Erscheinungsformen komischen Sprechens bei Aristophanes 9783110170009, 3110170000, 9783110877229, 3110877228

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Erscheinungsformen komischen Sprechens bei Aristophanes
 9783110170009, 3110170000, 9783110877229, 3110877228

Table of contents :
Frontmatter......Page 1
Vorwort......Page 5
Inhalt......Page 7
Einleitung......Page 9
Theoretisches über Sprachkomik......Page 18
Fremdsprachen, Ausländerattisch und Dialekte......Page 42
Spott auf individuelle Sprecher......Page 63
Die komische Verwendung formal und funktional markierter Sprechweisen......Page 73
Die Figur des Bomolochos......Page 140
Kommunikationsstörungen als Quelle von Komik......Page 197
Wiederholungen als kompositorisches Mittel der Komödie......Page 212
Die Prologe und die Ökonomie der Komik......Page 246
Anhänge......Page 294
Literaturverzeichnis......Page 305
Index locorum......Page 316

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Gerrit Kloss Erscheinungsformen komischen Sprechens bei Aristophanes

w DE

G

Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte Herausgegeben von Gustav-Adolf Lehmann, Heinz-Günther Nesselrath und Otto Zwierlein

Band 59

Walter de Gruyter • Berlin • New York 2001

Erscheinungsformen komischen Sprechens bei Aristophanes

von

Gerrit Kloss

Walter de Gruyter • Berlin • New York 2001

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Philosophischen Fakultät der Universität Göttingen gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt. Die Deutsche Bibliothek — ClP-Einheitsaujnahme Kloss, Gerrit: Erscheinungsformen komischen Sprechens bei Aristophanes / von Gerrit Kloss. - Berlin; New York : de Gruyter, 2001 (Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte ; Bd. 59) Zugl.: Götringen, Univ., Habil.-Schr., 1999 ISBN 3-11-017000-0

© Copyright 2001 by Walter de Gruyter Gmbh & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandentwurf: Christopher Schneider, Berlin Druck und Buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co. GmbH, Göttingen

Vorwort Diese Arbeit hat der Philosophischen Fakultät der Universität Göttingen im Sommersemester 1999 als Habilitationsschrift vorgelegen. Die geringfügig überarbeitete Druckfassung wurde im September 2000 abgeschlossen; seither erschienene Literatur konnte nicht mehr berücksichtigt werden. Ulrich Schindel, Siegmar Döpp, Wilfried Barner und Peter Bachmann gebührt mein Dank dafür, daß sie als engagierte Gutachter zur ungewöhnlich zügigen Abwicklung des Verfahrens beigetragen und als kritische Leser manche hilfreiche Anregung gegeben haben. Ganz besonders danke ich jedoch meinem Lehrer Klaus Nickau, auf dessen Rat und Hilfe ich nicht nur während der Arbeit an diesem Buch zu jeder Zeit rechnen konnte, sondern der meinen gesamten wissenschaftlichen Werdegang vom Studienbeginn bis zur Habilitation mit unveränderlicher tätiger Anteilnahme gefördert hat. Für die freundliche Bereitschaft, das Buch in die „Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte" aufzunehmen, habe ich den Herausgebern zu danken, insbesondere Heinz-Günther Nesselrath, auf den zudem etliche wichtige Korrekturen und Verbesserungen zurückgehen. Die DFG hat durch eine großzügige Druckbeihilfe dazu beigetragen, daß die Arbeit in diesem Rahmen erscheinen kann. Für die Erstellung des Index locorum gilt mein Dank Diane Wolff, deren aufmerksamer Lektüre des Manuskripts es die Leser außerdem zu verdanken haben, daß sie nicht durch eine ganze Anzahl bis zuletzt stehengebliebener Zitierfehler in die Irre geführt werden. Göttingen und Köln, im Dezember 2000

G.K.

Zitiert wird in der Regel nach folgenden Ausgaben: Ach. Equ. Th. Eccl. nach SOMMERSTEIN; Nub. Ran. nach DOVER; Vesp. nach MACDOWELL; Pax nach OLSON; Av. nach DUNBAR; Lys. nach HENDERSON; Plut. nach COULON. Interpunktion, Orthographie und Akzentsetzung können in Einzelfällen von der in diesen Editionen gegebenen abweichen.

Inhalt 1. Einleitung

1

2. Theoretisches über Sprachkomik 2.1. Komisches Sprechen als mißlingende Handlung 2.2. Pragmatische Sprachkomik

10 10 16

3. Fremdsprachen, Ausländerattisch und Dialekte 3.1. Fremdsprachen und Ausländerattisch 3.2. Dialekte

34 34 50

4. Spott auf individuelle Sprecher

55

5. Die komische Verwendung formal und funktional markierter Sprechweisen 65 5.1. Fragestellung 65 5.2. Hexameter 70 Pax 1052-1126: 71 - Av. 959-991: 75 - Equ. 197-201: 77 Equ. 960-1099: 78 - Lys. 770-776: 84 - Pax 1265-1304: 86

5.3. Prosa

Staatlicher Bereich: 89 - Sakraler Bereich: 92

5.4. Skolien

(Vesp. 1219-1249)

5.5. Militärische Befehle (Ach. 1097-1142)

5.6. Äsopische Fabeln und sybaritische Geschichten (Vesp. 1388-1449)

5.7.

Philosophischer Diskurs

89 95

102 106

(Nub. 1214-1302)

6. Die Figur des Bomolochos 6.1. Fragestellung 6.2. Bomolochoi im engeren Sinne 'Demosthenes' (1. Agon der Ritter): 137 - Euelpides (2. Agon der Vögel): 144 - Dikaiopolis (Prolog der Acharner): 148 - Xanthias (Prolog der Frösche): 154 - Dionysos (Agon der Frösche): 158

6.3. Weitere Figuren mit Zügen eines Bomolochos

Trygaios (Prolog des Friedens): 164 - 'Mnesilochos' (Prolog der Thesmophoriazusen): 166 - Blepsidemos (Agon des Plutos): 168 Karion (Prolog des Plutos) und Chremylos (Plut. 965-1041): 169 -

116

132 132 137

164

VIII

Inhalt Kalonike (Agon der Lysistrate): 171 - Zwei isolierte „bomolochische" Anekdoten: 173

6.4. Zu Unrecht als Bomolochoi bezeichnete Figuren Demos (2. Agon der Ritter): 176 - Chremes (Agon der Ekklesiazusen): 176

6.5. Ergebnis

176 178

7. Kommunikationsstörungen als Quelle von Komik 189 7.1. Fragestellung 189 7.2. Überhören oder bewußtes Mißverstehen von Äußerungen 191 7.3. Kommunikationsvermeidung in Dreierkonstellationen....l98 8. Wiederholungen als kompositorisches Mittel der Komödie 8.1. Fragestellung 8.2. Wiederholungen eigener Worte 8.3. Wiederholungen fremder Worte 8.3.1. Wiederholung ohne polemische Absicht 8.3.2. Wiederholung mit Umkehrung der Sprechsituation 8.3.3. Selbstparodie 8.3.4. Nachsprechen 8.4. Schluß

204 204 207 221 221 224 233 235 236

9. Die Prologe und die Ökonomie der Komik 238 9.1. Fragestellung 238 9.2. Aufbauskizzen der aristophanischen Prologe 241 9.3. Problem und Lösungsplan 252 9.4. Stillstand und Fortschritt, Unterhaltung und Exposition..261 9.5. Monolog und Dialog 273 9.6. Aktion, Unterhaltung, Wort - die „kulinarischen" Szenen 280 9.7. Schluß 285 10. Anhänge Anhang A: Equ. 271-277 Anhang B: Eccl. 621-622 Anhang C: Ran. 1132-1135

286 286 291 293

11. Literaturverzeichnis

297

12. Index locorum

308

1. Einleitung Am Beginn meiner Beschäftigung mit der sprachlichen Komik in den Stücken des Aristophanes stand der Gedanke, eine an prominenter Stelle konstatierte Forschungslticke zu schließen. Im Jahre 1971 hatte Albin LESKY in der dritten Auflage seiner viel gelesenen Geschichte der griechischen Literatur1 bemerkt: „Mit Bedauern muß man feststellen, daß über der kritischen Arbeit an den erhaltenen Stücken die Aufgabe, die Elemente des aristophanischen Humors herauszuarbeiten, stark vernachlässigt wurde. So reich auch Situationskomik ausgenützt wird, ist Träger dieses Humors doch vor allem die Sprache." Es ist von vornherein nicht leicht zu sehen und wird bei genauerer Überlegung immer fraglicher, welche Art von Aufgabe sich nach LESKYS Auffassung demjenigen stellen könnte, der diesem Thema eine größere Untersuchung widmen möchte. „Elemente", „Humor" und vor allem „die Sprache" sind reichlich ungenaue Begriffe, die im Grunde zunächst einer terminologischen Festlegung bedürfen, und das heißt in diesem Fall: einer perspektivischen Einschränkung. Denn da der Plan einer umfassenden Behandlung aller in irgendeinem Sinne komischen sprachlichen Phänomene in den Komödien des Aristophanes unter allen denkbaren Aspekten natürlich ein ebenso uferloses wie unkonturiertes Unternehmen wäre, gilt es einen der möglichen Standpunkte gegenüber dem Material auszuwählen und ein Erkenntnisinteresse zu formulieren, das die weitere Arbeit einschließlich des begrifflichen Instrumentariums bestimmen soll. Erkennt man einmal die Vielfalt möglicher Ansatzpunkte an, dann wird LESKYS Satz auch noch in anderer Hinsicht problematisch. Die Behauptung, daß die Erforschung der sprachlichen Mittel, mit denen Aristophanes sein Publikum zu unterhalten versucht, „stark vernachlässigt" worden sei, ist wohl bereits im Jahre 1971 eine Übertreibung gewesen und ist es 1999 noch mehr. Zwar scheint es, als wolle LESKY in der Tat lediglich andeuten, daß noch immer keine 1

LESKY [1971] 506.

2

1. Einleitung

systematische Monographie zur Sprachkomik vorliege; an Forschungsliteratur zu so gut wie allen denkbaren Einzelaspekten des aristophanischen Umgangs mit Sprache hat es jedoch nie wirklich gefehlt. Das Literaturverzeichnis am Ende dieses Bandes, das nur einen kleinen Teil solcher Arbeiten nennt, legt davon ein Zeugnis ab. Was gibt es also auf diesem Feld überhaupt noch zu tun? Die meisten Komödien sind zu alledem gerade in den letzten drei Jahrzehnten durch eine Reihe guter, oft sogar ganz ausgezeichneter englisch- und italienischsprachiger Kommentare erschlossen worden, die kaum einen komischen Moment unerklärt lassen und die allenthalben auf einschlägige Parallelstellen verweisen. Das somit längst gesicherte, wenn auch noch immer verstreute Wissen in Rubriken zu ordnen und zu so etwas wie einem „Witze-Katalog" zu destillieren, ist also zumindest heutzutage keine wirklich lohnende Aufgabe mehr. Übrigens stellt sich selbst bei einem solchen methodisch einfach erscheinenden Sammelprojekt neben der Frage nach den geeigneten Ordnungskriterien noch die nach einem übergeordneten Konzept, d.h. nach dem intendierten Erkenntnisfortschritt. Gerade in dieser Hinsicht läßt eine vom Titel her vielversprechende und mit großem Fleiß erstellte Athener Dissertation aus dem Jahre 1981 (C.A. M i c h a e l , 'O kcojíikck; Xóyoq -roí) 'ApuTtocpavoue^, die sich ausdrücklich auf LESKYs Satz beruft, einiges zu wünschen übrig: Die Arbeit besteht, nach einem einleitenden Teil, der den Begriff des Kto(iucóv in erster Linie anhand neuzeitlicher Komiktheorien einzukreisen versucht, zum großen Teil aus einer ausführlich mit Zitaten belegten Beschreibung der verschiedenen Arten (ei5r|) und Techniken (t portoi) komischer Rede, wie sie bei Aristophanes vorkommen, unter rein stilistisch-rhetorischen Gesichtspunkten (Satire, Ironie, Humor, Witz ..., Überraschung, Wiederholung, Neologismen, Figuren ...). Das theoretische Instrumentarium entstammt hauptsächlich dem traditionellen, schon in der Antike im wesentlichen entwickelten rhetorischen System. Einer der Rezensenten 2 bezeichnet den Hauptteil als „something of a catalogue" und resümiert: „The book ... is a useful work of reference, but it offers little new or of importance". Das hat vor allem mit dem wenig pointierten Zugriff auf das zu untersuchende Material zu tun; zwei Dinge fallen besonders ins Auge : 1. Der Nutzen, den der Autor aus seinen Bemühungen u m 2

USSHER [1983] 170.

1. Einleitung

3

eine theoretische Erfassung des Phänomens „Komik" für die Beschreibung der tatsächlich vorliegenden komischen Sprache bei Aristophanes zu ziehen vermag, ist sehr gering. 2. Die Klassifikationsmerkmale im Hauptteil sind so wenig autorenspezifisch gewählt, daß das Besondere der aristophanischen Sprache sich allenfalls an der Quantität der jeweils subsumierten Belege ablesen läßt. Man erfährt, daß, wie und in welcher Häufigkeit Aristophanes sprachliche Mittel verwendet, die wohl jeder Komiker verwenden würde; dagegen kommt das große Ganze, in dessen Dienst doch die technischen Mittel stehen, kaum einmal in den Blick. Welche Schlüsse lassen sich hieraus ziehen? 1. Mit der Diskussion eines allgemeinen Komikbegriffs, die nicht von Anfang an die Verhältnisse bei Aristophanes im Auge hat, ist nichts gewonnen. Natürlich wird im Hinblick auf die Textanalyse die Bedeutung des einen oder anderen Begriffs geklärt werden müssen. Der Umgang gerade mit neuzeitlichen Theorien zur Komik und Komödie muß jedoch behutsam sein und eine Grundlage für Interpretationsverfahren bieten können, die dazu beizutragen versprechen, Aristophanes besser zu verstehen. Definitionen, Termini und methodische Ansätze, die zu einer ganz anderen Zeit und für einen ganz anderen Zweck konzipiert wurden, sind daraufhin zu überprüfen, ob sie mit den in der klassischen Literaturwissenschaft eingeführten und bewährten Verfahren sowie den bisher gesicherten Ergebnissen zu harmonieren vermögen. Daß sich die mittlerweile sehr fortgeschrittene Aristophanesforschung auch nur in einem wesentlichen Teilbereich durch die Orientierung an einer aktuellen literaturtheoretischen Strömung dauerhaft auf eine neue - und vor allem zuverlässigere Grundlage stellen lassen könnte, ist eine optimistische Vorstellung, die ich nicht teile. Die Berechtigung dieser Skepsis bestätigt sich mir angesichts einer durchaus interessanten Münchener Dissertation (v. MÖLLENDORFF [1995]), die sich schon im Titel (Grundlagen

einer Ästhetik der Alten Komödie) als Versuch eines

„großen Wurfs" zu erkennen gibt3 und die - konsequent an der

Auch der Text auf dem hinteren Einbanddeckel ist in diesem Sinne bemerkenswert. Dort heißt es unter anderem: „Untersuchungen zur Alten Komödie b e s c h r ä n k t e n sich bislang meist auf die Darstellung von Einzelaspekten. Demgegenüber wählt die vorliegende Arbeit einen globaleren Ansatz" (Sperrung von mir).

4

1. Einleitung

Ästhetik von Bachtin orientiert - einige wertvolle Ergebnisse zu Tage fördert (die Funktionen des Grotesken, der Obszönität, des Essens u.a. lernt man in der Tat mit anderen Augen sehen - hierin erfüllt die öeeopia ihren Zweck), der es aber etwas an der notwendigen Unterfütterung durch philologisch exakte Detailinterpretation fehlt.4 Dadurch bleiben viele Versuche, von der erstmals auf die Alte Komödie angewandten Theorie ausgehend die Funktion etwa von Szenen und Handlungsmotiven zu ermitteln, ohne die rechte Durchschlagskraft, die nur aus dem geduldigen und ganz handwerklich-traditionellen Zusammentragen von Einzelbeobachtungen erwachsen kann. 2. Eine Untersuchung der aristophanischen Sprachkomik kann sich, wenn Wesentliches in den Blick kommen soll, nicht darauf beschränken, Hunderte von Witzen zu isolieren und in rhetorische (oder andere) Kategorien einzuordnen. Zwar hat H. FLASHAR 5 kürzlich in einem Beitrag mit dem Titel Komik und Alte Komödie ein mögliches Programm zur Untersuchung einer „Systematik des Komischen" umrissen, das neben der Untersuchung von „Figur und Rolle" sowie „Lachkultur und Karnevalisierung der Literatur" auch die des „Witzes" anhand von FREUDS Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten vorschlägt. Jedoch ergibt sich hier - neben den Fragen nach der Übertragbarkeit der Theorie, die angesichts des vorrangig psychologischen Erkenntnisinteresses ihres Urhebers gewiß schon dringlich genug sind - geradezu ein Problem der literarischen Gattimg, da es FREUD offenbar nicht um das Drama und den darin eingebundenen, mit Hilfe sprachlicher Mittel arrangierten komischen Moment, sondern um die isolierten kurzen Erzählungen ging, die wir gemeinhin als „Witze" bezeichnen. 6 Jeder, der den Versuch machen wollte, FREUD an AriVgl. auch die recht kritische Rezension von 5

6

FLASHAR [ 1 9 9 6 ] .

SCHWINGE

[1997],

Zum Gebrauch des im Deutschen mehrdeutigen Wortes „Witz", seines Plurals „Witze" und solcher Ableitungen wie „witzig" im vorliegenden Buch sei folgendes bemerkt: Bis ins 19. Jahrhundert hinein bedeutet „Witz" so viel wie „Verstand, Geist" = frz. esprit (hierzu BEST [1989]) und bezeichnet dann auch dessen zumeist sprachliche Produkte. Als allgemeiner Begriff kann „Witz" dann z.B. stehen für „kurze komisches (sprachliches) Arrangement" (engl, joke), „Wortspiel", „Kalauer", „Bonmot", „Pointe" und schließlich für die als „kurze, Lachen erregende Erzählung, die in einer Pointe gipfelt" (RÖHRICH [1977] 5) zu definierende Textsorte (vgl. hierzu neben RÖHRICH v.a. MARFURT [1977]). All diesen Bedeutungen wird der Leser im folgenden begegnen, vor allem aber der zweiten. Die gerade hier sehr weite Verwendung von

1. Einleitung

5

stophanes heranzutragen, würde sehr schnell der damit verbundenen Schwierigkeit gewahr werden: Die Einordnung beispielsweise nach „Tendenzen" in die Kategorien des feindseligen, des obszönen, des zynischen und des skeptischen Witzes7 wäre an einer völlig anderen Form des Kontextes zu überprüfen als der ursprünglich dafür vorgesehenen. Es wäre unvermeidlich, den Blick immer wieder auf die nähere und weitere Umgebimg des in Frage stehenden komischen Moments zu richten, Beziehungen an anderer Stelle im Stück zu beachten, gelegentlich gesamte Szenen oder Szenenfolgen und gewiß manchmal auch das Ganze einer Komödie zu berücksichtigen. Da diese Forderung sich jedoch aus der Eigenart der Gattung ergibt, sollte man sie nicht als ein Untersuchungshindernis auffassen, das sich dem Forscher bei seinem Bemühen um Anwendung der Theorie lästigerweise immer wieder in den Weg stellt. Vielmehr sollte man genau hier die Möglichkeit wahrnehmen, zu Erkenntnissen über das Besondere des aristophanischen Umgangs mit Sprache zu gelangen. Ehe Sprachkomik bei Aristophanes kann man also nur dann in wesentlichen Zügen erfassen, wenn man sich jederzeit ihrer dramatischen Einbindung bewußt ist. Das bedeutet freilich zugleich, sich endgültig vom Anspruch einer vollständigen Erfassung des Materials und umfassenden Behandlung des Phänomens zu verabschieden; denn die Vielfalt der Aspekte, die in einem dergestalt erweiterten Blickfeld zu berücksichtigen sind, wird den Untersuchenden immer wieder zu ausführlicherer Analyse und Interpretation einzelner Stellen und größerer Zusammenhänge drängen. Solchen aus der Sache selbst erwachsenden Fragen zur näheren und weiteren Textumgebung soll auch in der vorliegenden Arbeit nicht ausgewichen werden. Wenn sich dabei mitunter der zunächst auf eine Einzelheit gerichtete Blick so weit öffnet, daß kontroverse Fragen oder sogar Grundthemen der Aristophanes-Interpretation gestreift wer„Witz" hat sich in der deutschsprachigen Aristophanes-Forschung eingebürgert (einige ganz wahllos herausgegriffene Beispiele: WEINREICH [1929] Titel; NEWIGER [1957] 1 5 . 1 9 . 20; FRAENKEL [1962] 31; GELZER [1971] 1541; LESKY [1971] 506; ZIMMER-

MANN [1998] 118), und es hat sich dabei gezeigt, daß der jeweilige Kontext Mißverständnisse in hinreichender Weise ausschließt. Zur Vermeidung des Wortes „Witz" zugunsten einer genaueren, aber umständlicheren Terminologie besteht also kein Anlaß. Die Untersuchung u.a. nach diesen Kriterien schlägt FLASHAR [1996] 85 vor.

6

1. Einleitung

den, so wird auch dies nicht etwa nur in Kauf genommen, sondern bewußt als eine Gelegenheit verstanden werden, die in mikroskopischer Detailarbeit gewonnenen Erkenntnisse in einen größeren Forschungskontext einzuführen.8 Es ist an sich eine Selbstverständlichkeit, daß in längeren Texten verschiedene Strukturebenen, größere und kleinere Einheiten existieren, die miteinander in Verbindung stehen und aufeinander wirken. Da auf das Wechselspiel zwischen diesen Ebenen in der vorliegenden Untersuchung zur Komödie ein gewisses Gewicht gelegt ist, sei es hier in aller Kürze beschrieben: Man kann bestimmte Geschehensstrukturen „tragisch", andere „komisch" nennen. „Tragisches" Geschehen entwickelt sich konsequent über längere Zeiträume an Situationen, an Lebenslagen von Menschen. Jedes Element des tragischen Gesamtgeschehens entfaltet dauerhafte Wirksamkeit, ist aber auch seinerseits Konsequenz eines anderen Geschehens, so daß die dramatische Form der Darstellung hier ihre besondere innere Berechtigung hat. Demgegenüber liegt es bekanntlich im Wesen des Komischen, daß es die gewohnten Formen von Konsequenz oder gar Kausalität unterläuft (bezeichnenderweise ist ja eines der klassischen Themen der Komödie die Tragödienparodie9). Komisch werden Handlungen unter bestimmten Bedingungen, wenn der erwartete Anschluß an ein vorangegangenes Geschehen in bestimmter Weise mißlingt.10 Auf der anderen Seite läßt auch die komische Handlung ihrerseits wieder einen konsequenten Fortgang des Geschehens erwarten (unabhängig davon, daß wir als Zuschauer einer Komödie auf höherer Ebene die Enttäuschung dieser Erwartung erwarten). Diesen Rückfall in die Welt des Gelingens und der Konsequenz muß nun der Komödiendichter, der sein Publikum über einen längeren Zeitraum zum Lachen bringen will, immer von neuem sofort aufhalten oder doch so bald wie möglich wieder aufheben, indem er weiteres komisches Ge-

9 10

Es gehört daher zum Konzept dieses Buches, daß in exkursartigen Passagen, längeren Fußnoten und Appendices weiterführende Bemerkungen verschiedener Art - beispielsweise zur Gesamtinterpretation der Wolken, zum Sinn des Finales der Ritter, zur Personenverteilung und Inszenierung verschiedener Passagen (darunter ist auch ein neuer Lösungsvorschlag zum Auftritt Plutons am Ende der Frösche), zu Fragen der Textkonstitution usw. - gemacht werden. Vgl. hierzu die wichtige Spezialuntersuchung von RAU [1967]. Ausführlich zu dieser Thematik im Hinblick auf Aristophanes LANDFESTER [1977] 212-238.

1. Einleitung

7

schehen erzeugt. Die so entstehende Aneinanderreihung von komischen Momenten kann aber nur dann zu einer dichterischen Einheit, einer Komödie, werden, wenn die Episodenhaftigkeit ihrer Einzelglieder durch Einbettimg in einen Handlungszusammenhang auf höherer Ebene aufgehoben wird. Dies ist die Aufgabe dessen, was man mit K.-D. KOCH die „komische Idee" nennen könnte.11 Diese, zunächst meist selbst nur eine komische Episode, installiert für den Rest des Stückes eine absurde Situation, aus der heraus die vielen anderen folgenlosen und weniger folgenreichen komischen Momente entstehen, welche die komische Idee durchspielen. Das Verhältnis zwischen dieser Grundsituation und den daraus erwachsenden komischen Momenten ist nun nicht selten das einer mindestens scheinbar konsequent-logischen Ableitung: aus Absurdem entsteht, wenn man es weiterdenkt, Absurdes. So verweisen die immer neuen Ergebnisse dieser Ableitungen, die komischen Momente, durch das ganze Stück hindurch auf die absurde Grundsituation und variieren sie: Die einzige Möglichkeit, eine komische Idee durchzuhalten, ohne sie zu Tode zu reiten, ist, sie durchzuspielen. Die ältere attische Komödie zeigt die typische Episodenhaftigkeit deutlich in ihren bereits zu aristophanischer Zeit voll ausgebildeten Bauformen wie Agon und Parabase; das komische Thema wird, sobald es einmal eingeführt ist, in Szenenreihen (etwa den „Abfertigungsszenen") durchgespielt. Unterhalb dieser ganz auf das Grundthema ausgerichteten Ebene der Einzelszene gibt es nun noch die Ebene des komischen Moments, dessen Durchführung weitgehend Sache der sprachlichen Gestaltung ist. Hier müssen die komischen Einfälle nun nicht mehr zwingend der Durchführung des Grundthemas dienen, sondern können auch nur für den Moment wirksame, sonst folgenlose Pointen, Witze oder Invektiven sein. Auf dieser - der niedrigsten - Ebene der Ausgestaltung einer Komödie entscheidet sich eigentlich ihre komische Wirkung, die, nach STIERLE12, sich „summativ ergibt aus der Zahl der in ihr [der Komödie, Verf.] freigesetzten, in sich geschlossenen 'enthobenen' komischen Momente." Deren Wirkung und das Zusammenwirken mit den höheren Ebenen läßt sich also, in verkürzter Form, etwa wie folgt beschreiben:

11

KOCH [1965] 64-65; z u m Begriff des „komischen Themas", w i e KOCH die „komische

Idee" meist nennt, siehe unten Anm. 443. 12

STIERLE [ 1 9 7 6 ] 261.

8

1. Einleitung

In einer Komödie wird ein eigentlich zielorientierter Plan13 von zahlreichen in ganz andere Richtungen (etwa - unter Durchbrechung der dramatischen Illusion - auch von der Bühne weg) weisenden, im Sinne der Hauptidee also scheiternden Handlungen bevorzugt sprachlicher Art behindert, retardiert oder doch mindestens für einen kurzen Moment der Aufmerksamkeit des Publikums und der Akteure entzogen. Daraus ergibt sich, daß der Witz, so sehr er um seiner selbst - d.h. seines komischen Potentials - willen benötigt wird, andererseits auch als Antagonist der komischen Idee fungiert, und diese Aufgabe erfüllt er auch dann, wenn er im konkreten Einzelfall auf das Gelingen des Gesamtplans hinwirkt; denn selbst wenn er die dramatische Illusion nicht durchbricht, sondern innerhalb der Fiktion bleibt, so stört er doch immer die geradlinige Bewegung der Handlung auf ihr Ziel zu. Das aber ist ein typisches Kennzeichen für das menschliche Agieren in der Realität - der „Realismus" der Komödie hat hier seinen Ursprung -, denn in der dramatischen Fiktion erwartet man kein Stolpern auf dem Weg, keine Sprünge oder Brüche innerhalb des Geschehens, sondern nur geradliniges Erreichen oder geradliniges Verfehlen des Ziels. Komische Idee und komischer Moment stehen also bei Aristophanes in einem produktiven Spannungsverhältnis zueinander, das bisher allenfalls aus der Perspektive der übergeordneten Ebene, der Idee, betrachtet worden ist. Der bedeutende Beitrag des komischen Moments zum Ganzen, wie er im vorangehenden beschrieben wurde, ist dagegen noch kaum gewürdigt worden. Wenn dies in der geplanten Untersuchung fast ausschließlich anhand der sprachlichen Mittel versucht werden soll und die Situationskomik nur am Rande erscheint, so ist darin angesichts der von LESKY durchaus zutreffend als dominierend beschriebenen Rolle der Sprache für die komische Detailarbeit kaum eine unzulässige Verkürzung zu sehen. Noch ein Wort zum Begriff „Sprache": Es wird in dieser Arbeit nur am Rande um die Sprache als Zeichensystem gehen; im Mittelpunkt steht vielmehr ihre dramatische Funktion als einer Form des Handelns (siehe hierzu die nachfolgenden theoretischen Bemerkungen). Ich werde daher oftmals nicht das Wort „Sprache" verwenden, sondern stattdessen „Sprechen" oder „Reden" sagen, ohne jedoch in terminologische Dogmatik zu verfallen. Dem Leser wird aufgrund 13

STIERLES „ B e w e g u n g s p r i n z i p " ([1976] 261).

1. Einleitung

9

des Kontextes ohnehin jederzeit klar sein, ob gerade von der langue oder der parole die Rede ist.14

14

Überhaupt kann der interpretierende Literaturwissenschaftler für den praktischen Gebrauch auf einige von Linguisten wegen ihrer Unscharfe gemiedene Begriffe - wie etwa „Wort" - kaum verzichten, da Termini wie „Lexem", Morphem" usw. eine Präzision einbringen, die meist gar nicht sachdienlich ist.

2. Tivexai 8s ö yekcoc, dato Trjg Xifyatc, Theoretisches über Sprachkomik 2.1. Komisches Sprechen als mißlingende Handlung In einem wichtigen Aufsatz mit dem Titel Komik der Handlung, Komik der Sprachhandlung, Komik der Komödie hat 1976 Karlheinz STIERLE eine theoretische Fundierung des hier an Aristophanes zu untersuchenden Phänomens „Sprachkomik" unternommen. Dabei geht er zunächst von allgemeineren Überlegungen zur Analyse komischer Ereignisse aus, um von dort zur Betrachtung von komischen sprachlichen Ereignissen vorzustoßen. Der Grundgedanke, der STIERLES Ansatz durchzieht, ist die Verankerung von Komik jeder Art in der Welt des Handelns. Seit man gelernt und sprachphilosophisch-linguistisch begründet hat, daß und in welcher Weise Sprechen eine Form des Handelns ist (der einschlägige Klassiker ist J.L. AUSTINS Haw to Do Things with Words), ist es möglich, die Grundlagen der Sprachkomik unter den gleichen Gesichtspunkten zu studieren wie andere komische Handlungen, ohne die speziellen Ausprägungen, die sich aus der hohen Symbolhaltigkeit von Sprache ergeben15, aus den Augen zu verlieren.16 An Versuchen, sprachliche Komik zu beschreiben, hat es zu keiner Zeit gefehlt. Dabei wurde jedoch die Sprachkomik von der Handlungskomik zumeist deutlich geschieden. Bereits in der ältesten erhaltenen Behandlung der Komik der Komödie, die sich im

15

16

„Die Chancen des Mißlingens von Handlungen wachsen an mit der Entfernung von ihrem natürlichen Substrat, d.h. in dem Maße, wie Handlungen zu symbolischen und damit erst eigentlich kulturellen Handlungen werden. Der Bereich der Sprachhandlungen ist der Bereich der symbolischen Handlungen par excellence" (STIERLE [1976] 254). „Wenn ... die Komik der Sprache in der Komik der Handlung fundiert ist, so ergeben sich andererseits im Medium der Sprache Möglichkeiten des Komischen von besonderer Qualität, die einer eigenen Beschreibung bedürfen" (STIERLE [1976] 254).

2.1. Komisches Sprechen als mißlingende Handlung

11

Tractatus Coislinianus17 findet, ist die Trennung explizit durchgeführt: yivetai 5è ò yéXax; aitò xfjq X-é^ecoq Kaxà ó^tovuniav auvcovu^iiav àòoXeoxiav jtapa)vo|j.iavwcoKÓpi0|xa è^a^Aaynv ... ajcnn« XÉE,ecoq ..., arcò TCDV T I P A Y I I A X c o v ... Die Kategorisierung der Sprachkomik erfolgt dabei, wie man sieht, nach rhetorisch-stilistischen Gesichtspunkten.18 Diese Gliederung hat übrigens W.J.M. STARKIE in einem materialreichen Kapitel der Einleitung zu seinem Acharner-Kommentar19 durch Belege aus den aristophanischen Stücken mit Leben zu erfüllen versucht. Auch Ciceros ausführliche Behandlung des Witzes in De oratore (2,216-290) ist ganz und gar nach denselben Gesichtspunkten gestaltet, welche auch die Theorie der Tropen und Figuren bestimmen.20 Noch in dem jüngsten Versuch einer monographischen Darstellung der aristophanischen Sprachkomik21 wird eine sehr viel feinere, aber im Prinzip ähnliche Unterteilung anhand der am Sprachmaterial selbst zur Erzeugung der Komik vorgenommenen Manipulationen zugrundegelegt. Doch die Ausnutzung von Homonymien, Synonymien, Metaphorik und dergleichen ist auch sonst in der Sprache zur Erzeugung ganz anderer Effekte weit verbreitet und schafft allein noch keine Komik. Jede Analyse komischen Redens, die sich darauf beschränkt, die einzelnen komischen Momente einer Komödie anhand solcher Kategorien zu katalogisieren, muß zwangsläufig unvollständig sein. Denn „komisch ist am Sprechen nie allein die Sprachlichkeit, sondern ihre Verankerung in der Welt. Das Komische der Rede ist kein linguistisch beschreibbares Phänomen." 22 Der deutsche Begriff „Sprachkomik" soll daher in der vorliegenden Untersuchung nicht im Sinne von „Komik der Sprache" verwendet werden, sondern im Sinne von „Komik des Sprechens" oder noch genauer „Komik von Sprechakten". Eine solche Analyse muß selbstverständlich auch das sprachliche Material, an dem Komik entsteht, in den Blick nehmen, ja es kann vielfach sinnvoll sein, die dem Sprachsystem selbst inhärente Ordnung zur Klassifizierung der beobachteten komischen Momente heranzuziehen. 17

Z . 1 3 - 3 0 KOSTER.

18

S i e h e d a z u NESSELRATH [ 1 9 9 0 ] 1 1 9 - 1 2 2 , b e s . 121.

19

STARKIE [ 1 9 0 9 ] X X X V I I I - L X X I V .

20

Ausführlich zur Charakteristik und den Quellen von Ciceros Theorie sowie zum Verhältnis zu anderen Theorien (einschließlich Tractatus Coislinianus) LEEMAN PLNKSTER - RABBIE [ 1 9 8 9 ] 1 9 0 - 2 0 6 .

21

MICHAEL [1981],

22

STIERLE [ 1 9 7 6 ] 2 5 4 .

12

2. Theoretisches über Sprachkomik

Doch zu wissen, daß ein Witz beispielsweise unter Zuhilfenahme eines bestimmten Lexems statt eines erwarteten anderen gemacht wurde (als Etikett pflegt man in solchen Fällen „rcapa TtpoaSoidav" zu verwenden), ist nur die notwendige, nicht bereits eine hinreichende Bedingung für das Verständnis der Komik des betreffenden Sprechakts. Wenn wir über ein wenig aussagekräftiges Inventar witziger Äußerungen bei Aristophanes hinauskommen und wissen wollen, was diese Äußerungen in den Ohren des Theaterpublikums komisch gemacht haben könnte oder in unseren Ohren immer noch komisch macht, müssen wir die Grundbedingungen berücksichtigen, unter denen Komik, speziell Sprachkomik entsteht. STIERLES ambitionierte Analyse des Komischen ist nur in den wenigsten Punkten ganz ohne Vorgänger; seine Darstellung zeichnet sich aber durch exemplarische Stimmigkeit und Vollständigkeit aus und berücksichtigt zudem in besonderer Weise die Sprachkomik, weshalb sie hier zugrundegelegt sei. Die für die vorliegende Untersuchung relevanten Grundideen STlERLEs seien daher im folgenden in aller Kürze skizziert: • Komik beruht auf dem Mißlingen von Handlungen.23 • Damit eine mißlingende Handlung komisch wird, müssen einige weitere Voraussetzungen erfüllt sein. Besondere Bedeutung kommt der Notwendigkeit zu, daß eine solche Handlung fremdbestimmt sein muß.24 Sie wird es, indem sich ihr intendiertes Objekt zum Subjekt aufschwingt und das eigentliche Subjekt in die Objektrolle zurückdrängt (die bekannte „Tücke des Objekts"). Elementare körperliche Formen solcher Fremdbestimmtheit sind etwa im Falle des Gehens das Stolpern25 - hier scheinen die Füße dem Gehenden ihren Willen aufzudrängen -, im Falle des Sprechens das Stottern.26 • In Fremdbestimmtheit mißlingende Handlungen sind nicht komisch an sich, sondern weil sie von einem Betrachter als komisch wahrgenommen werden.27 „Komisch ist nicht schon die fremdbestimmte Handlung selbst, sondern erst ihre Erfassung in der Per2 3

STIERLE [ 1 9 7 6 ] 2 3 8 .

2 4

STIERLE [ 1 9 7 6 ] 2 3 8 - 2 4 4 .

2 5

STIERLE [ 1 9 7 6 ] 2 4 0 .

2 6

STIERLE [ 1 9 7 6 ] 2 5 7 .

2 7

STIERLE [ 1 9 7 6 ] 2 4 4 - 2 5 0 .

2.1. Komisches Sprechen als mißlingende Handlung

13

spektive einer anderen Person ... Komik ist nicht schon das Resultat der fremdbestimmten Handlung, sondern ihrer Interpretation." 28 Diese subjektive Komponente ist der entscheidende Grund, warum eine Klassifikation von komischen Momenten nach objektiven Kriterien nicht zu einem echten Verständnis der jeweils wirksamen komischen Mechanismen führen kann. Die scheiternde Handlung spielt sich dabei vor der Folie einer Norm ab, die im Bewußtsein des Beobachters verankert ist. Dieser rechnet von dem mißlingenden komischen auf den entsprechenden gelingenden Vorgang zurück. Die Differenz aus beiden wird dabei im komischen Ereignis als „Gegensinn" registriert. Interessant ist STIERLES Hinweis auf die Möglichkeit, daß der Betrachter willentlich „durch entsprechende Aufmerksamkeitsakte einer Handlung Momente eines Gegensinns" beistellen kann. 29 Damit scheint ein psychischer Vorgang recht genau umschrieben, der vor allem bei der besonderen Disposition des Albernseins die entscheidende Rolle spielt (auch wenn STIERLE hierauf nicht eigens hinweist). 30 Auf die Gefahr, daß ein solcher hauptsächlich aus dem betrachtenden Subjekt heraus erzeugter Gegensinn von anderen Beobachtern desselben Ereignisses nicht verstanden wird und das Lachen in einer solchen Situation selbst lächerlich werden kann, weist STIERLE ebenfalls hin. Dies ist allerdings ein Fall, der beim Komödienzuschauer kaum einmal eintreten wird, sorgen doch die heitere Stimmung im Theater - zumal in Athen im Rahmen eines Dionysosfestes - und die Erwartung komischer Szenen von vornherein für eine gesteigerte Bereitschaft, in den angeschauten Handlungen einen Gegensinn zu entdecken.31 • „Das komische Ereignis bleibt prinzipiell Episode, auch wenn es noch so oft wiederkehrt"32, d.h. komische Ereignisse sind im Hinblick auf die ihnen eigene Komik stets isoliert zu betrachten. Für die dramatische Struktur einer Komödie bedeutet dies, daß der

2 8

STIERLE [ 1 9 7 6 ] 2 4 4 - 2 4 5 .

2 9

STIERLE [ 1 9 7 6 ] 2 4 7 .

30

Eine eingehende Analyse der Witzform des „Blödeins" und seines psychologischen

31

Zu diesen und anderen bereits von FREUD [1905] 178-179 ermittelten Katalysatoren

Hintergrunds bietet WELLERSHOFF [1976]. v o n K o m i k v g l . WARNING [ 1 9 7 6 ] 3 0 4 .

3 2

STIERLE [ 1 9 7 6 ] 2 5 0 ( v g l . 2 6 1 ) ; f ü r A r i s t o p h a n e s v g l . RICHTER [ 1 9 3 3 ] 2 4 ( d i e H a n d l u n g

der aristophanischen Komödie sei „eine Folge auf komischen Situationen beruhender B i l d e r " ) u n d LANDFESTER [ 1 9 7 7 ] 2 3 .

2. Theoretisches über Sprachkomik

14

Handlungszusammenhang der Fabel, deren Konstruktion die Verwendung der „tragischen" Elemente Kohärenz, Folgerichtigkeit und Vernunft erfordert, außerhalb dessen liegen muß, was die Komik eines Stückes ausmacht.33 Der Grund für die Isolation des komischen Moments liegt in seiner „Enthebbarkeit"34: Die in Fremdbestimmung mißlingende Handlung darf kein moralisch relevantes Vor- oder Nachspiel haben, das dem Betrachter eine innere Beteiligung am Schicksal des Handelnden abnötigen würde. Die emotionale Indifferenz des Zuschauers ist eine Grundbedingung der komischen Disposition.35 Wird sie gestört, bleibt dem Betrachter „das Lachen im Halse stecken". • Eine weitere These STIERLES sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt, weil sie selbst für den menandrischen Typus der Komödie, von dem STIERLE offenbar ausgeht und dem die gesamte europäische Tradition der Komödie (abgesehen von der Archaia natürlich) verpflichtet ist, nicht uneingeschränkt gilt: Der Zielpunkt einer Komödie, so STIERLE,36 sei die „Wiederherstellung vernünftiger Zustände, einer geordneten kulturellen Welt". Für die in einigen Fällen irritierend uneindeutigen (Ekklesiazusen) oder doch mindestens in dem einen oder anderen Aspekt offenen (Ritter, Vögel u.a.) Schlüsse der aristophanischen Komödie wird man jedenfalls die Auffassung, es werde am Ende so etwas wie ein téXoç erreicht, auf welches das Stück hinkomponiert sei, gewiß nicht teilen.

33

STIERLE [1976] 261; f ü r Aristophanes vgl. z u d i e s e m K o m p l e x i n s b e s o n d e r e LANDFESTER [1977] 212-238, d e r die grundsätzlichen U n t e r s c h i e d e z w i s c h e n T r a g ö d i e u n d

Komödie hinsichtlich der Handlungsführung herausarbeitet.

34

STIERLE [1976] 2 5 1 .

35

Dies ist seit der Antike klar gesehen worden, vgl. THIERFELDER [1979] 9 und SCHINDLER [1986] 5 mit dem wichtigen Hinweis (ebd. Anm. 1) auf Aristot. poet. 5,1449a 33 ii> yap yeXolov e / 5TI xeiXtaiv a|x(pi>.aXou; / Seivöv ercißpenETai / Qpxitda xe?a8v / öii ßapßapov eConevn TtexaXov. SALVIAT [1989] 176-179 hat den interessanten Vorschlag gemacht, in der „thrakischen Schwalbe" Kleophons Mutter zu sehen und xeiXeoiv änqiiXaXou; instrumental zu verstehen, also: „... dessentwegen sie mit zweisprachigen Lippen laut klagt". SOMMERSTEIN [1993] 476 Anm. 35 hat zunächst Zustimmung signalisiert, greift den Gedanken aber in seiner kommentierten Edition nicht wieder auf. Ein genauerer Blick auf die Verse lohnt sich. Die Grammatik spricht für das traditionelle Verständnis: Der schon im Altertum hochberühmte Vorbildvers Eup. fr. 102,5 netOcb tu; oiEKÖfliCpv ejtl xoü; xe&soiv (sc. IlepiKXeotic) widerrät der Trennung von ÖTI und XEIXEOIV in Ran. 678-679 (dies ist nicht die einzige Anleihe, die der Dichter in diesem Stück bei Eupolis macht, vgl. STOREY [1993] 392-393). Aeivov EJtißpEHExai erinnert zugleich an ein herrenloses Stück dithyr a m b i s c h e r D i c h t u n g ( L y r . a d e s p . 1 1 c = P M G 929c: ZEUQ |±EV öteßpEHE ß a p ß a p a ßpovxiy)

und an dessen Vorbildstelle Horn. II. 20,56-58 (Sewöv 8E ßpovttiaE Jtarnp avSptüv TE 0Etöv TE ...). Auf Kleophons Lippen sitzt (zu dieser Metapher vgl. KASSEL-AUSTIN zu Eup. fr. 102,5; die Kommentatoren pflegen anzumerken, daß Vögel zwischen Blättern, nicht auf ihnen sitzen, vgl. jedoch die sehr ähnliche Stelle Ibyc. fr. 36a = PMG 317a ToOnEVTtEToÄowjiveit' ¿Kpora-tou; / li^avoiai noiiciXai aioXoÖEipoi / navEXojteg f e r n e r C a l -

lim. fr. 194,61-63 PF. und Alciphr. 4,13,9) nicht die fast als Gottheit zu denkende itEiötb, wie bei Perikles, sondern eine „thrakische Schwalbe" als inspirierende Instanz seiner Reden: Dies ist natürlich ein Hinweis auf Kleophons angebliche barbarische Abstammung mütterlicherseits; unter der rednerischen Muse des Demagogen soll man sich aber offenbar zugleich die in Thrakien von ihrem Schwager Tereus vergewaltigte und ihrer Zunge beraubte Philomele vorstellen (STANFORD und DEL CORNO z.St.), die schließlich - in der griechischen Version des Mythos - in eine Schwalbe verwandelt wurde (das Fehlen der Zunge ist Aition für das charakteristische Zwitschern der Vögel, DUNBAR ZU AV. 15, S. 40). Gleich darauf wird Philomele kurzerhand mit ihrer Schwester Prokne gleichgesetzt, die in eine um ihren Sohn Itys klagende Nachtigall verwandelt wurde: 682 oti ßapßapov eipnivri rceiaXov bezieht sich noch auf die Schwalbe, ist aber an Horn. Od. 19,520 SevSpEiov ev jtETaXoiai Kaöei^olievri jtuKivoioiv angelehnt, wo von der Nachtigall gesprochen wird. Der Übergang ist vollzogen mit 683-684 KEXOSEI 8' biiKkamov ön£oviov / vonov, O>; änoXsixai. Man sieht, warum Aristophanes es mit dem Mythos nicht so genau nimmt: Zunächst war ihm an der Parallelisierung von Kleophons Mutter mit der zungenlosen „Schwalbe" Philomele gelegen, nun geht es im die zu erwartende (Futur ÄnoXeiTai!) Klage der Mutter (Prokne) um ihren Sohn Kleophon (Itys). Beide Vogelmetamorphosen des Mythos boten sich für einen Bezug auf Kleophon und seine Mutter an, und ornithologische Konsequenz hat das Publikum bei diesen mythischen Assoziationen sicher nicht erwartet. Den Zuschauern verlangte dieses Chorlied mit seinen dichten Anspielungen

60

4. Spott auf individuelle Sprecher

• 'Mnesilochos' schreibt auf Votivtäfelchen - Ersatz für die von Oiax im Palamedes benutzten Ruderblätter - einen Hilferuf an Euripides. Dabei mißlingt ihm ein Buchstabe: 780-781 oi'noi, / T O U T I TÖ pro noxlBripov. Die gängige Erklärung der Scholien und der modernen Kommentatoren ist, daß 'Mnesilochos' Schwierigkeiten mit dem dritten Buchstaben des Wortes „Euripides" habe. Das ist eine auf der Handlungsebene logische Erklärung; allerdings steht der Wortlaut der Botschaft nicht ausdrücklich im Text. Dagegen riecht die auffällig genaue, dabei dramatisch überflüssige Erwähnung eines bestimmten Buchstabens aus dieser Nachricht förmlich nach einem Witz, und der Gedanke an eine weitere Anspielung auf Alkibiades und seinen Lambdazismus - aus der im folgenden kein komisches Kapital mehr geschlagen wird - scheint mir nicht fern zu liegen. Es kommt hinzu, daß der Handlungszusammenhang des Spiels - ein Hilferuf an einen potentiellen Retter wird über das Meer geschickt - auf die aktuelle politische Situation bezogen werden und die Identifizierung erleichtern konnte. Übrigens wird auch in Eup. fr. 385 eine Verbindung zwischen dem wendigen Athener und Palamedes, dem Prototyp des stets Rat wissenden Erfinders hergestellt, indem eine Idee des Alkibiades als II Xayov, a> 'xaxpe, |xa9cbv xovq äyaOoix; (piXei -" gl211™ (= ascl.

towcp t i Xi^Ev; oköXiov;

mai.)

Der von Aristophanes öfter als Schmeichler verspottete Kleon-Anhänger Theoros wird diesmal als derjenige eingeführt, der Philokleon den ersten Vers vorgibt. Gleichgültig ob man annimmt, 'Theoros' habe den Myrtenzweig von dem offenbar links neben ihm sitzenden 'Kleon' bekommen - wie ihn später 'Aischines' seinerseits von 'Theoros' übernimmt (1243 8e^exai) oder ob Bdelykleon eine ganz neue Situation fingiert, in jedem Fall ist die inkonsequente Konstruktion, Philokieon jeweils außer der Reihe die Liedanfänge der anderen vollenden zu lassen (auch dieses ergänzende Aufneh202

Siehe KUGELMEIER [1996] 59.

99

5.4. Skolien

men heißt Öe%eo0ai, 1222), der komischen Prüfungssituation geschuldet.203 Der „Admetos" ist ein weiteres traditionelles Skolienthema,204 das allerdings in der Sammlung bei Athenaios nicht erscheint. Das Scholion zu Vesp. 1239 weist die hier gebotene Version des Anfangs der Praxilla zu (PMG 749 = 897)205 und überliefert sogar die ursprüngliche Fortsetzung xrov 8etM>v 8' änexov yvoix; öu SetXtov öXiya %apig. die das Ganze durch den Gegensatz zwischen ctyaöoi und 5eiXo( deutlich als ausgesprochen aristokratische Maxime hervortreten läßt.206 Philokieon schließt natürlich ganz anders an (PMG 912a; das Vorbild der Verse ist unbekannt): 1240 1241 1242

tpöiicöx; eyeb. „oute eotiv äXometdi^iv, cö6'otepoujiyiyv£oöai 'xaipe), Kleon als indirekt Angesprochenen auffassen. Dann bedeuten die Verse 1241-1242 sinngemäß: „Wer zum Umgang mit den Guten rät und gleichzeitig einem Kleon schmeichelt [siehe 12361237], der verrät seine eigene Maxime." Wenn sich 'Kleon' unmittelbar angesprochen fühlt, kann er verstehen: „Theoros legt dir die Guten ans Herz - also mußt du dich gegen ihn entscheiden!" In beiden Fällen trifft der Angriff den einen wie den anderen. Bdelykleons vierte Aufgabe sieht vor, daß jetzt der schon in Vesp. 459 (und vielleicht 325) als Aufschneider verspottete Aischines den Myrtenzweig von Theoros (1243 |iexa xovtov - also wieder nicht von Philokieon, der eigentlich zuletzt gesungen hat) übernimmt und ein neues Lied anstimmt, das der Alte fortsetzen soll. Aus Av. 822-823 geht hervor, daß Aischines sich insbesondere mit Vermögen zu brüsten pflegt, das er nicht besitzt. Diese Saite schlägt er auch hier an (1245-1247 = PMG 912b): 1243

(ieia xovto v Aiaxivty; o leXXxm

xai,

1244

ävpp acxpcx; Kai novxnicög k$t ' qcaerav

1246 1247

KXenoiyöpqi xe Ka|xoi |iexa öettaXcov —"

1245

„xpiinaxa Kai ßfav

AA

g l (= dod)

gl (= dod) gl (= dod)

AA

AA

Die „Kleitagora" ist ein weiteres beliebtes Skolienthema,-209 die Titelfigur läßt sich heute allerdings nicht mehr einordnen, und es mag sein, daß uns dadurch etwas von der Komik der Verse in diesem Zusammenhang entgeht. Aus dem gleichen Grunde ist es auch ratsam, an der Überlieferung 1245 ßiav festzuhalten und nicht das vermeintlich besser zu xpt||j.(xia passende ßiov (TYRWHITT) ZU drucken.210 „Geld und Gewalt" sind beispielsweise probate Mittel, um (politischen?) Widerstand zu brechen, und vielleicht ging das Original in 209

210

Erwähnungen in der Komödie sind Lys. 1237; Cratin. fr. 254; Aristoph. fr. 271; siehe KUGELMEIER [1996] 45-48 (der S. 46 irrtümlich auch PMG 912a als Teil des Kleitagora-Skolions aufzufassen scheint). Die Konjektur wird empfohlen von VAN DER VALK [1974] 19-20 und gedruckt von STARKIE, COULON u n d SOMMERSTEIN; v g l . j e d o c h ZIMMERMANN,

[1992] 173-174.

Forschungsbericht

5.4. Skolien

101

diesem Sinne weiter. Daß Philokieons Fortsetzungen nicht einmal syntaktisch kohärent an die Vorgabe anschließen müssen, zeigen die bereits besprochenen drei Beispiele zur Genüge. Daß ßiav kein geeignetes Objekt für das von Philokieon ergänzte Prädikat sei, ist also ein untaugliches Argument;211 zudem setzt er hier auch in anderer Hinsicht nicht glatt fort: 1248

„- noKKbt 8i| 8 lEKo^naoag au KÖcyco."

gl ba

Ob noTJka überhaupt streng adjektivisch auf xpr|(iaxa Kai ßiav bezogen sein soll, sei dahingestellt; ich würde es eher für substantivisch („viele Dinge") und den Vers für syntaktisch vom Vorhergehenden ganz unabhängig halten. Diese Ansicht läßt sich stützen durch den offenkundigen Perspektivenwechsel, der in der parodierenden und korrigierenden Wiederaufnahme von Aischines' KXevrayopa xe Koqioi in Philokieons tri) KÖcyro zum Ausdruck kommt. Wie bei der zweiten Antwort an Kleon wird hier die Dialogisierung auch durch den Übergang in die zweite Person besonders deutlich. Philokieon hat, wie die Analyse gezeigt hat, die Form des Skolions in allen vier Fällen als Einkleidung für eine Invektive mißbraucht. Von einer kunstgerechten Verwendung (5e%ea0ai KaXax;) im Sinne der für diese Textsorte geltenden Konventionen kann keine Rede sein. Das Lob Bdelykleons für die Leistungen seines „Schülers" (1249 I O U T ! (iev ejcieixcc*; ot> y' ii^nioxaaai) kommt daher auf den ersten Blick überraschend - um so mehr, als der Sohn in anderen Szenen eher wenig von der Auffassungsgabe seines Vaters zu halten scheint -, es ist jedoch nichts weiter als ein abschließender pragmatischer Witz. Die Aufgabe verlangte xa OKÖXI' oitcoq Se^ei KaXax; (1222); der Zuschauer wird indes Zeuge, wie Philokieon die Skolienanfänge falsch und ohne an der Reihe zu sein fortsetzt und zudem alles unternimmt, um sich bei den anderen Symposiasten unbeliebt zu machen, wie Bdelykleon sich aber jedes wertenden Kommentars über den Erfolg der Übung zunächst enthält.212 Erst der Schlußvers erhellt mit einem Schlag die wahre Einstellung des Sohns: Jetzt stellt sich heraus, daß er unter 5e%ea6ai KaX KarayeXcix; ecmv avöpancou; jiXafo«;;) ist weniger offensichtlich, da ein Paar von imperativischen Sätzen vorausgegangen ist: 1124 AA. (pepe 8ei>po yopyövoycov äani&oq tcoictaiv. 1125 AI. KOC|XOI nXaKovvzoc, Tupoworov 6o? KWCXOV. Hier führt, wie K . NICKAU216 in einer eingehenden Analyse der Aspektverteilung bei den Imperativen der Passage dargelegt hat, die lautliche Imitation des Versschlusses (-8o )Jyym,

113

töv KpeixTov', ôoxiç èoxi, Kai xöv iittova. TOVTOIV TÖV ërepov TOÍV Aoyoïv, TÖV innova, viKâv Xéyovtá (paoïtàôiKtkepa. f|v o w NAÖTV; JIOI TÖV aöitcov TOÛTOV Xóyov, a vûv ckpêÎXcû ôiàoé,TOV)T(ûVTCûvxpecov o\)K otv ànoôoiriv oiiô' âv ößoXöv oùSevi.

114

115 116 117 118

Den Vers 113 wird Strepsiades später ebenfalls wiederholen (883), nämlich in dem Gespräch mit Sokrates, in dem er darlegt, zu welchem Ziel die Ausbildung seines Sohnes im Phrontisterion führen soll. Hier wie dort geht es dem Alten um den â 5 i K o ç Xôyoç (116), der ihm helfen soll, die Rückzahlung seiner Schulden zu vermeiden. Die wörtliche Wiederaufnahme der in 118 ausgedrückten Wunschvorstellung in der Szene mit dem Gläubiger (der Potentialis mit av ist an der zweiten Stelle im Ton schärfer: „Auf keinen Fall werde ich ...") soll daher wohl demonstrieren, daß Strepsiades sich nunmehr im Besitz der vermeintlich rettenden Streittechnik wähnt. Und vor allem: Die spezielle Verknüpfung des Verses 1250 (= 118) mit der Genus-Sexus-Lehre des Sokrates zeigt, daß der Alte die linguistische Theorie für einen (Teil des) aSiicoç Xôyoç hält, mit dem sich die schwächere Sache zur stärkeren machen lasse. Dieser Irrtum, auf dem die pragmatische Komik des KapSorcoç-Witzes 1248-1258 beruht, geht, psychologisch gesehen, darauf zurück, daß Strepsiades in 657 vehement fordert, endlich den àôiKtôraxoç Xoyoç lernen zu dürfen. Darauf geht Sokrates ab 694 auch ein; zunächst schaltet er jedoch als propädeutische Einheit (658) die Grammatikstunde ein. Den tatsächlich nicht sehr auffälligen Übergang zu dem neuen, praxisnäheren Gegenstand in 694 nimmt Strepsiades offenbar nicht als

248

Der Schlußvers 680 der Passage ist richtig hergestellt (mit dem Dativ KXeoivuirn) und - wie der gesamte „Backtrog-Kleonymos"-Komplex - endlich völlig befriedigend erklärt worden von SOMMERSTEIN. GUIDORIZZIS neuere Behandlung ist demgegenüber ein Rückschritt.

5.7. Philosophischer Diskurs

121

Themenwechsel wahr, so daß ihm in der Rückschau die zwei Lektionen als eine erscheinen. Insofern Strepsiades die pragmatischen Implikationen der sokratischen Denk- und Redeweise verkennt und alles, was er lernt, unterschiedslos auf seine eigene Situation anwendet, darf man davon sprechen, daß die Komik auf einem Mangel an Einsicht in die jeweils besonderen Funktionen erkenntnis- bzw. erfolgsorientierten Sprechens beruht. Im Fall des Kâpôorcoç-Beispiels (1248-1258) können wir uns aber mit dieser Analyse nicht ganz begnügen. Bei genauerem Hinsehen läßt sich nämlich bemerken, daß sich Strepsiades in einigen Punkten erstaunlich anders verhält als in den früheren Szenen: Wir haben oben festgestellt, daß Strepsiades in der Lektion mit Sokrates außerstande ist, das Wort ,,K Xb/Ew. KcxkS^y' av ow o\> Jipaypa Ttpooneoov aoi cbnooJtdpaKxov jKxpaXaßow iiexaxeipiaaio xpriaxGjg. aXX' oiaÖ' ö |ioi jtötovöevcn 8ok eis; önep xo 7iÄ,fj0o£ ei Kox> SuciSiov euia? ei> mxa Eßvov ¡IBZOIKOV, xtiv vuKia öpvXwv K a i XaXSw ev x a i ? ö8oi? aeavxip, i)8cop xe Ttivcov KäniSeiKvu; xo\>; 8é ... 356-358) seinem Gegner mit derselben prahlerischen Metaphorik. Ganz offensichtlich sind 353-355 und 356-358 agonal aufeinander bezogene Versgruppen, in denen für ein Eingehen auf eine Äußerung des Bomolochos kein Platz ist. Mit dieser Interpretation der Verse 351-352 ergibt sich eine im übrigen interessante Parallele zwischen Epirrhema und Antepirrhema: So wie 'Demosthenes' hier eine längere Selbstdarstellung des Paphlagoniers durch eine Bomolochia auflockert, so dort die korre288 289 290

Z.B. Th. 171, siehe unten Anm. 324. Siehe LSJ àvwi&ruu 1.2.

Zustimmend auch HÄRDER [1996] 37.

144

6. Die Figur des Bomolochos

spondierende prahlerische Rhesis des Wursthändlers (417-426) durch einen Kommentar von ebenfalls zwei Versen. Die Rolle des Bomolochos ist im Falle des 'Demosthenes' von Aristophanes mit großer Sorgfalt im Detail gestaltet und gegen Mißverständnisse seitens des Publikums gesichert worden. Es soll freilich nicht verschwiegen werden, daß 'Demosthenes' vielleicht das Paradebeispiel dieses Typus schlechthin ist. Längst nicht alle aristophanischen Bomolochoi werden in so transparenter Weise aus der dramatischen Illusion hinaus- und schließlich wieder hineingeführt, wie das hier an dem Sklaven gezeigt werden konnte. Ihm am nächsten kommt vielleicht Euelpides im zweiten Agon der Vögel:

Euelpides (2. Agon der Vögel) Für die Beobachtung, daß kein Bomolochos diese Rolle gleich von Beginn eines Stückes an spielt, ist die Entwicklung der Rolle des Euelpides ein besonders gutes Beispiel. Die Frage, wie das Ethos dieser Figur im Prolog von dem des Peisetairos abzugrenzen sei, ist von ausschlaggebender Bedeutung für die Sprecherverteilung. H.-G. NESSELRATH291 hat jüngst gezeigt, daß man bei allen Schwierigkeiten in dieser Frage jedenfalls nicht mechanisch verfahren und alle programmatischen oder ernsthaften Verse des Eingangs der Vögel rundweg dem Protagonisten Peisetairos geben darf. Wenn darüber hinaus seine These292 richtig ist, daß Euelpides bis V. 161 den größten Anteil an der Exposition des komischen Plans innehat - dem Peisetairos erst von diesem Punkt an eine andere Richtung gibt293 - , dann finden wir den Deuteragonisten zunächst sogar in einer Rolle, die von der des Bomolochos denkbar weit entfernt ist: in der des Hauptträgers der dramatischen Entwicklung. Auch für den Tetrameterteil der Parodos (263-309) gilt nicht wesentlich Verschiedenes: Die Sprecherzuteilung bleibt an etlichen Stellen unsicher, weil sich keine der möglichen festen Zuordnungen von Rollencharakteren an die beiden Exil-Athener als zwingend 291 292

293

NESSELRATH [ 1 9 % ] . NESSELRATH [ 1 9 9 6 ] 9 8 - 9 9 .

Dieser Sachverhalt wird unten im Kapitel über die Prologe noch schärfer gefaßt werden: Es handelt sich genaugenommen weniger um eine Richtungsänderung als um einen völlig neuen Plan.

6.2. Bomolochoi im engeren Sinne

145

aufdrängt. Fest steht, daß beide in 308-309 gleichermaßen Angst vor dem nimmehr vollständig eingetroffenen Vogelchor äußern. In dem kurzen und unvollständig durchgeführten ersten Agon (327-399) lassen sich Peisetairos' und Euelpides' Rollen dann erstmals klar voneinander scheiden: Während Euelpides weiterhin in der Haltung des Feiglings verharrt, faßt sich Peisetairos schnell wieder (Epirrhema, 338-342) und versucht seinen Kameraden zur Gegenwehr gegen den drohenden Angriff der Vögel zu ermutigen (Antepirrhema, 354363, und Antipnigos, 386-399). Damit tritt ein erster Gegensatz zwischen einer zum zielgerichteten Handeln entschlossenen Hauptfigur und einem nicht ernstzunehmenden Begleiter zu Tage. Das in dieser Konstellation angelegte komische Potential bringt Aristophanes nun zur Entfaltung, indem er den Angsthasen Euelpides zum Witze machenden Bomolochos weiterentwickelt: In den Rittern wird, wie gesehen, 'Demosthenes' durch die in ihrem Tonfall bereits bomolochischen, aber noch nicht folgenlosen Verse Equ. 282-283 vom Handelnden zum bloßen Unterstützer der Hauptperson herabgesetzt, um schließlich über diese kurze Zwischenstufe ganz aus dem dramatischen Geschehen hinausgeleitet zu werden. Auf sehr ähnliche Weise führt Aristophanes auch Euelpides zu seiner Kommentatorenrolle im zweiten Agon (451-626) hin: Zwischen den beiden Agonen macht Euelpides überhaupt nur eine einzige Bemerkung (442-443), in der er mit obszönem Hintergedanken nach dem Schluß eines von Peisetairos begonnenen Satzes fragt294, von diesem aber, noch bevor er das entscheidende Wort (itpcoKiov) aussprechen kann, vorauseilend korrigiert wird. 439 441 442 443

(IIE.) fjv nt| SioBcovtai y' oi8e 8iotör|icr|v ejiol... ... nitre Saicveiv xovcov? e|ie |irp' öpxineö' eXiceiv |XT|t' opurTeiv - EY.o'ötijio'u TOV- ÜB. OIL>8OC|KÜ.u;Th. 839 (Parabase).

HANDLET [ 1 9 9 3 ] 1 0 1 - 1 0 2 , HUBBARD [ 1 9 9 1 ] 4 1 , MACDOWELL [ 1 9 8 3 ] 1 4 7 .

304

6.2. Bomolochoi im engeren Sinne

151

den Bomolochiai der bisher betrachteten Agone trennt, dann ist es das Zurücktreten der witzigen Invektive gegenüber dem Ausdruck einer persönlichen emotionalen Beteiligung. Doch auch dieser Unterschied schwindet mit den scharfen und recht präzise auf die Äußerungen des Gesandten eingehenden Einwürfen 79, 83-84 und 8687, in denen Dikaiopolis nunmehr weder von sich spricht noch den Gesandten anredet. Auch die Verse 90 und 92-93 zeigen ihn als Bomolochos (vielleicht auch noch 94-97), doch werden seine Äußerungen wieder persönlicher, diesmal allerdings in einer anderen Richtung: Er spricht den Gesandten erstmals direkt an, ebenso das auftretende „Auge des Großkönigs". Bereits von V. 101 oder 105 an sehen wir Dikaiopolis als „Dolmetscher" voll in die politischen Verhandlungen eingebunden.305 Die Sprecherhaltung des Bomolochos, die wir hier an ungewöhnlicher Stelle feststellen konnten, hat mithin eine wichtige Funktion für die dramatische Entfaltung der Hauptfigur: Der Weg des Dikaiopolis vom zwar interessierten, aber auf private Unmutsäußerungen beschränkten Zuschauer zum aktiv Handelnden führt über eine Zwischenstufe, auf der er die passive Ernsthaftigkeit des durchschnittlichen Ekklesiasten (56-63) abgestreift hat, ohne indes schon auf der Bühne der politischen Debatte angekommen zu sein eine Art dialogtechnischen Niemandslandes, das besonders in einem Prolog, in dem es gilt, die Zuschauer möglichst bald zum Lachen zu bringen, nach der Sprechweise des Bomolochos geradezu verlangt. Denn es ist ja gerade das Kennzeichen einer Figur, die den Part des Bomolochos übernimmt, daß sie sich aus der Spielsituation, in der sie gerade noch gestanden hat, verabschiedet und aus jeglichem Dialog mit anderen Figuren heraustritt. Die Aufgabe des Dikaiopolis ist ähnlich: Er soll von der monologischen Spielsphäre, die 305

Ob der Gesandte schon mit 102 oder erst mit 105 (oder gar 108?) direkt auf Dikaiopolis eingeht, ist schwer zu entscheiden. Diese Passage zeigt den Übergang des Gesandten vom monologischen Bericht zum Dialog. Sie beginnt mit der Hinwendung an die Pnyx, als deren Exponent gerade Dikaiopolis hervorzutreten beginnt, durch die Frage ¡juvfjicaö' ö Xeyei; (101) und ist spätestens mit dem endgültigen Eintritt in den Dialog in 108 abgeschlossen. Man wird am besten annehmen, daß der Unmut des Dikaiopolis schon ein paar Verse vorher zu dem Gesandten gedrungen ist und 105 ti 8od Xeyei; schon speziell an den Protagonisten gerichtet ist, der ja zu verstehen gegeben hat, daß er die Worte des Pseudartabas verstanden hat. Des Gesandten Aufforderung an den Perser Xi-ye Sri (ri> neiiov Kai aa; tö xpvwriov (103) wiederum erklärt sich am besten als Reaktion auf die negative Antwort des Dikaiopolis auf die Frage ^uvflKaö' o

Äiyei;

152

6. Die Figur des Bomolochos

uns am Anfang eindrucksvoll vorgeführt wird, in eine dialogische überwechseln, die mit jener - das will Aristophanes zeigen - in keiner Verbindung steht. Also muß er für kurze Zeit aus den Bindungen des Spiels ganz heraustreten, doch nur, um an einer anderen als seiner Ausgangsstelle wieder einzutreten. In einer modernen Aufführung könnte man diesen Weg visuell verdeutlichen, indem man Dikaiopolis zunächst ins Publikum setzte und dann, während der Verse 67-93, empört aufstehen und schließlich in Richtung Bühne gehen ließe. Aristophanes hatte wenig mehr als die Mittel der Dialogtechnik zur Verfügung, um diesen Weg darzustellen (Dikaiopolis wird sich im Theaterraum nur begrenzt bewegt haben306), doch er konnte darauf bauen, daß sein Publikum die Sprechweise des Dikaiopolis in jenem Zwischenstück als die des Bomolochos erkennen und als Vehikel für einen Rollenwechsel interpretieren würde. Doch damit ist Dikaiopolis noch nicht am Ziel seiner Entwicklung zum Helden des Stückes angekommen. Ein weiteres Mal, während des Berichts des Theoros, muß er die Rolle des Zwischenrufers ausfüllen (135-163). Zunächst greift in V. 123 der Herold in das mittlerweile von den allzu bohrenden Nachfragen des Dikaiopolis diktierte Geschehen ein und versucht, durch einen erneuten Ordnungsruf (oiya, Kdöi^e) die Ausgangssituation bei V. 55 wiederherzustellen: Dort war Amphitheos soeben abgeführt worden, und Dikaiopolis hatte sich noch nicht durch Einwürfe bemerkbar gemacht. Natürlich kann er sich ebensowenig wie vorher damit abfinden, in die Lage des passiven Zuschauers zurückgeworfen zu sein. Offenbar geht er zwar tatsächlich wieder an seinen Platz, kehrt von dort aber auf die gleiche Weise ins Geschehen zurück wie beim ersten Mal, nämlich in drei Schritten: • Er zeigt zunächst erneut eine private Reaktion, Entrüstung wiederum (125-127), die er jedoch diesmal in Aktion umsetzt: Der vorhin aus der politischen Sphäre verbannte Amphitheos wird der persönliche Friedensgesandte des Dikaiopolis (128-133), der hier wieder als vom eigentlichen politischen Geschehen ferngehaltener Bürger handelt.

306

Daß Dikaiopolis zunächst im Publikum saß, vermutet M. HOSE (vor ihm bereits THIERCY [1987] 176) bei SLATER [1993] 398, der seinerseits annimmt, daß der Protagonist sich vor V. 109 in der Orchestra aufhielt (399-400).

6.2. Bomolochoi im engeren Sinne

153



Nach dem Auftritt des Gesandten Theoros begleitet er dessen durchgehenden Bericht mit spöttischen Kommentaren in der Art eines Bomolochos (135-163). Das Erscheinen der Odomanten veranlaßt ihn wiederum, unmittelbar an den Gesandten und seine Begleiter heranzutreten. Wie 94-97 in der ersten Passage, so markieren hier 157-158 und 161-165 den Übergang von der Sprecherhaltung des Bomolochos zum Dialog. • Dikaiopolis wird endgültig zum Handelnden im politischen Raum (163-173), als er seinen Knoblauch an die Odomanten verliert, worauf Theoros ihn warnend anspricht, besonders aber, als er die Prytanen mit dem Hinweis auf vermeintlich einsetzenden Regen zum Abbruch der aus seiner Sicht sinnlos gewordenen Volksversammlung bringt. Die vorangegangene Interpretation sollte gezeigt haben, daß die Dialogführung und die Dramaturgie im Prolog es vom gestaltungstechnischen Standpunkt her durchaus gerechtfertigt erscheinen lassen, von Dikaiopolis als einem Bomolochos zu sprechen. Ungewöhnlich ist einzig, daß die vertraute Technik der Ausleitung des komischen Kommentators aus dem Bühnengeschehen und seiner späteren Wiedereinleitung hier zu dem durchaus ernsthaften Zweck eines dauerhaften Rollenwechsels eingesetzt wird. Die Situation, in der Dikaiopolis den Politikern nicht mehr nur zuschauen will, aber noch nicht handeln kann, enthält Möglichkeiten, Komik zu schaffen, die Aristophanes virtuos nutzt. Nicht zuletzt deswegen - so darf man vermuten - wird der gesamte Vorgang in geradezu demonstrativer Weise verdoppelt, so daß man eigentlich von zwei Bomolochosszenen sprechen müßte. Das besondere Profil des Bomolochos Dikaiopolis tritt scharf hervor, wenn wir es vor dem Hintergrund einer in manchen Äußerlichkeiten vergleichbaren Szene der Wespen betrachten: Der Teil der Prozeßszene mit den Zwischenbemerkungen des Philokieon während der Anklagerede des Hundes von Kydathen (905-930) ist ein von der Rollenverteilung her ähnlicher Fall: Es gibt wiederum einen Redner (Hund von Kydathen), einen kommentierenden Zuschauer (Philokleon) und einen Ordner (Bdelykleon). Doch es sind auch deutliche Unterschiede zu erkennen: Der wichtigste ist, daß der Redner und der Kommentator auf derselben Seite stehen, beide wollen einen Schuldspruch für den angeklagten Hund Labes. Dadurch sind Phi-

154

6. Die Figur des Bomolochos

lokleons Äußerungen keine sarkastisch-ironischen Zwischenbemerkungen eines machtlosen Zuschauers gegen eine öffentlich vorgetragene, die Szenerie beherrschende Meinung - wie es bei Dikaiopolis der Fall war sondern die Komik in den Worten Philokieons ist unfreiwillig: Sie beruht auf seiner Gleichgültigkeit gegenüber einer gerechten und aufmerksamen Beobachtung der Verhandlung, sein vorwiegendes Interesse gilt vielmehr dem Essen. Wenn er ein Bomolochos ist, dann ein ausgesprochen törichtes Exemplar des Typus. Doch mit dieser Einordnung können wir uns kaum zufriedengeben; denn lächerliche Redeweise ist dem Bomolochos ja per definitionem eigen, und in dieser Hinsicht unterscheidet sich Philokieon von Dikaiopolis offenkundig nicht nur graduell. Das hat vor allem damit zu tun, daß Philokieon ein wichtiges Kriterium des Bomolochos nicht erfüllt: Er steht nicht außerhalb des dramatischen Geschehens, sondern nimmt in all seiner Torheit am Bühnengeschehen teil (siehe vor allem die Zurechtweisung durch Bdelykleon 919-920). Die Lächerlichkeit eines echten Bomolochos erweist sich in diesem Licht als grundverschieden: Er ist lächerlich nur für sich allein und nicht in Relation zu den übrigen handelnden Personen. Bei aller vordergründigen Einfalt verschafft die Absonderung vom Bühnengeschehen und die daraus resultierende Folgenlosigkeit seiner Äußerungen dem Bomolochos den Status vollkommener Narrenfreiheit. Der Rollenwechsel dispensiert ihn vorübergehend von seinen Bindungen an die Handlung, die Handelnden und die Logik des Geschehens, ja sogar von seiner eigenen früheren Rolle. Wir als Zuschauer sehen dem Bomolochos jede törichte Äußerung und jede Inkonsequenz sogar sich selbst gegenüber nach: Er kann sich schlechterdings nicht selbst kompromittieren - der Fall des Dionysos in den Fröschen ist in dieser Hinsicht besonders aufschlußreich (siehe unten). Für Philokleon kann es dagegen keine Entschuldigung geben, da seine Torheit gerade nicht die Torheit dessen ist, der sich deswegen alles erlauben kann, weil er von jeglicher Verantwortung befreit ist.

Xanthias (Prolog der Frösche) Die Frösche sind das einzige erhaltene Stück mit zwei deutlich erkennbaren Bomolochos-Rollen, der des Xanthias im ersten und der des Dionysos im zweiten Teil des Stückes. Das entspricht der eigen-

6.2. Bomolochoi im engeren Sinne

155

artigen Doppelform der Komödie mit einem Katabasis-Teil (1-673), in dem Dionysos die Rückführung des Euripides an die Oberwelt plant, und - nach der Parabase - einem Unterwelt-Teil, in dem er diesen Plan zu vergessen scheint und statt dessen einem Streit zwischen Aischylos und Euripides um den Tragikerthron in der Unterwelt präsidiert (738-1413), bevor am Ende Aischylos erwählt wird, nach Athen zurückzukehren. Auf die hiermit zusammenhängende sehr schwierige und viel traktierte Frage nach der inneren Einheit des Stückes kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden: Ist diese konzeptionelle Inkonsequenz beabsichtigt, ja gar ein meisterlicher Einfall307, oder ist sie auf die Überlagerung des einen Konzepts durch das andere zurückzuführen und diese wiederum auf eine durch den Tod des Sophokles notwendig gewordene und nicht bruchlos gelungene Überarbeitung des Stückes kurz vor der Aufführung?308 Fest steht jedenfalls, daß der zweite Teil formal einen Neueinsatz in Form eines Sklaven-„Prologs" (738-813) bietet309, der eine Art „Komödie in der Komödie" einleitet. Kein Wunder also, daß dieser so eigenständig gestaltete zweite Teil auch einen eigenen Bomolochos bekommt, nämlich Dionysos im epirrhematischen Agon. Der Bomolochos des ersten Teils, Xanthias, spielt seine Rolle hingegen an dem anderen dafür bevorzugten Ort, dem Prolog: Beim Auftritt des Herakles, der zunächst aus dem Inneren seines Hauses nach den Besuchern fragt (38-39), bevor er in 42 auf die Bühne tritt, übernimmt Xanthias recht schnell den Part eines Bomolochos: Findet in 40-41a noch ein regelrechter Wortwechsel zwischen Dionysos und seinem Diener statt, so ergänzt letzterer in 41b die vorangehende Frage seines Herrn in beleidigender Weise (AI. 0tov„anzubringen". Um so überraschender stellt dann das nur aus der Signalsilbe selbst bestehende Partizip cov im letzten Moment vor dem Erreichen der entscheidenden Penthemimeres doch noch den Anknüpfungspunkt für Aischylos her. Zu der beschriebenen komischen Mechanik der Wiederholung tragen aber nicht nur Aischylos und Euripides bei; auch die Äuße393

DOVER [1993] 338.

216

8. Wiederholungen als kompositorisches Mittel der Komödie

rungen des Dionysos sind recht stereotyp: Jeweils nach dem Einwurf des Aischylos ergreift er das Wort, entweder die Lage aus der Sicht des Euripides reflektierend oder mit einem Ratschlag an diesen. In keiner dieser Äußerungen fehlt der Stamm Xipcuö-, in vier der fünf Intermezzi steht einmal ?O|KU0OV bzw.taiKtiOouam Versende. Die aus solcher Gleichförmigkeit der Dialogführung resultierende Erwartung des Publikums, die Prologprüfung werde bis zum Endeso weitergehen, wird schließlich im sechsten Fall getäuscht: Euripides kommt gerade bis zur Penthemimeres des ersten Verses (Oiverx; not' ek YHi -/ 1238), als Aischylos bereits mit seinem Ä,r|ic68iov oata&eaev einfällt. Das stimmt nun einerseits zu der bisher geübten Praxis, insofern es so aussieht, als handele auch dieser Prolog wieder von einer mythologischen Gestalt auf Reisen - nach eic yfj auona to>8'; AI. eccv TteiÖfl y' e(ioi. - 1229 EY. eya» TtpiooiiaiT^S'; AI. eav jceiöji y' e^ioi. Dies ist hingegen ein umstrittener Fall, der in einem größeren Zusammenhang erörtert werden müßte, da die Echtheitsdiskussion die Verse 1132-1135 betrifft. Zwei wichtige Unterschiede zwischen 1134 und den drei oben aufgeführten Interpolationen sollten allerdings hervorgehoben werden: Zum einen ist der Vers auf zwei Sprecher verteilt, so daß von einer Wiederholung im Munde einer Person nur bedingt die Rede sein kann. Zum anderen ließe sich die geforderte inhaltliche Signifikanz der Wiederholung durchaus erweisen, da hierdurch die Parallelität der beiden Teile der Prologprüfungsszene herausgestellt wird. Dionysos erhält an beiden Stellen nach einem Ratschlag eine empörte Rückfrage - erst von Aischylos, dann von Euripides - und antwortet jeweils mit der gleichen Phrase.404 Von dieser Seite her ist der Vers 1134 kaum zu kritisieren. Er kann, wenn überhaupt, nur zusammen mit den ihn umgebenden Versen ausgeschieden werden. Daß zu einem so schwerwiegenden Eingriff eine Veranlassung besteht, müßte aber erst einmal schlüssig begründet werden. Zu einigen weiterführenden Aspekten der Echtheitsdiskussion vergleiche unten den Anhang C. Als einzige dramatisch bedeutsame Wiederholungen eigener Worte über eine längere Distanz hinweg bleiben danach zwei Stellen aus den Wolken übrig, dem Stück, das so reich an wörtlichen Verknüpfungen der Szenen untereinander ist wie kein zweites im aristophanischen Corpus405: • Nub. 113 = 883 ZT. xov Kpeixxov', ÖCXK; eoxi, Kai TÖV fjxxova • Nub. 118 = 1250 ZT. OÜK äv 8' AV ößoXöv ovSevi

403

404 405

DUNBAR ZU 192 diskutiert auch sämtliche Aspekte, die für den Vers sprechen könnten. Die einzig mögliche Verteidigung des Verses als Beginn einer Linie 192-557-1218 lehnt sie jedoch völlig zu Recht ab. DI BENEDETTO [1987] 14 führt dieses und weitere Argumente für eine parallele Gestaltung der beiden Passagen an. Zur Behauptung des Aristophanes in der später gedichteten Parabase, dieses Stück verlasse sich ganz auf seine Verse (544) und nicht auf vulgäre Inszenierungsmaßnahmen, siehe oben Anm. 340.

8.3. Wiederholungen fremder Worte

221

Über diese Stellen ist schon oben im Zusammenhang mit der Frage des „philosophischen Diskurses" in den Wolken ausführlich gehandelt worden.406

8.3. Wiederholungen fremder Worte Die Zahl der zur Verfügung stehenden Beispiele in dieser Kategorie ist naturgemäß sehr viel höher als die der im vorigen Abschnitt besprochenen Fälle. Eine auch nur annähernd vollständige Darstellung kann daher hier noch weniger erreicht werden als dort. Es muß genügen, die jeweilige Funktion der verschiedenen Arten von Wiederholungen mit Sprecherwechsel an ausgewählten Textstellen exemplarisch zu verdeutlichen.

8.3.1. Wiederholung ohne polemische Absicht Das Zusammentreffen von Sprecherwechsel und wörtlicher Wiederaufnahme läßt in der Regel auf eine direkte polemische Absicht des zweiten Sprechers schließen. Es gibt aber auch einige Ausnahmen: • Ach. 575 • Ach. 1073 1074

AL i Aä|iax', iipü)? tcdv Xcxpwv Kai twv Xoxwv KH. ievai a' hctktvov ol ot pairiyol trincpov wxmc, Xaßövia toix;taSxow;Kai xobc, Axxpou^

Die beiden Sprecher, Dikaiopolis und der Herold, nehmen überhaupt nicht aufeinander Bezug, sondern sprechen unabhängig voneinander eine dritte Person, Lamachos, an. Eine ironisch-polemische Tendenz läßt sich dabei nur den Worten des Dikaiopolis entnehmen. Man könnte die Wiederholung im Munde des Herolds hier vielleicht als verstärkend ansehen. • Ach. 574 • Ach. 1181

AA. z'xc,ropvöv'e^rryeipevek toviadrfliaxcx;; AT. Kai Topyöv' e£r|yeipev ¿k Tnqäajuöa;

Auch hier ist der Rückbezug über mehr als 600 Verse hinweg eine Aufforderung an das Publikum, die Ausgangssituation des Lamachos mit seinem jetzigen Zustand zu vergleichen. Wiederum ist die 406

Siehe oben S. 119-121.

222

8. Wiederholungen als kompositorisches Mittel der Komödie

Nebenfigur, welche die Worte wiederholt, nicht das eigentliche Subjekt der implizierten Polemik - der Bote hat ja V. 574 gar nicht hören können - , sondern fungiert lediglich als Reflektor, der verdeutlicht, wie sehr sich die Dinge mittlerweile gegen Lamachos gewendet haben. • Vesp. 428 429 • Vesp. 1292

XO.aXK' äipieitövavSp'- ei 8e ufi, K ¿Ttiataxai als Variante eines Themistokles-Zitats zu erkennen und den gesamten Zusammenhang der Anekdote, die offensichtlich im Athen der 420er Jahre bestens bekannt war, in das Verständnis der Stelle einzubringen. Die Geschichte ist an mehreren Stellen bezeugt,417 unter anderem in Plutarchs Kimon-Vita: eiceivov (= 0e|xioxoKXea) yap #8eiv |iev oi> Kaietav f| Siaxpißfi loiicpaxoug vgl. LVE 543). Das möchte man angesichts der offenbar wirkungsvollen Technik der Wiederholung gern annehmen, und es ist nicht leicht, sich den Triumph des Alten auf andere Weise realisiert vorzustellen. Aber so schön der „boomerang" des Strepsiades ist, Aristophanes könnte ihn auch erst in die

8.3. Wiederholungen fremder Worte

229

Ein Charakteristikum dieser Lernwitze ist oft, daß der Schüler die Lehre zunächst ablehnt oder nicht versteht, später aber keinen Widerwillen oder intellektuelle Schwierigkeiten mehr erkennen läßt, wenn er selbst davon Gebrauch macht. Ein sehr gutes Beispiel dafür ist ein weiterer über drei Stationen angelegter Lernwitz in den Wolken, der in einem „boomerang joke" endet: • Im ersten Schritt „lernt" Strepsiades von Sokrates, daß nicht mehr Zeus, sondern „der Wirbel"421 im Himmel herrsche und die Wolken bewege: Nub. 379 380 381

IT.ö8'(^yKdQBveoTiTi?av)T(^-o^öZe'6i;;-c6o'uetpep£o0ax; XQ. iitCKSTakX' aiÖepicx; 8ivo£ ZT. Aivog -cowi p.' tkzkrßtx, ö Zeug O\>K v öx; oryaööv tö (iavGäveiv; oii)K eaxiv, & Oei5mni8rv Zevig. E. dXka ti;; ZT. ATvcx; ßaoiXevei töv Ai' e^eXriXaKCü«;.

An beiden Stellen wird Komik damit erzeugt, daß Strepsiades das neue Wissen ganz anders begreift bzw. weitergibt, als Sokrates es gemeint hat: Der Wirbel, so versteht er, sei in einer Art Sukzession an Zeus' Stelle getreten. Er kann sich von seiner früheren Auffassung gar nicht vollständig lösen; denn daß Zeus bis vor kurzem noch der Herrscher des Himmels war, dessen ist Strepsiades ja ganz sicher. Der Wechsel zum Sivoq muß ihm daher einfach „entgangen" (380) sein. Das Wesen der fundamentalen naturwissenschaftlich-rationalen Götterkritik des Sokrates durchschaut er zweite Fassung eingearbeitet haben, und es gibt leider keine besonders starken zusätzlichen Gründe für STARKIES Vermutung. Zur Frage der Umarbeitung der Wolken s i e h e z . B . NEWIGER [ 1 9 5 7 ] 1 4 3 - 1 5 2 u n d DOVER [ 1 9 6 8 ] lxxx-xcviii ( d e r d i e F r a g e , o b

421

Wolken I ebenfalls mit einem Gewaltausbruch des Alten endeten, für unentscheidbar hält, siehe S. xciii). Auch hier - wie schon im Falle von 376-378 und 1279-1281 (siehe oben S. 125-126) kann von einer präzisen parodistischen Anspielung auf damals umlaufende philosophische Theorien oder gar bestimmte Philosophen keine Rede sein. PERILU [1996] SSSS hat gezeigt, daß hinsichtlich der Theorie des „Wirbels" die beiden Kandidaten Demokrit und Anaxagoras als direkte Ziele komischer Invektive ausscheiden und nur die „Schule des Anaxagoras" übrigbliebe. Damit läßt sich kein persönlicher Komödienspott treiben, so daß klar ist, daß es auf die Herkunft der Theorie überhaupt nicht ankommt.

230

8. Wiederholungen als kompositorisches Mittel der Komödie

überhaupt nicht. Seine verdrehte Anschauung gibt er „getreulich" an Pheidippides weiter. Zusätzliche Komik wird dadurch erzeugt, daß diese Verdrehung gleichzeitig auf der Ebene einer Gesamtinterpretation des Stückes durchaus als Entlarvung des Sokrates (nur als der Bühnenfigur, wohlgemerkt, nicht als des realen Philosophen!)422 gesehen werden soll: Der Narr Strepsiades redet zwar erkennbar Unsinn, aber er ist dabei in all seiner Beschränktheit der Vertreter des gesunden Menschenverstands, der - wenn auch unfreiwilligen - Rebellion gegen die Thesen des Götterverächters Sokrates. Strepsiades versteht deshalb nicht, weil er aufgrund intellektueller Defizite nicht dazu in der Lage ist, aber die Zuschauer dürfen ihn dennoch für die Berechtigung ihres eigenen Wunsches in Anspruch nehmen, selbsternannten Experten trotz unterlegener Geistesgaben zu mißtrauen. Am Ende des Stückes kehrt Pheidippides die zunächst verschmähte, inzwischen aber verinnerlichte Lehre gegen seinen Vater, der selbst schon wieder davon abgekommen ist: Nub. 1469 1470 1471

G>E. iSovi yt Aia nax pcpov. à? àpxaùx; ei. ZEÙ; yàp TVJÒTCÌV; ZT. èotiv. ®R O\>K eoi ', OÙK, ènei AivoqßaaiXe'oei.TovAi'e^EXriXaKcii^

Eine auffällige Besonderheit dieses „boomerang jokes" liegt darin begründet, daß der Lernwitz hier Teil einer Dreierkonstellation ist, in der Strepsiades von Sokrates, Pheidippides aber sowohl von diesem als auch von seinem Vater belehrt werden. Daraus ergibt sich die merkwürdige Folge, daß der Sohn seine Götterlehre zwar vordergründig von Sokrates lernt - er kommt ja bekehrt aus dessen Haus - , sie aber in der zuvor abgelehnten Version und in der Formulierung des Strepsiades vorbringt. Denn er gibt durch den „boomerang" zu erkennen, daß er die Ablösung des Zeus ebenfalls als Sukzessionsgeschichte traditioneller Machart auffaßt, nicht als Ergebnis eines philosophischen Erkenntnisprozesses. Damit wird die Komik des grundsätzlichen gedanklichen Mißverständnisses, die ihre Wurzeln eigentlich in der Unvereinbarkeit der Diskurse des Philosophen und des alten Bauern hat,423 überraschend auch in der Konstellation Strepsiades - Pheidippi422

423

Vgl. hierzu die grundsätzlichen Anmerkungen zum Verständnis der Wolken und der Figur des Sokrates oben S. 126-127 und 129-131. Siehe hierzu ausführlich oben S. 121-127.

8.3. Wiederholungen fremder Worte

231

des durchgehalten und weitergeführt, obwohl doch zu erwarten wäre, daß der Sohn imstande sein müßte, die Theologie des Sokrates korrekt wiederzugeben. Aristophanes scheut aber angesichts des Zugewinns an komischem Potential die Inkonsequenz nicht, die darin liegt, Pheidippides durch Sokrates (bzw. die Logoi) zu der Position des Strepsiades zu bekehren. Es würde nämlich einen beträchtlichen Verlust an Komik und eine ganz unerwünschte Umwertung der vorangegangenen Sokrates-Strepsiades-Szenen bedeuten, wenn Pheidippides demonstrierte, daß es mit größerer geistiger Beweglichkeit doch möglich ist, Sokrates richtig zu verstehen. Viel wichtiger ist es demgegenüber, auch sprachlich durch den „boomerang joke" zu zeigen, daß Strepsiades genau durch das eigene neugewonnene kosmologisch-theologische Weltbild zu Schaden kommt, nicht durch irgendein anderes. Selbstverständlich sind nicht alle „boomerang jokes" zugleich derart bedeutsame Interpretationshinweise, wie das für die Wolken und die Wespen dargestellt werden konnte. Gerade solche Inversionen der Sprechsituation, die nicht szenenübergreifend angelegt sind, zeigen oft einfach nur an, daß sich die Lage zuungunsten des ersten Sprechers entwickelt. Einige Beispiele: • Peisetairos fragt Iris, durch welches Tor sie in die Vogelstadt hereingekommen sei (1208-1209), und diese antwortet (1210): Av.

1210

owoi5a|iaAi'cyoyye,Kaxanoiot?nvA«5.

Darauf entspinnt sich ein Disput über die Durchflugrechte der Iris, die schließlich wissen möchte, wo die Götter denn überhaupt passieren dürften (1219). Peisetairos antwortet aus seiner starken Position heraus: Av.

1220

OIÖK

oi5a |xa Ai' eycoye- xfiSe |iev yap oi.

• Der „gerechte Mann" streitet im Plutos mit dem Sykophanten über den Nutzen von dessen Tätigkeit für den Staat: Plut. 916 917

ALaÖKaovSucaotage^EJtw'nSeg'n noXu; a p x e i v K a ö i o n i o i v , IY. Koxinfopei 8e xi;;

918

AI. 6 ßouÄojiEvo^ X Y . OVKOw ekeivch; e i n ' eycb.

232

8. Wiederholungen als kompositorisches Mittel der Komödie

Kurz darauf erhält der Gerechte Gelegenheit zu einem verbalen Schlag gegen den Sykophanten, der zu Handgreiflichkeiten überleitet. Auf Drohgebärden seiner Widersacher hält der Sykophant zwar dagegen, gibt sich aber die Blöße, dabei das ö ßouXonevos aus V. 918 zu verwenden: Plut. 928 929

£Y.icaiiLT|Vftpoo£X6eT(D npaje^'fyiüjvevOaSl ö ßouXönevoQ. KA. O Ü K O W Bceivo? ei(i' eyco.

• Eine Alte erklärt einem jungen Mann die neuen sexuellen Regeln: Eccl. 986 987 988

(TP. A) vuvi 8e np&ov eiaayeiv Tino»; 8om. NE. t(p ßouXojicvcp yt mia -töv ev netten? vö|iov. IP. A.dXX'o'uSeSeBWEiijKaTaTÖvevJiettoiivonov.

• Der Paphlagonier führt in Equ. 1090 mit der hexametrischen Wendung Kai liovSoxei fj 8eöxi na%owtairceplooi), dann wiederholt sie, nunmehr für Blepyros hörbar: Gappei, (xf) Seicrfl^ o\>xl |ia%owtca und stockt: Gerade will sie nämlich auch jcepl ooi wiederholen, da fällt ihr auf, daß sie das besser nicht sagen sollte. Blepyros will natürlich die Fortsetzung hören und fragt drängend nach: jtepi xoi»; Nun muß Praxagora sich für den angefangenen Satz ein Ende ausdenken, das Blepyros besser behagt als das ursprüngliche rcepl ooi», und daher biegt sie dieses in das für ihn angenehmere (ttepl) xoi> p/n ^•uyKaxaöapöetv um, was ihrem Überzeugungsplan gewiß förderlicher ist. Das Ergebnis dieses Umschwenkens ist zwangsläufig ein in komischer Weise gewundener Ausdruck, dessen zwei Negationen den Umweg verraten, auf dem er zustandegekommen ist.

501

Die häßlichen können nicht gemeint sein, da in einer Komödie ihre Gefügigkeit weder eigens erwähnt werden müßte noch Blepyros mit dieser Aussicht Mut zu machen wäre.

Anhang C Ran. 1132-1135

293

Anhang C: Ran. 1132-1135 1126 1127 1128 1129 1130 1131 1132 1133 1134 1135 1136 1137 1138

AL ,,'Epnñ *6óvi£,rocxpá'etoTcxewov KpátT), aonrip •yevoái noi «rómiaxói; x' aixouiiévcp. ifríD yap eí? yfjv xf|v6e mi Kaxépxojiai". AI. xovxwv exei? yéyeiv xi; EY. nXevv fiSwSeica. ALáXX'ovSéTOmaxavtáY'eax'áAX'rixpía. EY. exei 8' Etcaatov EÍKOOÍV y' aiiapría^. AL AioxúXf, Tcapaivái aoi aiamáv et 8e |ir|, Kpa;xpiolvíanPeÍDKJiitpooo(p£ÍX(ov((>aveí. AL¿y; yäp %iápTniC£V oijpávióv y' öaov. ALóp^OTtXripei^ ALáXA'óX.ÍYOV7éj«)i|iéX£i AL ncog (pfig n' ánapxeív; EY. oroöt; él, ápxñg >iye. AI. „'Ep|ifj x0óvi£, naxpö' énojtxevicov Kpáxri."

Die Athetese der vier Verse 1 1 3 2 - 1 1 3 5 hat WLLAMOWITZ (nach MEINEKE) vorgeschlagen.502 Die jüngeren Herausgeber und Kommentatoren haben an der Echtheit festgehalten; ausführlich werden die Verse von Dl BENEDEITO [1987] und TAMMARO [ 1 9 9 5 ] verteidigt. Die Tilgung hält zuletzt KASSEL [ 1 9 9 4 ] 5 0 3 für notwendig. Ihm widerspricht wiederum SOMMERSTEIN in seinem Kommentar, der kurz die fünf Hauptargumente (i-v) gegen die Echtheit und die möglichen Einwände gegen sie referiert. Folgendes möchte ich an dieser Stelle ergänzend zu bedenken geben: Die Tilgung ist wesentlich motiviert durch die Ansicht ihrer Vertreter, 1136 müsse an 1131 anschließen (i); das ist sehr wahrscheinlich nicht richtig. Denn wie schon der Scholiast sah, tadelt Aischylos mit ópa^oxi^Tipeíi; Dionysos, ebenso wie Eurípides dies in 1197 tut.504 Inder gesamten Szene 1119-1250 ist zwischen Aischylos und Eurípides der Gebrauch von direkter Anrede in der zweiten Person und indirekter Kommunikation über Dionysos in der dritten Person klar geregelt: Die Urteile über die Verse des jeweils anderen und die Diskussionen über sie stehen grundsätzlich in der dritten Person (Xiyei 1139; evrcev 1154; ípiyrí 1156 usw.; 1147 ist daher die Variante éijíiixxpTev eindeutig dem vermeintlich gleichwertigen505 e^|a.apxepaviov (1135) in der metaphorischen Bedeutung „gewaltig" ohne jeden Bezug auf den Himmel oder die Höhe seltsam; keine von Dl BENEDElTOs509 Parallelen ist in diesem Punkt so kühn; sogar „Verblendung" und „Verbrechen", die dem - hier rein literaturkritischen - Begriff ccfiaptia noch am nächsten kommen, erreichen die für derlei Verfehlungen zuständigen Götter im Himmel. Zweitens unterbricht 1135 hier die Verbindung des Verses 1136 zu den Äußerungen des Dionysos 1132-1134, auf die er sich beziehen muß.510 In SOMMERSTEINS Arrangement bezieht sich Aischylos nach der recht ungeschickt wirkenden und dialogtechnisch überhaupt nur durch das Dazwischentreten des Intermezzos 1132-1134 motivierten Erneuerung der euripideischen Kritik an seinem Prolog (1135) noch einmal mit opaq öu XT|prf