, nichts bewirke, daß die Sonne leuchtet ; nichts bringe die Wärme im Stein hervor, wenn er warm ist ; nichts treibe die Knospen im Baum hervor usw.

150

pars i · sectio i · caput ii

§ 69 Posito nihilo non poni 1 aliquid Si nihil esse sumitur, non propterea admittendum est esse aliquid. Pone enim ideo esse aliquid, quia est nihil : aut admittendum erit nihilum fieri, aut efficere aliquid. Sed utrumque est absurdum (§ , ). Ergo ideo non est aliquid, quia nihil est. Brevius ita enunciatur propositio praesens, utut minus perspicue, siquidem notionibus logicis non fueris imbutus : Posito nihilo, non ponitur aliquid. Unde nemo concedit ideo lapidem esse calidum, quia nihil prorsus adfuit, unde calor oriri potuit ; ideo Petrum esse eruditum, quia nullus ponendus est modus, quo ad eruditionem pervenire potuit. § 70 Principium rationis sufficientis probatur Nihil est sine ratione sufficiente, cur potius sit, quam non sit, hoc est, si aliquid esse ponitur, ponendum etiam est aliquid, unde intelligitur, cur idem potius sit, quam non sit. Aut enim nihil est sine ratione sufficiente, cur potius sit, quam non sit ; aut aliquid esse potest absque ratione sufficiente, cur sit potius, quam non sit (§ ). Ponamus esse A sine ratione sufficiente, cur potius sit, quam non sit. Ergo nihil ponendum est, unde intelligitur, cur A sit (§ ). Admittitur adeo A esse, propterea quod nihil esse sumitur : quod cum sit absurdum (§ ), absque ratione sufficiente nihil est, seu, si quid esse ponitur, admittendum etiam est aliquid, unde intelligitur, cur sit.

1

poni ] B ponitur C.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

151

§ 69 Wenn nichts gesetzt worden ist, wird nicht etwas gesetzt Wenn angenommen wird, daß nichts ist, so ist deswegen nicht zuzugestehen, daß etwas ist. Man setze nämlich, daß deshalb etwas ist, weil nichts ist. Dann wird zuzugestehen sein, daß entweder nichts zu etwas wird oder daß nichts etwas bewirkt. Beides jedoch ist absurd (§ , ). Also ist nicht deswegen etwas, weil nichts ist. Kürzer, wenn auch weniger durchsichtig, wenn man nicht mit den logischen Begriffen vertraut ist, wird der gegenwärtige Satz folgendermaßen formuliert : Wenn nichts gesetzt worden ist, wird nicht etwas gesetzt. Daher räumt niemand ein, daß der Stein deshalb warm ist, weil überhaupt nichts da war, von woher die Wärme entstehen konnte ; daß Petrus deshalb gelehrt ist, weil keine Weise zu setzen ist, gemäß der er zu Gelehrtheit kommen konnte. § 70 Das Prinzip des zureichenden Grundes wird erwiesen Nichts ist ohne zureichenden Grund, warum es eher ist als nicht ist, das heißt : Wenn gesetzt wird, daß etwas ist, ist auch etwas zu setzen, von woher eingesehen wird, daß dasselbe eher ist als nicht ist. Entweder nämlich ist nichts ohne zureichenden Grund, warum es eher ist als nicht ist, oder etwas kann sein ohne zureichenden Grund, warum es eher ist als nicht ist (§ ). Setzen wir, daß A ohne zureichenden Grund ist, warum es eher ist als nicht ist. Also ist nichts zu setzen, von woher eingesehen wird, warum A ist (§ ). Es wird also zugestanden, daß A ist, weil angenommen wird, daß nichts ist. Da dies absurd ist (§ ), ist nichts ohne zureichenden Grund, oder : Wenn gesetzt wird, daß etwas ist, ist auch etwas zuzugestehen, von woher eingesehen wird, warum es ist.

152

pars i · sectio i · caput ii

E. gr. Ponamus lapidem, qui erat frigidus, factum fuisse calidum : aut igitur datur aliqua ratio, per quam intelligi potest,1 cur lapis nunc potius sit calidus, quam frigidus, aut nulla datur. Si nulla datur istiusmodi ratio, nihil ponitur in lapide, nec extra eundem, ad quem 2 ortus caloris referri potest. Utique igitur admittitur, lapidem, qui erat frigidus, factum fuisse calidum, cum nihil esset nec in lapide, nec extra lapidem, a quo calor proficisci potuit. Quoniam tamen calor coepit, qui ante non erat, cum etiam nihil in lapide, aut extra lapidem esset, unde oriri potuisset 3 ; ut appareat, cur nunc calor fuerit subortus, qui antea non oriebatur, admittendum erit, aut nihilum in lapide abiisse in calorem, aut nihilum extra lapidem eundem produxisse, hoc est, affirmari debet lapidem esse calidum, propterea quod vel nihil fuit in lapide, vel extra lapidem, a quo proficisci potuit. Quis vero non ultro largietur, haec esse absurda, atque ideo affirmabit, dari aliquid vel in lapide, vel extra lapidem, unde calor iste ortum suum duxit? Applicavimus integram probationem ad casum singularem, ut manifestior evadat iis, qui ad abstracta attentionem sufficientem afferre nequeunt. Substitue pro calore lapidi inexistente A, & probatio specialis abit in generalem : tum vero perinde est, sive A denotet modum subjecto inexistentem, sive attributum aliquod, sive substantiam quamcunque. Quod enim in casu substantiae existentis eadem probatio subsistat ; applicatione ad exemplum facta liquet. Sume enim arborem quamcunque quocunque in loco. Aut dabitur ratio, cur ibidem arbor ista potius sit, quam non sit, aut ratio nulla sufficiens erit. Si ratio nulla sufficiens detur, cur arbor ista

1 2 3

potest,] B potest C. quem ] B quod C. potuisset ] C Ecole potisset B.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

153

Beispiel : Wir wollen setzen, daß ein Stein, der kalt war, warm geworden ist. Entweder gibt es also einen Grund, durch den eingesehen werden kann, warum der Stein jetzt eher warm als kalt ist, oder es gibt keinen. Wenn es keinen derartigen Grund gibt, wird nichts im Stein noch außerhalb desselben gesetzt, worauf die Entstehung der Hitze bezogen werden kann. Auf jeden Fall wird also zugestanden, daß der Stein, der kalt war, warm geworden ist, während nichts im Stein noch außerhalb des Steines war, von dem her die Wärme entspringen konnte. Da jedoch die Wärme begann, die vorher noch nicht war, während ja nichts im Stein oder außerhalb des Steines war, von woher sie entstehen konnte, so wird zuzugestehen sein, damit klar wird, warum die Wärme, die vorher nicht entstand, jetzt entstanden ist, daß entweder nichts im Stein sich in Wärme verwandelt hat oder nichts außerhalb des Steines dieselbe hervorgebracht hat. Das heißt aber, es muß behauptet werden, der Stein sei deshalb warm, weil nichts entweder im Stein oder außerhalb des Steines war, von dem her die Hitze entspringen konnte. Wer wird jedoch nicht gerne zugeben, daß dies absurd ist, und wer wird deshalb nicht behaupten, daß es etwas entweder im Stein oder außerhalb des Steines gibt, von woher diese Wärme ihre Entstehung herleitet? Wir haben den gesamten Erweis auf einen einzelnen Fall angewendet, damit er für diejenigen offenkundiger wird, die keine zureichende Aufmerksamkeit auf Abstraktes richten können. Man ersetze die im Stein existierende Wärme durch A, dann verwandelt sich der besondere Erweis in einen allgemeinen. Dann ist es aber gleichgültig, ob A einen im Subjekt existierenden Modus oder ein Attribut oder eine Substanz bezeichnet. Daß nämlich im Fall der existierenden Substanz derselbe Erweis bestehen bleibt, ist einleuchtend durch die Anwendung auf ein Beispiel. Denn man nehme irgendeinen Baum an irgendeinem Ort an. Entweder wird es einen Grund geben, warum dieser Baum ebendort eher ist als nicht ist, oder es wird keinen zureichenden Grund geben. Wenn es keinen zureichenden Grund gibt, warum dieser Baum

154

pars i · sectio i · caput ii

isto in loco sit ; non erit, unde intelligi possit, cur arbor ista in eo loco haereat, adeoque nec eo in loco, nec alibi ponere quidpiam datur, ad quod ortum arboris referre licet. Quamobrem denuo aut ponendum erit, nihilum in arborem fuisse conversum, aut nihilum ibi locorum arborem produxisse vel alibi natam illo in loco plantasse. Utrumque esse absurdum, nemo non largietur, atque adeo quilibet admittet, arborem ibi locorum non existere absque ratione sufficiente, unde intelligi possit, cur ibi potius sit, quam non sit. Facile apparet, hic denuo pro arbore substitui posse A, ut probatio specialis, in generalem degeneret. Enimvero etsi exempla sumantur a rebus corporeis perspicuitatis gratia ; absit tamen ut quis sibi persuadeat, principium rationis sufficientis non nisi in rebus corporeis locum habere. Etenim in exemplo primo calorem lapidis non spectamus tanquam praedicatum 1 rei corporeae ; sed generaliter tanquam modum subjecto nunc inexistentem, cum antea non inesset : alias enim notio rei corporeae in genere ingrederetur probationem, nec probatio specialis in generalem degeneraret, nisi re corporea modificata in locum lapidis calidi surrogata. Similiter in exemplo posteriore arbor minime spectatur tanquam substantia corporea, sed tanquam ens quodcunque, quod nunc existit, cum antea non esset : alias enim notio substantiae corporeae ingrederetur probationem, nec probatio specialis in generalem degeneraret, nisi substantia corporea in locum arboris substituta. Qui in Mathesi non prorsus hospites sunt, iis non ignota loquor, etsi principia logica iisdem non adeo familiaria fuerint, ut eor-

1

praedicatum ] C praedica um B.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

155

an diesem Ort ist, wird es nichts geben, von woher eingesehen werden kann, warum dieser Baum an diesem Ort steht, und so kann man weder an diesem Ort noch anderswo etwas setzen, worauf man die Entstehung des Baums beziehen kann. Deswegen wird erneut entweder zu setzen sein, daß nichts sich in einen Baum verwandelt hat, oder daß nichts an diesem Ort einen Baum hervorgebracht hat oder daß nichts einen anderswo entstandenen Baum an diesen Ort gepflanzt hat. Jeder wird zugeben, daß beides absurd ist, und so wird jeder zugestehen, daß der Baum dort nicht ohne zureichenden Grund existiert, von woher eingesehen werden kann, warum er dort eher ist als nicht ist. Leicht wird klar, daß hier erneut der Baum durch A ersetzt werden kann, so daß der besondere Erweis sich in einen allgemeinen verwandelt. Auch wenn nun die Beispiele um der Durchsichtigkeit willen aus dem Bereich der körperlichen Sachen genommen werden, so sei es doch fern, daß jemand zu der Überzeugung kommt, das Prinzip des zureichenden Grundes habe nur bei körperlichen Sachen seinen Ort. Denn im ersten Beispiel betrachten wir die Wärme des Steins nicht als Prädikat einer körperlichen Sache, sondern im allgemeinen als einen jetzt im Subjekt existierenden Modus, während er vorher nicht in ihm existierte. Andernfalls nämlich ginge der Begriff der körperlichen Sache im allgemeinen in den Erweis ein, und der besondere Erweis würde sich nur dann in einen allgemeinen verwandeln, wenn eine modifizierte körperliche Sache an die Stelle des warmen Steins tritt. In ähnlicher Weise wird im zweiten Beispiel der Baum keineswegs als eine körperliche Substanz betrachtet, sondern als ein beliebiges Seiendes, das jetzt existiert, während es vorher nicht war. Andernfalls nämlich ginge der Begriff der körperlichen Substanz in den Erweis ein, und der besondere Erweis würde sich nur dann in einen allgemeinen verwandeln, wenn der Baum durch eine körperliche Substanz ersetzt wird. Für diejenigen, die in der Mathematik nicht gänzlich unerfahren sind, rede ich nicht über Unbekanntes, auch wenn ihnen die logischen Prinzipien nicht so vertraut

156

pars i · sectio i · caput ii

undem rationes assequantur. Neque enim insolens est, praesertim in Mathesi mixta, ut demonstratio exhibeatur ad exemplum aliquod applicata, quae tamen universalis intelligitur, propterea quod alium quemcunque casum particularem similem assumto 1 substituere licet. V. gr. Quando in Hydrostatica demonstrandum est theorema, quod corpus specifice gravius fluido amittat eam ponderis partem, quae est aequalis ponderi fluidi sub eodem volumine, sumimus plumbum unius pedis cubici in aqua suspensum & ad id demonstrationem applicamus. Quoniam enim patet in demonstratione plumbum non considerari nisi ut corpus specifice gravius fluido & aquam nonnisi ut fluidum solido specifice levius ; ideo demonstratio adhuc subsistere intelligitur, quodcunque aliud solidum specifice gravius fluido substituas plumbo & quodcunque fluidum specifice levius solido in locum aquae surroges. Similiter cum in demonstratione determinatae magnitudinis solidi ratio nulla habeatur ; non minus liquet, firmo adhuc stare eandem talo, quaecunque solidi magnitudo supponatur. Atque ideo demonstratio accipitur de quocunque solido specifice graviori in fluido specifice leviori suspenso. Immo2 omnes demonstrationes geometricae applicantur ad figuras oculo subjectas, adeoque ad exempla singularia ; sed universales intelliguntur, propterea quod in iis non assumitur, nisi quod in hypothesi data omnibus exemplis ad eam referendis communi continetur, ut adeo Joannis Scheubelii, Professoris quondam in Academia Tubingensi, studium in emendandis demonstrationibus Elementorum Euclideorum superfluum fuerit, dum a figuris litteras 3 rejecit, ut conceptus singulares ex demonstratione arceret, quibus eas obscuras & minus

1 2 3

assumto ] B assumpto C. Immo ] B Imo C. litteras ] B literas C.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

96

97

98

157

sind, daß sie deren Gründe begreifen. Es ist nämlich besonders in der angewandten Mathematik nicht ungewöhnlich, daß ein auf ein Beispiel angewendeter Beweis geboten wird, der dennoch als allgemeiner verstanden wird, weil es möglich ist, den angenommenen Fall durch einen beliebigen anderen besonderen Fall, der ihm ähnlich ist, zu ersetzen. Beispiel : Wenn in der Hydrostatik das Theorem zu beweisen ist, daß ein Körper, der spezifisch schwerer als eine Flüssigkeit ist, den Teil seines Gewichts verliert, der dem Gewicht desselben Flüssigkeitsvolumens gleich ist, nehmen wir ein Blei von einem Kubikfuß an, das in Wasser getaucht wurde, und wenden auf es den Beweis an. Weil es nämlich klar ist, daß das Blei im Beweis nur als ein Körper betrachtet wird, der spezifisch schwerer als die Flüssigkeit ist, das Wasser aber nur als eine Flüssigkeit, die spezifisch leichter als der Körper ist, so wird eingesehen, daß der Beweis noch bestehen bleibt, gleichgültig, durch welchen anderen Körper, der spezifisch schwerer als die Flüssigkeit ist, man das Blei ersetzt, und gleichgültig, welche Flüssigkeit, die spezifisch leichter als der Körper ist, an die Stelle des Wasser tritt. Da in ähnlicher Weise im Beweis die bestimmte Größe des Körpers nicht berücksichtigt wird, ist es ebenso einleuchtend, daß dieser Beweis noch fest steht, welche Größe des Körpers auch immer angenommen wird. Deshalb wird der Beweis als gültig angenommen in bezug auf jeden beliebigen Körper, der spezifisch schwerer ist und in eine spezifisch leichtere Flüssigkeit eingetaucht worden ist. Sogar alle geometrischen Beweise werden auf vor Augen gestellte Figuren und so auf einzelne Beispiele angewendet, jedoch als allgemeine verstanden, weil in ihnen nur das angenommen wird, was in einer gegebenen Hypothese, die allgemein für alle auf sie zu beziehenden Beispiele gilt, enthalten ist. Deshalb war das Bemühen Johann Scheubels (vormals Professor an der Universität Tübingen) überflüssig, die Beweise in den Elementen des Euklid zu verbessern ; er wies nämlich bei den Figuren die Buchstaben zurück, um einzelne Begriffe aus dem Beweis herauszuhalten, durch die, wie er

158

pars i · sectio i · caput ii

expeditas fieri existimavit. Nos contrario instituto in ipsa Arithmetica demonstrationes ad exempla applicamus, dum novo quodam analyseos genere exempla singularia ea forma exhibemus, ut universalia, quae iisdem insunt, oculis spectanda subjiciant. Videantur quae de genesi numerorum quadratorum (§ ,  Arithm.), de genesi numerorum cubicorum (§ ,  Arithm. 1 de quantitatibus aequidifferentibus 2 (§ ,  Arithm.), dedimus in nova Elementorum editione. § 71 Principii rationis sufficientis definitio et historia Propositio, quod nil sit sine ratione sufficiente, cur potius sit, quam non sit, dicitur Principium rationis sufficientis. Illo usus est olim Archimedes in stabiliendis principiis Staticis. Idem agnovit tanquam universaliter verum & ad ipsas veritates morales extendit Confucius, quemadmodum in Notis ad Orationem de Sinarum philosophia practica not. , p. , annotavi. Immo 3 etiam alii subinde ex hoc principio ratiocinati sunt. Primus tamen Leibnitius aperte de eodem locutus eodemque tanquam principio in rectificandis notionibus & demonstrandis propositionibus usus est in egregio Theodiceae 4 opere, & nos ideo in numerum principiorum ontologicorum retulimus, quod eodem non minus, quam principio contradictionis ad stabilienda firma ac inconcussa omnis cognitionis fundamenta sumus usuri. Scholastici dudum usi sunt axiomate, nihil esse sine causa : sed haec propositio cum principio rationis sufficientis minime confundenda, cum ratio & causa plurimum differant, quemadmo-

1 2 3 4

Arithm. ] B Arithm.) C. aequidifferentibus ] C aequid fferentibus B. Immo ] B Imo C. Theodiceae ] B Theodicaeae C.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

99

100

159

glaubte, die Beweise dunkel und unbequemer würden. Wir wenden mit der entgegengesetzten Absicht in der Arithmetik selbst die Beweise auf Beispiele an, indem wir vermittels einer gewissen neuen Art von Analyse einzelne Beispiele in der Form darbieten, daß sie das Allgemeine, was in ihnen enthalten ist, den Augen zur Anschauung vorstellen. Man sehe nach, was wir über die Entstehung der Quadratzahlen (§ ,  Arithmetica), die Entstehung der Kubikzahlen (§ ,  Arithmetica) und die gleichdifferenten Größen (§ , ) in der neuen Ausgabe der Elemente vorgebracht haben. § 71 Definition und Geschichte des Prinzips des zureichenden Grundes

101

102

103

Der Satz, daß nichts ohne zureichenden Grund ist, warum es eher ist als nicht ist, wird Prinzip des zureichenden Grundes genannt. Archimedes gebrauchte es einst zur Befestigung der Prinzipien des Statik. Konfuzius erkannte dasselbe Prinzip an als wahr im allgemeinen und dehnte es sogar bis zu den moralischen Wahrheiten aus, wie ich in den Noten zur Rede über die praktische Philosophie der Chinesen, Anm. , S. , angemerkt habe. Auch andere haben oft diesem Prinzip gemäß nachgedacht. Als erster jedoch hat Leibniz ausdrücklich von ihm gesprochen und es in seinem herausragenden Werk der Theodizee als Prinzip zur Berichtigung von Begriffen und zum Beweis von Sätzen gebraucht. Wir haben dieses Prinzip deshalb zu den ontologischen Prinzipien gerechnet, weil wir dasselbe nicht weniger als das Widerspruchsprinzip dazu gebrauchen werden, um die Grundlagen aller Erkenntnis sicher und unerschütterlich zu befestigen. Die Scholastiker haben das Axiom, daß nichts ohne Ursache ist, schon lange im Gebrauch. Doch dieser Satz ist mit dem Prinzip des zureichenden Grundes keineswegs zu vermischen, da Grund und Ursache sich beträchtlich voneinander unterschei-

160

pars i · sectio i · caput ii

dum deinceps docebimus. Inde est, quod iidem in Physicis non admiserint 1 effectum sine causa, admiserint tamen sine ratione sufficiente. Ita e. gr. agnoscebant, attractionis magneticae causam esse debere, dum ad vim attractricem magneti inexistentem provocabant ; sed quia non necessarium esse existimabant, ut per vim istam attractricem intelligibili modo attractionem magneticam explicarent, eandem profecto absque ratione sufficiente subsistere posse sibi persuaserunt (§ ). Quamobrem cum Cartesius qualitates occultates, 2 intelligibili modo non explicabiles, ex philosophia eliminari jusserit ; rationis notionem claram quin habuerit, dubitandum non est (§  Log.). Ideam etiam claret ex axiomate primo, quod Dei existentiam & animae a corpore distinctionem more geometrico demonstraturus in controversiis Meditationibus de prima philosophia subjunctis p. m.  praemittit. Dum enim : Nulla res, inquit, existit, de qua non possit quaeri, quaenam sit causa, cur existat. Hoc enim de ipso Deo quaeri potest, non quod indigeat ulla causa ut existat, sed quia ipsa ejus naturae immensitas est causa sive ratio, propter quam nulla causa indiget ad existendum ; discrimen inter causam & rationem confuse agnovit (§  Log.). Facile autem apparet, dum axioma suum ad Deum extendit & in eo quodpiam attributum allegat, unde intelligatur, cur ad existendum nulla causa extrinseca opus habeat, ejus hunc esse sensum : Nulla res (sive substantia sit, sive accidens, seu attributum & modus ejus) existit (actu est), de qua non possit quaeri, quaenam sit ratio (sufficiens), cur existat. Ita vero axioma Cartesii cum principio rationis sufficientis coincidit. Et licet Cartesius, differentiam, quae inter causam & rationem intercedit, distincte non agnoverit, atque adeo axiomati suo in applicatione eam amplitudinem non tribuerit, quam confuse animadvertit ; ei-

1 2

admiserint ] C adm serint B. occultates, ] B occultas, C.

erster teil · erster abschnitt · kapitel  104

105

106

107

161

den, wie wir im folgenden zeigen werden. Daher kommt es, daß die Scholastiker in der Physik keine Wirkung ohne Ursache zugelassen haben, sie jedoch ohne zureichenden Grund zugelassen haben. So erkannten sie beispielsweise an, daß es eine Ursache der magnetischen Anziehung geben müsse, indem sie sich auf die im Magnet existierende Anziehungskraft beriefen. Da sie jedoch nicht der Auffassung waren, es sei notwendig, daß sie durch diese Anziehungskraft auf einsehbare Weise die magnetische Anziehung erklärten, so waren sie der Überzeugung, daß diese Anziehung sicherlich ohne zureichenden Grund bestehen kann (§ ). Da nun Descartes gebot, die verborgenen, nicht auf einsehbare Weise erklärbaren Qualitäten aus der Philosophie zu entfernen, ist nicht zu bezweifeln, daß er einen klaren Begriff des Grundes hatte (§  Logica). Dasselbe wird auch klar aus dem ersten Axiom, das er, um die Existenz Gottes und die Unterschiedenheit der Seele vom Körper in geometrischer Methode zu beweisen, in den Kontroversen, die den Meditationen über die Erste Philosophie beigefügt sind, S.  (meine Seitenzählung) voranschickt. Indem er nämlich sagte : Es existiert keine Sache, von der nicht gefragt werden könnte, welches die Ursache ist, warum sie existiert. Das kann nämlich selbst von Gott gefragt werden, nicht weil er irgendeiner Ursache bedürfte, damit er existiert, sondern weil die Unermeßlichkeit selbst seiner Natur die Ursache oder der Grund ist, weswegen er keiner Ursache bedarf, um zu existieren, erkannte er undeutlich einen Unterschied zwischen Ursache und Grund an (§  Logica). Leicht aber ist klar : Indem Descartes sein Axiom auf Gott ausdehnt und in ihm irgendein Attribut geltend macht, von woher eingesehen wird, warum er für seine Existenz keine äußere Ursache nötig hat, ist der Sinn des Axioms folgender : Keine Sache (sei es eine Substanz, ein Akzidens, ein Attribut oder ein Modus einer Substanz) existiert (ist in Wirklichkeit), von der nicht gefragt werden könnte, welches der (zureichende) Grund ist, warum sie existiert. So aber fällt das Axiom des Descartes mit dem Prinzip des zureichenden Grundes zusammen. Und

162

pars i · sectio i · caput ii

dem tamen convenienter qualitates occultas ex philosophia arcens facem praetulit Leibnitio, ut illam clare pervideret. Utut autem Leibnitius differentiam inter causam & rationem nullibi exposuerit, usus tamen, quem hujus principii fecit, mihi facem praetulit, ut ejusdem notionem distinctam consequerer, cui conformis est definitio rationis sufficientis paulo ante data (§ ). § 72 An istud principium experientiae contrarium sit Principium rationis sufficientis experientiae contrarium minime deprehenditur. Quodcunque enim eorum sumis, quae esse observantur, ubi inquisiveris, eorundem rationem aut deprehendes, aut saltem demonstrare haud quaquam poteris nullam adesse ; verum fateri cogeris te eam reperire non posse. Quamdiu 1 autem exemplum nullum afferre vales, ubi rationem nullam adesse demonstrare potes ; tamdiu quoque affirmare nequis, principium rationis sufficientis experientiae repugnare : quae satis manifesta ulteriore probatione minime indigent. Postquam principium rationis sufficientis in controversiam adductum, nemo eorum, qui idem impugnarunt, vel unicum afferre exemplum potuit, ubi rationis sufficientis defectum demonstrare licuerit. Qui enim ad voluntatem provocaverunt affirmantes, nos aliquando velle absque ulla ratione, ab exemplis singularibus callide abstinuerunt, ne quis alius rationes com-

1

Quamdiu ] B quamdiu C.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

163

wenngleich Descartes den Unterschied, der zwischen Ursache und Grund besteht, nicht deutlich erkannte, und so seinem Axiom in der Anwendung nicht jene Weite gab, die er undeutlich bemerkte, so hielt er doch, jenem Prinzip entsprechend, die verborgenen Qualitäten aus der Philosophie heraus und trug so Leibniz die Fackel voran, so daß dieser jenen Unterschied klar durchschaute. Obwohl aber Leibniz den Unterschied zwischen Ursache und Grund nirgendwo erörtert hat, so hat doch der Gebrauch, den er von diesem Prinzip gemacht hat, mir die Fackel vorangetragen, so daß ich einen deutlichen Begriff eben dieses Prinzips erreichte, dem die kurz zuvor gegebene Definition des zureichenden Grundes entspricht (§ ). § 72 Ob dieses Prinzip der Erfahrung entgegengesetzt ist Es läßt sich keineswegs feststellen, daß das Prinzip des zureichenden Grundes der Erfahrung entgegengesetzt ist. Was auch immer man nämlich von dem annimmt, von dem man beobachtet, daß es ist, sobald man Untersuchungen anstellt, wird man entweder dessen Grund feststellen oder wenigstens in keiner Weise beweisen können, daß es keinen gibt, sondern gezwungen werden einzugestehen, daß man ihn nicht finden kann. Solange man aber kein Beispiel beibringen kann, bei dem man beweisen kann, daß es keinen Grund gibt, solange wird man auch nicht behaupten können, das Prinzip des zureichenden Grundes widerstreite der Erfahrung. Da dies offenkundig genug ist, bedarf es keineswegs eines weiteren Erweises.

108

109

Nachdem das Prinzip des zureichenden Grundes zum Gegenstand einer Kontroverse geworden war, hat niemand von denen, die dasselbe angriffen, auch nur ein einziges Beispiel beibringen können, bei dem er das Fehlen eines zureichenden Grundes beweisen konnte. Diejenigen nämlich, die sich auf den Willen beriefen und dabei behaupteten, wir wollten bisweilen ohne irgendeinen Grund, verzichteten klugerweise auf Einzel-

164

pars i · sectio i · caput ii

monstraret, quas ipsimet pervidere non poterant. Ostendam vero in Psychologia, deficientibus rationibus intrinsecis locum esse extrinsecis & appetitum perinde ac assensum (§  Log.) successive gigni, ut ad rationem sufficientem advertendam non sufficiat attentio, quae ad studia vulgaria afferri solet, sed major subinde requiratur, quam quae ad longas atque perplexas demonstrationes geometricas percipiendas necessaria. Mihi veritatis amore flagranti nunquam incidere licuit in exempla, utut studiose conquisita, vel ab aliis tanquam principio rationis sufficientis contraria proposita, ubi rationem sufficientem detegere extemplo minime potuissem. § 73 Quomodo ab exemplis abstrahatur Principium rationis sufficientis ab exemplis seu singularibus tanquam universale abstrahi potest. Sumamus casum Archimedis postulantis, ut sibi concedatur aequalia gravia ab aequalibus longitudinibus aequiponderare, sed singularem ope schematis oculis subjiciendum. Sit itaque libra ACB lancibus appensis in aequilibrio constituta. Deponantur in utraque lance D & E pondera aequalia : aequilibrium non tolli experientia loquitur. Quodsi quaesiveris, unde sit, quod lanx alterutra non praeponderet ; ipsa experientia

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

110

165

beispiele, damit kein anderer die Gründe genau aufweise, die sie selbst nicht durchschauen konnten. Ich werde jedoch in der Psychologie zeigen, daß auch beim Fehlen von inneren Gründen für äußere Gründe Raum ist und daß das Begehren ebenso wie die Zustimmung (§  Logica) sukzessive entstehen. Infolgedessen reicht die Aufmerksamkeit, die auf gewöhnliche Studien verwendet zu werden pflegt, nicht zu, um einen zureichenden Grund zu bemerken, es wird vielmehr oft eine Aufmerksamkeit erfordert, die größer ist als diejenige, welche notwendig ist, um umfangreiche und verwickelte geometrische Beweise zu durchschauen. In meiner leidenschaftlichen Liebe zur Wahrheit war es mir niemals möglich, auf Beispiele zu stoßen – obwohl ich sie eifrig gesucht habe oder sie von anderen als dem Prinzip des zureichenden Grundes entgegengesetzt vorgeschlagen wurden –, bei denen ich nicht sogleich einen zureichenden Grund hätte entdecken können. § 73 Wie es von Beispielen abstrahiert wird

111

112

Das Prinzip des zureichenden Grundes kann von Beispielen oder Einzelfällen als allgemeines abstrahiert werden. Nehmen wir den Fall des Archimedes, der forderte, daß man ihm einräume, daß gleich schwere Körper in Abständen gleicher Länge sich in Gleichgewicht befinden, jedoch diesen Fall als einzelnen, der mit Hilfe eines Schemas vor Augen zu stellen ist. Es sei also die Waage ACB mit angehängten Waagschalen im Gleichgewicht aufgestellt. In jeder Waagschale sollen die gleichen Gewichte D und E abgelegt werden : Daß das Gleichgewicht nicht aufgehoben wird, bezeugt die Erfahrung. Wenn man aber fragt, woher es kommt, daß keine der beiden Waagschalen das Übergewicht

166

pars i · sectio i · caput ii

liquet, praepondium deberi vel distantiae majori a centro motus C, vel majori ponderi, vel utrique. Jam hic distantiam ponderis utriusque AC & AB eandem & pondera ipsa aequalia deprehendis, atque adeo certus es, nullam aequilibrii tollendi rationem adesse. Inde igitur concludis, aequilibrium in nullo casu simili, ubi nempe pondera & distantiae aequalia sunt, tolli posse, atque adeo cum Archimede infers : pondera aequalia ab aequalibus distantiis aequiponderare. Apparet autem nos in colligenda impossibilitate aequilibrii tollendi 1 non attendere ad notionem aequilibrii, nec ad notionem eorum, per quae determinatur ; sed aequilibrium tantummodo considerare per modum rei, quae actu est, & sublationem aequilibrii per modum rei, quae non est, atque ea, per quae aequilibrium determinatur, non nisi tanquam eadem respicimus. Unde porro patet, nos impossibilitatem aequilibrii tollendi exinde colligere, quod nihil adsit, unde intelligatur, cur lanx potius D, quam altera E descendere debeat, consequenter ex defectu rationis sufficientis (§ ). Absonum adeo cui videtur, quod lanx D descendere debeat, ubi nulla adest ratio, cur ipsa potius descendat quam altera E ; eidem quoque absonum videri debet in genere, ut admittat, esse aliquid sine ratione sufficiente, cur potius sit, quam non sit. Principium adeo rationis sufficientis tanquam universale ab exemplis, seu singularibus abstrahi potest. Sume, si libuerit, quodcunque exemplum aliud, ubi aliquid est, nec absimili argumentandi genere principium rationis suffi-

1

aequilibrii tollendi ] coni. aequilibrii B C.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

167

hat, so ist durch die Erfahrung selbst einleuchtend, daß das Übergewicht herrührt entweder vom größeren Abstand vom Zentrum C der Bewegung oder vom größeren Gewicht oder von beidem. Nun stellt man hier aber fest, daß die Abstände AC und CB der beiden Gewichte dieselben sind und daß die Gewichte selbst gleich sind, und so ist man gewiß, daß es keinen Grund für die Aufhebung des Gleichgewichts gibt. Man schließt also von daher, daß das Gleichgewicht in keinem ähnlichen Fall, wenn nämlich die Gewichte und Abstände gleich sind, aufgehoben werden kann. Und so folgert man mit Archimedes : Gleiche Gewichte in gleichen Abständen befinden sich im Gleichgewicht. Es ist aber klar, daß wir im Erschließen der Unmöglichkeit, das Gleichgewicht aufzuheben, nicht auf den Begriff des Gleichgewichts aufmerksam sind und auch nicht auf den Begriff dessen, wodurch das Gleichgewicht bestimmt wird. Wir betrachten vielmehr das Gleichgewicht nur als einen Modus einer Sache, die in Wirklichkeit ist, und die Aufhebung des Gleichgewichts als einen Modus einer Sache, die nicht ist, und das, wodurch das Gleichgewicht bestimmt wird, berücksichtigen wir nur als dasselbe. Daher ist weiterhin klar, daß wir die Unmöglichkeit, das Gleichgewicht aufzuheben, daraus schließen, daß es nichts gibt, von woher eingesehen wird, warum die Waagschale D eher als die andere Waagschale E sinken müsse, folglich aus dem Fehlen eines zureichenden Grundes (§ ). Wem es also ungereimt erscheint, daß die Waagschale D sinken müsse, wenn es keinen Grund gibt, warum eben sie eher sinkt als die andere Waagschale E, dem muß es auch im allgemeinen ungereimt erscheinen, zuzugestehen, daß etwas ohne zureichenden Grund ist, warum es eher ist als nicht ist. Das Prinzip des zureichenden Grundes kann so als allgemeines von Beispielen oder Einzelfällen abstrahiert werden. Wenn es beliebt, nehme man irgendein anderes Beispiel, wo etwas ist, und man wird in einer nicht unähnlichen Argumentationsweise das Prinzip des zureichenden Grundes daraus ab-

168

pars i · sectio i · caput ii

cientis inde abstrahes. E. gr. Si quaesiveris ex Titio, qui multus & assiduus est in scribendis epistolis ad alios, cur non etiam aliquam det ad Imperatorem Turcarum, quaerentem ridebit & importune instanti respondebit, absque responsione patere, quod non habeat, quod ad illum scribat. Ridet igitur, quod facere debeat, quod nulla prorsus ratio suadet. Sed quae voluntatem concernunt, de iis dicemus in Psychologicis. § 74 Principium rationis sufficientis menti nostrae naturale Eam experimur mentis nostrae naturam, ut in casu singulari non facile quis admiserit aliquid esse sine ratione sufficiente. Quis enim ignorat, nos ad quaerendum in omni casu esse pronos, cur hoc sit, cum idem in pueris a teneris unguiculis experiamur, quam primum sese aliquis rationis usus exerit. 1 Immo vulgus pueros reprehensurum, quando mali quidpiam patrarunt, eos interrogat, quare hoc fecerint, nec hic responsionem quamlibet admittit, non acquiescens nisi in ea, unde intelligit, in dato casu voluntatem ita determinari potuisse. Unde naturae mentis nostrae veluti repugnat admittere, quod aliquid sine ratione sufficiente esse possit. Ista repugnantia magis adhuc sese exerit in iis, qui in scientiis versati rationibus eorum, quae sunt, pervidendis adsueti sunt, conservato recta discendi methodo naturali mentis impetu, quo in rationem sufficientem fertur. Non obstat, quod per plurima secula non modo in psychologicis, verum etiam in physicis vel philosophi multa admiserint sine ratione, nedum sine ratione sufficiente, & hodienum non desint viri eruditi, qui quaedam sine ratione sufficiente esse

1

exerit. ] B exerit? C.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

113

169

strahieren. Beispiel : Wenn man Titius, der emsig und fleißig Briefe an andere schreibt, befragte, warum er nicht auch einen an den Herrscher der Türken verfasse, wird er den Fragenden auslachen und ungehalten sogleich antworten, es sei ohne Antwort klar, daß er nichts habe, was er an ihn schreiben solle. Er wird also lachen, weil er tun soll, was überhaupt kein Grund anrät. Was aber den Willen betrifft, darüber werden wir in der Psychologie sprechen. § 74 Das Prinzip des zureichenden Grundes ist unserem Geist natürlich Wir erfahren dies als die Natur unseres Geistes, daß in einem einzelnen Fall nicht leicht jemand zugesteht, daß etwas ohne zureichenden Grund ist. Wer wüßte nämlich nicht, daß wir in jedem Fall geneigt sind, zu fragen, warum dieses ist, da wir dasselbe bei Kindern in früher Jugend erfahren, sobald sich ein Vernunftgebrauch zeigt. Sogar wenn die Leute Kinder tadeln wollen, wenn sie etwas Schlechtes getan haben, fragen sie sie, warum sie das getan haben, und sie lassen hier nicht eine beliebige Antwort zu und beruhigen sich nur bei einer solchen, von der her sie einsehen, daß der Wille im gegebenen Fall so hat bestimmt werden können. Daher widerstreitet es gleichsam der Natur unseres Geistes, zuzugestehen, daß etwas ohne zureichenden Grund sein könne. Dieses Widerstreiten zeigt sich noch mehr bei denen, die, mit den Wissenschaften vertraut, es gewohnt sind, die Gründe dessen, was ist, zu durchschauen, sofern der natürliche Trieb des Geistes, durch den er zum zureichenden Grund geführt wird, durch eine richtige Methode des Lernens gewahrt wird. Dem steht nicht entgegen, daß durch die meisten Jahrhunderte hindurch nicht nur in der Psychologie, sondern auch in der Physik selbst Philosophen vieles ohne Grund zugestanden haben, geschweige ohne zureichenden Grund, und daß es bis auf

170

pars i · sectio i · caput ii

posse contendunt. Etenim perverso facultatum mentis usu habitus naturali mentis dispositioni contrarius contrahitur 1. Ostendam in psychologicis 2 syllogismum formalem esse naturalem cogitandi modum, quo vulgus singulis momentis 3 a judiciis intuitivis ad discursiva pervenit, servata eadem forma, quae demonstrationibus consummatis convenit (§  Log.). Hoc tamen non obstante non defuere inter eruditos primi ordinis eminentes veluti Cartesius atque de Tschirnhausen, qui syllogismos formales tanquam inutile & ab otiosis ingeniis confictum ratiocinandi genus rejecerunt : cujus praejudicii originem in Psychologicis clarissime explanabo. Minus autem nos anxios tenet perversa principii rationis sufficientis applicatio in scientiis, veluti quod scholastici in physicis in rationibus insufficientibus acquieverint & hodienum plurimi in insufficientibus acquiescant, contra naturalem mentis impetum, quae in sufficientem fertur. Principium contradictionis menti adeo naturale est, ut, nisi quis mente captus fuerit, idem largiatur atque in casu singulari quolibet ultro concedat (§ , ). Hoc tamen non obstante a viris eruditis perperam applicatur, qui saepius pro contradictoriis venditant, quae a contradictione procul remota sunt, & contradictiones non vident in iis, in quibus latent. Minime omnium autem attendenda sunt, quae ab eruditis communiter in fervore disputandi proferuntur. Dudum enim inter eos invaluit mos vel manifesta praefracte negandi, modo e re negantis fuerit, cum paucissimi eorum amore veritatis, plurimi cupidine vanae cujusdam gloriae, vel odio dissentientium du-

1 2 3

contrahitur ] C contrah tur B. psychologicis ] B Psychologicis C. momentis ] C m mentis B.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

114

115

116

171

den heutigen Tag nicht an Gelehrten fehlt, die behaupten, einiges könne ohne zureichenden Grund sein. Denn durch einen verkehrten Gebrauch der Geistesvermögen zieht man sich eine der natürlichen Anlage des Geistes entgegengesetzte Haltung zu. Ich werde in der Psychologie zeigen, daß der formale Syllogismus eine natürliche Weise zu denken ist, durch welche die Leute in einzelnen Schritten von intuitiven Urteilen zu diskursiven Urteilen kommen, wobei dieselbe Form gewahrt wird, die vollkommenen Beweisen zukommt (§  Logica). Dessenungeachtet hat es unter Gelehrten von erstem Rang so herausragende Männer wie Descartes und von Tschirnhaus gegeben, welche die formalen Syllogismen als eine unnütze und von müßiggehenden Geistern erdachte Art des Nachdenkens zurückgewiesen haben ; den Ursprung dieses Vorurteils werde ich in der Psychologie vollkommen klar darlegen. Weniger dagegen beunruhigt uns die verkehrte Anwendung des Prinzips des zureichenden Grundes in den Wissenschaften, beispielsweise daß die Scholastiker in der Physik sich mit unzureichenden Gründen begnügten und bis auf den heutigen Tag sich die meisten mit solchen unzureichenden Gründen begnügen, gegen den natürlichen Trieb des Geistes, der zum zureichenden Grund geführt wird. Das Widerspruchsprinzip ist dem Geist so natürlich, daß jemand, wenn er nicht wahnsinnig ist, dasselbe zugibt und in einem beliebigen einzelnen Fall gerne einräumt (§ , ). Dessenungeachtet wird es von Gelehrten falsch angewendet, die ziemlich oft das als widersprüchlich verkaufen wollen, was vom Widerspruch weit entfernt ist, und die Widersprüche in dem nicht sehen, worin sie verborgen sind. Am wenigsten von allem ist aber zu beachten, was von den Gelehrten gemeinhin in der Hitze der Diskussion vorgebracht wird. Schon lange nämlich hat sich unter ihnen die Gewohnheit verfestigt, selbst Offenkundiges schroff zu verneinen, sofern es nur im Interesse des Verneinenden liegt, und zwar weil die wenigsten von ihnen von der Liebe zur Wahrheit, die meisten von der Begierde nach eitlem Ruhm oder Haß auf die, die anderer Meinung sind, ge-

172

pars i · sectio i · caput ii

cantur : id quod indicio satis manifesto colligitur, dum negant, cujus contrarium probare nequeunt, & odiosis consequentiis aliorum placita impugnant, quae quod inde fluant demonstrare 1 minime valent. Sufficiens hic negandi ratio est, quod sic via ad consequentias alteri molestas sternatur. Ceterum suo loco ostendemus, ex eo,2 quod naturali impetu in rationem sufficientem feramur, admirationem gigni, ubi quid absque ratione sufficiente esse videtur, vel ratio ejus, quod est, insufficiens apparet, quam tamen genuinam agnoscimus. Admirationem istam in ipsis pueris haud raro observare licet. Principium rationis sufficientis tam altas in animo Architectorum Graecorum egerat radices, ut absque ea nec in ornatu quidpiam admitterent, quem consuetudo arbitraria introduxisse videbatur. Putarunt enim iidem, Vitruvio referente lib. , c. , f. , quod non potest in veritate fieri, id in imaginibus factum non posse 3 certam rationem habere. § 75 An principium rationis sufficientis absque probatione sumi possit Quoniam ea est mentis nostrae natura, ut naturali quodam impetu in rationem sufficientem ejus feratur, quod est, (§ ) 4, nec principium rationis sufficientis experientiae contrarium deprehenditur (§ ), quin potius a casu quovis singulari abstrahi potest (§ ) 5, consequenter ejus veritas per notiones confusas, quas experientia in mente nostra excitavit, sola attentione innotescit, nisi perversa studendi methodo depravatum &

1

2 3 4 5

quae quod inde fluant demonstrare ] B quae, quod inde fluant, demonstrare C. eo, ] B eo C. posse ] B poße C. (§ ) ] B (§ ] C. (§ ) ] B [§ ) C.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

117

118

119

173

führt werden. Das läßt sich aus einem hinreichend offenkundigen Anzeichen erschließen, wenn sie das verneinen, dessen Gegenteil sie nicht erweisen können, und mit Hilfe von anstößigen Folgerungen die Ansichten anderer angreifen, obwohl sie keineswegs beweisen können, daß diese Folgerungen sich aus ihnen ergeben. Der zureichende Grund der Verneinung ist hier, daß so der Weg für Folgerungen freigemacht wird, die dem anderen beschwerlich sind. Weiterhin werden wir an seinem Ort zeigen, daß daraus, daß wir durch einen natürlichen Trieb zum zureichenden Grund geführt werden, Verwunderung entsteht, wenn etwas ohne zureichenden Grund zu sein scheint oder der Grund dessen, was ist, als unzureichend erscheint, obwohl wir ihn doch als echt anerkennen. Diese Verwunderung ist selbst bei Kindern nicht selten zu beobachten. Das Prinzip des zureichenden Grundes hatte im Geist der griechischen Architekten so tiefe Wurzeln geschlagen, daß sie selbst im Schmuck, den eine willkürliche Gewohnheit eingeführt zu haben schien, nichts ohne solchen Grund zuließen. Denn sie glaubten, nach dem Zeugnis des Vitruv, Buch , Kap. , S. , daß das, was in Wahrheit nicht geschehen kann, als in Bildern Hervorgebrachtes keinen sicheren Grund haben könne. § 75 Ob das Prinzip des zureichenden Grundes ohne Erweis angenommen werden kann Da dies die Natur unseres Geistes ist, daß er durch einen natürlichen Trieb zum zureichenden Grund dessen geführt wird, was ist (§ ), das Prinzip des zureichenden Grundes auch nicht als der Erfahrung entgegengesetzt festgestellt wird (§ ), vielmehr von einem beliebigen Einzelfall abstrahiert werden kann (§ ), folglich seine Wahrheit durch undeutliche Begriffe, welche die Erfahrung in unserem Geist hervorgerufen hat, allein durch die Aufmerksamkeit bekannt wird, wenn man nicht ein durch eine verkehrte Methode des Studierens verdorbenes und

174

pars i · sectio i · caput ii

praejudiciis praepeditum habueris animum (not. § ) 1 ; principium rationis sufficientis absque probatione instar axiomatis sumere licet. Fecit id Leibnitius, qui cum in Theodicea 2, tum in litteris 3 ad Samuelem Clarkium, Theologum & Philosophum Anglum, perscriptis principio rationis sufficientis usus, sed idem non probavit, quamvis is probationem requireret. Provocavit enim ad experientiam in omni casu obviam & negavit exemplum in contrarium afferri posse, opportune monens, etsi exempla dentur, ubi ratio sufficiens latet, nullum tamen dari, ubi non pateat, quod aliqua adesse debeat. (Vide Theodiceam 4 part I, § , p. m. , ). Contrarium adeo probaturus afferre debet exempla, quibus quod ratio sufficiens nulla adsit demonstrare potest (§  Log.) : id quod unquam fieri posse negavit Leibnitius. Dum vero vir perspicacissimus loc. cit. monet, sine principio rationis sufficientis existentiam Dei probari non posse, & in epistola quinta ad Clarkium observat, sine eodem praescientiam Dei adversus Socinianos defendi non posse ; utilitatem hujus principii monstravit, nequaquam vero idem probavit. Circulum vitiosum committeret tyroni 5 Logicae obvium (§  Log.), qui probationem existentiae ac praescientiae divinae in principium resolveret, cujus veritatem per existentiam ac praescientiam divinam adstrueret. Immo 6 si veritas principii rationis sufficientis non pateret, nisi supposita existentia & praescientia divina, neutra per idem probari, nedum demonstrari posset. Enimvero si quis ex rationibus in propositione praesente

1 2 3 4 5 6

(not. § ) ] B (§ ) C. Theodicea ] B Theodicaea C. litteris ] B literis C. Theodiceam ] B Theodicaeam C. tyroni ] B tironi C. Immo ] B Imo C.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

175

durch Vorurteile gehemmtes Gemüt hat (§  Anm.), ist es möglich, das Prinzip des zureichenden Grundes ohne Erweis als Axiom anzunehmen.

120

121

Dies hat Leibniz getan, der sowohl in der Theodizee als auch in den an Samuel Clarke, den englischen Theologen und Philosophen, geschriebenen Briefen das Prinzip des zureichenden Grundes gebrauchte, aber dasselbe nicht erwies, obgleich dieser einen Erweis forderte. Er berief sich nämlich auf eine in jedem Fall naheliegende Erfahrung und verneinte, daß ein Beispiel für das Gegenteil vorgebracht werden könne, wobei er passenderweise daran erinnerte, daß, auch wenn es Beispiele gebe, bei denen der zureichende Grund verborgen sei, es dennoch keines gebe, bei dem es nicht klar sei, daß ein Grund vorhanden sein müsse (Siehe Theodizee, Teil , § , meine Seitenzählung S. , ). Derjenige, der das Gegenteil erweisen will, muß also Beispiele vorbringen, mit denen er beweisen kann, daß kein zureichender Grund vorhanden ist (§  Logica) ; daß dies jemals geschehen könne, verneinte Leibniz. Indem aber dieser sehr scharfsinnige Mann an der zitierten Stelle daran erinnert, daß ohne das Prinzip des zureichenden Grundes die Existenz Gottes nicht erwiesen werden könne und im fünften Brief an Clarke bemerkt, daß ohne dasselbe das Vorherwissen Gottes nicht gegen die Sozinianer verteidigt werden könne, zeigte er die Nützlichkeit dieses Prinzips, erwies es aber keineswegs. Derjenige, der den Erweis der göttlichen Existenz und des göttlichen Vorherwissens auf ein Prinzip zurückführte, dessen Wahrheit er durch die göttliche Existenz und das göttliche Vorherwissen stützte, würde einen Zirkel begehen, der einem Anfänger der Logik ersichtlich ist (§  Logica). Wenn aber die Wahrheit des Prinzips des zureichenden Grundes nur durch die Annahme der göttlichen Existenz und des göttlichen Vorherwissens erhellte, so könnte keines von beiden durch dasselbe erwiesen, geschweige bewiesen werden. Wenn jedoch jemand aus den im gegenwärtigen Lehrsatz vorgebrachten Grün-

176

pars i · sectio i · caput ii

allatis principium rationis sufficientis absque probatione sumit ; is exemplum Euclidis ceterorumque Geometrarum veterum sequitur, quorum rigorem in demonstrando nemo vicit. Sane Euclides sumit, quod demonstrari posse infra patebit, totum esse majus sua parte, propterea quod ejus veritas per exempla pateat, atque a singularibus propositionibus universalis facile abstrahatur. In eundem censum veniunt alia, veluti quod aequalia eidem tertio sint aequalia inter se, quod vulgus perinde ac principium rationis sufficientis in casibus singularibus dextre applicat, etsi universaliter enunciatum ab eodem non agnoscatur. Idem circa principium rationis sufficientis viris doctis accidere, jam advertisse Leibnitius videtur : id quod ex eo colligo, quod in Theodicea 1 loc. cit. monet, sublato hoc principio innumera tolli ratiocinia & legitima, & utilia, quae eodem innituntur. Nec hic aberravit a rei veritate. E. gr. Ipse vir summus, Isaacus Newtonus 2 , in Principiis Philosophiae naturalis mathematicis p. m.  instar axiomatis sumit, corpus omne perseverare in statu suo quiescendi vel movendi uniformiter in directum, nisi quatenus illud a viribus impressis cogitur statum suum mutare, propterea quod per exempla patet propositionis veritas, quorum ea fini selecta non sine acumine allegat, atque effatum generale a quovis casu singulari abstrahi potest, consequenter ex iisdem rationibus, ob quas axiomatis instar principium rationis sufficientis sumi posse contendimus. Ostensuri autem in Cosmologia sumus, evidentiam istius legis naturae a principio rationis sufficientis pendere, quo sublato, nil amplius obstat, quo minus mobile ipsummet sibi mutet celeritatem

1 2

Theodicea ] B Theodicaea C. Newtonus ] B Nevvtonus C.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

122 123

124

125

126

127

177

den das Prinzip des zureichenden Grundes ohne Erweis annimmt, so folgt er dem Beispiel Euklids und der übrigen alten Geometer, deren Beweisstrenge niemand übertroffen hat. Allerdings nimmt Euklid etwas an, von dem weiter unten klar werden wird, daß es bewiesen werden kann – nämlich daß das Ganze größer als sein Teil ist – , weil dessen Wahrheit durch Beispiele klar ist und sich leicht von singulären Sätzen als allgemeine abstrahieren läßt. In gleicher Weise sind andere Sätze einzuschätzen, beispielsweise daß diejenigen Dinge, die demselben Dritten gleich sind, auch untereinander gleich sind, welchen Satz die Menge ebenso wie das Prinzip des zureichenden Grundes in Einzelfällen richtig anwendet, auch wenn er als allgemein ausgesprochener von ihr nicht erkannt wird. Daß dasselbe mit Bezug auf das Prinzip des zureichenden Grundes den Gelehrten widerfährt, scheint bereits Leibniz bemerkt zu haben. Das schließe ich daraus, daß er in der Theodizee an der zitierten Stelle daran erinnert, daß, wenn dieses Prinzip aufgehoben wird, unzählige sowohl rechtmäßige als auch nützliche Schlüsse, die sich auf dieses Prinzip stützen, aufgehoben werden. Hier irrte er nicht von der Wahrheit der Sache ab. Beispiel : Sogar Isaac Newton, dieser herausragende Mann, nimmt in den mathematischen Prinzipien der Naturphilosophie S.  (meine Seitenzählung) als Axiom an, daß jeder Körper in seinem Zustand der Ruhe oder der gleichförmigen, geradlinigen Bewegung beharrt, wenn er nicht durch einwirkende Kräfte gezwungen wird, seinen Zustand zu verändern, weil die Wahrheit dieses Satzes durch Beispiele klar werde, von denen er einige zu diesem Zweck ausgewählte mit Scharfsinn vorbringt, und weil die allgemeine Behauptung von einem beliebigen Einzelfall abstrahiert werden könne, folglich aus denselben Gründen, aufgrund deren das Prinzip des zureichenden Grundes, wie wir behaupten, als Axiom angenommen werden kann. Wir werden aber in der Kosmologie zeigen, daß die Evidenz dieses Naturgesetzes vom Prinzip des zureichenden Grundes abhängt ; wenn dieses aufgehoben wird, steht nichts mehr dem entgegen, daß

178

pars i · sectio i · caput ii

atque directionem. Sublata hac naturae lege tolluntur regulae 1 motus, phaenomenorum in Natura ordo, seu, quae in mutationibus rerum materialium deprehenditur veritas simul tollitur, quemadmodum ex Cosmologia constabit, nec eos fugit, qui cum Matheseos studio Philosophiae naturalis tractationem conjungunt. Et hinc satis apparet, quam multa ratiocinia legitima atque utilia circa res naturales occurrere debeant, quae accurate evoluta tandem in principium rationis sufficientis, absque ulla limitatione vel restrictione admissum resolvuntur. § 76 Quomodo sine probatione sumtum certius evadat Si propositiones per principium rationis sufficientis demonstratas experientia confirmari, vel etiam probationes aliarum, quae juxta regulas Logicae evolutae insufficientes deprehenduntur, demonstrationis vim acquirere observamus ; assensus, qui sine probatione sumto datus fuerat, firmior evadit. Si propositio ex principio rationis sufficientis demonstratur, praeter ipsum, quod absque probatione sumitur per hypoth. non sumitur principium aliud, quod non in definitionum, experientiarum indubitatarum, axiomatum, vel propositionum jam demonstratarum numero habeatur (§  Log.) & forma argumentandi regulis syllogisticis conformis (§  Log.). Quodsi ergo principium rationis sufficientis esset falsum, cum eodem tanquam admo-

1

regulae ] C regu ae B.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

128

179

das Bewegliche selbst für sich Geschwindigkeit und Richtung ändert. Wenn dieses Naturgesetz aufgehoben wird, werden die Regeln der Bewegung aufgehoben und zugleich wird die Ordnung der Phänomene in der Natur oder die in den Veränderungen der materiellen Sachen festgestellte Wahrheit aufgehoben, wie es sich aus der Kosmologie ergeben wird und denen nicht entgeht, die mit dem Studium der Mathematik die Behandlung der Naturphilosophie verbinden. Und von hier aus wird hinreichend klar, wie viele rechtmäßige und nützliche Schlüsse in bezug auf die natürlichen Sachen vorkommen müssen, die, genau entwickelt, schließlich auf das Prinzip des zureichenden Grundes als ohne jede Begrenzung und Einschränkung zugestandenes zurückgeführt werden. § 76 Wie dieses Prinzip als ohne Erweis angenommenes gewisser wird Wenn wir beobachten, daß Sätze, die durch das Prinzip des zureichenden Grundes bewiesen worden sind, durch die Erfahrung bestätigt werden, oder auch daß Erweise von anderen Sätzen, die, nach den Regeln der Logik entwickelt, als unzureichend festgestellt werden, Beweiskraft annehmen, so wird die Zustimmung, die dem ohne Erweis angenommenen Prinzip gegeben worden war, sicherer. Wenn ein Satz durch das Prinzip des zureichenden Grundes bewiesen wird, so wird außer diesem selbst, das nach Voraussetzung ohne Erweis angenommen wird, kein anderes Prinzip angenommen, das nicht zu den Definitionen, unbezweifelten Erfahrungen, Axiomen oder schon bewiesenen Sätzen gezählt wird (§  Logica), und ebenso die den syllogistischen Regeln entsprechende Form des Argumentierens (§  Logica). Wenn nun das Prinzip des zureichenden Grundes falsch wäre, so würde, da wir es als ziemlich abstraktes aufgrund seiner Allgemeinheit im Erweis an der Stelle eines Obersatzes gebrauchen, deshalb die Konklusion als falsch erschlos-

180

pars i · sectio i · caput ii

dum abstracto ob universalitatem suam in probatione loco majoris utamur, falsa inde colligeretur conclusio (§  Log.) : quae si esset propositio ad demonstrandum proposita, falsam eam esse debere patet. Si conclusione inde collecta denuo utaris tanquam majore ad inferendam hinc tandem propositionem ad demonstrandum propositam, non minus patet hanc falsam esse debere. Quodsi denique contingat, nos conclusione per principium rationis sufficientis illata uti tanquam minore in Syllogismo ad inferendam propositionem, quae ad demonstrandum proponebatur ; hanc quoque falsam esse debere constat (§  Log.). Quoniam tamen propositio per principium rationis sufficientis demonstrata experientia confirmatur, 1 per hypothesin ; 2 vera est (§  Log.), nobisque certa (§  Log.), consequenter inde nobis ipsum quoque principium rationis sufficientis certum evadit. Assensus adeo, qui absque probatione sumto datus fuerat, continuo firmior fit, quo plura istiusmodi specimina obtinemus, cumque principio isto tanquam universali, absque ulla restrictione, in casibus admodum diversis ad demonstrandum utamur, ejus quoque universalitatis sic certi reddimur, vi eorum, quae paulo ante (not. § ) 3 distinctius exposita fuere. Quodsi praeterea animadvertimus, probationes insufficientes propositionum, quae tantum probabiles agnoscuntur, principio isto accedente vim demonstrationum acquirere ; eidem majus adhuc pretium decernimus atque sic assensum ab eo dimoveri non patimur. Quamobrem hac altera ratione priori accedente assensus utique adhuc firmior redditur, quemadmodum ea sola nos ad assensum reddit pronos, atque id praestat ut ab eodem nos non tam facile dimoveri patiamur, ubi difficultates aliquae nectuntur. Quod propositiones vi principii rationis sufficientis demonstratae experientia confirmentur, suo constabit loco, ubi eodem 1 2

confirmatur, ] B confirmatur C. hypothesin ; ] B hypothesin, C.

3

(not. § ) ] B (§ ) C.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

181

sen (§  Logica). Wenn diese aber der zum Beweis vorgelegte Satz wäre, so erhellt, daß er falsch sein muß. Wenn man die daraus erschlossene Konklusion erneut als Obersatz gebraucht, um von hier aus schließlich einen zum Beweis vorgelegten Satz zu erschließen, so erhellt nicht weniger, daß dieser falsch sein muß. Wenn es sich aber schließlich trifft, daß wir eine durch das Prinzip des zureichenden Grundes erschlossene Konklusion als Untersatz in einem Syllogismus gebrauchen, um einen Satz zu erschließen, der zum Beweis vorgelegt wurde, so steht fest, daß auch dieser Satz falsch sein muß (§  Logica). Da jedoch der durch das Prinzip des zureichenden Grundes bewiesene Satz nach Voraussetzung durch die Erfahrung bestätigt wird, ist er wahr (§  Logica) und uns gewiß (§  Logica), folglich wird uns von daher auch das Prinzip des zureichenden Grundes selbst gewiß. Die Zustimmung also, die dem ohne Erweis angenommenen Prinzip gegeben worden war, wird kontinuierlich sicherer, je mehr wir Proben von dieser Art erhalten, und da wir dieses Prinzip als allgemeines ohne jede Einschränkung in sehr verschiedenen Fällen zum Beweisen gebrauchen, so werden wir auch seiner Allgemeinheit gewiß kraft dessen, was kurz zuvor (§  Anm.) deutlicher dargelegt worden ist. Wenn wir aber außerdem bemerken, daß unzureichende Erweise von Sätzen, die nur als wahrscheinlich anerkannt werden, bei Hinzutreten dieses Prinzips Beweiskraft annehmen, so schätzen wir dieses Prinzip noch höher und lassen es so nicht zu, daß die Zustimmung sich von ihm abwendet. Deswegen wird durch diesen anderen, zu dem vorherigen hinzutretenden Grund die Zustimmung noch viel sicherer, ebenso wie dieser Grund allein schon uns zur Zustimmung geneigt macht und dies leistet, daß wir uns nicht so leicht von diesem Prinzip abwenden lassen, wenn sich irgendwelche Schwierigkeiten daran anknüpfen. Daß Sätze, die kraft des Prinzips des zureichenden Grundes bewiesen worden sind, durch die Erfahrung bestätigt werden,

182

pars i · sectio i · caput ii

utemur : quamvis hic etiam usui esse possint, quae paulo antea de ejusdem consensu cum experientia in medium adduximus (§ ). Nec minus constabit, quod propositionum probationes insufficientes demonstrationum robur acquirant, cujus quaedam specimina paulo ante adduximus (not. § ) 1. Jam vero manifestum est, cur Leibnitius principium rationis sufficientis absque probatione sumens ad ista provocaverit (§ cit.), ubi lectorem ejus ignarum permovere vellet, ne per praecipitantiam idem rejiceret. Ceterum quae hic de principio rationis sufficientis demonstrantur, de quacunque alia propositione valent, quae absque probatione instar axiomatis sumitur & ad demonstrandum propositiones adhibetur, de quarum veritate etiam aliunde constat. Ita Mathematici 2 sumunt instar axiomatis absque probatione, actionem & reactionem esse in conflictu corporum aequalem : quae propositio ab initio non satis manifesta 3 videtur. Enimvero postquam inde demonstrantur regulae motus, quae experimentis pendulorum confirmantur, assensus, qui illi datur, firmus hinc ac immotus evadit. Similiter in analysi 4, praesertim infinitesimali, plura occurunt principia, quae tyronibus 5 praesertim dubia videntur atque etiam ab aliis impugnata fuere. Nos vero eadem ideo applicamus ad eruendas veritates aliter jam demonstratas, ne in iis admittendis difficultatem facessant tyrones 6. Quamvis in principiis admittendis non nimis faciles esse debeamus, ne praeter omnem expectationem in errores incidamus ; nec tamen 7 e contrario nimia scrupulositas probatur, ne nobismetipsis viam ad cognitionem utilem praecludamus, praesertim ubi nondum ipsimet principiis uti debemus ad veritatem proprio Marte investigandam, sed discenda tantummodo sunt, quae eorum beneficio ab alio

1 2 3 4

(not. § ) ] B (§ ) C. Mathematici ] C Mathem tici B. manifesta ] C m nifesta B. analysi ] B Analysi C.

5 6 7

tyronibus ] B tironibus C. tyrones ] B tirones C. tamen ] C t men B.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

129

130 131

183

wird an seinem Ort feststehen, wenn wir dieses Prinzip gebrauchen ; gleichwohl kann hier auch von Nutzen sein, was wir kurz zuvor über seine Übereinstimmung mit der Erfahrung vorgebracht haben (§ ). Nicht weniger wird feststehen, daß unzureichende Erweise von Sätzen die Kraft von Beweisen erlangen, wovon wir einige Proben kurz zuvor angeführt haben (§  Anm.). Nun ist aber offenkundig, warum Leibniz, der das Prinzip des zureichenden Grundes ohne Erweis annahm, sich auf diese Dinge berufen hat (zit. §), als er den dieses Prinzips unkundigen Leser dazu bewegen wollte, es nicht aus Übereilung zurückzuweisen. Was hier vom Prinzip des zureichenden Grundes bewiesen wird, gilt übrigens von einem beliebigen anderen Satz, der ohne Erweis als Axiom angenommen wird und zum Beweis von Sätzen angewendet wird, deren Wahrheit auch anderswoher feststeht. So nehmen die Mathematiker als Axiom ohne Erweis an, daß Wirkung und Gegenwirkung beim Zusammenstoß von Körpern gleich sind, welcher Satz anfangs nicht hinreichend offenkundig erscheint. Doch nachdem dann die Bewegungsgesetze von daher bewiesen wurden, die durch die Pendelexperimente bestätigt wurden, wurde die Zustimmung, die jenem Satz gegeben wurde, von daher sicher und unverrückbar. In ähnlicher Weise begegnen in der Analysis, besonders in der infinitesimalen Analysis, mehrere Prinzipien, die vor allem den Anfängern als zweifelhaft erscheinen und sogar von anderen bestritten worden sind. Wir aber wenden sie deshalb zur Ermittlung von Wahrheiten an, die schon anders bewiesen wurden, damit die Anfänger keine Schwierigkeiten machen, diese Prinzipien zuzugestehen. Obwohl wir beim Zugeständnis von Prinzipien nicht allzu bereitwillig sein dürfen, damit wir nicht wider alles Erwarten in Irrtümer verfallen, so ist doch im Gegenteil eine allzu große Ängstlichkeit nicht zu billigen, damit wir uns selbst nicht den Weg zu einer nützlichen Erkenntnis abschneiden, besonders dann, wenn wir selbst diese Prinzipien noch nicht gebrauchen müssen, um die Wahrheit auf eigene Hand zu erforschen, sondern nur solches zu lernen

184

pars i · sectio i · caput 

demonstrantur, cum vi propositionis praesentis in progressu certum fieri possit, quod initio dubium videtur. Non ignota loquor, nec inexperta iis, qui solidam rerum cognitionem sibi compararunt & ad assensum, qualis initio extitit & in progressu evasit, animum adverterunt. § 77 Mundus fabulosus principio rationis sufficientis contrarius Sublato principio rationis sufficientis mundus verus abit in mundum fabulosum, in quo voluntas hominis stat pro ratione eorum, quae fiunt. Etenim cum in eo, qui existit & quem nos incolimus, mundo nihil occurat, quod principio rationis sufficientis contrarietur (§ ) ; mundus verus non amplius idem manet (§ ), ubi principium rationis sufficientis tollis & contrarium in ejus locum substituis, quod omnia sint sine ratione sufficiente (§  Log.). Enimvero mundus fabulosus, in quo voluntas hominis stat pro ratione eorum, quae fiunt, in eo differt a praesente, quod posita voluntate hominis extemplo ponantur, quae desiderat aut in votis habet, etsi in re nihil ponatur, unde modificatio ista fieri posse intelligatur, nec ponantur causae ad actum determinandum sufficientes, consequenter in eo omnia fiant absque ratione sufficiente. Sublato itaque principio rationis sufficientis mundus verus abit in fabulosum, in quo voluntas hominis stat pro ratione eorum, quae fiunt. Mundus fabulosus, de quo hic loquor, est fictio illepida, quae fabularum anilium absurdissima apud nos habetur & lingua

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

185

ist, was mit Hilfe dieser Prinzipien von anderem bewiesen wird, da kraft des gegenwärtigen Satzes fortschreitend gewiß werden kann, was anfangs zweifelhalft erscheint. Ich rede von solchem, das denen nicht unbekannt und unvertraut ist, die sich eine gründliche Erkenntnis der Dinge verschafft haben und auf die Zustimmung aufmerksam geworden sind, wie sie anfangs entstand und sich fortschreitend entwickelte. § 77 Die Fabelwelt ist dem Prinzip des zureichenden Grundes entgegengesetzt Wenn das Prinzip des zureichenden Grundes aufgehoben wird, wird die wahre Welt zur Fabelwelt, in welcher der Wille des Menschen anstelle des Grundes dessen, was geschieht, steht. Denn da in der Welt, die existiert und die wir bewohnen, nichts vorkommt, was dem Prinzip des zureichenden Grundes entgegengesetzt ist (§ ), bleibt die wahre Welt nicht weiter dieselbe (§ ), wenn man das Prinzip des zureichenden Grundes aufhebt und das Gegenteil an seine Stelle setzt, daß nämlich alles ohne zureichenden Grund sei (§  Logica). Die Fabelwelt nämlich, in welcher der Wille des Menschen anstelle des Grundes dessen, was geschieht, steht, unterscheidet sich von der gegenwärtigen Welt darin, daß nach Setzung des Willens des Menschen sogleich gesetzt wird, was er begehrt oder wünscht, auch wenn in der Sache nichts gesetzt wird, von woher eingesehen wird, daß diese Modifikation geschehen kann, und auch keine zur Bestimmung einer Handlung zureichenden Ursachen gesetzt werden, und folglich in ihr alles ohne zureichenden Grund geschieht. Wenn also das Prinzip des zureichenden Grundes aufgehoben wird, wird die wahre Welt zur Fabelwelt, in welcher der Wille des Menschen anstelle des Grundes dessen, was geschieht, steht. Die Fabelwelt, von der ich hier spreche, ist eine geistlose Erdichtung, die bei uns für die absurdeste der Altweiberfabeln gehal-

186

pars i · sectio i · caput ii

nobis vernacula »Das Schlaraffenland« appellatur. Cum maxime insulsa judicetur fabula, plebs eadem ad movendum cachinnum utitur. Si cerasum appetis, cerasus cum fructibus maturis jussa adest. Similiter fructus jussus in os advolat &, ubi volueris, in via dividitur, ut nucleus cum putamine avolet, ne eum exspuere cogaris. Columbae assae circumvolitant & ad desiderium esurientis veluti sponte sua separatur, quod is appetit, atque in os incurrit. Quoniam hic stat pro ratione voluntas & singula fieri possunt, atque fiunt, propterea quod tibi ea velle libuerit ; fabellam continuare unusquisque pro arbitrio potest. Nullum est possibilitatis, nullum actualitatis principium homini extrinsecum, atque adeo nec voluntas habet aliquod volendi principium, sed ad volendum quidlibet prorsus indifferens est. Ideo nimirum vult, quia libet : cur autem hoc potius, quam 1 aliud velle libeat, ratio nulla adest. Fabula ista vulgi insulsa attentionem philosophi meretur, ubi de principio rationis sufficientis sermo fuerit, ut vim & efficaciam ejus intelligat, quae ex opposito redditur maxime manifesta. Unde praeclarum nacta est usum, manifesto indicio, nihil posse fingi tam 2 absurdum, quod non in aliquem converti possit usum a philosopho. Quoniam vero in mundo isto fabuloso homo vult sine ratione, & unica ratio eorum, quae fiunt & esse possunt, voluntas hominis est ; ideo ille indifferens est ad utramque contradictionis partem volendam, consequenter in eodem mundo duo contradictoria in universali simul vera esse possunt, nec principium contradictionis locum habet nisi in casu singulari. Apparet adeo, non modo principio rationis sufficientis illustrando & confirmando, verum etiam universalitati principii contradictionis

1 2

quam ] C qu m B. tam ] C t m B.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

187

ten wird und in unserer Muttersprache »Das Schlaraffenland« genannt wird. Da diese Fabel als völlig albern beurteilt wird, gebraucht das Volk sie, um schallendes Gelächter zu erzeugen. Wenn man einen Kirschbaum verlangt, ist der Kirschbaum mit reifen Früchten wie befohlen da. In ähnlicher Weise fliegt die Frucht wie befohlen in den Mund und wird, wenn man will, unterwegs geteilt, so daß der Kern mit der Schale wegfliegt, damit man nicht gezwungen wird, ihn auszuspeien. Gebratene Tauben fliegen herum, und auf das Begehren des Hungernden hin wird gleichsam von selbst abgetrennt, was dieser verlangt, und geht in den Mund. Da hier für den Grund der Wille steht und Einzelnes geschehen kann und geschieht, weil es dir beliebt, es zu wollen, kann jeder die Fabel nach Gutdünken fortsetzen. Es gibt kein dem Menschen äußerliches Prinzip der Möglichkeit, keines der Wirklichkeit, und so hat auch der Wille kein Prinzip des Wollens, sondern ist gänzlich indifferent, irgend etwas zu wollen. Deswegen nämlich will er, weil es beliebt ; warum es aber beliebt, eher dieses als etwas anderes zu wollen, dafür gibt es keinen Grund. Diese alberne Fabel der Menge verdient die Aufmerksamkeit des Philosophen, wenn vom Prinzip des zureichenden Grundes die Rede ist, damit er dessen Bedeutung und Wirksamkeit einsieht, die aus dem Gegensatz völlig offenkundig wird. Daher hat diese Fabel einen ausgezeichneten Nutzen erlangt, ein offenkundiger Beleg dafür, daß nichts so Absurdes erdichtet werden kann, was nicht von einem Philosophen irgendwozu gebraucht werden könnte. Da aber der Mensch in dieser Fabelwelt ohne Grund will und der einzige Grund dessen, was geschieht und sein kann, der Wille des Menschen ist, so steht es dem Menschen frei, beide Seiten eines Widerspruchs zu wollen, und folglich können in derselben Welt zwei kontradiktorische Sätze im allgemeinen zugleich wahr sein, und das Widerspruchsprinzip hat seinen Ort nur noch im Einzelfall. Es erhellt also, daß die Fabel nicht nur dazu dient, das Prinzip des zureichenden Grundes zu erläutern und zu befestigen, sondern auch die Allgemeinheit des Widerspruchsprinzips

188

pars i · sectio i · caput ii

adstruendae inservire fabulam. Qui ergo circa principium rationis sufficientis vel circa universalitatem principii contradictionis haerent ; illi probe perpendant, posito principio contradictionis in universali & principio rationis sufficientis poni mundum verum, hoc est, eum quem incolimus ; 1 remoto autem principio contradictionis in universali, nec eo admisso nisi in singulari & remoto prorsus principio rationis sufficientis, ut eidem nec in mundo materiali nec in mente humana locus sit, poni mundum fabulosum, in quo loco rationis eorum, quae sunt, stat voluntas hominis volentis quia libet sine ratione, cur hoc potius libeat, quam aliud. Ostendemus autem in ipsa philosophia prima, ea esse in hoc universo entia, ut singula per principium contradictionis in universali admissum & principium rationis sufficientis determinentur, atque adeo patebit, cur duo haec principia generalia philosophiae primae sufficiant, quemadmodum eadem philosophiae rationali sufficere attenta operis nostri logici lectio prodit. Apparebit inferius, iisdem principiis positis, poni veritatem rerum ; iisdem vero remotis, veritatem in somnium abire, ut adeo differentiam inter veritatem & somnium admittens principium contradictionis in universali & principium rationis sufficientis absque ulla restrictione non possit non admittere. Quamobrem Thümmigius 2 in Institutionibus, quas de philosophia nostra edidit, demonstrationis loco ex operibus nostris Germanicis id solum urget, quod principio rationis sufficientis sublato tollatur differentia inter somnium & veritatem, cum in somnio omnia fiant sine ratione ; in rei autem veritate cum ratione sufficiente (§  Ontol.).

1 2

incolimus; ] B incolimus, C. Thümmigius ] B Thummigius C.

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

132

133

134

135

189

zu stützen. Diejenigen aber, die in bezug auf das Prinzip des zureichenden Grundes oder in bezug auf die Allgemeinheit des Widerspruchsprinzips in Verlegenheit sind, mögen das Folgende gründlich erwägen : Wenn das Widerspruchsprinzip im allgemeinen und das Prinzip des zureichenden Grundes gesetzt wird, wird die wahre Welt, das heißt diejenige, die wir bewohnen, gesetzt ; wenn jedoch das Widerspruchsprinzip im allgemeinen aufgehoben und nur im einzelnen zugestanden wird und wenn das Prinzip des zureichenden Grundes gänzlich aufgehoben wird, so daß es für es weder in der materiellen Welt noch im menschlichen Geist einen Ort gibt, wird die Fabelwelt gesetzt, in der anstelle des Grundes dessen, was ist, der Wille des Menschen steht, der will, weil es ohne Grund beliebt, warum eher dieses als etwas anderes beliebt. Wir werden aber in der Ersten Philosophie selbst zeigen, daß es in diesem Universum solche Seienden gibt, daß das Einzelne durch das im allgemeinen zugestandene Widerspruchsprinzip und das Prinzip des zureichenden Grundes bestimmt wird, und so wird klar sein, warum diese zwei allgemeinen Prinzipien für die Erste Philosophie zureichen, ebenso wie eine aufmerksame Lektüre unseres logischen Werkes ergibt, daß dieselben Prinzipien für die rationale Philosophie zureichen. Es wird weiter unten klar werden, daß, wenn dieselben Prinzipien gesetzt werden, die Wahrheit der Sachen gesetzt wird, daß aber, wenn sie aber aufgehoben werden, die Wahrheit zum Traum wird ; folglich muß derjenige, der den Unterschied zwischen Wahrheit und Traum zugesteht, das Widerspruchsprinzip im allgemeinen und das Prinzip des zureichenden Grundes ohne jede Einschränkung zugestehen. Deshalb bringt Thümmig in seinen Institutiones, die er über unsere Philosophie herausgegeben hat, anstelle eines Beweises aus unseren deutschen Werken nur dies vor, daß nach Aufhebung des Prinzips des zureichenden Grundes der Unterschied zwischen Traum und Wahrheit aufgehoben wird, da im Traum alles ohne Grund geschieht, in der Wahrheit der Sache aber mit zureichendem Grund (§  Ontologia).

190

pars i · sectio i · caput 

§ 78 Cur hic non plura de principio rationis sufficientis tradantur Equidem plura aduc sunt, quae de principio rationis sufficientis tenere oportet : enimvero cum in philosophia prima utendum sit methodo demonstrativa (§ ), hoc est, philosophica (§  Log. & §  Disc. praelim.), unumquodque eo loco tradendum est, ubi per antecedentia intelligi & demonstrari potest (§ ,  Disc. praelim.). Quamobrem quae a principiis inferius demum tradendis pendent, ea suo demum loco inseremus. E. gr. Antequam notio necessitatis evoluta fuerit, nec quaestionem decidere licet, utrum principium rationis sufficientis absolutam rerum invehat necessitatem, nec ne, vel, quod perinde est, utrum necessitate absoluta fiant, quae cum ratione sufficiente fiunt, nec ne. De his igitur eo demum loco dicimus, ubi de necessitate tractamus. Similiter antequam in notionem libertatis inquisiverimus, frustra quaeritur, an ratio sufficiens libertati contraria sit. Ad hanc quaestionem demum in Psychologia respondere licebit, ubi exposuerimus, quaenam ad libertatem requirantur. Non minus deinceps demum disquirere dabitur, num ratio sufficiens eadem sit cum ratione determinante & num ratio determinans inferat rebus necessitatem, ubi determinati ac necessarii notionem perspectam habuerimus. Nec determinare possumus, quousque principium rationis sufficientis extendatur, num tantum ad actum contingentium, an etiam ad actum necessariorum, & num tantum de existentia rerum, an vero etiam de possibilitate earundem accipiendum, antequam de necessario & contingente atque de potentia & actu, seu pos-

erster teil · erster abschnitt · kapitel 

191

§ 78 Warum hier nicht noch mehr über das Prinzip des zureichenden Grundes gelehrt wird Es gibt zwar noch mehr, was man vom Prinzip des zureichenden Grundes wissen muß. Da jedoch in der Ersten Philosophie die demonstrative Methode zu gebrauchen ist (§ ), das heißt die philosophische (§  Logica und §  Discursus praeliminaris), so ist ein jedes an dem Ort zu lehren, wo es durch das Vorhergehende eingesehen und bewiesen werden kann (§ ,  Discursus praeliminaris). Deshalb werden wir das, was von erst weiter unten zu lehrenden Prinzipien abhängt, erst an seinem Ort einfügen.

136

137

138 139

Beispiel : Bevor der Begriff der Notwendigkeit entwickelt worden ist, kann man auch die Frage nicht entscheiden, ob das Prinzip des zureichenden Grundes eine absolute Notwendigkeit der Sachen mit sich führt oder nicht, oder, was im gleichen Maße gilt, ob das, was mit zureichendem Grund geschieht, mit absoluter Notwendigkeit geschieht oder nicht. Darüber sprechen wir also erst an dem Ort, wo wir die Notwendigkeit behandeln. In ähnlicher Weise gilt : Bevor wir den Begriff der Freiheit erforscht haben, wird vergeblich gefragt, ob ein zureichender Grund der Freiheit entgegengesetzt ist. Auf diese Frage zu antworten, wird erst in der Psychologie möglich sein, wo wir darlegen, was zur Freiheit erforderlich ist. Ebenso wird es erst dann möglich sein, zu untersuchen, ob der zureichende Grund dasselbe wie der bestimmende Grund ist und ob der bestimmende Grund eine Notwendigkeit für die Sachen mit sich führt, wenn wir den Begriff des Bestimmten und Notwendigen durchschaut haben. Wir können auch nicht bestimmen, wie weit sich das Prinzip des zureichenden Grundes erstreckt, ob nur bis zur Wirklichkeit des Zufälligen oder auch bis zur Wirklichkeit des Notwendigen, und ob es nur in bezug auf die Existenz der Sachen oder auch in bezug auf die Möglichkeit derselben anzunehmen ist, bevor wir über das Notwendige und

192

pars i · sectio i · caput ii

sibilitate & existentia egerimus. Haec exempli loco in medium afferimus : plura enim sunt, quae suo loco de principio isto scitu cum utilia, tum apprime necessaria demonstrabuntur. Ordinem mixtum sequimur, ne ordini scholae adsuetis nullo ordine tradita videantur, quae naturali continentur. Unde eodem in loco pertractamus, quae ad idem subjectum spectant, quatenus ex iis, quae praemittuntur, intelligi & demonstrari possunt (§  Log.). Quae hic de principio rationis sufficientis inculcantur, de singulis quoque tenenda sunt, quae capitibus sequentibus comprehenduntur. Non inutile autem visum fuit talia monere, ne quis lectione perfunctoria contentus sibi persuadet, omitti a nobis non omittenda, ac inde praejudicia adversus opus nostrum animo concipiat.

erster teil · erster abschnitt · kapitel  140, 141 142

143 144

193

das Zufällige und über Vermögen und Wirklichkeit oder Möglichkeit und Existenz gehandelt haben. Das bringen wir als Beispiel vor ; es gibt nämlich noch mehr, was – sowohl nützlich als auch dringend notwendig zu wissen – an seinem Ort über dieses Prinzip bewiesen werden wird. Wir befolgen eine gemischte Ordnung, damit für diejenigen, die sich an die Ordnung der Schule gewöhnt haben, nicht als ohne Ordnung gelehrt erscheint, was in der natürlichen Ordnung enthalten ist. Daher behandeln wir am selben Ort, was zum selben Thema gehört, insofern es aus dem, was vorangeschickt wird, eingesehen und bewiesen werden kann (§  Logica). Was hier über das Prinzip des zureichenden Grundes eingeschärft wird, ist auch in bezug auf das einzelne festzuhalten, was in den folgenden Kapiteln enthalten ist. Es erschien aber nicht unnütz, an solches zu erinnern, damit nicht jemand, der sich mit einer oberflächlichen Lektüre begnügt, zu der Überzeugung kommt, von uns werde nicht zu Übergehendes übergangen, und deshalb Vorurteile gegen unser Werk in sich aufnimmt.

ANMERKUN GEN DES HER AUSGEBER S

widmung / vorrede (s.  – ) 1

2

3 4

5

6

7 8

9

Friedrich I., schwed. Fredrik I., seit  König von Schweden, seit  Landgraf von Hessen-Kassel, geb. Kassel . . , gest. Stockholm . .  ; Sohn des Landgrafen Karl von Hessen-Kassel. Die Regierungsgeschäfte in Hessen-Kassel überließ Friedrich seinem Bruder, dem späteren Landgrafen Wilhelm VIII (geb. , gest. ). Bis Karl XVI. Gustav trugen alle Schwedenkönige seit Gustav I. Wasa den Titel »König der Schweden, Goten und Vandalen« (»Sveriges, Götes och Vendes Konung – Suecorum, Gothorum et Vandalorum rex«). Karl XVI. Gustav wählte bei seiner Thronbesteigung  den Titel »König der Schweden« (Sveriges Konung). Vgl. Ontologie §§  – . Descartes, Principia Philosophiae I,  (Erstausgabe Amsterdam , Œuvres de Descartes, publiées par Charles Adam & Paul Tannery, Paris , VIII, ). Genauer gesagt im Discursus praeliminaris de philosophia in genere, welcher der Logik (GW II, ) vorangestellt ist, insbesondere Kap. IV. In Ausführliche Nachricht von seinen eigenen Schriften, die er in deutscher Sprache von den verschiedenen Theilen der Weltweisheit herausgegeben, auf Verlangen ans Licht gestellt, Frankfurt , (GW I, ) Kap. , S.  – , benennt Wolff mit dieser Bezeichnung folgendes Werk : Allerhand nützliche Versuche, dadurch zu genauer Erkäntniss der Natur und Kunst der Weg gebahnet wird, Halle in Magdeburgischen  –  (GW I, ). Nach der lateinischen Logik, § , bildet die Logica probabilium den zweiten Teil der Ars inveniendi. Besonders in den Nouveaux essais, IV, , §  ; , §  ; , §  (Die philosophischen Schriften von G. W. Leibniz, hg. von C. I. Gerhardt, Bd. I – VII, hier Bd. V, S. , , , ). Genauer gesagt im Discursus praeliminaris (GW II, ), Kap. IV, besonders § , .

196 10 11 12

13

anmerkungen

In der lateinischen Logik (GW II, ) §  f., besonders aber im Discursus praeliminaris (GW II, ) §  – . Lateinische Logik (GW II, ), § . Die umstrittene Prorektoratsrede Wolffs vom . Juli  erschien zuerst in einer von Wolff autorisierten Fassung Frankfurt a. M.  ; s. auch Christian Wolff, Oratio de Sinarum philosophia practica, hg. von Michael Albrecht, Hamburg . Teil I, Abschnitt , Kap. .

prolegomena (s.  – ) 1

2 3

4

Es sei an dieser Stelle schon vorgreifend auf die omnipräsente Begriffsstufung aufmerksam gemacht, die Heinrich Adam Meißner (Philosophisches Lexikon aus Christian Wolffs sämtlichen deutschen Schriften, Photomechanischer Nachdruck der Ausgabe Bayreuth und Hof , Düsseldorf , S.  ff.) in folgendem Schema vorstellt : Begriffe sind dunckel / obscurae, klar / clarae, diese sind undeutlich / confusae, deutlich / distinctae, diese sind unausführlich / incompletae, ausführlich / completae, diese sind unvollständig / inadaequatae, vollständig / adaequatae. In terminologischen Kontexten werde ich mich an diese Entsprechungen halten, weil sie durch den Text in der Deutschen Metaphysik belegbar sind : »Ich habe auch daselbst ausgeführet, daß die Begriffe eben dergleichen Unterscheid haben, als ich oben überhaupt von den Gedankken erkläret, nehmlich daß sie entweder klar oder dunkel, und die klaren entweder deutlich oder undeutlich, die deutliche entweder ausführlich oder unausführlich, und die ausführlichen entweder vollständig oder unvollständig sind : welches allhier zu wiederholen unnöthig wäre.« ( § ) Anm. § , , , , , , , , , , , , , , , , , , , . Das »postliminium« ist ein juristischer Terminus und bezeichnet die Rückkehr in den früheren Rechtszustand, z. B eines Kriegsgefangenen oder einer aus der Gewalt des Feindes wiedererlangten Sache. Descartes stellte als höchstes Prinzip auf, daß als wahr zu akzeptieren ist, was klar und deutlich begriffen wird, da dies nicht bezweifelt werden kann, und daß das zurückzuweisen ist, was dunkel und

anmerkungen

5

6 7

8 9 10

11

12 13 14 15

16 17 18 19

197

undeutlich bleibt, weil wir daran zweifeln können, vgl. Principia Philosophiae, I, , , , , ,  (Œuvres de Descartes, publiées par Charles Adam & Paul Tannery, Paris , VIII, S. , , , , ) ; Discours de la méthode, Œuvres VI, S. . Leibniz, De primae philosophiae emendatione, Die philosophischen Schriften von G. W. Leibniz, hg. von C. I. Gerhardt, Bd. I – VII, Berlin  – , IV, S.  – . Clauberg, Opera omnia, Amstelodami ,  tom., I, S.  – . Joachimus Fridericus Fellerus, Otium Hannoveranum sive Miscellanea Ex ore et schedis Illustris Viri piae memoriae, Godf. Guilielmi Leibnitii, S. Caes. Maj. Consiliarii, et S. Reg. Maj. Britanniarum a Consiliis Justitiae intimis, nec non a scribenda Historia, Quondam notata et descripta, Cum ipsi in colligendis et excerpendis rebus ad Historiam Brunscevicensem pertinentibus operam navaret, Joachimus Fridericus Fellerus, Secretarius, Ducalis Saxo-Vinariensis. – Additae sunt coronidis loco Epistolae Gallicae amoebeae Leibnitii et Pelissonii de Tolerantia Religionum et de controversiis quibusdam Theologicis, jampridem editae, nunc recusae, Quibus praemissum est supplementum vitae Leibnitianae. Phil. Schriften IV, S. . Phil. Schriften IV, S. . Euklid, Elementa I, Communes notiones,  (Wolff zitiert nach Clavius, In Euclidis Elementa Commentarius, in : Clavius, Opera mathematica, Moguntiae ,  tom., tom. I , S. ). Euklid, Elementa I, Communes notiones,  (Clavius I, S.  ; in der kritischen Ausgabe von Heiberg, Leipzig,  vol.,  – , I, S.  – ). Euklid, Elementa I, Communes notiones  (Clavius, I, S.  ; Heiberg I, S.  – ). Vgl. Meißner, S. . Euklid, Elementa I, Communes notiones (Clavius I, S.  –  ; Heiberg I, S.  – ). Elementa arithmeticae, in : Elementa matheseos universae (Gesammelte Werke II, ), §  f. ; Elementa geometriae, in : Elementa matheseos universae (GW II, ), Praefatio, S. . Anspielung auf Descartes und Tschirnhaus, vgl. §  Anm. Zum Beispiel §  Anm., §  Anm., §  Anm., §  Anm. § . Psychologia empirica (GW II, ), §  f.

198 20

21 22

23

24

25

26

anmerkungen

Vgl. z. B. Thomas von Aquin, Quaestio disputata De potentia (S. Thomae Aquinatis Opera omnia,  – , Stuttgart-Bad Cannstatt , Bd. , S.  ff.), q. , art. , resp. ad um ; De virtutibus in communi, art.  ad um ; Quaestio disputata De veritate, Opera Bd. , S.  ff., q. , art.  ad um, art.  ad um ; Summa theologiae, Opera Bd. , S.  ff., IIIa, q. , art.  ad um, q. , art.  resp. – Dominicus de Flandria, In duodecim libros Metaphysicae Aristotelis, secundum expositionem ejusdem Angelici Doctoris, lucidissimae atque utilissimae quaestiones, Coloniae Agrippinae, . Aufl. , lib. V, q. , art. . S. , col. , ad um ; – Franciscus Suarez, Disputationes metaphysicae, Bd. I – VII, Madrid  – , Disputatio , sect. , §  –  ; – Joannes Scharfius, Metaphysica exemplaris sive Philosophia prima, Wittebergae , II , § , S.  – . Dies hat Wolff in seinem metaphysischen Werk nicht weiter behandelt. Vgl. Ken Aso, Masao Kurosaki, Tanehisa Otabe, Shiro Yamauchi (Hgg.) : Onomasticon philosophicum latinoteutonicum et teutonicolatinum, Tokyo  S. . Wolff scheint auf die universale philosophische Sprache anzuspielen, an die Leibniz gedacht hatte und die forderte, daß Lexica ausgearbeitet würden, welche nicht nur Wörter durch Wörter erklären, sondern auch die Vorstellungen definieren, indem sie diese in einfache und nicht weiter zurückführbare Elemente auflösen ; vgl. Couturat, La Logique de Leibniz, Paris , besonders Kap.  und auch Kap. , . Nach Logica (GW II, .– .) §  verzeichnen historische Bücher die Wahrheit, während wissenschaftliche diese erweisen ; über das, was beiden eigentümlich ist, vgl. Logica, pars II, sect. , c.  – . Vgl. Jacob Thomasius, Historia variae fortunae, quam disciplina Metaphysica jam sub Aristotele, jam sub Scholasticis, jam sub Recentibus experta est, in : Erotemata metaphysica pro incipientibus, Lipsiae, . Aufl , S.  –  und Jo. Franciscus Buddeus, De propedeumatibus theologiae, in : Isagoge Historico-theologica ad theologiam universam singulasque ejus partes, Lipsiae , I , S.  – . Leibniz, De primae philosophiae emendatione, Phil. Schriften IV, S. .

anmerkungen

199

kapitel  (s.  – ) 27

28 29 30

31 32 33

34 35

36

37 38

39

Zum weiten Gebrauch von Inhärenz ist André Lalande, Vocabulaire technique et critique de la Philosophie, . Aufl. Paris , S.  einzusehen ; die Unterscheidung inesse / adesse findet sich weiter unter im §  und kann durch das Schema bei Jean École, La métaphysique de Christian Wolff, Band I, Hildesheim u. a. , S.  verdeutlicht werden. Sextus Empiricus, Hypot. Pyrrhon., c.  (ed. Mutschmann, Leipzig, , vol. I, S. ). Wolff bezieht sich auf die Ausgabe Amsterdam  (= Œuvres VII, S.  – ). Zum Unterschied von demonstratio und probatio (hier und im folgenden wiedergegeben durch Beweis und Erweis) vgl. Logica (GW II, ), §  –  und Deutsche Logik (GW I, ), Vorwort von Hans Werner Arndt, S. , Anm. . §  Metaphysik, Buch IV,   b  – , Buch XI,  b  –  a . Thomas von Aquin, Commentarium in libros Metaphysicorum (Opera Bd. , S.  ff.), IV , lect.  ; Summa theologiae (Opera Bd. , S.  ff.), I IIae, q. , art.  resp. ; II IIae, q. , art.  resp. – Suarez, Disputatio , sect. . §  f. Vgl. Elementa Astronomiae (GW II, ), II, §  f., insbesondere § , , , wo die Beobachtungen von Gassendi, Horrocks, Cassini, Huyghens, Galilei usw. für diese These angeführt werden. Im partikulären Satz verwendet Wolff quidam sowohl im Singular als auch im Plural (§  Anm.) ; die Deutsche Logik (GW I, ) legt fest : »Hingegen das Wort etliche oder einige, ist das Zeichen der besonderen Sätze.« (S. ) §  f. Kepler, Ad Vitellionem Paralipomena quibus astronomiae pars optica traditur, potissimum de artificiosa observatione et aestimatione diametrorum deliquiorumque solis et lunae, Francofurti, , c. , n.  (Opera omnia ed. Frisch, Francofurti et Erlangae, t. II, , S. , f.) Die nur schwerfällig zu übersetzenden Ausdrücke hoc, istud, illud (dieses, dieses da, jenes) sind hier mit tiefergestellten Zahlen unterschieden.

200 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51

52

53 54 55

anmerkungen

Elementa Astronomiae (GW II, ) § , , . Zur ganzen Anmerkung vgl. §  Anm. Elementa Geometriae (GW II, ) § , . Elementa Geometriae (GW II, ) § . Elementa Geometriae (GW II, ) § , . Elementa Geometriae (GW II, ) §  f. Elementa Geometriae (GW II, ) § . Vgl. Logica (GW II, ) § . Elementa Geometriae (GW II, ) § . Elementa Geometriae (GW II, ) §  f. Zum Begriff des Formierens vgl. Deutsche Logik, Kap. , §  ff. Das dem concipere verwandte conceptibile kann in der Logica (§  zusammen mit § ) eine Vorstellung der Einbildungskraft bezeichnen. Symptoma als (geometrische) Eigenschaft ist bei Henry George Liddel, Robert Scott, Henry Stuart Jones, A Greek – English Lexicon, Oxford  nachgewiesen (s. v. symptoma) ; vgl. Anfangs-Gründe aller Mathematischen Wissenschaften (GW I,  – ), Bd. , Register : »Parallel-Linien … Eigenschaften«. In Wolffs Aufsatz »Was ein Symptoma (beschwerlicher Zufall) sey. Aus den Marburgischen Neben-Stunden vom Früh-Jahre  (I,  Kleine Schriften, III. Abtheilung, No. VI.) handelt es sich nur um den medizinischen Begriff : »Dieses Kunst-Wort ist in der Artzney-Lehre angenommen …« (ebd. S. ). Elementa Geometriae (GW II, ) § , . Vgl. Meißner S. . Vgl. Elementa astronomiae (II, ) II, § , , , , wo Wolff auf folgende Titel verweist : Kepler, Astronomia nova AITIOLOGETOS seu physica coelestis, tradita commentariis de motibus stelle Martis, ex observationibus G. V. Tychonis Brahe (s. n. l.),  (Opera omnia, t. III, , S.  – ) ; Epitome astronomiae copernicanae usitata forma quaestionum et responsionum conscriptae Liber quartus doctrinae theoricae Primus : quo Physica coelestis hoc est omnium in coelo magnitudinum, motuum, proportionum causae vel naturales vel Archetypicae explicantur et sic principia doctrinae theoreticae demonstrantur, Lentiis ad Danubium, , lib. VI, pars , I De motibus excentricis, S.  – , Opera omnia, t. VI, , S. , . – Newton, Philosophiae naturalis principia mathematica, ed. Ultima, Londini , lib. II, prop. , S. , 

anmerkungen

56 57 58

59 60 61 62

63

64 65 66 67 68 69

70

201

(Opera omnia, t. II, , S. , t. III, , S. ,). – J. Bernoulli, Mémoires de l’Académie royale des science, A.  S.  f. ; doch hier irrt Wolff, statt dessen ist zu verweisen auf : Opera omnia tam antea sparsim edita quam hactenus inedita, tom. tertius quo continentur ea quae ab anno  ad hanc usque diem prodierunt, Lausannae et Genevae, , n. , S.  f. : Nouvelles pensées sur le système de Descartes. Leibniz, De primae philosophiae emendatione (Phil. Schriften IV, S. ). Leibniz, Phil. Schriften IV, S. . Statt »singularem quandam proponendi rationem« steht bei Leibniz : »Itaque peculiaris quaedam proponendi ratio necessaria est« (Phil. Schriften IV, S. ). Gemeint ist also eine der Metaphysik spezifische Methode. Zur Unterscheidung von syllogismus und ratiocinium vgl. Logica § . Theo Smyrnaeus, ed. E. Hiller, Leipzig , S. , l.  – . Diogenes Laertius, IV , § . Oder auch : Inter esse et non esse, si generaliter considerantur, nullum datur medium ; vgl. Clauberg, Metaphysica de ente, c. , §  (Opera omnia I, S. ). Auf diese Auffassung spielen an : Fonseca, In libr. Met. Aristot. Stag., IV , q. , sect. , t. I, Lugduni  S. ,  ; Suarez, Disputatio , sect. , §  –  ; zustimmend Clauberg, Metaphysica de ente, quae rectius Ontosophia, aliarum Disciplinarum, ipsiusque quoque Jurisprudentiae et Litterarum, studiosis accomodata, Amstelodami , c. , §  et nota (Opera omnia I, S. ). Die Argumentation ist an dieser Stelle nicht ganz verständlich, es könnte ein »falsum esse« ausgefallen sein. Logica (GW II, ) §  f. Logica (GW II, ) §  f. Aristoteles, Metaphysik IV ,  b  – . Unter anderen Thomas und Suarez (§). »Deutlich« und »undeutlich« wird nicht nur von Begriffen ausgesagt, sondern auch von Beweisen und Schlüssen, vgl. dazu Meißner S.  s. v. demonstratio und Deutsche Logik (GW I, ) S. . Descartes, Discours de la méthode IV, Œuvres VI, S. ,  ; Meditationes de prima philosophia II, Œuvres VII, S.  –  ; Principia philosophiae I,  (Œuvres VIII, S.  – ).

202 71 72

anmerkungen

Vgl. § . In seinem metaphysischen Werk hat Wolff diese Frage nicht mehr behandelt. kapitel  (s.  – )

73

74 75 76 77 78 79 80

81

82 83 84

In der Deutschen Metaphysik (GW I, ) §§  –  schwankt Wolff zwischen »verstehen« und »begreifen« : »Wenn ein Ding A etwas in sich enthält, daraus man verstehen kann, warum B ist, B mag entweder etwas in A, oder ausser A seyn ; so nennet man dasjenige, was in A anzutreffen ist, den Grund von B : A selbst heisset die Ursache, und von B saget man, es sey in A gegründet. (S. ) »Wo etwas vorhanden ist, woraus man begreifen kann, warum es ist, das hat einen zureichenden Grund (§ ).« (S. ) Elementa Geometriae (GW II, ) § , . §  f. Onomasticon S.  ; Deutsche Metaphysik (GW I, ) S.  : »Würcklichkeit, Existentia, Actus«. §  f. Cosmologia (GW II, ) §  f. Psychologia rationalis (GW II, ) §  f. Weigelius, Philosophia mathematica, theologia naturalis solida, per singulas scientias continuata, Universae artis inveniendi prima Stamina complectens, Ienae, , pars generalis. Vgl. Descartes, Brief CCL, Oeuvres III, S.  ; dagegen Locke, An Essay concerning human understanding, hg. von Peter H. Nidditch, . Aufl. Oxford , II, , §  – . Zu beiden vgl. Leibniz, Nouveaux essais II , §  – , Phil. Schriften V, S.  – . Elementa Geometriae (GW II, ) § . §  Anm. Im vorliegenden §  ist das thematische Grundwort nihil von Wolff durchgehend kleingeschrieben worden. An der hier mit einer Fußnote versehenen Stelle bin ich vom Original insofern abgewichen, als ich hier »Nichts« großschreibe, und zwar aus dem Grunde, weil die deutsche Orthographie bei einer Substantivierung (das Nichts) eben die Großschreibung verlangt. Es sollte dabei im Auge behalten werden, daß der hier und im weiteren sich ergebende Unterschied von Groß- und Kleinschreibung keinem expliziten Unterschied im Wolffschen Text entspricht. Bemerkenswert

anmerkungen

85

86

87 88

203

ist, daß Wolff im entsprechenden §  der Deutschen Metaphysik (GW I, ) zwischen Nichts und nichts (sinnvoll) differenziert. Guido Grandus, Quadratura circuli et hyperbolae, per infinitas hyperbolas, et parabolas quadrabiles geometrice exhibita et demonstrata. Editio altera auctior, et accuratior, in qua, praeter alia multa, ad veterem appendicem de rectificatione curvarum, altere accessit de earundem, et curvilineorum spatiorum transformatione infinitis modis expedienda, Pisis . Leibniz, Epistola … ad V. Cl. Christianum Wolffium, Professorem Matheseos Halensem, circa scientiam infiniti, Mathematische Schriften, hg. von C. I. Gerhardt, Berlin und Halle  – ,  Bde., V, S. . Elementa Analyseos (GW II, ) I, §  f. Aristoteles, Metaphysik, XI ,  b  – , versichert, dieses Prinzip sei allen alten Physikern gemeinsam. Es findet sich bei Anaxagoras, in : Die Fragmente der Vorsokratiker, Griechisch und Deutsch von Hermann Diels, . Auflage hg. von Walther Kranz, Bd. I – III, Berlin ,  A , Z. , B  ; ebenso in : David Sider (Hg.), The Fragments of Anaxagoras, edited with an Introduction and Commentary (Beiträge zur klassischen Philologie, hg. von Ernst Heitsch, Reinhold Merkelbach und Clemens Zintzen, Heft ), Meisenheim am Glan . – Empedokles, Diels / Kranz B , , auch in : Empedocles, The extant Fragments, edited with an introduction, commentary, and concordance by M. R. Wright, New Haven u. a. , , . The Poem of Empedocles. A Text and Translation with an Introduction by Brad Inwood, Toronto u. a. . – Demokrit, Diels / Kranz A , auch in : The Atomists Leucippus and Democritus, Fragments, A Text and Translation with Commentary by C. C. W. Taylor, Toronto u. a. – Melissus, Diels / Kranz B . Der genannte Grundsatz bei Anaxagoras, Empedokles und Demokrit geht letztlich auf Parmenides zurück, Fragment B  : »Und es war nicht einmal und wird nicht (einmal) sein, da es jetzt zugleich ganz ist, / eins und zusammenhängend. Denn welche Erzeugung könntest du für es erfinden? / Wohin, woher gewachsen? Weder : aus Nichtseiendem werde ich / dich sagen oder denken lassen ; denn es ist nicht sagbar noch denkbar, / daß (etwas) nicht ist. Und welches Bedürfnis hätte es auch veranlassen sollen, später oder früher, aus dem Nichts beginnend, sich zu bilden? / Also muß es entweder ganz und gar sein oder nicht.« (Parmenides. Vom We-

204

89

90 91 92

93

94 95

96 97

anmerkungen

sen des Seienden. Die Fragmente, griechisch und deutsch, herausgegeben, übersetzt und erläutert von Uvo Hölscher, Frankfurt , S. .) Vgl. Suarez, Disputatio , sect. , § , und Disputatio , sect. , §  – , der auf die Schule von Coimbra verweist ; Joannes-Baptista du Hamel, Philosophia vetus et nova ad usum scholae accomodata in regia Burgundia olim pertractata, Parisiis , t. V, tract. , S.  – , der auf Gilbertus Porretanus verweist. Descartes, Principia philosophiae, IV,  (Œuvres VIII, S. ). Psychologia empirica (GW II, ), pars I, sect. , c.  und Psychologia rationalis (GW II, ) §  f. Hier wird auf die scholastische These hingewiesen, für die, unter anderen, Thomas eingetreten ist, der die aristotelische These aufnimmt, die Seele sei die Form des organischen physischen Körpers (De anima, II, ,  a  –  a ) ; er verfeinert jedoch diese These, indem er behauptet, daß im Menschen nur die intellektuale Seele diese Funktion erfüllt (Quaestio disputata De anima (Opera omnia Bd. , S.  ff.), art. , Summa theologiae (Opera omnia Bd. , S.  ff.), Ia, q. , art. , ). Hier wird auf eine scholastische These angespielt, für die unter anderen Thomas eingetreten ist (Summa theologiae, Ia, q. , art.  resp.), der lehrt, das sinnliche und das intellektuale Begehren seien Vermögen der Seele. § , . Oder auch : Non entis nulla sunt praedicata, vgl. Scherzerus, Vademecum sive Manuale philosophicum quadripartitum continens : I Necessarias rerum definitiones, II Celebriores distinctiones, III Axiomata resoluta, IV Aurifodina distinctionum. Novam et hactenus nondum propositam methodum, qua ratione distinctiones in praemissis latentes facile erui, et quaevis argumenta de ambigua materia per limitationes solvi possint, ne tot distinctionum sartago tironibus inutiliter hactenus proposita videatur, Lipsiae , pars III, tit. , reg. , S.  ; Daniel Stahlius, Tituli XX Regularum philosophicarum quae variis exemplis illustrantur, distinctionibus declarantur et certis limitationibus accurate determinantur. Cum indice regularum, Rintelii , tit. I, reg. , S.  – . Elementa hydrostaticae (GW II, ) § . Solidum kann ebenso wie corpus Körper bedeuten : Onomasticon S. .

anmerkungen 98

99 100

101

102

103

104 105 106

205

Joannes Scheubelius, Euclidis Megarensis, Philosophi et Mathematici excellentissimi, sex libri priores de geometricis principiis, graeci et latini, una cum demonstrationibus propositionum, absque litterarum notis, veris ac propriis, et aliis quibusdam, usum earum concernentibus, non citra maximum hujus artis studiosorum emolumentum adjectis. – Algebrae porro regulae, propter numerorum exempla, passim propositionibus adjecta, his libris praemissae sunt, eaedemque demonstratae, Basileae . Es ist anzumerken, daß Scheubel, wie es im Mittelalter üblich war, den alexandrinischen Mathematiker Euklid mit dem Sokrates-Schüler Euklid (Gründer der megarischen Schule) vermischt. Mathematisches Lexikon (GW I, ) S.  : »Numerus quadratus, eine Quadrat-Zahl«. Mathematisches Lexikon (GW I, ) S.  : »Numeri arithmetice proportionales, Arithmetische Proportional-Zahlen … Ich nenne sie in meinen Elementis Arithmet. Numeros aequidifferentes«. Archimedes, De planorum aequilibris sive de centris gravitatis planorum, I (Opera omnia, ed. Heiberg, Leipzig, , vol. II, S.  f.). Oratio de Sinarum philosophia practica in solemni panegyri recitata, cum in ipso Academiae Halensis natalis XXVIII die XII Juli A. O. R., , fasces prorectorales successori traderet, notis uberioribus illustrata, Francofurti . Zweisprachige Ausgabe : Rede über die praktische Philosophie der Chinesen. Übersetzt und mit einer Einleitung herausgegeben von Michael Albrecht, Hamburg . Genauer : »nihil fit sine causa«, vgl. Scherzerus, Vademecum, pars III, tit. , reg. , S. ,  ; Stahlius, Tituli XX reg. Phil., tit. , reg. , S.  –  Anm. §  , , . §  Anm. In den Regulae ad directionem ingenii (Regula , Œuvres X, S.  ff.) zeigt Descartes, nachdem er die Berufung auf die magnetische Kraft zurückgewiesen hat, daß es absurd sei, sich auf die okkulten Qualitäten zu beziehen. In der Epistola ad G. Voetium (Œuvres VIII, S. ) stellt er seine Philosophie, die auf der Erforschung von durch das natürliche Licht erkennbaren und für das Leben nützlichen Wahrheiten beruht, den akademischen Philosophien entgegen, die zweifelhafte Meinungen und nutzlose Dinge

206

107 108 109 110 111 112

113 114 115

116

117 118 119

120 121 122 123 124

anmerkungen

aufhäufen, wie etwa die substantiellen Formen und okkulte Qualitäten. Descartes, Meditationes de prima philosophia, Secundae Responsiones (Œuvres VII, S. , ). Hier wird auf die Clarke-Leibniz-Kontroverse angespielt, vgl. dazu deren Briefe in : Leibniz, Phil. Schriften VII, S.  – . Zum Beispiel Clarke in der dritten (§ ) und fünften (§  – ) Antwort auf Leibniz. Psychologia empirica (GW II, ) § . Archimedes, De planorum aequilibriis I, Opera omnia vol. II, S. . Hier wird Archimedes übersetzt. – Das Beispiel konnte Wolff bei Leibniz lesen, Zweiter Brief an Clarke, §  (Phil. Schriften VII, S. ). Psychologia empirica (GW II, ) §  f. Psychologia empirica (GW II, ) §  f.,  f. ; Psychologia rationalis (GW II, ) §  Anm. An der zitierten Logik-Stelle ist die demonstratio completa von der demonstratio consummata (§  / ) unterschieden. Letztere bringt zu den expliziten oder impliziten Beweisprinzipien noch die Ordung hinzu. Descartes, Discours de la méthode II (Œuvres VI, S. ) ; Regulae ad directionem ingenii ,  (Œuvres X, S. , , . – von Tschirnhaus, Medicina mentis sive Artis inveniendi praecepta generalia, Lipsiae , pars II, Ib, S. , . Psychologia empirica (GW II, ) §  Anm. Vitruvius, De architectura libri decem (ed. Krohn, Lipsiae, , S. ). Hier wird Vitruv frei zitiert : »Ita quod non potest in veritate fieri, id non putaverunt in imaginibus factum posse certam rationem habere«. Wolff verweist auf die Amsterdamer Ausgabe von  (Phil. Schriften VI, S. ). Leibniz, Phil. Schriften VII, S. , . Nach Logica (GW II, ) §  und §  Anm. Archimedes, Apollonius, Theodosius, Menelaus. § . Euklid, Elementa I, (Clavius I, S. , Communes notiones … , Heiberg I, S.  – , Communes notiones … ) ; hier wird Euklid in der Übersetzung des Clavius zitiert.

anmerkungen 125

126 127 128 129 130 131 132 133 134

135 136 137 138 139 140 141 142 143 144

207

Euklid, Elementa I, Communes notiones I (Clavius I, S. , Heiberg I, S.  – ) ; hier wird Euklid in der Übersetzung des Clavius zitiert. Wolff verweist auf die Ausgabe London , lib. I, Axiomata sive leges motus, I (Opera omnia, t. II, S. ). Cosmologia (GW II, ) § . Cosmologia (GW II, ) § , . Elementa mechanicae (GW II, ) § , . Elementa mechanicae (GW II, ) c. . Elementa mechanicae (GW II, ) c. . § . § . Ludwig Philipp Thümmig, Institutiones philosophiae wolffianae, in usus Academicos adornatae, Francofurti et Lipsiae , (die Ausgabe Frankfurt a. M. und Leipzig  –  abgedruckt in GW III, . und ..), t. I, Institutiones ontologiae seu philosophiae primae, c. , § , S. , . Deutsche Metaphysik (GW I, ) § , , , . §  f. Psychologia empirica (GW II, ) §  f. ; Psychologia rationalis (GW II, ) §  f. §  f.,  f. § , . §  f. §  f. §  f. Logica (GW II, ) § . Logica (GW II, ) § .

BIBLIO GR APHIE DER SC HRIF TEN WOLFFS

– Philosophia practica universalis mathematica methodo conscripta, Leipzig . – De rotis dentatis, Leipzig . – Disquisitio philosophica de loquela, Leipzig . – Dissertatio algebraica de algorithmo infinitesimali differentiali, Leipzig . – De methodo serierum infinitarum, Leipzig . – Eclipsis solis, d. XII. maii MDCCVI in diversis Germaniae locis observata, Acta Eruditorum, Lipsiae . – Novum Systema mundi a Seb. Clerico propositum, Acta Eruditorum . – Christianus Wolfius, Mathematum Professor Publicus et Ordinarius Studiosae Juventuti in Academia Fridericiana lectiones publicas et privatas proxime inchoandas intimat, Halae . – Methodus demonstrandi veritatem religionis Christianae. Acta Eruditorum . – Astronomiae cometicae synopsis, auctore Edmundo Halejo, Acta Eruditorum . – Schediasma de inveniendo sinu anguli multiplici ex dato sinu simpli., Acta Eruditorum . – Christianus Wolffius Mathemat. Prof. Publ. et Ordinar. eröffnet seine Gedancken wegen eines Colegii Mathematici, welches er mit Gott diesen Winter über zu halten gesonnen, . – Solutio nonnullarum difficultatum circa mentem humanum obviarum, ubi simul agitur de origine notionum et facultate ratiocinandi. Acta Eruditorum Lipsiae . – Leges experientiarum fundamentales, Acta Eruditorum Lipsiae . – Nicolai Bernouilli specimina artis conjectandi, Acta Eruditorum . – Johannis Keill leges attractionis aliaque Physices principia, Acta Eruditorum . – Solutio dubii Geometrici, ab Illustrissimo Comiti ab Heberstein propositi, Acta Eruditorum .

210

bibliographie

– Descriptio meteori igniti d. XI Septembris Halae Saxonum alibique visi, Acta Eruditorum . – Consideratio Physico-Mathematica hiemis proxime praeterlapsae, . – Aerometriae Elementa, Lipsiae . – Aequationum quarundam potestatis tertiae, quintae, septimae, nonae et superiorum ad infinitum usque pergendo in terminis finitis ad instar regularum pro cubicis, quae vocantur Cardini Resolutio analytica per Abrahamum de Moivre, Acta Eruditorum . – Experimenta nonnulla de coloribus per confusionem diversorum fluidorum producendis. Acta Eruditorum . – De nova accelerationis lege, Autore Jacobo Hermanno, Acta Eruditorum . – Monitum circa experimentum de circulatione aeris per poros ligni, Acta Eruditorum . – Anfangsgründe aller mathematischen Wissenschaften, Vier Theile, Halle , , , . – Tabulae sinuum atque tangentium tam naturalium quam artificialium, Halle . – Solutio dubiorum Aerometricorum, Acta Eruditorum . – Novum Lampadum genus, inventum a Christiano Wolfio, Acta Eruditorum . – Defensio virium in corporibus existentium (A Sturmio et Leibnitio assertarum) contra nuperas objectiones, Acta Eruditorum . – Objectiones contra novam definitionem motus in Diario eruditorum Parisino exhibitam, Acta Eruditorum . – Consideratio Wenceslai Josephi Pelicani super specimine Trigonometriae Analyticae, Acta Eruditorum . – Observatio eclipsis lunaris D. Januarii  vespere facta, Acta Eruditorum . – Machina Anamorphotica ad deformandas imagines, a Speculo conico reformandas, inventa a Jacobo Leupoldo, Mechanico Lipsiensi, Acta Eruditorum . – Vernünfftige Gedancken von den Kräfften des menschlichen Verstandes und ihrem richtigen Gebrauche in Erkänntniss der Wahrheit, Den Liebhabern der Wahrheit mitgetheilet. (Deutsche Logik) Halle , , , , , , , , , , , , , . Von Wolff selbst übersetzt: Cogitationes rationales de viribus intellectus humani earumque usu legitimo in

bibliographie



– – – – – – –

– –









211

veritatis cognitione cum iis, qui veritatem amant, communicatae et nunc juxta editionem quintam ex sermone Germanico in Latinum a Christiano Wolfio translatae, Francofurti , , , . Descriptio novae antliae pneumaticae, quam nuperrime construxit Jacobus Leupoldus, Mechanicus Lipsiensis, Acta Eruditorum . Experimentum coagulationis extraordinariae, Acta Eruditorum . Responsio ad imputationes Johannis Freindii, Acta Eruditorum . Johannis Craigii Additio ad Schediasma de linearum curvarum longitudine, Acta Eruditorum . Relatio de novo Barometrorum et thermometrorum concordantium genere (Fahrenheit), Acta Eruditorum . Elementa matheseos universae, Tomus I, Halae . Elementa matheseos universae, Tomus II, Halae . Examen Corollarii tertii ad propositionem septimam Tractatus de Quadratura Circuli et Hyperbolae … exhibita a R.P. Guidone Grando, Acta Eruditorum . Nova literaria Mathematica de perpetuo mobili, Longitudini Maris et Quadratura Circuli, Acta Eruditorum . Meditatio de similitudine figurarum, praesertim curvilinearum et constructione lunularum cyclico-parabolicarum similium datamque inter se rationem habentium, Acta Eruditorum . Regula nova inveniendi logarithmum Summae vel differentiae duorum numerorum sive rationalium, sive irrationalium, tam integrorum, quam fractorum, itemque potentiarum eorundem sive similium sive dissimilium, reperta a Christiano Wolfio, Acta Eruditorum . Regula nova eaque universalis inveniendi differentiam Potentiarum duarum quarumcunque, sed ejusdem gradus, quarum radices sive unitate, sive quocumque numero alio differunt, Acta Eruditorum . Eröffnete Gedancken, über ungewöhnliche Himmels-Begebenheit, welche den  März im Jahr  des Abends nach  Uhr, zu Halle und an vielen Orten in- und ausserhalb Deutschlands gesehen worden, Halle . Mathematisches Lexikon, Leipzig .

212

bibliographie

– Explicatio phaenomeni insoliti quod d. . Mart. post septimum vespertinum Halae Saxonum et alibi observatum, Acta Eruditorum . – Appendix ad relationem de Phaenomeno luminoso, Acta Eruditorum . – Theoremata geometrica nova, quibus omnium Parabolarum, Hyperbolarum et Cissoidum in infinitum, aliarumque innumerarum curvarum novarum descriptiones simplicissimae continentur, Acta Eruditorum . – Notanda circa theoriam colorum Newtonianam, Acta Eruditorum . – Elogium Godofredi Guilielmi Leibnitii, Acta Eruditorum . – Specimen Physicae ad Theologiam naturalem adplicatae, sistens notionem intellectus divini per opera naturae illustratam, Halae Magdeburgicae , . – Auszug aus den Anfangsgründen aller Mathematischen Wissenschaften, Halle , , , . Aufl. . – Entdeckung der wahren Ursache von der wunderbahren Vermehrung des Getreydes, Halle im Magdeburgischen , . – Vorwort zu: Leutmann, Vollständige Nachricht von den Uhren und derselben Verfertigung, Halle . – Ratio praelectionum Wolffianarum in Mathesin et Philosophiam universam, Halae Magdeb. , . – Erläuterung der Entdeckung der wahren Ursache von der wunderbaren Vermehrung des Getreydes, darinnen auf die kurze und wohlgemeinte Erinnerungen, welche darüber herausgekommen, geantwortet wird, Als die andere Probe der Untersuchungen, von dem Wachsthume der Pflanzen herausgegeben, Halle im Magdeburgischen , Franckfurt und Leipzig . – Vernünfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, Auch allen Dingen überhaupt, Den Liebhabern der Wahrheit mitgetheilet, Halle , , , Franckfurt und Leipzig , , , , , Halle im Magdeburgischen ,  (Deutsche Metaphysik). – Erinnerung, wie er es künfftig mit den Einwürffen halten will, die wider seine Schrifften gemacht werden, Halle  (Anhang zur Deutschen Metaphsik). – Vernünfftige Gedancken von der Menschen Thun und Lassen, zu Beförderung ihrer Glückseeligkeit, den Liebhabern der Wahrheit

bibliographie







– – – –









213

mitgetheilet, Halle , , Franckfurt und Leipzig , , ,  (Deutsche Ethik). Vorwort zu: Köhler, Merckwürdige Schrifften, welche auf gnädigsten Befehl Ihro Hoheit der Cron-Prinszeszin von Wallis, zwischen dem Herrn von Leibniz und D. Clarke, über besondere Materien der natürlichen Religion gewechselt, Leipzig . Vernünftige Gedancken von dem gesellschaftlichen Leben der Menschen und insonderheit der gemeinen Wesen zu Beförderung der Glückseeligkeit des menschlichen Geschlechts, Den Liebhabern der Wahrheit mitgetheilet, Halle , Franckfurt und Leipzig , , , , ,  (Deutsche Politik). Allerhand nüszliche Versuche, dadurch zu genauer Erkänntnis der Natur und Kunst der Weg gebahnet wird, Den Liebhabern der Wahrheit mitgetheilet, Halle im Magdeburgischen –, –,  vol. (Deutsche Experimental-Physik). Vorwort zu: Leutmann, Vollständige Nachricht von Uhren; erste Continuation, Halle . Vorwort zu: Sturm, Physica electiva sive hypothetica, Tomi II, Norimbergae . Sicheres Mittel wider ungegründete Verleumdungen, wie denenselben am besten abzuhelfen, Halle . Vernünfftige Gedancken von den Würkungen der Natur, Den Liebhabern der Wahrheit mitgetheilet, Halle im Magdeburgischen , , . Auflage Franckfurt und Leipzig  (Deutsche Physik). Erinnerung wider diejenigen, die in seiner Metaphysick den Spinosismum entdeckt zu haben vermeynen, Neue Zeitungen von gelehrten Sachen, Leipzig . De differentia nexus rerum sapientis et fatalis necessitatis nec non systematis harmoniae praestabilitae et hypothesium Spinosae luculenta commentatio. In qua simul genuina Dei existentiam demonstrandi ratio expenditur et multa religionis naturalis capita illustrantur, Halae Magdeburg. , . Monitum ad commentationem luculentam de differentia nexus rerum sapientis et fatalis necessitatis, quo nonnulla sublimia metaphysicae ac theologiae naturalis capita illustrantur, Halae Magdeb. , . Vernünfftige Gedancken von den Absichten der natürlichen Dinge, Den Liebhabern der Wahrheit mitgetheilet, Halle , ,

214









– –







bibliographie

Franckfurt und Leipzig , , . Auflage  (Deutsche Teleologie). Herrn D. Joh. Francisci Buddei S. S. Theol. P.P.O. zu Iena Bedenkken über die Wolffianische Philosophie mit Anmerckungen erläutert von Christian Wolffen, Hochfürst. Hessischen Hoff-Rath und Matheseos et Philosophiae Professore Primario zu Marburg. Der Kön. Grosz-Britannischen und kön. Preus. Societäten der Wissenschafften Mitgliede, Franckfurt am Mayn . Des Herrn Doct. und Prof. Joachim Langens oder: Der Theologischen Facultaet zu Halle Anmerckungen über des Herrn Hoff. Raths und Professor Christian Wolffens Metaphysicam von denen darinnen befindlichen so genannten der natürlichen und geoffenbarten Religion und Moralität entgegen stehenden Lehren. Nebst beygefügter Gründlicher Antwort. Cassel . Anmerckungen über die vernünfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt, zu besserem und bequemeren Gebrauche derselben heraus gegeben, Franckfurt am Mayn . Erneut herausgegeben als: Der vernünfftigen Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt, Anderer Theil, bestehend in ausführlichen Anmerckungen, und zu besserem Verstande und bequemerem Gebrauche derselben herausgegeben, Franckfurt am Main , , , . Nötige Zugabe zu den Anmerckungen über Herrn D. Buddens Bedencken von der Wolffischen Philosophie, auf Veranlassung der Buddeischen Antwort herausgegeben, Franckfurt am Main . Examen systematis solium dimidiatorum, Marburgi Cattorum . Vernünftige Gedancken von dem Gebrauche der Theile in Menschen, Thieren und Pflanzen, Den Liebhabern der Wahrheit mitgetheilet, Franckfurt und Leipzig , , , . Auflage  (Deutsche Physiologie). Anmerckungen über der Theolog. Facultaet zu Tübingen Responsum wegen der Wolffischen Philosophie, , in: Ludovici, Sammlung und Auszüge …, Anderer Theil, n. , S. –. Anmerckungen über der Philos. Facultaet zu Tübingen Responsum über seine Philosophie, , in: Ludovici, Sammlung und Auszüge, n. , S. –. Klarer Beweisz, dasz Herr D. Budde die ihm gemachten Vorwürffe

bibliographie

– –

– – –







– –

– – – –

215

einräumen und gestehen musz, Er habe aus Übereilung die ungegründeten Auflagen der Hällischen Wiedersacher recht gesprochen zu Vertheidigung der Wahrheit herausgegeben, Franckfurt am Mayn . Oratio de Sinarum philosophia practica, Francofurti ad Moenum . Ausführliche Nachricht von seinen eigenen Schriften, die er in deutscher Sprache von den verschiedenen Theilen der Welt-Weisheit heraus gegeben, auf Verlangen ans Licht gestellet, Franckfurt am Mayn . Principia Dynamica, Petropoli . Phaenomenon singulare de modo pomifera absque floribus ad rationes physicas revocatum, Marburgi . ex Decreto et Auctoritate Venerandi Philosophorum ordinis in Inclyta Academia Marburgensi ad Theses philosophicas sequentes, Praeside Christiano Wolfio …,V. Magisterii Philosophici Competitores … Magnifico et Amplissimo Senatui Academico publice in Auditorio ad Lanum solenni respondebunt, Marburgi Cattorum . Philosophia rationalis sive Logica … Praemittitur Discursus preliminaris de philosophia in genere, Francofurti et Lipsiae , , , Veronae , . Monitum de sua philosophandi ratione, inserviens loco responsionis ad ea, quae occasione operis sui logici non nemo monuit in Actis eruditorum anni , p. , Acta eruditorum . Horae subsecivae Marburgenses Anni MDDCCXXIX, quibus philosophia ad publicam privatamque utilitatem aptatur, Francofurti et Lipsiae . Philosophia prima sive Ontologia, Francofurti et Lipsiae , , Veronae , , Hildesheim . Elementa matheseos universae. Tomus I, Halae Magdeburgicae . Erweiterte Neuausgabe in fünf Bänden der Ausgabe in zwei Bänden  und . Horae subsecivae Marburgenses Anni MDCCXXIX, Francofurti et Lipsiae . Cosmologia generalis, Francofurti et Lipsiae . Vorwort zu: Schreiber, Elementis medicinae physico-mathematicae praemittenda, Lipsiae . Vorwort zu: Cramer, Jura de pacto hereditario renunciativo filiae nobilis, Marburgi .

216

bibliographie

– Horae subsecivae Marburgenses Anni MDCCXXX, Francofurti et Lipsiae . – Psychologia empirica, Francofurti et Lipsiae . – Horae subsecivae Marburgenses Anni MDCCXXX, Francofurti et Lipsiae . – De signo virtutis infucatae cum scientia et eruditione conjungendae, Marburgi . – Vorwort zu : Johann Bernh. Nieuwentyd, Erkenntnis der Weisheit, Macht und Güte des göttlichen Wesens, übersetzt von Baumann, . – Elementa Matheseos universae, Tomus II, Francofurti et Lipsiae . – Vorwort zu: Hagen, Meditationes philosophicae de methodo mathematica, Norimbergae . – Vorwort zu: Grotius, De Jure belli ac pacis, Marburgi . – Psychologia rationalis, Francofurti et Lipsiae . – Vorwort zur neuen Edition von Thümmig, Versuch einer gründlichen Erläuterung der merckwürdigsten Begebenheiten der Natur, Marburg . – Elementa Matheseos universae, Tomus III, Halae Magdeburgicae . – Horae subsecivae Marburgenses Anni MDCCXXXI, Francofurti et Lipsiae . – Theologia naturalis, Pars Prior, Francofurti et Lipsiae . Deutsche Übersetzung von Hagen: Natürliche Gottesgelahrtheit nach beweisender Lehrart abgefasset, Erster Theil, Halle. – Ausführliche Beantwortung der ungegründeten Beschuldigungen Hrn. D. Langens, die er auf Ordre Ihro Königl Majest. In Preussen entworffen, in: Ludovici, Sammlung und Auszüge, Erster Theil, n. , S. –. – Kurzer Inhalt der ausführlichen Beantwortung, in: Ludovici, Sammlung und Auszüge, Erster Theil, n. , S. –. – D. Langens Kunstbegriffe durch Sophisterey den Leser einzunehmen, und wem er seine Einwürffe wider die Harmoniam praestabilitam abgeborget, entworffen und nebst der ausführlichen Antwort an Sc. Königl. Maj in Preussen eingesandt, in Ludovici, Sammlung und Auszüge, Erster Theil, S. –. – Antwort des Herrn Regierungs-Rath Wolffens zu Marburg Auf zweymahlige Zuschrifft des Dechants L. Weiszmüller zu Wasser-

bibliographie





– – – – –

– – – – –

– – – – – –

217

strüdingen, Die verbesserte Einrichtung der Philosophie betreffend, in: Ludovici, Sammlung und Auszüge, Erster Theil, n. , S. –. Theologia naturalis, Pars posterior, Francofurti et Lipsiae . Deutsche Übersetzung von Hagen: Natürliche Gottesgelahrtheit nach beweisender Lehrart abgefasset, Zweyter Theil, Halle. Vorwort zu: Berger, Versuch einer gründlichen Erläuterung merckwürdiger Begebenheiten in der Natur, wodurch man zu ihrer innersten Erkänntnisz geführet wird, Erstes Stück, Lemgo . Horae subsecivae Marburgenses Anni MDCCXXXI, Francofurti et Lipsiae . Elementa Matheseos universae, Tomus IV, Halae Magdeburgicae . Philosophia practica universalis, Pars prior, Francofurti et Lipsiae . Philosophia practica universalis, Pars posterior, Francofurti et Lipsiae . Vorwort zu : Joh. Chr. Augsburg, Jura de dominio pactisque dominium acquisitivis, seu ad transferendum dominium habilibus, Marburgi . Jus naturae, Pars prima, Francofurti et Lipsiae . Vorwort zur deutschen Übersetzung von: Forest de Belidor, Architecture hydraulique, Augsburg . Elementa Matheseos universae, Tomus V, Halae Magdeburgicae . Programma de necessitate methodi scientificae et genuino usu juris naturae ac gentium, Halae . Vorwort zu: Süszemilch, Die göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechts aus Geburt, Tod und Fortpflanzung derselben erwiesen, Berlin . Horae subsecivae Marburgenses Anni MDCCXXXI, Francofurti et Lipsiae . Jus naturae, Pars secunda, Halae Magdeburgicae . Vorwort zu: Zollmann, Vollständige Anleitung zur Geodäsie oder practischen Geometrie, Halle im Magdeburgischen . Jus naturae, Pars tertia, Halae Magdeburgicae . Vorwort zur deutschen Übersetzung von: Bruzen de la Martinière, Grand dictionnaire géographique et critique, Leipzig . Vorwort zu: Stiebritz, Philosophia Wolfiana contracta, II Tomi, Halae .

218

– – – –

– – – – –

– – –

– – – – – – – – – –

bibliographie

Jus naturae, Pars quarta, Halae Magdeburgicae . Jus naturae, Pars quinta, Halae Magdeburgicae . Vorwort zu: Bernsau, Theologia dogmatica, Pars prima, Halae . Vorwort zu: Michael, Catalogus praestantissimi thesauri librorum et manuscriptorum Joannis Petri de Ludewig, Halae Magdeburgicae . Jus naturae, Pars sexta, Halae Magdeburgicae . Jus naturae, Pars septima, Halae Magdeburgicae . Vorwort zu: Hertel, Vollständige Anweisung zum Glasschleifen, Franckfurt, Leipzig . Jus naturae, Pars octava sive ultima, Halae Magdeburgicae, . Vorwort zur deutschen Übersetzung von: de Hales, Vegetable Statiks, or an Account of some statical experiments on the sap in vegetables, Halle . Jus Gentium, Halae Magdeburgicae . Vorwort zur deutschen Übersetzung von: de Chomel, Dictionnaire économique, I. Teil, Leipzig . Institutiones juris naturae et gentium, Halae Magdeburgicae . Deutsche Übersetzung: Gründsatze des Natur- und Völkerrechts, auf Verlangen aus dem Lateinischen ins Teutsche überseszt von Gottlieb Samuel Nicolai, Halle . Philosophia moralis sive Ethica, Pars prima, Halae Magdeburgicae . Philosophia moralis sive Ethica, Pars secunda, Halae Magdeburgicae . Philosophia moralis sive Ethica, Pars tertia, Halae Magdeburgicae, . Philosophia moralis sive Ethica, Pars quarta, Halae Magdeburgicae . Vorwort zur deutschen Übersetzung von: Scamozzi, L’idea della architettura universale, Franckfurt und Leipzig . Philosophia moralis sive Ethica, Pars quinta, Halae Magdeburgicae . Vorwort zu: Bertling, Theologiae moralis Elementa, Halae . Oeconomica, Pars prima, Halae Magdeburgicae . Eigene Lebensbeschreibung, herausgegeben mit einer Abhandlung über Wolff von Heinrich Wuttke, Leipzig . Gesammelte kleine philosophische Schriften, Halle im Magdeburgischen .

bibliographie

219

– Gesammelte kleine philosophische Schriften, zweyter Theil, Halle im Magdeburgischen . – Gesammelte kleine philosophische Schriften, dritter Theil, Halle im Magdeburgischen . – Gesammelte kleine philosophische Schriften, vierter Theil, Halle im Magdeburgischen . – Gesammelte kleine philosophische Schriften, fünffter Theil, Halle im Magdeburgischen, . – Gesammelte kleine philosophische Schriften, sechster und lezter Theil, Halle im Magdeburgischen . – Des Weyland Reichs-Freyherrn von Wolff übrige theils noch gefundene kleine Schriften, Halle . – Meletemata Mathematico-Philosophica, Halae Magdeburgicae .

Z EIT TAFEL

¶ – Christian Wolff (in seinen früheren Schriften und bei anderen auch Wolf ) wurde am . Januar  in Breslau als Sohn eines Gerbers geboren. In seinem Elternhaus erfuhr er eine religiös geprägte Erziehung, durch ein Gelübde seines Vaters war er dem Predigtamte gewidmet. Die Klassen des Magdalenengymnasiums absolvierte er regelmäßig. Unter seinen Lehrern kommt dem Rektor Gryphius (Sohn des bekannten Dichters), Pohl, Kranz, Neumann eine besondere Bedeutung zu. Schon auf dem Gymnasium kommt er mit der Philosophie in Berührung, insbesondere mit Logik und Ontologie. Mit der katholischen Religionslehre machte sich Wolff durch den Umgang mit Jesuitenschülern, den Besuch des katholischen Gottesdienstes und die Lektüre von Carbons Kompendium der Summa theologiae des Thomas von Aquin bekannt. Sein Interesse an der Mathematik, dem er nur autodidaktisch folgen konnte, war durch das Bestreben motiviert, für die Theologie eine sichere Methode zu gewinnen, um die Glaubensätze zu beweisen und den dogmatischen Streitigkeiten ein Ende zu machen. ¶ –  ging Wolff an die Universität Jena, er studierte Mathematik, Physik, Theologie, Rechtswissenschaft, wobei er wieder weitgehend autodidaktisch arbeitete. Er kam zur Lektüre von Tschirnhausens Medicina mentis und lernte diesen bedeutenden Philosophen bei einem Besuch in Leipzig kennen. ¶ – Wolff ging  nach Leipzig zur Magisterprüfung und nach erneutem einjährigen Aufenthalt in Jena zur Habilitation aufgrund seiner Abhandlung De philosophia practica universali methodo mathematica conscripta. Diese Arbeit trug ihm die Mitarbeit an den Acta Eruditorum und die Anerkennung Leibnizens ein, dem seit  ein Briefwechsel folgte. Durch Leibniz wurde er mit der Lehre von der prästabilierten Harmonie und der Fluxionsrechnung bekannt, auch davor gewarnt, den Syllogismus als Mittel zur Auffindung der Wahrheit zu verwerfen, wie dies noch Tschirnhausen getan hatte. Wolff las mit wachsendem Beifall über Mathe-

222

zeittafel

matik, Physik und Philosophie, insbesondere über Logik und Metaphysik, obgleich Leibniz ihn lieber in der Mathematik festgehalten hätte. Er predigte öfter, zuletzt  in Leipzig und wurde gern gehört. Wie immer war Wolff sehr fleißig, er las täglich bis zu sechs Stunden. Allerdings konnte er nicht Assessor der philosophischen Fakultät werden, weil die gesetzlich zugelassene Zahl der Beisitzer für die polnische Nation, zu der die Schlesier gehörten, bereits erreicht war.  lehnte er einen Ruf an das akademische Gymnasium zu Danzig ab. ¶ – Nachdem Wolff zunächst Berufungsverhandlungen mit der Universität Gießen geführt hatte, wurde ihm von Hoffmann und Stryck angeboten, an der Universität Halle als Lehrer der Mathematik zu bleiben. Am . November  wurde er als Professor der Mathematik und Naturwissenschaften mit einem Gehalt von  Thlrn. in Halle angestellt und eröffnete seine Vorlesungen Anfang . Er beschränkte sich zunächst auf die reine und angewandte Mathematik, lehrte dann auch Physik und schließlich Philosophie, in der er es bald zu einem umfangreichen Auditorium brachte, zu einigem Ärger der Theologen. Es bestand zu dieser Zeit ein großes Bedürfnis nach philosophischer Lehre, zumal da das Fach in Halle durch Thomasius, der in erster Linie Jurist war, und Rüdiger nur schwach vertreten war. Wolff entwickelte hier mit großem Erfolg sein System, das zwar sehr durch Leibniz angeregt war, aber doch deutlich ein eigenes Gepräge annahm. Seinen zahlreichen Veröffentlichungen folgte bald die entsprechende Anerkennung.  erhielt er einen Ruf nach Wittenberg, dessen Ablehnung ihm den Hofratstitel einbrachte, ebenso nach Petersburg. Der Ruf nach Petersburg wiederholte sich ; nach Peters des Großen Tod suchte ihn die Kaiserin Katharina I.  als Vicepräses der Petersburger Akademie mit einem Gehalt von  Thlrn zu gewinnen, sie verlieh ihm trotz seiner Ablehnung den Titel eines Professors und ein Jahresgehalt von  Thlrn., das er bis zu seinem Tode bezog.  bemüht sich Jena, Wolff als Nachfolger Hambergers zu gewinnen. Durch Leibniz’ Empfehlung wurde er Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften,  der Londoner Akademie und später auch der Pariser Sozietät der Wissenschaften. In Halle jedoch erregte seine Lehre Anstoß bei den Theologen, die in ihm den Deterministen und Rationalisten sahen. Zum Eklat kam

zeittafel

223

es, als Wolff  in seiner Rede De Sinarum philosophia practica (zur Übergabe des Prorektorats) unter anderem die Ansicht vertrat, daß man unbeschadet anderer göttlicher Gnadenwirkungen auch ohne Offenbarung zu einer menschlichen Glückseligkeit gelangen könne. Breithaupt predigte sofort gegen diesen vermeintlichen Frevel und Francke forderte namens der Fakultät die Niederschrift der Rede. Der Streit zog sich einige Zeit dahin und hätte durchaus noch gütlich beigelegt werden können. Als aber die Generale v. Löben und v. Natzmer, Freunde des Halleschen Pietismus, dem König darlegten, daß der wolffsche Determinismus auch jeden Soldaten, welcher der Vorherbestimmung zufolge fortlaufe, straffrei mache, handelte der erzürnte Herrscher. Ohne Anhörung seiner Minister verfügte er am . November , daß Wolff seines Amtes sofort zu entsetzen sei und binnen achtundvierzig Stunden bei Strafe des Stranges die königlichen Länder zu räumen habe. Noch  verbot ein königlicher Befehl den Gebrauch der wolffschen Schriften bei Karrenstrafe. ¶ – Wolff verfügte sich nach Merseburg und nahm von dort einen Ruf nach Marburg an, den er schon im Juni  vom Landgrafen von Hessen-Kassel erhalten hatte. Der Wechsel nach Marburg erregte die europäische Öffentlichkeit. Es gab Versuche, ihn für Leipzig, Utrecht und das neugegründete Göttingen zu gewinnen. Die Auseinandersetzung um seine Lehre belebte sich.  zählte Ludovici in seinem ausführlichen Entwurf einer vollständigen Historie der wolffschen Philosophie über  Streitschriften auf. Wolff selbst ging in Marburg daran, sein Werk zu überarbeiten und auszubauen und wollte mit seinen lateinischen Publikationen nicht nur auf Deutschland, sondern das ganze gebildete Europa wirken. Durch die Wirkung der Generale v. Grumkow und Leopold von Dessau und des Hofpredigers Reinbeck änderte sich die Stimmung in Berlin; Friedrich Wilhelm I. versuchte, Wolff wiederzugewinnen. Dies gelang aber erst Friedrich II., der Wolff zunächst an die Berliner Akademie berufen wollte. Dies lehnte Wolff ab, nicht zuletzt wegen des dort herrschenden französischen Einflusses. ¶ – So wurde denn Wolff schließlich am . September  als Geheimer Rat und Vizekanzler mit einem Gehalt von  Thlrn. nach Halle zurückberufen und hielt dort am . Dezember

224

zeittafel

seinen feierlichen Einzug. Nach dem Tod des Kanzlers Ludewig trat Wolff an seine Stelle. Die Gunst des Königs behielt er zeitlebens. Wolffs Lehrtätigkeit dieser Periode in Halle fand nicht mehr den rechten Anklang, die Gründe dieses Mißerfolgs sind jedoch nicht eindeutig zu benennen. Unter den Studenten zeigte sich ein gewisser Überdruß an seiner ohnehin trockenen Methode, die Lehrart der Gebrüder Baumgarten war nun mehr nach ihrem Geschmack. Zudem fiel der belebende Gegensatz gegen den Pietismus fort, der den Höhepunkt seines Wirkens überschritten hatte. Wolff selbst zeigte nach seinem Erfolg ein verständliches Ruhebedürfnis, konzentrierte sich aber auf seine nach wie vor fruchtbare schriftstellerische Tätigkeit. Selbst sein Gönner Friedrich II., dem er jeden Band seines achtteiligen Jus naturae widmete, mahnte vorsichtig Kürze an. Wolffs äußere Stellung ist zu dieser Zeit als ansehnlich zu bezeichnen. Der Reichsverweser Kurfürst Max Josef von Baiern ernannte ihn  zum Reichsfreiherrn, er erwarb das Rittergut Kl.Dölzig und konnte sich eine standesgemäße Lebensführung leisten. Nach dem frühen Tod zweier Kinder hinterließ er einen Sohn Ferdinand. Wolff starb nach längerem Gichtleiden am . April  im sechsundsiebzigsten Lebensjahr in Halle.

PER SONENREGISTER

Zahlen bezeichnen Paragraphen. Der Zusatz A verweist auf eine Anmerkung. Archimedes 71, 73 Aristoteles 29, 54 A Bernoulli, Johann 50A Clarke, Samuel 75A Clauberg, Johannes 7A Descartes 7A , 27A , 55A , 63A , 71A Diogenes Laertius 51A Euklid 9A , 51A , 70A , 75A Feller, Joachim Friedrich 7A Grandus, Guido 61A Kepler 12, 33A , 50A Konfuzius 71 Leibniz 7A , 25A , 51A , 61A , 71, 75A , 76A Lentulus, Cyriacus 7A Mathematiker 4 A , 48A , 50A , 51, 76A

Newton, Isaac 50A , 66A , 75A Paulus 66A Platon 51A Scheubel, Johann 70A Scholastiker 1A , 2A , 7A , 11, 12, 13A , 14, 15, 20A , 22, 24, 29, 63A , 71A Sextus Empiricus 27A Sozinianer 75A Theo Smyrnaeus 51A Thümmig, Ludwig Philipp 77A von Tschirnhaus, Ehrenfried Walther 74 A Vitruv 74 A Weigel, Erhard 57A Witelo 33A Xenokrates 51A

SAC HREGISTER

Zahlen bezeichnen Paragraphen. Der Zusatz A verweist auf eine Anmerkung. Aliquid. Definitio Etwas. Definition 59 Certitudinis principium Prinzip der Gewißheit 55 Contradictio. Definitio Widerspruch. Definition 30 – quibusnam propositionibus contineatur In welchen Sätzen ein Widerspruch enthalten ist 31, 33 Contradictio propositionum universalium quomodo eruatur Wie ein Widerspruch universeller Sätze ermittelt wird 34, 35, 38 ff. Definitio nominalis quando contradictoria Wann eine Nominaldefinition widersprüchlich ist 43 Definitio nominalis quando a contradictione libera Wann eine Nominaldefinition widerspruchsfrei ist 45 Demonstratio cur ad exempla applicata exhibenda Warum ein Beweis durch Anwendung auf Beispiele geführt werden muß 70A Exclusio medii inter contradictoria Die Ausschließung des Mittleren zwischen Kontradiktorischem 52, 53 – an sub principio contradictionis contineatur Ob die Ausschließung des Mittleren zwischen Kontradiktorischem unter dem Widerspruchsprinzip enthalten ist 54 Hypothesis philosophica quando contradictoria Wann eine philosophische Hypothese widersprüchlich ist 44 Mundus fabulosus qualis Wie beschaffen die Fabelwelt ist 77 – ejus singularis usus Ihr einzigartiger Nutzen 77 Mundus verus cur a fabuloso differat Warum sich die wahre Welt von der Fabelwelt unterscheidet 77 Nihilum. Definitio Nichts. Definition 57 – quando mentiatur ens Wann es ein Seiendes vortäuscht 58 – relatio ad aliquid Seine Beziehung zu etwas 60 – an aliquoties positum fiat aliquid Ob es etwas wird, wenn es einige Male gesetzt worden ist 61 – an infinities positum fit dimidium Ob es die Hälfte wird, wenn es unendliche Male gesetzt worden ist 61

228

sachregister

– num contineat rationem, cur aliquid sit Ob es den Grund enthält, warum etwas ist 66 – principia varia Verschiedene Prinzipien 66 ff. – an ea sint utilia Ob sie nützlich sind 66A – cur praecipitanter de eodem judicetur Warum aus Übereilung über es geurteilt wird 62 Notiones ontologicae quomodo eruantur Wie ontologische Begriffe herausgearbeitet werden 20 Ontologia. Definitio Ontologie. Definition 1 – ratio denominandi Grund dieser Bezeichnung 1A – methodus ei conveniens Die ihr zukommende Methode 4, 6 – an sit scientia Ob sie eine Wissenschaft ist 5 – cur autor eam excoluerit Warum der Autor sie ausgebildet hat 6 – an sit Lexicon philosophicum Ob sie ein philosophisches Lexikon ist 25, 26 – elogia Lobsprüche 25A Ontologia artificialis. Definitio Die künstliche Ontologie. Definition 23 – utilitas & praerogativae Nützlichkeit und Vorzüge 24 Ontologia naturalis quaenam sit Was die natürliche Ontologie ist 21 – quid in ea praestiterint Scholastici Was die Scholastiker in ihr geleistet haben 22 Ontologia scholastica quomodo emendetur Wie die scholastische Ontologie verbessert wird 7 – ejus objectum Ihr Gegenstand 8 – usus Ihr Nutzen 9 – cur rideatur Warum sie verlacht wird 25A Philosophia prima. Qua circumspectione in eadem sit opus Erste Philosophie. Welche Umsicht in ihr vonnöten ist 54 A – quomodo autor eidem lucem affuderit Wie der Autor Licht in die Erste Philosophie gebracht hat 51A Principia prima omnium disciplinarum ubi reperiantur Wo sich die ersten Prinzipien aller Wissenschaften finden 9A Principia sine probatione sumta quomodo iisdem caute utamur Wie wir Prinzipien, die ohne Erweis angenommen wurden, mit Vorsicht gebrauchen 76 Principium contradictionis. Fundamentum Widerspruchspinzip. Grundlage 27

sachregister

229

– tenor Formel 28 – nomen & historia Name und Geschichte 29 – an sub eo contineatur exclusio medii inter contradictoria Ob die Ausschließung des Mittleren zwischen Kontradiktorischem unter ihm enthalten ist 54 – cur sit fons omnis certitudinis Warum es die Quelle aller Gewißheit ist 55 Principium rationis sufficientis. Definitio & historia Prinzip des zureichenden Grundes. Definition und Geschichte 71 – quomodo a priori probetur Wie es a priori erwiesen wird 70 – quomodo probetur a posteriori Wie es a posteriori erwiesen wird 72, 73 – num experientiae conforme Ob es mit der Erfahrung übereinstimmt 72 – num menti nostrae naturale Ob es unserem Geist natürlich ist 74 – an absque probatione sumi possit Ob es ohne Erweis angenommen werden kann 75 – quomodo sine probatione sumtum certius evadat Wie es als ohne Erweis angenommenes gewisser wird 76 – ejus utilitas Seine Nützlichkeit 75A Propositiones quaenam a contradictione liberae Welche Sätze widerspruchsfrei sind 36, 37 Propositiones contradictoriae quaenam sint Welche Sätze widersprüchlich sind 32 – earum quantitas & qualitas Ihre Quantität und Qualität 32 Propositionum universalium analysis nova Neue Analyse universeller Sätze 34, 35, 38, 51 – ejus utilitas Nützlichkeit der neuen Analyse universeller Sätze 51 Ratio quomodo a causa differat Wie sich der Grund von der Ursache unterscheidet 71A Ratio sufficiens. Definitio Zureichender Grund. Definition 56 – unde ejus claritas pendeat Wovon seine Klarheit abhängt 56 Sceptici quid negarint Was die Skeptiker verneinten 27A Sumtio quando contradictoria Wann eine Annahme widersprüchlich ist 41, 42 – quando a contradictione libera Wann eine Annahme widerspruchsfrei ist 45

230

sachregister

– quomodo id detegatur a priori Wie dies a priori aufzudecken ist 46 – a posteriori Wie dies a posteriori aufzudecken ist 47 – quomodo idem demonstretur Wie dasselbe bewiesen wird 49, 50 Termini ontologici quales sint Wie beschaffen ontologische Ausdrücke sind 13, 14, 16 – cur obscuri videantur Warum sie dunkel scheinen 15 ff. Terminus inanis quid denotet Was ein leerer Ausdruck bezeichnet 63, 64 – num per eum possit reddi ratio Ob durch ihn ein Grund angegeben werden kann 65 in Veritate investiganda quaenam tolerentur Was in der Erforschung der Wahrheit zu dulden ist 50A Veritas rerum a quibus principiis pendeat Von welchen Prinzipien die Wahrheit der Sachen abhängt 77A

Hans-Martin Gerlach (Hg.) Christian Wolff – seine Schule und seine Gegner Heft 12,2 der Zeitschrift »Aufklärung«. 2001. 144 Seiten. ISBN 3-7873-1455-5. Kartoniert.

B

is weit in die Mitte des 20. Jahrhunderts schien die Marginalisierung der Philosophie Christian Wolffs als unzeitgemäße Popularphilosophie endgültig zu sein. Doch dann erschien mit dem schnell wachsenden Interesse an der Aufklärung als typischer Geisteshaltung einer historischen Epoche in Europa und aufgrund verbesserter philologisch-editorischer Basisarbeit Wolffs Philosophieren und das seiner Schüler und Gegner erneut und nunmehr in einem anderen Licht. Untersucht wird die Rolle Wolffs und seines Denkens sowie seiner Schüler und Gegner vom Standpunkt einer die engen philosophischen Theoriefelder und lokalen bzw. territorialen Grenzen überschreitenden Betrachtungsweise aus. Dabei stehen Kontroversen im Licht des Interesses, die sich schon an jenem universitären

Ursprungsort frühaufklärerischen Denkens – also in Halle – genauso abzuzeichnen begannen wie das Pro- und Kontra-Wolff etwa im benachbarten sächsischen Leipzig. Neben Überlegungen zu Voraussetzungen und Hauptdimensionen der Wolffschen Ontologie mit besonderer Berücksichtigung Leibnizschen Denkens wird schließlich der Wirkungskreis in wesentlichen Positionen ausgeschritten, den Wolffs Denken vornehmlich in Mittel-, Ost- und Südosteuropa im 18. Jahrhundert gewonnen hatte.

Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis an ! FELIX MEINER VERLAG Richardstraße 47 | 22081 Hamburg www.meiner.de