Ergebnisse der Hygiene Bakteriologie Immunitätsforschung und experimentellen Therapie: Fortsetzung des Jahresberichts Über die Ergebnisse der Immunitätsforschung [1. Aufl.] 978-3-642-90537-7;978-3-642-92394-4

Dieser Buchtitel ist Teil des Digitalisierungsprojekts Springer Book Archives mit Publikationen, die seit den Anfängen d

372 50 53MB

German Pages IV, 250 [255] Year 1934

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Ergebnisse der Hygiene Bakteriologie Immunitätsforschung und experimentellen Therapie: Fortsetzung des Jahresberichts Über die Ergebnisse der Immunitätsforschung [1. Aufl.]
 978-3-642-90537-7;978-3-642-92394-4

Table of contents :
Front Matter ....Pages i-iv
Über die Grundlagen der unspezifischen Therapie (Wolfgang Weichardt)....Pages 1-73
Über körpereigene Wirkstoffe (R. Rigler)....Pages 74-98
Darstellung und chemischer Nachweis einiger kreislaufwirksamer Stoffe (Richard Schmidt)....Pages 99-120
Filtrierbare Virusarten (R. Doerr)....Pages 121-208
Die Seuchenkurve (A. Gottstein)....Pages 209-225
Back Matter ....Pages 226-250

Citation preview

ERGEBNISSE DER HYGIENE BAKTERIOLOGIE IMMUNITÄTSFORSCHUNG UND EXPERIMENTELLEN THERAPIE FORTSETZUNG DES JAHRESBERICHTS DBER DIE ERGEBNISSE DER IMMUNITÄTSFORSCHUNG

UNTER MITWIRKUNG HERVORRAGENDER FACHLEUTE HERAUSGEGEBEN VON

PROFESSOR DR. WOLFGANG WEICHARDT WIESBADEN

SEOHZEHNTER BAND MIT 10 ABBILDUNGEN

SPRINGER-VERLAG BERLIN HEIDELBERG GMBH 1934

ALL RECHTE, INSBESONDERE DAS DER ÜBERSETZUNGIN FREMDE SPRACHEN, VORBEHALTEN COPYRIGHT 1934 BY SPRINGER-VERLAG BERLIN HEIDELBERG URSPÜNGLISH ERSCHIENEN BEI JULIUS SPRINGER IN BERLIN 1934 SOFTCOVER REPRINT OF THE HARDCOVER 1ST EDITION 1934

ISBN 978-3-642-90537-7 DOI 10.1007/978-3-642-92394-4

ISBN 978-3-642-92394-4 (eBook)

Einfiihrnng. Band XVI unserer Ergebnisse ist als Sonderband gedacht. Er enthii.lt zunachst eine zusammenfassende Darstellung der Grundlagen der unspezifischen Therapie, die fiir den Praktiker ja so besondere Bedeutung gewonnen hat. W. WEICHARDT, R. RIGLER und R. SCHMIDT behandeln diese Grundlagen, fiir die das Studium korpereigener Wirkstoffe den Anfang und das Ende bildet. Nach der umfassenden allgemeinbiologischen Darstellung W. WEICHARDTB hat R. RIGLER physiologisch - chemisches Material zusammengestellt und kritisch gesichtet. R. SCHMIDT als Chemiker lieferte eine Ubersicht iiber Darstellung und chemischen Nachweis einiger kreislaufwirksamer Stoffe. Diese Arbeit spart dem Praktiker miihsames Zusammensuchen der Literatur. Unsere Wissenschaft iiber die filtrierbaren Virusarten steckt noch in den Kinderschuhen, und die kritische Darstellung ihres gegenwartigen Standes bedurfte eines Meisters auf diesen Gebieten, R. DOERRB. Nicht minderer Kritik bedarf es ja auch bei Darstellung statistischer Probleme. A. GOTTSTEIN zeigt in seiner "Seuchenkurve" in vorbildlicher Weise, wie statistische Probleme zu handhaben sind. Der ganze Band ist viel kiirzer und daher auch wohlfeiler als die sonstigen, damit die mit praktischen Fragen so vielfach zusammenhangenden wichtigen Darstellungen moglichst weite Verbreitung finden konnen. Wiesbaden, im September 1934.

Der Herausgeber.

Inhaltsverzeichnis. I. WEICHARDT, Professor Dr. W., Uber die Grundlagen der unspezifischen Therapie. (Mit 8 Abbildungen). . . . . . . . ,

Seite

1

II. RIGLER, Dr. R, Uber korpereigeneWirkstoffe. (Mit 1 Abbildung)

74

III. SCmnDT, Dr. R, Darstellung und chemischer Nachweis einiger kreislaufwirksamer Stoffe . . . . . . .

99

IV. DOERR, Professor Dr. R, Filtrierbare Virusarten V. GOTTSTEIN, Geheimrat Professor Dr. A., Die Seuchenkurve. (Mit 1 Abbildung) .

121 209

Namenverzeichnis

226

Sachverzeichnis

233

Inhalt der Bande I-XVI

239

I. TIber die Grnndlagen der nnspezifischen Therapie. Von

WOLFGANG WEICHARDT -Wiesbaden. Mit 8 Abbildungen.

Inhalt.

Selte EinIeitung . . . . . . . . . . . . . 2 Vorwort. . . . . . . . . . . . . . . . 3 Das Charakteristisohe der unspezifisohen Therapie. 4 Einheitliohe Auffassung der Wirkung unspezifisoh-therapeutisoher Beeinflussungen. Vereinheitliohendes Prinzip mit Erklarungswert (Auftreten korpereigener Wirkstoffe) 5 Beweise, daB die vereinheitliohende Theorie den Tatsaohen entsprioht . . . . . . 6 I. Bei den versohiedensten unspezifisohen Beeinflussungen entstehen aktivierende und lahmende Spaltprodukte im Korper. . . . . 6 Beweise fUr das Auftreten von Spaltprodukten . 7 1. ErhOhte N-Aussoheidung im Barn . . . . . 7 2. Stoffweohsel der Leber. . . . . . . . . . . 7 3. Am hoohgradig ermudeten Tier. . . . . . . 8 4. Physikalisohe Einfliisse (Klima- und Strahlentherapie) 9 5. Zusammenfassende Betraohtung . . . . . . 9 II. Beziehung zu Muskeltatigkeit, Training usw. . . . . . . . 10 III. 1st eine leistungssteigernde Wirkung korpereigener Spaltprodukte in optimaler Verdiinnung naohweisbar? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 A. Leistungssteigernde Wirkung auf das isolierte hypodyname Organ (Herz). (Die sogenannten "Herzhormone", die gena.u zu bestimmende Zustandsanderungen des zu beeinflussenden Organes ist fUr MeBzweoke unerIaBlioh; Theorie der Erganzungswirkungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 B. Leistungssteigerung am Gesamtorganismus . . . . . . . . . . . . . . . 14 1. Gastroonemiuszuokungskurven. (Leistungssteigerung duroh EiweiB-Muskelextrakt, nach vorheriger Beanspruchung, durch konoide Metane) . . . . 14 2. Erhohung eines bestehendenAntikorperspiegels duroh unspezifisohe Einflusse. (Agglutinine, Antitoxine, Prij,~Pttine, Immunkorper, VirnIicidie, Pha.go17 oytose, Komplemente, zeitliche Verhii.ltnisse der Beeinflussung). . . 3. Verfolgung der Stoffwechselvorgange. . . . . . . . . . . . . . . 21 4. Versohiedene Reizwirkungen. EinfluB auf die blutbildenden Organe 25 5. Steigerung von Reparationsvorgangen. Herdreaktionen . . . . . . 25 6. Ein Kriterium anein ist fur den Gesamteffekt nioht maBgebend . . . . 27 Beeinflussung von tTherempfindlichkeitsersoheinungen duroh spezifisohe und unspezifisohe Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Beeinflussung von Wirkungen bestimmter Pharmaoa 28 A. Pausenversuohe . . . . . . . . . . . . . . 28 B. Versuche, Substanzen versohiedenster Wirkung auszusohalten. 31 Einige Formen unspezifisoh-therapeutischer Beeinflussung 33 I. Behandlung mit EiweiBen 33 II. Metalltherapie. . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 III. Infektionstherapie . . . . . . . . . . . . . . . . 36 A. Aligemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 B. Malariabehandlung der progressiven Paralyse und andere sog. Fiebertherapien aIs unspezifisoh-therapeutisohe MaBnahmen. Herdreaktionen . . . 37 Ergebnisse der Hygiene. XVI.

1

2

WOLFGANG WEICHARDT:

IV. Behandlung mit Histamin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die Anderungen der Lebensbedingungen ala unspezifischer Reiz . . . . . . . Beeinflussung vegetativer Regulationen durch unspezifisch-therapeutische Ma13nahmen Die Lehre von der Entstehung spezifisch wirkender Stoffe nach Nervenreizung Verhalten des Fiebers zur Antikorperbildung und anderen Schutzeinrichtungen des Organismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Physikalische Veranderungen durch unspezifisch-therapeutische Eingriffe. . . . Nicht nur auf Korperorgane, sondern auch auf Infektionserreger konnen unspezifische Reize leistungssteigernd wirken. Sog. Antivirus von BESREDKA Gesichtspunkte iiber das Wachstum bosartiger Geschwiilste . . . . . . Resistenz im Gegensatze zu Immunitat . . . . . . . . . . . . . . . Nomenklatur. Der Ausdruck "Nekrohormone" unnotig und irrefiihrend Tabelle der hauptsachlich im Handel befindlichen Praparate fiir unspezifisch-therapeutische Infektionsbehandlung. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39 40 40 42 44 48 50 57 59 60 62 62

Einleitung. Zwei Gebiete haben in den letzten Jahrzehnten die besondere Aufmerksamkeit immunbiologisch arbeitender Kreise auf sich gezogen: 1. das Phanomen der Uberempfindlichkeit, 2. das unspezifisch-therapeutischer Beeinflussungen. Wie aus der Literatur ersichtlich ist, habe ich schon vom Jahre 1912 an die Anschauung vertreten, daB das Studium der bei beiden V organgen als intermediare Spaltprodukte entstehenden Wirkstoffe uns zur weiteren Erkenntnis fiihrt. Diese Theorie, die ich auf Grund experimenteller Studien zuerst mit wenig Zustimmung von anderer Seite auch zur Erklarung unspezifisch-therapeutischer Beeinflussungen aufstellte, hat sich mir im Laufe der Jahre immer von neuem als fruchtbar und wegleitend erwiesen und regte zu weiteren Studien an. Es handelt sich um eine Theorie mit Erklarungswert; denn die Tatsache, daB durch die verschiedensten unspezifisch-therapeutischen Einfhisse auf den Organismus ganz ahnliche Wirkungen hervorgerufen werden kannen, wird unserem Verstandnisse dadurch naher gebracht. War fruher angenommen worden, daB das Fieber!, die Leukocytose, die Antikarperbildung oder andere Erscheinungen, die dem jeweiligen Untersucher am nachsten lagen, die Ursache der Heilwirkung seien, so konnte jetzt gefolgert werden, daB durch die verschiedensten chemischen, aber auch physikalischen Einflusse auf den Karper Wirkstoffe entstehen, die die Ursache der bei richtiger Dosierung meist als "Leistungssteigerung" zu beobachtenden Erscheinungen in den allerverschiedensten Organen sind ("Protoplasmaaktivierung"). 1m Laufe der Jahre hat die Diskussion dieser allgemeinen Annahme zu ihrer Begriindung und zu Einzelstudien AnlaE gegeben, bei denen die Natur der parenteral entstehenden Wirkstoffe immer wieder in den V ordergrund des Interesses trat. 1m zweiten Beitrag sind die parenteral entstehenden Wirkstoffe, die bisher einer chemischen Definierung zuganglich sind, naher beschrieben. 1 Diese Annahmen tauchen in neueren Arbeiten meist klinischer Autoren leider immer wieder auf und werden zu Grundlagen "neuer" Systeme und Benennungen gemacht, als wenn die friiheren Arbeiten, die die Unmoglichkeit einer derartigen einseitigen Auffassung dartun, iiberhaupt nicht vorhanden waren.

3

Uber die Grundlagen der unspezifischen Therapie.

R. RIGLER hat die wesentlichsten physiologischen Wirkungen, soweit sie bisher bekannt sind, R. SCHMIDT die chemischen Daten aus der Literatur zusammengestellt. Der Notgemeinschaft der deqtschen Wissenschaft, die in den letzten Jahren diese Arbeiten dauernd unterstiitzt hat, sei auch an dieser Stelle mein Dank ausgesprochen.

Vorwort. Uber unspezifische Therapie oder Umstimmungsbehandlung ist im letzten Jahrzehnt von theoretischer und praktischer Seite ein fast uniibersehbares Schrifttum entstanden. Die Namengebung ist keine einheitliche. Manche Autoren hielten es fUr angebracht, zunachst besondere Namen fiir diese Therapie einzufiihren. Ala Fortschritt kann dieses Bestreben, immer neue Namen zu erfinden, nicht aufgefaBt werden. Er ist auch auf diesem Gebiete lediglich durch miihsames experimentelles Studium der Grundlagen zu erreichen. Nur so werden wir in der Lage sein, die Bedingungen eines sachgemii.I3en therapeutischen Handelns mehr und mehr kennenzulernen, so daB das Unsichere, das dieser Therapie noch anhaftet, mit der Zeit vollkommen verschwindet. Als charakteristischste Bezeichnung dieser Behandlungsart ist die der unspezijisohen Therapie 1 allen anderen Bezeichnungen bei weitem vorzuziehen. Wir werden spater die Berechtigung dieser Namengebung erkennen. Sie steht im Gegensatze zur spezijisohen Therapie. Das Studium der unspezifischen Therapie ist nach zwei Richtungen hin durchgefiihrt worden: 1. nach der experimentell-biologischen und 2. nach der rein chemischen Seite. Hier Iiegen noch weite Entwicklungsmoglichkeiten. Es erschien vorteilhaft den neuesten Stand dieser beiden Forschungsrichtungen wieder einmal moglichst iibersichtlich darzustellen. Dabei war es unmogIich, aile Originalarbeiten iiber dieses interessante Gebiet ausfiihrIich zu beriicksichtigen. Ein vollstandiges Literatur- und Sachregister ermoglicht es demjenigen, der hier weiter arbeiten will, sich das Schrifttum ohne Schwierigkeiten zuganglich zu machen. Vielfach ist mit Recht betont worden, daB die unspezifische Therapie rein empirisch schon langst betrieben worden ist (A. BIER, v. CZERNY, ERB u. a.). Ja, schon die alten Arzte brachten es auf diesem Gebiete zu bemerkenswerten Erfolgen, indem sie Aderlasse, Transfusionen, das Haarseil, physikalische MaBnahmen usw. anwendeten. Man kann auch nachtraglich manchem der recht vagen Ausspriiche aus friiherer Zeit eine Deutung geben, die mit der neuerdings gewonnenen experimentellen Erkenntnis iibereinstimmt. Immerhin, der reinen Empirie waren auch hier bald Grenzen gezogen. Die Zeit des oft planlosen Bin- und Herprobierens ist auch auf diesem Gebiete jetzt endgiiltig voriiber. Sie fiihrte teils zu unberechtigter Uberschatzung, teils auch zu Unterschatzung an sich guter 1 Syn.: Umstimmungsbehandlung, Vaccinebehandlung usw.

Proteintherapie,

Reiztherapie,

nichtspezifiSclie

1*

4

WOLFGANG WEICHARDT:

MaBnahmen, die dann oft wieder ganz in MiBkredit und Vergessenheit gerieten, me z. B. die Transfusion. Nachdem wir durch die experimentellen Studien des letzten Jahrzehntes besser iiber die Grundlagen der unspezifischen Beeinflussungen unterrichtet worden sind, sodaB eine objektive Kritik moglich ist, ist das ganze Gebiet erst dauernd in unseren Besitz iibergegangen. Es zeigt sich also auch hier wieder, daB praktische Handhabung allein, ohne die richtigen theoretischen Grundlagen und Vorstellungen, unmoglich einen gesicherten Aufstieg bedingen kann.

Das Charakteristische der unspezifischen Therapie. Unspezijische Therapie einerseits und spezijische andererseits werden am besteh durch Gegeniiberstellung charakterisiertl. Was die spezijische Therapie betrifft, so waren es die Arbeiten der groBen Immunitatsforscher, eines R. KOCH, E. v. BEHRING, P. EHRLICH, R. PFEIFFER u. a., durch die gezeigt wurde, daB der Korper auf Einverleibung sog. Antigene, d. h. antikorperbildender Stoffe, Antikorper bildet, die in der verschiedensten Weise mit diesen Antigenen reagieren, und zwar oft noch in Verdiinnungen, die uns WIller wieder in Erstaunen setzen. Als klarstes und pragnantestes Beispiel spezifischer Beeinflussung ist seit den BEHRING-EHRLICHSchen Arbeiten die Diphtherietoxin-Antitoxinbeeinflussung bekannt. Wir wissen, daB das Antitoxin nur einen ganz geringen Teil der eingespritzten Serummenge ausmacht. In den Korpersaften findet eine weitere ungeheure Verdiinnung statt. Und doch geniigt das Antitoxin selbst in dieser Verdiinnung, um betrachtliche Mengen des Diphtherietoxins abzufangen und zu entgiften, vorausgesetzt, daB es zeitig genug einverleibt wird. Es wird also nur an das Diphtherietoxin spezifisch gebunden, sonst hat es keine ausgesprochene Affinitat zu anderen Bestandteilen des Korpers. Bekanntlich fiihrten EHRLICH die Gesetze der Spezifitat dazu, die Wissenschaft der Chemotherapie zu begriinden und auszubauen und Chemotherapeutica zu suchen, die in spezifischer Weise nur auf ganz bestimmte Erreger oder deren Produkte wirken, die Zellen des Korpers aber moglichst unbeeinfluBt lassen sollen. Bei der unspezijischen Therapie handelt es sich im Gegensatz dazu um eine Beeinjlussung der Zelle, die zu einer Umstimmung ·fiihren solI. Diese kann in den meisten Fallen, vor allem innerhalb der Grenzen physiologischen Geschehens, als Leistungssteigerung charakterisiert werden. N ur wenn verhaltnismaBig groBe Dosenoder entsprechend eingestellte Erfolgsorgane vorhanden sind, erfolgt Lahmung. In der letzten Zeit sind gerade die lahmenden Wirkungen verhaltnismaBig oft mit chemisch definierten Spaltprodukten studiert worden. Notwendig ist es allerdings zu betonen, daB die dabei verwendeten Dosen meist bei physiologischen Vorgangen kaum jemals vorkommen werden, wohl aber bei pathologischem Geschehen. 1 In der Praxis werden allerdings wie wir sehen werden Beeinflussung am therapeutischen Erfolge beteiligt sein.

oft beide Arten der

tiber die Grundlagen der unspezifischen Therapie.

5

Einheitliche Auffassung der Wirkung unspezifisch-therapeutischer BeeinOussungen. Vereinheitlichendes Prinzip mit ErkHirungswert. Vor meinen Untersuchungen uber die Ursachen unspezifisch-therapeutischer Beeinflussungen war die Tatsache bekannt, daB durch die verschiedensten, schon von den alten Arzten angewandten Verfahren (Aderlasse, Haarseil, Transfusionen usw.) im Grunde genommen gleiche therapeutische Effekte zu erzielen sind und es lag mir daran, diese Tatsache einer einheitlichen Erklarung zuganglich zu machen. Die friiheren Erklarungen der Heilwirkung konnten nicht befriedigen. Durch sie wurde stets eines der vielen Symptome, das dem jeweiligen Untersucher am nachsten lag, wie Fieber, Leukocytose, Antikorperbildung, Entzundung u. a., in den V ordergrund gestellt und als Ursache des Erfolges angesehen. So kam es, daB ein Gesamtbild nicht gewonnen werden konnte 1 . Auf Grund meiner Untersuchungen stellte ich den Begriff der Aktivierung der Zellfunktion durch sekundar im K6rper entstehende W irkstoffe (Protoplasmaaktivierung) in den Vordergrund der Betrachtung und diese Auffassung fand, wie aus dem Schrifttum ersichtlieh ist, weitgehendsten Widerhall. So setzte von diesem Zeitpunkte an eine Neubelebung des ganzen Gebietes und ein auBerordentliehes Anwachsen der Literatur ein. Diese Auffassung, vor allen Dingen der Begriff der Protoplasmaaktivierung, ist allerdings aueh bekampft worden. Meines Erachtens wurde bei diesen Angriffen die experimentelle Begrundung der Anschauungen nicht genugend berucksichtigt. leh habe zuerst an vielen Beispielen naehgewiesen: 1. DaB die Mehrzahl der im Korper entstehenden Spaltprodukte in optimaler Verdunnung auf die verschiedensten isolierten Organe leistungssteigernd wirkt. Auch am Gesamtorganismus war eine gleiche Wirkung festzustellen. 2. DaB diese Leistungssteigerung nieht spezifisch ist; sie konnte sowohl mit hohermolekularen als aueh mit weiter abgebauten, chemiseh definierbaren Reinprodukten - optimale Dosierung vorausgesetzt - hervorgebraeht werden. 3. lch zeigte an gut uberbliekbaren Beispielen, daB die zur Leistungssteigerung fiihrende optimale Dosierung der verwendeten Wirkstoffe durchaus vom Zustande des verwendeten Objektes abhangt. Mit anderen Worten: Eine Zustandsanderung des Erfolgsorganes ist fUr die Wirkung der verwendeten Spaltprodukte maBgebend. Das klarste Beispiel hierfiir, an dem ich dieses Verhalten zuerst demonstrierte, war die Wirkung auf dasisolierte Herz: N ormale isolierte Herzen wurden von derartigen Spaltprodukten in hohen Verdunnungen durchaus nieht beeinfluBt. Ganz anders ermudete Herzen. Hier vermochten schon ganz auBerordentliche Verdunnungen die alte Hubhohe und Schlagfolge wieder herzustellen. Dabei konnte auch hier von einer Spezifitat gar keine Rede sein; denn die allerverschiedensten Spaltprodukte, chemisch definierbare und auch hohermolekulare Komplexe, zeigten in starken Verdunnungen die gleiehe Wirkung. 1 Neuerdings besteht vielfach die Neigung, in der Beeinflussung eines iibergeordneten Systems, z. B. des sympathischen Nervensystems, eine vereinheitlichende Ursache zu finden. Allerdings muB dann eine dem wirklichen Geschehen vielfach nicht entsprechende Schematisierung mit in Kauf genommen werden.

6

WOLFGANG WEICHARDT:

Ebenso waren am Gesamtorganismus die gleichen GesetzmaBigkeiten experimentell zu verfolgen 1. Praktisch besonders wesentlich und auch quantitativ gut ausfiihrbar ist am Gesamtorganismus z. B. die Messung der Antik6rperbildung. Es zeigte sich, daB am normalen, nicht beeinfluBten Organismus nach Injektion der verschiedensten Spaltprodukte das Auftreten spezifischer Antikorper nicht nachzuweisen war. Ganz anders, wenn durch Vorbehandlung mit einem Antigen ein spezifischer Alltikorperspiegel bereits vorhanden war. Wurden einem immunisierten Individuum Spaltprodukte in optimaler Konzentration einverleibt, so trat eine quantitativ meBbare, betrachtliche Steigerung des jeweils vorhandenen speziJischen Antikorperspiegels ein. Dabei wirkten die verschiedenen Spaltprodukte wieder durchaus einheitlich im Sinne der Steigerung des jeweils bereits vorhandenen Antikorperspiegels. Aus all diesen Versuchen schalte sich mir ein vereinheitlichendes Prinzip mit Erklarungswert heraus, durch das die friiher nicht erklarbare Tatsache der gleichsinnigen Wirkung verschiedener MaBnahmen einer Erklarung zuganglich wurde. Ich nahm an, daB durch die verschiedensten Eingriffe der Stoffwechsel derartig beeinfluBt werden kann, daB sekundar im Korper aktivierende Spaltprodukte (Wirkstoffe) entstehen, die fUr die einheitliche, meist leistungssteigernde Wirkung verantwortlich zu machen sind. Im Grunde genommen ist diese Beeinflussung prinzipiell eine omnicellulare. Der Begriff der Protoplasmaaktivierung war also nicht ein bloBes Schlagwort, sondern auf ganz eindeutigen Versuchsergebnissen aufgebaut. Bei richtiger Versuchsanordnung ist in jedem Faile eine omnicellulare Wirkung festzustellen. Trotzdem kann daraus durchaus nicht gefolgert werden, daB bei unspezifischen MaBnahmen am Gesamtorganismus aIle Zellen und Zellsysteme im gleichen Sinne beeinfluBt werden miissen. Schon der vorher erorterte Begriff des Zustandes und der Zustandsanderung der Zelle, der fur die Wirkung von ausschlaggebender Bedeutung ist, schlieBt ja eine solche Annahme aus. Es ist durchaus moglich, daB eine bestimmte Dosis eines Spaltproduktes auf das eine Organ im Korper anregend, auf das andere lahmend wirkt.

Beweise, daB die vereinheitlichende TheOlie den Tatsachen entspricht. I. Bei den verschiedensten unspezifischen Beeinflussungen entstehen

aktivierende und Iahmende Spaltprodukte im Korper. Allerdings war es notig auf experimentellem Wege die Richtigkeit dieser Anschauungen zu beweisen. Der Beweis muB sich auf zwei Punkte erstrecken: 1. war zu zeigen, daB bei den verschiedenen unspezifisch-therapeutischen Beeinflussungen aktivierende Spaltprodukte im Korper entstehen; 2. muBte gezeigt werden, daB die im Gewebe entstehenden Spaltprodukte in optimaler Verdiinnung auf die verschiedensten isolierten Organe leistungssteigernd wirken und daB eine derartige Wirkung auch am Gesamtorganismus festzustellen war. 1 Siehe die fiir diesen Zweck besonders ausgearbeitete Gastrocnemiustechnik am ganzen Tiere S.14.

TIber die Grundlagen der unspezifischen Therapie.

7

Beweise ftir das Auftreten von Spaltprodukten. Was die Beweise fiir das Entstehen korpereigener Spaltprodukte, besonders nach Proteininjektionen, anbetrifft, so liegt jetzt eine groBe Literatur vor. Sie sei nach folgenden Gesichtspunkten geordnet:

1. ErMhte N-Ausscheidung im Ham. Stellt man Tiere in das N-Stoffwechselgleichgewicht ein und injiziert ihnen EiweiB, so ist schon seit den Untersuchungen von L. KREHL und M. MATTHES bekannt, daB die N-Ausscheidung im Harn weit die eingefiihrte N-Menge tibertrifft. Diese N -Mengen mtissen also vom korpereigenen EiweiB stammen. Derartige V ersuch~ sind spater von ander.en Autoren bestatigt und erweitert worden (U. FRrnDEMANN und S. ISAAJ{, A. SCHITTENHELM, W. WEICHA.RDT). Es besteht a,lso kein Zweifel, daB wir z. B. nach unspezifisch-therapeutischen Injektionen mit EiweiBpraparaten mit einem Zerfall korpereigenen EiweiBes zu rechnen haben. Neu waren die von W. WEICHA.RDT und seinen Mitarbeitern an verschiedenen Testobjekten und unter den verschiedensten Versuchsbedingungen gefiihrten Beweise, daB diese Spaltprodukte in optimalen Dosen, falls geeignete Organe zur Verftigung stehen, aktivierende, d. i. leistungssteigemde W irkung haben (Proto. plasmaaktivierung) . Eine Fortsetzung der Arbeiten tiber erhohte N-Ausscheidung im Urin bildeten die Untersuchungen von J. WATABE. Dieser spritzte Hunde, die vorher im Stickstoffgleichgewicht eingestellt sind, mit Pferdeserum und sah ebenfalls, daB die N -Ausscheidung nach diesen Einspritzungen tiber die durch das Serum bedingte Einfuhr hinaus vermehrt wurde. Eine Reihe von Autoren fand ein Ansteigen des Aminositurespiegels nach Proteininjektionen. Genannt seien hier G. WOLPE, der geringe Mengen von Caseosan injizierte, ferner J. DONATH und R. HEILIG, die nach Proteininjektionen einen Anstieg des Amino-N im Plasma bis 61 % fanden. -ober diese Arbeiten und die anderer Autoren, soweit sie im Zusammenhange mit Aktivierungen stehen, sei spater berichtet.

2. Stoffwechsel der Leber. Vor aHem ist der Leberstoffwechsel nach Proteininjektionen untersucht worden. Die diesbeztiglichen Arbeiten von E. P. PICK stammen aus dem Jahre 1914. Dieser Autor injizierte Meerschweinchen subcutan 0,5 ccm Pferdeserum. Die Leber wies zwar unveranderten Gesamtstickstoffgehalt auf, aber die N -haltigen Substanzen, die nicht mehr zu den genuinen EiweiBkorpern gerechnet werden konnen, waren auBerordentlich angereichert. Die Menge dieser Produkte stieg noch in den beiden W ochen, die der Injektion folgten und klang dann abo Aus dem injizierten EiweiB konnten diese Zerfallsprodukte nicht stammen, da ihre Menge die eingefiihrte weit tibertraf. Man muB deshalb dem Schlusse von E. P. PICK zustimmen, daB es sich hier um ZerJallsprodukte des arteigenen EiweifJes handelt. Ahnliche Untersuchungen fiihrten R. BIELING und seine Mitarbeiter aus. Nach ihren Untersuchungen vermehrt sich nach der 12. Stunde bis zum 2. Tage der inkoagulable Stickstoff in der Leber, wenn man korperfremdes EiweiB injiziert, und zwar geschieht diese Vermehrung auf Kosten des

8

WOLFGANG WEICHARDT:

koaguIablen ZelleiweiBes. H. FREUND, ferner H. LOHR hatten ahnliche Resultate. Wir finden also das unter normalen Bedingungen konstante Verhaltnis vom GesamteiweiB der Leber zum nicht koagulablen EiweiB nach parenteraler EiweiBzufuhr geandert. Wir haben daher, wie die Versuche der genannten Autoren zeigen, einen Indicator fiir die Beeinflussung bestimmter Zellfunktionen durch Proteine.

3. Am hochgradig ermUdeten Tier. Nach der Methode von E. P. PICK untersuchten W. WEICHARDT und G. SCHOLZ die Leber und die Muskeln hochgradig ermiideter Tiere auf nicht hitzekoagulable EiweiBe. Nach ungefahr 2 Stunden-dauernden wirksamen Reizen kommen kleine Tiere in einen soporosen- Zustand und die Warmeregulation fangt an zu versagen. Nach kurzem Anstieg der Korperwarme sinkt dieselbe bei Zimmertemperatur auf 34 0 und darunter. Die Atmung ist stark verlangsamt. Untersuchten die Autoren derartig hochgradig ermiidete Tiere, so zeigte sich, daB der Stickstoffgehalt der nicht hitzekoagulablen Korper in den genannten Organen erhoht war. Nach W. WEICHARDT und G. SCHOLZ handelt es sich um eine Reizwirkung durch im Korper entstandene EiweiBspaltprodukte, wie sie fiir injizierte Proteine ·charakteristisch ist. Allerdings ist nach W. WEICHARDT und G. SCHOLZ insofern ein Unterschied vorhanden, als nach Injektion artfremden EiweiBes in den beiden Wochen, die der Injektion folgen, eine charakteristische RegelmaBigkeit des Anstieges derartiger Spaltprodukte zu beobachten ist. Bei hochgradiger Ermiidung, bei der es sich um Spaltprodukte korpereigener EiweiBe handelt, ist die Erscheinung viel fliichtiger. Es war lediglich in dem soporosen Zustande eine Vermehrung des Stickstoffes, der auf inkoagulable EiweiBe zuriickzufiihren ist, festzustellen. Man kann also sagen, daB bei hochgradiger Ermiidung das bereits angedeutet ist, was bei Einspritzung artfremden EiweiBes in viel ausgesprochenerer Weise im Stadium der Sensibilisierung vorhanden zu sein pflegt. Auf jeden Fall weist die Bestimmung derartiger Teilfunktionen des intermediaren Stoffwechsels auf eine betrachtliche ErhOhung derselben nach derartigen Eingriffen hin. Die unter physiologischen Verhaltnissen sich abspielenden Zellfunktionen sind nach diesen Untersuchungen nicht geandert. Sie sind aber - worauf mehrfach hingewiesen wurde - nach Injektion artfremden EiweiBes hochgradig gesteigert. Eine derartige Injektion in die Blutbahn entspricht ja dem natiirlichen Geschehen nicht. Hier sei auf die Untersuchungen von SCHREIBER und VILLINGER hingewiesen. Nach diesen Autoren ist die Blutzuckerkurve ein besonders fein abgestimmtes Reagens auf korperliche Belastung. In der Regel, besonders bei Ungeiibten und Schwachlingen, tritt als sofortige primare Wirkung leichter Belastung eine Senkung des Blutzuckergehaltes auf. Sie ist von einer ErhOhung, wiederholter Senkung und Einstellung auf ein MittelmaB gefolgt. Starkere Erschopfung kann zu einer starken sekundaren Senkung der Kurve fiihren. Nervos labile Naturen zeigen hohere Ausschlage und unruhigeren KurvenverIauf, krii.ftigere Konstitutionen dagegen geringere Ausschlage und einen der Geraden sich nahernden VerIauf. Sehr kraftige, gut trainierte Sportsleute konnen einen gegenteiligen, mit einer primii.ren ZuckererhOhung beginnenden, ziemlich gleichmii.Big sich ausgleichenden KurvenverIauf aufweisen. Eine kleine Belastung verursachte also inbezug auf die Blutzuckerkurve primar dem Parasympathicus eigentiimliche Reizwirkungen, selten bei krii.ftigen Individuen einen dem Sympathious eigentiimlichen primaren Reizeffekt.

"Ober die Grundlagen der unspezifischen Therapie.

9

4. Physikalische Einfliisse. Auch nach physikalischen Einfliissen ist eine quantitative Vermehrung von Spaltprodukten vielfach nachgewiesen worden. Es sei hier auf die Arbeiten von W. LAUBENDER und W. GOBEL am Schweizerischen Institut fiir Hochgebirgsphysiologie unter A. LOEWY hingewiesen. Hier wurde gezeigt, daB bestimmte Grade von Luftverdiinnung einerseits und Proteinwirkung andererseits manches Gemeinsame haben: chemische Veranderungen in der Leber, Ansteigen der AmiIiosauren im Blute, iiberhaupt Steigerung des EiweiBzerfalls, Auftreten einer Azidose, Auftreten von jugendlichen Formen von Blutzellen im GefaBsystem. W. GOBEL zeigte, daB Veranderungen in den Serumkolloiden nach ultravioletter Bestrahlung ebenso wie nach Proteininjektionen auftreten. Die aktivierenden Wirkungen dieser Spaltprodukte machen uns manche Erfolge der Klima- und Strahlentherapie erklarlich. Es ware zu wiinschen, daB die in der balneologischen Literatur vielfach nach dieser Richtung hin vertretenen theoretischen Annahmen mehr noch als bisher in jedem Faile durch exakte Beweise gestiitzt wiirden, damit es nicht nur bei den Annahmen bleibt. 5. Zusammenfassende Betrachtung. Handelt es sich urn eine Abwehrreaktion, z. B. eine Abwehrreaktion gegen Infektionskrankheiten, so wird die Wirkung dieser korpereigenen Wirkstoffe meist einer Leistungssi;eigerung, einer Aktivierung mannigfacher Zellfunktionen, entsprechen und die Aufgabe des Therapeuten ist es, die der jeweiligen ReaktionsgroBe angepaBte aktivierende Dosis zu finden. ErfahrungsgemaB ist ja eine jede Betrachtung derartig umfassender an sich komplizierter Vorgange von einem einheitlichen Standpunkte dem Praktiker sehr willkommen. Sie gibt, wenn sie einfach zu formulieren ist, seinem Handeln bestimmte Richtlinien, die er in der Fiille von Einzelbefunden schwer finden kann. Allerdings kann eine derartige vereinheitlichende Betrachtung ohne eine gewisse Schematisierung, die dem wirklichen Geschehen in allen EinzelheiteD nicht vollkommen entspricht, unmoglich durchgefiihrt werden. Betrachtet man also die Wirkung unspezifisch-therapeutischer MaBnahmen vom Standpunkte der Entstehung korpereigener Wirkstoffe und stellt gar deren leistungssteigernde Wirkung in optimaler Dosierung in den V ordergrund, so wird mit Recht sofort darauf hingewiesen, daB einer groBen Anzahl korpereigener Spaltprodukte eine im wesentlichen lahmende Wirkung auf normale Organe zugesprochen werden muB. Stellt man den jeweiligen Zustand des Erfolgsorganes in den Mittelpunkt der Betrachtung und sucht ihn experimentell moglichst quantitativ festzulegen, so kann leicht festgestellt werden, daB eine ganze Reihe von korpereigenen Spaltprodukten, denen am normalen Organe depressorischer Charakter zugesprochen werden muB, durchaus entgegengesetzt wirkt, falls der Zustand des Erfolgsorganes verandert ist. Man kommt rasch zu der Einsicht, daB es verfehlt ist, korpereigene Wirkstoffe lediglich unter Verwendung nicht veranderter Organe auszuwerten. Schon am isolierten Herzen kann, wie bereits erwahnt, gezeigt werden, daB eine ganze Reihe korpereigener Spaltprodukte, wie sie in Organextrakten enthalten sind, in hohen Verdiinnungen auf ein vollstandig normaies Herz durchaus nicht wirkt, wahrend sehr geringe Dosen einen aktivierenden EinfIuB ausiiben, sobald ein hypodynames Herz vorIiegt.

10

WOLFGANG WEIOHARDT:

An dieser Stelle muB noch hervorgehoben werden, daB im Organismus bei diesen Vorgangen selten ein einheitlicher, chemisch definierter Korper wirken wird, sondern ein Gemisch verschiedenster Spaltprodukte, so daB die praktische Notwendigkeit besteht, ein solches Gemisch - wie es ja auch bei den Praparaten der unspezifischen Therapie vorliegt - zunachst als einheitlich zu betrachten. Die vereinheitlichende Betrachtung unspezifisch-therapeutischer Vorgange vom Standpunkte der Entstehung korpereigener Wirkstoffe und die Hervorhebung deren leistungssteigernder Eigenschaften bei Verwendung optimaler Dosen kommt zum mindesten, wenn es sich um Beeinflussung von Abwehrvorgangen handelt, zweifellos dem natiirlichen Geschehen und den Erfordernissen der Therapie am nachsten. Auch wenn die vegetativen Regulationsvorgange in den Vordergrund der Betrachtung gestellt werden, weisen aile neueren Befunde darauf hin, daB auch die Ursachen nervoser Effekte letzten Endes durch humorale Wirkstoffe bedingt sind (s. S. 42).

II. Beziehung zu Muskeltatigkeit, Training usw. W. WEICHARDT hatte schon vor Jahren auf Grund seiner Versuche die Auffassung vertreten1, daB die gesteigerte Leistungsfahigkeit, die gewohnlich mit Training bezeichnet wird, "mit ReizstoBen aktivierender Spaltprodukte· in Zusammenhang zu bringen sei, die bei der Muskeltatigkeit entstehen". Die neuere, mit den Mitteln exakter Stoffwechseltechnik arbeitende Ermudungsforschung zeigt, daB diese Auffassung richtig zu sein scheint. lch folge einer neueren Darstellung von G. LEHMANN aus dem KaiserWilhelm-Institut fiir Arbeitsphysiologie, Dortmund. Bekanntlich ist die Messung der Leistungsfahigkeit mittels des Mossoschen Ergographen und ahnlichen Apparaten, die bis zum "Nichtmehrkonnen" arbeiten, ungenau, da eine exakte Grenze nicht gefunden werden kann. Der Sauerstoffverbrauch fiir eine bestimmte Arbeit ist ein exakter MaBstab fiir die Leistungsfahigkeit. Bei sinkender Arbeitsfahigkeit wird der Sauerstoffverbrauch fiir eine bestimmte Arbeit hOher. Legt man Erholungspausen ein, so steigen bei sinkender Leistungsfahigkeit die in dieser Pause abzudeckenden Sauerstoffschulden, die wahrend der Arbeitsperiode entstanden sind. Der Korper arbeitet mit der gleichen Anstrengung, wenn bei einer gegebenen Arbeitsform die Menge des Erholungssauerstoffes konstant ist. Diejenige Arbeitsmenge, die bei konstanter Erholungsventilation geleistet werden kann, gibt ein richtiges Bild von der Leistungsfahigkeit des Individuums. Beim kOrperlichen Training findet eine echte Steigerung der Leistungsfahigkeit statt, d. h. die Erholungsventilation bleibt trotz hoherer Leistung die gleiche. Interessant sind die Parallelen, die zwischen Training und anderen unspezifisch-therapeutischen MaBnahmen zu ziehen sind. So steigt, wie beim Training, auch bei ultravioletter Bestrahlung die Arbeitsmenge bei konstanter Erholungsventilation. Die Umstimmung des Organismus auBert sich sowohl beim Training als bei ultravioletter Bestrahlung durch Senkung des Grundumsatzes bei Hebung des respiratorischen Quotienten, ferner durch Ansteigen der alveolaren Kohlensaureretention und Verbesserung der O-Ausnutzung der eingeatmeten Luft. 1 Training im Lichte der Immunitatslehre. Festschrift fiir J. Georg Thieme 1907.

ROSENTHAL.

Leipzig:

Uber die Grundlagen der unspezifischen Therapie.

11

1m Arbeitsstoffwechsel sehen wir sowohl beirn Training als bei Ultraviolettbestrahlung eine Verbesserung des Wirkungsgrades, eine Beschleunigung der Erholung nach dosierter Arbeit Steigerung der Arbeitskapazitat, Verminderung der Ermiidbarkeit, Erhohung der Alkalireserve. Das Blutbild zeigt in beiden Fallen typische Verminderung der Neutrophilen mit entsprechender Zunahme der Lymphocyten. Kreislauf und Atmung zeigten die auf ErhOhung des Vagustonus zuriickzufiihrenden Erscheinungen. Ferner tritt eine Vermehrung der SchweiBbildung ein und ein ausgesprochener Kohlehydrathunger.

III. 1st eine leistungSsteigernde Wirkung korpereigener Spaltprodukte in optimaler Verdiinnung nachweisbar? A. Leistungssteigernde Wirkung auf das isolierte hypodyname Organ (Herz).

Herzkurven. Dieser Nachweis ist unter den verschiedensten Bedingungen gefiihrt worden. Ais geeignetes Objekt hat sich das ermiidete Herz erwiesen. Die von mir verfolgte Methode ist in dem Handbuche der biologischen Arbeitsmethoden von E. ABDERHALDEN beschrieben und wird folgendermaBen ausgefiihrt: Nach der STRAuBschen Technik wurde in die Aorta eine Kaniile gefiihrt und das Herz in einer feuchten Kammer aufgehangt. Als Nahrfliissigkeit diente Ringerlosung. Nach vollstandiger Durchspiilung des Herzens mit Ringerlosung lieBen wir zunachst langere Zeit hindurch nach jedesmaliger Erneuerung der Nahrfliissigkeit eine Kurvenreihe schreiben, die aus je 4 Kurven bestand, von denen jede in Zeitabstanden von 5 Minuten geschrieben wurde. Auch zwischen den einzelnen Reihen sind Pausen von 5 Minuten innegehalten. Bei regelmaBig arbeitenden Herzen warteten wir, wenn notig, solange, bis nach langerer Arbeit schlieBlich etwa der dritte Teil der urspriinglichen Arbeit (an der Hubhohe gemessen) geleistet wurde. Nur Herzen, die anfanglich hohe Kurvenwerte geben und deren Hubhohen allmahlich geringer werden, sind zu solchen Versuchen zu verwenden. Herzen mit ungleichmaBiger oder sich verlangsamender Schlagfolge sind zu verwerfen. Wir iiberzeugten uns dann, um den jeweiligen Ermiidungszustand des Herzens kennenzulernen, von der Wirkung einer Neufiillung mit Ringerlosung und gaben fiir die nachste Kurvenserie die leistungssteigernden EiweiBpraparate in den verschiedenen Verdiinnungen zu. Am SchluB trat nach mehrmaligem Ausspiilen mit Ringer16sung die friihere LeistungsgroBe des ermiideten Herzens wieder auf. Leistungssteigernde Wirkungen durch EiweiBspaltprodukte sind nur dann zu zeigen, wenn geeignete Herzen verwendet werden, d. h. solche, die am Anfange des Versuches irgendeine Schadigung nicht aufweisen, deren Hubhohe und Schlagfolge regelmaBig sind. Ferner miissen Dosen verwendet werden, die in einem ganz bestimmten Verhaltnis ZUlli jeweiligen Zustande des Organes stehen. Bei Verwendung groBerer Dosen findet man statt einer anregenden Wirkung, wie sie bei geringeren Dosen eintritt, haufig eine lahmende. Schon in meinen ersten Versuchen am ermiideten Herzen habe ich den SchluB gezogen 1 , daB 1

Miinch. med. Wschr. 1915-1918.

12

WOLFGANG WEICHARDT:

derartige Spaltprodukte, wenn sie sich in gewissen Mengen gebildet haben, iiberhaupt erst den Anreiz zur Bewegung geben und daB die gleichen Spaltprodukte in groBeren Mengen auch zum Stillstande fiihren konnen. Spater behauptete HABERLANDT, durch Extraktion der Sinusgegend und der Kammerbasis des Herzens ein "spezifisches Herzhormon" fiir die Herzbewegung gefunden zu haben. Durch Untersuchungen von WEICHARDT und seinen Mitarbeitern konnten jedoch gezeigt werden, daB diesen Extrakten, sowohl was die Herkunft als auch was die Wirkungsweise anbetrifft, die Spezifitat fehlt. Gleich wirksame Extrakte konnen ebenfalls aus Muskeln oder Stiitzgewebe gewonnen werden. Auch andere Untersucher, z. B. RIGLER und SINGER, die die Versuche

a a b b

c c

d d

Abb. 1. a Normalkurve, b Ermiidetes Herz. c Anregung durch Hydrolyseprodukte aus der Haut 1 : 20 000. d Nach Wiederausspiilen mit Ringerlosung.

Abb. 2. a Normalkurve. b Ermiidetes Herz. c Anregung durch Histamin 1 : 10 000 000. d NachWiederausspiilen mit RingerlOsung.

WEICHARDTS bestatigten, konnten sich von einer Spezifitat dieser Extrakte nicht iiberzeugen. Der Irrtum der HABERLANDTschen Befunde ist zweifellos darauf zuriickzufiihren, daB die als Kontrollextrakte benutzten Vergleichsproben nicht optimal dosiert wurden, so daB Unwirksamkeit vorgetauscht wurde. Ferner wurde die bereits bestehende Zustandsanderung des Herzens nicht beachtet. Die in derartigen Muskelextrakten befindlichen chemisch definierbaren Wirkstoffe, denen ein besonderer, z. B. ein erweiternder Effekt auf die CoronargefaBe, zugeschrieben werden muB (Adenylsaure usw.) sind in Teil 2 und 3 beschrieben. LaBt man auf ein isoliertes Herz Extrakte aus Korperorganen, z. B. aus der Muskulatur, einwirken, oder aber auch bekannte, aus Geweben zu isolierende Spaltprodukte, so kann gezeigt werden, daB das vollkommen ungeschadigte Herz durch diese Spaltprodukte in starken Verdiinnungen gar nicht beeinfluBt wird. Ganz anders, wenn man das Herz durch fortgesetzte Schlagfolge in einen Ermiidungszustand bringt. Es ist dann zu zeigen, daB diese korpereigenen Spalt~ produkte selbst in auBerordentlich hohen Verdiinnungen noch eine Reizwirkung

Uber die Grundlagen der unspezifischen Therapie.

13

ausiiben, die sich durch eine Leistungssteigerung nach den verschiedensten Richtungen hin kennzeichnet. Wir verwendeten sowohl Gemische, die ,aus Organen extrahiert wurden als auch Histamin, das in diesen Verdiinnungen und bei Vorliegen eines stark ermiideten Herzens direkt leistungssteigernd wirkte. Gewohnlich wird von den Experimentatoren nicht geniigend festgestellt, ob ihre Versuchsherzen nicht bereits mem oder weniger als hypodynam anzusehen sind. Sie stehen vielfach schon unter der Wirkung von Stoffwechselprodukten, die nach Aufhoren der Zirkulation entstanden sind. Daraus erklaren sich die haufig widersprechenden Angaben in der Literatur iiber die Wirkung bestimmter Stoffe in hohen Verdiinnungen. Durch die Nichtbeachtung der Tatsache, daB der jeweilige Zustand und die Zustandsanderung das Wesentliche bei der Wirkung korpereigener Spaltprodukte in hohen Verdiinnungen sind, ist der merkwiirdige Umstand zu erklaren, daB gerade sehr exakte Forscher auf Grund ihrer Versuche iiberhaupt von einer Zellreizung sich nicht iiberzeugen konnten. Mit H. AI'ITZSOH habe ich mich unter Anwendung genauer Methoden vergeblich bemiiht, Leistungssteigerungen bei Verwendung isolierter Zellen und Zellbestandteilen, z. B. von Blutkorperchen, durch Zusatz der verschiedensten am isolierten Organe sicher wirkenden Reizstoffe zu erzeugen. Eine Anregung der genau zu messenden Wasserstoffsuperoxydkatalyse durch rote Blutkorperchen konnte im Gegensatze zu Angaben anderer Autoren durch kein Mittel erreicht werden. Neuerdings kommt W. HEUBNER auf Grund seiner Versuche an Zellsuspensionen und Gewebskulturen zu einer Ablehnung des Begriffes der Zellreizung. Nur einige Stoffe, z. B. arsenige Saure, ferner TerpentinOl, Strophantin, in sinkenden Konzentrationen zugesetzt, zeigten eine gewisse, aber geringe stimulierende Wirkung. Wahrend eine lahmende Wirkung der verschiedensten Stoffe leicht nachzuweisen ist, ist es auBerst schwer, den exakten Beweis fiir eine Leistungssteigerung bei diesen Versuchsanordnungen zu erbringen. Nach meinem Dafiirhalten ist eine Einheitlichkeit der Resultate mit diesen Versuchsanordnungen deshalb nicht zu erreichen, weil bisher nicht versucht wurde, isolierte Korperzellen oder Zellverbande in vitro so einzustellen, daB eine quantitativ zu bestimmende fiir die Leistungssteigerung notwendige Zustandsanderung fiir langere Zeit fixiert ist. Anders ist es beim isolierten Organ. So kann man, wie wir gesehen haben, beim isolierten Herzen eine bestimmte gut zu dosierende Zustandsanderung durch einfaches Ermiiden festlegen. Bessere Verhaltnisse trifft man auch bei an den Korper angepaBten Bakterien, die auf chemisch charakterisierlen Nahrsubstraten geziichtet werden, wie wir das zum Nachweis der Leistungssteigerung in ausgedehnter Weise getan haben. Hier ist eine Hypodynamie, infolge des nicht optimalen Nahrmediums, zahlenmaBig festzustellen. Durch Zusatz auBerordentlich verdiinnter Mengen von korpereigenen Spaltprodukten ist sofort eine zahlenmaBig auszudriickende Leistungssteigerung festzustellen (s. S. 52). Es erwachst allerdings dann fiir die Beurleilung der Wirkung erne weitere Schwierigkeit, die in gleicher Weise auch fiir die Beurteilung der Wirkung von sog. "Wuchsstoffen" vorhanden ist. Sie besteht darin, das Vorhandensein des sog. "biologischen Aktivators" sicherzustellen und ihre Wirkung als Nahr- oder Baustoffe, die calorische Werte haben, auszuschalten. VIROHOW sprach von

14

WOLFGA.NG WEICJIA.RDT:

"nutritiven Reizen". Dieser Begriff ist nach HEUBNER jetzt nicht mehr berech. tigt. Hat man chemisch definierbare Substanzen vor sich, die in sehr hohen Verdiinnungen wirken, so ist man wohl berechtigt, eine nutritive Wirkung aus· zuschlieBen. Werden Mikroorganismen als Testobjekte herangezogen (s. S. 50) und sieht man eine Wirkung derartiger Reizstoffe in hohen Verdiinnungen, die z. B. zahlenmaBig durch Vermehrung der Gebilde oder an der Erzeugung irgend. eines meBbaren Produktes (z. B. Gasproduktion) festgelegt werden kann, so mochte ich eher eine Erganzungswirkung annehmen und den Vorgang so deuten: Theorie der Ergiinzungswirkungen. Bei einzelligen Gebilden, die dem Korper angehoren oder Infektionserregern, die den Korperzellen stark angepaBt sind, sind fiir die Vermehrung und Stoffwechsel unterhaltenden Enzyme auBerordentlich viele Gruppen notwendig. Sie sind in Nahrmedien, die aus einfachen Bausteinen zusammengesetzt sind, nicht vorhanden. Extrakte aus Geweben, wenn sie auch nur in geringen Mengen vorhanden sind, sind also fiir diese Ferment· leistungen unbedingtes Erfordernis. Dieselben kommen nicht zustande, wenn eine gewisse Vielheit von Gruppen nicht vorhanden ist. Finden sich aber Erganzungsstoffe fiir die Fermentleistungen, dann sind diese Bakterien auch im· stande, einfachere Bausteine fiir ihren Stoffwechsel zu verwerten. Die Annahme eines einzigen speziJischen W uchsstoJJes ist bei dieser Auffassung, die den hypo. dynamen Zustand der betreffenden Zellen in den Vordergrund der Betrachtung schiebt, nicht erforderlich. Ob das in Pflanzentrieben neuerdings gefundene "Auxin" ein spezifischer Wuchsstoff sui generis ist, muB abgewartet werden. Neuerdings weist KOGL darauf hin, daB die Konstitutionsspezifiiat physiologischer Wirkstoffe haufig keine absolute ist. Die auBerordentlich komplizierten physiologischen Reaktionen konnen im Prinzip auch von Stoffen hervorgerufen werden, die einen einfachen Bau haben. Fiir Studien mit Parasiten und auch fiir Studien an Gewebskulturen ist wie auch durch die C.ARRELSchen Untersuchungen ebenfalls sichergestellt ist die Annahme eines speziJischen Wuchsstoffes nicht notig. Auf die CARRELschen Versuche sowie auf unsere Studien mit dem Korper angepaBten Parasiten solI weiter unten (S. 50 f.) eingegangen werden. Auf jeden Fall ist das Studium der Beeinflussung von Krankheitserregern durch unspezifische Einfliisse fiir die Therapie auBerordentlich wichtig. Wir werden im Verlaufe dieser Abhandlung mehrfach sehen, daB durch unzweckmaBige unspezifisch-therapeutische MaBnahmen nicht die AbwehrkriiJte des K6rpers, sondern eher die infizierenden Erreger selbst angeregt werden. In einem eigenen Kapitel sollen diese wesentlichen Gesichtspunkte nochmals erortert werden. B. Leistungssteigerung am Gesamtorganismus. 1. Gastrocnemiuszuckungskurven. Schon vor Jahren habe ich eine Technik ausgebreitet, urn am Warmbliiter die Wirkung unspezifischer Proteininjektionen zu messen, und zwar bedienten wir uns der Gastrocnemiuszuckungen der moglichst intakt gehaltenen Maus. Die Leistungen des nicht isolierten Organs wurden aufgeschrieben. Wir haben hier also einen Ausdruck der omnicellularen Mitarbeit nach derartigen Allgemeinwirkungen im ganzen Organismus. Es zeigte sich, daB kurz dauernde

Uber die Grundlagen der unspezifischen Therapie.

15

Tetani als dosierte Reize fiir diesen Zweck am besten zu verwenden sindl. Unsere Technik war folgende: Die eine der beiden Elektroden war mittels Klemme an der Unterlippe der Maus befestigt, die andere umfaBte die Wirbelsaule von beiden Seiten an einer Stelle, die in der Mitte zwischen dem tiefsten Stande des unteren Lungenrandes und dem Abgang des Glutealmuskels vom Kreuzbein lag. Durch einen kleinen unblutigen Hautschnitt wurde diese Stelle dem Auge zugangig gemacht. Die Tiere mussen ganz gleiches Gewicht haben und ihre Korpertemperatur, die vor Versuchsbeginn zu messen ist, darf nicht unter 37 0 liegen. Fur diese Versuche verwendeten wir lediglich Mause eigener Zucht, und es wurden aus einer groBeren Anzahl erst die nach allen Richtungen hin moglichst gleichen herausgesucht und diese dann langere Zeit in einem mittels Thermoregulators gleichmaBig temperierten Raume gehalten. Man erhalt dann, gleiche Technik vorausgesetzt, charakteristische Ermudungskurven bei normalen Mausen. Injiziert man die Tiere dagegen mit EiweiBspaltprodukten, so ist nach einer gewissen Latenzzeit eine deutliche Steigerung dadurch zu messen, daB die Hubhohen in dem Ermudungsteil der Kurven sehr viel h6her sind. Aus folgenden Kurven ist das ersichtlich:

Abb.3. Gastrocnemiuszuckungskurven. 25 g Maus, 50 g Belastung. a Normalkurve. b Aktivierung nach Injektion von Muskelextrakt.

Diese Leistungssteigerung ist, wie wir zeigen konnten, durchaus abhangig von der GroBe der Dosen und einer gewissen Latenzzeit nach der Injektion. Bei starken Dosen sind die Latenzzeiten, die vor der Leistungssteigerung liegen, sehr viel langere als bei Verwendung kleiner Dosen. Wird ein gewisses MaB iiberschritten, so tritt eine gesteigerte Leistungsfahigkeit uberhaupt nicht mehr auf. Es tritt eine dauernde Schadigung ein, die sich durch rasche Ermudung in den Kurven kennzeichnet. Es fiel uns schon damals auf, daB ahnliche Leistungssteigerungen in den Kurven wie nach Injektionen, auch nach einer gewissen Latenzzeit zu erzielen waren, wenn bereits einmal bei dem gleichen Tiere Ermudungskurven geschrieben worden waren, und ich zog schon damals aus den Resultaten den SchluB, daB "aktivierende Spaltprodukte", die sich wahrend der ersten Beanspruchung bilden, die Ursache dieser Mehrleistung sind (Abb. 4). Ganz gleiche Leistungssteigerung bei der injizierten Maus konnte man bei dieser Technik nach Injektion von nach PAAL hergestellten kolloidalen Metall1 Spater haben L. ASHER und seine Mitarbeiter am Warmbliiter ebenfaUs einen ahnlichen Weg eingeschlagen und ihn bedeutend verfeinert.

16

WOLFGANG WEICHARDT:

praparaten erhalten. Einige der im Jahre 1907 gewonnenen Kurven seien Abb. 5 wiedergegeben.

III

a

b

Abb.4. Gastroenemiuszuekungskurven. 25 g Maus, 50 g Belastung. a Normalkurve. b Leistungssteigerung naeh einer Latenzzeit von 25 Stunden (naeh vorheriger Beanspruehung).

a

b

Abb.5. Gastroenemiuszuekungskurven. a Normalkurve. b Leistungssteigerung naeh Injektion von 0,3 cern schwaeh wirkenden eolloidalen Palladiums (Latenzzeit 2mal 24 Stunden).

Allerdings enthalten diese Praparate EiweiB, wenn auch in geringer Menge, als Schutzkolloid und es ist spater in der Literatur mehrfach die Ansicht aufgetaucht, daB die Leistungssteigerung nach Injektion kolloidaler Metalle eher dem Schutzkolloid zuzuschreiben ist. 1'1 I, ,/,~ ,~ I~ ~ ~~W~~MI1Wf1~ 'W~~!l : • 'I : •

!Il)'

i :Ii IJ w,n)!JIJIJ :I'l !J:J IJ I II! III! ~\J I,J~I

L I J, I J J i....!-lJ 1111111 1'1111 I '.1.L.1~J'

b

a

,", ) ' J ' \ ••••• \••\

'.·J\/\J\\/\.t.r'~\.•\!I.J\\/\}

! . I . ' . ' • • • l ... ----'I • • ~~ ..........L ...L""_4_J

e

(

~

-

~

-.

l l l l .... 11111111'IIIIIIII.L!

11111

d

Abb. 6. a Normalkurve. b Ermiidetes Herz. e Anregung dureh Elektroeollargol 1 : 3000. d Naeh Wiederausspiilen plit RlngerJosung.

tiber die Grundlagen der unspezifischen Therapie.

17

Ich habe deshalb spater mit UNGER ganz reines Goldsol ohne Schutzkolloid hergestellt und mit der oben beschriebenen Herztechnik am ermiideten Herzen gezeigt, daB prinzipiell auch hiermit leistungssteigernde Wirkungen zu erzielen waren. Viel starkere und dauerndere erhalt man mit EiweiGspaltprodukten oder mit kolloidalen Metallen, die ein Schutzkolloid zur Stabilisierung haben. 1m vorhergehenden sind Kurven, die mit Elektrokollargol- HEYDEN gewonnen wurden, wiedergegeben. 1m Pharmakologischen Institute in Bonn fand SCHWARZE, daG eine Reihe von Metallsalzen eine Erregbarkeitssteigerung des Muskels verursachen. Auch er faGt die Erregbarkeitssteigerung als eine Sensibilisierung infolge Zustandsanderung der Muskelzelle auf, die bedingt ist durch gewisse in ihren Eigenschaften " noch nicht naher charakterisierte Substanzen. 2. ErhOhung eines bestehenden Antikorperspiegels durch unspeziJische

EinJlUs~e.

Eine gute MaGmethode, die leistungssteigernde Wirkung aktivierender Spaltprodukte am Gesamtorganismus zu messen, ist die Erhohung eines speziJisch. eingestellten Antikorperspiegels. Wir haben also auch hier eine quantitativ gut zu bestimmende Zustandsanderung am Gesamtorganismus. Die Zahl der Arbeiten, in denen iiber die Erhohung eines solchen nach den verschiedensten unspezifisch-therapeutischen Einfliissen berichtet wird, ist so groG, daG es unmoglich ist, sie im einzelnen zu besprechen. Einer einheitlichen Deutung wurde diese nach den verschiedensten Beeinflussungen zu beobachtende Erscheinung erst im Rahmen unspezifisch-therapeutischer MaGnahmen nach den Arbeiten von WEICHARDT-SCHRADER zuganglich: Hie ist als Leistungssteigerung bereits vorhandener speziJischer Zelleistungen durch optimal dosierte unspeziJische Reize zu kennzeichnen. Es ist notig, an dieser Stelle zu betonen, daG eine solche Erhohung nur erwartet werden kann, wenn ein speziJischer Antikorperspiegel von gewisser Hohe durch vorherige mehrfache Injektion bestimmter Antigene bereits vorhanden ist. Dagegen ist nicht zu erwarten, daG bei normalen unbehandelten Tieren, bei denen derartige speziJische Antikorper nicht vorhanden sind, durch unspezifische Behandlung plOtzlich spezifische Antikorper in erheblicher Menge" auftreten. Aus dem selbstverstandlichen Nichteintreten einer solchen Reaktion haben manche Autoren sogar den SchluG gezogen, daG von einer leistungssteigernden Wirkung, z. B. nach EiweiJ3injektionen, nicht gesprochen werden konne. Die Nichtbeachtung der speziJischen Zustandsanderung der Zellen fiihrt auch in diesem FaIle vielfach zu einer falschen Beurteilung unspezifischer Reizwirkungen. Es kann sich bei unspezifisch-therapeutischen Einfliissen nur um die Erhohung bereits vorhandener speziJischer Leistungen, in diesem FaIle um eine ErhOhung speziJischer Antikorperbildung, handeln. Hierin ist ein wesentliches Moment der besonderen Heilwirkung unspezifisch-therapeutischer MaGnahmen, vor allem bei chronis chen Infektionen und in der Rekonvaleszenz, begriindet; denn bei diesen werden sich, wie bei sensibilisierten Tieren, bereits spezifische Antikorper vorfinden, die durch die unspezifisch-therapeutischen MaBmihmen vermehrt werden. Ergebnisse der Hygiene. XVI.

2

18

WOLFGANG WEICHARDT:

Wenn es sich um vergleichende Messungen handelt, sollten bestimmte VorsichtsmaBregeln nicht auBer acht gelassen werden. Zunachst sind Tiere auszuwahlen, die in bezug auf Antikorperbildung iiberhaupt leicht und gut reagieren, was nach den ersten Injektionen zu ersehen ist. A gglutinine , Priicipitine. Antitoxine usw. Meist ist zu diesen'Messungen die Erhohung eines durch Vorbehandlung erzeugten spezijischen Agglutininspiegels herangezogen worden. Bei der Ausfiihrung von Agglutinationen zu Vergleichszwecken ist auf die Gleichheit der Bacillenaufschwemmungen besonders zu achten. Weitere Einzelheiten finden sich im Handbuch der biologischen Arbeitsmethoden vonE. ABDERHALDEN 1. Schon in der alteren Literatur fanden sich Angaben von Autoren, die nach Injektion irgendeines Mittels iiber Agglutininerhohung berichten. MADSEN und ROSTOSKI nahmen Pilocarpin. Sie lieBen sich dabei von dem Gedanken leiten, daB dieses Mittel, das ja spezifisch fUr die Anregung der Driisensekretion ist, auch fiir die Erhohung der Antikorperproduktion besonders geeignet sei. DIEUDONNE, ferner P. TH. MtTLLER sahen allerdings die gleiche Wirkung, wenn sie Hetol, ein Zimtsaurepraparat, injizierten. Es ist das wegen der friiher vielfach geiibten Zimtsauretherapie interessant. LUDKE fand gesteigerte Antikorperbildung nach Injektion von Antipyreticis. Genau so aber wirken konzentrierte NaCl-Losungen, Jod, Quecksilberpraparate, Arsenverbindungen, Nucleinsaure u. a. WEICHARDT und SCHRADER sowie FLECKSEDER fanden bei verglelChenden Untersuchungen, daB Deuteroalbumose dem Natrium asparaginicum in bezug auf die leistungssteigernde Wirkung nach dieser Richtung hin iiberlegen war. So setzt nach FLECKSEDER bei Deuteroalbumose die Agglutininvermehrung bereits am gleichen Abend oder am folgenden Tage nach der Injektion ein, wahrend nach Nucleinsaureeinspritzungen bis zu dieser Wirkung einige Tage vergehen. Auch nach den Versuchen von H. LOHR, der mit rascher wirkenden intravenosen Injektionen arbeitete, wird bei Verwendung nicht eiweiBartiger unspezifischer Mittel, wie Natrium nucleinicum, kolloidalen Metallen usw. zur AuslOsung der Antikorpersteigerung bei spezifisch vorbehandelten Tierenlangere Zeit benotigt als bei EiweiBinjektionen. Diese raschere Wirkung und Uberlegenheit hiihermolekularer EiweiBspaltprodukte vor den niedermolekularen ist nach WEICHARDT-SCHRADER vielleicht dadurch zu erklaren, daB bei dem parenteralen Abbau derselben eine Vielheit aktivierender Spaltprodukte rascher in Freiheit gesetzt wird als nach Injektion nicht eiweiBartiger Stoffe. Hier entstehen diese aktivierenden Spaltprodukte erst sekundar aus den KiirpereiweiBen.

Bei asthenischen Personen maB BARATH den EinfluB unspezifischer Reizmittel auf die Agglutininproduktion. Er fand die Wirkung hier gering im Vergleich zu Kontrollpersonen. Nach diesem Autor finden wir also bei den verschiedenen Typen konstitutioneller Abweichung nicht nur eine strukturelle Anderung, sondern auch eine solche funktioneller Natur. Resultate, die WEICHARDT und SCHRADER bei ihren Tierversuchen hatten, bestatigten N. MELCZER und O. DAHMEN am Menschen. Sie nahmen Milch, Aolan, Caseosan, Natrium nucleinicum, Phlogetan, Omnadin, Terpentin und 1 Abt. XIII, Teil 2, S. 665, WEICHARDT, W.: Methoden der Erforschung unspezifischer Beeinflussungen.

19

TIber die Grundlagen der unspezifischen Therapie.

Pepton. Personen, die mit Typhusimpfstoff vorbehandelt und bei denen bereits spezifische Antikorper vorhanden waren, reagierten auf unspezifische Injektionen mit Erhohung des Titers. Normale Personen zeigten eine spezifische Antikorpersteigerung nicht. R. LOHR wies an der SOHITTENHELMschen Klinik in Kiel ein Steigen des Agglutinintiters vorbehandelter Personen nach sterilen Operationen nacho Die Antikorpersteigerung war auch in der Muttermilch und serosen Korperfliissigkeiten nachzuweisen. Diese Steigerung der Antikorperbildung blieb bei besonders schweren Infektionen aus. Auch Zustandsiinderungen im Korper konnen bei vorbehandelten Tieren zur Erhohung des Antikorperspiegels fiihren. R. TROMMSDORF beobachtete, daB nach maBiger korperlicher Anstrengung eine Erhohung der Antikorperbildung eintrat. STAUBLI hatte ein erhebliches Ansteigen des Agglutiningehaltes kurz vor und nach dem Wurf von Jungen gesehen. Tiere, denen man Organe bereits immunisierter Tiere mit hohem Agglutiningehalt iiberimpfte, verhalten sich wie immunisierte und reagieren auf unspezijische Eingriffe mit einer spezijischen AgglutininerhOhung (GIRGOLAFF). AuBer den Agglutininen sind auch andere Antikorpervermehrungen bei vorbehandelten Tieren nach unspezifischen Reizen gemessen worden. F. OBERMAYER und E. PICK injizierten vorbehandelten Tieren, die seit einem Vierteljahr nicht immunisiert worden waren, 5-1O%ige Peptonlosung. Riermit gelang es, spezijische Priicipitinbildung durch dieses unspezifische Mittel hervorzurufen. G. RUGGERINI spritzte Pferden, die langere Zeit mit Tetanustoxin immunisiert worden waren, Bouillon, ferner normales Rinderserum subcutan ein. Es stieg dann der Gehalt des Serums an spezifischem Tetanusantitoxin sehr rasch an, selbst wenn der Titer des Serums vorher ganz abgesunken war. Nicht vorbehandelte Pferde zeigten nach Injektion dieser Substanzen keine Erhohung des Antitoxingehaltes im Serum. Auch aus den Versuchen von G. RAMON und E. LEMETAYER geht hervor, daB gewisse unspezifische Substanzen, die dem Antigen zugesetzt werden, Z. B. Tapiokapulver, auf die Entstehung der antitoxischen Immunitat und auf die Erzeugung von spezifischen Antitoxinen eine anregende Wirkung ausiiben. RUGGERINI untersuchte Pferde, die friiher mit Tetanusantitoxin vorbehandelt worden waren und bei denen der Titer des Antitoxins sehr nachgelassen hatte. Er behandelte die Tiere subcutan mit Milch, Fleischbriihe und anderen unspezifischen Mitteln. Er priifte den Titer in Abstanden von je 5 Stunden. Schon nach 5 Stunden trat eine betrachtliche Steigerung des Antitoxingehaltes auf. Allerdings nur bei solchen Tieren, die vor der unspezifischen Behandlung einen gewissen spezifischen Antitoxintiter hatten. War dieser nur sehr gering, so war auch die durch unspezifische Injektion zu erzielende Steigerung nicht bedeutend. Nach 3 Tagen war der durch die unspezifische Injektion hervorgerufene hohere Titerstand noch in gleicher Rohe vorhanden, nach 10 Tagen war der Titer nur wenig vermindert. Schon im Jahre 1907 hatte C. KREIBICH gefunden, daB eine Vermehrung baktericider Antikorper nach unspezifischen Beeinflussungen eintritt (Quecksilber). Spater fand E. FRIEDBERGER das gleiche nach Einverleibung geringer Mengen Alkohols. Mit hamolytischen Immunkorpern arbeitete M. SOHOLZ an 2*

20

WOLFGANG WEICHARDT:

der Konigsberger dermatologischen Klinik. Er fand, daB die Bildung der hamolytischen Immunkorper nach Proteinwirkung gesteigert wurde. Auch die Virulicidie des Blutes gegen Pockenvirus, die bei der Vaccineimmunitat zu beobachten ist, konnte durch Injektion von Deuteroalbumose verstarkt werden, wie TH. MATSUDA im SOBERNHEIMSchen Institut fand. Die Abwehrkrafte, die in der Phagocytose zum Ausdruck kommen, werden ebenfalls durch unspezifische Beeinflussungen erhoht, wie C. PRAUSNITZ und G. MEISSNER mit der WRIGHTS chen Technik zeigten. Sie erhielten eine starke Steigerung der Zelltatigkeit weiBer Blutkorperchen. Mit der Capillartechnik WRIGHTS arbeitete auch G. J. PFALZ an der Frauenklinik in Breslau. Er fand, daB nach Operationen und nach Chloroform- und '!thernarkosen in 95 % der Faile eine ganz bedeutende Bactericidiezunahme stattfindet, die durchschnittlich etwa das Zwanzigfache der urspriinglichen Werte betrug und ihren Hohepunkt kurz nach beendeter Laparotomie oder etwa 7 Stunden spater iiberschreitet. G. J. PFALZ faBte diese Reaktion als "Lei8tung88teigerung der phY8iologi8chen Zelltiitigkeit im WEICHARDTSchen Sinne" auf und kam zu dem SchluB, daB die Narkotica und Anasthetica, die gewohnlich in der Praxis verwendet werden, primar die Bildung derartiger Abbauprodukte und dadurch sekundar die Steigerung des fermentativen Zellstoffwechsels verursachen. . Auch die Messung des Komplementgehalte8 ist zur Kontrolle der Wirkung unspezifisch-therapeutischer Einfliisse herangezogen worden. MALKIN behandelte Kaninchen mit Staphylokokken und Milzbrandbacillen von bestimmter Virulenz. Der Komplementgehalt sank bis zum Tode. Die mit optimalen Dosen von Casein injizierten Tiere dagegen blieben am Leben und ihr Komplementgehalt stieg. WEICHARDT hatte vor Jahren darauf hingewiesen, daB nicht nur nach Injektion von kolloidalem Palladium, sondern auch nach Zufiihrung anderer Energiearten, wie elektrischer-, Radiumbestrahlung usw., Protoplasmaaktivierungen, die auf Abspaltungen aktivierender Spaltprodukte zuriickzufiihren sind, beobachtet werden. Spater ist die Steigerung der Antikorperbildung nach optimalen Dosen von Rontgenbestrahlung mehrfach untersucht worden (KAzNELSON-LoRANT, FREUND-DRESEL, HEIDENHEIM, FRIED u. a.). Eine besonders eingehende Arbeit liegt von A. LUSZTIG aUf! dem Strahlentherapeutischen Institut in Frankfurt a. M. vor. Dieser untersuchte den Verlauf der verschiedensten Antikorperkurven nach Rontgenbestrahlung und kommt zu dem Schlusse, daB, wenn eine minimale Menge von spezifischen Antistoffen und die Protoplasmaaktivierung auslosende primare Reizwirkung vorhanden ist, die Abwehrkrafte des Organismus durch die Rontgenstrahlen angeregt und in ihrer Wirkung gesteigert werden. Die zeitlichen Verhiiltni88e der Antikorperbildung durch unspezifische Reize bei vorbehandelten Tieren untersuchte TSUKAHARA: am 3. Tage traten die Agglutinine im Blute auf und vermehrten sich spater noch, am 6. bis 8. Tage war der Hohepunkt erreicht. Injizierte man einem mit einer bestimmten Bakterienart behandelten Tiere eine zweite Bakterienart, so wurden Agglutinine gegen das erste und das zweite Antigen gebildet, und zwar verlauft die Kurve gegen das Antigen der Nachbehandlung wie beim nicht vorbehandelten Tiere. Die Kurve gegen die erste Bakterienart hat eine Inkubationsdauer von mehreren

Uber die Grundlagen der unspezifischen Therapie.

21

Tagen. Dann steigt sie langsam an, bleibt langere Zeit auf der Hohe und fallt allmahlich wieder abo Ahnliche Befunde hatten friiher H. CONRADI und BmLING. Wenn es auch interessant ist, den zeitlichen Verlauf von Antikorperkurven nach unspezifischen Einfliissen zu verfolgen, so ist es doch nicht moglich, bestimmte, allgemeingiiltige RegeIn aufzufinden. Die individuelle Reaktionsfahigkeit der Versuchstiere ist gerade in diesem Punkte auBerordentlich verschieden: So fand M. JAGGI, daB die Antikorperkurve vorher mit Infektionserregern vorbehandelter Tiere nach Einspritzung von Deuteroalbumose und Natrium nucleinicum genau so verIief wie bei Tieren, welche die erste Einspritzung erhalten hatten. Nach einem Inkubationsstadium fand ein allmahlicher Anstieg statt. Andere Tiere reagierten ganz anders, hier trat ein schnellerer Anstieg ohne Latenzstadium ein. Es lOst die Nachimpfung dos vorbehandelten Tieres fast unmittelbar die Reaktion aus. Jedenfalls steht fest, daB gerade EiweiBinjektionen besonders geeignet sind, speziJische AntikorperbiIdungen anzuregen. Neuerdings spricht PFANNENSTIEL von einem "Serumstatus" und bezeichnet damit den Antikorpergehalt eines 1ndividuums, er findet ihn nach den mannigfachsten unspezifisch-therapeutischen Eingriffen, Z. B. Mineralwasserapplikation, erhOht.

3. VerJolgung der StoJJwechselvorgange. Zunachst seien die Gasstoffwechselversuche von A. LEIMDORFER am physiologischen Institut der Universitat Wien genannt. Dieser Autor zeigte, daB durch 1njektion von EiweiB eine Steigerung der Oxydationsvorgange hervorgerufen wird. Mit dieser Steigerung war stets ein Temperaturanstieg verbunden. Blieb er aus, so war auch keine Anderung des Gaswechsels festzustellen. Folgende Autoren fanden ein Ansteigen des Gaswechsels: F. R. ViNING nach 1njektion von Pferdeserum, J. SANGER nach 1njektion von Milch, R. DITTLER nach 1njektion von Sperma. Gleiche Resultate hatten H. POLLITZER und E. STOLZ. E. AMSTAD zeigte am Berner physiologischen 1nstitut, daB der Grundumsatz nach parenteraler Einfiihrung artfremden EiweiBes erhoht war. Nach den Arbeiten von H. POLLITZER und E. STOLZ wirkt das parenteral eingefiihrte EiweiB auf 2 verschiedene Zentren, auf das Zentrum des Gaswechsels und das Zentrum der Temperaturregulierung. Diese beiden Wirkungen lassen sich bei Kohlehydratkost trennen. Man kann dann die Steuerapparate des Gaswechsels, unabhangig vom Fieber, beeinflussen. E. MEYER stellte ebenfalls Gasstoffwechselversuche an. Nach ihm tritt nach parenteraler EiweiBzufuhr zunachst eine Senkung des Grundumsatzes ein, dann bis zur 10. Stunde eine starke Steigerung. H. HERXHEIMER und seine Mitarbeiter fanden eine deutliche Steigerung des 02-Verbrauches nach anstrengender Ubung. Diese Steigerung war noch nach 24 Stunden nachweisbar und schwand erst am dritten Tage. Der Grundumsatz sank wenige Tage nach Aussetzen des Trainings. Auf Grund friiherer Versuche hatte ich den SchluB gezogen, daB leistungssteigernde Spaltprodukte ein wesentliches Forderungsmittel aIImahlicher Hoherleistung, wie sie im Training zum Ausdruck kommt, sind!. Hier sind auch Versuche von BELHRADEK zu erwahnen, 1

THAL.

Training im Lichte der Immunitatslehre. Festschrift fUr J. Leipzig: Georg Thieme 1906.

WEICHARDT, W.:

ROSEN-

22

WOLFGANG WEICHARDT:

der Kaulquappen mit tetanisierten Froschmuskeln fiitterte. Als Kontrolle dienten gleiche Tiere, die mit Ruhemuskeln gefiittert wurden. Eine Beschleunigung des Wachstums trat bei den mit tetanisierten Muskeln gefiitterten Tieren ein, so daB auch hier die aktivierende Wirkung der Spaltprodukte zum Ausdruck kommt. Diese Versuche wurden von SIEBERT und PETOW an der Hlsschen Klinik bestatigt. Diese Autoren betonen, daB in der Saurewirkung die Ursache des Wachstumsunterschiedes nicht gesucht werden kann. Sie sehen das wirksame Agens der Zellstimulation gemaB den WEICHARDTschen Anschauungen in der aktivierenden Wirkung der hohermolekularen Abbauprodukte. Nach H. VOLLMER muB man nach Proteininjektionen eine anfangliche acidotische Phase unterscheiden, die spater in eine a)kalotische umschlagt. In dieser ist die oxydative Zellfunktion gesteigert. Nach SINGER sind derartige Erscheinungen auf eine Beschleunigung des Abbaues in den peripheren Geweben zuriickzufiihren. E. MAYER fand, daB ebenfalls eine charakteristische Beeinflussung des Stoffwechsels nach Proteininjektionen stattfindet: durch die parenterale EiweiBzufuhr wurde der Grundumsatz meist zunachst fiir wenige Stunden gesenkt, dann trat - etwa bis zur 10. Stunde - eine starke Steigerung ein. Die Zeit und das AusmaB der Reaktion sind auch hier wieder von zwei Faktoren, dem Zustande des Versuchsindividuums und der ReizgroBe des injizierten Praparates abhangig. W. LIPSCHITZ und R. BIELING arbeiteten Methoden aus, durch Reduktion des m-Dinitrobenzols, bzw. des Anthrachinons Stoffwechselvorgange in der Zelle zu verfolgen. Diese Methoden haben sich als brauchbare Priifungen von oxydoreduktiven Vorgangen in der Zelle bewahrt. Bemerkenswert fiir unsere Zwecke ist, daB die atmunrJsfordernden Korper, die sich allenthalben in Gewebsextrakten und auch in Bakterienkulturen finden, keineswegs identisch sind mit wachstumsfordernden bzw. als Vermehrungsreiz wirkenden Korpern, die ebenfalls in Extrakten lebender Gewebe vorkommen (s. S. 53). Das gleiche gilt auch von den hemmenden Substanzen. Nach den in dieser Monographie vielfach hervorgehobenen Gesichtspunkten ist eine Trennung dieser Wirkstoffe in fOrdernde oder hemmende nicht ohne weiteres moglich. Ob "eine Forderung oder Hemmung eintritt, wird vielfach von dem Zustande des verwendeten Objekts und der Menge des zur Verwendung gelangten Wirkstoffes abhiingen. Mit den Methoden von W. LIPSCHITZ und R. BIELING arbeiteten auch H. LOHR und A. GOTTSCHALK. Nach ihnen sind die oxydoreduktiven Prozesse auf Leber- und Muskelzellen beim Meerschweinchen zwischen der 12. und 36. Stunde nach Caseosaninjektion (HEYDEN) gesteigert. Setzte man zu Leberund Muskelzellen normaler Meerschweinchen Serum unspezifisch vorbehandelter Tiere, so wurde die Gewebsatmung ebenfalls betrachtlich vermehrt, und zwar in den Leberzellen noch mehr als in den Muskelzellen. Die Autoren schreiben den Produkten gesteigerter dissimilatorischer Tatigkeit diese Wirkung zu. Nach GOTTSCHALK iiben Gewebs- und Zellsafte, ebenso wie eiweiBfreie Extrakte aus Geweben in optimaler Konzentration einen steigernden EinfluB auf den Zellstoffwechsel aus. Mittels der LIPscHITzschen Reduktionsmethode von m-Dinitrobenzol stellte H. LOHR vergleichende Versuche an und fand, daB der Steigerung des Gaswechsels im Gesamtorganismus eine Vermehrung der Oxydationen

mer die Grundlagen der unspezifischen Therapie.

23

in den einzelnen Zellen parallel geht. Ganz im Gegensatz dazu steht der Peptonshock und der anaphylaktische Shock. Hier ist die Oxydation der Zellen durchgehends gehemmt 1. An der medizinischen und chirurgischen Klinik in Kiel untersuchten M. BURGER und M. GRAUHAM mittels Stoffwechselversuchen die Beeinflussung durch den postoperativen EiweiBzerfall. Nach den Autoren bilden sich proteinogene Toxine im AnschluB an Operationen. Je nach der Menge und Neubildung, z. B. von groBen granulierenden Flachen, ist die Wirkung verschieden. In leichteren Fallen treten lediglich postoperatives aseptisches Fieber und postoperative Leukocytose auf. In schweren Fallen kommt es zu Intoxikationserscheinungen, die durch postoperative Albuminurie und schwere Enterokolitiden gekennzeichnet sind. Es konnen Wundkachexie und langsames Siechtum die Folge sein (proteinogene Kachexie, SCHITTENHELM-WEICHARDT). Aus dem chirurgischen Schrifttum sind besonders die Versuche W. v. GAZA>; zu nennen, der den Stoffwechsel am Wundgewebe untersucht hat und zu dem Schlusse kam, daB vor allen Dingen die bei den Prozessen der Autolyse entstehenden Spaltprodukte fiir die Wundheilung und Regeneration in Frage kommen. Hierher gehoren auch die Studien E. LETTERERS. Der Verfasser kommt zu dem SchluB, daB J;lach Proteineinspritzungen eine omnicellulare Aktivierung zustande kommt. Es findet eine vermehrte Abgabe von Globulinen an das Blut statt. Diese entspricht einer Verschiebung im ZelleiweiB selbst zugunsten des Globulins und ist nach LETTERER der Grund dieser Erscheinungen. Nach diesem Autor liegt also die Stelle der Globulinvermehrung in der Zelle selbst, die der Spender des vermehrten Fibringlobulins und Albumins ist, und zwar in der Reihenfolge, daB das Fibringlobulin als unstabilstes EiweiB vorangeht und das Albumin als stabilstes und am meisten disperses abschlieBt. W. BUNGELER untersuchte an der wei Ben Maus die Beeinflussung des Gewebsstoffwechsels durch Histamin: nach Injektion kleiner Dosen (etwa 1/10 der Dosis letalis) ist eine deutliche Steigerung der Leberatmung festzustellen. Das Maximum wird im Verlaufe der 1. Stunde nach der Injektion erreicht, nach 2-3 Stunden Riickkehr zur Norm. Injektion groBer Dosen von Histamin dagegen fiihrt zur Hemmung des Leberstoffwechsels. Der Stoffwechsel der Leber und Niere nach intravenoser und peroraler Zufuhr von Wasser und Ringedosung wird ebenfalls beeinfluBt, und zwar findet nach BUNGELER eine starke Steigerung der Atmung von Leber und Niere statt, besonders nach intravenoser Injektion. Man muB also - wie BUNGELER mit Recht hervorhebt - diese stoffwechselsteigernden Wirkungen des Wassers allein kennen, wenn man die Beeinflussung des Organstoffwechsels durch verschiedene in Wasser gelOste Substanzen erforschen will. J. VORSCHUTZ stellte Untersuchungen an roten Blutzellen an und fand, daB nach Proteininjektionen absolute EiweiBvermehrungen und dann -verminderungen eintreten. Durch die Versuche dieses Autors wird also eine bestimmte Veranderung der Zelle in der Aktivierungsperiode direkt nachgewiesen. MEYER-BISCH bestimmt den Neutralschwefel und sieht in ihm einen feinen Indicator quantitativer Veranderungen des EiweiBstoffwechsels. Er konnte nach EiweiBinjektionen eine erhebliche Veranderung dieses Stoffwechsels nachweisen. 1 Eine gute Beschreibung dieser Technik findet sich in der "Klinischen Laboratoriumstechnik" von BRUGSCH-SCffiTTENHELM, 2. Auf!., Bd.2, S.1176/77. 1924.

24

WOLFGANG WEICHARDT:

Ferner sind die Versuche K. W ATENABEs an Ratten wesentlich. Er spritzte diese mit Pferdeserum ein und analysierte behandelte und nichtbehandelte Tiere. Er bestimmte Gesamtstickstoff, EiweiB, Fett, Phosphorsaure, Calcium und den Wassergehalt. Er kam zu dem Resultat, daB die Zellfunktionen durch die parenterale Einverleibung von Proteinen angeregt werden, der N-Stoffwechsel wird beschleunigt. Es wird Dissimilation und Assimilation gefordert. Des ofteren ist der Nachweis gefUhrt worden, daB die stickstoffhaltigen Spaltprodukte des EiweiBes die Intensitat des Stoffwechsels steigern konnen. Hier sei auf die Versuche von J. LUSK hingewiesen, der diesen Nachweis fur Aminosauren fUhrte. Ein Ansteigen des Aminosaurespiegels nach Caseosan wies G. WOLPE nacho Nach seiner Ansicht findet der EiweiBzerfall durch Anregung der Fermentbildung statt, die gegen parenteral eindringende organische Substanzen, Z. B. Krankheitserreger, gerichtet ist. Der Autor konstruiert einen Zusammenhang zwischen der Starke der Abwehrkriifte des Organismus und der Hohe des Aminosaurespiegels. Auch A. CARREL fand anlaBlich seiner Studien an explantiertem Gewebe, daB, wenn zu Spaltprodukten reiner Proteine Glykokoll und Nucleinsaure gesetzt wurden, die nutritive Fahigkeit des Gemisches fUr das Wachstum von Sarkomfibroblasten geeigneter war und die Lange des Lebens der Gewebe zunahm. Nach diesem Autor wird durch EiweiBinjektionen ein Reiz auf die Leuko~ cyten ausgeubt. Diese geben "Trephone" an das Plasma abo Die Wirkung dieser Stoffe besteht in einer Schwachung der wachstumshemmenden Krafte des Serums. Derartige wachstumshemmende Stoffe nehmen im Alter zu. Man gibt also durch Leukocytenreizung dem Serum gewissermaBen die Eigenschaften des Jugendzustandes wieder. N ach B. BUSSON entfaltet das retikuloendotheliale System nach EiweiBinjektionen eine groBere Tatigkeit. Ferner sind die Lymphdriisen nach diesem Autor dann hyperaktiv. W. BUNGELER untersuchte den Organstoffwechsel nach parenteraler Reizkorperzufuhr mit der Methode von W ARBURG und verglich die Anderung der Atmung und Garung gleichzeitig mit dem mikroskopischen Bilde. Aus seinen Untersuchungen geht hervor, daB Leistungssteigerungen, die sich durch eine Erhohung der Gewebsatmung kennzeichnen, abhangig sind von der Art des Reizkorpers, von seiner Menge und der besonderen Struktur der kolloidalen Losung. Meist laBt sich eine schnell vorubergehende Senkung des Stoffwechsels (der Atmung und der Garung) feststellen, die nach kurzer Zeit, je nach der Art der verwendeten Reizkorper, in eine verschieden lang andauernde Stoffwechselsteigerung ubergeht. Die starkste Steigerung der Atmung war mit der kolloidalen Eisenlosung "Siderac" der Firma Promonta zu erzielen. Hier blieb auch die anfanglich nachzuweisende Hemmung der Stoffwechselvorgange aus. Bei wiederholten und groBen Dosen von Reizkorpern sinkt die Atmung unter die Norm, es steigt aber die anaerobe Glykolyse. Die anatomischen Veranderungen, die hiermit verbunden sind, bezeichnet BUNGELER als Endothelaktivierung. Dies ist ein Zustand, der mit einer akuten exsudativen Entzundung verglichen wird. Nach mehrfachen Einspritzungen kam es zur Wucherung im Endothel, zu Atmungshemmungen und zu erheblicher Steigerung des Spaltungsstoffwechsels. Dieser Zustand entspricht dem eines regenerativen Vorganges.

Uber die Grundlagen der unspezifischen Therapie.

25

Verfasser vergleicht die Wirkung parenteral einverleibter Reizkorper yom anatomischen und stoffwechselchemischen Standpunkte aus mit einer leicht verlaufenden und zeitlich eng zusammengedrangten Entziindung des gesamten Endothels, vorzugsweise des Retikuloendothels. Unter den anatomischen Veranderungen ist vor allem die Veranderung der Niere hervorzuheben, deren Glomeruli im Anfang stark anschwellen, spater kommt es zur Retraktion der Glomeruli, und im Kapselraum befindet sich Fliissigkeit. Die Endothelaktivierung in den meisten Organen ist vor allem charakterisiert durch eine Schwellung, die sehr hochgradig sein kann. 4. Verschiedene Reizwirkungen. EinflufJ auf die blutbildenden Organe. W. WEICHARDT nahm die vermehrte Milchsekretion bei Ziegen unter bestimmten Kautelen nach parenteraler Einverleibung von EiweiBen als MaBmethode. Die gleiche Beobachtung wurde spater von klinischer Seite bei stillenden Frauen gemacht. Ferner wurden nach Injektion von EiweiBen vermehrte Speichel-, Magensaft-, Pankreas- und Tranensekretion, ferner vermehrter GallefluB (L. ASHER) beobachtet. HEIDENHEIM sah vermehrte Lymphbildung infolge Anregung der Sekretion der Capillarzellen. Der am leichtesten zu verfolgende Ausdruck einer unspezifischen Leistungssteigerung im Organismus nach parenteraler Einverleibung von EiweiBen ist das Auftreten der Leukocytose. Es sei auch an dieser Stelle wieder darauf hingewiesen, daB bier nur ein Symptom vorliegt, das nicht als MafJmethode des Gesamteffektes gebraucht werden kann. Das reaktionsfabige Knochenmark antwortet mit einer FunktionBsteigerung des myeoliden und erythroblastischen Systems. Nach Injektion von Peptonen und BakterieneiweiBen wird meist zunachst Leukopenie beobachtet, die gewohnlich 1-2 Tage anhalt. Injiziert man natives EiweiB, so dauert der Abfall der Leukocytose meist nur wenige Stunden. Es folgt dann eine Leukocytose mit starker Vermehrung der Neutrophilen, wobei die Lymphocyten und Eosinophilen an Zahl abnehmen. Es treten zahlreiche Jugendformen und Vorstadien der Polymorphkernigen auf. Diese letzte Phase tritt nach Injektion von Pepton und BakterieneiweiB viel spater auf. Hier ist neben der Reizung des Myeloidsystems auch eine solche des erythroblastischen wahrzunehmen 1. Von einer "Aktivierung mesenchymatischer Zellen" hatte H. SIEGMUND gesprochen. Diese wird durch erhohte Resorption gekennzeichnet. Ferner findet eine Neubildung von Zellrassen und -typen aus indifferenten pluripotenten Keimlagern in der Nahe der Blutbahn statt und es entstehen myeloische oder myeloischerythroblastische oder lymphocytare Zellen. Diese konnen dann in die Blutbahn gelangen. Zweifellos spielt das retikulo-endotheliale Stoffwechselsystem (L. ASCHOFF, A. KIYONO), das ja fiir Immunitatsvorgange im allgemeinen sehr wichtig ist, auch bei Reaktionen auf unspezifisch-therapeutische Einfliisse eine groBe Rolle. 5. Steigerung von Reparationsvorgangen. A. P. DUSTIN und CH.A.:PEAU verfolgten die omnicellulare energetische Welle der Antikorperbildung nach intraperitonealer Injektion von Proteinen direkt 1 Zit. nach LOHR in BRUGSCH-SCIDTTENHELM: Klinische Laboratoriumstechnik, Bd.2, S.1215.

26

WOLFGANG WEICHARDT:

morphologisch. Sie fanden in allen Organen mit teilungsfahigen Zellen (Milz, Thymus usw.) starke mitotische Zellneubildung. O. KAUDERS und E. STRANSKY setzten experimentell Schadigungen von gewisser GroBe und studierten die Reparationstendenzen an Kontrollen einerseits und an mit Proteinen injizierten Tieren andererseits. Als Testobjekt dienten ihnen die Brachialnerven des Meerschweinchens, die sie durch Blei in zuverlassig nachweisbarer Weise vergifteten. Die eine Halfte der mit Blei vergifteten Tiere injizierten sie jeden 2. Tag mit Milch in Dosen von 1-2,5 ccm intramuskular. Die mit Milch behandelten Tiere lebten langer als die Kontrollen. Es war also die Widerstandskraft des Organismus erhoht. Charakteristisch waren die Unterschiede der histologischen Veranderungen. Bei den mit Milch injizierten Tieren zeigten sich geringere Myelinzerfallserscheinungen. Die Reparationstendenzen waren bei den behandelten Tieren sowohl im Nervenparenchym als auch im Zwischengewebe weiter fortgeschritten. Blutaustritte und Bindegewebsinfiltrationen waren bei den behandelten Tieren geringer als bei den Kontrollen. Auffallig war die Beschleunigung der Abfuhr der Markzerfallsprodukte bei den mit Protein behandelten Tieren. Das ist auch fiir die menschliche Pathologie wichtig. Die Verfasser weisen auf die chronischen Zerfallsprozesse bei degenerativen und diskontinuierlichen Neuritiden oder bei Tabes hin. Bei letzterer Erkrankung steht der mit Markscheidenzerfall einhergehende ProzeB gegeniiber dem entziindlichen im Vordergrunde. So ist es verstandlich, daB die Reparationstendenz bei diesen Erkrankungen durch optimal geleitete unspezifische Therapie gefordert werden kann. Dazu kommt die Wirkung auf den Gesamtorganismus, der ja bei Paralyse, wie KAUDERS und STRANSKY betonen, ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen wird, so daB hier die von WEICHARDT angestrebte omnicellulare Leistungssteigerung von Nutzen sein muB (s. Malariabehandlung). Auf weitere morphologische Einzelheiten einzugehen, ist nicht der Zweck dieser Abhandlung. Es sei auf die Arbeiten des B. FrscHER-WAsELschen Institutes (A. W ALD, W. HESS, W. BUNGET_ER, A. GOBEL), ferner auf die Arbeiten von H. SIEGMUND hingewiesen. Hier seien noch die Herdreaktionen bei unspezifischer Immunisierung besprochen: Wir haben es dabei mit Zellen zu tun, die bereits erhohte Empfindlichkeit gegen die verschiedensten Zustandsanderungen erlangt haben, wie z. B. die sensibilisierten Zellen des tuberkulosen Herdes. Diese reagieren auch auf unspezifische Einwirkungen, so auf die Injektion von Proteinen, besonders, u. U. mit Zerfall. Immerhin hat diese erhohte Ansprechbarkeit nicht den Charakter einer spezifischen Reaktion. Die Spezifitat, z. B. von Tuberkulin, ist dadurch gekennzeichnet, daB eine Reaktion bei auBerordentlich hohen Verdiinnungen eintritt. -o-brigens kann die Herdreaktion, besonders bei Erkrankungen der Raut auch nach unspezifischer Injektion verhaltnismaBig stark sein, wahrend die Allgemeinerscheinungen fehlen. Oft zeigen sich die entziindlichen Abwehrprozesse bei der Herdreaktion in optimaler Weise, so daB eine Heilwirkung zustande kommt. Nur in diesem FaIle kann von einer Heilentzundung gesprochen werden, es liegt nur dann eine zweckmaBige Abwehrreaktion vor. Nach L. ASCHOFF handelt es sich um eine defensive Entziindung. Werden die entziindlichen Prozesse zu hochgradig, so wird der infektiose Vorgang im Gegensatze dazu gefordert. Es kommt also auch hier lediglich auf die Dosierung an und nur der erfahrene Kliniker, der den zu

27

Uber die Grundlagen der unspezifischen Therapie.

beeinflussenden Fall, seinen Verlauf und seine Reaktionsstiirke beurteilen kann, wird meist die richtige Dosierung, die von diesen Faktoren abhiingt, treffen. Nur er kann die Dosis parenteral einzuverleibendel' Proteine richtig bemessen. Uber Rerdreaktionen bei Malaria s. S. 38.

6. Ein Kriterium allein ist fur den Gesamteffekt nicht mapgebend. A. SCIDTTENHELM und W. WEICHARDT wiesen hauptsiichlich auf diesen Umstand hin. Wesentlich ist, daB die eine oder andere Organleistung mehr oder weniger in den Vordergrund tritt. Das hiingt zweifellos von der jeweiligen Konstitution und dem Stadium des Krankheitsprozesses ab, der fUr die Wirkung der in Frage kommenden Spaltprodukte maBgebend sein wird. ,. 1"fla lU IIl :

'llif [0..

.,.~ 107 entsprechen. Chemische Untersuchungen sollten daher nicht an nicht bloB gereinigten, sondern an sehr stark eingeengten und yom Suspensionsmittel vollig befreiten Praparaten angestellt werden, was bei Bakteriophagen nach einer neueren Mitteilung von M. SCHLESINGER moglich zu sein scheint. Die von SCHLESINGER in Mengen von 0,5-2,0 mg gewonnenen Endprodukte sollen die Leibessubstanz der Phagen in solchem Reinheitsgrade reprasentieren, daB sie sich fiir "viele chemisch-analytische Zwecke" eignen; ihr EiweiBgehalt wurde jedoch meines Wissens bisher nicht gepriift.

Filtrierbare Virusarten.

127

JedenfaIls liegt aber das "eiweififreie Virus" derzeit im Bereiche des Moglichen, und es braucht nicht auseinandergesetzt zu werden, welche Tragweite ein einziger, zuverlassiger Befund dieser Art besaBe. Nimmt man vorlaufig an, daB aile Virusarten EiweiB enthalten, so laBt sich doch uber die Beschaffenheit dieser Virusproteine nichts aussagen und damit bleibt ein wichtiger Punkt der ganzen Diskussion unerledigt. Gibt es doch EiweiBkorper von relativ niedrigem Molekulargewicht (Protamine, Histone usw.) und aus der Annahme, daB fur das Leben hochmolekulares EiweiB erforderlich sei, erwachsen nur neue Schwierigkeiten. Nach einer (hier abgekurzt wiedergegebenen) ZusammensteIlung von 1. R. MARRAOK sind fur hochmolekulare Proteine folgende Zahlen ermittelt worden: Dazu kommen die RieTabelle 2. senmolekule der respiratoMolekularMolekulProtein rischen Proteine. N ach THE gewicht durchmesser SVEDBERG ist das Molekulargewicht des Helix - Hamo- Ovalbumin . . . ,up, 34,000 I 4,34 35,000 4,36 p'f1 cyanins mit 6600000, der Protein von BENCE-JONES Hamoglobin . 68,000 \ etwa 5,5 f1f1 Molekeldurchmesser mit et- Serumalbumin etwa 68,000 ? etwa 160,000 ? wa 24ftft anzusetzen. AIle Euglobulin 7,88 f1p' 208,000 I diese Daten gewahren schon Armandin Edestin . 208,000 7,92 f1f1 an sich einen weiten Spiel- Legumin . 208,000 7,92 ,up, .I raum, der fur die Theorie der Virusarten beliebig ausgenutzt werden kann. Wenn manche Autoren das Molekul des Ovalbumins oder des Hamoglobins als Grundlage ihrer Berechnungen wahlen, ist dies ebenso willkurlich wie etwa das Molekulargewicht von 12 000, das DEGKWITZ als Minimum betrachten mochte. Es sei ferner erwahnt, daB die Zuverlassigkeit der zitierten ziffernmaBigen Angaben von H. STAUDINGER bezweifelt wird, der es fur wahrscheinlich halt, daB man durch Ermittelung der TeilchengroBe in einer EiweiBlosung nicht das wahre (normale) Molekulargewicht bestimmt, sondern die AusmaBe von Aggregaten, zu welchen sich die normalen Molekule durch koordinative Bindungen zusammenschlieBen. Abgesehen von diesen Unsicherheiten hat man ja nicht nur die Grofie, sondern auch die Gestalt von Viruspartikeln und EiweiBmolekulen in gegenseitige Beziehung zu setzen. Am einfachsten ware der Fall, werm man die GewiBheit hatte, daB es sich hier wie dort um geometrische (isodiametrische) Kugeln handelt. Das trifft aber nicht zu. Molekel bzw. Micellen ge16ster Proteine konnen nicht nur kugelige, sondern auch stabchenformige oder fadenformige Gestalt besitzen (G. BOEHM und R. SIGNER) und fur die Elemente des Mosaikvirus der Tabakpflanze haben TAKAHASHI und RAWLINS mit Hilfe der gleichen optischen Methode (Stromungsanisotropie) die Stabchenform zwar nicht exakt bewiesen (H. BEOHHOLD), aber doch wahrscheinlich gemacht. Die groBeren Virusarten, die durch die Photographie im ultravioletten Licht noch morphologisch erfal3t werden kormen, sind zwar rundlich konfiguriert (BARNARD) und dies soll auch fUr Bakteriophagen mit kleineren Dimensionen gelten (M. SOHLESINGER); doch laBt es sich auch hier nicht entscheiden, ob die Elemente Kugeln oder Scheiben sind. Weiters hat man zu berucksichtigen, daB fur einen Organismus auBer dem EiweiB noch andere lebenswichtige Stoffe (Wasser, Salze, Kohlehydrate, Lipoide) in Betracht kommen. Die Notwendigkeit der Lipoide ergibt sich aus der Annahme, daB jeder Protoplast eine M embra:~ oder Grenz8chicht besitzen muB, in welcher die wasserunloslichsten Bestandteile

128

R. DOERR:

der Zelle - das sind eben die Lipoide - angehauft sind. Diese Auffassung wird bekanntlich vielfach bestritten; aber R. DEGKWlTZ hat sich emeut auf Grund physikalischer Argumente fUr ihre allgemeine Giiltigkeit eingesetztl. Meines Erachtens kommt man iibrigens auch vom biologischen Standpunkt ohne die Annahme solcher, den protoplasmatischen Inhalt abgrenzender und gegen die AuBenwelt schiitzender Schichten nicht aus. DEGKWlTZ schatzt die Dicke einer als "bimolekularer Fettfilm" vorgestellten Lipoidmembran unter gewissen hypothetischen Voraussetzungen auf 5 p,p,. Ob die Berechnung richtig ist, erscheint fraglich. Aber man sieht ohne weiteres ein, daB die Existenz lipoider Grenzschichten den Raum fUr das eigentliche Zellprotoplasma einengen wiirde, und zwar in um so hoherem Grade, je starker der gesamte Durchmesser absinkt und daB schlieBlich die Vorstellung eines von einer Membran umhiillten Protoplasten vollig unhaltbar wird.

Das Problem, ob die AusmaBe der kleineren Virusarten (zweite Gruppe der Tabelle 1) das Raumerfordernis des EiweiBes befriedigen, ist also mit einer Reihe von ungewissen bzw. nicht bestimmbaren Urteilsfaktoren belastet. Es wird seit ERRERA in die Frage gekleidet, ob eine geringe Zahl von EiweiBmolekillen ausreicht, um alle jene Phanomene zu ermoglichen, die sich in unserem Denken zum Begriff des Lebens integrieren. T. H. RIVERS auBert sich hierzu in einem fUr weitere naturwissenschaftliche Kreise bestimmten Aufsatz: "I am glad, that I am not constrained to answer this question". 1m Gegensatz zu dieser opportunistischen Einstellung bekenne ich mich zu der Pflicht, aufgerollte Probleme, sofern sie an sich begriindet sind, zu erortern und, falls eiI).e sichere Entscheidung momentan nicht zu erhoffen ist, wenigstens die Wege aufzuzeigen, die zu einer provisorischen oder definitiven Losung fiihren konnten. Wohl aber muB man sich dariiber klar werden, daB die obige Formulierung der Frage implizite die Fiktion enthalt, als ob der Begriff eines Lebewesens mit einem bestimmten Minimum von EiweiBmolekiilen kompatibel sei. Davon kann jedoch, wenn man an der Zelle als Grundform aller Organismen festhalt, keine Rede sein. Der erkenntnistheoretische Sachverhalt muB vielmehr dahin prazisiert werden, daB unsere Vorstellungen von der Organisation eines Lebewesens um so weniger anwendbar sind, je starker die Zahl der in den fraglichen Elementen moglicherweise vorhandenen EiweiBmolekiile reduziert wird. Es erscheint uns dann in zunehmendem Grade undenkbar, daB sich aus so wenigen letzten Einheiten der Materie aIle jene Partialstrukturen aufbauen, welche als substantieIle Trager der mannigfaltigenLebensfunktionen (Atmung, Assimilation und Dissimilation, Vermehrung, Vererbung) fungieren sollen, wenn wir eben nicht die "Organisation" als Kriterium jedes "Organismus" iiber Bord werfen wollen. Um diesem Dilemma zu entrinnen, hat man, lange bevor die iiberraschenden Resultate eigentlicher Messungen vorlagen, zwei hypothetische Auswege 2 beschritten, die in der Literatur die Titel des Contagium vivum fluidum und des Contagium inanimatum fiihren. Die Konzeption des Contagium vivum fluidum stammt von dem hollandischen Forscher M. W. BEIJERINCK. Wie aus seinen Ausfiihrungen klar hervorgeht, war die Bezeichnung "fliissig" als Gegensatz zu "corpuscular" gemeint. Diese Unterscheidung hat jedoch keinen Sinn. Corpuscular sind auch die EiweiBmicellen oder die Zuckermolekille in den LOsungen dieser Substanzen, sie lassen sich ebenso wie die Viruselemente durch Filtration oder durch die Zentrifuge 1 "Lipoide und lonen", Wissenschaftliche Forschungsberichte, Naturwiss. Reihe, Bd. 31. 1933. 2 Die Idee, daB die Materie in winzigen Lebensformen "dichter gepackt" sein konnte, darf man a limine ablehnen. Schon die schwere Zentrifugierbarkeit beweist das Gegenteil und direkte (am Herpesvirus und ·an Bakteriophagen ausgefiihrte) Bestimmungen des spezifischen Gewichtes ergaben nur Werte von 1,14 bis 1,15 (zit. nach M. SCHLESINGER).

Filtrierbare Virusarten.

129

aus ihren Losungsmitteln abscheiden (BECHHOLD, THE SVEDBERG, LOBRY DE BRUYN). Wellli bis heute immer wieder betont wird, daB alle Virusarten aus Teilchen (Partikeln oder KorpuskehI) bestehen, ist nicht einzusehen, welchen prinzipiellen Wert diese Aussage haben solI, da von den mikroskopischen Teilchen angefangen bis zu den "echten" Losungen herab kontinuierliche Abstufungen des Verteilungszustandes oder Dispersitatsgrades existieren (THE SVEDBERG). Will man die Auffassung BEIJERINCKS adoptieren, so miiBte sie so formuliert werden, daB die Virusarten oder richtiger bestimmte Virusarten molekulardispers bzw. Aggregate von gleichartigen und voneinander unabhangigen Molekulen und gleichwohl belebte Stoffe sind. Damit wiirde die bisherige Vorstellung vom Leben als einer unendlich komplizierten, einer individuellen Ganzheit unterstellten Korrelation von Partialstrukturen und Partialiunktionen aufgegeben und der Unterschied zwischen "belebt" und "unbelebt" in die niedrigsten Einheiten der Materie verlegt worden. Man landet also mit anderen Worten beim "lebenden Molekiil" und die Zelle, die einfachste, optisch faBbare Lebensform ware bereits als ein System von Lebenseinheiten zu betrachten. So absurd als dies vorerst scheinen mag, ist dieser Gedanke nicht. Die Vererbungsforschung tragt keine Bedenken, in dem winzigen Raum eines Chromosoms je nach dem durch Beobachtung und Experiment geforderten Bedarf beliebig viele Gene d. h. substantielle Trager der Erbanlagen unterzubringen. Der maximale Durchmesser dieser Gene wurde mit 20-80 f-lf-l berechnet (zit. nach FERGUSON), wiirde also dem GroBenbereich der Viruselemente entsprechen; es wird jedoch zugegeben, daB die errechneten Werte zu groB, d. h. daB die Gene kleiner sein konnten. Was sind aber die Gene ~ Die Vererbungswissenschaft schreibt Ihnen einen hohen Grad von Selbstandigkeit, unbegrenzte Vermehrungsfahigkeit (bei der mitotischen Zellteilung) und Entwicklungspotenzen zu, lauter Eigenschaften, die sie zu Lebenseinheiten stempehI; auf ihre GroBenausmaBe wird dabei keine Riicksicht genommen. Die Analogie zwischen Genen und Virusarten gibt noch zu einer anderen Uberlegung AnlaB. Bei den submikroskopischen Infektionsstoffen konstatieren wir ebenfalls die Phanomene der Vererbung (Konstanz der Arten und Rassen bzw. Typen). Wenn wir sie als Lebewesen auffassen wollen, schrumpfen mit zunehmender Kleinheit dieser Gebilde auch die idioplasmatischen Massen, so daB man schlieBlich bis zum EiweiBmolekiil als Substrat des Erbganges gelangt, drastisch ausgedriickt bis zum monomolekularen Gen. Auch im Hinblick auf die Wandlungen der physikalischen Naturerkenntnis im 20. Jahrhundert wird man kaum soweit gehen diirfen, das lebende EiweiBmolekiil als eine aprioristische Unmoglichkeit ein fiir allemal abzulehnen. Aber diese Hypothese, die sich weder in den vitalistischen noch in den mechanistischen Ideenkreis ohne weiteres einfiigen laBt, erscheint der Biologie der Gegenwart als eine rein spekulative und willkiirliche Aussage, welcher der Wert einer wissenschaftlichen Erklarung nicht zuerkannt werden darf und die man daher nicht erortert, solange eine Aussicht auf Losungen anderer Art besteht. Kann man nun an der Lehre, daB alle Virusarten ohne Ausnahme Lebewesen sind, festhalten und sich trotzdem mit den Dimensionen der zweiten Gruppe der Tabelle 1 in befriedigender Weise abfinden ~ Man stoBt bei einigen Autoren auf den Einwand, daB die MeBresultate zu unverlassig sind, um sie zur Grundlage von biologischen Erwagungen zu machen. Es ware daher rationaler, auf die ziffernmaBigen Angaben kein Gewicht zu legen und die Macht der Analogie mit den mikroskopischen, sicher belebten Ergebnisse der Hygiene. XVI. 9

130

R.DoERR:

Infektionsstoffen riickhaltlos anzuerkennen. Das ist jedoch nicht berechtigt, weil minimale Dimensionen ffir mehrere Virusarten ermittelt wurden und weil die am gleichen Objekt von verschiedenen Autoren erzielten Ergebnisse weitgehend iibereinstimmen, gleichgiiltig ob identische oder differente Methoden zur Anwendung gelangten. Die Technik der Messungen beruht ferner auf denselben Prinzipien wie die GroBenbestimmungen der EiweiBmolekille, die wenigstens zum Teile (Hamoglobin) durch die Resultate der chemischen Analyse (das errechnete Molekulargewicht) kontrolliert werden konnen. Endlich kann man die Tatsache nicht bezweifeln, daB z. B. die Elemente des Hiihnerpestvirus, die wegen ihrer leichten Filtrierbarkeit und ihrer schweren Zentrifugierbarkeit seit jeher als besonders klein galten, noch immer wesentlich groBer sein miissen als jene des Virus der Maul- und Klauenseuche oder als die meisten Bakteriophagenstamme (E. BERGER). Einen anderen Ausweg hat H. BECHHOLD vorgeschlagen. BECHHOLD glaubt auf Grund der von ihm und seinen Mitarbeitern vorgenommenen Bestimmungen annehmen zu diirfen, daB der Durchmesser samtlicher Viruselemente (einschlieBlich der Bakteriophagen) in keinem FaIle 20 ftft unterschreitet. Die prazise Festsetzung eines solchen unteren Grenzwertes erweckt jedoch in Anbetracht der Liickenhaftigkeit der Untersuchungen und der Fehlerquellen der Methodik begriindete Bedenken, selbst wenn man den von BECHHOLD angewendeten Verfahren (Zentrifugiertechnik) einen hoheren Grad von Exaktheit zubilligen will und die Angaben anderer Autoren iiber kleinere AusmaBe (siehe Tabelle 1) vorlaufig als fraglich betrachtet. Abgesehen davon erscheinen jedoch die Schliisse, welche BECHHOLD aus seinem hypothetischen Grenzwert zieht, anfechtbar. BECHHOLD meint, die Frage nach der belebten Natur samtlicher Virusformen konne nunmehr definitiv bejaht werden, da ein kugeliges Gebilde von 20 ftft Diameter etwa 60 EiweiBmolekiile fassen konnte, eine Zahl, die geniige, um demselben einen "komplizierten Mechanismus" zuzuschreiben. Nur ein Lebewesen von der GroBe eines einzigen EiweiBmolekiils bezeichnet BECHHOLD als "schwer vorstellbar", weil man dann die verschiedenen Lebensfunktionen einem Molekiil zuerkennen miiBte. Er sieht also die Schwierigkeiten als beseitigt an, wenn man die verschiedenen Funktionen auf eine Vielheit von Molekiilen verteilt denken konnte, wobei - wie BECHHOLD selbst betont - auch eine kleinere Zahl als gerade 60 ausreichen wiirde. Diese ErmaBigung der urspriinglichen Forderung ERRERAS ist im Grunde nichts anderes als das "lebende EiweiBmolekill" in der maskierten Form einer primitiven funktionellen Differenzierung, ein Gedanke, der meines Erachtens vor der radikalen Losung des mit allen vitalen Eigenschaften ausgestatteten Proteinmolekiils nichts voraus hat (vgl. hierzu auch S. 129). Es ist auch nicht ganz richtig, wenn BECHHOLD das Dilemma "belebt oder unbelebt" ausschlieBlich oder doch in erster Linie als ein "Problem der Dimension" hinstellt, wie ich noch in dieser und in den folgenden Vorlesungen zeigen werde. Bleibt man bei den Dimensionen, so muB objektiverweise auch iiberlegt werden, ob die Viruselemente nicht unter Umstanden kleiner sein konnten als die Messungen vermuten lassen. Das ware in erster Linie dann moglich, wenn die Elemente in den virushaltigen Substraten nicht in freiem Zustande, sondern in sorptiver Bindung an griJ{Jere Partikel vorhanden sind, da man in diesem FaIle nicht die Teilchen des wirksamen Agens, sondern ihre corpuscularen Trager ausmessen wiirde. 1m Vitroversuch konnte die Adsorbierbarkeit verschiedener Virusarten an Erythrocyten, abgetotete Bakterien, Tierkohle, Kaolin, diverse

Filtrierbare Virusarten.

131

Gele usw. durch LAND STEINER und Russ, KRAus, EISLER und FUKUHARA, RHOADS und SABIN, DOERR und SEIDENBERG, G. PYL, E. FRANKEL, ANDREWES, KuGLER und OLITZKI, TANG, MURPHY, HELMER, CLAUDE und STURM U. a. tatsachlich festgestelit werden. DaB derartige Anlagerungen auch im infizierten Organismus stattfinden, steht zumindest beim Hiihnerpestvirus (regulare Adsorption an die Erythrocyten des stromenden Blutes) auBer Zweifel (DOERR und GOLD, DOERR und SEIDENBERG) und beim Virus des Rous-Sarkoms scheinen nach den Untersuchungen von F. PENTIMALLI ahnliche Verhaltnisse zu herrschen. Man kennt ferner Modelle, bei welchen diese Vorgange mikroskopisch sichtbar sind, wie z. B. das Verhalten der Bartonellen im Blute der entmilzten Ratte. Einen interessanten Weg, den freien yom adsorbierten Zustand submikroakopischer Viruselemente zu unterscheiden, haben BECHHOLD und SCHLESINGER eingeschlagen. Sie gehen von der Pramisse aus, daB im FaIle der· Adsorption an corpusculare Virustrager entsprechend den zufalligen Bedingungen dieses Vorganges eine Streuung der TeilchengroBe iiber ein weites Intervall resultieren muBte. Da sie nun fanden, daB die Partikel in den von ihnen untersuchten Proben von Herpesvirus, Vaccine, Hiihnerpestmaterial usw. die gleiche Senkungsgeschwindigkeit zeigen, schlieBen sie, l. daB die Partikel untereinander gleiche GroBe und sogar gleiche Gestalt besitzen; 2. daB sich die Messungen des Teilchendurchmessers auf freie Viruselemente beziehen und 3. daB es sich um Mikroben handelt, wei! gleiche GroBe und Gestalt fiir morphologisch einheitliche ("geformte") Organismen einer Art spricht. Diese Ableitungen erscheinen jedoch gewagt, selbst wenn die mit der Zentrifuge gewonnenen MeBresultate weit exakter waren als sie der Natur der Sache nach sein konnen. Wenn das Adsorbens homodispers ist, wie etwa die Eiweillkorper im Blutserum oder in exsudativen Fliissigkeiten, und wenn die Adsorption annahernd vollstandig und geniigend fest ist, miiBte die "Streuung" ebenfalls vermiBt werden. Es ist ferner nicht richtig, daB Mikroorganismen einer Art durch gleiche GroBe und Gestalt ausgezeichnet sind (man denke nur an den Pleomorphismus der Influenzabacillen, der Meningokokken, der Brucellen u. v. a.), und umgekehrt konnen sicher oder hOchstwahrscheinlich unbelebte Stoffe ala geformte Gebilde von relativ gleichem Habitus auftreten (Malariapigment der Plasmodien, SCRUFFNERsche Tiipfelung der Erythrocyten, Granula der Leukocyten usw.). Geformt, und zwar gleichartig geformt sind schlieBlich auch die Molekel oder Molekiilverbande der Proteine in ihren Losungen (THE SVEDBERG, BOEIlM und SIGNER).

Zweitens ist die Moglichkeit zu beriicksichtigen, daB die Viruselemente in ihren Suspensionsfliissigkeiten nicht monodispers verteilt, sondern zu groBeren Aggregaten zusammengeschlossen sind. In seinen Versuchen mit dem Virus der Maul- und Klauenseuche fand G. FYL, daB man bei der Auswertung ein und derselben Probe hohere Werte d. h. einen groBeren Virusgehalt ermittelt, wenn man das Ausgangsmaterial bei 20 0 C als wenn man es bei 0 0 C verdiinnt. PYL bezeichnet daher dieses Virus als ein temperaturvariables Dispersoid, da er annimmt, daB die Verbande der Viruselemente bei hoherer Temperatur in kleinere Partikel zerfallen und sich bei der Abkiihlung wieder zu groBeren Aggregaten vereinen. Sind die tatsachlichen Beobachtungen und ihre Deutung richtig, so wiirden derartige reversible Prozesse in mancher Hinsicht an die sog. "Micellen" nativer EiweiBkorper und ihre reversiblen Dissoziationen (THE SVEDBERG, H. STAUDINGER) erinnern. Die von FYL aufgeworfene Fragestellung sollte jedenfalis experimentell weiter verfolgt werden, vor aHem in der Richtung, daB man GroBenbestimmungen der kleinsten Viruselemente unter verschiedenen Bedingungen (Variierung der Temperatur, des PH der Suspensionsfliissigkeiten, der Viruskonzentration usw.) vornimmt. Auf die Gefahr der Wiederholung hin muB ich iibrigens nochmals unterstreichen, daB sich die Aussagen von BECHHOLD und SCHLESINGER sowie fast aller anderen Autoren auf die Virusarten der ersten Gruppe der Tabelle 1 beschranken; nicht diese, sondern jene der zweiten Gruppe geben aber noch heute AnlaB zu Erorterungen iiber das Volumerfordernis eines Elementarorganismus. 9*

132

R.DoERR:

Die Hypothese des "Contagium inanimatum" zerhaut den gordischen Knoten der dimensionalen Schwierigkeiten. Sie stellt sich auf vitalistischen Boden, indem sie einen unuberbruckten Gegensatz von "belebt" und "unbelebt" festsetzt und muB daher logischerweise zugeben, daB einem nichtbelebten lnfektionsstoff eines der wichtigsten Kriterien aller Lebensformen, die Fortpflanzung oder die autonome Vermehrungsfahigkeit mangelt. Ohne Vermehrung der lnfektionsstoffe laBt sich aber ihre unbegrenzte Dbertragbarkeit auf keinen Fall erklaren. MuB jedoch die Vermehrung unter allen Dmstanden autonom sein ~ lch habe schon vor geraumer Zeit gezeigt, daB eine bejallende Antwort selbst yom rein theoretischen Standpunkt nicht berechtigt ware. Samtliche Virusarten einschlieBlich der Bakteriophagen vermehren sich in Organismen und es ist daher denkbar, daB diese Organismen bzw. bestimmte Zellen derselben die Massenzunahme des Virus bewirken. Schematisch ausgedruckt wurde sich dieser Sachverhalt in folgender Form darstellen: Die Wirtszellen erkranken, wenn sie durch ein Agens gereizt werden, und eine der Folgen dieser Erkrankung besteht in der Neuproduktion der reizenden Substanz. Wir wollen auf die Wahrscheinlichkeit oder Dnwahrscheinlichkeit eines derartigen Vorganges vorerst nicht eingehen, sondern die unmittelbaren Konsequenzen analysieren, die sich aus der These ergeben. Die erste dieser Folgerungen lautet: Die unbelebte Natur eines lnfektionsstoffes ist auszuschlieBen, wenn derselbe auf "totem" Nahrsubstrat gezuchtet, d. h. zur Vermehrung gebracht werden kann; in diesem Falle darf namlich seine autonome Vermehrungsfahigkeit als gesichert gelten. Trotz aller Dnstimmigkeit der Ansichten wird gerade dieser SchluB allgemein als zwingend betrachtet und stellt das Motiv der unausgesetzten Bemuhungen dar, die verschiedenen Virusarten auf "zellfreiem Material" zu kultivieren. Es ist nun a priori klar, da(3 nur ein positives Resultat Bedeutung haben kann, und zwar selbstverstandlich blo(3 fur die untersuchte Virusart. Die Ergebnisse der Virusziichtung unter Ausschlu13 lebender Zellen waren aber fast durchwegs negativ, und solche Mi13erfolge erlauben eine vierfache, auf zahlreiche Analogien gestiitzte Deutung: 1. Die gepriiften Agenzien sind de facto nicht imstande, sich autonom zu vermehren oder 2. sie besitzen wohl diese Fahigkeit, und es scheitert lediglich der Nachweis derselben, weil a) die beniitzten Medien nicht die erforderlichen Bedingungen erfiillen, b) weil die Vermehrung an das Vorhandensein von Substanzen gebunden ist, welche nur von lebenden Zellen abgegeben werden oder c) weil es sich um obligate Zellschmarotzer handelt. Welche von diesen M6glichkeiten im Einzelfalle zutrifft, vermag man nicht sicher zu entscheiden (vgl. hierzu die zweite Vorlesung). Weit gr613eren Urteilswert besitzt eine andere Ableitlmg. 1m Sinne der Hypothese soIl das Virus ein Erzeugnis gereizter bzw. erkrankter Wirtszellen sein. Solange man vom Virus selbst ausgehen mu13, um den Kreisproze13 von Viruswirkung und Virusvermehrung in Gang zu bringen, hat man nichts anderes vor sich als die Analogie zum Verhalten mikroskopischer Elementarorganismen in endlosen Ubertragungsketten, in welchen die durch die Ubertragung bedingte "Verdiinnung" durch autonome Vermehrung kompensiert oder iiberkompensiert wird. Eine au13ere Notwendigkeit, die Virusproduktion den Wirtszellen anzulasten, besteht nicht. Ganz anders gestaltet sich die Sachlage, wenn es gelingt, die Virusproduktion in einem normalen Organismus durch unspezi/ische Ein/liisse auszul6sen, z. B. - um einen konkreten Fall zu nennen - durch die Einwirkung von sicher nicht belebten und nicht ubertragbaren Sto//en.

Bezeichnet man die primar auslOsende Substanz mit A, das ubertragbare Virus mit x, so wurde der durch A ausgeubte Reiz die Zelle zur Produktion von x veranlassen, womit auch die Fortsetzung der lnfektkette (durch Dbertragung von x) erklart ware. Dnter diesen Dmstanden muBte man sich zur Annahme eines Contagium inanimatum bequemen, einmal auf Grund der Versuchs-

Filtrierbare Virusarten.

133

anordnung selbst, dann aber auch, well wir an dem Satze von der Kontinuitat oder - wie man sich anders ausdriicken kann - von der "Unerschaffbarkeit" des Lebens ("omne vivum ex vivo") festhalten. Nicht ohne Absicht sage ich, daB man sich zu dieser Konzession bequemen miiBte. Denn die direkte Beobachtung lehrt ja ganz unzweideutig, daB nach der Einfiihrung eines bestimmten Virus in einen empfanglichen Organismus stets nur dieses, nicht aber irgendein anderes geblldet wird; selbst wenn die Hypothese richtig ware, bestiinde somit zwischen Reiz und Reizfolge eine streng spezifische Beziehung, und diese Regel wiirde durch den postulierten Vorgang durchbrochen. Lassen wir aber zunachst die Tatsachen zu W orte kommen. Bei einem hohen Prozentsatz gesunder Menschen kann man durch die verschiedenartigsten unspezifischen Eingriffe willkiirlich einen typischen Herpesausschlag provozieren, und in den Efflorescenzen findet sich ein submikroskopisches Agens, das Herpesvirus, das sich mit Erfolg auf andere Menschen, auf Kaninchen oder Meerschweinchen in langen Passagereihen verimpfen laBt. Gegen dieses Paradigma kann indes der Einwand erhoben werden, daB die auBerlich gesunden Versuchspersonen latent infiziert sein k6nnen, daB also das Herpesvirus in ihrem Organismus schon vorhanden ist und durch den unspezifischen Eingriff nur zur Vermehrung und pathologischen Auswirkung gebracht wird. Es ist allerdings nur in ganz vereinzelten Fallen gelungen, im Blute oder im Liquor herpesfreier Individuen Herpesvirus mit Sicherheit nachzuweisen, was mit der groBen Zahl von Menschen, bei denen der Herpes provoziert werden kann, in Widerspruch steht. Vielleicht hat man aber das Virus an unrichtiger Stelle gesucht 1 oder seine Menge (Konzentration) ist im latent infizierten Menschen so gering, daB die Methoden des Nachweises versagen 2. Es ware 1 Spontane Rerpesrezidive treten meist an ein und derselben Kiirperstelle auf, auch wenn die Lokalisation atypisch ist. Die gleiche Tendenz zu iirtlichen Rezidiven zeigt der durch willkiirliche Inokulation von Virus erzeugte Impfherpes des Menschen; da die Impfstelle beliebig gewahlt werden kann, tritt hier die lokale Gebundenheit des Rezidivs besonders deutlich zutage (NICOLAU und BANCIU, F. FREUND, ZURUKZOGLU und RRUSZEK). Aus diesen Beobachtungen wurde der SchluB gezogen, daB das Herpesvirus nach dem Abheilen der lokalen Eruption nicht zugrunde gehen muB, sondern an Ort und Stelle in latentem Zustande verharren kann, bis es durch einen aspezifischen Reiz wieder zur Vermehrung und damit zu pathogener Auswirkung gebracht wird. Der Nachweis des Herpesvirus im Gewebe abgeheilter Eruptionen ist allerdings nicht gelungen (F. FREUND, ZURUKZOGLU und RRUSZEK). Dagegen konnten ZURUKZOGLU und RRUSZEK (etwa in einem Viertel der Einzelversuche) lokale Herpesrezidive hervorrufen, wenn sie in Hautstellen, an denen frillier ein Impfherpes saB, reizende Stoffe (Tuberkulin, Pyrifer, Gonokokkenvaccine oder Adrenalin) injizierten. Die unspezifische Ausliisung des Rezidivs war in einigen Fallen noch 5 Monate nach Abheilung des Impfherpes miiglich, und das Rezidiv zeigte sich meist schon zwei Tage nach der Einspritzung, so daB ein ursachlicher Zusammenhang zwischen Rezidiv und Reizung angenommen bzw. ein natiirliches ("spontanes") Rezidivausgeschlossen werden durfte. Ein exakter Beweis fiir die Persistenz des Virus am Orte einer vorausgegangenen Infektion ist jedoch durch diese Experimente nicht erbracht worden, und die Provokation des Herpes an Individuen, welche nie an dieser Krankheit gelitten haben und nie mit Herpesvirus geimpft wurden, bleibt nach wie vor unklar, wenn man ammikrobischen Charakter des Virus festhalten will. 2 Nach BURNET und GALLOWAY kann man kleinste Mengen des Virus der Vesicularstomatitis, welche bei Meerschweinchen keine Krankheitserscheinungen hervorrufen, sondern nur zuweilen aktiv immunisierend wirken, durch die Kultur im bebriiteten (in Entwicklung begriffenen) Hiihnerei nachweisen. Das kulturell angereicherte Virus laBt sich dann mit Erfolg auf Meerschweinchen iibertragen. Der Infektionsversuch ist also nicht immer die empfindlichste Methode, urn die Anwesenheit von Virus in einem vorgelegten Substrat festzustellen.

134

R.DoERR:

sogar denkbar, daB das latente Virus biologisch inaktiv d. h. weder infektios noch pathogen und daher auch in groBeren Mengen iiberhaupt nicht nachweisbar ist. Seit VINSON und PETRE am Virus der Mosaikkrankheit des Tabaks, RHOADS und SABIN am Virus der Poliomyelitis, LEWIS und ANDERVONT, MURPHY, F:&XNKEL am Virus des Rous-Sarkoms gezeigt haben, daB Infektiositat und Pathogenitat, also das, was wir unter Virulenz der Infektionsstoffe verstehen, reversible Eigenschaften sind, die ausgeloscht und wieder zum Vorschein gebracht werden konnen, miissen wir mit dieser Moglichkeit rechnen, die iibrigens auch im Bereiche mikroskopischer Erreger nicht unbekannt ist. Mit Sublimat "andesinfizierte" Staphylokokken z. B. konnen ihre Wachstumsfahigkeit in vivo und in vitro einbiiBen und durch Behandlung mit Schwefelwasserstoff zuriickgewinnen. Wie man erkennt, stehen der Tatsache, daB die Entstehung des Herpesvirus im menschlichen Organismus durch aspezifische Faktoren hervorgerufen werden kann, bloB hypothetische Bedenken gegeniiber, nicht aber zuverlassige Beweise, daB auch in diesem FaIle die unbegrenzte Ubertragbarkeit nur im Sinne HENLES aufgefaBt werden darf. Immerhin ware der provozierbare Herpes als einzige8 Beispiel dieser Art unzureichend, um die Lehre vom Contagium inanimatum zu begriinden. Es existiert aber noch ein anderer Infektionsstoff, der ebenfalls auf aspezifischem Wege "erzeugt" werden kann und bei welchem die Verhaltnisse iiberdies viel durchsichtiger sind; das Viru8 de8 Rous-Sarkom8 der Hiihner. Diese Tumoren lassen sich von Huhn zu Huhn in praktisch unbegrenzter Folge fortimpfen, und zwar nicht nur durch Transplantation von Geschwulstzellen, sondern auch durch Injektion von Tumorsaft, den man durch Filtration von allen mikroskopisch sichtbaren, zelligen Elementen vollig befreit hat. Das Agens entspricht somit der iiblichen Definition eines submikroskopischen Virus. Kann es, wie GYE nachzuweisen versuchte, ein lebender Elementarorganismus sein? Diese Frage laBt sich heute mit groBter Sicherheit verneinen. Man kann namlich den kausalen Faktor des Rous-Sarkoms sozusagen erschaffen und benotigt dazu nur das Huhn,· nicht aber den Tumor. Wenn man gesunden Hiihnern den Brei von gleichfalls gesunden Hiihnerembryonen gemischt mit niedrigen Konzentrationen von arseniger Saure, Indol oder Teer einspritzt, entwickeln sich schon nach wenigen W ochen typische, sehr bosartige Geschwiilste, die sich dann auf weitere Hiihner (und zwar wieder mit zellfrei filtrierten Tumorextrakten) iibertragen lieBen (CARREL, MURPHY und LANDSTEINER). CARREL sowie spater BISCEGLIE vermochten sogar embryonale Hiihnerzellen in der kiinstlichen Gewebskultur durch aspezifische Agenzien in Tumorzellen zu verwandeln, so daB die Verimpfung der transformierten Explantate auf gesunde Hiihner auBerst maligne, rasch wachsende Sarkome lieferte. Namentlich diese Vitroversuche scheinen geeignet, die Einwande gegen ein unbelebtes Contagium zu entkraften; man wird sich wohl nicht entschlieBen, schon im Huhnerembryo die Anwesenheit eines latenten lebenden Mikroben anzunehmen. SchlieBlich waren hier noch die Bakteriophagen zu nennen, welche D'HERELLE und seine Anhanger als lebende Parasiten der Bakterien betrachten, wahrend sie fiir die heute in der Majoritat befindliche Opposition unbelebte Produkte der erkrankten Bakterienzelle sind. Auf das Pro und contra, das nun schon stattliche Bande fiillen wiirde, einzugehen, kann ich mir ersparen. Adhuc sub judice lis est. Nur auf 2 Punkte muB ich kurz hinweisen. Hier wie anderwarts hat man sich

Filtrierbare Virusarten.

135

bemiiht, die erstmalige Produktion von Phagen durch Bakterien nachzuweisen; da dies durch aspezifische Reizung der Bakterien nicht mtiglich war, rief man die Beobachtung zu Hille, daB Phagen pltitzlich aus unbekannten Griinden in Kulturen erscheinen, die, soweit das yom Experimentator festgestellt werden kann, eine "phagenfreie Vorgeschichte" hatten. Es liegen zahlreiche Berichte iiber diese "spontane Bakteriophagie" vor, aber die Schule D'HERELLES ficht ihre Beweiskraft durch den uns schon bekannten Einwand an, daB die verwendeten Stamme latent infiziert sein ktinnten, ein Einwand, der in diesem Falle besonders schwer widerlegt werden kann, well die Kontakte zwischen Bakterien und Phagen in der Natur offenbar sehr haufig stattfinden. Dagegen hat DEN DOOREN DE JONG 1930 ein Experiment mitgeteilt, das sich nicht so leicht abfertigen laBt. Er lieB passende Phagen auf sporulierende Bakterien (auf Stamme von Bac. megatherium DE BARY) einwirken, wartete die Sporulation ab und erhitzte sodann die Gemenge auf Temperaturen, welche freie Phagen unwirksam machen und ihrer Regenerationsfahigkeit berauben, die aber die Keimfahigkeit der Sporen nicht vernichten (90 0 C durch 10 oder 100 0 C durch 5 Min.). Die aus solchen Sporen hervorgegangenen Bacillen zeigten nun eine reichliche Phagenbildung, sobald sie sich auf geeigneten Nahrbtiden vermehrten. Die Beobachtung ist von mehreren Autoren bestatigt und auf andere sporulierende Bakterien ausgedehnt worden (FLu, SOEHNGEN, RITSEMA VAN ECK, M. ADANT, PH. B. COWLES). Was wird nun durch das Sporenstadium in thermoresistenter Form hindurchgefiihrt, die Phagen als solche oder die Fahigkeit der Bakterien Phagen zu produzieren? Die an zweiter Stelle genannte Alternative ist wohl weitaus wahrscheinlicher, da die unmittelbare Beobachtung lehrt, daB samtliche vitalen Eigenschaften der Bakterien in der Spore der Erhitzung widerstehen und da wir auf der anderen Seite wissen, daB die vegetativen Formen der Bakterien die einmal angenommene Fahigkeit der Phagenbildung durch zahlreiche Generationen hindurch zahe festhalten. 1m ersten Falle miiBte man dagegen annehmen, daB auch fremde Stoffe im Binnenraum der Spore thermoresistent werden. Sind die Phagen unbelebte Partikel, so ware dies moglich; sind sie aber, wie D'HERELLE behauptet, lebende Mikroben, so mu{3ten sie erstens bei der Sporenentstehung in diese eingeschlossen und zweitens gleichzeitig in hitzebestiindige Fm'men umgewandelt werden d. h. selbst in einen sporenartigen Zustand ubergehen, eine Hypothese, die COWLES, VEDDER u. a. fiir diskutabel halten. VEDDER stiitzt sich auf die von ihm festgestellte Tatsache, daB freie Phagen im lufttrockenen Zustande durch 10 Min. auf 100 0 C erhitzt werden ktinnen, ohne ihre lytische Fahigkeit einzubiiBen. Das entspricht der Erfahrung, daB viele, in Losung thermolabile Substanzen (Toxine, Proteine, Antiktirper usw.) in wasserfreiem bzw. wasserarmem Zustande gegen hohere Temperaturgrade resistent sind, beweist aber nicht, daB die Phagen in der Bakterienspore tatsachlich in dieser Weise verandert werden und gibt keine Aufklarung, warum die Phagen, wenn sie Organismen sind, die Transformation des Bakterienplasmas in das Sporenplasma gleichsinnig mitmachen. Es ist ferner nicht sicher, daB die Thermoresistenz des Sporenplasmas lediglich auf seiner Wasserarmut beruht. Zusammenfassend laBt sich sagen, daB hauptsachlich 2 Griinde fiir die Existenz unbelebter Infektionsstoffe sprechen, namlich die minimale Dimensionierung, weil sie mit unseren Vorstellungen von lebenden Organismen in

136

R.DoERR:

Widerspruch gerat und die aspezifische bzw. erstmalige Entstehung, well sie mit dem Satze von der Kontinuitat allen Lebens, mit dem "Omne vivum ex vivo" kollidiert. Beide Argumente konnen nur fur ganz bestimmte, und zwar fur sehr wenige der bekannten Virusarten - das sind heute schon mehr als hundert geltend gemacht werden. Ich muB iibrigens betonen, daB sie sich gegenwartig nicht iiberdecken d. h. daB es keineswegs die extrem kleinen Viruselemente sind, fiir welche die Produktion durch erkrankte Wirtszellen nachgewiesen oder doch wahrscheinlich gemacht werden konnte; das Herpesvirus, das Virus des Rous-Sarkoms 1 und die meisten Bakteriophagen gehoren nicht in die zweite, sondern in der erste Gruppe der eingangs vorgefiihrten und besprochenen Tabelle. Diese mangelnde Koinzidenz ist gewiB nicht entscheidend; triife aber das Gegentell zu, so wiirde selbstverstandlich die Lehre vom Contagium inanimatum einen weiteren Riickhalt gewinnen. Fiir jeden Fall ist es jedoch bei dem gegenwartigen Stande unserer Kenntnisse wissenschaftlich unzulassig, das sich hier darbietende Problem generell d. h. fiir aIle Virusarten ohne Ausnahme in positivem oder negativem Sinne entscheiden zu wollen, sei es auch bloB in hypothetischer Form. DaB dies immer wieder versucht wird, beruht auf der Voraussetzung, daB aIle iibertragbaren Agenzien, die man unter dem Namen "filtrierbares Virus" zusammenfaBt, eine durch gemeinsame Merkmale ausgezeichnete Klasse von Infektionsstoffen reprasentieren. Es ware geradezu merkwiirdig, wenn sich diese Pramisse als richtig herausstellen wiirde, da der Ausdruck "filtrierbares Virus" urspriinglich nicht mehr war als ein bloBes Provisorium, um rein negativ (namlich durch die Unmoglichkeit des mikroskopischen Nachweises) charakterisierte Infektionsstoffe be quem zu bezeichnen. DaB die behauptete biologische Einheit der Virusarten in der Tat eine unberechtigte Fiktion ist, werde ich in den nachsten Vorlesungen zeigen. Die Alternative "belebt oder unbelebt" mUfJ also fur jede V irusart gesondert erortert werden. Prinzipiell wichtig ist lediglich die Frage, ob iiberhaupt iibertragbare Agenzien existieren, welche als unbelebte Stoffe bzw. als Produkte von lebenden Organismen betrachtet werden diirfen, ohne gegen wissenschaftliche Forderungen zu verstoBen, und diese Frage muB jeder bejahen, falls er sich eben nicht a priori auf eine allgemein d. h. fiir samtliche Virusarten giiltige Aussage festlegen will. In der Tat wird die unbelebte Natur fiir das Hiihnersarkomvirus heute fast allgemein, fiir die Bakteriophagen von der weitaus iiberwiegenden Mehrzahl der Forscher zugestanden bzw. angenommen, wobei wohl neben tatsachlichen Argumenten der Umstand mitgewirkt hat, daB man die malignen Tumoren sowohl wie die Bakteriophagie nicht zu den Infektionsprozessen im engeren Sinne rechnet und daher hier eher geneigt ist, eine Ausnahme zu machen; beim Herpesvirus st6Bt dagegen die sonst analoge Beweisfiihrung noch auf starken Widerspruch (DALE). Darin'liegt natiirlich eine Inkonsequenz, die man nur historisch d. h. aus der Alleinherrschaft der Pathologia animata vor der Entdeckung der submikroskopischen Infektionsstoffe begreifen kann. 1 Die Angaben iiber den Durchmesser der Elemente des Virus des Rous-Sarkoms (mit Hille der mtrafiltration bestimmt) schwanken zwischen 10 und 100 p.p. (FRANKEL, MENDELSOHN, CLIFTON und LEWIS, ZlNSSER und BANG). Welcher Wert der richtige ist bzw. ob de facto so bedeutende Differenzen vorkommen (s. S. 125), laBt sich vorlaufig nicht entscheiden.

Filtrierbare Virusarten.

137

AuBer der autonomen Vermehrung kennt man nur noch zwei funktionelle Kriterien eines Lebewesens, die Assimilation und die Anpassung, von denen aber selbstverstandlich geradeso wie bei der Vermehrung nachgewiesen werden muB, daB sie Eigenleistungen der fraglichen Gebilde ("Autoergien" nach einem von Raux gebrauchten Ausdruck) reprasentieren. Diese Forderung konnte nur dann erfiillt werden, wenn die Stoffwechselprozesse und die Anpassungserscheinungen wiihrend der individuellen Existenz der hypothetischen Ultramikroben d. h. bei ausgeschalteter Vermehrung einen solchen Grad erreichen, daB sie mit Hille unserer experimentellen Methoden feststellbar sind. Das ist jedoch von vornherein ausgeschlossen, fUr die Anpassung, weil sie nur im Laufe von Generationsfolgen zutage treten kann und fUr die Assimilation, weil selbst hochkonzentrierte Virussuspensionen, wie man leicht auszurechnen vermag, derartige Minima an wirksamer Substanz enthalten, daB meBbare Ausschlage nicht erwartet werden konnen. Will man dagegen die Virusvermehrung einschalten, so ist dies nur in Gegenwart lebender, an Masse weitaus dominierender Wirtszellen moglich und dann steht man wieder vor dem Zweifel, ob beobachtete Assimilations- und Akkommodationsprozesse auf das Virus oder auf die Wirtszellen zu beziehen sind. De facto haben die mit einigen Virusarten (Hiihnerpest, Bakteriophagen) angestellten Gas- und Stoffwechselversuche negative Ergebnisse geliefert, und das Studium der Variabilitat hat gerade in jenen Fallen, in welchen die unbelebte Natur der wirksamen Agenzien aus anderen Griinden wahrscheinlich ist, keine definitive Entscheidung gezeitigt. Man kann schlieBlich auch noch versuchen, an den fraglichen Stoffen Eigenschaften festzustellen, welche mit den bisher bekannten Qualitaten lebender Organismen in Widerspruch stehen, so vor allem eine besonders hohe Resistenz gegen auBere Einfliisse, gegen hohere Temperaturgrade, kurzwellige Strahlen oder mikrobizide Chemikalien. Eindeutige Resultate sind allerdings kaum zu erwarten, einerseits weil zweifellos unbelebte Stoffe (Toxine, Enzyme usw.) haufig einen hohen Grad von Empfindlichkeit aufweisen, andererseits weil es Lebensformen (Sporen, thermophile Bakterien) gibt, die sich durch eine auBerordentliche Widerstandsfahigkeit auszeichnen. Es ist aber doch sehr auffallig, daB man Bakteriophagen unter Umstiinden auf 84-85° C durch eine Stunde erhitzen kann (DOERR und ROSE) und daB das Virus der Mosaikkrankheit des Tabaks nicht nur ahnliche Warmegrade aushalt (MCKrnNEY), sondern auch aus den erkrankten Blii.ttern durch Extraktion mit verdiinntem Alkohol, Aceton, Chloroform oder Schwefelkohlenstoff in wirksamer Form zu.gewinnen ist. Die Bildung von resistenten Entwicklungsstadien nach Art der Bakteriensporen darf man bei den minimal dimensionierten Viruselementen, zu denen die beiden ebengenannten gehoren, schon aus morphologischen Griinden ausschlieBen; es miiBte sich also um etwas durchaus Neues handeln, dem keine Analogie gegeniibersteht und fUr das wir daher keine konkretere Vorstellung aufzubringen vermogen. lch glaube iiberhaupt, daB man aus derartigen Resistenzpriifungen der verschiedenen Virusarten noch manche Aufschliisse herausholen konnte 1, 1 So haben DUGGAR und A. HOLLANDER die Widerstandsfahigkeit des Virus der Mosaikkrankheit des Tabaks gegen die Bestrahlung mit monochromatischem Licht untersucht und mit dem Verhalten von Bakterien und Bakteriensporen unter sonst gleichartigen Bedingungen verglichen. Das Maximum der abWtenden Wirkung fiel zwar fiir das Virus und die gepriiften Bakterien auf Strahlen von gleicher Wellenlange (A = 2652 Angstrom).

138

R. DOERR:

speziell wenn man die Resultate nicht, wie das meist geschieht; als solche, sondern im Zusammenhalt mit anderen Tatsachen bewerten wiirde. Die unausgesetzten experimentellen und spekulativen Bemuhungen lehren jedenfalls, daB das Problem eine ganz ungewohnliche Anziehungskraft besitzen muB. Das geht ja auch daraus hervor, daB es die Aufmerksamkeit der Vertreter anderer Spezialdisziplinen, der Physiologen, der Pharmakologen und selbst der Physiker erregt hat. Die Mahnungen mancher Autoren, die Diskussion ruhen zu lassen und das Thema nicht weiter zu verfolgen, hatten keinen Erfolg. Solchen Beschwichtigungsversuchen liegt letzten Endes stets die Scheu der einseitig mechanistisch orientierten Biologen vor "philosophischen" oder "metaphysischen" Erorterungen zugrunde, ein Standpunkt, von dem sich die Physik bereits losgesagt hat. Die Notwendigkeit, die Lebensprozesse mit allen verfugbaren Mitteln und bis an die jeweils erreichbare Grenze aufzuklaren, kann von keiner Seite bestritten werden und die submikroskopischen Infektionsstoffe konnten ein tauglicheres Objekt fur solche Bestrebungen sein als die Extremfalle einer schon weit vorgeschrittenen Organisation und Integration. An das Ende dieser Betrachtungen will ich eine Bemerkung stellen, die soweit ich die Literatur uberblicke - nirgends prazis formuliert erscheint. Es herrscht allgemein die Auffassung, daB die Annahme unbelebter Infektionsstoffe eine gewaltige Umwalzung bedeuten wurde, wahrend sich ihre Ablehnung in den gewohnten, von HENLE vorgezeichneten und durch zahllose Analogien gestutzten Bahnen bewegt. Das ist nicht oder nur zum Teile richtig. 1m wahrsten Sinne revolutionar ist die Vorstellung, daB es Organismen gibt, deren AusmaBe sich den Dimensionen der EiweiBmolekule weitgehend annahern; denn diese Idee zwingt uns, mit allem zu brechen, was wir bisher iiber das Leben zu sagen wuBten. Sollte sich hierfur ein unwiderlegbarer Beweis erbringen lassen, so stiinden wir am Ausgangspunkt einer neuen Biologie, deren Auswirkungen auf unser Weltbild machtiger werden konnten als die Revolution, welche die Physik seit RUTHERFORD und EINSTEIN bis auf die Gegenwart durchgemacht hat.

II. Die Ziichtung der Virusal'ten ill vitro. Jeder Parasit muB sich aus. einem autonomen, freilebenden Wesen durch sekundare Anpassung entwickelt haben. Dieser AnpassungsprozeB vollzieht und vollzog sich naturgemaB nur bei einem kleinen Prozentsatz der jeweils vorhandenen Organismen. Wie anderwarts uberwiegen daher auch im Reiche der Protisten die unabhangig existierenden Spezies, die "Saprophyten" weitaus, die parasitischen sind in verschwindender Minderzahl vertreten, ein Verhaltnis, das bei den Bakterien, Hefen, Schimmelpilzen, Spirochaten, Protozoen usw. aber die erforderliche Strahlungsenergie war fur das Virus etwa 200mal grof3er als filr Bakterien. Sporen erwiesen sich wohl etwas resistenter als die korrespondierenden vegetativen Formen, blieben aber noch immer so weit hinter dem Virus zuriick, daB auch hier eine ganz andere GriiBenordnung der abtiitenden Strahlungsenergie vorlag; DUGGAR und HOLLANDER hatten diese auffallende Differenz zwischen Sporen und Virus, wie sie selbst betonen, nicht erwarte~.-'-Interessant war ferner, daf3 zwischen der Hitze- und der Lichtresistenz der drei Vergleichsobjekte keine Beziehung bestand. DUGGAR und HOLLANDER stellen weitere Arbeiten in dieser Richtung in Aussicht. Die bereits mitgeteilten Ergebnisse sprechen jedenfalls nicht dafiir, daB das Agens der Mosaikkrankheit ein Bakterium ist und scheinen einen neuen Weg fiir die Erledigung einer Reihe von Fragen anzubahnen.

Filtrierbare Virusarten.

139

wohl bekannt ist. Sind somit die Virusarten auch nur zum Teile Mikroben was fur einige wenige Formen als gesichert, fur manche andere als wahrscheinlich gelten darf - so sollten sich in der Natur korrespondierende Saprophyten von ahnlicher Beschaffenheit und namentlich von analoger GroBe vorfinden, da man sonst zu der Hilfshypothese genotigt ware, daB die minimalen Dimensionen der Virusarten Ruckbildungen hoherer Lebensformen (Konvergenzphanomene) darstellen, die erst durch den fortgesetzten Parasitismus ermoglicht bzw. bewirkt wurden. Dieser Gedankengang, der also wieder auf das Dilemma "belebt oder unbelebt" hinauslauft, ist das erkenntnistheoretische Motiv der Bestrebungen, "kleinste Saprophyten" oder wie man das widerspruchsvoll zu nennen pfle~, "saprophytische Virusarten" nachzuweisen. TwORT hatte in mannigfach variierten Versuchen kein positives Ergebnis zu verzeichnen und seither lieB man die wichtige Frage auf sich beruhen, da systematische Untersuchungen wenig Aussicht auf Erfolg boten. Erst 1931 erschienen 2 Mitteilungen von OERSKOV, die, wie aus Zitaten und kritischen Besprechungen hervorgeht, Aufsehen erregten. OERSKOV beschick.te zuckerhaltige Agarnahrboden mit verschiedenem Material (Milch, Vaccinelymphe, Proben von Kaninchenhaut) und fand, daB sich neben Ansiedelungen von Bakterien (gramnegativen Stabchen, Staphylokokken) eigentumliche, winzige, kolonieartige Formationen entwickelten, die keine Bakterien enthielten, sondern aus weit kleineren Elementen aufgebaut waren; diese Elemente besaBen nach den Angaben von OERSKOV eine bestimmte und gleichartige Form und GroBe und konnten durch Farbungen oder durch die BURRIsche Tuschemethode dargestellt werden, weshalb sie OERSKOV fUr Organismen hielt. Auffallend war, daB die Anlegung von Subkulturen durch Verimpfung der vermeintlichen Viruskolonien stets negative Resultate gab. OERSKOV hat meines Wissens uber diese Befunde nichts mehr publiziert, teilte uns aber auf eine briefliche Anfrage mit, daB er an seiner ursprunglichen Auffassung nicht mehr festhalt und geneigt sei, die von ihm beschriebenen Veranderungen des Agars auf eigenartige, vielleicht durch Enzyme vermittelte Austrocknungserscheinungen zuruckzufuhren. In der Tat berichtet D. GAJZAGO, daB in Kolonien von Pseudocholeravibrionen auf kohlehydrathaltigem Agar (Saccharose, Raffinose) zentralgelegene Eintrocknungszonen auftreten, innerhalb welcher die Bakterien in einen formlosen Detritus umgewandeli werden; die Erscheinung war ebenfalls "nicht ubertragbar" und konnte nur dann beobachtet werden, wenn das Kohlehydrat des Nahrbodens unter Saurebildung angegriffen wurde. Ferner will n'HERELLE in Ultrafiltraten schwefelhaltiger Mineralwasser ein saprophytisches Ultravirus ("Protobios protobios") nachgewiesen haben; in NahrbOden, welche fur die Zuchtung von Thiobakterien geeignet sind und die mit dem Ultrafiltrat beimpft wurden, traten namlich zuweilen Trubungen von reduziertem kolloidalem S auf, obwohl keine Spur von Bakterienwachstum zu konstatieren war. Die Beobachtung laBt indes auch eine andere Interpretation zu und bedarf jedenfalls, zumal da sich die Erscheinung nur ausnahmsweise zeigte, der Nachpriifung. Nur P. HAUDUROY glaubt, daB ullzahlige saprophytische Virusarten existieren und daB lediglich ihr Nachweis schwierig bzw. vom Zufall abhangig ist. Er fiihrt aber als bereits bekannte Beispiele das Speicheldriisenvirus des Meerschweinchens (COLE und KUTTNER), das sog. Virus III des Kaninchens (RIVERS und TILLETT, ANDREWES und Mn.LER

140

R.DoERR:

usw.), das von G. M. FINDLAY beschriebene Mausevirus u. a. an und aus diesen Beispielen sowie aus dem ausfiihrlichen Kommentar geht mit volliger Evidenz hervor, daB HAUDUROY unter Saprophytismus einen apathogenen Parasitismus oder mit anderen Worten eine latente Infektion versteht. Das ist jedoch eine biologisch unzulassige Vertauschung fundamentaler Begriffe. Eine Infektion stellt in jedem FaIle eine Gast-Wirt-Beziehung dar (sofern sie durch einen lebenden Keim verursacht wird), gleichgiiltig, ob sie von kIinischen oder anatomischen Manifestationen begleitet wird oder nicht; nicht die pathologische .Auswirkung ist das wesentliche Kriterium, sondern die .Ansiedelung und Vermehrung der Mikroben in einem fremden Organismus (vgl. R. DOERR, "Die Infektionskrankheiten in allgemeiner Darstellung" und E. MARTINI, "Parasitismus in der Zoologie"). Saprophytismus "in Beziehung auf einen bestimmten Wirt" (P. HAUDUROY) ist dagegen eine contradictio in adjecto; die Spirochaeta pallida ist kein "Saprophyt" derweiBenMaus, sondern trotz des latenten Infektionsablaufes ein Parasit, und zwar ein Gewebsparasit dieser Tierspezies.

Nach wie vor besitzen wir demnach keine Anhaltspunkte, daB in der Natur "saprophytische Virusarten" in dem prazisierten Sinne existieren. Natiirlich konnte diese negative Aussage jederzeit durch eine Entdeckung ungiiltig werden. Man darf sie aber nicht fiir sich allein, sondern nur im Zusammenhalt mit der Tatsache bewerten, daB den infektiosen Virusformen mit ganz wenigen Ausnahmen die Fahigkeit zum takultativen Saprophytismu8 d. h. zum Wachstum aut unbelebtem N ahrsubstrat mangelt. So betrachtet gewinnt d"as Fehlen von saprophytischen Virusarten schon jetzt erhohte Wahrscheinlichkeit und Bedeutung, well man den Gedanken nicht abweisen kann, daB zwischen ihm und dem Verhalten der infektiosen Virusformen irgendein ursachlicher Konnex bestehen diirfte. Ais Regel hat zu gelten, daB die infektiosen Virusarten auf unbelebtem Nahrsubstrat nicht geziichtet werden konnen oder zumindest bisher nicht geziichtet werden konnten. Aber diese Regel wird von Ausnahmen durchbrochen, mit denen wir uns zunachst befassen wollen. Schaltet man aIle unsicheren, nicht nachgepriiften oder nicht bestatigten Angaben 1 aus, so bleiben schlieBlich nur 2 Infektionsstoffe dieser Kategorie iibrig, fiir welche einwandfrei positive und ohne weiteres reproduzierbare Resultate vorliegen: Die Erreger der Peripneumonie der Rinder und der Agalaktie der Ziegen. Die Frage, ob man diese beiden Infektionsstoffe, eben well sie nur 2 Ausnahmen reprasentieren, aus der Liste der Virusarten streichen solI, halte ich fiir zwecklos, da hinter dem Worte "Virus" kein klar umschriebener begrifflicher Inhalt steht. Beide Keime parieren bakteriendichte Filter und ihre Dimensionen liegen hart an der Grenze der mikroskopi"schen Sichtbarkeit. De facto wird der Erreger der Pneumonie der Rinder auch in Arbeiten jiingsten Datums noch immer unter den filtrierbaren Virusarten aufgezahlt. Dem Vorschlag, die ausschlieBliche Vermehrungsfahigkeit in einem empfanglichen Wert oder im iiberlebenden explantierten Gewebe als weiteres generelles Kriterium der Virusarten aufzustellen (TH. RIVERS, DALE u. a.), kann ich mich nicht anschlieBen, schon aus dem Grunde, wei! er ohne besondere Motivierung ein morphologisches Merkmal (die GroBe der Gebilde) und eine biologische Eigenschaft zu einer klassifikatorischen Einheit zu verschweiBen sucht. 1 Dazu gehoren auBer der alteren Behauptung von .A. LEBER, daB sich das Virus des Molluscum contagiosum anaerob in Menschenserum kultivieren laBt, die Mitteilungen von EBERSON und MOSSMANN iiber die Ziichtung des Poliomyelitisvirus und von EAGLES iiber die Kultur der Vaccine in zeIlfreien Medien. Speziell die .Angaben von EAGLES konnten bei mehrfachen Nachpriifungen nicht bestatigt werden (MAITLAND, LAING und LYTH, RIVERS und WARD, E. HAAGEN).

Filtrierbare Virusarten.

141

DaB dies nicht zulassig ist, lehrt u. a. das Beispiel der Rickettaien. Die Fleckfieber· rickettsien sind erheblich groBer als die als legitim anerkannten Virusarten (200-300 p,p, Breite und 300-1000 p,p, Lange) und werden durch Hartfilter zurfickgehalten; sie proliferieren aber nur in Gegenwart von fiberlebendem Wirtsgewebe in vitro (CLARA NIGG und LANDSTEINER, PINKERTON und HAss). Die von NOLLER 1917 entdeckte Rickettaia melo. phagi, ein Parasit der Schaflaus (Melophagus ovinus) kann dagegen auf Blutagarplatten gezfichtet werden (NOLLER, HERTIG und WOLBACH, JUNGlIlANN; vgI. auch den Artikel von H. DA ROCHA·LI1I1A 1 fiber Rickettsien). Gerade dieser Gegensatz beleuchtet die diskutierten Verhaltnisse in ausgezeichneter Weise, weil er zu der unhaltbaren Konsequenz fiihren wiirde, den Rickettsien je nach ihren Wachstumsbedingungen die Zugehorigkeit zu den Virusarten zum Teil zuzuerkennen, zum Teil abzuspl'echen. Und wenn man die Willkfir so weit treiben wollte, darf man sich fragen, was einmal !nit der Vaccine zu geschehen hat, wenn ihre Zfichtung auf unbelebtem Nahrsubstrat gelingen sollte, ein Erfolg, der auch von jenen Autoren angestrebt wird, welche hinter dem Ausdruck "Virus" eine biologische Einheit suchen (DALE, BURNET und ANDREWES, EAGLES u. a.), wahrend er doch offenbar nicht mehr ist als die Bezeichnung ffir ein !nit speziellen Mitteln operierendes Forschungsgebiet.

Dagegen hat es einen Sinn zu iiberlegen, ob die Erreger der Peripneumonie und der Agalaktie gewisse gemeinsame Eigenschaften aufweisen, die ihre Sonder. stellung im Reiche der Infektionsstoffe von kleinster TeilchengroBe zu erklaren vermogen. Von einer Sonderstellung darf, wie unter anderen auch EAGLES hervorhebt, mit Recht gesprochen werden. Denn die Sache liegt nicht so, .daB sich diese Keime auf unbelebten Substraten iiberhaupt ziichten lassen, maBgebend ist vielmehr, daB die Kultur leicht und in Medien von relativ einfacher Beschaffenheit, die bei den anderen Virusarten vollig versagen, gelingt. Derzeit konnen nur 3 Momente hiefiir verantwortlich gemacht werden: 1. Die genannten Erreger sind Mikroben d. h. sie erfiillen eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung fiir das Wachstum auf unbelebten Medien. 2. Sie gehoren zu den Bakterien oder stehen zu ihnen als Protophyten in verwandtschaftlicher Beziehung. Diesem Umstand diirfen wir bis zu einem gewissen Grade die Bedeutung einer hinreichenden Bedingung beilegen, da der fakultative Saprophytismus fast bei allen parasitischen Bakterien oder sonstigen Protophyten, deren Zahl sehr groB ist, nachgewiesen werden konnte. 3. Die Erreger der Peripneumonie und der Agalaktie sind groBer als die groBten Elemente aller anderen Virusarten. Der Abstand gegeniiber den PASCHENschen Vaccinekorperchen oder den Elementarkorperchen der Psittacose (LEVINTHAL, LILLIE, COLES, BEDSON und WESTERN) ist jedoch sehr gering, selbst wenn man die linearen AusmaBe ins Raumliche iibersetzt und man miiBte daher annehmen, daB eine scharfe dimensionale Grenze existiert, unterhalb welcher die saprophytische Vermehrungsfahigkeit plotzlich aufbOrt; zu einer so unwahrscheinlichen und willkiirlichen Voraussetzung wird man sich nicht entschlieBen konnen. In diesem Konnex waren auch die Angaben zu erwahnen, denen zufolge aus gut sichtbaren Mikroben weit kleinere filtrierbare, entweder noch !nikroskopisch faBbare oder subInikroskopische Gebilde hervorgehen konnen, die sich in oder auf unbelebten Medien vermehren und unter geeigneten Verhaltnissen in die groBen Ausgangsformen zurfickverwandeln. Soweit es sich nicht um die bloBe Existenz solcher Zwischenstadien, sondern um ihr Wachstum auf unbelebtem Substrat handelt, betreffen fast alle diese Behauptungen Bakterien. Es lage daher im Sinne meiner Ausfiihrungen nahe, die Kultivierbarkeit der filtrierbaren 1 ROCHA-LI1I1A, H. DA: Handbuch der pathologenen Mikroorganismen, 3. AufI., Bd. 8, S. 1347 f.

142

R.DoERR:

Formen auf ihre Abstammung von gleichfalls kultivierbaren Bakterien zu beziehen. Nicht die Dimension, sondern die Stellung im System der Mikroorganismen ware also maBgebend. Leider herrscht auf diesem Spezialgebiet ein Zustand, der es geradezu unmoglich macht, experimentelle Ergebnisse als zuverlassig hinzustellen, solange sie nicht auf Grund mehrfacher und iibereinstimmender Nachpriifungen allgemein anerkannt sind. Dieser Erfolg ist bisher keiner der Arbeiten, welche die Frage der Ziichtung der filtrierbaren Bakterienformen bejahen (HADLEY, DEWES und :KI.nw:ER, A. MORTON, J. A. KENDALL, HAUDUR01Y, SUKNEV und VOLFERE usw.) zuteil geworden; vielmehr wird die fundamentale Voraussetzung, daB solche Formen tatsachlich existieren, einstweilen von zahlreichen Autoren abgelehnt oder bezweifelt (s. S. 195).

Besehen wir uns nach den Ausnahmen die Regel, daB die Virusarten mit Hille von Methoden, die bei den Bakterien so gut wie immer zum Ziele fUhren, nicht kultiviert werden konnen. Es wurde bereits auseinandergesetzt (s. S. 132), daB dieses Verhalten eine vierfache Deutung zulaBt; der Versuch einer einheitlichen Erklarung kann daher bei dem gegenwartigen Stande unseres Wissens schon aus prinzipiellen Griinden als verfehlt bezeichnet werden, ein Standpunkt, der im folgenden noch eingehender kommentiert werden soIl. Es flillt jedoch auf, daB der Mangel des fakultativen Saprophytismus (der Wachstumsfahigkeit auf unbelebten Medien) fast bei allen Virusarten festgestellt werden konnte und diese Tatsache laBt die negative Aussage als berechtigt erscheinen, daf3 diese Virusarten - so/ern sie iiberhaupt Elementarorganismen sind - nicht zu den Bakterien gehOren. Die englische Schule, insbesondere die Autoren vom National Institute for medical research in London (DALE, BURNET und ANDREWES, BARNARD) vertreten allerdings auf Grund morphologischer und serologischer Ahnlichkeiten die gegenteilige Ansicht, und zwar in allgemein d. h. fiir samtliche Virusarten giiltiger Fassung; nach einem Ausspruch von BARNARD ware die Virusforschung nichts anderes als "eine Bakteriologie ohne Mikroskop". Die vorgebrachten Argumente sind jedoch nicht stichhaltig. Jedenfalls bietet die Einreihung der nichtziichtbaren Virusarten unter die Bakterien keinen AufschluB, warum sie sich hinsichtlich ihrer Wachstumsbedingungen von den Bakterien unterscheiden. Die Annahme, daB es sich durchwegs um obligate Zellschmarotzer handelt, stellt nur eine andere Formulierung des Gegensatzes dar, da diese Art der Anpassung bei den fiir warmbliitige Tiere infektiosen und pathogenen Bakterien eben nicht beobachtet wird; mit obligatem Zellparasitismus laBt sich iibrigens der septikamische Charakter mancher Virusinfektionen (Gelbfieber, Dengue, Phlebotomenfieber, Hiihnerpest usw.) nicht gut in Einklang bringen. Die trotz aller MiBerfolge fortgesetzten Bemiihungen um die Ziichtung der Virusarten auf unbelebten (zellfreien) Medien beweisen, daB man die Hoffnung auf ein positives Resultat nicht aufgeben will (vgl. hiezu BURNET und ANDREWES, S. 181). Das soIl auch nicht geschehen. Wer in der Geschichte der Kulturverfahren bewandert ist, wird einen endgiiltigen Verzicht, wie ihn CR. NICOLLE vorschlagt, nicht gutheiBen. Die theoretische Tragweite der erfiillten Erwartung wiirde aber jedenfalls davon abhangen, ob sich die Ergebnisse auf eine einzige oder auf viele Virusarten erstrecken und ob zu den kultivierbaren Virusformen auch jene gehoren werden, fiir welche derzeit die Hypothese des Contagium inanimatum wahrscheinlicher ist (s. Abschnitt I). Statt einen Wechsel auf die Zukunft auszustellen, erscheint es jedenfalls rationaler, die Virusziichtung nicht nur von ihrer negativen, sondern auch von ihrer positiven Seite her zu betrachten d. h. zu untersuchen, warum die Vermehrung zahlreicher tierpathogener Virusarten in Gegenwart Ie bender Zellen stattfindet.

Filtrierbare Virusarten.

143

Die phytopathogenen Virusarten konnten bisher auf unbelebten (zelHreien) Medien nicht geziichtet werden, verhalten sich also trotz der enormen Verschiedenheit der Wirtsorganismen so wie die iiberwiegende Mehrzahl der tierpathogenen. "Ober ihre Vermehrungsfahigkeit in vitro in Gegenwart lebender Wirtszellen sind wir nur soweit unterrichtet, als Bakteriophagen in Betracht kommen. Die Kultur der Gewebe hoherer Pflanzen im Reagensglase ist zwar nach den bemerkenswerten Untersuchungen von PH. R. WHITE moglich, wurde aber noch nicht fiir die Ziichtung phytopathogener Virusarten herangezogen und ist auch vorlaufig noch nicht geniigend technisch vervollkommnet, um zu komplizierteren Experimenten zu ermutigen.

Das literarische Material iiber die Ziichtung tierpathogener Virusarten im Explantat ist sehr umfangreich, weit umfangreicher als man nach dem Referate von G. H. EAGLES und den neueren Zusammenstellungen von F. HODER und E. STRIEGLER annehmen wiirde. Die Versuchsanordnungen wurden ferner nicht systematisch ausgebaut und durchgepriift, sondern empirisch in mannigfaltiger Art variiert, negative Resultate nur zum Telle registriert und die Angaben iiber positive Ergebnisse sind im Tatsachlichen vielfach ungenau und lassen sich wegen ihrer Unzuverlassigkeit gar nicht oder nur mit Vorbehalt verwerten (s. S. 155). Unter diesen Umstanden fallt es naturgemaB schwer, aus der Fiille der vorliegenden experimentellen Arbeiten allgemeine Gesichtspunkte herauszuschalen. Mit Recht konstatiert EAGLES in dem zitierten Artikel (S. 636): "We heave learnd surprisingly little regarding the conditions necessary for virus culture." EAGLES selbst hat aber andrerseits auf einige Momente hingewiesen, denen eine generelle Bedeutung zugesprochen werden darf und an die wir unsere Betrachtungen ankniipfen wollen. Nennen wir die Zellen, deren Anwesenheit die Vermehrung eines Virus in vitro ermoglicht, kurz und ohne damit etwas prajudizieren zu wollen "Wirtszellen", so treten zwei, zunachst rein empirisch ermittelte Erscheinungen zutage. Die Virusvermehrung kann namlich abhangen 1. Von den Lebensprozessen der Wirtszellen und 2. von ihrer biologischen Spezijitiit. Diese beiden Faktoren oder Faktorengruppen scheinen sich in eigenartiger Weise zu iiberdecken, wenn auch nicht zur Ganze, so doch partiell. ad 1. Es ist sichergestellt, daB es Virusarten gibt, die nur dann geziichtet werden konnen, wenn die Wirtszellen selbst prolijerieren und andere, fiir welche die Anwesenheit von iiberlebenden Wirtszellen geniigt. Zur ersten Kategorie gehOren die Bakteriophagen und die Infektionsstoffe der Gefliigelpocken (FINDLAY, LOWENTHAL, GLOVER), des Rous-Sarkoms (A. CARREL) und der Hiihnerpest (C. HALLAUER), zur zweiten die Kontagien der Vaccine (PARKER und NYE, HAAGEN, MAITLAND und-MAITLAND, NAUCK und PASCHEN, BREINL u. a.), des Herpes simplex (PARKER und NYE, GILDEMEISTER, HAAGEN und SCHEELE, HAAGEN, ANDREWES, SADDINGTON), des gewohnlichen Schnupfens (DOCHEZ, MILLS und KNEELAND, POWELL und CLOWES), der Kaninchenmyxomatose (HAAGEN) und des von TH. RIVERS entdeckten Virus III des Kaninchens (ANDREWES, TOPACIO und HYDE). Die Entscheidung, daB die Gewebsproliferation fiir die Virusvermehrung nicht erforderlich ist, kann auf Schwierigkeiten stoBen, welche zum Tell in der Unvollstandigkeit der bisher ausgefiihrten Untersuchungen, zum Tell in der Natur der verwendeten Medien begriindet sind. 1m allgemeinen wird angenommen, daB die meisten Modifikationen des urspriinglich von MAITLAND angegebenen Kulturverfahrens (Kaninchenniere in Kaninchenserum oder Hiihnerserum + Tyrodelosung) in dieser Hinsicht ausreichende Garantien bieten. Die Gewebs-

144

R.DoERR:

fragmente, welche man bei dieser Technik verschiedenen Fliissigkeiten zusetzt, sind aber jedenfalls prolifemtionsfahig, was fUr die Niere erwachsener Kaninchen von RIVERS, HAAGEN und MUCKENFUSS nachgewiesen wurde und fiir zerkleinerte Embryonalgewebe a priori gewiB ist; daB diese Proliferationsfahigkeit wahrend der fUr die Virusziichtung in Betracht kommenden Zeit latent bleibt d. h. daB die Gewebe nur leben ohne zu wachsen und sich zu vermehren, miiBte daher besonders z. B. durch das Fehlen von Mitosen festgestellt werden. In der Regel beschrankt man sich auf die Aussage, daB die Viruszunahme im stark wuchernden oder anscheinend ruhenden Explantat in quantitativ gleicher Weise erfolgt, daB also zwischen Virusvermehrung und Gewebsproliferation kein Parallelismus besteht. DaB unter solchen Umstanden Irrtiimer unterlaufen konnen, erscheint selbstverstandlich. So konnte z. B. das Virus der Hiihnerpest in MAITLAND -Medien kultiviert werden, von PLOTZ sowie PLOTZ und EPHRUSSI mit Hiihnerembryonalbrei, von C. HALLAUER mit embryonalem Hirngewebe vom Huhn; ich glaube aber nicht - gestiitzt auf die friiheren Arbeiten und spatere (nicht veroffentlichte) Versuche von C. HALLAUER - daB damit die Ziichtung in bloB iiberlebendem Gewebe bewiesen ist und habe daher dieses Virus in die erste Kategorie eingereiht. Hierfiir war noch ein anderer Grund maBgebend, der uns zu einer theoretischen Interpretation der Beobachtungen hinleitet. ad 2. Die Reprasentanten der ersten Kategorie sind namlich auffallenderweise auch der Bedingung der biologischen Spezifitat der W irtszellen unterworfen d. h. die Virusvermehrung findet nur statt, wenn die Wirtszellen einer bestimmten Art oder gar bestimmten Geweben einer Art angehoren. Bei den Bakteriophagen und beim Hiihnerpestvirus wurden diese elektiven Beziehungen eingehend und vor allem auch nach der negativen Seite hin untersucht. C. HALLAUER konnte das Hiihnerpestvirus in Geweben von Hiihnern, Enten und Tauben kultivieren, nicht aber in Geweben von Mausen oder Ratten; und unter den Geweben des Huhnes erwiesen sich Gehirn, Haut und Irisepithel als geeignet, wahrend Fibroblasten, Osteoblasten und Leukocyten negative Resultate gaben. Bedenkt man, da(3 in allen Fallen dieser Gruppe mit der Virusvermeht'ung mikroskopisch sichtbare pathologische Veranderungen der Wirtszellen einhergehen, so wird der SchluB in hohem Grade wahrscheinlich, da(3 hier die Zunahme des Virus intracellular erfolgt, entweder weil dasAgens ein unbelebtes Produkt der Wirtszellen oder weil es ein obligater Zellparasit ist. Welche von beiden Moglichkeiten zutrifft, laBt sich auf Grund der prazisierten Verhaltnisse naturgemaB nicht entscheiden. Fiir die anschauliche Erfassung dieser Form der Virusziichtung ist es in mancher Beziehung von Wichtigkeit, daB wir in der Kultur der Fleckfieberrikettsien ein Modell besitzen, das der mikroskopischen Untersuchung in vollem Umfange zuganglich ist und Riickschliisse auf das Verhalten der invisiblen Virusarten gestattet. Auch die Rickettsien vermehren sich nur in Gegenwart lebender Gewebe und zwar intracellular, entweder wie die Rickettsia Prowazeki im Cytoplasma oder wie die Rickettsien des "Rocky mountain" und des "Eastern spotted fever" im Kern der Wirtszellen (PINKERTON und HASS, RUMREICH, DYER und BADGER); sie zeigen also die Eigenschaften obligater Zellschmarotzer (H. PINKERTON) und sind demgemaB auch an die Spezifitat der Wirtszellen gebunden, insofern als sie bisher nur in Geweben von Meerschweinchen geziichtet

145

Filtrierbare Virusarten.

wurden 1, einer Tierspezies, die bekanntlich flir das Fleckfieberkontagium 2 empfanglich ist. Nach PINKERTON und HASS vermehren sie sich ferner nicht in beliebigen Zellen des Meerschweinchens, z. B. nicht in Phagocyten oder Fibroblasten, sondern ausschlieBlich oder vorwiegend in GefaBendothelien oder in den mesothelialen Elementen seroser Haute (Tunica vaginalis des Hodens, Pleura, Peritoneum). Die Analogien zwischen den Rikettsien und den Virusarten der ersten Kategorie sind somit wohl ausgepragt. Das Huhnerpestvirus z. B. kall11 in reinen Fibroblastenkulturen gleichfalls nicht gezuchtet werden und seine intracellulare Vermehrung sieht man zwar nicht, kall11 sie aber auf experimentellem Wege erschlieBen. Die verschiedenen Explantatmedien enthalten namlich auBer den Gewebsfragmenten auch einen flussigen bzw. halbstarren Anteil. C. HALLAUER uberzeugte sich, daB der flussige Teil fUr Huhner nichtinfektiOs und daher auch ungeeignet ist, urn die Uberimpfungen von einem Nahrboden auf den anderen vorzunehmen; auf Tiere oder neue Nahrboden ubertragbares Virus findet sich - es wurde in diesen Experimenten die Methode von CARREL benutzt - stets nur in der soliden Komponente der Nahrmedien d. h. in den Gewebsfragmenten, und der Erfolg der Nahrbodenpassage ist sogar meist nur dall11 positiv, well11 man die Gewebsfragmente durch entsprechende Prozeduren (Verreiben mit sterilem Sand) "mechanisch aufschlieBt". Diese Er~ fahrungen decken sich in jeder Hinsicht mit den Beobachtungen, welche NIGG und LAND STEINER bei der Zuchtung der Rickettsia Prowazeki gemacht haben, wo die intracellulare Vermehrung schon auf Grund des optischen Befundes gewiB erscheint. Nur in einer wichtigen Beziehung weichen die Rickettsien von den Virusarten der ersten Kategorie abo Nach den Angaben von NIGG und LAND STEINER und insbesondere den sehr exakten Untersuchungen von PINKERTON und HASS besteht kein Zweifel, daB das Wachstum der Rickettsia Prowazeki lediglich die Anwesenheit von lebenden, nicht aber von proliferierenden Wirtszellen erfordert. Obligater Zellparasitismus und Vermehntng im ruhenden, nicht aktiv proliferierenden Explantat schliefJen sich also gegenseitig nicht aus, zumindest nicht prinzipiell, wie eben das Rickettsienmodell lehrt. Auf welche Weise unter diesen Bedingungen eine ganz betrachtliche Vermehrung der intracellularen Parasiten ermoglicht wird, vermochten PINKERTON und HASS durch interessante mikroskopische Untersuchungen zu zeigen. Sie stellten fest, daB die Wirtszellen geschont werden und daB sie unter der 1 Nach F. BREINL gelingt es, das Virus des Felsengebirgsfiebers (Rocky mountains spotted Fever) in einer Mischung von Kaninchenserum-Tyrode-Losung mit embryonalem Hiihnergewebe zum Wachstum zu bringen, obwohl junge Huhner gegen dieses Virus vollig refraktar sind. Da aber BREINL in seinen Kulturen keine Rickettsien nachzuweisen vermochte, stehen seine Angaben mit den obigen Ausfiihrungen, die sich lediglich auf die Rickettsienziichtung beziehen, nicht in Widerspruch (vgl. hierzu die zweite FuBnote). 2 Man sollte hier eigentlich von der Empfanglichkeit des Meerschweinchens "fiir die Rickettsieninfektion" sprechen, da es zwar sehr wahrscheinlich, aber nicht absolut sicher ist, daB die Rickettsien als die Erreger der verschiedenen Formen des Fleckfiebers betrachtet werden diirfen, Mit Fleckfiebermaterial angelegte Kulturen haben sich wiederholt als infektios erwiesen, obwohl Rickettsien in denselben nicht festgestellt werden konnten (SATO, ILOHUN Yu, RIX, BREINL U. a.) und wo Rickettsien vorhanden waren, bestand nicht immer ein Parallelismus zwischen der Menge der Rickettsien und der Infektiositat' der Kulturen (HOSHIZAKI). Uber den Stand der Frage und das einschlagige Schrifttum orientiert ein ausfiihrlicher Artikel von R. OTTO [Weichardts Erg. 15, 610 (1934)].

Ergebnisse der Hygiene. XVI.

10

146

R.DoERR:

Wucherung der Rickettsien im Cytoplasma so wenig leiden, daB noch mitotische Teilungen trotz weit fortgeschrittener Infektion stattfinden kannen; andererseits vermehren sich die Rickettsien, namentlich in ruhenden Zellen derart, daB diese bis zum Bersten von den Parasiten erftillt erscheinen. Damit wird aber natiirlich nicht erklart, wie die Rickettsien aus dem Binnenraum einer Zelle in den einer anderen gelangen, oder mit anderen Worten, wie die Ausbreitung der Rickettsien im Kontinuum des Nahrmediums erfolgt. PINKERTON und HASS haben sich auch mit dieser ebenso bedeutungsvollen wie vernachlassigten Frage beschaftigt. Auf Grund von Uberlegungen und Untersuchungen, die man im Original (S. 137) nachlesen mag, bezeichnen sie die Annahme als notwendig, daB die Rikettsien von den beherbergenden Zellen in Freiheit gesetzt werden und in andere Zellen eindringen. In der Tat kann nur dieser V organg ftir die Propagation in vitro und in vivo verantwortlich gemacht werden. Die Liberierung der Rickettsien ware auch ohne weiteres verstandlich, nicht aber das "Eindringen", da diese Mikroben keine Eigenbeweglichkeit besitzen. Sofern nicht einzelne Zellen, sondern hahere Organismen als Wirte in Betracht gezogen werden, haben ich mich mit den Problemen des "Eindringens" und der "Ausbreitung" unbeweglicher Mikroben in den letzten Jahren eingehender befaBt 1 und auseinandergesetzt, daB es absurd sei, solchen Keimen "eine besondere" Penetrations- oder Invasionsfahigkeit zuzuschreiben und diese hypothetische Eigenschaft mit der Infektiositat (der Virulenz) in Beziehung zu setzen oder schlankweg zu identifi$ieren". 1m Hinblick auf das Verhalten unbelebter Partikel (Tuscheteilchen) kam ich zu der Auffassung, daB sich auch lebende Mikroben an dem VerlagerungsprozeB von unverletzten Flachen in die Tiefe der Gewebe nicht aktiv, sondern passiv beteiligen d. h. daB diese Flachen (die inneren Auskleidungen des Respirations- und Darmtraktes) kraft ihrer physiologischen Leistungen verschiedenartige Teilchen aufnehmen, magen diese nun unbelebt oder belebt, magen sie pathogene oder apathogene Mikroben sein 2. "Die Infektiositat ist nicht fUr die Aufnahme der Mikroben durch Lunge oder Darm maBgebend, sie entscheidet nur tiber ihr weiteres Schicksal nach erfolgter Aufnahme; der Parasit vermehrt sich oder kann sich vermehren, der zu parasitischer Lebensweise nicht befahigte Keim geht im Organismus, ohne sich zu vermehren, nach relativ kurzer Zeit zugrunde" (1. c., S. 74). 1m FaIle der Rickettsien sind diese Verhaltnisse auf die einfachste Form der Wirtszelle und eines unbeweglichen, intracellularen Parasiten reduziert; auch hier kann es sich nicht urn ein "Eindringen" , sondern nur um eine passive Aufnahme handeln. PINKERTON und HASS fanden allerdings, daB sich die Rickettsien gerade in Phagocyten 1 DOERR, R.: Lehrbuch der inneren Medizin, l. u. 2. Auf!., S. 73-75. Berlin: .Julius Springer. 2 Die Behauptung PASTEURS, daB das Blut gesunder Menschen und Tiere stets frei von Mikroben, insbesondere auch frei von "apathogenen Keimen" ist, bBt sich heute nicht mehr aufrechterhalten. Abgesehen von theoretischen Uberlegungen (DOERR, I. c.) sprechen dagegen auch tatsachliche Befunde, die von F. v. GUTFELD und E. MAYER im Blute und in den Organen frischer Leichen, von E. KULKA sowie von REITH und SQUIER im Blute gesunder Menschen erhoben wurden, ferner tierexperimentelle Untersuchungen iiber die Resorption apathogener Bakterien vom Darm aus (A. J. NEDZEL und L. ARNOLD). Ubrigens beruht ja auch die CALMETTESche Schutzirnpfung gegen Tuberkulose auf der Voraussetzung, daB die Aufnahme von Tuberkelbacillen vorn Darm aus vom Grade ihrer Infektiositat ("Virulenz") unabhangig ist.

Filtrierbare Virusarten.

147

nicht vermehren, ja nicht einmal langere Zeit persistieren; das ist jedoch kein Widerspruch, da eben die Aufnahme in die Zelle und das Leben in derselben an verschiedene Bedingungen gekniipft sein konnen. Die Nutzanwendung auf die eigentlichen Virusarten, sofern diese im Binnenraum von Zellen wachsen, ergibt sich von selbst; auch wenn sie Elementarorganismen sind, darf das Vorhandensein von Lokomotionsapparaten in Anbetracht der Dimensionen dieser Gebilde sicher ausgeschlossen werden und damit die aktive Einwanderung in die Wirtszellen. Wenden wir uns nun zur zweiten Kategorie der Virusarten. Ob man sie als einheitlich betrachten darf, weil die Vermehrung nur die Gegenwart von iiberlebenden Zellen erfordert, ist natiirlich, wie wir gerade am Rickettsienmodell erkannten, fraglich 1 und auch prinzipiell nicht so wichtig. Von besonderer Bedeutung ware dagegen der Nachweis, daB die Proliferation einer oder mehrerer Virusarten dieser Gruppe aufJerhalb von Zellen vor sich geht. In diesem Falle lage es nahe, die begiinstigende Wirkung der dem Nahrmedium zugesetzten Zellen auf eine Art "Ammenfunktion" zUrUckzufiihren, wie sie von der Bakterienziichtung her bereits bekannt ist (hamoglobinophile Bacillen, Pestbacillen, Bacterium pneumosintes); in gleichem AusmaBe wiirde die Annahme eines "Contagium inanimatum" an Wahrscheinlichkeit einbiiBen und die Chance der Kultur auf unbelebtem Substrat steigen. Fiir die extracellulare Vermehrung wiirde der Umstand sprechen, dafJ sick das betreffende Virus auck im fliissigen Teile der Medien vorfindet und dafJ sick die N iikrbodenpassagen fortfiikren lassen, wenn man geringe Quanten der fliissigen Komponente verimpft. Dieser Sachverhalt besteht nach den Angaben von MAITLAND und MAITLAND, RIVERS, LI und RIVERS, PASCHEN bei der Vaccine, die damit in einen bemerkenswerten Gegensatz zu der Rickettsia Prowazeki (NIGG und LAND STEINER) und zum Hiihnerpestvirus (C. HALLAUER) tritt. Da aber intracellular entstandenes Virus wieder frei werden kann, ist der Virusgehalt der Kulturfliissigkeiten jedenfalls nicht eindeutig. In Kulturen des Virus der Maul- und Klauenseuche hat F. HECKE die Infektiositat der zugesetzten Gewebe und des fliissigen Ziichtungsmediums vergleichend gepriift und festgestellt, daB das Virus zwar auch im fliissigen Anteil nachgewiesen werden kann (was von E. STRIEGLER bestatigt wurde), daB es aber in den Gewebsstiicken in der Regel in hoherer Konzentration vorhanden ist. Obwohl auch das entgegengesetzte Verhalten beobachtet wurde, glaubt HECKE doch annehmen zu diirfen, daB sich dieses Virus in den Zellen der Gewebe vermehrt und sekundar in die Kulturfliissigkeit iibertritt, wo es einer allmahlichen Zerstorung unterliegt. Die jeweilige Viruskonzentration im fliissigen Anteil des Kultursubstrates wird als die Differenz zwischen Virusnachschub aus dem Gewebe und extracellularer ViruszerstOrung aufgefaBt. 1 Nach F. HECKE kann das Virus der Maul- und Klauenseuche bei 30 0 C geziichtet werden, obwohl bei dieser Temperatur kein Wachstum der zugesetzten Gewebe erfolgt. "Oberlebendes (atmendes) Gewebe wiirde also geniigen, um die Virusvermehrung zu ermoglichen. Andrerseits nimmt HECKE an, daB sich das Virus der Maul- und Klauenseuche intracellular vermehrt und die Spezifitii.t der fiir seine Ziichtung erforderlichen Gewebe ist insofern festgestellt, als Meerschweinchengewebe geeignet sind, wahrend die Kultur in embryonalem Hiihnergewebe miBlingt (MAITLAND und MAITLAND, F. HECKE). Es scheint also eine Virusform vorzuliegen, bei welcher Eigenschaften beider Gruppen miteinander kombiniert sind.

10*

148

R.DoERR:

Pathologi8che Veriinderungen der zuge8etzten Zellen konnten ebensowohl durch intracellular wie durch extracellular proliferierendes Virus hervorgerufen werden. Das gibt auch fiir die sog. "EinschluBkorperchen", die man in Kulturen mehrerer Virusarten festgestellt hat (Vaccine, Herpes, Virus III), solange es nicht sicher ist, daB diese Gebilde intracellulare Anhaufungen der Viruselemente sind und nicht bloBe Reaktionsprodukte der erkrankten Zellen. Wie wir spater sehen werden, ist dieser Beweis bisher nur fiir die Einschliisse der Gefliigelpocken in iiberzeugender Form erbracht worden und dieses Virus gehort nicht in die zweite, sondern in die erste Kategorie unseres Schemas. Wenn man vo;n der Vorstellung der Ammenziichtung ausgeht, ware aber zu erwarten, dafJ die Spezijitiit der zuge8etzten Zellen keine oder nUT eine untergeordnete Rolle 8pielt, wie das fUr die Ammenkultur der Bakterien tatsachlich zutrifft. Leider sind die Untersuchungen in dieser Hinsicht ZUlli Teile unvollstandig, zum Teile nicht beweiskriiftig oder noch nicht anerkannt; ihre Bewertung hangt auBerdem ganz davon ab, was man unter "Spezifitat" bzw. "Aspezifitat" in diesem FaIle verstehen will. Meines Erachtens kann man diese Begriffe bei der Ziichtung im Explantat nur mit der "Empfanglichkeit" bzw. "Unempfanglichkeit" jener Tiere und ihrer Gewebe identifizieren, von welchen die wachstumsbegiinstigenden Zellen herriihren. In diesem Sinne wurde ja auch die Spezifitat der Wirtszellen bei den Virusarten der ersten Kategorie interpretiert. Legt man diesen MaBstab der Aussage iiber eine bestehende Aspezifitat zugrunde, so ergeben sich mehrfache Schwierigkeiten praktischen bzw. versuchstechnischen und theoretischen Charakters. Praktische Schwierigkeiten, weil man bei der Virusziichtung in erster Linie positive Resultate erzielen wollte und daher "spezifische" Kombinationen wahlte, die von vornherein Aussicht auf Erfolg versprachen. Aspezifische Versuchsanordnungen wurden in weit geringerem Umfange gepriift, so daB das Tatsachenmaterial in dieser Beziehung zu liickenhaft ist, urn als Beweis fiir generelle Folgerungen zu dienen. So wurde Z. B. das Herpesvirus von PARKER und NYE, RIVERS, HAAGEN und MUCKENFUSS, GILDEMEISTER, HAAGEN und SCHEELE, ANDREWES, SADDINGTON im Explantat kultiviert; aber aIle genannten Autoren verwendeten als Wirtsgewebe Kaninchenhoden, Kaninchencornea und Kaninchenniere und das Kaninchen ist eben fiir Herpesvirus in besonders hohem Grade empfanglich. Das Herpesvirus gehort iiberdies zu den Virusarten mit auBerordentlich breitem "Infektiositatsspektrum" (DOERR) d. h. es kann auf sehr zahlreiche und verschiedenartige Tierspezies mit Erfolg iibertragen werden, so daB es nicht so leicht ist, eine sicher aspezifische Kombination (in dem oben prazisierten Sinne) ausfindig zu machen. Eine derartige Kombination ware die Ziichtung von Herpesvirus in Hiihnergewebe, da Vogel (Hiihner, Enten, Sperlinge, Bussarde) nach BLANC und CAMINOPETROS sowie REMLINGER und BAILLY gegen Herpesvirus refraktar sind. Solche Kulturversuche (mit Hilfe von embryonalem Hiihnergewebe) wurden von E. HAAGEN und von GASTINEL, STEFANESCO und REILLY ausgefUhrt und gaben positive Resultate. Selbst in solchen, scheinbar eindeutigen Fallen hat man noch mit der Tatsache zu rechnen, daB Tierarten, die man friiher fiir natiirlich immun hielt, weil sie keine krankhaften Storungen zeigten, latent infiziert werden konnten. So ist z. B. weiBe Maus fiir Gelbfiebervirus (M. THEILER) und fUr Hiihnerpestvirus (DOERR, SEIDENBERG und WHITMAN) empfanglich.

Filtrierbare Virusarten.

149

SchlieBlich kommt noch ein Umstand in Betracht, der in zahlreichen Arbeiten iiber Virusziichtung vernachlassigt wird. Nur wenige Autoren verwendeten Reinkulturen bestimmter Zellarten (Fibroblasten, Osteoblasten, Monocyten, Epithelien usw.); in der Regel wurden Organfragmente· von embryonalen oder erwachsenen Tieren beniitzt, in welchem FaIle es fast immer unentschieden blieb, welche Gewebselemente in vitro uberleben oder PToliferieren bzw. fiir die Virusvermehrung notwendig sind. 1m Hinblick auf die gerade bei den Virusarten oft stark ausgepragte Organotropie erscheint es zunachst ganz natiirlich, daB verschiedene Organe, obwohl sie von der gleichen empfanglichen Tierart herriihren, doch eine differente Eignung fiir die Ziichtung einer bestimmten Virusform besitzen konnen, wie das unter anderem von HALLAUER fUr das Virus der Hiihnerpest, von HECKE fiir das Virus der Maul- und Klauenseuche und der Schweinepest tatsachlich festgestellt wurde. AuBer der "Artspezifitat" kann eben auch die "Gewebsspezifitat" des Organs maBgebend sein. Durch die Verwendung von Organfragmenten werden aber diese elektiven Beziehungen aus dem oben angegebenen Grunde verschleiert. So ergaben die ausgedehnten Untersuchungen von F. HECKE iiber die Eignung verschiedener Organe embryonaler und erwachsener Meerschweinchen fUr die Ziichtung des Maul- und Klauenseuchevirus ein derartig buntes und widerspruchsvolles Resultat, daB HECKE vermutet, es sei nicht die Gewebsart an sich, sondern die Art ihrer physiologischen Tatigkeit, welcher die wesentliche Rolle bei der Virusvermehrung zufallt. Das ist jedoch nur eine der moglichen Deutungen und nicht gerade die wahrscheinlichste, wenn man mit HECKE (s. S. 147) eine intracellulare Vermehrung des Maul- und Klauenseuchevirus annimmt. Es ist ebensogut denkbar, daB die iiberlebenden oder proliferierenden Zellarten der Organfragmente in verschiedenen Geweben verschieden oder auch identisch sein konnen. Selbst beim gleichen Organ konnen sich Differenzen ergeben, je nachdem dasselbe dem Embryo, dem erwachsenen oder dem gealterten Tiere (der gleichen Spezies) entnommen wiid, wie das unter anderem aus einer neueren Mitteilung von EPHRUSSI und LACASSAGNE hervorgeht. Die biologische Interpretation positiver oder negativer Ergebnisse der Virusziichtung muB unter diesen Umstanden unsicher werden; insbesondere laBt sich nicht beurteilen, ob sich die Eignung oder Nichteignung der Organe zur Virusziichtung mit der elektiven Verbreitung des betreffenden Virus im Korper des infizierten Tieres deckt und damit bleiben naturgemaB auch die anderen Fragen in Schwebe. In theoretischer Hinsicht kann man fragen, ob die Viruskultur mit Hille von Geweben refraktarer Tiere nicht etwa a priori unmoglich ist. Es besteht bei manchen Autoren die Auffassung, daB die Explanta.tziichtung nichts anderes sei als eine ins Reagensglas verlegte Infektion, und in diesem FaIle miiBten die elektiven Beziehungen zwischen Virus und Wirtsgewebe in vivo und in vitro identisch sein. Bei den Virusarten der ersten Kategorie harmoniert, wie wir sahen, diese Vorstellung mit den Tatsachen; vermehrt sich aber das Virus extracellular, so braucht sie nicht richtig zu sein, da in vitro eine Reihe von Faktoren wegfallt, welche fUr das refraktare Verhalten des lebenden Tieres maBgebend sein konnen. In der Tat exisitieren einige Beobachtungen, denen zufolge die Spezifitat des Gewebes fiir bestimmte Virusformen mehr oder weniger irrelevant ist. Ich beschranke mich darauf, 2 Beispiele anzufiihren. HAAGEN und THEILER sowie

150

R. DOERR:

HAAGEN konnten das Gelbfiebervirusmit Hilfe von Meerschweinchen- oder Kaninchenorganen (Niere oder Hoden) ziichten. Die besten Resultate gab aber embryonales Hiihnergewebe in Kombination mit Affenserum; die Kombination von embryonalem Hiihnergewebe mit Kaninchenserum oder Tyrodelosung erwies sich als weniger geeignet, was darauf hindeutete, daB auch der fliissige Anteil des Mediums eine gewisse Rolle spielte, die aber nicht entscheidend war, da Affenserum + abgetotetes Hiihnerembryonalgewebe voillg negative Ergebnisse lieferte. Mit embryonalem Hiihnergewebe (in TyrodelOsung oder DUBOIS' Spezialbouillon) gelang auch die Kultur des Schnupfenvirus, das sich nur auf Menschen oder Schimpansen iibertragen laBt (DOCHEZ, MILLS und KNEELAND, POWELL und CLOWES). Es fallt iiberhaupt auf, daB iiberlebende Kaninchenniere (MAITLAND und MAITLAND) sowie embryonales Hiihnergewebe (CARREL und RIVERS 1) sozusagen "Universalmedien" sind, die schon eine ansehnliche Reihe von Erfolgen ermoglichten und die sich auch bei bestimmten Virusarten (Vaccine, Gelbfieber- und Herpesvirus) gegenseitig vertreten konnen. Das Extrem der Aspezifitat, vor dem jeder Einwand verstummen miiBte, ware die Viruskultur mit Hilfe von Bakterien, Hejezellen oder Protozoen, die getreue Kopie der Ammenziichtung der Bakterien (s. oben). Die Experimente mit (bakterienfreien) Protozoenkulturen (S. NICOLAU und A. LwoFF) gaben negative Resulta,te; dagegen liegen angeblich positive Ergebnisse mit Bakterien und Hefezellen vor. DEGKWITZ (1927-1928) behauptete, daB ihm die Kultur des Masernvirus in fliissigen Spezialnahrboden durch Symbiose mit verschiedenen Kokkenarten (Pneumokokken, Streptokokken, Coccus von TUNICLIFF) gegliickt sei. Die Technik war ziemlich einfach. Es erscheint mir daher merkwiirdig, daB, soweit ich unterrichtet bin, noch keine Nachpriifungen angestellt wurden, und daB man statt dessen iiber die Existenz eines filtrierbaren Infektionsstoffes der Masern debattiert, eine Frage, die durch die Verifizierung der Mitteilungen von DEGKWITZ erledigt werden konnte. In neuerer Zeit (1933) erschienen ferner 2 Mitteilungen von L. A. SILBER und W OSTRUCHOWA, denen zufolge Vaccine virus in Kulturen von Hefen oder Staphylokokken in gewohnlicher Nahrbouillon proliferiert und in praktisch unbegrenzten Passagen fortgeimpft werden kann. SILBER und WOSTRUCHOWA stellten iiberdies weitere Berichte in Aussicht, wonach die gleiche Methode auch bei anderen Virusarten (Herpes, Fleckfieber) zum Ziele fiihren solI. Fiir das Fleckfiebervirus wurde diese Zusage kurz darauf von SILBER und DOSSER eingelOst; iiber den Rickettsiengehalt der mit Hefen (Torula Kephir) oder Sarcinen erzielten Kulturen auBern sich die genannten Autoren vorlaufig noch unbestimmt, verweisen aber darauf, daB Rickettsien auch in Gewebskulturen oder in infizierten Lausen nicht immer festgestellt werden konnten. Wie einem kurzen Referat im Zentralblatt fiir Bakteriologie 2 zu entnehmen ist, versetzten auch G. KALINA und DANISCHEWSKAJA eine Hefekultur mit Blut von Fleckfieberkranken und fiihrten weitere Ubertragungen auf Hefekulturen aus. In der 26. und 1 Eine Variante dieses Verfahrens stellt die Ziichtung in der Keimscheibe des befruchteten Hiihnereies dar, die bisher bei der Vaccine (GOODPASTURE, WOODRUFF und BUDDINGH, NAUCK und PASCHEN, STEVENSON und BUTLER, GODINHO) sowie beim Virus der Vesicularstomatitis der Pferde (BURNET und GALLOWAY) mit Erfolg benutzt wurde. 2 Zbl. Bakter. 1. Ref. 112, 352 (1934).

Filtrierbare Virusarten.

151

49. Generation war das Fleckfiebervirus durch Tierversuche an Meerschweinch~n und Kaninchen (x19-Agglutinine) noch nachweisbat. Mehr ist aus dem deutschen Bericht nicht zu ersehen, insbesondere auch nicht, ob die Kulturen Rickettsien enthielten. Das russische Original war mir nicht zuganglich. Aus uuzweifelhaft positiven Ergebnissen dieser Art wiirden sich natiirlich weitgehende Folgerungen ableiten lassen. Virusarten, die das beschriebene Verhalten zeigen, konnten keine unbelebten Stoffe sein, da der Gedanke absurd ware, daB eine Hefezelle z. B. durch Herpesvirus gereizt werden kann und infolge dieser Reizung wieder Herpesvirus produziert, und ebensowenig konnte es sich um obligate Zellschmarotzer handeln, da jede Spur einer engeren Anpassung an bestimmte Wirtszellen vollig fehlen wiirde. Es kamen somit nur Ultramikroben in Betracht, die zu ihrer Vermehrung Substanzen (Nahrstoffe, Wachstumshormone, Atmungsfermente) benotigen, welche von sehr verschiedenartigen lebenden Zellen geliefert werden konnen. 1m Hinblick auf die Tragweite der von L. A. Sn.BER mit groBter Bestimmtheit gemachten Angaben war a priori mit zahlreichen Nachpriifungen zu rechnen. Publiziert wurde allerdings bisher meines Wissens nur eine Untersuchung iiber die Vaccine von C. R. AMIES, die ein gauzlich negatives Ergebnis verzeichnet, obwohl AmES rueselben Kulturen von Hefen (Torula Kephir) benutzte wie Sn.BER. Ferner findet sich bei F. BREINL eine kurze Notiz, daB sich Vaccinevirus in KaninchenserumtyrodelOsung, in welcher lebende Hefezellen aufgeschwemmt wurden, nicht vermehrt. Aus miindlichen Mitteilungen weiB ich jedoch, daB sich das Verfahren der russischen Autoren auch an anderen Orten als unbrauchbar erwies, und in meinem Institut kam S. SEIDENBERG sowohl fiir die Vaccine als fiir das Hiihnerpestvirus gleichfalls zu einem durchaus negativen Ergebnis. Offenbar hat man derartige Veroffentlichungen einstweilen zuriickgehalten, weil eine Aufklarung erwiinscht erscheint, wie Sn.BER und WOSTRUCHOWA zu ihren dezidierten Behauptungen kamen, eine Aufklarung, die vorlaufig noch nicht in befriedigender Form gegeben werden konnte. Die symbiotische Ziichtung des Fleckfiebervirus Init Hilfe von Hefen oder Sarcinen solI nach E. LEWKOWITSCH nur bis zur ersten Subkultur moglich sein, eine Einschrankung, die fUr eine fachmannische Kritik eher eine Ablehnung als eine Bestatigung bedeutet; R. OTTO berichtete in der Tat iiber vollige MiBerfolge. Ich halte es aber doch fiir angezeigt, weitere Untersuchungen abzuwarten. Selbst wenn sich die Angaben von DEGKWITZ sowie von Sn.BER in der Folge als irrig erweisen sollten, ware iibrigens das Prinzip der wachstumsfordernden, von fremden Zellen abgegebenen Substanzen noch keineswegs definitiv widerlegt. Es miissen ja nicht gerade Bakterien oder Hefen sein, welche die symbiotische Mithilfe zu leisten vermogen. F. BREINL bezeichnete erst kiirzlich die Isolierung der hypothetischen Hilfsstoffe d. h. ihre Abtrennung von den produzierenden Zellen als eine der wichtigsten Aufgaben der kiinftigen Virusforschung, eine Problemstellung, hinter welcher wieder der Wunsch steht, die Viruskultur in vitro ohne unmittelbare Beihilfe "fremden Lebens" zu realisieren, indem man die isolierten Substanzen als Zusatz zu unbelebten Nahrsubstraten verwendet. Bisher haben allerdings die mannigfach variierten Versuche, lebende Ammengewebe durch abgetotete Zellen, Gewebsextrakte, zellfreie Gewebsfiltrate oder dialysable Zellstoffwechselprodukte zu ersetzen (EBE-RSON, EAGLES und MCCLEAN, MUCKENFUSS und RIVERS, MUCKENFUSS, C. HALLAUER u. a.), negative oder

152

R.DoERR:

unbefriedigende Resultate gezeitigt. Das kann aber daran liegen, daB uns vorlaufig noch die genauere Kenntnis des Mechanismus der Ammenfunktion mangelt. Einige Ansatze sind jedoch schon jetzt vorhanden. Nach MAITLAND, LAING und LYTH hangt die Vermehrung der Vaccine in erster Linie von der respiratorischen Tatigkeit des Ammengewebes ab, da der freie Zutritt von Sauerstoff zum Ammengewebe die Viruszunahme begiinstigt. In gleichem Sinne auBert sich F. BREINL, der fand, daB die Vermehrung der Vaccine in Gegenwart von iiberlebendem Kaninchenhoden durch Sauerstoffmangel oder durch Blausaurevergiftung (n/lOO Natriumcyanid) unterdriickt werden kann. BREINL nimmt an, daB das Wachstum der Vaccine durch eine yom atmenden Gewebe beigesteuerte, sehr labile Substanz ermoglicht wird; es liegt nahe, diese hypothetische Substanz hinsichtlich ihrer biologischen Aktivitat als ein Atmungsferment aufzufassen, woraus sich dann der RiickschluB ergibt, daf3 die Vaccinekeime keine derartigen Stolte besitzen und daf3 sie eben aus diesem Grunde auf die Atmung fremder Zellen angewiesen sind. Diese Konzeption gewinnt erheblich an Sicherheit, wenn man genauer studierte analoge Verhiiltnisse parasitischer Mikroben zum Vergleich heranzieht. Ich meine die hamoglobinophilen Bakterien und die Trypanosomen, die sich bekanntlich in vitro nur vermehren, wenn die Nahrboden Blut, Hamoglobin oder gewisse Derivate des Blutfarbstoffes enthalten. DaB das Hamoglobin von den hamoglobinophilen Bakterien nicht als Nahrstoff verwertet wird, haben GHON und PREYSS sowie LUERSSEN schon vor Jahrzehnten konstatiert. Seit DAVIS 1907 zum ersten Male diese Ansicht aussprach, ist es immer gewisser geworden, daB dem Hamoglobin die Rolle eines katalytischen Faktors zukommt (von TmOTTA und AVERY X-Faktor genannt im Gegensatz zu dem vitaminahnlichen V-Faktor, den die Influenzabacillen zu ihrer Vermehrung ebenfalls benotigen), und daB die wachstumsbefordernde Wirkung des Blutes bzw. des Hamoglobins auf dem Gehalt an aktivem Eisen beruht. In der Tat gelang es BAUDISCH (1932), das Hamoglobin durch chemisch reine Eisenoxyde (Fe 20 a aus Eisencarbonyl oder. Carbonyleisen) zu ersetzen, und da die im Ziichtungsversuch wirksamen Eisenpraparate eine starke Katalasereaktion gaben, betrachtet BAUDISCH die katalytische Funktion als eine wesentliche Eigenschaft aller Substanzen, die bei der Kultur der Influenzabacillen die Rolle des X-Faktors iibernehmen konnen. Wie man sich den engeren Zusammenhang zwischen den Stoffwechselvorgangen im Innern der Bakterienzellen und den in ihrer auJ3eren Umgebung befindlichen Katalasen zu denken hat, ist einstweilen noch fraglich 1. Sicher ist nur, daJ3 aktives Eisen bei der aeroben Ziichtung der Influenzabacillen 1 K. Kopp konnte Influenzabacillen auch anaerob in Passagen kultivieren und stellte fest, daB sie in diesem Falle nur den V-Faktor, nicht abel' den X-Faktor benotigen. Diese Angaben wurden von A. EmuND mit del' Einschrankung bestatigt, daB die anaerobe Ziichtung auf V-haltigem Nahragar nicht bei allen, sondem nul' bei bestimmten Stammen von Influenzabacillen gelingt. Wie solI man sich abel' die Notwendigkeit des X-Faktors fiir die aerobe Kultur erklaren? Die Ansicht von Kopp, daB die Influenzabacillen obligate Anaerobier sind und daB del' X-Faktor nul' die Aufgabe hat, den schadlichen Luft-O von den Bakterien durch Bindung abzulenken, laBt sich meines Erachtens nicht aufrechterhalten. Die Analyse del' Verhaltnisse wird iibrigens dadurch erschwert, daB eben noch ein zweiter Faktor ("V") erforderlich ist, del' nach K. MEYER gleichfalls zum Blut und seinen oxydativen Fahigkeiten in Beziehung steht. Man muB also wohl weitere Untersuchungen abwarten, um ein klareres Urteil iiber den Mechanismus del' biologischen Unselbstandigkeit del' Influenzabacillen zu gewinnen.

Filtrierbare Virusarten.

153

und anderer hamoglobinophiler Bakterien bisher nicht ausgeschaltet werden konnte, konform den Untersuchungen von OTTO W ARBURG iiber seine Bedeutung fiir die Redoxprozesse in Zellen und den Forschungen von KEILIN, denen zufolge alle aero ben Organismen im Cytochrom ein eisenhaltiges respiratorisches Ferment besitzen. MARGUERITE LWOFF, auf deren Arbeiten ichhier mit allem Nachdruck hinweisen m,ochte, konnte zeigen, daB bei den parasitischen Trypanosomen das gleiche Bediirfnis nach aktivem Fe besteht, das diesen Protozoen zwar nicht in beliebiger, aber doch in verschiedener Form (Blut, Hamatin, PorphyrinEisenverbindungen animalischer oder vegetabilischer Provenienz) dargeboten werden kann. Eine zusammenfassende Darstellung ihrer eigenen und fremder Ergebnisse (1933) schlieBt M. LWOFF mit dem Satze: "L'hypothese est emise, que ce besoin en fer actif est lie, chez les trypanosomides et probablement aussi chez les bacteries hemophiles, a une deficience en ferment respiratoire." Hamophile Bakterien und Trypanosomen vegetieren auf3erhalb von Wirtszellen, ein Umstand, der fiir die Ziichtung der Vaccine und anderer Virusarten insoferne von Bedeutung ist, als er lehrt, daB die respiratorische Ammenfunktion nur ein riiumliches N ebeneinander erfordert. Die Abhangigkeit des Gaswechsels der obligaten Zellschmarotzer von der Atmung der Wirtszellen erscheint uns selbstverstandlich, wenn auch nicht gerade eindeutig. Die Rickettsia Prowazeki z. B. vermehrt sich in sonst geeigneten Wirtszellen nicht, wenn die Medien unter anaeroben Bedingungen gehalten werden (NIGG und LANDSTEINER). Da es an iibertragbarem Sauerstoff mangelt, kann man aber nicht entscheiden, ob den Rickettsien die Fahigkeit zur Produktion katalytischer Atemfermente fehlt. Es ist nur a priori wahrscheinlich, daB ein Zellparasit diese Fahigkeit, die er ja nicht mehr benotigt, durch Anpassung allmahlich vollstandig einbiiBen kann, wahrend das gleiche Phanomen bei Mikroben, die ihr Leben stets auBerhalb fremder Zellen fristen, nicht mehr der Erwartung entspricht und daher unser Interesse in hoherem Grade beansprucht. Ich will und kann nicht behaupten, daB der Verlust des selbstandigen Gaswechsels den Schliissel des Verstandnisses fiir samtliche Explantatziichtungen liefert, bei welchen der obligate Zellparasitismus oder die intracellulare Entstehung unbelebter Kontagien mit hinreichender GewiBheit ausgeschlossen werden diirfen. Die tatsachlichen Beobachtungen lassen eine derartige Generalisierung einstweilen noch nicht zu. Vermutlich faBt man auch das Problem zu enge, wenn man ausschlieBlich O-iibertragende Atemfermente beriicksichtigt. Wie bei den Bakterien konnen bei den Ultramikroben Anoxybionten existieren, deren "Atmung" auf einer anaeroben Glykose beruht; das Schnupfenvirus z. B. vermehrt sich, wenn man die Sauerstoffzufuhr zum zellhaltigen Medium durch VaselinabschluB verhindert, worauf EAGLES (S.636) besonders aufmerksam macht. Ich erblicke darin jedoch keinen prinzipiellen Widerspruch; schlieBlich ist auch die anaerobe Glykolyse ein fermentativer ProzeB und man kann sich daher vorstellen, daB es nur Enzyme anderer Art sind, welche den Ultramikroben in solchen Fallen fehlen und die von anwesenden fremden Zellen beigesteuert werden miissen. Es ist ferner moglich, daB sich die Unselbstandigkeit der Ultramikroben nicht nur auf die Atmung, sondern auch auf den Ernahrungsstoffwechsel im engeren Sinne erstreckt, daB also eine "Assimilationsschwache" besteht, die hier einen hoheren Grad erreicht als bei den parasitischen Bakterien und den metatrophen Protozoen. SchlieBlich konnte man auch an den Mangel

154

R.DoERR:

von Wachstums- oder Vermehrungshormonen denken, die nach neueren Untersuchungen bei den proliferativen Prozessen pflanzlicher und tierischer Zellen als Vitamine, Auxine, Meristine, Organisatoren usw. eine so wichtige Rolle spielen. Soviel steht aber schon jetzt fest, daB der Verlust der fiir eine autonome Existenz erforderlichen biochemischen Leistungen bei den Virusarten - von den zwei eingangs erwahnten Ausnahmen abgesehen - extrem ausgepragt ist und daB dieser Defekt nur als Folge des Parasitismus aufgefaBt werden kann, sofern es sich eben um Elementarorganismen und nicht um unbelebte Stoffe handelt. Von dieser Seite betrachtet kann das Fehlen "saprophytischer Doppelganger" in der freien Natur nicht befremden, urn so weniger, als die Voraussetzung, daB solche Keime der gleichen GroBenklasse angehoren miiBten wie die Viruselemente, falsch sein kann. Wie die phylogenetischen Vorfahren der Ultramikroben ausgesehenhaben, wissen wirnicht, und wenn sie sich bis auf die Gegenwart erhalten haben sollten, stiinde uns kein Mittel zu Gebote, um ihre Verwandtschaft mit den parasitischen Deszendenten nachzuweisen. Will man sich mit rein spekulativen Betrachtungen begniigen, so kann man allerdings versuchen, die noch vorhandenen Mikrobenformen miteinander in genetische Beziehung zu bringen. So hat CH. NICOLLE einen Stammbaum konstruiert, der von den "fakultativ pathogenen" Bodenbakterien beginnend iiber die groBen, grampositiven Sporenbildner (Milzbrand- und Tetanusbacillen) und die kleineren, gramnegativen, asporogenen Bakterien (Typhusbacillen, Brucellen, Influenzabacillen usw.) bis zu den Inframikroben hinabsteigt. In der NICoLLEschen Reihe nimmt der Saprophytismus ab, der Parasitismus zu, bis im letzten Glied der phylogenetischen Kette, den Infra- oder Ultramikroben, das Extrem des obligaten Parasitismus erreicht wird. Die Entstehung der Inframikroben wird dadurch erklart, daB die groBen Vorfahren ihren Vermehrungstypus andern, indem an die Stelle der urspriinglichen Querteilung ein Zerfall in kleinere, vermehrungsfahige Gebilde (Granula oder invisible Elemente) tritt, die schlieBlich, weil sie an das Leben in einem· Wirt besser angepaBt sind, das Feld behaupten und als Virus die geanderte Art reprasentieren. NICOLLE stiitzt sich dabei auf jene Angaben, denen zufolge bei manchen Kontagien (Recurrensspirochaten, Bakterien) beide Stadien nebeneinander existieren und ineinander iibergehen konnen, so daB man hier gewissermaBen die noch unvollendete phyletische Metamorphose mikroskopischer Keime in Ultramikroben vor sich hatte. Wie NICOLLE selbst betont und wie auch HAUDUROY und F. LUCKSCH zugeben, ruht indes die Entwicklungsgeschichte der (als Organismen aufgefaBten) Virusarten vorlaufig noch auf recht unsicherer Basis; sie steht ferner mit einer Reihe von mikrobiologischen und parasitologischen Tatsachen in Widerspruch und vernachlassigt die Moglichkeit, daB die Virusarten zum Teil etwas anderes sein konnten als Mikroben im Sinne der herrschenden Vorstellungen. Trotz der Kiirze meiner Ausfiihrungen glaube ich gezeigt zu haben, daB die Virusziichtung, obwohl sie bisher hauptsachlich empirisch orientiert war, zu biologischen Problemen hoherer Rangordnung fiihrt. Um so bedauerlicher ist es, daB ungezahlte Publikationen dieses Spezialgebietes, in welchen iiber erzielte Erfolge meist mit groBer Bestimmtheit berichtet wurde, heute nicht mehr sind als Dokumente eines ebenso enormen wie unniitzen Arbeitsaufwandes. Sieht man von groben Fehlern ab, so verbleibt ein betrachtlicher Rest, der irgendwie in der angewandten Methodik begriindet sein muB. Als Paradigma

Filtrierbare Virusarten.

155

mag etwa die Angabe von MARCHOUX sowie von LAND STEINER und BERLINER dienen, daB Huhnerpestvirus in Anwesenheit von normalen Huhnererythrocyten kultiviert werden kann, wahrend TODD und in meinem Institute C. HALLAUER (nicht veroffentlicht) negative Resultate erzielten. Gerade in diesem Falle ist die ganze Versuchsanordnung anscheinend so einfach, daB der tatsachliche Widerspruch mehr als sonst auffallt. Welche Momente konnen fUr solche kontradiktorische Aussagen verantwortlich gemacht werden? Der Beweis, daB sich ein Virus in vitro vermehrt hat, wird derzeit so gut wie ausschlieBlich mit Hille moglichst vielgliedriger Nahrbodenpassagen gefuhrt. Das Verfahren ist eine spezielle Nutzanwendung der nun schon hundert Jahre alten "Oberlegung von JAKOB HENLE, daB jede "Obertragung eines Infektionsstoffes einer Verdunnung gleichkommt und daB eine unbegrenzte Verdiinnung eines wirksamen Agens ohne zwischengeschaltete Vermehrung unmoglich ist. Man bemuht sich daher, eine genugende Zahl von Passagen zu erzielen und beschrankt sich meist darauf, das Virus im letzten Gliede der Reihe durch einen qualitativen Tierversuch nachzuweisen. Die Gefahr der Verschleppung von einem KulturgefaB ins andere wird zwar allgemein anerkannt; man glaubt aber, diesen Fehler sicher ausschlieBen zu durfen, wenn die Lange der "Obertragungsserien der Verdiinnungsfahigkeit des Ausgangsmaterials nicht mehr entspricht. Aus demselben rechnerischen Grunde legt man sich bei der Bemessung der ursprunglichen Einsaat und der zur fortlaufenden "Oberimpfung dienenden Quanten keinen Zwang auf; es werden oft relativ groBe Mengen verwendet, und zwar auch dann, wenn das Nahrbodenvolum klein ist, in der Erwartung, daB die groBe Zahl der "Obertragungen solche Fehler ausgleichen muB. Haufig benutzt man endlich zur "Oberimpfung nicht die fliissige Komponente der Medien oder durch Filtration zellfrei gemachte Verreibungen des starren Anteiles, sondern iibertragt mit dem Virus Zellen oder Gewebsfragmente. Das miissen aber offenbar die Wege sein, auf welchen die vielen, spater als irrtiimlich erkannten Angaben iiber gelungene Virusziichtungen zustande kommen. Ohne einen vollstandigen Kanon fUr ein richtiges Vorgehen aufstellen zu wollen, mochte ich daher auf einige der gewohnlich vernachlassigten Regeln kurz hinweisen: 1. Auf den ersten Nahrboden einer Passagereihe solI nur eine kleine, am besten eine eben noch nachweisbare Virusmenge iibertragen werden und die weiteren "Oberimpfungen sind ebenfalls mit geringen Substanzmengen vorzunehmen. Zwischengeschaltete Filtrationen (DEGKWITZ) sind zwar unbequem, wiirden aber die Sicherheit eines positiven Ergebnisses wesentlich erhohen. 2. In der letzten Passage sollte der Virusgehalt quantitativ festgestellt werden, wobei die Untersuchungen von DOERR und SEIDENBERG sowie von G. PYL iiber die Fehlerquellen derartiger Auswertungen ("Pipettenfehler", virulicide Verdiinnungsfliissigkeiten, Verdiinnungstemperatur, unsicherer Ubertragungsmodus auf empfangliche Versuchstiere usw.) zu beriicksichtigen waren. 3. Es sind Kontrollversuche auszufiihren, und zwar a) Man beimpft das gewahlte Nahrmedium mit Virus, halt das Gemisch bei der Temperatur, bei welcher man die eigentliche Ziichtung vorzunehmen gedenkt und iiberzeugt sich durch fortlaufende Priifung, innerhalb welcher Frist das Virus verschwindet bzw. zerstOrt wird. 1st diese Frist wesentlich kiirzer

156

R. DOERR:

als die Zeit, welche die mehrgliedrige Passage in toto beansprucht, so wird eine bloBe Konservierung von verschlepptem Virus unwahrscheinlich. b) Die mehrgliedrige Passage wird als "Blindversuch" angesetzt d. h. so, daB zwischen die einzelnen -obertragungen keine oder nur minimale Zeitintervalle eingeschaltet werden. Wenn man im letzten Nahrboden Virus findet, liegt eine Verschleppung vor; eine Virusvermehrung ist unter diesen zeitlichen Bedingungen unmoglich. c) Die Virusvermehrung muB an eine bestimmte Temperatur bzw. an einen bestimmten Temperaturbereich gebunden sein, woraus sich die Moglichkeit einer weiteren Kontrolle ergibt. In dieser Hinsicht konnen die Untersuchungen von PINKERTON und HASS iiber die Vegetationstemperatur der Rickettsien als Muster dienen. 4. Von jedem neuen Ziichtungsverfahren ist zu verlangen, daB es sic;h durch seine Reproduzierbarkeit ausweist, sofern es iiberhaupt Anspruch auf Anerkennung erheben will. Unter "Reproduzierbarkeit" ist allerdings nicht der "hundertprozentige Erfolg" zu verstehen, da - wie unter anderem die Ziichtung der Vaccine gelehrt hat - zum Teil noch unbekannte Faktoren das Resultat beeinflussen. Solche Verhaltnisse sind ja auch sonst zu konstatieren, wie z. B. bei der Kultur der Bangbakterien (Brucella abortus) aus dem stromenden Blute des infizierten Menschen. Aber ein einmaliges Gelingen (Ziichtung der Vaccine auf unbelebtem Substrat nach EAGLES und MCCLEAN, Kultur des Masernvirus nach DEGKWITZ usw.) beweist nichts, selbst wenn man den Angaben des Autors eine gewisse innere Wahrscheinlichkeit zuerkennen muB.

III. Einschliisse und Elementarkorperchen. Bei vielen Viruskrankheiten der Tiere und Pflanzen hat man im Binnenraum von Wirtszellen eigenartige Gebilde, die sog. "Einschlufjkorperchen" gefunden und dariiber debattiert, ob sie als Reaktionsprodukte der erkrankten Zellen oder als Anhaufungen der Viruselemente aufzufassen sind. Stets bestand die Tendenz, entweder die eine oder die andere Ansicht generell d. h. fur samfliche Formen der EinschlufjkOrperchen gelten zu lassen. Die Annahme, daB sich die fraglichen Gebilde zwar hauptsachlich aus Viruselementen zusammensetzen, daB aber die beherbergenden Zellen besondere Stoffe (Hiill- oder Mantelsubstanzen) zu ihrem Aufbau beisteuern, vermochte die Scharfe der prinzipiellen Antithese nicht abzuschwachen. Infolge der Fortschritte der mikrurgischen Technik ist es jedoch moglich geworden, die EinschluBkorperchen zu isolieren und auf empfangliche Tiere zu verimpfen, und wir wollen diese Experimente, da sie den unfruchtbaren und vielfach auch recht unerquicklichen Streit auf ein neues Geleise schieben, an die Spitze unserer Betrachtungen stellen. Zur Zeit, als ich diesen Vortrag niederschrieb, waren mir nur zwei Versuchsreihen dieser Art bekannt 1, von welchen die eine 1929 von WOODRUFF und GOODPASTURE, die andere 1933 von LUISE BmCH-HmsCHFELD publiziert wurde. 1 Die Untersuchungen von R. W. GLASER liber die Polyederk6rperchen waren mir entgangen. Es sind dies Zelleinschllisse, welche bei gewissen Krankheiten von Raupen (z. B. bei der Gelbsucht von Seidenraupen) in groBer Massenhaftigkeit auftreten und durch einfache Prozeduren (Waschen und Zentrifugieren) isoliert werden konnen. Nach AOlU und CmGASAKI sowie KOMAREK und V. BREINDL soIl es sich urn parasitische Gebilde handeln oder wenigstens urn Formelernente, die das iitiologische Agens enthalten. GLASER stellte jedoch fest, daB Polyeder, die durch Waschen und Zentrifugieren von allen Spuren

Filtrierbare Virusarten.

157

WOODRUFF und GOODPAST"LTRE unterwarfen das hyperplastische Gewebe der Gefliigelpocken der tryptischen Verdauung, wodurch die Epithelzellen aufgelost wurden, wahrend die Einschliisse (die nach ihrem Entdecker als BOLLINGERSche Korperchen bezeichnet werden) morphologisch intakt blieben. Die frei gewordenen Korperchen wurden mit Kochsalzlosung gewaschen und teils einzeln, teils zu 2-6 Exemplaren auf Hiihner verimpft; 10 von 19 derartigen Versuchen lieferten positive Resultate, .und die Versager lieBen sich zwanglos mit der bekannten Schwierigkeit erklaren, so winzige Gebilde mit Sicherheit einem Versuchstiere einzuverleiben. Als Kontrollen dienten Impfungen von Hiihnern mit der Kochsalzlosung, in welcher die Einschliisse zuletzt d. h. unmittelbar vor ihrer Verimpfung suspendiert waren; sie verliefen durchwegs negativ. LursE BmcH-HmscHFELD wahlte als Objekt die EinschluBkorperchen, welche bei der von MARCHAL entdeckten Ectromelia infectiosa, einer Viruskrankheit der Mause auftreten. Sie iiberzeugte sich zunachst, daB auf dem Kohlensauremikrotom hergestellte Schnitte der erkrankten FuBsohlenhaut hochgradig infektios sind, daB also das Virus gegen Einfrieren und Wiederauftauen resistent ist. Aus solchen Schnitten wurden nun die Einschliisse mikrurgisch herausprapariert, in Wasser mehrfach gewaschen und mit Hilfe einer Spritze in groBerer Zahl (bis zu 100 Exemplaren!) in die FuBsohle von Mausen injiziert; die Tiere blieben durchwegs gesund, wahrend die mit zerriebenem Schnittmaterial geimpften Kontrollen typisch reagierten. BmcH-HmscHFELD halt die Einschliisse der Ektromelie fiir plastinartige Umwandlungsprodukte des Protoplasmas der Wirtszellen, wofiir auBer der mangelnden Infektiositat auch die sonstigen Eigenschaften dieser Gebilde sprachen (chemisches und farberisches Verhalten, elastische Dehnbarkeit usw.); in optischer Hinsicht erwiesen sie sich meist als vollig homogen, und ein Aufbau aus kleinsten Granula war auch durch mikrurgische Operationen (Anschneiden und Quetschen der Einschliisse) nicht zu konstatieren. In den BOLLINGERSchen Korperchen der Gefliigelpocken sehen dagegen WOODRUFF und GOODPASTURE intracellulare Kolonien des Erregers, wobei sie sich einerseits auf die Infektiositat, andererseits auf die Struktur dieser EinschluBformen stiitzen, welche, umgeben von einer fettartigen Kapsel, Hunderte von winzigen (0,25 fl im Durchmesser haltenden), rundlichen und gleichartigen Kornchen enthalten. Es wird angenommen, daB diese "Elementarkorperchen" (die "Strongyloplasmen" von LIPSCHUTZ) die eigentlichen corpuscularen Viruseinheiten, und zwar lebende, autonom vermehrungsfahige Organismen sind. Hierzu muB ausdriicklich betont werden, daB derartige Elementarkorperchen auch bei der Ektromelie im erkrankten Gewebe massenhaft auftreten. Sie wurden zuerst von BARNARD und ELFORD 1931 beschrieben, von LEDINGHAM genauer untersucht und auch von BmcH-HmscHFELD bestatigt. Da ihre Farbbarkeit ungefahr die gleiche Resistenz gegen chemische Eingriffe zeigt, wie die anhaftender Stoffe befreit wurden, nicht imstande sind, gesunde Raupen zu infizieren, gleichgiiltig, ob man sie injiziert oder (dem natiirlichen Ubertragungsmodus entsprechend) verfiittert. Die Polyeder werden als zum Teil vieleckige, scharf konturierte Korperchen von variablem Durchmesser (0,5-15 ft) beschrieben, die bei Druck leicht in Fragmente zerfallen, aber (auch unter diesen Umstanden) keinen Aufbau aus kleineren Partikeln ("Elementarkorperchen") erkennen lassen. Der eigentliche Infektionsstoff ist filtrierbar und findet sich im Blute der kranken Raupen in so hoher Konzentration, daB sich noch Verdiinnungen von I : 106 als infektios erweisen (CHAPMAN und GLASER).

158

R. DOERR:

Infektiositat des Materials, in welchem sie vorhanden sind, neigen aIle genannten Autoren - in mehr oder weniger bestimmter Formulierung - der Ansicht zu, daB sie die Elemente des ektromelischen Virus reprasentieren. BIRCH-HIRSCHFELD lehnt also nur die Auffassung ab, daB die Einschliisse der Ektromelie als intracellulare Aggregate der Viruselemente bzw. der Elementarkorperchen zu deuten sind, ein Standpunkt, den vor ihr BARNARD und ELFORD vertreten hatten, weil sie in den fraglichen Gebilden eine ahnliche Struktur zu erkennen glaubten, wie sie die Einschliisse der Gefliigelpocken tatsachlich aufweisen. BIRCHHIRSCHFELD bezeichnet aber die Einschliisse der Ektromelie als homogen, woraus sich wieder einmal ergibt, daB auch ein optischer Befund Gegenstand einer Diskussion werden kann. Ich war bisher noch nicht in der Lage, die Angaben iiber die Struktur der Einschliisse bei der Ektromelie selbst zu kontrollieren. Bei einem Besuche im National Institute for medical researches in London wurden mir aber Ultraviolettaufnahmen und gefarbte Ausstrichpraparate gezeigt, die eine Struktur d. h. eine Zusammensetzung aus kleinsten runden Korperchen von gleicher Gestalt und GroBe deutlich erkennen lieBen. Was mir (besonders an den gefarbten Ausstrichen) auffiel, war die geometrische RegelmaBigkeit der strukturierten Gebilde, die mit der Vorstellung eines Aggregates lebender, in Teilung begriffener Elementarorganismen nicht harmonierte, die aber auBerordentlich an die eigenartigen Formelemente ("Elytrosomen") erinnerte, welche SCHAFFNIT und WEBER in den Geweben mosaikkranker Riibenblatter festgestellt haben (vgl. die Abbildungen, S. 32). Zu entscheiden ware jedenfalls nicht nur, ob die Ektromelieeinschliisse eine Innenstruktur aufweisen konnen, sondern auch, ob sie durchwegs und namentlich in allen Entwicklungsstadien strukturiert sind, Fragen, die ich in Anbetracht des Mangels eigener Erfahrungen nicht zu beantworten vermag.

1m Hinblick auf den zutage getretenen Widerspruch wird man sich zunachst ins klare kommen miissen, ob die Versuchsergebnisse von WOODRUFF und GOODPASTURE einerseits, von BIRCH-HIRSCHFELD andererseits als zuverlassig zu betrachten sind. Erst nach Erledigung dieser Pramisse hat es einen Zweck, an die kritische Bewertung der beschriebenen Experimente heranzutreten. An und fiir sich geben die Arbeiten der genannten Autoren keinen AnlaB zu besonderen Bedenken. Merkwiirdig ist nur, daB die Befreiung der Einschliisse von dem in ihrer Umgebung befindlichen freien Virus so leicht und regelmaBig gelang, bei WOODRUFF und GOODPASTURE in der Art, daB die letzten Waschfliissigkeiten ausnahmslos unwirksam waren, bei BIRCH-HIRSCHFELD in der Form, daB aus dem virushaltigen Gewebe der an Ektromelie erkrankten Mause ohne weiteres nichtinfektiose Einschliisse isoliert werden konnten. Wascht man Hiihnerpesterythrocyten, fiir welche die sorptive Anlagerung der Viruspartikel erwiesen ist, so gelingt es nie oder fast nie, virusfreie Erythrocyten oder virusfreie Waschfliissigkeiten zu erzielen (DOERR und GOLD, DOERR und SEIDENBERG). Embryonale Kaninchenzellen adsorbieren zugesetzte Vaccine oder das Agens des SHoPEschen Kaninchenfibroms in kurzer Zeit und die Bindung erweist sich als so fest, daB sie auch durch wiederholtes Waschen nicht gesprengt werden kann (Rous, McMASTER und HUDACK). SchlieBlich hang en aber Adsorption und Eluierbarkeit von der besonderen Beschaffenheit der beiden Komponenten eines Sorptionsvorganges abo Man, konnte sich daher vorstellen, daB die HiiIlsubstanzen (Kapseln) der Einschliisse entweder ungeeignet sind freies Virus an ihrer Oberflache zu fixieren oder daB die Apporetion zwar stattfindet, daB aber die Ablosung bei einfachem Waschen leicht und voIlstandig vor sich geht. Auf eine dritte Deutung, die sich auf die Versuchsresultate

Filtrierbare Virusarten.

159

von WOODRUFF und GOODPASTURE anwenden lieBe (irreversible Bindung des freien Virus an die EinschluBoberflachen), werden wir spater zuriickkommen. Jedenfalls sieht man sich zu willkiirlichen Hilfshypothesen genotigt, die je nach den tatsachlichen Ergebnissen variiert werden miiBten und schon dieser Umstand laBt eine Verifizierung des Sachverhaltes als erforderlich erscheinen. Das Arbeiten mit dem Mikromanipulator ist nun nicht jedermanns Sache. Es erfordert eine besondere Geschicklichkeit und groBte Dbung, viel Zeit und Geduld und wenn man schlieBlich zu einem Resultat kommt, findet es wenig Beachtung, well Nachpriifungen aus den angefiihrten Griinden unterbleiben und die Anerkennung der Befunde somit sozusagen den Charakter einer Vertrauenssache annimmt. lch wollte jedoch die Angelegenheit nicht einfach auf sich beruhen lassen und veranlaBte kurz nach Abhaltung dieses Vortrages Fraulein Dr. GERTRUD BAUMGARTNER, die miihevolle und wenig verlockende Aufgabe zu iibernehmen, wobei naturgemaB in erster Linie die beiden bereits untersuchten Objekte, die auch geringere technische Schwierigkeiten bieten, also die Einschliisse der Gefliigelpocken und der Ektromelie, auf ihre lnfektiositat gepriift wurden. Die (noch nicht abgeschlossenen) Versuche wurden stets in der Weise vorgenommen, daB wir zunachst die Einschliisse mikrurgisch herauspraparierten, sodann mit Kochsalzlosung wuschen und schlieBlich die Einschliisse sowie die letzten Waschfliissigkeiten getrennt auf Hiihner bzw. auf weiBe Mause verimpften. Die bis jetzt gewonnenen Resultate sind aus nachstehender Tabelle 3 zu entnehmen. Tabelle 3.

IZahl der Experimente, EinschluBk6rper

die das in den beiden ersten Rubriken bezeichnete Ergebnis lieferten

Waschfliissigkeit

~I

a) Versuche mit Gefliigelpocken (im ganzen 20). negativ 8 positiv negativ positiv 1 positiv positiv 5 negativ negativ 6

~I

b) Versuche mit Ectromelie (im ganzen 10). negativ 4 positiv negativ positiv 0 positiv 4 positiv negativ negativ 2

:1 :1

I I I

I

I I

I I

FaBt man vorerst die mit 1 bezeichneten Positionen (infektiose Einschliisse bei nichtinfektioser Waschfliissigkeit) ins Auge, so konstatiert man, daB dieses Ergebnis bei den Gefliigelpocken prozentuell ebenso oft erzielt werden konnte wie bei der Ektromelie, daB also in dieser Hinsicht (im Gegensatze zu BmCHHmscHFELD) kein Unterschied zwischen den beiden EinschluBformen festzustellen war. Darf man aber daraus mit WOODRUFF und GOODPASTURE bzw. BARNARD und ELFORD den SchluB ableiten, daB die Einschliisse bei beiden Viruskrankheiten ausnahmslos als "intracellulare Viruskolonien" d. h. als Aggregate der als Organismen aufgefaBten Elementarkorperchen zu betrachten sind ~

160

R.DoEBB:

Die Aussage von WOODRUFF und GOODPASTURE, daB in den Einschliissen der Gefliigelpocken konstant Virus nachzuweisen war, ist mit einem Vorbehalt belastet. Die Autoren verzeichneten bei ihren Infektionsversuchen mit einem einzigen EinschluB etwa 50% Versager und BAUMGARTNER, die iiberhaupt immer nur je ein Exemplar verimpfte, hatte ebenfalls 35% MiBerfolge bei den Gefliigelpocken und 20% bei der Ektromelie (Positionen 2 und 4 der Tabelle). Die "Konstanz des Nachweises" gilt somit nur fUr den Fall, daB diese Versager durchwegs auf die Unsicherheit der tThertragung mikrurgisch isolierter Einschliisse zUrUckzufiihren sind. Das ist allerdings mit Riicksicht auf die Erfahrungen, die man bei den sog. "Einkeiminfektionen" mit Tuberkelbacillen gemacht hat (WAMOSCHER und STOCKLIN, DOERR und GOLD), wahrscheinlich und konnte durch spezielle Kontrollversuche, welche WOODRUFF und GOODPASTURE mit den isolierten Einschliissen der Gefliigelpocken anstellten, fiir dieses besondere Objekt weiter gestiitzt werden. Es bleibt aber doch bis zu einem gewissen Grade willkiirlich, wenn man jedes negative Resultat kurzerhand damit rechtfertigt, daB die beabsichtigte Inokulation des Einschlusses aus irgendeinem Grunde nicht erfolgte. Ferner kann man die Frage aufwerfen, ob das Virus in der Substanz der Einschliisse lokalisiert oder nur an ihre Oberflache angelagert (adsorbiert) war. Die 18 negativen Kontrollen, welche WOODRUFF und GOODPASTURE mit der letzten Waschfliissigkeit der Einschliisse ausfiihrten, bieten keine sichere Garantie, da die sorptive Bindung von Virus an die EinschluBoberflache - wenigstens fUr einzelne Viruselemente - geniigend fest sein kann, um den Waschprozeduren zu widerstehen, und da wahrscheinlich schon ein einziges Viruselement eine Infektion zu erzeugen vermag. DaB die letzten Waschfliissigkeiten in den Versuchen von BAUMGARTNER trotz gleicher Technik noch in einem hohen Prozentsatz virushaltig waren (Position 3 der Tabelle), konnte in Anlehnung an die Verhaltnisse, wie sie bei der Hiihnerpest und bei der Hiihnerleukose (A. R. MEYER und ENGELBRETH-HoLM) zwischen Erythrocyten und Virus bestehen, als Ablosung adsorbierter Viruspartikel gedeutet werden. Obwohl es sich bei den eben vorgebrachten Einwanden um Schwierigkeiten der Interpretation handelt, die groBtenteiIs in der experimentellen Methodik begriindet sind, halte ich es doch fiir notwendig, die Infektionsversuche mit i80lierten EinsohlU88en in moglichst groBem Umfange aufzunehmen und auf Einschliisse anderer Herkunft, z. B. auf GUABNIERIoder NEGRI-Korperchen, auszudehnen. Namentlich ware zu priifen, ob sich nicht bei Einschliissen von verschiedener oder identischer atiologischer Provenienz Unterschiede ergeben, die mit der differenten mikroskopischen Beschaffenheit (homogen--oder strukturiert) zusammenhangen. Der Fall, daB man strukturierte Einschliisse findet, die sich aIs nichtinfektios erweisen, lii.Bt sich selbstverstandlich auch nicht a priori ausschlieBen; welchen EinfluB er auf die herrschenden Vorstellungen gewinnen wiirde, braucht nicht auseinandergesetzt zu werden. Manche Hindernisse technischer Natur lassen sich zweifellos noch :i>eseitigen. Meines Erachtens ware dies ein Weg, um aus einem Zustande herauszukommen, den FINDLAY und LUDFORD durch den Ausspruch charakterisiert haben: "It is doubtfoul, whether in the present state of our knowledge the term 'Chlamydozoa' can be justified as a cloak for anything except our ignorance". Damit, daB man in neueren Arbeiten das Wort "Chlamydozoen" vermeidet und die Einschliisse aIs "Viruskolonien" bezeichnet, ist in meritorischer Hinsicht nichts geandert worden.

Definiert man die Einschliisse als "Viruskolonien", so setzt man voraus, dafJ sie das Virus in grofJer Menge enthalten. WOODRUFF und GoODPASTURE meinen, daB diese Pramisse fiir die BOLLINGERSchenKorperchen vermutlich zutrifft: "In oculating a single inclusion body, one is propably inoculating

Filtrierbare Virusarten.

161

an entire colony of virus bound up in its fatty capsule." Sie stiitzen sich dabei auf die Tatsache, daB die Einschliisse der Gefliigelpocken Hunderte von Elementarkorperchen enthalten, im Vereine mit der Beobachtung, daB in ihren Versuchen die Infektionen nach der Verimpfung eines einzigen Einschlusses eine relativ kurze Inkubation zeigten und sich rasch fortentwickelten. Nun kennt man in der Tat eine Reihe von Analogien, aus welchen hervorgeht, daB die Geschwindigkeit des Infektionsablaufes mit der GroBe der Infektionsdosis zunimmt, so z. B. die experimentelle Tuberkulose des Meerschweinchens (BR. LANGE, DOERR und GOLD, LANDA), die experimentelle Affenmalaria (W. TALIAFERRO u. a. m.). Ein "Gesetz ohne Ausnahme" ist dies jedoch nicht; beim Hiihnerpestvirus z. B. kommen IOO-lOOOfache Differenzen der Infektionsdosis im Infektionsablauf meist gar nicht zum Ausdruck (DOERR und seine Mitarbeiter). Es ist ferner nicht ohne weiteres einzusehen, warum Viruselemente, die sich innerhalb von Zellen vermehren, scharf begrenzte Aggregate bilden miissen, die mit den Kolonien von Bakterien im Innern oder auf der Oberflache starrer Medien verglichen werden konnen. PINKERTON und HASS sind diesen Verhaltnissen bei den Rickettsien nachgegangen und fanden, daB diese Mikroben in kiinstlichen Kulturen meist diffus im Protoplasma der Wirtszellen verteilt sind; es kommt wohl gelegentlich zur Entstehung von lokalen Anhaufungen, die aber nur selten scharfe Konturen zeigen. Die Rickettsien des Rocky-mountainspotted fever lassen sich, wenn .sie im Explantat geziichtet werden, nicht nur im Cytoplasma, sondern auch - im Gegensatz zu den Fleckfieber-Rickettsien im Kerne der Wirtszellen, und zwar in groBen Mengen nachweisen und hier konnten PINKERTON und HASS in der Tat Zusammenballungen beobachten, die speziell in mangelhaft fixierten und gefarbten Praparaten an die Einschliisse der eigentlichen Viruskrankheiten erinnerten. Uberzeugend war jedoch die Ahnlichkeit, nach den der Arbeit beigegebenen farbigen Abbildungen zu schlieBen, nicht; insbesondere fehlte jede Andeutung der fiir strukturierte Einschliisse so charakteristischen Grundsubstanz und ihrer peripheren Verdichtung zu einer umhiillenden KapseL Strenggenommen darf man somit aus diesen Untersuchungen bloB folgern, 1. daB sich zweifellos Mikroben auch in Zellkernen stark vermehren konnen und 2. daB die Verteilung eines und desselben Mikroben im Cytoplasma diffus: im Kerne in Form von kolonieartigen Klumpen erfolgen kann. W orauf die verschiedene Anordnung der Rickettsien im Cytoplasma und Kern beruht, ist nicht klar. PINKERTON und HASS wollen die zahfliissige Konsistenz des Kernplasmas hierfiir verantwortlich machen, wahrend ich glaube, daB die Ballung der enorm gewucherten Rickettsien im Kerne einfach durch die raumbeschrankende und formgebende Wirkung der Kernmembran zustande kommt. Unter den Viruseinschliissen gibt es jedenfalls auch solche, welche regelmaBig im Protoplasma von Wirtszellen auftreten und in den Kernen stets vermiBt werden (Gefliigelpocken, Molluscum contagiosum, Lyssa, Mosaikkrankheiten der Pflanzen usw.); das mikroskopische Rickettsienmodell laBt uns also hier vollig im Stiche, da es nach den Angaben von PINKERTON und HASS nur zur Erklarung intranuclearer Einschliisse herangezogen werden konnte. Es besteht aber noch eine andere Differenz, die ich bereits angedeutet habe. Die einschluBartigen Aggregate der Rickettsien setzen sich lediglich Ergebnisse der Hygiene. XVI.

11

162

R.DoERR:

aus diesen Mikroben zusammen, sei es nun aus Iebenden odeI' zum Teil aus abgestorbenen Exemplaren. Am Aufbau der ViruseinschUisse beteilig6n sich dagegen Substanzen, welche t'Om Protoplasma oder '[om Kerne der Zelltn des Wirtsorganismus geliefert werden. So sehr die Ansichten in del' Frage del' Einschllisse auseinandergehen - diese Tatsache wird heute von keiner Seite bezweifelt, auch nicht von jenen Autoren, die ganz auf dem Boden del' ChlamydozoenStrongyIoplasmentheorie stehen (vgl. den Artikel von B. LIPSCHUTZ 1). lch kann daher auf eine ausfiihrliche Begriindung verzichten und verweise auf die einschIagigen Arbeiten, welche liber die farberischen Reaktionen del' GrundodeI' Mantelsubstanzen, libel' ihre optischen Eigenschaften, iiber das Fehlen von Einschhissen im libertragenden Insekt (COWDRY und KITCHEN, SCHAFFNIT und WEBER) usf. AufschluB geben. Nun sind es gerade diese Grundsubstanzen, welche die GroDe, die scharfe Abgrenzung, die Form, die Farbbarkeit (Acidophilie) und - zumindest bei den homogenen Gebilden - auch das optische Verhalten der EinschlUsse bestimmen und daraus ergibt sich meines Erachtens mit zwingender Notwendigkeit der SchIuD, da(J die Entstehung solcher Reaktionsprodukte als der wesentliche und allen Einschlu(Jbildungen gemeinsame Vorgang zu betrachten ist. Die raumlichen Beziehungen del' Viruselemente zu den Reaktionsprodukten der Zellen hatten dagegen nur sekundare, abel' keine prinzipielle Bedeutung. Nach dieser Aliffassung ware es moglich, daB die Abscheidung del' Reaktionsprodukte auch daIm erfoIgt, wenn das Virus diffus in der Zelle verteilt ist oder wenn es durch Vermittelung toxischer Stoffe von auBen her auf die Zelle einwirkt; in beiden Fallen konnten virusfreie "Einschliisse" resultieren. Die EinschluBbildung wird mit anderen Worten als ein besonderer Reaktionstypus der relativ noch wenig geschiidigten W irtszellen aufgefaBt, welcher zwar durch die Anwesenheit von lebendem bzw. sich vermehrendem Virus ausgeli:ist wird, abel' nicht in dem von der Chlamydozoen-Strongyloplasmentheorie geforderten topischen Sinn. Von diesel' Vorstellung gehen ja auch die Versuche aus, Zelleinschliisse auf unspezifischem Wege zu erzeugen, Versuche, die zu positiven Ergebnissen fiihrten (LONDON, SIKORSKI, EWING, E. PFEIFFER, v. WASIELEWSKI, HUECKEL, Kopp, LOEWENTHAL u. a.). Von neueren Arbeiten diesel' Richtung seien jene von JACK LEE (Auftreten acidophileI', einschluBartiger Kernveranderungen in den Zellen des Zentralnervensystems del' Katze nach intravenosen Injektionen von Glucose odeI' destilliertem Wasser) ,und von H. WATANABE genannt. WATANABE fand, daB speziell die Zellen del' Kaninchenhornhaut auf die intracorr.eale Injektion verschiedenartiger Stoffe (Diphtherie-, Gasbrand- und SHIGA· Toxin, Bouillon, Menschenserum) mit del' Bildung von Einschliissen reagieren, die nur zum Teil ohne weitel'oo als degenerative Produkte erkennbal' sind, zum Teil abel' den im gleichen Gewebe auftretenden GUARNIERIschen und Herpeseinschliissen so sehr ahneln, daB eine sichere Untel'scheidung schwiel'ig odeI' unmoglich wird. WATANABE meint, daB "diese Feststellungen die Spezifitat del' GUARNIERIschen Korperchen fiir das Pockenvirus in keiner Weise Ilrschiittel'n", mahnt abel' doch andel'erseits zu groBer Vorsicht bei del' Deutung einschluB1 B. LIPSCHUTZ (Handbuch del' pathogenen Mikrool'ganismen, 3. Aufl., Bd. 8, S.311-418. 1930) auBert sich hierzu an einer Stelle des zitierten Artikels (S. 354) wie folgt: "Die ZelleinschluBbildung ist ... gleichzeitig eine Funktion des Virus 1tnd der empfanglichen Zelle. Wechselt die Tiel'art, so kann die Infektion angehen, Dhne daB die Zelle mit typischel' EinschluBbildung l'eagiert, da sie offenbar nicht dazu befahigt ist, die fiir den Aufbau des EinschluBkorpers notwendigen Materialien beizusteuern." Auf S. 321 heiBt es: "An diesen Einschliissen sind zum Teil Entwicklungsstadien der El'reger selbst, zum Teil abel' Reaktionsprodukte der Zelle (Plastin und Chromatin, beim Epitheliom der Vogel eine Lipoidkomponente) beteiligt."

163

Filtrierbare Vinlsarten.

art-iger Gebilde. In dem erorterten Konnex ist jedoch del' SchluB wichtiger, daB sich hier die Entstehung von Einschlussen als eine pathologische, von del' Reizqualitat bis zu einem gewissen Grade unabhangige Funktion bestimmter Zellen darstellt. Daraus erflieBt die weitere Konsequenz, daB es nicht genugt, das Vorhandensein von Einschlussen im infizierten und ihr Fehlen im nichtinfizierten Gewebe festzustellen, sondeI'll daB zum Vergleich auch nichtinfizierte, abel' andersartig erkrankte Gewebe gleicher Provenienz herangezogen werden mussen (s. u. a. die Untersuchungen von SCHAFFNIT und WEBER uber die als Sporozoen gedeuteten Einschlusse bei del' Mosaikkrankheit del' Ruben).

Die Chlamydozoentheorie nimmt an, daB sich die von den Zellen gelieferten Baustoffe der Einschliisse immer nur in der unmittelbaren Umgebung von Virusaggregaten (Viruskolonien) bilden, und zwar stets so, daB die letzteren allseitig eingehiillt werden. Die Notwendigkeit dieser Lagebeziehung ware verstandlich, wenn die Hiillsubstanzen als Produkte der Viruselemente aufgefaBt werden konnten; das ist jedoch nach der allgemein herrschenden und zuverlassig begriindeten Uberzeugung nicht richtig und es ist daher nicht einzusehen, warum die Vorstellung der "eingehiillten und abgekapselten Viruskolonie" ausnahmslose Giiltigkeit besitzen soll. DaB es sich um eine bloBe Fremdkorperreaktion handelt, durch welche die Zelle die schadlichen Keime etwa nach Art der Perlenbildung zu isolieren trachtet (NICOLAU, KOPCIOWSKA und MATHIS), ist nicht anzunehmen. Bei den Rickettsien ist von einer derartigen Reaktion jedenfalls nichts zu sehen. Es ware auch nicht zu verstehen, daB die sog. Hiillsubstanzen del' Viruseinschliisse selbst in Zellen der gleichen Art nicht durchwegs aus identischen Stoffen bestehen, sondern zuweilen eine besondere Beschaffenheit aufweisen (Fettgehalt der Kapsel der BOLLINGERschen Korperchen). AuBer der physiologischen Natur der Wirtszelle scheint also auch jene des Virus bzw. die Art der durch das Virus erzeugten Zellerkrankung maBgebend zu sein. Das Problem der Viruseinschliisse befindet sich - um das kurz zu resiimieren - in folgender Situation: A. Die experimentelle PTufung deT I nfektiositiit der EinschlUsse hat ergeben: 1. DaB es sicher virusfreie EinschlUsse gibt (Polyederkorperchen der Seidenraupen). 2. DaB sich aus virushaltigem Gewebe durch geeignete Prozeduren infektiose EinschlUsse isolieren und in virusfreier Fliissigkeit suspendieren lassen. Solche Versuche sind bisher nur bei den Gefliigelpocken und bei der Ektromelie angestellt worden und lieferten nur in einem gewissen Prozentsatz der Einzelexperimente das bezeichnete Resultat. Positive Ergebnisse dieser Art beweisen nicht mit Bestimmtheit, daB die Einschliisse als intracellulare Kolonien lebender Erreger oder auch nur als intracellulare Aggregate von Viruselementen zu gelten haben, da auf die sichere Ausschaltung von adsorbiertem Virus vorlaufig keine Riicksicht genommen wurde. B. 1m iibrigen beruht alles auf der InteTpretation mOTphologischer Befunde, die schon an sich der Hypothesenbildung einen sehr weiten Spielraum gewahrt. Unter diesen Umstanden wird es begreiflich, daB das eingangs formulierte Schisma zur Zeit noch immer fortbesteht. Auf der einen Seite finden sich Autoren, welche in den Einschliissen bloBe Degenerationsprodukte der Wirtszellen sehen, wie Z. B. LUDFORD und FINDLAY (Gefliigelpocken), DANKS sowie COVELL und DAl."'-KS (NEGRI-Korperchen), MILoVIDov (GuARNIERIsche Korperchen); auf der 11*

164

R.DoERR:

anderen Seite sucht man samtliche EinschluBformen in den Rahmen der Chlamydozoentheorie zu zwangen, wobei oft der Nachweis von "Elementarkorperchen" auBerhalb der Einschliisse oder das Vorhandensein irgendwelcher Strukturen in den Einschliissen als ausreichende Argumente hingesteUt werden 1. DaB Einschliisse derselben atiologischen Provenienz im gleichen Untersuchungsobjekt, ja im gleichen Praparat ein so verschiedenes Aussehen zeigen konnen wie die NEGRI-Korperchen der Lyssa, die GUARNIERIschen Korperchen der Variolavaccine, die BOLLINGERSchen Korperchen der Gefliigelpocken und andere, wird entweder vernachlassigt oder auf Wachstums- und Entwicklungsvorgange bezogen. Mit der Tatsache, daB die typischen acidophllen Einschliisse haufig, und zwar bei jeder Art der mikroskopischen Untersuchung (ReHfeld, Dunkelfeld, Farbung im Quetsch- oder Schnittpraparat) vollig homogen sind, findet man sich durch Annahme ab, daB der Aufbau aus Viruselementen durch die Riillsubstanzen ;,verdeckt" wird. Findet man neben deutlich strukturierten, d. h. winzige Granula enthaltenden Einschliissen auch homogene, so erklart man die Beschaffenheit der letzeren durch die groBere Menge und Dichtigkeit der Riillsubstanzen (vgl. die Ausfiihrungen von BEDSON sowie BEDSON und BLAND iiber die homogenen EinschluBformen der Psittakose [So 276 bzw. 246]). Die Einschliisse haben jedoch zum Tell einen recht erheblichen Durchmesser und miissen daher durch Schnitte von wenigen f1, Dicke in Querscheiben zerlegt werden; es ist nicht einzusehen, warum die Struktur nicht in solchen Schnitten zutage tritt (wo von einer "Umhiillung" nicht gut die Rede sein kann) , besonders wenn die freien Elementarkorperchen, die ja mit den Innenkorperchen der Einschliisse identisch sein sollen, mikroskopische Dimensionen besitzen und durch geeignete Farbemethoden dargestellt werden konnen. 1m Sinne der Chlamydozoenlehre nicht befriedigend aufgeklart ist ferner das genetische Verhiiltnis der Elementarkorperchen zu den Einschlil8sen. Bei der Vaccineinfektion findet man in den ersten Stadien die freien Elementarkorperchen (hier PASCHENsche Korperchen genannt) in ungeheueren Mengen und die GUARNIERIschen Einschliisse treten erst spater auf. Auch bei der Ziichtung der Vaccine in vitro wurden analoge Befunde erhoben. Die PASCHENschen 1 So ist auch der alte und noch immer nicht entschiedene Streit um die Natur der oxychromatischen Kerneinschliisse bei der herpetischen Infektion ("HerpeskOrperche~") auf dem Gebiete der Gelbfieberforschung erneut aufgeflammt. Morphologisch, farberisch und zelltopographisch gehoren die Gelbfiebereinschliisse zweifellos in dieselbe Gruppe wie die Herpeskorperchen und die Einschliisse, welche RIVERS und TILLETT bei der Virus-IIIInfektion des Kaninchens beschrieben haben (M. TORRES, COWDRY und KITCHEN), so daB es naheliegt, in allen diesen Fallen eine eigenartige, durch verschiedene Infektionsstoffe auslOsbare Kerndegeneration als den wesentlichen Vorgang zu betrachten. Mit der atiologischen Aspezifitat wiirde die Tatsache stimmen, daB gleichartige Kernveranderungen auch bei der experimentellen Trypanosomeninfektion (A. PETTIT) oder nach nichtinfektiosen Eingriffen (s. S. 162) beobachtet wurden. Nach NWOLAU, KOPCIOWSKA und MATHIS solI sich allerdings der "wahre" GelbfiebereinschluB zumindest in den initialen Entwicklungsstadien von der bloBen oxychromatischen Kerndegeneration unterscheiden lassen; nur der erste solI auf intracellulii.rer Anwesenheit und Vermehrung des Virus beruhen, die zweite solI in der nichtinfizierten Zelle zustande kommen. Da aber dieselben Autoren die oxyphile Umwandlung des ganzen Kernes ausdriicklich auch als die Endphase der echten EinschluBbildung bezeichnen und da sie ferner angeben, daB sich in der Gelbfieberleber beiderlei Gebilde nebeneinander vorfinden, lage die Sache doch einfach so, daB die EinschluBbildung tatsachlich auf einer Kerndegeneration beruht, die (ganz im Sinne der von mir vertretenen Auffassung) mit oder ohne die Anwesenheit von Virus im Zellinnern zustande kommen kann.

Filtrierbare Virusarten.

165

Korperchen dominieren und geniigen, um die Verimpfung von Nahrboden zu Nahrboden mit Erfolg zu bewerkstelligen (MAITLAND, RIVERS u. a.); es besteht sogar ein deutlicher Parallelismus zwischen der Zunahme der PAsCHENschen Korperchen im Kulturmedium und dem Anstieg der Infektiositat des Mediums im quantitativ auswertenden Tierversuch (NAUCK und PASCHEN, H.A..A.GEN, GILDEMEISTER und CRODEL). GUARNIERIsche Einschliisse konnen sich in den Zellen des iiberlebenden Ammengewebes ebenfalls bilden, und sie zeigen zum Teil auch eine Zusammensetzung aus Granula, welche den freien P ASCHENSchen Korperchen ahneln (GOODPASTURE, WOODRUFF und BUDDINGH). Wenn aber die GUARNIERISchen Einschliisse in vivo und in vitro intracellulare Kolonien der P ASCHENschen Korperchen sind, wurde ein Zellparasitismus in Erscheinung treten, der fur die Vaccinemikroben und ihre Vermehrung offenbar gar nicht notwendig ist, ein Parasitismus, der iiberdies nicht an einen bestimmten Zellbestandteil gebunden ware, da die GUARNIERISchen Einschliisse bekanntlich sowohl im Cytoplasma als auch im Kerne nachgewiesen werden konn.en_ v. PROWAZEK, der Begriinder der Chlamydozoentheorie, suchte diesen Schwierigkeiten beizukommen, indem er einen Entwicklungszyklus annahm, der von den freien PASCHENschen Korperchen iiber bereits intracellular gelagerte Zwischenstufen ("Initialkorper") zu den GUARNIERISchen Einschliissen fiihrt; der Zerfall der Einschliisse sollte wieder Initialkorper und P ASCHENsche Elementargranula liefern. In der Folge vertrat v. PROWAZEK diese Ansicht auch fiir andere Virusarten (Trachom, Hiihnerpest). Verschiedene Entwicklungsstadien eines Mikroben konnen sich natiirlich hinsichtlich ihrer biologischen Eigenschaften gewaltig unterscheiden und in der Annahme von Zyklogenien verfiigt daher die Hypothesenbildung iiber ein Erklarungsmoment von geradezu unbegrenzter Verwendbarkeit, von dem die Mikrobiologie unserer Tage ausgiebigen Gebrauch macht. An welche Ufer diese Hochflut treibt, wird in vortrefflicher Weise durch die Angaben von NEERG.A..A.RD iiber vermeintliche Blutparasiten des Menschen und der Tiere beleuchtet, die nach den Untersuchungen von JOHN AUER, ANDRE sowie DOERR und SEIDENBERG nichts anderes sind als Abkommlinge normaler Blutbestandteile; auch in der Beweisfiihrung NEERG.A..A.RDS spricht die Konstruktion von Entwicklungszyklen durch willkiirliche Aneinanderreihung mikroskopischer Bilder eine wesentliche Rolle. Angesichts solcher Irrtiimer wird man sich in jedem einzelnen FaIle genaue Rechenschaft iiber die Argumente ablegen miissen, welche fiir die reale Existenz von zwei oder mehr morphologisch und biologisch differenten Formen eines infektiosen Agens sprechen. Soweit die Virusarten in Betracht kommen, auBert sich noch 1930 B. LIPSCHUTZ (S.342) hierzu mit folgenden Worten: "Die Frage, ob die Elementarkorperchen weitere Entwicklungsphasen durchlaufen, wird bisher nicht vollkommen befriedigend und einheitlich beantwortet." Inzwischen sind jedoch 1932-1934 drei Mitteilungen von BEDSON und BEDSON und BLAND iiber das Virus der Psittakose erschienen, die in vielfacher Beziehung bemerkenswert erscheinen und daher eine besondere Besprechung erheischen. Als Erreger der Psittakose gelten kleine "kokkoide" Gebilde, welche zuerst von W. LEVINTHAL im Blute, in den Organen Und in Exsudatfliissigkeiten infizierter Mauso und Papageien entdeckt wurden; sie sind mit den von COLES, R. D. LILLIE und BEDSON beschriebenen "Elementarkorperchen" identisch.

166

R.DoERR:

Nach den Angaben von LEVINTHAL, die ich hier auf Grund eines brieflichen Berichtes dieses Autors erganzen kann, handelt es sich urn ausgesprochen pleomorphe Formelemente (Kokken von verschiedener GroBe, bipolare Bacillen, Ringformen), die sich distinkt farben lassen und einen Minimaldurchmesser von 220-330 flfl besitzen; sie sind also mindestens ebenso groB oder eher noch etwas groBer als die Keime der Peripneumonie der Rinder und der Agalaktie der Ziegen, daher auch nur "schwer filtrierbar". Auf zellfreien Medien konnen sie jedoch nicht geziichtet werden (vgl. hierzu S. 141), wohl aber in Gewebsexplantaten (BEDSON, LE"VINTHAL). LEVINTHAL bezeichnet sie als Bakterien ("Microbacterium multiforme psittacosis n. sp.") und BEDSON und BLAND halten dies zwar nicht fUr sicher, aber fUr wahrscheinlich, obwohl das kultureIle Verhalten dagegen spricht. Die Einordnung unter die Rickettsien (LILLIE) lehnen BEDSON und BLAND mit Recht abo BEDSON und BLAND infizierten nun Mause intraperitoneal mit einem hochvirulenten Psittakosestamm und toteten die Tiere nach verschiedenen Zeitintervallen. In der Milz der Mause konnten, und zwar in gesetzma(3iger Abhangigkeit von der seit der Impfung verstrichenen Frist, wechselnde mikroskopische Befunde erhoben werden. Obwohl im Ausgangsmaterial, mit welchem die Impfung vorgenommen wurde, die oben beschriebenen Elementarkorperchen vorhanden waren, traten in der Milz zuerst nicht diese, sondern anscheinerid homogene, plasmodienartige Gebilde ("Plaques") auf, die zum Teil innerhalb, zum Teil auBerhalb von ZeIlen lagen, und die, zunachst sparlich und klein, spater an Zahl und GroBe zunahmen, wobei eine struktureIle Differenzierung immer deutlicher hervortrat. Die Differenzierung vollzog sich in der Weise, daB in der homogenen Grundsubstanz kugelige Korperchen auftraten (Stadium der "Morulae"), die durch fortgesetzte Teilungen in immer kleinere Formen iibergingen, deren Durchmesser schlieBlich bis auf die linearen Dimensionen der Elementarkorperchen absank. Neuerdings haben BEDSON und BLAND ihre Angaben dahin abgeandert, daB auch in den scheinbar homogenen Plaques bei geeigneter Farbung und Differenzierung schon groBere Korperchen, die ersten Vorstufen der Elementarkorperchen, nachgewiesen werden konnen. Bei der Ziichtung des Psittakosevirus in Gewebskulturen (Mausmilz, embryonales Hiihnergewebe) wurde die gleiche Aufeinanderfolge morphologischer Veranderungen beobachtet; nur lagen hier die beschriebenen Gebilde ausschlieBlich innerhalb von Zellen. In der Milz spontan verendeter oder moribunder Mause waren nur die Elementarkorperchen, und zwar in ungeheuerer Massenhaftigkeit zu sehen; daraus muBte man schlieBen, daB der supponierte Entwicklungszyklus in diesem FaIle nur einmal durchlaufen wird und daB der rasche und letale Ablauf der Infektion (in 2-3 Tagen) eben durch das massenhafte Erscheinen der Elementarkorperchen bedingt ist. DaB sich die Elementarkorperchen auch direkt d. h. ohne die EinschluBstadien durchgemacht zu haben vermehren konnen, wird als moglich zugegeben, aber nach den Beobachtungen im lebenden Tier und in der Kultur als unwahrscheinlich bezeichnet. Vielmehr soIl sich der Vorgang so abspielen, daB verimpfte Elementarkorperchen in vivo und in vitro in geeignete Zellen eindringen und sich dort unter gleichzeitiger Umgebung mit HiiIlsubstanzen ausnahmslos in groBere Formen umwandeln, die erst im Laufe der sukzessiven Vermehrung in die weit kleineren, eigentlichen Elementarkorperchen iibergehen.

Filtrierbare Virusarten.

167

BEDSON kontrollierte die morphologischen Befunde, die er in Gemeinschaft mit BLAND festgestellt hatte, durch Priifungen der Infektiositat der einzelnen Entwicklungsstadien des Erregers. Es ergab sich, daB die Elementarkorperchen in hohem Grade infektios und pathogen ("virulent") waren; Suspensionen von Milzen, welche reichlich Elementarkorperchen enthielten, vermochten noch in Mengen von 10-8 ccm Mause todlich zu infizieren, so daB der SchluB gerechtfertigt war, daB - ahnlich wie bei der Hiihnerpest -. schon ein Viruselement oder einige wenige geniigen, um einen maximalen Effekt zu erzielen. Wurde hingegen zur Impfung Milzmaterial verwendet, das die Plaques oder Morulae enthielt und in welchem keine Elementarkorperchen mikroskopisch nachweisbar waren, so iiberlebten die Mause entweder oder verendeten erst nach langerer Inkubation. BEDSON sucht diesen Gegensatz durch die Aussage zu erledigen, daB der Psittakoseerreger in den initialen Entwicklungsstadien fiir die Maus "schwachvirulent" oder "avirulent" sei. Da aber nach BEDSONS Auffassung die hochpathogenen Elementarkorperchen in jedem FaIle erst aus diesen lnitialstadien hervorgehen, sollte man erwarten, daB der zum Tode fiihrende ProzeB beschleunigt wird, wenn die Parasiten bereits einen Teil der angeblich notwendigen Entwicklung im Korper einer anderen Maus absolviert haben; statt dessen vollzieht sich die Infektion nach der Verimpfung von "Plaques" oder "Morulae" weit langsamer und mit geringerer Gefahrdung des Wirtstieres. Die Hypothese, daB die Psittakosekeine in den Einschliissen eine Entwicklung durchmachen, wird somit durch diese Beobachtungen nicht gestiitzt. Vielleicht ist hier ein anderer Umstand maBgebend. Ich habe mehrere Jahre mit einem Stamm von Hiihnerpestvirus experimentiert, welcher in den kleinsten, eben noch wirksamen Dosen eine rasch todlich verlaufende Infektion erzeugte (siehe Abschnitt IV). Ab und zu kam es aber doch zu einem wesentlich protrahierten Verlauj, und zwar ahnlich wie bei der Prittakose der Maus dann, wenn die Hilhner mit einemMaterial geimpjt wurden, das aus den Initialstadien eines akuten Prozesses stammte. Mit Riicksicht auf die Angaben von BEDSON werde ich diese Verhaltnisse eingehender untersuchen lassen. Andere Autoren haben bisher zu den von BEDSON und BLAND beschriebenen und abgebildeten Formen eines intracellularen Entwicklungszyklus noch nicht Stellung genommen; nur HUGEN scheint gemiigt zu sein, die Befunde und ihre Deutung anzuerkennen 1. Es bestehen indes mehrfache Bedenken. Die Existenz eines Entwicklungszyklus (im iiblichen Wortsinne) ware mit der bakteriellen Natur des Keimes, welche BEDSON und BLAND (im Gegensatze zu ihrer urspriinglichen Meinung, daB es sich um Plasmodien handelt) annehmen, schwer in Einklang zu bringen. Anfechtbar ist ferner die Einordnung der strukturierten Gebilde (Plaques, Morulae usw.) unterdie Viruseinschliisse. Diecharakteristischen und diagnostisch verwertbaren Viruseinschliisse sind ausgesprochen acidophil, die Psittakoseeinschliisse basophil (Blaufarbung bei der Methode von CASTANEDA) und die HiiIlsubstanzen sind bei den letzteren viel weniger stark entwickelt. BEDSON erklart allerdings alle Differenzen dieser Art fUr belanglos und stellt die cytoplasmatischen Einschliisse der Psittakose auf eine Linie mit den gleichfalls im Protoplasma auftretenden Einschliissen der Gefliigelpocken, der Ektromelie und der Vaccine. Die besondere Beschaffenheit der Hiillsubstanzen (Masse, Dichtigkeit, farberische Reaktion usw.) ist nach BEDSON nicht von 1

RAA.OEN:

Diskussionsbemerkung im Zbl. Bakter. I.,Ref. 114, 335 (1934).

168

R.DoERR:

prinzipieller Bedeutung und ein realer Unterschied zwischen Virusarten, welche typische Einschliisse produzieren und solchen, die das nicht tun, brauche nicht zu bestehen. Das fiihrt naturgemaB dazu, auch das Vorhandensein solcher Stotfe als begriljsbestimmendes Kriterium jallenzulassen. Was dann noch iibrigbleibt, ist der sog. "nackte EinschlufJ" d. h. das in einer Wirtszelle gelegene Aggregat von Viruselementen, eine Konzeption, die man z. B. fiir die Trachomeinschliisse de facto vertreten hat (v. PROWAZEK und IiALBERSTADTER, LINDNER, B. LIPSCHUTZ) und die neuerdings durch die Untersuchungen von PINKERTON und HASS iiber einschluBartige Rickettsienhaufen (s. oben) um ein suggestives Modell bereichert wurde. DaB ich auf einem anderen Standpunkt stehe, habe ich schon betont und begriindet. Mit erscheint gerade die Bildung acidophiler Reaktionsprodukte seitens der Wirtszellen als ein wesentliches und zahlreichen EinschluBformen gemeinsames Merkmal, wahrend ich auf die Lagebeziehung der Einschliisse zu den Viruselementen kein Gewicht lege; die Entstehung der Reaktionsprodukte im unmittelbaren Umkreis eines Virusaggregates in Gestalt einer Hiille betrachte ich lediglich als einen der moglichen FaIle, und den "nackten" Einschliissen fehlt meines Erachtens der fiir die typischen acidophilen Gebilde charakteristische Aufbau. B. LIPSCHUTZ schreibt an einer Stelle seiner mehrfach zitierten Abhandlung: "Es erweist sich somit von Wichtigkeit, die bei den einzelnen Krankheiten auftretenden ,EinschluBkorper' vergleichend zu untersuchen, falls man mit Erfolg der Entstehung und dem We sen der eigenartigen Gebilde nachforschen will. Wir riWken dabei die Beziehungen des Virus zur Wirtszelle in den Mittelpunkt der Untersuchung und bedienen uns, unter Heranziehung experimenteller Versuchsanordnungen, exakter cyti)logischer Arbeitsmethoden.· Die Erforschung der ,Zelleinschliisse' stellt dementsprechend vornehmlich ein Zellstudium dar." Diesem Programm kann ich mich vollinhaltlich anschlieBen; nur muB verlangt werden, daB die Ergebnisse der morphologischen Methoden durch die Priifung der Infektiositat der Einschliisse erganzt und kontrolliert werden, und da stehen wir, wie ich gezeigt habe, erst am Beginne der zu leistenden Arbeit, und zwar an einem Beginn, der das Dogma "EinschluB gleich Viruskolonie" nicht gerechtfertigt hat. Von mancher Seite wird Gewicht darauf gelegt, daB Einschliisse auch bei der Viruszuchtung in vitro in den Zellen der verwendeten Wirtsgewebe auftreten. Solche Befunde wurden bei der Vaccine von GOODPARTURE, WOODRUFF und BUDDINGH, beim Herpes von RIVERS, HAAGEN und MUCKENFUSS sowie ANDREWES, beim Virus III von ANDREWES, TOPACIO und HYDE, beim Virus der Pseudorabies von E. TRAUB erhoben, wozu noch die bereits besprochenen Angaben von BEDSON und BLAND iiber die Psittakoseeinschliisse in Kulturen hinzukommen. Beweisend sind solche Beobachtungen natiirJich nicht, solange iiber den Virusgehalt der fraglichen Einschliisse nichts Sicheres bekannt ist.

Wie schon an anderer Stelle (s. S.165) angedeutet wurde, gewinnt dasProblem der Auffassung der Einschliisse als Viruskolonien eine besondere Form, wenn neben den Einschliissen jreie Elementarkorperchen optisch (im ultravioletten Licht oder in gefarbten Praparaten) nachweisbar und (Vaccine-Variola, Gefliigelpocken, Ektromelie, Psittakose, Kanarienvogelkrankheit, ~oster und Varicellen usw.). In derartigen Fallen muB gezeigt werden: .1. DaB die freien Elementarkorperchen de facto die letzten bele bten Einheiten des Virus reprasentieren und 2. daB sich die in den Einschliissen sichtbaren Kornchen mit den freien Elementarkorperchen identifizieren lassen. Erst wepn diese heiden Voraussetzungen im positiven Sinne entschieden werden konnen, treten Erorterungen iiber die

Filtrierbare Virusarten.

169

Beziehungen der intracellularen zu den extracelluHiren Elementen (phagocytare Aufnahme, obligater oder fakultativer Zellparasitismus) in ihre Rechte. Die erstgenannte Pramisse konnte bisher nur fiir die Elementarkorperchen der Variolavaccine (PASCHEN, BARNARD, TANIGUCHI und seine Mitarbeiter, LEDINGHAM, HAAGEN, GILDEMELSTER und CRODEL, NAUCK und PASCHEN u. a.), der Psittakose (LEVINTHAL, LILLIE, COLES, BEDSON) und der ihr nahestehenden Kanarienvogelkrankheit (K. HERZBERG) sowie der Gefliigelpocken (BORREL, LIPSCHUTZ, BURNET, GOODPASTURE u. a.) mit befriedigender Wahrscheinlichkeit erfiillt werden. Auch hier stiitzt sich das Urteil keineswegs ausschlieBlich auf mikroskopische Befunde. Gebilde dieser GroBenordnung lassen sich auf optischem Wege iiberhaupt nicht als Mikroben agnoszieren, selbst wenn sie gleiche GroBe, Gestalt 1 und Farbbarkeit zeigen und im Praparat in Massen vorhanden sind. Man braucht da nur an die Granula der Leukocyten, an die SCHUFFNERschen Granulationen der Erythrocyten, an das geformte (stabchenformige) Malariapigment zu denken, an die umstrittene Natur der Erythrokonten und Eperythrozoen (v. SCHILLING, DINGER), sowie an die zahllosen Angaben iiber Mikrobenbefunde, die sich spater als Irrtiimer erwiesen haben. Der mikroskopische Nachweis von "Elementarkorperchen" sagt daher nicht mehr als daB sie- die Elemente des betreffenden Virus sein kiinnten; daB sie tiitsiichlich als solche aufgefaBt werden diirfen, muB durch andere Methoden besonders erhartet werden, bei welchen die morphologischen und farberischen Kriterien der Elementarkorperchen nurmehr als visuelle Kontrollen fungieren. In erster Linie ist zu verlangen, dafJ die charakteristische Viruswirkung streng an das Vorhandensein der Elementarkorperchen gebunden ist, und zwar sowohl im positiven wie im negativen Sinne. Die rigorose Erfiillung dieses Postulates stoBt jedoch insoferne auf Schwierigkeiten, weil der morphologische Nachweis vereinzelter Elementarkorperchen in einem zu priifenden Substrat unmoglich ist; nur wo sie in grofJen Mengen auftreten, geben sie ein typisches und verwertbares Bild. Aus diesem Grunde hat man sich - mit Erfolg - bemiiht, bestimmte Elementarkorperchen (Vaccine, Psittakose, neuerdings auch Varicellen und Zoster) durch fraktionierte Filtration und durch abgestuftes Zentrifugieren (eventuell in Kombination mit Waschprozeduren) in Form von konzentrierten und von anderen corpusculiiren Gebilden moglichst treien Suspensionen zu gewinnen (BARNARD und ELFORD, BEDSON, BECHHOLD und SCHLESINGER, LEDINGHAM, CRAIGIE, PASCHEN, AmES). Durch eine derartige mechanische Anreicherung erhalt man ein Ausgangsmaterial, das sich fiir verschiedene Zwecke eignet z. B. fUr gewisse Immunitatsreaktionen, auf die ich in der nachsten Vorlesung eingehen werde, oder fiir quantitative Auswertungen der Infektiositat, die zur schatzungsweisen Zahl der Elementarkorperchen in Beziehung gebracht werden konnen. Mit einer solchen aus Rohvaccine hergestellten Suspension konnte schlieBlich PASCHEN eine Kultur anlegen und sie durch . mehrere Passagen fortfiihren; die Kulturen waren "ungeheuer reich" an Elementarkorperchen. . 1 Mikroben derselben Art miissen iibrigens durehaus nieht immer gleiehe GroBe und Gestalt besitzen; man braueht sieh da nur an die Meningokokken, die InfluenzabaeiIlen, die Brucellen, die Rikettsien zu erinnern. Das gilt natiirlieh aueh fiir die Elementarkorperehen; der Pleomorphismus der Elementarformen des Psittakosevirus (LEVINTHAL) bereehtigt daher nieht, ihnen den Charakter von Organismen abzuspreehen.

170

R.DoERR:

Bei der am sorgfii.ltigsten studierten Vaccine konvergieren alle bisher vorgebrachten Argumente zu dem 8chlusse, daB ihre mikroskopisch faBbaren einfachsten Bestandteile, die PASCHENschen Korperchen, die Trager der spezifischen Viruswirkung, und zwar vermehrungsfahige Organismen sind. 1st nun wenigstens in diesem Falle die absolute GewiBheit erreicht, wie manche Autoren erklaren ? Meines Erachtens·kann man das nicht behaupten. Denn zwischen "Viruselement" und "Mikrobe" besteht eben noch immer eine Kluft, die nach allgemeinem Zugestandnis nur durch die Ziichtung auf unbelebtem Nahrsubstrat vollig eingeebnet werden kann. Entschieden abzulehnen ist jedenfalls die Tendenz, die Auffassung, die fiir einige wenige Virusarten begriindet werden konnte, schematisch auf alle Viruskrankheiten auszudehnen, bei welchen sog. "Elementarkorperchen" mikroskopisch oder gar nur indirekt nachgewiesen wurden. Wenn schon nichts anderes, sollte doch die Erfahrung von einem so unkritischen Vorgehen abhalten. Die Rickettsien z. B. sind wohl mit Bestimmtheit als Organismen anzusprechen, ihre atiologische Bedeutung wird jedoch nicht allseits zugestanden (vgl. 8.145). Rickettsien sollen ferner nach OGATA die TSUTSUGAMUSHI-Krankheit erzeugen; TANAKA behauptet dagegen, daB sich OGATA durch Zerfallsprodukte verunreinigender Bakterien und Chromatinkorner degenerierter Korperzellen tauschen lieB! Abgesehen von solchen warnenden Beispielen, deren Zahl belie big vermehrt werden kann, verstoBt die angestrebte Verallgemeinerung der Befunde von Elementarkorperchen oder 8trongyloplasmen auch gegen die Normen, welche seit JAKOB HENLE und R. KOCH fiir die atiologischen Probleme der 1nfektionskrankheiten maBgebend sind, Normen, an die man sich in jedem einzelnen Falle zu halten hat und die nicht einfach dadurch generell befriedigt werden konnen, daB man sie nur auf einzelne spezielle Falle einer morphologisch scheinbar zusammengehorigen Reihe anwendet. Aus diesen Ausfiihrungen erhellt gleichzeitig, daB die 1dentifizierung von Granula im Innern von Einschliissen mit vorhandenen freien Elementarkorperchen auf Grund von morphologischen und farberischen Ahnlichkeiten nur unter besonders giinstigen Umstanden mit hinreichender 8icherheit erfolgen kann, obwohl die Farbemethoden in letzter Zeit erheblich vervollkommnet wurden (E. PASCHEN, TANIGUCHI und seine Mitarbeiter, K. HERZBERG, LEVINTHAL, BEDSON und BLAND u.a.). Der Nachweis der Infektiositat der Einschliisse und der quantitative Vergleich derselben mit der 1nfektiositat freier Elementarkorperchen lassen sich indes, auch wenn die mikroskopischen Praparate iiberzeugend sind, nicht dauernd umgehen. Bei den GUARNIERIschen Einschliissen, wo die Entscheidung in Anbetracht der Untersuchungen iiber die atiologische Bedeutung der korrespondierenden Elementarkorperchen besonderen Wert hatte, ist dieses Postulat bisher nicht erfiillt worden und eine abwartende Haltung gegeniiber der dezidierten 8tellungnahme von GOODPASTURE, WOODRUFF und BUDDINGH, TANIGUCHI und seinen Mitarbeitern u. a. erscheint mir daher am Platze. Es sei iibrigens erwahnt, daB die Einschliisse, welche GOODPASTURE, WOODRUFF und BUDDINGH in ihren Vaccinekulturen (infizierte, 12 Tage alte Keimscheibe von Hiihnerembryonen) beobachteten, nUT zum Teile einen Aufbau aus Elementen, die den PASCHENschen Korperchen glichen, erkennen lieBen. Findet man in Zellen bzw. in Zelleinschliissen kleinste Formelemente, welche mit groBerer oder geringerer Wahrscheinlichkeit als die belebten Erreger der

Filtrierbare Virusarten.

171

betreffenden Viruskrankheit aufgefaBt werden konnen, so wird in der Regel ohne weiteres geschlossen, daB es sich um obligate Zellschmarotzer handelt. So nehmen z. B. GOODPASTURE, WOODRUFF und BUDDINGH an, daB die P ASCHENschen Korperchen der Vaccine nur in Zellen proliferieren; sind sie durch den Zerfall der Wirtszellen freigeworden, so sollen sie sich wohl am Leben erhalten, aber nicht vermehren. Ich habe jedoch bereits eine Reihe von Tatsachen angefUhrt, weiche gegen den obligaten Zellparasitismus des Vaccinevirus sprechen. Nicht besser steht es mit der Begriindung analoger Ansichten, wie sie u. a. von BEDSON und BLAND fur das Psittakosevirus oder von K. HERZBERG fiir das Virus del' Kanarienvogelkrankheit geauBert wurden. Bei dem letztgenannten Virus solI man nach den Angaben von K. HERZBERG direkt mikroskopisch verfolgen konnen, wie es sich im Cytoplasma von Histiocyten iimerhalb scharf abgegrenzter, heller, blaschenformigen Gebilde vermehrt, um schlieBlich aus diesen und aus den WirtszeUen "ausgeschuttet" zu werden. Die Histiocyten sind jedoch bekanntIich in besonderem Grade mit del' Fahigkeit del' Phagocytose ausgestattet, und es konnte daher hier eine Lagebeziehung bestehen, die mit ZeUparasitismus nichts zu tun hat und die uns bei der akuten Gono- und Meningokokkeninfektionen im eindeutigen Modell entgegentritt. Der Vollstandigkeit halber sei darauf hingewiesen, daB die GUARNIERlschen und NEGRIschen Einschlusse von ihren Entdeckern als Organismen von protozoenartigem Charakter gedeutet wurden. In neuerer Zeit wurde diese Ansicht speziell fur die NEGRI-Korperchen wieder vertreten (LEVADITI und seine Mitarbeiter, SEREBRENNAJA und PUGATSCH, A. P. MURATOWA); die Einwande (Filtrabilitat des Lyssavirus, Mannigfaltigkeit der Formen und Innenstrukturen der NEGRI-Korperchen, Fehlen von Chromatin bzw. von kernartigen Gebilden in denselben usw.) suchte man durch Hypothesen zu entkraften, unter denen die Konstruktion komplizierter Entwicklungszyklen obenan stand. Ich kann auf diese Arbeiten hier nicht naher eingehen und eine summarische Kritik wiirde ihrem, zum Teil wertvollen Inhalt nicht gerecht werden. DaB sie neben die zwei diskutierten Moglichkeiten (Degenerationsprodukt und intracellulare Viruskolonie) eine dritte als berechtigt hinstellen, bezeugt jedenfalls die bestehende Unsicherheit der Urteilsbildung. Vielleicht hat R. J. LUDFORD Recht, wenn er schreibt 1 : "There is so much difference between the various kinds of virus bodies (gemeint sind damit die 'cell inclusions') that it is highly improbable that anyone theory is capable of embracing them all."

Es sei mil' gestattet, dieses Kapitel uber die Morphologie del' Virusarten mit folgender Bemerkung abzuschlieBen. Die Moglichkeit, die GroBe del' Elemente mehrerer Virusarten optisch odeI' mechanisch zu bestimmen, hat dazu gefUhrt, den Geltungsbereich del' Lehre vom belebten Erreger auf aUe ubertragbaren Infektionsstoffe ohne Ausnahme (also mit EinschluB der Bakteriophagen, der Agenzien del' Huhnertumoren usw.) zu erstrecken. BURNET und ANDREWES bezeichnen diese radikale Losung als die beste und als ein endgultiges Ergebnis der Untersuchungen del' Londoner Schule. Die einfachste Erklarung muB abel', speziell wenn sie nicht aIle Einwande zu entkraften vermag, nicht unbedingt richtig sein, und eine nicht in voUem Umfange bewiesene Annahme kann nicht den Anspruch auf definitive Anerkennung erheben. Zum Teile habe ich das "Pro und Contra" del' genereUen Fixierung del' Idee JAKOB HENLES schon erortert; was noch fehlt, wird in den folgenden Vorlesungen zur Sprache kommen. Nul' auf einen Punkt sei hier hingewiesen. BURNET und ANDREWES erklaren expressis verbis, daB del' von ihnen vertretene Standpunkt del' einzige pr'inzipielle Gedanke sei, der sich aus den vorliegenden 1

LUDFORD, R. J.: System of Bacteriology, Vol. 7, S.30. 1930.

172

R.DoERR:

Untersuchungen fUr das sonst so heterogene Gebiet der Virusarten ableiten laBt. Damit wird selbstverstandlich die so oft behauptete biologische Einheitlichkeit und Sonderstellung des Virusbegriffes aufgegeben, eine Konsequenz, die man an sich d. h. ohne Riicksicht auf die vorgebrachte Begriindung als Fortschritt bewerten darf. Was man "Virus" nennt, entspricht in der Tat einer biologischen Mannigfaltigkeit, die man wohl unterteilen (klassifizieren), aber ebensowenig unter ein Prinzip vereinigen kann, wie die Schar der mikroskopisch sichtbaren und als Mikroben erkannten Erreger.

IV. Natiirliche Resistenz. -

Erworbene ImmunWit. Virulicide Antisera.

Unter "Immunitat" versteht man die Unempfanglichkeit fUr Infektionen und unterscheidet je nach den genetischen Bedingungen, unter welchen das refraktare Verhalten in Erscheinung tritt, zwei Formen dieses Zustandes: Die naturliche oder angeborene Re8i8tenz und die eru:orbene Immunitat. Seit man anlaBlich der Choleraepidemie in Hamburg (1891) zum ersten Male Keimtrager festgestellt hatte, hat sich - wenn auch langsam, so doch mit wachsender Bestimmtheit - die Erkenntnis durchgesetzt, daB "Infektion" und "Infektionskrankheit" keineswegs identische Begriffe sind, sondern daB Infektionen ohae Infektionskrankheit, sog. latente Infektionen existieren, ja daB sie haufiger sind als die klinisch manifesten Formen. Dementsprechend kann sowohl die natiirliche Resistenz wie die erworbene Immunitat in zweifacher Weise zum Ausdruck kommen: Als Unempfanglichkeit fur die Infektion al8 80lche oder al8 Unfahigkeit, trotz erfolgter Infektion 8pezifi8ch zu erkranken. Wir wollen uns hauptsachlich mit dem ersten Fall beschaftigen, und zwar zunachst vom phanomenologischen Standpunkt. Da miissen wir vor allem konstatieren, daB weder hinsichtlich der natiirlichen Resistenz noch in bezug auf die erworbene Immunitat durchgreifende Differenzen zwischen den Virusarten und anderen Infektionsstoffen bestehen. Was die natiirliche Resistenz oder ihr positives Spiegelbild, die natiirliche Disposition anlangt, wollte man zwar ein Gewicht auf den Umstand legen, daB sich manche Virusarten (Lyssa, BORNAsche Krankheit, Herpes, Gelbfieber) auf zahlreiche Wirtspezies iibertragen lassen, daB sie also, um einen von mir vorgeschlagenen Ausdruck zu verwenden, ein 8ehr breite8 Infektio8itat88pektrum besitzen. Es wurde darauf hingewiesen, daB die pathogenen Bakterien ein ahnliches Verhalten zeigen, und aus dieser Analogie hat man sogar ein unterstiitzendes Argument fUr die bakterielle Natur der Virusarten abzuleiten versucht. Davon kann aber nicht ernstlich die Rede sein. Das Infektiositatsspektrum zeigt vielmehr aIle Abstufungen von einem einzigen moglichen Wirt bis zu einer groBen und mannigfaltigen Schar, gleichgiiltig, ob der Erreger ein Protozoon, ein Bacterium oder ein "Virus" ist. Diese Aussage durch Beispiele zu belegen, ist iiberfliissig; es sei nur daran erinnert, daB ein .so hochorganisierter Parasit wie die Trichine in der diskutierten Beziehung nicht vom Lyssavirus abweicht, indem sie nicht nur in allen gepriiften Saugetieren, sondern auch in Vogeln (DOERR und W. G. SCHMIDT) zur Ansiedelung gebracht werden kann. Die Stellung 8amtlicher oder auch nur be8timmter Virusarten im SY8tem der Mikroorgani8men lapt sich somit aus ihrem Infektio8itat88pektrum nicht deduzieren.

Filtrierbare Virusarten.

173

Kann aber ein Agens, das auf mehrere Tier- oder Pflanzenspezies mit Erfolg verimpfbar ist, ein unbelebter Stoff sein 1 Die Theorie vom Contagium inanimatum erscheint uns bei dem gegenwartigen Stande unseres Wissens nur verstandlich, wenn wir derartige hypothetische Substanzen als Produkte des Wirtsorganismus auffassen; man miiBte somit annehmen, daB artverschiedene Zellen die Fahigkeit besitzen, auf ein und dasselbe spezifische Agens in gleicher Weise, d. h. mit der Neubildung eben dieses Agens zu reagieren. Meines Erachtens liegt jedoch darin keine prinzipielle Schwierigkeit. DaB die verschiedensten Zellen einen identischen, und zwar einen immunspezifischen Korper zu erzeugen vermogen, geht unter anderem aus der eigenartigen Verbreitung des FORssMANschen Antigens im Reiche der Organismen hervor. Nun ist allerdings das FORSsMANsche Antigen nicht "iibertragbar" und wir wissen nicht, warum es in manchen Tieren entsteht, in anderen nicht. Die Analogie ist also unvollkommen. Die Vagushormone sind aber physiologisch aktive Substanzen, zeigen keine Bindung an bestimmte Tierspezies und konnen ganz in dem Sinne iibertragen werden, wie das die Theorie vom Contagium inanimatum fordert, d. h. so, daB das in einem Organ produzierte bzw. in die humorale Form iibergefiihrte Hormon in einem zweiten, das auch von einer anderen Spezies stammen kann, eine erneute Hormonabscheidung auslost. Wenn daher Hiihnersarkome mit zellfreien Extrakten auf Fasane (AN DREWES) oder auf Enten (FUJINAMI, GYE) iibertragen werden konnen, beweist das nicht, daB der tumorerzeugende Faktor ein Mikroorganismus sein muB, der sich an verschiedene Wirte anzupassen vermag. Gerade bei den Hiihnersarkomen stehen dieser Annahme iiberzeugende Tatsachen gegeniiber, in erster Linie die unspezifische Erzeugung der Tumoren sowie des in ihnen enthaltenen iibertragbaren Stoffes, ferner der anatomische Charakter der Erkrankung, der von den Auswirkungen eines mikrobiellen Infektionsprozesses abweicht und weit mehr dem Typus der Saugetiergeschwiilste entspricht, die Erfahrung, daB das zellfreie Filtrat eines Tumors immer nui' ein Sarkom von gleicher histologischer Beschaffenheit hervorruft und die immunologischen bzw. serologischen Verhaltnisse, auf die ich spater eingehen werdel. Abgesehen davon kennt man in den Typentransformationen der Pneumokokken (GRIFFITH, DAWSON und SIA, ALLOWAY) Vorgange, welche den Umwandlungen von Fasan- oder Entenzellen durch einen vom Huhn produzierten Stoff biologisch entsprechen wiirden. Die Erforschung der eru;orbenen 8pezifi8chen I mmunitat ist von der Variola, also von einer Viruskrankheit ausgegangen. Heute wissen wir, daB ein so intensiver und anhaltender Durchseuchungseffekt auch beizahlreichen anderen Virusinfektionen beobachtet wird (Varicellen, Masern, Roteln, Parotitis epidemica, Gelbfieber, Poliomyelitis acuta, Zoster, Gefliigelpocken, Rinderpest, Hundestaupe, Virusschweinepest u. a.). Dagegen kennt man unter den vielen bakteriellen Infektionen nur wenige, welche sich hinsichtlich des Grades und der Dauer der erworbenen 1 Bakterientoxine (z. B. das Gift der Shigabacillen) konnen durch Sauren ihrer Toxizitat beraubt werden. Der Vorgang ist reversibel, da die urspriingliche Giftwirkung durch Neutralisierung der Saure wieder hergesteUt wird (R. DOERR); mit der Toxizitat schwindet gleichzeitig die Antigenfunktion (das immunsierende Vermogen) und kommt nach Abstumpfung der Saure erneut zum Vorschein (C. HALLAUER). Das Virus des Rous-Sarkoms zeigt nach den Untersuchungen von LEWIS undANDERVONT, E. FRAENKEL, MURPHY, HELMER, CLAUDE und STURM, SITTENFIELD und JOHNSON, SITTENFIELD, JOHNSON und JOBLING, A. GOLDFEDER ein analoges Verhalten, was gewiB nicht dafiir spricht, daB es sich um einen Mikroorganismus handelt.

R.DoERR:

174

Immunitat ahnlich verhalten. Ein prinzipieller Gegensatz - wie ihn E. W. SCHULTZ zu konstruieren geneigt scheint - besteht jedoch nicht. Man konnte hochstens folgern, daB die relative Haufigkeit der immunisierenden Infektionen in der Virusgruppe gegen die bakterielle Natur dieser Kontagien spricht. Jedenfalls existieren auch hier groBe Verschiedenheiten. Schon die Pockenimmunitat ist bei den N egern weit weniger ausgepragt als bei den weiBen Menschenrassen, das Uberstehen der Dengue und des Phlebotomenfiebers schiitzt nicht immer oder oft nur fiir eine relativ kurze Zeit gegen Neuerkrankungen, und beim Herpes febrilis sowie beim gewohnlichen Schnupfen entsteht sogar eine spezifisch gesteigerte Disposition, eine Uberempfanglichkeit (A. ZIRONI), wie man sie auch bei gewissen bakteriellen Infektionen konstatieren kann. Die Sichtung und Beurteilung des einschlagigen Tatsachenmaterials wird ubrigens durch zwei Umstande betrachtlich erschwert. Die wichtige Frage, ob der Ablauf einer Infektion eine Immunitat hinterlaBt und wie diese Immunitat dem Grade und der Zeit nach beschaffen ist, konnte bisher fur eine Reihe von Krankheiten uberhaupt nicht eindeutig beantwortet werden; uber die Ursa chen dieser bedauerlichen Lucken unserer Kenntnisse habe ich mich kurz ausgesprochen 1. Zweitens erscheint die Zuteilung zu den Viruskrankheiten oder ihre Abtrennung von dieser Gruppe in manchen Fallen zweifelhaft oder arbitrar, zweifelhaft, wenn die .Atiologie noch nicht sicher festgestellt werden konnte, arbitrar, wenll sich die Unmoglichkeit einer scharfen Abgrenzung des Virusbegriffes fuhlbar macht (Influenza, Tsutsugamushikrankheit, die an Zahl stetig zunehmenden Formen des Fleckfiebers, Scarlatina, Agalaktie der Schafe, Peripneumonie der Rinder u. a.).

Ich habe die Frage, ob der Ablauf einer natiirlichen Infektion eine Immunitat hinterlaBt, als wichtig bezeichnet, weil von ihrer Beantwortung die Aussichten der kiinstlichen Immunisierungsverfahren, der Schutzimpfungen abhangen. Man kann logischerweise von solchen Methoden keinen besseren Effekt erwarten als von dem natiirlichen Infektionsablauf, und da dieser, wie wir eben gehort haben, in der Virusgruppe relativ oft ein absolut refraktares Verhalten zur Folge hat, ist es wohl zu verstehen, daB die Impfung gerade auf diesem Gebiete die groBten und von keiner Seite bestrittenen Erfolge aufweisen kann. Logisch ist es ferner, wenn man sich nach dem Beispiel der Pockeninokulatoren und EDWARD JENNERS insoferne an die Beobachtung natiirlicher Geschehnisse halt, daB man die Impfungen zunachst auf das Prinzip der immunisierenden Infektion basiert. Der Ersatz der Infektion durch die Antigenfunktion des spezifischen Kontagiums, d. h. die Impfung mit "abgetoteten Erregern" bedeutet ein Abweichen von der urspriinglich rein empirischen Grundlage und beruht auf der unbewiesenen und unwahrscheinlichen Annahme, daB sich der Mechanismus des antiinfektiosen Immunitat ausschlieBlich vom humoralen Standpunkt (Vorhandensein oder beschleunigte Produktion von Antikorpern) erklaren laBt. Wie verhalt sich aber die tatsachliche Erfahrung zu diesen Uberlegungen ~ Es ist nicht gerade leicht, diese Frage gewissenhaft zu beantworten, einmal weil das umfangreiche Schrifttum den Uberblick und namentlich die Auslese der zuverlassigen Angaben auBerordentlich erschwert, zweitens weil oft iiber denselben Gegenstand kontradiktorische Behauptungen, die anscheinend gleiches Vertrauen verdienen, vorliegen, und drittens, weil die Versuche mit abgetotetem Virus nicht als abgeschlossen zu betrachten sind. Bei manchen Viruskrankheiten sind an die Stelle urspriinglich vollig negativer Ergebnisse in neuerer Zeit Berichte iiber positive Erfolge getreten, die einer Anderung der Impfstoffbereitung zu 1

DOERRR.: LehrbuchderillllerenMedizin, 2. Aufl., S.120£. Berlin: Julius Springer 1934.

Filtrierbare Virusarten.

175

danken waren, und man kann natiirlich nicht vorausflagen, wie sich die Dinge in der Folge weiter entwickeln und endgiiltig abklaren werden. Trotz dieser Vorbehalte besteht kein Zweifel, daf3 die 1nfektionsimpfungen den Antigenimpfungen in immunisatorischer Hinsicht weit uberlegen sind. Dieser SchluB ergibt sich aus folgenden Tatsachen: 1. Einen unzweideutigen Beweis stellen die Erfahrungen dar, die man bei der Schutzimpfung mit Masernrekonvaleszentenserum nach DEGKWlTZ gemacht hat. Kinder, denen man das Serum postinjektionell d. h. im Inkubationsstadium injiziert, miissen nicht erkranken und erwerben trotzdem eine solide und dauerhafte Immunitat, welche der durch das "Uberstehen der Masern erzeugten gleichkommt, was nicht der Fall ist, wenn man das Serum vor erfolgter Ansteckung gibt. 1m ersten Fall wird eben der schon im Gang befindliche InfektionsprozeB nur coupiert, im zweiten kann er sich iiberhaupt nicht entwickeln. DaB diese Deutung richtig ist, erhellt auch aus der Tatsache, daB von postinfektionell behandelten Kindern Ansteckungen der gesunden und nicht geschiitzten Umgebung ausgehen konnen. 1m allgemeinen werden die verschiedenen Varianten der aktivo-passiven lmpfmethoden - um eine solche handelt es sich, wenn man das Rekonvaleszentenserum in der Inkubationsperiode der Masern einspritzt nur bei Tierseuchen angewendet, weil sie fast immer die Gefahr in sich bergen, daB die Impfung selbst zu einer gefahrlichen oder todlichen Erkrankung fiihrt, und weil sie zu einer Ausbreitung der Krankheit AnlaB geben konnen. Dieser Umstand sowie die auftretenden Impfreaktionen beweisen, daB man bei allen derartigen Verfahren die langfristige Immunitat durch eine abgebremste lnfektion zu erreichen sucht und de facto erreicht (Rinderpest; Maul-- und Klauenseuche, Virusschweinepest) . 2. Wo mit abgetotetem Virus Erfolge erzielt werden konnten, war die Schutzwirkung, soweit diese Verhaltnisse exakt gepriift wurden, hinsichtlich ihrer Konstanz, Intensitat und Dauer unbefriedigend, sowohl im Vergleiche mit der natiirlichen Erkrankung wie auch mit einer korrespondierenden Infektionsimpfung. Das gilt unter anderem auch fiir die Vaccine (KNOPFELMACHER, R. KRAus, BROKMANN, BUSSEL und MAYZNER, GORDON, A. GROTH U. v. a.); ware die Impfung mit abgetoteter Vaccine nur annahernd leistungsfahig, so hatte sie in Anbetracht der Gefahr der postvaccinalen Encephalitis das JENNERsche Verfahren - zumindest in manchen Landern - langst verdrangt. 3. Bei einigen Viruskrankheiten des Menschen und der Tiere lieferten Schutzimpfungen mit abgetotetem Virus durchwegs negative Resultate (Masern, Dengue, Virusschweinepest); bei anderen stehen positiven Ergebnissen negative gegeniiber, und zwar zum Teil trotz Verwendung gleichartiger Impfstoffe (Hiihnerpest, Herpes des Kaninchens). Die von E. HINDLE 1928/29 auf Grund von Experimenten an Affen empfohlene Impfung mit abgetotetem Gelbfiebervirus wurde zugunsten der aktivo-passiven Methoden mit lebendem Virus plus Immunserum wieder verlassen (H. DE BEAUREPAIRE ARAGAO, SAWYER, KITCHEN und LLOYD, SELLARDS und LAIGRET,LAIGRET, G. M. FINDLAY); ARAGAO erklart neuerdings (1931/33), daB ein praktisch brauchbarer Impfschutz gegen Gelbfieber tihne lebendes Virus nicht zu erreichen seL Allerdings liegen auch mehr oder weniger allgemein anerkannte positive Ergebnisse der Schutzimpfungen mit abgetotetem Virus vor, so vor aHem bei einigen Viruskrankheiten des Zentralnervensystems (Lyssa, Poliomyelitis,

176

R.DoERR:

Hundestaupe), dann auch fUr die Maul- und Klauenseuche, die Rinderpest und die Gefliigelpocken. LaBt man sie ohne Riicksicht auf die in Punkt 1 erwahnten Einschrankungen gelten und setzt man sich iiber die oft sehr intensiven Immunisierungsverfahren (wiederholte Injektionen massiver Impfstoffdosen) hinweg, so kann noch immer ein prinzipielles Moment zur Diskussion gestellt werden. Es laBt sich namlich auf tierexperimentellem Wege keine scharfe Grenze zwischen Abtotung und bloBer Abschwachung eines virusartigen Infektionsstoffes ziehen. Mit Recht sprechen daher neuere Autoren nicht von abgetotetem, sondern von "inaktiviertem" Virus. In der Tat priifte man bisher immer nur, ob das virushaltige Material, nachdem man dasselbe schadigenden Einfliissen unterworfen hatte, nicht mehr imstande war, in einem empfanglichen Tiere krankhafte Erscheinungen auszulosen. Das Ausbleiben der pathogenen Wirkung ist aber nicht gleichbedeutend mit einer Abtotung, selbst wenn die stillschweigende Voraussetzung, daB es sich um lebende Mikroben handelt, sicher erfiillt ware. So ist z. B. das Virus in neutralen Gemischen von Virus und virulicidem Serum nicht abgetotet (s. S. 183 f.). Kleinste Mengen des Virus der Vesicnlarstomatitis, die auf Meerschweinchen nicht pathogen, 80ndern nur zuweilen immunisierend wirken, konnen nach BURNET und GALLOWAY noch durch die kulturelle Anreicherung im befruchteten Hiihnerei nachgewiesen werden.

Da man iiberdies, um eine Denaturierung der Antigene zu vermeiden, die Art und den Grad des "viruliciden" Eingriffes moglichst vorsichtig auswahlt, kann die Moglichkeit, daB der Erfolg einer vermeintlichen "Antigenimptung" de facto auf einer immunisierenden Minimalinfektion beruht, oft nicht mit Bestimmtheit ausgeschlossen werden. Geht man endlich die Versuchsprotokolle genau durch, so stoBt man nicht selten auf die Allgabe, daB die Impfungen nicht reaktionslos verliefen, sondern von klinischen Symptomen (Fieber) gefolgt waren. Vermutlich sind manche Widerspriiche in der Literatur auf diese Weise zu erklaren. Nach STEWART und RHOADS sowie AYCOCK und KAGAN kann man Mfen mit sicher abgetoteten Poliomyelitisvirus iiberhaupt nicht immunisieren, wahrend andere Autoren mit Impfstoffen, die zwecks Ausschaltung einer manifesten Erkrankung in ahnlicher Weise hergestellt worden waren, positive Resultate zu verzeichnen hatten 1. AYCOCK und KAGAN fanden zwar, daB getrocknetes oder mit Phenol behandeltes Virus in einem Teil der Versuche Mfen zu schiitzen vermochte, daB es sich aber ebenso oft als infektios erwies. Aus diesen und analogen Angaben gewinnt man den Eindruck, daB es nur darauf ankommt, ob die Inaktivierung bis zum volligen Verlust der Infektiositat getrieben wird, bzw. daB mit der Infektiositat auch die immunisierende Wirkung erlischt, wobei man unter "immunisierender Wirkung" die Festigung gegen erneute Infektionen derselben Atiologie zu verstehen hat und nicht die bloBe Fahigkeit Antikorperbildung auszulosen. Die Inaktivierung scheint also zunachst die Pathogenitat aufzuheben und die Infektiositat zu reduzieren, oder - wie man das gewohnlich auszudriicken pflegt - die Virulenz abzuschwachen; solche Zwischenstufen des Inaktivierungsvorganges waren als Impfstoffe geeignet, nicht aber die nicht mehr infektiosen oder nicht mehr vermehrungsfiihigen Endstadien. 1 Vgl. das Referat von H. Zbl. Hyg. 27, 1-30 (1932).

LINDEN:

Uber den heutigen Stand der Poliomyelitisfrage.

Filtrierbare Virusarten.

177

Ob der Grundsatz "ohne Infektion keine je8te und dauerhajte aktive Immunitiit" fiir alle in Betracht :/rommenden Viruskrankheiten (d. h. fiir, jene, bei welchEm das "Oberstehen der natiirlichen Erkrankung diese Wirkung hat) giiltig ist, liiBt sich derzeit nicht sicher entscheiden.. Zweifellos hat der Wunsch, durch Verwendung von abgetotetem Virus zu ungefahrlichen Impfungen zu gelangen, die Versuchsanordnungen und namentlich die Interpretation ihrer Ergebnisse beeinfluBt. Vielleicht sind aber die Verhaltnisse de facto komplizierter, als dies in der obigen kategorischen Fassung zum Ausdruck kommt. Um einen vorurteilsfreien Einblick zu gewinnen, empfiehlt es sich, ein praktisch bedeutungsloses, optimistischen Erwartungen entriicktes Beispiel genauer zu analysieren. Ich wahle zu diesem Zweck die Hilhnerpe8t, weil ich hier iiber eigene Untersuchungen verfiige. In meinem Institut wurden stets nur hochpathogene Stamme dieser Virusart verwendet. Unter mehr als 1000 Hiihnern fand sich kein einziges, das die experimentell erzeugte Erkrankung iiberlebte; jedes erkrankte Huhn ging innerhalb von 2-3, selten 4 Tagen ein. Wurde die Dosis des virushaltigen Materials zu klein bemessen, so erkrankten die Hiihner nicht, zeigten aber auch keine Spur von Immunitat, auch wenn die Vorbehandlung mit unwirksamen d. h. nicht krankmachenden Dosen ofter wiederholt wurde. Identische Resultate erhielten wir durch Injektionen von Gemischen, die aus Virus (in Form von virushaltigem Blutserum) mit virulicidem Antiserum (vom Huhn oder von der Gans) hergestellt waren; entweder erkrankten die Tiere nach verlangerter Inkubation und verendeten ausnahmslos oder sie zeigten keinerlei Symptome und waren dann nicht immun, indem sie der Nachpriifung mit geringen Virusmengen prompt erlagen (noch nicht publizierte Versuche von S. SEIDENBERG und C. HALLAUER). DaB ohne Infektion keine Immunitat zustande kommt, stand somit auBer Frage. Natiirlich laBt sich aus diesen Experimenten nicht herauslesen, daB die positive Erganzung des Satzes zutrifft, d. h. daB die Infektion aktiv immunisiert. Es liegen aber altere und neuere Angaben vor, daB ganz ausnahmsweise Huhner die natiirliche Erkrankung iiberstehen konnen, und daBsie dann gegen erneute Ansteckungen sowie gegen massive Virusmengen vollig refraktar sind (v. OSTERTAG und WOLFSHUGEL, R. MANNINGER). Es scheint, daB zwischen der Schwere der Erkrankung und dem Grade der resultierenden Immunitat eine funktionale Beziehung besteht. Es gelang namlich R. MANNINGER (im Gegensatze zu uns) das Verhaltnis zwischen Virus und virulicidem Serum so auszubalancieren, daB die mit den Gemischen injizierten Hiihner zwar ausnahmslos unter fieberhaften Erscheinungen erkrankten, zum Teile jedoch bald wieder ihren friiheren Gesundheitszustand erlangten. Die iiberlebenden Tiere waren nun immun, vertrugen aber hochstens die 50fache Menge der fiir normale Kontrollen todlichen Virusdosis und reagierten sogar auf so kleine Quanten mit einer erneuten Fieberbewegung. Der immunisatorische Impuls der gehemmten Infektion war also offenbar zu schwach, um mit einem Schlage ein komplett refraktares Verhalten zu erzeugen; das lieB sich nur (in einem bescheidenen Prozentsatz der Einzelversuche!) dadurch erreichen, daB die Hiihner, die bereits iiber eine geringe Grundimmunitat verfiigten, wiederholt (5-9mal) mit vorsichtig gesteigerten Mengen von aktivem Virus behandelt wurden. Die Verstarkung der Grundimmunitat erfolgte, wenigstens bei den ersten Injektionen, durch, Ergebnisse der Hygiene. XVI.

12

178

R.DoERR:

Reinfektionen und nicht bloB durch iterative Antigenzufuhr. SchlieBlich blieben aIlerdings die fieberhaften Reaktionen aus, so daB man in Zweifel sein kann, ob sich an der Entstehung des Endzustandes nicht doch auch der zweite Faktor wesentlich beteiligte; indes gibt es bekanntlich latente Infektionen, die ja ebenfalls immunisierend wirken konnen (Gelbfieber, Fleckfieber usw.), namentlich wenn es sich nur um "die Festigung einer vorhandenen Grundimmunitat handelt. AhnIiche Schliisse ergeben sich aus den Untersuchungen iiber die von DOYLE und beschriebene N ewcastlekranlcheit der Buhner, die sich von der klassischen Gefliigelpest" durch ihren subakuten, gutartigeren Verlauf unterscheidet. Ob sie, wie MANNINGER aua gekreuzten Immunitatsversuchen folgert, mit der Gefliigelpest atiologisch identisch ist und nur durch eine Virusvariante von auffallend geringer Pathogenitat hervorgerufen wird, ist fiir unsere Betrachtung irrelevant. Jedenfalls konnte MANNINGER zeigen, daB das tJberstehen der benignen Newcastlekrankheit keinen sicheren Schutz gegen die experimentelle Infektion mit hoheren Dosen des homologen Virus verleiht, und daB eine erhebliche Verstarkung der Immunitat auf dem gleichen Wege erzielt werden kann wie bei der legitimen Gefliigelpest. PICARD

Die Versuche, Huhner mit abgetotetem Virus aktiv zu immunisieren, ergaben zum Teile ganz negative Resultate (MAUE, Russ, v. PROWAZEK, MAGGIORA und VALENT!, W. PFENNIGER, V.PROWAZEK, GERLACH und MICHALKA, TODD, DOYLE). Es liegen zwar auch Angaben uber positive Ergebnisse vor (JOUAN und STAUB, STAUB, RHODA ERDMANN, TODD, PURCHASE, ZANZUCCHI, H. PLOTZ), doch laBt sich hier immer - spezieIl auch im Hinblick auf mehrfache erfolglose Nachpriifungen - ein Einwand erheben, auf den ich schon hingewiesen habe und den W. PFENNIGER folgendermaBen in Worte kleidet: "Anscheinend hat totes Virus keinen immunisierenden Effekt, ein solcher ist nur von mitigiertem Virus zu erwarten. Prinzipiell ist eine solche Abschwachung sowohl mit Phenol wie mit Ather moglich. Die Schwierigkeit hierbei ist, den richtigen Moment zwischen VoIlvirulenz und Erloschen derselben festzusteIlen." Manche, wenn auch nicht aIle der einschlagigen Publikationen bieten ubrigens ein recht trauriges Bild eines unexakten und unsystematischen Herumexperimentierens. Das zur Vorbehandlung und zur Priifung des refraktaren Zustandes beniitzte Material wurde beliebig gewechselt, obzwar man seit LAND STEINER und Russ sowie DOERR und R. PICK weiB, daB zwischen Hiihnerpestserum, Hiihnerpestblut und Organvirus wichtige Differenzen bestehen; die Testdosen des Virus waren nicht ausgewertet oder die Auswertungen wurden nicht durch Protokolle belegt, was nach den Untersuchungen von mir und SEIDENBERG sowie von G. PYL iiber quantitative Virustitrierung unbedingt verlangt werden muB; der Grad und "die Dauer der erzielten Immunitat fanden keine oder ungeniigende Beriicksichtigung usw. Leider stoBt man auf solche Mangel in der gesamten Literatur der tierexperimenteIlen Begriindung spezifischer Immunisierungsmethoden. Niemand fordert eine Reglementierung der Forschertatigkeit ; aber eine klare Begrenzung des Themas, eine exakte und zu bestimmten Schliissen fiihrende experimenteIle Durchfiihrung und die Vermeidung zwecklosen Variierens der Versuchsanordnungen sind allgemein anerkannte, wenn auch haufig nicht beachtete wissenschaftliche Postulate. Unter den Agenzien, durch welche man die erforderliche Abschwachung des Hiihnerpestvirus zu erzielen suchte, verdienen zwei besondere Beachtung: das Formalin und das Lebergewebe bzw. die Galle. Formolvaccine (hergesteIlt aus der Milz infizierter Hiihner oder aus Viruskulturen) verwendeten STAUB,

179

Filtrierbare Virusarten.

ZANZUCCHI sowie H. PLOTZ, anscheinend mit Erfolg; die Dauer der Immunitat wurde nicht bestimmt und iiber ihren Grad spricht sich H. PLOTZ nur dahin aus, daB die vorbehandelten Hiihner 100 letale Dosen Virus vertrugen. Die Versuche von STAUB konnten allerdings von DOYLE und von TODD nicht bestatigt werden. Man muB sich aber doch fragen, wie die positiven Resultate der zitierten Autoren zustande kamen. Ferner haben sich gerade Formolimpfstoffe auch bei anderen Viruskrankheiten (Vaccine, Maul- und Klauenseuche, Rinderpest, Hundestaupe, Rabies, Gefliigelpocken) als wirksam erwiesen, wenigstens im Experiment; nur schien der immunisatorische Effekt wieder wesentlich von der Intensitat der Virusabschwachung abzuhangen bzw. auszubleiben, wenn die Einwirkung des Formalins eine gewisse Grenze iiberschritt. Was solI man sich unter der "Abschwachung" konkret vorstellen? Manche Autoren erledigen die Frage durch die Aussage, daB die wirksamen Formolpraparate noch geringe Mengen von "lebendem Virus" enthalten; ist das Virus ganzlich abgestorben, so kann man keinen antiinfektionellen Schutz erzeugen. Nun rufen aber die kleinsten, iiberhaupt noch infektiosen Dosen von nativem Hiihnerpestvirus eine rasch letal verlaufende Erkrankung hervor. Enthalt daher der formolisierte Impfstoff Spuren von lebendem Virus, so muB dieses jedenfalls irgendwie modifiziert sein, und zwar im Sinne einer reduzierten Infektiositat, d. h. einer stark verminderten Vermehrungsfahigkeit im Wirtsorganismus; es ware also die kiinstlich hergestellte Generationsschwache des Erregers, die zur baldigen Autosterilisation, zum abortiven Infekt fiihrt. Die Gegeniiberstellung von "lebendem" und "abgetotetem" Virus geht, wie schon angedeutet, von der Pramisse aus, daB die Viruselemente Mikroben sind. Die Formolverfahren lehnen sich dagegen ganz an das von LOWENSTEIN entdeckte und von RAMON ausgebaute Verhalten der Bakterientoxine an, die durch Formalin in nicht mehr pathogene, aber immunisierende Derivate ("Anatoxine") umgesetzt werden konnen. Es hat daher den Anschein, als ob die Virusarten, wenigstens zum Teil, den Toxinen naherstiinden als den Mikroben, ein Eindruck, der durch die Nervenleitung von Toxin und Virus (Tetanustoxin, Virus der Lyssa, der Poliomyelitis und des Herpes) sowie durch die Existenz von virusneutralisierenden (antitoxinartigen) Antikorpern (s. weiter unten) betrachtlich verstarkt wird. Klar liegen aber die Verhaltnisse nicht, weil man die Formolabschwachung (in dem prazisierten Sinne) auch bei zweifellosen Mikroorganismen festgestellt haben will, z. B. bei den Fleckfieberrickettsien (ZINSSER und CASTANEDA, 1. J. KuGLER und L.OLITZKI), den Erregern der Peripneumonie der Rinder (G. CURASSON) und den Rauschbrandbacillen (LECLAINC1IE und VALLEE, SCHMIEDHOFFER). Ob aIle diese Angaben zuverlassig sind, wird sich wohl erst in der Zukunft zeigen; vorlaufig bestehen noch, besonders bei der aktiven Fleckfieberschutzimpfung, mehrfache Widerspriiche (vgL hierzu KLIGLER und OLITZKl) und die Immunisierungserfolge waren oft unregelmaBig und unbefriedigend. Eine iiberraschende Angabe iiber die Einwirkung des Formalins auf die immunisatorische Fahigkeit einer Virusart hat 1933 BEDSON veroffentlicht. Nachdem er in Gemeinschaft mit WESTERN (1930) festgestellt hatte, daB man Mause gegen Psittakosevirus aktiv immunisieren kann, wenn man sie mit einer aus virushaltiger Mausemilz bereiteten Formolvaccine wiederholt vorbehandelt, variierte er in neueren Versuchsreihen den Impfstoff, indem er die Formolvaccine durch 20 Min. im stromenden Wasserdampf erhitzte. Die erhitzte Formolvaccine erwies sich alB fast ebenso leistungsfahig wie die nicht erhitzte, wahrend das 12*

'180

R. DOERR:

bloBe Erhitzen ohne vorherige :Formoleinwirkung das immunisierende Vermogen stark zu sehadigen sehien. Die Experimente BEDSONB sind jedoeh, wie aus den genauen Protokollen hervorgeht, nieht vollig iiberzeugend und aueh nieht dureh aIle erforderliehen Kontrollen gestiitzt. Die Tragweite der Angelegenheit erheiseht aber eine sorgfaltige Naehpriifung; bevor sie nieht erfolgt ist, ware eine Erorterung der Konsequenzen des gesehilderten Verhaltens verfriiht.

GALLE wurde zuerst von R. KOCH (1897) verwendet. Die KocHsche Impfung gegen Rinderpest besteht darin, daB man die Galle von der Seuche erlegenen Rindern subcutan injiziert. DaB der Impfstoff das Virus in infektioser Form enthli.lt, war evident; warum es aber infolge der Impfung nicht zu einer todlichen Septicamie, sondern nur zu einer immunisierenden Lokalerkrankung kommt, konnte nicht mit Bestimmtheit ermittelt werden (vgl. B. ALBRECHT). Die Erklarung von KOLLE, daB die Galle das Virus an der Impfstelle "zuruckhalt", war nicht hinlanglich begriindet. In neuerer Zeit benutzten TODD sowie PURCHASE Lebergewebe oder Galle zur Gewinnung immunisierender Praparate aus huhnerpestvirushaltigem Material, und zwar in einem kleinen Prozentsatz der Versuche (nach PURCHASE 20 %) mit positivem Resultat, d. h. die mehrfach vorbehandelten Huhner widerstanden einer fur Kontrollen todlichen Probe mit nativem Virus. (S. SEIDENBERG kam in meinem Institut zu negativen Ergebnissen, vielleicht weil die Zahl der angesetzten Experimente zu gering war.) Nach den systematischen Untersuchungen von PURCHASE muBte man annehmen, daB Huhnerpestvirus durch normales Lebergewebe oder durch normale Galle seiner Pathogenitat beraubt, also gewissermaBen abgeschwacht oder inaktiviert werden kann, wobei jedoch die immunisierende Fahigkeit unter bestimmten, nicht genau angebbaren Bedingungen erhalten bleibt. Es ist dies der gleiche Effekt, den man auch fUr andere abschwachende Agenzien (Trocknen, ·Phenol, Ather, Formol usw.) festzustellen vermochte. Man wird da unwillkiirlich an den durch Galle induzierten Virulenzverlust der Tuberkelbacillen (sog. B.C.G.-Stamme) erinnert; es existiert indes eine, vermutlich wichtige Differenz, indem die Veranderung der Tuberkelbacillen durch fortgesetztes Wachstum auf gallehaItigen NahrbOden erzielt wird, wahrend sich die hier diskutierten Abschwachungen durch einmalige Einwirkung, d. h. unter AusschlufJ von VermehrungsJYfozessen der spezifischen Infektionsstoffe hervorrufen lassen. Kann man bei den Virusarten und speziell beim Hiihnerpestvirus durch die Kombination von Abschwachung und Vermehrung bessere Resultate erreichen als TODD und PURCHASE? Das vermag ich leider nicht zu beantworten. Vielleicht deuten jedoch einige noch nicht publizierte Experimente von C. HALLAUER in diese Richtung, die ich hier, weil sie vorlaufig nicht zum definitiven AbschluB gelangt sind, mit Vorbehalt mitteile. . C. H.A.LL.A.UER zuchtete embryonales Lebergewebe yom Huhne in einem MAITLAND-Medium, dem eine minimale Menge von Huhnerpestserum (die lOfache letale Dosis) zugesetzt worden war. Die Gewebskulturen wurden 6 Tage bei 370 C gehalten, sodann verrieben und zwei normalen Huhnern (eine ganze Kultur pro Huhn) intramuskular injiziert. Die Tiere zeigten keinerlei Reaktion, waren aber schon nach 14 Tagen in einem derartigen Grade immun, daB sie die Infektion mit der millionenfachen todlichen Virusdosis glatt vertrugen und ihre Sera hatten einen ungewohnlich hohen viruliciden Titer. Dieses Experiment konnte bisher sechsmal mit identischem Ergebnis wiederholt werden, so daB die Reproduzierbarkeit der Beobachtung wohl gesichert erscheint. Anscheinend

Filtrierbare Virusarten.

181

ganz gleichartige Versuchsanordnungen lieferten jedoch auch negative Resultate, ein Umstand, der die genauere Analyse des Immunisierungseffektes erschwerte. Vorderhand lieB sich nur feststellen: 1. DaB HALLAUER durch eine einzige Injektion die ra8che Entwicklung einer ab80luten oder fast ab80luten I mmunitiit erzielte, und zwar unter Vermeidung einer manifesten Impfreaktion, ein ideales Optimum, dem ebenbiirtige Erfolge nicht an die Seite gestellt werden konnen. 2. DaB es nicht moglich war, die embryonale Hiihnet:leber durch die Leber erwachsener gesunder Hiihner zu ersetzen. 3. DaB dagegen einige Experimente gelangen, in denen Lebergewebe von erwachsenen infizierten Hiihnern (ohne besonderen Viruszusatz!) als Kulturmaterial beniitzt wurde. < Aus diesen sparlichen Anhaltspunkten darf man immerhin schlieBen, daB eine bloBe Abtotung des Virus durch das sechstagige Stehen bei 37 0 C nicht in Betracht kam. tJbrigens hatten sich GERLACH und MICHALKA schon friiher vergeblich bemiiht, Hiihner durch wiederholte Behandlung mit groBen Dosen virushaltigen Materials, das seine Pathogenitat durch Lagerung spontan eingebiiBt hatte, zu schiitzen. Es liegt daher die Annahme nahe, daB bestimmte, noch nicht exakt prazisierbare Vorgange im explantierten Lebergewebe fiir die Umwandlung des originaren Virus in ein Impfvirus erforderlich sind, Vorgange, die vielleicht schon im infizierten Huhn stattfinden oder eingeleitet werden (Punkt 2 und 3). Durch bloBe Mischungen von Serumvirus mit Galle konnte HALLAUER keinen brauchbaren Impfstoff