Krankheit des Zeitalters oder heilsame Provokation?: Skeptizismus in der nachkantischen Philosophie 9783846760345, 9783770560349, 3770560345

Der Skeptizismus ist der advocatus diaboli der Philosophie. Welche Immunisierungsstrategien fand man gegen ihn? Zu den s

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Krankheit des Zeitalters oder heilsame Provokation?: Skeptizismus in der nachkantischen Philosophie
 9783846760345, 9783770560349, 3770560345

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Martin Bondeli · Jiří Chotaš · Klaus Vieweg (Hg.) Krankheit des Zeitalters oder heilsame Provokation?

Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

jena-sophia Studien und Editionen zum deutschen Idealismus und zur Frühromantik Herausgegeben von Christoph Jamme und Klaus Vieweg Abteilung II – Studien Band 14

2016 Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

Krankheit des Zeitalters oder heilsame Provokation? Skeptizismus in der nachkantischen Philosophie

Herausgegeben von Martin Bondeli · Jiří Chotaš Klaus Vieweg Unter Mitwirkung von Silvan Imhof, Jindřich Karásek und Folko Zander

Wilhelm Fink Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

Die Herausgeber danken der Schweizerischen Akademie der Geistesund Sozialwissenschaften, der Tschechischen Agentur zur Unterstützung der Wissenschaft (GACR P401/13/303785), der Tschechischen Akademie der Wissenschaften (RVO 67985955) und der Friedrich-Schiller-Universität Jena für die freundliche Unterstützung. © Karls-Universität Prag, Philosophische Fakultät, 2016, für die Beiträge von Jindřich Karásek und Tereza Matějčková Umschlagabbildung: Jena – Blick vom Philosophengang (um 1810) kolorierte Radierung von F. W., Stadtmuseum Jena

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte, Zeichnungen oder Bilder durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 UrhG ausdrücklich gestatten. © 2016 Wilhelm Fink, Paderborn Wilhelm Fink GmbH & Co. Verlags-KG, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn Internet: www.fink.de Einbandgestaltung: Evelyn Ziegler, München Printed in Germany Herstellung: Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Paderborn ISBN 978-3-7705-6034-9 Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

Inhalt Martin Bondeli, Jiří Chotaš, Klaus Vieweg Vorwort .....................................................................................

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I. RENAISSANCE DER SKEPSIS NACH KANT Klaus Vieweg Gegen die Zweifelsucht? Skizze zum nachkantischen Skeptizismus ..............................................................................

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Manfred Baum Bemerkungen über den Skeptizismus bei Kant und Schulze ....

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Jiří Chotaš Stäudlin über die Krankheit des Zeitalters ................................

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II. REINHOLD, SCHULZE UND MAIMON Martin Bondeli Der „Gegenstand“ der Vorstellung. Der neuralgische Punkt in der Kontroverse zwischen Reinhold und Gottlob Ernst Schulze ......................................................................................

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Martin Vrabec Schulzes Konzeption der unmittelbaren Erkenntnis und Hegels Kritik .............................................................................

79

Silvan Imhof Maimon zwischen Reinhold und Schulze .................................

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Faustino Fabbianelli Ist Philosophie eine reale Wissenschaft? Reinholds Auffassung des Skeptizismus und seine Auseinandersetzung mit Maimon ............................................................................... 111

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INHALT

Břetislav Horyna Aufgang und Untergang der Sonne. Das Dasein der Anschauungen, der Begriffe und der Ideen im Menschen wie auch in den Skeptikern in der Darstellung von Gottlob Ernst Schulze............................................................................. 135

III. FICHTES AUSEINANDERSETZUNG MIT DER REINHOLD-SCHULZE-DEBATTE Daniel Breazeale Reinhold/Schulze/Fichte: A Re-Examination ........................... 151 Andreas Schmidt Wahrnehmung und Anschauung. Über Fichtes Antwort auf Aenesidemus ............................................................................. 181 Suzanne Dürr Skeptizismus und System bei Fichte ......................................... 195

IV. SCHLEGEL, SCHELLING UND HEGEL Johannes Korngiebel Friedrich Schlegels Idee der systemimmanenten Skepsis ......... 215 Jindřich Karásek Zirkel des Denkens. Zu Schellings Kritik von Fichtes transzendentalem Argument ...................................................... 237 Tereza Matějčková Führt das Wissen zu nichts? Nihilismus als äußerste Gestalt des Skeptizismus bei Jacobi, Fichte und Hegel ......................... 251 Folko Zander Widerspruch der Gleichheit und Ungleichheit. Der Skeptizismus als „Gestalt des unvollendeten Bewusstseins“ in Hegels Phänomenologie des Geistes ............ 265 Siglen ........................................................................................ 281

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INHALT

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Hinweise zu den Autoren .......................................................... 283 Personenregister ........................................................................ 291

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MARTIN BONDELI, JIŘÍ CHOTAŠ, KLAUS VIEWEG

Vorwort Die Beschäftigung mit dem Skeptizismus in der Zeit vom Erscheinen der Kritik der reinen Vernunft bis zur Publikation der Phänomenologie des Geistes, deren Credo der „sich vollbringende Skeptizismus“1 ist, bildet keineswegs eine Marginalie. Sie ist eine der wichtigsten theoretischen Herausforderungen für die von Kant ausgehenden neuen philosophischen Entwürfe wie auch für Kant selbst, der die „sceptische Methode“ als der „Transscendentalphilosophie allein wesentlich eigen“ ansah.2 Dem entsprechend ist für den späteren Hegel der „teils der kritischen Philosophie voran-, teils aus dieser hervorgegangene Skeptizismus“ der „moderne“ Skeptizismus, den es unbedingt genauer auf den Begriff zu bringen und mit dem „hohen antiken“ zu kontrastieren gilt.3 Und in Carl Friedrich Stäudlins Schrift Geschichte und Geist des Skepticismus (1794) wird die erstaunliche Renaissance der Skepsis und deren grundlegender Einfluss auf die neuere Philosophie mit den Worten kommentiert: „Die neueste Revolution in der Philosophie ist durch ihn [den Skeptizismus] veranlaßt worden und hat ihn wieder zum Gegenstande einer tiefern philosophischen Untersuchung gemacht. Jene Revolution sollte ihn stürzen, nach einer neuen Entdekung soll sie ihm kein Haar gekrümmt oder gar ihn vielmehr bevestigt haben.“4 Dabei hat der Skeptizismus im Laufe der Herausbildung der nachkantischen Philosophie in verschiedenen Variationen seine Rolle als Schreckgespenst oder als agent provocateur gespielt, und dies durchaus trefflich. Neben Maimon, der scharfsinnig Kant attackierte, nötigte insbesondere Gottlob Ernst Schulze (Aenesidemus) mit verschiedenen Streitschriften prominente Gegner wie Reinhold, Fichte, Schelling und Hegel zu einem tieferem Durchdenken ihrer Entwürfe. Schulze war denn auch der Hauptakteur in drei bedeutsamen Streitsachen. Er polemisierte zunächst gegen Rein1 2 3 4

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Phänomenologie des Geistes, TWA 3, S. 72. KrV A 424/B 452. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830), TWA 8, S. 176. Stäudlin, Carl Friedrich, Geschichte und Geist des Skepticismus vorzüglich in Rücksicht auf Moral und Religion, Leipzig, 1794, S. III. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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hold und Kant, geriet dann in eine denkwürdige Kontroverse mit Fichte, schließlich machte er sich nach 1800 ebenfalls als skeptizistischer Antipode Schellings und Hegels einen Namen. Insgesamt repräsentiert die Skeptizismus-Debatte ohne Zweifel eine spannende und lehrreiche Facette der Philosophie des Deutschen Idealismus. Von außerordentlichem Interesse bleibt hierbei der Gehalt der Repliken Reinholds, Fichtes und Hegels auf die Positionen von Schulze. Aus heutiger Perspektive geht es um die philosophische Relevanz und Stringenz der verschiedenen Immunisierungsstrategien gegen den Skeptizismus. Der vorliegende Band widmet sich vor diesem Hintergrund zum einen den philosophischen Voraussetzungen, zentralen systematischen Aspekten und Kontexten der Angriffe Schulzes auf Reinhold und die Vernunftkritik, zum anderen den Auswirkungen dieser zum Teil neu zugespitzten Angriffe bei Fichte, Hegel und anderen damaligen Mitstreitern. Er versammelt die Beiträge zur Internationalen Tagung Reinhold und Schulze – Skeptizismus in der nachkantischen Philosophie, die vom 25. bis 27. Juni 2014 in der Villa Lanna in Prag stattfand. Die Konferenz und die Publikation wurden freundlicherweise gefördert vom Institut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik, vom Institut für Philosophie der Karls-Universität Prag, vom Kuratorium Reinholds Gesammelte Schriften der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften sowie von der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

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I. RENAISSANCE DER SKEPSIS NACH KANT

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KLAUS VIEWEG

Gegen die Zweifelsucht? Skizze zum nachkantischen Skeptizismus 1793 lieferte Karl Leonhard Reinhold eine Einschätzung des Skeptizismus, die eine Facette der wildbewegten und einzigartig kreativen philosophischen Zeit nach Kant1, geprägt von philosophischen Feuerwerken ungekannter Höhe, Kraft und Buntheit, trefflich beschreibt: „In keinem Zeitpunkte war der Begriff des Skeptizismus in der Philosophie zugleich so vieldeutig und so genau bestimmt, und nie gab es so viele eingebildete und so wenige wirkliche philosophische Skeptiker als gegenwärtig.“2 Die nachkantische Beschäftigung mit dem Skeptischen zeigt eine äußerst verästelte Gemengelage, gleicht einem babylonischen Gewirr, einem Irrgarten, in dem Orientierung schwer fällt, einem chaotisch wuchernden Gestrüpp mit scharfkantigen Dornen, an denen sich mancher Denker blutige Pfoten holte. Schärfste Debatten mit dem Ziele der Annihilation der Gegner, die sich wechselseitig etwa als Dogmatisten oder als Teufel und Seeungeheuer titulierten, waren an der Tagesordnung. Die Einschätzungen des Skeptischen schwanken zwischen den Extremen der Schmähung als gefährliche und bösartige Krankheit des Geistes, als Gebrechen des Zeitalters und dem Lobpreisen der durchdachten Einrede, der scharfsinnigen Prüfung. Der Skepticus erschien als Sphinx, als subtiler Aporetiker, der gegen die Unart der Voreingenommenheit steht, als All-Zermalmer von jeglichem Dogmatismus, zugleich aber auch als ein in Sachen Wissensgewinnung ewig Unentschiedener, Gleichgültiger, der alles dahingestellt sein lässt. Am Anfang sollen nur ganz wenige Grundzüge und Tendenzen angedeutet, ausgewählte Facetten eines faszinierenden Panoramas nachgezeichnet und es soll auf die vielen Gesichter der Skepsis 1

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Dazu näher: Vieweg, Klaus, Philosophie des Remis. Der junge Hegel und ‚das Gespenst des Skepticismus‘, München, 1999; ders., Skepsis und Freiheit. Der Skeptizismus zwischen Philosophie und Literatur, München, 2007. Reinhold, Karl Leonhard, „Ueber den philosophischen Skepticismus“, in: David Humes Untersuchung über den menschlichen Verstand neu übersetzt von M. W. G. Tennemann nebst einer Abhandlung über den philosophischen Skepticismus von Herrn Professor Reinhold in Jena, Jena, 1793, S. I. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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verwiesen sein, die dann in den folgenden Beiträgen schärfer konturiert werden. Auf jeden Fall bildete die Skeptizismus-Debatte ein entscheidendes Moment in der Genese des Deutschen Idealismus.

I. Kants kritische Philosophie und deren grundlegende Unterscheidung zwischen dem doktrinellen Skeptizismus und der skeptischen Methode, die nur der Transzendentalphilosophie allein wesentlich eigen und unentbehrlich ist, und Hegels phänomenologisches Unternehmen eines ‚sich vollbringenden Skeptizismus‘ als entscheidende Antwort auf den späteren Schulze bilden den Rahmen, in welchem sich die Auseinandersetzung mit dem Skeptizismus als eine fundamentale Herausforderung für die Philosophie schlechthin erwies. In einem ersten Versuch einer historischen Gesamtdarstellung der skeptischen Denkschule, in Carl Friedrich Stäudlins Geschichte und Geist des Skepticismus (1794) kommt die fulminante Renaissance der Skepsis wie folgt zur Sprache: „Die neueste Revolution in der Philosophie [durch Kant] ist durch ihn [den Skeptizismus] veranlaßt worden und hat ihn wieder zum Gegenstande einer tiefern philosophischen Untersuchung gemacht. Jene Revolution sollte ihn stürzen, nach einer neuen Entdekung soll sie ihm kein Haar gekrümmt haben oder gar ihn vielmehr bevestigt haben.“3 Und es treten wahrlich himmlische Heerscharen von vermeintlichen oder echten Skeptikern auf die philosophische Bühne und versuchen sich in den varianten Rolle des Skeptikers, des Widerspenstigen, als Vertreter des Zetetischen, Ephektischen und Aporetischen, als Abkömmlinge der philosophischen Hölle, als Fürsprecher permanenter geistiger Revision, Rebellion und Insurrektion, als denkende Widerporste schlechthin. Man verteidigt Grenzziehungen für das Wissen, verordnet die Skepsis als Abführmittel für das Dogmatische, schreibt letztgültige Vernichtungen des Dogmatismus oder Apologien des Teufels. Was ihr das Negative nennt, gilt als eigentliches Element, denn Zweifel reime sich besonders schön auf Teufel, so Goethe. Dies rief natürlich auch die Heerscha3

Stäudlin, Carl Fridrich, Geschichte und Geist des Skepticismus vorzüglich in Rücksicht auf Moral und Religion, Leipzig, 1794, S. III. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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ren der Exorzisten und Bezähmer der Widerspenstigkeit auf den Plan. Hier zur Erinnerung nur einige Beispiele der Kämpfe der skeptischen Titanen in der ersten Hälfte der 90er Jahre, einer ersten Phase der Skeptizismus-Debatte: Festzustellen ist die höchst erstaunliche Tendenz, dass die vermeintlichen Skeptiker unter den Namen von antiken Anwälten ihrer Zunft auftreten: Gottlob Ernst Schulze schmückt sich mit dem Namen ‚Aenesidemus‘, der Teufelsapologet Johann Benjamin Erhard nennt sich in seiner Schrift Über die Medicin ‚Arkesilas‘ und Johann P. Feuerbach ‚Pyrrhon‘. Als weitere Protagonisten skeptischer Streitsachen sind Salomon Maimon mit seinem Versuch einer neuen Logik und Theorie des Denkens. Nebst angehängten Briefen des Philaletes an Aenesidemus (1794), Leonhard Creuzer mit seinen Skeptischen Betrachtungen über die Freyheit des Willens mit Hinsicht auf die neuesten Theorien über dieselbe (1793) oder Ernst Platner zu erwähnen. Weiterhin greifen in die Debatte ein: Johann Heinrich Abicht mit Hermias oder die Auflösung der die gültige Elementar-Philosophie betreffenden Aenesidemischen Zweifel (1794), der Kant-Schüler Jakob Sigismund Beck mit seinem Versuch einer Widerlegung des Aenesidemus gegen die reinholdische Elementarphilosophie (1795) oder auch Friedrich Immanuel Niethammer mit seinem berühmten Eröffnungsaufsatz zum Philosophischen Journal mit dem Titel „Von den Ansprüchen des gemeinen Verstandes an die Philosophie“4 und mit seiner Rezension von Visbecks Schrift Die Hauptmomente der Reinholdischen Elementarphilosophie in Beziehung auf die Einwendung des Aenesidemus untersucht (1795). Als programmatisch erweist sich die Überschrift eines 1791 von Johann August Eberhard veröffentlichten Beitrags „Vergleichung des Skepticismus und des kritischen Idealismus“. Die dort fixierte, aus der antiken Debatte herrührende These fokussiert einen Grundstein der folgenden theoretischen Kämpfe: „Eine Philosophie, die weder dogmatisch noch skeptisch seyn soll, ist ein Unding.“5 Schulze wiederholt 1805 diese Behauptung: „Außer der dogmatischen und skeptischen Denkart über die Möglichkeit eines Wissens, findet keine dritte, von beyden verschiedene statt. [...] Und eben so wenig können sie jemals in irgend einem ihrer Resultate 4 5

Vgl. dazu, Vieweg, Skepsis und Freiheit, a.a.O., S. 111-128. Eberhard, Johann August, „Vergleichung des Skepticismus und des kritischen Idealismus“, in: Philosophisches Magazin, Bd. 4, 1. Stück, 1791, S. 96. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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zusammentreffen.“6 Dem wird Hegel grundsätzlich Paroli bieten und zwar mit seinem in Jena fixierten Gedanken von einer dritten Philosophie, die weder Skeptizismus noch Dogmatismus und also beides zugleich ist. Ein nicht zu vernachlässigendes Moment der Konstellation repräsentieren die im ersten Jahrfünft nach 1790 publizierten Übersetzungen von skeptischen Schriften: Niethammers Teilübersetzung des Sextus Empiricus (1791) sowie die Übersetzungen der beiden Hauptwerke von David Hume, des Treatise durch L. H. Jacob und des Enquiry seitens W. G. Tennemann mit dem wichtigen Vorwort von Reinhold „Ueber den philosophischen Skepticismus“. Im Zentrum dieser ersten Phase stand die Konfrontation zwischen Kant und Reinhold einerseits sowie deren skeptischen Widersachern andererseits. Stark vergröbert gesagt, geht es um eine Kontroverse der Philosophien der Kantianer und KantKritiker, zwischen Denkungsarten Reinhold’scher und Schulze’scher Provenienz sowie die durch Erhard, Niethammer und andere vorgetragenem Kritiken an der sogenannten ‚Philosophie aus oberstem Grundsatz‘ Reinhold’schen Typs, welche als eine neue Form von Dogmatismus ins Kreuzfeuer der Kritik gerät.

II. Ein neues Plateau der Skeptizismus-Debatte wird mit Fichtes Auftritt in Jena betreten. Für Dieter Henrich zählt eine gegen Kant erneuerte Skepsis zu den wichtigsten Ereignissen in der Entwicklung der nachkantischen Philosophie. Fichte gelangte zur Grundidee seiner Wissenschaftslehre in der Auseinandersetzung mit ihr [der Skepsis]. Für die Philosophen, die Fichte nicht folgten, aber sich doch an sein Werk anschlossen, wurde dann eine Ortsbestimmung der skeptischen Argumente zu einem ebenso dringenden Bedürfnis wie eine Begründung ihrer Position, die als von skeptischen Einreden nicht betroffen darzustellen war.7

6

7

Schulze, Gottlob Ernst, „Die Hauptmomente der skeptischen Denkart über die menschliche Erkenntniß“, in: Neues Museum der Philosophie und Litteratur, Bd. 3, Heft 2, 1805, S. 25. Henrich, Dieter, Der Grund im Bewußtsein. Untersuchungen zu Hölderlins Denken (1794-1795), Stuttgart, 1992, S. 790, Anm. 104. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Hier soll ein Augen- und Ohrenzeuge aus Jena, dem Zentrum der philosophischen Operationen, wie er es selbst beschreibt, zu Wort kommen: Friedrich Karl Forberg mit „Fragmenten aus Briefen“, und zwar unter dem Blickwinkel der Skepsis-Debatte. Zunächst formuliert der ein ‚Revisionstribunal‘ anstrebende Forberg eine harte Kritik der Kant-Jünger: […] wenn ich auf der einen Seite zurückdenke an die entzückenden Aussichten, die der königsbergische Weise eröffnet hatte, und auf der anderen erblicke die demüthige Miene, mit welcher seine Jünger der Himmelfahrt ihres Meisters nachstaunen, zufrieden mit jedem Zipfel seines Mantels, der ihm dabey entfiel: die Erniedrigung des Sinnes, die Geistesleerheit und die Ideenarmuth, […] so finde ich nur zu viel Ursache, bekümmert zu seyn, ob nicht etwa die Erscheinung der Kritik für unser Zeitalter überhaupt zu früh geschehen sey, […].8

Die folgende Stelle beinhaltet die Beschreibung einer Dimension der Problemkonstellation Kant-Reinhold und nachkantische Philosophie: [Reinhol]ds Verdienst war, daß er abführte von dem Buchstaben der Kantischen Kritik, daß er den Philosophen Deutschlands das Bedürfniß erster Principien aller Philosophie kräftig einschärfte, und sie in einem oft sehr bittern Tone daran erinnerte, daß die Kritik der Vernunft nur die Propädeutick eines philosophischen Systems, nicht aber dieses System selbst wäre. Und hier hat [Reinhol]ds Verdienst um die Philosophie seine Grenze!9

Mit Fichte trete die Philosophie in ein neues Stadium ein, das eine wiederum neue sich mit dem Namen ‚Skeptik‘ auftretende Kritik nach sich zieht. Auf eine der Gegenstimmen rekurriert Forberg, auf Erhards Grundsatzskepsis: Dass ein höchstes Prinzip, „von dem sich alle Wahrheiten, wie von einem Knäuel abwinden lassen ein Bedürfnis für die speculative Vernunft sey, daran zweifle ich nicht. Aber ich fürchte, es geht den Philosophen mit ihrem ersten Princip, wie den Alchymisten mit dem Stein der Weisen.“10 Weiter schreibt 8

9 10

Forberg, Friedrich Karl, „Fragmente aus Briefen“, in: Kirsten, Johann Friedrich Ernst, Grundzüge des neuesten Skepticismus, hg. v. Brady Bowman und Klaus Vieweg, München, 2005, S. 106 f. Ebd., S. 108 f. Ebd., S. 116. Zur Äußerung Erhards, auf die sich Forberg bezieht, vgl. Erhard, Johann Benjamin, Über das Recht eines Volkes zu einer Revolution und andere Schriften, hg. und mit einem Nachwort v. Hellmut G. Haasis, Frankfurt am Main, 1976, S. 10. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Erhard: „Ich will einen alten Philosophen, wie Aenesidemus erwecken, aber ihn so viel möglich bey seiner Auferstehung mit dieser seiner Haut umgeben, so daß Er die jetzige Philosophie sieht, und kein Fremder, wie es dem armen Aenesidemus gieng – und dieser soll Arcesilas seyn.“11 – „Ich hoffe mit allen Systemen fertig zu werden, und dem Skepticism einen vollkommnen Sieg über alles theoretische zu verschaffen“.12 Im Ausgang der Auseinandersetzung um Kant und im Gefolge der deutschen Rezeption der Hume-Reid-Kontroverse entstand eine Denkströmung, die sich als neuester Skeptizismus ausgab und deren Hauptprotagonist Gottlob Ernst Schulze gar als neuer Aenesidemus auftrat. Er wirkte als dreifacher und erfolgreicher agent provocateur von 1792 bis 1805 und löste drei einschneidende Kontroversen aus: erstens in seinen Attacken auf Reinhold und Kant in den ersten 90er Jahren mit Fichtes Verteidigung in der AenesidemusRezension, zweitens die Kritik Schulzes an Schelling um 1800 (Kritik der theoretischen Philosophie) und Hegels Replik im Skeptizismus-Aufsatz von 180213 sowie drittens Schulzes Einspruch gegen Schellings und Hegels Identitätsphilosophie aus den Jahren 1803 und 1805 und Hegels Antwort mit der Phänomenologie des Geistes. Der ganze Haufen der neuen Skeptiker – so Hegel – verehrte Herrn Schulze als ihren Vormann und Heros. Die klare Unterscheidung von echter und unechter, edler und unedler Skepsis blieb gerade hier ein unabweisbares Erfordernis für die Denker, die wesentlich diese einmalig kreative Ära der Philosophie prägten. Und Fichte stellte sich mit der ihm eigenen Vehemenz dieser großen Herausforderung der Bedrohung durch die skeptischen Seeungeheuer, wie er die skeptische Bedrohung so schön beschreibt. Mit seiner Creuzer-Rezension 1792 greift Fichte sofort mit erheblicher Wirkung in die Debatte ein und kritisiert den Hypermoralismus Creuzers, der in der Abweisung einer begründbaren praktischen Philosophie ihren Kern hat. „Allein“ – so die Creuzersche These – 11 12

13

Forberg, „Fragmente aus Briefen“, a.a.O., S. 119. Forberg zitiert aus einem Brief von Erhard vom 7. August 1794. Brief von Johann Benjamin Erhard an Niethammer vom 6. August 1794, in: Friedrich Immanuel Niethammer. Korrespondenz mit dem Klagenfurter Herbert-Kreis, hg. v. Wilhelm Baum, Wien, 1995, S. 106. Erhards Abhandlung „Ueber die Medicin. Arkesilas an Ekdemus“ erschien in: Der neue Teutsche Merkur, 8. St., August 1795, S. 337-378. Dazu ausführlich: Vieweg, Philosophie des Remis, a.a.O. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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„was das spekulative Interesse der Vernunft nicht kann, vermag das unerklärbare reinmoralische praktische Interesse derselben.“14 Die Äußerung der absoluten Selbsttätigkeit im Bestimmen des Willens wird – so Fichtes trefflicher Einwand – bloß als Postulat gefasst, nicht als Gegenstand des Wissens, sondern des Glaubens. „Gründet sich doch die gesamte Kenntniß unserer Natur am Ende auf Fakta im Bewußtseyn, die wir nicht weiter zu erklären im Stande sind, ja deren Möglichkeit wir nicht einmal einsehen.“15 Der von Fichte aufgezeigte Kern des Pudels wird hier ganz deutlich sichtbar. Die Philosophie wird darauf reduziert, dass ihre Sätze Tatsachen des Bewusstseins sind und folglich mit der Erfahrung übereinstimmen. Fichte stellt sich klar gegen diese Bankrotterklärung der Philosophie. 1793 verfasste er seine berühmte Aenesidemus-Rezension, die auf die Schulze’sche Attacke auf Reinholds Fundamentalphilosophie antwortet, wobei Fichte von diesem Angriff des Aenesidemus durchaus zu einem tieferen Durchdenken seines eigenen Entwurfs genötigt wurde. Die ‚Anmaaßungen der Vernunftkritik‘ bei Reinhold wollte Schulze zurückweisen, Fichte hält dagegen und charakterisiert Schulzes Skeptizismus als uneigentliche Skepsis, als „anmaaßenden Dogmatismus“.16 Die eigentliche Antwort Fichtes war bekanntlich die neue GrundsatzPhilosophie in Gestalt der Wissenschaftslehre von 1794, in der Fichte nachweist, dass die neuen Pseudoskeptiker mit ihrer antitranszendentalen Argumentation in Dogmatismus und eine inakzeptable Philosophie des gesunden Menschenverstandes umschlagen. In Fichtes ‚Annihilierung‘ der Konzeption von Carl Christian Erhard Schmid im sogenannten Anti-Schmid – als einem weiteren Beispiel von Fichtes Auseinandersetzung mit einer vermeintlichen Skepsis – erblickte Friedrich Schlegel ein Muster der Widerlegung von pseudoskeptischen Philosophien. Darunter fallen sowohl Schmids als auch Niethammers Version einer Philosophie des gesunden Menschenverstandes, wie auch der neueste Skeptizismus Schulzes. Der Philosophie kommt laut Schmid die ‚bescheidene‘ Aufgabe zu, die gegebene Vielfalt systematisch zu ordnen, unsere 14 15 16

Creuzer, Leonhard, Skeptische Betrachtungen über die Freyheit des Willens mit Hinsicht auf die neuesten Theorien über dieselbe, Gießen, 1793, S. 94. Ebd., 110. Fichte, Johann Gottlieb, „Rezension Aenesidemus“, GA I/2, S. 49. Die Rezension wurde 1793 verfasst und erschien anonym in der Allgemeinen LiteraturZeitung, Nr. 47-49, 1794. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Kenntnisse in ein System zu bringen, alle weitere Erkenntnis wird prinzipiell in Zweifel gestellt.17 Ein wie auch immer geartetes Hinausgehen über ein solches Verfahren gleicht in den Augen Schmids leeren Schwärmereien und müßigen Hirngespinsten, das Übertreten der Grenze der ‚Tatsachen‘ wird von ihm als Transzendentismus abgefertigt. Gegen die Schmid’sche Erschleichung von ‚Tatsachen‘ wendet Fichte ein, dass die Philosophie (als Wissenschaftslehre) die notwendige, aber unbewiesene Voraussetzung der Wissenschaften erst erhärten muss. Durch Philosophie wird „sonach unser Vorstellen erst ein Wissen“.18 Mit diesem Anspruch auf Wissen mittels Denken kommen wir ins Zentrum der frühen Wissenschaftslehre. Hingegen bei einer konsequenten Durchführung des Schmid’schen Vorgehens würde jederart systematisierendes Denken zur Philosophie erhoben, „wenn“ – so Fichte – „jemand z. B. die Schneiderkunst in ein System brächte, so wäre dieses System ein Theil der angewandten Schmidischen Philosophie“.19 Das tapfere Schneiderlein Fichte holt schließlich zum letzten Streich aus, mit einem klaren Plädoyer für die edle, echte Skepsis, für den unumgänglichen Weg durch die Hölle des Negativen, durch ein Dante’sches Inferno des Zweifels: Wir sollten „einmal wenigstens in unserm Leben an allem zweifeln, und uns völlig zur leeren Tafel machen. Wer sich nicht bewußt ist, durch diesen Zustand hindurchgegangen zu sein, der sei nur im voraus sicher, daß er mit seinem Philosophiren weder sich selbst noch Andern sehr zur Freude leben werde“.20 Forberg resümiert die durch Fichtes Eingreifen neu entstandene Gefechtssituation dann wie folgt: „Die Hallenser [Kantianer] haben nun den Feldzug förmlich eröffnet.21 Ich freue mich dessen. Die Wahrheit gedeihet, wie die Tugend, nur im Kampf. Bis jetzt sind alle Kantianer und Antikantianer Gegner der Fichtischen Philosophie. Man hört überall spotten über die Fabrik erster Princi17

18 19 20 21

Dazu bemerkte Fichte lapidar: „In jeder Wissenschaft wird vorausgesetzt, daß unsern Vorstellungen Dinge außer uns entsprechen; und die Voraussetzung ist die Bedingung der Möglichkeit aller Wissenschaft“ („Vergleichung des von Herrn Prof. Schmid aufgestellten Systems mit der Wissenschaftslehre“, GA I/3, S. 248). Ebd., S. 248. Ebd., S. 249. Ebd., S. 262. Seit Herbst 1794 erschienen mehrere giftige Rezensionen zu Fichtes Werken in Jakobs Annalen der Philosophie und des philosophischen Geistes, unter ihnen eine Rezension von J. S. Beck. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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pien, die in Jena ordentlich angelegt scheint.“22 Fichte hatte wohl einen neuralgischen Punkt des Kantischen und Nachkantischen getroffen, was dort allseits heftigen Schmerz induzierte. Und die sogenannten Grundsatz-Skeptiker wie Erhard und Niethammer haben jetzt statt Reinhold Fichtes Jenaer Wissenschaftslehre im Visier – ein Grundsatz verweise stets auf eine Begründung und jene wiederum auf eine solche etc., etc. – ein Tropus des Sextus Empiricus. Als insuffiziente antiskeptische Strategie wird jedoch auf irgendeine Art von Unmittelbarkeit rekurriert, ein Faktum, ein bittweise Angenommenes – Instinkt, Eingebung, unmittelbares Wissen, common sense, Schulzes unleugbare Tatsachen des Bewusstseins. Alle diese Formen ‚machen auf die gleiche Weise die Unmittelbarkeit, wie sich ein Inhalt im Bewusstsein findet, eine Tatsache in diesem ist, zum Prinzip. Niethammer behauptet, dass der Skeptizismus dort, wo kein Satz, sondern ein unmittelbares Faktum zu Grunde gelegt wird, keine Einsprache mehr tun könne, denn von „einer Thatsache kann man weiter keinen Beweis fordern, als den des unmittelbaren Bewußtseins“.23 Damit wird nun keineswegs Resistenz gegen die pyrrhonischen Tropen gewonnen, stattdessen gerät man in einen neuen Dogmatismus der Unmittelbarkeit. Dagegen tritt schon Mitte der 90er Jahre ein mit der antiken Skepsis bestens Vertrauter auf – Friedrich Schlegel, der solcherart Pseudoskepsis als empirisches und unkritisches Dogma attackiert. „Die Empiriker“, so Schlegel, „denken sich das als Burgfriedensbruch, als Gränzverletzung, wenn man über die Welt der Erscheinungen, d.[er] Vorstellbarkeit hinaus geht“ und behaupten „etwas Widersprechendes; eine absolute sich selbst setzende Gränze d[es] Wissens“.24 Dagegen wird von Fichte und Schelling der Maimon’sche durchgreifende Skeptizismus gegen das Vorurteil des philosophischen Realismus in Stellung gebracht, das Vorurteil, dass die Dinge außer uns unmittelbar gewiss sein sollen. Der gemeine Menschenverstand – so Fichte – unterstellt, postuliert einfach, dass die Welt immer sein würde, wenn auch er nicht wäre.

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Forberg, „Fragmente aus Briefen“, a.a.O., S. 122. Vieweg, Skepsis und Freiheit, a.a.O., S. 122. Schlegel, Friedrich, KFSA XVIII, S. 511, Nr. 67 bzw. S. 4, Nr. 6. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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III. Das zu rekognoszierende Gelände wird sehr unübersichtlich, wer ist hier ein echter Skeptiker? Was sind wahrhaft skeptische Einsprüche? Kann der Skeptiker wirklich mit Argumenten arbeiten? Welche Immunisierungsstrategien sind erfolgreich? Dies schließt die Formierung einer neuen Typologie des Skeptischen ein. Im Titel des späteren Skeptizismus-Aufsatzes von Hegel sind wesentliche Ziele prägnant formuliert, um eine erste Orientierung in diesem Dschungel zu gewinnen: 1) Die Bestimmung des Verhältnisses von Philosophie und Skeptik, 2) die Darstellung der Modifikationen des Skeptizismus und 3) der Vergleich des neuesten mit dem alten. Laut Rosenkranz hat Hegel in Frankfurt „den Platon und Sextus Empiricus viel studiert“.25 Besonders die Lektüre des Sextus Empiricus wird gravierende Relevanz für das Denken des jungen Hegel gewinnen, sie hat wohl entscheidenden Einfluss auf die Formierung des Grundgedankens seiner reifen Philosophie. Auch unter dem Eindruck dieser Lektüre beginnt eine Kritik an bestimmten Theoremen der Transzendentalphilosophie, die eine Überprüfung der eigenen Positionen einschließt. Hegel erhält jetzt die Nachrichten über die Debatten in der Metropole der Philosophie aus erster Hand – von Hölderlin, Sinclair und Zwilling, die gerade aus Jena angekommen und mit der Skepsis-Thematik wohlvertraut sind. Die Stellungnahmen zum Skeptizismus, die präzise Identifikation echt skeptischer Potentiale und die Prüfung der Relevanz dieser für den Aufbau neuer Entwürfe bilden ein kardinales Moment der denkerischen Bestrebungen der ‚Homburger Freunde‘.26 Die Immunisierung des eigenen Denkens gegen das Treiben der ‚skeptischen Seeungeheuer‘ wird als eine entscheidende Herausforderung begriffen.

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Rosenkranz, Karl, Georg Wilhelm Friedrich Hegels Leben, Berlin, 1844, S. 100. Vgl. dazu Vieweg, Klaus, „‚Platon und Sextus Empiricus viel studiert‘ – Hegel und der Frankfurt-Homburger Kreis skeptischer Geister“, in: Mythos – Geist – Kultur, hg. v. Kerstin Andermann und Andreas Jürgens, München, 2014. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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IV. In der von Friedrich Bouterwek herausgegebenen Zeitschrift Neues Museum der Philosophie veröffentlicht Schulze 1803 und 1805 zwei Beiträge – „Aphorismen über das Absolute“ und „Die Hauptmomente der skeptischen Denkart über die menschliche Erkenntnis“27 –, worin er versucht, die neue Skeptik gegen die Philosophie, „die dermalen in Jena die neueste ist“28, gegen das Jenaer „Evangelium des Absoluten“29 zu verteidigen. Beide Abhandlungen repräsentieren eine wichtige Facette der philosophischen Konstellation in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts.30 Schulze, dies ist für die Interpretation seiner beiden Aufsätze essentiell, verlässt hier teilweise seine Positionen von 1800, kehrt gewissermaßen zu pyrrhonischen Argumenten zurück und wendet diese gegen die keineswegs ausgereiften Entwürfe eines absoluten Idealismus.31 Hegel erkennt die in manchem treffende Kritik und antwortet dann darauf schließlich umfassend mit der Phänomenologie des Geistes und dem Konzept des ‚sich vollbringenden Skeptizismus‘. Schelling, der zu dieser Zeit als das eigentliche Haupt der neuen ‚Jenaer Schule‘ galt, hatte besonderen Zorn bei Schulze, bei Bouterwek und beim ‚Schreibfeder-Philosophen‘ Wilhelm Traugott Krug32 erregt. Gründe hierfür liegen auch im Kontext der Skeptizismus-Problematik. Im Denken der drei Schelling-Gegner – dies 27

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Schulze, Gottlob Ernst, „Aphorismen über das Absolute. Von einem für dieses Mal ungenannten, aber nichts weniger als unbekannten Verfasser“, in: Neues Museum der Philosophie und Litteratur, Bd. 1, Heft 2, 1803, S. 105-148; ders., „Die Hauptmomente der skeptischen Denkart über die menschliche Erkenntniß“, in: Neues Museum der Philosophie und Litteratur, Bd. 3, Heft 2, 1805, S. 3-57. Anmerkung des Herausgebers Bouterwek zu: Schulze, „Aphorismen über das Absolute“, a.a.O., S. 108. Schulze, „Aphorismen über das Absolute“, a.a.O., S. 112. Meist, Kurt Rainer, „Sich vollbringender Skeptizismus. G. E. Schulzes Replik auf Hegel und Schelling“, in: Transzendentalphilosophie und Spekulation. Der Streit um die Gestalt einer Ersten Philosophie (1799-1807), hg. v. Walter Jaeschke, Hamburg, 1993, S. 192-230. Vgl. Vieweg: Philosophie des Remis, a.a.O., S. 207-233. Dazu: Bowman, Brady, „Glauben und Wissen. W. T. Krug im Übergang vom Repräsentationalismus zum direkten Wahrnehmungsrealismus“, in: Wissen und Begründung. Die Skeptizismus-Debatte im Kontext neuzeitlicher Wissenskonzeptionen, hg. v. Klaus Vieweg und Brady Bowman, Würzburg, 2003, S. 141154. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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zeigt Hegel in seinen Aufsätzen im Kritischen Journal der Philosophie – sind die gleichen pseudoskeptischen und realistischen Denkfiguren präsent. Während Schulze als neuer Skeptiker auftritt, reklamiert Krug den ‚Standpunkt der Skepsis‘ und Bouterwek hat nach eigenem Bekunden ein Lehrbuch ‚ganz und gar nach skeptischer Methode‘ vorgelegt.33 Hegel und Schelling verteidigen sich im Kritischen Journal gemeinsam gegen die Anmaßungen der common sense-Philosophie und des uneigentlichen Skeptizismus. Belege hierfür sind – neben der Besprechung der Bouterwek’schen Schrift – die Krug-Rezension (Ersten Bandes erstes Stück), der Skeptizismus-Aufsatz und die Rückert-Weiß-Rezension sowie das Notizenblatt Neue Entdeckung über die Fichte’sche Philosophie. Laut Rosenkranz liefert Hegel im Kritischen Journal „eine Annihilisation von Schulze’s Pseudoskepticismus, von Krug’s gemeinem Menschenverstande, von Rückert’s und Weiss’ Philosophie“.34 Hegel präferiert eine Art aktiver Immunisierung: Der als die echte Skeptik bestimmte Erreger wird ins eigene Philosophieren aufgenommen. Mit dieser impliziten, immanenten oder internen Skepsis soll Resistenz gegen die Einsprüche des Skeptizismus erworben werden. Dies beinhaltet die Differenzierung zwischen doktrineller und impliziter Skepsis, bei der erstgenannten handelt es sich um die Skepsis als einer eigenständigen philosophischen Lehre, in der die pyrrhonischen ‚Wendungen‘ und deren Konsequenzen den archimedischen Punkt des Philosophierens darstellen. Mit der zweitgenannten – Kants ‚skeptischer Methode‘ – beschreibt Hegel die für die Philosophie notwendige Inhärenz des Isosthenie- und Ataraxie-Prinzips, die Aufhebung der theoretischen und praktischen Dimension der Skepsis und dabei in klarer Anknüpfung an Fichte die herausgehobene Rolle der Einheit der Kritik in theoretischer und praktischer Absicht. Die Skepsis als immanente Negativität bildet so einen der unabdingbaren Bausteine der Hegel’schen Denkarchitektur. Genau in diesem Sinn unterscheidet Friedrich Schlegel die fixierte Skepsis von der vorübergehenden Skepsis. Weitere Aufgaben bei der Herausbildung des neuen Skepsis-Verständnisses sah Hegel in der Freilegung von Diffe33

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Vgl. Pierini, Tommaso, „Skeptische Methoden und Theorien des Bewußtseins. Hegels Auseinandersetzung mit Friedrich Bouterwek“, in: Die freie Seite der Philosophie. Skeptizismus in Hegelscher Perspektive, hg. v. Brady Bowman und Klaus Vieweg, Würzburg, 2006, S. 171-185. Rosenkranz, Karl, Geschichte der Kant’schen Philosophie, Leipzig, 1840, S. 488 f. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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renzierungen innerhalb der ‚alten‘ und ‚neueren‘ doktrinellen Skeptik und im Vergleich des antiken und modernen Skeptisierens (besonders am Beispiel von Sextus und Hume bzw. Sextus und Schulze). Als das Schlüsselwerk für den Anschluss an Kants Gedanken der immanenten skeptischen Methode, für das Anknüpfen an Fichtes und Schlegels Umgang mit der Skepsis wie auch für den Kontext des nachkantischen Skeptizismus überhaupt kann Hegels Phänomenologie des Geistes gelten – das am Schluss der großen Jenaer Zeit stehende Jahrtausendwerk mit dem Konzept einer aktiven Immunisierung durch den sich vollbringenden Skeptizismus, der bis heute wohl wirkungsvollsten Strategie, dem echten Skeptizismus gerecht zu werden und ihm zugleich Paroli zu bieten.

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Bemerkungen über den Skeptizismus bei Kant und Schulze I. Als Johann Georg Heinrich Feder 1782 in seiner Rezension von Kants erster Kritik „dieses Werk […] ein System des höheren oder, wie es der Verf. nennt, des transscendentellen Idealismus“1 nannte und es mit dem Idealismus Berkeleys verglich, der ebenfalls die „Empfindungen als bloße Modifikationen unserer selbst“2 ansah, konnte er wohl nicht vorher sehen, dass auch sein späterer Schwiegersohn Gottlob Ernst Schulze in seiner Kritik der theoretischen Philosophie von 1801 von der Kritik der reinen Vernunft sagen würde, sie enthalte das „System des transzendentalen Idealismus“3 und Berkeleys Idealismus sei „nicht schwärmerischer, als […] der transzendentale Idealismus der Vernunftskritik, der den Stoff der Erfahrungs-Erkenntnisse aus dem Einflusse übersinnlicher Dinge an sich auf unsere Sinnlichkeit, die Form derselben aber aus einem aller Erfahrung vorhergehenden, und mithin doch auch hyperphysischen Wirken der Spontaneität des Gemüthes ableitet“.4 Diese übereinstimmenden Beurteilungen von Kants Vernunftkritik stellen also eine Art Konstante in einer Debatte über sie dar, wenn auch nach Schulze „der Streit, was denn eigentlich wohl der Sinn der Hauptlehren dieser Kritik sey, ob er gleich nunmehr schon fast zwanzig Jahre lang mit der größten Lebhaftigkeit geführt worden ist, noch nicht völlig beendigt“5 sei. Allerdings bleibt es unverständlich, warum Schulze auch Kants „Widerlegung des Idealismus“ aus der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft (1787) als gegen Berkeley gerichtet ansah, obwohl Kant deutlich 1

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Zitiert nach Kant, Immanuel, Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können, hg. v. Karl Vorländer, durchgesehener Nachdruck der 6. Aufl., Hamburg, 1976, S. 167. Ebd., S. 168. Schulze, Gottlob Ernst, Kritik der theoretischen Philosophie, Hamburg, 1801, Bd. 1, S. XXVII. Ebd., Bd. 2, S. 548. Ebd., Bd. 1, S. XXVII. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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gemacht hatte, dass sie den „problematischen“6 Idealismus Descartes’ widerlegen sollte, der in der ersten Auflage der Kritik am 4. Paralogismus auch der „skeptische Idealism“7 genannt und gleichfalls dem Descartes zugeordnet wurde. Dieser skeptische Idealismus ist nun das einzige Beispiel des Skeptizismus, mit dem die Metaphysikkritik der Kritik der reinen Vernunft sich 1781 eingehender auseinandersetzt. Er gehört in die „reine“ oder „transzendentale“ Psychologie, die historisch auch in Wolffs und Baumgartens psychologia rationalis vorliegt. Die Widerlegung dieses Skeptizismus erfolgt (in der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft) auf der Basis des transzendentalen Idealismus. Und in der Tat wird dieser transzendentale Idealismus dort, übrigens erstmalig im ganzen Werk, im 4. Paralogismus eingeführt: Ich verstehe aber unter dem transzendentalen Idealism aller Erscheinungen den Lehrbegriff, nach welchem wir sie insgesamt als bloße Vorstellungen und nicht als Dinge an sich selbst ansehen und dem gemäß Zeit und Raum nur sinnliche Formen unserer Anschauung, nicht aber für sich gegebene Bestimmungen oder Bedingungen der Objecte als Dinge an sich selbst sind.8

Entsprechend heißt es über den transzendentalen Realismus, der ebenfalls durch seine Auffassung von Zeit und Raum definiert wird: „Diesem Idealism ist ein transzendentaler Realism entgegengesetzt, der Zeit und Raum als etwas an sich (unabhängig von unserer Sinnlichkeit) Gegebenes ansieht.“9 Entscheidend für die Widerlegung des „skeptischen“ Idealismus ist es nun, dass dieser als ein „empirischer“ Idealismus den transzendentalen Realismus voraussetzt. Kants These ist es nämlich, dass dieser Cartesische Skeptizismus sich als Folge eines transzendentalen Realismus zwangsläufig ergibt. Er gibt zwei Erklärungen für das Zustandekommen dieses skeptischen Idealismus, die ironischerweise von genau den Voraussetzungen ausgehen, welche Jacobis und Schulzes Annahme einer Affektion unserer Sinnlichkeit durch Dinge an sich entsprechen, obwohl Dinge an sich von diesen beiden Autoren im Gefolge Kants als unbestimmbare Gegenstände (= X) angesehen werden. 6 7 8 9

KrV B 274. Ebd. A 378. Ebd. A 369. Ebd. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

BEMERKUNGEN ÜBER DEN SKEPTIZISMUS BEI KANT UND SCHULZE

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(1) Die erste Erklärung lautet: Der transcendentale Realist stellt sich also [d. h. infolge seines transzendentalen Realismus bezüglich Zeit und Raum] äußere Erscheinungen (wenn man ihre Wirklichkeit einräumt) als Dinge an sich selbst vor, die unabhängig von uns und unserer Sinnlichkeit existieren, also auch nach reinen Verstandesbegriffen außer uns wären [und nicht nur im räumlichen Sinne]. Dieser transcendentale Realist ist es eigentlich, welcher nachher den empirischen Idealisten spielt und, nachdem er fälschlich von Gegenständen der Sinne vorausgesetzt hat, dass, wie sie äußere sein sollen, sie an sich selbst, auch ohne Sinne, ihre Existenz haben müßten, in diesem Gesichtspunkte alle unsere Vorstellungen unzureichend findet, die Wirklichkeit derselben gewiss zu machen.10

Ein solcher empirischer Idealist und Skeptiker ist also nicht jemand, „der das Dasein äußerer Gegenstände der Sinne leugnet, sondern der […] schließt, dass wir ihrer Wirklichkeit durch alle mögliche Erfahrung niemals völlig gewiss werden können“.11 (2) Kants zweite Erklärung für den empirischen Idealismus ist kurz und bündig: Wenn man äußere Erscheinungen als Vorstellungen ansieht, die von ihren Gegenständen als an sich außer uns befindlichen Dingen in uns gewirkt werden, so ist nicht abzusehen, wie man dieser ihr Dasein anders als durch den Schluss von der Wirkung auf die Ursache erkennen könne, bei welchem es immer zweifelhaft bleiben muß, ob die letztere in uns oder außer uns sei.12

Jacobis und Schulzes qualitätslose Dinge an sich als Ursachen der Affektion müssten also in ihrer von uns unabhängigen Existenz ebenfalls bezweifelt werden. Aus alledem ergibt sich, dass der skeptische Idealismus, der z. B. das Dasein der Materie bezweifelt, weil er es für unerweislich hält, eigentlich „ein Wohlthäter der menschlichen Vernunft“13 ist. Denn er ficht „blos den Grund unserer Behauptung“ an und erklärt „unsere Überredung von dem Dasein der Materie, die wir auf unmittelbare Wahrnehmung zu gründen glauben […] für unzureichend“.14 Seine „idealistische[n] Einwürfe“ jedoch „treiben uns mit Gewalt“ in den transzendentalen Idealismus und lassen uns 10 11 12 13 14

Ebd. Ebd. A 368 f. Ebd. A 372. Ebd. A 377. Ebd. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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schließlich einsehen: „Wenn wir äußere Gegenstände für Dinge an sich gelten lassen, so ist schlechthin unmöglich zu begreifen, wie wir zur Erkenntniß ihrer Wirklichkeit außer uns kommen sollten, indem wir uns blos auf die Vorstellung stützen, die in uns ist.“15 Daraus folgt wider Erwarten eine Bestätigung der Lehre der Transzendentalen Ästhetik von der Idealität von Zeit und Raum und aller Erscheinungen in ihnen: „Also nöthigt uns der skeptische Idealism, die einzige Zuflucht, die uns übrig bleibt, nämlich zu der Idealität aller Erscheinungen, zu ergreifen, welche wir in der transscendentalen Ästhetik unabhängig von diesen Folgen, die wir damals nicht voraussehen konnten, dargethan haben.“16 Der transzendentale Idealismus aller Erscheinungen, der sich als Lösung der Probleme des wohltätigen skeptischen Idealismus ergibt, besagt aber, dass „die äußeren Gegenstände [unserer Sinnlichkeit] nicht für Dinge an sich selbst, sondern nur für Vorstellungen anzusehen“17 sind. Mit diesem Ergebnis hat sich der empirische und skeptische Idealismus selbst überflüssig gemacht. Wenn wir aber, mit Schulze und anderen, annehmen, dass der transzendentale Idealismus seinerseits widersprüchlich oder zirkelhaft begründet ist, so bleibt der Skeptizismus bezüglich der Existenz äußerer Erscheinungen als unabhängig von unserer Sinnlichkeit gegebenen Dingen an sich unüberwindlich. In der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft wird der materiale Idealismus nicht mehr mit dem Skeptizismus, d. h. dem sogenannten Außenweltskeptizismus, in Verbindung gebracht. Auf Descartes’ methodischen Skeptizismus, den er noch in den Prolegomena „sceptischen“18 Idealismus nennt, bezieht sich Kant nur noch als den „problematischen“19 Idealismus, der auch jetzt noch ausdrücklich gelobt wird: Er sei „vernünftig und einer gründlichen philosophischen Denkungsart gemäß; nämlich bevor ein hinreichender Beweis gefunden worden, kein entscheidendes Urtheil zu erlauben“.20 Damit ist zwar das zetetische Verfahren der Skeptiker seit dem Pyrrhonismus beschrieben, aber Kant schreibt es hier nicht dem Skeptizismus zu und erwähnt es auch nicht als ein Beispiel der von ihm hoch geschätzten „skeptischen Methode“. Skep15 16 17 18 19 20

Ebd. A 378. Ebd. A 378 f. Ebd. A 378. Kant, Prolegomena, AA IV, S. 475. KrV B 274. Ebd. B 275. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

BEMERKUNGEN ÜBER DEN SKEPTIZISMUS BEI KANT UND SCHULZE

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tizismus und skeptische Methode werden in der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft erst innerhalb der Antinomienlehre, also der Kritik der transzendentalen Kosmologie eingeführt und definiert. Dort heißt es im Abschnitt „Antithetik der reinen Vernunft“: Diese Methode, einem Streite der Behauptungen zuzusehen, oder vielmehr ihn selbst zu veranlassen, […] um zu untersuchen, ob der Gegenstand [dieses Streits] nicht vielleicht ein bloßes Blendwerk sei, wornach jeder vergeblich hascht […]: dieses Verfahren, sage ich, kann man die sceptische Methode nennen. Sie ist vom Scepticismus gänzlich unterschieden, einem Grundsatze einer kunstmäßigen und scientifischen Unwissenheit, welcher die Grundlagen aller Erkenntniß untergräbt, um womöglich überall keine Zuverlässigkeit und Sicherheit derselben übrig zu lassen. Denn die sceptische Methode geht auf Gewißheit, dadurch daß sie in einem solchen auf beiden Seiten redlich gemeinten und mit Verstande geführten Streite den Punkt des Mißverständnisses zu entdecken sucht.21

Diese Unterscheidung und Bewertung von skeptischer Methode und Skeptizismus findet sich an mehreren Stellen des kantischen Werkes. Als Protagonisten der „scientifischen Unwissenheit“, die nach „scientifischer Methode“ und zugleich „systematisch“ verfahrend herbeigeführt wird, nennt Kant am Ende der „Methodenlehre“ David Hume und stellt ihn dem „dogmatisch“ und „systematisch“ verfahrenden „berühmten Wolff“ gegenüber.22 Hume ging es also nicht um Gewissheit. Er „ergab sich gänzlich dem Scepticism, da er einmal [im Falle der Kausalität] eine so allgemeine für Vernunft gehaltene Täuschung unseres Erkenntnißvermögens glaubte entdeckt zu haben“.23 Durch die „Kritik“ allein kann nach Kant „zuletzt auch dem Idealism und Scepticism, die mehr den Schulen gefährlich sind und schwerlich ins Publicum übergehen können, selbst die Wurzel abgeschnitten werden“.24 Da der „Scepticism […] mit der ganzen Metaphysik kurzen Prozess macht“25, ist die Begründung der Metaphysik als Wissenschaft nur möglich, wenn der Hume’sche Skeptizismus und das Problem, auf das er sich ursprünglich stützte, eine befriedigende Auflösung gefunden haben. Deshalb kann die Kritik der reinen Vernunft auch als „Ausfüh21 22 23 24 25

Ebd. A 423/B 451 f. Ebd. A 856/B 884. Ebd. B 128. Ebd. B XXXIV. Ebd. B XXXVI. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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rung des Humischen Problems in seiner möglich größten Erweiterung“26 angesehen werden. Hume war also nicht nur der „vielleicht […] geistreichste unter allen Sceptikern“, sondern er war auch „der vorzüglichste in Ansehung des Einflusses […], den das sceptische Verfahren auf die Erweckung einer gründlichen Vernunftprüfung haben kann“.27 Diese Anspielung auf Kants eigene Erweckung aus dem „dogmatischen Schlummer“, von dem die Prolegomena sprechen, findet sich schon 1781 in der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft. Die Überwindung des Hume’schen Skeptizismus durch den transzendentalen Idealismus hat Kant in der Kritik der praktischen Vernunft (1788) auf prägnante Weise formuliert: Die „Kritik der reinen Vernunft“ wurde durch die „Humische Zweifellehre veranlasst“: Ich […] verfuhr […] in Ansehung der den Begriff der Causalität betreffenden Zweifel des schottischen Philosophen auf folgende Art. Daß Hume, wenn er (wie es doch auch fast überall geschieht) die Gegenstände der Erfahrung für Dinge an sich selbst nahm, den Begriff der Ursache für trüglich und falsches Blendwerk erklärte, daran that er ganz recht; denn von Dingen an sich selbst und deren Bestimmungen als solchen kann nicht eingesehen werden, wie darum, weil etwas A gesetzt wird, etwas anderes B auch nothwendig gesetzt werden müsse, und also konnte er eine solche Erkenntniß a priori von Dingen an sich selbst gar nicht einräumen. Einen empirischen Ursprung dieses Begriffs konnte der scharfsinnige Mann noch weniger verstatten, weil dieser geradezu der Nothwendigkeit der Verknüpfung widerspricht, welche das Wesentliche des Begriffs der Causalität ausmacht; mithin ward der Begriff in die Acht erklärt, und in seine Stelle trat die Gewohnheit im Beobachten des Laufs der Wahrnehmungen.28

Mit diesem Gewaltstreich war das Hume’sche Problem der Deduktion des Begriffs der Ursache (auch für Hume selbst) nicht gelöst, sondern nur umgangen. Also blieb seine „Zweifellehre“ nach wie vor intakt. Humes Infragestellung der objektiven Realität des Begriffs der Ursache ist aber nur ein herausragendes Beispiel für den praktizierten Skeptizismus. Dessen allgemeine Definition und das wichtigste Beispiel seiner Anwendung findet sich in der von Jäsche herausge26 27 28

Kant, Prolegomena, AA IV, S. 261. KrV A 764/B 792. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, AA V, S. 92. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

BEMERKUNGEN ÜBER DEN SKEPTIZISMUS BEI KANT UND SCHULZE

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gebenen Kantischen Logikvorlesung. Dort heißt es: „Es giebt einen Grundsatz des Zweifelns, der in der Maxime besteht, Erkenntnisse in der Absicht zu behandeln, daß man sie ungewiß macht und die Unmöglichkeit zeigt, zur Gewissheit zu gelangen. Diese Methode des Philosophierens ist die skeptische Denkart oder der Skeptizismus.“29 Er finde in der Mathematik und Physik nicht statt, veranlasst sei er durch „rein philosophische“30 Erkenntnisse, also die der Metaphysik. Aber nicht bloß gegen diesen oder jenen metaphysischen Satz, der als eine Wahrheit gehandelt wird, sondern gegen den Begriff der Wahrheit einer Erkenntnis überhaupt erhoben schon die antiken Skeptiker ihre Einwände, wie wir sie u. a. aus Sextus Empiricus kennen. Kant referiert ihr Hauptargument ausführlich in seiner Vorlesung: Wahrheit sagt man besteht in der Übereinstimmung der Erkenntnis mit dem [sc. ihrem] Gegenstande. Dieser bloßen Worterklärung zufolge soll also mein Erkenntniß, um als wahr zu gelten, mit dem [sc. seinem] Object übereinstimmen. Nun kann ich aber das Object nur mit meinem Erkenntnisse vergleichen, durch das ich es erkenne. Meine Erkenntnis soll sich also selbst bestätigen, welches aber zur Wahrheit noch lange nicht hinreichend ist. Denn da das Object außer mir und die Erkenntnis in mir ist, so kann ich, immer doch nur beurtheilen: ob meine Erkenntniß vom Object mit meiner Erkenntniß vom Object übereinstimme. Einen solchen Cirkel im Erklären nannten die Alten Diallele. Und wirklich wurde dieser Fehler auch immer den Logikern von den Skeptikern vorgeworfen. […] Nur ist die Auflösung der gedachten Aufgabe [sc. einer allgemeinen Realdefinition der Wahrheit einer Erkenntnis] schlechthin und für jeden Menschen unmöglich.31

Dieser skeptische Einwand scheint also unwiderlegbar zu sein. Aus diesem Überblick ergibt sich, dass Kant dem Skeptizismus in der Philosophie eine nur sehr begrenzte Rolle zuschrieb. Insbesondere der psychologische und materiale Idealismus Descartes’, den er gelegentlich den „skeptischen“ nannte, war für Kant nicht als „Außenweltskeptizismus“ interessant. Das geht schon daraus hervor, dass die in der zweiten Auflage der ersten Kritik neu formulierte Widerlegung des Idealismus keinen Bezug mehr zum Skeptizismus hat. Andererseits war Humes Skeptizismus und seine Verwerfung der Metaphysik als Konsequenz der Unauflöslichkeit 29 30 31

Kant, Logik, AA IX, S. 83. Ebd., S. 84. Ebd., S. 50. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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des Kausalproblems sogar der Anlass zu Kants systematischer Inszenierung einer Selbstkritik der Vernunft. In ihr wird auch das Hume’sche Problem auf der Basis des transzendentalen Idealismus gelöst, dem nach Kant einzig gangbaren Weg, dem Skeptizismus zu entgehen. In einer Vorlesung aus dem Wintersemester 1782/83 (Metaphysik Mrongovius) heißt es sogar: „Etwas Ähnliches von Critic der reinen Vernunft fand sich bei David Hume, der aber darüber […] in wildesten und trostlosesten Skepticism verfiel, und das ging leicht an, weil er die Vernunft nicht ganz und gar studirte, sondern nur diesen oder ienen Begriff.“32

II. Gottlob Ernst Schulze hat schon in seinem Aenesidemus (1792) zeigen wollen, dass Humes Skeptizismus durch die Vernunftkritik Kants nicht widerlegt sei.33 In seiner Kritik der theoretischen Philosophie (1801) ist er auf dieses Thema zurückgekommen: „Doch laßt uns jetzt noch genauer zusehen, wie weit wohl Humens Zweifel an der Realität der Begriffe von einer Causal-Verbindung durch die transscendental idealistische Bestimmung dieser Realität gehoben worden seyen.“34 Bei dieser Untersuchung geht er von Kants wiederholten Behauptungen aus, dass der Beweis für den Satz „Alle Veränderungen geschehen nach dem Gesetze der Verknüpfung der Ursache und Wirkung“35, durch den zugleich die objektive Gültigkeit der Kategorie von Kausalität und Dependenz von Objekten der Erfahrung bewiesen werden soll, nicht direkt von diesen Gegenständen, sondern nur indirekt aus der Möglichkeit der Erfahrung dieser Gegenstände geführt werden kann. Schulze gibt diesen Gedanken Kants so wieder: Der Begriff von einer solchen Causal-Verbindung soll […] zur Möglichkeit der Erfahrung nöthig seyn, und relative auf den Verstand [soll] alles, was nur immer in der Erfahrung geschehen seyn mag, in Causal-Verbindung zueinander stehen müssen. […] Man 32 33

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Kant, Metaphysik Mrongovius, AA XXIX, 1/2, S. 781. Vgl. dazu meinen Aufsatz „Die Möglichkeit der Erfahrung bei Maimon und Schulze“, in: Vernunft der Aufklärung – Aufklärung der Vernunft, hg. v. Konstantin Broese, Andreas Hütig, Oliver Immel und Renate Reschke, Berlin, 2006, S. 155-164, hier S. 160-164. Schulze, Kritik der theoretischen Philosophie, a.a.O., Bd. 2, S. 479. KrV B 232. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

BEMERKUNGEN ÜBER DEN SKEPTIZISMUS BEI KANT UND SCHULZE

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[…] sieht sogleich dieß ein, daß die vorgebliche Unentbehrlichkeit der Begriffe von einer Causal-Verbindung zur Möglichkeit der Erfahrung diesen Begriffen noch lange nicht diejenige Realität verschafft, welche Hume dabey verlangte, wenn solche für etwas mehr, als für bloße Einbildungen gehalten werden sollen. Dieser Philosoph würde also gegen den Beweis der Realität jener Begriffe aus der Unentbehrlichkeit derselben zur Möglichkeit der Erfahrung erinnert haben: Findet dergleichen Unentbehrlichkeit wirklich statt, können wir aber gleichwohl die Realität dieser Begriffe mit keinem Datum in der sinnlichen Anschauung belegen und rechtfertigen; so folgt noch lange nicht, daß sie mehr als Einbildungen sind, sondern man muß alsdann von der genannten Erfahrung sagen, daß sie überhaupt auf Einbildungen beruhe, nichts als Einbildungen von objectiven Dingen, oder von objectiven Bestimmungen der Dinge liefere.36

Zunächst ist hier zu beachten, dass Schulze nicht zwischen dem Beweis für die objektive Gültigkeit der Kategorien, der für sie alle in der „Deduktion der reinen Verstandesbegriffe“ geliefert wird, und dem Beweis für die Wahrheit des Kausalprinzips, der sich im Kapitel über die „Grundsätze des reinen Verstandes“ als zweite „Analogie der Erfahrung“ findet, unterscheidet. Sieht man einmal davon ab, so lässt sich das Argument Schulzes so wiedergeben: Wenn die Möglichkeit der Erfahrung von der Gültigkeit des Begriffs der Kausalverknüpfung abhängt, dann besagt das noch nicht, dass die Gegenstände dieser Erfahrung selbst durch Kausalität bestimmt sind. Die Kategorie der Kausalität könnte immer noch die bloß subjektive Realität einer Einbildung haben und diese Erfahrung könnte selbst nicht nur auf bloßer Einbildung beruhen, sondern sogar ihrerseits nur Einbildungen von Gegenständen und ihren objektiven Bestimmungen ermöglichen. Selbst wenn also der Begriff der Kausalität zur Möglichkeit der Erfahrung unentbehrlich wäre, könnte er dennoch von ihren Objekten nicht gelten und statt Erkenntnissen von ihnen in ihrer Kausalbestimmtheit nur deren Einbildungen ermöglichen. Denn die objektive Realität des Kausalbegriffs müsste sich, wie Schulze im Zitat oben festhält, durch ein „Datum in der sinnlichen Anschauung belegen und rechtfertigen“ lassen, was aber nach Hume und Kant nicht möglich ist, weil nach beiden eine Kausalverknüpfung Notwendigkeit enthält, die nicht wahrgenommen werden kann.

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Schulze, Kritik der theoretischen Philosophie, a.a.O., Bd. 2, S. 481. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Was Schulze hier implizit bestreitet, das ist die Gültigkeit des kantischen Satzes: „die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt sind zugleich Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung“37, von dem alle Grundsatzbeweise Kants abhängig sind. Das bedeutet andererseits, dass für Schulze die Gegenstände der Erfahrung ganz unabhängig von ihrer Erfahrbarkeit eine Kausalverknüpfung aufweisen könnten. Bei Kant hingegen ist die Voraussetzung der Kausalverknüpfung einer Veränderung mit ihrer Ursache die notwendige Bedingung für die Unterscheidung von Veränderungen als objektiven Ereignissen von der bloß subjektiven Folge der Wahrnehmungen von diesen Ereignissen, die nur faktisch, also nicht notwendig, im wahrnehmenden Subjekt stattfindet. Nur wenn ein Ereignis als Wirkung einer Ursache und damit als notwendig gedacht wird, d. h. nur wenn es sich als durch die Setzung seiner Ursache nach Belieben jederzeit erzeugbar denken lässt, hat die Wahrnehmung eines solchen Ereignisses Objektivität und ist somit empirische Erkenntnis oder Erfahrung eines objektiven Ereignisses. Schulze hingegen nimmt mit Hume an, dass die kausale Bestimmtheit des Objekts, hier eines Ereignisses, nur durch ein „Datum in der sinnlichen Anschauung“ erkannt werden könnte, und da das nicht möglich ist, so bleibt die Objektivität dieser Kausalverknüpfung auf immer zweifelhaft, obwohl sie, wie er vorschlägt, auf ein Erklärungsbedürfnis des Menschen zurückgeführt werden kann, das seiner Vernunft entstammen soll. Ein zweites Beispiel der Verkennung der „theoretischen Philosophie“ Kants durch Schulze ist seine Darstellung von Kants Konzeption der Wahrnehmung, die große Gemeinsamkeiten mit Jacobis diesbezüglichen Auffassungen aufweist. Nach den Lehrsätzen der Vernunft-Kritik stehen die empirischen Wahrnehmungen in Ansehung ihres Stoffes, oder in Ansehung dessen, was in ihnen Empfindung ausmacht, in Beziehung auf Dinge an sich [als die, gemäß seinem dogmatischen Realismus, Wahrnehmungsobjekte gedacht werden müssen], d. h. in Beziehung auf ein Etwas, das unabhängig von den Wirkungen unserer Vorstellungskraft da ist, und den Grund der Entstehung jenes Stoffes dadurch ausmacht, daß es das Vorstellungsvermögen seiner sinnlichen Form gemäß (wozu die Anschauungen Raum und Zeit gehören,) afficirt, und zur Hervorbringung einer empirischen Anschauung von beson37

KrV A 158/B 197. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

BEMERKUNGEN ÜBER DEN SKEPTIZISMUS BEI KANT UND SCHULZE

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derer Qualität bestimmt. Was nun dieser übersinnliche [sic] Grund der empirischen Anschauungen an sich selbst genommen sey, sollen wir niemahls zu erkennen in Stande seyn. In Beziehung auf denselben sollen jedoch unsere sinnlichen Wahrnehmungen keinen bloßen Schein, sondern Erscheinungen ausmachen, die zwar bloße Vorstellungen in uns sind, aber doch auch zugleich wahrhaft existirende Objecte, allein gar nicht, wie sie an sich genommen, beschaffen sind, sondern [wie sie] immer nur unserer subjectiven Vorstellungsart gemäß, [sich] darstellen und zu erkennen geben.38

Schulze ist sich zwar der Umstrittenheit dieser Darstellung der Kantischen Wahrnehmungslehre bewusst, aber er ist zuversichtlich, dass sie mit Kants Erklärung gegen Fichte übereinstimmt, nach welcher Kant „in jenem Lehrstücke dem Buchstaben nach verstanden seyn wolle“.39 Allerdings steht Schulzes Darstellung im Dienste seiner Absicht, der kantischen Lehre einen Widerspruch nachzuweisen. Er insistiert darauf, daß sich dasjenige, was die Vernunft-Kritik von dem Ursprunge des Stoffes der Erfahrungserkenntnisse aus dem Einflusse der übersinnlichen Dinge an sich [sic] auf die passive Vorstellungsfähigkeit unsers Gemüthes sagt, mit denjenigen Lehren eben derselben, wodurch sich ihr System hauptsächlich von den Grundsätzen des Realismus in der Metaphysik unterscheidet, schlechterdings nicht will vereinigen lassen.40

Denn nach der Transzendentalen Analytik rührt […] der Begriff von dem Objectiven lediglich aus dem Verstande her, und stützt sich ursprünglich bloß auf eine Synthesis, die der Verstand, als Spontaneität, an dem Mannigfaltigen in der Anschauung Gegebenen […] vorgenommen hat.“41 Nimmt man beide Lehren zusammen, so ergibt sich, „daß das Ding an sich, welches das Gemüth afficiren, und ihm den Stoff der empirischen Anschauungen liefern soll, nur etwas in einem Begriffe Vorgestelltes ausmache, dem nach der Einrichtung und den Gränzen unserer Erkenntnißfähigkeit kein eigentliches und objectives Seyn beygelegt werden darf, oder dessen Seyn gar nicht erkennbar ist.42

Aber der Widerspruch erweist sich als noch schreiender: „Das so genannte Ding an sich, welches dem Stoffe der Erfahrungser38 39 40 41 42

Schulze, Kritik der theoretischen Philosophie, a.a.O., Bd. 2, S. 505 f. Ebd., S. 506 f. Ebd., S. 507. Ebd. Ebd., S. 508. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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kenntnisse zum Grunde liegen soll, sey [nach der Vernunftkritik selbst] ein bloßes Gedankenwesen, dessen (reale) Möglichkeit, wodurch es von einem Hirngespinste unterschieden ist, gar nicht einzusehen sey.“43 Schulze hat sich durch diese Darstellung, in der die kantischen Unterscheidungen von Objektivität. Ansichsein, Realität und Wirklichkeit von Gegenständen willkürlich vermengt werden, redlich bemüht, die Rolle des Dinge an sich bei Kant so darzustellen, dass die jetzt erfolgende Diagnose jedem Leser einleuchtet: „Dieß ist nichts Geringeres, als ein Widerspruch, wovon sich sogar schwerlich ein ganz ähnliches Beyspiel in dem Systeme irgend eines Metaphysikers von einiger Bedeutung möchte nachweisen lassen. […] Gleichwohl will der Verfasser der Vernunft-Kritik von diesem Widerspruch, in welchen er bei seiner Speculation gerathen ist, gar nichts wissen“.44 Und schließlich: „Wir dürfen also wohl annehmen, daß es mit diesem Widerspruch in den Speculationen eines Mannes, dem man die Fähigkeit, seine Gedanken auszudenken, und die Folgen, so wie auch die Uebereinstimmung derselben zu übersehen, doch wahrlich nicht wird gänzlich absprechen wollen [sic], eine ganz eigene Bewandtniß haben müsse.“45 Und so begibt sich Schulze auf die Suche nach dem, was diesen Widerspruch wohl veranlasst haben mag. Die Suche ist die nach psychologischen Motiven für das Begehen eines so krassen Widerspruchs durch Kant. Nun liegt dieser Suche eine Darstellung der kantischen Lehre zu Grunde, die deutliche Anleihen bei der theoretischen Philosophie Thomas Reids und bei dem gleichfalls von Reid abhängigen Jacobi aufweist (vgl. dessen Jacobi an Fichte). Das Porträt, das Schulze von der kantischen Philosophie entwirft, weist gleichzeitig auf Schopenhauer voraus: Die eigenthümlichste Idee, welche dem in der Vernunft-Kritik aufgestellten Idealismus zum Grunde liegt, ist eigentlich die, daß alles für uns vorhandene Seyn, oder [sic] die Objectivität der Dinge aus dem Denken entstehe, und daß dasjenige, was ist [sic], eigentlich nur für den Verstand nach den besondern in ihm liegenden Begriffen etwas ist. Bey dieser Idee hält es aber der menschliche Geist nicht auf die Dauer aus, und nimmt man sie nach allen den Folgen, 43 44 45

Ebd. Ebd., S. 510. Ebd., S. 511. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

BEMERKUNGEN ÜBER DEN SKEPTIZISMUS BEI KANT UND SCHULZE

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worauf dieselbe führt, so bleibt keine Wirklichkeit [sic] übrig, selbst nicht einmal die Wirklichkeit des Denkens, als eines objectiven [sic] Zustandes unsers Gemüthes, sondern was wir die innere und äußere Welt nennen, ist alsdann nur eine Summe mit einander verbundener Vorstellungen, deren ganze Wirklichkeit [sic] wiederum nur in einem Begriffe davon besteht.“46

Hier verbindet sich offenbar Reids Polemik gegen Descartes’ und Lockes Vorstellungsphilosophie mit Jacobis Lamento über den Nihilismus in Fichtes Idealismus. Aber nun wird die menschenfreundliche Injektion des Dinges an sich in Kants Universum der Vorstellungen und Gedanken verständlich: Daß nun alles Seyn [sic] in einem Denken und bloß durch dasselbe bestehe, oder aus Begriffen des Verstandes hervorgehe, wie die Vernunft-Kritik lehrt, dieß ist eine Behauptung, in die sich der allgemeine Menschenverstand [meine Hervorhebung] nicht finden kann, und welche für ihn gar keinen Sinn hat, daher er sie auch nicht einmahl einer ernsthaften Aufmerksamkeit werth halten kann. Wenn hingegen angenommen wird, alle unsere Erkenntniß der Dinge bestehe zwar durch und durch aus Vorstellungen, und die Welt, welche ein unmittelbares Object unsers Bewußtseyns ausmacht, sey bloß eine Summe von Vorstellungen, die auf besondere Art durch die Spontaneität des Denkens mit einander verbunden worden sind, aber hinter [meine Hervorhebung] diesen Vorstellungen existire noch etwas für sich Bestehendes und Reales; so ist eine solche Lehre für den allgemeinen Menschenverstand [meine Hervorhebung], ob er gleich die Dinge in der Welt als Absoluta, und nicht als Relationen, die sich noch auf etwas hinter [meine Hervorhebung] ihnen Verborgenes beziehen, erkennt, schon weniger anstößig.47

Das also ist des Pudels Kern, das gibt jedenfalls unter anderem „über den Widerspruch Aufschluß, in die sie [die Vernunftkritik] bey der Lehre von den übersinnlichen [sic] Dingen an sich, die unser Gemüth afficiren sollen, gerathen ist“.48 Aber Schulze kennt als Vertreter eines common senseRealismus auch die richtige Interpretation dessen, was Affektion bei Kant heißt, und bemüht sich erneut redlich, auch hier einen Widerspruch nachzuweisen. „Zu dergleichen Dunkelheiten, welche in der Vernunft-Kritik nirgends aufgeklärt werden, gehört ganz vorzüglich dasjenige, was dieselbe von der zu aller Erfahrung 46 47 48

Ebd., S. 512. Ebd., S. 514 f. Ebd., S. 516. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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nöthigen Affection des Gemüthes, nicht nur [!] durch Dinge an sich, sondern auch noch [!] durch die Erfahrungsgegenstände selbst, sagt.“49 Schulze ist also ein Vorläufer der Adickes’schen Theorie von der doppelten Affektion bei Kant. Denn wie sie ganz bestimmt und deutlich lehrt, daß es Dinge an sich gebe, die dadurch, daß sie unsere Sinne afficiren, und Vorstellungen in uns hervorbringen, den Stoff zu allen Erscheinungen, aus deren Verbindung die Erfahrung bestehen soll, liefern; eben so bestimmt und ausdrücklich behauptet sie auch, daß die Erscheinungen selbst das Gemüth afficiren, und dadurch Empfindungen von sich erregen.50

Den Widerspruch innerhalb der Kantischen Theorie der Erfahrung stellt Schulze alsdann mit vorbildlicher Deutlichkeit heraus: In wie fern aber die Vernunft-Kritik die empirischen Wahrnehmungen aus der Gegenwart und dem Einflusse der Erscheinungen auf die Sinnlichkeit, die Erscheinungen hingegen wiederum aus einer Synthesis jener Wahrnehmungen nach den Kategorien des Verstandes ableitet, erklärt sie eigentlich den Ursprung aller empirischen Erkenntnisse von Dingen für schlechterdings unmöglich. Denn nach ihr müssen ja Erscheinungen schon gegeben seyn, ehe noch empirische Anschauungen im Bewußtseyn entstehen können; allein empirische Anschauungen müssen gleichfalls nach eben derselben auch schon in uns vorhanden seyn, bevor es noch Erscheinungen geben kann, weil diese durch die Synthesis von jenen Anschauungen erst entstanden seyn sollen. Sie lehrt also: Das Daseyn der Erscheinungen sey eine Bedingung der empirischen Vorstellungen, und das Daseyn der empirischen Anschauungen sey wiederum eine Bedingung der Erscheinungen; was nichts als Widerspruch ist, indem das Bedingte nicht auch zugleich ein Grund der Bedingung seyn kann.51

Aber gegen dieses zweite Verständnis der kantischen Affektion spricht ein gewichtiger Grund. Jedenfalls konnte Kant nach Schulze die Voraussetzung von affizierenden Dingen an sich nicht „gänzlich aufgeben“.52 In dieser Erklärung des kantischen Festhaltens an dieser Lehre, ist deutlich eine Reprise von Reids theologischer Polemik gegen Lockes und seiner Nachfolger „way of ideas“ zu vernehmen:

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Ebd., S. 519. Ebd. Ebd., S. 520, Anm. Ebd. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Denn es versteht sich wohl von selbst, daß wenn die Synthesis, welche unser Verstand an den empirischen Wahrnehmungen ausübt, alle Wirklichkeit erst erzeugt [sic], und wenn es außer der vom Denken des Verstandes abhängigen Wirklichkeit [sic] sonst gar keine weiter gibt, alsdann Religion auf bloßer Einbildung beruhen, und sich in ihren Fundamentallehren lediglich auf Producte unsers Denkens, die keine Gegenstände unserer Verehrung und Hoffnung seyn können, beziehen würde. Werden hingegen Dinge an sich als wirklich angenommen, und sogar den Erscheinungen, woraus Erfahrung bestehen soll, als Correlata derselben zum Grunde gelegt; so büßt zum wenigsten die Gedenkbarkeit der objectiven Existenz eines obersten moralischen Welturhebers, und der objectiven Fortdauer unserer Seele nach dem Tode durch die Herabwürdigung der ganzen Erfahrungswelt zu einem bloßen Geschöpfe [sic] des Verstandes aus Materialien der Sinnlichkeit nichts ein, und es kommt alsdann nur darauf an, ob sich Gründe ausfindig machen lassen, worauf der Glaube an jenen Urheber und an diese Fortdauer gestützt werden kann.53

Bekanntlich hat sich nach Heinrich Heine der Menschenfreund Kant um seines Dieners Lampe willen auf die Suche nach solchen Gründen begeben. Damit kommt Schulze zu seiner Schlussdiagnose über den Autor Kant, dem er wie einem Patienten ein menschliches Verständnis entgegenbringt: Warum aber endlich der Verfasser der Vernunft-Kritik über den Widerspruch der in den Lehren derselben von dem Ursprung des Stoffes der Erfahrungserkenntnisse aus der Affection des Gemüthes durch übersinnliche [sic] Dinge an sich, und von der gänzlichen Untauglichkeit der Kategorien Existenz und Ursache zu einer Anwendung auf übersinnliche Dinge Statt findet, niemahls sich erklärt, oder wie solcher zu heben sey, gezeigt hat, sondern alles ignorirt, was darüber sowohl von manchen Verehrern, als auch von allen Gegnern seines transscendentalen Idealismus gesagt worden ist, davon läßt sich der Grund leicht einsehen. Um jenen Widerspruch zu vermeiden, muß nähmlich angenommen werden, entweder daß die Begriffe des Verstandes auch auf Objecte außer aller Erfahrung angewendet werden können, und der Mensch einer Erkenntniß des Uebersinnlichen fähig sey; oder daß den Erkenntnissen der Sinne gar kein Ding an sich zum Grunde liege, jene also auch keine Erscheinungen ausmachen. Die eine Annahme verändert aber das System der Vernunft-Kritik in seinen wesentlichen Lehren eben so sehr, als wie die andere, und von dem Verfasser des Systems selbst darf 53

Ebd., S. 520 f. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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man es natürlicher Weise wohl nicht erwarten, daß er dergleichen Veränderung damit vornehmen werde.54

Mit der von mitmenschlichem Verständnis getragenen Feststellung dieses fundamentalen Widerspruchs in der kantischen Philosophie begnügt sich Schulze aber nicht. Er konstatiert fernerhin einen fatalen Zirkel in der Begründung wesentlicher Lehrstücke dieser Theorie. Wenn aber die Kritik der reinen Vernunft […] die Realität der Erfahrung der Materie nach, durch eine Chimäre, oder durch den Begriff von einem Dinge an sich, in Ansehung dessen sie selbst gesteht, daß seine Beziehung auf etwas objectiv und außer dem Denken Vorhandenes völlig ungewiß sey, begründet; so drehet sie sich hingegen bey der Begründung der Realität der Erfahrung, der Form nach, (d. h. in Ansehung der vorgeblich zur Erfahrung nothwendigen reinen Synthesis des Mannigfaltigen der Sinnlichkeit durch den Verstand) in einem Zirkel herum.55

Mit diesem Vorwurf vervollständigt Schulze also seine Kritik der kantischen Erfahrungstheorie. Der Materie der Erfahrung nach enthält sie einen Widerspruch, der Form dieser Erfahrung nach begeht sie einen Begründungszirkel. Die Kritik der reinen Vernunft behauptet nach Schulze nämlich einerseits, daß den reinen Anschauungen Raum und Zeit, den Kategorien und den daraus herrührenden synthetischen Grundsätzen allererst durch ihre Beziehung auf mögliche und wirkliche Erfahrung Realität zugesichert werde. Nun leitet aber eben dieselbe […] alles Objective in der Erfahrung, und den Unterschied dieser von der bloß subjectiv gültigen Folge der Vorstellungen in der Einbildungskraft einzig und allein aus der Verbindung der Wahrnehmungen nach den reinen Begriffen des Verstandes ab; oder diese Verbindung ist nach ihr die eigentliche Quelle und Grundlage alles Objectiven in der Erfahrungserkenntniß. Mithin ist nach derselben der Grund der Realität der Erfahrung, oder des Unterschiedes dieser von bloßen Einbildungen, in den reinen Begriffen des Verstandes enthalten, denen gemäß empirische Anschauungen mit einander verbunden worden sind; der Grund der Realität der reinen Verstandesbegriffe aber darin befindlich, daß sie sich auf wirkliche oder mögliche Erfahrung beziehen, und dem in derselben Befindlichen entsprechen. Folglich leitet sie die Realität der reinen Vorstellungen aus der Beziehung dieser Vor54 55

Ebd., S. 521 f. Ebd., S. 522. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

BEMERKUNGEN ÜBER DEN SKEPTIZISMUS BEI KANT UND SCHULZE

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stellungen auf Erfahrung, die Realität der Erfahrung aber wiederum aus demjenigen ab, was in ihr von jenen Vorstellungen befindlich ist.56

Schulze belegt seine Diagnose eines solchen Zirkels57 in der kantischen Erfahrungstheorie durch ein Zitat aus Kants „Methodenlehre“ der Kritik der reinen Vernunft, das sich auf das Kausalprinzip beziehen soll: „Dieser Zirkel in der Begründung der Realität dessen, was zur Form der Erfahrung gehören soll, ist sogar auch in der Kritik der reinen Vernunft selbst unverhohlen angegeben worden, wenn es darin S. 765 [der zweiten Auflage] heißt: ‚Der Grundsatz der Causalität hat die besondere Eigenschaft, daß er seinen Beweisgrund, nähmlich Erfahrung, selbst zuerst möglich macht, und bey dieser immer vorausgesetzt werden muß.‘“58 In Kants Satz ist zwar vom „Grundsatz der Causalität“ nicht die Rede. Da aber kurz vorher der „Satz: alles, was geschieht, hat seine Ursache“59 bei Kant angeführt wird, so liegt hier keine Verfälschung des Sinnes durch Schulzes Zitatmontage vor. Aber er hat Kants Behauptung nicht verstanden. Der Beweisgrund dafür, dass alles, was geschieht, Wirkung einer Ursache ist, besteht darin, dass die Möglichkeit der Erfahrung von allem, was geschieht, von der Voraussetzung abhängt, dass es als die notwendige Folge von einer vorhergehenden Ursache und also als durch beliebige Setzung einer solchen Ursache jederzeit erzeugbar gedacht wird (s. o.). Also haben alle Ereignisse entweder eine Ursache, oder sie sind keine möglichen Objekte einer Erfahrung. Auch hier findet sich keinerlei Zirkel bei Kant.

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Ebd., S. 523 f. Diese oft gestellte Zirkeldiagnose habe ich als auf Missverständnissen der kantischen Texte beruhend erörtert in meinem Beitrag: „Kants ‚Möglichkeit der Erfahrung‘“, in: Kants Theorie der Erfahrung, hg. v. Rainer Enskat, Berlin und Boston, 2015, S. 151-167. Schulze, Kritik der theoretischen Philosophie, a.a.O., Bd. 2, S. 524. KrV A 737/B 765. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Stäudlin über die Krankheit des Zeitalters Der evangelisch-lutherische Theologe Karl Friedrich Stäudlin ist heute eine fast vergessene Gestalt der Philosophiegeschichte. Sein großangelegtes Werk Geschichte und Geist des Skepticismus (1794)1 gehört jedoch zu den wichtigen Schriften, die im Rahmen des wachsenden Interesses am Skeptizismus im Deutschland der 1790er Jahre publiziert wurden. Darin waren sich Rezensenten dieses zweibändigen Werkes einig;2 einig waren sie sich jedoch auch darin, dass es dem Verfasser nicht gelungen ist, dem Leser einen Begriff des philosophischen Skeptizismus zu vermitteln. Stäudlins Schrift bleibt also in einer wesentlichen Hinsicht mangelhaft. Im Folgenden möchten wir Stäudlins Beitrag zur Diskussion über den Skeptizismus in der nachkantischen Philosophie verdeutlichen. Zunächst gehen wir auf die Zeitumstände des Werkes, die für sein Verständnis wichtig sind, ein. Im nächsten Schritt konzentrieren wir uns auf Stäudlins philosophische Abhandlungen über den Skeptizismus, die eine eigene Theorie desselben enthalten. In einem Exkurs zu seinen historischen Erörterungen wollen wir Stäudlins Auffassung von Reinholds und Schulzes Werk betrachten. Es wird sich zeigen, dass Stäudlins Schrift nicht rein akademisch, sondern politisch motiviert ist: Ein „seichter Skepticismus“ wird für die Erschütterung der Moral und Religion in seiner Zeit verantwortlich gemacht.

1. Stäudlins Diagnose seines Zeitalters Stäudlin eröffnet seine Schrift mit einem wohlbekannten Satz: „Der Skepticismus fängt an, eine Krankheit des Zeitalters zu werden, und ‒ was eine seltene Erscheinung in der Geschichte ist ‒ 1 2

Stäudlin, Carl Fridrich, Geschichte und Geist des Skepticismus, vorzüglich in Rücksicht auf Moral und Religion, Leipzig, 1794. Vgl. Anonymus, „Rezension“, in: Neue allgemeine deutsche Bibliothek, Bd. 18, Stück 1, 1795, S. 15-25; Tennemann, Wilhem Gottlieb, „Rezension“, in: Philosophisches Journal einer Gesellschaft Teutscher Gelehrten, Bd. 3, 1795, S. 90 f. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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sich unter mehrere Stände zu verbreiten und seine Wirkungen im Großen zu äußern.“3 Laut Stäudlins Diagnose des Zeitalters, also des Zeitalters der Französischen Revolution, ist die Zeit erkrankt. Die Krankheit, der Skeptizismus, breitet sich auf die Gesellschaft aus und infiziert auch die Politik. Stäudlin schreibt seine Schrift aus Furcht vor einem „sehr seichte[n] und gefährliche[n] Skepticismus“4, der dem Menschen seine Stütze auf dem Gebiet der Moral und Theologie raubt. Für die Verbreitung des Skeptizismus macht Stäudlin die Entwicklung in der neuzeitlichen Philosophie verantwortlich: „Die neueste Revolution in der Philosophie ist durch ihn veranlaßt worden und hat ihn wieder zum Gegenstande einer tiefern philosophischen Untersuchung gemacht. Jene Revolution sollte ihn stürzen, nach einer neuen Entdekung soll sie ihm kein Haar gekrümmt oder gar ihn vielmehr bevestigt haben.“5 Stäudlin spielt hier auf Kants kritische Philosophie an, die er als einen Versuch deutet, eine Antwort auf Humes Skeptizismus zu geben und dem Menschen dadurch eine neue, sichere Stütze zu geben.6 Er bedauert, dass Kants Versuch offensichtlich gescheitert ist, weil neuere Autoren (z. B. Schulze mit seiner Schrift Aenesidemus von 1792) überzeugend gezeigt haben, dass „Hume’s Skepticismus durch die Vernunftkritik im geringsten nicht widerlegt worden sei“.7 3 4 5

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Stäudlin, Geschichte und Geist des Skepticismus, a.a.O., Bd. 1, S. III. Ebd., Bd. 2, S. 295. Ebd., Bd. 1, S. III. Der anonyme Rezensent stimmt Stäudlin zu: „Da überdies in unseren Tagen der Skepticismus seine Stimme wieder erhoben und selbst dasjenige System zu bestreiten angefangen hat, das laut der Erklärung seines Erfinders ganz eigentlich dazu bestimmt ist, den Skepticismus gänzlich zu zerstören, und seinen ferneren Bestreitungen der Möglichkeit und Wirklichkeit der Philosophie auf immer Einhalt zu thun; da eben dadurch die Fragen, welche den Ursprung, den Geist und die Absicht des Skepticismus betreffen, fast interessanter geworden sind, als sie wohl jemals waren: so verdient das gegenwärtige Werk [Stäudlins] um so mehr die Aufmerksamkeit aller derer, welchen die neuesten Veränderungen und Streitigkeiten im Gebiete der Philosophie nicht gleichgültig sind“. (Anonymus, „Rezension“, a.a.O., S. 16) Stäudlin hat seine Geschichte und Geist des Skepticismus als Ausdruck seiner Achtung an Kant geschickt (vgl. Stäudlin an Kant, 14. 6. 1794, AA XI, S. 488 f.). Kant antwortet erst nach sechs Monaten (vgl. Kant an Stäudlin, 4. 12. 1794, AA XI, S. 513-515). Er bedankt sich herzlich für das zugeschickte Werk und bittet um Unterstützung in seinem Streit mit der preußischen Zensur. Nachdem Kant bei Stäudlin tatsächlich Unterstützung fand, hat er Stäudlin aus Dankbarkeit seine Schrift Der Streit der Fakultäten (1798) zugeeignet (vgl. AA VII, S. 3). Stäudlin, Geschichte und Geist des Skepticismus, a.a.O., Bd. 2, S. 288. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Stäudlin erklärt die wachsende Popularität der Skepsis in der nachkantischen Philosophie durch den Umstand, dass die Gegenwart einem rohen und unphilosophischen Begriff des Skeptizismus anhängt. Seiner Meinung nach gibt es nur wenige, „welche recht wissen, was Skepticismus ist“.8 Deshalb fasst er den Entschluss, „eine Geschichte des Skepticismus und psychologische Untersuchungen über den skeptischen Gemüthszustand zu schreiben“.9 Stäudlins Anliegen ist also apologetisch. Gegen eventuelle Kritiker wendet er ein, es wäre seiner Absicht gänzlich zuwider, sollte seine Schrift „zur Beförderung des Skepticismus“10 beitragen. Es geht ihm eher darum, den „moralischen Glauben“11 zu stärken und dem Leser ein Heilmittel gegen die Krankheit des Zeitalters anzubieten.

2. Stäudlins ,allgemeine Theorie‘ des Skeptizismus Bevor Stäudlin zur eigentlichen Geschichte des Skeptizismus übergeht, schickt er vier philosophische Abhandlungen voraus, in denen er „den Geist, die Gattungen, die Quellen, [und] die Wirkungen“ des Skeptizismus untersucht. Die wichtigsten Punkte sollen kurz zusammengefasst werden. Über den Geist des Skeptizismus äußert sich Stäudlin bemerkenswerterweise nicht. Folglich bietet er zwar verschiedene Definitionen des Skeptizismus an, ohne dass er irgendeine von diesen für die richtige halten würde.12 Diesen Mangel hofft Stäudlin dadurch zu kompensieren, dass er zwei verschiedene Einteilungen des Skeptizismus vornimmt. Erstens wird der Skeptizismus in zwei Gattungen unterteilt: Der Skeptizismus könne somit entweder als „etwas Subjectives“ oder als „etwas Objectives“ betrachtet werden. An dem subjektiven Skeptizismus wird nochmals eine Unterteilung vorgenommen und wiederum ergeben sich zwei Arten: Der subjektive Skeptizismus wäre dann entweder „ein Zustand des 8 9 10 11 12

Ebd., Bd. 1, S. III. Ebd., S. V. Ebd., S. IX. Ebd., S. V. Dieser Umstand ist Tennemann nicht entgangen: „Um die Geschichte des Skepticismus zu schreiben, muß man einen bestimmten Begriff von demselben, von dessen Charakter und Unterschiede von dem Dogmaticismus haben. Dieses fehlt dieser Geschichte, ungeachtet sich der Verf. in der vorangesetzten Abhandlung darum beworben hat.“ (Tennemann, „Rezension“, a.a.O., S. 90.) Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Gemüths, eine Denkart“, oder „eine Kunst, eine Fertigkeit, eine Methode“. Demgegenüber wäre der objektive Skeptizismus „ein System oder eine Reihe von Sätzen“.13 Zu den einzelnen Arten des Skeptizismus fügt Stäudlin noch einen Kommentar hinzu. Der subjektive Skeptizismus als ein psychischer „Zustand des Gemüths“ ist diejenige „Stimmung des Gemüths, da man über keinen Gegenstand etwas bejaht oder verneint, und alles ohne Unterschied bezweifelt, selbst das, daß man Alles bezweifeln müsse“.14 Ein solcher Zustand ist nach Stäudlin ein Ideal, das in keiner Menschenseele verwirklicht werden kann. Sobald der Mensch etwas annimmt, muss er sogleich auch etwas bezweifeln. Somit findet er sich in einem unendlichen Regress, indem „er in einer beständigen vermeintlichen Entfernung von aller Überzeugung immer etwas verwirft und wieder etwas neues dafür annimmt, immer Urtheile und Grundsätze nur durch andere Urtheile und Grundsätze zweifelhaft machen kann und so sein Ziel niemals erreicht“.15 Kurz gesagt, ein Zustand des allgemeinen Zweifels überfordert die menschliche Psyche. Zwar ist es dem Menschen möglich, einen Standpunkt des partiellen Zweifels einzunehmen, aber selbst dieser wird bald unerträglich – so kann z. B. der Zweifel an der Existenz der Körperwelt außer ihm oder an einzelnen Empfindungen in ihm oder an praktischen Angelegenheiten nicht lange aufrechterhalten werden.16 Die Fesseln, die er gerne noch länger getragen hätte, werden durch mannigfaltige Umstände (durch den Einfluss der Neigungen, durch die Notwendigkeit zu handeln usw.) von selbst gelöst. Stäudlin ist überzeugt, dass die Alten (gemeint ist vor allem Sextus Empiricus) den Skeptizismus als einen psychischen Zustand des Gemüts nicht gekannt haben. Er rechnet dies dem Umstand zu, dass die Psychologie als Wissenschaft damals noch nicht entwickelt war.17 Der subjektive Skeptizismus als Methode ist folglich eine „Fertigkeit, bei Allen ohne Unterschied, was vorgestellt werden kann, Gründe für und wider von gleichem Gewichte, zu denken und anzuführen“.18 Stäudlin beruft sich auf die antike Skepsis, insbesondere auf diejenige, die von Sextus Empiricus entwickelt wurde. Sie 13 14 15 16 17 18

Stäudlin, Geschichte und Geist des Skepticismus, a.a.O., Bd. 1, S. 4. Ebd. Ebd. Ebd., S. 5. Ebd., S. 6 und 12. Ebd., S. 6. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

STÄUDLIN ÜBER DIE KRANKHEIT DES ZEITALTERS

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ist nach Sextus „die Kunst, auf alle mögliche Weise erscheinende und gedachte Dinge einander entgegenzusetzen, von der aus wir wegen der Gleichwertigkeit der entgegengesetzten Sachen und Argumente zuerst zur Zurückhaltung, danach zur Seelenruhe gelangen“.19 Der antike Skeptizismus ist eine allgemeine Methode, die beabsichtigt, die Gültigkeit von beliebigen Erscheinungen oder Urteilen zu suspendieren.20 Jeder konkreten Erscheinung und jedem bestimmten Urteil soll sein Gegenteil entgegengesetzt werden. Dieses Verfahren des antiken Skeptizismus soll letztlich in eine Zurückhaltung des Urteils (epoche) münden. Der subjektive Skeptizismus als Methode ist eigentlich dasjenige Verfahren, das man seit der Antike als Skepsis bezeichnet. Der objektive Skeptizismus wäre dann „ein Inbegriff aller der Gründe und Gegengründe, durch welche die ganze menschliche Erkenntnis zweifelhaft gemacht werden kann“.21 Stäudlin beruft sich auf Sextus, der die Gründe und Gegengründe nach den verschiedenen Zweigen der philosophischen Erkenntnis und ihrer systematischen Einteilungen ordnete. Dagegen wendet Stäudlin jedoch ein, dass der Skeptizismus „alle Gründe der menschlichen Erkenntnis und selbst diejenige, auf welchen aller Unterschied und alle Anordnung der Wissenschaften und alle Einheit des Systems beruht, erschüttert, so kann er sich selbst freilich für kein System ausgeben“.22 Der Anspruch der Systematizität ist übrigens ein Zeichen des Dogmatismus, von dem sich der Skeptizismus distanzieren möchte. Daher kommt Stäudlin zum Schluss, ein System des Skeptizismus könne es eigentlich überhaupt nicht geben. Stäudlin setzt implizit ein modernes Verständnis des Skeptizismus voraus. Im Unterschied zu Sextus konzipiert er den Skeptizismus nicht als eine allgemeine Methode, im Rahmen derer beliebige Erscheinungen oder Urteile suspendiert werden. Nach Stäudlins Auffassung bezweckt der Skeptizismus die Lösung spezifischer Probleme, womit Erkenntnis erlangt wird: So dient der methodische Zweifel bei Descartes dazu, etwas, was absolut oder

19 20 21 22

Sextus Empiricus, Grundriß der pyrrhonischen Skepsis, Frankfurt am Main, 1993, S. 94 (I,4). Forster, Michael N., Hegel and Skepticism, Cambridge and London, 1989, S. 10. Stäudlin, Geschichte und Geist des Skepticismus, a.a.O., Bd. 1, S. 7. Ebd., S. 8. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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relativ sicher sei (cogito), zu entdecken und auf dieser Grundlage etwas anderes zu erkennen (die Außenwelt).23 Das moderne Verständnis des Skeptizismus ist im Falle einer anderen Einteilung des Skeptizismus, die Stäudlin einige Seiten weiter vornimmt, noch auffälliger. Verschiedene Arten des Skeptizismus werden in diesen Passagen als Grade einer Annäherung an ein unerreichbares Ideal des allgemeinen Skeptizismus konzipiert. Der erste und niedrigste Grad des Skeptizismus ist derjenige, der „Erscheinungen, Thatsachen des Bewußtseyns zugesteht, die unwiderstehlich zum Beyfall und Handeln nöthigen“24, alles Übrige wird jedoch für zweifelhaft erklärt. Der zweite Grad würde darin bestehen, dass man „die subjective Wahrheit zugesteht“, aber „alle objective Wahrheit bezweifelt, die Objecte mögen nun durch die Sinne oder die Vernunft vorstellbar seyn“.25 Stäudlin fügt nun hinzu, dass die subjektive Wahrheit entweder bloß in der „Übereinstimmung unserer Gedanken unter sich“ oder „in der Übereinstimmung unserer Vorstellungen mit den Thatsachen des Bewußtseyns“ oder „in beiden“ bestehen kann.26 Der dritte Grad des Skeptizismus wäre derjenige, bei dem man „von einem dogmatischen Leugnen der Übereinstimmung unserer Vorstellungen mit der wahren Beschaffenheit der Objecte außer uns ausginge und auf dieses Leugnen ein Bezweifeln der objectiven Wahrheit gründete“.27 Auch dieser Grad lässt weitere Differenzierungen zu. Der vierte und höchste Grad würde darin bestehen, dass nicht „die Möglichkeit der objectiven Wahrheit für uns, sondern nur die Wirklichkeit der erkannten objectiven Wahrheit geleugnet wird, aber so, daß man hofft, die Philosophie werde vielleicht einmal noch bestimmen können, was die Dinge an sich seien“.28 Diese zweite Einteilung fasst Stäudlin als das Resultat der vorhergehenden Ausführungen, in denen verschiedene antike (z. B. Sextus) und moderne Konzeptionen des Skeptizismus (z. B. von Schulze, Platner, Reinhold) behandelt wurden. Stäudlins Hauptinteresse gilt eindeutig dem modernen Skeptizismus. Die verschiedenen Grade unterscheiden sich nämlich darin, was als absolut 23 24 25 26 27 28

Zum Unterschied des antiken und modernen Skeptizismus vgl. Forster, Hegel and Skepticism, a.a.O., S. 10 f. Stäudlin, Geschichte und Geist des Skepticismus, a.a.O., Bd. 1, S. 31. Ebd., S. 31 f. Ebd., S. 32. Ebd. Ebd., S. 32 f. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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oder relativ sicher betrachtet wird und was dagegen zweifelhaft bleibt. Es ist kennzeichnend, dass sich der Erkennende auf dem vierten Grad erhofft, er könne die Dinge an sich erkennen. Das Ideal des allgemeinen Skeptizismus verwandelt sich bei Stäudlin in der zweiten Einteilung ins Ideal der absoluten Erkenntnis. Die erste Einteilung arbeitet mit qualitativen Kriterien, nämlich mit verschiedenen, untereinander nicht kompatiblen Gattungen. Demgegenüber ist die zweite Einteilung quantitativ: Sie ist als eine einheitliche Skala konzipiert. Beide Einteilungen unterscheiden sich also ihrem Wesen nach und verfolgen andere Ziele. Nach der Klassifizierung des Skeptizismus widmet sich Stäudlin dem Ursprung und den Quellen desselben. Er ist überzeugt, aller Ursprung des Skeptizismus sei auf nur zwei Ursachen rückführbar. Der Ursprung des Skeptizismus kann entweder aus historischer oder psychologischer Sicht betrachtet werden.29 Die historische Perspektive nimmt derjenige ein, der die verschiedenen Ursachen untersucht, die dazu beitragen, dass eine Kunst erfunden wurde, die alle dogmatischen Behauptungen zweifelhaft zu machen trachtet. Die psychologischen Ursachen sind dagegen diejenigen, die bei jedem einzelnen Menschen zu einer skeptischen Denkart führen können. Stäudlin hält den Philosophen vor, dass sie dem psychologischen Ursprung des Skeptizismus bisher nicht gebührend Aufmerksamkeit gewidmet haben. Er zitiert eine längere Passage aus Rousseaus „Glaubensbekenntnis des savoyischen Vikars“, und fasst zusammen: „Nachdem der savoyische Vikar sein Glaubensbekenntnis über die natürliche Religion abgelegt hat, so bekennt er eben so offen den Skepticismus, der ihm in Ansehung der Offenbarung übrig geblieben ist.“30 Auch in Bezug auf den Ursprung des Skeptizismus betont Stäudlin den Vorrang des modernen Skeptizismus. Dieser nämlich macht auf die Grenzen der menschlichen Kräfte aufmerksam. Die Offenbarung übersteigt das menschliche Vermögen und bleibt deshalb ein unerreichbares Ziel des menschlichen Strebens und Wissens. Stäudlin zählt sechs verschiedene Quellen des Skeptizismus auf.31 Des Weiteren widmet sich Stäudlin auch den Folgen und Wirkungen des Skeptizismus. Er unterteilt sie nach Wirkungen in der Seele des Skeptikers und nach Wirkungen in Rücksicht auf die 29 30 31

Ebd., S. 37. Ebd., S. 48. Ebd., S. 39-107. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Gesellschaft.32 Was die erste Frage betrifft, so ist er überzeugt, der vollendete Skeptizismus zerstöre eigentlich alle Moralität,33 da dieser den Glauben an das absolute Gute, also an das Wesen aller Moralität zunichtemache. Das absolute Gute wird folglich als ein durchaus gleichgültiger Gegenstand dargestellt. „Die Skeptiker handelten nach den Gesezen und Sitten ihres Vaterlandes, weil sie es mußten. Hierdurch wurde, wenn auch die Geseze und Sitten gut waren, doch bloß eine äußere Gesezmäßigkeit hervorgebracht. Waren die Geseze und Sitten moralisch schlimm, so war für sie eher der Grund vorhanden, sich nach denselben zu bequemen.“34 Die Skeptiker handeln also der Moral zuwider und opportunistisch. Noch gefährlicher ist der Skeptizismus in Rücksicht auf das bürgerliche Leben: „Der philosophische Skepticismus scharfsinniger Köpfe wird in seiner weiter[n] Verbreitung unter die Menge zum seichten, unmoralischen Skepticismus und kann alsdann die gröste Verwüstungen im bürgerlichen Leben anrichten.“35 Ähnlich wie Edmund Burke verweist Stäudlin auf die Rolle der Intellektuellen in Zeiten der gesellschaftlichen Umwälzungen: „Der einsame, abgezogene Gelehrte, der in seinem stillen Cabinete seine Speculationen niederschreibt, und in der Staatsmaschine ein träger, unbedeutender Theil zu seyn scheint, bereitet oft, ohne es zu ahnden, die wichtigste Revolutionen vor.“36 Die Ideen der Intellektuellen verbreiten sich nämlich „nach und nach in die Schulen, in die Volksbücher, in die öffentliche Vorträge, in die Unterhaltung des Umgangs“37 und verwandeln sich in eine herrschende Meinung einer großen Menge von Menschen. Für die Religion ist der Skeptizismus nahezu tödlich. „Da so wenige Menschen Aberglauben von Religion zu scheiden wissen, so werden die meiste mit der Bezweiflung des Kirchenglaubens sogleich alle Religion und Moral bezweifeln. Wenn ihnen die Kraft der Messe zweifelhaft wird, so wird es ihnen auch die Vorsehung und die Existenz Gottes werden.“38 Nach Stäudlin ist eine Tugend oder eine sichere Regel für das Handeln unabhängig von der Reli32 33 34 35 36 37 38

Ebd., S. 107 f. Ebd., S. 113. Ebd., S. 113 f. Ebd., S. 121. Ebd., S. 121 f. Burkes Betrachtungen über die Französische Revolution sind in der Übersetzung von Friedrich von Gentz im Jahre 1793 erschienen. Stäudlin, Geschichte und Geist des Skepticismus, a.a.O., Bd. 1, S. 122. Ebd., S. 123. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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gion nicht denkbar. Wenn der Skeptizismus die Religion diskreditiert, dann entsteht „der Keim zu einem unabsehlichen Sittenverderbnis, zur Zerstörung des Gemeingeists, zum Verfall und zu bürgerlichen Unruhen“.39 Stäudlin fasst seine Kritik am seichten Skeptizismus folgendermaßen zusammen: „Er zerstört überall und baut nirgends. Er hat den Anschein des Fortschreitens und des Besserwerdens und bringt unvermerkt in die Barbarei zurück […] er […] bringt die Menschen dem Zustande der Brutalität immer näher. Wenn der Mensch an seiner Würde und an seiner gewissen Bestimmung auf Erden zweifelhaft wird, so ist bald Alles verloren!“40 Stäudlins Auseinandersetzung mit dem Skeptizismus ist also eindeutig politisch motiviert: Er macht den Skeptizismus für die Französische Revolution mit ihrem Terror und ihrer Brutalität in der Phase der Jakobinerherrschaft verantwortlich.41 Wird dieser Umstand berücksichtigt, so gewinnt seine Schrift eine gewisse Dringlichkeit, die zwischen den Zeilen zu lesen ist. Stäudlin verfasst seine Schrift also nicht aus einem rein theoretischen Interesse, sondern aus einem praktischen Bedürfnis: Es ist sein Anliegen, die Gegenwart vor dem seichten Skeptizismus, der schon so viel Übel in die Welt gebracht hat, zu warnen. Und endlich äußert sich Stäudlin über Idee und Plan seiner Geschichte des Skeptizismus. Er ist überzeugt, dass sich die Ursachen und Wirkungen des Skeptizismus historisch nicht erklären lassen, „wenn man nicht auf andere philosophische Systeme, die entweder zur Erzeugung desselben dienten, oder von ihm bestritten oder durch ihn hervorgebracht oder endlich zur Bestreitung desselben gebraucht wurden, Rücksicht nimmt“.42 Er antizipiert den Einwand, dass seine Geschichte des Skeptizismus breiter als üblich gefasst ist: „Wollte man die Geschichte des Skepticismus bloß auf die wahren philosophischen Skeptiker einschränken, so würde sie sehr ins kleine zusammenfallen und kaum pragmatisch seyn können, da man auf diese Art Ursachen und Wirkungen desselben nur

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Ebd. Ebd., S. 124. Diesen Umstand haben beide Rezensenten von Stäudlins Schrift, der Anonymus und Tennnemann, nicht berücksichtigt. Es ist bekannt, dass Stäudlins älterer Bruder, der Dichter Gotthold Friedrich, den Jakobinern zugeneigt war. Stäudlin, Geschichte und Geist des Skepticismus, a.a.O., Bd. 1, S. 146. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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sehr unvollständig auseinandersetzen könnte.“43 Eine solche Begründung überzeugt jedoch keineswegs. Stäudlin fasst seine Geschichte des Skeptizismus nicht als eine inhaltliche Entwicklung des Skeptizismus in seinen verschiedenen Aspekten (z. B. antiker Skeptizismus versus moderner Skeptizismus), sondern als eine Geschichte bedeutender Männer, die sich um die Weiterführung des Skeptizismus verdient gemacht haben.44

3. Stäudlin und Reinhold Stäudlin referiert über Reinhold nicht in seiner Geschichte des Skeptizismus selbst, sondern in der vorangestellten allgemeinen Theorie desselben. Er bezieht sich dabei auf Reinholds Abhandlung „Ueber den philosophischen Skepticismus“ (1793), die als eine Einführung zu Tennemanns Übersetzung von Humes Untersuchung über den menschlichen Verstand verfasst wurde.45 Reinhold eröffnet seine Abhandlung mit einer Skizze über das Wesen des philosophischen Skeptizismus. Er beschreibt den modernen Skeptizismus, dessen Ausgangspunkt Grundsätze, oder genauer gesagt, Urteile der Vernunft bilden müssten, die „entweder schlechthin, oder doch dort, wo sie als Gründe gebraucht werden, keines Beweises fähig und bedürftig sind“.46 Diese Grundsätze sollen in die philosophische Überzeugung münden, nach der man 43

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Ebd., S. 140 f. Einen solchen Einwand hat z. B. der anonyme Rezensent von Stäudlins Schrift erhoben: „Eher könnte man dem Vf. den Vorwurf machen, daß er mehr in die Geschichte des Skepticismus hineingezogen habe, als hinein gehöre, und nach einer sorgfältigen Bestimmung des Begriffs vom philosophischen Skepticismus, möchte wohl mancher nicht den Namen eines Skeptikers verdienen, den der Vf. damit beehrt hat.“ (Anonymus, „Rezension“, a.a.O., S. 24) Stäudlin unterteilt die Geschichte des Skeptizismus in sechs Perioden: 1. von der Vorbereitung des Skeptizismus bis Pyrrho, 2. von Pyrrho bis Sextus, 3. von Sextus bis Montaigne, 4. von Montaigne bis La Mothe le Vayer, 5. von La Mothe le Vayer bis David Hume, 6. von Hume bis Kant und Platner. Der Grund einer ebensolchen Unterteilung der Geschichte des Skeptizismus wird selbst nicht weiter erläutert. Vgl. Stäudlin, Geschichte und Geist des Skepticismus, a.a.O., Bd. 1, S. 146-148. Reinhold, Karl Leonhard, „Ueber den philosophischen Skepticismus“, in: David Humes Untersuchung über den menschlichen Verstand neu übersetzt von M. W. G. Tennemann nebst einer Abhandlung über den philosophischen Skepticismus von Herrn Professor Reinhold in Jena, Jena, 1793, S. I-LII. Ebd., S. IX. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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sein Urteil über gewisse Gegenstände für immer zurückhalten müsse. Weiter setzt Reinhold dogmatisch voraus, dass über solche Gegenstände kein begründetes Urteil möglich ist und dass jedes mögliche Urteil grundlos ist. Der Skeptizismus leugnet die Wahrheit, sofern diese ein gegründetes Urteil über den Gegenstand voraussetzt.47 Reinhold unterscheidet in diesem Kontext zwischen der subjektiven und objektiven Wahrheit, und behauptet, dass der Skeptiker die subjektive Wahrheit anerkennt, damit er die objektive Wahrheit leugnen könne.48 Sein Interesse beschränkt sich dann auf die subjektive Wahrheit, die in der „Uebereinstimmung der Vorstellungen mit den Vorgestellten (Objekten) im Vorstellenden (Subjekte)“ bestehe.49 Reinhold bemüht sich nun darum, die subjektive Wahrheit von den logischen Regeln des Denkens zu unterscheiden: „Wahr ist es: das ganze Feld des Skepticismus liegt ausser dem der Logik als Wissenschaft eigenthümlichen Gebiete, und die Wahrheit, mit der es der Skeptiker zu tun hat, betrifft nicht diese Regeln, sondern einen Gebrauch derselben, der sie zwar voraussetzt, aber keineswegs von ihrer Wahrheit allein abhängig ist.“50 Der Gebrauch dieser Regeln setzt mehr als bloße Abwesenheit des Widerspruchs im Denken voraus; er ist zusätzlich von einem Inhalt des Gedankens, der nur durch die ,Tatsachen des Bewußtseins‘ gegeben werden kann, bedingt. Daraus schließt Reinhold, die allgemeinen Tatsachen des Bewusstseins und nicht logische Regeln des Denkens „machen das Fundament des philosophischen Skepticismus, den Stoff seiner Grundbegriffe, den Inhalt derjenigen Grundsätze aus, worauf er seine Philosopheme gründet, und allein zu gründen vermag“.51 Reinhold hat in der Abhandlung große Schwierigkeiten zu zeigen, was die ,Tatsachen des Bewußtseins‘ eigentlich sind. Er illustriert sie an einem Beispiel: „es ist (…) eine Thatsache meines Bewußtseyns, daß ich die sichtbaren Objekte als außer mir befindlich wahrnehme, aber es ist eine Erschleichung der meine Vernunft mißbrauchenden Phantasie, wenn ich mir diese Objekte, die für meine Begriffe nur in den Eindrücken und durch die Eindrücke vorhanden, und genau bestehen, nichts als diese Eindrücke selbst sind, als etwas von denselben 47 48 49 50 51

Ebd., S. XI. Ebd., S. XIII. Ebd., S. XVI. Ebd., S. XVIII. Ebd., S. XIX. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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verschiedenes denke.“52 Vorstellungen (Begriffe) beziehen sich notwendig auf einen Gegenstand (Objekt). Im Falle dieses Gegenstandes handelt es sich jedoch nicht um ein Ding an sich, sondern um einen bloßen Eindruck, wie Reinhold in Übereinstimmung mit Kant feststellt.53 Stäudlin schreibt Reinhold das große Verdienst zu, „daß dadurch genauer, als vorher geschehen war, bestimmt ist, worin die subjective Wahrheit besteht, welche der Skepticismus zugegeben muß, sobald er systematisch und consequent werden soll“.54 Reinholds Skizze des Wesens des Skeptizismus fügt Stäudlin in seine Unterteilung des Skeptizismus nach Graden ein, wobei der von Reinhold dargestellte Skeptizismus den zweiten Grad repräsentiert.

4. Stäudlin und Schulze Als anonymer Verfasser der Schrift Aenesidemus oder über die Fundamente der von dem Herrn Prof. Reinhold in Jena gelieferten Elementar-Philosophie (1792) nimmt Gottlob Ernst Schulze bei Stäudlin eine prominente Stelle ein. Der zweite Band von Stäudlins Geschichte und Geist des Skepticismus kulminiert in der Darstellung von Schulzes und Platners55 Kritik an Kants kritischer Philosophie. Stäudlin behandelt Schulzes Einwände gegen Kant aus dem Kapitel „Ist Hume’s Skeptizismus durch die Vernunftkritik wirklich widerlegt worden?“.56 Schulze wendet sich in diesem Kapitel gegen eine ,Hauptstütze‘ von Kants kritischer Philosophie, nämlich gegen die Ableitung der notwendigen synthetischen Urteile aus dem Gemüte und die Beziehung derselben auf die Erkenntnis empirischer Gegenstände. Er macht dabei eine Reihe von Zugeständnissen hinsichtlich einzelner 52 53

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Ebd., S. XXIX f. Zu Reinholds Schwanken in seiner Auffassung des Dings an sich vgl. Röd, Wolfgang, Geschichte der Philosophie, Bd. 9/1: Die Philosophie der Neuzeit 3, München, 2006, S. 152 f. Stäudlin, Geschichte und Geist des Skepticismus, a.a.O., Bd. 1, S. 29. Platner, Ernst, Philosophische Aphorismen, nebst einigen Anleitungen zur philosophischen Geschichte, Bd. 1, Leipzig, 1793. [Schulze, Gottlob Ernst], Aenesidemus oder über die Fundamente der von dem Herrn Professor Reinhold in Jena gelieferten Elementar-Philosophie. Nebst einer Verteidigung des Skeptizismus gegen die Anmaßungen der Vernunftkritik, hg. v. Manfred Frank, Hamburg, 1996, S. 98-129. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Elemente der kritischen Philosophie Kants. Dennoch behauptet er, dass in der Kritik der reinen Vernunft, inwieferne sie die ursprünglichen Bestimmungen des menschlichen Gemüts für den Real-Grund oder für die Quelle der notwendigen synthetischen Urteile in unserer Erkenntnis ausgibt, und inwieferne in derselben daraus, daß wir uns nur das Vermögen der Vorstellungen als den Grund dieser Urteile denken müssen, gefolgert wird, das Gemüt müsse auch der Grund derselben wirklich sein.57

Es wäre auch die Alternative denkbar, dass „ein Real-Grund und eine davon realiter verschiedene Ursache objektiv vorhanden sei, als daß auch überhaupt der Satz des zureichenden Grundes nicht nur von Vorstellungen und deren subjektiver Verbindung, sondern auch von Sachen an sich und deren objektiven Zusammenhang gelte“.58 Daraus schließt er, dass die „Vernunftkritik den humischen Skeptizismus eigentlich bloß dadurch zu widerlegen suche, daß sie diejenigen Sätze als bereits gewiß und ausgemacht vorausgesetzt, gegen deren Zuverläßigkeit Hume alle seine skeptischen Zweifel gerichtet hatte“.59 Um diese Alternative auszuschließen, müsste an dieser Stelle Kants transzendentale Deduktion der Kategorien aus der Kritik der reinen Vernunft interpretiert werden.60 Jedoch müssen wir uns hier mit dem Hinweis begnügen, dass sich Stäudlin mit Schulzes Kritik an Kant identifiziert, ohne aber einen selbstständigen Standpunkt zu Schulzes Kritik einzunehmen. Zusammenfassend ist festzuhalten: Stäudlins Verdienst besteht darin, dass er eine materialreiche Textsammlung zur Geschichte 57 58 59 60

Ebd., S. 99. Ebd. Ebd. Es handelt sich insbesondere um den folgenden Satz: „Von der Eigenthümlichkeit unsers Verstandes aber, nur vermittelst der Kategorien und nur gerade durch diese Art und Zahl derselben Einheit der Apperception a priori zu Stande zu bringen, läßt sich eben so wenig ferner ein Grund angeben, als warum wir gerade diese und keine andere Functionen zu Urtheilen haben, oder warum Zeit und Raum die einzigen Formen unserer möglichen Anschauung sind.“ (KrV B 146) Schulze berührt eines der bekanntesten und schwierigsten Probleme der Kant-Interpretation, nämlich das der Ableitung der Kategorien und Urteilsformen von einem höchsten Punkt, der Einheit der Apperzeption. Zu seiner Lösung vgl. Reich, Klaus, Die Vollständigkeit der Kantischen Urteilstafel, 3. Aufl., Hamburg, 1986, und Baum, Manfred, Deduktion und Beweis in Kants Transzendentalphilosophie. Untersuchungen zur „Kritik der reinen Vernunft“, Königstein, 1986, S. 24 f. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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des Skeptizismus herausgegeben und auf verschiedene praktische Aspekte des Skeptizismus (wie z. B. seine destruktive Wirkung auf Moral und Religion) aufmerksam gemacht hat. Stäudlins Schrift wurde gerade in der Zeit publiziert, als die Welle des Interesses am Skeptizismus in Deutschland kulminierte. Jedoch gelang es ihm nicht, eine selbstständige Position im Skeptizismus-Streit der nachkantischen Philosophie einzunehmen. Wie wir am Beispiel von Stäudlins Äußerungen über Reinhold und Schulze gesehen haben, beschränkt er sich nur auf Referate und enthält sich des Urteils. Dies hatte zur Folge, dass die weitere Entwicklung der Diskussion über den Skeptizismus in der nachkantischen Philosophie anderen Philosophen in Deutschland vorbehalten blieb.

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II. REINHOLD, SCHULZE UND MAIMON

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Der „Gegenstand“ der Vorstellung. Der neuralgische Punkt in der Kontroverse zwischen Reinhold und Gottlob Ernst Schulze Im sechsten Heft der Beyträge zur leichtern Uebersicht von 1803 stößt man auf eine Rezension von Gottlob Ernst Schulzes Grundsätzen der allgemeinen Logik.1 Autor ist der Herausgeber der Beyträge höchstpersönlich, Karl Leonhard Reinhold. Der einstige Begründer eines kantisch geprägten Systems der Elementarphilosophie, daraufhin Verfechter eines philosophischen Standpunktes zwischen Fichtes Wissens- und Jacobis Glaubenslehre und seit der Jahrhundertwende eines Systems des logischen Realismus referiert das 1802 erschienene Werk Schulzes ausführlich und sehr kritisch. Er fällt das vernichtende Urteil, Schulze präsentiere dem Leser eine Mischung aus transzendentalen Reflexionen Kants und psychologischen Ideen Lockes und sei somit fern davon, die für ein angemessenes Verständnis von Logik unentbehrlichen Wesensmerkmale des reinen Denkens zu erfassen. Weshalb, so fragt man sich vor dem Hintergrund der vorausgegangenen Großereignisse in der Entwicklung der nachkantischen Philosophie, hat sich Reinhold nicht bereits in früheren Jahren eingehender zu Schulze geäußert? Weshalb hat er nicht schon in jener Phase, in welcher sich seine Elementarphilosophie den vehementen Attacken in Schulzes 1792 im Geiste des Skeptizismus verfasster Streitschrift Aenesidemus2 ausgesetzt sah, in einer vergleichbar detaillierten und offenen Weise zu besagtem Autor Stellung genommen? In Reinholds Texten zu Themen des älteren und neueren Skeptizismus aus der Zeit unmittelbar nach 1792 – es handelt sich namentlich um die „Ueber den philosophischen Skepticismus“ betitelte Abhandlung aus Tennemanns 1793 veröffentlichter Übersetzung von Humes An 1

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Beyträge zur leichtern Uebersicht des Zustandes der Philosophie beym Anfange des 19. Jahrhunderts, hg. v. Karl Leonhard Reinhold, Heft 6, Hamburg, 1803, S. 148-173. [Schulze, Gottlob Ernst], Aenesidemus oder über die Fundamente der von dem Herrn Prof. Reinhold in Jena gelieferten Elementar-Philosophie. Nebst einer Vertheidigung des Skepticismus gegen die Anmaaßungen der Vernunftkritik, o.O., 1792. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Enquiry Concerning Human Understanding3 sowie um den Abschnitt zur „skeptischen Schule“ aus der Preisschrift von 1796 zur Frage „Welche Fortschritte hat die Metaphysik seit Leibnitzens und Wolffs Zeiten in Deutschland gemacht?“4 – werden der neuere Skeptiker „Schulz in Helmstädt“ und dessen „Aenesidemus“ gerade ein einziges Mal erwähnt.5 In dem 1801 erschienenen zweiten Heft der Beyträge wird der Verfasser des Aenesidemus, zusammen mit Salomon Maimon, im Rahmen eines Rückblicks auf die Elementarphilosophie zwar immerhin über rund zwei Seiten hinweg porträtiert6, doch operiert Reinhold ganz im Gestus des Geschichtsschreibers, der sich verpflichtet sieht, die wirkungsmächtigen skeptizistischen Gegner seines damaligen Systems in Erinnerung zu rufen. Hat Reinhold Schulzes Streitschrift überhaupt gelesen oder sie nicht vielmehr, wie er in einem Brief an Maimon andeutet7, nur kurz überflogen und sogleich zur Seite gelegt? Hat er Schulzes zahlreiche Einwände gegen die Elementarphilosophie zwar zur Kenntnis genommen, aber nach näherer Prüfung für irrelevant gehalten? Oder war er, seit 1789 unter dem Dauerbeschuss von Kritikern verschiedenster Richtungen, einfach zu erschöpft, um nochmals eine gründliche Verteidigung seiner Position zu liefern? Ein näherer Blick auf Reinholds Behandlung skeptizistischer Philosopheme seit den späten 1780er Jahren sowie auf den Argumentationsgang in seinen Texten zum Skeptizismus von 1793 und 1796 sprechen dafür, dass er Schulzes Aenesidemus weder außer Acht gelassen noch für irrelevant gehalten hat. Und nicht nur dies. 3

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Reinhold, Karl Leonhard, „Ueber den philosophischen Skepticismus“, in: David Humes Untersuchung über den menschlichen Verstand neu übersetzt von M. W. G. Tennemann nebst einer Abhandlung über den philosophischen Skepticismus von Herrn Professor Reinhold in Jena, Jena, 1793, S. I-LII. Siehe Preisschriften über die Frage: Welche Fortschritte hat die Metaphysik seit Leibnitzens und Wolffs Zeiten in Deutschland gemacht?, hg. v. der Königl. Preuß. Akademie der Wissenschaften, Berlin, 1796, S. 232-239; Reinhold, Karl Leonhard, Auswahl vermischter Schriften, Zweyter Theil, Jena, 1797, S. 191205. Vgl. Reinhold, „Ueber den philosophischen Skepticismus“, a.a.O., S. XLIX, Anm. Vgl. Beyträge zur leichtern Uebersicht des Zustandes der Philosophie beym Anfange des 19. Jahrhunderts, hg. v. Karl Leonhard Reinhold, Heft 2, Hamburg, 1801, S. 38-40. Siehe Maimon, Salomon, Streifereien im Gebiete der Philosophie, GW IV, S. 259 [237]. In eckigen Klammern stehen die Seitenzahlen der Originalausgabe. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

DER „GEGENSTAND“ DER VORSTELLUNG

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Die besagten Texte verraten, dass Reinhold durchaus, wenn auch lediglich in einer etwas verdeckten Form, auf den Skeptiker Schulze reagiert hat. In Reinholds Diskussionen über die Grundthesen und die Leistungsfähigkeit des Skeptizismus finden sich teilweise genauer erschließbare Anspielungen auf die neueren Skeptiker, darunter auch auf Schulze. In Anbetracht der massiven Attacken Schulzes auf den als Fundament der Elementarphilosophie zu verstehenden Satz des Bewusstseins wäre es natürlich naheliegend gewesen, mit einer argumentativen Festigung oder Neufundierung dieses Satzes zu antworten. Reinhold hat eine solche Verteidigungsstrategie, die 1794 Fichte in seiner Rezension des Aenesidemus und Johann Heinrich Abicht in der Schrift Hermias oder über die Auflösung der die gültige Elementarphilosophie betreffenden Aenesidemischen Zweifel verfolgen werden, aber offenbar nicht für vordringlich gehalten. Er ist vielmehr direkt zum Gegenangriff übergegangen und hat die Voraussetzungen von Schulzes eigenem Standpunkt kritisch unter die Lupe genommen. Seine Reaktion besteht im Kern in einer alternativ zu Schulze unterbreiteten Auseinandersetzung mit dem Hume’schen Diktum über die Unmöglichkeit, sich mittels einer Vorstellung auf einen Gegenstand, der nicht selber wiederum Vorstellung ist, zu beziehen, einem Diktum, das in Humes eigenen Worten lautet: „The mind has never any thing present to it but the perceptions, and cannot possibly reach any experience of their connexion with objects. The supposition of such a connexion is, therefore, without any foundation in reasoning.“8 Beide, sowohl Schulze als auch Reinhold, sind einhellig der Ansicht, dass mit diesem Hume’schen Diktum das Wesen oder der eigentliche Hauptsatz des Skeptizismus ausgesprochen ist. Während Schulze diesen Hauptsatz gegen den Dogmatismus verteidigt und sich dabei auch gegen einen neuen Dogmatismus der kritischen Philosophie wendet, geht es Reinhold darum zu zeigen, dass sich der Satz, und damit auch die Schulze’sche Verteidigung desselben, widerlegen lässt, wenn das erkenntnistheoretische Verhältnis von Vorstellung und Gegenstand ausreichend ausdifferenziert und entwickelt wird. Ich spreche zunächst über Reinholds Einlassungen zum Skeptizismus vor 1792 (I), danach zu Schulzes Verteidigung des Hume’schen Hauptsatzes 8

Hume, David, An Enquiry Concerning Human Understanding, in: The Philosophical Works, ed. by Thomas H. Green and Thomas H. Grose, London, 1874, Vol. 2, S. 125 f. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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des Skeptizismus (II), schließlich zu Reinholds Antwort auf Schulze (III).

I. Es gibt mehrere Kontexte, die für Reinholds Haltung gegenüber dem Skeptizismus von Anbeginn prägend sind. Zum einen ist dies Kant mit seinen Aussagen aus der Kritik der reinen Vernunft über den Skeptizismus Humes. Reinhold ist mit Kants Ansicht vertraut, dass der Skeptizismus Humes ein unentbehrliches Heilmittel gegen allen Dogmatismus darstellt, allerdings durch den Kritizismus überwunden werden muss, zumal es ihm, dem Skeptizismus, genauso wenig wie dem Dogmatismus vergönnt ist, „alle Arten der Synthesis des Verstandes a priori systematisch“9 zu übersehen und dadurch ein adäquates Verständnis von objektiv gültiger Erkenntnis zu gewinnen. Zum anderen ist auf Reinholds Leipziger Lehrer Ernst Platner hinzuweisen. Wie Reinhold keineswegs entgeht, ist Platner ein ausgezeichneter Kenner der älteren und neueren Geschichte des Skeptizismus, der für diese philosophische Richtung allerdings kaum Sympathien hegt. Seine Philosophischen Aphorismen von 1784 enthalten eine Widerlegung des Skeptizismus, aus welcher hervorgeht, dass zum Wesen des Skeptizismus die „Unentschiedenheit (ἐποχή)“ und die „Unbeweglichkeit des Glaubens (ἀταραξία)“ gehören und dass der eigentliche Gedanke des Skeptizismus lautet: „alle Ideen sind blos Verhältnisse, nicht Ausdrücke der Dinge selbst, welche darinnen vorgestellt werden“.10 Platner richtet dabei ein kritisches Augenmerk auch eigens auf den Hume’schen Skeptizismus. Nach einer 1781 erfolgten Invektive gegen den launenhaften Skeptizismus des Religionskritikers Hume wird in den Philosophischen Aphorismen von 1784 in einem gesonderten Abschnitt über das „Humische System“ gegen dessen Skeptizismus im Bereich der Ontologie und Erkenntnistheorie polemisiert. In Humes System, so Platner mit Empörung, „giebt es keine Subjekte oder Substanzen, sondern nichts als Accidenzen“.11 9 10

11

KrV A 767/B 795. Siehe Platner, Ernst, Philosophische Aphorismen nebst einigen Anleitungen zur philosophischen Geschichte. Erster Theil. Neue durchaus umgearbeitete Ausgabe, Leipzig, 1784, §§ 789-792, S. 249 f. Ebd., § 863, S. 282. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Und ebenfalls das Selbstgefühl, das die Einheit unseres Ich garantiert, wird in diesem System bestritten. Platner nimmt ausdrücklich auf den Abschnitt zu „personal identity“ aus Humes A Treatise of Human Nature Bezug und stellt die dort vertretene Ansicht an den Pranger, dass unser Ich nur ein „Haufen von Ideen“ sein soll.12 Schließlich darf man Maimon nicht vergessen. Maimon tritt seit 1790 als neo-skeptizistischer Kontrahent des Reinhold’schen Grundsatzdenkens in Erscheinung und verwickelt dadurch den Begründer der Elementarphilosophie in längere Debatten. Reinhold kann dabei nicht umhin, gewisse Einwände Maimons, den er nach 1800 als kritischen Skeptiker einstuft und von Schulze als anti-kritischem Skeptiker abhebt, zu berücksichtigen. Was Reinholds eigene Positionierung in diesen Kontexten des Skeptizismus betrifft, meldet er sich seit Ende der 1780er Jahre aus religionsphilosophischer Sicht zu Wort. Offensichtlich durch den Streit zwischen Jacobi und Mendelssohn wie auch durch Platners Aussagen zum Religionskritiker Hume angeregt, vertritt Reinhold die markante These, dass es in Bezug auf die Beantwortung der Frage des Daseins Gottes vier Parteien gibt: den Supernaturalismus, dogmatischen Theismus, Atheismus sowie den „dogmatischen Skepticismus“.13 Mit der letzten Partei sind erklärtermaßen Hume und seine deutschen Anhänger gemeint; und Humes Skeptizismus wird an dieser Stelle deshalb „dogmatisch“ genannt, weil mit ihm, so Reinhold, genauso wie im Falle des Atheismus, behauptet wird, das Dasein Gottes sei zu verneinen. Reinhold kennt dabei neben dem dogmatischen ausdrücklich einen „kritischen Skepticismus“.14 Gekennzeichnet wird damit Kants moraltheologischer Standpunkt, der die Fehler und Missverständnisse der vier Parteien aufzeigt und ausräumt. Dass Reinhold zur Charakterisierung des aus seiner Sicht mangelhaften Skeptizismus das Beiwort „dogmatisch“ verwendet, wird nicht ohne Folgen bleiben. Der Tübinger Theologe Johann Friederich Flatt wird 1790 dagegen protestieren und darauf hinweisen, dass der Skeptizismus von „keinem Dogma“15 wisse, was, da Flatt gleichzeitig auf die Pyrrhonisten als Beleg für seine Ansicht rekurriert, umgehend zu Diskus12 13 14 15

Siehe ebd., § 866, S. 283 f. Reinhold, Karl Leonhard, Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens, RGS 1, S. 47-53 [79-87]. Ebd., S. 48, Anm. [80, Anm.]. Die zeitgenössischen Rezensionen der Elementarphilosophie K. L. Reinholds, hg. v. Faustino Fabbianelli, Hildesheim, 2003, S. 51. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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sionen darüber führt, was „echter“ Skeptizismus sei. Flatts Einwand wird, wie wir noch sehen werden, von Schulze vor neuem Hintergrund erhoben. Und auch Platner wird sich in diesem Punkt gegen seinen einstigen Schüler wenden.16 Reinhold hat sich davon nicht beirren lassen, sondern seine Haltung noch verstärkt. Seit 1792 heißt der dogmatische Skeptizismus bei ihm mit zunehmender Häufigkeit auch „negativer Dogmatismus“. Der Skeptizismus verdient also gar keine eigene Bezeichnung, da er in Tat und Wahrheit nur eine Variante des Dogmatismus ist. Und konsequenterweise wird Reinhold in eigener Sache auch nicht mehr von einem kritischen Skeptizismus sprechen. Der Nachweis einer Partei des dogmatischen Skeptizismus in Bezug auf das Dasein Gottes ist aber nur die eine Seite von Reinholds damaliger Behandlung des Skeptizismus. Denn seit dem Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens von 1789 steht für Reinhold ebenso eine sich im Rahmen der erkenntnistheoretischen Hume-Kritik Kants bewegende Erörterung des Skeptizismus zur Diskussion. Das im Versuch entwickelte System – eine durch einen vorstellungstheoretischen Grundlagenteil fundierte Neudarstellung von Kants theoretischer und praktischer Vernunftkritik – besticht durch die Grundannahme eines intentionalen Vorstellungsbegriffs. Es wird davon ausgegangen, dass wir Menschen als seelisch-geistige Wesen primär Vorstellungen haben und dabei als Vorstellende etwas, genaugenommen: etwas als etwas, vorstellen. Wo vorgestellt wird, gibt es, mit anderen Worten, eine Triade von Vorstellendem (Subjekt), Vorstellung und Vorgestelltem (Objekt). Sobald dieser Vorstellungsbegriff, den Reinhold hinsichtlich des Systemfundamentes als Satz des Bewusstseins ausformuliert, in Bezug auf den Vorgang des Erkennens und damit in Bezug auf Aspekte des Beziehens einer Vorstellung auf den Gegenstand entfaltet wird, sieht man sich automatisch mit Humes skeptizistischem Diktum über die unmögliche Bezugnahme einer Vorstellung auf einen Gegenstand konfrontiert. Reinhold führt denn auch, sobald es um die Klärung des Ausdrucks ‚Gegenstand der Vorstellung‘ geht, ausdrücklich Hume und dessen Skeptizismus an. Erneut ist von dem „dogmatischen Skeptiker“

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Vgl. Platner, Ernst, Philosophische Aphorismen nebst einigen Anleitungen zur philosophischen Geschichte. Ganz neue Ausarbeitung. Erster Theil, Leipzig, 1793, § 706. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Hume die Rede17, wobei „dogmatisch“ an dieser Stelle andere Konnotationen hat als beim Skeptizismus bezüglich der Gottesfrage. Unverkennbar spielt jetzt die von Kant als „dogmatischer Idealismus“ umschriebene Ansicht Berkeleys, die die Existenz von Gegenständen außerhalb des Vorstellens bestreitet, eine Rolle; desgleichen Kants Auffassung eines „dogmatisch“ verfahrenden „Empirismus“18, welcher Erfahrung zwar zu Recht an einem Vermögen, Eindrücke zu empfangen, festmacht, jedoch die Formbedingungen in diesem Vermögen wie auch die Leistungen von Verstand und Vernunft im Falle des Erkennens und Wollens ungenügend in Rechnung zieht. Für Reinhold versteht sich, dass Hume sowohl ein Skeptiker – genauer: ein idealistischer Skeptiker – ist als auch ein Empirist, der, da er nicht die notwendigen Bedingungen von Erfahrung, sondern die Stärke von „impressions“ zum Kriterium sicheren Wissens erhebt, dogmatisch verfährt. Auf diese Weise ist es Reinhold zufolge auch nicht verwunderlich, dass in direktem Anschluss an Hume eine dogmatisch-empiristische Philosophie des common sense entstehen konnte. Hinsichtlich der Zielsetzung argumentiert Reinhold bei seinem vorstellungstheoretischen Zugang zum Skeptizismus genauso wie Kant dafür, dass der Hume’sche Skeptizismus in Bezug auf Erkenntnis das Nervenzentrum des aktuellen Skeptizismus darstellt und dass es Humes Lehre deshalb genau an diesem Punkt zu überwinden gilt. Im Unterschied zu Kant stößt Reinhold sich dabei aber nicht hauptsächlich am Kausalitätsproblem, an der Frage, ob es notwendige kausale Beziehungen gibt, ob Kausalität überhaupt als Kategorie oder nicht vielmehr nur als eine Assoziation der Einbildungskraft behauptet werden darf, sondern an dem das Verhältnis von Vorstellung und Gegenstand betreffenden Beziehungs- oder Übereinstimmungsproblem. Die Überlegungen zu diesem Problem, die sich aus der Sicht Reinholds aufdrängen, sind dabei, wie nicht anders zu erwarten, vielschichtig und verwickelt. Naturgemäß betreffen sie immer auch die Frage, wie man Humes Diktum über die unmögliche Bezugnahme einer Vorstellung auf einen Gegenstand eigentlich verstehen soll. Man könnte die Auffassung vertreten, es sei deshalb unmöglich, von einem Bezug der Vorstellung auf einen Gegenstand zu spre17 18

Siehe Reinhold, Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens, RGS 1, S. 346 f. [546 f.]. KrV A 470 f./B 498 f. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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chen, weil es, wie Hume gezeigt habe, Gegenstände – seien diese nun äußere oder innere – gar nicht gebe, sondern lediglich Aggregate von „impressions“. Dies ist eine Lesart des skeptizistischen Hauptsatzes, die durchaus im Blickfeld Reinholds liegt. Jedenfalls lässt ihn die in diese Richtung deutende Erklärung Humes, die „Substanz“ sei ein bloßes Scheinding, eine „Einbildung“, keinesfalls gleichgültig.19 Allerdings kommt Reinhold zufolge damit noch nicht zur Sprache, worauf der skeptizistische Hauptsatz im Wesentlichen zielt. Es geht bei diesem vornehmlich um die These, dass wir Gegenstände immer nur als im Rahmen der Vorstellung bestehende Gegenstände präsent haben und insofern nie als Gegenstände außerhalb der Vorstellung. Was die Beurteilung des so zu verstehenden Hauptsatzes betrifft, kann man Reinhold zufolge Hume in einem bestimmten Punkt entgegenkommen. Soll unter diesem Gegenstand außerhalb der Vorstellung das Ding an sich gemeint sein, ist Hume Recht zu geben. Das Ding an sich ist Kant zufolge unerkennbar, in Reinholds Interpretation unvorstellbar oder nur negativ vorstellbar. Somit ist es unsinnig, hier von einem Bezug der Vorstellung auf einen Gegenstand, geschweige denn von einer Übereinstimmung von Vorstellung und Gegenstand zu sprechen. Doch kann mit dem Gegenstand außerhalb der Vorstellung auch der Gegenstand außerhalb des vorstellenden Subjekts, oder genauer: der Gegenstand, der unabhängig von dem jeweils aktuellen Vorstellungsakt dieses Subjekts besteht, gemeint sein. Es ist nicht auszuschließen, dass Hume in diesem Fall die Rede von einem äußeren Gegenstand für eher unproblematisch gehalten hat. In Bezug auf Reinhold ist unbestreitbar, dass er im Zusammenhang seiner Triade von Vorstellendem (Subjekt), Vorstellung und Vorgestelltem (Objekt) eine Unterscheidung dieser Richtung in den Blick nimmt und verteidigt. In eigenwilliger Fortführung von Kants Widerlegung des Idealismus aus der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft wird angenommen, dass wir uns als vorstellende Wesen auf einen objektiven Stoff und damit auf einen äußeren Gegenstand, auf sogenannte „Dinge ausser uns“20, beziehen, der nicht das Ding an sich ist. Es handelt sich um einen äußeren Gegenstand, der zwar positiv vorstellbar und insofern nicht in jeder Hinsicht außer aller Vorstellung ist, aber doch außerhalb des 19 20

Man beachte dazu Reinhold, Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens, RGS 1, S. 347 [546]. Ebd., S. 197 [299]. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Vorstellenden (Subjekts). Auf der Grundlage der genannten Triade geht Reinhold schließlich noch einen Schritt weiter und verteidigt ebenfalls jenen äußeren Gegenstand, der als vorgestellter Gegenstand (Vorgestelltes, Objekt) von der Vorstellung, dem Mittelglied von Subjekt und Objekt, verschieden ist. Auf den Begriff gebracht wird damit eigens die erkennende Vorstellung, die Vorstellung auf der Ebene des Objekt- oder Gegenstandsbewusstseins im Unterschied zur Vorstellung auf der Ebene des Selbstbewusstseins. Reinhold will an dieser Stelle nicht behaupten, man könne von einer Übereinstimmung der Vorstellung mit dem äußeren Gegenstand sprechen. Es geht ihm lediglich um die Geltendmachung der Auffassung, dass ein äußerer Gegenstand, auf den wir uns beziehen und der uns den objektiven Stoff bei der Erkenntnis liefert, tatsächlich existiert. Schließlich kann mit dem Gegenstand außerhalb der Vorstellung jenes Verständnis von Gegenstand gemeint sein, das sich im Zusammenhang von Kants transzendentalem Beweis synthetischer Urteile a priori ergibt. Die Rede sein kann, mit anderen Worten, von dem Gegenstand im Zusammenhang der aus den Bedingungen von Erfahrung erschließbaren objektiv gültigen Erkenntnis, einer Erkenntnis, die sowohl von einer rein formalen, logischen Erkenntnis als auch von einer subjektiv gültigen Erkenntnis zu unterscheiden ist. In diesem Falle wäre nun geradezu von einem Bruch mit Hume zu sprechen. Denn mit der transzendentalen Beweisart steht ein Verständnis von Gegenstand der Vorstellung zur Diskussion, das nach einem anderen Modell gedacht wird als nach demjenigen des skeptizistischen Hauptsatzes. Kriterium für dasjenige, was ein Gegenstand ist, ist bei diesem anderen Modell nicht die mögliche – und dabei vom Dogmatiker behauptete und vom Skeptiker bestrittene – Unabhängigkeit eines Gegenstandes von einer Vorstellung, nicht die Außenposition eines Etwas, das vorgestellt werden soll, sondern die Forminvarianz von Bedingungen, die notwendig sind, um angesichts des gegebenen Stoffes Erfahrungssätze artikulieren zu können. Dieser Unterscheidung entsprechend ist auch das Verständnis objektiven Erkennens ein anderes. Es geht nicht um die für den Dogmatiker wie Skeptiker gleichermaßen relevante Frage, ob wir auf einen äußeren Gegenstand Bezug nehmen und eine Übereinstimmung mit ihm erreichen können, es geht vielmehr darum, eine Einheit von notwendiger Bedingung von Erfahrung und Gegenstand der Erfahrung geltend zu machen. Was Reinhold betrifft, ist auch dies eine Deutung

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zum Verhältnis von Vorstellung und Gegenstand, die in seinem Sinne ist. Im Einklang mit Kant wird dafür Partei ergriffen, dass es neben den logisch gültigen Sätzen und der subjektiv gültigen Erkenntnis eine objektiv gültige Erkenntnis gibt und dass im Zusammenhang der letzteren von einem Gegenstand der Erkenntnis gesprochen werden kann. Infolge seiner Auseinandersetzung mit Maimon ist Reinhold ab 1791 überdies der Meinung, diesen Ansatz noch durch den Satz des Bewusstseins festigen zu müssen, da ihm Kants transzendentaler Beweis objektiv gültiger Erkenntnis in technischer Hinsicht zu wenig abgesichert zu sein scheint. Alles in allem hat Reinhold demnach, ehe seine Elementarphilosophie durch Schulze mit skeptizistischen Mitteln attackiert wird, Gründe zur Hand, den skeptizistischen Hauptsatz Humes sowohl in seiner anti-metaphysischen Tendenz gutheißen als auch auf kritizistischer Grundlage zurückweisen zu können.

II. Interessanterweise enthält Schulzes Aenesidemus nicht nur eine ausführliche Kritik an der Elementarphilosophie Reinholds und an der Vernunftkritik Kants, sondern auch den Versuch, mit Blick auf Hume das richtige Verständnis von Skeptizismus, den echten Skeptizismus, zur Geltung zu bringen und gegen allen älteren sowie gegen den neuesten Dogmatismus zu wenden. Wie angedeutet, hat Schulze Reinholds Rede von einem „dogmatischen“ Skeptizismus zurückgewiesen. Ein solcher Skeptizismus existiert seines Erachtens „nur in der Tabelle“, die „Herr Reinhold über die Verschiedenheit der Sekten und der Philosophie entworfen hat“.21 Gegen diesen erfundenen Skeptizismus ist der „ächte Skepticismus, oder der Skepticismus ohne Beynamen“22 in die Waagschale zu werfen. Und dieser echte Skeptizismus dreht sich gemäß den Aussagen, die Schulze dieser Position in den Mund legt, um die Frage des Verhältnisses von Vorstellung und Gegenstand, die neuerdings auch als Frage des Verhältnisses von Vorstellung und Ding an sich zur Debatte steht. Schulze zufolge nimmt jeder Dogmatiker in irgendeiner Weise an, dass dieses Verhältnis kein bloßes Denkprodukt ist und dass es dabei auch einen 21 22

Schulze, Aenesidemus, a.a.O., S. 222. Ebd. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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positiven Bezug der Vorstellung auf den Gegenstand gibt. Der echte Skeptiker dagegen bestreitet Schulzes Ansicht nach jeden positiven Bezug, wenn nicht sogar das in dieser Sache unterstellte Verhältnis von Vorstellung und Gegenstand. Denn die Antwort des echten Skeptikers auf den Dogmatiker lautet, dass wir Vorstellungen in der Tat haben und uns derselben bewusst sind, dass wir ferner durchaus Vorstellungen haben, die sich aufeinander beziehen und voneinander unterscheiden, dass wir aber nichts außerhalb von Vorstellungen haben: Ueber unsere Vorstellungen können wir nie hinausgehen, und alle unsere Erkenntniß von dem, was zur obiektiven wirklichen Welt, zu ihren Eigenschaften, Veränderungen und Gesetzen gehören soll, alle unsere Erkenntniß von uns selbst, von den Vermögen unsers Gemüths, von deren Gränzen, von deren Macht und Ohnmacht, besteht bloß aus Vorstellungen, die wir besitzen; niemals aber aus den vorgestellten Sachen selbst.23

Dies freilich, so fügt Schulze an, ist „evident und deutlich“, eine zwingende Vernunfteinsicht. Es ist eine Vernunfteinsicht, die man, wenngleich nicht als „obiektive Thatsache“, so doch als eine feste subjektive Tatsache, als eine starke Gewissheit in „subjektiver Bedeutung“ umschreiben kann.24 Der echte Skeptizismus ist demnach Schulze zufolge klar anti-dogmatisch, aber kein totaler, kein bodenloser Skeptizismus. Er bestreitet nicht alles und jedes, so dass er sich selbst aufheben würde. Er verdammt deshalb nicht zu völliger Urteilslosigkeit. Er hat überdies nicht die Absicht, die Gültigkeit logischer Sätze zu bestreiten. Ausdrücklich legt Schulze seiner gesamten skeptizistischen Prüfung der Elementarphilosophie Reinholds das Prinzip zugrunde: „Der Probierstein des Wahren ist die allgemeine Logik.“25 So wie Schulze die Dinge darstellt, ist dieser echte Skeptizismus nichts anderes als die Lehre Humes. In dem „Kurze Darstellung des Humischen Skeptizismus“ betitelten Abschnitt aus dem Aenesidemus ist Schulze darum bemüht klarzustellen, dass die Quintessenz von Humes Lehre nicht in dem an Einsichten Lockes anschließenden empiristischen „Fundamental-Satz“ besteht, dass alle Erkenntnis von Eindrücken abstammt, sondern in „höchsten Principien“ eines Skeptizismus, die besagen: 1. „Alle unsere Erkennt23 24 25

Ebd., S. 245. Vgl. ebd., S. 245 f. Ebd., S. 45. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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niß besteht aus Vorstellungen, und was von uns erkannt werden soll, muß vorgestellt worden seyn“; 2. Erkenntnis, die „wahr und reell seyn soll, die muß mit Dingen außer derselben im Zusammenhange stehen“; 3. „Es giebt kein Prinzip, vermittelst dessen wir uns über unsere Vorstellungen erheben, und von den Gegenständen, insofern sie etwas von unsern Vorstellungen Verschiedenes und Etwas an sich seyn sollten, etwas wissen könnten“; 4. Das Prinzip der Kausalität ist „etwas Subjektives“, und es ist bisher nicht überzeugend gezeigt worden, dass es etwas Objektives sein könnte.26 Schulze bringt bei diesem vierten Punkt zum einen jenen Hume in Stellung, der Leibniz und Wolff als Vertretern der Grundsätze des Widerspruchs und des zureichenden Grundes eine Absage erteilt, zum anderen jenen Hume, der Kants Bemühung, die Kausalität als objektiv gültig auszuweisen, für vergeblich hält. Wenn Schulze in der Folge den durch Hume untermauerten echten Skeptizismus gegen einen „neuern Gegner“ richtet, nämlich gegen den „kritischen Idealismus, der einen Dogmatismus von ganz eigner Art enthält“27, geht es ihm vornehmlich darum zu zeigen, dass Reinhold und Kant die Auffassung, wonach sich die Vorstellung auf einen Gegenstand bezieht, auf der einen Seite zurückgewiesen, auf der anderen Seite aber wieder eingeführt haben. Zwar tragen Reinhold und Kant, so Schulze etwas genauer, mit der Annahme eines unerkennbaren Dinges an sich dem skeptizistischen Hauptsatz Humes Rechnung. Doch machen sie dies insofern gleich wieder rückgängig, als sie die besagte Annahme durch andere Grundannahmen wie jene, „daß es Gegenstände außer uns, so die Sinne affizieren, wirklich gäbe“28, unterwandern. Schulze bringt hiermit eine Kant-Kritik der ersten Stunde erneut zur Sprache und konstruiert daraus, wie zuvor vor allem Johann August Eberhard und seine Anhänger, einen Vorwurf des Dogmatismus. Was bei dieser Kritik an einem neueren Dogmatismus besonders ins Auge springt, ist die Tatsache, dass Schulze selbstverständlich davon ausgeht, dass Ding an sich und Ding außer uns ein und dasselbe sind. Dies geschieht nicht aus Unachtsamkeit, sondern aufgrund der Überzeugung, dass sich ein sinnvoller Bedeutungsunterschied in dieser Sache nicht herauskristallisieren lässt. Wenn von einem Gegenstand außer der Vorstellung die Rede ist, kann Schul26 27 28

Vgl. ebd., S. 120 f., Anm. Ebd., S. 257. Ebd., S. 261. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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ze zufolge einzig und allein das Ding an sich gemeint sein. Schulze erwähnt in diesem Zusammenhang nicht ausdrücklich, welche anderen, von der Bedeutung von Ding an sich abzuhebenden Bedeutungen von einem Gegenstand außerhalb der Vorstellung aus der Optik der kritischen Philosophie in Erwägung zu ziehen wären. Doch geschieht dies indirekt, indem er Argumente oder Beweiszusammenhänge kritisiert, die für die Annahme eines Gegenstandes außerhalb der Vorstellung in anderen Bedeutungen als jener des Dinges an sich sprechen können. Schulze gibt zu verstehen, dass er Kants Widerlegung des Idealismus für nichtig hält. Kants Beweise bei dieser Widerlegung laufen seines Erachtens auf eine „bloße Sophisterey“ hinaus.29 Unter anderem wendet Schulze dabei gegen Kant ein, die von uns empfundene Beharrlichkeit des Ich im inneren Sinne beweise keineswegs die Existenz von beharrlichen äußeren Gegenständen im Raume, zumal die besagte Beharrlichkeit des Ich auch die Art und Weise sein könne, „nach welcher die Gottheit auf unser Gemüth wirkt“.30 Dieser Ansicht zufolge wäre man zwar wohl berechtigt, von der Existenz eines Gegenstandes außerhalb des aktuell vorstellenden Subjekts zu sprechen, nicht jedoch von der Existenz eines Gegenstandes außerhalb des vorstellenden Gottes. Kurzum: den äußeren Gegenstand im Raum, den Kant und Reinhold – bald als Gegenstand außerhalb des Vorstellenden (des Subjekts), bald als vorgestellten Gegenstand (Objekt) – zwischen den Gegenstand in der Vorstellung und das Ding an sich einschieben, gibt es nach Schulze nicht. Im Weiteren verleiht Schulze der Überzeugung Ausdruck, Kants transzendentaler Beweis synthetischer Urteile a priori sei ungültig, da ihm der dogmatische Fehlschluss vom Denken auf das Sein zugrunde liege. Bei diesem Beweis werde in unberechtigter Weise behauptet, „daß etwas so und so realiter beschaffen seyn müsse, weil es sich nicht anders denken lasse“.31 Es leuchtet ein, dass für Schulze unter dieser Voraussetzung auch der Gegenstand außerhalb der Vorstellung im Sinne der aus den transzendentalen Bedingungen der Erfahrung erschlossenen objektiv gültigen Erkenntnis keine sinnvolle Annahme ist.

29 30 31

Ebd., S. 268. Ebd., S. 271. Ebd., S. 140. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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III. Kommen wir zurück zu Reinhold. In welcher Weise hat Reinhold nun genauer auf Schulzes Aenesidemus reagiert? In der Abhandlung „Ueber den philosophischen Skepticismus“ aus der HumeAusgabe Tennemanns sowie im Abschnitt zur „skeptischen Schule“ aus der Preisschrift spricht Reinhold weitgehend und in Anknüpfung an frühere Ergebnisse über Grundeinsichten Humes. Besonders auffällig ist dabei die modifizierte Darstellung eines Denkmusters aus der Schrift Ueber das Fundament des philosophischen Wissens von 1791. Reinhold gibt zu verstehen, dass Humes Enquiry zusammen mit Lockes An Essay concerning Human Understanding, Leibniz’ Nouveaux essais sur l’entendement humain und Kants Vernunftkritik zu den vier „Fundamentalsystemen“ gehört, welche der „künftigen wissenschaftlichen Philosophie ohne Beynamen“ vorhergehen.32 Während in der Schrift Ueber das Fundament der Übergang von Hume zu Kant an der Beseitigung eines Mangels der Hume’schen Ansicht über die Rolle der „impressions“ festgemacht worden ist33, steht im Aufsatz „Ueber den philosophischen Skepticismus“ nun das Verhältnis von Vorstellung und Ding an sich im Brennpunkt. Kants Fortschritt gegenüber Hume soll darin bestehen, dass der Begründer der Vernunftkritik mit der nötigen Klarheit aufgezeigt habe, dass „objektive Wahrheit ohne die Erkenntniß der Dinge an sich“34 möglich sei. Dass die Nichterkennbarkeit des Dinges an sich nichts an der Möglichkeit ändert, für objektiv gültige Erkenntnis einzutreten, hat Reinhold, wie wir gesehen haben, bereits bei seiner Auslegeordnung zum Verständnis von einem Gegenstand außerhalb der Vorstellung und der damit einhergehenden Auseinandersetzung mit dem dogmatischen Skeptizismus Humes thematisiert. Jetzt aber wird diese Einsicht in den Mittelpunkt der Hume-Kritik Kants gestellt und schließlich, mit einem Blick auf die künftig aufzustellende wissenschaftliche Philosophie, gegen den Skeptizismus überhaupt, inklusive den neueren, ins Feld geführt. In einer dazugehörigen Fußnote findet sich, zusammen mit den Namen Maimons und Platners, die von uns 32 33

34

Reinhold, „Ueber den philosophischen Skepticismus“, a.a.O., S. LI. Siehe Reinhold, Karl Leonhard, Ueber das Fundament des philosophischen Wissens nebst einigen Erläuterungen über die Theorie des Vorstellungsvermögens, RGS 4, S. 40 f. [58]. Reinhold, „Ueber den philosophischen Skepticismus“, a.a.O., S. L. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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eingangs erwähnte Nennung Schulzes. Dabei besteht kaum ein Zweifel, dass Reinhold im vorliegenden Argumentationszusammenhang auf niemand anderen als Schulze zielt. Es ist im Kreise der neueren Skeptiker Schulze, der in affirmativer Bezugnahme auf Hume alle Erkenntnis objektiver Art, alle objektive Wahrheit, bestritten hat, und dies ausgehend von der Annahme, dass objektive Erkenntnis einzig und allein als Erkenntnis von Dingen an sich verstanden werden kann. Insgesamt reagiert Reinhold an dieser Stelle auf Schulze dergestalt, dass er seine bisherige Kritik am dogmatischen Skeptizismus Humes auf den neuesten Skeptizismus ausdehnt. Er bleibt damit freilich in einem sehr allgemeinen, historisierenden Rahmen und sieht davon ab, sich bei seiner Kritik mit Einzelheiten zu befassen. In Reinholds Abhandlung „Ueber den philosophischen Skepticismus“ zeichnet sich aber noch eine andere markante Form einer anti-skeptizistischen Intervention ab, und bei dieser lässt sich Reinhold, was die Kritik an der Position Schulzes betrifft, stärker auf die Äste hinaus. Reinhold spricht, wie aus dem Titel der Abhandlung hervorgeht, über den philosophischen Skeptizismus, den er von einem sogenannten „seichten SKEPTICISMUS“, einem Pendant des „seichten EKLEKTICISMUS“, der lauter oberflächliche Einheiten konstruiert, unterschieden wissen möchte.35 Von einem seichten Skeptizismus muss seines Erachtens dort die Rede sein, wo der Skeptiker lediglich überall Widersprüche wittert, bloß geistvoll oder gelehrt herumkritisiert, sich zur Rechtfertigung seiner Sicht lediglich historischer Gründe bedient oder auf Rechtfertigung überhaupt verzichtet und sich damit de facto selbst widerlegt. Als Beispiel nennt Reinhold Sextus Empricus. Ein philosophischer Skeptizismus wie jener Humes dagegen wird, so das Anforderungsprofil, das Reinhold an diesen richtet, nicht darauf verzichten, von „Grundsätzen“ auszugehen36, für seine jeweiligen Ansichten Gründe zu nennen sowie die Urteilsenthaltung, die durchaus zu seinem Wesen gehört, zu rechtfertigen. Des Weiteren wird der philosophische Skeptizismus nicht davon absehen wollen, dass es „logische Wahrheit“ gibt und dass es bei aller Bestreitung objektiver Wahrheit doch zumindest eine „subjektive Wahrheit“ anzunehmen gilt, eine Wahrheit, die „etwas anderes“ bzw. „mehr“ ist als die logische, zumal bei ihr eine „Uebereinstimmung des Ge35 36

Ebd., S. V. Vgl. ebd., S. VIII. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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fühls mit den Gedanken“, ein Gefühl der Realität dessen, was gedacht wird, eine Rolle spielt.37 An diesem Punkt erwähnt Reinhold einen „Gegner sowohl der kritischen Philosophie, als auch derjenigen (ohne Beynamen) welche durch die Kritische vorbereitet wird“, einen Gegner, der sich der Bezeichnung eines „dogmatischen“ Skeptizismus entgegengestellt hat, einen Gegner, der nur die „logischen Regeln“ oder die „logische Wahrheit“ und sonst nichts weiter anerkannt wissen will.38 Es ist unverkennbar Schulze. Diesem Gegner wird nun vorgehalten, dass die Grundsätze seines Skeptizismus „keineswegs aus bloßen logischen Regeln bestehen“39 können. Er kann, wenn er objektive Wahrheit bestreitet, nicht umhin, neben logischen Regeln auch subjektive Wahrheit anzunehmen. Und der Inhalt dieser subjektiven Wahrheit besteht, so Reinholds Pointe, in nichts anderem als in „Thatsachen des Bewußtseyns“.40 Diese müssen herbeigeschafft worden sein, ehe man mit logischen Regeln für oder gegen etwas eintreten kann. Alles in allem reagiert Reinhold hiermit nun auf Schulze auch dahingehend, dass er dessen Skeptizismus an einem Begriff des philosophischen Skeptizismus misst und zu dem Schluss gelangt, der Skeptizismus Schulzes verzichte zwar nicht auf Begründung und sei insofern nicht seicht zu nennen, da er jedoch seine Prämissen nicht vollständig darstelle, könne er auch nicht als philosophisch bezeichnet werden. Reinholds Kritik an Schulze ist damit nun konkreter. Aber man muss sie, um ihre Relevanz kenntlich zu machen, weiter ausführen. Und man muss dabei selbstverständlich auch einräumen, dass Schulze bereits selbst darauf hingedeutet hat, dass er neben den logischen Regeln auch eine bestimmte subjektive Tatsache nicht bestreitet. Aufgrund unserer bisherigen Ausführungen ist Schulzes Position wie folgt zu charakterisieren: Es gibt, neben den logischen Regeln, drei subjektive Tatsachen, nämlich: 1. wir haben Vorstellungen, 2. wir haben Vorstellungen, die sich auf andere Vorstellungen beziehen und von anderen Vorstellungen unterscheiden, 3. es gibt keine Beziehung einer Vorstellung auf einen Gegenstand. Der Gegenstand außerhalb der Vorstellung ist nichts anderes als das Ding an sich. Im Vergleich dazu gibt es bei Reinhold, neben 37 38 39 40

Ebd., S. XV f. Ebd., S. XVII f. Ebd., S. XVIII. Ebd., S. XIX. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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der Akzeptanz der logischen Regeln, zwei Tatsachen des Bewusstseins, nämlich: 1. wir haben Vorstellungen, 2. bei allen Vorstellungen gibt es ein vorstellendes Subjekt, ein vorzustellendes Objekt sowie die Vorstellung. Es gibt, so Reinhold weiter, ebenfalls den Bezug auf einen Gegenstand außerhalb der Vorstellung, der nicht Ding an sich ist. Dies lässt sich aber nicht, oder jedenfalls nur beschränkt, im Sinne einer Tatsache geltend machen. Reinhold zufolge muss man hier einen Beweis antreten oder jedenfalls Gründe für die Behauptung anführen. Bei Reinhold geschieht dies, wie wir sehen konnten, dadurch, dass er Gründe für die Widerlegung des Idealismus anführt sowie an Kants transzendentalen Beweis synthetischer Urteile a priori anschließt. Man ersieht hieraus, dass in Bezug auf zwei Tatsachen im Grunde zwischen Reinhold und Schulze Konsens besteht, sosehr Schulze Reinholds Satz des Bewusstseins im Detail kritisiert und zu kritisieren berechtigt sein mag. Es wird von beiden Seiten nicht bestritten, dass es Vorstellungen gibt und dass diese in einem Verhältnis des Beziehens und Unterscheidens zueinander stehen. Dissens besteht demgegenüber in Bezug auf das Verhältnis von Vorstellung und Gegenstand. Und dies ist der eigentliche Unterscheidungspunkt zwischen Reinhold und Schulze. Wer vertritt hinsichtlich der Frage des Verhältnisses von Vorstellung und Gegenstand, so ist am Ende zu fragen, die einsichtigere Position? Meines Erachtens Reinhold, und dies deshalb, weil er von konsistenteren Voraussetzungen ausgeht als Schulze. Schulze behauptet, es sei evident und deutlich, dass der Bezug der Vorstellung auf einen äußeren Gegenstand unmöglich sei. Fragt man sich, weshalb, lässt sich mit Schulze anführen, dass dem so ist, weil Dinge an sich nicht bloß unvorstellbar sind, sondern überhaupt nicht existieren, bloßer Schein sind. Aufgrund dieses Befundes vertritt Schulze einen Vorstellungsmonismus: Alles ist Vorstellung und außer – sowohl ‚außerhalb‘ (extra) als auch ‚ausgenommen von‘ (praeter) – der Vorstellung ist nichts. In diesem Falle aber ist schwer einsichtig zu machen, weshalb dann nicht von der Vorstellung als dem Absoluten und dem Vorstellen als dem Vorstellen des Absoluten die Rede sein soll. Schulzes Skeptizismus, soweit er ein Skeptizismus in Bezug auf die Erkenntnis des Absoluten ist, widerlegt sich selbst. Hinzu kommt, dass Schulze dort, wo er Reinholds und Kants Argumente dafür, dass ein Bezug der Vorstellung auf einen äußeren Gegenstand möglich ist, entkräftet – dies betrifft die

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erwähnten Kritiken an der Widerlegung des Idealismus und am transzendentalen Beweis synthetischer Urteile a priori –, bald sich selbst, bald dem Gegner uneinheitliche Denkansätze unterschiebt. Wie kann Schulze, der Reinholds Annahme eines Vorstellungsvermögens für ein Produkt metaphysischen Denkens hält und der Missachtung von Kants Kritik am Dasein eines höchsten Welturhebers bezichtigt41, allen Ernstes bei der Auseinandersetzung mit Kants Widerlegung des Idealismus den Idealisten verteidigen und beteuern, die Beharrlichkeit des Ich könne auch eine Wirkung Gottes auf das Ich sein. Soll es nun für ihn diesen höchsten Welturheber geben oder nicht? Wie kann Schulze einerseits Kant hinsichtlich der Begründung synthetischer Erkenntnis a priori einen dogmatischen Schluss vom Denkenmüssen einer Sache auf deren Sein zur Last legen, andererseits aber auch behaupten, bei Kant komme synthetische Erkenntnis a priori in nicht zu rechtfertigender Weise durch eine im Gemüt befindliche „wirkende Ursache“, einen „Real-Grund“, zustande?42 Welche dieser beiden Begründungsarten soll nun für Kant gelten? Und hat nicht Kant aufgezeigt, dass ein transzendentaler Schluss von Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung auf Gegenstände möglicher Erfahrung nur bei Raum, Zeit und den Kategorien des Verstandes anzunehmen ist und nicht bei beliebigen Denkbestimmungen? Ich bin fern davon zu glauben, dass gegen Kants Lehrstücke der Widerlegung des Idealismus und des transzendentalen Beweises keine Einwände vorgebracht werden können. Aber Schulzes Kritiken in dieser Sache halte ich für wenig überzeugend. An diesem Punkt kann man Schulze, so scharfsinnig er im Detail die Dinge kritisiert, den Vorwurf eines etwas kopflosen Skeptizismus nicht ersparen.

41 42

Vgl. Schulze, Aenesidemus, a.a.O., S. 98 ff. und 337 f. Vgl. ebd., S. 137 f. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Schulzes Konzeption der unmittelbaren Erkenntnis und Hegels Kritik Gottlob Ernst Schulze ist bekannt für seine mehr oder weniger scharfsinnigen skeptischen Einwände gegen die Philosophie Kants und Reinholds, die bekanntlich eine wichtige Rolle in der weiteren Entwicklung der klassischen deutschen Philosophie gespielt haben. Die positive Seite seiner Lehre, nämlich seine eigene Konzeption der menschlichen Erkenntnis im Allgemeinen und der unmittelbaren Erkenntnis im Besonderen – die er sowohl in der Kritik der theoretischen Philosophie (1801) als auch in der späteren Schrift Über die menschliche Erkenntniβ (1834) entwickelt –, ist jedoch wesentlich weniger beachtet worden. In der breiteren philosophischen Diskussion hat sie nur aufgrund der von Hegel im Skeptizismus-Aufsatz (1802) und in der Phänomenologie des Geistes (1807) geübten Kritik Beachtung gefunden. Obgleich Hegels Einwände auf den ersten Blick vernichtend erscheinen, ist Schulzes Konzeption der unmittelbaren Erkenntnis sowie die Frage, ob Hegels Einwände zutreffend und berechtigt sind, einer näheren Betrachtung wert. Es ist bekannt, dass Schulzes Philosophie vornehmlich dafür kritisiert wurde, dass sie sich auf Überzeugungen des „gemeinen Menschenverstands“ stützt und die sogenannten „Tatsachen des Bewusstseins“ für den letzten Probierstein aller philosophischen Aussagen hält. Es ist deshalb angebracht, mit der Frage zu beginnen, was laut Schulze diese Tatsachen des Bewusstseins sind. Es sei zugegeben, dass er sich an einigen Stellen auf „Tatsachen des Bewusstseins“ als auf faktische Überzeugungen des gewöhnlichen Menschenverstandes über die Sachverhalte in der Welt beruft. An den Stellen, wo Schulze eine präzisere Argumentation entwickelt, bezeichnet er aber als „Tatsachen des Bewusstseins“ vielmehr die unmittelbaren Gegenstände bzw. Inhalte unseres Bewusstseins wie z. B. Äußerungen des Wollens, Gefühle der Lust und Unlust, Begriffe, Vorstellungen und Erinnerungen.1 Diese „Tatsachen des 1

Vgl. Schulze, Gottlob Ernst, Kritik der theoretischen Philosophie, Hamburg, 1801, Bd. 1, S. 52. In diesem Sinne zählt Schulze zu den Tatsachen des Bewusstseins auch ein Vorurteil (vgl. ebd., Bd. 2, S. 20, Anm.). Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Bewusstseins“ qua unmittelbare Gegenstände des Bewusstseins sind nun dazu geeignet, einen Ausgangspunkt für Schulzes positive Lehre zu bilden, weil mit dem Bewusstsein dieser Gegenstände eine unbezweifelbare Existenz- und Beschaffenheitsgewissheit verbunden ist. In der Tat wird seit Descartes, auf den hier Schulze natürlich anspielt, akzeptiert, dass nicht nur die kognitiven Akte des Ich, sondern auch die unmittelbaren Gegenstände dieser Akte ihrer Existenz und ihrer Beschaffenheit nach unbezweifelbar sind. Es hat nämlich keinen Sinn daran zu zweifeln, ob ich jetzt eben diesen Begriff und nicht eher einen anderen erfasse, oder ob ich jetzt eben diese Phantasievorstellung und nicht eher eine andere habe. Obwohl allen diesen unmittelbaren Gegenständen des Bewusstseins gleiche Gewissheit zukommt, ist zu bemerken, dass sie zwei unterschiedliche Gruppen darstellen. Einige von ihnen, wie z. B. Vorstellungen und Begriffe, sind Repräsentationen oder Stellvertreter von etwas: Wir sind uns dieser Repräsentationen unmittelbar bewusst und ihre Existenz und Beschaffenheit ist darum unbezweifelbar. Durch diese unmittelbar gegebenen Repräsentationen beziehen wir uns zugleich auf das, was sie repräsentieren, und dieses Repräsentierte erkennen wir nur mittelbar. Mit dieser Struktur der Stellvertretung ist das Problem der Übereinstimmung zwischen dem Repräsentierenden und dem Repräsentierten notwendig verbunden. So bleibt z. B. unsicher, ob meiner Vorstellung irgendein existierendes Ding entspricht und ob dieses Ding so beschaffen ist, wie ich es mir vorstelle. Die Existenz und die Beschaffenheit des Repräsentierten bleiben immer zweifelhaft und Gewissheit kommt somit nur der Repräsentation zu. Der zweite Typus der unmittelbaren Gegenstände des Bewusstseins weist hingegen diesen Verweischarakter nicht auf. Dieser Typus umfasst z. B. Äußerungen des Wollens oder Emotionen, die uns einfach gegeben sind und auf nichts anderes hinweisen. Das Problem der Übereinstimmung tritt hier somit nicht auf. Wie ist es nun mit dem „Anschauen oder Wahrnehmen“2 der äußeren Dinge, welche das zentrale Thema sowohl der Konzeption Schulzes als auch der Hegel’schen Kritik bildet? Ist das Wahrgenommene in die erste oder in die zweite Gruppe der unmittelbaren Gegenstände des Bewusstseins einzuordnen? Schulzes Darstellung 2

Ebd., Bd. 1, S. 56. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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zufolge wurde das Wahrnehmen in der ganzen Geschichte der europäischen Philosophie – mit der einzigen Ausnahme von Thomas Reid3 – als eine spezifische Art und Weise des Vorstellens betrachtet. Dieser traditionellen Konzeption gemäß gebe es ein unmittelbares Objekt des Bewusstseins, das Wahrnehmung genannt wird. Diese Wahrnehmung verweise zugleich außer sich, nämlich auf ein wahrgenommenes Ding, und dieses äußerliche Ding soll durch die intramentale Wahrnehmung vertreten werden. Schulze übt schon im Jahre 1801 heftige Kritik an dieser traditionellen repräsentationalistischen Konzeption der Wahrnehmung.4 Für Schulze hat die Wahrnehmung keine zweistellige Struktur, d. h. das Ich bezieht sich im Wahrnehmen auf keinen Stellvertreter des Dinges, sondern direkt auf das Ding selbst. Das wahrgenommene äußere Ding ist dann ein ebenso unmittelbarer Gegenstand des Bewusstseins wie ein Gefühl der Unlust oder eine Phantasievorstellung (abgesehen davon, dass die Phantasievorstellung noch ein Stellvertreter von etwas anderem zu sein scheint). Der einzige Unterschied zwischen dem unmittelbar wahrgenommenen Ding und den anderen unmittelbaren Gegenständen des Bewusstseins ist nur darin zu sehen, dass das wahrgenommene äußere Ding eine extramentale, materielle Entität ist, während alle anderen unmittelbaren Gegenstände des Bewusstseins wie Vorstellungen, Begriffe oder Emotionen intramentale Entitäten, d. h. Modifikationen des Gemüts sind. Es zeigt sich also, dass Schulze die Deckungsgleichheit aufhebt, die seit Descartes zwischen unmittelbarer Gewissheit und Intramentalität gesetzt wurde. Entgegen der verbreiteten Auffassung behauptet Schulze, dass nicht alles, was unmittelbar für das Bewusstsein ist, auch im Bewusstsein oder eine Modifikation des Bewusstseins

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Vgl. ebd., Bd. 2, S. 22, Anm. Zum Vergleich der Konzeptionen Schulzes und Reids siehe Bowman, Brady, Sinnliche Gewißheit. Zur systematischen Vorgeschichte eines Problems des deutschen Idealismus, Berlin, 2003, S. 116-148. Vgl. Schulze, Kritik der theoretischen Philosophie, a.a.O., Bd. 1, S. XX und Bd. 2, S. 7 f. In der Aenesidemus-Schrift vertritt Schulze im Allgemeinen noch die repräsentationalistische Konzeption des Wahrnehmens: „Unmittelbar besitzen wir nun nichts weiter, als Vorstellungen, und sind uns bloß derselben bewußt.“ ([Schulze, Gottlob Ernst], Aenesidemus oder über die Fundamente der von dem Herrn Prof. Reinhold in Jena gelieferten Elementar-Philosophie. Nebst einer Vertheidigung des Skepticismus gegen die Anmaaßungen der Vernunftkritik, o.O., 1792, S. 226). Trotzdem erscheint in seinen Einwänden gegen Reinholds ‚Satz des Bewusstseins‘ schon der Keim seiner späteren Kritik am Repräsentationalismus (vgl. ebd., S. 82-90). Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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sein muss.5 Darin ist kein Widerspruch zu sehen, obwohl diese Konzeption auch ihre Schwierigkeiten hat, die im Weiteren noch zu eruieren sind. Wenden wir uns zunächst der Kritik zu, die Hegel in seinem Skeptizismus-Aufsatz an dieser Konzeption Schulzes übt. Erstens muss gesagt werden, dass Hegel Schulzes Antirepräsentationalismus gar nicht in Betracht zieht. Irrtümlicherweise wird Schulze stattdessen die Auffassung zugeschrieben, der gemäß sich der Akt der Wahrnehmung auf Sachen vermittelst einer Vorstellung bezieht und deshalb die Wahrnehmung (qua Vorstellung) von dem Wahrgenommenen (qua Vorgestelltem) unterschieden werden muss. Gegen diese vermeintlich Schulze’sche Auffassung entwickelt Hegel sein eigenes antirepräsentationalistisches Argument: Wenn wir uns dem Repräsentationalismus gemäß aller Objekte nur vermittelst einer Vorstellung bewusst werden können, so müsste diese Regel auch für das Bewusstsein der Vorstellung selbst gelten. Dieser Vorstellung könnten wir uns also nur vermittelst einer Vorstellung dieser Vorstellung bewusst werden. In diesem Fall käme aber das Bewusstsein nie zustande, weil wir uns nie der Vorstellung selbst, die etwas repräsentiert, bewusst werden, sondern nur der Vorstellung der Vorstellung der Vorstellung u. s. f. Hegel zufolge müssen wir also ein unmittelbares Bewusstsein von etwas zugeben, weil wir uns im umgekehrten Fall nicht einmal der Repräsentation von etwas bewusst werden könnten.6 Wie wir gesehen haben, bleibt Schulzes Konzeption gegen diesen Einwurf immun, weil sie nicht nur dieses geforderte unmittelbare Bewusstsein der Repräsentation zugibt, sondern darüber hinaus das Wahrnehmen für eine unmittelbare Beziehung hält, und zwar nicht für eine Beziehung auf Repräsentationen, sondern auf die äußeren Dinge selbst. 5

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Vgl.: „Wenn man aber sogar das Object selbst, so fern wir dessen bewußt sind, und das, was wir an ihm anschauen, für eine Modification in und an dem erkennendem Subjecte ausgeben wollte; so wäre dieß eben so falsch und ungereimt“ (Schulze, Kritik der theoretischen Philosophie, a.a.O., Bd. 1, S. 61). Vor der Darstellung seiner Kritik am Repräsentationalismus äußert sich Schulze zu dieser Frage jedoch zweideutig und undifferenziert, weil es ihm zuerst nur um die Hervorhebung des unmittelbaren Gegebenseins der Tatsachen des Bewusstseins geht (vgl. ebd., Bd. 1, S. 51 und 56). Vgl. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, „Verhältniß des Skepticismus zur Philosophie“, HGW 4, S. 225. Siehe dazu auch Heidemann, Dietmar H., „Hegels Realismus-Kritik“, in: Philosophisches Jahrbuch 109, 2002, S. 129-147, besonders S. 144 f. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Bevor die anderen Einwände Hegels erwägt werden, ist es erforderlich, die wesentlichen Charakteristika der Schulze’schen Konzeption noch weiter darzustellen. Dieser Konzeption gemäß ist mit dem Wahrnehmen des äußeren Dinges immer die Überzeugung verbunden, dass das wahrgenommene Ding existiert und auf eine bestimmte Weise beschaffen ist.7 Wie verhält es sich nun aber mit der Rechtfertigung dieses Anspruchs auf objektive Gültigkeit? Der „gemeine Menschenverstand“ hält den Wahrheitsanspruch seines Wahrnehmens für etwas, was unmittelbar, durch das bloße Gegebensein des wahrgenommenen Gegenstandes gerechtfertigt werden soll und im Unterschied zu komplexeren Arten des Wissens keine zusätzliche Begründung durch eine Überlegung oder Schlussfolgerung erfordert. Nach Schulze gibt es keinen Grund, diesen Wahrheitsanspruch des gewöhnlichen Bewusstseins prinzipiell und generell zu bezweifeln. Solch ein Zweifel ist ihm zufolge nur in jenen philosophischen Konzeptionen zustande gekommen, die das Wahrnehmen irrtümlicherweise als eine durch Repräsentation vermittelte Bezugnahme auf die Außenwelt aufgefasst haben. Im Rahmen dieser Auffassungen muss dann auch notwendigerweise eine Unsicherheit darüber aufkommen, ob die Beschaffenheit der intramentalen Vorstellung mit der Beschaffenheit des extramentalen Dinges übereinstimmt. Wenn dagegen das Wahrnehmen als ein unvermittelter Bezug auf das Außending philosophisch konzipiert wird – was auch der Meinung des gewöhnlichen Menschenverstandes entspricht –, gibt es hier keine zwei Entitäten (eine intramentale Vorstellung und ein extramentales Vorgestelltes), bei welchen der Anspruch auf eine inhaltliche Übereinstimmung erhoben und demnach auch bezweifelt werden könnte.8 Es ist aber noch nicht völlig klar, wie solch eine antirepräsentationalistische Auffassung des Wahrnehmens die strittige Frage entscheiden soll, ob unser Wahrnehmungsakt im Stande ist, die Beschaffenheit der äußeren Dinge treu wiederzugeben. Wie ist Schulze zufolge der Wahrnehmungsprozess beschaffen? Es ist zu erwarten, dass Schulze die klassische Konzeption ablehnt, laut der uns die Beschaffenheit und Existenz der Außendinge ursprünglich entweder vermittelst Erlebnissen der qualitativ bestimmten Modifikationen unseres Geistes oder vermittelst Erlebnissen der qualita7 8

Vgl. Schulze, Kritik der theoretischen Philosophie, a.a.O., Bd. 1, S. 77. Vgl. ebd., Bd. 1, S. 77 f. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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tiv bestimmten Zustände unseres Leibes gegeben werden.9 Somit würden die qualitativen Bestimmungen des sinnlichen Erlebens erst nachträglich – nämlich durch die Anwendung des Satzes vom Grunde10 – den äußeren Gegenständen zugeschrieben und als Eigenschaften dieser Gegenstände gefasst. Diese Situation würde aber eben dazu führen, dass wir immer nur über vermittelte Vorstellungen von den äußeren Gegenständen verfügten. Gibt es aber eine Alternative, die der unbestreitbaren Tatsache, dass es immer wir sind, die wahrnehmen, und dass wir immer vermittelst unseres Leibes wahrnehmen, gerecht werden könnte? Schulzes Vorschlag kann folgendermaßen rekonstruiert werden: Es ist offensichtlich, dass das Wahrgenommene für mein Bewusstsein ist, das heißt aber noch nicht, dass es im Bewusstsein wahrgenommen wird. Im Bewusstsein finden wir z. B. unsere Vorstellungen oder Erinnerungen, im Unterschied dazu werden wir uns des Wahrgenommenen als eines an einem Teil unseres Leibes, an einem Sinnesorgan Vorkommenden bewusst – ähnlich, wie wir uns des Schmerzes als etwas, das nicht im Bewusstsein vorkommt, sondern im Leib existiert, bewusst werden.11 Dementsprechend empfinden wir den Geschmack an der Zunge, die Härte an der Fingerspitze und die Farben an der Retina.12 Der Umstand, dass wir das Wahrgenommene an unserem Leib empfinden, bedeutet aber wiederum noch nicht, dass es für einen Zustand unseres Leibes gehalten wird. Im Unter9

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„Beym Anschauen der Existenz der Gegenstände nimmt das anschauende Subject nicht blos und zunächst nur seine eigenen Zustände oder Bestimmungen wahr, die an ihm statt finden, und vermittelst welcher allererst die Gegenstände für ihn existierten“ (ebd., Bd. 1, S. 62). Zu Schulzes Kritik an der Anwendung des Satzes vom Grunde bzw. des Kausalitätsprinzips vgl. ebd., Bd. 2, S. 43 f. und 56 f. Vgl. auch Schulze, Gottlob Ernst, Über die menschliche Erkenntniß, Göttingen, 1832, S. 50 f. „[…] Etwas empfinden heißt der etymologischen Bedeutung dieses Wortes nach nicht bloß in sich finden, sondern auch an sich finden. In der letzten Bedeutung nun genommen hat es Beziehung auf diejenige Eigentümlichkeit der sinnlichen Empfindungen, nach welcher wir deren Object an dem Theile des Körpers finden, vermittelst dessen es erkannt wird. In der ersten hingegen dient es zur Bezeichnung der angenehmen und unangenehmen Gefühle, welche auf die sinnliche Erkenntniß äußerer Dinge folgen“ (Schulze, Kritik der theoretischen Philosophie, a.a.O., Bd. 2, S. 59, Anm.). Vgl. auch ebd., Bd. 2, S. 31 f., Anm. Schulzes Überzeugung nach halten wir ursprünglich auch die Farben und die Klänge für „an“ dem Auge und „an“ dem Ohr vorkommend. Sie werden erst auf der Ebene der mittelbaren Erkenntnis in die Entfernung versetzt (vgl. ebd., Bd. 2, S. 31 f., Anm. und 48 f.). Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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schied zum Schmerz, dessen wir uns eben als eines Zustandes unseres Leibes bewusst werden, halten wir laut Schulze das Wahrgenommene schon ursprünglich für eine außer unserem Leib existierende Qualität. In der näheren Beschreibung einer solchen Bezugnahme auf die Beschaffenheit der Außendinge unterscheidet Schulze zutreffend die Wahrnehmung der objektiven Qualitäten von gemeinsam auftretenden leiblichen Empfindungen – so unterscheiden wir immer z. B. die wahrgenommene Härte des Tisches von dem empfundenen Druck in unserer Fingerspitze. Was die gegenseitige Beziehung dieser zwei Bewusstseinsarten angeht, begnügt er sich jedoch mit der Behauptung, dass die wahrgenommenen objektiven Qualitäten in den leiblichen Empfindungen „eingeschlossen“ oder zusammen mit ihnen „gegeben“ sind.13 Obwohl Schulzes Konzeption in diesem Punkt undeutlich bleibt, ist es zumindest klar, dass er die Möglichkeit einer Schlussfolgerung von einer qualitativen Bestimmung des leiblichen Zustandes auf die objektive Qualität des Außendinges ablehnt. Vielmehr handelt es sich laut Schulze um zwei Aspekte eines einheitlichen Erlebnisses, das uns auf eine weiter unerklärbare Weise14 sowohl von den Zuständen des Leibes benachrichtigt als auch die Eigenschaften der materiellen Dinge für uns erscheinen lässt. Wie verhält es sich nun mit der Zuverlässigkeit dieses Wahrnehmungsaktes? Wie schon angedeutet, gibt es nach Schulze ebenso wenig einen Grund, unser Vermögen des Erscheinenlassens der Außendinge zu bezweifeln, als es einen solchen Grund dafür gibt, unseren Akt des Denkens, welcher für uns den Begriff selbst (d. h. abgesehen von seinem Bezug zur Realität) erscheinen lässt, oder den Akt des Empfindens, welcher für uns die Zustände des Leibes, wie z. B. Schmerz, auftreten lässt, infrage zu stellen. Im Wahrnehmen verbleiben wir im Bereich der vom Problem der Übereinstimmung unberührten unmittelbaren Gegenstände des Bewusst13

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Vgl. ebd., Bd. 2, S. 47 f. und Schulze, Über die menschliche Erkenntniß, a.a.O., S. 19 ff. Es scheint also, dass Bowmans Feststellung, dass Schulze – im Unterschied zu Reid – die Qualität der sinnlichen Erlebnisse mit der Objektivität der wahrgenommenen Eigenschaften schlechthin zusammenfallen lässt, zutreffend ist (vgl. Bowman, Sinnliche Gewißheit, a.a.O., S. 136 und 142). „Es hat hiermit nicht etwa eine befriedigende Erklärung des Ursprunges der menschlichen Erkenntniß von äußeren Dingen versucht und gegeben werden sollen; diese Erkenntniß ist vielmehr, wie schon anderwärts aus Gründen dargethan worden ist, (Erster Band S. 648) gänzlich unerklärbar.“ (Schulze, Kritik der theoretischen Philosophie, a.a.O., Bd. 2, S. 41, Anm.) Vgl. auch ebd., Bd. 2, S. 66 f. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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seins: So wie es keinen Sinn hat, daran zu zweifeln, ob mein Fühlen mit meinem Gefühl oder mein Empfinden mit dem empfundenen Schmerz übereinstimmt, hat es auch keinen Sinn, daran zu zweifeln, ob mein Wahrnehmen dem Wahrgenommenen entspricht. Wir haben gesehen, dass Hegels oben erwähnter Einwand in seinem Hauptpunkt nicht zutrifft, weil er Schulzes antirepräsentationalistische Konzeption des Wahrnehmens ignoriert. Trotzdem macht Hegel in demselben Kontext auf ein gravierendes Problem aufmerksam: Es scheint nämlich, dass Schulze eine wesentliche Übereinstimmung zwischen unserem Wissen um die äußeren Dinge und dem selbstständigen Sein dieser Dinge voraussetzt, obwohl er im Rahmen seiner Theorie der schlichten Tatsachen des Bewusstseins darauf verzichten muss, diese Übereinstimmung zu begründen oder zu rechtfertigen.15 Vertritt aber Schulze in der Tat solch einen strengen Realismus, dem gemäß die wahrgenommenen Eigenschaften den Eigenschaften der unabhängig von unseren epistemischen Kapazitäten existierenden Dinge entsprechen? Es ist festzustellen, dass Schulze diese strenge Version des Realismus weder in der Kritik der theoretischen Philosophie noch in der späteren Schrift Über die menschliche Erkenntniβ verteidigt. Zwar verfügen wir, so Schulze, über eine Gewissheit, dass das wahrgenommene Ding eine selbstständige, für sich bestehende Entität ist und nicht nur eine Modifikation unseres Geistes oder unseres Leibes.16 Weil wir aber dieses selbstständige Sein nur insofern erkennen, als für uns das Ding im Wahrnehmen präsent ist, können wir über keine Gewissheit verfügen, dass das Ding auch dann existiert, wenn wir es nicht wahrnehmen.17 Auf die Existenz der nicht wahrgenommenen Dinge schließen wir nach Schulze nur mittelbar, z. B. auf Grund der Unveränderlichkeit des wiederholt wahrgenommenen Dinges, jedoch kann diese Schlussfolgerung keine strenge, mit dem unmittelbaren Gegebensein vergleichbare Evi15 16

17

Vgl. Hegel, „Verhältniß des Skepticismus zur Philosophie“, HGW 4, S. 225 f. „[Das anschauende Subjekt] erkennt diese Gegenstände und deren Existenz unmittelbar, schlechthin und als etwas, das auf eine eben so vollkommne Art unabhängig von den Wirkungen der Vorstellungskraft für sich bestehet und ist, wie das erkennende Subject für sich besteht und ist.“ (Schulze, Kritik der theoretischen Philosophie, a.a.O., Bd. 1, S. 62) „[…] für uns ist eigentlich nur dasjenige wirklich, was wir erkennen, und ob etwas dann noch existire, wenn wir es nicht erkennen, können wir zum wenigsten nicht wissen.“ (Ebd.) Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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denz aufweisen.18 Aus diesem skeptischen Gedanken ist zu entnehmen, dass sich für Schulze die Existenz der Außendinge nicht von unseren epistemischen Kapazitäten trennen lässt, weil sie im Falle des unmittelbaren Wahrnehmens von uns nicht-inferentiell gesetzt wird19 und weil es sich im Falle der mittelbaren Erkenntnis nur um unsere Vorstellung dieser Existenz handelt.20 Was die Beschaffenheit der äußeren Dinge angeht, ist die Situation ähnlich: Wir können nicht wissen, was die Dinge unabhängig von unserem Wahrnehmen sind oder wie sie aussehen würden, wenn wir andere sinnliche Vermögen hätten.21 Es lässt sich also sagen, dass Schulzes Realismus lediglich ein Anschauungsrealismus ist, der sich auf die sinnliche Gegebenheit der Außendinge stützt und unsere Erkenntnis auf die Sphäre der Dinge für uns beschränkt.22 Soll aber ein solcher Anschauungsrealismus überzeugend sein, muss er noch eine andere, von Hegel im Skeptizismus-Aufsatz aufgezeigte Schwierigkeit überwinden: Schulze beteuert einerseits, dass die Existenz- und Beschaffenheitsgewissheit der Außendinge unmittelbar zum Bewusstsein kommt, andererseits muss er zugestehen, dass das erkannte Ding nicht jeweils das ist, was es auf den ersten Blick zu sein scheint.23 Hegel deutet hier darauf hin, dass wir zwar unserer sinnlichen Erkenntnis im Allgemeinen vertrauen, jedoch zugleich jede einzelne und konkrete sinnliche Erkenntnis für korrigierbar halten. Dieser Umstand erzeugt aber eine Spannung innerhalb der Schulze’schen Konzeption: Gibt es in seiner 18 19

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22 23

Vgl. ebd., Bd. 1, S. 61 f. und Bd. 2, S. 574 f. „Er [Schulzes Skeptizismus] sagt also nicht, es sey apodiktisch gewiß, daß die […] erkannten Objecte existiren; sondern er behauptet nur, es gehöre zu der uns bekannten Einrichtung des Menschen, die das Leben desselben ausmacht, sich selbst, und zugleich von ihm ganz verschiedene Dinge als existirend anzuerkennen, und zu diesem Anerkennen fühle sich der Mensch nun einmahl genöthigt“ (ebd., Bd. 2, S. 68 – meine Hervorhebung). Zur „Vorstellung des Seyns“ vgl. ebd., Bd. 1, S. 70 f. „Man geräth folglich nach dem Skeptizismus in lauter Hirngespinste und in Gedanken, die gar keine Realität haben, wenn man […] angeben will, was […] die Objecte ohne Rücksicht auf unser dieselben erkennendes […] Subject seyn sollen, und mit welchen (positiven oder negativen) Eigenschaften diese Objecte versehen seyn möchten, im Fall daß das dieselbe erkennende Subject mit einer anderen Erkenntnißfähigkeit versehen wäre, als an unserem Ich jetzt wirklich Statt findet.“ (Ebd., Bd. 2, S. 67 f.) Vgl. auch Schulze, Über die menschliche Erkenntniß, a.a.O., S. 182. Zu demselben Schluss kommt auch Heidemann (vgl. „Hegels RealismusKritik“, a.a.O., S. 141). Vgl. Hegel, „Verhältniß des Skepticismus zur Philosophie“, HGW 4, S. 202 f. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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antirepräsentationalistischen Auffassung des Wahrnehmens, in der das Außending ebenso unmittelbar zugänglich ist wie die Emotionen oder die von uns erfassten Begriffe, überhaupt Raum für Irrtum oder Täuschung? Besteht das wesentliche Merkmal aller unmittelbaren Gegenstände des Bewusstseins nicht eben in ihrer prinzipiellen Unkorrigierbarkeit? Wie schon gesagt wurde, ist jede einzelne Wahrnehmung mit der Überzeugung, dass das wahrgenommene Ding existiert und auf eine bestimmte Weise beschaffen ist, verbunden. Diese Überzeugung kann jedoch bezweifelt oder sogar widerlegt werden, z. B. vermittelst einer anderen Wahrnehmung; auch kann das konkrete Wahrnehmen dem durchgängigen Zusammenhang der Erfahrung, den Regeln des Geschehens, die durch viele andere Wahrnehmungen bestätigt werden, widersprechen.24 Schulze ist sich dessen sehr wohl bewusst und spricht daher eher von der „Zuverlässigkeit“ als von der „Gewissheit“ jeder konkreten unmittelbaren Erkenntnis der Außendinge.25 Wie ist es aber unter diesen Umständen möglich, eine prinzipielle Unkorrigierbarkeit des unmittelbaren Wahrnehmens zu bewahren? Schulze selbst gibt auf diese Frage zwar keine Antwort, ein möglicher Ausweg in seinem Sinne könnte aber wie folgt aussehen: Dasjenige, was zunächst wie ein wahrgenommenes Ding erschien, sich dann jedoch als Täuschung erwies, war schon von Anfang an kein unmittelbar wahrgenommenes Ding, sondern eine bloße durch Phantasie unbewusst produzierte Vorstellung. Diese Phantasievorstellung selbst ist stets ein unmittelbares Objekt des Bewusstseins, sie erweist sich aber nun als eine bloße Repräsentation, der überdies kein reales Ding korrespondiert.26 Es 24

25 26

„[…] das [unmittelbare] Erkennen äußerer Dinge zu den Thatsachen des Bewußtseyns gehört, und diese Thatsachen nicht eher für bloße Täuschung gehalten werden dürfen, bis aus anderen zuverlässigen Thatsachen, oder aus den Gesetzen der Natur bewiesen worden ist, daß sie Täuschungen sind.“ (Schulze, Über die menschliche Erkenntniß, a.a.O., S. 44 f.) Vgl. Schulze, Kritik der theoretischen Philosophie, a.a.O., Bd. 2, S. 47 ff. und ders., Über die menschliche Erkenntniß, a.a.O., S. 159 ff. Eine andere Sache ist die fehlerhafte Interpretation des Wahrgenommenen, die erst auf der Ebene der mittelbaren Erkenntnis stattfindet, z. B. bei optischen Täuschungen wie einer Fata Morgana oder einem konvexen Spiegel: „Sogar bey den uns wohlbekannten Täuschungen der Sinne können wir weder an der Gegenwart dessen, was darin enthalten ist, noch auch an der Beschaffenheit, womit es gegeben ist, im geringsten zweifeln, sondern nur denken, daß bey einer andern und richtigern Beschaffenheit unserer Sinne, oder unter andern Verhältnissen des angeschauten Objects zu unsern Sinnen, dieses Object mit anMartin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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scheint, dass es auf diese Weise möglich ist, die prinzipielle Unkorrigierbarkeit des Wahrnehmens, diesen unentbehrlichen Baustein von Schulzes Konzeption, zu retten. Im abschließenden Teil soll noch der vermutlich grundsätzlichste Einwand Hegels gegen Schulzes positive Lehre untersucht werden. Schulze wird nämlich von mehreren Interpreten Hegels27 – und wohl auch von Hegel selbst – für einen Vertreter jener unmittelbaren Erkenntnisweise gehalten, deren Inkonsistenz im Kapitel „Sinnliche Gewissheit“ der Phänomenologie des Geistes aufgezeigt wurde. Der Argumentationsgang dieses Kapitels braucht an dieser Stelle nicht rekapituliert zu werden, es muss nur an Folgendes erinnert werden: Der Standpunkt der „sinnlichen Gewissheit“ besteht in der Überzeugung, dass das letzte Fundament jeglichen Erkennens in einem unmittelbaren sinnlichen Wissen, in dem wir uns der äußeren Dinge als absolut einzelnen und individuellen Gegebenheiten bewusst werden, zu suchen ist.28 In der (Selbst-) Prüfung dieser Überzeugung zeigt sich allerdings, dass es kein Wissen gibt, in das noch keine begrifflichen und allgemeinen Bestimmungen eingegangen sind, weshalb auch das Einzelne als solches nie gewusst werden kann. Um aber Schulze gerecht zu werden, muss hier hervorgehoben werden, dass er solch eine Auffassung des unmittelbaren Wissens nie vertrat. Er behauptet nicht, dass das unmittelbare Wahrnehmen im Wahrnehmen irgendwelcher einfachen oder atomaren Sinnesdaten bestehe, die in ungeteilten und voneinander getrennten „Augenblicken“29 aufgenommen werden. Bereits in der Kritik der theoretischen Philosophie erkennt er an, dass die wahrgenommenen Einzeldinge immer schon komplexe Dinge mit Innenstruktur sind, weshalb in dem sogenannten unmittelbaren Wahrnehmen auch das

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28 29

dern Beschaffenheiten versehen von uns erkannt werden würde.“ (Schulze, Kritik der theoretischen Philososophie, a.a.O., Bd. 1, S. 77 f.) Vgl. z. B. Heidemann, Dietmar H., Der Begriff des Skeptizismus. Seine systematischen Formen, die pyrrhonische Skepsis und Hegels Herausforderung, Berlin und New York, 2007, S. 288; ders., „Hegels Realismus-Kritik“, a.a.O., besonders S. 135; Bowman, Sinnliche Gewißheit, a.a.O., S. 122 f. Eine umfassendere Darstellung der möglichen „Repräsentanten“ der unmittelbaren sinnlichen Gewissheit bietet Vieweg, Klaus, Philosophie des Remis. Der junge Hegel und das ‚Gespenst des Skepticismus‘, München, 1999, besonders S. 237 f. Vgl. Hegel, Phänomenologie des Geistes, HGW 9, S. 63 und 69. Schulze spricht nur davon, dass das Bewusstsein des Objekts und das Selbstbewusstsein in demselben „ungetheilten Augenblicke“ zustande kommen (vgl. Schulze, Kritik der theoretischen Philosophie, a.a.O., Bd. 1, S. 57). Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Allgemeine eine Rolle spielen muss. Dementsprechend kommt bereits auf der Ebene der unmittelbaren Erkenntnis der implizite Unterschied zwischen den Teilen und dem Ganzen oder zwischen dem Stoff und der Form des wahrgenommenen Dinges vor.30 Noch wichtiger aber ist, dass im Rahmen des Wahrnehmens bereits das „Ding selbst“ von den „an ihm stattfindenden Bestimmungen“ unterschieden wird.31 Dieses „Ding selbst“ ist keine geheimnisvolle, das Wahrnehmen überschreitende Entität, sondern vielmehr ein umgreifender und fester Zusammenhang der veränderlichen qualitativen und quantitativen Bestimmungen, der für uns ausschließlich in diesen Bestimmungen erscheint.32 Solcher komplexen und strukturierten Außendinge können wir uns laut Schulze aufgrund der impliziten und vorprädikativen Anwendung der rudimentären begrifflichen Bestimmungen bewusst werden, seien diese nun – kantisch gesprochen – Reflexionsbegriffe oder Kategorien.33 Wir sehen also, dass Schulzes Konzeption gegen Hegels Argument im Kapitel „Sinnliche Gewissheit“ resistent bleibt. Schulze hält es, einfach ausgedrückt, bereits für das erste und anfängliche Faktum, dass die unmittelbar wahrgenommenen Dinge komplexe Einheiten sind, und erkennt auch an, dass diese komplexen Einheiten lediglich durch das Wirken der konzeptuellen Dispositionen des menschlichen Geistes zustande kommen. Seine Philosophie beschränkt sich jedoch auf die Konstatierung dieses Faktums. Eine weitere Untersuchung darüber, wie die notwendige apriorische Charakteristik dieser Dispositionen beschaffen ist oder auf welche Art und Weise diese Dispositionen angewendet werden, hält er – aus skeptischen Gründen, die hier nicht untersucht werden kön30 31 32

33

Vgl. Schulze, Über die menschliche Erkenntniß, a.a.O., S. 63 f. Vgl. Schulze, Kritik der theoretischen Philosophie, a.a.O., Bd. 1, S. 63. „Diese Eigenschaften, die zusammengenommen die Sache ausmachen […]“ (ebd., Bd. 1, S. 58). Es muss zugestanden werden, dass dieser Aspekt der Schulze’schen Theorie nicht durchgearbeitet ist. Eine Kritik an diesem Aspekt aus der Perspektive Humes, Kants und Hegels übt Bowman (vgl. Bowman, Sinnliche Gewißheit, a.a.O., S. 159-174). „Wollte man hierbei erinnern, die eben angeführten Unterscheidungen des zu den wahrgenommenen Dingen Gehörigen lägen nicht schon in der Wahrnehmung, sondern seyen etwas durch den Verstand und vermittelst einer Reflexion über das Wahrgenommene Bewirktes, so ist es allerdings wahr, […] daß die Verschiedenheit gewisser Dinge nie bloß durchs Wahrnehmen, sondern durch die Thätigkeit des Verstandes, wie sie in der Logik und Psychologie gewöhnlich bestimmt werden, erkennbar sey, läßt sich nicht behaupten […]“ (Schulze, Über die menschliche Erkenntniß, a.a.O., S. 64 – meine Hervorhebungen). Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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nen – für unmöglich. Diese ursprüngliche Mitwirkung des Begrifflichen hebt den von Schulze betonten Unterschied zwischen der unmittelbaren und mittelbaren Erkenntnis auch gar nicht auf. Die unmittelbare Erkenntnis ist nämlich eine vorprädikativ begrifflich strukturierte, nichtsdestoweniger direkte Beziehung auf das vorhandene individuelle Ding selbst. Die mittelbare Beziehung zur Sache erfolgt dagegen durch einen Vertreter, sei es durch eine Vorstellung dieses individuellen Dinges oder einen empirischen Begriff.34 Es ist dabei zu betonen, dass Schulze die Bedeutung der mittelbaren Erkenntnis nicht herabsetzt, ganz im Gegenteil35: Ohne diese mittelbare Erkenntnis, kraft deren wir nicht nur die Ähnlichkeiten und Unterschiede der Einzeldinge oder die empirischen Begriffe, sondern auch die Kausalverhältnisse der Dinge erkennen36, würden wir über eine sehr unvollkommene und nur fragmentarische Erfahrung verfügen. Obwohl also Hegels Beschreibung des unmittelbaren Wahrnehmens als eines „bestialischen Anstierens“37 überspitzt ist, könnte ihr Schulze schließlich zustimmen. Wir kommen also zum folgenden Schluss: Wie problematisch Schulzes Anlehnung an die „Tatsachen des Bewusstseins“ im Bereich der Moralphilosophie38 oder der Philosophie der Wissenschaft auch sein mag, als eine Theorie des elementaren Erkennens ist sein Antirepräsentationalismus und die damit verbundene Konzeption des unmittelbaren Wahrnehmens eine vertretbare philosophische Position, deren Inkonsistenz durch Hegels Argumente nicht erwiesen wurde.

34 35 36 37 38

Vgl. Schulze, Kritik der theoretischen Philosophie, a.a.O., Bd. 1, S. 66 ff. und besonders ders., Über die menschliche Erkenntniß, a.a.O., S. 22-30. Vgl. ebd., S. 25 f. und 68-101. Vgl. ebd., S. 26 und 68 f. Hegel, „Verhältniß des Skepticismus zur Philosophie“, HGW 4, S. 202. Auf diese Schwierigkeit der Konzeption Schulzes weist Vieweg hin (vgl. Vieweg, Philosophie des Remis, a.a.O., S. 244 f.). Zu bemerken ist, dass Schulzes Moralphilosophie, die er besonders in seiner Schrift Philosophische Tugendlehre (1817) darstellt, bis heute unerforscht geblieben ist. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Maimon zwischen Reinhold und Schulze 1793 veröffentlichte Salomon Maimon in seinen Streifereien im Gebiete der Philosophie unter dem Titel „Philosophischer Briefwechsel nebst einem demselben vorangeschickten Manifest“ seine Korrespondenz mit Karl Leonhard Reinhold zwischen 1791 und 1792. Maimon hatte diesen Briefwechsel eröffnet, indem er Reinhold mit der Frage konfrontierte, ob er glaube, „daß Kants Kritik der reinen Vernunft“ oder Reinholds „Theorie des Vorstellungsvermögens eben so hinreichend ist die skeptische Philosophie zu widerlegen als die dogmatische“.1 Was ihn selbst betreffe, so sei er überzeugt, „daß die kritische Philosophie hinreichend ist in Ansehung der Leztern, nicht aber in Ansehung der Erstern“.2 Reinhold vermochte Maimon im Verlauf des folgenden Briefwechsels nicht von der Überlegenheit der Kritischen Philosophie über den Skeptizismus zu überzeugen und kam schließlich zur Einsicht, dass eine weitere Diskussion zu nichts führen würde: „Wir denken über keinen einzigen Begriff gleich; und sind mit unsern Köpfen vielleicht so sehr Antipoden als mit unsren Herzen Freunde und Nachbaren.“3 Reinholds Abbruch der Korrespondenz nahm Maimon zum Anlass, die Debatte publik zu machen, und zwar ohne Reinholds Einwilligung. Bereits im folgenden Jahr finden sich als Anhang in Maimons Versuch einer neuen Logik oder Theorie des Denkens die „Briefe des Philaletes an Aenesidemus“. 1792 war Gottlob Ernst Schulzes Aenesidemus erschienen, der einen skeptischen Angriff auf Reinholds Elementarphilosophie im Besonderen und die Kritische Philosophie im Allgemeinen darstellt. In seinen – dieses Mal fiktiven – Briefen nimmt Maimon nun Stellung zu Schulzes Skeptizismus. Dabei gibt er zu verstehen, dass Schulzes skeptizistische Haltung durchaus nach seinem eigenen Geschmack sei, dass Schulze jedoch die Kritische Philosophie falsch beurteile. Dementsprechend 1

2 3

Maimon, Salomon, Streifereien im Gebiete der Philosophie, GW IV, S. 213 [191]. In eckigen Klammern stehen jeweils die Seitenzahlen der Originalausgaben. Ebd. Ebd., S. 258 [236]. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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hält es Maimon für nötig, in einigen entscheidenden Punkten die Kritische Philosophie gegen Schulzes Skeptizismus zu verteidigen.4 Wie ist es nun aber aus systematischer Sicht zu erklären, dass Maimon das eine Mal die Rolle des Skeptikers gegen die Kritische Philosophie, das andere Mal jene des Vertreters der Kritischen Philosophie gegen den Skeptizismus einnehmen kann? Der Grund für Maimons scheinbaren Positionswechsel ist darin zu sehen, dass er auf der einen Seite glaubt, die Kritik der Erkenntnis sei als Methode der einzig richtige Weg. Auf der anderen Seite glaubt er aber auch, mit Hilfe der erkenntniskritischen Methode könnten bestimmte skeptische Vorbehalte grundsätzlich nicht ausgeräumt werden. Daraus ergibt sich für Maimon die Situation, dass sowohl gewisse Leistungen der Kritischen Philosophie anerkannt und dementsprechend gegen den Skeptizismus Schulzes in Schutz genommen als auch die Berechtigung bestimmter skeptischer Einwände zugegeben und gegen die Kritische Philosophie Kants und Reinholds stark gemacht werden müssen. Im Folgenden werde ich die Position Maimons in diesem Spannungsfeld von Kritizismus und Skeptizismus präziser bestimmen, und zwar hauptsächlich auf der Grundlage der erwähnten Texte.5 Dazu werde ich in einem ersten Schritt anhand von Maimons Auseinandersetzung mit Schulze herausarbeiten, dass für Maimon Kritizismus und Skeptizismus nicht unvereinbare Standpunkte sind, sondern ein vernünftiger Skeptizismus nur vor dem Hintergrund und unter der Voraussetzung einer Kritik der Erkenntnis, d. h. einer Bestimmung der Grenzen möglicher Erkenntnis, vertreten werden kann. In einem zweiten Schritt soll rekonstruiert werden, wie bei Maimon die Erkenntniskritik zu einer skeptizistischen Position führt, indem er zu zeigen versucht, dass die Kritische Philosophie auf bestimmte erkenntnistheoretische Fragen keine zufriedenstellenden Antworten geben kann. Aufgrund dieses Defizits müssen einerseits die Grenzen möglicher Erkenntnis wesentlich enger gezogen werden, als dies bei Kant und Reinhold der Fall ist, und andererseits muss dem Skeptizismus mehr Raum eingestanden 4

5

Vgl. Maimon, Salomon, Versuch einer neuen Logik oder Theorie des Denkens. Nebst angehängten Briefen des Philaletes an Aenesidemus, GW V, S. 356 f. [298 f.]. Einen weiteren Bogen spannt Faustino Fabbianelli in seinem Beitrag zur Auseinandersetzung zwischen Reinhold und Maimon in diesem Band. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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werden. Zuletzt werde ich darstellen, wie Maimon aus dem durch Erkenntniskritik gewonnenen skeptizistischen Standpunkt gegen Reinholds Versuch einer Fundierung der Kritischen Philosophie durch den Satz des Bewusstseins argumentiert.

1. Maimon gegen Schulze In den „Philaletes“-Briefen äußert Maimon zunächst viel Sympathie für Schulzes skeptischen Angriff auf die Kritische Philosophie, weist dann aber sehr schnell auf Differenzen im Verständnis von Skeptizismus hin, die es zu klären gilt. Eine erste entscheidende Differenz macht Maimon direkt an einer Definition von Skeptizismus aus Schulzes Aenesidemus fest, die lautet: „Nach meiner Einsicht nun ist der Skeptizismus nichts anders als die Behauptung, daß in der Philosophie weder über das Daseyn und Nichtseyn der Dinge an sich und ihrer Eigenschaften, noch auch über die Gränzen der menschlichen Erkenntißkräfte etwas nach unbestreitbar gewissen und allgemeingültigen Grundsätzen ausgemacht worden sey.6

Maimon ist zwar mit dem ersten Teil dieser Aussage einverstanden, dass über Dinge an sich nichts gesagt werden kann. Nichts anderes behauptet aber natürlich auch der Kritizismus. Der zweite Teil der Definition, die nun konkret die kantische Erkenntniskritik betrifft, ist für Maimon jedoch nicht haltbar. Schulze behauptet darin indirekt, dass mit Hilfe der erkenntniskritischen Methode generell nichts über die Möglichkeit und Reichweite der Erkenntnis ausgemacht werden könne. Maimon dagegen glaubt, dass die Erkenntniskritik durchaus zu gültigen Resultaten führt. Damit gibt er selbstverständlich nicht zu, dass dies gerade diejenigen Resultate sind, auf die Kant und Reinhold gekommen sind, d. h. dass die Grenze möglicher Erkenntnis dort gezogen werden muss, wo sie von Kant und Reinhold gezogen worden ist. Wo die Grenze Maimon zufolge tatsächlich verläuft, wird noch zu behandeln sein. An diesem Punkt gilt es nur festzuhalten, dass die Bestimmung der Grenzen möglicher Erkenntnis, welche die erklärte Aufgabe der Kritischen Philosophie ist, von Maimon auch für den Skeptizismus 6

Maimon, Versuch einer neuen Logik, GW V, S. 357 [299]; vgl. [Schulze, Gottlob Ernst], Aenesidemus oder über die Fundamente der von dem Herrn Prof. Reinhold in Jena gelieferten Elementar-Philosophie. Nebst einer Vertheidigung des Skepticismus gegen die Anmaaßungen der Vernunftkritik, o.O., 1792, S. 24. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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als notwendig angesehen wird. Und zwar ist die Kritik der Erkenntnis deshalb ein unverzichtbares Instrument, weil mit ihrer Hilfe auf der einen Seite gezeigt werden kann, wie weit der Bereich gerechtfertigter Erkenntnisansprüche reicht, und auf der anderen Seite, wo Erkenntnisansprüche nicht mehr gerechtfertigt werden können. Auf diese Weise wird für Maimon nicht nur die Reichweite möglicher Erkenntnis, sondern mittelbar auch die Reichweite des Skeptizismus festgelegt: Erkenntnisansprüche, die sich aufgrund der methodischen Kritik rechtfertigen lassen, muss der Skeptiker akzeptieren; solche hingegen, die einer kritischen Untersuchung nicht standhalten, kann er zurückweisen. Damit erhält nicht nur die mögliche Erkenntnis, sondern indirekt auch der Skeptizismus eine Legitimation durch die Grenzbestimmung mit Hilfe der Methode der Erkenntniskritik. Im Gegensatz zu Schulze, der glaubt, das erkenntniskritische Projekt insgesamt aus einer skeptizistischen Position aus dem Feld schlagen zu können, stellt sich Maimon auf den Standpunkt, dass der Skeptizismus überhaupt nur dann wirksam sein kann, wenn er seine Position methodisch mit Hilfe der Erkenntniskritik bestimmt. Vor diesem Hintergrund ist es nicht erstaunlich, dass für Maimon die Aufgabe des Skeptizismus letztlich mit der Aufgabe der Kritischen Philosophie, nämlich der Bestimmung der Grenzen möglicher Erkenntnis zusammenfällt: „Der Skeptizismus beschäftigt sich hauptsächlich mit Aufsuchung dieser Bedingungen [der Erkenntnis a priori] und ihrer systematischen Ordnung, um dadurch die Gränzen des Erkenntnißvermögens zu bestimmen und festzusetzen.“7 Maimon verteidigt die Erkenntniskritik aber nicht nur als Methode der Grenzbestimmung von Erkenntnis, die auch für den Skeptiker unverzichtbar ist, gegen Schulze. Denn für den Skeptiker gilt es zudem, sich in angemessener Weise auf die spezifische Begründungsstrategie der Kritischen Philosophie einzulassen. Das ist bei Schulze nicht der Fall, wie seine Charakterisierung des Skeptizismus durch die Behauptung, „daß in der Philosophie weder über das Daseyn und Nichtseyn der Dinge an sich und ihrer Eigenschaften“8 etwas ausgemacht worden sei, erkennen lässt. Denn zum einen betrifft die Behauptung, wie bereits erwähnt, die Kritische Philosophie überhaupt nicht, da diese nichts anderes behauptet. Zum anderen legt Schulze mit seiner Behauptung nahe, der Skepti7 8

Maimon, Versuch einer neuen Logik, GW V, S. 359 [301]. Siehe Anm. 6. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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zismus könne nur widerlegt werden, wenn sich irgendetwas über die Existenz der Dinge an sich und ihre Eigenschaften ausmachen lasse. Tatsächlich vertritt Schulze im Aenesidemus die Ansicht, dass die objektive Gültigkeit oder Realität der Erkenntnis nur dadurch begründet werden kann, dass das Bestehen eines realen Zusammenhangs zwischen Vorstellungen und Dingen an sich nachgewiesen wird.9 Das bedeutet, dass für Schulze die Frage der Realität von Erkenntnis grundsätzlich nicht ohne Rekurs auf Dinge an sich beantwortet werden kann, dass er also letztlich nur eine dogmatische Antwort auf die Frage gelten lassen würde. Maimon hingegen erkennt, dass für einen so verstandenen Skeptizismus die spezifische Strategie der Kritischen Philosophie bei der Beantwortung der Frage nach der objektiven Gültigkeit oder Realität von Erkenntnis überhaupt nicht in den Blick kommt, sodass Schulze sogar vorgeworfen werden kann, sein „Skeptizismus hingegen, ungeachtet er dem äußeren Ansehen nach, dem Dogmatismus noch mehr entgegen zu seyn scheint, ist dennoch demselben weit günstiger als der kritischen Philosophie“.10 Die sich am Dogmatismus orientierende Forderung des Skeptikers vom Schlage Schulzes, es müsse ein realer Zusammenhang zwischen Vorstellungen und Dingen an sich nachgewiesen werden, ist in zweierlei Hinsicht verfehlt: Erstens könnte, so Maimon, die Voraussetzung von Dingen an sich überhaupt nichts zur Erklärung der Objektivität von Vorstellungen beitragen, selbst wenn diese Voraussetzung auf irgendeine Weise gegen den Skeptiker verteidigt werden könnte.11 Damit erklärt Maimon nicht zuletzt – und zwar dezidiert gegen die vorherrschende Meinung – die Annahme von Dingen an sich in der Kritischen Philosophie für systematisch irrelevant, zumindest in Bezug auf die Frage der Objektivität von Erkenntnis. Zweitens trägt Schulzes Forderung einer dogmatischen Antwort auf die Objektivitätsfrage nicht der Möglichkeit Rechnung, dass die Frage auch auf andere Weise beantwortet werden kann. Im Unterschied zu Schulze hat Maimon gesehen, dass Kant sich bewusst einer Begründungsstrategie bediente, bei der er auf zweifelhafte dogmatische Annahmen verzichten konnte. Die Frage nach der objektiven Realität wurde von Kant als Frage nach der Möglichkeit der Rechtfertigung von Erkenntnisansprüchen gestellt, 9 10 11

Vgl. Schulze, Aenesidemus, a.a.O., S. 223 f. und 383 f. Maimon, Versuch einer neuen Logik, GW V, S. 358 [300]. Ebd., S. 429 [371]. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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als die Frage „quid iuris“.12 Damit wurde das Problem der Objektivität auf eine neue Ebene verlagert: Es ging nicht mehr darum, auf überzeugende Weise einen Realgrund von Vorstellungen ausfindig zu machen, der dadurch, dass er Realgrund ist, den Gegenstandsbezug von Vorstellungen sichert. Es ging jetzt vielmehr darum, die Bedingungen zu ermitteln, unter denen die Anwendung jener Begriffe, welche den Gegenstandsbezug von Vorstellungen konstituieren können, als gerechtfertigt angesehen werden kann. Schulze muss demnach aus Maimons Sicht, aber auch aus der Sicht der Kritischen Philosophie, vorgeworfen werden, mit seinem Skeptizismus vor dem Hintergrund einer dogmatisch-realistischen Philosophie zu agieren und also auf die spezifisch kritizistische Begründungsstrategie gar nicht einzugehen. Ein auch von der Kritischen Philosophie ernstzunehmender Skeptizismus müsste dagegen den Schritt auf die neue Ebene der Argumentation der Kritischen Philosophie nachvollziehen, wo es nicht mehr ausreicht, Zweifel am Bestehen eines realen Zusammenhangs von Vorstellungen und Dingen an sich zu äußern. Skeptische Einwände, sollen sie Wirkung zeigen, müssen gezielt gegen die kritizistischen Versuche der Rechtfertigung von Erkenntnisansprüchen vorgebracht werden, d. h. der Skeptiker muss zeigen, dass Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Anwendung von Begriffen, welche die Objektivität von Erkenntnis konstituieren, besteht. Insgesamt hängen also für Maimon Kritizismus und Skeptizismus aufs Engste zusammen. Der Skeptizismus ist, methodisch gesehen, nichts anderes als eine gründliche Erkenntniskritik. Das spezifisch Skeptische besteht soweit nur darin, dass grundsätzliche Zweifel an der Legitimität bestimmter Erkenntnisansprüche vorgebracht werden, und zwar, wie sich gleich zeigen wird, insbesondere an der Legitimität des Anspruchs auf Objektivität in Bezug auf Erfahrungserkenntnis.

2. Auf dem Weg der Kritischen Philosophie zum Skeptizismus Um seine Position sowohl in Beziehung zur Kritischen Philosophie als auch in Beziehung zum Skeptizismus zu präzisieren, stellt

12

Vgl. KrV A 84 f./B 116 f. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Maimon im zweiten der „Philaletes“-Briefe sieben Fragen.13 An den Antworten, die er auf diese Fragen gibt, ist abzulesen, in welchen Punkten die Kritische Philosophie seiner Einschätzung nach positive Resultate hinsichtlich der Rechtfertigung von Erkenntnisansprüchen zu liefern vermag und in welchen Punkten dies nicht möglich ist, sodass in Bezug auf diese letzteren Punkte eine skeptische Haltung eingenommen werden muss. Dabei ist zu bemerken, dass es sich nicht um eigentlich skeptische Fragen handelt, mit denen konkrete oder allgemeine Zweifelsgründe formuliert werden, sondern um epistemische Fragen, auf die die Kritische Philosophie Antworten geben muss. Ich werde hier nur auf die ersten drei Fragen Maimons eingehen, da sich bereits mit der Antwort auf die dritte Frage der entscheidende Bruch mit der Kritischen Philosophie einstellt. Der Bruch besteht darin, dass Maimon im Unterschied zu Kant und Reinhold zum Ergebnis kommt, die Kritische Philosophie sei nicht in der Lage, die objektive Realität von Erfahrungserkenntnis zu begründen. Maimons erste Frage lautet: „Haben wir reine Erkenntniß (Begriffe und Grundsätze) a priori, die sich auf ein Objekt des Denkens überhaupt bezieht?“14 Diese Frage beantwortet Maimon mit ‚Ja‘. Bei der Begründung seiner Antwort verweist er darauf, dass bereits die allgemeine Logik mit dem Satz des Widerspruchs und den logischen Formen des Denkens die „Postulate von der Möglichkeit des Denkens eines Objekts überhaupt absolut a priori aufstellt“.15 Das soll aber nicht heißen, dass die logischen Formen alleine bereits hinreichend dafür sind, dass konkrete Objekt gedacht werden können, sondern nur, dass ohne die logischen Formen überhaupt keine Objekte gedacht werden können. Damit „reelles objektives Denken“16, bei dem die logischen Formen auf einen konkreten Gehalt appliziert werden, möglich ist, sind zusätzlich spezifisch transzendentale Begriffe und Grundsätze erforder13

14 15 16

Breiter angelegte Analysen zu Maimons Skeptizismus findet man z. B. bei Franks, Paul W., All or Nothing. Systematicity, Transcendental Arguments, and Skepticism in German Idealism, Cambridge, Mass. und London, 2005, S. 176200; Gasperoni, Lidia, „Maimon und der Skeptizismus“, in: Fichte-Studien 39, 2012, S. 111-128; Hoyos, Luis E., Der Skeptizismus und die Transzendentalphilosophie. Deutsche Philosophie am Ende des 18. Jahrhunderts, Freiburg und München, 2008, Kap. III. Maimon, Versuch einer neuen Logik, GW V, S. 383 [325]. Ebd., S. 384 [326]. Ebd., S. 464 [406]. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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lich, d. h. die logischn Formen bedürfen einer transzendentalen Interpretation. In seinem Versuch einer neuen Logik habe er nämlich gezeigt, „daß die logischen Formen, von ihrer transzendentalen Bedeutung abstrahirt, gar keine Bedeutung haben“.17 Wie Kant und Reinhold vertritt Maimon also die Auffassung, dass das Denken reeller Objekte, d. h. reelles Denken, nur dadurch möglich ist, dass die logischen Formen des Denkens mittels apriorischer Begriffe, den Kategorien, auf konkrete Gehalte abgebildet werden. Soweit ist Maimon also eindeutig Transzendentalphilosoph, der gegen einen Skeptiker vom Schlage Humes oder Schulzes klar macht, dass Wahrnehmung und allgemeine Logik zusammen noch nicht hinreichend dafür sind, dass bestimmte Objekte gedacht werden können. Denn dazu sind auch noch apriorische Begriffe notwendig, und das bedeutet, dass es neben der allgemeinen Logik noch einer transzendentalen Logik bedarf. Maimons zweite Frage lautet: „Haben wir reine Erkenntniß a priori, die sich auf ein Objekt des Erkennens a priori bezieht?“18 Auch auf diese Frage antwortet Maimon mit ‚Ja‘. Hier geht es nun nicht mehr um das bloße Denken von Objekten, sondern um die Erkenntnis von Objekten als „außer dem Denken (in der Anschauung) bestimmte, und noch dazu durchs Denken bestimmbare Objekte“.19 Die positive Antwort wird damit begründet, dass Erkenntnis a priori von bestimmten Objekten tatsächlich möglich ist, nämlich von den Objekten der Mathematik. Mathematische Objekte sind deshalb a priori erkennbar, weil sie konstruierbar, d. h. ihren Begriffen gemäß in der Anschauung a priori darstellbar sind. Die Tatsache, dass ein mathematisches Objekt konstruierbar ist, garantiert einerseits, dass dieses Objekt tatsächlich existiert, und zweitens, dass der Begriff dieses Objekts dem Objekt selber völlig angemessen ist. Im Falle mathematischer Objekte verfügen wir deshalb über ein adäquates apriorisches Wissen über reelle Objekte, so dass allgemeingültige und notwendige Urteile über diese Objekte möglich sind. Mathematisches Wissen ist also Maimon zufolge nicht auf rein begriffliches, analytisches Wissen reduzierbar, vielmehr handelt es sich dabei um synthetisches Wissen a priori. Mai17

18 19

Ebd. Maimon bezieht sich auf den Abschnitt „Formen des Denkens und Kathegorien“ seines Versuchs einer neuen Logik (vgl. ebd., S. 207 ff. [149 ff.] und 343 [285]). Ebd., S. 383 [325]. Ebd., S. 385 [327]. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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mon vertritt demzufolge auch in diesem Punkt eine klar als kantisch erkennbare Position. Anders verhält es sich aber mit der dritten Frage: „Haben wir reine Erkenntniß a priori, die sich auf ein Objekt der Erkenntniß a posteriori bezieht?“20 Damit steht nun die entscheidende Frage nach der Möglichkeit synthetischer Erkenntnis a priori im Bereich der Erfahrung zur Debatte und also auch die Frage nach der Möglichkeit empirischer Erkenntnis. Hier gilt es nun aus kritizistischer Sicht, sich der Herausforderung durch den Hume’schen Skeptizismus zu stellen: Hume hat gezeigt, dass Erfahrungserkenntnis grundsätzlich zweifelhaft ist, wenn keine anderen epistemischen Ressourcen als sinnliche Wahrnehmung und die logischen Formen der Verbindung von Wahrnehmungen zur Verfügung stehen. Das bedeutet, dass objektiv gültiges Erfahrungswissen – Erkenntnis a posteriori – nicht möglich ist, wenn es keine Erkenntnis gibt, die sich a priori auf Erfahrungsobjekte bezieht, also synthetische Erkenntnis a priori. Maimon beantwortet die dritte Frage mit ‚Nein‘ und nimmt damit wie Hume eine skeptische Position in Bezug auf Erfahrungserkenntnis ein. Seine Gründe für die negative Antwort sind aber nicht die gleichen, die Hume vorbringt. Hume hatte dafür argumentiert, dass kategoriale Verhältnisse wie die von Substanz und Akzidenz oder von Ursache und Wirkung weder a priori noch a posteriori erkennbar sind. Die entsprechenden Begriffe können ihren Ursprung daher nur in der gewohnheitsmäßigen Assoziation von Wahrnehmungen haben. Es handelt sich demnach um Scheinbegriffe, die zu keiner realen, objektiven Erkenntnis führen können. Dagegen hat Kant geltend gemacht, dass wir ohne die kategorialen Begriffe empirische Objekte nicht einmal denken könnten. Deshalb ist die Anwendung der Kategorien notwendig und insofern a priori gerechtfertigt. Wie wir bei Maimons Antwort auf die erste Frage gesehen haben, gibt Maimon Kant in diesem Punkt Recht: Die Kategorien sind apriorische Begriffe, ohne die es nicht möglich wäre, die logischen Formen des Denkens auf konkrete Objekte anzuwenden und also reelle Objekte überhaupt nur zu denken. Wie kommt Maimon aber unter dieser kritizistischen Voraussetzung dennoch zu einer negativen, skeptischen Antwort auf die dritte Frage? 20

Ebd., S. 383 [325]. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Maimons Argument lautet wie folgt: Selbst wenn man einräumt – und Maimon tut das mit seiner positiven Antwort auf die erste Frage –, dass wir tatsächlich über Begriffe und Grundsätze verfügen, die sich a priori auf Objekte des Denkens beziehen, und wenn man weiter einräumt, dass diese Begriffe und Grundsätze notwendig sind, damit überhaupt irgendwelche Objekte gedacht werden können, steht noch nicht fest, dass diese Begriffe auch auf konkrete empirische Objekte angewandt werden können. Dazu müsste im Einzelfall festgestellt werden können, ob mittels dieser Begriffe tatsächlich ein reelles empirisches Objekt gedacht wird. Maimon wirft nun aber Kant und Reinhold vor, überhaupt kein Kriterium des reellen Denkens angegeben zu haben, aufgrund dessen es möglich wäre zu entscheiden, ob in einem konkreten Anwendungsfall der Kategorien wirklich ein reelles empirisches Objekt vorgestellt wird.21 Dagegen glaubt Maimon, mit seinem ‚Satz der Bestimmbarkeit‘ selber über ein allgemeines Kriterium des reellen Denkens zu verfügen und außerdem zeigen zu können, dass dieses Kriterium im Falle empirischer Objekte nicht erfüllt sein kann: „Ich stelle also folgenden Satz als Kriterium des reellen Denkens a priori auf: Das gegebene Mannigfaltige muß in dem Verhältnisse zu einander stehen, daß das Subjekt auch an sich ohne das Prädikat, dieses aber nicht ohne jenes ein Gegenstand des Bewußtseyns überhaupt seyn kann.“22 Der Satz der Bestimmbarkeit ist als Kriterium des reellen Denkens wohl nicht über jeden Zweifel erhaben, da es sich eher um ein begriffliches oder semantisches Kriterium zu handeln scheint. Maimons Einwand gegen die Kritische Philosophie hat aber unabhängig von der Tauglichkeit des Kriteriums eine Pointe: Es reicht nicht aus zu zeigen, dass es notwendig ist, apriorische Begriffe anzuwenden, damit Erfahrung möglich ist. Es müssen zusätzlich die Bedingungen angegeben werden, die erfüllt sein müssen, damit diese Begriffe auf konkrete empirische Objekte bezogen werden können, und es muss außerdem die Möglichkeit bestehen (anhand eines Kriteriums) zu entscheiden, ob diese Bedingungen in einzelnen Fällen erfüllt sind. Sollte diese Möglichkeit nicht bestehen oder sollte es, wie Maimon glaubt, Gründe für die Annahme geben, dass die Bedingungen in keinem einzigen Fall erfüllt sind, dann wird der Skeptiker darauf hinweisen, dass nicht ausgeschlos21 22

Vgl. ebd., S. 475 ff. [417 ff.]. Ebd., S. 493 [435]. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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sen werden kann, dass es keinen einzigen Fall gibt, in dem wir mit Recht behaupten können, dass wir die apriorischen Begriffe auf ein reelles empirisches Objekt anwenden. Und wenn in jedem einzelnen Fall Zweifel besteht, folgt daraus die Möglichkeit, dass sich unsere vermeintliche empirische Erkenntnis überhaupt nie auf reelle Objekte bezieht. In diesem Fall, wenn prinzipiell nicht entschieden werden kann, ob die apriorischen Begriffe im einzelnen Anwendungsfall mit Recht angewendet werden, ist es völlig irrelevant, dass die Kategorien als Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung deduziert werden können. Anders gesagt: eine transzendentale Deduktion der Verstandesbegriffe liefert zwar – gegen den Hume’schen Skeptizismus – eine apriorische Rechtfertigung der Anwendung dieser Begriffe, sie liefert aber keine Rechtfertigung für die Annahme, dass wir in den Fällen, in denen wir diese Begriffe tatsächlich anwenden, objektive Erkenntnis erhalten. Diese Annahme hat daher bestenfalls den Status einer Hypothese. Obwohl also die Kritische Philosophie den Nachweis erbringt, dass Erfahrungserkenntnis möglich ist, muss sie es dahingestellt bleiben lassen, ob es tatsächlich Erfahrungserkenntnis gibt. Bei diesem Einwand handelt es sich um nichts anderes als um Maimons quid facti-Argument: Selbst wenn die Kritische Philosophie die Frage ‚quid iuris‘ nach der Rechtmäßigkeit der Anwendung der apriorischen Begriffe durch deren transzendentale Deduktion befriedigend beantworten kann, ist dieses Resultat wertlos in Bezug auf einen Nachweis der Objektivität von Erfahrungserkenntnis, wenn keine überzeugende Antwort auf die Frage ‚quid facti‘, d. h. auf die Frage, „ob wir diese Begriffe und Sätze a priori von empyrischen Objecten wirklich gebrauchen, oder nicht“23, gegeben werden kann. Für Maimon selbst liegt das Neue seines Skeptizismus gerade darin, die Frage ‚quid facti‘ aufgeworfen und die Unfähigkeit der Kritischen Philosophie, darauf eine Antwort zu geben, aufgezeigt zu haben.24 Dieses Ergebnis – eine generelle Skepsis in Bezug auf Erfahrungserkenntnis – hat Maimon auf dem Weg der Erkenntniskritik erreicht, unter Verwendung einer Reihe von Thesen, Theoremen 23 24

Ebd., S. 477 [419]. Vgl. ebd., S. 247 [189] und 477 [419] sowie Versuch über die Transscendentalphilosophie, GW II, S. 70 ff. Vgl. dazu Senderowicz, Yaron, „Maimon’s ‚quid facti‘ argument“, in: Salomon Maimon: Rational Dogmatist, Empirical Skeptic. Critical Assessments, hg. v. Gideon Freudenthal, Dordrecht u. a., 2003, S. 176-199. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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und Argumentationsweisen der Kritischen Philosophie. Gerade weil er den Weg der Kritik einschlägt, kann er eine Lücke in der Begründung der Objektivität von Erfahrungserkenntnis identifizieren, von der er glaubt, sie sei grundsätzlich nicht zu schließen. Die Unbeantwortbarkeit der Frage ‚quid facti‘ führt ihn zur Konsequenz, dass die Grenzen der Erkenntnis enger gezogen werden müssen, als die Kritizisten glauben, dass insbesondere der Bereich der Erfahrung außerhalb dieser Grenzen liegt und dieses Feld dem Skeptiker überlassen werden muss.

3. Maimon gegen Reinhold Maimons neuer Skeptizismus ist die Konsequenz aus der von ihm festgestellten Unfähigkeit der Kritischen Philosophie, auf die Frage ‚quid facti‘ eine zufriedenstellende Antwort zu geben. Im Versuch über die Transscendentalphilosophie hatte Maimon bereits Kant vorgehalten, er setze bei seiner Deduktion der Verstandesbegriffe als ein Faktum voraus, dass wir Erfahrungssätze haben, – er, Maimon, bezweifle jedoch genau dieses Faktum.25 Reinhold nahm diesen Kritikpunkt von Maimon auf und reagierte darauf, indem er anstelle des Faktums der Erfahrung die Tatsache des Bewusstseins, ausgedrückt durch den Satz des Bewusstseins, als Fundament seiner Elementarphilosophie geltend machte.26 Reinholds Einführung des Satzes des Bewusstseins muss also mitunter als Versuch angesehen werden, eine Antwort auf Maimons Frage ‚quid facti‘ zu geben, und zwar so, dass keine skeptischen Einwände wie gegen 25

26

Vgl. Maimon, Versuch über die Transscendentalphilosophie, GW II, S. 186 f. Vgl. dazu Bondeli, Martin, „Maimon über Kants Beweis synthetischer Urteile a priori“, in: Metaphysik und Kritik. Festschrift für Manfred Baum zum 65. Geburtstag, hg. v. Sabine Doyé u. a., Berlin und New York, 2004, S. 263-284, Franks, Paul W., „What should Kantians learn from Maimon’s Skepticism?“, in: Salomon Maimon: Rational Dogmatist, Empirical Skeptic. Critical Assessments, hg. v. Gideon Freudenthal, Dordrecht u. a., 2003, S. 200-232 und Imhof, Silvan, Der Grund der Subjektivität. Motive und Potenzial von Fichtes Ansatz, Basel, 2014, S. 30-44. Vgl. dazu Reinhold, Karl Leonhard, Beiträge zur Berichtigung bisheriger Mißverständnisse der Philosophen. Erster Band, das Fundament der Elementarphilosophie betreffend, hg. v. Faustino Fabbianelli, Hamburg, 2003, S. 193 ff. [278 ff.] und Ueber das Fundament des philosophischen Wissens nebst einigen Erläuterungen über die Theorie des Vorstellungsvermögens, RGS 4, S. 76 f. [135 f.] Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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das von Kant vorausgesetzte Faktum, dass es Erfahrungssätze gebe, vorgebracht werden können. Gewinnt nun Reinhold mit seinem Ansatz wirklich den erhofften Vorteil gegen Maimons neuen Skeptizismus?27 In den „Philaletes“-Briefen äußert sich Maimon dazu, welche Übereinstimmungen und Differenzen zwischen ihm und Reinhold bestehen. Er ist mit Reinhold darüber einig, dass es eine Kritik der Erkenntnis braucht, dass jedoch Kants Erkenntniskritik weder die einzige noch die beste ist. Dagegen ist er nicht einverstanden mit Reinholds in seinen Augen übertriebenen Erwartungen an die Kritische Philosophie – gemeint sein dürfte der Anspruch auf eine ultimative Fundierung sowie eine durchgängige Systematisierung der kantischen Philosophie mittels eines ersten Grundsatzes. Vor allem aber erklärt er das Faktum, auf dem der Satz des Bewusstseins gründet, die Tatsache des Bewusstseins, „für eine Illusion der Einbildungskraft“.28 Es scheint also, dass Maimon, so wie er zuvor Kants Faktum der Erfahrung angezweifelt hatte, nun auch Reinholds Tatsache des Bewusstseins in Frage stellt. Im „Philosophischen Briefwechsel“ bedient sich Maimon gegen Reinhold aber einer anderen skeptischen Strategie als noch gegen Kant. Denn während er Kants Faktum der Erfahrung noch direkt in Zweifel gezogen hatte, gibt er erst einmal zu, dass es sich bei der Tatsache des Bewusstseins um eine Tatsache handelt. Er verweist auf einen Aufsatz im Magazin zur Erfahrungsseelenkunde von 1792, wo er […] Herrn Professor Reinholds Satz des Bewußtseyns (die Grundlage seiner ganzen Philosophie) zwar als Faktum zugebe (und wer wird dieses streitig machen?) aber zugleich sowohl durch eine transzendentale als psychologische Dedukzion desselben zeige, daß dieser Satz kein ursprüngliches Faktum des Bewußtseyns ist, sondern bloß durch eine Täuschung dafür gehalten wird, und daher,

27

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Zur Auseinandersetzung zwischen Maimon und Reinhold vgl. Atlas, Samuel, From Critical to Speculative Idealism. The Philosophy of Solomon Maimon, The Hague, 1964, S. 284-316; Horstmann, Rolf-Peter, „Maimon’s criticism of Reinhold’s ‚Satz des Bewusstseins‘“, in: Proceedings of the Third International Kant Congress, hg. v. Lewis W. Beck, Dordrecht, 1972, S. 330-338; Schrader, Wolfgang H., „‚Wir denken über keinen einzigen Begriff gleich.‘ Die Auseinandersetzung zwischen Reinhold und Maimon“, in: Zur Architektonik der Vernunft, hg. v. Lothar Berthold, Berlin, 1990, S. 525-552. Vgl. Maimon, Versuch einer neuen Logik, GW V, S. 381 f. [323 f.]. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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ohne einen Zirkel zu begehn, zur Grundlage einer Theorie des Vorstellungsvermögens nicht gebraucht werden kann.29

Anders als Kants Faktum der Erfahrung scheint die Tatsache des Bewusstseins aus skeptischer Sicht als solche also nicht fragwürdig zu sein. Das liegt daran, dass mit dem Satz des Bewusstseins eine schwächere Aussage gemacht wird. Der Satz des Bewusstseins besagt, dass im Bewusstsein die Vorstellung durch das Subjekt auf das Subjekt und das Objekt sowohl bezogen als auch von beiden unterschieden wird.30 Im Gegensatz zur Annahme des Faktums der Erfahrung wird hier nicht das Bestehen eines faktischen Bezugs von Vorstellungen zu den Gegenständen, die vorgestellt werden, unterstellt, sondern nur die Intentionalität oder Objektgerichtetheit von Vorstellungen. Dabei wird zwar ein Bezugsgegenstand präsupponiert, es muss aber nicht auch dessen Realität als gesichert angenommen werden. Der intentionale Objektbezug, von dem im Satz des Bewusstseins die Rede ist, ist eine interne, generische Eigenschaft von Vorstellungen, bei der offen bleibt, ob es auch ein reales Objekt des Bezugs gibt. Da sich der Satz des Bewusstseins demzufolge auf eine Aussage über die Struktur des Bewusstseins beschränkt, kann auch vom Skeptiker zugestanden werden, dass er eine Tatsache ausdrückt, die außer Zweifel steht. Darin liegt sowohl die Stärke von Reinholds Prinzip als auch seine Schwäche. Weil es sich bloß um eine Aussage über die Struktur des Bewusstseins handelt, kann das Prinzip nicht sinnvoll bezweifelt werden. Zweifelhaft ist dagegen, ob auf der Grundlage des Satzes des Bewusstseins die Objektivität von Vorstellungen bewiesen werden kann, und zwar genau deshalb, weil mit dem Satz bloß etwas über die Struktur des Bewusstseins gesagt wird. Diesen Zweifel versucht Maimon mittels der erwähnten transzendentalen und psychologischen Deduktion stark zu machen. Maimons transzendentaler Deduktion zufolge „sind das Objekt und das Subjekt, transzendental a priori gedacht, bloße Ideen, die durch kein inneres absolutes Merkmal, als bloß durchs Bezogen29

30

Maimon, Streifereien im Gebiete der Philosophie, GW IV, 202 [180]. Bei dem Aufsatz, auf den sich Maimon an dieser Stelle bezieht, handelt es sich um die „Einleitung zur neuen Revision des Magazins zur Erfahrungsseelenkunde“, in: Magazin zur Erfahrungsseelenkunde, Bd. 9, Stück 3, 1792, S. 1-29 (GW III, S. 462-490). Vgl. z. B. Reinhold, Beiträge zur Berichtigung bisheriger Mißverständnisse der Philosophen, a.a.O., S. 113 [167]. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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werden der Vorstellung auf beide gedacht werden; […]“.31 Zieht man in Betracht, dass Maimon Ideen als bloße Fiktionen versteht,32 kann man das Argument hinter dieser Bemerkung wie folgt wiedergeben: Es mag richtig sein, dass wir aufgrund der Tatsache, dass wir Bewusstsein haben, die Überzeugung haben müssen, dass Vorstellungen in genau der Weise auf Subjekt und Objekt bezogen sind, wie es der Satz des Bewusstseins beschreibt. Betrachtet man die Sache aber aus transzendentaler Sicht, so muss man feststellen, dass keine reale Beziehung einer Vorstellung zu Subjekt und Objekt bestehen kann, weil Subjekt und Objekt keine realen Bezugsgegenstände sind. Diese sind vielmehr bloße Ideen oder Fiktionen, d. h. durch die Einbildungskraft fingierte, zu unseren Vorstellungen notwendig hinzuzudenkende Gegenstücke, die als solche unabhängig von unseren Vorstellungen nicht existieren. Diese transzendentale Erklärung für die Tatsache des Bewusstseins wird durch eine psychologische Deduktion ergänzt, die dem Muster Hume’scher Argumente folgt: Aus der Gewohnheit eine jede Wahrnehmung auf andre Wahrnehmungen durch den Begrif der Koexistenz zu beziehn, entsteht diese transzendente Neigung der Einbildungskraft, eine jede Wahrnehmung auf ein Etwas überhaupt zu beziehn. […] Auf diese Art entsteht die fingirte Idee von einem Objekt außer dem Denkungsvermögen (nicht Dinge überhaupt) das auch außer diese[m] Begriffe einer möglichen Beziehung überhaupt (Form der Apperception) seine Realität haben soll.33

Aufgrund der gewohnheitsmäßigen Assoziation von Wahrnehmungen neigt also die Einbildungskraft dazu, Wahrnehmungen auf etwas zu beziehen, was unabhängig davon, ob wir eine Vorstellung davon haben, existieren soll. Wiederum erweist sich dabei das vermeinte Bezugsobjekt bei näherer Betrachtung als bloße Fiktion, dieses Mal als eine psychologische.

31 32

33

Maimon, „Einleitung zur neuen Revision des Magazins zur Erfahrungsseelenkunde“, GW III, S. 471 [10]. Vgl. Maimon, Versuch einer neuen Logik, GW V, S. 263 f. [205 f.]. Vgl. dazu Breazeale, Daniel, „Reinhold gegen Maimon über den Gebrauch der Fiktionen in der Philosophie“, in: Die Philosophie Karl Leonhard Reinholds, hg. v. Martin Bondeli und Wolfgang Schrader , Amsterdam und New York, 2003, S. 123151. Maimon, „Einleitung zur neuen Revision des Magazins zur Erfahrungsseelenkunde“, GW III, S. 472 [11]. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Man kann gewiss bestreiten, dass Maimon mit seiner transzendentalen und psychologischen Deduktion gute Erklärungen für das Faktum des Bewusstseins gibt. Darauf kommt es aus skeptischer Sicht aber gar nicht so sehr an, denn die bloße Möglichkeit von Erklärungen für das Faktum, aufgrund deren der Bezug von Vorstellungen generell als bloß fingierter Bezug angesehen werden kann, stellt einen berechtigten Zweifelsgrund an der Tauglichkeit des Satzes des Bewusstseins als Prinzip der Rechtfertigung der Objektivität von Erfahrungserkenntnis dar. Weil die Möglichkeit solcher Erklärungen besteht, muss man zum Schluss kommen, dass der Satz des Bewusstseins nichts anderes ausdrückt als die Tatsache, dass wir, sofern wir Bewusstsein haben, notwendigerweise glauben, dass unsere Vorstellungen auf ein Subjekt und ein Objekt bezogen sind. Dass wir etwas notwendigerweise glauben, impliziert aber natürlich nicht, dass es sich tatsächlich so verhält, wie wir zu glauben genötigt sind. Der Skeptiker kann demzufolge, wie es Maimon tut, ohne weiteres zugeben, dass es eine Tatsache ist, dass wir notwendigerweise die Überzeugung haben, unsere Vorstellungen seien auf ein Subjekt und ein Objekt bezogen. Damit ist aber nichts erreicht, denn auch wenn der Skeptiker diese Tatsache zugibt, kann er immer noch daran zweifeln, dass diese Überzeugung wahr oder gerechtfertigt ist. Um diesen Zweifel zu beseitigen, müsste zusätzlich eine Rechtfertigung für die Überzeugung gegeben werden, aber dazu reicht der Satz des Bewusstseins nicht aus, selbst wenn er an sich nicht bezweifelt werden kann. Geht man also wie Reinhold nur vom Satz des Bewusstseins aus, muss es generell zweifelhaft bleiben, ob sich Vorstellungen tatsächlich auf reale Gegenstände beziehen. Und solange dieser Zweifel besteht, hat alles, was aus Reinholds Prinzip in Bezug auf die notwendigen Bedingungen der Objektivität von Vorstellungen korrekt abgeleitet werden kann, bestenfalls hypothetische Gültigkeit. Insgesamt zielt Maimons Kritik darauf zu zeigen, dass Reinholds Tatsache des Bewusstseins, obwohl sie – anders als Kants Faktum der Erfahrung – als solche nicht sinnvoll in Zweifel gezogen werden kann, eine Tatsache ist, die keine geeignete Grundlage darstellt, um die Überzeugung, dass unsere Vorstellungen objektive Gültigkeit haben, zu rechtfertigen. Der Satz des Bewusstseins kann nicht sinnvoll bezweifelt werden, weil er eine Aussage über die Relationsstruktur des Bewusstseins ist, deren Analyse die intrinsische Intentionalität von Vorstellungen und somit auch not-

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wendige Voraussetzungen des Objektbezugs von Vorstellungen aufdecken kann. Dass sich Vorstellungen aber tatsächlich auf reale Objekte beziehen, kann ausgehend vom Satz des Bewusstseins nicht nachgewiesen werden, eben weil der Satz des Bewusstseins nur die Struktur des Bewusstseins beschreibt und daraus nur die bewusstseinsinternen Voraussetzungen des Objektbezugs hergeleitet werden können. Reinholds Satz des Bewusstseins ist zwar unbezweifelbar, aber aus dem gleichen Grund, aus dem er unbezweifelbar ist, taugt er auch nicht dazu, die Objektivität von Erfahrungserkenntnis gegen den Skeptiker zu verteidigen.

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Ist Philosophie eine reale Wissenschaft? Reinholds Auffassung des Skeptizismus und seine Auseinandersetzung mit Maimon Einleitung Die These, die den folgenden Ausführungen zugrunde liegt, möchte ich vorab wie folgt zusammenfassen: Reinholds Widerlegung des Skeptizismus sieht vor, die Kantische Frage des quid iuris neu zu formulieren und demzufolge das Thema der Anwendbarkeit des philosophischen Denkens aufgrund der Prinzipien der neuen Elementarphilosophie zu beantworten. Das dazu notwendige Vorgehen nimmt bei Reinhold ein doppeltes Gesicht an: Entweder man geht von letzten, durchgängig bestimmten Grundsätzen aus, die als allgemeingültig und allgemeingeltend betrachtet werden können, um dann eine strenge sowie anwendbare Wissenschaft aufzubauen. Die Realität des philosophischen Wissens folgt nach dieser Auffassung aus dessen Richtigkeit. Oder aber man stützt sich auf die Tatsachen des gesunden Menschenverstandes und deren engen Zusammenhang mit der philosophierenden Vernunft, um zu zeigen, dass die skeptischen Einwände widerlegbar sind. Reinhold misst in diesem letzteren Denkansatz dem Selbstbewusstsein eine neue Rolle zu, welche ihre Erprobung in der im gleichen Zeitraum zum Ausdruck gebrachten Freiheitslehre findet. Die zwei Wege entsprechen grosso modo den zwei Phasen der Elementarphilosophie, die in den Jahren 1791-1792 einen theoretischen Schnitt erfährt. Genau dies ist die Zeit der Auseinandersetzung mit Maimon. Ich möchte deshalb zeigen, wie die neue Lehrmeinung Reinholds hinsichtlich der skeptischen Einwände Maimons ins Spiel gebracht werden kann. Mein Aufsatz besteht aus vier Teilen: Im ersten zeige ich den inneren Zusammenhang, der Reinhold zufolge zwischen der skeptischen Frage und der Transzendentalphilosophie besteht. Die besondere Bestimmung, die diese Verbindung bei Reinhold annimmt, wird hinsichtlich eines Themas untersucht, das für die Widerlegung des Skeptizismus von zentraler Bedeutung ist: die begriffliche Transformation des Dinges an sich, die zu dessen UnterscheiMartin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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dung vom Noumenon im positiven Sinne führt. Die im zweiten Teil besprochenen Einwände Maimons gegen Kants Kritik sowie Reinholds Elementarphilosophie1 leiten in den dritten Teil ein, in welchem die Antworten dieser beiden Denker hinsichtlich ihres gemeinsamen Charakters analysiert werden, den ich auf die These der Endlichkeit der menschlichen Erkenntnis zurückbeziehe. Dieser ‚Anthropologismus‘ der Elementarphilosophie (aber auch der Kritik Kants) – wie ich es nennen möchte – wird dann im vierten Teil des Aufsatzes durchleuchtet: Hier geht es um die Theorie des gesunden Menschenverstandes sowie um die damit zusammenhängende Rolle des Selbstbewusstseins, die Reinhold gegen Mitte 1792 aufstellt, zum ersten Mal im zweiten Band der Beyträge zur Berichtigung bisheriger Mißverständnisse der Philosophen (Beiträge II) zum Ausdruck bringt und dann innerhalb der inzwischen entworfenen Freiheitslehre hervorhebt.

1. Skeptizismus und Transzendentalphilosophie Der Skeptizismus stellt prinzipiell keine theoretische Alternative zur Transzendentalphilosophie dar: Reinhold ist bereits im Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens (Versuch) von 1789 dieser Meinung. Die in dieser Schrift vorgenommene Unterscheidung zwischen einem dogmatischen und einem kritischen Zweifel soll nämlich zeigen, dass eine richtig gestellte skeptische Frage das von Kant initiierte kritische Denken gar nicht behindert, sondern vielmehr zu befördern fähig ist. Im Gegensatz zum dogmatischen Skeptizismus, der nur eine der miteinander streitenden vier Parteien darstellt und einen Zweifel in die philosophische Diskussion einbringt, welcher „ewig unauflöslich bleiben muß“, macht der kritische Skeptizismus eine ganz neue Untersuchung „unvermeidlich“2, die von der Vermutung ausgeht, das Fehlen allgemeingeltender Prinzipien in der Philosophie hänge vom Fehlen allgemeingültiger Grundsätze ab, und zur kritischen Frage kommt, wie solche allgemeingültigen Erkenntnisgründe möglich seien. Reinhold übernimmt hier zweifellos die von der 1 2

Zum Verhältnis von Kritizismus und Skeptizismus bei Maimon vgl. auch Silvan Imhofs Aufsatz im vorliegenden Band. Reinhold, Karl Leonhard, Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens, RGS 1, S. 89. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Kritik der reinen Vernunft angesprochene skeptische Methode, aufgrund welcher man dem Streit zusieht oder vielmehr ihn selbst veranlasst, um zu untersuchen, ob der Gegenstand der Auseinandersetzung „nicht vielleicht ein bloßes Blendwerk sei, wornach jeder vergeblich haschet“.3 Auch Kant ist der Meinung, dass der Transzendentalphilosoph als unparteiischer Richter sich aus dem Streit der Denker heraushalten soll. Insofern unterscheidet sich die von der Kritik angepriesene skeptische Methode vom Skeptizismus, der „die Grundlagen aller Erkenntnis untergräbt, um, wo möglich, überall keine Zuverlässigkeit und Sicherheit derselben übrig zu lassen“.4 Die skeptische Methode geht nach Kant hingegen „auf Gewißheit“, indem sie „den Punkt des Mißverständnisses zu entdecken sucht, um, wie weise Gesetzgeber tun, aus der Verlegenheit der Richter bei Rechtshändeln für sich selbst Belehrung, von dem Mangelhaften und nicht genau Bestimmten in ihren Gesetzen, zu ziehen“.5 Ebenso ist Reinhold der Auffassung, dass der kritische Skeptizismus sich sowohl von der unphilosophischen als auch von der philosophisch-dogmatischen Skepsis wesentlich unterscheidet. Sein Interesse zielt darauf ab, das Gebiet der bisherigen Metaphysik zu verlassen, um sich auf das kritische Problem der Erkenntnisgrenzen zu konzentrieren. Nur sofern man nach den Bedingungsmöglichkeiten dessen sucht, was alle Denker zugeben – die Vorstellung –, kann man hoffen, eine neue Metaphysik kritisch zu begründen. Die Neutralisierung der dogmatischskeptischen Einstellung wird von Reinhold dadurch bewerkstelligt, dass sie als eine befangene Option betrachtet wird, die noch vor der transzendentalphilosophischen Schwelle einer apriorischen Untersuchung steht, welche nicht mit den Gegenständen, sondern vielmehr mit deren Wissen zu tun haben soll. Diese echt kantische Lehre findet nun aber bei Reinhold eine derartige Akzentuierung, dass sie sich letztendlich als antikantisch erweist. Das Einschließen des Skeptizismus in das transzendentale Denken durch die skeptische Frage nach der Möglichkeit von allgemeingültigen Erkenntnisgründen sowie Grundsätzen beinhaltet nämlich die These, Philosophie als strenge Wissenschaft gründe sich als System auf einen ersten Grundsatz, der durch den Satz des Bewusstseins ausgedrückt wird. Im ersten Band der Beyträge zur Berichtigung bishe3 4 5

KrV A 423/B 451. KrV A 424/B 451. KrV A 424/B 451 f. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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riger Mißverständnisse der Philosophen (Beiträge I) erklärt Reinhold deutlich, dass der auf diese Weise eingeschlagene Weg der Elementarphilosophie und der kantische Weg ganz verschieden sind, wenn auch beide zu denselben Resultaten führen.6 Reinholds Feststellung einer wesentlichen Differenz zwischen dem kantischen Projekt und der Elementarphilosophie kulminiert in der Behauptung, die Gründe von Kants Kritik kämen innerhalb der Theorie des Vorstellungsvermögens als bloße Folgen vor.7 An dieser Stelle möchte ich ein Moment besonders hervorheben, das im Zusammenhang der Fundierung einer neuen Philosophie und der parallel laufenden Widerlegung des dogmatischen Skeptizismus von großer Bedeutung ist: die Unterscheidung zwischen Ding an sich und Noumenon. Diesbezüglich sollte nämlich nicht vergessen werden, dass Reinhold das Thema des Skeptizismus immer im Zusammenhang mit dem Begriff des Dinges an sich behandelt. Indem der Skeptiker die objektive Wahrheit als die „Übereinstimmung zwischen der Vorstellung und dem Dinge an sich“8 versteht, schließt er sich einer dogmatischen Auffassung von Wahrheit an. Obwohl der skeptische Philosoph eine derartige objektive Wahrheit für unerreichbar hält, teilt er mit allen anderen Dogmatikern dieselbe unstatthafte Lehre. Reinholds Unterscheidung zwischen Ding an sich und Noumenon erhebt deshalb den Anspruch, den Kern jeder dogmatischen Philosophie zu widerlegen. Sie stellt darüber hinaus ein Moment dar, das Reinhold mehr oder minder bewusst als Differenz zur Transzendentalphilosophie Kants, und ganz klar im Widerspruch zu den falschen Interpretationen der Kantianer besonders hervorheben will. Historisch betrachtet geht es beim Unterschied zwischen Ding an sich und Noumenon um ein bereits von Jacobi unterstrichenes Problem, das den transzendentalen Idealismus zu vernichten droht. Ist die Sinnlichkeit nach Kant ein passives Vermögen, muss angenommen werden, 6

7 8

Reinhold, Karl Leonhard, Beiträge zur Berichtigung bisheriger Mißverständnisse der Philosophen. Erster Band, das Fundament der Elementarphilosophie betreffend, hg. v. Faustino Fabbianelli, Hamburg, 2003, S. 184 [262 f.]. Die Seitenangaben in eckigen Klammern beziehen sich jeweils auf die Originalausgaben. Ebd., S. 203 [295]. Reinhold, Karl Leonhard, Beiträge zur Berichtigung bisheriger Mißverständnisse der Philosophen. Zweiter Band, die Fundamente des philosophischen Wissens, der Metaphysik, Moral, moralischen Religion und Geschmackslehre betreffend, hg. v. Faustino Fabbianelli, Hamburg, 2004, S. 127 [202]. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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dass die Gegenstände als Dinge an sich Eindrücke auf die Sinne verursachen. Vom Objekt darf nun aber bei Kant nur im Sinne der Erscheinung die Rede sein. Jacobi fragte deshalb, wie es möglich sei, „die Voraussetzung von Gegenständen, welche Eindrücke auf unsere Sinne machen, und auf diese Weise Vorstellungen erregen, mit einem Lehrbegriffe zu vereinigen, der alle Gründe, worauf diese Voraussetzung sich stützt, zu nichte machen will“.9 Reinholds Bemühen, gegenüber Kant sowie den Kantianern einen neuen Begriff des Noumenon aufzustellen, zielt letztendlich systematisch darauf ab, die transzendentale Frage des quid iuris neu zu formulieren und demzufolge die Möglichkeit einer allgemeingültigen Erfahrung nicht mehr durch den Begriff der Erkennbarkeit der Gegenstände, sondern vielmehr durch deren Vorstellbarkeit zu rechtfertigen. Die Theorie des Vorstellungsvermögens von 1789 bietet wichtige Elemente zum Thema, die trotz späterer Umformulierung im Kern unverändert bleiben. Reinhold unterscheidet die Form, „unter welcher der Gegenstand durch den ihm entsprechenden Stoff im Bewußtseyn vorkömmt“, von der Form, die dem Gegenstand als Ding an sich zukommt.10 Der Gegenstand als Erscheinung und der Gegenstand als Ding an sich sind insofern nur der Form nach voneinander verschieden. Wenn nun Reinhold in Beiträge I die Distanz hervorhebt, die zwischen dem Noumenon und dem Ding an sich besteht, bezieht er sich auf diesen Unterschied. Das Noumenon ist, anders gesagt, ein Vernunftwesen, d. h. ein Gegenstand, „auf den eine Idee bezogen ist“.11 Auch die Vernunft könne keine Dinge an sich vorstellen, umso weniger vermöge sie aber dieselben zu erkennen. Gegenüber Kants mehr oder minder klarer Identität von Ding an sich und Noumenon wird somit eine deutliche Abgrenzung beider Begriffe vorgenommen. Mehr noch: die kantische Entgegensetzung eines Noumenons in negativer Bedeutung als demjenigen Ding, das nicht Objekt unserer sinnlichen Anschauung ist, und einem Noumenon im positiven Sinne, welches Objekt einer nichtsinnlichen Anschauung wäre12, ersetzt Reinhold in der Fundamentschrift durch die Opposition zwischen 9 10 11 12

Jacobi, Friedrich Heinrich, David Hume über den Glauben, oder Idealismus und Realismus, JWA 2/1, S. 111. Reinhold, Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens, RGS 1, S. 166. Reinhold, Beiträge zur Berichtigung bisheriger Mißverständnisse der Philosophen. Zweiter Band, a.a.O., S. 151 [216]. KrV B 307. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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einem Noumenon, das positiv ist, weil es „als der Grund des in der sinnlichen Anschauung gegebenen Stoffes“ gedacht wird, und einem Ding an sich, welches deshalb als negativ anzusehen ist, weil „die Form der Idee als Form der Vorstellung von ihm geläugnet werden muß“.13 Positivität und Negativität des kantischen Noumenon werden somit auf den Kopf gestellt: Das positive Noumenon von Kant wird zum negativen, weil es nicht mehr den Gegenstand einer hypothetischen intellektuellen Anschauung darstellt, sondern das Objekt ist, welchem die Form der Vorstellung nicht zugesprochen werden kann. Kants negatives Noumenon wird hingegen zum positiven, weil es dasjenige Vernunftwesen darstellt, worauf die Form der vernünftigen Vorstellung bezogen werden kann.

2. „Quid iuris“ und „quid facti“ Am 7. April 1789 schreibt Maimon einen Brief an Kant, mit welchem er die Zusendung des Manuskripts seines Versuchs über die Transscendentalphilosophie begleitet. Unter den vier Punkten, die seiner Meinung nach einen neuen Beitrag zur Diskussion leisten können, nennt Maimon die neue Formulierung der Frage nach dem quid iuris. Kant habe sie in der Form der Anwendung des Apriori auf das Aposteriori gestellt und durch die transzendentale Deduktion beantwortet. Dies sei völlig befriedigend, wolle man jedoch die Frage noch weiter ausdehnen, müsse man fragen: „Wie läßt sich ein Begriff a priori auf eine Anschauung ob schon auf eine Anschauung a priori, appliciren?“14 Er weist außerdem flüchtig auf die Frage des quid facti hin, die Kant „blos berührt“ haben soll und auf welche Maimon besonders in der Auseinandersetzung mit Reinhold den Akzent setzen wird. Bei den zwei Fragen geht es um unterschiedliche Probleme, welche die Kritik nicht beantwortet haben soll. Anhand der ersteren bezweckt Maimon, das Thema des synthetischen Apriori nochmals zu problematisieren. Diesbezüglich ist die kantische Kritik vom Faktum der Erfahrung (in seiner mathematischen und naturwissenschaftlichen Form) ausgegangen, 13

14

Reinhold, Karl Leonhard, Ueber das Fundament des philosophischen Wissens nebst einigen Erläuterungen über die Theorie des Vorstellungsvermögens, RGS 4, S. 107. Maimon an Kant, 7. April 1789, AA XI, S. 16. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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um sich darauf zu beschränken, den Gebrauch synthetischer Sätze a priori als ausgemacht anzunehmen, ohne sich zu fragen, wie es überhaupt möglich sei, dass synthetische Urteile a priori an sich ohne Beziehung auf die Objekte möglich seien. Maimon erläutert seinen Einwand bezüglich der Mathematik: Man kann gut einsehen, dass ein mathematischer Satz, unter der Voraussetzung seiner Notwendigkeit an sich, für alle Objekte gelten soll, wie ist aber „diese Nothwendigkeit an sich, aus einem allgemeinen Grundsatz begreiflich“?15 Solange sie nicht erwiesen ist, kann man wohl behaupten, dass der Satz bezüglich der unter ihn zu subsumierenden empirischen Objekte a priori ist, man kann aber nach wie vor nicht den Einwand aus dem Weg räumen, der Satz müsse letztlich doch „mit einem Satze A POSTERIORI“16 verglichen werden. Die Frage nach den synthetischen Urteilen a priori wird hinsichtlich der Erfahrung der physischen Welt umso brisanter, als es hier um die Beziehung zwischen Momenten geht, die Kant zufolge völlig heterogen sind. Maimon fragt, wie ein Begriff auf eine Anschauung überhaupt angewendet werden kann, und meint, dass die Lehre der Kritik, nach welcher die synthetischen Urteile a priori deshalb notwendig und allgemein sind, weil sie Möglichkeitsbedingungen der Erfahrung sind, völlig unzureichend ist. Auch in diesem Fall geht man nämlich vom Faktum der Erfahrung aus und setzt die Notwendigkeit der Grundsätze des Verstandes voraus. Man kann zwar behaupten, dass die transzendentalen Prinzipien insofern real gültig sind, als sie die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung darstellen. Kant hat in diesem Sinn gezeigt, dass die Erfahrung der Wahrnehmungsgegenstände deshalb möglich ist, weil es synthetische Sätze a priori gibt, die diese Erfahrung durch ihre Notwendigkeit und Allgemeinheit ermöglichen. Somit wird die Erfahrung zu einem Faktum, das als solches vorausgesetzt wird; negiert man aber aufgrund skeptischer Überlegungen dieses Faktum und erkennt man mit Hume, dass unsere Naturerkenntnis das Resultat der Assoziation ist, dann muss man den Schluss ziehen, dass die reinen Prinzipien des Verstandes eine bloß hypothetische Realität besitzen. Die zweite Frage, die das quid facti betrifft, soll Maimon zufolge in der kantischen Kritik nur berührt worden sein. Das Problem 15 16

Maimon, Salomon, Versuch einer neuen Logik oder Theorie des Denkens, GW V, S. 472. Ebd. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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ist hier, ob die Begriffe und Sätze a priori mit Bezug auf empirische Objekte wirklich brauchbar sind. Auch in diesem Fall reicht es nicht, wie Kant es tut, vom Faktum der Erfahrung als theoretischer Voraussetzung auszugehen. Die transzendentale Deduktion der Kategorien erklärt nur die Gesetzmäßigkeit der Relation zwischen einem allgemeinen reinen Begriff und einem Gegenstand der Wahrnehmung, sie zeigt aber nicht, wie das Allgemeine sich im Individuellen spezifizieren kann. Aufgrund der kantischen Transzendentalphilosophie weiß man, anders gesagt, nur von synthetischen Urteilen, die sich auf Objekte einer möglichen Erfahrung überhaupt, nicht aber von solchen, „die sich auf bestimmte Objekte wirklicher Erfahrung beziehen“.17 Nimmt man z. B. den Grundsatz der Kausalität, durch welchen Kant den Anspruch erhebt, den Hume’schen Skeptizismus widerlegt zu haben, ist man nicht imstande, daraus herzuleiten, „daß die Sonnenstrahlen das Eis nothwendig schmelzen“.18 Aus dem transzendentalen Grundsatz der Kausalität „folgt nur, daß Objekte der Erfahrung überhaupt in Kausalverbindung mit einander gedacht werden müssen, keinesweges aber, daß eben diese Objekte es seyn müssen, die in diesem Verhältnisse stehen“.19 Maimon kann somit das Faktum der Erfahrung anzweifeln, d. h. die Tatsache, dass der Mensch objektiv notwendige synthetische Urteile ausdrücken kann, die sich auf besondere Objekte beziehen. Er ist bereit, Kants Begriff der objektiven Notwendigkeit anzunehmen, er bezweifelt jedoch seinen wirklichen Gebrauch im Zusammenhang mit besonderen Objekten der Wahrnehmung. Ein Urteil wie „das Feuer schmelzt das Wachs“ kann aus diesem Grund erst „nach einer vom Zufall oder von meinem Willen abhängenden öftern Widerholung dieser Wahrnehmung“ entstanden sein und besitzt demzufolge „bloß eine subjektive Nöthigung, aber keine objektive Nothwendigkeit“.20 Entsprechende Einwände erhebt Maimon gegen Reinhold. Auch die Elementarphilosophie geht nach ihm von einem vorausgesetzten Faktum aus, das durch den Satz des Bewusstseins ausgedrückt wird. Wie im Fall des kantischen Begriffs von Erfahrung kann die Tatsache des Bewusstseins, nach welcher die Vorstellung im Bewusstsein durch das Subjekt von Subjekt und Objekt unterschieden 17 18 19 20

Ebd., S. 490. Ebd., S. 489. Ebd., S. 490. Maimon, Salomon, Streifereien im Gebiete der Philosophie, GW IV, S. 215. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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und auf beide bezogen wird, einer skeptischen Prüfung unterzogen werden, anhand welcher gezeigt werden kann, dass ein derartiges Faktum „auf einer Täuschung beruht“.21 Das darauf gegründete System besitzt deshalb nur formaliter „alle Gerechtigkeit“, es ist nur hypothetisch real und demzufolge muss ihm jede Anwendbarkeit abgesprochen werden.22 Der Hauptfehler in Reinholds Denken besteht nach Maimon insbesondere darin, den Begriff der Vorstellung als einen der Grundpfeiler der Elementarphilosophie aufgefasst zu haben. Eine Vorstellung ist aber nur eine „Theildarstellung, d. h. ein (Merkmal, natürliches Zeichen) des Objekts“.23 Als solche findet sie nur dann statt, wenn das Objekt, auf welches sie hinweist, „erst ganz dargestellt (wahrgenommen) worden ist“.24 Man kann z. B. behaupten, dass ein Gemälde die Vorstellung eines wirklichen Objekts ist, wenn man den gemalten Gegenstand schon kennt, d. h. bereits wahrgenommen hat. Das sichtbare Merkmal, das die Vorstellung als Teildarstellung des Objekts ist, geht mit anderen Merkmalen zusammen, und alle bestimmen das Objekt als einen erkennbaren und von anderen unterschiedenen Gegenstand. Die Merkmale des Gemäldes wären als Vorstellung des gemalten Objekts nur ein Teil der gesamten Merkmale, die sich auf den Gegenstand beziehen. Maimon kann aus diesen Prämissen gegen Reinhold den Schluss ziehen, dass Vorstellung gar nicht die theoretische Grundlage der Philosophie ist, dass sie vielmehr die Anschauung und das Denken voraussetzt, durch welche man das Objekt erhält, von dem die Vorstellung nur eine Teildarstellung ist. „Vorstellung ist also nicht das erste, sondern gerade das letzte unter den Operationen des Erkenntnißvermögens“.25 Die Priorität, die der Vorstellung innerhalb der Elementarphilosophie zugesprochen wird, hängt damit zusammen, dass sie statt als ein Merkmal ver21

22 23 24 25

Ebd., S. 221. Eine tiefgehende Rekonstruktion von Maimons Täuschungslehre in dessen Auseinandersetzung mit Reinhold findet sich in Breazeale, Daniel, „Reinhold gegen Maimon über den Gebrauch der Fiktionen in der Philosophie“, in: Die Philosophie Karl Leonhard Reinholds, hg. v. Martin Bondeli und Wolfgang H. Schrader, Amsterdam und New York, 2003, S. 123-151. Zu Maimons Theorie der Täuschung vgl. die nach wie vor vollständigste Studie über dessen Denken von Kuntze, Friedrich, Die Philosophie Salomon Maimons, Heidelberg, 1912, S. 91 ff. und 313 f. Maimon, Streifereien im Gebiete der Philosophie, GW IV, S. 240. Ebd., S. 226, Anm. Maimon, Versuch einer neuen Logik., GW V, S. 377. Maimon, Kritische Untersuchungen über den menschlichen Geist oder das höhere Erkenntniß- und Willensvermögen, GW VII, S. 63. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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standen zu werden, das mit anderen Merkmalen vereinigt ist, als etwas begriffen worden ist, das sich auf den Gegenstand bezieht, welcher als außerhalb des Bewusstseins gedacht wird: das Ding an sich. Diese Beziehung stellt aber nach Maimon das Resultat einer Täuschung dar, durch welche man eine Beziehung zwischen Merkmalen auf ein ganzes Objekt überträgt. Fasst man, wie es Reinhold tut, eine Wahrnehmung als eine Vorstellung auf, die sich auf etwas bezieht, das sich außerhalb des Bewusstseins befindet, „so geschieht dieses durch eine Illusion der Einbildungskraft, die durch die Gewohnheit ihrer Reprodukzion auf den Objekten oder den ursprünglichen Wahrnehmungen derselben zu bezihen, endlich selbst ursprüngliche Wahrnehmungen auf ein Etwas (außer dem Bewußtseyn) bezieht“.26 Aufgrund dieser Kritik am Begriff der Vorstellung kann Maimon im Eröffnungsbrief seiner Korrespondenz mit Reinhold, der auf Ende Juli 1791 datierbar ist, den Satz des Bewusstseins des Mangels an Allgemeinheit bezichtigen; er gilt nämlich nur hinsichtlich des Bewusstseins einer Vorstellung, jedoch nicht eines Bewusstseins überhaupt.27

3. Die Realität der Transzendentalphilosophie Wie reagieren Kant und Reinhold auf die Einwände Maimons? Was Kant angeht, möchte ich mich auf seine Stellungnahme im Brief an Marcus Herz vom 26. Mai 1789 beziehen. Von Bedeutung ist, dass er nur auf die Frage des quid iuris, mit der Maimon die Anwendung eines Begriffes a priori auf eine Anschauung zur Diskussion stellte, Antwort gibt. Die Möglichkeit der Übereinstimmung solcher heterogener Momente – so Kant – wird in der Kritik insofern erwiesen, als gezeigt wird, dass nur unter derartigen Bedingungen eine gültige Erfahrungserkenntnis sowohl in subjektiver als auch in objektiver Rücksicht stattfinden kann. Die Erfahrungsgegenstände werden hier nicht als Dinge an sich, sondern bloß als Erscheinungen aufgefasst. Die Form, in welcher sie sich uns zeigen, hängt deshalb in doppelter Hinsicht von uns ab: „nach dem, was an ihr subjectiv, d. i. das Specifische unserer Anschauungsart ist, einerseits, und der Vereinigung des Mannigfaltigen in ein Be26 27

Maimon, Versuch einer neuen Logik, GW V, S. 377 f. Vgl. auch Maimon an Kant, 20. September 1791, AA XI, S. 286. Maimon, Streifereien im Gebiete der Philosophie, GW IV, S. 214 ff. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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wußtseyn, d. i. dem Denken des Objects und der Erkentnis nach andererseits“.28 Die Möglichkeit der synthetischen Urteile a priori wird an dieser Stelle von Kant auf den Charakter der Vermögen zurückbezogen, die der menschlichen Natur eigen sind. Diese anthropologischen Merkmale stellen, anders gesagt, für Kant die letzten Erklärungsgründe dar, durch welche man die Frage nach dem quid iuris beantworten kann. Wie es also zugehe, dass die Anschauungsformen zusammen mit den Formen des Verstandes zu einer möglichen Erkenntnis gelangen, „das ist uns schlechterdings unmöglich weiter zu erklären, weil wir sonst noch eine andere Anschauungsart, als sie uns eigen ist und einen anderen Verstand, mit dem wir unseren Verstand vergleichen könnten und deren jeder die Dinge an sich selbst bestimmt darstellete, haben müßten“.29 Dies ist uns aber nicht gestattet, wir können nämlich „allen Verstand nur durch unseren Verstand und so auch alle Anschauung nur durch die unsrige“ beurteilen.30 Von einer Antwort auf Maimons Frage des quid facti findet man im Brief Kants keine auch noch so kleine Spur. Dies ist kein Zufall, und es wäre insofern unrichtig, von einer Lücke im kantischen Denken zu sprechen. Das Fehlen jeder Antwort auf das Problem, wie die synthetischen Grundsätze a priori auf die empirischen Objekte anwendbar sind, ist nämlich anhand der Fragestellung selbst zu rechtfertigen, die Kants Transzendentalphilosophie zugrunde liegt. In der Kritik geht es, anders gesagt, nicht um die Besonderheiten der Gegenstände, sondern vielmehr um die Gesetze, die deren Beziehungen regeln. In der „Transzendentalen Dialektik“ erklärt Kant ganz klar, dass es bezüglich der Erscheinungen niemals gerechtfertigt ist, „von einem Gliede der empirischen Reihen, welches es auch sei, einen Sprung außer dem Zusammenhange der Sinnlichkeit zu tun“.31 Dies könnte bei zufälligen Dingen geschehen, jedoch nicht „bei bloßen Vorstellungen von Dingen, deren Zufälligkeit selbst nur Phänomen ist“.32 Gerade weil es in der Kritik nicht um Dinge, sondern um Vorstellungen der Dinge geht, soll Kant zufolge das Augenmerk des Transzendentalphilosophen auf

28 29 30 31 32

Kant an Herz, 26. Mai 1789, AA XI, S. 51. Ebd. Ebd. KrV A 563/B 591. Ebd. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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die allgemeinen Beziehungen und nicht auf das Spezifische der Dinge gerichtet sein. Wendet man sich nun Reinhold zu, findet man sich vor einer Denkweise, die sich nur hinsichtlich des Bezugs auf die Endlichkeit der menschlichen Vernunft mit derjenigen von Kant deckt. Das Hauptargument Reinholds gegen die Einwänden von Maimon ist hingegen im Kern grundverschieden von dem kantischen und hängt von zwei Thesen ab, die Reinhold bereits am Anfang seines Denkens von der Leibniz-Wolff’schen Philosophie übernimmt, während ihnen die kantische Kritik keine große Bedeutung zuspricht. Beide Momente stehen im Zusammenhang mit dem Thema der Definition philosophischer Begriffe: Im ersten Fall geht es insbesondere um das aristotelische, innerhalb der deutschen Schulphilosophie des 18. Jahrhunderts weit verbreitete Begriffspaar ‚Gattung/Art‘, im anderen Fall um den Begriff der notio completa. In der Logica von Christian Wolff kann man zur Opposition ‚Gattung/Art‘ z. B. lesen: „Genus et differentia specifica ad definitionem sufficiunt“.33 Auch Crusius stellt in seiner Ontologie fest, dass in einem Wesen zwei Eigenschaften vorkommen, „nehmlich genera, welche der Sache zwar stets zukommen, aber die sie mit andern gemein hat; und propria, oder eigenthümliche Eigenschaften, welche der Sache nicht nur stets zukommen, sondern auch ihr eigen sind. Wie ferne die propria in der Definition zur Unterscheidung der Sache von allen andern angewandt werden, so heissen sie differentia specifica“.34 Auch hinsichtlich der notio completa bzw. des 33

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Wolff, Christian, Philosophia rationalis sive logica, in: Gesammelte Werke, Bd. II/1.2, hg. v. Jean École, Hildesheim, Zürich und New York, 1983, § 179, S. 205. Crusius, Christian August, Entwurf der nothwendigen Vernunft-Wahrheit, wiefern sie den zufälligen entgegen gesetzet werden, in: Die philosophischen Hauptwerke, Bd. 2, hg. v. Giorgio Tonelli, Hildesheim, 1964, 3. Kap., § 30, S. 46 f. Hier sei auf weitere Belegstellen verwiesen, die Reinhold sehr wahrscheinlich kannte: „Diejenigen Bestimmungen eines niedrigern Dinges, die in seinem höhern noch unbestimmt sind, sind sein Unterschied (differentia). Der Unterschied einer Gattung (differentia generica) ist der Inbegrif derjenigen Bestimmungen, welche in ihr bestimmt, aber in ihrer höhern Gattung noch unbestimmt sind. Der Unterschied einer Art (differentia specifica) ist der Inbegrif derjenigen Bestimmungen, welche in ihr bestimmt aber in ihrer niedrigsten Gattung noch unbestimmt sind“ (Baumgarten, Alexander Gottlieb, Metaphysik. Neue vermehrte Auflage, Halle, 1783, § 117, S. 48); „Ein besonderer Begriff besteht folglich aus dem allgemeinen, und seinem eigenen Unterschiede. (Ex Genere & Differentia specifica.)“ (Reimarus, Hermann Samuel, Die Vernunftlehre, als eine Anweisung zum richtigen Gebrauche der Vernunft in dem ErMartin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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ausführlichen Begriffs bezieht sich Reinhold in seinen Überlegungen zum Begriff der Philosophie auf Texte der deutschen Aufklärung. Für Wolff ist eine notio completa diejenige, die genügend Merkmale einer Sache aufweist, um diese in jedem ihrer Zustände zu erkennen und von anderen Sachen zu unterscheiden.35 Auch die Metaphysik Baumgartens hebt die durchgängige Bestimmung (omnimoda determinatio) eines Dinges hervor, um dessen Merkmal der Einzelheit zu betonen.36 Besonders klar definiert Reimarus, wann es sich um einen ausführlichen Begriff handelt: „wenn man alle Merkmaale anzugeben weiß, welche zusammengenommen zureichen, ein Ding allezeit zu kennen und von allen andern zu unterscheiden“.37 Reinhold gebraucht diese Begrifflichkeit – ‚Gattung/Art‘ sowie notio completa –, um das System der Elementarphilosophie auf eine neue Weise aufzubauen. Vom ersten Begriffspaar ist bereits im Versuch (§ XI) die Rede, wenn es um die Vorstellung in engster Bedeutung geht, die das Gemeinschaftliche jeder Art der Vorstellung zusammenfasst. Im dritten Buch des Versuchs (§ LXXXI) findet sich außerdem ein Hinweis auf die Prinzipien der Homogeneität und der Spezifikation, anhand deren erklärt werden soll, wie die Vernunft durch die Gattung Einheit in der Vielheit sowie durch die Arten Mannigfaltigkeit in der Einheit findet. Erst Beiträge I zeigen jedoch, in welchem Sinne die erwähnten Begriffe der Schulphilosophie hinsichtlich der Definition der Philosophie von Bedeutung sind. Im Zusammenhang unserer Überlegungen erweisen sie sich als die Ausgangspunkte für die Auseinandersetzung mit Maimons Skeptizismus. Zur Zeit seines philosophischen Briefwechsels mit Maimon hat Reinhold bereits vieles gesagt, was einerseits über Kant hinausgeht, andererseits die neuen skeptischen Einwände vorwegzunehmen scheint. In der Definition der Philosophie, die Reinhold in Beiträge I vorschlägt, geht es z. B. unter anderem um die Richtigkeit des ihr zugrunde liegenden Begriffes.

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kenntniß der Wahrheit, aus zwoen ganz natürlichen Regeln der Einstimmung und des Widerspruchs hergeleitet, Hamburg, 1766, § 57, S. 49); „Jedes Ding trägt an sich gemeinsame und eigenthümliche Merkmale des Geschlechts (221): Merkmale der Gattung, und Merkmale der Art“ (Platner, Ernst, Philosophische Aphorismen nebst einigen Anleitungen zur philosophischen Geschichte. Erster Theil. Neue durchaus umgearbeitete Ausgabe, Leipzig, 1784, § 222, S. 69). Wolff, Philosophia rationalis sive logica, a.a.O., § 92, S. 160. Baumgarten, Metaphysik, a.a.O., § 114, S. 46 f. Reimarus, Die Vernunftlehre, a.a.O., § 71, S. 63. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Reinhold ist der Meinung, dass die philosophische Erkenntnis nur mit durchgängig bestimmten Begriffen operiert. Von einem Gegenstand kann im Gebiete der Philosophie erst dann die Rede sein, wenn er begrifflich determiniert ist. Jeder unbestimmte Begriff ist in der Philosophie „ein Fremdling, der dem Fundamental Gesetze zufolge auf diesem Gebiete nicht geduldet werden darf, an der Grenze so lange aufgehalten werden muß, bis er den Charakter der Bestimmtheit annimmt, und wenn er für denselben durchaus nicht empfänglich sein sollte, zu den Antipoden der Philosophie zu verweisen ist“.38 Die Synthesis der Merkmale, die den Inhalt eines Begriffes ausmachen, wird innerhalb der Philosophie durch das Denken ausgeführt. Richtig ist ein philosophischer Begriff, wenn seine zusammengefassten Merkmale, die ihrerseits Begriffe sind, auch richtig sind. Damit dies der Fall sein kann, müssen zwei mögliche Fehlerquellen ausgeschlossen werden: erstens, dass sich im synthetischen Denken ein Merkmal einschleicht, das nicht korrekt determiniert wurde; zweitens, dass man ein Merkmal zu viel oder eines zu wenig in die Definition des philosophischen Begriffs aufnimmt. Darüber hinaus muss dieser Begriff Merkmale enthalten, die notwendig und allgemein sind, und die gerade deshalb jede zufällige Bestimmung ausschließen. Als besonders wichtig erweist sich die durchgängige Bestimmung des Inhalts eines philosophischen Begriffs (dasselbe gilt aber auch für Sätze bzw. Grundsätze), wenn es um dessen Anwendbarkeit geht. Reinhold zielt hier darauf ab, die innere Verschränkung zu zeigen, die seiner Meinung nach zwischen der formalen Richtigkeit und der materialen Anwendbarkeit der Philosophie besteht. Ein philosophischer Begriff kann nur dann Anspruch auf Realität erheben, wenn er formal korrekt ist. Die formale Richtigkeit eines Begriffes garantiert die Eindeutigkeit seines Sinnes, anhand dessen er verstanden werden kann. Alles kommt auf die Formel an, „welche die durchgängige Bestimmtheit ihres Sinnes dadurch äußert, daß sie von den Selbstdenkern für die einzig Passende anerkannt ist“.39 Reinhold ist tief überzeugt, dass eine derartige gedankliche Aufklärung die Aufhebung jedes theoretischen Missverständnisses zu bewirken vermag. Daher kommt seine feste Überzeugung, dass ein durchgängig bestimmter Satz bzw. Begriff allgemeingeltend werden kann. Besteht bei einem 38 39

Reinhold, Beiträge zur Berichtigung bisheriger Mißverständnisse der Philosophen. Erster Band, a.a.O., S. 15 [7]. Ebd., S. 76 [105]. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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noch nicht vollständig determinierten Begriff die Möglichkeit, dass jemand ihn als gültig versteht, wo hingegen ein anderer Denker ihn als unrichtig beurteilt und demzufolge leugnet, ist dies bei einem formal richtig definierten Begriff ausgeschlossen. Reinhold ist nun der Auffassung, dass insbesondere der erste Grundsatz der Philosophie – der Satz des Bewusstseins – absolut richtig und deshalb allgemeingeltend ist. Dies schließt aber nicht aus, dass alle anderen ihm subordinierten bzw. von ihm ableitbaren Sätze anhand einer durchgängigen Bestimmung der Mittelbegriffe oder -merkmale, die für sie konstitutiv sind, nicht bloß allgemeingültig, sondern auch allgemeingeltend werden können. Reinhold zielt letztendlich darauf ab, das Problem der Allgemeingeltung, d. h. der Realität der Grundsätze der praktischen Philosophie durch die Begriffe der Vorstellung bzw. des Vorstellungsvermögens zu lösen. Ein Begriff oder ein Satz stellt eine Bedingung der Möglichkeit der objektiven Erfahrung dar und ist gleichzeitig in seiner formalen Richtigkeit auf die Wirklichkeit anwendbar, d. h. real. Durch eine derartige Auffassung der Philosophie befindet man sich zweifellos außerhalb der Transzendentalphilosophie im Sinne Kants. Reinhold ist sich dessen bewusst und betont diese Distanz ohne Bedenken im Aufsatz von Beiträge I, der dem Verhältnis der Theorie des Vorstellungsvermögens zur kantischen Kritik gewidmet ist. Dieses Kapitel von Reinholds Schrift gibt uns nun aber auch wichtige Hinweise auf das Thema der Realität bzw. Anwendbarkeit der philosophischen Begriffe, die hinsichtlich Reinholds Auseinandersetzung mit Maimons Skeptizismus relevant sind. Sie können wie folgt zusammengefasst werden: 1) Die Vorstellung stellt die Gattung dar, deren Arten die sinnliche Vorstellung, der Verstandesbegriff und die Idee sind. Sie ist durch ein Merkmal gekennzeichnet, das die den Arten der Vorstellung eigenen Merkmale unter sich hat. Aufgrund dieser Beziehung kann man Reinhold zufolge behaupten, dass die besonderen Merkmale der Arten „durch das Merkmal der bloßen Vorstellung bestimmt sein“40 müssen, wenn sie als Arten der Vorstellung verstanden und als solche sowohl vom Subjekt als auch vom Objekt unterschieden werden sollen. 2) Geht Kants Kritik der Vernunft vom Faktum der Erfahrung aus, das im gesetzmäßigen und notwendig bestimmten Zusammenhang der Wahrnehmung besteht und als dessen Möglich40

Ebd., S. 189 [271 f.]. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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keitsbedingungen dann die Formen a priori erwiesen werden, geht die Elementarphilosophie hingegen vom Faktum des Bewusstseins aus, um dann die Formen der Vorstellungen als dessen Möglichkeitsbedingungen zu beweisen. Indem gezeigt wird, dass das Bewusstsein unmöglich wäre, wenn die Form der Vorstellung nicht bestimmt wäre, lässt sich auch dafür argumentieren, dass das, was für die Gattung gilt, auch für die Arten gelten soll. 3) Die Notwendigkeit der kantischen Formen a priori wird durch die Priorität der Formen der Vorstellungen ersetzt und somit der Zirkel vermieden, der innerhalb der Kritik der reinen Vernunft insofern vorhanden ist, als sie vom Begriff der Erfahrung als Basis der apriorischen Formen ausgeht, um dann den Begriff der Notwendigkeit der Erfahrung zu beweisen. Die Begriffe, die durch den Satz des Bewusstseins zum Ausdruck gebracht werden, enthalten nämlich nur die Merkmale, die „ursprünglich in dem Bewußtsein, und durch dasselbe bestimmt sind“,41 und können insofern als durchgängig bestimmte Begriffe aufgefasst werden. Dasselbe gilt für diejenigen Sätze, welche die besonderen Arten des Bewusstseins ausdrücken: Der Anspruch auf durchgängige Bestimmung ist legitim, weil auch diese Sätze „unmittelbar aus dem besondern Bewußtsein, welches sie ankündigen, geschöpft“42 sind. Reinhold bringt in dieser Auseinandersetzung mit Kant die These zum Ausdruck, dass die Elementarphilosophie eine anwendbare und reale Wissenschaft ist, weil ihre Sätze und Begriffe einen durchgängig bestimmten Sinn aufweisen können. Man kann nun aber davon ausgehen, dass Reinhold anhand dieser Lehre auch die zwei Fragen – des quid iuris und des quid facti –, die Maimon unterschieden hatte, beantwortet zu haben glaubt. Die kantische Frage des quid iuris wird von ihm als gleichbedeutend mit der Frage nach dem quid facti verstanden. Dies überrascht nicht. Systematisch betrachtet laufen nämlich beide Fragen innerhalb von Reinholds Denken auf dasselbe hinaus: die Suche nach der Philosophie als strenge Wissenschaft. Als zentral erweist sich in beiden Fällen der allgemeingeltende Charakter, den ein Wissen besitzen muss, um als wissenschaftlich gelten zu können, und der auf der durchgängigen Bestimmung der Merkmale beruht, welche die philosophischen Grundsätze haben sollen. Man ist hier offenbar weit weg vom Begriff der durchgängigen Bestimmbarkeit, von dem in der Kritik der 41 42

Ebd., S. 195 [282]. Ebd., S. 196 [283]. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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reinen Vernunft die Rede ist. Kant hatte diesen Begriff im Zusammenhang mit dem transzendentalen Ideal diskutiert und somit als in den ontologischen Bereich des ens realissimum gehörend betrachtet. Reinhold zufolge stellt das kantische „Principium der durchgängigen Bestimmung“43 nicht bloß einen Grundsatz der Synthesis aller Prädikate eines Dinges dar, der als solcher nur „ein Ideal der reinen Vernunft“44 genannt werden kann, es muss vielmehr aus der Logik des Scheins, die durch die Transzendentale Dialektik dargestellt wird, in die Logik der Wahrheit, als die sich die Elementarphilosophie versteht, erhoben werden. Sind diese Überlegungen nicht falsch, überrascht es auch nicht, wie Reinhold auf Maimons Einwände reagiert. Im Brief vom 7. August 1791, in welchem er auf die Frage nach der Realität der Prinzipien seines Denkens antwortet, hebt Reinhold nochmals hervor, dass die Philosophie der Natur und der Sitten insofern real ist, als sie auf durchgängig bestimmten Grundsätzen beruht. Er gibt gegenüber Maimon zu, dass dies noch nicht innerhalb der Transzendentalphilosophie Kants gezeigt worden ist, in der man noch von „als ausgemacht“ angenommenen Sätzen ausgeht. Die Elementarphilosophie hingegen gründet auf einem allgemeingeltenden ersten Grundsatz, sie „subsumiert die untergeordnete (die vorher nur durch ihr schwankendes höheres Merkmal nicht allgemein gelten konnten) und stellt nothwendiger Weise ausgemachte Grundsätze auf“.45 Reinhold konzediert Maimon ebenso, dass Kants Kritik das Faktum der Erfahrung voraussetzt und insofern die Möglichkeit der Erfahrung nicht das letzte Fundament des philosophischen Wissens darstellt.46 Erhob Maimon einen ähnlichen Einwand gegen Kant, um die Irrealität bzw. Nichtanwendbarkeit der Transzendentalphilosophie zu erweisen, will Reinhold ihn hingegen benutzen, um nochmals die Notwendigkeit zu betonen, dass Realität und Anwendbarkeit der Philosophie von der durchgängi43 44 45 46

KrV A 572/B 600. KrV A 574/B 602. Maimon, Streifereien im Gebiete der Philosophie, GW IV, S. 220. Manfred Baum hat, wie ich meine zu Recht, vermutet, dass Reinhold diesen im Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens noch nicht erhobenen Einwand von Maimon übernimmt (vgl. Baum, Manfred, „Die Möglichkeit der Erfahrung und die analytische Methode bei Reinhold“, in: Philosophie ohne Beynamen. System, Freiheit und Geschichte im Denken Karl Leonhard Reinholds, hg. v. Martin Bondeli und Alessandro Lazzari, Basel, 2004, S. 104-118, besonders S. 106). Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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gen Bestimmung der Grundbegriffe abhängt, die ihr zugrunde gelegt werden. Die Zusammenfassung der diese Grundbegriffe konstituierenden Merkmale darf weder eines zu viel noch eines zu wenig enthalten; nur auf diese Weise kann vermieden werden, dass ein Grundbegriff „durch Mangel oder Ueberfluß unrichtig“47 ist.

4. Gesunder Menschenverstand und Selbstbewusstsein Dieses theoretische Vorgehen stellt nicht das letzte Wort Reinholds gegenüber Maimons Skeptizismus dar. In seinen ab 1791 verfassten Texten findet man wichtige Anhaltspunkte zu einem wesentlich verschiedenen Ansatz, anhand dessen es möglich sein soll, Maimons Einwand der Irrealität bzw. Nichtanwendbarkeit der Elementarphilosophie auf eine andere Weise zu entkräften bzw. zu widerlegen. Die Reinhold-Forschung hat diese Schriften Reinholds ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der „Reorganisation“ der Elementarphilosophie betrachtet.48 Mein Vorschlag ist nun, sie hinsichtlich der Auseinandersetzung mit Maimons Skeptizismus zu analysieren. Damit will ich weder behaupten, dass Reinhold durch Maimons skeptische Einwände zu einer Revision seines Denkens angeregt wurde, noch dass er seine neuen Überlegungen ausdrücklich als Antwort auf Maimon verstanden hat. Meine These hat einen viel beschränkteren Sinn: Sie zielt nämlich darauf ab, die neue theoretische Struktur eines antiskeptischen Diskurses darzustellen, so wie dieser insbesondere im ersten, dem Unterschied zwischen gesundem Verstand und philosophierender Vernunft gewidmeten Aufsatz von Beiträge II zum Ausdruck kommt. Somit unterliegt nicht nur der Begriff der Elementarphilosophie einer wichtigen Veränderung unterliegt somit nicht nur der Begriff der Elementarphilosophie, sondern auch die Argumente, durch welche die skep47 48

Maimon, Streifereien im Gebiete der Philosophie, GW IV, S. 222. Unter den vielen Studien, die sich mit diesem Thema befasst haben, verweise ich auf Henrich, Dieter, Konstellationen. Probleme und Debatte am Ursprung der idealistischen Philosophie (1785–1795), Stuttgart, 1991; Bondeli, Martin, Das Anfangsproblem bei Karl Leonhard Reinhold. Eine systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchung zur Philosophie Reinholds in der Zeit von 1789 bis 1803, Frankfurt am Main, 1995; Frank, Manfred, „Unendliche Annäherung“. Die Anfänge der philosophischen Frühromantik, Frankfurt am Main, 1997; Lazzari, Alessandro, „Das Eine, was der Menschheit Noth ist“. Einheit und Freiheit in der Philosophie Karl Leonhard Reinholds (1789–1792), Stuttgart-Bad Cannstatt, 2004. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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tisch-kritischen Argumente eines Maimon widerlegt werden können.49 Nach wie vor ist in dieser Schrift vom Begriff der durchgängigen Bestimmung die Rede. Reinhold behandelt ihn nun hier innerhalb einer Irrtumslehre, die er im Zusammenhang mit dem Thema der Sprache, genauer: des logischen Gebrauchs der Sprache durch die Vernunft entwickelt. Man irrt, wenn man durch das Wort dem Objekt ein ihm nicht eigenes Merkmal zuspricht. Das Urteil ‚jede Substanz ist ausgedehnt‘ ist z. B. falsch, weil es durch die Phantasie im Subjekt das Prädikat der Ausdehnung findet, die ihm aber nicht unbedingt zugehört. Dasselbe geschieht bezüglich des Begriffs vom Grund, der durch das falsche Merkmal „des in dem Einem Dinge bestimmten andern, und folglich des durch das Eine einzig möglichen andern“50 verstanden wird. Der Begriff des Grundes wird somit nur im Sinne der natürlichen Notwendigkeit angenommen und gerade deshalb vom Begriff der Willensfreiheit ausgeschlossen. Reinhold ist der Meinung, dass die Phantasie die „nächste Quelle jedes Irrtums“ darstellt und dass sie desto mehr im Falschen liegt, je mehr sie „von dem eigentlichen Sinne der transzendentalen Gesetze abweicht“.51 Die Täuschungen der Phantasie liegen jedem Missverständnis der Philosophen zugrunde und können dadurch vermieden werden, dass die Merkmale der durch Begriffe bezeichneten Gegenstände richtig zusammengefasst werden. Neben dieser Theorie der durchgängigen Bestimmung der philosophischen Begriffe bzw. Sätze, welche bereits die Elementarphilosophie vor 1792 kennzeichnet, findet sich im Aufsatz von Beiträge II eine neue Lehre, die nicht nur hinsichtlich der Struktur der Elementarphilosophie, sondern auch der Widerlegung skeptischer Einwände von zentraler Bedeutung ist. Ich möchte sie anhand der 49

50 51

Zeitlich betrachtet wäre es wohl möglich, die Schrift, die Beiträge II eröffnet, als Antwort auf die skeptischen Einwände Maimons zu betrachten. Sie wurde nämlich im August bzw. spätestens im Dezember 1792 verfasst, jedenfalls nach der ersten Auseinandersetzung zwischen Reinhold und Maimon vom Sommer 1791 und vor dem zweiten Streit um die praktische Philosophie, der auf das Erscheinen des zweiten Bandes von Reinholds Briefen über die Kantische Philosophie folgt. Zur Datierung des Aufsatzes vgl. meine „Einleitung“, in: Reinhold, Beiträge zur Berichtigung bisheriger Mißverständnisse der Philosophen. Erster Band, a.a.O., S. XII sowie Lazzari, „Das Eine, was der Menschheit Noth ist“, a.a.O., S. 258 ff. Reinhold, Beiträge zur Berichtigung bisheriger Mißverständnisse der Philosophen. Zweiter Band, a.a.O., S. 29 [38]. Ebd., S. 28 f. [35 ff.]. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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philosophischen Methodologie kurz erläutern, von der in einem als „Zusatz“ zum Aufsatz gedruckten Brief eines unbekannten Freundes Reinholds die Rede ist. In diesem Brief wird von der eitlen sowie widersprechenden Prätention gesprochen, alles beweisen zu wollen. Dagegen wird geltend gemacht, dass man von der Idee der Unerweislichkeit der letzten Sachen ausgehen solle, und auf die Frage, ob die Philosophie Tatsachen zu beweisen habe, antwortet der Briefschreiber: „Nichts weniger! Tatsachen können nur vorgetragen werden. Sie müssen sich selbst Eingang verschaffen“.52 Die höchste Tatsache z. B., die das Bewusstsein überhaupt darstellt, kann nicht bewiesen werden, weil sie Merkmale enthält, die „keine weitere Zergliederung“53 erlauben. Der Philosoph hat somit den Auftrag, die wahre Unterordnung der Tatsachen zu entdecken, sie alle aneinanderzureihen und dabei keine Lücke sowie kein fremdes Glied zuzulassen. Die Zergliederung der Merkmale eines Begriffs – sowie die damit zusammenhängende Lehre von dessen durchgängiger Bestimmtheit – wird auf diese Weise von der Anerkennung des tatsächlichen Charakters allen philosophischen Wissens abhängig gemacht. Beruht jede reelle Wahrheit einerseits auf Tatsachen, kann sich eine reelle Wahrheit andererseits nur durch die philosophierende Vernunft als notwendig erweisen: „Man vermähle beide. Man befruchte die logischen, für sich allein unfruchtbaren, Formen durch die Keime der Tatsachen; und so wird Wissenschaft, so werden reelle Grundsätze erzeugt“.54 Dieser Vermählung zwischen Tatsachen des gesunden Menschenverstandes und Formen der philosophierenden Vernunft ist der Aufsatz Reinholds verpflichtet. Der neue theoretische Ansatz, der sich darauf gründet, sieht vor, beim Suchen der letzten Gründe der Philosophie „von den Überzeugungen des gemeinen Verstandes“55 auszugehen, sofern letztere gesund sind. Die instinktartige Leitung durch die Tatsachen der Erfahrung schützt den gesunden Menschenverstand, der sich daran hält, vor den künstlichen Irrtümern, denen die philosophierende Vernunft ausgesetzt ist. Der gesunde Verstand besitzt insofern „weit mehr Wahrheit“ als die Vernunft, deren Aufgabe darin besteht, „die gemeine Erkenntnis durch streng wissenschaftliche Prinzipien zu reinigen und zu ver52 53 54 55

Ebd., S. 46 [68]. Ebd. Ebd. Ebd., S. 17 [17]. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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edlen“.56 Im Zusammenhang mit dieser Aufwertung des gesunden Menschenverstandes – die aus einer anderen Perspektive den bereits anthropologischen Charakter von Reinholds Philosophieren nochmals betont, indem sie das Moment der tatsächlichen Eigenschaften des Menschen zum Begründungsargument erhebt – erweisen sich die inneren Tatsachen sowie das Selbstbewusstsein als zentrale Begriffe. Reinhold ist nämlich der Meinung, dass die letzten Gründe der Philosophie, die bereits in der gemeinen Erkenntnis enthalten sind, „nur im Subjekte gegeben sein und entdeckt werden“57 können. Dieser Hervorhebung des Subjekts entspricht nun einerseits der Primat des Inneren gegenüber dem Äußeren, andererseits des Selbstbewusstseins gegenüber dem bloßen Bewusstsein. Reinhold kann auf diesem Weg feststellen, dass die Quelle der Elementarphilosophie „die innere Erfahrung“ ist, „in wie fern sie von der äußeren unabhängig ist, das heißt, in wie ferne sie aus Tatsachen des reinen Selbstbewußtseins besteht“.58 Die Relevanz dieser neuen Theorie bezüglich der Widerlegung der skeptischen Fragen liegt auf der Hand. Reinhold selbst hebt sie hinsichtlich des dogmatischen Skeptizismus hervor. Bei der Elementarphilosophie sowie auch bei der Kritik Kants gehe es nicht um transzendente Gründe, die, wie die Skeptiker meinen, unbegreiflich sind. Es handle sich vielmehr um transzendentale Gründe, die in den Tatsachen der inneren Erfahrung enthalten sind und von der philosophierenden Vernunft als Möglichkeitsbedingung der Erfahrung (Kant) bzw. des Bewusstseins (Reinhold) ausgelegt werden. Der dogmatische Skeptizismus kann insofern widerlegt werden, als man zeigen kann, dass der Begriff der Wahrheit nichts mit der Übereinstimmung der Vorstellungen mit den Dingen an sich zu tun hat, sondern mit der transzendentalen Notwendigkeit bzw. Allgemeinheit der philosophischen Grundsätze. Reinholds bereits erwähnte Unterscheidung des Noumenon vom Ding an sich gehört in diesen theoretischen Zusammenhang. Ist somit die Frage des quid iuris beantwortet, bleibt noch offen, in welchem Sinn die neue Elementarphilosophie auf die Maimon’sche Frage des quid facti antworten kann. Mir scheint, dass dies von Reinholds Standpunkt aus insofern bewerkstelligt werden kann, als man die Realität der philosophischen Begriffe nicht mehr 56 57 58

Ebd., S. 17 [17]. Ebd., S. 40 [58]. Ebd., S. 44 [65]. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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wie in der früheren Auffassung anhand ihrer durchgängigen Bestimmung, sondern aufgrund der Tatsächlichkeit der inneren Erfahrung sowie des untrüglichen Charakters des Selbstbewusstseins erläutert. Die Täuschung, durch welche Maimon das Faktum des Bewusstseins erklärt wissen will, wird von Reinhold durch eine Täuschung der Phantasie ersetzt, die sie nur dann ausüben kann, wenn sie Merkmale „in dem Inhalt der abstrakten Gedanken unterschiebt“59, die in der Erfahrung des Subjekts nicht vorhanden sind. Sofern die philosophierende Vernunft sich an die Tatsachen der Erfahrung hält und dieselben korrekt bestimmt, ist sie jedoch vor jeder Täuschung geschützt. Realität und Anwendbarkeit der Begriffe hängen insofern von den Tatsachen ab, die den Begriffen zugrunde liegen; ihre Notwendigkeit und Allgemeinheit stellen hingegen die Folge der Vernunftanalyse dar. Bliebe man nur bei den reellen Tatsachen, ohne sie durch die philosophische Abstraktion in ihre Bestandteile zu zerlegen, wären sie unfruchtbare Keime. Die Urteile, welche aus der Verbindung der Tatsachen und des Denkens entstehen, sind für Reinhold „die ersten Sprößlinge“ der bereits erwähnten Vermählung, die als solche sowohl „das Erbteil der Realität“ als auch „der Notwendigkeit“ in sich tragen.60 Anders als im früheren Ansatz der Elementarphilosophie werden nun bestimmte Sätze „ohne Beweis als Aussprüche des sens commun“ lemmatisch angenommen und erst „in der Folge gerechtfertiget“ – wie Reinhold selbst in einem Brief an Erhard vom 18. Juni 1792 erklärt.61 Die Verankerung des philosophischen Denkens in Tatsachen, die von sich aus schon real sind und durch die Vernunft innerhalb des Systems nur noch analysiert und gerechtfertigt werden müssen, ermöglicht es, eine Wissenschaft der Philosophie aufzustellen, die anwendbar ist und auf die Frage des quid facti zu antworten im Stande sein sollte. Der praktische Teil der Elementarphilosophie, so wie ihn Reinhold im zweiten Band der Briefe über die Kantische Philosophie (Briefe II) sowie in einigen Aufsätzen von Beiträge II zum Ausdruck gebracht hat, liefert eine wichtige Bestätigung dieser neuen antiskeptischen Lehrmeinung. Alle Haupttheoreme der praktischen 59 60 61

Ebd., S. 28 [35]. Ebd., S. 48 [71]. Reinhold, Karl Leonhard, Korrespondenzausgabe der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 4, hg. v. Faustino Fabbianelli, Kurt Hiller und Ives Radrizzani, Stuttgart-Bad Cannstatt, 2015, Brief Nr. 356. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Philosophie – z. B. dass beim Wollen eine besondere Handlung vorkommt, die Reinhold den Entschluss nennt – werden als „unstreitige Thatsachen des Bewußtseyns“62 angenommen und dann hinsichtlich der Merkmale, die in den entsprechenden philosophischen Begriffen enthalten sind, erläutert. Reinhold ist der Auffassung, dass auch der Begriff der Freiheit falsch verstanden werden kann, wenn man Merkmale in ihn aufnimmt, die ihm gar nicht zugehören. Seine im achten Brief von Briefe II zum Ausdruck gebrachten Überlegungen sind dem Unternehmen gewidmet, eine richtige, d. h. durchgängige Bestimmung des Freiheitsbegriffs zu liefern. Diese durch die philosophierende Vernunft geführte Analyse kann nun aber nicht beweisen, was von sich aus evident ist und sich nur als eine Tatsache der Erfahrung ankündigen kann: dass Freiheit nämlich als eine absolute Ursache gedacht werden muss. Die Vernunft hat Reinhold zufolge „einen sehr reellen Grund“, dieses Merkmal der Absolutheit anzunehmen, „nämlich das Selbstbewußtseyn, durch welches sich die Handlung dieses Vermögens als eine Thatsache ankündigt, und den gemeinen und gesunden Verstand berechtigt, von ihrer Wirklichkeit auf ihre Möglichkeit zu schließen“.63 Die Realität der Freiheit steht somit von vornherein fest, keine skeptischen Überlegungen können – dies ist zumindest Reinholds entschiedene Überzeugung – eine derartige Evidenz in Frage stellen.64

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Reinhold, Karl Leonhard, Briefe über die Kantische Philosophie. Zweyter Band, RGS 2/2, S. 173. Ebd., S. 193. Aus seiner weiteren Auseinandersetzung mit Maimon über die praktische Elementarphilosophie, so wie sie in den Streifereien dargestellt ist, wissen wir allerdings, wie wenig plausibel auch diese neue Theorie hinsichtlich der Frage nach dem quid facti auf Maimon gewirkt hat. Das ist aber eine andere Geschichte. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Aufgang und Untergang der Sonne. Das Dasein der Anschauungen, der Begriffe und der Ideen im Menschen wie auch in den Skeptikern in der Darstellung von Gottlob Ernst Schulze Die Skeptiker glauben, allgemein verständlich sein zu müssen. Um das zu erreichen, benutzen sie die Wörter „Vernunft“ und „Verstand“. Weil die Geschichte kontinuierlich verläuft, zumindest als Genese der Geistesgeschichte, konnte die Vernunft das eigene Dasein als „selbsterhaltende Vernunft“ entwickeln. Und weil die Vernunft über die Fähigkeit der Selbsterhaltung verfügt, kommt sie ohne Skeptiker aus. Umgekehrt gilt dies – den nicht vereinzelten historischen Versuchen entgegen – nicht so eindeutig und die Skeptiker sind sich dessen bewusst. Sie werden nicht von den anderen gezwungen, für die anderen verständlich zu sein, sie haften nur an der Vorstellung, dass die Namensgebung die grundlegende Stufe der Selbsterhaltung ist. Das ist der Grund, warum sie – selbsterhaltend – das Wort „Vernunft“ als Quelle des Sinnes der Dinge anwenden. Es ist wichtig, dass die Menschen das eigene Bewusstsein als vernunftgeleitetes voraussetzen können, was für die Skeptiker eben das bedeutet, was Immanuel Kant in „Muthmaßlicher Anfang der Menschengeschichte“ geschrieben hat: Seitdem man den Schritt zum vernunftgeleiteten Bewusstsein gemacht hat, bewegen sich die Menschen, darunter auch die Skeptiker, „gleichsam am Rande eines Abgrundes“.1 Das natürliche Bewusstsein wird von den Tropen erschüttert, weil es die Ungewissheit seiner Gewissheiten erfährt. Das Problem liegt aber nicht in dieser Erschütterung, sondern in der Frage, was man unter der Kategorie „das natürliche Bewusstsein“ versteht. Diese Frage hat keine allgemeingültige Lösung und es erübrigt sich darüber zu spekulieren, ob irgendeine der sich anbietenden

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Kant, Immanuel, Muthmaßlicher Anfang der Menschengeschichte, AA VIII, S. 112. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Lösungen der Wirklichkeit der Bewusstseinsphänomene angemessen ist. Das natürliche Bewusstsein ist das im täglichen Leben Vorausgesetzte, was zwar nichts besagt, aber als Tatsache das kommunikative Überleben ermöglicht. „Kommunikativ“ heißt nicht notwendig „vernünftig“ – die Menschen stellen sich der Absolutheit der Wirklichkeit, nicht der Vernunft gegenüber. Deshalb sprechen sie – und die Skeptiker folgen ihnen darin – von einem Aufgang und Untergang der Sonne, obwohl es so etwas nur für das natürliche Bewusstsein geben kann. Schulze sagt, dass sich auch ein gebildeter Astronom auf diese Weise äußert, um sich verständlich zu machen. Vielleicht wächst mit dem Wissen auch das Gefühl, dass die anderen eine solche Bevormundung der Gebildeten gar nicht erwarten können. Das natürliche Bewusstsein bringt die Menschen zusammen, damit sie etwas gegen die Last des Absoluten unternehmen – die Vernunft ist möglicherweise der Vernunftkritik fähig; dies mag für die Philosophen gut sein, denn etwas muss man vortäuschen, um von der Uni den Unterhaltszuschuss zu bekommen, es vermag aber die Menschen nie so nah zueinander zu bringen, dass sie die Gemeinsamkeit als rettende Kraft empfinden. Dafür muss die Sonne auf- und untergehen, die Sterne müssen vollzählig sein und der Boden unter den Füßen darf nicht driften. Das natürliche Bewusstsein macht es dem Skeptiker schwer, denn es fordert von ihm, „die Wiederherstellung des Selbstverständlichen“2 als lebensrettend anzuerkennen. Der Satz „es gibt nichts Selbstverständliches“ ist für uns nur dann verständlich, wenn er selbstverständlich wird. Es geht hier nicht um naive Identitäten, sondern um eine ewige Überzeugung der Skeptiker, die gerne von den Dogmatikern als Dogma angegriffen wird: dass Begriff und Sein nicht eins sind. Die Antwort darauf lässt sich als Gegenfrage formulieren: Sollten sie es wirklich sein? Es ist doch selbstverständlich, dass das Gesagte, ein Wort, das wir als Begriff aufgrund einiger weniger logischer Schritten bezeichnen, den Verzicht auf die geglaubte Wirklichkeit verursacht. Das scheint dem Skeptizismus in die Karten zu spielen. Schulze entschied sich sogar aufgrund dieses einfachen Zusammenhangs, 2

Vgl. Blumenberg, Hans, Wirklichkeiten, in denen wir leben. Aufsätze und eine Rede, Stuttgart, 1981, S. 23-24; ders., Die Beschreibung des Menschen, Frankfurt am Main, 2006, passim; ders., Theorie der Lebenswelt, Frankfurt am Main, 2010, passim. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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seine drei berühmten skeptischen Gründe in Umlauf zu bringen. Möchte man ein Skeptiker sein, sollte man auch etwas von der Klugheit wissen, und es ist klug genug, wenn man etwas Skeptisches sagt, wovon man noch nach zwei Jahrhunderten nicht genau wissen wird, ob es klug war oder nicht. Jedenfalls lesen wir: „Erster Grund. In wie fern die Philosophie eine Wissenschaft seyn soll, bedarf sie unbedingt wahrer Grundsätze. Dergleichen Grundsätze sind aber unmöglich.“3 Ob solche Grundsätze möglich oder unmöglich sind, hat mit dem Wissen nichts zu tun. Vom Meinen, Überzeugtsein oder Glauben lässt sich nur dann sprechen, wenn wir etwas Bestimmtes meinen oder glauben, und das hat immer nur eine unbestimmte Bedeutsamkeit. Wichtiger ist wieder die Gegenfrage: Warum sollte die Philosophie eine Wissenschaft sein? Wäre die Philosophie als Wissenschaft besser als die sich selbst überlassene Philosophie? Kann man wahrhaftig glauben, dass ein Umbesetzungsmodell – und die Philosophie als Wissenschaft verlangt von der Philosophiegeschichte nichts, was sich von einem solchen historischen Modell wesentlich unterscheidet – die Folgelasten des natürlichen Bewusstseins so unbefangen und fruchtbar beheben kann? Schulze hat sich mit seinem ersten Grund von der Philosophie zugunsten einer unbestimmten Bedeutsamkeit der Wissenschaft losgebunden. Wenn es einem Skeptiker an der Anerkennung der fundamentalen Differenzen und Unterscheidungen mangelt, die sich einer Eindeutigkeitssupposition nicht einfügen lassen, kann er eigene Weltbilder am laufenden Band konstruieren und es bringt nur eines mit sich: Der Weltbilderkatalog wird wieder etwas dicker. Auch der zweite Grund hat die Gestalt einer Vernünftigkeit, die nicht skeptisch vorläufig sein möchte: „Zweiter Grund. Was der speculative Philosoph von den obersten Gründen des bedingter Weise Vorhandenen erkannt zu haben vorgiebt, hat er bloß in Begriffen aufgefaßt und gedacht. Der mit bloßen Begriffen beschäftigte Verstand ist aber kein Vermögen, etwas der Wirklichkeit gemäß auch nur vorstellig machen zu können.“4

3

4

Schulze, Gottlob Ernst, Kritik der theoretischen Philosophie, Hamburg, 1801, Bd. 1, S. 613 ff. Hegel hat diesen Grundsatz als dogmatisch kritisiert. Vgl. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, „Verhältnis des Skeptizismus zur Philosophie“, TWA 2, S. 213-273. Schulze, Kritik der theoretischen Philosophie, a.a.O., Bd. 1, S. 620. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Meine Gegenfrage: Warum sollte man der Wirklichkeit gemäß etwas vorstellig machen? Die Menschen leben in der Wirklichkeit ihrer Ideenwelten und es ist nicht nur einfacher, sondern für das natürliche Bewusstsein auch glaubwürdiger, eine Welt aufzubauen, die der Wirklichkeit unserer Ideen entspricht. Nur so kann die Wirklichkeit Anfang und Ende haben, nur so können wir einsehen, woher und wohin. Alles, was man komponieren kann, lässt sich auch wieder dekomponieren und man muss dabei nicht in der Opposition gegen den Anderen, gegen den Staat, gegen die Gepflogenheiten und gegen sich selbst stehen. Das ist ein notwendiger Beitrag zur Wirklichkeitsbewältigung und damit zum Überleben in der Welt, deren Wirklichkeit das Überleben nicht dringend voraussetzt. Oder, und das ist eine weitere Möglichkeit, ist das Überleben unter der Last des Absoluten nicht einer der obersten Gründe? Dafür spricht viel und man kann das vernehmen, wenn man die Aufmerksamkeit etwas anderem widmet als der Philosophie, etwa der Astrophysik. Hier zerbricht unsere Rationalität und die Skeptiker können schmunzeln, denn sie bricht unter den Konsequenzen zusammen, die sich seit der Entdeckung der Wahrheit abgezeichnet haben. In den Dimensionen des Universums zeichnet sich unsere Wahrheit durch die Fluchtgeschwindigkeit aus, die nur in der Rotverschiebung eine Parallele hat; man braucht schon dringend einen neuen, „höheren“ Verstand, um aus dieser weltallbestimmenden Instabilität ein Hauptmittel unserer in dem ewigen Kampf mit dem Absoluten immer wieder neu gewonnenen Stabilisierung zu machen. Aber auch dagegen lässt sich einiges zur Geltung bringen, z. B. im Namen der Humanität oder anderer Denkverbote, doch bestätigen oder beweisen lässt sich da überhaupt nichts; nur, soweit ich es beurteilen kann, wollte Schulze dieses Fragezeichen in seine skeptische Dramaturgie nicht involvieren. Ob es vielleicht in der Wirklichkeit etwas gibt, was man skeptisch nicht antasten möchte? Wahrscheinlicher scheint mir eine andere Möglichkeit zu sein: Schulze hat viel über Skepsis gesagt und geschrieben, doch skeptisches Denken war ihm letztendlich fremd. Bekanntlich gilt bei jedem Skeptiker die stärkste Skepsis seiner eigenen Skepsis; nur wenn man der eigenen Skepsis skeptisch gegenüber steht, ist die Skepsis verständlich, und Schulze, wenn man ihm genau zuhört, ist in diesem Sinne skeptisch unverständlich. Er formuliert perfektionistische Sätze, die aus dem Wissen von dem im Denken Verbotenen und Angeordneten ausgehen, um in der Folge bloß bei etwas

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nervösen Sollforderungen stehen zu bleiben. Dann trifft auch die Hegel’sche Sollenskritik5 auf Schulze zu: Ohne eine Hermeneutik dessen, was ist, kann Skepsis nur auf Postulate der Realitätsvermiesung begrenzt bleiben. Philosophie, und skeptische Philosophie im Besonderen, lässt sich zwar als eine Begründung des permanenten Nichtwissens betreiben, wird dann aber – ich meine, zu Recht – als bloßer Negierungsmechanismus der Nichtzugehörigkeit zu den ernstzunehmenden Erkenntnismethoden überführt. Es gibt immer etwas zwischen Hölle und Paradies, denn auch die Menschen haben nicht nur Hölle oder nur Paradies auf Erden; und weil sie nur die Erde auf Erden haben (was an sich schon genug belastend ist), können sie nicht endlos negieren, denn damit stünde vor ihnen als die einzig mögliche Lebensperspektive die Negierung des Vorhandenen, auch des Entlastenden. Etwas Krankhaftes finden wir in der Welt immer und überall, und in der Philosophie ist das nicht wesentlich anders, es wird aber von den Philosophen nicht verlangt, dass sie alle Krankheiten durchmachen müssen, nur weil einst ein Philosoph auf die Idee gekommen ist, die Philosophen seien Ärzte der Kultur. Die (nicht skeptische, sondern negativistische) Selbstsicherheit in Bezug auf die obersten Gründe, wie sie Schulze formulierte, ist krankhaft; Skepsis ist weder mit einer Phobie vor der Wirklichkeit, mit der Angst, von der Wirklichkeit berührt zu sein, identisch, noch ist die ganze Tradition des Skeptizismus mit einer unablässigen Wirklichkeitsverweigerung zu verwechseln. Phobie vor der Wirklichkeit bedeutete für den Philosophen die Arbeitsplatzphobie; bei Schulze scheint sie schon die bösartige Form erreicht zu haben, die ihm alle Kräfte abverlangte und es ihm verwehrte, ein Skeptiker zu sein. Der schon erwähnte deutsche Philosoph Hans Blumenberg fühlte sich mit aller Wahrscheinlichkeit nicht als Skeptiker, obwohl er zu der „skeptischen Nachkriegsgeneration“ gehörte, deren führende Stimme Odo Marquard darstellte. Er hat aber bezüglich der unbestimmten skeptischen Abschiedstrauer von der Wirklichkeit viel Bemerkenswertes in dem Buch Wirklichkeiten, in denen wir leben6 geschrieben. Er sagt, dass „der Mensch […] zu sich selbst kein unmittelbares, kein innerliches Verhältnis [hat]. Sein Selbst5

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Vgl. Marquard, Odo, „Hegel und das Sollen“, in: Philosophisches Jahrbuch 72, 1964/1965, S. 103-119; ders., „Hegel und das Sollen“, in: ders., Schwierigkeiten mit der Geschichtsphilosophie, Frankfurt am Main, 1973, S. 37-51. Blumenberg, Wirklichkeiten, in denen wir leben, a.a.O. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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verständnis hat die Struktur der Selbstäußerlichkeit […]. Der Mensch begreift sich nur über das, was er nicht ist, hinweg“.7 Die Metaphysiker stellen die Fragen nach der Wirklichkeit des Seins; die Skeptiker stellen wohlbegründet dieses Fragen in Frage – doch diese wie auch jene verfolgen dabei eine in sich selbst identische Frage nach den Strukturen der menschlichen Selbstäußerlichkeiten. Die Wirklichkeit als Spielfeld der Wissenschaften mag ganz uninteressant sein; was gleichsam in den philosophischen Mittelpunkt der Welt rückt, liegt jedem Wissen fern; sich darüber Kopf zu zerbrechen, bringt ungefähr so viel für das Gemeinwohl, wie das Prophezeien aus Lebern durch einen Geisterseher. Was dagegen die Philosophie immer interessieren muss, sind die Wirklichkeiten, die wir geschaffen haben, damit wir in ihnen und mit ihrer Hilfe überleben. Und dabei es ist völlig gleichgültig, ob es sich um eine durch die Grundsätze gesetzte oder um eine durch die Grundsätze ausgegrenzte Wirklichkeit handelt, denn die Identität des Ausgrenzenden ist durch die Identität des Ausgegrenzten hergestellt et vice versa. Das Ausgeschlossene gibt es nur in der Zugehörigkeit zum Ausschließenden, die Existenz des Ausgegrenzten kann man als Beweis für die Wirklichkeit der Grenzen gelten lassen; schön altmetaphysisch gesagt: Die Wirklichkeit des ausgegrenzten Ganzen zwingt uns das Ganze zu denken, denn so gehört das Ganze – inklusive skeptischer Grundsätze – zu den Wirklichkeiten, in denen wir überleben müssen. Die Probleme für die – nicht nur skeptische – Philosophie liegen darin, dass die Wirklichkeiten zum Überleben der Menschen gehören, und zwar unabhängig davon, ob sie noch oder auch nicht mehr wirklich umgesetzt werden. Das Misstrauen, das Nichtglauben, das Schwanken, das Zweifeln, das Argwöhnen gehört zum Ganzen der gelebten Wirklichkeiten auf dieselbe Weise, wie das Wissen, die Sicherheit, das Erkennen, das Beobachten, oder das Träumen, das Imaginieren, das Schweben. Es ist beileibe nicht die Philosophie, die bestimmen könnte, was diese Worte bedeuten; nach der – modern dramatischen – Umverteilung der Macht unter den Wissenschaften ist der Philosophie nur die erzählende Funktion geblieben, das Sagen ist definitiv auf andere Wissensdomänen übergegangen. Man tut sehr viel, wenn man die Legitimität des philosophischen Umerzählens der Wirklichkeiten, in

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denen wir leben, neu bestätigt, denn sie ist alles andere als selbstverständlich. Ich glaube – denn wissen kann ich das als Skeptiker nicht –, dass sich hierauf auch die Skepsis konzentriert, was sie nicht immer mit ausreichender Deutlichkeit erklärt. Diese skeptische Tradition des Nichterklärens ist der philosophischen Tradition des kompensatorischen Erzählens viel schuldig geblieben; absichtlich, denn so kann man sich jederzeit für den Sieger über die Wirklichkeit und ihre ebenso wirklichen Nachahmungen halten. Ich nehme an, die Skepsis hält sich ganz bewusst zur Panikmache und Intervention bereit. Die Versuchung, in die Wirklichkeitserkenntnis der Wissenschaften einzumarschieren, ist zu groß und verlockend und der Bedarf an Außerordentlichkeit war für den Skeptizismus immer ganz charakteristisch. Das Nichterklären könnte jetzt der Skepsis behilflich sein, besonders wenn ihrer Sucht nach Außerordentlichem solche Unannehmlichkeiten im Wege stehen, wie die Physik der Elementarteilchen, in der die Skepsislehrer aus den Fakultäten der nebeligen psychosozialen Studien besonders sattelfest sind. Wieder kann Schulze das Wort erhalten: „Das Dasein der Anschauungen, der Begriffe und der Ideen im Menschen und ihren Unterschied voneinander leugnet kein Skeptiker; denn das Dasein derselben und ihres Unterschiedes ist eine Tatsache.“8 Den erfahrenen Skeptikern braucht man nicht zu wiederholen, dass es Tatsachen gibt – das hat sich inzwischen herumgesprochen, denn sollte es nichts Seiendes geben, wäre auch die Teilung, die isosthenes diafonica, die Balance, nicht zu erreichen und die Möglichkeit der inneren Festigkeit und endlichen Freiheit der Skeptiker ginge im Rauch unzähliger Kompensationen des Wirklichkeitsverlustes auf. Das Dasein der begrifflich aufgefassten Ideen ist also eine Tatsache; man fragt sich jedoch, was man stattdessen sagen kann, um dem eisernen Gesetz der Isosthenie gerecht zu werden. Sich dezent an Wittgenstein erinnernd, könnte man vielleicht meinen, dass das Tatsächliche das Faktische ist, denn bekanntlich sei die Welt alles, was der Fall sei. Was ist aber der Fall? Für Schulze sind es die Ideenwelten, deren Tatsächlichkeit er bestätigt. Dieser Schluss bietet sich als erster an, denn das Dasein dieser Welten leugnet 8

[Schulze, Gottlob Ernst], Aenesidemus oder über die Fundamente der von dem Herrn Professor Reinhold in Jena gelieferten Elementar-Philosophie. Nebst einer Verteidigung des Skeptizismus gegen die Anmaßungen der Vernunftkritik, hg. v. Manfred Frank. Hamburg, 1996, S. 78. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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man nicht, weil sie faktisch sind. Es ist so, dass die Sonne auf- und untergeht; das Wetter ist, wie es ist; der Mond spielt mit allen somnambulen Skeptikern, weil er scheint; die Wahrheit besiegt die Lüge und omnia vincit amor – und da all dies aufgrund der Tatsächlichkeit der Ideenwelten der Fall ist, hat der Skeptiker leere Hände und verfügt über nichts, was er stattdessen sagen könnte. Das hat Schulze zu den Grundsätzen der Skepsis gebracht, die keine ist; das Einzige, das ihm stattdessen beiseite stand, war das Bestätigen und das Zulassen. Wenn man einmal mit dem Bestätigen beginnt, muss man auch immer mehr zulassen; Schulze sagte, „das Wesen der Skeptischen Philosophie bestehe eigentlich in nichts Anderem, als in der der menschlichen Vernunft eigentümlichsten Handlungsweise“.9 Damit bestätigte er, dass die skeptische Philosophie ein „Wesen“ hat, das in der menschlichen Vernunft zu finden ist, wenn man nach einer ganz bestimmten Form des vernünftigen Handelns sucht, nämlich nach der „eigentümlichsten“. Wie prekär die Lage des Skeptizismus wird, wenn man die Frage stellt, wie wir uns das Wesen von irgendwas, und erst recht das Wesen der skeptischen Philosophie vergegenwärtigen können, und woher wir überhaupt wissen, dass das Zweifeln das Eigentümlichste der Vernunft ist, liegt auf der Hand. Waren es nicht die Tropen, die sich gegen die Unhinterfragbarkeit von Behauptungen verschiedener Art richteten? Sicher ist es schwierig zu bestätigen, dass unsere Vernunft eigentümliche, ur- und uneigentümliche oder eigentümlichste Eigenschaften hat; wenn man es glaubt, wie es Schulze geglaubt hat, kann man es auch schreiben und sich dadurch aus der skeptischen Tradition des Denkens selbst verweisen, zur Frage der Skepsis wird aber nicht viel beigetragen, denn ich kann mich immer – sozusagen stattdessen – im Geiste des skeptischen Purismus so äußern: „wo die Vernunft einmal ist, da ist sie, sofern sie nicht verführt und beirrt wird“.10 Das ist das erste Zulassen, das unabdingbare Einräumen, hinter dem uns genau das erwartet, was die vorangegangenen Generationen schon durchgemacht haben: unendliche Nachtgespräche mit dem kartesianischen genius malignus, denn es geht nicht so sehr um „die Vernunft“, sondern um „das Sofern“. Der genannte Satz impliziert, dass es Grenzen gibt, nach deren Überschreitung die Verführungen und 9 10

Schulze, Aenesidemus, a.a.O., S. 25. Siehe Blumenberg, Hans, Die Vollzähligkeit der Sterne, Frankfurt am Main, 1997, S. 36. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Irrwege der Vernunft beginnen – und dass man einräumt, dass es eine andere, offensichtlich die skeptische Vernunft gibt, die über das Vermögen verfügt, solche Grenzen nicht nur zu erkennen, sondern mit diesen auch zu arbeiten, sie zu verschieben, abzuschaffen, vor neuen zu warnen, kurzum, das Sofern zu bestimmen, wie weit diese Grenzen reichen. Sicher, ich glaube auch – dazu als Skeptiker gezwungen –, dass die Möglichkeiten der menschlichen Vernunft unbegrenzt sein können und dass die Fähigkeiten des Menschen ihm vielleicht ermöglichen, nach Sternen zu greifen – vorausgesetzt, die Sterne neigen sich und berühren die Erde.11 Nur ein schwacher modischer Skeptiker empfindet ein penetrantes Missfallen, wenn er sich anhören muss, der Skeptiker solle sich äußerst skeptisch zu seiner eigenen Skepsis verhalten. Schulze und seine Mitstreiter waren weder schwach noch so naiv, wie die angelsächsischen analytischen Philosophen bis heute glauben möchten. Die Skeptiker, und zwar auch die gescheiterten, wussten, wie am Beispiel von Schulze zu sehen ist, um die Faktizität der Ideenwelten, die sich sprachlich äußert und so auch dem Menschen sein Dasein als eine Struktur der Selbstäußerlichkeit verleiht. Da es tatsächliche Unterschiede zwischen den in potentia und den in actu existierenden Ideen gibt, wissen die Skeptiker auch, dass sich die Menschen untereinander als verschiedene Strukturen der Selbstäußerlichkeiten unterscheiden. Das Problem liegt darin, dass mit der Entdeckung dieser Zusammenhänge die Skeptiker aus der Welt des natürlichen Bewusstseins, aus der Lebenswelt der unmittelbaren Selbstverständlichkeiten vertrieben wurden. Den Skeptikern steht, wie Schulze meinte, die Vernunftkritik beiseite. Er schrieb: Nach der Vernunftkritik ist nämlich der Gebrauch der Kategorien lediglich auf empirische Anschauungen einzuschränken, und Erkenntnis kann nach derselben bloß dadurch in uns zustande kommen, daß die Kategorien auf Gegenstände der empirischen Anschauung angewendet werden, so daß also die Ausdehnung der reinen Verstandesbegriffe über unsere Erfahrungen hinaus und auf Gegenstände, die nicht unmittelbar vorgestellt, sondern nur gedacht werden, völlig unstatthaft ist.12

Aus heutiger Sicht ist das Zitierte das Alphabet der nachkantischen skeptischen deutschen Philosophie. Ich möchte damit auch nichts 11 12

Vgl. ebd. Schulze, Aenesidemus, a.a.O., S. 79. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Spektakuläres behaupten. Man kann damit nur eines belegen: dass nach der Vernunftkritik die Skeptiker – selbstverschuldet – definitiv zu den Vertriebenen geworden sind. Sie haben die sogenannte objektive Welt verlassen, weil sie der skeptischen Überzeugung nach als faktische Ideenwelt der Menschen gelten muss, die ihr Dasein in den geschichtlich instabilen, wechselhaften, sich bekämpfenden, wiederkehrenden und unzuverlässigen Ideenwelten betreiben, als eine dieser Unzuverlässigkeit entsprechende Struktur der Selbstäußerlichkeit. Damit haben sie auch den Menschen verlassen – und das vergibt man nie, eben weil wir historisch und auch bei anderen passenden Gelegenheiten auf die Humanität aus sind. Schulze sagt etwas, was in der Philosophie zwar wahr sein mag, was sich aber mit der Kürze unserer Lebenszeit, mit der episodischen Wirklichkeit unseres Daseins und mit der sich immer weiter öffnenden Schere zwischen „Lebenszeit und Weltzeit“13 nicht vertragen kann. Der Wunsch-Skeptiker Schulze versichert uns damit, was wir in unserem natürlichen Bewusstsein überhaupt nicht für sicher halten möchten: dass es uns gar nicht hilft, wenn wir uns davonzumachen wissen und die Sonne auf- und untergehen lassen. Wie alle Skeptiker, und als einer von diesen muss ich mir es auch tagtäglich vergegenwärtigen, hat Schulze die Mannigfaltigkeit von Selbstverständlichkeiten unterschätzt. Die Welten von verschiedenen Selbstäußerlichkeiten werden nicht ausbalanciert, wenn man einer Selbstverständlichkeit eine andere gegenüberstellt und meint, unser Denken könne sich damit – isosthenisch – zufriedengeben. Es gilt auch umgekehrt: Das Nichtselbstverständliche bringt das Gleichgewicht mit dem Selbstverständlichen nicht hervor; anders gesagt, die Philosophie als platonisch-aristotelisches thaumazein14 kann bezüglich der Faktizität der menschlichen Ideenwelten nur wenig, wenn überhaupt etwas anrichten. Das Denken eines Skeptikers geht davon aus, dass das Selbstverständliche des natürlichen Bewusstseins nicht selbstverständlich ist, was für den Skeptiker eine Selbstverständlichkeit darstellt. Die kaum wohltuende Tradition des thaumazein, die im Kern nur eine Tradition des Behauptens des einzig wahren thaumazein ist, spie13 14

Vgl. Blumenberg, Hans, Lebenszeit und Weltzeit, Frankfurt am Main, 1986. Vgl. Platon, Theaitetos, 155 d: „Das Staunen ist die Einstellung eines Mannes, der die Weisheit wahrhaft liebt, ja es gibt keinen anderen Anfang der Philosophie als diesen.“ Aristoteles, Metaphysik, I 2, 982b 12: „Staunen veranlasste zuerst – wie noch heute – die Menschen zum Philosophieren.“ Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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gelt sich in den skeptischen Urteilen der nachkantischen Zeit wider, bloß um den Hauch der aufklärerischen Überzeugung reicher, dass die Philosophen dazu verpflichtet seien zu sagen, was nicht der Fall ist. In seiner „Verteidigung des Skeptizismus“ behauptet Schulze von den Begriffen, dass sie „nur Formen des Denkens“15 sind. Ich halte das für eindeutig positiv, denn damit hat ein bedeutender deutscher Philosoph bestätigt – man weiß nur nicht, ob er damit Vergeltung oder Entschädigung beabsichtigt hat –, dass wir denkende Wesen sind. Als solche – und das sagt Schulze nicht – könnten wir die Deformationen unserer Kultur durch das thaumazein loswerden, wenn wir immer die Möglichkeit offen lassen, etwas stattdessen zu sagen. Es geht nicht „nur“ um die Formen des Denkens, sondern vornehmlich um unser Überleben, das die Verknüpfungen und Verbindungen der Vorstellungen in unserem Verstand notwendig voraussetzt. Ich möchte für einen Begriff der notwendigen Verbindungen, wie ihn auch Schulze erwähnt, votieren, der seine Glaubwürdigkeit nicht aus dem seiner Unsicherheiten sicheren Skeptizismus schöpft, sondern aus der Philosophie des Stattdessen.16 Um zu überleben, haben die Menschen in den erzählerischen Kompensationen ihrer Angst und ihrer Sorgen das völlige Unwissen mit dem unbarmherzigsten Dogmatismus verbunden, ob in Mythen, Geschichten, Geschichtsphilosophien oder in der Technik. Es war notwendig, und Notwendigkeit stellt in den meisten Fällen die Frage nach dem Möglichen nicht. Eben weil es – historisch gesehen – oft nicht möglich war anders zu denken, war es – auf das eigene Sein bezogen – in allen Fällen notwendig. Wir leben, wie die Menschen immer gelebt haben, auch inmitten der Notwendigkeiten, die verursachen (vorausgesetzt, es gibt Ursachen), dass wir von den Bestimmungen unserer Vorstellungen und unseres Denkens auf die Bestimmungen des außer uns Befindlichen schließen. Hilft es uns, wenn wir eine weitere, noch tiefere und umfangreichere Vernunftkritik betreiben? Wir wissen doch das Grundlegendste nicht: dass es die Vernunftkritik ist, was wir betreiben, wenn wir meinen, unsere Vernunft der Kritik unterziehen zu müssen. Ich stehe der Vermutung nahe, dass die skeptische Philosophie das abschließende Kapitel ihrer Geschichte zu schreiben begonnen hat; die Konstellation, die Stellung der Sterne, ist anders. Wenn 15 16

Schulze, Aenesidemus, a.a.O., S. 98. Vgl. Marquard, Odo, Philosophie des Stattdessen. Studien, Stuttgart, 2000. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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aus der Unschärferelation ein Prinzip des wissenschaftlichen Erkennens geworden ist und den zehn Tropen des Ainesidemos von Knossos die zehn Regeln der Quantenmechanik gegenüberstehen,17 kann auch der überzeugteste Skeptiker mit der isosthenia nichts anderes anfangen, als dem skeptischen Misstrauen so zu misstrauen, dass man die post-skeptische Ära18 zustimmend eröffnet, sich zu den demokratischen Werten (vorausgesetzt, es gibt Werte) bekennt und mit dem Warten auf die dritte Moderne beginnt – in der Abwesenheit des eigenen Willens sein eigenes Leben als bloße 17

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Die Tropen und die Regeln der Quantenmechanik sollen hier nicht verglichen werden, obwohl es vielleicht möglich wäre, gewisse Gemeinsamkeiten in der Intention beider Denkarten zu finden. Die Frage liegt eher darin, wie die Regeln der Quantenmechanik philosophisch auszuwerten sind, oder noch anders, ob die (nicht nur, aber auch) skeptische Philosophie einer konsistenten Hermeneutik dieser Sätze fähig ist. Das mathematische Modell der Quantenmechanik stellt, ob es uns gefällt oder nicht, eine vollständige Beschreibung der physikalischen Phänomene in ihrem Anwendungsbereich dar. Die Messprozesse, die sie unternimmt, haben einen zufälligen Ausgang, die Einzelexperimente können eine andere Bedeutung erhalten. Der Grund dafür liegt nicht in der Unfähigkeit des Experimentators, den gemessenen Zustand exakt zu präparieren, und auch nicht in der Unzulänglichkeit der Messgeräte, sondern stellt im Rahmen der Standardinterpretation der Quantenmechanik eine prinzipielle Beschränkung der Messbarkeit dieser Beobachtungsgröße in diesem Zustand dar. Die Sichtweise, dass die Quantenmechanik die vollständige Naturbeschreibung liefert, drückt sich daher auch in der Meinung aus, dass es gar keine objektiv existierenden Eigenschaften des Einzelsystems gibt, die mit einem einzelnen Messergebnis korrespondieren. Eine objektive Eigenschaft eines quantenmechanischen Zustands im Kontext einer Messung ist vielmehr nur die statistische Verteilung der Messergebnisse bei Messung eines ganzen Ensembles. Das wird als „objektiver Zufall“ bezeichnet. Der Satz vom objektiven Zufall, der mathematisch bewiesen werden kann, ist in meinen Augen der Punkt hinter der Geschichte der skeptischen Philosophie. Das ergibt sich daraus, dass die Quantentheorie alles beschreibt, was es über ein System zu wissen gibt, und dass die Messvorgänge irreduzibel sind und nicht nur unser beschränktes Wissen reflektieren. Auch die Vermutung, dass man dadurch genug Stoff zu den Debatten über die Stellung des Menschen im Kosmos bekommt, ist eine Illusion, aus der wir erwachen sollten: Es gibt eben überhaupt nichts Besonderes an den Teilchen, die den Menschen komplettieren – wir treffen auf die gleichen physikalischen Eigenschaften, die gleichen Gesetze, die gleichen Kräfte, die überall in unserem Kosmos herrschen. Mit der post-skeptischen Ära ist nicht eine Rückkehr zum neuen Dogmatismus gemeint. Die alten Polaritäten sind nicht mehr so bestimmend, wie das in der Philosophiegeschichte der Fall war; die post-skeptische Ära bezeichnet die Zeit – sozusagen ein time out, das wir uns nehmen müssen – für das Begreifen einer Philosophie des Stattdessen, die dadurch vernünftig wird, dass sie jeden – besonders aus den skeptischen Beweggründen hervorgerufenen – Ausnahmezustand vermeidet. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Verwaltung des Notwendigen führend. Die philosophische Skepsis hat gegenüber der Überzeugung von der Möglichkeit des wahren Erkennens alles gesagt, was zu sagen war. Die wissenschaftliche, methodische Skepsis, die den Forschern Mut gibt, von dem Wahren und Richtigen überzeugt zu sein, wurde zur handwerklichen Routine. Der politische und religiöse Dogmatismus ist unüberwindbar und es ist auch fraglich, ob mit kulturspezifischen, kulturbildenden und sinnstiftenden Dogmen skeptisch gespielt werden sollte. Die Frage, was skeptisch zu erreichen ist, ist eine äußerst skeptische, weil sie nicht nach Zwecken, sondern nach Fähigkeiten fragt. Die Philosophie im Allgemeinen und vor allem die skeptische Philosophie bewegen sich nicht auf dem Erkenntnisniveau der (Natur-)Wissenschaften. Die Kluft zwischen dem skeptischphilosophischen Zweifeln und den mathematischen Gleichungen, die die physikalischen Kenntnisse im Bereich der subatomaren Physik wie auch der Astrophysik beweisen, scheint definitiv zu sein. Als skeptischer Philosoph kann ich es bezweifeln, wenn jemand sagt, es stehe mit den Dingen in der Natur so und so. Wende ich mich mit meinem Misstrauen an den Naturwissenschaftler, wird er wahrscheinlich nichts dagegen haben – es genügt, wenn ich beweisen kann, dass der zweite Hauptsatz der Thermodynamik nicht gilt (also, dass eine Realisierung eines Perpetuum mobile zweiter Art möglich ist), bzw., wenn ich genug starke Argumente dafür vorlege, dass in der Quantenmechanik mehr als zwei Elektronen in einem Orbital Platz finden (also, dass das Pauli-Prinzip unwahr ist und die Materie aus anderen Gründen, als uns die Physik lehrt, zusammenhält). Die Welten des Wissens werden mit zunehmender Spezialisierung immer getrennter. Skepsis ist eine notwendige Verbindung, darf aber nie als ein bloß eigensinniger Störenfried wirken. Weil sie zu den Erkenntnissen der spezialisierten Disziplinen keinen kompetenten Zugang mehr hat, bleibt ihr nur eine Pforte offen: zu den Polemiken über geglaubte (denn die Existenz von anderen müsste man zuerst beweisen) Werte. Wählt die skeptische Philosophie diesen Weg, beginnt unwiderruflich die post-skeptische Ära. Der erste Brief von Hermias an Aenesidemus beginnt mit den Worten: „Sie irren sich, mein geliebter Freund“.19 Ich fühle mich von diesem Satz angesprochen. Unter allen Wahrscheinlichkeiten 19

Schulze, Aenesidemus, a.a.O., S. 11. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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BŘETISLAV HORYNA

ist die am wahrscheinlichsten, dass ich mich wieder einmal irre. Alle wissen doch, dass die Sonne nicht auf- und untergeht, sondern die Erdkugel sich um ihre Achse dreht.

Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

III. FICHTES AUSEINANDERSETZUNG MIT DER REINHOLD-SCHULZE-DEBATTE

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DANIEL BREAZEALE

Reinhold/Schulze/Fichte: A Re-Examination Not long after his first infatuation with Kant, Fichte came under the spell of Reinhold’s Elementarphilosophie.1 But his enthusiasm for the latter was undermined by his close reading of G. E. Schulze’s anonymously published Aenesidemus in preparation for his review of the same in the Allgemeine Literatur-Zeitung.2 In this review, which was published in May of 17943, Fichte largely renounces his allegiance to Reinhold’s system and rejects the first principle of the same. It thus appears Schulze’s critique of Reinhold and Kant is what provoked Fichte to construct his own system of transcendental idealism in order to produce a version of the same that could withstand Aenesidemus’s skeptical attack. This, anyway, is the standard story regarding the relationship between Reinhold, Schulze, and Fichte, one repeated over and over again by historians of philosophy and rarely questioned by specialists. And it would also appear that this account is endorsed by Fichte himself, who confessed to his friend Heinrich Stephani that Aenesidemus “hat mich eine geraume Zeit verwirrt, Reinhold bei mir gestürzt, Kant mir verdächtig gemacht, und mein ganzes System von Grund aus umgestürzt”.4 1

2

3 4

K. L. Reinhold presented his “Elementary Philosophy” in the following three works, published between 1789 and 1791: Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens (1789), ed. Ernst-Otto Onnasch, 2 vols., Hamburg, 2010 and 2012; Beiträge zur Berichtigung bisheriger Mißverständnisse der Philosophen. Erster Band (1790), ed. Faustino Fabbianelli, Hamburg, 2003 (see Part III: “Neue Darstellung der Hauptmomente der Elementarphilosophie. Erster Teil. Fundamentallehre”); and Ueber das Fundament des philosophischen Wissens nebst einigen Erläuterungen über die Theorie des Vorstellungsvermögens (1791), RGS 4. Though I will be citing these modern editions of Reinhold’s writings, I will do so in accordance with the pagination of the original editions. [Schulze, Gottlob Ernst], Aenesidemus oder über die Fundamente der von dem Herrn Professor Reinhold in Jena gelieferten Elementar-Philosophie. Nebst einer Verteidigung des Skeptizismus gegen die Anmaßungen der Vernunftkritik, ed. Manfred Frank, Hamburg, 1996. Though I will be citing this text, I will do so according to the pagination of the original, 1792 edition. As is customary, I will be referring interchangeably to “Schulze” and “Aenesidemus”. Fichte, Johann Gottlieb, “Rezension Aenesidemus”, GA I/2, pp. 41-67. Fichte to Stephani, mid-December 1793, GA III/2, p. 28. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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The details of this story are rehearsed in my own 1981 essay on Fichte’s Aenesidemus review, written at a time when very little specialized research had been done on the relationship between Reinhold, Schulze and Fichte.5 In the past three decades, however, there have been a number of new scholarly efforts to re-examine Schulze’s critique of Reinhold and the actual influence of both of these authors on the development of Fichte’s philosophy. The following is an effort to do the same: to re-assess the relationship between these three thinkers and to do this in the light of the recent work to which I shall be referring.6 5

6

Breazeale, Daniel, “The Aenesidemus Review and the Transformation of German Idealism”, in: Review of Metaphysics 34, 1981, pp. 545-568; recently revised as Ch. 2 of Breazeale, Daniel, Thinking Through the Wissenschaftslehre: Themes from Fichte’s Early Philosophy, Oxford, 2013. Beyond the standard histories of philosophy, the only scholarly literature on this subject available at that time included the following: Brock, Kurt, “Das Verhältnis Fichtes zu Kant nach der Rezension des Aenesidemus und den beiden Einleitungen in die Wissenschaftslehre”, in: Philosophisches Jahrbuch 34, 1921, pp. 50-63, which is mostly about the differences between Fichte and Kant; Gueroult, Martial, L’évolution et la structure de la doctrine de la science chez Fichte, Paris, 1930, vol. 1, pp. 134-148; Klemmt, Alfred, Karl Leonhard Reinholds Elementarphilosophie, Hamburg, 1958, p. 479-527; and Verra, Valerio, “‘Enesidemo’ e la problematizzazione della critica”, in: Studi e richerce di storia della filosofia 5/2, 1951, pp. 577-610. Here, in chronological order, is a complete list of publications on this topic over the past four decades, many of which will be discussed below: Druet, Pierre-Philippe, “La récension de ‘L’Enésidème’ par Fichte”, in: Revue de Métaphysique et de Morale 78, 1973, pp. 363-384 (a French translation of Fichte’s review, plus a short introduction); Baum, Günther, “Aenesidemus oder der Satz vom Grunde. Eine Studie zur Vorgeschichte der Wissenschaftslehre”, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 33, 1978, pp. 352-370; Beiser, Frederick C., The Fate of Reason. German Philosophy from Kant to Fichte, Cambridge, MA, 1987; Neuhouser, Frederick, Fichte’s Theory of Subjectivity, Cambridge, 1990; Frank, Manfred, “Einleitung”, in: Schulze, Aenesidemus, op. cit., pp. IX-LXXVIII; Martin, Wayne M., Idealism and Objectivity. Understanding Fichte’s Jena Project, Stanford, CA, 1997; Bondeli, Martin, “Zu Fichtes Kritik an Reinholds ‘empirischem’ Satz des Bewußtseins und ihrer Vorgeschichte”, in: Fichte-Studien 9, 1997, pp. 199-213; Pippin, Robert, “Fichte’s Alleged Subjective, Psychological, One-Sided Idealism”, in: The Reception of Kant’s Critical Philosophy: Fichte, Schelling, and Hegel, ed. Sally Sedgwick, Cambridge, 2000, pp. 147-170; Finchman, Richard, “The Impact of Aenesidemus upon Fichte and Schopenhauer”, in: Pli 10, 2000, pp. 96-126; Henrich, Dieter, Between Kant and Hegel. Lectures on German Idealism, ed. David S. Pacini, Cambridge, MA, 2003 (based on the text of his English-language lectures at Harvard University in 1973); Franks, Paul W., All or Nothing: Systematicity, Transcendental Arguments, and Skepticism in Early German Idealism, Cambridge, MA, 2005; Ameriks, Karl, “Reinhold’s Contribution” and “Kant, Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Let us begin with a major correction of one aspect of the standard story, according to which Fichte was a more or less uncritical admirer of Reinhold until he read Schulze’s book in the fall of 1793. Now it is certainly true, as Fichte reported to one of his correspondents during this period, that it was thanks to his study of Aenesidemus “daß ich […] zu der hellen Ueberzeugung geführt wurde, daß die Philosophie vom Zustand einer Wißenschaft noch weit entfernt sey, u. genöthigt wurde meine eignes bisheriges System aufzugeben, u. auf ein haltbareres zu denken”.7 And yet, in another letter written at about this same time he also confides that the doubts raised by Schulze were ones that “ich vorher wohl schon ahndete”.8 In fact, as Alessandro Lazzari has recently reminded us, Fichte had by this point already criticized Reinhold publically, first in the new “theory of the will” advanced in section 2 of the second edition of his Versuch einer Kritik aller Offenbarung (published in April of 1793), and also in certain passages in his reviews of recent books by Leonhard Creuzer and F. H. Gebhard (both published at the end of October 1793).9 To be sure, the object of Fichte’s explicit and implicit criticism in these texts is not Reinhold’s Elementarphilosophie per se, but rather the new account of the relation of Willkür to Wille advanced by Reinhold in 1792 in the second volume of his Briefe über die Kantische Philosophie. The point however stands: Fichte was by no means an uncritical Reinholdian when he began his study of Aenesidemus in the fall of 1793, and there is no reason to question his later claim, in the Zweite Einleitung of 1797, that he had expressed his doubts

7 8 9

Fichte, and the Short Arguments to Idealism”, Chs. 2 and 3 in: Ameriks, Karl, Kant and the Fate of Autonomy. Problems in the Appropriation of the Critical Philosophy, Cambridge 2006 (these two chapters were originally published separately in 1989 and 1990); Gesang, Bernward, “G. E. Schulzes Aenesidemus – das Buch das Kant für Fichte ‘verdächtig’ machte”, in: Fichte-Studien 33, 2009, pp. 17-30; Messina, James, “Answering Aenesidemus. Schulze’s Attack on Reinholdian Representationalism and its Importance for Fichte”, in: Journal of the History of Philosophy 49, 2011, pp. 339-369; Förster, Eckart, The Twenty-Five Years of Philosophy. A Systematic Reconstruction, trans. Brady Bowman, Cambridge, MA, 2012. Draft of a letter from Fichte to L. W. Wloemer, Novermber 1793, GA III/2, p. 14. Draft of a letter from Fichte to J. F. Flatt, November or December 1793, GA III/2, p. 18. See Lazzari, Alessandro, “Fichtes Entwicklung von der zweiten Auflage der Offenbarungskritik bis zur Rezeption von Schulzes Aenesidemus”, in: FichteStudien 9, 1997, pp. 181-196. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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about the Kantian philosophy to Kant’s friend Hofprediger J. F. Schulz while he was still in Königsberg in December of 1792, nor to deny his claim, in a letter written in February of 1793, that he begun to entertain doubts concerning the first principle of the new system prior to his encounter with Aenesidemus’s objections to Reinhold’s Satz des Bewusstseins.10 This, of course, is not to suggest that at the time Fichte began work on his review of Aenesidemus he had already rejected Reinhold’s basic project. On the contrary, despite any reservations he may have had, he still saw himself as defending Reinhold – or, perhaps better, the “spirit of the Elementary Philosophy” – against Schulze’s criticisms. This surmise is supported by the very title Fichte gave to the long manuscript he composed that fall and winter in which he first sketched the outlines of his own new system: Eigne Meditationen über ElementarPhilosophie/Practische Philosophie.11 With this in mind, let us consider Schulze’s critique of Reinhold’s Elementarphilosophie.

10

11

See Fichte, Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre, GA I/4, p. 225. According to Erich Fuchs, this conversation must have occurred while Fichte was still in Königsberg, in mid-December of 1792 – i. e., after he had prepared the second edition of the Versuch and before reading Aenesidemus (see Fichte im Gespräch, ed. Erich Fuchs, Stuttgart-Bad Cannstatt, 1991, vol. 2, p. 230). This claim is supported by the draft of Fichte’s letter of February 20, 1793 to Franz Volkmar Reinhard, in which we declares that he had previously considered all objections to the Kantian philosophy (including Reinhold’s) to be based upon nothing but misunderstanding, “bis mir neulich in einem Gespräche mit einem Selbstdenker, deßen Ew. mir hernach zu erwähnen erlauben, ein Zweifel anfiel, der nichts geringeres als das erste Prinzip betrift[,] den ich bei jezigen Umständen freilich auf eine bequemere Zeit abweisen muste, welcher, wenn er nicht abzuweisen wäre, die ganze Philosophie zerstören, u. den unseeligsten Sceptizismus, weit härter, als den unwidersprechlich widerlegten Humischen, an ihre Stelle setzen würde.” (GA III/1, p. 373 f.) Here again, the editors of GA III/1 identify the “independent thinker” in question as Court Chaplain J. F. Schulz. See GA II/3, pp. 21-265. This is the manuscript to which Fichte refers in his March 1, 1794 letter to Reinhold, in which he identifies himself as the author of the Aenesidemus Review and explains “daß ich die gehörige Mühe darauf gewandtt habe, Ihr System zu verstehen; wie ich denn z. B. über Ihre neue Darstellung der HauptMomente der El.Ph. in den Beiträgen, auf Veranlaßung obiger Recension, mehr als 12. Bogen niedergeschrieben habe”. (GA III/2, p. 78) Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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1. Schulze’s Objections to Reinhold’s Elementarphilosohie Schulze’s criticism focuses upon two general topics, the Satz des Bewusstseins and the Ding an sich, though he raises other criticisms of both Reinhold and Kant as well. Let us consider these objections individually. (1) The Satz des Bewusstseins does not satisfy Reinhold’s own desiderata for a philosophical Grundsatz, for it is not the “highest” principle. Like every other philosophical principle, it must be subsumed under the principle of identity or contradiction.12 (2) Not only is the Principle of Consciousness not the highest principle of philosophy, it is not a clear and distinct principle, for it is not “self-determining”. For example, Reinhold explains the various concepts contained within in this principle (“subject”, “object”, and “representation”) in terms of the activities of “relating” and “distinguishing”, but utterly fails to provide any account or analysis of these activities themselves.13 (3) The Satz des Bewusstseins is not a genuinely universal principle that applies to all states of human consciousness. This objection takes several forms. (a) Sometimes Schulze simply points to states of consciousness to which the Principle of Consciousness simply does not appear to apply. These include what he calls Anschauungen or “intuitions” and states of deep “contemplation”, in which the subject makes no distinction between its representations and the objects of the same, as well as those familiar everyday experiences in which one simply loses oneself entirely in ones object, with no explicit awareness of oneself as the experiencing subject.14 (b) Schulze also objects to Reinhold’s efforts to ground the Principle of Consciousness upon what he calls a “fact” – or rather, “the” fact – of consciousness itself. Insofar as this represents Reinhold’s actual procedure, the Principle itself must be synthetic and a posteriori rather than a priori. Insofar as it is really an “abstraction” from actual empirical states of consciousness, Reinhold’s Principle is neither universal nor necessary.15 12 13 14 15

Schulze, Aenesidemus, op. cit., pp. 60-62. Ibid., pp. 63-65. Ibid., pp. 72 f. and 85. Ibid., pp. 76 f. and 82-84. As Martin Bondeli has pointed out, criticism of the Satz des Bewusstsein as “empirical” and “abstract” is not original with Schulze, but was first advanced against the Elementarphilosophie by the Leibnizian raMartin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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(c) Schulze considers Reinhold’s account of the relation between the four elements that are allegedly present in every state of consciousness – Vorstellung, Subjekt, Objekt, and “bloße Vorstellung” – to be deeply incoherent and inconsistent with the basic claim made by the Satz des Bewusstseins regarding every state of consciousness. For, as he points out, in order for the subject to relate a representation to and distinguish it from the subject and the object, it must obviously have some prior awareness or “perception” of the latter.16 But the principle of consciousness is obviously inapplicable to any a priori awareness of the subject and the object, since such awareness is a condition for the possibility of applying that principle.17 (4) Schulze also criticizes Reinhold for arguing that the representation must contain within itself two distinct elements, one by which it is related to and distinguished from the subject and another through which it is related to and distinguished from the object – i. e., “form” and “content”. In response, Schulze points out that one and the same thing can be related in different ways to two different things without having to include within itself two different elements or features.18 He also criticizes as arbitrary and ungrounded Reinhold’s association of the “form” of the representation with the subject and the “content” of the latter with the object.19 Against Reinhold, Schulze proposes that it is the entire representation that is related to and distinguished from both the subject and the object: to the former in the same way that a property or attribute is related to a subject and to the latter in the way that an effect is related to a cause or in the way a sign is related to what it signifies.20 (5) Schulze also objects to Reinhold’s account of selfconsciousness as “eine besondere Vorstellung”, a distinctive species of consciousness in which the representing subject takes itself as its object, a state to which the Principle of Consciousness is still

16 17 18 19 20

tionalist Johann August Eberhard in his “Endliche Beylegung des Streits über den kritischen Idealismus durch den Satz des Bewußtseyns”, in Philosophisches Magazin, Bd. 4, Stück 1, 1791. See Bondeli, “Zu Fichtes Kritik an Reinholds ‘empirischem’ Satz des Bewußtseins und ihrer Vorgeschichte”, op. cit., pp. 200-202. Schulze, Aenesidemus, op. cit., p. 87 Ibid., p. 88. Ibid., pp. 187 f. See ibid., pp. 202 f. Ibid., p. 213. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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supposed to apply, thus requiring a distinction between oneself and one’s representation of oneself.21 In response, Schulze points out that, according to the Principle of Consciousness – as well as to ordinary linguistic usage – there must be a different kind of tacit “self-consciousness” that accompanies all of our consciousness of objects, not just our explicit reflection upon ourselves as objects.22 (6) Schulze is especially critical of Reinhold’s comments regarding the thing in itself and the functional place of the concept of the same within the Elementarphilosphie. On the one hand, Reinhold denies that one could have any knowledge of things in themselves and rejects the very possibility of even representing any object as a Ding an sich.23 On the other hand, Reinhold sometimes appears to employ the concept of the Ding an sich in a causal manner to refer to the mind-independent ground of those “affections” of the subject that are referred to the represented object. Schulze also attributes to Reinhold the claim that the faculty of representation is an objectively existing thing in itself, which is the “cause” of the form of our representations.24 With this last move, as Dieter Henrich has observed, Schulze “both widens and extends Jacobi’s criticism of the thing in itself” and does this in such a way as to call into question “the very idea of critical philosophy”, at least insofar as the latter is guilty of treating the mind or faculty of representation as the transcendent “cause” of the a priori forms of experience.25 A similar point is made by Frederick Beiser, who maintains that Aenesidemus “introduces a new and radical form of skepticism into modern philosophy”, according to which nothing has yet been known concerning not only the existence or the properties of things in themselves, but also concerning the conditions for the possibility of knowledge.26 But for all of Schulze’s criticisms of Reinhold’s illicit use of the concept of the thing in itself, he is even more exasperated by Rein21 22 23 24 25 26

See Reinhold, Beiträge zur Berichtigung bisheriger Mißverständnisse der Philosophen. Erster Band, op. cit., p. 220 f. Schulze, Aenesidemus, op. cit., p. 350; see too pp. 89 f., note. See Reinhold, Beiträge zur Berichtigung bisheriger Mißverständnisse der Philosophen. Erster Band, op. cit., pp. 127. Schulze, Aenesidemus, op. cit., pp. 98-100 and 145 f. Henrich, Between Kant and Hegel, op. cit., p. 157. “Schulze radicalizes skepticism so that it becomes meta-critical, applying to not only our first-order but also our second-order beliefs” (Beiser, The Fate of Reason, op. cit., p. 268). Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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hold’s denial of the possibility of representing such a thing and by his half-hearted efforts to dispense entirely with the concept of the same. Against such a proposal, Schulze insists that this is a concept that is essential to our everyday notion of truth and reality and, as such, cannot be avoided by philosophy, since [e]s ist uns durch die Einrichtung unsers Wesens beigebracht und eingepflanzt worden, uns nur dann erst in Ansehung unserer Erkenntnisse zu beruhigen, wenn wir eingesehen haben, ob sie Wahrheit enthalten oder Täuschungen ausmachen. Den Vorstellungen, aus denen unsere Erkenntnis besteht, können wir aber nur insoferne Realität und Wahrheit zuschreiben, als sie mit einem gewissen, von ihnen selbst verschiedenen Etwas im Verhältnis und Zusammenhange stehen.27

(7) Finally, Schulze raises a more general objection to both Reinhold and Kant: namely, that both are guilty of inferring actual existence from simple necessity of thinking. The fact that we must think of something – our own “faculty of representation”, for example – in a certain way is not, he insists, evidence that it actually exists at all or that it exists in the manner in which we must think it exists. Here again, our skeptic affirms his loyalty to the traditional correspondence conception of truth and knowledge, according to which we can ascribe truth and reality to our representations only insofar “als sie mit einem gewissen, von ihnen selbst verschiedenen Etwas im Verhältnis und Zusammenhange stehen”. Without a relationship to something outside itself, concludes Schulze, “ist unsre gesamte Erkenntnis nur ein leerer Schein, nur ein bloßes Spiel der Gedanken”, and the entire series of our representations would be only “lauter Fiktionen”, “ein kontinuierliche Traum”, ein leeres Blendwerk, ein Unternehmen, das sich auf Illusion gründet und Illusion beabsichtigt, und jedes System dieser Philosophie nichts weiter, als eine Darstellung von einer gewissen Täuschung, deren der Mensch in Rücksicht eines vermeintlichen Zusammenhangs seiner Vorstellungen mit Etwas objektiv Vorhandenenem nach einer gewissen Anordnung seiner Gedanken fähig ist.28

27 28

Schulze, Aenesidemus, op. cit., p. 223. Ibid., p. 224. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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2. Fichte’s Response to Schulze’s Criticisms in the Aenesidemus Review (1) Fichte displays little patience with Schulze’s first objection. Instead, he simply echoes Reinhold’s own observation (in the Fundament), that though the Satz des Bewusstseins can indeed be said to “stand under” the principle of contradiction in the sense that no philosophical principle is allowed to violate this purely formal principle, the former is not determined by the latter. Schulze, he argues, has simply failed to appreciate the crucial difference between a real or material first principle and a merely formal or logical one or to recognize that a “real philosophy” requires a real first principle.29 (2) Fichte also passes quickly over Schulze’s second objection – namely, that Reinhold has failed to provide an account of the activities of “distinguishing” and “relating” – and simply records his agreement with Schulze on this point.30 But it should be obvious that this is a criticism Fichte took very much to heart; indeed, one can interpret Part One of the Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre in just this manner: that is, as an explicit effort to explain the activities in question in terms of the original positing, counter-positing, and synthesizing activities of the I itself. And even in the Aenesidemus Review Fichte asserts that Reinhold’s inability to provide an adequate account of the subject’s original acts of distinguishing and relating is evidence not of any oversight on his part, but rather of something more significant: namely, that the Satz des Bewusstseins is not, in fact, the highest materially valid principle of philosophy, but must be derived from a still higher one, thus establishing something that was missing from Reinhold’s system: “eine reale Gültigkeit des Satzes der Identität, und der Gegensetzung”.31 (3) Fichte’s response to Schulze’s concerns about the alleged “universality” of the Satz des Bewusstseins and his worries about whether it is an analytic or synthetic proposition is more nuanced than his responses to the preceding objections. Insofar as the principle of consciousness is truly universal and applicable to all states 29 30 31

See Reinhold, Ueber das Fundament des philosophischen Wissens, RGS 4, pp. 84 f. and Fichte, “Rezension Aenesidemus”, GA I/2, pp. 43 f. See ibid., p. 44. Ibid. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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of consciousness, it must be, as Reinhold maintained, “analytic”. And yet representation itself, understood as an act of the I, is an act of synthesis (in which representation, subject, and object are all distinguished from and related to one another). But in order to understand the possibility of such acts one would have to go beyond anything contained in the Elementarphilosophie and provide an account of them as necessarily underlying and making possible any act of representing. But this would mean that the concept of representation is not the highest philosophical concept after all and that the Satz des Bewusstseins is not the supreme first principle of philosophy as a whole.32 Fichte rejects Schulze’s claim that the concept of representation is produced by abstracting from the concepts of the various species of representation but agrees that it does presuppose an act of reflective abstraction from all actual (empirical) states of consciousness, thus disagreeing with Reinhold, who explicitly denies that his Principle is obtained by abstracting from actual states of consciousness.33 But if this is the case, if the Principle of Consciousness is really an abstraction based on empirical self-observation, then it appears difficult to avoid Schulze’s skeptical conclusion that this Principle lacks the universality and necessity required of any philosophical Grundsatz. Fichte’s response to this objection is to interpret this same Principle as capable of an a priori derivation from a still higher and utterly non-empirical – though still “real” or material – first principle, one expressing no mere Tatsache or “fact of consciousness”, but rather an original Tathandlung on the part of the I. Such an originary act does not occur in empirical consciousness at all, but must instead logically proceed and make possible all actual consciousness, including that of representations.34 If this deductive strategy is successful, then there simply cannot be any empirical counterexamples to the Satz des Bewusstseins. Fichte also rejects Schulze’s claim that only what has previously been “perceived” (wahrgenommen) can be related to or distinguished from a representation, and he suggests that Reinhold will reject this as well. Referring to that state of consciousness that Schulze describes as not satisfying the conditions stipulated by the 32 33 34

Ibid., pp. 43-45 and 48. Reinhold, Beiträge zur Berichtigung bisheriger Mißverständnisse der Philosophen. Erster Band, op. cit., p. 168. Fichte, “Rezension Aenesidemus”, GA I/2, p. 48. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Satz des Bewusstseins, Fichte maintains that: “Vor aller andern Wahrnehmung vorher kann die Anschauung auf ein, ursprünglich dem Subject entgegengesetztes, Object, das Nicht-Ich, bezogen werden; welches Nicht-Ich überhaupt nicht wahrgenommen, sondern ursprünglich gesetzt wird.”35 Thus, though Fichte agrees with Schulze that the difference between the subject and the object must indeed be in place prior to any representation, this does not occur in empirical consciousness, which is all that concerns Reinhold and which is always governed by the Satz des Bewusstseins. Instead, claims Fichte, “[d]as absolute Subject, das Ich” and “das absolute Object, das Nicht-Ich” are originally posited and opposed to each other purely “intellectually” (“durch intellectuelle gesetzt”)36 and appear in empirical consciousness only if and when a determinate representation is related to and distinguished from them, just as Reinhold had claimed. (4) Fichte appears to agree with Schulze’s objection to Reinhold’s claim that in order for the subject to distinguish the representation from both the subject and the object and relate it to both the representation itself must contain two distinct components, one by which it is related to and distinguished from the subject and another by which it is related to and distinguished from the object.37 He also endorses Schulze’s criticism of Reinhold’s rather arbitrary and ungrounded claim that the “form” of the representation is “produced” by the subject and the “content” of the same is “given” by the object.38 He also agrees with Schulze that it is the entire representation that is referred by the subject to both itself and the object, first as a property of the subject and then as a sign of the object, though Fichte suggests it might be more accurate to say that the representation is related to the object as an effect to a cause.39 (This suggestion by Schulze clearly anticipates and very likely inspired Fichte’s own, quite un-Kantian derivation of the categories of substance and attribute and cause and effect in Part Two of the Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre.) (5) In the Aenesidemus Review Fichte maintains a discrete silence concerning Schulze’s objection to Reinhold’s account of 35 36 37 38 39

Ibid., p. 47. Ibid., p. 48. Ibid., p. 58. Ibid., pp. 58 f. Ibid., pp. 59 f. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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self-consciousness as a “besondere” kind of consciousness to which the Principle of Consciousness nevertheless applies. Yet the account of empirical self-consciousness developed by Fichte just a few months later bears remarkable similarities to Reinhold’s. The big difference is that this theory of intentional or object-directed consciousness (including empirical self-consciousness) is preceded by and grounded upon a new and purely transcendental account of the original and absolute “self-positing” of the absolute I. This insight, namely, “that the proposition ‘I am’ expresses an utterly different kind of being than any existential proposition or state of affairs” (an insight that has been aptly described by Eckart Förster as “unprecedented in the history of philosophy”40) is first announced in the Aenesidemus Review, with the declaration that the I must possess a (non-empirical) relationship to itself that is not the result of any prior self-ascription of a representation. Such “pure” self-consciousness does not possess the structure prescribed by the Satz des Bewusstseins. It is not given through empirical intuition but is posited in intellectual intuition.41 (6) If Fichte displays a certain respect for some of Schulze’s criticisms of Reinhold’s Satz des Bewusstseins, he maintains no such scruples when it comes to Schulze’s remarks concerning the thing in itself and the proper place of such a concept in any philosophical account of knowledge and reality. In Fichte’s view, there simply can be no question in philosophy of assigning any explanatory role whatsoever to the thing in itself, either as the unrepresentable “cause” of the content of our representations or as the transcendent cause of the form of the same. Nor does Fichte have any difficulty defending Reinhold’s account of the faculty of representation against Schulze’s crude causal and empiricist interpretation and criticizing him for his utter failure to appreciate the difference between a cause of X and a “logical” (that is, “transcendental”) condition for the possibility of X, a difference corresponding to the difference between the “real” and the “logical” employ-

40 41

Förster, The Twenty-Five Years of Philosophy, op. cit., p. 163. See Fichte, “Rezension Aenesidemus”, GA I/2, p. 48 and Förster, The TwentyFive Years of Philosophy, op. cit., p. 162. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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ment of the Satz des Grundes.42 Here, anyway, the charge of “dogmatism” seems hard to escape.43 Not content to limit himself to pointing out Schulze’s errors and problematic assumptions, Fichte then takes a further bold step of his own. In response to the skeptic’s questions concerning the “objective existence” of the faculty of representation, he declares that “Das V.V. [Vorstellungvermögen] existirt für das V.V. und durch das V.V.; dies ist der nothwendige Zirkel, in welchem jeder endliche, und das heißt, jeder uns denkbare, Verstand eingeschlossen ist. Wer über diesen Zirkel hinaus will, versteht sich selbst nicht, und weiß nicht, was er will”.44 Schulze’s basic error is to treat the mind as a thing, as something with an existence an sich without at the same being für sich. Several times in the Aenesidemus Review Fichte calls attention to precisely this point: the faculty of representation (that is, the intellect) exists only for itself; the I exists only for the I.45 Fichte’s dudgeon only grew as he considered Schulze’s hypothesis that our representations might be the product of external things in themselves (even if we might never be able to know that this is the case) and that there might even be some sort of preestablished harmony between the series of our own representations and the objective properties of things in themselves.46 The lesson Fichte drew from this unfortunate hypothesis was this: it is not sufficient simply to deny the possibility of knowing or representing things in themselves. What has to be denied by any consistent transcendental philosophy is the very intelligibility of the concept of a thing in itself, understood as a possible “external” cause of the affections of the I. What philosophy has to do is to demonstrate that no “transition” from the external world to the mind is required, 42

43 44

45

46

As Fichte points out, however, when one is dealing with something that exists only in thought, then the real and logical grounds are one and the same. See Fichte, “Rezension Aenesidemus”, GA I/2, pp. 53 and 57. See ibid., pp. 49-51. Ibid., p. 51. A bit later Fichte makes precisely the same point about the “absolute Existenz, und Autonomie des Ichs”: “Das Ich ist, was es ist, und weil es ist, für das Ich” (ibid., p. 57). This is a momentous step; for, as Dieter Henrich has observed, “in this formula – the faculty of representation exists only for the faculty of representation – Fichte’s creativity consists in pointing out a basic fact that philosophers before him had overlooked. Even Kant had not focused on this original self-reference of the mind” (Henrich, Between Kant and Hegel, op. cit., p. 172). See Schulze, Aenesidemus, op. cit., pp. 144-146 and 151. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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since everything present within consciousness can be fully explained on the basis of consciousness alone.47 Using language strongly reminiscent of the language Schulze himself had used to characterize any philosophy that attempts to explain human knowledge without reference to the thing in itself, Fichte praises the Critical philosophy for refusing even to hold open the possibility of ever escaping from the circle of consciousness and hence from the boundaries of the human mind. But in order to be able to establish this point, he argued, one must first demonstrate unequivocally and much more forcefully than either Kant or Reinhold “daß der Gedanke von einem Dinge, das an sich, und unabhängig von irgend einem Vorstellungsvermögen, Existenz, und gewisse Beschaffenheiten haben soll, eine Grille, ein Traum, ein Nicht-Gedanke ist”.48 Not only is it, pace Schulze, not the case that “es ist uns durch die Einrichtung unsers Wesens beigebracht und eingepflanzt worden”49 that we must always refer our knowledge to a thing in itself existing independently of the same, thunders Fichte; “es ist ihr vielmehr geradezu unmöglich”.50 (7) Closely related to Fichte’s objections to Schulze’s reckless hypothesizing about the Ding an sich is his response to the latter’s criticism of Reinhold for inferring existence from necessity of thinking. Once again, Fichte’s strategy for responding to Schulze’s criticism of this inference may well have been inadvertently suggested by Schulze himself: namely, by his dismissal of any purely immanent interpretation of the Elementarphilosophie, one that would dispense entirely with any reference to the Ding an sich and base all of its claims regarding the actuality and existence of the objects of representation (and of our faculty of the same) upon nothing more than the necessity of thinking these in a certain way. Regarding such a possibility, Schulze observes, quite correctly, 47

48 49 50

“Aber die Frage ist ja eben von einem Uebergang von dem äußern zum innern, oder umgekehrt. Es ist ja eben das Geschäft der kritischen Philosophie, zu zeigen, daß wir eines Ueberganges nicht bedürfen; das alles was in unserm Gemüthe vorkommt, aus ihm selbst vollständig zu erklären, und zu begreifen ist. Es ist ihr nicht eingefallen, eine Frage zu beantworten, die, nach ihr, der Vernunft widerspricht. Sie zeigt uns den Zirkel, über den wir nich hinausschreiten können, innerhalb desselben aber verschafft sie den innigsten Zusammenhang in unsrer ganzen Erkenntniß” (Fichte, “Rezension Aenesidemus”, GA I/2, p. 55). Ibid., p. 57. Schulze, Aenesidemus, op. cit., p. 223. Fichte, “Rezension Aenesidemus”, GA I/2, p. 61 (emphasis added). Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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that if this is really what Reinhold is proposing, then “Herr Reinhold […] bahnt sich in der Elementar-Philosophie einen ganz neuen Weg, um die Probleme der spekulativen Vernunft aufzulösen”.51 Such a philosophy, argues Schulze, could not even broach the question of what is “really” present outside the mind and its representations, but would confine itself instead to investigating “wie wir uns die Beschaffenheit unserer Kenntnisse zu denken haben” and would, writes Schulze disparagingly, confess that we can never hope to escape from “die Grenzen […], welche wir dem Vorstellungsvermögen in unsern Gedanken beilegen müssen”. To Schulze, of course, such a philosophy would seem to have much in common with his own skepticism, since “daß wir uns nämlich manches nur so oder so denken können und denken müssen, das hat der Skeptizismus nie geleugnet”.52 The difference is that the skeptic nevertheless continues to insist that the interests of speculative reason and thus of any true philosophy can be satisfied only if one can demonstrate the correspondence between these necessary representations and “ein Etwas außer uns”.53 It seems obvious that Fichte was powerfully affected by precisely these passages in Aenesidemus and that he resolved to respond to the skeptic’s challenge by explicitly endorsing the similarities between skepticism and transcendental philosophy on this point and enthusiastically affirming the very limitations that Schulze had pointed to as evidence of the failure of the Elementary Philosophy. Instead of trying to accomplish an impossible task, declared Fichte, philosophy should confine itself to the very realm limned by Schulze. It should recognize that it is confined within the circle constituted by the structure of consciousness and confine itself to exploring and mapping this very structure. That this was in fact Fichte’s response to Schulze’s worries is obvious from a well-known (if controversial54) passage in the 51 52 53 54

Schulze, Aenesidemus, op. cit., p. 199. Ibid., p. 200. Ibid., p. 201. See the marginal note, GA II/3, pp. 23 f. This passage is controversial because it appears that Fichte mistakenly refers to “Maimon” at the beginning of this passage, when it seems clear from the associated passages that he is in fact referring to “Aenesidemus”. Though most scholars, including the editors of GA treat this as a simple error, Paul Franks argues that Fichte does indeed mean to refer to both of these skeptical thinkers in this passage, since Maimon makes a similar, albeit “more sophisticated” objection to the Elementarphilosphie (Franks, All or Nothing, op. cit., p. 250). Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Eigne Meditationen, in which Fichte responds as follows to Schulze’s criticism of Reinhold for inferring from the necessity of thinking the acts of our mind in a certain way the reality of the same: Ich kann keinen Saz meiner ElementarPhilosphie einem andern beweisen; wenn er nicht meine ElementarPhilosophie bis zu Ende untersucht hat, u. mit den Resultaten derselben einig ist: Ich kann sie nur aus ihr selbst beweisen. – Elementarphilosophie bewahrheitet sich selbst; aus ihrer Uebereinstimmung mit sich selbst: wenn der Weg, den ich wirklich gegangen bin, aus Begriffen sich darthun läßt, und der, welcher aus Begriffen sich darthun läßt, gegangen worden ist, so ist sie in sich selbst wahr. Sie hat in[n]ere Wahrheit. Eine äußere findet in ihr nicht Statt; ja diese findet überhaupt nicht Statt.55

As Günther Baum has pointed out, Schulze’s criticism of the Elementarphilosphie for lacking “reality” anticipates Jacobi’s later charge of “nihilism” against the Wissenschaftslehre.56 And Fichte’s response to that charge is anticipated over and over again in his Jena writings, in passages, such as the following from the first “Einleitung” of 1797, where he seems to be addressing himself explicitly to Schulze’s concerns: Es kommt sonach dem Innhalte der Philosophie keine andere Realität zu, als die des nothwendigen Denkens, unter der Bedingung, daß man über den Grund der Erfahrung etwas denken wolle. Die Intelligenz läßt sich nur als thätig denken, und sie läßt sich nur als auf diese bestimmte Weise thätig denken; behauptet die Philosophie. Diese Realität is ihr völlig hinreichend, denn es geht aus der Philosophie hervor, daß es überhaupt keine andere Realität gibt.57

55 56 57

Fichte, Eigne Meditationen über ElementarPhilosophie, GA II/3, p. 24. See Baum, “Aenesidemus oder der Satz vom Grunde”, op. cit., pp. 224 f. Fichte, Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre, GA I/4, pp. 207 f. See too Fichte’s remarks in the Grundlage der gesammeten Wissenschaftslehre concerning his philosophy as the “System eines reellen Denkens” (GA I/2, p. 363), in the Grundlage des Naturrechts regarding the inseparability of concept and object in any “reelle Philosopie” (GA I/3, p. 317), and in the System der Sittenlehre concerning the intimate relationship between “necessary thinking” and “reality” (GA I/4, p. 36). Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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3. Four Controversial Issues There is widespread agreement among more recent scholars on several points central to the “standard story” regarding the Reinhold/Schulze/Fichte thematic: e. g., that Fichte sincerely admired Reinhold’s project of systematizing the Kantian philosophy and accepted his contention that the way to do this is to start with a single, self-evident first principle, one that cannot be proven from any higher principle but from which all the other propositions of the system could somehow be “derived”. Everyone also agrees that Schulze was largely instrumental in convincing Fichte once and for all (even if he may have previously harbored private doubts on this score) that this project had not been successfully accomplished by Reinhold, whose first principle, the Satz des Bewusstseins, is riddled with ambiguities and problems. What is required, concluded Fichte, is a new first principle of philosophy as a whole, from which Reinhold’s Principle can be derived a priori as the first principle of theoretical philosophy. This new principle will express no fact of consciousness, but only the underlying activity of the I itself, without which representational consciousness would be impossible. Recent interpreters are also in general agreement that Schulze’s critique of the Elementarphilosophie is, as Fichte claimed, largely based upon undefended “dogmatic” presuppositions concerning truth, knowledge, and reality and betrays a “crude empirical interpretation of the theory of representations”.58 Schulze, it is agreed, all too often confuses empirical, psychological questions with genuinely transcendental ones and provides, in the words of Richard Finchman a “total misinterpretation of the central tenets of transcendental idealism”.59 Nevertheless, several other issues remain in dispute, including the following: (1) What is “Reinholdian Representationalism” and who endorses it? In his 1990 monograph, Fichte’s Theory of Subjectivity, Frederick Neuhouser duly notes Fichte’s claim, in the Aenesidemus Review, that representation cannot be the most general philosophical concept, but he also notes that Fichte’s review contains very 58 59

Beiser, The Fate of Reason, op. cit., p. 277. Finchman, “The Impact of Aenesidemus upon Fichte and Schopenhauer”, op. cit., p. 98. See too Pippin, “Fichte’s Alleged Subjective, Psychological, One Sided Idealism”, op. cit., p. 150. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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little by way of actual argument for this thesis. This, he says, is because the “missing argument” was already provided by Schulze: namely, that the Principle of Consciousness requires that the representation be related to and distinguished from both the subject and the object, which implies that both subject and object must somehow be present in consciousness prior to the application of the Principle of the same.60 It follows that not all states of consciousness display the structure described by the Satz des Bewusstseins, which clearly violates the strictures of what Wayne Martin, in his 1997 book, Idealism and Objectivity: Understanding Fichte’s Jena Project, calls “Reinholdian Representationalism” or the thesis that all states of consciousness are representations.61 As Martin observes, this commitment underlies Reinhold’s denial of the possibility of representing objects as things in themselves, since whatever is “represented” is always related to and distinguished from its representation and from the representing subject and hence can never be represented as an independent Ding an sich.62 According to both Neuhouser and Martin, it was Schulze’s attack upon Reinholdian Representationalism that led Fichte to reject this doctrine and to affirm that “the self-consciousness involved in representational consciousness cannot itself be another species of representation”.63 Ironically enough, it was this skeptical critic of the Critical philosophy who forced Fichte to rediscover for himself “a truly Kantian position” and to recognize that self-consciousness, qua “pure apperception”, has a structure fundamentally different than that of all object consciousness.64 But whereas Schulze, true to his Humean preconceptions, identified the non-representational components of consciousness as empirical “perceptions” or “intuitions” that are not bound by the Principle of Consciousness, Fichte identified them with the underlying activities of the I. Thus, according to Neuhouser and Martin, the most significant impact of Aenesidemus upon Fichte was to lead him to reject the thesis that Vorstellen is the highest concept for all the acts of the human mind, since this presupposes that one already has some kind of 60 61 62

63 64

Neuhouser, Fichte’s Theory of Subjectivity, op. cit., p. 71. Martin, Idealism and Objectivity, op. cit., pp. 88 ff. Ibid., p. 159, note 12. This constitutes what Karl Ameriks describes – and severely criticizes – as Reinhold’s “short argument” for idealism (Ameriks, Kant and the Fate of Autonomy, op. cit., pp. 125-36). Neuhouser, Fichte’s Theory of Subjectivity, op. cit., p. 72. Ibid. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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access to the concepts of subject and object, which points toward a still deeper grasp of the I as originally positing both itself and its object – schlechthin.65 A striking feature of the Satz des Bewusstseins is what Henrich has called the “systematic ambiguity” of the same. This principle claims that it is the representing subject who actively relates the representation to the subject and to the object and distinguishes it from both. But it is not at all clear which has primacy here: the relating and distinguishing activity of the subject or the entire complex structure of relations described by the Principle of Consciousness, and Henrich concludes that this ambiguity cannot be eliminated in a manner that preserves both the universal structure of the Satz des Bewusstseins and the active role of the subject.66 And he too criticizes Reinholdian Representationalism on the grounds that the representation must be present in consciousness before it can be related to or distinguished from the subject and object by the active subject, which seems to imply that there are not one but two original facts of consciousness: the fact of representation and the fact of the active subject. Yet Reinhold maintains that there is no actual representation at all unless it is actively related to and distinguished from both the subject and the object.67 Henrich finds all of this deeply confusing, but, as we shall see, part of this confusion comes from his failure to take note of Reinhold’s distinction between “wirkliche” and “bloße” Vorstellungen. Though Frederick Beiser joins in the chorus of criticism of Reinhold’s efforts to interpret the content of representations as somehow mirroring or being caused by things in themselves, he recognizes that Reinhold also possesses another and more defensi65

66 67

As Martin observes, the very act of “representing” something in the manner described by Reinhold presupposes that one already has at one’s disposal some conception of the difference between the subjective and objective domains as such, and this acquaintance must precede representational consciousness. “Accordingly, we must attribute to any representing subject a set of cognitive ‘acts’ that are not themselves representational” (Martin, Idealism and Objectivity, op. cit., p. 92). In other words, representation presupposes a schema of the subjectobject opposition, that I must generate for myself. This schema cannot be drawn from experience, since it is a condition for the possibility of the same. Thus philosophy must begin not with the Principle of Consciousness but with an investigation of these non-representational acts of positing and counterpositing that make representation possible. See Henrich, Between Kant and Hegel, op. cit., pp. 133-35. Ibid. p. 134. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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ble way of distinguishing what is proper to the object of a representation from what is proper to its subject: namely, by noting that we possess a “mere” or bloße Vorstellung of the forms of spontaneity and receptivity, and this allows us to distinguish what pertains to the subject from what pertains to the object.68 Thus Beiser offers an ingenious explanation – against Schulze – of how the Elementarphilosophie can include a doctrine of “objective content” without making any illicit appeal to things in themselves. But Beiser stands virtually alone in his willingness to provide this sort of charitable and genuinely transcendental interpretation of the Elementarphilosophie, toward which the majority of commentators continue to display a rather condescending attitude. Yet even Beiser has to concede that this strategy violates the basic premise of Reinholdian representationalism, inasmuch as consciousness of the “pure” or “mere” representations in question does not display the characteristic features of representation as such and is not subject to the Principle of Consciousness.69 But perhaps Reinhold is not in fact committed to the claim that all states of consciousness must be “representational” in any sense? This is thesis of Paul Franks, who, in his brilliant book of 2005, All or Nothing, argues that Reinhold recognizes a pre-representational consciousness of both the subject and the object to which the representation is related and from which it is distinguished, along with the acts of relating and distinguishing. None of these, says Reinhold in the Versuch (but, significantly, not in the Beiträge) are, properly speaking, “representations” at all, yet they are nevertheless contained “in consciousness”.70 Thus, on Franks’ reading, even Reinhold himself is not a thoroughgoing Reinholdian Representa68

69 70

Beiser, The Fate of Reason, op. cit., p. 261. Beiser also defends the Principle of Consciousness against Schulze’s (and Fichte’s) criticisms by interpreting the activities of relating and distinguishing not as actually or even possibly occurring activities of the subject, but simply as “possible events, so that they must be able to occur for the possibility of consciousness, much like Kant’s ‘I think’ must be able to accompany any representation. It is”, concludes Beiser, “not an empirical but a logical necessity that the subject must be able to perform these activities”. So construed, the Satz des Bewusstseins is simply Reinhold’s “attempt to develop or explicate Kant’s principle of the unity of apperception”, and it is, as such, quite immune to many of Schulze’s criticisms (ibid., p. 254). Ibid., p. 262. See Franks, All or Nothing, op. cit., pp. 221 and 224 and Reinhold, Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens, op. cit., pp. 223 f. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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tionalist, and, ironically enough, it is Schulze who insists that these “immediate perceptions” are representations after all, at least according to “der gewöhnliche Sprachgebrauch”, even though they do not satisfy the conditions spelled out in the Satz des Bewusstseins.71 This same interpretative strategy is picked up and further developed by James Messina, in a seminal 2011 article, “Answering Aenesidemus”, Messina too insists that the “widely accepted story” about Schulze’s role in convincing Fichte to reject “representationalism” is quite wrong. It is wrong because it ignores important features of the Elementary Philosophy, including the important distinctions between “actual” and “mere”, “immediate” and “mediate”, and “distinct” and “indistinct” representation, as well as the distinction between the “essential” and “extrinsic” features of the same. And it is wrong because it overlooks the profound differences between Schulze’s and Fichte’s views of consciousness, selfconsciousness, and representations, as well as the striking similarities between Fichte’s views and Reinhold’s. An actual representation, according to Reinhold, is one that is actually distinguished in consciousness by the subject from both the object and the subject and related to both.72 In contrast, a “mere” or bloße representation is one that is not but can be related in consciousness to both object and subject and distinguished from both.73 Messina glosses this as follows: [Actual] Representation and mere representation are not so much different entities as different ways of conceiving of a single component of consciousness. According to the first we conceive of representation relationally, as something that is distinguished from and related to the subject and object. According to the second way, we conceive of it as something endowed with intrinsic features that enable it to stand in the appropriate relation with subject and object.74

71 72 73 74

See Schulze, Aenesidemus, op. cit., pp. 86 f. Reinhold, Beiträge zur Berichtigung bisheriger Mißverständnisse der Philosophen. Erster Band, op. cit., p. 167. See ibid., p. 173. Messina, “Answering Aenesidemus”, op. cit., pp. 346 f. (emphasis added). As Messina notes, Schulze employs a very similar argument to show that the subject and object must be “perceived” (Wahrgenommen) and be present in consciousness before they can be related to or distinguished from a representation. Though Schulze is content to describe such “perceptions” of what he (following Reinhold’s distinction between actual and mere representations) calls “das Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Thus, in order for a representation to be related to subject and object it must already be present in consciousness as a mere representation, and it must occur there immediately (whereas both subject and object are present only mediately, through their relation to the representation).75 As the “science of mere representation”, the Elementarphilosophie strives to determine those inner or essential features of any bloße Vorstellung (viz., its form and content), by virtue of which it can be related to and distinguished from the subject and object. In contrast, the subject and object can be described as external or extrinsic features of a representation. And this, argues Messina, allows us to understand subject and object in two very different ways: first, insofar as they can be related to a mere representation (in which case the subject is thought of as what represents and the object as what is represented), and second, insofar as they can be distinguished from a mere representation (in which case the subject is thought of as subject in itself and the object as an object in itself – even though we cannot of course claim to know anything about or even to be able to represent either of these as it is “in itself”).76 Thus all our conscious states are representations and display the same complex structure with which we are now familiar. And since the subject can represent something only if it is conscious of it, there can be no unconscious representations. To be sure, Reinhold does maintain that I possess a clear and distinct consciousness of something only when that consciousness is accompanied by explicit self-consciousness (i. e., when I am not simply aware of an object but also am aware that I am aware of this object). This, however, is not always or perhaps even usually the case, since it requires what Reinhold calls a “special” act of consciousness in which the subject takes itself as its intentional object, in which case it must, once again, distinguish itself as the conscious subject from

75

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bloße Subjekt” and “das bloße Objekt” as “representations”, he denies that they satisfy the Principle of Consciousness; hence he might be described as a “NonReinholdian Representationalist”. “Die bloße Vorstellung ist daher dasjenige, was unmittelbar im Bewußtsein vorkömmt, während Objekt und Subjekt nur mittelbar und durch die bloße Vorstellung […] im Bewußstein vorkommen, und nur durch dieses Unterscheiden als etwas von der bloßen Vorstellung Verschiedenes gedacht werden können” (Reinhold, Beiträge zur Berichtigung bisheriger Mißverständnisse der Philosophen. Erster Band, op. cit., p. 174). See Messina, “Answering Aenesidemus”, op. cit., pp. 346-348. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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itself as the object of consciousness.77 Thus much of objective consciousness is, in this sense, “indistinct”. In opposition to the claim by Franks and others that Reinhold recognizes nonrepresentational states of consciousness, Messina insists that the difference in question is only a difference between “immediate” and “mediate” and “distinct” and “indistinct” states of representational consciousness. Though it is often claimed that Fichte, under the influence of Aenesidemus, rejects Reinholdian Representationalism out of hand, Messina demonstrates that this is a half-truth at best. To be sure, Fichte does appeal to original acts of the I that precede representational consciousness and make it possible, but he also denies that such acts can ever occur in consciousness. Thus Fichte explicitly rejects Schulze’s claim that we possess non-Reinholdian but empirical “representations” or “perceptions” of subject and object, to which our representations of objects are related and from which they are distinguished. It is precisely in opposition to this claim by Schulze that Fichte declares that “das ursprüngliche Object wird überhaupt nicht wahrgenommen, und kann nicht wahrgenommen werden. Vor aller andern Wahrnehmung vorher also kann die Anschauung auf ein, ursprünglich dem Subjecte entgegengesetztes, Object, das Nicht-Ich, bezogen werden; welches Nicht-Ich überhaupt nicht wahrgenommen, sondern ursprünglich gesetzt wird”.78 (2) Does Schulze employ a “regress argument” against Reinhold? According to Martin and Neuhouser, Schulze’s critique of Reinholdian Representationalism involves what Martin calls “a regress argument of sorts” against the latter: all of our mental states cannot be representations, because if the subject were also a representation then it too would fall under the Principle of Consciousness and therefore have to be related, in turn, to another subject and object. And thus “an account of even the simplest state of consciousness would require the assumption of an infinite number of subjects and an infinite number of acts of relating between subject and representation”.79 Consequently, concluded Fichte (on this interpretation), there must be another kind of consciousness, another type of immediate and active self-awareness, which underlies 77 78 79

See Reinhold, Beiträge zur Berichtigung bisheriger Mißverständnisse der Philosophen. Erster Band, op. cit., p. 197. Fichte, “Rezension Aenesidemus”, GA I/2, p. 47. Neuhouser, Fichte’s Theory of Subjectivity, op. cit., pp. 71 f. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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and makes possible representational consciousness. This, writes Neuhouser, is an “argument directed explicitly against Schulze’s critique of Reinhold”, which points out the intimate connection between the problem of an infinite regress raised by Schulze and Fichte’s theory of the selfpositing subject. More specifically, it makes clear that Fichte coins the term ‘positing’ as a direct response to Schulze and that he does so in order to distinguish the subject’s nonrepresentational awareness of itself from “empirical” (i. e., objective, or representational) consciousness.80

Fichte, of course, does employ precisely such a regress argument, but not until 1798 in the published Chapter I of his Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre and earlier in his lectures on Wissenschaftslehre nova methodo. Neuhouser professes to find traces of a similar argument in Aenesidemus, though he offers no textual evidence for this claim and instead simply imports arguments from Fichte’s later writings. In contrast, Martin does offer what he takes as textual evidence in support of imputing such a regress argument to Schulze: namely, the passage in which Aenesidemus says that “das Gewahrnehmen des Objektes, auf welches die Vorstellung im Bewußtsein bezogen, und von dem sie unterschieden wird, besteht nun aber nicht wieder in einem Bezogenwerden eines Etwas durch das Subjekt auf ein Objekt und Subjekt, und in einem Unterschiedenwerden desselben von beiden”.81 Yet the scholar most responsible for calling attention to Fichte’s regressive argument against reflective models of consciousness – Dieter Henrich – finds no evidence of such an argument in Fichte’s writings prior to the Wissenschaftslehre nova methodo and he attributes no such argument to Schulze.82 But by far the loudest objections to attributing such an argument to Schulze have come from Paul Franks and James Messina. Franks flatly denies that Schulze uses any kind of regress argument against Reinhold and dismisses Neuhouser’s and Martin’s account of the same as “false in almost every detail”.83 Why would Schulze even need such argument?, asks Franks, since he believes 80 81 82 83

Ibid, p. 75. Schulze, Aenesidemus, op. cit., p. 88 (emphasis added); see Martin, Idealism and Objectivity, op. cit., p. 89. See Henrich, Between Kant and Hegel, op. cit., pp. 140-144. Franks, All or Nothing, op. cit., p. 221. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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he can refute the alleged universality of the Satz des Bewusstseins simply by adducing numerous empirical counter-examples to the same. As for the passage from Aenesidemus to which Martin appeals, Franks denies that this in any way implies that Schulze is employing a regress argument against Reinhold; instead, “he may be objecting to the Principle on the realist ground that, if there genuinely is an object to distinguish from one’s representation, then one’s consciousness of that object must ultimately be grounded in an immediate perception”. In this case, the meaning of “once again” would simply be that for the realist it cannot be a matter of “consciousness all the way down”. Franks even suggests that in describing Anschauung as a state in which there is no distinction between intuition and object84, Schulze himself sounds very much like a direct realist such as Jacobi. This objection can be recast in the form of a regress argument, which is just what Fichte himself did in his Versuch, but Franks sees no reason to conclude that this is an argument he picked up from Schulze. Thus, as Franks interprets this same passage, the real question for Schulze is the Humean conflict between skepticism and everyday realism, and the real charge is that Reinhold begs the question against both.85 Franks’ interpretation appears to be supported by the actual conclusion that Schulze draws from his criticism of the Principle of Consciousness. He does not conclude that there must be pre-representational mental states (which is what Fichte later concludes from his regress argument). Far from being concerned to discover a foundational principle that could avoid infinite regress, Schulze’s argument concerns the universality of the Principle of Consciousness.86 Like Franks, Messina flatly denies that Schulze deploys a regress argument against Reinhold, but he is at pains to distinguish his reasons for rejecting this familiar account from Franks’. The problem with Franks’ reconstruction of Schulze’s argument, according to Messina, is that there is no reason to think that our Humean skeptic, Aenesidemus, would have countenanced even the possibility of the kind of “direct realism” that Franks treats as a serious alternative to Humean skepticism. Moreover, notes Messina, the kind of argument Franks attributes to Schulze – namely, 84 85 86

See Schulze, Aenesidemus, op. cit., pp. 86-87. Franks, All or Nothing, op. cit., p. 223. Ibid. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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that Reinhold presents us with no way to decide between the competing claims of direct realism and Humean skepticism – is simply not to be found in Aenesidemus, the author of which unquestionably champions skepticism and contends that the only things with which we are in immediate epistemic contact are our own representations. Thus, Messina concludes, quite correctly in my view, that “pace Franks, direct realism is simply off the table for Schulze”.87 Like Franks, Messina finds no evidence in Schulze’s text of a regress argument against the Principle of Consciousness. What he finds instead is the argument described above, an argument designed to show the necessity of presupposing non-Reinholdian representations or “perceptions” of the “mere subject” and “mere object”. This too seems correct. Against Reinhold, Schulze defended the view that we are not always conscious of our representations, since this requires that we represent both the object of which we are conscious and ourselves as conscious subjects, which requires a prior (non-Reinholdian) perception of oneself. Thus, rather than rejecting the reflection model of self-consciousness, Schulze affirms it.88 (3) Does Fichte endorse Schulze’s critique of Reinhold’s account of self-consciousness? According to Manfred Frank, it was Schulze who demonstrated to Fichte that Reinhold’s theory of consciousness was no more than a theory of intentional, objectdirected consciousness, incapable as such of explaining selfconsciousness. And, with this, “Aenesidemus hat der neueren Selbstbewußtseins-Theorie hier erste, bahnbrechende Wege gewiesen”89 and “stellt nicht weniger als den ersten ernsthaften Versuch einer radikal ungegenständlichen Deutung von Selbstbewußtsein dar”.90 It is, however, difficult to reconcile this bold claim with Schulze’s actual critique of Reinhold’s notion of selfconsciousness or with the Aenesidemus Review, in which, as Messina demonstrates, Fichte actually affirms rather than rejects Reinhold’s account of (empirical) self-consciousness.91

87 88 89 90 91

Messina, “Answering Aenesidemus”, op. cit., p. 355. Ibid., p. 362. Frank, “Einleitung”, in: Schulze, Aenesidemus, op. cit., pp. LXXVI-LXXVII. Ibid., p. LXXVI. See Messina, “Answering Aenesidemus”, op. cit., pp. 366-68. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Schulze raises three objections to Reinhold’s account of selfconsciousness, and Fichte rejects them all: He denies Schulze’s claim that Reinhold equates the subject in itself (Fichte’s “absolute subject”) with the subject as represented in empirical selfconsciousness; he denies that there is something odd or even impossible about the “special” intentional act that Reinhold says is required for empirical self-consciousness, in which the I makes itself into its own object, while continuing to distinguish itself, qua representing subject from this same object; and, finally, he rejects Schulze’s suggestion that some form of empirical selfconsciousness is already present, at least obscurely, in every state of Reinholdian consciousness, insofar as the latter always involves a reference of the representation to the subject.92 Like Reinhold, Fichte distinguishes the “absolute subject” or “subject in itself” from the representing subject (or intellect), and he credits Reinhold with recognizing that the former can never be represented in consciousness.93 As Messina points out, this is not incompatible with Fichte’s emerging view of self-consciousness as an intellectual intuition. The latter is an absolute act of selfpositing that, like the Kantian “I think”, must be able to “accompany” every state of consciousness (without actually occurring as such in any), and this is by no means identical to any empirical, representing subject’s consciousness of itself. The latter always involves what Messina aptly describes as a certain “elusiveness”, in which the I is at the same time identified with and distinguished from its object.94 As Fichte expressed this same point a few years later in the Sittenlehre, “nur in wiefern ich mich, das bewußtseyende, von mir, dem Gegendstande dieses Bewußtseyns, unterscheide, bin ich mir meiner bewußt”.95 Reinhold would surely agree – but not Schulze. (4) What is the proper method of transcendental philosophy? It is easy enough to recognize the superficiality of Schulze’s onedimensional empirical interpretations of Kant and Reinhold; yet it is equally important to recognize as well how successful he was in 92 93

94 95

See ibid., p. 367. Fichte, “Rezension Aenesidemus”, GA I/2, p. 48. See Messina, “Answering Aenesidemus”, op. cit., p. 368. Franks also recognizes Fichte’s indebtedness to Reinhold on this point (see Franks, All or Nothing, op. cit., p. 225 f.). Messina, “Answering Aenesidemus”, op. cit., pp 366 and 368. Fichte, Das System der Sittenlehre nach Principien der Wissenschaftslehre, GA I/5, p. 21. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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raising a new and very important question: namely, what is the proper method of transcendental philosophy? What had Kant really done in his Critiques and Reinhold in his Elementary Philosophy? “With the publication of Aenesidemus”, maintains Henrich, “Schulze raised in a new way the question of method in philosophy. [….] A new and better understanding of this method was needed. That Schulze’s criticism was possible – and in some respect plausible, if not compelling – underscored the absence of an adequate understanding of philosophical method, Reinhold’s thematic program notwithstanding.”96 This same point is emphasized by Franks, who laments the neglect of Schulze’s criticism of Reinhold’s method of philosophizing.97 Though it is often assumed that Fichte simply replaced Reinhold’s first principle with another and then constructed his system in the manner envisioned by Reinhold, he was actually impelled by Schulze’s critique not only to find a new first principle of philosophy but to discover as well a new method of constructing the system of the same – a point made previously by Wayne Martin and reiterated by Eckart Förster.98 This, one must agree, is indeed one of the more important and lasting influences of Aenesidemus upon Fichte: it set him resolutely upon a lifelong “search for a method”, beginning with the Eigne Meditationen and continuing until his final days in Berlin. What was required is a new method or tool of inquiry that would allow the philosopher to penetrate beneath the “facts” of consciousness to those “Acts” of the I that provide the foundation for such facts and make consciousness itself possible. Since Schulze, true to his dogmatic preconceptions, could see no alternative to straightforward causal explanation, he rejected the Elementary Philosophy as indefensible, whereas Fichte saw that what was needed was not a rejection of Reinhold’s project nor simply a more encompassing foundation for the same, but a more appropriate method for erecting a system upon this new foundation: namely, the synthetic-genetic method of construction in intuition. As Förster puts it: the effort required to grasp the I as a Tathandlung

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Henrich, Between Kant and Hegel, op. cit., p. 151. Franks, All or Nothing, op. cit., p. 212. See Martin, Idealism and Objectivity, op. cit., pp. 91 f. and Förster, The Twenty-Five Years of Philosophy, op. cit., p. 163. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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or performance would require a similar “performance” on the part of the transcendental philosopher himself.99 Conclusion: A close examination of the recent literature sheds new light on the relationship between Reinhold, Schulze, and Fichte and confirms Messina’s thesis that: While Fichte rejects the specific details of Schulze’s objections, he nevertheless agrees with Schulze about a general point: the subject and object are ontologically and cognitively prior to the states described by Reinhold’s principle of consciousness. However, Fichte seeks to accommodate this insight within the framework of an acceptance of Reinholdian Representationalism. [….] where Fichte moves beyond Reinhold – for instance, with the doctrine of intellectual intuition – he does so with the end of preserving the core tenets of the Elementarphilosophie. His radical advances over Reinhold take place against the background of general acceptance of Reinhold’s basic concepts and results (including the principle of consciousness). The widely accepted story obscures the novelty of Fichte’s thinking – construing, as it does, Fichte’s advances over Reinhold as logical outgrowths of Schulze’s objections. By contrast, on this new account, Fichte emerges as a quite novel and resourceful rehabilitator of Reinhold’s thinking.100

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100

Ibid., p. 164. As early as 1793, in a marginal note to Eigne Mediationen (GA II/3, p. 23 f.), Fichte enumerates several key features of the new philosophical method he was in the process of developing in response to Schulze’s challenge: (1) the proper domain of philosophy is limited to an investigation of the necessary acts of the human mind; (2) such an investigation is wholly dependent upon an intellectual intuition of the pure intellectual forms and acts it describes, and (3) it must proceed by a method of construction grounded in pure intuition and modeled on the method of Euclidean geometry; (4) it is “experimental” in character, as something one must perform for oneself. For a detailed account of this new method, see Breazeale, Daniel, “Fichte’s Genetic Method”, in: The History of the Transcendental Turn, ed. Sebastian Gardener, Oxford, 2015, pp. 74-95. Messina, “Answering Aenesidemus”, op. cit., p. 369. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Wahrnehmung und Anschauung. Über Fichtes Antwort auf Aenesidemus 1. Die Herausforderung durch Aenesidemus-Schulze Die Einwände, die Aenesidemus-Schulze gegen Reinhold erhebt, und Fichtes Reaktionen darauf sind vielfältig. Vor allem attackiert Schulze Reinholds „Satz des Bewußtseins“ – „Im Bewußtsein wird die Vorstellung durch das Subjekt vom Subjekt und Objekt unterschieden und auf beide bezogen.“1 Der Satz sei nicht der höchste Grundsatz, der Satz vom Widerspruch sei ihm noch übergeordnet; der Satz sei unbestimmt, da seine Termini nicht hinreichend expliziert und daher mehrdeutig seien; der Satz sei nicht notwendigerweise allgemeingültig, da er auf einer empirischen Generalisierung beruhe – und er sei tatsächlich falsch, da es Ausnahmen gebe. Ich möchte meinen Ausgangspunkt aber bei einer anderen Kritik Schulzes nehmen, die mir besonders interessant zu sein scheint: die Anwendung der Kritik am Ding an sich auf die Seite des Subjekts. Was das Ding an sich betrifft, so macht Schulze erstens geltend, dass die Kausalkategorie nach Kant nur auf die Erscheinungen legitimerweise anwendbar ist, so dass ein Kausalschluss auf ein Ding an sich hinter den Erscheinungen unzulässig ist. Und selbst wenn man, zweitens, einen solchen Schluss zulässt, bleibt immer noch offen, wie das Ding beschaffen ist, so dass es keine wirkliche Erklärungsleistung erbringen kann. Soweit bewegen wir uns auf einem seit Jacobi gut bekannten Terrain.2 Interessant ist nun aber, dass sich nach Schulze dasselbe Problem auch auf der anderen, der Subjektseite stellt: Die Transzendentalphilosophie, so der Vorwurf, mache einen Kausalschluss von den Vorstellungen auf deren subjektive Ursache, nämlich auf Leistungen und Vermögen des „Gemüts“. Aber wenn der Kausalschluss von der Erscheinung auf de-

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2

Reinhold, Karl Leonhard, Beiträge zur Berichtigung bisheriger Mißverständnisse der Philosophen. Erster Band, das Fundament der Elementarphilosophie betreffend, hg. von Faustino Fabbianelli, Hamburg, 2003, S. 113 [167]. S. Jacobi, Friedrich Heinrich, David Hume über den Glauben oder Idealismus und Realismus, Breslau, 1787. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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ren Ursache illegitim ist, dann trifft dieses Verdikt beide Seiten des Subjekt-Objekt-Gegensatzes.3 Vielleicht könnte man meinen, diese Kritik an der Transzendentalphilosophie missverstehe das transzendentalphilosophische Projekt auf psychologistische Weise; spätestens seit der KantInterpretation von Peter F. Strawson, tatsächlich aber schon seit Maimon und den Marburger Neukantianern, sei dieses Missverständnis aber ausgeräumt.4 Es ist freilich nicht so sicher, ob dieser Einwand berechtigt ist. Denn was ist die Alternative? Wie erreichen wir, ausgehend von den Erscheinungen, deren transzendentale Möglichkeitsbedingungen? Ein naheliegender Gedanke wäre, an ein Implikationsverhältnis zu denken: Die Bezugnahme auf objektive Gegenstände setzt zum Beispiel – Kants Argument zufolge – die Annahme voraus, dass das Gesetz der Kausalität in der Erscheinungswelt herrscht. In der Tat gehen wir so vor, wenn wir transzendentale Argumente entwickeln. Wir schließen von Satz p auf Satz q, der im ersten Satz impliziert ist. Als Rekonstruktion des kantischen Unternehmens stößt man auf diese Weise aber schnell auf Grenzen. Denn erstens kann man sich ganz allgemein die Frage stellen, wie diese Implikationen mental repräsentiert sind, was es also heißt, etwas ‚implizit‘ immer schon vorauszusetzen; vor allem aber können, zweitens, transzendentale Bedingungen nicht in der Form impliziter Überzeugungen mental repräsentiert sein. Denn wenn Kant sich die Frage stellt, wie ein Objektbezug von Überzeugungen allererst zustande kommt, dann kann man zu dessen Erläuterung nicht auf Überzeugungen rekurrieren, die ihrerseits einen Objektbezug bereits voraussetzen: Man würde sich in einen Regress verstricken. Zwar ist klar, dass Transzendentalphilosophie keine Psychologie ist – wäre sie das, so wäre sie ein empirisches Unternehmen –; aber um die Frage nach der spezifischen Gege3

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[Schulze, Gottlob Ernst], Aenesidemus oder über die Fundamente der von dem Herrn Professor Reinhold in Jena gelieferten Elementar-Philosophie. Nebst einer Verteidigung des Skeptizismus gegen die Anmaßungen der Vernunftkritik, hg. v. Manfred Frank, Hamburg, 1996, S. 76-83. Die Kritik ist also nicht, dass der Rekurs auf Vermögen uninformativ, sondern dass er unzulässig ist. Siehe zu dieser Kritik an Reinhold Frank, Manfred, „Unendliche Annäherung“. Die Anfänge der philosophischen Frühromantik, Frankfurt am Main, 1997, S. 275 ff. Siehe Strawson, Peter F., The Bounds of Sense. An Essay on Kant’s Critique of Pure Reason, London, 1966; Cassirer, Ernst, Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der Neueren Zeit, Bd. III, Darmstadt, 1991, S. 86 f. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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benheitsweise der Sphäre der transzendentalen Bedingungen der Erscheinungen kommt die Transzendentalphilosophie nicht herum. Und es ist Schulze, der durch seine Attacke gegen Kant und Reinhold diese Problematik zu Recht auf die Tagesordnung der philosophischen Diskussion gesetzt hat.

2. Fichtes erste Antwort: Vermögen als Erscheinung und Tathandlung Wie reagiert Fichte nun auf diese Kritik? Auf der rhetorischen Oberflächenebene des Textes wird Schulzes Einwand als Naivität abgetan, die aus seiner Unkenntnis der Transzendentalphilosophie resultiere.5 Aber wenn wir von der Rhetorik absehen, dann stellt sich die Frage, wie Fichte den Einwand tatsächlich beantworten kann. Was hat er als Alternative anzubieten? Man kann Fichtes sachliche Reaktion in zwei Schritte aufgliedern: Betrachten wir zunächst seine Antwort auf den Vorwurf, der Rekurs auf subjektive Vermögen zur Beschreibung der transzendentalen Bedingungen sei illegitim. Fichte akzeptiert diese Kritik, wenn auch auf eine sehr eigentümliche Weise. Die Rede von „Vermögen“ spielt nämlich in Fichtes Wissenschaftslehre durchaus eine große Rolle. Aber er betont, dass ein Vermögen für die Theorie bereits etwas Konstituiertes ist, insofern also Teil der Erscheinung (im weitesten Sinn). Besonders deutlich wird diese Strategie in Fichtes Sittenlehre von 1798: „ein Vermögen ist nichts wirckliches, sondern nur dasjenige, was wir der Wirklichkeit vorher denken, um sie in eine Reihe unsers Denkens aufnehmen zu können“6. Und etwas später: Ein Vermögen ist […] nichts weiter, als ein Produkt des bloßen Denkens, um an dasselbe, da das endliche Denken nur discursiv und vermittelnd denken kann, eine nicht ursprünglich gesetzte, sondern erst in der Zeit entstehende, Wirklichkeit anknüpfen zu können. Wer unter dem Begriffe des Vermögens etwas anderes denkt, als ein

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Fichte schreibt in der „Rezension Aenesidemus“, dass Schulze „Reinholden offenbar misversteht, oder misdeutet“ (GA I/2, S. 51), auch Kant habe den ihm von Schulze zugeschriebenen „Unsinn“ (ebd., S. 53) nie vertreten. Fichte, Johann Gottlieb, Das System der Sittenlehre nach den Principien der Wissenschaftslehre, GA I/5, S. 45. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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solches bloßes Mittel der Anknüpfung, der versteht sich selbst nicht.7

Und in genau demselben Sinne heißt es auch schon in Fichtes Aenesidemus-Rezension: Wenn bloß gesagt wird: wir sind genötigt, einen Grund [der Urtheilsformen] aufzusuchen und denselben in unserem Gemüt zu setzen, wie denn nichts weiter gesagt wird; so wird zuvörderst der Satz des Grundes bloß seiner logischen Gültigkeit nach gebraucht. Da aber das dadurch Begründete nur als Gedanke existiert, so sollte man meinen, der logische Grund eines Gedankens sei zugleich der Real-oder Existentialgrund dieses Gedankens.8

In Anlehnung an die oben zitierten Stellen lese ich die Passage so, dass Fichte sagen will, dasjenige, was durch Anwendung der nichtschematisierten Kausalkategorie als Grund gesetzt werde, sei nichts anderes als ein Artefakt dieser Tätigkeit des Voraus-Setzens: Es ist ein bloßer Gedanke und durch die Tätigkeit des Voraussetzens „begründet“.9 Er akzeptiert also die Rede von Vermögen, sie ist für ihn sogar notwendig, er betont aber, dass wir uns dann nicht mehr auf der Ebene der höchsten Prinzipien, dass wir uns also im strengen Sinn nicht mehr im Bereich des rein Transzendentalen befinden. 7

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Ebd., S. 86. Auch in der Wissenschaftslehre nova methodo legt Fichte dar, dass das Vermögen nichts Ursprüngliches, sondern bereits das Ergebnis der Anwendung eines Begriffs auf die Tätigkeit des Ichs ist: „Im vorigen § wurde bemerkt, daß man Thätigkeit nicht sezen könne, ohne ihr Ruhe entgegenzusetzen[,] […]. Man könnte diese Ruhe oder diese Bestimmbarkeit Vermögen nennen […]. Dadurch, daß Thätigkeit begriffen wird[,] wird sie Ruhe. […] In der Anschauung ist die Thätigkeit in ACTION, im Begriff nicht[,] sondern da ist sie bloßes Vermögen“ (GA IV/3, S. 353 f.). Fichte, „Rezension Aenesidemus“, GA I/2, S. 53. Ich interpretiere das „Begründete“ hier nicht als die Urteilsformen, denen ein Grund vorausgesetzt wird, sondern als den Grund, der „begründet“ wird durch eben dieses Setzen und nur als so Gesetztes, als „Gedanke“, existiert. Das passt auch zu der früheren Aussage: „Das V.V. [=Vorstellungsvermögen] existiert für das V.V. und durch das V.V“ (ebd., S. 51). Ich lese diese Stelle also nicht so, dass Fichte lediglich geltend macht, die Anwendung der Kausalkategorie, die aus der Erscheinung herausführt, sei legitim, wenn sie nur „logisch“, also nicht-schematisiert verwendet wird. Ich lese sie auch nicht so, dass behauptet wird, der Grund sei zwar nur ein logischer Idealgrund, aber weil – aufgrund einer idealistischen Prämisse – das Begründete, nämlich die Erscheinung, auch nur etwas Ideales sei, fielen hier Idealgrund und Realgrund zusammen (siehe Frank, „Unendliche Annäherung“, a.a.O., S. 282 f.) Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Aber wenn das so ist, wie ist dann dieser Bereich des rein Transzendentalen zu denken? Das ist nun der zweite Schritt der Fichte’schen Reaktion. Da es sich nicht um den Ort psychologischer Vermögen handeln kann, ist die Vermutung naheliegend, dass es sich um etwas Aktuales, Wirkliches handelt – um ein „esse in mero actu“10, wie Fichte im zweiten Vortrag der Wissenschaftslehre von 1804 sagt. Und so ist es in der Tat: Der Bereich des Transzendentalen ist der Bereich des Vollzugs von Akten des „Setzens“. Aber das löst das von Schulze gestellte Problem nicht. Das Problem war ja nicht der Rekurs auf Vermögen per se, sondern die Legitimität eines Kausalschlusses von der Erscheinung auf die transzendentalen Bedingungen der Erscheinung. Diese Frage stellt sich nun aufs Neue in Bezug auf die Akte des „Setzens“. Werden sie erschlossen? Liegt ein Schluss auf die beste Erklärung vor? Dann träfe auch hier Schulzes Kritik an der Verwendung der Kausalkategorie zu. Wenn sie nicht erschlossen werden, dann müssen sie unmittelbar gegeben sein. Und genau das scheint Fichtes Vorschlag zu sein: Die Setzungsakte sind in einer „intellektuellen Anschauung“11 unmittelbar präsent. Aber an dieser Stelle wird nun eine weitere Kritik Schulzes an Reinhold virulent: Wenn diese Akte unmittelbar präsent sind – sind sie dann nicht bloße „Tatsachen“ des Bewusstseins? Und sind sie dann nicht nur empirische Gegebenheiten des inneren Sinns? In diesem Fall, so Schulze, kann den Aussagen der Transzendentalphilosophie keine notwendige Geltung zukommen12, ganz zu schweigen von den Regressproblemen, die man sich damit einhandelt. Gewiss, an dieser Stelle ist es üblich zu betonen, daß die intellektuelle Anschauung sich nicht auf Tatsachen, sondern auf Tathandlungen bezieht.13 Und in der Tat ist das ein wichtiger Unterschied: Das Bewusstsein, dass ich von meinen Handlungen habe, ist nicht-observational und unterscheidet sich dadurch deutlich von anderen Formen der Anschauung. Ich weiß ohne Beobachtung, was ich gerade tue – ich schreibe einen Text über Fichte. Das ist ein wichtiger Unterschied zur sinnlichen Anschauung, aber der Sachverhalt, von dem ich da auf nicht-observationale Weise 10 11 12 13

Fichte, Die Wissenschaftslehre [II. Vortrag im Jahre 1804.], GA II/8, S. 228. Siehe Fichte, „Rezension Aenesidemus“, GA I/2, S. 48, 57, 65. Siehe Schulze, Aenesidemus, a.a.O., S. 61 f. Siehe Fichte, „Rezension Aenesidemus“, GA I/2, S. 46. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Kenntnis habe, ist nichtsdestoweniger ein empirischer Sachverhalt. Inwiefern könnte uns eine Anschauung – und sei es eine intellektuelle – Zugang zum Bereich des Transzendentalen liefern? Man könnte die Herausforderung Schulzes also genauer so lesen, dass er den Transzendentalphilosophen vor ein Dilemma stellt: Entweder muß er zu einem Kausalschluss greifen, der ihn aus dem Bereich der Erscheinungen herausführt, was aus theorieinternen Gründen illegitim ist. Oder er rekurriert auf innere Erfahrung (oder wie auch immer man sie nennen will) und macht die Transzendentalphilosophie zu einer Psychologie, zu einer Erfahrungsseelenlehre, was sie doch nicht sein soll. Wenn man sich nun genauer ansieht, wie Fichte auf dieses so zugespitzte Problem reagiert, dann hat man den Eindruck, dass er hin und her schwankt zwischen beiden Hörnern des Dilemmas. Bereits in der Aenesidemus-Rezension schreibt Fichte gerade in der Passage, in der er den Anschauungscharakter der transzendentalen Substruktur der Erscheinung betont, es handle sich um eine „nothwendig zu denkende Handlungsweise des Gemüths, um eine Vorstellung hervor zubringen“.14 Das klingt allerdings nach einem Schluss auf die beste Erklärung. Ähnlich ist die Situation in der Wissenschaftslehre nova methodo. Einerseits heißt es in der Einleitung: „Das Prinzip des Idealisten kommt im Bewustsein vor, darum heißt auch seine Philosophie immanent.“15 Kurz zuvor aber schreibt Fichte: „Der Idealist erklärt die Vorstellung aus einem vorauszusetzenden Vorstellenden. Dieß ist auch nicht unmittelbar Objekt des Bewustseins“.16 Im Haupttext der Wissenschaftslehre nova methodo finden wir dasselbe Schwanken. Hier schreibt er einerseits: „Dieß reine Wollen [das hier für das absolute Ich, den transzendentalen Grund der Erscheinung steht – A. S.] soll hier noch nichts anderes bedeuten, als einen Erklärungsgrund des Bewustseins, als eine Hypothese, noch nicht als ein Objekt des Bewustseins“.17 Es sei zunächst lediglich ein Wollen „postulirt worden“18; es handle sich um „eine Idee (eine Hülfslinie), etwas vorauszusetzendes um zu erklären was erklärt werden soll“.19 Andererseits betont er aber auch hier zugleich, das reine Wollen sei in 14 15 16 17 18 19

Ebd., S. 48. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, GA IV/3, S. 335. Ebd., S. 333. Ebd., S. 440. Ebd., S. 439. Ebd., S. 449. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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intellektueller Anschauung gegeben, in einem „bloßen Anschauen meiner selbst als eines bestimmten“.20 Da uns Fichte aber beide Theorieangebote auf engstem Raum macht, ist anzunehmen, dass es sich nicht um ein Versehen handelt, sondern dass Fichte meint, beide Aussagen seien miteinander verträglich.

3. Kants Theorie der reinen Anschauung als Schlüssel Zur Auflösung dieses scheinbaren Widerspruchs möchte ich als Interpretationshypothese vorschlagen, dass Fichte eine Analogie sieht zwischen intellektueller Anschauung und dem, was bei Kant „reine Anschauung“ von Raum und Zeit ist. Denn wenn man sich Kants Theorie von Raum und Zeit ansieht, stellt sich auf den ersten Blick eine ähnliche Verwirrung ein wie die, vor der wir bei unserer Fichte-Lektüre standen. Und wenn wir herausfinden, wie wir bei Kant diese Verwirrung lösen können, können wir diesen Lösungsansatz vielleicht auch auf Fichte anwenden. Kant behauptet in seinem zweiten Aprioritätsbeweis der Transzendentalen Ästhetik: „Man kann sich niemals eine Vorstellung davon machen, daß kein Raum sei, ob man sich gleich wohl denken kann, daß keine Gegenstände darin angetroffen werden“.21 Kant behauptet also, dass ein leerer Raum denkbar ist. Da nun der Raum sowohl eine Form der Anschauung als auch selbst eine Anschauung ist, bedeutet das: Es gibt eine reine Anschauung des leeren Raums – eine reine Anschauung ohne gegenständlichen Inhalt. Entsprechend heißt es kurz zuvor von der „reinen Anschauung“, dass sie „a priori, auch ohne einen wirklichen Gegenstand der Sinne oder Empfindung, als eine bloße Form der Sinnlichkeit im Gemüte stattfindet“.22 An anderer Stelle scheint Kant aber (prima facie) zu behaupten, dass eine solche Anschauung des Raums unmöglich ist; denn „wenn nicht ausgedehnte Wesen wahrgenommen werden, [kann man sich] keinen Raum vorstellen“.23 Gleiches gilt für die Zeit. Einerseits heißt es: „Man kann in Ansehung der Erscheinungen überhaupt die Zeit selbst nicht aufheben, ob man zwar ganz wohl die Erscheinungen aus der Zeit weg20 21 22 23

Ebd., S. 439. KrV A 24/Β 38 f. KrV A 21/Β 35. KrV A 292/Β 349. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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nehmen kann.“24 Eine leere Zeit ist also denkbar; und da Zeit eine reine Anschauung ist, ist eine reine Anschauung ohne Inhalt denkbar. Andererseits aber gilt, daß „die Zeit für sich nicht wahrgenommen werden “25 kann. Aber genau genommen handelt es sich nicht um einen Widerspruch: Kant macht hier eine terminologische Unterscheidung wischen Anschauung auf der einen Seite und Wahrnehmung bzw. Vorstellung auf der anderen Seite. Der leere Raum lässt sich anschauen, er lässt sich aber weder wahrnehmen noch vorstellen.26 Was passiert nun, wenn wir von dem, was wir wahrnehmen (ausgedehnten Gegenständen im Raum, Ereignissen in der Zeit) in Gedanken übergehen zu dem, was wir nicht wahrnehmen, sondern nur anschauen (den Raum, die Zeit)? Wir schließen nicht auf eine verborgene kausale Ursache dessen, was wir wahrnehmen (so wie wir aufgrund seines kausalen Verhaltens darauf schließen, dass Wasser H2O ist). Der Raum selbst ist ja nichts „hinter“ den Erscheinungen; er ist selbst unmittelbar gegeben, wenn er auch kein Gegenstand der Wahrnehmung ist, und er geht als Eigenschaft räumlicher Ausdehnung in den Gegenstand ein, der wahrgenommen wird. In cartesianischer Terminologie könnten wir sagen: Das Verhältnis von Gegenstand und Raum ist ein Verhältnis von Modus und Attribut; der Gegenstand ist sozusagen eine Raumportion. Und sofern der Begriff des Raumes univok ist, ist der bestimmte Raum, den der Gegenstand einnimmt, qualitativ kein anderer Raum als der unendliche Raum, in dem sich der Gegenstand befin24 25

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KrV A 31/B 46. KrV B 225. Die These von der Möglichkeit der reinen Anschauung als leerer Anschauung bestätigt sich auch, wenn Kant am Ende der Transzendentalen Analytik verschiedene Begriffe von „Nichts“ unterscheidet. Eine Form von „Nichts“ ist das sogenannte ens imaginarium, von dem es heißt: „Die bloße Form der Anschauung, ohne Substanz, ist an sich kein Gegenstand, sondern die bloß formale Bedingung desselben (als Erscheinung), wie der reine Raum, die reine Zeit, die zwar Etwas sind, als Formen anzuschauen, aber selbst keine Gegenstände sind, die angeschauet werden, (ens imaginarium)“ (KrV A 291/B 347). In der Tafel der Begriffe des Nichts wird das ens imaginarium bezeichnet als „Leere Anschauung ohne Gegenstand“ (A 292/B 348). Wir können also den reinen Raum anschauen, obwohl er weder Gegenstände enthält noch selbst ein Gegenstand ist. Was wir anschauen, ist zwar etwas (ens), aber kein Objekt, und insofern ein „Nichts“. Kant weicht hier von der Taxonomie der Vorstellungen aus der Kritik der reinen Vernunft (A 320/B 376) ab: Dort ist die Anschauung eine Unterspezies der Gattung „Vorstellung“, sodass eine Anschauung, die keine Vorstellung ist, unmöglich sein müsste. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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det. Deswegen können wir durch Abstraktion vom einen zum anderen übergehen, ohne den Bereich des unmittelbar Gegebenen zu verlassen.

4. Fichtes Analogie Nun sind die intellektuelle Anschauung und die reine Anschauung von Raum und Zeit natürlich nicht dasselbe. Aber meine Hypothese ist, daß die reine Anschauung von Raum und Zeit Fichte eine Analogie liefert für das, was gesucht wird. Wenn diese Analogie zutrifft, dann müssten wir auch hier einen Unterschied finden zwischen dem, was intellektuell angeschaut wird, und dem, was wahrgenommen oder vorgestellt wird. Und auch hier ginge es nicht darum, vom Wahrgenommenen auf eine kausale Ursache zu schließen, sondern auf eine Hintergrundbedingung, die epistemisch unmittelbar gegeben ist, ohne Gegenstand zu sein, von der man aber sagen kann, dass sie in die Eigenschaften dessen, was wahrgenommen wird, eingeht. Und tatsächlich findet sich bei Fichte expressis verbis genau diese kantische Unterscheidung von Anschauung auf der einen Seite und Wahrnehmung bzw. Vorstellung auf der anderen Seite, nämlich an der Stelle, an der Fichte sich mit dem Argument auseinandersetzt, mit dem Schulze nachweisen will, dass Reinhold sich in Widersprüche verstrickt, wenn der Satz des Bewusstseins für alle Vorstellungen gelten soll. Fichte schreibt, Schulze paraphrasierend: Denn wenn, nach Reinholds Definition, nur dasjenige eine Vorstellung ausmache, was durch das Subject vom Objecte und Subjecte unterschieden, und auf beide bezogen werde; wenn aber, nach Aenesidems Voraussetzung, nur dasjenige unterschieden werden könne, was schon wahrgenommen sey: so könne die Anschauung (jene erste Wahrnehmung) keine Vorstellung seyn. Nun aber solle sie, nach R., allerdings eine seyn, mithin u. s. f.27

Das Argument, das Schulze (nach Fichte) vorbringt, lautet also folgendermaßen: (1) Eine Vorstellung liegt nur vor, wenn sie auf Subjekt und Objekt bezogen wird.

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Fichte, „Rezension Aenesidemus“, GA I/2, S. 47. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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(2) Damit eine Vorstellung auf Subjekt und Objekt bezogen werden kann, müssen beide vorher präsent sein. (3) Was präsent ist, muss wahrgenommen werden, d. h. angeschaut werden, d. h. vorgestellt werden. (4) Eine Präsenz, die den Vorstellungen vorausgeht, kann aber selbst keine Vorstellung sein. (5) Daher ist Reinholds Position widersprüchlich. Im Grunde stimmt Fichte der Konklusion des Argumentes zu: Nicht jedes Bewusstsein kann eine Vorstellung sein. Aber anders als Schulze führt er zwischen Wahrnehmung bzw. Vorstellung auf der einen Seite und Anschauung auf der anderen Seite eine Unterscheidung ein. Subjekt und Objekt müssen tatsächlich vor der Wahrnehmung bzw. vor der Vorstellung präsent sein; aber dieses Präsente wird eben weder wahrgenommen noch vorgestellt, sondern angeschaut: Das ursprüngliche Object [und Subject – A. S.] wird überhaupt nicht wahrgenommen, und kann nicht wahrgenommen werden. Vor aller andern Wahrnehmung vorher also kann die Anschauung auf ein, ursprünglich dem Subjecte entgegengesetzes, Object, das NichtIch, bezogen werden; welches Nicht-Ich überhaupt nicht wahrgenommen, sondern ursprünglich gesetzt wird.28

Auf den ersten Blick erscheint dieses Argument Fichtes als ein bloß verbales Manöver. Es ist ja nicht klar, was dadurch gewonnen wird, wenn eine bloß terminologische Unterscheidung eingeführt wird. Aber wenn wir Kants Theorie der reinen Anschauung als Subtext verwenden, dann ergibt dieser Argumentationszug durchaus Sinn. Fichte reagiert auf das von Schulze aufgestellte Dilemma dadurch, dass er auf eine dritte, vernachlässigte Möglichkeit hinweist: Es gibt nicht nur die Alternative, dass der Bereich der transzendentalen Bedingungen entweder kausal erschlossen wird oder direkt wahrgenommen wird, es kann auch sein, dass er – wie der Raum – anschaulich omnipräsent ist als das Medium, durch das hindurch alles andere wahrgenommen wird. Dieses an der reinen Anschauung von Raum und Zeit orientierte Modell wirft auch noch einen Zusatzgewinn für die Interpretation der Fichte’schen Texte ab. Da der Grund der Wahrnehmung selbst nicht als Gegenstand wahrgenommen wird, ist auch plausibel, dass 28

Ebd. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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man eine Unterscheidung machen muss zwischen der Aussage, dass dieser Grund existiert, und der Beschreibung der inneren Verfasstheit dieses Grundes. Es ist eine Sache zu wissen, dass der Raum existiert, eine ganz andere, die Struktur des Raums korrekt zu beschreiben. Ganz analog wäre es eine Sache zu wissen, dass wir über eine intellektuelle Anschauung verfügen – nach Fichte müssen wir dazu nur auf unser Selbstbewusstsein reflektieren –, eine ganz andere Sache zu bestimmen, wie genau sie verfasst ist. Manchmal suggeriert Fichte, dass beides zusammenfällt – etwa in der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre –, aber manchmal scheint er beides auch deutlich zu trennen, etwa in der Wissenschaftslehre nova methodo, in der er ganz zu Beginn in § 1 die intellektuelle Anschauung einführt, und erst in § 13 sie als Gegebenheitsweise des „reinen Willens“ identifiziert. Offenbar setzt der Übergang vom einen zum anderen eine hermeneutische Deutungsarbeit voraus, sodass man auch verstehen kann, wieso die Identifizierung des intellektuell Angeschauten mit dem reinen Willen zunächst für Fichte durchaus hypothetischen Charakter hat. Die Analogie mit der reinen Anschauung des Raumes kann für Fichte auch als Leitfaden dafür dienen, wie diese hermeneutische Deutungsarbeit geleistet werden kann. Die reine Anschauung des Raumes erklärt nämlich für Kant auch, wie mathematische Einsichten zustande kommen. Kants Verständnis der Mathematik, insbesondere der Geometrie, orientiert sich an Euklid. Es ist eine Besonderheit der euklidischen Geometrie, dass sie nicht vollständig axiomatisiert ist; daher sind zum Verständnis der Theoreme anschauliche Konstruktionen nötig, die in ihrem Vollzug modale Intuitionen über die Notwendigkeit und Unmöglichkeit der konstruierten Zusammenhänge abrufen. Der Ursprung dieser modalen Intuitionen kommt, nach Kants Deutung, aus der zugrunde liegenden Raumanschauung, die als Hintergrundbedingung unser modales Verständnis der Konstruktion anleitet. Fichte möchte nun die Methode der Philosophie ganz analog konzipieren. Wie der Geometer Figuren im Medium der reinen Anschauung konstruiert, so muss der Philosoph mentale Tätigkeiten im Medium der intellektuellen Anschauung konstruieren (wobei Fichte die sich daraus ergebenden modalen Intuitionen ebenfalls als „intellektuelle Anschauungen“ bezeichnet, was gelegentlich etwas verwirrend sein kann).29 29

Man könnte diese beiden Formen der intellektuellen Anschauung bei Fichte vergleichen mit der Unterscheidung des Raums der Metaphysiker vom Raum Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Fichte hält interessanterweise diese Analogie für eine Antwort auf Schulze. In den Eignen Meditationen schreibt er: „wie u. in wiefern ist’s möglich den Bestandtheilen unsers Erkenntnißvermögens auf die Spur zu kommen? – Ist in der ElementarPhilosophie nicht das Construiren möglich: nicht möglich eine innere Anschauung zu geben, die den Gedanken erkläre, und beweise[?]. Wenn das geschähe, so wäre Aenesidem widerlegt.“30 Was genau wäre widerlegt? Nach der hier vorgelegten Interpretation das Problem Schulzes, die Transzendentalphilosophie einzuschließen im Dilemma zwischen illegitimer Kausalerklärung und bloß empirisch vorgehender Selbstbeobachtung. An dieser Stelle muß natürlich darauf hingewiesen werden, daß trotz aller Analogien es natürlich auf fundamentale Unterschiede zwischen Kants reiner Anschauung und Fichtes intellektueller Anschauung gibt. Ein Unterschied besteht darin, daß die Raumanschauung für Kant etwas Gegebenes ist (zumindest als ‚Form der Anschauung‘; nicht jedoch als ‚formale Anschauung‘). Der QuasiRaum des Bewußtseins, der durch die intellektuelle Anschauung aufgespannt wird, ist dagegen Produkt einer Tätigkeit, nämlich der Tätigkeit des bereits genannten Sich-Setzens bzw., nach der Terminologie der Wissenschaftslehre nova methodo, Produkt des reinen Willens, der sich selbst zum Zweck seiner selbst macht. Die ‚Teile‘ dieses Quasi-Raums des Bewußtseins wären dann einzelne zweckgerichtete Willensakte, die diese grundlegende Tätigkeit weiter spezifizieren. Die philosophische Konstruktion in diesem Quasi-Raum wäre eine Art re-enactment dieser zweckgerichteten Willensakte unter kontrollierten Laborbedingungen.

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der Geometer bei Kant: „Die Metaphysik muß zeigen, wie man die Vorstellung des Raumes haben, die Geometrie aber lehrt, wie man einen beschreiben, d. i. in der Vorstellung a priori (nicht durch Zeichnung) darstellen könne. In jener wird der Raum, wie er, vor aller Bestimmung desselben, einem gewissen Begriffe vom Objecte gemäß, gegeben ist, betrachtet; in dieser wird einer gemacht. In jener ist er ursprünglich und nur ein (einiger) Raum, in dieser ist er abgeleitet und da giebt es (viel) Räume, von denen aber der Geometer, einstimmig mit dem Metaphysiker, zu Folge der Grundvorstellung des Raumes gestehen muß, daß sie nur als Theile des einigen ursprünglichen Raumes gedacht werden können.“ („Rezension von Eberhards Magazin“, AA XX, S. 419) Fichte, Eigne Meditationen über ElementarPhilosophie, GA II/3, S. 23 f. Es ist wohl nicht ganz glücklich, dass Fichte hier von „Erkenntnisvermögen“ spricht – gegen seine oben dokumentierte Tendenz, den Begriff des Vermögens zu einem bloßen Konstrukt zu machen. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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5. Schluss Ich habe zu Beginn darauf hingewiesen, dass die Entpsychologisierung der Transzendentalphilosophie, wie sie z. B. Strawson vorschlägt, so begrüßenswert sie ist, doch noch keine Antwort liefert auf die Frage nach der Gegebenheitsweise der transzendentalen Bedingungen der Erfahrungen. Gewiss, in transzendentalen Argumenten wird die Annahme eines Sachverhalts, der vom Skeptiker geleugnet wird, dadurch zu rechtfertigen versucht, dass man zeigt, dass diese Annahme die Bedingung der Möglichkeit von etwas ist, das selbst der Skeptiker nicht in Zweifel ziehen wird. Aber wenn es sich um die Möglichkeitsbedingung von Überzeugungen überhaupt handelt, kann diese Annahme nicht selbst die Form einer Überzeugung haben – obwohl es andererseits etwas sein muss, dem das Wahrheitsprädikat zukommen können muss, ansonsten wäre der antiskeptischen Strategie der Boden entzogen. Hier liegt m. E. ein neuralgischer Punkt für transzendentale Argumente in der Nachfolge Kants. Fichtes Idee, die Möglichkeitsbedingungen nach dem Modell der reinen Raumanschauung zu konzipieren, lässt viele Fragen offen, scheint mir aber weitere Überlegungen zu verdienen.

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Skeptizismus und System bei Fichte Auf den ersten Blick stehen sich Skeptizismus und System als zwei konträre, unversöhnbare Positionen gegenüber: Während der Skeptizismus auf der einen Seite die Möglichkeit von Wissen offen lässt oder bestreitet, vertritt das Systemdenken auf der anderen Seite einen maximalen Wissensbegriff. Soll das Verhältnis von Skeptizismus und System untersucht werden, so hat dies aus zwei Richtungen zu geschehen: Zum einen ist zu klären, welche Argumente der Skeptizismus gegen das Systemdenken vorbringt, zum anderen ist zu zeigen, welche Strategien ein System gegen den Skeptizismus entwickeln muss, um sich gegen diesen zu immunisieren. Fichte zufolge fungiert der Skeptizismus in der Evolution der philosophierenden Vernunft als eine Art Unruhestifter: Er zerstört die vermeintliche Sicherheit, in der sich die Philosophie wiegt, indem er die Unzulänglichkeit der bisherigen philosophischen Entwürfe aufzeigt. Fichte versteht so den Skeptizismus im Hinblick auf die Herausbildung von Philosophie als Wissenschaft, und das heißt für Fichte im Anschluss an Reinhold, nicht bloß als Kritik, sondern als System: Wenn es unläugbar ist, daß die philosophirende Vernunft jeden merklichen Fortschritt, den sie von jeher gemacht, den Bemerkungen des Skepticismus über die Unsicherheit ihres jedesmaligen Ruhepunktes verdankt; […] daß selbst bis jetzt die Vernunft ihren großen Zweck, Philosophie als Wissenschaft zu realisiren, noch nicht erreicht haben müsse, so nahe sie ihm etwa auch gekommen sey; so war nichts wünschenswürdiger, als daß der Skepticismus sein Werk krönen, und die forschende Vernunft bis an ihr erhabnes Ziel vortreiben möchte.1

Für Fichte haben die Skeptiker Aenesidemus-Schulze und Maimon so gezeigt, dass die Philosophie auch noch nicht mit Kant und Reinhold den Status einer Wissenschaft beanspruchen kann. Dies könne erst, so der gänzlich unbescheidene Anspruch Fichtes, die eigene Konzeption der Wissenschaftslehre leisten. Der Beitrag möchte nun das Verhältnis von Skeptizismus und System bei Fichte beleuchten. Er folgt dabei einer zentralen Unter1

Fichte, Johann Gottlieb, „Rezension Aenesidemus“, GA I/2, S. 41. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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scheidung Fichtes zwischen einem konstruktiv-destruktiven, kritischen und einem rein destruktiven, systematischen Skeptizismus: Während Fichte zufolge der kritische Skeptizismus den Systemanspruch der Philosophie anerkenne, insofern er als bloßes Korrektiv fungiere, bestreite die zweite Form des systematischen oder dogmatischen Skeptizismus die Möglichkeit eines Systems überhaupt. In einem ersten Schritt gilt es Fichtes Unterscheidung von kritischem und systematischem Skeptizismus herauszuarbeiten. In einem zweiten Schritt soll dann Fichtes Verhältnis zum kritischen Skeptizismus im Fokus stehen, wobei hier das Spannungsverhältnis der Systemkonzeption der frühen Wissenschaftslehre zwischen Reinholds Grundsatzprogramm einerseits und Schulzes Kritik an Reinholds Argumenten andererseits dargestellt werden soll. In einem dritten Schritt soll schließlich Fichtes Umgang mit den Argumenten des radikalen Skeptizismus aufgezeigt werden, wobei zu fragen ist, ob Fichtes Grundsatzkonzeption gegen die hier vorgebrachten Argumente immun ist.

1. Kritizismus, Dogmatismus und Skeptizismus Im dritten Grundsatz der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre (1794/95) expliziert Fichte das Wesen der Kritischen Philosophie. Fichte stellt hier Kritizismus und Dogmatismus als Repräsentanten der beiden einzig möglichen Systemtypen gegenüber. Die Wissenschaftslehre als Kritische Philosophie setze das absolute Ich als schlechthin unbedingtes Prinzip an, aus welchem sie dann durch konsequente Folgerung eine systematische Struktur entfalte. Der Dogmatismus, als dessen konsequenteste Form Fichte den Spinozismus betrachtet, stelle demgegenüber den Begriff des Dinges willkürlich als schlechthin höchsten Anfangspunkt auf und subordiniere diesem das Ich. Der Unterschied von Kritizismus und Dogmatismus bestehe so zum Ersten in einem umgekehrten Verhältnis der Ableitung von Ich und Ding. Zum Zweiten sei der Dogmatismus hierdurch transzendent, da er die Grenzen des Ich überschreite, während der Kritizismus eine immanente Philosophie darstelle. Der Dogmatismus verfahre willkürlich, da das Ding nicht die Bedingungen zu erfüllen vermag, die Fichte an das Grundprinzip eines Systems stellt. Fichte will so zeigen, dass der durchgeführte Dogmatismus in sein vermeintliches Gegenteil, nämlich den

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Skeptizismus umschlägt. Interessant ist nun, dass Fichte, um den Dogmatismus durch die Enttarnung als Skeptizismus zu widerlegen, auf zwei im Rahmen der fünf Tropen vorgebrachte, zentrale Argumente des pyrrhonischen Skeptikers Agrippa zurückgreift: Die Ansetzung des Dinges an sich als Prinzip stelle zum einen eine bloß willkürliche Voraussetzung dar und führe zum anderen durch die Forderung nach Begründung notwendig in einen infiniten Regress. So unterstehe der Dogmatismus eben auch dem logischen Gesetz des Satzes vom Grund, nichts ohne Grund anzunehmen. Das Ding qua Bedingtes verweise aber nun auf ein dieses Bedingendes zurück, wodurch der Dogmatismus in einen infiniten Regress gerate, der eine Begründung unmöglich mache. In der ersten „Einleitung“ des Versuchs einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre (1797) führt Fichte dann noch ein weiteres Argument gegen den Dogmatismus an: So sei im Ausgang vom Ding qua Grundprinzip auch keine systematische Ableitung zu leisten. Fichte stellt hier zwar zunächst die Behauptung auf: „Was für eine Philosophie man wähle, hängt sonach davon ab, was man für ein Mensch ist.“2 Es scheint also so, als wäre die Entscheidung für oder gegen den Idealismus, insofern sie nur auf ein psychologisches Interesse zurückzuführen ist, nicht sachlich zu begründen. Fichte belässt es aber nicht dabei, sondern er schließt eine Argumentation an, die den Dogmatismus als theoretisch inkonsistent und daher unsystematisch entlarvt: Während der Idealismus die Intelligenz durch die doppelte Reihe von Zusehen und Sein, Idealem und Reellem expliziert, setze der Dogmatismus im Sinne der Ursache-Wirkungs-Relation des Naturmechanismus nur die einfache Reihe des Reellen an. Im Dogmatismus sei im Ausgang vom Ding so keine Ableitung der Vorstellung möglich, er sei nur eine „ohnmächtige Behauptung“3, da der Dogmatiker „einen ungeheuern Sprung in eine ihrem Princip ganz fremde Welt“4 vollziehe. Der Dogmatismus sei daher gar keine Philosophie, eine immanente Explikation des Bewusstseins sei hier nicht möglich, vielmehr sei das „Seyn für eine mögliche Intelligenz außer demselben“.5 Die Argumentation des Dogmatismus mündet so letztlich in einen per2 3 4 5

Fichte, Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre, GA I/4, S. 195. Ebd., S. 198. Ebd., S. 197. Ebd. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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formativen Selbstwiderspruch: Indem der Dogmatiker das Bewusstsein bloß als ein „Resultat der Wechselwirkung der Dinge“6 und damit als „eine sonderbare Täuschung“7 betrachte, wodurch er die Freiheit des Bewusstseins anzweifle, handle er bereits frei, das Leugnen des Denkens sei selbst ein Denken.8 Der durchgeführte Dogmatismus leugne entweder, insofern er in einen Begründungsregress gerate, dass das Wissen einen Grund habe, und damit die Möglichkeit eines Systems oder er widerspreche sich selbst, indem er eben den Satz des Grundes als logisches Gesetz revidiere, wodurch er diesen Regress durch einen Begründungsabbruch zu vermeiden suche: „Durchgeführter Dogmatism ist ein Skepticism, welcher bezweifelt, daß er zweifelt; denn er muß die Einheit des Bewußtseyns und mit ihr die ganze Logik aufheben: er ist mithin kein Dogmatism, und widerspricht sich selbst, indem er einer zu seyn vorgiebt.“9 Der durchgeführte Dogmatismus stelle so eine höchst paradoxe Konzeption dar: Es handle sich bei diesem um einen sich selbst verleugnenden Skeptizismus, da dieser nur vortäusche, System zu sein, den eigenen Vorgaben aber nicht entspreche. Letztlich gibt es für Fichte somit nur ein einziges System, nämlich die Wissenschaftslehre. Die für den Dogmatismus gezeigte Selbstwidersprüchlichkeit lässt sich nun auch im Ausgang vom Skeptizismus zeigen: Zum einen sei der Skeptizismus kein System, da er die Möglichkeit eines Systems überhaupt leugne. Zum anderen verfahre der Skeptizismus in der Leugnung der Möglichkeit eines Systems aber selbst systematisch, womit Fichte wohl meint, dass der Skeptizismus hierbei den Gesetzen der Logik und dem Anspruch an argumentative Begründung unterworfen ist. Fichte zufolge gab es aber noch nie jemanden, der „im Ernste“10 ein solcher Skeptiker war. Während der Dogmatismus in den Skeptizismus umschlägt, da das hier vertretene Systemmodell nicht funktioniert, schlägt der Skeptizismus in Dogmatismus um, da die Leugnung eines Systems eine dogmatische Behauptung darstellt, die sich quasi selbst widerlegt. Fichte bringt gegen den Skeptizismus demnach zwei Argumente vor: Während das erste Argument sich auf die theoretische Inkon6 7 8 9 10

Ebd. Ebd., S. 199. Siehe ebd., S. 247. Fichte, Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, GA I/2, S. 280. Ebd., S. 280, Anm. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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sistenz des Skeptizismus bezieht, kritisiert das zweite Argument dessen praktische Selbstwidersprüchlichkeit. Da das von Fichte angeführte theoretische Argument zu schwach ist – immerhin muss der Skeptiker mit der Anerkennung der logischen Gesetze ja noch nicht den starken Anspruch eines Systems vertreten –, führt Fichte ein weiteres Argument gegen den Skeptizismus an. Wenn Fichte feststellt, niemand sei „im Ernste“ ein solch systematischer Skeptiker gewesen, dann zielt dies auf die praktische Dimension des Skeptizismus. So heißt es in der Wissenschaftslehre nova methodo: „Der Idealist, der die Körperwelt läugnet, stüzt sich doch unaufhörlich auf diese, eben so wie der der ihre Würklichkeit glaubt. Dieser Zweifel des Idealisten hat nicht unmittelbare Folgen auf das Leben, allein es ist doch unanständig, daß seine Theorie mit seiner Praxis in Widerspruch stehe.“11 Die theoretische Unerkennbarkeit der Realität steht also insofern in fundamentalem Widerspruch zur Praxis, als auch der Skeptiker im Handeln die Realität voraussetzen muss. Es ließe sich hierbei noch ein weiteres praktisches Argument anbringen: Operiert der Skeptiker in theoretischer Hinsicht mit logischen Begründungsstrukturen, welche er bestreitet, so greift er auch im Handeln auf bestimmte Gesetze zurück, deren Geltung er bezweifelt. So fordert auch eine der skeptischen Position gemäße Enthaltung vom Handeln eine aktive Bestimmung, da, so Fichte, auch ein Nicht-Handeln als eine Form des Handelns zu kennzeichnen ist.12 11 12

Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, GA IV/3, S. 326. Vgl. Fichte, Grundlage des Naturrechts: „Das Vernunftwesen soll seine freie Wirksamkeit realisiren; diese Anforderung an dasselbe liegt im Begriffe, und so gewiß es den beabsichtigten Begriff faßt, realisirt es dieselbe: entweder durch wirkliches Handeln […] oder durch Nichthandeln. Auch dann ist es frey; denn es soll unsrer Voraussetzung nach, den Begriff seiner Wirksamkeit gefaßt haben: als etwas gefordertes, und ihm angemuthetes. Indem es nun gegen diese Anmuthung verfährt, und sich des Handelns enthält, wählt es gleichfals frei zwischen Handeln, und Nichthandeln.“ (GA I/3, S. 343) Und in der Wissenschaftslehre nova methodo heißt es: „[E]ntweder ich handele nach dem Willen oder nicht, habe ich die Aufforderung verstanden so entschließe ich mich doch durch Selbstbestimmung nicht zu handeln, der Aufforderung zu widerstreben, und handele durch nicht handeln.“ (GA IV/3, S. 469) Zu Fichtes praktischer Argumentation gegen den Skeptizismus vgl. Storheim, Eivind, „Fichtes Widerlegung des Skeptizismus“, in: Der transzendentale Gedanke: Die gegenwärtige Darstellung der Philosophie Fichtes, hg. v. Klaus Hammacher, Hamburg, 1981, S. 309-314. Storheim unterscheidet hierbei drei praktische Argumente („Stufen“) gegen den Außenwelt-Skeptizismus bei Fichte: 1) Der Verwirklichung unserer Zwecke auf Basis des Sittengesetzes liege die Annahme von der Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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In der Argumentation gegen den systematischen Skeptizismus zeigt sich nun, dass bei Fichte Systemdenken und Realitätsproblematik auf das Engste verknüpft sind. Für Fichte fungiert das System dabei als eine Art Heilmittel gegen den Skeptizismus: Erst ein System vermag durch die Darstellung der Einheit von theoretischer und praktischer Vernunft den Menschen in Übereinstimmung mit sich selbst zu bringen. Der Skeptizismus erfüllt hierbei eine propädeutische Funktion: Er hinterfragt den Glauben an eine bewusstseinsunabhängige Außenwelt und destruiert so den Standpunkt des gemeinen Bewusstseins. Der Skeptizismus führt so zu einer Aufspaltung in zwei Ebenen des Bewusstseins: den Standpunkt des Lebens auf der einen und den Standpunkt der Spekulation auf der anderen Seite. Ziel der Wissenschaftslehre ist es nun, beide Standpunkte zu versöhnen, indem gezeigt wird, wie der Standpunkt des Lebens aus der Spekulation zu generieren ist. Fichte sieht den Zweck des Systems also nicht primär in einem theoretischen Erkenntnisgewinn, vielmehr hat dieses einen praktischen Zweck: „Der ganze Zwek der Bildung des Menschen ist, ihn durch Arbeit zu dem zu machen, was er vorher ohne Arbeit war.“13 Der gebildete Mensch solle so „aus Uiberzeugung und aus Gründen seinem Bewustsein glaube[n], wie er es vorher aus Vernunftinstinkt that.“14 Fichte unterscheidet nun zwei Formen von Skeptizismus: Den eben beschriebenen radikalen Skeptizismus, der für Fichte allerdings nichts weiter als eine Fiktion ist, und einen kritischen Skeptizismus, als dessen Vertreter Fichte Hume, Maimon und Aenesidemus-Schulze nennt, welcher nicht die Möglichkeit eines Systems abstreite, sondern im Sinne eines Korrektivs durch das Aufzeigen von Unzulänglichkeiten des angesetzten Grundes zur Verbesserung des Systems beitrage.

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Existenz der Gegenstände zugrunde. 2) Ein Zweifel an den äußeren Gegenständen stehe in Widerspruch zum Ernst des Handelns. 3) Als interessiertes Wesen, das notwendig Zwecke setzt, müsse der Mensch an die Realität der Außenwelt glauben (vgl. ebd., S. 312 f.). Auch Ivaldo betont, dass der Skeptizismus nur praktisch widerlegt werden könne. So verstoße eine unendliche Skepsis gegen das Interesse für die Realität (vgl. Ivaldo, Marco, „Skeptizismus bei Fichte mit besonderer Berücksichtigung der Rolle des Zweifels in der Bestimmung des Menschen“, in: Fichte-Studien 39, 2012, S. 19-36, hier S. 35 f.). Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, GA IV/3, S. 326. Ebd. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Mit seiner Unterscheidung von systematischem und kritischem Skeptizismus schließt Fichte dabei an Kants Gegenüberstellung von Skeptizismus und skeptischer Methode an. Während die skeptische Methode als Methode der Transzendentalphilosophie den transzendenten Gebrauch der Grundsätze der Vernunft in Zweifel zieht und damit als Vorstufe der Kritik der Vernunft qua Selbstbegrenzung fungiert, bezweifelt der destruktive, „grenzenlose“ Skeptizismus die Grundlagen der Erkenntnis selbst und führt so zur Selbstzerstörung der Vernunft. Weder beim systematischen noch beim kritischen Skeptizismus handelt es sich für Fichte um eine haltbare Position: Während die Selbstwidersprüchlichkeit des systematischen Skeptizismus aber darin besteht, dass er die Möglichkeit eines Systems systematisch bestreitet und damit gerade bestätigt, leugnet der kritische Skeptizismus durch die Unerkennbarkeit des Dinges an sich die Möglichkeit objektiver Erkenntnis, bestreitet aber nicht die Möglichkeit eines Systems. Dabei steht die Annahme des Dinges an sich aber der Konzeption eines Systems entgegen, da dieses qua immanente, in sich geschlossene Begründungsstruktur keine externe, sich der Erkenntnis prinzipiell entziehende Entität zulässt. Widerlegt sich der systematische Skeptizismus selbst, insofern er inkonsistent ist, muss der kritische Skeptizismus extern widerlegt werden. So ist der kritische Skeptizismus erst überwunden, wenn die Wissenschaftslehre als immanentes System aufgestellt ist, wodurch gezeigt wird, dass objektive Erkenntnis unter Verzicht auf die Annahme des Dinges an sich möglich ist. Fichte nimmt damit die Zwischenstellung des Skeptizismus zwischen Dogmatismus und Kritizismus bei Kant auf: Die Funktion des kritischen Skeptizismus besteht somit darin, die Unzulänglichkeit des Dogmatismus aufzuzeigen, um die Ausbildung der Wissenschaftslehre zu befördern.

2. Fichtes Auseinandersetzung mit dem kritischen Skeptizismus Von entscheidendem Einfluss auf die Entwicklung von Fichtes Systemkonzeption ist Gottlob Ernst Schulzes wohl wichtigste Schrift mit dem etwas umständlichen Titel Aenesidemus, oder über die Fundamente der von dem Hrn. Prof. Reinhold in Jena gelieferten Elementar-Philosophie. Nebst einer Vertheidigung des Skepti-

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cismus gegen die Anmaßungen der Vernunftkritik (1792). Fichte studiert diese im Herbst 1793 und berichtet wenig später in einem Brief vom Dezember 1793 an Heinrich Stephani von der Entdeckung eines neuen Fundaments der Wissenschaft.15 Im Februar 1794 erscheint dann in der Allgemeinen Literaturzeitung Fichtes „Rezension des Aenesidemus“. Fichte legt daraufhin im Mai 1794 seine eigene Systemkonzeption in der Programmschrift Über den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie vor und liefert kurz darauf deren konkrete Ausführung in der ersten Fassung der Wissenschaftslehre, der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre. Im Folgenden will ich zeigen, wie sich Fichtes eigene Systemkonzeption in Auseinandersetzung mit Schulze herausbildet, wobei ich die Frage, ob Fichtes bzw. Schulzes Argumente gegen Reinhold berechtigt sind, hierbei ausklammern möchte.16 Im Zentrum steht die Frage, wie das Grundprinzip des Systems verfasst sein muss, um den skeptischen Einwänden Schulzes Genüge zu leisten. Da es hierbei um die inhaltliche Bestimmung des Grundprinzips geht, ist die Funktion von Schulzes Skeptizismus nicht bloß formaler, sondern vor allem inhaltlicher Natur.17 Die Aenesidemus-Rezension gliedert sich in drei Teile: Während es im ersten Teil um Schulzes Kritik an Reinholds Grundsatzkonzeption geht, thematisiert der zweite Teil Schulzes Kritik an Reinholds Konzeption des Vorstellungsvermögens, der dritte Teil befasst sich mit der Problematik des Dinges an sich. Fichte kennzeichnet Schulze dabei nur im ersten Teil als einen kritischen Skeptiker, die im zweiten und dritten Teil thematisierte Kritik Schulzes betrachtet Fichte hingegen als einen „anmaaßenden Dogmatismus“18, da Schulze sich hier nicht mehr an die eigenen Grundsätze wie z. B. die Anerkennung der Gesetze der allgemeinen Logik halte. Handelt es sich beim dogmatischen Skeptizismus um einen universellen Skeptizismus, insofern dieser die Möglich15 16

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Vgl. Fichte an Stephani, Dezember 1793, GA III/2, S. 28. Hierzu Bondeli, Martin, „Zu Fichtes Kritik an Reinholds ‚empirischem‘ Satz des Bewusstseins und ihrer Vorgeschichte“, in: Fichte-Studien 9, 1997, S. 199211. In der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre betont Fichte demgegenüber die Funktion des kritischen Skeptizismus für die Form des Systems: „Durch ihn [den kritischen Skeptizismus] gewinnt die Wissenschaft allemal, wenn auch nicht immer an Gehalte, doch sicher in der Form – und man kennt die Vortheile der Wissenschaft schlecht, wenn man dem scharfsinnigen Sceptiker die gebührende Achtung versagt.“ (GA I/2, S. 280, Anm.) Fichte, „Rezension Aenesidemus“, GA I/2, S. 49. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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keit von Wissen überhaupt bestreitet, ist der kritische Skeptizismus demgegenüber als ein partieller Skeptizismus zu charakterisieren, da hier nur bestimmte Prämissen in Zweifel gezogen werden, andere hingegen in ihrem Geltungsanspruch anerkannt werden. Die im ersten Teil behandelte Kritik Schulzes stellt insofern eine immanente Kritik an Reinhold dar, als Schulze mit Reinhold zwei wesentliche Prämissen teilt: zum Ersten, dass Philosophie als Wissenschaft nur durch Begründung in einem Grundsatz möglich sei, zum Zweiten, dass der Inhalt des Grundsatzes durch den Begriff der Vorstellung als höchster Begriff bestimmt sei. Fichte folgt nun der ersten Prämisse, weist die zweite jedoch vehement zurück. In der in den beiden folgenden Teilen präsentierten Kritik greift Schulze demgegenüber auf die Argumente des pyrrhonischen Skeptikers Ainesidemos zurück, genauer auf den zweiten und siebenten Tropus der acht Tropen als einer Kritik an der Ursachenlehre. Fichte stellt im ersten Teil der Rezension zunächst drei zentrale Argumente Schulzes von aufsteigender Relevanz gegen Reinholds Satz des Bewusstseins – „Im Bewusstseyn wird die Vorstellung durch das Subjekt vom Subjekt und Objekt unterschieden und auf beyde bezogen.“19 – heraus. 1) Der Satz des Bewusstseins sei nicht höchster Satz, da er dem logischen Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch subordiniert sei. 2) Der Satz des Bewusstseins sei kein durch sich selbst bestimmter Satz, wie es ein absolut erster Satz sein müsse, da die Termini „Unterscheiden“ und „Beziehen“ mehrdeutig seien. 3) Der Satz des Bewusstseins sei nicht allgemeingültig, da es zum einen Äußerungen des Bewusstseins gebe, in denen nicht die drei zentralen Elemente des Satzes des Bewusstseins vorkämen, und da der Satz zum anderen auch kein erfahrungsunabhängiges Faktum ausdrücke. Fichte hält mit Reinhold den ersten Einwand Schulzes für unzutreffend, da der Satz des Widerspruchs als bloß formallogischer Satz keine reale Gültigkeit und damit auch nicht den Status eines Grundsatzes habe. Fichte weist hierbei auf einen notwendigen Zirkel hin: Man könne nicht anders denken als nach den Gesetzen des Denkens, d. h. die logischen Sätze sind in jedem Denkakt präsent 19

Reinhold, Karl Leonhard, Beyträge zur Berichtigung bisheriger Missverständnisse der Philosophen. Erster Band das Fundament der Elementarphilosophie betreffend, Jena, 1790, S. 167. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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und bilden gleichsam dessen Horizont. In Bezug auf Schulzes zweiten Kritikpunkt folgt Fichte diesem. Für Fichte verweist dabei die Unbestimmtheit und Unbestimmbarkeit der Termini „Unterscheiden“ und „Beziehen“ auf einen höheren Grundsatz, und das heißt hier, auf eine reale Gültigkeit des Satzes der Identität und des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch. Dieses Programm realisiert Fichte dann in der Grundlage: Hier gewinnt Fichte durch das Verfahren einer transzendentalen Reduktion, die er als „abstrahierende Reflexion“ bezeichnet, den ersten und zweiten Grundsatz im Ausgang von den logischen Grundgesetzen der Identität und des ausgeschlossenen Widerspruchs. Die Termini „Beziehen“ und „Unterscheiden“ spielen nun bei Fichte erst im aus dem dritten Grundsatz der Grundlage abgeleiteten Satz vom Grund eine Rolle, wobei der dritte Grundsatz die Synthesis von erstem und zweitem Grundsatz leistet. Insofern die logischen Gesetze aus den Grundhandlungen des Ich mittels des Verfahrens einer doppelten Abstraktion gewonnen werden, spricht Fichte hierbei von einem unvermeidlichen Zirkel. Die logischen Gesetze bilden so als Derivate ursprünglicher Ich-Handlungen bloß deren Form. Deshalb kann der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch für Fichte auch nicht die Voraussetzung des absolut-ersten Grundsatzes darstellen, da dieser ja erst die logische Struktur der ursprünglichen Handlung des Entgegensetzens des zweiten Grundsatzes bildet. In Bezug auf den dritten von Schulze gegen Reinhold geltend gemachten Punkt attestiert Fichte der Kritik Schulzes eine nur eingeschränkte Gültigkeit: Während der Satz des Bewusstseins Reinhold zufolge ein analytischer Satz und damit vollständig aus sich selbst explizierbar ist, handelt es sich für Schulze um einen synthetischen Satz, bei welchem das Prädikat, d. h. das Vorstellen zum Bewusstsein qua Subjekt bloß äußerlich hinzutrete, weshalb hierbei auf Erfahrung rekurriert werden müsse. Fichte unterscheidet nun Form und Gehalt des Satzes des Bewusstseins, was zu einer differenzierteren Kritik an Reinhold führt: In formaler Hinsicht sei der Satz des Bewusstseins qua Reflexionssatz, d. h. seiner logischen Gültigkeit nach, ein analytischer Satz, da es kein Bewusstsein ohne die drei hier angeführten Elemente, d. h. Subjekt, Objekt und Vorstellung, gebe. Der Inhalt des Satzes des Bewusstseins, d. h. die Handlung des Vorstellens, sei aber eine Synthesis, da im Vorstellen unterschieden und bezogen werde. Insofern der Satz des Bewusstseins in inhaltlicher Hinsicht synthetisch verfasst ist, verweist er für

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Fichte auf eine zugrundeliegende Thesis und Antithesis. Während für Reinhold der Satz des Bewusstseins nicht aus einer Abstraktion vom vorgestellten Objekt resultiert, da die Vorstellung ursprünglich ist, handelt es sich für Schulze um einen abstrakten Satz, denn die Vorstellung stelle eine Abstraktion von Begriff und Anschauung dar. Für Schulze hat der Satz des Bewusstseins so nur empirische Gültigkeit, damit könne es sich dann aber nicht um einen obersten, allgemeinen Grundsatz der Philosophie handeln. Fichte stellt sich hier nun auf die Seite Schulzes, wobei er folgende Überlegung anstellt: Erstens ist alles, was im Bewusstsein vorkommt, als Vorstellen bestimmt. Vorstellen stellt zweitens eine empirische Bestimmung des Bewusstseins dar. Drittens ist alles Vorstellen mit reinen Bedingungen nur durch Vorstellen, also empirisch, gegeben. Fichte schlussfolgert so: Alle Reflexion über das Bewusstsein hat empirische Vorstellungen zum Objekt. Insofern es also im Satz des Bewusstseins um eine Art Metavorstellung, eine Vorstellung der Vorstellung geht, die nach Reinhold als rein zu charakterisieren ist, ist diese qua Abstraktion abhängig von einem empirischen Akt und somit nicht rein. Die von Reinhold behauptete Reinheit der Vorstellung ist für Fichte also bloßes Konstrukt und resultiert aus einer falschen Ausgangsposition Reinholds, nämlich der Annahme, der Satz des Bewusstseins müsse eine Tatsache darstellen. Hier ist nun das schlagende Argument Fichtes gegen Reinhold benannt: Die Vorstellung sei qua Tatsache ein Bedingtes, d. h. ein im empirischen Bewusstsein unmittelbar Gegebenes, ein Faktum. Fichte weist hierbei allerdings Schulzes Kritik zurück, der Satz des Bewusstseins habe nur empirische Gültigkeit. Fichte integriert somit Schulzes Kritik in seine eigene Argumentation gegen Reinhold, weist diese aber als zu radikal zurück. Für Fichte handelt es sich beim Satz des Bewusstseins zwar um keinen Grundsatz, jedoch um einen Lehrsatz, der in seiner Gültigkeit von einem ihn begründenden Grundsatz abhängig ist. Obgleich der Satz des Bewusstseins nur eine Tatsache expliziere, ist dieser für Fichte kein Erfahrungssatz. Der Aufnahme der Kritik Schulzes liegt bei Fichte offensichtlich ein verändertes Verständnis von „empirisch“ zugrunde. „Empirisch“ ist demnach für Fichte nicht das, was durch Erfahrung extern gegeben ist, sondern was qua Tatsache im Bewusstsein als unableitbares Gegebenes vorliegt, wobei für Fichte damit auch logische Sätze den Status empirischer Tatsachen haben. Fichte führt nun die Vorstellung qua Tatsache auf eine ursprüngliche Tat-

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handlung zurück. So schreibt er in der Aenesidemus-Rezension: „Allerdings müssen wir einen realen, und nicht bloß formalen, Grundsatz haben; aber ein solcher muß nicht eben eine Thatsache, er kann auch eine Thathandlung ausdrücken.“20 Das absolute Ich qua Tathandlung ist hierbei Fichte zufolge weder Vorstellen noch Denken, sondern Sein. Der Begriff der Tathandlung expliziert darüber hinaus die Einheit von Theorie und Praxis im Ich. So ist das Ich qua Tätigkeit zum einen praktisch, zum anderen qua Für-sichSein oder Selbstbewusstsein theoretisch. Diese Einheit soll der Terminus des Setzens verdeutlichen, das „die gesammte Thätigkeit des menschlichen Geistes [darstellt], die keinen Namen hat, die im Bewußtseyn nie vorkommt, die unbegreiflich ist; weil sie das durch alle besondre [...] Akte des Gemüths bestimmbare, keinesweges aber ein bestimtes ist“.21 Reinholds Satz des Bewusstseins fungiert in Fichtes Grundlage folglich lediglich als aus dem grundsätzlichen Teil abgeleiteter Lehrsatz des theoretischen Teils. In einem Brief an Reinhold vom 28. April 1795 bringt Fichte noch einen weiteren entscheidenden Einwand gegen Reinholds Grundsatzkonzeption vor. Hier heißt es, Reinholds Prinzip der Vorstellung sei ein bloß theoretisches Prinzip, der Einheitsgrund der Philosophie müsse aber qua „Princip der Subjektivität überhaupt“22 Theorie und Praxis zusammenführen. Damit in Zusammenhang steht der Vorwurf, dass der bloß einseitig theoretische Anfang mit der Vorstellung ein externes Ding an sich impliziere und somit kein immanentes System auf diesen zu gründen sei. Während für Reinhold das Selbstbewusstsein gerade kein Auge sein könne, das sich sieht, da dieses keine absolute Identität darstellt23, charakterisiert Fichte das Selbstbewusstsein in der Wissenschaftslehre nova methodo – wohl in kritischer Absicht gegen Reinhold – als sich selbst sehendes Auge.24 Fichte sieht so den Grundirrtum aller bisherigen philosophischen Systeme im Ausgang von einem defizitä20 21 22 23

24

Fichte, „Rezension Aenesidemus“, GA I/2, S. 46. Fichte an Reinhold, 2. Juli 1785, GA III/2, S. 344. Fichte an Reinhold, 28. April 1795, GA III/2, S. 314 f. Vgl. Reinhold, Beyträge zur Berichtigung bisheriger Missverständnisse der Philosophen. Erster Band, a.a.O., S. 197. Zu Reinholds SelbstbewusstseinsModell vgl. Bondeli, Martin, Das Anfangsproblem bei Karl Leonhard Reinhold. Eine systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchung zur Philosophie Reinholds in der Zeit von 1789 bis 1803, Frankfurt am Main, 1995, S. 144 ff. Vgl. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, GA IV/2, S. 48. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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ren Grundprinzip, welches bloß ein passiver Spiegel und damit kein Prinzip der Selbstbestimmung oder Freiheit sei. Ist Schulze für Fichte zur Hälfte kritischer, zur Hälfte dogmatischer Skeptiker, so kritisiert Fichte an Reinhold, insofern dessen bloß theoretisches Grundprinzip in einen infiniten Regress führe, einen halben Kritizismus, der in Dogmatismus umschlägt. Im Mittelpunkt von Schulzes Kritik am Vorstellungsvermögen und Ding an sich steht das Problem eines transzendenten Gebrauchs der Kausalitätskategorie, da diese nur auf die Sphäre der Erscheinung restringiert sei. Insofern für Reinhold der Begriff des Vorstellungsvermögens nur aus der Vorstellung als seiner Wirkung ableitbar ist, ist dieses für Schulze eine nicht ausweisbare Voraussetzung und als solche Ding an sich. Fichte weist diesen eigentlich berechtigten Kritikpunkt Schulzes zurück und verweist hierbei auf einen notwendigen Zirkel, welcher aus der unüberschreitbaren Immanenz des Bewusstseins resultiere und gerade Ausdruck der Grundverfassung von Subjektivität sei. Von Schulzes Kritik an Reinhold geht Fichte zu dessen Kritik an Kant über: Schulze wirft die von Kant offen gelassene Frage nach dem Status des Gemüts auf, d. h. ob dieses als Ding an sich, Noumenon oder transzendentale Idee zu verstehen sei. Um Schulzes Kritik zu entkräften, betont Fichte zum Ersten die Identität von Realgrund und logischem Grund, womit das Programm einer materialen und nicht bloß formalen Deduktion einhergeht, und zum Zweiten führt Fichte das Vermögen der intellektuellen Anschauung ein, um eine Leerstelle in der Philosophie Kants zu füllen. Fichte geht es hierbei darum, die basale Struktur von Subjektivität als selbstreflexive, d. h. sich ihrer selbst bewusste Begründungsstruktur auszuweisen und damit als Einheit von Grund und Gehalt. In Bezug auf die Problematik des Dinges an sich moniert Fichte, Kant und Reinhold hätten sich gegen dieses nicht entschieden genug erklärt. Während bei Kant der Gedanke eines Dinges an sich für ein anderes, d. h. nichtmenschliches Denkvermögen aber bloß denkbar sei, deute Schulze dieses als ein gänzlich von der Intelligenz unabhängiges Ding, ein für Fichte paradoxer Gedanke, den noch nie ein Mensch gedacht habe. Indem Schulze Kant und Reinhold einen transzendenten Gebrauch der Kausalitätskategorie vorwerfe, so Fichtes Gegeneinwand, operiere er verdeckt mit einer dogmatischen Auffassung vom Ding an sich, nämlich der Annahme, es handle sich hierbei um eine reale, bewusstseinsunabhängige Entität. Fichte verweist in

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diesem Zusammenhang wieder auf einen Zirkel. So heißt es in der Grundlage: „Dies, daß der endliche Geist nothwendig etwas absolutes außer sich setzen muß (ein Ding an sich) und dennoch von der andern Seite anerkennen muß, daß dasselbe nur für ihn da sey (ein nothwendiges Noumen sey) ist derjenige Zirkel, den er in das Unendliche erweitern, aus welchem er aber nie herausgehen kann.“25 Schulzes Kritik an Kant und Reinhold sei hier insofern nicht angebracht, als diese durch die Unterstellung einer dogmatischen Ding-an-sich-Konzeption eine Kritik an einer fiktiven Position sei. Die Kritik richtet sich also sowohl gegen Reinhold als auch gegen Schulze: Fichte kritisiert dabei Schulzes Kritik zum einen als ungerechtfertigt, wobei er Zirkularität als ein notwendiges Moment der kritischen Philosophie betrachtet. Zum anderen wendet Fichte in einer Umdeutung der Kritik Schulzes ein, die von Reinhold als Fundament angesetzte Tatsache des Bewusstseins sei empirisch und könne, insofern sie nicht die Einheit von Form und Gehalt, von Theorie und Praxis darstelle, nicht als unbedingtes, sich selbst begründendes Prinzip fungieren. Fichte zufolge hat Schulzes Kritik hierbei nur eine eingeschränkte Geltung: Sie trifft nicht den Inhalt des Satzes des Bewusstseins, d. h. dessen Wahrheit, sondern lediglich dessen Form, d. h. dessen funktionale Stellung als Grundsatz des Systems. Fichte folgert so aus der Kritik Schulzes die Notwendigkeit der Neubegründung der Wissenschaft. Für Fichte ist Schulzes Skeptizismus zwar so zum einen zu radikal, da Schulze die Gültigkeit des Satzes des Bewusstseins in Frage stelle, zum anderen aber auch nicht radikal genug, insofern Schulze mit Reinhold die Auffassung teile, die Vorstellung sei ein geeigneter Kandidat für den absolut-ersten Grundsatz. Schulze fungiert für Fichte somit als ein wichtiger Anreger der eigenen Kritik, da dieser, so Fichte, ihm Reinhold umgestürzt und Kant zumindest verdächtig gemacht habe. Fichte greift hierbei die zirkulären Momente in Reinholds Konzeption der Elementarphilosophie auf und macht diese für seine antiskeptizistische Strategie, d. h. sowohl in Bezug auf die Struktur des Grundprinzips als auch des Systemmodells im Ganzen fruchtbar.26

25 26

Fichte, Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, GA I/2, S. 412. Vgl. hierzu Bondeli, Martin, Das Anfangsproblem bei Karl Leonhard Reinhold, a.a.O., S. 245 ff. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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3. Systematischer Skeptizismus und System Insofern es sich bei Dogmatismus und systematischem Skeptizismus für Fichte lediglich um zwei Seiten derselben Medaille handelt, kann sein Systemmodell sowohl als Kritik am Dogmatismus als auch am Skeptizismus verstanden werden. Sowohl Dogmatismus als auch Skeptizismus stellen eine unhaltbare Position dar: So schlägt der Dogmatismus als defizitäres System in sein Gegenteil um, der Skeptizismus hingegen, der gerade kein System ist, wird widerlegt durch den Realitätsglauben, der die Einheit des Denkens und damit ein System fordert. Hierdurch ist aber noch nicht gezeigt, dass wirklich ein System existiert, obgleich dieses die einzig mögliche Alternative zu Dogmatismus und Skeptizismus darstellt. So muss das System seine Möglichkeit für Fichte erst durch seine Wirklichkeit erweisen. Ziel der Wissenschaftslehre ist dabei die Vereinigung von Dogmatismus und Skeptizismus. Die Wissenschaftslehre nimmt hierbei eine Zwischenstellung zwischen Dogmatismus und Skeptizismus ein: Wie der Dogmatismus leistet die Wissenschaftslehre die Begründung des Systems in einem Prinzip, wobei sie im Gegensatz zum Dogmatismus aber kritisch verfährt, insofern die Grenzen der Vernunft nicht auf ein Ding an sich hin überschritten werden.27 Ich werde nun im Folgenden ganz kurz die zentralen Merkmale von Fichtes Systemkonzeption anführen, um aufzuzeigen, inwiefern diese jeweils als antiskeptizistische und antidogmatische Strategie verstanden werden können. In der Schrift Über den Begriff der Wissenschaftslehre nennt Fichte drei Kriterien für ein System: Zum Ersten muss ein System eine systematische Form aufweisen, wobei das Kriterium der systematischen Form ein Argument gegen das Problem der dogmatischen Voraussetzung darstellt: Jeder Satz des Systems muss in 27

Zur Doppelfunktion des Skeptizismus für die Wissenschaftslehre vgl. Breazeale, Daniel, „Über die Unhaltbarkeit und Unentbehrlichkeit des Skeptizismus“, in: Fichte-Studien 5, 1993, S. 7-19. Unhaltbar sei der Skeptizismus, da er zum Ersten eine Spaltung zwischen Idealität und Realität bewirke, zum Zweiten praktisch belanglos sei und zum Dritten die ataraxia als passiver Zweck in Widerspruch zum aktiven Charakter des Lebens stehe (vgl. ebd., S. 12 f.). Der Skeptizismus sei andererseits unentbehrlich für die Wissenschaftslehre, da er die alltägliche spekulative Unschuld zerstöre und damit das Bewusstsein für die Notwendigkeit von Philosophie erzeuge. Es könne hierbei allerdings nur eine indirekte Widerlegung des Skeptizismus durch die Haltbarkeit der Wissenschaftslehre geleistet werden (vgl. ebd., S. 17 f.). Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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einem notwendigen Zusammenhang mit den anderen Sätzen des Systems stehen, sodass das System einen organischen, kohärenten Begründungskomplex bildet. Als zweites Kriterium führt Fichte das der Begründung an, wobei diese nur durch einen unmittelbar gewissen Grundsatz zu leisten sei. Hierdurch soll nun sowohl das Problem des infiniten Begründungsregresses als auch das der dogmatischen Voraussetzung gelöst werden. Aufgrund seiner Unbegründbarkeit ist der Grundsatz Voraussetzung, allerdings keine willkürliche, dogmatische Voraussetzung, sondern eine hypothetische Voraussetzung, deren Richtigkeit sich erst mit der Ableitung des Systemganzen zeigt, nämlich dann, wenn sich der Grundsatz zugleich als Resultat des Systems herausstellt. Als drittes Kriterium nennt Fichte das Merkmal der Vollständigkeit. Das System sei zum Ersten vollendet, wenn kein weiterer Satz mehr gefolgert werden könne und zum Zweiten, wenn der Grundsatz zugleich Anfangs- und Endpunkt, Grund und Resultat des Systems sei. So wendet Fichte das Problem der Begründungszirkularität ins Positive, indem er das System selbst als zirkuläre und damit in sich geschlossene Begründungsstruktur konzipiert. Während Fichte Regress und unbegründete Voraussetzung so als Merkmale defizitärer Begründungsstrukturen, wie sie in dogmatischen Systemen auftreten, versteht, vertritt er in Bezug auf das Problem der Zirkularität eine hiervon abweichende Auffassung: So behauptet Fichte eine notwendige Form von Zirkularität, z. B. in Bezug auf das Verhältnis von Logik und Wissenschaftslehre oder die Voraussetzung eines absolut ersten Grundsatzes, der seine Richtigkeit erst mit dem Durchgang durch das Systemganze beweist. Zirkularität ist darüber hinaus bei Fichte als Selbstreflexivität zu verstehen. Fichte konzipiert somit das Grundprinzip der Wissenschaftslehre als selbstreflexiven Grund, als Selbstbewusstsein. Selbstreflexivität erfüllt hierbei eine systematische Funktion: Das absolute Ich qua voraussetzungsloser, unbestimmter Anfang generiert durch einen Akt der Selbstbegründung aus sich selbst die Bestimmungsstruktur des Systems der Wissenschaftslehre.

4. Schlussbetrachtung In welchem Verhältnis stehen nun Skeptizismus und System bei Fichte? Welche Strategie wählt Fichte, um den Skeptizismus sys-

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tematisch auszuschalten? Die Wissenschaftslehre qua System ist dadurch gekennzeichnet, dass sie in sich geschlossen ist, insofern sie eine zirkuläre Struktur aufweist. Fichte zufolge kann es so nur ein einziges System geben, da ein Nebeneinander verschiedener Systeme dem Begriff des Systems widersprechen würde. Nun handelt es sich für Fichte beim Skeptizismus zwar um kein System, dennoch dürfte dieser nicht außerhalb der Wissenschaftslehre stehen. Der Anspruch eines Systems erfordert letztlich die Inklusion des Skeptizismus, insofern nur eine Domestikation des Skeptizismus eine Immunisierung gegen diesen leisten kann. Fichte glaubt nun, den Skeptizismus durch Aufstellung seines Systems zu widerlegen, wodurch dieser gleichsam als Position verschwindet. Obgleich Fichte den Skeptizismus nicht wie Hegel als Methode der Selbstbewegung des Bewusstseins in sein System integriert, insofern bei Fichte die skeptische Prüfung der Entwicklung des Systems der Wissenschaftslehre vorhergeht, weist diese als Gegenentwurf zum Dogmatismus dennoch eine Reihe skeptischer Motive auf: Erstens gilt der Begriff der Wissenschaftslehre vor Aufstellung des wirklichen Systems als bloß hypothetisch. Dies heißt aber nicht, dass Fichte eine antifundamentalistische Position vertritt. Zweitens weist die Wissenschaftslehre keine absolute Gewissheit wie Hegels System auf, sondern sie beansprucht bloße Wahrscheinlichkeit. Absolut gewiss ist nur das System des menschlichen Geistes, dessen Darstellung die Wissenschaftslehre ist. Drittens operiert Fichtes dialektische Methode mit dem Auffinden von Widersprüchen, die dann synthetisch gelöst werden, der Widerspruch und damit die für den Skeptizismus charakteristische Form bildet die Grundstruktur der Grundlage. Darüber hinaus berücksichtigt Fichte, obwohl er den systematischen Skeptizismus als absurde Position auffasst, die drei zentralen Tropen von Regress, Voraussetzung und Zirkel. Es ist deshalb zu fragen, ob Fichte, obwohl bei ihm ein eher externes Verhältnis von (kritischem) Skeptizismus und System vorliegt28, nicht doch einen skepsisresistenten Ansatz entwickelt. Die These wäre hierbei, dass Fichtes positive Deutung von Zirkularität qua selbstreflexiver Begrün28

Zur Frage der Inklusion des Skeptizismus bei Fichte vgl. Ivaldo, Marco, „Skeptizismus bei Fichte“, a.a.O., S. 28 f. Während die Wissenschaftslehre in Bezug auf den kritischen Skeptizismus in einem eher äußeren Verhältnis stehe, komme dem Skeptizismus in der Bestimmung des Menschen eine innermethodische Funktion zu. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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dungsstruktur und deren systematische Funktion ein alternatives Begründungsmodell ermöglichen, das nicht dem MünchhausenTrilemma unterliegt und von Hegel dann aufgenommen und weiterentwickelt wird.

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IV. SCHLEGEL, SCHELLING UND HEGEL

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JOHANNES KORNGIEBEL

Friedrich Schlegels Idee der systemimmanenten Skepsis

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„Aus dem gänzlichen absoluten Skeptizismus (theoretisch und moralisch) – war das einzige, woran ich mich damals festhielt, die intellektuelle Begeistrung, als das göttlich Positive des geistigen Lebens, was demselben allein einen positiven Werth verleihen könnte“.2 In dieser späteren Selbsteinschätzung führt Friedrich Schlegel die Ausgangssituation seines Denkweges zu Beginn der 1790er Jahre auf den Begriff des Skeptizismus zurück. Dabei klingt dessen destruktiver Charakter an, wenn Schlegel darauf verweist, dass gegen ihn das „göttlich Positive“ nötig gewesen sei, um sich ‚festzuhalten‘. Schlegel begreift die eigene geistige Entwicklung also rückblickend als Dynamik zwischen zwei Polen und empfiehlt den Skeptizismus somit als Grundbegriff zum Verständnis seiner subjektiven Bildungsgeschichte. Entsprechend hat die Forschung die Bedeutung des Skeptizismus für das Denken Schlegels und der Frühromantik im Ganzen zwar immer wieder betont3, den damit verbundenen Anspruch einer Rekonstruktion des Schlegel’schen Skeptizismusbegriffs allerdings nur teilweise eingelöst.4 So blieb vor allem Schlegels Idee 1 2

3 4

Dieser Beitrag stellt eine überarbeitete und aktualisierte Version eines Teils meiner unveröffentlichten Master-Arbeit von 2012 dar. Aus Schlegels noch unveröffentlichtem Notizheft Studien des Alterthums, Nr. 825. Vgl. auch den Brief Schlegels vom 17. Mai 1792 an seinen Bruder August Wilhelm, KFSA XXIII, S. 50-53, hier besonders S. 51. Z. B. Frank, Manfred, „Unendliche Annährung“. Die Anfänge der philosophischen Frühromantik, Frankfurt am Main, 1997, S. 526. So hat sich Manfred Frank darum bemüht, das Schlegel’sche SkeptizismusVerständnis in die zeitlich frühere Konstellation der Grundsatzskeptiker einzuordnen (Frank, Manfred, „‚Alle Wahrheit ist relativ, alles Wissen symbolisch‘. Motive der Grundsatz-Skepsis in der frühen Jenaer Romantik (1796)“, in: Revue internationale de philosophie 197, 1996, S. 403-436). Diese Lesart geht allerdings mit einer Geringschätzung der Jenaer Vorlesung zur Transcendentalphilosophie von 1800/01 einher, die meines Erachtens gerade den zentralen Text zu Schlegels Skeptizismusverständnis darstellt (vgl. dazu bereits: Frank, Manfred, Einführung in die frühromantische Ästhetik. Vorlesungen, Frankfurt am Main, 1989, S. 293). Auch Guido Naschert und Birgit Rehme-Iffert betrachten das Problem eher aus der Perspektive der Konstellationsforschung und konzentrieren sich dabei auf den Begriff des Wechselerweises (vgl. Naschert, Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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der systemimmanenten Skepsis unberücksichtigt. Der vorliegende Aufsatz will daher gerade dieses Konzept aus Schlegels Denken heraus entwickeln und dabei die konstitutive Rolle aufzeigen, die ihm im Rahmen der Ausbildung des Schlegel’schen Denkens zukommt.

1. Genese der Idee 1.1. Charakteristik des Skeptizismus in den frühen Notizheften Der Skeptizismus spielt schon in den ersten überlieferten Notizen Schlegels eine zentrale Rolle. Diese beschäftigen sich mit dem Versuch einer Typologie der Philosophie. Entsprechend unterscheidet Schlegel zwischen Mystikern, Empirikern (die er auch Eklektiker nennt) und Skeptikern. Unterscheidungsmerkmal der drei Typen ist der Widerspruch. Während der Mystiker „einen“ und der Empiriker eine „unbestimmte“ Zahl von Widersprüchen setze, zeichne sich der Skeptiker durch die Behauptung einer „unGuido, „Friedrich Schlegel über Wechselerweis und Ironie (Teil 1)“, in: Athenäum. Jahrbuch für Romantik 6, 1996, S. 47-90; ders., „Friedrich Schlegel über Wechselerweis und Ironie (Teil 2)“, in: Athenäum. Jahrbuch für Romantik 7, 1997, S. 9-34; Rehme-Iffert, Birgit, Skepsis und Enthusiasmus. Friedrich Schlegels philosophischer Grundgedanke zwischen 1796 und 1805, Würzburg, 2001). Andreas Arndt und Violetta Waibel hingegen haben die Diskussion um den Skeptizismusbegriff durch ihre Untersuchungen zur Schlegel’schen Dialektik bzw. den Parallelen zu Novalis zwar um wesentliche Aspekte erweitert, das Problem des Skeptizismus dabei aber nur am Rande berührt (vgl. Arndt, Andreas, „Zum Begriff der Dialektik bei Friedrich Schlegel 1796-1801“, in: Archiv für Begriffsgeschichte 35, 1992, S. 257-273; ders., „Widerstreit und Widerspruch. Gegensatzbeziehungen in frühromantischen Diskursen“, in: Internationales Jahrbuch des Deutschen Idealismus 6, 2008, S. 102-122; ders., „Perspektiven frühromantischer Dialektik“, in: Das neue Licht der Frühromantik, hg. v. Bärbel Frischmann und Elizabeth Millán-Zaibert, Paderborn u. a., 2009, S. 53-64 sowie Waibel, Violetta, „‚Wechselvernichtung‘ und ‚freywilliges Entsagen des Absoluten‘. Friedrich Schlegel und Friedrich von Hardenberg im Dialog“, in: Internationales Jahrbuch des Deutschen Idealismus 6, 2008, S. 183210). Zuletzt hat dann Michael Forster den innovativen Charakter von Schlegels Skeptizismus-Verständnis dadurch hervorzuheben versucht, dass er dessen Nähe zu Hegel betonte – allerdings ohne die spezielle Figur einer systemimmanenten Skepsis aus Schlegels eigenem Denken heraus zu entwickeln (Forster, Michael, „Schlegel and Hegel on Skepticism and Philosophy“, in: Die Begründung der Philosophie im Deutschen Idealismus, hg. v. Elena Ficara, Würzburg, 2011, S. 141-153). Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

FRIEDRICH SCHLEGELS IDEE DER SYSTEMIMMANENTEN SKEPSIS

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endl.[lichen] Menge, eine[r] Allheit von Widersprüchen“ aus.5 Insofern stehen die Typen im Verhältnis der gegenseitigen Wechselwirkung und Annihilation. Allerdings – so Schlegel – vernichten sich die „drei Abarten“ nicht nur gegenseitig, sondern auch je selbst: „Daß der consequente Skeptiker mit Stillschweigen und Nichtdenken endigen müßte […] versteht sich von selbst. – Er müßte auch aufhören zu widerlegen, weil er s.[ich] selbst widerspricht“.6 Damit ist gleich zu Beginn das Problem der Selbstwiderlegung oder des performativen Widerspruchs7 des Skeptikers benannt. Interessant scheint aber auch die Radikalität, mit der Schlegel den Skeptizismus denkt: Der „consequente Skeptiker“ müsse nämlich nicht nur mit „Stillschweigen“, sondern auch mit „Nichtdenken endigen“, worin die Undurchführbarkeit des Skeptizismus noch einmal zum Ausdruck kommt.8 Eine konsequente Form des Skeptizismus scheint also für Schlegel nicht möglich. Und insofern bezeichnet er den Skeptizismus als „böse[s] λογ[logisches] Princip“, als „logische[] Krankheit“9, der allerdings die Möglichkeit der Heilung gegeben sei10: „Die σκ[Skepsis] muß nur recht zum Ausbruch kommen, so heilt sie sich selbst“11 – nämlich durch die Einsicht in ihre eigene Inkonsequenz. In diesem Sinne ist der Skeptiker laut Schlegel durch eine sonderbare Ambivalenz bestimmt. Zum einen kann er sich nicht äußern, streng genommen nicht einmal denken, weil er sich mit jedem Bewusstseinsvollzug selbst widersprechen muss12; andererseits ist er gerade daher „in s.[einem] Innern = 1/0 [unendlich]“13, denn er setzt unendlich viele Widersprüche. Auf diese Weise ist der Skeptizismus bei Schlegel als „Allheit von Widersprüchen“ charakterisiert und als solche der Philosophie, die auf „Allheit 5 6 7

8 9 10 11 12 13

KFSA XVIII, S. 4, Nr. 9; S. 506, Nr. 4; S. 512, Nr. 76. Ebd., S. 4, Nr. 6. Zu diesem Begriff bzw. dem der Retorsion vgl. Kranz, Margarita, „Widerlegung“, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg. v. Joachim Ritter, Karlfried Gründer und Gottfried Gabriel, Basel, 1971-2007, Bd. 12, Sp. 680695. Vgl. Schlegels Notiz: „Wer negirt, der philosophirt noch und giebt also die Prinzipien der Philosophie durch die That zu.“ (KFSA XVIII, S. 514, Nr. 95) Ebd., S. 4, Nr. 7; S. 253, Nr. 718; S. 521, Nr. 24. Ebd., S. 405, Nr. 1006. Ebd., S. 404, Nr. 1001. So schreibt Schlegel: „Der wahre Skeptiker ist nicht mittheilsam“ (ebd., S. 403, Nr. 995). Ebd., S. 3, Nr. 1. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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d.[es] Wissens“ zielt14, geradezu entgegengesetzt. Andererseits wird dem Skeptizismus als insurgente Tendenz oder polemische Kraft aber „φ[philosophischer] Geist“15 attestiert, weshalb Schlegel von ihm auch als einer „philosophirende[n] Unphilosophie“16 spricht. Und in eben diesem Sinne sei er dem Protestantismus und der Kritik nah verwandt, was sich u. a. darin zeige, dass der Skeptizismus „gegen die Terminologie“17 protestiere und darin äußerst nützlich sei: „[J]e skeptischer, desto polemischer“18 und wenig später resümiert Schlegel „polemische Ueberlegenheit und innre Consequenz“ als die Grundcharakteristika des Skeptizismus.19 Insofern billigt Schlegel jeder Wissenschaft einen Anteil an der Skepsis zu20, während dem Skeptizismus selbst der Status einer Wissenschaft allerdings verwehrt bleibt: „Der Skeptiker hat kein eigentl[iches] Gebiet. Es gibt keine skeptische Wissenschaft. Aber sein Aufenthalt ist in d[er] allgemeinen Einleitung zu allen Wissenschaften, – in der φσ[Philosophie], und in d[er] Wiss.[enschaft] die das allg.[emeine] Werkzeug aller übrig[en] ist“.21 Diese deskriptive Charakteristik wendet Schlegel aber schon bald auch normativ. Demnach soll schon den ersten Heften zufolge allen Wissenschaften ein skeptisches Moment als methodisch-kritisches Prinzip inhärieren. Oder wie Schlegel anschaulich schreibt: „Der Philosoph muß wie Karneades alle streitenden Meinungen widerlegen“.22 Es ist diese Einsicht, die Schlegel gegen konkurrierende philosophische Positionen wendet.

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20 21 22

Ebd., S. 13, Nr. 101. Ebd., S. 5, Nr. 16. Ebd., S. 13, Nr. 101. Ebd., S. 5, Nr. 15. Ebd., S. 9, Nr. 57. Ebd., S. 14, Nr. 110. Auch wollte Schlegel die polemische Kraft des Skeptizismus für eigene Werke nutzen. So plante er seit 1796 „Skeptische Frag[mente]“ und „skeptische Satiren“, die bspw. gegen die „Newtonsche[] φυ[Physik]“ oder gegen „Dunkellehren“, unter denen Schlegel diejenigen Kants, Fichtes und Jacobis verstand, gerichtet sein sollten (vgl. ebd., S. 23, Nr. 53; S. 54, Nr. 346; S. 93, Nr. 782). Ebd., S. 97, Nr. 819. Ebd., S. 9, Nr. 58. Ebd., S. 519, Nr. 20; vgl. auch S. 364, Nr. 516 bzw. S. 521, Nr. 24. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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1.2. Die ‚Entdeckung des Widerspruchs‘ im Rahmen der FichteKritik Schlegels Notizhefte verdanken sich hauptsächlich einer intensiven Auseinandersetzung mit der Philosophie Fichtes. Von Anfang an – Schlegel liest Fichte nachweislich seit Sommer 179523 – ist seine Sicht dabei ausgesprochen kritisch. Einer der zentralen Einwände betrifft denn auch das kritische Potential des Fichte’schen Systems. Zwar führt Fichte das Kernprojekt von Kants Kritischer Philosophie fort, weshalb Schlegel im Athenäum von ihm als einem „Kant in der zweiten Potenz“ spricht; zugleich könne man aber – so Schlegel an gleicher Stelle – nie kritisch genug sein.24 Kritik, oder treffender Selbstkritik, bedeutet für Schlegel nämlich die Bereitschaft, das Erreichte immer wieder in Frage zu stellen, zu prüfen, zu negieren, es aufzulösen und gegebenenfalls neu zu beginnen. Der philosophische Begriff für diese destruktive Kraft ist der des Skeptizismus. Und so argumentiert Schlegel auch mit Hilfe skeptischer Argumente gegen Fichtes Grundüberzeugung, der zufolge die gesamte Philosophie aus ersten unbedingten Grundsätzen abzuleiten sei: „Was Fichte als ausgemacht und s.[ich] von selbst verstehend voraussetzt, [dem] kann man fast immer ganz dreist widersprechen.“25 Fichte fehle es – so Schlegel – am kritischen Selbstbezug, und so sei seine Philosophie genau besehen ein unbewiesener Mystizismus, ein „willkürliches Setzen des unerkennbaren Absoluten“, und er selbst eben doch nur ein „halber κρ[Kritiker]“26, ein Dogmatiker, der als „Pabst in s.[einem] Gebiete […] d[ie] unfehlbare Macht [habe], Himmel und Hölle durch s.[einen] Schlüssel zu öffnen und zu schliessen“.27 Diese Facette der Schlegel’schen Fichte-Kritik ist von Manfred Frank und anderen ausführlich untersucht worden.28 Dies soll daher 23

24 25 26 27 28

Vgl. etwa den Brief Schlegels vom 17. August 1795 an seinen Bruder August Wilhelm, KFSA XXIII, S. 246-249, hier S. 248. Die Lektüre der Wissenschaftslehre von 1794 ergibt sich bereits aus den Bezügen in Schlegels unveröffentlichtem Aufsatz „Vom Wert des Studiums der Griechen und Römer“ von 1795, KFSA I, S. 640. KFSA II, S. 213, Nr. 281. KFSA XVIII, S. 31, Nr. 126. Ebd., S. 31, Nr. 134. Ebd., S. 3, Nr. 2. Etwa: Frank, Manfred, „Unendliche Annäherung“. Die Anfänge der philosophischen Frühromantik, Frankfurt am Main, 1997, S. 862 ff. oder ders., Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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hier nicht noch einmal geschehen. An dieser Stelle kommt es vielmehr auf das an, was ich Schlegels ‚Entdeckung des Widerspruchs‘ nennen möchte.29 Denn durch seine genuin kritische Auseinandersetzung mit Fichte gelangt Schlegel zu der urskeptischen Überzeugung, dass zu jedem Satz ein Widerspruch zu konstituieren sei. In diesem Sinne ist der Widerspruch schon im Rahmen der frühen Hefte das Kriterium, um zwischen den verschiedenen Arten der Philosophie zu unterscheiden.30 Dabei ist er aber keinesfalls zufällig. Schlegel denkt den Widerspruch vielmehr als apriorische Grundstruktur des Geistes: „Einheit, Vielheit und Allheit d[er] Widersprüche […] deuten auf eine Abtheilung a priori“.31 Entsprechend besteht der „Geist“ – so Schlegel – „aus durchgängigen Widersprüchen“32, weshalb auch die „Grundwissenschaft […] aus lauter Thesen und Antithesen bestehen“33 müsse. Mit Blick auf Fichtes Grundlegungsprogramm hält Schlegel daher fest: Die Philosophie müsse „nicht bloß mit grundlosen Sätzen anfangen, sondern auch mit widersprechenden“.34 Und so sei selbst dem Satz des ausgeschlossenen Widerspruchs zu widersprechen.35 Dies alles zeigt: Schlegel hat schon 1796 nicht nur die Idee, dass das skeptisch-antithetische Denken jeder Philosophie notwendig inhärieren müsse, er entdeckt auch, dass es zu jedem Satz gehört, dass er sich selbst widerspricht.36 Ein Jahr später beschreibt Schlegel dieses Phänomen im Lyceum denn auch erstmals durch die Wechselwirkung von „Selbstschöpfung und Selbstvernichtung“.37

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35 36 37

„‚Wechselgrundsatz‘. Friedrich Schlegels philosophischer Ausgangspunkt“, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 50, 1996, S. 26-50, hier S. 29 ff. Diesen Punkt betont auch Röttgers, Kurt, „Fichtes Wirkung auf die Frühromantiker, am Beispiel F. Schlegels. Ein Beitrag zur Theoriepragmatik“, in Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 51, 1977, S. 55-77, hier S. 65 f. Vgl. KFSA XVIII, S. 4 f., Nr. 9. Ebd., S. 13, Nr. 95. Ebd., S. 36, Nr. 192. Ebd., S. 8, Nr. 45. Ebd., S. 407, Nr. 1045. Vgl. auch: „Es muß sich a priori zeigen lassen daß man nichts willkührl[ich] setzen kann, als d[as] Widersprechende“ (ebd., S. 13, Nr. 96). Vgl. ebd., S. 86, Nr. 673. Vgl.: „Jeder Satz jedes Buch, so sich nicht selbst widerspricht, ist unvollständig.“ (Ebd., S. 83, Nr. 647) KFSA II, S. 151, Nr. 37. Vgl. zu diesem Begriffspaar den Kommentar in: Fragmente der Frühromantik, Bd. 2, hg. v. Friedrich Strack und Martina Eicheldinger, Berlin, 2011, S. 17 zu Fragm. Nr. 28, Bd. 1, S. 10, Z. 39 f. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Und noch im letzten der Athenäum-Fragmente heißt es: „Das Leben des universellen Geistes ist eine ununterbrochne Kette innerer Revolutionen“.38 Damit glaubt Schlegel sich schon früh weit über Fichte hinaus. Bereits im Januar 1797 hält er fest: „von dem Wissenschaftslehrer [habe ich mich] entschieden getrennt“.39 Gerade an der Fichte-Kritik Schlegels lässt sich also die Relevanz ablesen, die dem Skeptizismus als notwendigem Widerspruch und konstitutivem Moment des Systems schon im frühen Denken Schlegels zukommt.

1.3. Der Begriff der „polemischen Totalität“ in der Diskussion mit Novalis Seine frühe Fichte-Kritik entwickelt Schlegel in enger Auseinandersetzung mit dem Jugendfreund Friedrich von Hardenberg. Als beide nach einer fast zweijährigen Pause im Sommer 1796 wieder zueinanderfinden40, diskutieren sie persönlich und in Briefen über die neuste Philosophie, vor allem über Fichte. Später schickt Schlegel Teile seiner Notizhefte an Hardenberg41, der dadurch zum Mitwisser der skeptischen Einwände gegen Fichte wird und daraufhin begeistert an Schlegel schreibt: „Du bist erwählt gegen Fichtes Magie die aufstrebenden Selbstdenker zu schützen.“42 Was Novalis zu dieser Zeit freilich nicht ahnen kann, ist, dass Schlegel ihn selbst schon kurz nach dem ersten Wiedersehen im Juli 1796 in einer ganz ähnlichen Hinsicht kritisiert hatte. Schlegel nämlich fand den Freund sonderbar verändert und schrieb darüber an seine Schwägerin Caroline: „Gleich den ersten Tag [des ersten Wiedersehens – J. K.] hat mich H.[ardenberg] mit der Herrnhuterey so weit gebracht, daß ich nur auf der Stelle hätte fortreisen mögen.“43 „Herrnhuterey“ – so Schlegel weiter – sei dabei „der kürzeste Ausdruck für absolute Schwärmerey“, und meine die „Verkehrtheit, in die er [Novalis – J. K.] nun rettungslos versunken“ sei.44 Wie aber ist dieser Vorwurf zu verstehen? 38 39 40 41 42 43 44

KFSA II, S. 255, Nr. 451. KFSA XXIII, S. 343. Vgl. ebd., S. 316 f. Ebd., S. 339 f. Ebd., S. 372. Ebd., S. 326. Ebd., S. 326 f. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Einen Hinweis geben spätere Zeugnisse: Im Dezember 1796 und noch einmal im Januar 1797 trafen sich Schlegel und Hardenberg in Jena und Weißenfels.45 Ein Brief Schlegels, der auf diese Gespräche rekurriert, informiert uns über die besprochenen Themen: „O mein Freund“, schreibt Schlegel, „hier ist niemand, mit dem ich vom Ich reden könnte, geschweige von der polemischen Totalität, die ich den letzten Abend unsres lustigen Beysammenseyns so böslich wider Dich gekehrt.“46 Während der beiden Treffen hatte man sich also über die „polemische[] Totalität“ verständigt. Diese hatte Schlegel kurz zuvor in seinen Notizheften bestimmt: „Jede verschiedne Meynung ist in der Philosophie eine entgegengesetzte. Daher polemische Totalität nothwendige Bedingung der Methode, und Kriterium des Systems“.47 Die polemische Totalität als Forderung der vollständigen Entgegensetzung ist also eine Radikalisierung dessen, was zuvor ‚Entdeckung des Widerspruchs‘ genannt wurde. Demzufolge muss – das sagt der Terminus „Totalität“ – ausnahmslos allem widersprochen werden. Die polemische Totalität scheint also identisch mit dem, was Schlegel mittels der Begriffe ‚insurgente Tendenz‘, ‚polemische Kraft‘ oder ‚Allheit der Widersprüche‘ als Skeptizismus charakterisierte.48 Gestützt wird diese Vermutung dabei auch durch den Umstand, dass Schlegel exakt zwischen den beiden Treffen mit Novalis – also im Winter 1796/97 – an der „Recens.[ion] des Nieth.[ammerschen] J.[ournals]“ arbeitete, für die er sich intensiv mit der zeitgenössischen Debatte um den Skeptizismus beschäftigte.49 Und auch Novalis bezieht sich auf Schlegels Vorliebe für Polemik und Kritik, wenn er ihm in eben jenen Tagen attestiert: „Du bist im frischen Wachsthum des Annihilirens“.50 Dabei musste Schlegel aber schnell klar werden, dass der Freund keine Sympathien für den Skeptizismus hegte. So zeigen die wenigen Äußerun45

46 47 48

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Zum Versuch, den Verlauf dieser Gespräche interpretierend zu rekonstruieren vgl. Waibel, „Friedrich Schlegel und Friedrich von Hardenberg im Dialog“, a.a.O. KFSA XXIII, S. 340 f. KFSA XVIII, S. 515, Nr. 101. Auch Violetta Waibel sieht in der Frage nach der „polemischen Totalität“ einen Hauptinhalt der Gespräche, kommt allerdings nicht auf den Skeptizismus zu sprechen (vgl. „Friedrich Schlegel und Friedrich von Hardenberg im Dialog“, a.a.O., S. 199 und 204). KFSA XXIII, S. 340 f. Die Rezension selbst findet sich in KFSA VIII, S. 1232, zum Skeptizismus besonders S. 23 f. KFSA XXIII, S. 342. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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gen Hardenbergs zum Skeptizismus, dass er diesem kaum etwas Positives abzuringen im Stande war.51 Daraus nun erklärt sich schließlich, warum Schlegel sich während der Gespräche gezwungen sah, die polemische Totalität „böslich“ gegen den Freund zu kehren. Nur so nämlich konnte er dem Schwärmer, dem Herrnhuter und – in Analogie zu Fichte – dem Mystiker und Magier Novalis begegnen52, dem aus Schlegels Sicht das kritische Potential abging. In die Zeit der Trennung von Fichte fällt also auch eine wichtige inhaltliche Opposition zu Novalis.

1.4. Schlegels Grundidee der systemimmanenten, konsequenten Skepsis Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Schlegel spätestens im Winter 1796/97 zu der Einsicht gelangte, dass jeder Philosophie ein skeptisches Moment als „Bedingung der Methode“ und „Kriterium des Systems“ inhärieren müsse. Das erscheint als ein origineller und innovativer Ansatz. Denn damit ändert sich die Strategie im Umgang mit dem Skeptizismus grundlegend: Ging es noch in Fichtes Wissenschaftslehre darum, den Skeptizismus zu widerlegen und das eigene System gegen skeptische Angriffe zu immunisieren, will sich Schlegel durch die Implikation des Skeptizismus dessen polemische Kraft gerade zu nutzen machen. Allerdings geht es ihm dabei nicht mehr nur um eine „skeptische Methode“ im Sinne Kants. Schlegel will den sonst bloß destruktiven Skeptizismus vielmehr zum Faktor der Philosophie erheben und ihm auf diese Weise eine positiv-konstruktive Seite abgewinnen. In Abwehr der gängigen Alternative von Dogmatismus und Skeptizismus erprobt Schlegel also schon früh einen innovativen Zwischenweg, eine – wenn man so will – dritte Philosophie. 51

52

Da ist vom „schädlichen Trivialen Scepticismus“ die Rede (Novalis, Werke, Tagebücher und Briefe Friedrich von Hardenbergs, hg. v. Hans-Joachim Mähl und Richard Samuel, München und Wien, 1978 ff., Bd. 2, S. 566, Nr. 451) und schon 1790 heißt es bei Hardenberg, aus dem „Scepticismus“ müsse „trauriger Menschenhaß“ entstehen (ebd., Bd. I, S. 433). Vgl. neuerdings: Franke, Norman P.: „Ironische Gebete? Novalis über Skepsis, das Denken des Absoluten und metaphysische Grenzüberschreitungen ironischer Dichtung“, in: Wirkendes Wort. Deutsche Sprache und Literatur in Forschung und Lehre 65/2, 2015, S. 215-239. KFSA XVIII, S. 34, Nr. 160. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Festgehalten werden muss allerdings auch, dass sich Schlegel 1797 über den positiven Aufweis eines solchen Modells noch nicht im Klaren gewesen zu sein scheint. Betrachtet man nämlich die Zusammenfassung seines frühen Nachdenkens über den Skeptizismus, wie er sie 1798 im Rahmen der Athenäum-Fragmente gab, so ergibt sich folgende Aporie: Es gibt noch gar keinen Skeptizismus, der den Namen verdient. Ein solcher müßte mit der Behauptung und Foderung unendlich vieler Widersprüche anfangen und endigen. Daß Konsequenz in ihm vollkommene Selbstvernichtung nach sich ziehen würde, ist nichts Charakteristisches. Das hat diese logische Krankheit mit aller Unphilosophie gemein. Respekt vor der Mathematik, und Appelieren an den gesunden Menschenverstand sind die diagnostischen Zeichen des halben unechten Skeptizismus.53

Der Skeptizismus besteht demnach – in Übereinstimmung mit den am Anfang zitierten Notizen – in der „Behauptung und Forderung unendlich vieler Widersprüche“. Der „halbe“, „unechte Skeptizismus“ allerdings verletzt diese seine eigene Forderung, „unendlich“ zu widersprechen, indem er dogmatische Setzungen zumindest zeitweise wieder in Anspruch nimmt. Der echte, weil konsequente Skeptizismus hingegen „endigt“ gleichsam mit seinem Beginn in der „vollkommene[n] Selbstvernichtung“.54 Die Umsetzung beider Varianten scheint folglich unmöglich: Während der unechte Skeptizismus an seiner Inkonsequenz krankt, scheitert der echte gerade an der Behauptung des Gegenteils.55 Welche Art des Skeptizismus kommt für Schlegel dann aber in Betracht, wenn es um die Integration in das philosophische System geht? 53 54

55

KFSA II, S. 240 f., Nr. 400. Dieses strukturelle Problem lässt sich auch an den Formen des historisch in Erscheinung getretenen Skeptizismus studieren. So verweist etwa schon Sextus Empiricus darauf, dass „Wir“ – d. h. die Pyrrhoniker – „undogmatisch nach der alltäglichen Lebenserfahrung [leben], da wir gänzlich untätig nicht sein können“, und markiert damit indirekt den Punkt, an dem der Skeptiker aus verschiedenen Gründen (zum Beispiel dem des „Erlebniszwang[s]“) inkonsequent sein muss (Sextus Empiricus, Grundriß der pyrrhonischen Skepsis, eingeleitet und übersetzt von Malte Hossenfelder, Frankfurt am Main, 1985, S. 99). Diese Differenzierung verknüpft Schlegel auch mit derjenigen von neuem und altem Skeptizismus. So heißt es in den Notizen, der „neuere σκ[Skeptizismus]“ sei „immer nur provisorisch“ (KFSA XVIII, S. 266, Nr. 865). Ganz in diesem Sinne hatte sich Schlegel auch in seiner Rezension zu Niethammers Philosophischem Journal von 1797 gegen die „neuern Skeptiker“ (KFSA VIII, S. 23) ausgesprochen. Die „alte Skepsis“ bezeichnet Schlegel hingegen meist – aber nicht immer – als die „ächte“ (KFSA XVIII, S. 287, Nr. 1081). Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Die Antwort auf diese Frage scheint Schlegel wiederum schon früh zumindest dunkel geahnt zu haben. In einer Notiz von 1796 nämlich heißt es: „Es gibt noch keinen consequenten σκ[Skeptizismus]“ – was der späteren Feststellung im Athenäum entspricht. Dann aber folgt ein interessanter Nachsatz: „wohl d[er] Mühe werth, einen aufzustellen“.56 Schlegel hat also offenbar schon früh mit der Idee gespielt, den Skeptizismus in seiner konsequenten Form umzusetzen. Mehr noch: er sieht darin – in Übereinstimmung etwa mit Hegel – eine der Hauptaufgaben nachkantischer Philosophie. Damit aber gerät Schlegels Projekt einer systemimmanenten Skepsis zugleich zum Aufweis eines konsequenten Skeptizismus. Dafür spricht auch die sich an die Notiz anschließende Definition des Skeptizismus als „permanente[r]“, d. h. ewiger „Insurrection“.57 Und auch von der „polemischen Totalität“, die als Allheit der Widersprüche dem konsequenten Skeptizismus entspricht, hieß es in eben diesem Sinne, dass man sich mit ihr „constituiren“58 müsse. Wie ein solches Modell aber konkret zu denken ist, hat Schlegel erst in seinen Jenaer Vorlesungen zur Transcendentalphilosophie vom Winter 1800/01 gezeigt.

2. Umsetzung der Idee in der Jenaer Vorlesung zur Transcendentalphilosophie Über Schlegels Jenaer Vorlesung zur Transcendentalphilosophie, einem der wichtigsten Texte, wenn es um den Philosophen Schlegel geht, wäre viel zu sagen. Bevor im Folgenden auf das Konzept der systemimmanenten Skepsis eingegangen werden wird, sollen daher wenigstens einige ihrer Grundgedanken skizzenhaft umrissen werden: Schlegels Ansatz liegt die Einsicht zugrunde, dass Fichtes subjektiver Idealismus aus oben genannten Gründen genauso einseitig bleiben muss, wie Spinozas objektivistischer Realismus. Schlegel zieht daraus den Schluss, dass nur eine Kombination beider den gewünschten Monismus eines Ideal-Realismus konstituieren könne. Zu diesem Zweck geht Schlegel von einer ersten unendlichen Substanz aus, die sich ausdifferenziert und somit die Vielfalt der scheinbar endlichen Dinge erst bildet. Zu die56 57 58

Ebd., S. 12, Nr. 94. Ebd. Ebd., S. 408, Nr. 1056. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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sen Individualisierungen gehört in letzter Instanz auch das Bewusstsein, in dem das Ganze der Welt einzig präsent sein kann. Dieses Bewusstsein nun bemüht sich, den Prozess der Individualisierung reflektierend umzukehren und so zum Grund des Universums, dem Unendlichen zurückzukehren – hier übrigens hat die berühmte Sehnsucht nach dem Unendlichen ihren systematischen Platz. Wesentlich ist diesem Denken demnach eine zweifache historische Dimension. So ergibt sich neben einer Geschichte der Natur eine ihr entgegenlaufende Geschichte des Bewusstseins. Diesen Prozess der reflektierenden Rückkehr des Bewusstseins zum Unendlichen begreift Schlegel mit Platon als Philosophie, genauer als Widerspruch zweier Pole. Den Anfang bildet dabei die Skepsis. Sie bezieht sich als ein „durchaus negativer Zustand“ „auf den ganzen Menschen“, wodurch ihr umfassender Anspruch zum Ausdruck kommt. Als Negativzustand, als Mangel ist sie das unendliche Zweifeln, neben das aber – so Schlegel – der positive Faktor des „Enthusiasmus“ tritt, der die Leere des Negativen durch Setzen eines willkürlichen Wissens füllt.59 Dieses Wissen nun wird der skeptischen Prüfung ausgesetzt, revidiert, in geläuterter Form erneut gesetzt und wiederum der Prüfung unterzogen. Auf diese Weise ergibt sich schließlich ein unendliches Sichwidersprechen, eine ewig-experimentelle Dynamik, eine unendlich-zyklische Progression des Reflektierens, die als „Tendenz der Philosophie“ die „Geschichte des Bewußtseyns“ bildet und in stetiger Selbstkorrektur tentativ auf das „Absolute“ zielt.60 Diese Bewegung ist Schlegel zufolge eine dialektische61 und entsprechend hieß es schon 1796 in den Notizheften, die Dialektik sei „[d]ie ächte Kunst […] die Wahrheit mitzutheilen, zu reden, gemeinschaftl.[lich] die Wahrheit zu suchen, zu widerlegen und zu erreichen“.62 Die Skepsis als Vermögen der Aufdeckung und Korrektur von Widersprüchen, als ἐλεγκτικὴ τέχνη, ist damit nicht nur konstitutives Moment der Philosophie, sondern überdies als kritische Kontrollinstanz auch notwendiger Garant der Wahrheitssu59 60

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KFSA XII, S. 4; vgl. KFSA XVIII, S. 408, Nr. 1060. KFSA XII, S. 11 und 13. Zur polemischen Verfahrensweise der Skepsis vgl. die Erläuterungen in der Kölner Vorlesung Die Entwicklung der Philosophie in zwölf Büchern von 1804/05, ebd., S. 129 f. Ebd., S. 97. Vgl. dazu Andreas Arndt, der in mehreren Arbeiten auf diese Facette des Schlegelschen Denkens und seine Wurzel in Kants Philosophie hingewiesen hat (vgl. Anm. 4 dieses Aufsatzes). KFSA XVIII, S. 509, Nr. 50. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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che.63 Freilich lässt sich diese Wahrheit nicht mehr im Rahmen einer Korrespondenztheorie denken64, denn gerade diese fällt dem skeptischen Widerlegen zum Opfer. Obgleich sich das Bewusstsein folglich zu Ausdruck und Darstellung der Philosophie der logischen Grundgesetze bedienen müsse, liege – so Schlegel – „die Quelle der Wahrheit“ doch „weit höher“.65 Der Skeptizismus ist also auch über die Grundgesetze der klassischen Logik erhaben. Dies deckt sich mit einer Notiz Schlegels, der zufolge „[d]er Satz d[es] Widerspruchs nicht wahr“ ist, „oder er widerspricht seiner Antithese – alles widerspricht sich, gilt eben so gut. Der Satz des Widerspruchs ist ein Widerspruch d[es] Satzes“.66 Wie lässt sich Wahrheit unter diesen Bedingungen aber überhaupt denken? Für Schlegel wohl nur im Rahmen einer Kohärenztheorie, die aufs Ganze der zu erreichenden Wahrheit ausgerichtet ist, diese Absolutheit seiner prinzipiellen Unerkennbarkeit wegen aber nie erreichen kann.67 Was sich hingegen bestenfalls 63

64 65

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67

Überdies wird an dieser Stelle deutlich, dass Schlegel diesen Prozess notwendig intersubjektiv denkt. Philosophie ist also nichts, das allein betrieben werden könnte. Sie setzt vielmehr – ganz im Sinne der Symphilosophie – Dialog und Gespräch, auch über die Zeiten hinweg voraus (vgl. ebd., S. 515, Nr. 97). KFSA XII, S. 4 und 92. Ebd., S. 3. Die Logik, deren Ausdruck die logischen Grundgesetzte sind (genannt werden der „Satz des Widerspruchs“ und des „zureichenden Grundes“), ist nach Schlegel nur formell, d. h. als „pragmatische Wissenschaft“ (KFSA II, S. 179, Nr. 91) gültig. Das Materielle der Wahrheit hingegen müsse „weit höher“, im „Satz der Identität“ (KFSA XII, S. 27 f.) gesucht werden, was darauf verweist, dass für Schlegel – wie etwa auch für Fichte – eine „materielle, reelle Logik“ (ebd., S. 101) durch die neue Philosophie erst begründet werden muss (vgl. dazu auch KFSA II, S. 170, Nr. 28). KFSA XVIII, S. 86, Nr. 673. Vgl. dazu auch Schlegels Beitrag zu Hardenbergs Blütenstaub: „Hat man nun einmal die Liebhaberei fürs Absolute und kann nicht davon lassen: so bleibt einem kein Ausweg, als sich selbst immer zu widersprechen, und entgegengesetzte Extreme zu verbinden. Um den Satz des Widerspruchs ist es doch unvermeidlich geschehen“ (KFSA II, S. 164, Nr. 26); bzw. den Bericht von Jakob Friedrich Fries, der in einem Brief vom 28. Oktober 1800, also einen Tag nach Schlegels erster Vorlesung, schreibt: „Jetzt liest auch Friedrich Schlegel hier Transzendentalphilosophie und hat nicht übel angefangen, die gesunde Vernunft zu ohrfeigen; gestern war er albern genug zu sagen, der Satz des Widerspruchs und des zureichenden Grundes wären durchaus nicht von absoluter Gültigkeit, sie sind nur praktisch, gelten nur in einer gewissen Sphäre; die Philosophie besteht in nichts als einer unendlichen Reihe von Widersprüchen“ (zitiert nach Behler, Ernst, „Schlegels Vorlesungen über Transzendentalphilosophie“, in: Transzendentalphilosophie und Spekulation. Der Streit um die Gestalt einer Ersten Philosophie (1799-1807), hg. v. Walter Jaeschke, Hamburg, 1993, S. 52-71, hier S. 66). Vgl. KFSA XVIII, S. 511, Nr. 64. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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erreichen lässt, ist eine stetig wachsende Wahrscheinlichkeit, denn gerade der ewige Widerstreit zwischen Skepsis und Enthusiasmus führt dem Bewusstsein seine Irrtümer vor und zwingt so stetig zur Selbstkorrektur. Entsprechend definiert Schlegel Wahrheit als „Produkt aus dem Konflikt der Täuschung“ bzw. als „Indifferenz […] zweyer sich entgegengesetzter Irrthümer“.68 Die höchste Wahrheit wäre demzufolge im „Satz der Identität“ enthalten69, denn in ihm wären nicht nur „das Positive und das Negative […] eins“, hier fielen auch das „Bewußtseyn und das Unendliche“ zusammen.70 Der Satz der Identität, der dem Idealismus wesentlich eigen sei71, ist also Schlegel zufolge – anders als die logischen Gesetze – nicht nur formal, sondern auch inhaltlich gültig. Gerade weil die Wahrheit aber in der Neutralisation von Irrtümern besteht und diese nicht restlos zu vernichten sind, läuft Schlegels Wahrheitsmodell letztlich in einer unendlichen Dimension aus. Demzufolge gilt: „Absolute Wahrheit kann nicht zugegeben werden“. „Die Wahrheit ist relativ“.72 Das Wissen wird folglich nur immer wahrscheinlicher, d. i. widerlegungsresistenter. Dieses Ergebnis kann noch durch eine zweite Überlegung verdeutlicht werden. So bestimmt Schlegel die Skepsis als einen der beiden Faktoren der Philosophie – allerdings nicht als „System, sondern in wie fern sie zur Philosophie gehört“.73 Dies meint immer schon die immanente, in das philosophische System integrierte Form, der von vornherein ein positiver Pol an die Seite gestellt ist. Genau in diesem Sinne spricht Schlegel folglich konsequent von Skepsis statt von Skeptizismus, da dieser eher die isolierte Doktrin, jene die davon ausgehende systemimmanente kritisch-polemische Kraft bezeichnet. Statt selbst System zu sein, muss die Skepsis folglich Teil des Systems sein. Wäre dem nicht so, gälte die Skepsis also für sich allein, als singuläres Prinzip, als „insurgente Regierung“74 und eben damit als Skeptizismus, so würde sie sich schlichtweg selbst zerstören, und eine progressive Dynamik könnte 68 69 70 71 72 73 74

KFSA XII, S. 9 bzw. 92. Ebd., S. 27 f. Ebd., S. 27. Entsprechend ist der Idealismus „die höchste Summe der Wahrheit“ (ebd., S. 17). Ebd., S. 92 f. Ebd., S. 10. Vgl. zu diesem Gedanken schon Schlegels Rezension von Niethammers Philosophischem Journal, KFSA VIII, S. 23 f. KFSA II, S. 179, Nr. 97. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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unmöglich entstehen. Gerade die Beschränkung der Skepsis durch den Enthusiasmus ist also die Bedingung für deren Integration in das System.75 In welchem Sinne aber kann die Skepsis unter diesen Umständen noch als konsequente, echte Skepsis angesprochen werden? Und ist dieser Anspruch überhaupt einlösbar, wenn sie nur in Verbindung mit dem Enthusiasmus gelten soll? Diesbezüglich gibt Schlegel den entscheidenden Hinweis, indem er schreibt, dass „auch die Skepsis ewig sey“76 – gerade darin nämlich besteht ihre Konsequenz. Die in das System integrierte Skepsis ist folglich konsequent, gerade weil sie ihren Anspruch, immer und allem zu widersprechen, nie aufgibt. Eben dies unterscheidet sie von der im Athenäum-Fragment charakterisierten „unechten“ Form. Die Konsequenz der echten Skepsis kommt also nicht in ihrer Alleingültigkeit zum Ausdruck, sondern in ihrem ewigen Wirken. Wäre dies nicht der Fall, so wäre die sich daraus ergebende Dynamik nicht unendlich. Auf diese Weise aber gelingt Schlegel der Aufweis einer konsequenten Skepsis, die zugleich nicht dogmatisch im Sinne des Skeptizismus ist. Hierin besteht Schlegels Vorschlag für einen dritten Weg zwischen Dogmatismus und Skeptizismus.77 Ein Problem aber bleibt: Denn hatte Schlegel nicht bereits in den ersten Heften mehrfach darauf hingewiesen, dass eine konsequente Form der Skepsis des drohenden Selbstwiderspruchs wegen gar nicht möglich sei? Der echte, konsequente Skeptizismus „endigt“ gleichsam mit seinem Beginn in der „vollkommene[n] Selbstvernichtung“ – so hatte Schlegel die Aporie im Athenäum beschrieben. Wie ist also nun gerade diese Form der konsequenten Skepsis denkbar, ohne sich selbst zu vernichten? Auch hier gibt die Vorlesung einen Hinweis: Der Satz, daß alle Wahrheit relativ sey, könnte leicht auf eine allgemeine Skepsis hinleiten. Z. B. Wenn alle Wahrheit relativ ist, so ist auch der Satz relativ, daß alle Wahrheit relativ sey. Wenn alles richtig verstanden wird, so kann man dies auch zugeben. Es ist da75

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In diesem Sinne spricht Schlegel noch 1806 davon, dass „[d]er nicht abgesonderte sondern der φσ[Philosophie] einverleibte σκ[Skeptizismus] […] ein wesentliches Bestandtheil ihrer Gesundheit“ sei (KFSA XIX, S. 176, Nr. 189). KFSA XII, S. 10. Vgl. die These, dass jede Philosophie entweder Dogmatismus oder Skeptizismus sein müsse, die 1791 etwa Johann August Eberhard in seinem Aufsatz „Vergleichung des Skepticismus und des kritischen Idealismus“ (in: Philosophisches Magazin, Bd. IV, Stück 1, 1791, S. 84-115) aufgestellt hatte. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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mit nichts gewonnen; man kann nicht nur diesen Satz zugeben, sondern auch das, daß das ganze System der Philosophie relativ sey.78

Die Möglichkeit der konsequenten, d. h. ewigen Skepsis wird demzufolge durch die Relativität des Ganzen erkauft. Das heißt, der Umstand, dass die Skepsis sich ewig auf alles, also auch auf sich selbst richtet, und alles und sich selbst widerlegt, hat notwendig die Relativität des philosophischen Systems zur Folge.79 Da Schlegel dies zu akzeptieren bereit ist, gelingt ihm die Umsetzung der konsequenten Skepsis. Zusammenfassend lässt sich also festhalten: Weil Schlegel die ewig wirkende Skepsis als Prinzip und Anfang der Philosophie setzt, ihr aber zugleich einen positiven Gegenpol beigibt, ergibt sich ein ewiger Widerspruch, eine unendliche Dimension des Werdens, in deren Rahmen nur mehr eine relative Wahrheit möglich ist. Oder anders gewendet: Die Integration einer konsequenten Skepsis in das philosophische System gelingt Schlegel, weil er eine unendliche Dimension zu akzeptieren bereit ist, der zufolge „alle Wahrheit […] relativ; alles Wissen symbolisch“ und „die Philosophie“ selbst daher „unendlich“ ist.80 78 79

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KFSA XII, S. 95. Was den Begriff des Relativismus betrifft, so muss eine genaue Charakterisierung von Schlegels Position hier vorerst offen bleiben, denn es bedarf dazu einer gründlichen Gesamtinterpretation der TranscendentalphilosophieVorlesung, die hier nicht geleistet werden kann. Feststeht indessen schon jetzt, dass das historisch offene System Schlegels nicht einem stumpfen Relativismus im Sinne der bloßen Beliebigkeit oder der blanken Kontingenz das Wort redet. Vielmehr benutzt Schlegel das Wort „relativ“ im Sinne von ‚revisionsfähig‘, ‚nur unter Vorbehalt geltend‘ und hält so die Möglichkeit einer Korrektur möglicher Irrtümer prinzipiell offen. Auf diese Weise ergibt sich ein ewiges Verbessern, ein auf Fortschritt basierender Progress, der als qualitative Steigerung in einer unendlichen, approximativen Kette relativer Maxima besteht. Dem bloßen Nebeneinander der Kontingenzen stellt Schlegel mit seiner Konzeption der Geschichte des Bewusstseins also ein Nacheinander der logisch aufeinander folgenden Stufen entgegen. KFSA XII, S. 93. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Gestalt des Schlegel’schen Systems. Ohne dies hier näher vertiefen zu können, kann daher kursorisch festgehalten werden, dass Schlegel keineswegs ein Kritiker jeglicher Form systemischer Philosophie ist, wie dies lange behauptet wurde. So schrieb etwa Kurt Röttgers: „Schlegel ist kein Systematiker, weder im Sinne des von ihm selbst formulierten Systemgedankens, noch in irgendeinem anderen irgendwie zu rechtfertigendem Sinne.“ („Fichtes Wirkung auf die Frühromantiker“, a.a.O., S. 68). Schon das berühmte Athenäum-Fragment: „Es ist gleich tödlich für den Geist, ein System zu haben, und keins zu haben. Er wird sich also wohl entschließen müssen, beides zu verbinden.“ (KFSA II, S. 173, Nr. 53), Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Damit rückt schließlich das zentrale Theorem von Schlegels Vorlesung wieder in den Blick. Denn insofern das Bewusstsein sich reflektierend auf den Weg zu seinem unendlichen Grund macht, ergibt sich – wie bereits angedeutet – eine Bildungsgeschichte des Bewusstseins: „Das Bewußtseyn ist eine Geschichte. Die Rückkehr des Bestimmten ins Unbestimmte“.81 Dieser Geschichte des Bewusstseins, die in der Vernichtung des Endlichen besteht, entspricht eine Philosophie, die „nothwendig polemisch zu Werke geht“.82 Das ewige Wirken der Skepsis ist demnach auch hier das eigentliche Movens, die „antithetische Synthesis“.83 Denn nur die Skepsis garantiert, dass Irrtümer als solche erkannt und überwunden werden, sodass sich eine qualitative Steigerung, eine Annäherung oder Approximation an das Absolute überhaupt erst ergeben kann. Entsprechend unterscheidet Schlegel verschiedene Epochen der Entwicklung des Geistes. Deren letzte, die Schlegel die des „Verstandes“ nennt84 und als „Rückkehr aller Epochen“ begreift, ist dabei zugleich die „Epoche der Symbole“, denn hier beginnt das unendliche Reich der Kunst.85 Ohne hier näher auf diese Konzeption eingehen zu können, sei zumindest kurz auf eine wichtige Parallele verwiesen. Obgleich die Idee einer transzendentalen Grundlegung der Geschichte des Bewusstseins bei Schlegel nämlich mindestens in das Jahr 1796 zurückreicht – zu dieser Zeit spricht er von einer „Genealogie d[er] Irrthümer“86 – ergibt sich damit eine auffallende Verwandtschaft

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erst recht aber die Notiz: „Cyklisch denken heißt relativ denken. Die συστ[systematische] φ[Philosophie] sollte die relative φ[Philosophie] heißen.“ (KFSA XVIII, S. 131, Nr. 113) markieren demgegenüber Schlegels eigentliche Intention, der zufolge lediglich die konkrete Form des Systems, nicht aber der Systemanspruch selbst in Frage steht. KFSA XII, S. 11. Hierin liegt für Schlegel einer der entscheidenden Punkte gegen Kant: „Man kann im Gegensatz der kritischen Philosophie unsere Philosophie eine historische nennen“ (ebd., S. 96). Ebd., S. 93. KFSA XVIII, S. 82, Nr. 637. Mit der Verwendung des Begriffs „Verstand“ als höchstem Vermögen schließt sich Schlegel – gegen Kants kanonisch gewordene Umkehrung der Begriffe – der alten Tradition des „νους“ (KFSA XII, S. 13) an. Diesen Schritt rechtfertigt er ausführlich z. B. in seiner Jacobi-Rezension von 1812 (vgl. KFSA VIII, S. 456 f.). KFSA XII, S. 11 ff. In diesem Sinne heißt es in den Ideen: „Wo die Philosophie aufhört, muß die Poesie anfangen“ (KFSA II, S. 261, Nr. 48). KFSA XVIII, S. 13, Nr. 95. Vgl. dazu auch Schlegels noch frühere Überlegungen zum „System der unendlichen Fortschreitung“ im Aufsatz „Vom Wert des Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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zu Schellings System des transzendentalen Idealismus, das ein halbes Jahr bevor Schlegel seine Vorlesung in Jena begann, erschienen war. Darin hatte Schelling – vielleicht in Anspielung auf die Terminologie des Athenäum-Fragments – von einem „absolute[n] Skepticismus“ als „Ausscheidungsmittel“ des Grundvorurteils gesprochen.87 Obwohl Schelling die Relevanz der Skepsis für eine Historisierung des Transzendentalen also ebenfalls erkannt zu haben schien, sucht man eine elaborierte Theorie des Skeptizismus bei ihm jedoch vergebens.88 Vielleicht bezieht sich Schlegel also auch auf Schelling, wenn er, d. h. Friedrich Schlegel, in seiner Vorlesung feststellt, er habe „der Skepsis […] weit mehr Recht eingeräumt, als in jeder andern Philosophie“.89 Ganz in diesem Sinne setzt Schlegel sich auch von anderen Theorien des Skeptizismus ab und erwähnt diesbezüglich Maimon, Reinhold90 und Platner, um anhand deren Konzeptionen das eigene Profil nochmals zu schärfen. So heißt es etwa von Maimon, er sei der „bedeutendste unter diesen Skeptikern“, aber seine „Skepsis ist dem Idealismus entgegengesetzt“ – d. h. nicht wie bei Schlegel in diesen integriert.91 Und über seinen Leipziger Lehrer Platner sagt Schlegel: „Dieser hält seine Skepsis für die Philosophie selbst. Dadurch wird aber die Philosophie fixiert, und ihre progressive

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Studiums der Griechen und der Römer“ von 1795 (KFSA I, S. 631) und der „unendlichen Perfektibilität“ in der Rezension zu Condorcets Esquisse d’un tableau historique des progrès de l’esprit humain aus dem gleichen Jahr (KFSA VII, S. 3-10). Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph, Werke. Historisch-kritische Ausgabe, Bd. 9/1 hg. v. Harald Korten, Stuttgart, 2005, S. 33. Schelling scheint auch, wenn er vom „halbe[n]“ Skeptizismus spricht, der „nur gegen die gemeinen Vorurtheile der Menschen“ sich richte (ebd.), auf die Terminologie des Schlegel’schen Athenäum-Fragments zurückzugreifen. Vgl. dazu den Kommentar in ebd., Bd. 9/2, S. 75 f. Vgl. dazu Vieweg, Klaus, „Der junge Schelling über Realismus und Skeptizismus“, in: Berliner Schelling Studien 2, 2001, S. 223-243, hier: 235 f. KFSA XII, S. 42. Zu Reinhold schreibt Schlegel, obwohl dieser Tadel in gewisser Weise seiner eigenen Auffassung einer stetigen Selbstkorrektur widerspricht: „Schon die Veränderlichkeit in seiner Philosophie zeigt, daß er nie auf dem rechten Weg zur Wahrheit war. Er ist […] in Absicht der Wahrheit Skeptiker“ (ebd., S. 95). Vermutlich bezieht sich Schlegel hier auf Maimon, Salomon, Versuch einer neuen Logik oder Theorie des Denkens. Nebst angehängten Briefen des Philaletes an Aenesidemus, Berlin, 1794. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Tendenz“ – die Schlegel durch die Integration in das System gerade hervorheben will – „gehemmt“.92 In seinem Selbstanspruch, die Skepsis in ihrer konsequenten Form in das philosophische System einzubauen, ist Schlegel unter den Zeitgenossen vermutlich nur Hegel vergleichbar. Darauf hat Michael Forster hingewiesen, indem er Schlegels SkeptizismusVerständnis von 1800/01 in drei wesentlichen Punkten eine Übereinstimmung mit demjenigen Hegels nachwies.93 Obgleich diese These aufgrund der erstaunlichen Parallelen natürlich ihre Berechtigung hat94, verdeckt sie doch auch den Blick für die eklatanten Unterschiede. Weit davon entfernt, einen Vergleich dieser in mehr als einer Hinsicht eng verwandten und gerade daher heftig konkurrierenden Denker leisten zu können, sei daher abschließend auf zwei meines Erachtens entscheidende Differenzen verwiesen. Die erste betrifft die Unterscheidung von altem und neuem Skeptizismus. Während nämlich auch Schlegel diese bereits 1797 führt95, und folglich – wie später Hegel – die antike der modernen Form meist vorzieht96, bedeutet dies doch nicht zugleich eine Konzentration auf den Pyrrhonismus als echten Skeptizismus. Vielmehr wird der Pyrrhonismus von Schlegel seiner Inkonsequenz im

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KFSA XII, S. 95. Vgl. Platner, Ernst, Philosophische Aphorismen nebst einigen Anleitungen zur philosophischen Geschichte. Ganz neue Ausarbeitung. Erster Theil, Leipzig, 1793. Die drei wesentlichen Gemeinsamkeiten Schlegels und Hegels in Bezug auf den Skeptizismus bestehen nach Forster in den Überzeugungen, erstens, dass die Philosophie mit dem Skeptizismus beginne und dieser insofern ein wesentlicher Bestandteil derselben sei; zweitens, dass es sich dabei um eine radikale Form des Skeptizismus handle, die auch die Gesetze der Logik in Frage stelle; und drittens, dass dem modernen Skeptizismus der antike vorzuziehen sei (vgl. Forster, „Schlegel and Hegel on Skepticism and Philosophy“, a.a.O., S. 143 ff). Der Umstand, dass Hegel kurz nach seiner Ankunft in Jena im Januar 1801 die Schlegel’schen Vorlesungen nachweislich besucht hat (vgl. „Über den Vortrag der Philosophie an Universitäten“, TWA 4, S. 420 f.), hat schon die Zeitgenossen dazu angeregt, Parallelen zwischen beiden zu ziehen. So betrachtete bereits 1829 ein anonymer Autor Schlegel nicht zuletzt seiner Konzeption des Negativen wegen als Vorläufer oder „Lehrer Hegels“ (vgl. Ueber die Hegelsche Lehre oder: absolutes Wissen und moderner Pantheismus, Leipzig, 1829, S. 152 f. und 160 f.). Trotz der bissigen Erwiderung Hegels (vgl. TWA 11, S. 434), wurde dieser Vorwurf zwei Jahre später wiederum anonym in Über die Wissenschaft der Idee, Breslau, 1831, S. XXVII ff. wiederholt. KFSA VIII, S. 23. KFSA XIII, S. 349 f. Vgl. dazu Anm. 55 dieses Aufsatzes. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Praktischen wegen mehrfach attackiert.97 Ohne dass dies explizit erwähnt würde, erinnert Schlegels eigene Konzeption, die von der prinzipiellen Unerkennbarkeit des Absoluten und damit von einer nur immer größer werdenden Wahrscheinlichkeit ausgeht98, denn auch eher an das platonische Modell, wie es uns etwa durch Cicero vermittelt aus der Neuen Akademie überliefert ist.99 Dafür spricht nicht nur, dass Schlegel sich in der Vorlesung mehrfach auf die Skepsis Platons und Sokrates’ bezieht100; auch seine schon zuvor zitierte namentliche Erwähnung des Karneades deutet auf diesen Punkt. Die zweite wichtige Differenz zu Hegel betrifft die konkrete Form der Implikation der Skepsis. Während sich nämlich Schlegel und Hegel dem Programm einer in das System integrierten Skepsis verschreiben, umfasst dies nur bei Hegel auch eine Aufhebung derselben. Schlegel hingegen geht es nicht um eine Widerlegung der Skepsis. Diese behält bei ihm vielmehr ihre ewige, destruktive Kraft, weshalb sein Modell notwendig relativ bleibt. Schlegels System findet seinen Abschluss also gerade nicht in einem wie auch immer verfassten absoluten Wissen, sondern schreitet – aufgrund der ewig wirkenden Skepsis – in einer unendlichen Dimension relativer Maxima immerwährend fort. Insofern bei Schlegel also nicht wie bei Hegel von einer Immunisierung gegen die Skepsis oder einem „integrativen Antiskeptizismus“101 die Rede sein 97

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KFSA XII, S. 229 f. und KFSA XIII, S. 348 f. So meint Schlegel offenbar den Pyrrhonismus, wenn er vom „fixierte[n]“ Skeptizismus spricht (KFSA XII, S. 127 f.). In einer Notiz von 1806 heißt es dementsprechend von der „εποχη“ sie müsse „keine indifferent stillstehende, sondern eine progreßiv thätige“ sein (KFSA XIX, S. 215, Nr. 116; vgl. gegen den Pyrrhonismus auch KFSA II, S. 202, Nr. 230; KFSA XIX, S. 183, Nr. 246 und stellvertretend für das Spätwerk KFSA VI, S. 88 f.). In diesem Sinne hält auch Matthias Löwe fest: „Diese Romantiker […] artikulieren aber auch keine pyrrhonische Ataraxie, keine Seelenruhe durch Wahrheitsverzicht, sondern eine unendliche Bewegung.“ („Romantische Skepsis bei Novalis, E. T. A. Hoffmann und Eichendorf“, in: WezelJahrbuch 14/15, 2011/12, S. 263-284, hier S. 284). Genau in diesem Sinne schreibt Schlegel selbst der Neuen Akademie die Behauptung zu, „daß es gar keine Gewißheit, sondern nur Wahrscheinlichkeit in verschiedenen Graden gebe“ (KFSA XIII, S. 349 f.). Vgl. ebd., S. 351 f. Z. B. im Lucullus und den Academici libri. Vgl. auch KFSA XVIII, S. 287, Nr. 1081. Vgl. KFSA XII, S. 42 bzw. 103. Heidemann, Dietmar, Der Begriff des Skeptizismus. Seine systematischen Formen, die pyrrhonische Skepsis und Hegels Herausforderung, Berlin und New York, 2007, S. 9. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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kann, lässt sich Schlegels Modell auch nicht ohne Weiteres mit dem „sich vollbringenden Skeptizismus“ der Phänomenologie gleichsetzen.102 Dies sei abschließend durch ein Zitat aus Schlegels Vorlesung belegt, das den Unterschied zu Hegel noch einmal deutlich werden lässt: Absolute Wahrheit kann nicht zugegeben werden; und dies ist die Urkunde für die Freyheit der Gedanken und des Geistes. Wenn die absolute Wahrheit gefunden wäre, so wäre damit das Geschäft des Geistes vollendet, und er müßte aufhören zu seyn, da er nur in der Tätigkeit existiert.

Aber so, wenn alle Wahrheit nur relativ ist, können wir uns mit Muth und Hoffnung der Spekulazion überlassen; jede Reihe von Versuchen, die etwas Reelles zu Grunde hat, führt zur Wahrheit. Mehr kann nicht gesagt werden; vernichten wir nur den Irrthum, so entsteht die Wahrheit von selbst.103

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Dies tut neben Forster mehrfach auch Arndt, „Zum Begriff der Dialektik bei Friedrich Schlegel“, a.a.O., S. 264 und ders., „Widerstreit und Widerspruch“, a.a.O., S. 114. Im Gegensatz dazu ist Frank mit Blick auf dieses Ergebnis Recht zu geben, wenn er von Schlegels Denken als dem „Programm eines Hegelianismus ohne krönenden Abschluß im absoluten Wissen“ spricht (Frank, „‚Alle Wahrheit ist relativ, alles Wissen symbolisch‘“, a.a.O., S. 435). KFSA XII, S. 93. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Zirkel des Denkens. Zu Schellings Kritik von Fichtes transzendentalem Argument 1

Mit der im Titel angeführten Wortverbindung hat Nicolai Hartmann „eine sehr alte Überlegung“2 bezeichnet, mit der das unabhängige Sein eines Erkenntnisgegenstandes bestritten werden soll. Diese Überlegung lautet wie folgt: Das, was einen Gegenstand als einen solchen definiert, ist dies, dass er etwas ist, das unserer Erkenntnis und näher allen unseren mentalen Akten gegenübersteht, und zwar so gegenübersteht, dass er auch unabhängig davon besteht, ob wir uns mit unseren mentalen Akten auf ihn beziehen. Fragt man allerdings nach diesem Gegenüberstehen des Gegenstandes selbst, insofern er Gegenstand unserer Erkenntnis und näher aller unserer mentalen Akte sein soll, so ergibt sich, dass sein Gegenüberstehen sein von unseren mentalen Akten unabhängiges Sein gerade nicht impliziert, denn „die Unabhängigkeit des Gegenstandes von der Meinung [ist] selbst nur eine gemeinte“. Wenn man also den Gegenstand „im Urteil als ansichseienden“ setzt, „so ist das Ansichsein ein bloß gesetztes; denkt man ihn sich als selbständiges Gebilde außer dem Bewußtsein, so ist die Selbstständigkeit, und mit ihr das Außensein ein bloß gedachtes“.3 Mit dem Zirkel des Denkens ist also ein Argument gemeint, mit dem die Möglichkeit bestritten werden soll, dass wir uns je in die Lage versetzen können, den Gesamtzusammenhang unserer mentalen Akte so zu überschreiten, dass wir den Gegenstand dieser Akte als etwas von diesen Akten unabhängig, und damit an sich Seiendes erkennen können. Denn jeder Versuch in dieser Richtung wird notwendigerweise dazu führen, dass das beanspruchte Ansichsein des Gegenstandes als etwas angesehen werden muss, das von uns bloß gedacht wird. Es wird sich immer nur um ein gedachtes An1

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Der Beitrag wurde im Rahmen des Projekts „Idee der moralischen Verwirklichung im Deutschen Idealismus und ihre Verwandlung bei Søren Kierkegaard“ (P401/13/303785 GACR) unterstützt. Vgl. Hartmann, Nicolai, Die Erkenntnis im Lichte der Ontologie, Hamburg, 1982, S. 6. Ebd. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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sichsein handeln, und deshalb können wir prinzipiell nie in der Lage sein, das wirkliche Ansichsein zu erfassen. Diesen Argumenttyp werde ich als einen transzendentalen bezeichnen.4 Schelling meinte, ihn als das Grundargument der Fichte’schen Wissenschaftslehre identifizieren und kritisieren zu können. Es ist die Absicht der folgenden Ausführungen, Schellings Argumentation einer Analyse zu unterziehen.

I. Ich beginne mit einer Präzisierung des von mir so genannten transzendentalen Arguments. Dieses Argument impliziert nur Skepsis darüber, ob wir die Möglichkeit haben, uns von dem von unserem Denken unabhängigen Ansichsein des Gegenstandes zu überzeugen. Es impliziert jedoch keineswegs Skepsis darüber, ob wir die Möglichkeit haben, den Gegenstand als Gegenstand zu erkennen. Es impliziert also nicht, dass wir uns mit unseren mentalen Akten immer nur auf etwas beziehen, das eine bloß von uns erdichtete Illusion wäre. So ließe sich das mit dem Zirkel des Denkens nahegelegte Dilemma in der Perspektive von Kants Transzendentalphilosophie folgendermaßen auflösen: Zwar haben wir keine Möglichkeit, die Gegenstände unserer Erkenntnis so anzuschauen und zu erkennen, wie sie an sich, d. h. unabhängig von unserem Anschauungsvermögen bestehen. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir sie gar nicht erkennen können, obwohl es bedeutet, dass wir sie nur als Gegenstände unseres Anschauungsvermögens, d. h. als Erscheinungen erkennen können. Denn Erscheinungen sind kein Schein, sondern reale Gegenstände unserer Erfahrung. Wir können die Gegenstände auch abgesehen davon erkennen, dass wir sie

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Der Begriff des transzendentalen Arguments bezeichnet in der Diskussion, die von Kants Transzendentalphilosophie ihren Ausgang nimmt, einen anderen Argumenttyp. Ralph Walker fasst ihn wie folgt zusammen: „Roughly, transcendental arguments are arguments of the form ‚There is experience; it is a condition of the possibility of experience that p; therefore, p‘.“ (Walker, Ralph C. S., „Kant and transcendental arguments“, in: Kant and Modern Philosophy, hg. v. Paul Guyer, Cambridge, 2006, S. 238) Walker macht darauf aufmerksam, dass man bei Reinhold und Fichte Argumente finden kann, die als transzendental bezeichnet werden können (vgl. ebd. S. 249). Er erklärt allerdings nicht, wie sie aussehen sollten. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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immer nur so erkennen können, wie sie für unser wahrnehmendes und erkennendes Bewusstsein sind. Fichte hat nun in der Tat das soeben skizzierte transzendentale Argument an mehreren Stellen seines Werkes formuliert. Sein Argument besagt dabei zweierlei: erstens dass es in dem ganzen Bereich des Mentalen etwas gibt, von dem nie abstrahiert werden kann, nämlich von dem Ich; und zweitens dass alles, von dem wir überhaupt etwas wissen können sollen, immer etwas für dieses Ich sein muss. Denn sollen wir von einem beliebigen Etwas etwas wissen können, müssen wir zunächst einmal von uns selbst wissen. Fichte fasst den Grundgedanken seiner Wissenschaftslehre mit diesen Worten zusammen: „zu allem, was im Bewusstseyn vorkommend gedacht wird, muß das Ich nothwendig hinzugedacht werden“.5 Daraus folgt: Alles Sein, von dem wir wissen können sollen, muss Sein für das Ich sein. Die Möglichkeit, das Ansichseiende zu erkennen, würde also bedeuten, von dem Ich abzusehen, was jedoch nicht möglich ist, weil mit der Abstraktion vom Ich alles Sein verschwinden würde, oder genauer: weil die Möglichkeit verschwinden würde, von dem Sein überhaupt etwas zu wissen. Fichte fasst nun sein transzendentales Argument an einer Stelle wie folgt zusammen: Was auch immer wir wissen können, so sind es doch immer wir, die das Sein denken, sodass also „nie etwas unabhängig von uns vorkommen könne, sondern alles nothwendig sich auf unser Denken beziehe“.6 Manfred Frank hat darauf hingewiesen, dass gegen Fichtes transzendentales Argument bald eine kritische These geltend gemacht worden ist. So hat Friedrich Karl Forberg in seinen 1797 publizierten Briefen über die neueste Philosophie gefragt: „Aber warum sollte ich das Denkende mit allem, was es ist und thut, nicht aufheben können, so oft es mir gefällt?“7 Fichte könnte leicht erwidern, dass Forberg in dem Fall genau diejenige Bedingung aufheben würde, die es ihm möglich macht, überhaupt etwas aufzuheben. Vom Ich zu abstrahieren würde bedeuten von derjenigen Bedingung zu abstrahieren, die es allein möglich macht, überhaupt von etwas zu abstrahieren. Hierin folgt Fichte Kant, denn Kant 5 6 7

Fichte, Johann Gottlieb, Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre, GA I/4, S. 253. Ebd., S. 253. Zitiert nach Frank, Manfred, „Unendliche Annäherung“. Die Anfänge der philosophischen Frühromantik, 2. Aufl., Frankfurt am Main, 1998, S. 640. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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zufolge besteht zwischen der Anschauung bzw. Sinnlichkeit und dem Denken bzw. Verstand folgende asymmetrische Relation: Wenn ich von aller Anschauung abstrahiere, so bleibt mir noch das Denken der Objekte übrig. Sehe ich allerdings von allem Denken ab, so bleibt mir gar nichts übrig.8 Darüber hinaus ist mit Kant zu sagen, dass diejenigen mentalen Zustände, die von dem ‚Ich denke‘ nicht begleitet sind, sich für das Subjekt dieser Zustände so verhalten, als ob sie gar nicht existierten. Sie sind für es nichts. Hebe ich daher das Denkende „mit allem, was es ist und thut,“ auf, so sind alle mentalen Zustände für mich nichts: Alle mentalen Zustände verschwinden, und mit ihnen verschwindet alles, was sich in diesen mentalen Zuständen hätte präsentieren können, also nicht nur alle Subjektivität, sondern auch alle objektive Welt. Zwar müssen nicht alle mentalen Zustände von dem ‚Ich denke‘ actualiter begleitet sein. Das ‚Ich denke‘ muss sie nur begleiten können. Aber mit der Aufhebung des ‚Ich denke‘ wird dem Subjekt der mentalen Zustände die Möglichkeit genommen, sich auf seine mentalen Zustände überhaupt zu beziehen. Genau das fordert jedoch Forberg mit seiner ein wenig naiven Frage. Ebendies hat auch Schelling 1801 eingefordert. In der Darstellung meines Systems der Philosophie schreibt er: „Das Denken der Vernunft ist jedem anzumuthen; um sie als absolut zu denken, um also auf den Standpunkt zu gelangen, welchen ich fordere, muß vom Denkenden abstrahiert werden.“9 Diese Forderung impliziert, wie angedeutet, einen performativen Widerspruch, denn wenn ich von dem Denkenden abstrahiere, dann abstrahiere ich auch vom Denken selbst und kann offenbar gar nichts Denken. Ohne einen 8 9

Vgl. KrV A 253 f./B 309. Zitiert nach Frank, „Unendliche Annäherung“, a.a.O., S. 641. Frank sieht kein Problem in der Forberg’schen Forderung und wirft Fichte die Verwechslung eines Gedankens ‚de re‘ mit einem Gedanken ‚de dicto‘ vor: „Dass ich faktisch nichts denke, ohne es eben zu denken, impliziert […] nicht, dass ich auch dieses mein Denken selber noch denken muss.“ (Ebd.) Auf der Ebene des faktischen Denkens mag das auch stimmen, es geht jedoch bei Kant und m. E. auch bei Fichte, insofern Wissenschaftslehre Transzendentalphilosophie ist, nicht um Faktizität, sondern um Bedingungen der Möglichkeit des Denkens. Es geht nicht um die Trivialität, dass ich nichts faktisch denken kann, ohne es zu denken, sondern um die Bedingungen, unter denen ich überhaupt etwas denken kann. Kant und Fichte zeigen, dass das Selbstbewusstsein die erste dieser Bedingungen ist und dass ich bei allem meinem Denken thematisch oder unthematisch immer schon mich selbst mit denke. Will man diese These bezweifeln, müsste man es anhand einer Argumentanalyse tun. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Denkenden gibt es also nicht nur kein absolutes Denken, sondern vielmehr gar kein Denken. So lässt sich Fichtes transzendentales Argument auch formulieren. In der Schrift Über den wahren Begriff der Naturphilosophie aus demselben Jahr spricht Schelling von dem „Kreis des Bewußtseyns“10, den er Fichte anlastet und aufzuheben versucht, wobei diese Aufhebung der erste Schritt auf dem Weg zur Naturphilosophie ist: „Ich fordere zum Behuf der Naturphilosophie die intellektuelle Anschauung, wie sie in der Wissenschaftslehre gefordert wird; ich fordere aber außerdem noch die Abstraktion von dem Anschauenden in dieser Anschauung, eine Abstraktion, welche mir das rein Objektive dieses Akts zurückläßt.“11 Intellektuelle Anschauung soll also für Schelling ein Mittel zur Erfassung der Natur sein. Zu dieser als dem reinen Objekt des Aktes der intellektuellen Anschauung gelangt man, wenn man von dem Anschauenden absieht. Fichte hat die intellektuelle Anschauung als Identität des Subjektiven und Objektiven gefasst. Er hat dies bekanntlich getan, um die Aporie der reflexiven Theorie des Selbstbewusstseins zu vermeiden. Der Begriff der intellektuellen Anschauung war für Fichte ein Begriff, mit dem er das ursprüngliche Selbstbewusstsein bezeichnete, das für ihn die Grundlage alles Wissens bedeutete. Soll ich von beliebigen Sachverhalten wissen können, so muss ich vor allem von mir selbst wissen als von einer Entität, für die beliebige Sachverhalte sein können. Denn die beliebigen Sachverhalte können nur dann für mich sein, wenn ich für mich selbst bin. Dieser Grundgedanke Fichtes ist bereits erwähnt worden. Jetzt geht es darum, dass ich für mich selbst auf eine toto genere verschiedene Weise bin, als beliebige Sachverhalte für mich sind: Alle beliebigen Sachverhalte sind für mich vermittelst der Akte meines Denkens, während ich selbst für mich so bin, dass ich ein unmittelbares Bewusstsein dieser Denkakte als meiner Denkakte habe. Fichte hat verstanden, dass das Bewusstsein der Denkakte selber nicht durch einen Denkakt vermittelt sein kann, denn eben aus dieser Voraussetzung ergab sich ein regressus in infinitum bei der Erklärung des Selbstbewusstseins. Weil es also nicht durch Denkakte vermittelt

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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph, Ueber den wahren Begriff der Naturphilosophie und die richtige Art ihre Probleme aufzulösen, SAS 2, S. 17. Ebd., S. 19-20. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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sein kann, muss es unmittelbar sein und deswegen einen intuitiven – anschaulichen – Charakter haben. Der Begriff der intellektuellen Anschauung hat für Schelling eine ganz andere Funktion als für Fichte. Seit seiner Identitätsphilosophie bezeichnet er mit ihm nicht mehr den unmittelbaren epistemischen Zugang des Subjekts des Bewusstseins zu sich selbst, sondern denjenigen epistemischen Zugang zu der Natur, der es möglich machen soll, sie so zu erkennen, wie sie an sich ist. Und dieser Zugang eröffnet sich, wenn von dem Anschauenden abgesehen wird, denn dann, so muss Schelling überzeugt sein, wird von allem rein Subjektiven abgesehen, so dass das reine Objekt übrigbleibt, nämlich die Natur an sich. Schelling meint jedoch nicht etwa, dass sein Begriff der intellektuellen Anschauung eine andere Struktur aufweist als der Fichte’sche. Trotz ihrer veränderten Funktion hat die intellektuelle Anschauung auch für Schelling die Struktur der Identität des Subjektiven und Objektiven. Nur ist diese Struktur jetzt ganz auf die objektive Seite verschoben, so dass die Natur selbst die Struktur der Identität des Subjektiven und Objektiven aufweist: „[…] was ich Natur nenne, ist mir eben nichts anderes als das rein-Objektive der intellektuellen Anschauung, das reine Subjekt-Objekt“.12 Man würde allerdings erwarten, dass, wenn von dem Akt der intellektuellen Anschauung das Anschauende durch Abstraktion weggenommen würde, allein das Objektive dieses Aktes übrigbleibe. Schelling meint jedoch, es bleibe das rein Objektive des Subjektiven und Objektiven, wobei er das Ich als das rein Subjektive des Subjektiven und Objektiven interpretiert. Wovon also abstrahiert wird, wenn von dem Anschauenden des Aktes der intellektuellen Anschauung abstrahiert wird, ist das Ich als das rein Subjektive des Subjektiven und Objektiven. Daraus ist ersichtlich, dass die Identität des Subjektiven und Objektiven in Schellings Identitätsphilosophie eine Grundstruktur darstellt, die in allem, was ist, vorhanden ist. Das, was bei Fichte nur die Grundstruktur der Subjektivität war, wird jetzt bei Schelling zu einer allgemeinen ontologischen Struktur, die allem Seienden als solchem zukommt. Fichte müsste allerdings diese Konzeption der intellektuellen Anschauung sinnlos finden, denn mit ihr wird gefordert, von dem Anschauenden in der intellektuellen Anschauung, also von ihrer 12

Ebd., S. 22. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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subjektiven Seite, so abzusehen, dass es zugleich als das Subjektive in dieser Anschauung auf der objektiven Seite erhalten bleibt. Diese Forderung müsste daher für Fichte nicht nur, wie oben gezeigt, auf einen performativen, sondern zugleich auch auf einen strukturellen Widerspruch hinauslaufen. Denn wenn Schelling fordert, von dem Anschauenden in der intellektuellen Anschauung abzusehen, so setzt dies voraus, dass in die intellektuelle Anschauung eine Differenz des Anschauenden und des Angeschauten hineingetragen wird, und die intellektuelle Anschauung zum Fall eines gegenständlichen Bewusstseins wird. Man müsste darüber hinaus fragen, ob der Naturphilosoph überhaupt etwas von der Natur erfassen kann, wenn er von sich selbst als von einer Entität absieht, für die Sachverhalte der Natur überhaupt etwas sein können. Für wen, so muss gefragt werden, sollen die Sachverhalte der Natur sein, wenn diese Abstraktion von dem Denkenden im Denken oder von dem Wissenden im Wissen vorgenommen wird? Sie sollten für jemanden etwas sein, der der Voraussetzung nach sich durch den Akt der Abstraktion in einen solchen verwandelt, für den nichts sein kann. Müssen sich dann die Sachverhalte der Natur, wie Konrad Cramer es formulierte,13 nicht in frei flottierende Entitäten verwandeln, weil sie jemandem gehören sollten, dem sie als seine mentalen Zustände gar nicht zugeschrieben werden könnten? Die Antwort scheint affirmativ ausfallen zu müssen.

II. Die Frage ist nun, ob Schellings identitätsphilosophisches Unterfangen durch das soeben festgestellte Ergebnis nicht als gescheitert erklärt werden muss. Diese Frage kann zumindest ansatzweise beantwortet werden, wenn man die Schelling’sche Kritik des Fichte’schen transzendentalen Arguments genauer betrachtet. Sie ist mit dem bisher Gesagten allerdings noch gar nicht zum Ausdruck gebracht. Worin besteht sie also? Es wurde oben gesagt, dass die intellektuelle Anschauung für Schelling ein Mittel zur Erfassung der Natur an sich darstellt. Schelling meint allerdings nicht, dass das Ansichsein der Natur ihr 13

Vgl. Cramer, Konrad, „Einheit des Bewusstseins und Bewusstsein der Einheit. Ein Problemaufriss in der Perspektive Kants“, in: Systeme im Denken der Gegenwart, hg. v. H.-D. Klein, Bonn, 1993, S. 140. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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von dem Denken unabhängiges Sein bedeutet. Er meint ganz im Gegenteil, dass der epistemische Zugang zu der Natur an sich erst durch dasjenige Denken gewährleistet wird, das der Vollzug der reinen Vernunft ist. In den Ferneren Darstellungen aus dem System der Philosophie (1802) erklärt Schelling: „Intellektuell nennen wir diese Anschauung, weil sie Vernunft-Anschauung ist und als Erkenntniß zugleich absolut eins mit dem Gegenstand der Erkenntniß.“14 Die intellektuelle Anschauung macht es Schelling zufolge deshalb möglich, die Natur an sich zu erkennen, weil in ihrem Fall – aber auch nur in ihrem Fall – gilt, dass zwischen dem Erkenntnisakt und dem Erkenntnisgegenstand „absolute Einheit“, d. h. Identität gegeben ist. Die Einheit dieser Erkenntnisart hat nun deshalb einen intuitiven Charakter, weil Anschauung Schelling zufolge immer „Gleichsetzen von Denken und Seyn“15 ist. Ein Beispiel solcher Erkenntnisart liefert nach Schelling die Geometrie. Die Evidenz der geometrischen Sätze beruht auf der Einheit von Denken und Sein, d. h. eben auf ihrem anschaulichen Charakter.16 Hier wird erneut die Differenz zu Fichte deutlich. Zwar hat auch Fichte die intellektuelle Anschauung als Einheit von Sein und Denken aufgefasst. Diese Einheit war für Fichte allerdings allein Einheit der Subjektivität, denn insofern die Subjektivität sich selbst, d. h. ihr eigenes Sein setzt und dies auch weiß, so ist sie eben als Einheit von Sein und Denken zu verstehen. Es ist das Subjekt als das sich selbst setzende Denkende in allem Denken, das die Einheit von seinem Sein und seinem Denken ist. Und diese seine Einheit ist dem Subjekt in der intellektuellen Anschauung epistemisch zugänglich. Schelling meint dagegen mit der Einheit von Sein und Denken offenbar die Einheit des erkennenden Denkaktes und seines Objektes, wobei das Objekt gerade nicht die Subjektivität ist, sondern die Objektivität überhaupt, deren Inbegriff die Natur an sich ist. Wie erwähnt, führt Schelling als Beispiel der in der intellektuellen Anschauung vorhandenen Evidenz der Einheit von Denken und Sein die Geometrie an. Das wird wohl folgendermaßen gemeint sein: Das, was der Geometer denkt, erzeugt er in der Konstruktion, 14 15 16

Schelling, Fernere Darstellungen aus dem System der Philosophie, SAS 2, S. 113. Ebd., S. 112. Vgl. ebd., S. 107. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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durch die das Sein des Gedachten entsteht, und dieses Sein des Gedachten schaut er unmittelbar an, weil die Konstruktion selber in der Anschauung vollzogen wird. Deshalb verfügt die Geometrie über eine unmittelbare, anschauliche Evidenz ihrer Begriffe und der mit ihrer Hilfe formulierten Sätze. So hat es auch Kant gedacht. Er hat es aber zugleich so gedacht, dass mit Hilfe dieser geometrischen Evidenz der Unterschied der Geometrie und der Metaphysik formuliert werden kann, und zwar so, dass die Metaphysik im Unterschied zur Geometrie über die unmittelbare intuitive Evidenz gerade nicht verfügt, weil sie immer nur diskursiv verfahren kann. Im Unterschied zu Kant meint nun Schelling offensichtlich, dass mit der in der Geometrie vorhandenen Evidenz auch die Natur an sich erkannt werden kann. Schelling ist der Auffassung, dass das, was durch die intuitive Erkenntnisart der reinen Vernunft erfasst wird, die essentiellen Bestimmungen des Seins oder der Natur sind. Denn die intellektuelle Anschauung ist „das Vermögen überhaupt, das Allgemeine im Besonderen, das Unendliche im Endlichen […] vereinigt zu sehen“.17 Sie ist die kognitive Fähigkeit, „die Pflanze in der Pflanze, das Organ im Organ und mit Einem Wort den Begriff oder die Indifferenz in der Differenz zu sehen“.18 Dass der Begriff als Indifferenz in der Differenz zu sehen ist, bedeutet, dass er die essentielle Bestimmung ist, die alle Pflanzen ohne Unterschied zu Pflanzen macht. Und dass er „Pflanze in der Pflanze“ ist, muss die realistische Auffassung bedeuten, der zufolge er als Essenz in einer jeden einzelnen Pflanze vorhanden ist, und durch diese Präsenz ein einzelnes Seiendes zur Pflanze macht. Und ich sehe, so Schelling, durch die intellektuelle Anschauung die Einheit des Endlichen und Unendlichen, d. h. eben die Einheit des einzelnen Seienden mit dem dieses Seiende gestaltenden Begriff. Diese Einheiten bezeichnet Schelling als Ideen, die er als die durch die absolute Substanz entworfenen Modi ihrer Selbsterkenntnis interpretiert. Der endliche Intellekt hat zu ihnen einen epistemischen Zugang durch seine reine, über intuitive Evidenz verfügende Vernunft, die nicht nur seine subjektive kognitive Fähigkeit ist, sondern „allgemein verbreitet ist“, d. h. als Grundstruktur der absolu-

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Ebd., S. 106. Ebd. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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ten Substanz in allem, was ist, vorhanden ist.19 Es lässt sich also sagen, dass Schellings Kritik des Fichte’schen transzendentalen Arguments als ein erster Schritt auf dem Wege zur Erneuerung der von Kant destruierten Metaphysik angesehen werden kann. Man kann nun gegen Schelling nicht einwenden, wie es das Geometriebeispiel nahelegen würde, dass die Natur an sich nicht erkannt wird, weil sie von dem Naturphilosophen konstruiert wird und diese Konstruktion nicht auf die Phänomene der Natur zurückbezogen werden kann. Die intellektuelle Anschauung ist für Schelling vielmehr die kognitive Fähigkeit, im Ausgang von den Phänomenen der Natur deren essentielle Bestimmungen zu erfassen. Die Funktion des Geometriebeispiels bestand allein in dem Hinweis auf die Art der Evidenz, die mit einer jeden intellektuellen Anschauung verbunden ist. Das Problem der Schelling’schen identitätsphilosophischen Position ergibt sich vielmehr aus dem Zusammenhang mit der Transzendentalphilosophie, mit der sich Schelling durch die Kritik des Fichte’schen transzendentalen Arguments auseinanderzusetzen versucht. Es ist aber immer noch nicht gesagt worden, worin diese Kritik besteht. Das soll jetzt geschehen.

III. Schelling formuliert seine Fichte-Kritik an mehreren Stellen seiner zwischen den Jahren 1801 und 1804 verfassten Werke. In der Schrift Propädeutik der Philosophie aus dem Jahre 1804 hat sie folgende Gestalt: In einem ersten Schritt rekonstruiert Schelling den von Fichte explizit zugegebenen Zirkel, der in dem Widerspruch im Begriff des Dinges an sich besteht. Das Ding an sich kann auf der einen Seite nur für mich sein, „denn ich bin es ja, der es denkt oder anschaut“.20 Auf der anderen Seite soll es jedoch der Voraussetzung nach etwas sein, das gerade unabhängig von meinem Denken und Anschauen bestehen soll. Im zweiten Schritt identifiziert Schelling diesen Widerspruch als Gegensatz des End19

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Diese Vernunftlehre entwickelt Schelling in dem ersten, allgemein ontologischen Teil der Würzburger Vorlesungen aus dem Jahre 1804. Vgl. System der gesammten Philosophie und der Naturphilosophie insbesondere, SAS 3, S. 147-224. Schelling, Propädeutik der Philosophie, SAS 3, S. 137. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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lichen und Unendlichen oder als strikt gefasste Differenz der Subjektivität und des Objekts, wobei das Objekt von der Subjektivität erfasst werden soll, aber aus prinzipiellen Gründen nie erfasst werden kann. Schelling zufolge besteht in dieser Radikalisierung der Differenz des Endlichen und Unendlichen zwar Fichtes Verdienst, jedoch identifiziert er darin auch eine dogmatische Voraussetzung, die darin besteht, „alles Bewußtseyn […] aus einem An-sich, einem von uns Unabhängigen zu erklären“, das sich „wieder in ein Produkt meiner Subjektivität“ verwandelt, „sobald wir darauf reflektiren“.21 Schelling zielt mit diesem Dogmatismuseinwand offenbar auf die Fichte’sche Lehre von dem Anstoß, und es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Schelling gegen Fichte denselben Dogmatismuseinwand erhebt, den Fichte gegen die „Kantianer“ erhoben hatte, nämlich das Bewusstsein aus der Wirkung von etwas Extramentalem zu erklären. Im letzten Schritt seiner Kritik gibt Schelling die Richtigkeit der Reflexion, die zu dieser Radikalisierung führte, zu. Er fügt jedoch sofort hinzu, dass diese Reflexion nicht weit genug geführt worden ist, weil sie den letzten Schritt noch nicht gemacht hat, der darin bestehen sollte einzusehen, dass die Differenz des Endlichen und Unendlichen selber nichtig sei, weil sie „nach Gesetzen unserer endlichen Naturen“22, die selber nichtig sind, geschehen sei. Wenn man die Nichtigkeit dieser Differenz einsieht und aufgrund dessen aufhört, das Unendliche außer sich und sich außer dem Unendlichen zu suchen, „so wird es auch unmittelbar aufhören bloß für dich zu seyn“23, d. h. als etwas für dich wird es doch zugleich und unmittelbar als etwas erfasst, das an sich ist. Es handelt sich also um ein von dir erfasstes Ansichsein als Ansichsein. Schelling gibt also die Richtigkeit des Fichte’schen transzendentalen Arguments zu. Auch er kommt zu dem Ergebnis, dass das von dem endlichen Intellekt erfasste Ansichsein etwas für diesen Intellekt sein muss. Weil aber dieser Intellekt über die kognitive Fähigkeit der intellektuellen Anschauung verfügt, so wird das von ihm erfasste Ansichsein nicht nur als etwas bloß für ihn Seiendes, sondern in seinem Ansichsein erfasst. Der Zirkel des Denkens ist also Schelling zufolge zu durchbrechen kraft derjenigen kognitiven 21 22 23

Ebd. Ebd. Vgl. Schelling, Fernere Darstellungen aus dem System der Philosophie, SAS 2, S. 100 f. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Fähigkeit, die das endliche Subjekt unmittelbar seine eigene Nichtigkeit einsehen lässt, und dieses dadurch zur Einsicht führt, dass die von ihm für unüberwindbar gehaltene Differenz der Sache an sich und ihrer Erfassung bedeutungslos ist, weil diese Differenz von ihm als einem Endlichen gemacht wurde. Die Einsicht in die eigene Endlichkeit ist zugleich ihre Überwindung, weil sie zugleich die Einsicht ist, dass die Identität die Grundstruktur von allem ist, was ist, und somit alle Differenzen selber nur quantitative – also unwesentliche – sind. Obwohl nun darauf hinzuweisen ist, dass Schelling nicht mehr das transzendentalphilosophische Programm verfolgt, sondern einen anderen Theorietyp entwickelt, der nur von seinen eigenen Prämissen her kritisiert werden kann, so melden sich doch sofort Zweifel darüber, ob der endliche menschliche Intellekt nicht überfordert wird, wenn von ihm verlangt wird, das Unendliche oder das Absolute in der intellektuellen Anschauung unmittelbar zu erfassen, und ob der von Fichte explizit zugegebene Zirkel des Denkens auf die von Schelling proklamierte Weise zu durchbrechen ist. Könnte man in Schellings Lösung dieses Zirkelproblems mit Hilfe der intellektuellen Anschauung nicht einen deus ex machina sehen? Hegel scheint von Anfang an diesen Verdacht zu haben.24 Und obwohl auch er das Programm einer Erneuerung der Metaphysik, in der es um die Erkenntnis des Absoluten zu tun ist, verfolgte, hat er ziemlich bald eingesehen, dass der prinzipiellen Diskursivität des menschlichen Geistes Rechnung getragen werden muss und 24

Zwar scheint sich Hegel in der Differenzschrift zu dem Begriff der intellektuellen bzw. transzendentalen Anschauung affirmativ zu verhalten, indem er offensichtlich noch unter dem Schelling’schen Einfluss sagt: „In der transzendentalen Anschauung ist alle Entgegensetzung aufgehoben, aller Unterschied der Konstruktion des Universums durch und für die Intelligenz und seiner als ein Objektives angeschauten, unabhängig erscheinenden Organisation vernichtet.“ (TWA 2, S. 43) Er führt allerdings bereits in dieser Schrift aus, dass der Widerspruch, der darin besteht, dass das Absolute einerseits gesetzt werden soll, es jedoch andererseits mit diesem Akt geradezu aufgehoben sei – „denn indem es gesetzt wurde, wurde es beschränkt“ (ebd., S. 25) –, durch die philosophische Reflexion vermittelt werden soll. Etwas durch Reflexion zu vermitteln heißt jedoch, es in einem diskursiven Verfahren zu erfassen, also gerade nicht durch eine unmittelbare Intuition zugänglich zu machen. In dem Kapitel „Womit muss der Anfang der Wissenschaft gemacht werden“ in der Wissenschaft der Logik lehnt Hegel den Begriff der intellektuellen Anschauung als „Anfang der Wissenschaft“ endgültig und entschieden ab (vgl. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Wissenschaft der Logik. Die Lehre vom Sein (1832), hg. v. Hans-Jürgen Gawoll, Hamburg, 1990, S. 55). Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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dass sie durch die letztlich nicht beweisbare Behauptung eines unmittelbaren intuitiven Zugangs zum Absoluten nicht umgegangen werden darf. Deshalb hat Hegel vor der Entfaltung der Kategorienlehre die Phänomenologie des Geistes entworfen, in der es darum geht, den endlichen menschlichen Geist auf einem diskursiven Wege davon zu überzeugen, dass er das ansichseiende Absolute nicht außerhalb seiner und sich selbst nicht außerhalb des Absoluten zu suchen habe. Das wäre allerdings ein Thema für einen anderen Vortrag.

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Führt das Wissen zu nichts? Nihilismus als äußerste Gestalt des Skeptizismus bei Jacobi, Fichte und Hegel 1. Einführung Kants „Revolution der Denkungsart“ bietet eine Antwort auf Humes Skeptizismus: Grob ausgedrückt ist die skeptische Gefahr durch die Einsicht gebannt, dass sich unsere Erkenntnis nicht nach den Gegenständen richtet, sondern umgekehrt sich die Gegenstände nach unserer Erkenntnis richten.1 In der Folge von Kants „Revolution“ nimmt die Erkenntnis eine konstruktivistische Gestalt an.2 Dieses Konstruktivistische soll nicht nur zur Berichtigung der Erkenntnisauffassung beitragen, sondern bietet auch neue Impulse für die praktische Philosophie: Freiheit wird dadurch verwirklicht, dass der Erkennende den eigenen Beitrag im Erkannten einsieht. Die Erkenntnis wird nicht länger als eine Begegnung mit einem äußeren Ding gefasst, sondern als durch Freiheit bestimmte Rekonstruktion des Äußeren im Inneren. Ist damit aber eine befriedigende Antwort auf Humes Skeptizismus gegeben? Zumindest eine wirkungsmächtige Stimme äußert Zweifel: Die idealistische Antwort behebe das SkeptizismusProblem nur auf den ersten Blick, in Wirklichkeit trage sie zu dessen Vertiefung bei. Diese zweifelnde Stimme gehört Friedrich Heinrich Jacobi und das Problem, das den Schrecken des Skeptizismus in relativ harmloser Gestalt erscheinen lässt, heißt Jacobi zufolge Nihilismus. Jacobis Vorwurf, so wie er ihn in seinem Sendschreiben Jacobi an Fichte vorlegt, besagt: Wenn auf den Skeptizismus durch eine Ausweitung der Subjektivität geantwortet wird, so wird zwar ein

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KrV B XVI. Siehe dazu auch Jacobi, Friedrich Heinrich, „Ueber das Unternehmen des Kriticismus, die Vernunft zu Verstande zu bringen, und der Philosophie überhaupt eine neue Absicht zu geben“, JWA 2/1, S. 267. Siehe dazu Welsch, Wolfgang, „Zwei Probleme in Hegels Idealismus“, in: Das Interesse des Denkens. Hegel aus heutiger Sicht, hg. Wolfgang Welsch und Klaus Vieweg, München, 2003, S. 247-282. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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„Weg zu irren abgeschnitten“3, jedoch ist die Subjektivität davon bedroht, den Wirklichkeitsbezug zu verlieren. Der Schrecken vor diesem Verlust geht aus der idealistischen Annahme hervor, die Vernunft würde nur das erkennen, was sie selbst in die Natur legt. Wenn nun das Sein auf das dem Bewusstsein erscheinende Sein reduziert wird, so ist der Skeptizismus-Einwand insofern behoben, als die Vernunft nichts anderes als sich selbst bzw. die eigenen Konstruktionen erkennt. Nun stellt sich jedoch die Frage, ob und inwiefern überhaupt Seiendes erscheint oder ob sich der Vernunft – mit Fichtes Worten – nur „ein Traum, der in einem Traume von sich selbst zusammenhängt“4, darbietet. Der vorliegende Aufsatz untersucht die Verbindung zwischen dem Skeptizismus, der idealistischen Antwort auf den Skeptizismus und Jacobis Nihilismus-Einwand. Nachdruck wird auf den Umstand gelegt, dass sich Positionen herauskristallisieren, die dem Nihilismus zu seinen „Rechten“ verhelfen wollen. Dies ist bereits bei Fichte, aber noch entschiedener bei Hegel der Fall. Ersterer behauptet in seiner Wissenschaftslehre aus dem Jahre 1807: „Nur durch den gefürchteten Nihilismus hindurch geht der Weg zur Realität“.5 Einen Schritt weiter geht Hegel, der in „Glauben und Wissen“ behauptet, Aufgabe der Philosophie sei es, das „absolute Nichts zu erkennen“.6 Später heißt es in der Phänomenologie des Geistes, die Philosophie solle ein „sich vollbringender Skeptizismus“7 sein, und das heißt, ein Skeptizismus, der nicht mit der Abstraktion des Nichts oder der Leerheit endigen soll, sondern des Nichts, das sich selbst in Erkenntnis verklärt; die Negation soll als „bestimmte Negation“ zur Weise des („dialektischen“) Fortschreitens der Wissenschaft gemacht werden. Hegels Phänomenologie kann folglich als ein sich vollbringender (aber nicht vollbrachter) Skeptizismus verstanden werden, der die Frage nach dem Nichts (und damit auch die Frage nach dem Sein) zu erfassen sucht und darin „wahrer Nihilismus“ ist.

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Jacobi, Jacobi an Fichte, JWA 2/1, S. 208. Fichte, Johann Gottlieb, Die Bestimmung des Menschen, GA I/6, S. 251. Fichte, Wissenschaftslehre, Königsberg [1807], GA II/10, S. 137. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, „Glauben und Wissen“, TWA 2, S. 410. Hegel, Phänomenologie des Geistes, TWA 3, S. 72. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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2. Jacobis Nihilismus-Vorwurf Bekanntlich ist die Jacobi-Fichte-Debatte von beträchtlichen Ambivalenzen gezeichnet.8 Zunächst erscheint Jacobis Vorwurf als ein Missverständnis der Fichte’schen Wissenschaftslehre.9 Umso überraschender liest sich Fichtes Zugeständnis, er stimme „fast durchgängig unbedingt“10 Jacobis Sendschreiben zu. Auch Fichtes Reaktion in der Schrift Bestimmung des Menschen scheint eine „Bekehrung“ zu Jacobis Position11 nahezulegen, da sich hier Fichte zu einem „epistemologischen“ Glauben als der Grundlage allen Wissens zu bekennen scheint. Die Bedeutung der Bestimmung für Fichtes Werk könnte relativiert werden, indem man behauptet, diese Schrift sei „bloß“ populär, weshalb Fichtes philosophische Schriften an ihr nicht gemessen werden sollten. Zwar räumt auch Fichte ein, es handle sich um eine Schrift, die „nicht für Philosophen von Profession verfasst wurde“, jedoch hält er sogleich fest, die Abhandlung enthalte nichts, was nicht bereits in seinen früheren Schriften entwickelt worden sei. Wie soll der Nihilismus-Vorwurf nun verstanden werden? Keinesfalls will Jacobi Fichte die Auffassung unterstellen, die Dinge seien in ihrer Materialität aus der Vernunft „herausproduziert“ und hätten folglich kein eigenständiges Sein.12 Jacobi ist sich sehr wohl bewusst, dass Fichte die Möglichkeit des Wissens behandelt, ja, er gesteht Fichtes Philosophie auch zu, als einzige im Wissen zu gründen, „weswegen diese auch [...] Philosophie im strengeren Verstande, allein genannt zu werden verdient“.13 Ebenso will Jacobi nicht behaupten, für Fichte sei alles Sein wesentlich nichts. 8

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Die Beziehung zwischen Jacobi und Fichte hat Reinhold auf den Punkt gebracht. In einem Brief an Fichte heißt es: „Ihr versteht einander nicht […] wenigstens in dem Grade nicht, als Ihr euch zu verstehen glaubt.“ (Reinhold an Fichte, 1. März 1800, GA III/4, S. 237) Siehe dazu auch Hegel, „Glauben und Wissen“, TWA 2, S. 408. Siehe Fichte an Jacobi, 22. April 1799, GA III/3, S. 334. Zu Jacobis theoretischer Philosophie siehe vornehmlich Baum, Günther, Vernunft und Erkenntnis. Die Philosophie F. H. Jacobis, Bonn, 1968; Hammacher, Klaus, F. H. Jacobis Philosophie der Freiheit, Freiburg und München, 1973; Sandkaulen, Birgit, Grund und Ursache. Die Vernunftkritik Jacobis, München, 2000. Jacobi nimmt also keineswegs eine Ontologisierung des absoluten Ich vor, so wie dies Hölderlin tut, indem er behauptet, das absolute Ich „ist alles u. außer ihm ist nichts“. Hölderlin, Friedrich, Sämtliche Werke, Stuttgarter HölderlinAusgabe, Bd. VI/1, hg. v. Adolf Beck, Stuttgart 1954, S. 155. Jacobi, Jacobi an Fichte, JWA 2/1, S. 194. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Auch dies würde an dem Nihilismus-Vorwurf vorbeigehen: Der Nihilist behauptet nicht, alles sei nichts, sondern alles entbehre eines Sinnes. In seiner Wiedergabe des Fichte’schen Idealismus betont Jacobi den Anspruch, den Menschen von der Macht der Dinge zu befreien. Tatsächlich bezeichnet Fichte die Wissenschaftslehre als „das erste System der Freiheit“, da es „den Menschen losreiße von den Feßeln der Dinge […], die in allen bisherigen Systemen, selbst in der Kantischen mehr oder weniger um ihn geschlagen sind“.14 Erst dank des „Losreißen[s]“ – das Fichte später in der Bestimmung als „Getrenntsein“ des Bewusstseins bezeichnet – wird das „Selbstsein“, also der Geist errettet bzw. konstituiert:15 Das Wissen um diese „Losgerissenheit“ oder „Getrenntheit“ ist die Bedingung des philosophischen Wissens, also in diesem Falle des Wissens des Wissens. Somit ginge Fichtes Philosophie – so wie in Jacobis Sendschreiben wiedergegeben – von drei Grundvoraussetzungen aus: 1) Es gibt Sein. 2) Es gibt ein Ich, das um das Sein weiß. 3) Vernunft bzw. Geist gibt es dann, wenn es möglich ist, sich von diesem Sein, von den „Feßeln der Dinge“, „loszureißen“. Offensichtlich kann Fichtes Philosophie nicht bereits deshalb als nihilistisch bezeichnet werden, weil sie jegliches Sein bestreitet, sondern nur deshalb, weil Fichte jegliche Sinnzuschreibung ausschließlich als Produkt der Vernunft fasst. In meiner Interpretation zielt nun Jacobis Vorwurf auf den Umstand ab, Sinnhaftigkeit und Sein seien für den Idealismus dasselbe, wobei Sinn auf den Sinn für das Ich bzw. die Vernunft reduziert wird. Nur insofern kann irgendetwas als seiend gelten, als es für das Ich bestimmt ist und somit Sinn hat. Bestimmt wird der Gegenstand jedoch von dem Ich. Alles außerhalb des Ich hat also nur insofern Sein für das Ich, als es vom Ich bzw. der Vernunft bestimmt wird. Deshalb behauptet Jacobi, die Fichte’sche Philosophie beruhe darauf, dass die ganze Welt gleichsam in einem „chemischen Prozess“16 aufgelöst werde. Eine aufgelöste Welt kann der Vernunft einverleibt werden und folglich vollzieht sich die Erkenntnis in einem Prozess der Rekonstruktion, da nur dasjenige als erkannt 14 15 16

Fichte behauptet dies in seinem Briefentwurf an den Dichter Jens Immanuel Baggesen. Siehe Fichte an Baggesen, April/Mai 1795, GA III/2, S. 297-298. Jacobi, Jacobi an Fichte, JWA 2/1, S. 199. Ebd., S. 201. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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gilt, das sich die Vernunft selbst zu rekonstruieren vermag: Nur das „Selbstgemachte“ ist das in Wahrheit Erkannte. Ausgehend von solch einer Problemstellung wird deutlich, in welcher Gestalt sich in der idealistischen Philosophie die Frage nach dem Skeptizismus stellt, und auch die Art ihrer Beantwortung wird ersichtlich. Im ersten Schritt wird sich das Bewusstsein seiner je schon vollbrachten „Losgerissenheit“ bewusst: Das Bewusstsein der Losgerissenheit ist dem Bewusstsein der Freiheit gleich. Diese Freiheit gründet jedoch auf einer Differenz von Bewusstsein und Ding. An diesem Punkt stellt nun der Skeptiker die Frage, wie denn diese zwei notwendigen Momente des Wissens zusammengefügt werden können, bzw. wie sich das um die Freiheit wissende Bewusstsein dem Gegenstand zuzuwenden vermag. Die Antwort des Idealisten ist nun für Jacobis NihilismusVorwurf wesentlich: Der Idealist wehrt den Skeptizismus insofern ab, als er die Frage nach dem Weg, der zurück zum Gegenstand führen würde, zurückweist. Erkenntnis beruht nicht auf einer „Begegnung“ mit dem Gegenstand, sondern auf dessen Rekonstruktion durch die Vernunft. Erst in dieser Rekonstruktion wird der Gegenstand in seiner Wesentlichkeit, Wahrheit, ja, in seinem eigentlichen Sein erkannt. Wenn das Ich nun nichts anderes als die eigenen Produkte erkennt, so wird die Frage des Skeptikers nach dem Zusammenhang von Bewusstsein und Gegenstand bedeutungslos, und wenn die Vernunft einmal eingesehen hat, dass sie schon „losgerissen“ ist und in Wahrheit immer bei sich selbst bleibt, wird sie einsehen, dass es überhaupt keine Kluft zwischen Bewusstsein und Ding gibt, die überbrückt werden müsste. Deshalb ist auch die Postulierung eines Dinges an sich ein von der Vernunft selbstentworfenes Manöver, um sich einen scheinbaren Standpunkt in der Welt außerhalb der Vernunft zu sichern. In Wirklichkeit ist das Ding an sich nichts als „ein bloßer Gedanke“.17 Jacobi rechnet Fichte die Ablehnung des kantischen Dinges an sich hoch an und bezeichnet Fichtes Idealismus folglich als den „kräftigsten Idealismus“.18 Darin wird jedoch offenbar, warum der „kräftigste Idealismus“ Jacobi zufolge in den Nihilismus führen soll: Angesichts des Ma17 18

Fichte, Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre, GA I/4, S. 237. Jacobi, David Hume über den Glauben oder Idealismus und Realismus, JWA 2/1, S. 112. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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ßes, in dem die Gegenstandskonstitution der Vernunft einverleibt wurde, kann die Frage des Skeptikers nur dann als Problem erscheinen, wenn die Erkenntnis fälschlicherweise als ein „Herausgehen“ aus dem Inneren in das Äußere verstanden wird. Jacobi könnte jedoch einwenden, die idealistische Antwort sei keineswegs die „Aufdeckung“ eines Scheinproblems. Eher handle es sich um eine Scheinlösung, die gerade die Tiefe der skeptischen Herausforderung offenbare: Die Rede von der Wirklichkeit außerhalb des Ich werde sinnlos, da alles außerhalb des Ich auf gänzliche Unbestimmtheit, auf ein unbestimmtes Etwas reduziert werde. Ein solches unbestimmtes Etwas sei nun für das Bewusstsein nichts. Somit gälte es zu behaupten, alles außer der Vernunft sei nichts und folglich könnten die Idealisten des philosophischen Egoismus bezichtigt werden. Auch dieser Standpunkt wäre nach Jacobi korrekturbedürftig. Als reine Spontaneität ist die Vernunft ihrem Wesen nach gänzliche Negativität und somit selbst durchaus bestimmungslos.19 In Jacobis Worten handelt es sich um eine „unpersönliche Persönlichkeit“, um eine „Ichheit des Ich ohne Selbst“, aber auch um eine „baare Unwesenheit“.20 Die erstrebte Gewissheit ist also dann erreicht, wenn sich das Denken auf ein letztes Abstraktum des „Ich = Ich“ reduziert hat. Nur als solches birgt es das wirksamste Gegengift gegen den Skeptizismus, das fundamentum inconcussum, das in ebendem Maße gewiss ist, als es leer ist.

3. Fichtes Antwort in der Bestimmung des Menschen Fichtes Bestimmung liest sich als eine Formulierung der Einsicht, dass das theoretische, aber auch das absolute Ich paradoxerweise die am wenigsten eigenständigen Momente seines philosophischen Gebäudes sind. In Abstraktion sowohl von allem Empirischen wie auch von allem Praktischen ist das absolute Ich nicht insofern absolut, als es frei ist, sondern insofern, als es in seiner Leerheit absolut auf die Welt angewiesen ist. Eine Einsicht in das Problem dieser eigentümlichen Ohnmacht des absoluten sowie des theoretischen Ich zeichnet sich auch in Fichtes Entwicklung ab: Während in der Wissenschaftslehre aus dem Jahre 1794 die Ebenen der theo19 20

Vgl. Fichte, Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, GA I/2, S. 399. Jacobi, Jacobi an Fichte, JWA 2/1, S. 212. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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retischen und praktischen Philosophie noch geschieden werden, wird diese Scheidung in der Wissenschaftslehre nova methodo aufgehoben. Aus dieser Sicht stellt die Bestimmung keinen Bruch in Fichtes Entwicklung dar, sondern sollte als eine wesentliche Verdeutlichung dessen, was bereits in der Wissenschaftslehre aus dem Jahre 1794 gegenwärtig ist, gedeutet werden. Der dem Wissen gewidmete Teil der Bestimmung ist als ein Dialog zwischen dem „Ich“ und dem „Geist“ verfasst. Anzumerken ist, dass der dem Wissen gewidmete Teil nicht als eine Wiedergabe der Fichte’schen Position, sondern als eine Karikatur derjenigen Auffassung zu lesen ist, die eine Absonderung des theoretischen und praktischen Ich anstrebt. Wenn das Wissen tatsächlich in Abstraktion vom Handeln begriffen wird, so ist ein Ausgang aus dem Nichts oder aus „dem Traum, der von sich selbst träumt“ nicht zu verwirklichen. Der Vorgang einer Loslösung des theoretischen vom praktischen Ich wird in der Bestimmung ausführlich dargelegt: Das Ich erlangt die Einsicht, dass wir „in allem unserm Bewußtseyn schlechterdings von nichts wissen, als von uns selbst, und unsern eigenen Bestimmungen“.21 Dank dieser „Getrenntheit“ muss sich das Bewusstsein vor keinem äußeren Ding beugen; nicht länger wird es von der Furcht, die es „erniedrigte und quälte“22, heimgesucht. Diese Erkenntnis ist zugleich Antwort auf die skeptische Frage, ob denn die Dinge überhaupt erkannt werden können. Der Geist versichert dem noch zweifelnden Ich: „die Dinge erscheinen dir nicht durch einen Repräsentanten; des Dings, das da ist, und sein kann, wirst du dir unmittelbar bewußt; und es gibt kein anderes Ding, als das, dessen du dir bewußt wirst. Du selbst bist dieses Ding; als das, dessen du dir bewußt wirst“.23 Der Skeptizismus wird also gebannt, indem er zum Verschwinden gebracht wird. Jegliche Erscheinung ist Produkt des Denkens und ist sich als solches zugänglich. Erkenntnis „strömt“ nicht vom Ding aus, sondern hat ihre Quelle wesentlich im Ich. Somit braucht sich das Ich nicht darum zu sorgen, wie es den Weg zurück zur Außenwelt findet, von der es gerade erst „freigesprochen“ wurde. Es reicht, wenn es einsieht, dass sich hinter den Erscheinungen nur das Ich selbst und seine Wesenseigenschaften befinden. 21 22 23

Fichte, Die Bestimmung des Menschen, GA I/6, S. 246. Ebd., S. 247. Ebd., S. 238. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Sogleich sieht jedoch das Ich ein, dass diese Erlösung vom Skeptizismus eher einer Falle denn einem Segen gleicht. Zwar ist sich das Ich der eigenen Produkte sicher, zugleich wird aber die Welt jeglicher Sinnhaftigkeit unabhängig vom Ich beraubt, womit sie im Nichts versinkt. Eine absolute Sicherung der eigenen Freiheit mündet in den Verlust der Welt. Das Ich sieht dies ein und entgegnet dem Geist: „Du befreiest mich, es ist wahr: Du sprichst mich von aller Abhängigkeit los; indem du mich selbst in Nichts, und alles um mich herum, wovon ich abhängen könnte, in Nichts verwandelst.“24 Das gesuchte Organ, das Wirklichkeit verbürgt, ist letztlich für Jacobi sowie für Fichte (zumindest in der Bestimmung) der Glaube, auf den das Wissen verweist und den es voraussetzt, denn „kein Wissen kann sich selbst begründen und beweisen“.25 Dieser „Glaube“ ist jedoch wesentlich mit der unmittelbaren Gegebenheit der sinnlichen Welt verbunden, und nicht mit einer übersinnlichen Wirklichkeit. Folglich umschreibt Fichte den Glauben als einen „Entschluß des Willens, das Wissen gelten zu lassen“.26 Jeglicher Zweifel an der äußeren Welt wird somit praktisch, durch einen Willensentschluss überwunden.27 Das Ich entzieht sich dem drohenden Nichts mittels der Moralität und seiner Tatkraft.

4. Hegels Nihilismus als nicht vollbrachter Skeptizismus Mit Jacobi teilt Hegel die Annahme, der Fichte’sche „schlechte“ Idealismus28 sei von einem (ebenso schlechten) Nihilismus bedroht. In „Glauben und Wissen“ hält Hegel fest, Fichtes Philosophie würde die Außenwelt als ein zu Vernichtendes29, als Trüm24 25 26 27 28

29

Ebd., S. 247. Ebd., S. 257. Ebd. Siehe dazu Breazeale, Daniel, „Über die Unhaltbarkeit und die Unentbehrlichkeit des Skeptizismus bei Fichte“, in: Fichte-Studien 5, 1993, S. 7-21. Der sogenannte schlechte, subjektive Idealismus bzw. die „Reflexionsphilosophie“ ist Gegenstand der Kritik im ganzen Werk Hegels, siehe z. B. den fünften Teil „Gewissheit und Wahrheit der Vernunft“ in Hegels Phänomenologie des Geistes, TWA 3, S. 131-193. Eine Zusammenfassung dieses Standpunktes findet sich auch in Hegels frühem Werk, vornehmlich in „Glauben und Wissen“, siehe z. B. TWA 2, S. 321. Ebd., S. 417. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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mer, über die sich die Vernunft erhebt30, fassen. Die Fichte’sche Zugangsweise zum Gegenstandsbereich des Nicht-Ich sei zudem zweischneidig: Auf der einen Seite sei die Welt für das Ich absolut, da sich ausschließlich im Durchgang durch die Welt überhaupt ein Ich konstituieren lässt. Ungeachtet dessen ist dieses Absolute ein „denkbar schlechtestes“31, ein Absolutes, über das sich das Ich unbedingt zu erheben hat. Gegen Jacobi behauptet nun Hegel, eine solche Philosophie habe nichts mit dem wahren Nihilismus, mit dem Erfassen des Nichts, gemein. Ebenso kritisch äußert sich Hegel gegenüber der Auffassung, diese Kunst des philosophischen Vernichtens könne mittels der praktischen Philosophie gebannt werden. Auch hierbei lassen sich Anknüpfungspunkte zwischen Jacobi und Hegel finden. Wie später Hegel, lehnt auch Jacobi den Versuch ab, im Bezug zum Praktischen eine Erlösung von der zum Nihilismus geneigten theoretischen Vernunft zu suchen. Am deutlichsten ist seine Argumentation im Hinblick auf Kant, den Jacobi nur deshalb nicht des Nihilismus bezichtigt, weil er kein konsequenter Idealist ist. Wenn in theoretischer Hinsicht gezeigt wurde, dass es sich im Falle des Kantischen „Ideenmagazins“32 um Chimären handelt, so können sie auch in praktischer Hinsicht keine Bodenständigkeit verbürgen: Auf die Trümmer der Vernunft wird lediglich eine „Luftsäule“33 gesetzt. In ebenderselben Richtung behauptet nun auch Hegel, von Wirklichkeit im Praktischen könne nur gesprochen werden, wenn vorausgesetzt werde, Wirklichkeit und Weltbezug seien bereits im Theoretischen begründet. Aus dieser Überzeugung erwachsen Hegels spekulative Auffassung der Erkenntnis sowie der Versuch, den praktischen Primat durch den Primat des Theoretischen zu ersetzen. Aus Hegels Sicht wird Fichte zu dem Primat des Praktischen deshalb getrieben, weil seine Auffassung der theoretischen Vernunft mit unlösbaren Problemen behaftet ist. Illustrativ ist hierbei das Phänomen des Anstoßes, eines „gleichgültigen Fremden“34, der 30 31 32

33 34

Ebd., S. 419. Ebd., S. 417. Jacobi, „Ueber das Unternehmen des Kriticismus, die Vernunft zu Verstande zu bringen, und der Philosophie überhaupt eine neue Absicht zu geben“, JWA 2/1, S. 324 f. Ebd., S. 325. Hegel, Phänomenologie des Geistes, TWA 3, S. 184. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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gerade aufgrund seiner Unbestimmtheit des Anstoßes nicht fähig ist. Zunächst scheint es, Fichte selbst sei sich des Problematischen des Anstoßes zwar bewusst, halte dies jedoch nicht für ein Zeichen einer falschen Zugangsweise, sondern behaupte, er mache hier vor dem nicht weiter philosophisch analysierbaren „Dass-Sein“ Halt. In einer zugespitzten Wendung hält Fichte fest, dass „dieser Umstand der Philosophie, als solcher, gar nichts angeht, u. sie gänzlich davon abstrahiert. Durch dieses fallen wir ins Leben“.35 Der Anstoß wäre somit kein „einheimisches“ Problem der Fichte’schen Philosophie. Wenn es sich denn überhaupt um ein Problem handeln sollte, so ist es eines, das der Philosophie als solcher anhaftet. Hegel sieht dies anders: Auf keinen Fall darf der „empirische Rest“ als ein unauflösbares Mysterium aufgefasst werden, vor dem die Philosophie Halt machen muss. Die Subjektivität sperrt sich nämlich gegen jeden Versuch, das Subjektive in Abstraktion vom Objektiven zu behandeln. Würde sich die Philosophie mit dem „Dass-Sein“ nicht auseinandersetzen, so würde sie nicht nur die Welt bzw. das Gegenstandsbewusstsein missverstehen, sondern auch das Bewusstsein bzw. die Vernunft als solche. Hegel unternimmt nun den äußerst spekulativen Versuch, auch diesen letzten Rest der Unbestimmtheit zu überwinden, ohne dass dieser im Ich aufgelöst wird. Hegels Gedankengang, der in den objektiven Idealismus mündet, nimmt folgende Überlegung zum Ausgang: Falls das dem Ich Äußere nicht als ein unbestimmter Anstoß begriffen werden soll, müsse behauptet werden, die Außenwelt sei auch unabhängig vom Ich sinnvoll strukturiert. Können wir aber unabhängig von unserem Ich und von unseren Vorstellungen behaupten, Sinn und Zwecke seien in der Natur oder in der Welt enthalten? Hegels Antwort ist unmissverständlich: Unabhängig vom Bewusstsein könnten wir in der Tat nichts objektiv behaupten, denn unabhängig vom Bewusstsein gebe es gar keine Welt. Bewusstsein und Welt sind gleichursprünglich und haben nur insofern Sein, als sie sich durch sich selbst erhalten. Einerseits heißt das für Hegel, unabhängig vom Ich gibt es keine Welt – darin findet er sich mit dem Fichte’schen Idealismus in Übereinstimmung. Andererseits heißt es aber auch, ohne die Welt gibt es kein Ich. Zunächst würde auch Fichte gegen diesen zweiten Punkt keine Einwände erheben. Nur impliziert dieser Satz für bei35

Fichte, 3ter Cours der W. L. 1804, GA II/7, S. 307. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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de Denker etwas sehr Unterschiedliches. Fichte deutet diese Angewiesenheit des Ich auf die Welt als etwas, das überwunden werden soll: Das Ich soll in unendlicher Annäherung das Wesen seiner selbst, das in der Identität mit sich selbst beruht, verwirklichen. Hegel hingegen meint, das Ich müsse sich erst im Anderen finden. Das bedeutet, die Welt mit ihren Bestimmungen, ihrer Andersheit gegenüber dem Ich leistet einen Beitrag zur Konstitution des Ich. Und solch ein aktives Moment kann nicht unbestimmt sein und auf die Bestimmung von Seiten des Ich warten. Der Welt selbst muss eine Art von Spontaneität eigen sein. Wie ist dies aber zu verstehen? Spontaneität hängt für Hegel wesentlich mit Sinnbildung zusammen: Spontan ist dasjenige, das Sinn zuschreibt, wobei Sinn als Selbstbezug gefasst wird. Soll die Welt also unabhängig vom erkennenden Ich sinnvoll sein, so müsste Selbstbezug in den weltlichen Strukturen verortet sein. Dies müsste bereits für elementare Stufen des Seienden zutreffen. Denn Selbstbezug ist nicht durch das Denken, durch begriffliche Kategorien bedingt, sondern durch die Fähigkeit, sich in der eigenen Umgebung als Seiendes zu erhalten, und das heißt, das Eigene und das Fremde zu unterscheiden. Auf ganz rudimentärer Ebene bedeutet das: Ein Seiendes, insofern es bestimmtes Seiendes ist, ist dazu fähig, die eigene Unterschiedenheit vom Anderen zu wahren oder „durchzuhalten“.36 Eine derartige Auffassung von der Genese des Sinns ist dann verständlich, wenn Hegel sie auf die organische Natur bezieht.37 Hegel will jedoch einen entscheidenden Schritt weitergehen. Nicht nur der Organismus erhält sich in seiner Umgebung aus eigenen Kräften, wenn er seine Zwecke verfolgt, auch unorganische Gegenstände verhalten sich zu sich selbst. Auf dem Boden von Hegels Phänomenologie, in der dem Bewusstsein eine Vermittlungsposition zwischen Ich und Welt zukommt, bedeutet das, dass sich der Gegenstand gerade durch das Bewusstsein auf sich selbst bezieht. Nur unter dieser Voraussetzung wird verständlich, was Hegel meint, wenn er behauptet, ein jedes Ding sei primär nicht etwas Festes, Substantielles, eine ausschließende Einheit38, sondern ein 36 37

38

Hegel, Phänomenologie des Geistes, TWA 3, S. 198. Dies tut er offensichtlich in der Phänomenologie des Geistes (ebd., S. 199-203) sowie in seinen späteren Schriften, siehe z. B. Wissenschaft der Logik II, TWA 6, S. 480-484. Siehe Hegel, Phänomenologie des Geistes, TWA 3, S. 95. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Verhalten, das sich zu sich selbst verhält.39 Wenn jedoch gilt, dass sich das Ding als wahrgenommenes bzw. gedachtes durch das Bewusstsein auf sich selbst bezieht, so gilt eben umgekehrt auch, dass sich das Bewusstsein auf sich selbst durch das Andere, also durch das Ding bezieht. In der Erläuterung des Selbstbezugs und Fremdbezugs greift Hegel auf Spinozas determinatio negatio est zurück40, wobei die Standardformulierung „omnis determinatio est negatio“ aus Hegels Jacobi-Rezension stammt.41 In unserem Zusammenhang ist jedoch bezeichnend, dass dieses Prinzip wohl zum ersten Mal im Kontext der höchsten Gattungen in Platons Sophistes ausführlich erarbeitet wird. Hier wird die These formuliert, jedes Seiende nehme am Nichtseienden, an der Negation Anteil. Platon entwickelt seine Argumentation vor dem Hintergrund der parmenideischen Auffassung des Seins als „differenzloser Einheit“42, also einer Einheit, die den Bezug auf Andersheit ausschließt. Ein derartiges reines Sein könne von dem Denkenden nicht erfasst werden, da es über keine Konturen verfüge, und es sei somit für den Denkenden nichts, ja eine solche Auffassung des Seins würde geradezu auf „die völligste Vernichtung alles Redens“43 hinauslaufen, denn nur durch die gegenseitige Verflechtung des Seienden und des Nichtseienden, der Begriffe überhaupt, „kann uns ja eine Rede entstehen“.44 Hegels Auffassung des Gegenstandes als eines Seienden, das sich durch das Andere zu sich selbst bezieht, kann als eine erweiterte Anwendung von Platons „Gemeinschaft der höchsten Gattungen“ verstanden werden:45 Genauso wie jede einzelne Gattung 39 40 41 42

43 44 45

Siehe Ebd., S. 103. Siehe Spinoza, „Epistola L“, in: Opera, Bd. IV, hg. v. Carl Gebhardt, Heidelberg, 1925, 238-241. Hegel, „[Über] Friedrich Heinrich Jacobis Werke. Dritter Band“, TWA 4, S. 434. Zur Kritik des eleatischen Monismus siehe Platon, Sophistes. Griechischdeutsch. Kommentar von Christian Iber, Frankfurt am Main, 2007, 244b6246a2. Ebd., 259e. Ebd. Mit dem Dialog Sophistes setzt sich Hegel erst in seiner Spätzeit ausführlich auseinander. Hegels frühe Dialektik erwächst primär aus der Wertschätzung des Parmenides, obwohl er wohl bereits zu seiner Jenaer Zeit Platons Sophistes in der lateinischen Übersetzung von Marsilio Ficino gelesen hat. Bereits in der Phänomenologie entfaltet er seine spekulative Dialektik, die er in seiner Berliner Zeit explizit auf den Dialog Sophistes beziehen wird: Dieser ist nämlich nicht nur – wie Parmenides – Beleg einer „negativen Dialektik“, sondern einer Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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dadurch wirklich – und also im Logos erschließbar – ist, dass sie auf ihr Nicht- bzw. Anderssein, also auf die anderen Gattungen verweist, so bezieht sich auch jede einzelne Eigenschaft auf ihr Anderes bzw. muss ihr Anderes, wenn sie nicht „untergehen“ will, in sich selbst aufrechterhalten, denn ein jedes Ding oder eine jede Eigenschaft hat – wie Hegels interpretativ gewagte Weiterführung des Gedankenganges im Sophistes lautet – sein Wesen in seinem Anderen.46 Die Eigenschaften des Dinges werden dann nicht als äußere Merkmale des Gegenstandes gefasst, sondern als etwas, was dem Gegenstand als wahrgenommenem und gedachtem auf dem Boden des Bewusstseins zukommt: Das Süße grenzt sich vom Sauren ab und erhält dadurch das Saure in sich selbst. Das Süße ist dadurch süß, dass es in sich selbst das Saure von sich selbst „abstößt“.47 Jede Eigenschaft und jedes Ding sei folglich keine „feste“ Entität, die über eine eigene physis unabhängig von jeglicher Andersheit verfügt, sondern dasjenige, was Hegel als „inneren Unterschied“48 bezeichnet. Einem jeden Seienden kommt insofern Sein zu, als es in sich selbst das Andere auffasst und durch das Andere das eigene Wesen konstituiert, oder, in Hegels Worten, jede Eigenschaft stößt sich von sich selbst ab und ist somit ein „sich selbst abstoßendes Verhalten“.49 Daraus wird nun ersichtlich, auf was Hegel hinauswill, wenn er behauptet, es sei das Wesen der Philosophie, das Negative zu denken.50 Das Negative ist nämlich nicht nur Eigenschaft des Ich oder der Vernunft, denn da alle Welt als die Welt des Ich erscheint, ist kein Gegenstand als erscheinender Gegenstand unabhängig von dieser Negativität zu denken. Somit ist die Negativität nicht etwas, durch das sich das Denken von der Welt distanziert, etwas, dank dessen sich das Denken auf sich selbst zurückzuziehen vermag; die Negativität ist vielmehr ein Phänomen in der Welt, oder noch eher

46 47 48 49 50

„negativen und positiven Dialektik“, also einer von der Ontologie abkünftigen Methode. Zu Hegels Aneignung der platonischen Dialektik siehe Düsing, Klaus, „Ontologie und Dialektik bei Platon und Hegel“, in: Hegel-Studien 15, 1980, S. 95-150. Vgl. dazu auch Platon, Sophistes, a.a.O., S. 367-372. Hegel, Phänomenologie des Geistes, TWA 3, S. 103. Ebd., S. 127-131. Ebd., S. 125. Ebd., S. 103 und 127. Hegel, „Glauben und Wissen“, TWA 2, S. 410. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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die Quelle der logischen Struktur des Seins selbst, die Hegel als die Identität der Identität und Nichtidentität fasst.51 Erscheinen bedeutet in der Welt Platz einzunehmen, sich gegenüber dem Anderen, dem Nichtsein seiner selbst zu behaupten. Kein Seiendes vermag in sich selbst zu verweilen, sondern es muss „aus sich“ herausgehen, der Andersheit standhalten oder diese gar als einen „inneren Unterschied“ in sich selbst aufnehmen. Folglich ist ein jedes Seiende an sich selbst „gebrochen“52: Solange es ein Seiendes ist, solange wird es vom Anderen in Frage gestellt und solange muss es seinen Platz behaupten. Dieses In-Frage-gestellt-Sein jedes Seienden ist der sich vollbringende Skeptizismus, in dem das Ich und jegliches Seiende der Welt befangen sind. Eine absolute Sicherheit in Gestalt eines fundamentum inconcussum, einer unbezweifelbaren Tatsache des Bewusstseins oder eines absoluten Ich wird deshalb von Jacobi des Nihilismus bzw. von Hegel des schlechten Nihilismus bezichtigt, weil hierbei der Versuch unternommen wird, den Skeptizismus zu vollbringen, das heißt definitiv „aus der Welt zu schaffen“. Würde diese Frage jedoch tatsächlich aus der Welt geschafft, würde damit auch die Welt als erscheinende – und mit ihr der durch die Welt sich erfassende Geist – abgeschafft. Deshalb ist die Hegel’sche Phänomenologie ein sich vollbringender, nicht aber vollbrachter Skeptizismus.53 Das Sein als erscheinendes Sein verwirklicht seine Geistigkeit und somit Freiheit wesentlich vor dem Hintergrund der skeptischen Frage, die den Schatten des Nichts immer aufs Neue auf das für seiend Gehaltene wirft. Ein Seiendes ist nur insofern seiend, als es geistig ist, und das heißt, als es sich gegenüber seinem In-Frage-gestellt-Sein zu verantworten weiß, denn diese Frage, in der dem Sein das eigene Nichtsein erschlossen wird, ist die dem Sein eigene Kontur. 51

52 53

Siehe dazu Hegel, „[Über] Friedrich Heinrich Jacobis Werke. Dritter Band“, TWA 4, S. 434; „Differenz des Fichte’schen und Schelling’schen Systems der Philosophie“, TWA 2, S. 96. Siehe dazu auch Hegels Bezug auf Platons Timaios in der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (TWA 8, S. 198): „Gott hat die Welt aus der Natur des Einen und des Anderen (τοῦ ἑτεροῦ) gemacht; diese hat er zusammengebracht und daraus ein Drittes gebildet, welches von der Natur des Einen und des Anderen ist.“ Hegel, Wissenschaft der Logik II, TWA 6, S. 79. Siehe zu diesem Zusammenhang Duque, Félix, „Die Selbstverleugnung des Endlichen als Realisierung des Begriffs“, in: Skeptizismus und spekulatives Denken in der Philosophie Hegels, hg. v. Hans Friedrich Fulda und Rolf-Peter Horstmann, Stuttgart, 1966, S. 135-176. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Widerspruch der Gleichheit und Ungleichheit. Der Skeptizismus als „Gestalt des unvollendeten Bewusstseins“ in Hegels Phänomenologie des Geistes Das skeptische Selbstbewusstsein wird in fünf längeren Absätzen als Untergestalt des freien Selbstbewusstseins abgehandelt, welches als Unterkapitel B das Unterkapitel über Herrschaft und Knechtschaft ablöst. Diese untergeordnete Stellung wird noch unterstrichen dadurch, dass es das mittlere der drei Gestalten der Freiheit des Selbstbewusstseins ist, zwischen den Stoizismus und das unglückliche Bewusstsein eingeschoben. Dass es keine prominentere Stellung innerhalb des bekanntlich skeptischen Unternehmens der Phänomenologie des Geistes einnimmt, vermag auf den ersten Blick zu verwundern. Allerdings verweist Hegel schon in der Einleitung auf den Unterschied zwischen einem „sich vollbringenden Skeptizismus“ als der „bewußte[n] Einsicht in die Unwahrheit des erscheinenden Wissens“, der den Geist erst „geschickt“ macht, „zu prüfen, was Wahrheit ist, indem er eine Verzweiflung an den sogenannten natürlichen Vorstellungen, Gedanken und Meinungen zustande bringt“, und einem Skeptizismus als „eine der Gestalten des unvollendeten Bewußtseins“.1 Schon hier markiert Hegel die Differenz beider. Er tut dies anhand seiner Konzeption der bestimmten Negation, welche das Prinzip des sich vollbringenden Skeptizismus ist: Sie ist nämlich der Skeptizismus, der in dem Resultate nur immer das reine Nichts sieht und davon abstrahiert, daß Nichts bestimmt das Nichts dessen ist, woraus es resultiert. Das Nichts ist aber nur, genommen als das Nichts dessen, woraus es herkommt, in der Tat das wahrhafte Resultat; es ist hiermit selbst ein bestimmtes und hat einen Inhalt. Der Skeptizismus, der mit der Abstraktion des Nichts oder der Leerheit endigt, kann von dieser nicht weiter fortgehen, sondern muß es erwarten, ob und was ihm etwa Neues sich darbietet, um es in denselben leeren Abgrund zu werfen. Indem dagegen 1

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Phänomenologie des Geistes, TWA 3, S. 72 f. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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das Resultat, wie es in Wahrheit ist, aufgefaßt wird, als bestimmte Negation, so ist damit unmittelbar eine neue Form entsprungen und in der Negation der Übergang gemacht, wodurch sich der Fortgang durch die vollständige Reihe der Gestalten von selbst ergibt.2

Folgende Überlegungen lassen sich an dieses Zitat anschließen: Die Einseitigkeit des Skeptizismus als einer Gestalt des unvollendeten Bewusstseins liegt nach Hegel darin, dass er abstrakt ist. Abstrakt ist er durch eine einseitige Auffassung von Negation. Einseitig ist die Negation, weil sie nur die Leerheit hervorbringt. „In Wahrheit“ sei die Negation als Bestimmtheit zu denken. Negativ verhält sich die Bestimmtheit als eine bestimmte Gestalt gegen eine frühere, die sie nicht ist oder deren Wahrheit sie ist. Sie ist sie nicht, weil die Vorgängergestalt ihrem ursprünglichen Selbstverständnis nicht entspricht. Diese Prüfung ihres Selbstverständnisses hat aber nicht zum Resultat, dass schlicht keine Entsprechung vorliegt, sondern die Negation kann nur durch ein anderes Selbstverständnis erfolgen. Was vom Objekt der Prüfung gilt, gilt auch von dessen Subjekt, dem Bewusstsein, welches etwas von sich unterscheidet und sich auf dies Unterschiedene zugleich bezieht. Stimmen Konzeption und Gegenstand nicht miteinander überein, so ist es allein die Konzeption, die geändert werden muss, mithin die bestimmte Gestalt des Bewusstseins über den Gegenstand; der Gegenstand selbst, obwohl er bei Nichtübereinstimmung neu gefasst werden muss, bleibt unabhängig. Das Bewusstsein verzweifelt also nur an sich selbst, in der jeweiligen Gestalt, in der es auftritt, nicht am Gegenstand; im Lauf der Phänomenologie wird es als Paradigma im Zweifel untergegangen sein, um dem Denken Platz zu machen. Für das Verständnis der folgenden Erörterungen ist noch dies über die Methode der Phänomenologie zu erwähnen: Es ist m. E. zu unterscheiden zwischen der Erfahrung des Bewusstseins und der Erfahrung, die eine jeweilige Gestalt des Bewusstseins macht. Die Erfahrung, welche die Gestalt des Bewusstseins macht, besteht darin, eine Gewissheit A zu haben, diese zu prüfen und dabei die Gewissheit zu verlieren. Allerdings tritt der Gewissheitsverlust nur ein, wenn sich die Bewusstseinsgestalt konsequent auf diese Prüfung einlässt. Hegel zeigt am Ende dieser Erfahrung aber mal mehr, mal weniger deutlich die Verdrängungsmechanismen auf, 2

Ebd., S. 74. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

WIDERSPRUCH DER GLEICHHEIT UND UNGLEICHHEIT

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mit welchen die jeweiligen Gestalten des Bewusstseins ihr Fürwahrhalten noch meinen rechtfertigen zu können – ein methodisch notwendiger Schritt, denn sonst könnten sie nicht als Gestalten des Wissens bezeichnet werden. Was die Gestalten erst recht nicht einsehen, ist, dass der Verlust eines Wissensanspruchs nur möglich ist durch Genese eines neuen. Denn die Unwahrheit von A kann sich nur zeigen als die Wahrheit B, in welcher die vermeinte Wahrheit von A „aufgehoben“ ist. Diese neue Wahrheit auf den Startpunkt einer neuen Wissensprüfung einer neuen Gestalt des Bewusstseins zu setzen obliegt allein „uns“ oder „der Wissenschaft“. Die Erfahrung des Bewusstseins ist also nur möglich als durch die „Wissenschaft“ assistiert, ja das Bewusstsein als bleibendes Subjekt gegenüber seinen vergehenden Gestalten kann erst durch die Wissenschaft identifiziert und überblickt werden. Diese skeptische Methode der Phänomenologie des Geistes muss bei der Interpretation ihrer einzelnen Gestalten ernstgenommen werden. Keineswegs kann davon die Rede sein, dieses Werk reihe mehr oder weniger systematisch einzelne Idealtypen der Weltauffassung aneinander, die dann im Rekurs auf ihre historische Erscheinungsweise geprüft werden können. Vielmehr ist die Struktur jeder Gestalt des Bewusstseins notwendig bestimmt durch ihre Genese, die durch die bestimmte Negation erfolgt, und der Rekurs auf historische Erscheinungsformen dieser Weltauffassungen ist nur gestattet, wenn sie der Struktur entsprechen, welche sich durch diese Genese ergeben hat. Ziel dieses Aufsatzes soll sein, die Struktur des phänomenologischen Skeptizismus3 näher zu erörtern anhand seiner notwendigen Genese. Dabei soll gezeigt werden, dass im Selbstbewusstsein das neue Bewusstseinsparadigma der Unendlichkeit entlang mehrerer Gestalten des Selbstbewusstseins geprüft wird, und dass und wie auch das skeptische Selbstbewusstsein diese Prüfung nicht besteht und als die in der Einleitung besprochene unvollendete Gestalt des Bewusstseins durch Negation ihres Bewusstseinsparadigmas bestimmt wird. Das Motiv ihrer Überwindung soll zugleich den Skeptizismus als Prinzip der Phänomenologie und als „freie Seite 3

Es kann sich hier, da es in der Phänomenologie um die „Darstellung des erscheinenden Wissens“ geht, nur um den behauptenden Skeptizismus handeln. Auch das skeptisch agierende „Ganze der Sinnlichen Gewissheit“, welche nur als Hier-Itzt-Dieser das Hier-Itzt-Diese weiß, muss das Gewusste zeigen (vgl. ebd., S. 88). Ohne dieses Zeigen wäre es nicht gerechtfertigt und also kein Wissen. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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einer jeden Philosophie“4 freilegen. Dazu ist zunächst die grundlegende Struktur des Selbstbewusstseins zu klären.

1. Die grundlegende Struktur des Selbstbewusstseins Trat der Verstand mit der Gewissheit auf, sein Gegenstand sei das „unbedingt Allgemeine“, so hat die Prüfung dieses Gegenstands ergeben, dass er in Wahrheit als Unendlichkeit5 oder „Unterscheiden des Ununterschiedenen, oder Selbstbewusstsein“6 aufzufassen sei. In diesem Übergang zeigt sich somit am deutlichsten Hegels Bemerkung in der „Einleitung“, dass mit dem Gegenstand auch das Wissen von ihm anders gefasst werden muss, denn das Bewusstsein seiner selbst ist grundsätzlich verschieden vom Gegenstandsbewusstsein. Was das „Unterscheiden des Ununterschiedenen“ aber zum Selbstbewusstsein macht, kann hier nur angedeutet werden. Ein Wissensgegenstand als ununterschiedener kann hier zweierlei bedeuten: 1. Entweder er ist ein Gegenstand, der in seinem Unterschiedensein vom Bewusstsein zugleich nicht von diesem unterschieden ist. Dies würde das Bewusstsein seiner selbst erfüllen. In ihm müsste das wissende vom gewussten Bewusstsein unterschieden und zugleich als ein und dasselbe gewusst werden. Dies ist die naheliegende Lesart, da Hegel unmittelbar danach präzisiert: „Ich unterscheide mich von mir selbst, und es ist darin unmittelbar für mich, dass dies Unterschiedene nicht unterschieden ist.“7 2. Oder aber er ist als Gegenstand zu fassen, der in seinem Unterschiedensein vom Bewusstsein in sich nicht unterschieden ist. Diese Lesart wird durch den Umstand nahegelegt, dass es das Erklären, welches die Figur des unterschiedenen Ununterschiedenen einleitet, ja wohl mit einem bewusstseinsexternen Gegenstand zu tun hat. Er wäre das vom Bewusstsein Unterschiedene und wäre selbst in sich nicht unterschieden, er wäre das Unterscheiden in4 5

6 7

Hegel, „Verhältnis des Skeptizismus zur Philosophie“, TWA 2, S. 229. Vgl. Claesges, Ulrich, „Das Doppelgesicht des Skeptizismus in Hegels Phänomenologie des Geistes“, in: Skeptizismus und spekulatives Denken in der Philosophie Hegels, hg. v. Hans Friedrich Fulda und Rolf-Peter Horstmann, Stuttgart, 1996, S. 117-134, hier S. 126). Hegel, Phänomenologie des Geistes, TWA 3, S. 134. Ebd., S. 134 f. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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nerhalb des Bewusstseinsparadigmas, so das „Hausdiese“ vom „Baumdiesen“ innerhalb der Sinnlichen Gewissheit, das weiße vom kubischen Ding in der Wahrnehmung und so fort. Hier würde der Wegfall des Unterscheidens als dem Bewusstseinsparadigma eigentümlich dieses ebenso zerstören. Wenn innerhalb der Objektwelt nicht mehr differenziert werden kann, entfällt der angesprochene Bezug auf diese. Das Selbst müsste als neue Sphäre einspringen, innerhalb derer differenziert und somit gewusst werden kann. Welches dieser beiden Argumente für den Übergang auch leitend ist: Das Bewusstsein unterscheidet nunmehr nicht mehr etwas, sondern sich selbst von sich. Die bis hier gemachte Erfahrung des Bewusstseins ist also in Wahrheit eine des Selbstbewusstseins. Die Gestalten des Bewusstseins sind also innerhalb der neuen Gestalt des Selbstbewusstseins zu revidieren. Zunächst erzwingt diese Revision, die vermeintlichen Gegenstandsbestimmungen als Selbstbestimmungen zu deuten. Dies erklärt den Zug ins Praktische, welche die Gestalten des Selbstbewusstseins haben. Aber wie müssen die Gegenstandsbestimmungen umgedeutet werden, damit sie in der Struktur der Unendlichkeit und des Unterscheidens des Nichtunterschiedenen aufgehoben sein können? Um sich der Beantwortung dieser Frage zu nähern, muss auf die Implikationen der Bestimmung von Unendlichkeit und der Bestimmung des Unterscheidens des Nichtunterschiedenen hingewiesen werden. 1. Das Unterscheiden des Nichtunterschiedenen bezeichnet die Leistung, die das Selbstbewusstsein aufbringen muss. Es muss etwas von sich unterscheiden, aber so, dass sein Nichtunterschiedensein gewahrt bleibt. Es muss die Elemente des Bewusstseins, des gegenständlichen Wissens, so in sein eigenes Wesen integrieren, dass sie seinen reinen Selbstbezug, das ununterschiedene Sichaufsichselbstbeziehen, nicht gefährden. Es fällt also auf die Seite der Differenz die Besonderheit, das gegeneinander Abgegrenzte, die Nichtidentität; auf die Seite der Indifferenz die Allgemeinheit, die Identität, allerdings in ihrer reinen Form. 2. Diese beiden Elemente, die Seite des Bewusstseins, der Dingheit, der Besonderheit, und die Seite des reinen Selbstbezugs, der reinen, differenzlosen Allgemeinheit, müssen so aufeinander bezogen werden, dass sie als Momente eines und desselben Sachverhalts gelten können. Dabei muss der Charakter der Unendlich-

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keit gewahrt bleiben: Die Momente dürfen nicht so gedacht werden, dass eins das Ende am Anderen hat, das Andere dieses Anderen ist. Dies erzwingt das Denken der Identität von Identität und Nichtidentität. Es muss sich also zeigen lassen, dass das Moment des Bewusstseins das des Selbstseins, das des Selbstseins das des Bewusstseins, somit die gesamte Struktur sich selbst generiert, der Widerspruch sich prozessualisiert. Die Gestalten des Selbstbewusstseins sind jedoch dadurch bestimmt, diesen Widerspruch von sich abzuhalten. Im Verhältnis von Herrschaft und Knechtschaft werden seine Elemente auf zwei Individuen verteilt, die Identität auf den Herrn, die Nichtidentität auf den Knecht. Hierbei wird die Struktur der Unendlichkeit deutlich verfehlt. Dies Verhältnis schlägt um in das freie Selbstbewusstsein, in welchem die Momente des Selbstseins und des Bewusstseins, der Allgemeinheit und der Besonderheit in einem Individuum integriert sind. Die „Freiheit des Selbstbewusstseins“ entwickelt sich entlang der Stationen des unmittelbar freien Selbstbewusstseins oder dessen Begriffs als Stoizismus, der Realisierung dieses Begriffs als Skeptizismus, der Versöhnung mit sich zur Vernunft als Rückkehr des unglücklichen Bewusstseins.

2. Der Stoizismus als Begriff des freien Selbstbewusstseins Das individuierte freie Selbstbewusstsein muss, der Methode der Phänomenologie gemäß, zunächst als unmittelbares genommen werden; Selbstvermittlungen, so es sie denn gibt, haben sich aus dieser Anfangsstruktur zu ergeben. Als unmittelbar freies Selbstbewusstsein ist es zunächst denkendes Selbstbewusstsein. Dieses so bestimmte Ich ist kein abstraktes, sondern hat „zugleich die Bedeutung des Ansichseins“, ist „sich Gegenstand“ oder verhält sich zum „gegenständlichen Wesen“ so, „daß es die Bedeutung des Fürsichseins des Bewußtseins hat“.8 Es ist also nicht die als falsch überwundene Selbstbeziehung Ich=Ich, sondern das Selbstbewusstsein ist nur möglich durch ein Verhalten zum Bewusstseinsgegenstand und somit zu sich selbst. Defizitär ist solches Denken, weil es als abstraktes Denken einseitig ist, die Freiheit des Selbstbewusstseins als realisierte Unend8

Ebd., S. 156. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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lichkeit verfehlt. Denn in dieser unmittelbaren Weise ist für den Stoizismus die Wirklichkeit nur insofern interessant, als sie mit dem Bewusstsein übereinstimmt und insofern ja auch Selbstbewusstsein ist. Inwiefern sie das tut, gerät aus dem Blick, mithin die ganze Frage, wie die Wirklichkeit beschaffen sein muss, damit das Bewusstsein in ihr sich selbst hat. Der Stoizismus ist „zustimmendes“, bloß registrierendes und somit resignierendes, mithin fatalistisches Denken. Die Bestimmungen, die es denkt, setzt es nicht aus sich selbst heraus und erkennt es nicht als eigene Bestimmungen, sondern grenzt sie ungeachtet seiner Zustimmung von sich ab, denn es stimmt ja nicht ihnen als solchen zu, sondern nur ihrer Übereinstimmung mit sich selbst. So heißt es in den Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie über den Stoizismus: Es stimmt zu, macht sich Inhalt zu eigen, verwandelt ihn in Allgemeines, hat darin auch Bestimmung, Inhalt. Diese Bestimmungen sind aber gegeben. Das letzte Kriterium ist nur formelle Identität des Denkens, daß es Übereinstimmung findet. Aber es fragt sich, mit was? Da ist kein absolutes Selbstbestimmen, kein Inhalt, der aus dem Denken als solchem komme.9

Der Stoizismus ist das Missverständnis, das Denken des Allgemeinen sei bloße Abstraktion. An die Stelle der Leerheit des Ich=Ich ist die Entleerung der Wirklichkeit gerückt. Wenn Hegel im Skeptizismusaufsatz das Wesen des Dogmatismus darin bestehen lässt, „daß er ein Endliches, mit einer Entgegensetzung Behaftetes (Z. B. reines Subjekt oder reines Objekt oder in dem Dualismus die Dualität der Identität gegenüber) als das Absolute setzt“10, so ist der Stoizismus ein Dogmatismus, denn er setzt die Allgemeinheit des Denkens gegen das Besondere der Wirklichkeit. Deswegen kommen die allgemeinen Worte des Stoizismus „zu keiner Ausbreitung des Inhalts“ und fingen so „bald an, Langeweile zu machen“.11 Es ist hier nicht ausgesagt, dass gar kein Inhalt vorliegt. Dieser ist ja nötig, um endlich als dem Fürsichsein entsprechend erkannt zu werden. Nur sind die inhaltliche Fülle außerhalb dieses Denkens und es selbst „hohl“ und daher „langweilig“. Es ist also nicht der fehlende Inhalt, der Langeweile erzeugt, sondern das Fehlen der Ausbreitung eines Inhalts, welcher als das Andere seiner selbst des Selbstbewusstseins erkannt werden kann. Es stimmt nicht mit sich 9 10 11

Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie II, TWA 19, S. 273. Hegel, „Verhältnis des Skeptizismus zur Philosophie“, TWA 2, S. 245. Hegel, Phänomenologie des Geistes, TWA 3, S. 192. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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überein, sondern findet sich nur als übereinstimmend, erleidet diese Übereinstimmung. Nur ein als eigener erkannte Inhalt kann das Selbstbewusstsein zum Handeln auf ein bestimmtes Ziel hin ermächtigen und aus seiner Langeweile heraustreten lassen: „Die Übereinstimmung muß eine höhere sein. Im Anderen seiner selbst, im Inhalt, Bestimmung muß Übereinstimmung mit sich sein, – Übereinstimmung mit der Übereinstimmung.“12 Kurz: Allgemeines, das der Struktur des Unendlichen adäquat ist, darf nicht von den Besonderheiten des gegenständlichen Bewusstseins abstrahieren. Indem es dies tut, macht es sich zu einem Endlichen: „das Allgemeine, was dem Besonderen, das Unbestimmte, was dem Bestimmten, das Unendliche, was dem Endlichen gegenübersteht, ist eben auch nur bestimmt“13, und zwar gegen das Endliche. Nur liegt in der Langeweile sicher nicht das sachliche Motiv für den Übergang in die nächste Gestalt des Selbstbewusstseins. Dieses muss sich ergeben als fehlende Übereinstimmung des Selbstverständnisses dieser Gestalt und dem Ergebnis der Prüfung dieses Selbstverständnisses. Es lässt sich m. E. finden im letzten Satz vor dem Skeptizismusabschnitt: „Der Inhalt gilt ihm [sc. dem Stoizismus] zwar nur als Gedanke, aber dabei auch als bestimmter, und die Bestimmtheit als solche zugleich.“14 Indem der Stoizismus für das abstrakte Denken steht, das abstrakte Denken aber das Besondere von sich abtrennt, macht er das Denken zu einer Bestimmtheit (der Allgemeinheit) gegen eine andere Bestimmtheit (der Besonderheit). Dem Stoizismus „gilt“ somit die Bestimmtheit „als solche“ zugleich mit dem Gedanken. Der Stoizismus ist somit in Wahrheit das Denken der Bestimmtheit. „Bestimmtheit“ ist aber methodisch als „bestimmte Negation“ leitendes Prinzip der Phänomenologie des Geistes. Jedoch kann hier dieses Prinzip deshalb nicht thematisch werden, da die bestimmte Negation als Prinzip nur „uns“, „der Wissenschaft“, einsichtig sein kann, da nur in dieser die Erfahrungsschritte des Bewusstseins mediatisierenden Perspektive die bestimmte Negation als die Negation mit einem Resultat begriffen wird. Das Denken der Bestimmtheit muss daher ein Denken der Negation ohne positives Resultat sein, ein Denken, welches die bloße Nichtübereinstimmung der jeweiligen Wissens12 13 14

Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie II, TWA 19, S. 273. Ebd., S. 359. Hegel, Phänomenologie des Geistes, TWA 3, S. 159. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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gestalten und ihrer Wahrheit als das „Nichts“ dieser Gestalten vollzieht und die Wahrheit als Resultat dieses Nichts verkennt: der Skeptizismus. Allerdings soll sich für ihn die Bestimmung, dass ihm Gedanke und Bestimmtheit als solche zugleich gelte, als zu schwere Hypothek erweisen, nämlich in Form eines für ihn unauflösbaren Widerspruchs.

3. Der Skeptizismus als Realisierung des freien Selbstbewusstseins Im Stoizismus bezieht sich das Bewusstsein auf sich als „gegenständliches Wesen“ so, dass es nur die Selbigkeit der Gegenständlichkeit im Blick hat, aber nicht die Gegenständlichkeit als Gegenständlichkeit. Kategorien der Gegenständlichkeit sind die gegeneinander bestimmten Gestalten des Bewusstseins, Bestimmtheit überhaupt ist die durch Negation erfolgte Aufhebung von Gestalten des Bewusstseins. Indem er das Moment der Selbigkeit vom Moment der Gegenständlichkeit trennt, bestimmt sich der Stoizismus gegen die Gegenständlichkeit. So wird er zum Skeptizismus als Denken der Bestimmtheit. Der Skeptizismus muss so in den Blick nehmen, wovon der Stoizismus zu abstrahieren vermeinte. Das heißt: Er muss die Gestalten des Bewusstseins, die ja zunächst wissende Gestalten gewusster Bewusstseinsgegenstände waren, einer Revision15 dahingehend unterziehen, dass diese nunmehr gedacht werden. Wenn der Skeptizismus nun die „Realisierung desjenigen [ist], wovon der Stoizismus nur der Begriff“16 ist, so wird die Wahrheit der Gegenständlichkeit nicht wieder in Kraft gesetzt. Da ihr Wesen das Selbstbewusstsein ist, müssen sie in ihrer Unwesentlichkeit gedacht werden. Der Skeptizismus zeigt so „die dialektische Bewegung auf, welche die sinnliche Gewißheit, die Wahrnehmung und der Verstand ist; so wie auch die Unwesenheit desjenigen, was in dem Verhältnis des Herrschens und des Dienens, und was für das abstrakte Denken selbst, als Bestimmtes gilt“.17 Hegel unterteilt das Denken 15

16 17

Vgl. Vieweg, Klaus, „Die ‚Umkehrung des Bewußtseins selbst‘“, in: Hegels Einleitung in die Phänomenologie des Geistes, hg. v. Jindřich Karásek, Jan Kuneš und Ivan Landa, Würzburg, 2006, S. 193-211. Hegel, Phänomenologie des Geistes, TWA 3, S. 159. Ebd., S. 141. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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des Skeptizismus also einerseits in das Aufzeigen einer dialektischen Bewegung, andererseits in das Aufzeigen einer Unwesenheit. Das Aufzeigen der dialektischen Bewegung betrifft die Gestalten des Bewusstseins, das Aufzeigen einer Unwesenheit die Anfangsgestalten des Selbstbewusstseins. Die Gestalten des Bewusstseins werden so durch eine dialektische Bewegung in Gestalten des Selbstbewusstseins überführt, in welchen der Gegensatz Wesen/Unwesen artikuliert werden kann. Sollte die Entwicklung der Gestalten des Bewusstseins durch skeptische Tropen erfolgt sein? Es spricht einiges dafür: So können, mit geringem interpretatorischem Aufwand, in der Sinnlichen Gewissheit die zehn der von Hegel „alter Skeptizismus“ genannten Tropen ausgemacht werden. Da diese nach Sextus Empiricus eine Triplizität aufweisen, „einen der Verschiedenheit des erkennenden Subjekts, einen des erkannten Objekts und einen aus beiden zusammengesetzten“18, könnten sie entsprechend in das Kapitel „Sinnliche Gewissheit“ integriert worden sein. Denn dieses scheint genau nach dieser tropischen Triplizität gegliedert: Im „Itzt“ und „Hier“ zeigt sich der Sinnlichen Gewissheit die Verschiedenheit des Objekts, im „Ich“ die Verschiedenheit des Subjekts, im „Ganzen der Sinnlichen Gewissheit“ die Verschiedenheit beider.19 Auch im Wahrnehmungskapitel zeigt sich der gegen die sinnliche Wahrnehmung gerichtete Skeptizismus als Zerfall des Dinges in die Verschiedenheit seiner sinnlichen Anmutungen, im Kapitel „Kraft und Verstand“ als verkehrte Welt, die Erscheinungen mal süß, mal sauer macht. Was das „Aufzeigen der Unwesenheit“ des Skeptizismus an den ersten Gestalten des Selbstbewusstseins betrifft, nämlich des Herrn und des abstrakten stoischen Selbstbewusstseins, so liegt es nahe, es durch den dritten Tropus des Verhältnisses erfolgt zu sehen: Da das Wesen des Dogmatismus darin besteht, daß er ein Endliches, mit einer Entgegensetzung Behaftetes (z. B. reines Subjekt oder reines Objekt oder in dem Dualismus der Identität gegenüber) als das Absolute setzt, so zeigt die Vernunft von diesem Absoluten, daß es eine Beziehung auf das von ihm Ausgeschlossene hat und nur durch und in dieser Beziehung auf ein Anderes, also nicht absolut ist, nach dem dritten Tropus des Verhältnisses.20 18 19 20

Hegel, „Verhältnis des Skeptizismus zur Philosophie“, TWA 2, S. 239. Vgl. dazu Düsing, Klaus, „Die Bedeutung des antiken Skeptizismus für Hegels Kritik der sinnlichen Gewissheit“, in: Hegel-Studien 8, 1973, S. 119-130. Hegel, „Verhältnis des Skeptizismus zur Philosophie“, TWA 2, S. 245. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Vom Herrn wurde gezeigt, dass er nur durch die Beziehung auf den Knecht ist, und die Wahrheit der Dualität von Herr und Knecht ist ihre Identität im knechtischen Bewusstsein.21 Vom Stoizismus wurde gezeigt, dass er kein Absehen von Bestimmtheit ist, sondern Beziehung darauf und selbst Bestimmtheit. Nach alldem wird klar, warum Hegel es nicht nötig hat, den modus operandi des Skeptizismus in diesem Abschnitt näher zu erläutern, denn er ist in der Phänomenologie schon durchgeschienen. Wie kann aber der Skeptizismus souverän über die Mittel verfügen, welche die Geltungsansprüche seiner Vorgängergestalten zerstörten? Hat der Skeptizismus an dem Wissen teil, welches der Wissenschaft oder „für uns“ vorbehalten war? Weiß er von der Abfolge Sinnliche Gewissheit → Wahrnehmung → Kraft und Verstand → Selbstbewusstsein? Das allerdings wäre ein Verstoß gegen Hegels Methode. Mit der Revision der Bewusstseinsgestalten als Gestalten des Selbstbewusstseins, der ersten beiden Gestalten des Selbstbewusstseins als unzulängliche Erscheinungsweisen desselben ist nicht gemeint, dass der Skeptizismus über die bisherige Erfahrung des Bewusstseins verfügt. Sondern diese Gestalten sind Voraussetzungen für das Auftreten der Gestalt des Skeptizismus, welcher seiner Genese gegenüber ignorant ist und auch sein kann, und dem diese Gestalten als zu widerlegende nur zufällig erscheinen. Der Skeptizismus denkt so, indem er das Denken der Endlichkeit ist, die endlichen Bewusstseins- und Selbstbewusstseinsgegenstände als endliche, aber unbelehrt über die Resultate der „dialektischen Bewegung“ und des Aufzeigens des Unwesens des Herrn und des Knechts, dessen Kenntnis „uns“ vorbehalten ist. Während „wir“ daher von dieser dialektischen Bewegung und des aufgezeigten Unwesens als einer bestimmten Negation wissen – und die gegeneinander bestimmten Gestalten des Bewusstseins gegenwärtig haben –, sieht der Skeptizismus der Endlichkeit nur die Negation. Gerade darin liegt aber seine spezielle Freiheit, denn durch diese Negation wird der Bewusstseinsunterschied als Bewusstseinsgegenstand oder als Unwesentlichkeit eliminiert, und zwar nicht in Absehung von ihm, sondern in seinem Gedachtwerden. Das Ununterschiedene wird nicht wie im Stoizismus in Abstraktion des Unterschiedes als Unterschied bewahrt, sondern gerade im Denken des Unterschiedes als Unterschied bewährt. Indem 21

Hegel, Phänomenologie des Geistes, TWA 3, S. 152. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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das Unterschiedene (in Wahrheit) nicht ist, bin Ich, das Ununterschiedene. Damit stellt sich die „Ataraxie des sich selbst Denkens, die unwandelbare und wahrhafte Gewißheit seiner selbst“22 ein. Das skeptische „Bewußtsein selbst ist diese absolute dialektische Unruhe, dieses Gemische von sinnlichen und gedachten Vorstellungen, deren Unterschiede zusammenfallen“.23 Jedoch bleibt die dadurch gewonnene Ataraxie in Wahrheit nicht bestehen, denn das Zitat wird fortgeführt: Nicht nur fallen die Unterschiede zusammen, sondern „deren Gleichheit [löst] sich ebenso, – denn sie ist selbst die Bestimmtheit gegen das Ungleiche – wieder auf[…]“.Aus dem sichselbstgleichen Bewusstsein der Ataraxie werde daher eine „schlechthin zufällige Verwirrung“.24 Nur ist dies nicht zu verstehen, wenn nicht begriffen wird, was es mit der Gleichheit des Skeptizismus auf sich hat – sie mag ja für die Isosthenie stehen, aber die Frage ist ja, wie man sich in diesem Kontext berechtigterweise auf sie berufen kann –, und Gleichheit ist nicht zu begreifen, wenn nicht geklärt ist, was im Zitat mit den Unterschieden gemeint ist. Denn obwohl klar ist, dass der Skeptizismus den Bewusstseinsgegenstand negiert als den Unterschied zum unterschiedslosen Selbstbewusstsein, so wird klärungsbedürftig, was mit den vielen Unterschieden gemeint ist, die zur Gleichheit zusammenfallen. 1. Eine Möglichkeit wäre, die jeweilige Erfahrung des Bewusstseins heranzuziehen. Diese besteht ja im Aufstellen einer Gewissheit A′ durch eine Bewusstseinsgestalt A, deren Prüfung und dem Ergebnis dieser Prüfung. Dieses ist „für uns“ oder „die Wissenschaft“ die neue Bewusstseinsgestalt B mit dem neuen Bewusstseinsgegenstand B′ – im Unterschied zu A und A′. Für das Bewusstsein hingegen, welches seine Erfahrung nicht als bestimmte Negation begreift, ist das Ergebnis der Prüfung schlicht ¬A, oder die Vernichtung des Gegenstands und des Geltungsanspruchs der Bewusstseinsgestalt, welche diesen Gegenstand weiß. Dieser Ansatz kann aber die Isosthenie nicht mit der Gleichheit identifizieren, denn diese wäre nur bei einer Gleichwertigkeit von A und B erreicht.25 Aber A und B wird nur von der Wissenschaft erblickt, 22 23 24 25

Ebd., S. 161. Ebd. Ebd. Ulrich Claesges hingegen interpretiert die Änderung des Gegenstands und des Wissens von ihm als dialektische Antinomie, in welcher „beide Urteile angenommen werden“ müssen; „die Annahme des einen Urteils [macht] die AnMartin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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zudem nicht als gleichwertig, sondern A als aufgehoben in B. Dieser Interpretationsansatz kann also die Ungleichheit erklären, aber nicht, wie dabei ein unwandelbares Selbstbewusstsein möglich ist. Damit aber ist eine Lesart aus dem Spiel, die neben die Tropen des „alten Skeptizismus“ und der Relativität die Gleichkräftigkeit hätte integrieren können. 2. Es kann nun entsprechend der Ausgangsthese untersucht werden, inwiefern sich das skeptische Selbstbewusstsein als Gestalt des unvollendeten Bewusstseins bestimmt durch eine unzureichende Konzeptualisierung der Unendlichkeit, denn als Selbstbewusstsein ist es das Unterscheiden des Ununterschiedenen oder die Unendlichkeit. Inwiefern Hegel die skeptischen Tropen des Agrippa in diese – im Ergebnis vernünftige – Struktur für integrierbar hält, kann hier aus Platzgründen nicht gezeigt werden.26 Abschließend soll also das mit seinem Begriff als Unendlichkeit übereinstimmende Selbstbewusstsein dargestellt und mit der es als Endlichkeit verfehlenden Gestalt des Skeptizismus kontrastiert werden: Es kommt im Selbstbewusstsein als Unendlichkeit darauf an, das Ununterschiedene so auf das Unterschiedene zu beziehen, dass von einer identischen Struktur gesprochen werden kann, worin das eine Moment sich nicht nur darin erschöpft, nicht das andere zu sein. Es sind weiter darin ineins zwei Momente des Selbstbewusstseins gesetzt: dasjenige Moment, welches für die Identität dieser Struktur sorgt, dafür, dass dieses Bewusstsein im Denken all seiner Inhalte als dasselbe ansprechbar ist; und dasjenige, welches diese

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nahme des anderen unumgänglich“ („Das Doppelgesicht des Skeptizismus“, a.a.O., S. 123). Es kann jedoch m. E. nicht von einer Antinomie gesprochen werden, da die Annahme des anderen Urteils die Preisgabe des einen bedeutet, sie also gerade nicht gleichwertig sind, indem nämlich die andere Annahme nicht zur ersten als p und non-p hinzutritt, welche Antinomie erst durch eine neue Bestimmung p′ aufgelöst würde. Sondern das andere Urteil ist bereits die neue Bestimmtheit als Wahrheit des ersten. Vgl. Hegel, „Verhältnis des Skeptizismus zur Philosophie“, TWA 2, S. 246 f., wo er die Gleichheit der Vernunft gegen den Tropus der Verschiedenheit hält, den infiniten Regress des zweiten Tropus als auf die verständige Unendlichkeit als die Vernunft nichts angehend aufzeigt; der dritte Tropus funktioniere nur bei einem Verhältnis auf Anderes, das Vernünftige aber „ist nichts als dieses Verhältnis“, geht also in diesem auf sich nicht als schlechthin Anderes, weswegen auch der fünfte Tropus der Diallele nicht greife; der Tropus der Voraussetzung (gegen die immer eine andere geltend gemacht werden könne) richte sich nur gegen diese als Endliche, das Vernünftige aber „schließ[e] die Endlichen […] beide in sich“. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Inhalte denkt, indem es sie als Andere des Selbstbewusstseins aus diesem realisiert. Wenn aber – wie im skeptischen Selbstbewusstsein – der Unterschied vom Ununterschiedenen geschieden ist, so ist notwendig das Ununterschiedene auch ein Unterschiedenes, nämlich vom Unterschiedenen. Ebenso notwendig muss sich daher das Ununterschiedene wieder verlieren, denn es ist, auf diese Weise gedacht, ebenfalls ein Endliches und so Objekt skeptischer Kritik. Dadurch, dass beide, das Ununterschiedene und das Unterschiedene, als Endliche gedacht werden, ergibt die skeptische Kritik jenes resultatlose Nichts, welches schon in der Einleitung der Phänomenologie angesprochen wurde und sich zwischen das Unterschiedene und das Ununterschiedene wie eine Schwarzblende legt. Der „Skeptizismus verhält sich [somit] nur als Verstand.“ Er verkenne nämlich, „daß diese Negation ebenso affirmativ ist, ein bestimmter Inhalt in sich; denn es ist Negation der Negation, näher die unendliche Affirmation, die sich auf sich beziehende Negativität“.27 Das skeptische Selbstbewusstsein ist so „beständige Oszillation“28, allerdings nicht eine, die sich in diesem Hin und Her zwischen Sichselbstgleichheit und Ungleichheit als Bestimmung derselben Struktur erkennt. Diese Lesart würde erklären, warum im Abschnitt über den Skeptizismus als „Gestalt des unvollendeten Bewusstseins“ das eigentlich Charakteristische historischer Ausprägungen des Skeptizismus sehr kurz behandelt wird, und zwar deshalb, weil Hegel den Skeptizismus als sich noch nicht durchschauende Vernunft deutet, denn erst in ihr verwirklicht sich die Struktur der Unendlichkeit. Das Widersprechende des Skeptizismus, seine Erfahrung, als gedachter Unterschied zum einen einzelnes, zufälliges Bewusstsein, als den durch das skeptische Denken vertilgten Unterschied zum anderen allgemeines, sichselbstgleiches Selbstbewusstsein zu sein29, ist denn auch das Motiv für den Übergang in die Gestalt des unglücklichen Bewusstseins, worin sich das Selbstbewusstsein als

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Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie II, TWA 19, S. 360. Csikós, Ella, „Zu Hegels Interpretation des Skeptizismus“, in: Hegels Phänomenologie des Geistes. Ein kooperativer Kommentar zu einem Schlüsselwerk der Moderne, hg. v. Klaus Vieweg und Wolfgang Welsch, Frankfurt am Main, 2008, S. 270-285, hier S. 270. Hegel, Phänomenologie des Geistes, TWA 3, S. 161 f. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Vernunft durchsichtig wird.30 Es verstand sich als Denken der Bestimmtheit und mithin Denken des Negativen und endet als Widerspruch von Gleichheit und Ungleichheit. Erwarb sich der Stoizismus seine Sichselbstgleichheit durch seine Gleichgültigkeit gegenüber der Wirklichkeit, so ist der Skeptizismus der Verlust der Gleichheit, der Widerspruch von Gleichheit und Ungleichheit. Als Widersprechendes von Ununterschiedenheit und Unterschied ist der Skeptizismus als Wissen nicht zu rechtfertigen, denn nichts hält beides zusammen; das Bewusstsein muss also konzedieren, eines zu sein, in welchem dieser Unterschied statthat: „Die Gedankenlosigkeit des Skeptizismus über sich selbst muss verschwinden, weil es in der Tat ein Bewußtsein ist, welches diese beiden Weisen an ihm hat.“31 Oder anders gesagt: Zur freien Seite einer jeden Philosophie wird der Skeptizismus, wenn er als Einheit von Gleichheit und Ungleichheit gefasst wird.

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Vgl. dazu den ausführlichen Kommentar von Marx, Werner, Das Selbstbewußtsein in Hegels Phänomenologie des Geistes, Frankfurt am Main, 1986, S. 124177. Hegel, Phänomenologie des Geistes, TWA 3, S. 163. Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

Martin Bondeli, Klaus Vieweg, Jiri Chotas, and Jirí Chotaš 978-3-8467-6034-5

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Hinweise zu den Autoren Manfred Baum, Professor der Philosophie an der Bergischen Universität Wuppertal (i. R.). Promotion zum Dr. phil. 1970 an der Universität Köln mit einer Dissertation über die transzendentale Deduktion in Kants Kritiken; 1970-72 Editionstätigkeit an Hegels Gesammelten Werken am Hegel-Archiv der Ruhr-Universität Bochum; 1972-91 Wissenschaftlicher Assistent an der Universität GH Siegen; 1981 Habilitation für Philosophie mit einer Arbeit über Hegels philosophische Methode; Lehrtätigkeit an den Universitäten Bielefeld, Göttingen, Marburg u. a.; Gastprofessuren an der Yale University (New Haven, CT) und am Haverford College (Haverford, PA) in den USA. Mitherausgeber der Kant-Studien. Veröffentlichungen: Deduktion und Beweis in Kants Transzendentalphilosophie, 1986; Die Entstehung der Hegelschen Dialektik, 2 1989. Zudem zahlreiche Aufsätze und Beiträge zu Kant, Schelling, Hegel, Herder und Hölderlin, zur Erkenntnistheorie, Metaphysik, praktischen Philosophie, und Ästhetik. Martin Bondeli, Privatdozent für Philosophie an den Universitäten Fribourg und Bern sowie Dozent für Wirtschaftsphilosophie an der Privaten Hochschule Bern. Herausgeber der Gesammelten Schriften K. L. Reinholds (Basel 2007 ff.). Wichtigste Veröffentlichungen: Hegel in Bern, Bonn, 1990; Das Anfangsproblem bei K. L. Reinhold, Frankfurt am Main, 1995; Der Kantianismus des jungen Hegel, Hamburg, 1997; Kantianismus und Fichteanismus in Bern, Basel, 2001; Apperzeption und Erfahrung, Basel, 2006, Reinhold und Schopenhauer, Basel, 2014. Mitautor: Das „Methodenkapitel“ von K. Marx, Basel, 1994 (mit J. Janoska, K. Kindle, M. Hofer). Herausgeber: Hegels Denkentwicklung in der Berner und Frankfurter Zeit, München, 1999 (mit H. Linneweber); G. W. F. Hegel: Vorlesungen, Bde. 14 und 16, Hamburg, 2000 und 2002 (mit E. Angehrn und H. Seelmann); Die Philosophie K. L. Reinholds, Amsterdam und New York, 2003 (mit W. H. Schrader), Philosophie ohne Beynamen, Basel, 2004 (mit A. Lazzari). Wille, Willkür, Freiheit, Berlin und Boston, 2012 (mit V. Stolz und M. Heinz). Daniel Breazeale, Professor of Philosophy und Distinguished Professor of Arts and Science, University of Kentucky, Lexington,

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Kentucky. Wichtigste Veröffentlichungen: Thinking Through the Wissenschaftslehre: Themes from Fichte’s Early Philosophy, Cambridge, 2013. Herausgeber (mit Tom Rockmore): Fichte: Historical Contexts/Contemporary Controversies, Atlantic Highlands, NY, 1994; New Perspectives on Fichte, Atlantic Highlands, NY, 1996; New Essays on Fichte’s Foundation of the Entire Doctrine of Scientific Knowledge, Amherst, NY, 2001; New Essays on Fichte’s Later Jena Wissenschaftslehre, Evanston, IL, 2002; Rights, Bodies, and Recognition: New Essays on Fichte’s Foundations of Natural Right, Hampshire, 2006; After Jena: New Essays on Fichte’s Later Philosophy, Evanston, 2008; Fichte, German Idealism, and Early Romanticism, Amsterdam, 2010; Fichte and the Phenomenological Tradition, Berlin/New York, 2010; Fichte’s Vocation of Man: New Interpretative and Critical Essays, Albany, NY, 2013; Fichte and Transcendental Philosophy, London, 2015. Übersetzer: Fichte: Early Philosophical Writings, Ithaca, NY, 1988; Fichte: Foundations of Transcendental Philosophy (Wissenschaftslehre nova method), Ithaca, NY, 1992; Fichte: Introductions to the Wissenschaftslehre and other Writings, Indianapolis, IN, 1994; Fichte: The System of Ethics, Cambridge, 2005 (mit Günter Zöller). Jiří Chotaš, Dr. Phil., Mitglied des Instituts für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik. Studium der Philosophie an den Universitäten Prag, Göttingen und Wuppertal. Promotion 1998 in Prag (Diss.: Kant a reflexivní teorie sebevědomí [Kant und die Reflexionstheorie des Selbstbewußtseins]). Wichtigste Veröffentlichungen: Herausgeber: Metaphysik und Kritik. Interpretationen zur „Transzendentalen Dialektik“ der Kritik der reinen Vernunft, 2010 (mit J. Karásek und J. Stolzenberg); Freiheit und Bildung bei Hegel, 2013 (mit A. Braune u. a.). Mitübersetzer von Kants Kritik der reinen Vernunft ins Tschechische (mit J. Loužil und I. Chvatík, 2001). Aufsätze zur Philosophie Kants und zur politischen Philosophie der Neuzeit. Suzanne Dürr, M. A., Doktorandin und Lehrbeauftragte für Philosophie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Promotion zu Fichtes Theorie des Selbstbewusstseins. Publikationen: „Reflexion und Produktion. Zur Bestimmung des absoluten Ich in Fichtes Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre (1794/95)“, in: Die

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Aktualität der Romantik, hg. v. Michael Forster und Klaus Vieweg, Berlin, 2012, S. 163-181; „Spiegel und Auge. Zur Bildung des Bewusstseins in Fichtes Wissenschaftslehre nova methodo“, in: Freiheit und Bildung bei Hegel, hg. v. Andreas Braune u. a., Würzburg, 2013, S. 121-137; „Philosophie als das Ende der Kunst? Das Verhältnis von Kunst und Philosophie bei Hegel und Danto“, in: Das Ende der Kunst als Anfang freier Kunst, hg. v. Francesca Iannelli, Klaus Vieweg und Federico Vercellone, Paderborn, 2015. S. 133-149; „Filosofia come fine dell’arte? Il rapporto tra arte e filosofia in Hegel e Danto“, in: Fine o nuovo inizio dell'arte, hg. v. Francesca Iannelli, Klaus Vieweg und Federico Vercellone, Pisa, 2016. Faustino Fabbianelli, Professor für Geschichte der Philosophie an der Universität Parma. Wichtigste Veröffentlichungen: Impulsi e libertà. „Psicologia“ e „trascendentale“ nella filosofia pratica di J. G. Fichte, Genua, 1998; Antropologia trascendentale e visione morale del mondo. Il primo Fichte e il suo contesto, Mailand, 2000; Coscienza e realtà. Un saggio su Reinhold, Pisa, 2011; Karl Leonhard Reinhold’s Transcendental Psychology, Berlin, 2016. Herausgeber: Die zeitgenössischen Rezensionen der Elementarphilosophie K. L. Reinholds, Hildesheim, 2003; K. L. Reinhold, Beiträge zur Berichtigung bisheriger Mißverständnisse der Philosophen, 2 Bde., Hamburg, 2003–2004; Th. Lipps, Schriften zur Psychologie und Erkenntnistheorie, 4 Bde., Würzburg, 2013. Mitherausgeber: Karl Leonhard Reinhold. Korrespondenzausgabe der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Bde. 2-4, Stuttgart-Bad Cannstatt, 2007, 2011, 2015; K. L. Reinhold, Vorlesungsnachschriften: Logik und Metaphysik, Darstellung der Kritik der reinen Vernunft, Basel, 2015. Břetislav Horyna, Professor für Philosophie, Brno. Wichtigste Veröffentlichungen: Úvod do religionistiky [Introduction into the Study of Religions]. Praha, 1994; Filosofie posledních let před koncem filosofie. Kapitoly ze současné německé filosofie [Philosophy of the Last Years before the End of Philosophy. Chapters from Contemporary German Philosophy], Praha, 1998; Filosofie náboženství. Pokus o typologii [Philosophy of Religions. An Attempt at Typology], Brno, 1999 (mit H. Pavlincová); Počátky filosofické antropologie [The Origins of Philosophic Anthropolo-

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gy], Brno, 1999, 22002; Mýty jednoho slova. Filosofické eseje [Myths of One Word: Philosophical Essays], Praha, 2000; Idea Evropy. Pohledy do filosofie dějin [The Idea of Europe], Praha, 2001; Druhá moderna. Ulrich Beck a teorie reflexivní modernizace [The Second Modernity. Ulrich Beck and the Theory of the Reflexive Modernisation], Brno 2001, 22004; Dějiny religionistiky [The History of the Study of Religions]. Olomouc, 2001 (mit H. Pavlincová); Dějiny rané romantiky. Fichte – Schlegel – Novalis [The History of Early Romanticism. Fichte – Schlegel – Novalis], Praha, 2005; Teorie metafory. Metaforologie Hanse Blumenberga [Theory of Metapher. Metaphorology of Hans Blumenberg], Olomouc, 2007; Filosofie skepse [Philosophy of Scepticism]. Olomouc, 2008; Kritik der religionswissenschaftlichen Vernunft. Plädoyer für eine empirisch fundierte Theorie und Methodologie, Stuttgart, 2011; Bory šumí po skalinách [Woods Whispering Over Rock. A line from the Czech national anthem], Olomouc, 2013; Kapitál: mýtus jednoho slova. Politické eseje [Das Kapital: einwörtiger Mythos. Politische Essays], Prag, 2014. Silvan Imhof, Promotion an der Universität Bern, Mitarbeiter an der Edition der Gesammelten Schriften K. L. Reinholds (Université de Fribourg) und an der Edition der philosophischen Schriften J. Herschs (Universität Zürich). Autor von Der Grund der Subjektivität. Motive und Potenzial von Fichtes Ansatz, Basel, 2014. Mitherausgeber von P. F. Strawson – Ding und Begriff/Object and Concept, Heusenstamm, 2010 (mit S.-J. Conrad); K. L. Reinhold, Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens, Basel, 2013 (mit M. Bondeli); ders., Auswahl vermischter Schriften. Erster Theil, Basel, 2016 (mit M. Bondeli). Aufsätze zur nachkantischen Philosophie, zu Wittgenstein, P. F. Strawson und zur Sprachphilosophie. Jindřich Karásek, PD Dr. Phil., Studium der Philosophie an den Universitäten Prag und Göttingen; Promotion 1998 in Prag (Diss.: Denken und Erkennen bei Kant); seit 1998 Assistent Professor an der Karls-Universität in Prag; 2004-2006 wissenschaftlicher Assistent an der Martin-Luther-Universität in Halle; Habilitation 2009 in Halle (Habil.: Sprache und Anerkennung. Philosophische Untersuchungen zum Zusammenhang von Selbstbewußtseins, Intersubjektivität und Personalität, Göttingen, 2011); seit 2009 Dozent an der

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Karls-Universität in Prag; Aufsätze zur Philosophie Kants, Fichtes und Hegels. Johannes Korngiebel studierte Philosophie und Kulturgeschichte in Jena und Padua (Italien). Während und nach dem Studium Arbeit am Sonderforschungsbereich 482. Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800 der Forschungsstelle Europäische Romantik Jena sowie am Kolleg Friedrich Nietzsche der Klassik Stiftung Weimar. Seit 2013 Doktorand und Lehrbeauftragter am Institut für Philosophie der Universität Jena. Dissertationsprojekt zu „Friedrich Schlegels Jenaer Vorlesung zur Transcendentalphilosophie (1800/01)“. 2014 Lehrbeauftragter des Seminars für Philosophie der Universität Erfurt. Seit Januar 2016 wissenschaftlicher Mitarbeiter der historisch-kritischen Edition von Goethes Tagebüchern im Rahmen der Forschungsplattform Propyläen: Goethes Biographica. Verschiedene Veröffentlichungen zu Themen der Klassischen Deutschen Philosophie, der Romantik und vor allem Friedrich Schlegels, u. a. „Hegel, Schlegel und das Ende der Kunst“, in: Das Ende der Kunst als Anfang freier Kunst, hg. v. F. Iannelli, F. Vercellone und K. Vieweg, München, 2015 (auch in ital. Übersetzung); „Katholizismus, Protestantismus“, in: Friedrich Schlegel-Handbuch, hg. v. Johannes Endres, Stuttgart und Weimar, 2016 (im Erscheinen); „Some Remarks on Friedrich Schlegel’s Critique of Kant and their Consequences for his own Philosophy“, in: Romanticism: Philosophy, Literature, Music, hg. v. Michael Forster, Cambridge, 2016 (in Vorbereitung); „Eine neue Quelle zu Hegels und Schellings Jenaer Disputatorium vom Wintersemester 1801/02“, in: Hegel-Studien 50, 2017 (in Vorbereitung). Tereza Matějčková, Assistentin am Institut für Philosophie und Religionswissenschaft, Karls-Universität in Prag, Redakteurin der tschechischen philosophischen Zeitschrift Reflexe. Wichtigste Artikel: „Tugendhatův obrat k bezvýznamnosti“ [„Tugendhats Wende zur Bedeutungslosigkeit“], Reflexe 49, 2015; „Hegelova praktická filosofie: Kdo chce dosáhnout velkých věcí, musí se umět omezit“ [„Hegels praktische Philosophie: Wer Großes will, muss sich beschränken können“], in: Přístupy k etice [Zugänge zur Ethik], 2015; „Im Tode zur Freiheit gebildet werden. Eine Untersuchung zum Todes- und Freiheitsbewusstsein in der Phänomenologie des Geistes“, in: Freiheit und Bildung bei Hegel, 2013; „He-

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gelovo pojetí ducha na pozadí Antigony a Rameauova synovce“ [„Hegels Begriff des Geistes auf dem Hintergrund von Antigone und Rameaus Neffen“], Reflexe 44, 2013. Wichtigste Übersetzungen ins Tschechische: E. Tugendhat, Über den Tod; G. W. F. Hegel, Wissenschaft der Logik (Auszüge); W. von Humboldt, Über die innere und äußere Organisation; K. Jaspers, Die Idee der Universität (Auszüge). Andreas Schmidt, Professor für Philosophie an der FriedrichSchiller-Universität Jena. Wichtigste Veröffentlichungen: Der Grund des Wissens. Zu Fichtes Wissenschaftslehren in den Versionen von 1794/95, 1804/II und 1812, Paderborn, 2004; Göttliche Gedanken. Zur Metaphysik der Erkenntnis bei Descartes, Malebranche, Spinoza und Leibniz, Frankfurt am Main, 2009. Herausgeber und Übersetzer: René Descartes, Meditationen. Dreisprachige Parallelausgabe Latein – Französisch – Deutsch, Göttingen, 2004 (2., durchgesehene Auflage 2011). Aufsätze zu Thomas von Aquin, Descartes, Spinoza, Fichte, Schelling, Hegel und Sartre. Klaus Vieweg, Prof. Dr., Professor für Philosophie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Fellowships und Gastprofessuren: Pisa, Seattle, Tübingen, Erlangen, Bochum, Prag, Wien, Siena, Medellin, Tokyo, Kyoto, Neapel, Mexico City; Forschungsschwerpunkte: Deutscher Idealismus (speziell Hegel), praktische Philosophie, Skeptizismus. Publikationen: Das Denken der Freiheit ‒ Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts, Paderborn, 2012; Hegel. 200 Jahre Wissenschaft der Logik, hg. v. T. Koch, F. Schick, K. Vieweg, C. Wirsing, Hamburg, 2014; genius loci, Darmstadt, 2014; Zur Architektonik praktischer Vernunft – Hegel in Transformation, hg. v. H. Rosa und K. Vieweg, Berlin, 2014; Hegels Phänomenologie des Geistes, hg. v. K. Vieweg und W. Welsch, Frankfurt am Main, 2008; Skepsis und Freiheit, München, 2007; Shandean Humour in English and German Literature and Philosophy, hg. v. K. Vieweg, J. Vigus, K. M. Wheeler, Oxford, 2013; Bildung und Freiheit. Ein vergessener Zusammenhang, hg. v. K. Vieweg und M. Winkler, Paderborn, 2012; Inventions of the Imagination, hg. v. R. T. Gray, K. Vieweg u. a., Seattle, 2011; Il pensiero della libertá, Pisa, 2007; Die freie Seite der Philosophie – Skeptizismus aus Hegelscher Perspektive, hg. v. B. Bowman und K. Vieweg, Würzburg, 2005; Das Interesse des Denkens – Hegel

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aus heutiger Sicht, hg. v. W. Welsch und K. Vieweg, München, 2004; Philosophie des Remis. Der junge Hegel und ‚das Gespenst des Skepticismus‘, München, 1999. Martin Vrabec, wissenschaftlicher Assistent für Philosophie an der Fakultät für Geisteswissenschaften, Karls-Universität in Prag. Wichtigste Veröffentlichungen: „Verfügt das absolute Ich aus der ‚Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre‘ über ein Selbstbewusstsein?“, in: Fichte-Studien 42, 2016, S. 95-105; „Fichtes ‚pragmatische Geschichte‘ und Hegels ‚Phänomenologie des Geistes‘“ (erscheint in Fichte-Studien 43); Fichtovy pragmatické dějiny lidského ducha [Fichtes pragmatische Geschichte des menschlichen Geistes], Praha, 2013. Folko Zander, Dr. phil., wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsprojekt „Bildung zur Freiheit ‒ Zeitdiagnose und Theorie im Anschluss an Hegel“ 2009-2011, 2009 Promotion (Diss.: Herrschaft und Knechtschaft: Die Genese des Selbstbewußtseins in Hegels Phänomenologie des Geistes. Ein Kommentar), seit 2008 Lehrbeauftragter, seit 2012 Habilitand am Institut für Philosophie der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

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Personenregister Kursive Seitenzahlen beziehen sich auf Nennungen von Personen ausschließlich in Fußnoten. Abicht, Johann Heinrich 15, 63 Agrippa 197, 277 Ainesidemos von Knossos 146, 203 Ameriks, Karl 152 f., 168 Aristoteles 144 Arndt, Andreas 216, 226, 235 Atlas, Samuel 105 Baum, Günther 152, 166, 253 Baum, Manfred 34, 43, 57, 127 Baumgarten, Alexander Gottlieb 28, 122, 123 Beck, Jakob Sigismund 15, 20 Behler, Ernst 227 Beiser, Frederick C. 152, 157, 167, 169, 170 Berkeley, George 27, 67 Blumenberg, Hans 136, 139, 142, 144 Bondeli, Martin 104, 128, 152, 155 f., 202, 206, 208 Bouterwek, Friedrich (Ludewig) 23 f. Bowman, Brady 23, 81, 85, 89 f. Breazeale, Daniel 107, 119, 152, 179, 209, 258 Brock, Kurt 152 Burke, Edmund 52 Cassirer, Ernst 182 Cicero, Marcus Tullius 234 Claesges, Ulrich 268, 276 Condorcet (Marie Jean Antoine Nicolas Caritat, Marquis de) 232 Cramer, Konrad 243 Creuzer, (Christoph Andreas) Leonhard 15, 18, 19, 153 Crusius, Christian August 122 Csikós, Ella 278 Descartes, René 28, 30, 33, 39, 49, 80 f. Druet, Pierre-Philippe 152

Duque, Félix 264 Düsing, Klaus 263, 274 Eberhard, Johann August 15, 72, 156, 229 Erhard, Johann Benjamin 15-18, 21 Fabbianelli, Faustino 94, 129 Feder, Johann Georg Heinrich 27 Feuerbach, Johann P. 15 Fichte, Johann Gottlieb 9 f., 16-21, 24 f., 39, 61, 63, 151-154, 159168, 170, 171, 173-179, 181, 183-187, 189-193, 195-211, 218, 219 ff., 223, 225, 227, 238 f., 240, 241-244, 246 f., 252-261 Ficino, Marsilio 262 Finchman, Richard 152, 167 Flatt, Johann Friedrich 65 f. Forberg, Friedrich Karl 17, 18, 20, 21, 239 f. Förster, Eckart 153, 162, 178 Forster, Michael N. 49, 50, 216, 233, 235 Frank, Manfred 128, 152, 176, 182, 184, 215, 219, 235, 239, 240 Franke, Norman P. 223 Franks, Paul W. 99, 104, 152, 165, 170, 173-178 Fries, Jakob Friedrich 227 Fuchs, Erich 154 Gasperoni, Lidia 99 Gebhard, Friedrich Heinrich 153 Gentz, Friedrich von 52 Gesang, Bernward 153 Goethe, Johann Wolfgang von 14 Gueroult, Martial 152 Hammacher, Klaus 253 Hardenberg, Friedrich von (Novalis) 221, 222 ff., 227 Hartmann, Nicolai 237

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PERSONENREGISTER

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 9 f., 14, 16, 18, 22-25, 79, 82 f., 86 f., 89 ff., 137, 211 f., 216, 225, 233 ff., 248 f., 252, 253, 258-264, 265 f., 268, 271, 272, 273 ff., 277 ff. Heidemann, Dietmar 82, 87, 89, 234 Heine, Heinrich 41 Henrich, Dieter 16, 128, 152, 157, 163, 169, 174, 178 Hölderlin, (Johann Christian) Friedrich 22, 253 Horstmann, Rolf-Peter 105 Hoyos, Luis E. 99 Hume, David 16, 18, 25, 31-36, 46, 54, 56 f., 61, 63-72, 74 f., 90, 100 f., 117, 200, 251 Imhof, Silvan 104, 112 Ivaldo, Marco 200, 211 Jacobi, Friedrich Heinrich 28 f., 36, 38 f., 61, 65, 114 f., 157, 166, 175, 181, 218, 251-256, 258 f., 264 Jakob (Jacob), Ludwig Heinrich 16, 20 Jäsche, Gottlob Benjamin 32 Kant, Immanuel 9 f., 13-18, 24 f., 27-41, 43, 46, 54, 56 f., 61, 6470, 72 ff., 77 f., 79, 90, 93 ff., 97, 99-102, 104 ff., 108, 112118, 120-123, 125 ff., 131, 135, 151, 152, 154 f., 158, 163, 164, 170, 177 f., 181 ff., 187 f., 190193, 195, 201, 207 f., 218, 219, 223, 226, 231, 238 ff., 245 f., 251, 259 Klemmt, Alfred 152 Kranz, Margarita 217 Krug, Wilhelm Traugott 23 f. Kuntze, Friedrich 119 La Mothe Le Vayer, François 54 Lazzari, Alessandro 128 f., 153 Leibniz, Gottfried Wilhelm 72, 74 Locke, John 39 f., 61, 71, 74 Löwe, Matthias 234 Maimon, Salomon 9, 15, 62, 65, 70, 74, 93-108, 11 f., 116-123,

125-129, 132, 133, 165, 182, 195, 200, 232 Marquard, Odo 139, 145 Martin, Wayne M. 152, 168, 169, 173 ff., 178 Marx, Werner 279 Meist, Kurt Rainer 23 Mendelssohn, Moses 65 Messina, James 153, 171-177, 179 Montaigne, Michel de 54 Naschert, Guido 215 f. Neuhouser, Frederick 152, 167 f., 173 f. Niethammer, Friedrich (Philipp) Immanuel 15 f., 19, 21, 224, 228 Pierini, Tommaso 24 Pippin, Robert 152, 167 Platner, Ernst 15, 50, 54, 56, 64 ff., 74, 123, 232, 233 Platon 22, 144, 226, 234, 262, 263 f. Pyrrhon von Elis (Pyrrho) 54 Rehme-Iffert, Birgit 215 f. Reich, Klaus 57 Reid, Thomas 18, 38 ff., 81, 85 Reimarus, Hermann Samuel 122, 123 Reinhold, Karl Leonhard 9 f., 13, 16-19, 21, 45, 50, 54 ff., 58, 6179, 81, 93 ff., 99 f., 102, 104 ff., 108 f., 111-116, 118 ff., 122133, 151-162, 164-179, 181, 182, 183, 185, 189 f., 195 f., 202-208, 232, 238, 253 Röd, Wolfgang 56 Rosenkranz, Karl 22, 24 Röttgers, Kurt 220, 230 Rousseau, Jean-Jacques 51 Rückert, Joseph 24 Sandkaulen, Birgit 253 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 9 f., 18, 21, 23 f., 232, 238, 240-248 Schlegel, (Karl Wilhelm) Friedrich 19, 21, 24 f., 215-235 Schmid, Carl Christian Erhard 19 f. Schopenhauer, Arthur 38 Schrader, Wolfgang H. 105

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PERSONENREGISTER

Schulz (Schultz), Johann Friedrich 154 Schulze, Gottlob Ernst (Aenesidemus) 9 f., 14 ff., 18 f., 21, 23 ff., 27-30, 34-43, 45 f., 50, 56 ff., 61-66, 70-78, 79-91, 9398, 100, 135-139, 141-145, 147, 151-168, 170 f., 173-179, 181 ff., 185 f., 189 f., 192, 195 f., 200-203, 207 f. Senderowicz, Yaron 103 Sextus Empiricus 16, 21 f., 25, 33, 48 ff., 54, 75, 224, 274 Sinclair, Isaac von 22 Sokrates 234 Spinoza, Baruch de 225, 262 Stäudlin, Gotthold Friedrich 53 Stäudlin, Karl Friedrich (Carl Fridrich) 9, 14, 45-58

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Stephani, Heinrich 151 Storheim, Eivind 199 Strawson, Peter F. 182, 193 Tennemann, Wilhelm Gottlieb 16, 45, 47, 54, 61, 74 Verra, Valerio 152 Vieweg, Klaus 13, 15, 18, 21 f., 89, 91, 232, 273 Visbeck, Johann Christian Karl 15 Waibel, Violetta 216, 222 Walker, Ralph C. S. 238 Weiss, Christian 24 Welsch, Wolfgang 251 Wittgenstein, Ludwig 141 Wolff, Christian 28, 31, 72, 122 f. Zwilling, Jakob 22

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