Entwicklungen des deutschen Staatsorganisationsrechts im Kraftfeld der europäischen Integration: Die Zusammenarbeit von Bund und Ländern nach Art. 23 GG im Lichte der Staatsstrukturprinzipien des Grundgesetzes [1 ed.] 9783428500277, 9783428100279

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Entwicklungen des deutschen Staatsorganisationsrechts im Kraftfeld der europäischen Integration: Die Zusammenarbeit von Bund und Ländern nach Art. 23 GG im Lichte der Staatsstrukturprinzipien des Grundgesetzes [1 ed.]
 9783428500277, 9783428100279

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RALF H A L F M A N N

Entwicklungen des deutschen Staatsorganisationsrechts im Kraftfeld der europäischen Integration

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 811

Entwicklungen des deutschen Staatsorganisationsrechts im Kraftfeld der europäischen Integration Die Zusammenarbeit von Bund und Ländern nach Art. 23 GG im Lichte der Staatsstrukturprinzipien des Grundgesetzes

Von

Ralf Halfmann

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Halfmann, Ralf: Entwicklungen des deutschen Staatsorganisationsrechts im Kraftfeld der europäischen Integration : die Zusammenarbeit von Bund und Ländern nach Art. 23 GG im Lichte der Staatsstrukturprinzipien des Grundgesetzes / Ralf Halfmann. Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 811) Zugl.: Bonn, Univ., Diss., 1999 ISBN 3-428-10027-1

Alle Rechte vorbehalten © 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-10027-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier

entsprechend ISO 9706 θ

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde i m Herbst 1998 von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen

Fakultät der Rheinischen

Friedrich-Wilhelms-Universität

Bonn als Dissertation angenommen. M i t ihr habe ich den Versuch unternommen, den neuen „Europaartikel" des Grundgesetzes, der aus Anlaß des Vertrages von Maastricht in das Grundgesetz eingefügt worden ist, einer kritischen Analyse aus Sicht der übergeordneten verfassungsrechtlichen

Staatsstruktur-

prinzipien zu unterziehen. Der Umfang dieser Arbeit ist letztlich größer geworden als ursprünglich geplant. Hierzu hat die Kompliziertheit der neuen Regelung in nicht unerheblicher Weise beigetragen. Zusätzlich habe ich ein Kapitel über die bisherigen Erfahrungen der Staatspraxis eingefugt und es unternommen, einen vergleichenden B l i c k auf die parallele Regelung in der Bundesverfassung Österreichs zu wagen, letzteres jedoch notgedrungen nur in kursorischer Hinsicht, da die Rechtsvergleichung nicht zu den Schwerpunkten der Arbeit zählte. Die durch den Vertrag von Amsterdam eingetretenen Änderungen sind, soweit möglich, berücksichtigt worden. Rechtsprechung und Literatur befinden sich auf dem Stand von Juli 1999. A n erster Stelle möchte ich meinem verehrten Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Breuer, danken, der mir zum einen mit seinem stets wertvollen Rat zur Seite stand und mir zum anderen den nötigen wissenschaftlichen Freiraum gewährt hat, meine Gedanken zum Thema dieser Arbeit zu entwickeln und zu vertiefen. Herrn Prof. Dr. Ossenbühl möchte ich recht herzlich für die Erstellung des Zweitgutachtens danken. Besonders danken möchte ich des weiteren Herrn Dr. Heyde und Herrn Dr. Gusseck vom Bundesjustizministerium. Beide haben mir während meiner Mitarbeit als Referent im Bundesjustizministerium wertvolle Erfahrungen aus dem Bereich der Ministerialverwaltung vermitteln können und standen darüber hinaus auch nach meinem Wechsel in die Wissenschaft stets für Rückfragen und Auskünfte zur Verfügung. Daneben gebührt mein besonderer Dank auch Herrn von Dewitz vom Bundesrat, der mir ausführliche Hinweise und Materialien zur Anwendung der neuen Regelung in der Staatspraxis hat geben können.

Bonn, im August 1999

Ralf Halfmann

Inhaltsverzeichnis Einleitung.

23

1. Teil

Die Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern bei der europäischen Integration

26

I. Die Zusammenarbeit nach Art. 2 des Ratifikationsgesetzes zu den Römischen Verträgen

27

1. Die Ausgangssituation für die Länder

27

2. Das Zuleitungsverfahren nach Art. 2 des Zustimmungsgesetzes

28

II. Das Länderbeteiligungsverfahren von 1979

32

1. Die Ursachen weiterer Forderungen der Länder an den Bund

32

2. Das Ergebnis der gemeinsamen Beratungen: Der Briefwechsel von 1979

34

3. Die Umsetzung in die Praxis

36

III. Das Beteiligungsverfahren nach Art. 2 EEAG

38

1. Die Ausgangssituation für Bund und Länder

38

2. Das „Bundesratsmodell" und die Verabschiedung von der unmittelbaren Länderbeteiligung

43

a) Die Regelungen des Art. 2 EEAG

43

b) Die Bund-Länder-Vereinbarung vom 17.12.1987

44

c) Der Länderbeobachter

46

d) Die Beteiligung von Ländervertretern

48

3. Die Praxis der Beteiligung der Länder in den Bereichen Kultur und Bildung IV. Sonstige Formen der Mitwirkung

51 52

1. Die Informations- und Verbindungsbüros der Länder in Brüssel

52

2. Weitere Formen der Zusammenarbeit

54

nsverzeichnis 3. Die Beteiligung der Landtage

56

V. Die neueren Entwicklungen bis zur Verabschiedung des Art. 23 GG 1. Mängel des Bundesratsverfahrens nach Art. 2 EEAG

60 60

a) Die Umsetzung von Art. 2 EEAG in der Praxis

60

b) Nachteile des Verfahrens

61

2. Insbesondere: Der Streit um die Rundfunkrichtlinie

63

3. Der Vertrag von Maastricht

67

a) Die Position der Länder in den Beratungen

67

b) Die Ergebnisse: Der Vertrag von Maastricht

70

c) Die innerstaatliche Umsetzung und der neue Artikel 23 GG

74

2. Teil

Artikel 23 GG - Inhalt und Anwendungsbereich

78

I. Überblick

78

II. Die Mitwirkung des Bundesrates nach Art. 23 Abs. 2 S. 1 GG

79

1. Die verfassungsrechtliche Grundentscheidung für das Bundesratsprinzip

79

2. Die Bundesregierung als Hauptträgerin der Organkompetenz

80

3. Angelegenheiten der Europäischen Union

81

a) Erfordernis einer weiten Auslegung

81

b) Einschränkung des Anwendungsbereichs durch § 11 EUZBLG

83

4. Das Verhältnis von Art. 23 GG zu anderen Bestimmungen des Grundgesetzes

87

a) Das Verhältnis von Art. 23 GG zu Artikel 50 GG

87

b) Das Verhältnis von Art. 23 GG zu Art. 24 Abs. 1 GG

89

c) Das Verhältnis von Art. 23 GG zu Art. 32 Abs. 1 GG

90

d) Insbesondere: Das Verhältnis des Art. 23 GG zum „Lindauer Abkommen"

92

(1) Überschneidungen des Anwendungsbereiches von Art. 23 GG mit dem Lindauer Abkommen (2) Die Lösung des Kompetenzkonfliktes III. Die interne Willensbildung des Bundes 1. Art. 23 Abs. 2 S. 2 GG - Die Pflicht zur umfassenden Unterrichtung

92 94 95 95

nsverzeichnis

11

a) Inhalt der Unterrichtungspflicht

95

b) Vereinbarkeit von § 2 EUZBLG mit dem Grundgesetz

96

2. Art. 23 Abs. 4 GG - Die Ausrichtung der Beteiligung an der innerstaatlichen Kompetenzverteilung

99

3. Art. 23 Abs. 5 Satz 1 - Die einfache Berücksichtigung der Stellungnahme des Bundesrates

101

a) Tatbestand und Anwendungsbereich von Art. 23 Abs. 5 S. 1 GG

101

(1) Alternative: Ausschließliche Zuständigkeit des Bundes

101

(2) Alternative: Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes im übrigen

102

b) Die Pflicht zur Berücksichtigung der Stellungnahme des Bundesrates

107

4. Art. 23 Abs. 5 Satz 2 GG - Die Pflicht zur „maßgeblichen" Berücksichtigung... 108 a) Tatbestand und Anwendungsbereich

108

(1) „Gesetzgebungsbefugnisse der Länder"

108

(2) „Einrichtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahren"

109

(3) „Betroffensein im Schwerpunkt"

109

b) Der Inhalt der Pflicht zur „maßgeblichen" Berücksichtigung der Stellungnahme des Bundesrates

112

c) Art. 23 Abs. 5 S. 2, Hs. 2 GG - Die Pflicht zur Wahrung der gesamtstaatlichen Verantwortung des Bundes

116

(1) Inhalt

116

(2) Adressaten

118

(3) Die Verpflichtung zur Wahrung der gesamtstaatlichen Verantwortung des Bundes als Ausnahmetatbestand vom Letztentscheidungsrecht des Bundesrates?

119

d) Art. 23 Abs. 5 S. 3 GG - Der Zustimmungsvorbehalt bei Ausgabenerhöhungen und Einnahmeverminderungen des Bundes

120

(1) Inhalt und Bedeutung

120

(2) Einschränkungen des Anwendungsbereichs

121

(3) Verbleibender Anwendungsbereich

123

e) Der Konfliktfall sich widersprechender Stellungnahmen von Bundestag und Bundesrat

126

(1) Die Pflicht zur Berücksichtigung der Stellungnahme des Bundestages nach Art. 23 Abs. 3 S. 2 GG i.V.m. § 5 S. 3 EUZBTG

127

12

nsverzeichnis (2) Die Auflösung des Konkurrenzverhältnisses

5. § 5 Abs. 3 EUZBLG - Vorhaben der EU nach Art. 235 EGV

131 133

a) Entstehung der Ausnahmeregelung

134

b) Anwendungsbereich

135

c) Vereinbarkeit von § 5 Abs. 3 EUZBLG mit Art. 23 Abs. 4 bis 6 GG

137

IV. Die Außenvertretung des Bundes nach Art. 23 Abs. 6 GG 1. Tatbestand und Anwendungsbereich

139 139

a) Ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder

139

b) Das „Betroffensein im Schwerpunkt"

141

2. Rechtsfolgen

141

a) Die Rechte der Bundesrepublik Deutschland

141

b) Das Merkmal „soll übertragen werden"

142

c) Der Umfang der Übertragung

146

3. Der vom Bundesrat benannte „Vertreter der Länder"

147

a) Die rechtliche Stellung des Vertreters der Länder

147

b) Das Verfahren der Benennung

151

c) Die Aufgaben des Ländervertreters im Außenverhältnis

154

d) Die Rechtsstellung des Länderbeobachters nach der Bund-Länder-Vereinbarung 1993

154

4. Die Art und Weise der Wahrnehmung der Rechte

156

a) Das Merkmal „in Abstimmung mit der Bundesregierung"

156

b) Die Wahrung der gesamtstaatlichen Verantwortung des Bundes

158

3. Teil

Die Bewertung von Art. 23 Abs. 2 bis 6 GG aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

161

I. Art. 23 GG am Prüfmaßstab des Art. 79 Abs. 3 GG - „Verfassungswidriges Verfassungsrecht"? II. Das „Bundesstaatsprinzip" nach Art. 79 Abs. 3 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG

161 163

1. Inhalt und geschützter Kernbereich des Bundesstaatsprinzips

163

a) Die durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten „Grundsätze"

163

nsverzeichnis b) Der Bundesstaat des Grundgesetzes

13 166

2. Die Vereinbarkeit von Art. 23 Abs. 2 bis 6 GG mit dem Bundesstaatsprinzip ... 170 a) Die Gliederung des Bundes in Länder

170

b) Die grundsätzliche Mitwirkung der Länder an der Gesetzgebung des Bundes

175

c) Der Grundsatz der Trennung der Kompetenzräume von Bund und Ländern... 175 (1) Die Wahrnehmung von Gesetzgebungsbefugnissen der Länder durch ein Organ des Bundes?

175

(2) Der Vorwurf der unzulässigen „Mischverwaltung" in auswärtigen Angelegenheiten

177

(3) Faktische Ingerenzen der Länder?

179

(4) Konkurrenz des Bundesratsprinzips mit Rechten einzelner Länder?

182

3. Zwischenergebnis III. Das Demokratieprinzip nach Art. 79 Abs. 3 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 und 2 GG

183 183

1. Der über Art. 79 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 und 2 GG geschützte Kerngehalt des Demokratieprinzips

183

a) Das Prinzip der Volkssouveränität

185

b) Demokratie als Staats- und Regierungsform

186

c) Die Ausübung von „Staatsgewalt" als Gegenstand der demokratischen Legitimation d) Die „besonderen Organe" Bundesregierung und Bundesrat ( 1 ) Die demokratische Legitimation der Bundesregierung (2) Die demokratische Legitimation des Bundesrates 2. Die Geltung des Demokratieprinzips im Rahmen der Europäischen Union

189 190 190 192 195

a) Die demokratische Legitimation der Organe der EG im Verfahren der supranationalen Rechtsetzung

195

b) Relativierungen des Demokratieprinzips

205

c) Problematik der Realisierbarkeit der demokratischen Rückbindung

211

(1) Erschwernisse aufgrund des supranationalen Entscheidungsprozesses

211

(2) Innerstaatlich bedingte Erschwernisse

213

3. Die interne Willensbildung des Bundes nach Art. 23 Abs. 5 GG im Lichte des Demokratieprinzips

221

14

nsverzeichnis a) Die Herstellung der demokratischen Legitimation beim Zusammenwirken mehrerer Organe

222

b) Die „einfache" Berücksichtigung der Stellungnahmen des Bundesrates

225

c) Das Letztentscheidungsrecht des Bundesrates

226

( 1 ) Das Erfordernis der ununterbrochenen Legitimationskette zum Staatsvolk

227

(2) Das Erfordernis der „Effektivität" der Vermittlung demokratischer Legitimation

231

(3) Abweichung vom Grundgedanken des Art. 23 Abs. 4 GG

232

4. Die Vereinbarkeit von Art. 23 Abs. 6 GG mit dem Demokratieprinzip

233

a) Das Erfordernis der ununterbrochenen Legitimationskette zum Staatsvolk

233

b) Die Effektivität der Vermittlung demokratischer Legitimation

235

5. Zwischenergebnis

236

IV. Der Grundsatz der Gewaltenteilung, Art. 79 Abs. 3 i.V.m. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG

237

1. Der normative Gehalt des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG

237

a) Der Grundsatz der Trennung der „Gewalten" und sein Bezug zu den anderen Staatsstrukturprinzipien b) Die „besonderen Organe" und der Schutz des Kernbereichs

239 243

(1) Der Aspekt der gegenseitigen Machtbalance

244

(2) Der Aspekt der Eigenverantwortlichkeit

244

(3) Der Aspekt der Funktionsgerechtheit und der Organadäquanz

245

2. Art. 23 Abs. 2 bis 6 GG im Lichte des Gewaltenteilungsgrundsatzes

247

a) Die Pflicht zur umfassenden und frühestmöglichen Unterrichtung nach Art. 23 Abs. 2 S. 2 GG

247

b) Die „einfache" Berücksichtigung der Stellungnahmen des Bundesrates

249

c) Das Letztentscheidungsrecht des Bundesrates

249

d) Die Außenvertretung des Bundes nach Art. 23 Abs. 6 GG

253

3. Art. 23 GG und die integrationspolitische Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland

255

a) Die integrationspolitische Handlungsfähigkeit als Bestandteil der Staatlichkeit

255

b) Der Rechtsetzungsprozeß der EG als „Verhandlungsregime"

258

nsverzeichnis

15

(1) Der äußere Verfahrensgang

258

(2) Die Besonderheiten der Konsensfindung

262

c) Bewertung von Art. 23 Abs. 5 und 6 GG im Lichte der integrationspolitischen Handlungsfähigkeit Deutschlands ( 1 ) Die einfache Pflicht zur Berücksichtigung

268 268

(2) Gefahren des Letztentscheidungsrechts des Bundesrates

269

(3) Gefahren der Außenvertretung durch einen Vertreter der Länder

272

4. Die Vereinbarkeit von Art. 23 GG mit dem EG-Recht

275

a) Rechtsfolgen eines Verstoßes von Art. 23 Abs. 5 und 6 GG gegen Vorschriften des europäischen Gemeinschaftsrechts

275

b) Die Anforderungen aus Art. 5 EGV

276

c) Die Vereinbarkeit mit Art. 146 EGV

279

5. Zwischenergebnis V. Bisherige Erfahrungen in der Staatspraxis

283 283

1. Die Information des Bundesrates nach Art. 23 Abs. 2 S. 2 GG

284

2. Die Willensbildung des Bundes

286

a) Die „vorbereitenden Beratungen" nach Ziffer II der Bund-Länder-Vereinbarung 1993

286

b) Die Beteiligung des Bundesrates in den Fällen des Art. 23 Abs. 5 S. 1 GG.... 287 c) Die Beteiligung des Bundesrates in den Fällen des Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG

287

3. Die Außen Vertretung des Bundes durch den Bundesrat

288

4. Die Hinzuziehung von Ländervertretern

290

a) Das interne Verfahren der Benennung

290

b) Die Teilnahme von Ländervertretern an den Sitzungen der Gremien der EU.. 292 c) Die Teilnahme von Ländervertretern an Tagungen des Rates

292

5. Die Überarbeitung der Bund-Länder-Vereinbarung 1993

293

6. Bewertung

294

VI. Justitiabilität und Rechtsschutz 1. Zulässige Verfahrensarten vor dem Bundesverfassungsgericht

297 297

a) Das Organstreitverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG zwischen Bundesrat und Bundesregierung

297

16

nsverzeichnis b) Der Bund-Länder-Streit nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG zwischen einzelnen Ländern und der Bundesregierung

299

(1) Die Antragsbefugnis nach § 64 BVerfGG

300

(a) Eigene Rechte der Länder

300

(b) Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Rundfunkrichtlinie

301

(c) Stellungnahme

302

(d) Die Verletzung oder unmittelbare Gefährdung eigener Rechte

306

(2) Klageziel

307

(3) Parteifähigkeit

308

c) Der Bund-Länder-Streit nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG zwischen einzelnen Ländern und dem Bundesrat

309

2. Fragen der Begründetheit

310

a) Der Prüfungsmaßstab und die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte

310

b) Die Problematik der unbestimmten Rechtsbegriffe im Rahmen des Art. 23 GG

312

3. Die Möglichkeit der einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG

315

a) Verfahrensvoraussetzungen

316

b) Die Erfolgsaussichten einer einstweiligen Anordung

317

( 1 ) Die Anforderungen an das Vorliegen des Anordnungsgrundes (2) Folgerungen für den Bundesrat und die Länder

317 318

4. Teil

Mögliche Alternativen zur Verbesserung einer Mitwirkung der Länder

323

I. Das Senatsmodell und verwandte Formen

324

II. Der Gedanke eines „EG-Länderrats"

326

III. Der Blick über die Grenzen: Das „österreichische Modell"

327

IV. Einräumung erweiterter Kontrollrechte der Landesparlamente?

339

V. Eigener Vorschlag: Eine stärkere Orientierung an dem Grundgedanken des Art. 23 Abs. 4 GG

343

nsverzeichnis

17

1. Grundsätzliche Beibehaltung der gestuften Mitwirkung des Bundesrates unter Wahrung der Gebote des Demokratieprinzips

344

a) Einführung eines Zustimmungsrechts des Bundesrates in Anlehnung an Art. 77 Abs. 2 und 2a GG?

345

b) Gesteigerte Berücksichtigung der Belange der Länder - Befugnis zur Letztentscheidung der Bundesregierung

349

2. Anwendung der „Einheitstheorie" bei der Kompetenzverteilung und Streichung der wertenden, unbestimmten Formulierungen

350

3. Gewährleistung der letztverantwortlichen Stellung der Bundesregierung bei der Außenvertretung

352

5. Teil

Gesamtergebnis und Thesen I. Zur Bedeutung der Regelung des Art. 23 GG

354 354

1. Art. 23 Abs. 2 bis 4 GG

354

2. Art. 23 Abs. 5 GG

355

3. Art. 23 Abs. 6 GG

357

II. Die Vereinbarkeit von Art. 23 GG mit Art. 79 Abs. 3 GG

359

1. Die Vereinbarkeit von Art. 23 GG mit dem Bundesstaatsprinzip

359

2. Die Vereinbarkeit von Art. 23 GG mit dem Demokratieprinzip

359

3. Die Vereinbarkeit von Art. 23 GG mit dem Gewaltenteilungsprinzip

361

III. Zur Justitiabilität und zum Rechtsschutz

364

IV. Mögliche Alternativen einer Mitwirkung der Länder

365

1. Alternative Vorschläge einer Länderbeteiligung

365

2. Eigener Vorschlag: Eine stärkere Berücksichtigung des Art. 23 Abs. 4 GG

366

Schlußbetrachtung

369

Literaturverzeichnis

373

Sachwortregister

396

2 Halfmann

Abkürzungsverzeichnis

a.A.

anderer Ansicht

a. F.

alte Fassung

Abg.

Abgeordneter

abgedr.

abgedruckt

ABl. EG

Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft

Alt.

Alternative

ÄndG

Änderungsgesetz

Anh.

Anhang

AöR

Archiv des öffentlichen Rechts

AP

Archiv für Presserecht

AStV

Ausschuß der Ständigen Vertreter

Aufl.

Auflage

BAnz.

Bundesanzeiger

BayVBl.

Bayerische Verwaltungsblätter

BBG

Bundesbeamtengesetz

Begr.

Begründung

Bek.

Bekanntmachung

Besch 1.

Beschluß

BGBl.

Bundesgesetzblatt

BR-Drs.

Drucksachen des Bundesrates

BReg

Bundesregierung

BRRG

Beamtenrechtsrahmengesetz

BT-Drs.

Drucksachen des Deutschen Bundestages

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

Abkürzungsverzeichnis

19

BVerfGE

Amtliche Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts

B-VG

Bundes-Verfassungsgesetz (Österreich)

BW

Baden-Württemberg

CMLR

Common Market Law Review

Dok.

Dokument

DÖV

Die öffentliche Verwaltung

DRiG

Deutsches Richtergesetz

DVBl.

Deutsches Verwaltungsblatt

EA

Europa-Archi ν

EAG

Europäische Atomgemeinschaft

EAG-V

Vertrag über die Europäische Atomgemeinschaft

EEA

Einheitliche Europäische Akte

EEA-G

Zustimmungsgesetz zur Einheitlichen Europäischen Akte

EG

Europäische Gemeinschaft

EGKS

Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl

EGKS-V

Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft fur Kohle und Stahl

EGV

Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft

EP

Europäisches Parlament

ESVGH

Amtliche Entscheidungssammlung des Verfassungsgerichtshofs

EU

Europäische Union

EuGH

Europäischer Gerichtshof

EuGRZ

Europäische Grundrechte-Zeitung

EuR

Europarecht

Euratom

Europäische Atomgemeinschaft

EUV

Vertrag über die Europäische Union

EUZBLG

Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union

EUZBTG

Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union

EuZW

Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

20

Abkürzungsverzeichnis

EV

Einigungsvertrag

EWG

Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

EWG-V

Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft

Fußn.

Fußnote

G

Gesetz

GASP

Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik

GG

Grundgesetz

GGK

Grundgesetz-Kommentar

GGO

Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien

GMB1.

Gemeinsames Ministerialblatt

GO

Geschäftsordnung

GO-BR

Geschäftsordnung des Bundesrates

GO-BT

Geschäftsordnung des Bundestages

GO-LR

Geschäftsordnung der Landesregierung

grds.

grundsätzlich

GVG

Gerichtsverfassungsgesetz

GVK

Gemeinsame Verfassungskommission

HdbStR

Handbuch des Staatsrechts

HdbVerfR

Handbuch des Verfassungsrechts

Hervorheb. d. Hervorhebung des Verfassers Verf. Hs.

Halbsatz

i.E.

im Ergebnis

IKL

Integrationskonferenz der Länder (Österreich)

IP

Internationale Politik

JA

Juristische Arbeitsblätter

JB1.

Juristische Blätter

jew.

jeweils

JöR

Jahrbuch des öffentlichen Rechts

Jura

Juristische Ausbildung

Abkürzungsverzeichnis

21

JuS

Juristische Schulung

JZ

Juristen-Zeitung

Komm.

Kommentar

LKV

Landes- und Kommunalverwaltung

n.F.

neue Fassung

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

Nr.

Nummer

NRW

Nordrhein-Westfalen

NVwZ

Neue Zeitschrift fur Verwaltungsrecht

NVwZ-RR

NVwZ-Rechtsprechungs-Report

NW

Nordrhein-Westfalen

NWVB1.

Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter

ÖJZ

Österreichische Juristen-Zeitung

PVS

Politische Vierteljahresschrift

Rdnr.

Randnummer

Rs.

Rechtssache (Europäischer Gerichtshof)

Rspr.

Rechtsprechung

SJZ

Schweizerische Juristen-Zeitung

Slg.

Amtliche Entscheidungssammlung des Europäischen Gerichtshofs

SoAEU

Sonderausschuß „Europäische Union" des Deutschen Bundestages

Spiegelstr.

Spiegelstrich

StaatsR

Staatsrecht

Sten. Prot.

Stenographische Protokolle

ThürVBl.

Thüringer Verwaltungsblätter

UAbs.

Unterabsatz

VerwA

V erwal tungs-Arch i ν

VR

Verwaltungsrundschau

VVDStRL

Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer

WEU

Westeuropäische Union

ZaöRV

Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht

22

Abkürzungsverzeichnis

ZfP

Zeitschrift für Politik

ZfRV

Zeitschrift für Rechtsvergleichung

ZfSoz

Zeitschrift für Soziologie

ZG

Zeitschrift für Gesetzgebung

ZParl

Zeitschrift für Parlamentsfragen

ZRP

Zeitschrift für Rechtspolitik

ZustG

Zustimmungsgesetz

Einleitung Zeitgleich mit seiner Zustimmung zu dem Vertrag von Maastricht am 2. Dezember 1992 1 hat der Deutsche Bundestag eine Reihe von Verfassungsänderungen verabschiedet 2 . Im Kernpunkt stand die Neufassung des Artikels 23 GG, durch den die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten der Europäischen Union auf eine neue, verfassungsrechtliche Grundlage gestellt werden sollte. Die Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundestages fanden ebenfalls ausdrücklich i m Grundgesetz Erwähnung 3 . Die detaillierte und ausdifferenzierte Regelung der Zusammenarbeit der Bundesorgane in Art. 23 Abs. 2 bis 7 G G einschließlich der hierzu ergangenen Ausfiihrungsvorschriften 4 hat in der Literatur zum Teil erhebliche K r i t i k erfahren. Die Spannweite reicht dabei von „unpraktikabel" 5 über „ziemliches Monstrum" 6 , „alle Regeln ordnungsgemäßer

1 Vertrag über die Europäische Union vom 7. Februar 1992, G vom 28.12.1992, BGBl. II 1992, S. 1251; in Kraft getreten am 1.11.1993 gem. Bek. vom 19.10.1993, BGBl. II 1993, S. 1947. Der EGV und der EUV werden auch zukünftig nicht zusammengeführt werden, ungeachtet der neuen Numerierung ihrer Artikel nach Art. 12 des Vertrages von Amsterdam vom 2.10.1997 (BGBl. II 1998, S. 386), der am 1.5.1999 in Kraft getreten ist, BGBl. II 1999, S. 296, sowie ABl. EG Nr. L 134 vom 1.5.1999, S. 56. Die nunmehr geltende Fassung ist im folgenden mit dem Zusatz „n.F." kenntlich gemacht. 2 Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 21.12.1992, BGBl. I, S. 2086. Die weiteren Grundgesetzänderungen, abgesehen von Art. 23 GG, betrafen: Art. 24 Abs. 1 a, Art. 28 Abs. 1 Satz 2, Art. 45, 50, 52 Abs. 3a, Art. 88 und Art. 115e Abs. 2 Satz 2 GG. 3 In dem Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 12/3338, war die Mitwirkung des Bundestages noch nicht vorgesehen. Eine entsprechende Regelung mit Art. 23 Abs. 3 GG ist vielmehr erst im weiteren Gesetzgebungsverfahren aufgrund der Empfehlungen des Sonderausschusses Europäische Union des Deutschen Bundestages (SoAEU), BT-Drs. 12/3896, in das Grundgesetz eingefügt worden. 4 Hierbei handelt es sich um: - G über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 12.3.1993, BGBl. I, S. 311 (im folgenden: EUZBTG); - G über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 12.3.1993, BGBl. I, S. 313 (im folgenden: EUZBLG); Vereinbarung vom 29. Oktober 1993 zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Länder über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union in Ausführung von § 9 des Gesetzes vom 12.3.1993 über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 12. November 1993, BAnz. 1993, Nr. 226, S. 10426. 5 Herdegen, EuGRZ 92, 584 (594); Oppermann/Classen, NJW 93, 5(12).

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Einleitung

Verfassungsgebung verletzend" 7 oder „Krücke" 8 bis hin zu „Europa-Behinderungsartikel" 9. Unabhängig von der sprachlich-textlichen und für das Grundgesetz in der Tat ungewöhnlichen Ausgestaltung des Art. 23 GG 1 0 wirft die Neuregelung aber auch handfeste verfassungsrechtliche Probleme auf. Aufgrund der nunmehr vorgesehenen Möglichkeiten für den Bundesrat, die Bundesregierung an seine Stellungnahme zu binden und den Bund im Rahmen der Entscheidungsprozesse nach außen zu vertreten, hat die Mitwirkung der Länder im Bundesstaat eine neue, bislang nicht gekannte Dimension erreicht. Die neuen Regelungen des Art. 23 GG und der Ausführungsgesetze verändern zudem in mehrfacher Hinsicht das Gewicht und die Stellung der Länder im Verhältnis zum Bund sowie die Rolle der Bundesorgane zueinander. Zum einen wird den Ländern über den Bundesrat eine stärkere Stellung bei der Mitwirkung an der Rechtsetzung der Europäischen Gemeinschaft eingeräumt, als dies bislang der Fall war. In bundesstaatlicher Hinsicht erhalten damit zugleich die Gliedstaaten ein verstärktes Gewicht an der Ausübung der Zentralgewalt des Bundes, zu der nach traditioneller Auffassung die Wahrnehmung der Rechte der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union zählt. Zum anderen wird im Hinblick auf die horizontale Kompetenzverteilung die Rolle des Bundesrates gegenüber dem Bundestag und der Bundesregierung erheblich aufgewertet. Nachdem das Bund-Länder-Verhältnis und auch die Rollenverteilung der Bundesorgane erstmalig seit Beginn der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern in den Angelegenheiten der europäischen Integration eine verfassungsrechtliche Neuregelung erfahren haben, stellt sich die Frage, ob und inwieweit sich die neue Verteilung der Kompetenzen in die traditionellen Staatsstrukturprinzipien des Grundgesetzes einfügt, ob sie insoweit stimmig ist oder Friktionen hervorruft. Insoweit drängen sich Bedenken auf, ob hierdurch die sorgfältig konzipierte, anhand der Staatsstrukturprinzipien des Art. 20 GG austarierte Balance zwischen Bund und Ländern und zwischen den Organen des Bundes noch systemkonform weiterentwickelt worden ist oder ob nicht vielmehr die ursprüngliche, verfassungsrechtliche Funktion der Institution Bundesrat „überdehnt" worden ist. Die Fragen der Vereinbarkeit der neuen Mitwirkungsregeln mit den Staatsstrukturprinzipien, insbesondere mit dem Demokratie- und dem Gewaltenteilungsprinzip, sowie darüber hinaus mit den Vorgaben des EG-

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Ossenbühl, DVBl. 93, 629 (630). Auch Starck spricht von Art. 23 GG als „Monstrum", vgl. ders., in: FS für Remmers, 159 (167). 7 Everting, DVBl. 93, 945. 8 Voscherau, Arbeitspapiere zur Internationalen Politik, Nr. 71 (1992), 30 (33). 9 Oppermann, Arbeitspapiere zur Internationalen Politik, Nr. 71 (1992), 7 (15). 10 So: Badura, EuR 1994, Beiheft 1,9(16); Kühn, S. 19; Oppermann, Arbeitspapiere zur Internationalen Politik, Nr. 71 (1992), 7 (9, 14 f.).

Einleitung Rechts sind in der hektischen Phase der Verabschiedung der Grundgesetzänderung praktisch nicht weiter behandelt worden. Mit der vorliegenden Arbeit soll aber nicht nur versucht werden, die angedeuteten Probleme einer theoretischen Betrachtung zu unterziehen, vielmehr haben auch die bisherigen Erfahrungen der Staatspraxis der Bund-Länder-Zusammenarbeit Eingang in die Überlegungen gefunden. Diese Erfahrungen bildeten in der Vergangenheit stets den Grund und das Motiv für den Ruf nach Veränderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen. Mittlerweile ist die Regelung des Art. 23 GG bereits einige Jahre in Kraft, so daß bereits erste Erfahrungsberichte der Praxis über die Handhabbarkeit der neuen Regelung vorliegen. Ob sich die Hoffhungen der Länder auf eine Stärkung ihrer Stellung im Bundesstaat mit der neuen Regelung des Art. 23 GG und der Ausfuhrungsgesetze erfüllt haben und ob sie sich angesichts des Fortschreitens der europäischen Integration - mittlerweile ist nach dem „Vertrag von Maastricht" ein weiterer Reformprozeß durch den „Vertrag von Amsterdam" eingeläutet worden in Zukunft werden erfüllen können, ist eine Frage, die einer immer dringenderen Klärung bedarf. Um die gestellten Fragen beantworten zu können, war die Bildung von Schwerpunkten unumgänglich. Die vorliegende Untersuchung beschränkt sich weitgehend auf die Zusammenarbeit der Bundesorgane im Rahmen des Art. 23 Abs. 2 bis 7 GG, und hier auf die Mitwirkung der Länder durch den Bundesrat. Der Problemkreis der Mitwirkung des Deutschen Bundestages wurde ausgeklammert, da es sich um einen eigenen Themenkomplex handelt, der eine gesonderte Untersuchung erfordern würde. Die in bezug auf die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern angestellten Überlegungen einschließlich der gefundenen Ergebnisse sind jedoch größtenteils grundsätzlicher Art. Sie lassen sich daher, bei allen Vorbehalten und Unterschieden im Einzelfall, auch auf andere Bereiche, wie den Bereich der Mitwirkung des Bundestages, übertragen und fruchtbar machen. Überhaupt hat sich beim Gang der Untersuchung gezeigt, daß bereits das Auffinden der richtigen Fragestellung und die Einordnung der komplizierten Regelung des Art. 23 GG in den Rahmen der Staatsstrukturprinzipien einen Großteil und einen Schwerpunkt der Arbeit ausmachten. Auch insoweit mußte eine weitere Schwerpunktsetzung erfolgen: Das Sozialstaatsprinzip wie auch das Rechtsstaatsprinzip wurden bei der Betrachtung vernachlässigt. Es hat sich gezeigt, daß sich die Problematik des Art. 23 GG im Kern jedenfalls auf seine Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip, dem Gewaltenteilungsprinzip und dem Bundesstaatsprinzip des Grundgesetzes konzentriert, wohingegen andere Staatsstrukturprinzipien aufgrund von Überschneidungen lediglich „mitbetroffen" sind.

1. Teil

Die Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern bei der europäischen Integration Alle Integrationsschritte Deutschlands waren von Anbeginn der europäischen Integration bis zum heutigen Tage von einer mehr oder weniger intensiven Mitwirkung der Bundesländer begleitet, die mit der jetzigen Regelung des Art. 23 GG in ihrer Intensität ihren vorläufigen Kulminationspunkt erreicht hat. Das Thema der Länderbeteiligung in EG-Angelegenheiten ist „beinahe so alt wie die Bundesrepublik selbst"1. Betrachtet man den Verlauf der innerstaatlichen Beteiligung der Bundesländer an der europäischen Integration, so läßt sich seit der Ratifizierung des Montanunionvertrages 2 neben einer Vertiefung der Integration ein damit einhergehender stetiger Prozeß der Intensivierung der Ländermitwirkung beobachten. In den letzten Jahrzehnten wurden auf diesem Weg die verschiedensten Modelle fur eine Beteiligung der Länder diskutiert wobei es kaum einen namhaften Staatsrechtslehrer gab, der sich nicht zu diesem Thema geäußert hätte3. Der „neue" Art. 23 GG, der aus Anlaß der Ratifizierung des Vertrages über eine Europäische Union in das Grundgesetz eingefügt worden ist4, steht, soweit die Ländermitwirkung betroffen ist, ganz in der Linie dieser Entwicklung und basiert, wie noch zu zeigen sein wird, zu einem großen Teil auf den bisherigen Erfahrungen sowohl des Bundes als auch der Länder. Insgesamt können, grob gesagt, drei grundsätzliche Stufen oder Formen einer Beteiligung der Bundesländer unterschieden werden, die in der Praxis bis zur Gründung der Europäischen Union Anwendung gefunden haben: (1) Das sog. „Zuleitungsverfahren" nach Art. 2 des Ratifikationsgesetzes zu den Gründungsverträgen der EWG und EURATOM, welches bis heute Geltung beansprucht; (2) das sog. „Länderbeteiligungsverfahren" aufgrund des „Kanzlerbriefes" von 1979;

1

Borchmann, VR 1994, 149. Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vom 18.4.1951, BGBl. 1952 II S. 447. 3 Siehe etwa nur die Literaturübersicht bei BK-Tomuschat, vor Art. 23, und bei MDScholz, zu Art. 23 GG. 4 Vgl. Einleitung, Fußn. 1. 2

I. Die Zusammenarbeit nach Art. 2 ZustG EWG/EAG-V

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(3) das „Bundesratsverfahren" nach Art. 2 EEAG und Art. 23 Abs. 2 S. 1 GG. Mit all diesen Beteiligungsformen haben Bund und Länder unterschiedliche Erfahrungen gemacht, die im folgenden kurz dargestellt werden sollen. Darüber hinaus gab und gibt es auch noch andere Bereiche der Mitwirkung, die der Vollständigkeit halber, in der gebotenen Kürze, in einem eigenen Kapitel Erwähnung finden werden 5.

L Die Zusammenarbeit nach Art. 2 des Ratifikationsgesetzes zu den Römischen Verträgen 1. Die Ausgangssituation für die Länder Die Gefahren im Hinblick auf den Kompetenzbereich der Länder, die sich aus der Übertragung von Hoheitsrechten auf eine zwischenstaatliche Einrichtung ergaben, wurden bereits frühzeitig erkannt. Aus Anlaß der ersten Schritte in Richtung einer europäischen Integration wurde von Seiten der Bundesländer die Besorgnis geäußert, die Länder könnten im Zuge dieser Integration zu bloßen Verwaltungseinheiten degenerieren 6 und dabei ihre Staatlichkeit einbüßen7. Es existierten auch bereits konkrete Vorschläge der Länder, Mitwirkungsrechte des Bundesrates gesetzlich zu verankern 8. In seiner Stellungnahme zum Entwurf des Zustimmungsgesetzes zum Montanunionvertrag 9 forderte der Bundesrat u.a., „daß bei der Willensbildung der deutschen Stellen im Rahmen des Schuman-Planes die Mitwirkung des Bundesrates vor der Ratifizierung im Gesetz sichergestellt wird." Außerdem sah ein Vorschlag Nordrhein-Westfalens vor, daß die Weisungen der Bundesregierung an den zu entsendenden Vertreter erst nach Beratung mit einem vom Bundesrat zu bildenden Ausschuß von Ländervertretern erfolgen sollte 10 . Durchsetzen konnten sich die Länder mit ihren Vorstellungen zur damaligen Zeit allerdings noch nicht 11 .

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Vgl. hierzu Kapitel IV, S. 52 ff. Vgl. die Sten. Prot, des Bundesrates aus Anlaß der Ratifizierung des Montanunionvertrages, 61. Sitzung vom 27.7.1951, S. 445. 7 Haas, DÖV 88, 613 (616), m.w.N. 8 BR-Drs. 470/51 (Beschluß), zu 5. Vgl. Jaspert, Aus Politik und Zeitgeschichte Β 12/82, S. 17 (18 f.), m.w.N. 9 Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vom 18.4.1951, BGBl. 1952 II S. 447, (im folgenden „Montanunionvertrag" oder „EGKS-Vertrag" genannt). 6

28

Teil 1 : Die Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern Unterrichtungen der Bundesländer in Angelegenheiten, die die europäische

Integration zum Gegenstand hatten, erfolgten zu diesem frühen Zeitpunkt zunächst nur sporadisch und ohne jegliche institutionalisierte Form 1 2 .

2. Das Zuleitungsverfahren nach A r t . 2 des Zustimmungsgesetzes Eine Änderung dieses aus Sicht der Länder unbefriedigenden Zustandes konnte der Bundesrat erst im Zuge der Beratungen des Zustimmungsgesetzes zu den E W G / E A G - V erreichen 13 . Zwar konnten die Länder sich nicht mit ihrer weitgehenden Forderung durchsetzen, wonach der Bund seinen Vertretern i m Rat Weisungen erst nach Abschluß der Beratungen im Bundesrat erteilen sollt e 1 4 ; allerdings konnten sie mit der gesetzlichen Festschreibung einer Unterrichtungspflicht in dem Zustimmungsgesetz zumindest einen Teilerfolg verbuchen. Art. 2 des Zustimmungsgesetzes zu den E W G / E A G - V hatte folgenden Wortlaut: „Die Bundesregierung hat Bundestag und Bundesrat über die Entwicklungen im Rat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und im Rat der Europäischen Atomgemeinschaft laufend zu unterrichten. Soweit durch Beschluß eines Rats innerdeutsche Gesetze erforderlich werden oder in der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar geltendes Recht geschaffen wird, soll die Unterrichtung vor der Beschlußfassung des Rats erfolgen."

10

BR-Drs. 775/51, Zusatzartikel „Ia." zum EGKS-Vertragsgesetz; vgl. Jaspert, Aus Politik und Zeitgeschichte Β 12/82, S. 17 (18 f.). 11 Der Initiativantrag Nordrhein-Westfalens wurde nicht weiterverfolgt, da die Bundesregierung dieses Anliegen zunächst mit einem eigenen Entwurf eines Zusatzartikels zum Ratifikationsgesetz aufgriff. Der Antrag wurde daher zurückgezogen, als die CDU/CSU die entsprechende Vorlage in den Bundestag einbrachte (BT-Drs. 1/2951). Der Vorstoß scheiterte jedoch im Bundestag knapp an einer „Zufallsmehrheit" mit 188 Nein-Stimmen gegen 184 Ja-Stimmen bei 2 Enthaltungen. 12 Borchmann, AöR 112 (1987), 586 (588). 13 Gesetz zu den Verträgen vom 25. März 1957 zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft vom 27. Juli 1957, BGBl. II 1957, S. 753. 14 So die auf die Initiative Nordrhein-Westfalens zurückgehende Forderung, vgl. BR Drs. 146/57 (Beschluß) und 343/1/57 (Antrag NW auf Anrufung des Vermittlungsausschusses): NRW forderte die vorherige Anhörung auch des Bundestages, soweit innerdeutsche Gesetze durch einen Beschluß des Rates erforderlich werden oder unmittelbar geltendes Recht geschaffen wird. Der Bundesrat lehnte dieses Anliegen jedoch mit großer Mehrheit ab und beschloß einstimmig, dem Zustimmungsgesetz zu den EWG/EAGV zuzustimmen. Vgl. Bundesrat und Europäische Gemeinschaften, S. 151 ff. (Dok. 14).

I. Die Zusammenarbeit nach Art. 2 ZustG EWG/EAG-V

29

Die ihm auf diesem Weg übermittelten Vorlagen behandelte der Bundesrat zuerst in den Fachausschüssen und in dem 1957 gebildeten „Sonderausschuß gemeinsamer Markt und Freihandelszone", der 1965 in den „Ausschuß für Fragen der Europäischen Gemeinschaft" umbenannt wurde 15 . Das nähere Verfahren ist in einer interministeriellen Vereinbarung aus dem Jahre 1963, die 1981 aktualisiert wurde, näher konkretisiert 16; es hat bis heute Gültigkeit 17 . Ergänzt wird der Zufluß von Informationen durch die seit 1967 von der Bundesregierung halbjährlich erstellten Integrationsberichte, die jeweils als Drucksachen des Bundestages veröffentlicht werden 18. Diese finden auch im Bundesrat regelmäßig eine eingehende Erörterung und wurden als „wertvolle Informationsquelle" bezeichnet19. Obwohl die durch Art. 2 EWG/EAG-V statuierte Informationspflicht gegenüber dem Bundesrat inhaltlich nicht über eine bloße Konkretisierung der bereits nach Art. 53 Satz 3 GG bestehenden Informationsverpflichtung der Bundesregierung hinausging20, hat das Zuleitungsverfahren als solches insgesamt eine positive Würdigung erfahren 21. Wichtig dürfte hierfür vor allem die Tatsache gewesen sein, daß sich die Unterrichtungspflicht, die von Anfang an nur als Grundlage für einen Meinungsaustausch konzipiert war, zu einer echten Zusammenarbeit zwischen dem Bund und den Ländern entwickelt hat 22 . Daß die vereinbarte Regelung dennoch nur zu einer vorübergehenden Befriedigung bei den Bemühungen der Bundesländer um eine stärkere Position bei ihrer Mitwirkung geführt hatte23, beruhte letztlich auf folgenden Gründen: Die Stellungnahme des Bundesrates war für die Bundesregierung unverbindlich und entfaltete allenfalls politische Wirkung 24 . Im Falle des Abweichens der Bundesregierung von der Stellungnahme des Bundesrates fand eine Rückkoppelung zwischen den Beteiligten durch Bekanntgabe der Gründe für das Abwei-

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Vgl. hierzu: Ziller, in: Die deutschen Länder und die EG, S. 89 (93 f.). Abgedr. bei: Hrbek/Thaysen, S. 224 ff. und S. 239 ff. 17 § 2 EUZBLG läßt die sich aus Art. 2 EWG/EAG-V ergebende Informationspflichten ausdrücklich unberührt. Zum Verfahren allgemein: Mor awitz/Kaiser, S. 45 ff.; Schmidt-Meinecke, S. 11 ff. 18 Allerdings erscheinen die Berichte in der Regel erst Monate nach Abschluß des Berichtszeitraums und werden im Bundestag wiederum oft erst Monate nach ihrem Erscheinen auf die Tagesordnung gesetzt, vgl. Weber-Panariello, S. 254. 19 Morawitz/Kaiser, S. 47 f. 20 Baumhof, S. 120, m.w.N.; Hrbek, in: Die deutschen Länder und die EG, 17(18); Oschatz/Risse, EA 1988, 9(10). 21 Falke/Joerges, DVBl. 1987, 1051 (1053); Hrbek, in: Die deutschen Länder und die EG, 17 (25); Oberthür, S. 60; Ziller, in: Die deutschen Länder und die EG, 89 (93 f.), m.w.N. 22 Ziller, in: Die deutschen Länder und die EG, 89 (93). 23 Haas, DÖV 88, 613 (616). 24 Gerber, in: Staatsrechtliche Auswirkungen, 77 (123). 16

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Teil 1 : Die Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern

chen nicht statt25. Die Stellungnahmen des Bundesrates kamen oftmals für die Beschlußfassung des Rates zu spät. Ein Verfahren zur Anpassung an eine veränderte Verhandlungssituation und einen veränderten Beratungsverlauf einschließlich der Information des Bundesrates hierüber waren nicht vorgesehen26. Darüber hinaus war das Zuleitungsverfahren im Bereich der ausschließlichen Länderkompetenzen mangels Zuständigkeit des Bundesrates weder anwendbar 27, noch erfolgte eine Differenzierung danach, ob es sich um Bereiche handelte, in denen in besonderem Maße Länderkompetenzen betroffen waren, wie dies im „Lindauer Abkommen" geschehen ist 28 . Das Lindauer Abkommen geht auf einen weit zurückliegenden Streit zwischen Bund und Ländern um die Auslegung der Art. 24 und 32 GG zurück, der sich an der Frage entzündete, wem die sog. „Integrationskompetenz" des Grundgesetzes zusteht29. Die Länder vertraten immer den Standpunkt, daß die Angelegenheiten der Europäischen Gemeinschaft nach Inhalt und Wirkung zum Bereich der Innenpolitik, jedenfalls aber nicht zu den „auswärtigen Beziehungen" zählen30, und bestritten folglich die vom Bund für sich behauptete „Integrationsgewalt". Die Länder waren der Auffassung, daß sich die Zuständigkeiten für die innerstaatliche Willensbildung in Angelegenheiten der Europäischen Gemeinschaft in Ermangelung besonderer Regelungen im Grundgesetz nach den innerstaatlichen Kompetenzregeln der Art. 30, 70 ff. und 84 ff. GG zu richten hätten. Außerdem bestritten sie grundsätzlich eine Kompetenz des Bundes zum Abschluß solcher völkerrechtlichen Verträge, die ausschließliche Gesetzgebungsmaterien der Länder betrafen. Das Lindauer Abkommen von 1957 zwischen Bund und Ländern, mit dem die Streitfragen praktisch beigelegt worden sind, sieht als „modus vivendi für die Staatspraxis - ohne die verfassungsrechtliche Lage verändern zu wollen 31 - ein unterschiedlich gestaffeltes Beteiligungsverfahren der Länder vor, je nachdem, ob der betref-

25 Einert, in: Die deutschen Länder und die EG, 41 (44); vgl. auch Rudolf, in: FS für Schlochauer, 117(125). 26 Einert, S. 45; Rudolf in: FS für Schlochauer, S. 117 (125), mit Beispielen. 27 Vgl. Baumhof S. 120 f.; Schmidt-Meinecke, S. 19. 28 Lindauer Abkommen vom 14. November 1957, abgedr. bei: Hrbek/Thaysen, S. 222 f.; allgemein hierzu: Stern, StaatsR I, S. 696 ff. 29 Vgl. Grewe, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 77 Rdnr. 68 ff., 79 ff.; diese Diskussion ist bereits unter den Verfassungen von 1871 und 1919 geführt worden, vgl. Winkelmann, DVBl. 1993, 1128 (1129), m.w.N. Die 1. Enquête-Kommission Verfassungsreform hatte sich ebenfalls mit dieser Frage befaßt und eine klarstellende Änderung des Art. 32 GG empfohlen, vgl. BT-Drs. 7/5924, S. 231 ff. 30 So Dröll, S. 130 f.; Kokott, DVBl. 1996, 937 (938); Oschatz/Risse, EA 1988, 9 (15); wohl auch Kabel, in: Gedächtnisschrift für Grabitz, S. 241 (246). Dagegen die h.M.: Klein, E., VVDStRL Bd. 50 (1991), 56 (60); Schilling, DVBl. 1997, S. 458; Schröder, JöR Bd. 35 (1986), 83 (92 ff.), jew. m.w.N., sowie die Nachweise bei Baumhof S. 68, dort Fußn. 1 und 2, der die Anwendung des Art. 32 Abs. 1 GG insoweit ebenfalls ablehnt, ders., ebd., S. 86. 31 Ziff. 1 des Lindauer Abkommens, Fußn. 28. Vgl. Morawitz/Kaiser, S. 48.

I. Die Zusammenarbeit nach Art. 2 ZustG EWG/EAG-V

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fende Vertrag nur wesentliche Interessen der Länder oder ausschließliche Gesetzgebungskompetenzen der Länder berührt 32. Danach soll unter anderem, soweit Staatsverträge nach Auffassung der Länder deren ausschließliche Kompetenzen berühren, das Einverständnis der Länder herbeigeführt werden, bevor völkerrechtlich verbindliche Verpflichtungen begründet werden 33. Wenn Verträge wesentliche Interessen der Länder berühren, sind die Länder ungeachtet, ob die Verträge die ausschließliche Kompetenz der Länder betreffen oder nicht, möglichst frühzeitig zu unterrichten, damit sie rechtzeitig ihre Wünsche geltend machen können34. Das Zuleitungsverfahren nach Art. 2 EWG/EAG-V diente darüber hinaus von seinem ursprünglichen Zweck auch nicht dem Ausgleich von etwaigen Kompetenzeinbußen der Länder, sondern vielmehr der Information über die Kompetenzverluste der gesetzgebenden Organe des Bundes35. Die Beteiligung des Bundesrates in der Form des Art. 2 EWG/EAG-V allein konnte demnach auf Dauer für die Länder kein zufriedenstellendes verfassungsrechtliches Surrogat für die fehlende Mitwirkung der Länder bei der europäischen Rechtsetzung bieten36. Im übrigen verzeichneten die Länder auch aufgrund innerstaatlicher Verfassungsentwicklungen einen stetigen Schwund an eigenen Kompetenzen, der sie dazu bewog, auf allen geeignet erscheinenden Ebenen nach Gegen- und Kompensationsmaßnahmen zu suchen. Den Hintergrund hierfür bildete vor allem die bis zu Anfang der 70er Jahre zu verzeichnende Tendenz einer Zentralisierung und Unitarisierung der Gesetzgebungs- und Vollzugskompetenzen beim Bund 37 . Nicht nur hat der Bund seine Gesetzgebungskompetenzen, unter Einschluß der sog. ungeschriebenen Kompetenzen, fast vollständig ausgeschöpft, sondern er hat auch durch Änderungen des Grundgesetzes, und zwar mit Zustimmung des Bundesrates, stetig seine Zuständigkeiten erweitert: In den Jahren von 1951 bis 1983 betrafen von 35 Grundgesetzänderungen über 20 das Bund-Länder-Verhältnis zu Lasten der Länder. Durch Inanspruchnahme seiner Gesetzgebungskompetenzen im Bereich des Finanzwesens hat der Bund häufig Regelungen geschaffen, die de facto dazu führten, daß die Länder für den überwiegenden Teil ihrer Einkünfte zu „Kostgängern" des Bundes wurden 38. Die Interessengegensätze der Länder, vor allem die bestehenden Verteilungskonflikte, haben diese Abhängigkeit vom Bund im Laufe der Zeit noch verschärft. Insbesondere 32

Siehe im einzelnen Ziff. 3 und 4 des Lindauer Abkommens, Fußn. 28. Vgl. Ziff. 3 des Lindauer Abkommens, Fußn. 28. 34 Vgl. Ziff. 4 des Lindauer Abkommens, Fußn. 28. 35 Rudolf in: FS für Dürig, 145 (152). 36 Rudolf in: FS für Schlochauer, S. 117 (126); Schmidt-Meinecke, S. 19. 37 Siehe hierzu: Hesse, Konrad, Der unitarische Bundesstaat, Karlsruhe 1962; Schneider, H.-P., NJW 1991, 2448 (2449 f.). 38 Vgl. Große-Sender, Kommissionsbericht, Teil 1, S. 45 ff.; Milbradt, ZG 1996 25 (26 IT.). Siehe auch den Überblick bei: Ossenbühl, DVBl. 1989, 1230, (1233 ff.). 33

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Teil 1 : Die Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern

nach der Wiedervereinigung ist eine Situation eingetreten, bei der die kleinen und finanzschwachen Länder die stärkeren westdeutschen Länder im Bundesrat leicht majorisieren können39. Darüber hinaus konnte eine Entwicklung beobachtet werden, daß die Länder die ihnen verbliebenen Spielräume sowohl bei der Gesetzgebung als auch beim Verwaltungsvollzug durch Koordination und Kooperation mit dem Bund und untereinander weitgehend vereinheitlicht und damit stetig reduziert haben40.

I I . Das Länderbeteiligungsverfahren von 1979 1. Die Ursachen weiterer Forderungen der Länder an den Bund Die Länder waren aufgrund dieser Entwicklungen zu der Auffassung gelangt, daß das Zuleitungsverfahren an das Bundesorgan41 „Bundesrat" nach Art. 2 ZustG EWG/EAG-V keinen gleichwertigen Ersatz fur eine gesonderte Mitwirkung der Länder bieten könnte. Die Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten, auf die sich die Länder zur Begründung ihrer Forderungen beriefen, obläge dem Bund nicht gegenüber dem Bundesrat, sondern unmittelbar gegenüber den Ländern 42 . Grundsätzliches Ziel der Länder war zunächst, in Anlehnung an das Lindauer Abkommen der Bundesregierung zwar die alleinige Außenvertretung im Rat zu überlassen, dafür aber stärkere Rechte bei der innerstaatlichen Willensbildung zu bekommen43. Die Situation verschärfte sich nicht unerheblich dadurch, daß die angedeutete Entwicklung der Verlagerung der Gesetzgebungs-

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Scharpf Entwicklungslinien, 45 (51 ff.). Der „kooperative Föderalismus" wurde vor allem im Jahre 1969 mit der „Großen Finanzreform" (Einfügung des Abschnittes V I H.a. „Gemeinschaftsaufgaben" in das Grundgesetz sowie der Art. 91a und b GG und des Art. 104a GG) eingeleitet. Es gibt hunderte von Verwaltungsabkommen und Staatsverträgen und eine kaum zu überblickende Zahl von Länder-Länder-Kommissionen und Bund-Länder-Kommissionen, in denen die Vereinheitlichung vorangetrieben wurde und wird; vgl. zu allem: Erbguth, in: Verfassungsrecht im Wandel, 549 (558 ff.); Große-Sender, Kommissionsbericht, Teil 1, S. 65 ff. Erst in den letzten Jahren scheint aufgrund der Existenz der politischen Parteien und unterschiedlicher politischer Konstellationen auf der Bundes- und Länderebene eine gegenläufige Entwicklung hinzugekommen zu sein, die man mit den Begriffen kompetitiver oder „Konkurrenz-Föderalismus" bezeichnen könnte, vgl. Callies, DÖV 1997, 889 (891 ff.); Schneider, H.-P., NJW 1991, 2448 (2450); zurückhaltender demgegenüber: Schenke, JuS 1989, 698 (700). 41 Posser, in: Benda/Maihofer/Vogel, HdbVerfR, §24 Rdnr. 13 ff., sowie Stern, StaatsR I, S. 731 ff., u. StaatsR II, S. 124 ff. 42 Vgl. Morawitz/Kaiser, S. 56 f. 43 Rudolf in: FS für Schlochauer, S. 117 (129). 40

II. Das Länderbeteiligungsverfahren von 1979

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kompetenzen von den Ländern zum Bund ungebremst fortdauerte 44. Es sollte allerdings bis 1975 dauern, bevor die Länder einen erneuten Vorstoß in Richtung auf eine Verbesserung ihrer Position bei der Mitwirkung an Vorhaben der EWG unternahmen. Dabei ging es ihnen nicht darum, die europäische Integration zu verlangsamen, sondern vielmehr darum, einen Weg zu finden, die mit der fortschreitenden Integration beklagten Kompetenzeinbußen durch innerstaatliche Mitwirkungsmöglichkeiten zu kompensieren 45. Bei den Diskussionen um eine Ländermitwirkung trat zudem immer schärfer der bereits erwähnte Dissens zwischen dem Bund und den Ländern hervor, der allen Streitigkeiten um die Auslegung des Art. 24 GG von Anbeginn an zugrunde lag und der die beiderseitigen Standpunkte noch heute prägt, ohne daß eine eindeutige Klärung erreicht worden wäre: Die Länder waren und sind der Ansicht, daß, soweit Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft innerstaatlich in den Bereich der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder fallen, die Länder auch einen entscheidenden Einfluß auf die vom Bund in den Gremien der Europäischen Gemeinschaft vertretenen Standpunkte haben müßten46. Ein Länderentwurf für eine Bund-Länder-Vereinbarung aus dem Jahr 1976 sah dementsprechend die Verpflichtung des Bundes vor, den Standpunkt der Länder im Rat zu vertreten, soweit es sich um Maßnahmen handelt, die innerstaatlich nach Auffassung der Länder zu deren ausschließlicher Kompetenz gehörten 47. Der Bund dürfe vom Standpunkt der Länder nur unter der Voraussetzung abweichen, daß „übergeordnete integrationspolitische Gründe dies zwingend er-

44 Vgl. aus der Fülle der hierzu bestehenden Literatur: Große-Sender, Kommissionsbericht, Teil I, S. 45 ff.; Kimminich, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, § 26 Rdnr 51, 56 ff.; Stern,, StaatsR I, S. 747 ff. 45 In Art. 2 ZustG EWG/EAG-V war das Motiv der Kompensation noch nicht enthalten, worauf Borchmann, AöR 112 (1987), 586 (622), und Schröder, JöR Bd. 35 (1986), 83, (86 ff.), zutreffend hinweisen. Zum Gedanken der Kompensation, vgl. auch: Blanke, Föderalismus und Integrationsgewalt, S. 253 ff., 403 ff.; Remmers, S. 177 ff. Zu den Kompetenzeinbußen auf Seiten der Länder, vgl. Baumhof, 5 ff.; Remmers, S. 52 ff., 83 ff.; Schede, 11 ff. Zur EEA: Busch, 36 ff.; Schröder, JöR Bd. 35 (1986), 83, (86 ff.). 46 Rudolf, in: FS für Schlochauer, S. 117 (129 f.). 47 Vgl. Morawitz/Kaiser, S. 54 f. Der Begriff der „ausschließlichen Gesetzgebungsbefugnis" der Länder findet sich in den Kompetenztiteln des GG der Art. 70 ff. nicht. Gleichwohl ist dieser Begriff in der Folgezeit immer wieder verwendet worden und hat schließlich auch Eingang in Art. 23 Abs. 6 GG gefunden. Dies bedeutet nicht, daß die allgemeine Kompetenzsystematik des Grundgesetzes verändert werden sollte. Vielmehr ist die Ursache darin zu sehen, daß eine Beschreibung der Länderkompetenzen, an die die Beteiligungsregeln anknüpfen sollten, ansonsten nur in negativer Hinsicht zu den Kompetenzen des Bundes möglich gewesen wäre, vgl. Klein, E./Haratsch, DÖV 1993, 785 (794); Scholz, NJW 1992, 2593 (2598, Fußn. 15). 3 Halfmann

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Teil 1 : Die Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern

forderten" 48. Wenn durch eine Maßnahme der Europäischen Gemeinschaft sonstige wesentliche Interessen der Länder berührt würden, hätte der Bund den Standpunkt der Länder soweit wie möglich zu berücksichtigen 49. Der Bund, oder genauer: die Bundesregierung, nimmt dagegen seit je her für sich eine besondere „Integrationskompetenz" in Anspruch, abgeleitet aus der Präambel zum Grundgesetz, aus Art. 24 Abs. 1 GG und Art. 32 Abs. 1 GG, und zwar mit dem Inhalt, Entscheidungen in allen Angelegenheiten der Europäischen Gemeinschaft in alleiniger Verantwortung zu treffen 50.

2. Das Ergebnis der gemeinsamen Beratungen: Der Briefwechsel von 1979 Im Laufe von Beratungen zwischen Bund und Ländern, die in den Jahren 1977 bis 1979 stattfanden, konnten sich beide Seiten schließlich auf eine pragmatische Lösung einigen. Der Bund kam den Forderungen der Länder inhaltlich weitgehend entgegen, die Länder verzichteten auf eine förmliche Bund-LänderVereinbarung nach dem Vorbild des Lindauer Abkommens: Unter besonderer Betonung des „wechselseitigen Treueverhältnisses" verpflichtete sich der Bund in einem Briefwechsel 51, die Länder rechtzeitig und umfassend über EG-Vorhaben zu unterrichten, soweit diese in die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder fallen oder deren wesentliche Interessen berühren 52. Im Bereich der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder sagte der Bund zu, sich zu „bemühen", mit den Ländern zu einem einvernehmlichen Standpunkt zu gelangen und diesen im Laufe der Verhandlungen soweit wie möglich einzubringen und durchzusetzen. Der Bund würde vom Standpunkt der Länder nur aus zwingenden außen- und integrationspolitischen Gründen 53 abweichen. Wollte der Bund vom Standpunkt der Länder abweichen, so würde er den Ländern die hierfür maßgebenden Gründe mitteilen. Bei sonstigen Vorhaben, die

48

Hervorheb. d. Verf.: Diese Formulierung bildete im weiteren Verlauf die Grundlage für Art. 2 Abs. 3 EEAG und den jetzigen Art. 23 Abs. 5 S. 2, 2. Hs. und Abs. 6 S. 2, 2. Hs. GG. Ebenso für Art. 23 d Abs. 2 S. 2, Art. 23 e Abs. 2 S. 2 und Abs. 6 S. 2 des österr. B-VG. 49 Vgl. Morawitz/Kaiser, S 54 f. 50 Borchmann,, AöR 112 (1987), 586 (594), m.w.N. Dagegen: Rudolf in: FS für Schlochauer, S. 117 (128 f.); Schröder, JöR Bd. 35 (1986), 83, (98), m.w.N. 51 Nach Rudolf in: FS für Schlochauer, S. 117 (132 f.), ist das Lindauer Abkommen juristisch nicht stärker verbindlich als die Erklärung des Bundeskanzlers von 1979; jedenfalls verbiete der Grundsatz der Bundestreue einen einseitigen Widerruf. 52 Zum genauen Wortlaut der Erklärung und den Feinheiten in der Formulierung, vgl. Morawitz/Kaiser, S. 54 f. 53 Siehe die Anmerkung in Fußn. 48.

II. Das Länderbeteil igungsverfahren von 1979

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wesentliche Interessen* 4 der Länder berühren, verpflichtete sich der Bund, die Länder anzuhören und von sich aus die sich aus dem föderativen Aufbau der Bundesrepublik ergebenden Verpflichtungen zu beachten. Außerdem enthielt die Übereinkunft eine Regelung über die Hinzuziehung von Ländervertretern zu den Beratungsgremien der Kommission und des Rates. Das nähere Verfahren sollte in der Gemeinsamen Geschäftsordnung (GGO) der Bundesministerien im Benehmen mit den Ländern geregelt werden 55. Sowohl vom Inhalt als auch von der Form handelte es sich bei der Einigung um einen beiderseitigen Kompromiß 56 . Das Zugeständnis des Bundeskanzlers entsprach einer einseitigen, nicht justitiablen Erklärung des Bundes57, die jedoch von den Ländern unbeschadet der bestehenden gegenteiligen Rechtsauffassungen akzeptiert wurde 58 . Das Länderbeteiligungsverfahren wurde nach Abschluß der Beratungen und Ausarbeitung der näheren Verfahrensregelungen im Jahre 1980 probeweise eingeführt. Der Ablauf des Verfahrens sollte im wesentlichen drei Phasen umfas59

sen . - In einer ersten Informationsphase sollte die Bundesregierung alle ihr übermittelten Ratsdokumente sowie die Vorentwürfe und Dokumente der Kommission, es sei denn, letztere betreffen ganz offensichtlich keine ausschließlichen Gesetzgebungszuständigkeiten oder wesentlichen Interessen der Länder, einem „Länderbeobachter" zuleiten60. Dessen Aufgabe war es, eine Vorauswahl der erhaltenen Dokumente zu treffen und diese an von den ein-

54 Hervorheb. des Verf.: Unter „wesentliche Interessen" verstanden die Länder alle Maßnahmen, die zu einer finanziellen, verwaltungsmäßigen oder sonstigen Belastung der Länder führen. Nach dem o.g. Kanzlerbrief gilt die Anhörungspflicht „insbesondere auch, wenn finanzielle Interessen der Länder berührt werden". Die Klausel ist damit alles andere als klar eingrenzbar. Vgl. hierzu: Morawitz/Kaiser.; S. 54 u. 61 f.; SchmidtMeinecke, S. 21, m.w.N. 55 Die Regelung erfolgte mit § 85a GGO II vom 15.10.1980, GMB1. S. 471, und mit einem Grundsatzbeschluß der Ministerpräsidenten vom 5.7.1979, abgedr. bei: Morawitz, in: Bundesländer und EG, 45 (107 ff.). 56 Zu den weitergehenden Forderungen der Länder, vgl. Morawitz/Kaiser, S. 54 ff. 57 So Borchmann, AöR 112 (1987), 586 (594); Schröder, JöR Bd. 35 (1986), 83, (98). Um einen echten Vertrag dürfte es sich hingegen nicht gehandelt haben, da der Bund bewußt den Weg des „Kanzlerbriefs" gewählt hat, um nur eine einseitige Selbstbindung einzugehen; vgl. zu den Hintergründen: Morawitz/Kaiser,; S. 58 ff. 58 Die jeweiligen Erklärungen sind abgedruckt bei: Morawitz/Kaiser, Anh. V und VI, sowie bei Hrbek/Thaysen, S. 237 f. 59 Vgl. das von den Chefs der Staats- und Senatskanzleien gebilligte Schema zum Länderbeteil igungsverfahren, abgedr. in: Bundesrat und Europäische Gemeinschaften, Dok. 29; siehe auch bei: Rudolf, in: FS für Schlochauer, S. 117 (133); Schmidt-Meinecke, S. 23. 60 Vgl. hierzu noch weiter unten, Kapitel III.2. c), S. 46 ff.

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Teil 1 : Die Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern zelnen Bundesländern benannte Anlaufstellen weiterzuleiten, die für die landesinterne Koordination zuständig waren 61.

-

In einer sich daran anschließenden Meinungsbildungsphase sollte das federführende Ressort in jedem Land die Meinungsbildung seines Landes durchführen. Hält ein Land eine gemeinsame Stellungnahme der Länder für zweckmäßig, so sollte die weitere Koordinierung und Abstimmung der einzelnen Ländervoten durch eine von den Ländern jeweils nach Sachgebieten eingerichtete „Gemeinsame Stelle" erfolgen 62. Diese sollte dann die gemeinsame Stellungnahme der Länder an das zuständige Bundesministerium übermitteln.

-

Erst danach sollte sich die eigentliche Verhandlungs- oder Abstimmungsphase mit dem Bund anschließen. Die Wahrnehmung hierfür oblag den Ländervertretern in unmittelbarem Kontakt mit den beteiligten Ressorts der Bundesregierung.

3. Die Umsetzung in die Praxis In der Praxis hat das in zähen Verhandlungen errungene Länderbeteiligungsverfahren keine bedeutende Rolle spielen können, es war vielmehr bereits nach kurzer Zeit zum Scheitern verurteilt. Der Blick auf die zahlenmäßige Umsetzung offenbart in ernüchternder Weise sein Schicksal: Von 1980 bis 1986 wurden dem Länderbeobachter über 1000 EG-Vorlagen übermittelt, wovon rund 300 an eine der „Gemeinsamen Stellen" weitergeleitet wurden. Letztere haben nur in 37 Fällen eine gemeinsame Stellungnahme der Länder erarbeitet 63. Nur in einem einzigen Fall ist es daraufhin zu einem Abstimmungsprozeß zwischen Bund und Ländern gekommen64, und das auch erst auf Drängen des Bundes 65. Zwar muß bei der Bewertung der Zahlenangaben Berücksichtigung finden, daß die behandelten Vorlagen in diesem Zeitraum offensichtlich kaum Themen be-

61 Diese Funktion übernahmen in den meisten Fällen die jeweiligen Landesvertretungen in Bonn, vgl. Hannaleck/Schumann, ZParl 83, 362 (363). 62 Als Gemeinsame Stelle bestimmten die Landesminister in jeder Fachministerkonferenz einen Fachminister. Diese Funktion übernahm i.d.R. der Vorsitzende einer Landesfachministerkonferenz. Insgesamt wurden 16 solcher Gemeinsamen Stellen gebildet, vgl. Einert, in: Die deutschen Länder und die EG, 41 (45). 63 Einert, in: Die deutschen Länder und die EG, 41 (45). 64 Gerber, in: Staatsrechtliche Auswirkungen, 77 (125), m.w.N. 65 Morawitz, in: Bundesländer und EG, 45 (47); Stöger, in: Bundesländer und EG, 101 (109).

II. Das Länderbeteil igungsverfahren von 1979

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trafen, die fiir die Länder von zentralem Interesse waren 66. Dennoch hinterließ der Verlauf des neuen Verfahrens bei den Ländern den Eindruck einer schweren Enttäuschung. In der später aus Anlaß der Ratifizierung der EEA geäußerten Forderung der Länder, in Zukunft nur noch den Bundesrat einzubinden, ist das konkludente Eingeständnis des Scheiterns des Länderbeteiligungsverfahrens zu sehen67. Die Hauptgründe für das Scheitern lagen vor allem auf seiten der Länder, und zwar in den Schwierigkeiten der Meinungsbildungsphase68. Zu einem Abstimmungsprozeß zwischen Bund und Ländern in Brüssel ist es, wie erwähnt, bis auf eine Ausnahme gar nicht erst gekommen69: -

Den Gemeinsamen Stellen fehlte im Gegensatz zum Bundesrat ein eigenständiger, organisatorischer Unterbau.

-

Bei den Abstimmungen unter den Ländern galt das Einstimmigkeitsprinzip, das bei divergierenden Interessen eine Konsensfindung oft verhinderte.

-

Innerhalb der Länder und der einzelnen Politikbereiche bestand eine unterschiedliche Ausgangssituation im Hinblick auf die Organisation der BundLänder-Zusammenarbeit und der Zusammenarbeit untereinander.

-

Eine Koordinierung bei den Fachministerkonferenzen fand nicht statt.

-

Das Verhältnis zu dem parallel praktizierten Zuleitungsverfahren nach Art. 2 ZustG EWG/EAG-V und den anderweitig bestehenden Formen der Zusammenarbeit war völlig ungeklärt.

Zu den organisatorischen und systembedingten Mängeln dieses Verfahrens gesellte sich als weiteres Manko hinzu, daß das vereinbarte Verfahren nur auf einem im Kompromißweg akzeptierten, einseitigen Zugeständnis des Bundes beruhte und somit keine gesicherte Rechtsposition für die Länder bot, auf deren Grundlage sie die von ihnen behaupteten verfassungsrechtlichen Mitwirkungs-

66 Darauf weisen - allerdings mit Aussagekraft nur für den Zeitraum bis zum Erscheinungszeitpunkt ihres Aufsatzes im Jahre 1983 - Hannaleck/Schumann, ZParl 83, 362 (367), zu Recht hin. Außerdem waren in der Zahl 1000 auch die Vorentwürfe und Dokumente der Kommissionsdienststellen eingerechnet, so: Strohmeier, DÖV 1988, 633 (635). 67 Hrbek,, in: Die deutschen Länder und die EG, 17 (31). 68 Vgl. hierzu und zu den weiteren Ursachen: Einert, in: Die deutschen Länder und die EG, 41 (45 f.); Gerber, in: Staatsrechtliche Auswirkungen, 77 (126 ff.); Hannaleck/Schumann, ZParl 83, 362 (364 ff.). 69 Angesichts des geschilderten Verfahrens hätte das Länderbeteil igungsverfahren kaum mit dem Tempo des „Verhandlungsregime" in Brüssel mithalten können; darauf weisen auch Hannaleck/Schumann, ZParl 83, 362 (365), hin.

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Teil 1 : Die Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern

ansprüche geltend machen konnten70. Der Grundantagonismus zwischen dem Bedürfnis einer größtmöglichen Flexibilität und politischer Handlungsfreiheit für die Bundesregierung einerseits und dem Bedürfnis der Länder nach einer dauerhaften, durch geschriebene Regeln nachprüfbaren, geordneten und möglichst intensiven Beteiligung andererseits ließ zunächst nur eine Kompromißlösung zu, die allenfalls zu einer vorübergehenden Befriedigung der Länder führen konnte71. Davon abgesehen wurde deutlich, daß das Länderbeteiligungsverfahren bereits vom Ansatz her keinen angemessenen Ausgleich für verlorengegangene Gesetzgebungskompetenzen der Länder bieten konnte, dessenthalben es ursprünglich maßgeblich eingeführt worden ist. Die Position der gesetzgebenden Körperschaften der Länder, der Landtage, hat hierdurch keinerlei nennenswerte Stärkung erfahren können72. Die Möglichkeiten der parlamentarischen Einflußnahme auf die Landesregierungen konnten nach der Art und Ausgestaltung des Verfahrens praktisch kaum wahrgenommen werden 73. Die Landesparlamente befanden sich beim Länderbeteiligungsverfahren insoweit funktional in einer ähnlichen Situation wie die Parlamente der Mitgliedstaaten der EWG im Hinblick auf die Kontrolle ihrer Regierungen im Ministerrat: auch dort erschwerten der Zeitdruck und der Zwang zur Einstimmigkeits- oder Mehrheitsentscheidung die Kontrolltätigkeit, und auch dort ist die parlamentarische Rückkoppelung und Kontrolle des Organs „Ministerrat" unter den Mitgliedstaaten „aufgespalten" in der Weise, daß jeder Mitgliedstaat nur Einfluß auf seine eigene Regierung nehmen kann, dem Ministerrat als Ganzen aber kein einheitliches parlamentarisches Kontrollorgan gegenübersteht74.

III. Das Beteiligungsverfahren nach Art. 2 EEAG 1. Die Ausgangssituation für Bund und Länder Im Zuge der Diskussionen über ein weiteres Fortschreiten der europäischen Integration aus Anlaß der geplanten „Einheitlichen Europäische Akte (EEA)" wurde deutlich, daß eine weitere Vertiefung der Integration der Mitgliedstaaten

70 Vgl. Einert, in: Die deutschen Länder und die EG, 41 (46); Schröder, JöR Bd. 35 (1986), 83,(101). 71 Schmidt-Meinecke, S. 29. 72 Zutreffend: Schröder, JöR Bd. 35 (1986), 83, (101); kritisch auch Schütz, BayVBl. 1990, 481 (484). 73 Zur Situation der Landtage vgl. unten, Kap. IV.3., S. 56 ff. Zur parlamentarischen Kontrolle allgemein: Klein, H.H., in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, §40 Rdnr. 30 ff.; Schröder zu § 51 Rdnr. 49 ff. 74 Zu den sich daraus ergebenden Schwierigkeiten der parlamentarischen Kontrolle siehe noch unten, Teil 3, Kap. III.2. c), S. 211 ff. Vgl. auch Bleckmann, Europarecht (5. Aufl.), Rdnr. 42.

III. Das Beteiligungsverfahren nach Art. 2 EEAG

39

in der EWG zwangsläufig auch weitere Kompetenzeinbußen und Hoheitsverluste der Länder mit sich bringen mußte75. Je mehr Kompetenzen von den jeweiligen Mitgliedstaaten auf die EWG und deren Organe verlagert werden sollten, desto mehr befürchteten die Länder, daß sich dies innerstaatlich zu ihren Lasten auswirken würde. Der erste Absatz der Präambel und Art. 1 Abs. 1 des Entwurfes der EEA beschrieben bereits die Gründung und Bildung einer Europäischen Union als Ziel der weiteren Integration 76. Hoheitsrechte der Länder waren aus deren Sicht vor allem betroffen durch: -

den neu eingefügten Titel V I „Forschung und technologische Entwicklung" im Hinblick auf das Subsidiaritätsprinzip und die Kulturhoheit 77 ;

-

die Verankerung eines Titels V I I mit ausdrücklichen Umweltkompetenzen der Gemeinschaft 78;

-

die durch Art. 10 EEA auf die Kommission übertragene Kompetenz zum Erlaß von Durchführungsvorschriften (Art. 145 3. Spiegelstrich EGV);

-

die durch Titel V EEA institutionalisierten Regionalpolitiken der Gemeinschaft 79.

Außerdem äußerten die Länder die Befürchtung, daß durch die im Rahmen der Verwirklichung des Binnenmarktes angestrebte Angleichung der Rechtsvorschriften auf den Gebieten der Gesundheit, der Sicherheit und des Umwelt- und Verbraucherschutzes der hohe Schutzstandard in Deutschland auf ein niedrigeres europäisches Maß gesenkt werden könnte 80 . Schon seit einiger Zeit beobachteten die Länder außerdem mit Sorge die Tendenz der Kommission und des Rates, die - mit Rückendeckung des Europäischen Gerichtshofs - die Rechtsetzungskompetenzen des EWG-Vertrages großzügig („dynamisch") zugunsten der Europäischen Gemeinschaft auslegten, um die Ziele des Vertrages bestmöglich zu erreichen (integrationsfreundliche, teleologisch-funktionale Ausle-

75 Hierzu Schröder, JöR Bd. 35 (1986), 83, (86 ff.); Streinz, in: Gegenwartsfragen, 15 (33 ff.); v. Welck,, S. 60 ff.; vgl. auch die Stellungnahme des Bundesrates vom 16.5.1986, BR-Drs. 150/86. 76 Vgl. das Gesetz zur einheitlichen Europäischen Akte vom 28.2.1986, BGBl. II 1986, S. 1102, mit dem Vertragstext. 77 Vgl. jetzt Titel X V EGV und die Art. 130 ff. EGV. 78 Vgl. jetzt Titel X V I EGV, sowie Art. 130r ff. EGV. 79 Vgl. jetzt Titel X I V EGV. 80 Vgl. Beschl. des Bundesrates vom 16.5.86, BR-Drs. 150/86, Nr. 9.

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Teil 1 : Die Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern

gung nach dem „effet utile" und der „ i m p l i e d powers-Lehre") 8 1 ; häufig wurde zu diesem Zweck auch auf Art. 235 E W G - V zurückgegriffen 82 . Der Rechtsausschuß des Bundesrates hat zwischen 1976 und 1986 in mehr als 50 Fällen solche Kompetenzüberschreitungen gerügt 8 3 . Ein weiterer, nicht unerheblicher Beweggrund auf Seiten der Länder war offenbar der Unmut darüber, daß die Bundesregierung es „seit geraumer Zeit" unterlassen habe, die Interessen der Länder als gleichberechtigte Interessen neben den außenpolitischen Zielsetzungen der Bundesregierung in die Verhandlungen auf EG-Ebene einzubringen 8 4 . Insbesondere von seiten Bayerns wurde scharf kritisiert, daß die Länder bei den Vertragsverhandlungen nicht angemessen beteiligt wurden, sondern vor vollendete Tatsachen gestellt worden wären 8 5 . Dies habe das „Faß zum Überlaufen" gebracht 8 6 . Diese Umstände mögen die angesichts der moderaten Regelungen der E E A vergleichsweise harschen Reaktionen der Länder erklären, mit der sie den

81 Zum Prinzip des „effet utile" vgl.: Bleckmann, Europarecht, Rdnr. 559, 1318 ff.; Nicolaysen, Europarecht I, S. 48 ff.; Oppermann, Europarecht, Rdnr. 432 ff.; Schweitzer/Hummer, Rdnr. 337. Zur „implied powers-Lehre" vgl.: Bleckmann, Europarecht, Rdnr. 797 ff.; Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, § 20 Rdnr. 43 ff.; Kraußer, Das Prinzip begrenzter Ermächtigung im Gemeinschaftsrecht als Strukturprinzip des EWGVertrages, Berlin 1991, S. 59. Zur finalen Auslegungsmethode des EG-Rechts auch: Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR Bd. VII, § 183 Rdnr. 49; Klein, E., VVDStRL Bd. 50 (1991), 56 (62 f.); Rengeling, VVDStRL Bd. 53 (1994), 202 (222 f.); Schmidt-Aßmann, DVBl. 1993, 924 (931); Steinherger, VVDStRL Bd. 50 (1991), 9 (19 f.). 82 Böhm, BayVBl 1993, 545, spricht von „Eroberungszügen". Der damalige deutsche EG-Kommissar Schmidthuber soll den Begriff der „Kompetenzanmaßung" geprägt haben, vgl. Ossenbühl, in: Der Staatenverbund der EU, 107 (108). Auch das BVerfG hat sich im Maastricht-Urteil genötigt gesehen, die Grenzen des vom EuGH häufig herangezogenen Auslegungsprinzips des „effet utile" aufzuzeigen, BVerfGE 89, 155 (210). Zu den Urteilen des französischen Staatsrats: Walter, C , EuGRZ 1993, 183 ff. Vgl. auch Schweitzer, ZG 1992, 128 (129), m.w.N. 83 Borchmann, ThürVBl. 1994, S. 8 (9). Ob es sich hierbei wirklich in jedem Fall um Kompetenzüberschreitungen gehandelt hat, kann an dieser Stelle nicht vertieft werden, da die Kompetenzvorschriften des EGV im Gegensatz zu denen des nationalen Rechts eine finale Struktur aufweisen, vgl. hierzu: Rengeling, VVDStRL Bd. 53 (1993), 202, (222 ff.). Entscheidend war vielmehr, daß es sich aus Sicht des Bundesrates und der Länder so verhalten hat. 84 Borchmann, AöR 112 (1987), 586 (605 f.). So auch v. Welck, der den Anlaß der Länderforderungen in dem Umstand begründet sieht, daß die Länderkompetenzen bereits in langandauernder Weise vor Unterzeichnung der EEA ausgehöhlt worden seien, vgl. ders., S. 80. 85 Angesichts der nur maßvollen Erweiterung der EWG im Hinblick auf die betroffenen Länderkompetenzen spricht auch Hrbek von einer „sehr harschen" Reaktion der Länder, vgl. ders., in: Die deutschen Länder und die EG, 17 (21). 86 Vgl. die Nachweise bei: Borchmann, AöR 112 (1987), 586 (605 f.). Den seinerzeitigen Beratungsverlauf zusammenfassend: Ensser, S. 50 ff.

III. Das Beteiligungsverfahren nach Art. 2 EEAG

41

Bund politisch konfrontierten 8 7 . Ihre Forderungen verbanden die Länder in geschickter Weise als Junktim mit ihrer Zustimmung zum EEA-Vertragsgesetz im Bundesrat 8 8 . Die Bundesregierung hatte die Zustimmungsbedürftigkeit

des

E E A G i m Hinblick auf Art. 105 Abs. 3 G G bejaht, da durch Art. 17 E E A der Art. 99 E W G - V (Harmonisierung der indirekten Steuern) geändert werde und somit auch Steuerarten betroffen seien, deren Aufkommen den Ländern zustehe. Sie betonte aber, daß es sich hier um einen Grenzfall handele und ihre Auslegung nur „vertretbar" sei 8 9 . Die Länder forderten, daß in das Zustimmungsgesetz ein neuer § l a mit folgendem Inhalt eingefugt w i r d 9 0 : -

Die Bundesregierung hat eine umfassende Unterrichtungspflicht gegenüber dem Bundesrat für alle Vorhaben der Europäischen Gemeinschaft, die für die Länder von Interesse sein könnten (Abs. 1).

-

V o r der Zustimmung zu Beschlüssen der Europäischen Gemeinschaft zu Vorhaben, die ganz oder in einzelnen Bestimmungen in die ausschließliche Kompetenz der Länder fallen oder deren wesentliche Interessen berühren, ist die Bundesregierung verpflichtet, die Stellungnahme des Bundesrates einzuholen (Abs. 2).

87 Hrbek, in: Die deutschen Länder und die EG, 17 (21). Auch Morawitz/Kaiser sehen es als nicht überzeugend an, gerade die EEA zum Anlaß zu nehmen, eine Verstärkung der Länderbeteiligung zu fordern, dies., S. 63 f. Vgl. auch: Baumhof, S. 27; Hrbek, in: Die deutschen Länder und die EG, 17 (21); zu diesem Ergebnis kommt auch v. Welck, der allerdings von einer rechtlich nicht faßbaren Sogwirkung der EEA ausgeht, vgl. ders., S. 80. Die Bundesregierung war jedenfalls von den Forderungen der Länder überrascht, vgl. Morawitz, in: Bundesländer und EG, 45 (49). 88 Die Zustimmung zu dem Vertrag mit einem Junktim zu verbinden, war auf Länderseite nicht unumstritten und wurde vom Bundesrat nur mit knapper Mehrheit beschlossen, vgl. Borchmann, AöR 112 (1987), 586 (610). 89 Vgl. die Begr. des Gesetzentwurfes der BReg. BT-Drs. 10/6392, S. 3. Nach Morawitz/Kaiser war diese Entscheidung rechtlich kaum haltbar und erfolgte vor allem aus politischen Gründen, da die Bundesregierung für ihre weitere Integrationspolitik auf einen Konsens mit den Ländern angewiesen war; vgl. dies., S. 66; v. Welck, S. 138 ff. Die Frage der Zustimmungsbedürftigkeit des Vertragsgesetzes war nicht unproblematisch und hing von der Auslegung des Art. 24 Abs. 1 GG in der bis zum 31.12. 1994 geltenden Fassung ab, der für die Übertragung von Hoheitsrechten auf die EG bis zu diesem Zeitpunkt einschlägig war. Nach h.M. galt Art. 24 GG (Übertragung durch einfaches, nicht-zustimmungsbedürftiges Gesetz) auch, wenn die Übertragung von Hoheitsrechten durch einen völkerrechtlichen Vertrag erfolgt, und zwar selbst dann, wenn der Bund Hoheitsrechte der Länder überträgt, vgl. GGK-Rojahn, Art. 24 Rdnr. 32; MD-Randelzhofer, Art. 24 Rdnr. 12 ff.; Schweitzer, Staatsrecht III, Rdnr. 46a; Simson/Schwarze, in: Benda/Maihofer/Vogel, HdbVerfR, § 4 Rdnr. 78 ff.; Stern, StaatsR I, §15 II 7, S. 533 ff., m.w.N.; Weber, Α., DVBl. 1986, 800 (803 ff.). 90

Vgl. BR-Drs. 150/86 (Beschluß); die einzelnen Forderungen des Bundesrates wurden in den Ausschüssen z.T. unterschiedlich bewertet, vgl. Borchmann, AöR 112 (1987), 586 (607 ff.).

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Teil 1 : Die Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern

-

Die Bundesregierung hat diese Stellungnahme bei den Verhandlungen zu berücksichtigen und darf hiervon bei Vorhaben, die ganz oder teilweise in die Gesetzgebungskompetenz der Länder fallen, nur aus zwingenden außenund integrationspolitischen Gründen abweichen. In den übrigen Fällen sind die Länderbelange in die Abwägung einzubeziehen (Abs. 3).

-

Im Fall einer Abweichung von der Stellungnahme des Bundesrates hat die Bundesregierung dem Bundesrat die hierfür maßgeblichen Gründe mitzuteilen (Abs. 4).

-

Außerdem sollten in den Fällen, in denen die Stellungnahme des Bundesrates einzuholen ist, auf Verlangen Vertreter der Länder zu den Beratungsgremien der Kommission und des Rates hinzugezogen werden (Abs. 5).

-

Die näheren Einzelheiten sollten in einem Bund-Länder-Abkommen geregelt werden (Abs. 6).

Die wohl bemerkenswerteste Neuerung an diesen Vorschlägen war, daß nunmehr die Beteiligungsrechte der Länder durch den Bundesrat wahrgenommen werden sollten. In den Beratungen der Bundesratsausschüsse sind durchaus noch weitere mögliche Modelle diskutiert worden 91 ; letztlich erwiesen sich aber die Praktikabilitätserwägungen, die für das Bundesratsmodell sprachen, als durchschlagend 92. Der Bundesrat verlangte in der genannten Entschließung darüber hinaus auch, daß die Beteiligungsrechte später in der Verfassung selbst festgelegt würden und daß die Übertragung von Hoheitsrechten der Länder im Rahmen von Art. 24 GG der Zustimmungspflicht des Bundesrates unterliegen müsse. Die richtungsweisenden Veränderungen, die später in dem Erlaß des Art. 23 GG münden sollten, waren spätestens zu diesem Zeitpunkt für die Länder eine „beschlossene Sache". Die Bundesregierung lehnte die Forderungen weitestgehend ab, sah sich aber aufgrund der Zustimmungsbedürftigkeit des EEAG politisch zum Nachgeben gezwungen. Insgesamt war die Bundesratslösung an sich jedoch ganz in ihrem Sinne, da sich der Abstimmungsprozeß mit den einzelnen Ländern nach den vergangenen Erfahrungen viel schwerfälliger und zeitraubender gestaltete93. Im Hinblick auf die Möglichkeit der Bundesregierung, von der Stellungnahme des Bundesrates abzuweichen, einigte man sich auf eine „Abschwächung" des Er-

91 Hierbei handelte es sich um das sog. „strenge Länderbeteiligungsverfahren" und das „modifizierte Länderbeteiligungsverfahren": Beiden Modellen war gemeinsam, daß ein Ländergremium gebildet werden sollte unter Ausnutzung des institutionellen Rahmens des Bundesrates, quasi unter dessen Dach, welches aber seine Rechtsnatur als Gremium der Länder behält, vgl. näher hierzu Borchmann, AöR 112 (1987), 586 (608 f.); zu weiteren Variationen: Hannaleck/Schumann, ZParl 83, 362 (368 ff.). 92 Borchmann, AöR 112 (1987), 586 (609); Ensser, S. 56. 93 Vgl. Morawitz/Kaiser, S. 65.

III. Das Beteiligungsverfahren nach Art. 2 EEAG

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fordernisses der „zwingenden außen- und integrationspolitische Gründe" auf „unabweisbare

außen- und integrationspolitische Gründe" 9 4 . Die automatische

Begründungspflicht für den Fall des Abweichens von der Stellungnahme des Bundesrates sollte nur noch für die Fälle der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder gelten. Einer Hinzuziehung von Ländervertretern zu Beratungsgremien der Kommission und des Rates stimmte die Bundesregierung nur unter dem Vorbehalt zu, „soweit der Bundesregierung dies möglich ist". Im übrigen stimmte die Bundesregierung ebenfalls einer weit gefaßten Informationspflicht gegenüber dem Bundesrat zu.

2. Das „Bundesratsmodell" und die Verabschiedung von der unmittelbaren Länderbeteiligung a) Die Regelungen des Art. 2 EEAG A u f der Grundlage der Forderungen des Bundesrates, den Vorstellungen der Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung und des Vorschlags des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages 95 wurde folgender Art. 2 E E A G vom Bundestag verabschiedet 96 . „(1) Die Bundesregierung unterrichtet den Bundesrat unbeschadet des Artikels 2 des Gesetzes zu den Verträgen vom 25. März 1957 zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft vom 27. Juli 1957 (BGBl. II S. 753) umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt über alle Vorhaben im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft, die für die Länder von Interesse sein könnten. (2) Die Bundesregierung gibt vor ihrer Zustimmung bei Beschlüssen der Europäischen Gemeinschaften, die ganz oder in einzelnen Bestimmungen ausschließliche Gesetzgebungsmaterien der Länder betreffen oder deren wesentliche Interessen berühren, dem Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme binnen angemessener Frist. (3) Die Bundesregierung berücksichtigt diese Stellungnahme bei den Verhandlungen. Soweit eine Stellungnahme ausschließliche Gesetzgebungsmaterien der Länder betrifft, darf die Bundesregierung hiervon nur aus unabweisbaren außen- und integrationspolitischen Gründen abweichen. Im übrigen bezieht sie die vom Bundesrat vorgetragen Länderbelange in ihre Abwägung ein.

94 Die Bundesregierung wollte zunächst bereits „überwiegende" Gründe ausreichen lassen, so daß die letztlich gewählte Formulierung einen Kompromiß darstellt zwischen „zwingend" und „überwiegend", vgl. Borchmann, AöR 112 (1987), 586 (615). Ein semantischer Unterschied zwischen „zwingend" und „unabweisbar" dürfte indes kaum zu begründen sein. 95 BT-Drs. 10/6663. 96 Gesetz zur Einheitlichen Europäischen Akte vom 28. Februar 1986 vom 19.12. 1986, BGBl. 1986 II S. 1102.

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Teil 1 : Die Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern (4) Im Falle einer Abweichung von der Stellungnahme des Bundesrates zu einer ausschließlichen Gesetzgebungsmaterie der Länder und im übrigen auf Verlangen teilt die Bundesregierung dem Bundesrat die hierfür maßgeblichen Gründe mit. (5) Ist dem Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, sind, unbeschadet der bereits bestehenden Regelungen, auf Verlangen Vertreter der Länder zu den Verhandlungen in den Beratungen der Kommission und des Rates hinzuzuziehen, soweit der Bundesregierung dies möglich ist. (6) Einzelheiten der Unterrichtung und Beteiligung bleiben einer Vereinbarung zwischen Bund und Ländern vorbehalten."

Den Ländern ist es mit dieser Regelung erstmals gelungen, gewichtige Beteiligungsrechte verbindlich positiv-rechtlich festzuschreiben, wenn sich auch die angestrebte Verfassungsänderung zunächst als nicht durchsetzbar erwies. Aufgrund dessen wurde indes sogleich neuer Streitstoff heraufbeschworen, weil sowohl gegen Art. 2 EEAG insgesamt als auch gegen einzelne Bestimmungen verfassungsrechtliche Einwände vorgebracht werden konnten97. Insbesondere die auf den ersten Blick als sehr weitgehend erscheinende Bindung der Bundesregierung an die Stellungnahme der Bundesrates nach Art. 2 Abs. 3 EEAG mußte im Hinblick auf die exekutive Eigenverantwortung der Bundesregierung Bedenken hervorrufen 98.

b) Die Bund-Länder- Vereinbarung vom 17.72.1987 99 Mit Erlaß des EEAG waren die Probleme keineswegs gelöst: Die Diskussionen verlagerten sich vielmehr vom Grundsatz ins Detail. Erst im Dezember 1987 kam es schließlich nach schwierigen Verhandlungen zur Unterzeichnung der in Ausführung zu Art. 2 Abs. 6 EEAG vorgesehenen Bund-Länder-Vereinbarung 100 . In der Vereinbarung wurden minutiös alle erforderlichen Einzelheiten des näheren Beteiligungsverfahrens geregelt, auf deren Darstellung an dieser

97 Vgl. Busch., S. 223 ff.; Grabitz, EuR 1987, 311 (319 ff.); Herdegen,, EuGRZ, 92, 589 (593); Klein, E., VVDStRL Bd. 50 (1991), 56 (91 f.); Morawitz, in: Bundesländer und EG, 45 (54 ff.); Ress, EuGRZ 1986, 549 (557 ff.); Reuter, S. 663 ff.; Schütz, BayVBl. 1990, 481 (483 ff., 518 ff.). Zu weiteren Einwänden auch Baumhof, S. 124 ff., der Art. 2 EEAG aber nach verfassungskonformer Auslegung im Ergebnis für verfassungsgemäß hält; ebenso v. Welck, S. 134 ff., jew. m.w.N. 98 Busch, S. 214 ff., hält diese Bestimmung für verfassungswidrig; kritisch auch Ress, EuGRZ 1987,361 (364). 99 Hierzu Oschatz/Risse, DÖV 1989, 509 ff. 100 Vereinbarung vom 17. Dezember 1987 zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Länder über die Unterrichtung und Beteiligung des Bundesrates und der Länder bei Vorhaben im Rahmen der Europäischen Gemeinschaften in Ausführung von Art. 2 des Gesetzes vom 19. Dezember 1986 zur Einheitlichen Europäischen Akte vom 28. Februar 1986 (BGBl. II 1986, S. 1102 f.), GMB1. 1989, S. 697 (698), abgedr. bei: Morawitz/Kaiser, Anhang XIII, S. 159 f.

III. Das Beteiligungsverfahren nach Art. 2 EEAG

45

Stelle verzichtet werden kann. Es läßt sich aber sagen, daß sowohl der Bund als auch die Länder mit der Vereinbarung die Anforderungen des EEAG strikt umgesetzt haben101. Allerdings gab es auch eine Reihe von Punkten, in denen sich der Bund, oder genauer gesagt: die Bundesregierung, und die Länder nicht einigen konnten 102 . Bemerkenswert in diesem Zusammenhang erscheint die Regelung in Ziff. II Nr. 3, nach der vorgesehen war, daß ein besonderes „Beschlußgremium" des Bundesrates die Stellungnahmen fur den Bundesrat abgeben konnte 103 . Der Bundesrat hat hierfür durch die Änderung seiner Geschäftsordnung und die Einfügung der §§ 45a bis 45k 1 0 4 die notwendigen Anpassungen an die neue Rechtslage vorgenommen und in § 45b seiner Geschäftsordnung die „Kammer für Vorlagen der Europäischen Gemeinschaften" („EG-Kammer") eingerichtet. Diese konnte fortan bei eilbedürftigen EG-Vorlagen mit Wirkung für den Bundesrat beschließen105. Sie war zusammengesetzt aus je einem Mitglied oder stellvertretenden Mitglied des Bundesrates für jedes Land, wobei die Stimmen entsprechend dem sonstigen Abstimmungsmodus des Art. 51 Abs. 2 GG unterschiedlich gewichtet wurden. In besonderen Fällen, insbesondere wenn zu befürchten war, daß nicht alle Länder rechtzeitig einen Vertreter zu den Sitzungen der Kammer entsenden können und deswegen ein Mehrheitsbeschluß zu scheitern drohte, konnte die Abstimmung auch im sog. „Umfrageverfahren", d.h. ohne persönliche Anwesenheit der Mitglieder durchgeführt werden (§ 45h Abs. 4 i.V.m. 45i GO-BR). Auch gegen die Bund-Länder-Vereinbarung 1987 wurden von Anfang an Bedenken angemeldet im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit der Delegation der Beschlußfassung an ein Gremium, der Möglichkeit der Abstimmung nur durch Beamte der Länder 106 sowie des Umfrageverfahrens 107. Die Vereinbarung ist schließlich durch die Bund-Länder-Vereinbarung vom 29.10.1993 außer Kraft gesetzt worden, noch bevor es durch das Bundesverfassungsgericht zu einer letztverbindlichen Klärung der verfassungsrechtlichen Lage gekommen ist 108 . Bevor auf die neuere Entwicklung eingegangen wird, sollen an dieser Stelle nicht die weiteren Formen der Ländermitwirkung unerwähnt bleiben, die die Länder bis zur Ratifizierung der EEA durchsetzen konnten und die auch im Rahmen des Art. 23 GG eine nicht unbedeutende Rolle spielen. Es handelt sich namentlich um die Mitwirkung durch den „Länderbeobachter" und die Teilnahme von Ländervertretern.

101

Morawitz/Kaiser, S. 70. Hierzu: Borchmann, DÖV 1988, S. 624 ff. 103 Vgl. den Wortlaut der Vereinbarung bei: Morawitz/Kaiser, Anhang XIII, S. 159 f. 104 Bek. vom 10.6.1988 BGBl. I S. 857. 105 §§ 45b Abs. 2, 45d GO-BR, i.d.F. der Bek. vom 10.6.1988 BGBl. I S. 857. Näher zur EG-Kammer: Oschatz/Risse, DÖV 1989, 509 (513 ff.), Schütz, NJW 1989, 2160 ff. 106 Vgl. Art. 52 Abs. 4 GG. 107 Hierzu näher: Busch, S. 223 ff.; Reuter, S. 663 ff. 108 Vgl. Nr. VIII. 1. der Bund-Länder-Vereinbarung 1993. 102

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Teil 1 : Die Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern c) Der Länderbeobachter

Die Institution des Beobachters der Länder bei den Europäischen Gemeinschaften geht zurück auf eine Absprache der Ministerpräsidenten von BadenWürttemberg und Bayern mit dem früheren Außenminister von Brentano aus dem Jahr 1956. Danach gestattete die Bundesregierung die beobachtende Teilnahme eines Beamten aus einem der vorgenannten Länder an den Beratungen der Deutschen Delegation zu den Verhandlungen über die Gründung von EWG und EURATOM 1 0 9 . In der Folgezeit wurde der Länderbeobachter in der Praxis zu einer dauerhaften Institution erhoben, dessen Tätigkeitsbereich und Aufgabenfeld sich im Zuge der sich verändernden Ländermitwirkung mehr und mehr ausgeweitet und verlagert haben110. Eine formelle Anerkennung des Länderbeobachters von seiten des Bundes erfolgte jedoch erst im Zusammenhang mit der Ratifizierung der EEA. Nach Teil III Nr. 3 Bund-Länder-Vereinbarung von 1987 galt der Beobachter der Länder als von den Ländern benannter Vertreter, wenn in den Fällen des Art. 2 Abs. 5 EEAG kein benannter Vertreter der Länder an den Verhandlungen teilnahm 111 . Bis dahin beruhte die Rechtsstellung des Länderbeobachters auf einem rechtlich unverbindlichen „gentlemen's agreement" 112 . Versuche der Länder, bereits im Jahre 1984 den Länderbeobachter räumlich an die Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Brüssel (StÄV) anzubinden, scheiterten, weil die Länder ein von der Bundesregierung gefordertes Weisungsrecht des Leiters der StÄV gegenüber dem Länderbeobachter sowie dessen formelle Abordnung an das Auswärtige Amt nicht akzeptieren konnten. Die Haltung des Bundes in dieser Frage soll nachhaltig die Bereitschaft der Länder gefördert haben, eigene Informationsbüros in Brüssel zu errichten 113.

109 Borchmann, AöR 112 (1987), 586 (590 f.); ausführlich auch Stöger, in: Bundesländer und EG, S. 101 ff. 110 Zum ursprünglichen Aufgabenbereich siehe Stöger, in: Bundesländer und EG, 101 (105 ff.). 111 Teil IV der aktuellen Bund-Länder-Vereinbarung, BAnz Nr. 226 vom 2. Dezember 1993, S. 10425, spricht nicht mehr ausdrücklich vom Länderbeobachter, sondern nur noch allgemein von einem Vertreter; an der Rolle des Länderbeobachters hat sich dadurch freilich nichts geändert. 112 Stöger, in: Bundesländer und EG, 101 (103). 113 Vgl. Borchmann, AöR 112 (1987), 586 (591 f.); ders., in: DÖV 1988, 623 (625). Zu den Informationsbüros noch unten unter IV. 1).

III. Das Beteiligungsverfahren nach Art. 2 EEAG

47

Rechtsgrundlage für das Tätigwerden des Länderbeobachters im Verhältnis der Länder untereinander ist ein förmliches Länderabkommen 114. Nach Art. 1 Abs. 1 dieses Abkommens wird der Länderbeobachter als „gemeinsame Einrichtung der Länder" geführt. Er wird bei dem Landesminister eingerichtet, der Vorsitzender des Bundesratsausschusses für Fragen der Europäischen Union ist. Seine näheren Aufgaben, überwiegend die Informationsbeschaffung für den Bundesrat, sind in dem Abkommen einzeln geregelt. Die Aufgaben des Länderbeobachters sind danach überwiegend informeller Natur 115 : Generell hat er nach Art. 2 Abs. 1 des Abkommens die Aufgabe, den Bundesrat bei der Wahrnehmung seiner Rechte nach Art. 23 GG i.V.m. den hierzu ergangenen Ausführungsbestimmungen zu unterstützen. Insbesondere soll er an den Tagungen des Rates und des AStV (franz.: „COREPER" 116 ) sowie an den Besprechungen der deutschen Delegation am Sitzungsort teilnehmen und den Ländern hierüber berichten. An den betreffenden Sitzungen nimmt er als passives Mitglied teil und leitet die von ihm gesammelten Informationen an die Länder und an den Bundesrat weiter 117 . Außerdem soll er an den Sitzungen der Gremien des Rates und der Kommission teilnehmen, zu denen der Bundesrat keine Ländervertreter benannt hat. Des weiteren hat er die Aufgaben, weitere Informationen für die Länder in Direktkontakten zu den Organen der Europäischen Union und den Vertretern der Bundesregierung zu beschaffen und die Tätigkeit der Ländervertreter zu unterstützen. Er soll die Bundesländer daher möglichst frühzeitig über all diejenigen Vorgänge und Entwicklungstendenzen auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft unterrichten, die innerstaatliche Kompetenzen oder sonstige Interessen der Länder berühren. Nach außen gehörte der Länderbeobachter mit Einverständnis der Bundesregierung der Deutschen Delegation an, während er intern seine Länderrolle beibehielt 118 . Auch in der aktuellen Bund-LänderVereinbarung vom 29.10.1993, die auf § 9 EUZBLG beruht 119 , hat der Länder-

114 Abkommen über den Beobachter der Länder bei der Europäischen Union vom 24.10.1996, Bek. d. MinPr. NW, MinBl. NW vom 17.3.1997, S. 282. Dieses Abkommen ersetzt das frühere Abkommen über den Beobachter der Länder vom 27.10. 1988, Bek. d. MinPr. NW, MinBl. NW vom 23.12.1988, S. 1884. Zur Aufgabenstellung des Länderbeobachters nunmehr Dette-Koch, ThürVBl. 1997, S. 169 ff. Vgl. auch Borchmann, DÖV 1988, 623 (625 ff.), zur Rechtslage nach dem ursprünglichen Abkommen. 115 Eine ausfuhrliche Übersicht der Aufgaben enthält der Bericht der Arbeitsgruppe „Europa der Regionen", S. 45 f. 116 Der AStV besteht aus je einem Angehörigen eines Mitgliedstaates im Range eines Botschafters, der zugleich Leiter der nationalen Vertretung (in Deutschland: „StÄV") der Mitgliedstaaten bei den Gemeinschaften ist, vgl. hierzu: Röhl, EuR 1994, 409 (418 ff.); Schweitzer/Hummer, Rdnr. 178 ff. „COREPER" ist die entsprechende französische Bezeichnung für den AStV und steht für „Comité des Représentants Permanents". 117 Baumhof, S. 113, m.w.N.; nach Stöger, in: Bundesländer und EG handelt es sich hierbei um ca. 10000 Dokumente jährlich, vgl. ders., 101 (105, Fußn. 7). 118 Baumhof S. 114; Stöger, in: Bundesländer und EG, 101 (104). 119 BAnzNr. 226 vom 2. Dezember 1993, S. 10425.

48

Teil 1 : Die Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern

beobachter ausdrücklich Erwähnung gefunden: Nach Teil V I I I Nr. 5 der Vereinbarung hat er die Aufgabe, die Länder bei der Wahrnehmung ihrer Rechte nach dem EUZBLG zu unterstützen. Seine bisherigen Informationsmöglichkeiten gegenüber den Gremien der Europäischen Gemeinschaft und der Bundesregierung bleiben bestehen. Aufgrund der organisatorischen und personellen Situation und angesichts der Vielzahl der oft gleichzeitig tagenden Gremien und der Flut von Dokumenten konnte und kann der Länderbeobachter die ihm theoretisch gegebenen Möglichkeiten nur bedingt wahrnehmen 120. Eine wichtige Rolle kommt ihm aus Sicht der Länder aber wegen seiner Teilnahme an den Tagungen des Rates und der von ihm erstellten Berichte zu, die im Gegensatz zu der Informationsübermittlung von Seiten der Bundesregierung besonders auf die Belange der Länder zugeschnitten sind und besonderes Augenmerk auf etwaige Abweichungen vom Länderstandpunkt legen 121 . Zur Abgrenzung seiner Tätigkeit von den Aufgaben der Länderbüros hat die Europaministerkonferenz der Länder am 8./9.6.1993 beschlossen, daß der Länderbeobachter zur Erfüllung der gemeinsamen Aufgaben der Länder zuständig sein soll, wohingegen den Informationsbüros der Länder weiterhin die Verwirklichung landesspezifischer Interessen obliegen soll 122 . Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt kommt hinzu: Der Länderbeobachter stellt eine vom Bundesrat unabhängige originäre Einrichtung der Länder dar und ist somit kein Organ des Bundesrates oder des Bundes. Seine Mitwirkung findet außerhalb des Art. 23 Abs. 2 S. 1 GG statt. Eine Wahrnehmung von Funktionen, die von Art. 23 GG umfaßt sind, bleibt dem Länderbeobachter als Organ der Länder damit verwehrt. Seine Tätigkeit ist auf informelle, unterstützende Handlungen beschränkt.

d) Die Beteiligung von Ländervertretern Für die Länder war es auf Dauer nicht akzeptabel, nur durch den Länderbeobachter bei den Verhandlungen der EG-Gremien vertreten zu sein, da dem Länderbeobachter lediglich eine passive Beobachterrolle zufiel 123 . Eine wirkungsvolle Einflußnahme auf den Gang der Beratungen erfordert ein aktives Eingreifen in den Prozeß der Beratungen vor Ort. Den Ländern ist es aufgrund ihres Drängens gegenüber der Bundesregierung schon frühzeitig in einer Reihe

120

Strohmeier, DÖV 1988, 633 (635). So der Bericht der Arbeitsgruppe „Europa der Regionen", S. 46 f. 122 Borchmann, VR 1994, 149 ( 151 ). 123 Seine Einwirkungsmöglichkeiten auf den Prozeß der Willensbildung werden als „nahe null" bezeichnet, so Gerster, Sten. Prot, der 7. Sitzung der GVK v. 4.6.1992, S. 14. 121

III. Das Beteiligungsverfahren nach Art. 2 EEAG

49

von Fällen gelungen, durch Vertreter direkt an den Beratungen der Deutschen Delegation und an den Verhandlungen der EG-Gremien beteiligt zu werden 124 . Unabhängig von den gegensätzlichen Rechtsstandpunkten zu der Frage, wem die Befugnis zur Ausübung der auswärtigen Gewalt zusteht, haben sich Bund und Länder im Jahre 1968 in den „Kramer/Heubl" 125 - Gesprächen darauf geeinigt, daß eine Beteiligung von Persönlichkeiten aus den Reihen der Länder in Betracht kommt, wenn -

der Bund wegen der innerstaatlichen Zuständigkeitsverteilung keine eigenen Fachkräfte besitzt,

-

zur Erreichung eines optimalen Verhandlungsergebnisses eine Ergänzung der Fachkunde notwendig erscheint

-

und der Verhandlungsgegenstand wesentliche Belange der Länder berührt.

In Zweifelsfällen sollte sich das federführende Bundesressort mit einer bei der Ständigen Vertragskommission der Länder einzurichtenden Kontaktstelle in Verbindung setzen, um eine Einigung zu erzielen. Gegenüber den Verhandlungspartnern im Außenverhältnis waren die Ländervertreter Mitglieder der Deutschen Delegation und somit Vertreter der Bundesrepublik Deutschland. Im Innenverhältnis blieben sie Vertreter der Länder und wurden von diesen auch mit Weisungen versehen. Bei der Bildung der gemeinsamen Auffassung des Bundes sollten sich die Länder bemühen, ihren Beitrag in die Gesamtkonzeption und in die auswärtige Gesamtinteressenlage der Bundesrepublik einzufügen. Auf der anderen Seite übernahm der Bund die Verpflichtung, den Länderbeitrag sorgfältig zu prüfen und darauf hinzuwirken, ihn in die Gesamtkonzeption des nach außen eingenommenen Standpunktes einzufügen. Bund und Ländern haben sich somit unbeschadet ihrer gegensätzlichen Rechtsauffassungen wiederum auf ein pragmatisches, kooperatives Verfahren zur Willensbildung des Bundes geeinigt. Eine weitergehende Zusage in puncto Zulassung von Ländervertretern erfolgte von Seiten des Bundes erstmals durch den erwähnten Kanzlerbrief zum Länderbeteiligungsverfahren. Nach Ziffer II Nr. 2 der Erklärung verpflichtete sich der Bund, bei Maßnahmen, die eine ausschließliche Länderkompetenz betreffen, auf Verlangen zwei Vertreter der Länder zu den Beratungsgremien der Kommission und des Rates hinzuzuziehen - aber nur unter der Einschränkung,

124 125

Borchmann, AöR 112 (1987), 586 (592). Abgedruckt bei: Morawitz/Kaiser, Anhang III, S. 141 ff.

4 Halfmann

50

Teil 1 : Die Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern

„soweit ihm dies möglich sei" 126 . Die nähere Ausgestaltung des Verfahrens erfolgte in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Ministerien des Bundes (GGO) 127 . Eine mit normativer Kraft verbindliche Regelung der Rolle des Ländervertreters erfolgte schließlich erst durch das EEAG. Nach Art. 2 Abs. 5 EEAG verpflichtete sich die Bundesregierung, unbeschadet bereits bestehender Regelungen auf Verlangen Ländervertreter zu den Verhandlungsgremien der Kommission und des Rates hinzuzuziehen, und zwar in allen Fällen, in denen dem Bundesrat nach Art. 2 Abs. 2 EEAG Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben war. Nicht vorgesehen war eine Teilnahme von Ländervertretern hingegen fur die sog. „gemischten Räte" 128 , die Forschungsministerräte - bislang standen dort noch keine Gesetzgebungsmaterien der Länder zur Beratung an - , die informellen Ministertreffen sowie die Regierungskonferenzen zur Neuverhandlung von völkerrechtlichen Verträgen 129. In Nr. 4 der hierzu geschlossenen Bund-Länder-Vereinbarung vom 17.12.1987 wurde klargestellt, daß die Ländervertreter Mitglieder der Deutschen Delegation darstellten, im Innenverhältnis aber inhaltlich an die Stellungnahmen des Bundesrates gebunden waren. Die Bindung der Ländervertreter an die Stellungnahme des Bundesrates lag in der Konsequenz der Umstellung des Länderbeteiligungsverfahren auf das Bundesratsverfahren. Delegationsleitung und Sprecherrolle lagen gem. Nr. 5 der Vereinbarung ausschließlich bei der Bundesregierung. Die Ländervertreter durften jedoch in Sitzungen von Arbeitsgruppen und Arbeitsausschüssen - der Rat ausgenommen - mit Zustimmung des Delegationsleiters Erklärungen abgeben.

126 Der Vorbehalt war erforderlich, da bestimmte Ausschüsse der EG kraft Sekundärrechts nur mit „Vertretern der Mitgliedstaaten" besetzt sind, und in denen auch nur ein Sitz für die Bundesrepublik zur Verfugung stand, was bei der Beteiligung von Ländervertretern zur Folge hätte, daß diese „als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland" zu beteiligen gewesen wären. Eine solche Konsequenz wollte die Bundesregierung nicht zulassen, vgl. Grabitz, EuR 1987, 310 (316 f.); Kleffner-Riedel, BayVBl. 1995, 104 (105), m.w.N.; Rudolf in: FS fìir Schlochauer, S. 117 (131). Generell verneinend zur Frage der Zulässigkeit der Teilnahme von Ländervertretern in den Gremien der Kommission und des Rates: Ress, EuGRZ 1986, 549 (552); ihm folgend: Falke/Joerges, DVB1. 1987, 1051 (1052). 127 § 85a GGO II i.d.F. vom 15.10.1980 (abgedr. bei Hrbek/Thaysen, S. 239, Dok. 6). Die Bestimmung verwies inhaltlich wieder zurück auf den Kanzlerbrief, so daß weder von der Rechtsform noch vom Inhalt her viel gewonnen worden ist. 128 Gemeint sind die Fälle, in denen bei unklarer oder nur zum Teil vorhandener Regelungskompetenz der EG fur eine bestimmte Materie der Rat und die „im Rat vereinigten Vertreter der Mitgliedstaaten" als „freie" Staatenvertreter gemeinsam über eine Maßnahme beschließen, um den Nichtigkeitsgrund der Unzuständigkeit zu vermeiden. Dies ist häufig bei den Treffen der Kulturministerräten der Fall; vgl. hierzu: Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, §22 Rdnr. 5 ff.; Schweitzer/Hummer, Rdnr. 182 ff., 1628 ff. Siehe auch nachfolgend den Gliederungspunkt 3. im Text. 129 Kleffner-Riedel, BayVBl. 1995, 104 (105); in der Praxis wurde seitens der Bundesregierung allerdings großzügig verfahren und eine Teilnahme oft gestattet, so Borchmann/Kaiser, Die deutschen Länder in Europa, S. 39 f.

III. Das Beteiligungsverfahren nach Art. 2 EEAG

51

Nach den Erfahrungen der Bevollmächtigten der Länder, die den Zeitraum bis zum Jahr 1990 beschreiben, haben die Berichte der vom Bundesrat benannten Ländervertreter einen guten Überblick über die Beratungen der EG-Gremien geliefert 130 ; im Jahre 1990 handelte es sich immerhin bereits um rund 200 Arbeitsgremien, für die der Bundesrat Vertreter entsandt hatte, davon ein Drittel auf Ratsebene und zwei Drittel auf Kommissionsebene131. Verfassungsrechtlich ungeklärt blieb allerdings die Frage, wen die Ländervertreter im Innenverhältnis rechtlich vertreten haben - eine Ländergesamtheit unter dem Dach des Bundesrates oder den Bundesrat als Organ des Bundes132.

3. Die Praxis der Beteiligung der Länder in den Bereichen Kultur und Bildung In den Bildungsministerräten hatte sich mit Einverständnis des Bundes seit langem schon die Praxis etabliert, daß die Ländervertreter mit der Zustimmung des Delegationsleiters Erklärungen abgeben durften 133 . Da der Bund insoweit keine eigenen Regelungsinteressen verfolgte, konnte er sich den Ländern gegenüber entgegenkommend zeigen. Auf der anderen Seite stellte der Kultur- und Bildungsbereich für die Länder seit jeher ein besonders sensibles Feld dar, auf dem sie weitere Einbußen nicht hinnehmen wollten 134 . Der Kultusbereich, und hier vor allem der Sektor der Kulturpolitik im engeren Sinn, kann als einer der Hauptbereiche bezeichnet werden, der den Ländern zur eigenständigen Regelung im wesentlichen noch verblieben ist 135 .

130

So der Erfahrungsbericht 1990, S. 23. Für das Jahr 1992 war von fast 300 Kommissionsausschüssen die Rede, vgl. Friebe, S. 38. In den Folgejahren hatte der Bundesrat zwischenzeitlich bis zu 450 Ländervertreter benannt, Oschatz/Risse, DÖV 1995, 437 (446). Nunmehr ist es dem Bundesrat gelungen, durch verbesserte Koordination und Konzentration bei der Aufgabenwahrnehmung die Zahl der Ländervertreter auf etwa 280 zu reduzieren, Auskunft von v. Dewitz, Büro des Ausschusses für Fragen der Europäischen Union des Bundesrates vom April 1998. 132 Für das Verfahren nach Art. 2 EEAG gingen von einer Länderzuständigkeit und folglich einer Organleihe des Bundesrates aus: Baumhof S. 109, 125 ff.; Meißner, S. 220 f.; Morawitz/Kaiser, S. 65; Müller, M , DÖV 1993, 103 (105); ähnlich: Klein, £., VVDStRL Bd. 50 (1991), 56 (92); Schütz, Der Staat 28 (1989), 201 (211); ders., in: BayVBl. 1990, 518 (520); Tomuschat, in: Bundesländer und EG, 21 (38). A.A. damals schon: Busch, S. 204 ff.; Remmers, S. 198 f.; Ress, EuGRZ 1987, 361 (362). Die Frage der parlamentarischen Verantwortlichkeit und der demokratischen Legitimation ist zu dem Zeitpunkt, soweit ersichtlich, nicht näher diskutiert worden. 133 Borchmann/Kaiser, Die deutschen Länder in Europa, S. 38; Fastenrath, DÖV 1990, 125 (126 f.), m.w.N. 134 Zu den mannigfaltigen Einbrüchen in die Kompetenz der Länder durch den Bund und die Europäische Gemeinschaft: Eiselstein, NVwZ 89, 323 (324 ff. 328 ff.). 135 Eiselstein, NVwZ 89, 323 (325 ff.). 131

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Teil 1 : Die Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern

Für die Treffen der für die kulturelle Zusammenarbeit zuständigen Minister der Mitgliedstaaten war eine Zusage des Bundeskanzlers vom 19.5.1983 maßgebend136. Danach erklärte sich die Bundesregierung bereit, bei bestimmten Tagesordnungspunkten die Leitung der Delegation dem Präsidenten der Kultusministerkonferenz zu übertragen. Die Zusage bezog sich allerdings nur auf die Tätigkeiten der kulturellen Zusammenarbeit, die „in Ergänzung der Maßnahmen der Gemeinschaft", also bei intergouvernementalen Beschlüssen, stattfinden 137. Für die „gemischten Räte" 138 hatte sich die Praxis herausgebildet, daß ein Staatsminister oder Staatssekretär des Auswärtigen Amtes gemeinsam mit dem Präsidenten der Kultusministerkonferenz der Länder den Vorsitz der Deutschen Delegation wahrnahm 139. Insgesamt konnte es als üblich bezeichnet werden, Ländervertreter in die deutsche Delegation aufzunehmen, wenn besondere Belange der Länder betroffen waren 140 . Durch die nunmehr geltende Bund-LänderVereinbarung von 1993 werden diese ergänzenden Formen der fachlichen Zusammenarbeit insgesamt dem Verfahren des Art. 23 GG und des EUZBLG unterworfen.

IV. Sonstige Formen der Mitwirkung 1. Die Informations- und Verbindungsbüros der Länder in Brüssel Seit dem Jahre 1985 - den Vorstoß machte Hamburg mit der Eröffnung des „Hanse-OfFice" in Brüssel - begannen die Länder damit, eigene Informationsund Verbindungsbüros in Brüssel einzurichten und zu unterhalten 141. Als maßgebliche Ursache für die Einrichtung eigener Verbindungsbüros der Länder werden zum einen die Meinungsverschiedenheiten zwischen Bund und Ländern über die Anbindung des Länderbeobachters an die Ständige Vertretung der Bundesrepublik in Brüssel angesehen142. Zum anderen trat ein konstruktiver Nachteil des Länderbeteiligungsverfahrens hervor, der gleichermaßen auch für das Bundesratsverfahren zutrifft: nämlich das Erfordernis eines einheitlichen Vorgehens durch die Länder. Im Hinblick auf die Verteilung von Fördermitteln oder aber in der Frage der Standortwerbung gab und gibt es durchaus gegenläu-

136 137 138 139 140 141 142

Abgedruckt bei: Meißner, S. 231. Borchmann/Kaiser, Die deutschen Länder in Europa, S. 39. Siehe hierzu bereits Fußn. 128. Borchmann/Kaiser, Die deutschen Länder in Europa, S. 39. Borchmann,, AöR 112 (1987), 586 (592). Vgl. die Darstellung bei: Ensser, S. 75 ff; Zumschlinge, DV 1989, 217 ff. Vgl. oben, Kap. III, Fußn. 113.

IV. Sonstige Formen der Mitwirkung

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fige Interessen der einzelnen Länder 143 . Vor dem Hintergrund der großen Unterschiede zwischen den Ländern im Hinblick auf ihre wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit, die sich durch den Beitritt der ostdeutschen Länder in jüngster Zeit verschärft haben, sind diese Interessengegensätze sehr verständlich 144 . Auch die übrigen Themen der Landespolitik werden je nach der politischen Konstellation in den Bundesländern von den einzelnen Ländern oftmals divergierend beurteilt. Es liegt auf der Hand, daß das Vorgehen im Rahmen des Länderbeteiligungsverfahrens und des Bundesratsverfahrens alleine den Handlungsbedürfhissen der einzelnen Länder nicht gerecht werden konnte. Die Aufgaben der Verbindungsbüros bestanden deshalb nicht in dem Betreiben einer eigenen „Außenpolitik", sondern umfaßten vielmehr die Beschaffung von Informationen an Ort und Stelle, die direkte Kontaktpflege zu den EG-Institutionen, die Beratung öffentlicher und privater Stellen bei der Verfolgung von EG-Angelegenheiten, die Standortwerbung fur die Länder sowie die Mitwirkung beim Beamtenaustausch145. Kurz gesagt, es ging um die ganze Palette der informellen Kontaktpflege und eine Präsenz außerhalb der förmlichen Beteiligungsverfahren bei der Rechtsetzung. Allerdings sollten die Verbindungsstellen nach Auffassung der Länder von Anfang an auch der - wenn auch informellen - Einflußnahme auf alle Entscheidungsprozesse der Europäischen Gemeinschaften dienen 146 . Eine klare Trennlinie zwischen bloßem Lobbyismus für das Land und dem Betreiben einer „Außenpolitik" konnte letztlich nur schwer gezogen werden 147 . In verfassungsrechtlicher Hinsicht warf das Tätigwerden der Länder deshalb zunächst Bedenken auf, die aber letztlich nicht durchschlagen konnten, solange die Länder nicht daran gingen, Botschaften zu errichten oder sich formell diplomatische Vorrechte oder EG-Mitgliedschaftsrechte anzumaßen148. Für das Vorhandensein und die Tätigkeit der Länderbüros bestand unbestreitbar ein praktisches Bedürfnis, vor allem weil die Länderbüros die Möglichkeit boten, spezifische Interessen des jeweiligen Landes zu verfolgen 149. Die vorstehenden

143 Fastenrath, DÖV 1990, 125 (127); Gerster, Sten. Prot, der 7. Sitzung der GVK v. 4.6.1992, S. 14. 144 Zu den Auswirkungen dieses Ungleichgewichts im Gefiige des Föderalismus: Scharpf, Entwicklungslinien, 45 (50 ff.). 145 Vgl. Borchmann, AöR 112 (1987), 586 (596 ff.); Schmidt-Meinecke, S. 100 ff., mit einer Übersicht. 146 Fastenrath, DÖV 1990, 125 (127, 130). 147 Schmidt-Meinecke, S. 47; Wiedmann, AöR 117 (1992), 46, (64). 148 Die Frage kann im Rahmen dieser Arbeit nicht vertieft werden; vgl. hierzu näher: Fastenrath, DOV 1990, 125 (128 ff.), m.w.N.; ders., Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt, S. 160 f. 149 Gerade dieser Aspekt ist in dem Bericht der Arbeitsgruppe „Europa der Regionen", S. 47, besonders hervorgehoben.

54

Teil 1 : Die Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern

Erwägungen gelten insbesondere für die Funktion der Verbindungsstellen als Anlaufstellen für Private, vor allem für Vertreter der Wirtschaft. Durch die Einschaltung der Länderbüros kann zudem das Rechtsetzungsverfahren der Europäischen Gemeinschaft durch Vergrößerung der Akzeptanz und der Verdeutlichung dezentraler Wünsche und Bedürfhisse schon im Vorfeld verbessert werden 150 . Ein deutlicher Beweis hierfür kann in der Tatsache erblickt werden, daß auch die Regionen und sogar Städte anderer Staaten Büros in Brüssel errichtet haben 151 ; hierzu zählen beispielsweise die Schotten, die Katalanen sowie mehrere US-Staaten152. Auch die EG-Organe, vor allem das Europäische Parlament und die Kommission, nutzen die Verbindungsbüros der Länder in zunehmender Weise 153 . Der Bund hat schließlich seinen Widerstand gegen diese Entwicklung aufgegeben und durch die Regelung des § 8 EUZBLG i.V.m. Kapitel V I der Bund-Länder-Vereinbarung 1993 den Ländern die Unterhaltung der Verbindungsbüros ausdrücklich zugestanden154.

2. Weitere Formen der Zusammenarbeit Die oben beschriebenen Mitwirkungsformen der Länder sind nicht abschließend und vermögen die Vielfalt der Kooperations- und Verflechtungsformen zwischen Bund und Ländern, der Zusammenarbeit der Länder untereinander und mit Gremien der Europäischen Gemeinschaft nicht zu erfassen 155. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit wären zum Beispiel zu nennen die Direktkontakte, die die Länder zu den Institutionen der Europäischen Gemeinschaft pflegen 156 , der Beirat der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften 157 sowie die Interfraktionelle Gruppe der lokalen und regionalen Mandatsträger des Europäischen Parlaments 158. Unter dem Stichwort „Europa der Regionen" hat sich darüber hinaus in den letzten Jahren eine Zusammenarbeit der Regionen Europas eta-

150

Darauf weist Fastenrath, DÖV 1990, 125 (136), hin. Böhm, BayVBl 1993, 545 (547, Fußn. 19); Fastenrath, DÖV 1990, 125 (136); Strohmeier, DÖV 1988, 633 (636). 152 Gerster, Sten. Prot, der 7. Sitzung der GVK v. 4.6.1992, S. 14. 153 Fastenrath, DÖV 1990, 125 (136); Strohmeier, DÖV 1988, 633 (636); Wiedmann, AöR 117 (1992), 46, (63 f.). 154 Die Länderbüros sollen mit der StÄV der Bundesrepublik Deutschland einvernehmlich zusammenarbeiten, so Wiedmann, AöR 117 (1992), 46, (65). 155 Vgl. die Darstellung bei Benz, VerwA Bd. 84 (1993), 328 (340 ff.). 156 Hierzu vgl. Dröll, S. 109; Ehlermann, in: Die deutschen Länder und die EG, 139 (144 ff.). 157 Hierzu vgl. Schweitzer, ZG 1992, 128 (135). 158 Hierzu vgl. Schweitzer, ZG 1992, 128 (136). 151

IV. Sonstige Formen der Mitwirkung

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bliert, die sich durch die europäische Integration in ihrer Eigenständigkeit betroffen sehen159. Auch erstrecken sich die umfangreichen und komplexen Formen des Zusammenspiels zwischen Bund und Ländern und zwischen diesen untereinander auf nahezu alle Ebenen des staatlichen Handelns. So bestehen viele Kanäle der fachlichen Kooperation zwischen Bund und Ländern - auch in EG-relevanten Fragen - , auf denen eine Zusammenarbeit reibungslos funktioniert. Aufgrund der regelmäßigen Anwesenheit von Regierungsangehörigen in den Ausschüssen und Unterausschüssen des Bundesrates und einer zu beobachtenden „Ressortkameradie" innerhalb der Ministerialbürokratie finden außerdem schon frühzeitig die Argumente und Vorstellungen der Länder Eingang in die Phase der Willensbildung der Bundesregierung 160. In der Regel haben bereits mehr oder weniger umfangreiche und langwierige Abstimmungsprozesse zwischen Bund und Ländern stattgefunden, bevor das förmliche und von der Öffentlichkeit wahrgenommene Verfahren der Meinungsbildung, zum Beispiel durch Übersendung eines offiziellen Entwurfs an den Bundesrat, einsetzt. In positiver Hinsicht wird das gegenseitige Netzwerk der administrativen Verflechtung mit dem Begriff „kooperativer Föderalismus" beschrieben 161. Die geschilderten Entwicklungen weisen jedoch auch ihre Schattenseiten auf. Einerseits kann die informelle und nichtöffentliche Zusammenarbeit die horizontale und vertikale Kompetenzordnung unterlaufen und Verantwortungsstränge verwischen, andererseits ist beobachtet worden, daß ein hoher Grad an Verflechtung die Entscheidungsfindung blockieren kann 162 . Die praktisch bedeutsamen Einflußmöglichkeiten der Länder an den Entscheidungsprozessen der Europäischen Gemeinschaft außerhalb des Verfahrens nach Art. 2 EEAG beschränkten sich jedoch auf die Tätigkeit des Länderbeobachters und der Verbindungsbüros 163.

159 Dazu zählen neben den Regionen Deutschlands vor allem die Regionen Österreichs, Belgiens, Italiens und Spaniens. Zu weiteren Tendenzen der Regionalisierung siehe: Fechtner/Hannes, ZParl 1993, 132 (136 ff.). Zu den Konferenzen „Europa der Regionen" vgl.: Borchmann, EA 1991, 340 (343); Knemeyer, in. Europa der Regionen, 11 (16 ff.). 160 Rudolf, in: FS für Schlochauer, S. 117 (125). 161 Vgl. hierzu: Ossenbühl, DVB1. 1989, 1230, (1234 f.); Rudolf in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. IV, § 105, Rdnr. 20 ff.; Stern, StaatsR I, § 19 IV; Vogel, in: Benda/Maihofer/Vogel, HdbVerfR, § 22 Rdnr. 124 ff.; jew. m.w.N. 162 Zur Problematik der „Politikverflechtungsfalle": Fechtner/Hannes, ZParl 1993, 132 (1140 f.); Lhotta, ZParl 1993, 116 (122 ff.); Scharpf, PVS 26 (1985), 323 ff.; ders., Kooperation auf der »dritten Ebene«, 59 (65 ff.). Relativierend demgegenüber: Schmid, PVS 28 (1997), S. 446 ff. Vgl. auch Hrbek, in: Die deutschen Länder und die EG, S. 17 ff. 163 So die Einschätzung der Arbeitsgruppe „Europa der Regionen", S. 45.

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Teil 1 : Die Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern 3. Die Beteiligung der Landtage

Betrachtet man die Rolle der Landtage bei der Willensbildung in den Angelegenheiten der Europäischen Gemeinschaft, so gelangt man zu einer auf den ersten Blick erstaunlichen Feststellung: Von der schrittweisen Intensivierung der Beteiligung der Länder am europäischen Rechtsetzungsverfahren haben lediglich die Landesregierungen profitieren können, nicht aber die Landesparlamente. Dies überrascht um so mehr, als es den Ländern von Anfang an nach eigenen Angaben immer um die Kompensation ihrer auf die Europäische Gemeinschaft übergegangenen Gesetzgebungsbefugnisse und die Erhaltung ihrer Staatlichkeit zu gehen schien. Soweit durch eine Verlagerung von Regelungskompetenzen auf die Europäische Gemeinschaft oder durch eine Ausschöpfung dieser Kompetenzen der Bereich der innerstaatlichen Gesetzgebungskompetenzen der Länder betroffen ist, handelt es sich um eine genuine Aufgabe der Landesparlamente, so daß diese prima vista auch die Begünstigen einer Kompensation hätten sein müssen164. Tatsächlich sind die Möglichkeiten der Stärkung der Landesparlamente zunächst auch diskutiert worden. Im Endeffekt verlangten die Länder aber von der Bundesregierung stets nur eine verbesserte Mitwirkung im Wege einer intensiveren Einbindung der jeweiligen Landesregierungen. Selbst bei der Einführung des Länderbeteiligungsverfahrens ging es um eine Mitwirkung der Landesregierungen und nicht der Landesparlamente 165. Nach einer vom Landtag BadenWürttemberg unter den Landtagen durchgeführten Umfrage aus dem Jahre 1986 sind die Informationen aufgrund des Länderbeteiligungsverfahrens an den einzelnen Landtagen weitgehend vorbeigelaufen 166. Dieser Befund muß erst recht verwundern: Immerhin war die potentielle Einflußmöglichkeit der Landesparlamente auf ihre Landesregierungen beim Länderbeteiligungsverfahren als einer „echten" Koordination der Länder untereinander größer als im Rahmen des Bundesratsverfahrens 167. Die Enquête-Kommission Verfassungsreform des 7. Deutschen Bundestages hatte sich bereits im Jahr 1976 eingehend mit Vorschlägen befaßt, das föderative Bundesorgan „Bundesrat" entsprechend einem Senatsmodell - mit von den Landesparlamenten gewählten Senatoren - umzufor164

Schütz, BayVBl. 1990, 518 (520), hält dementsprechend den Bundesrat für das „ungeeignete Organ" zur Wahrung der Interessen der Länder. Allgemein zum Phänomen des Machtverlustes der Landesparlamente: Eicher, Der Machtverlust der Landesparlamente, Berlin 1988, S. 76 ff. 165 Siehe oben, Kap. II.2., S. 35. 166 Schneider, £., in: Die deutschen Länder und die EG, 57 (65), und Anhang, Dok. 20, S. 283 ff. Siehe auch oben, Kap. II, Fußn. 74. 167 Daher hätte die vertikalen Gewaltenteilung einer Einflußnahme der Landesparlamente im Gegensatz zum Bundesratsverfahren nicht entgegengestanden, vgl. hierzu BVerfGE 8, S. 104 (120 f.), Haas, DÖV 1988, 613 (620 f.), m.w.N.; Schweitzer, ZG 1992, 128(147).

IV. Sonstige Formen der Mitwirkung

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men, diese Möglichkeit aber aus rechtlichen und praktischen Erwägungen verworfen 1 6 8 . I n der Folge konzentrierten sich die Bemühungen der Länderparlamente nur noch darauf, von den Landesregierungen oder dem Bundesrat zumindest in einer zufriedenstellenden Weise informiert und beteiligt zu werden. In diese Richtung zielten verschiedenen Reformvorschläge der Landtagspräsidenten: Z u erwähnen ist namentlich die „Empfehlung der Präsidenten der deutschen Landesparlamente v o m 15. September 1988 über das Verfahren der Beteiligung der Landtage bei der Vorbereitung von EG-Vorhaben unter Berücksichtigung der Bund-Länder-Vereinbarung vom 17.12.1987" 1 6 9 . Die Empfehlung sah unter anderem eine Begründungspflicht der Landesregierung gegenüber dem Landtag für den Fall des Abweichens von einer Stellungnahme des Landtags v o r 1 7 0 . In einem weiteren Beschluß der Konferenz der Präsidenten und Präsidentinnen der deutschen Landesparlamente aus dem Jahre 1991 zum Thema „Struktur und Zusammensetzung des Bundesrates" wurde die Einfügung eines Art. 51 Abs. 4 in das Grundgesetz vorgeschlagen, wonach der Bundesrat bei seinen Mitwirkungsbefugnissen an die Beschlüsse der Landesparlamente gebunden sein sollte, soweit es um die Übertragung von Gesetzgebungszuständigkeiten der Länder auf den Bund oder um die Übertragung von Hoheitsrechten der Länder auf zwi-

168

Schlußbericht der Enquête-Kommission Verfassungsreform vom 2.12.1976, BTDrs. 7/5924, S. 96 ff. Zum sog. „Senatsprinzip" vgl. Schmidt, DÖV 1973, 469 (471 f.). 169 Wiedergegeben bei: Große-Sender, Kommissionsbericht, Teil 1, S. 227 f. Der Empfehlung gingen ähnlich lautende Entschließungen vom 2.6.1986 (abgedr. bei: Hrbek/Thaysen, Dok. 19, S. 282) und vom 4.11.1986 (abgedr. bei: Hrbek/Thaysen, Dok. 21, S. 287 ff.) voraus, vgl. Haas, DÖV 1988, 613 (620, Fußn. 48). Die Problematik ist seit den 60er und 70er Jahren bereits Gegenstand der Diskussionen gewesen: Abgesehen von der „Enquête-Kommission Verfassungsreform", vgl. BT-Drs. 7/5924, S. 123 ff., sind in diesem Zusammenhang zu erwähnen: Die Entschließung der Landtagspräsidenten vom 14.1.1983 zum Thema „Standortbestimmung und Perspektiven der Landesparlamente", ZParl 14 (1983), S. 357 ff., sowie die Tätigkeit der 1983 von den Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU, SPD und F.D.P. des Landtages Rheinland-Pfalz eingesetzten interfraktionellen Arbeitsgruppe „Kompetenzen der Landtage". Die sog. „Martin-Kommission" hat 1984 ihre Ergebnisse vorgelegt, wonach eine umfassende Änderung der Art. 72 ff. GG im Sinne einer Beschränkung der Gesetzgebungskompetenzen des Bundes zugunsten der Länder vorgeschlagen wurde, eine Verlängerung der Fristen für die Stellungnahme des Bundesrates nach Art. 76 GG, eine Änderung des Art. 80 GG dahingehend, daß die Länder statt zu einer Regelung durch Rechts Verordnung auch zu einer Regelung durch Gesetz ermächtigt sein sollten, sowie eine Ergänzung der Art. 24 und 32 GG jeweils um das Zustimmungserfordernis durch den Bundesrat. Der Bericht ist wiedergegeben bei: Große-Sender, Kommissionsbericht, Teil 1, S. 221 ff. Viele dieser Vorschläge sind mittlerweile umgesetzt worden, vor allem durch das 42. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 27.10.94, BGBl. I S. 3146. Zu Ursachen der „Entparlamentarisierung" und weiteren Reformvorschlägen vgl. auch: Erichsen, Jura 1986, 337 ff.; Martin, ZParl 1984, S. 278 ff.; Schmidt, DÖV 1973, 469 (471 ff.), m.w.N. 170

S. 227 f.

Siehe zum genauen Wortlaut: Große-Sender, Kommissionsbericht, Teil 1,

58

Teil 1 : Die Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern

schenstaatliche Einrichtungen geht. In die gleiche Richtung zielte ein Vorschlag der vom Landtag NW eingesetzten Kommission „Erhaltung und Fortentwicklung der bundesstaatlichen Ordnung innerhalb der Bundesrepublik Deutschland - auch in einem Vereinten Europa" („Ziegler-Kommission"). Angesichts der Erfahrungen der Parlamentarier, daß die föderativen Belange der Länder durch den Bundesrat nicht immer so wahrgenommen würden, „wie das fur die Landesparlamente wünschenswert wäre" 171 , sollte der Bundesrat bei Beschlüssen, die die Veränderung von Gesetzgebungskompetenzen der Länder betreffen, zusätzlich auch mit Abgeordneten der Landesparlamente besetzt werden 172 . Den Forderungen der Landtage und der Landtagspräsidenten ist jedoch weitgehend das Gehör versagt geblieben, nicht zuletzt aufgrund des Widerstandes der Landesregierungen 173. Die jeweiligen Landesregierungen beriefen sich gegenüber ihren Landesparlamenten auf die gleichen Erwägungsgründe, die die Bundesregierung gegen eine stärkere Beteiligung der Länder und des Bundesrates einzuwenden pflegte 174 . Bei der Neuregelung der Art. 23 und 50 GG haben weder die „Gemeinsame Verfassungskommission" (GVK) noch die vom Bundesrat eingesetzte „Kommission Verfassungsreform" die Vorschläge zur Einbeziehung der Landesparlamente aufgegriffen. Vielmehr haben sie sich lediglich für eine Intensivierung der Ländermitwirkung durch den Bundesrat ausgespro-

171 Bezeichnend Große-Sender, Kommissionsbericht, Teil 2, S. 64, mit Bezug auf Teil 1,S. 265: „Die Ausweitung der Bundeskompetenzen durch Verfassungsänderung und durch die extensive Inanspruchnahme der übertragenen Gesetzgebungskompetenzen wäre ohne die Zustimmung und bereitwillige Mitwirkung des Bundesrates nicht möglich gewesen. Aber diese Zustimmung wurde den Landesregierungen auch wesentlich erleichtert durch den Umstand, daß der Bundesrat als Organ der bundespolitischen Willensbildung an der Ausübung von Bundeskompetenzen um so stärker beteiligt wurde, je mehr sich diese ausweiteten." 172 Art. 51 Abs. 4 GG sollte wie folgt gefaßt werden: „Beschließt der Bundesrat über Veränderungen der Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern, so treten für jedes Land so viele Abgeordnete der Landesparlamente hinzu, wie die Stimmenzahl des Landes beträgt. Diese Abgeordneten werden von den Landesparlamenten, aus denen sie entsandt werden, nach den Grundsätzen des Verhältniswahlrechts gewählt. Sie haben volles Stimmrecht und sind an keine Weisungen gebunden.", vgl. Große-Sender, Kommissionsbericht, Teil 2, S. 66. 173 Auf der 67. Konferenz der Präsidenten der deutschen Landtage am 19.11.1990 in München hatten diese vom Bund gefordert, an den Beratungen der Gemeinsamen Verfassungskommission beteiligt zu werden. Der Bundestag hatte dies einmütig abgelehnt, u.a. mit der Begründung, daß der Bundesrat selbst im Hinblick auf die von ihm gebildete Verfassungskommission wie auch für die GVK die Beteiligung der Landtage abgelehnt hatte, vgl. Bericht der GVK, S. 26. 174 Zur Position der Landesregierungen vgl. Borchmann, DÖV 1988, 623 (628 f.); siehe auch Müller-Brandeck- Βocquet, DV 1996, 143 (153 f.).

IV. Sonstige Formen der Mitwirkung

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chen 175 . In der Entschließung der Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Landesparlamente zu den Vereinbarungen von Maastricht vom 11.5.1992 haben die Parlamentarier, abgesehen von einer „rechtzeitigen Beteiligung der Landesparlamente", ebenfalls nur noch die Stärkung der Position des Bundesrates gefordert 176. Entsprechend haben die Landtage bei ihrer Anhörung vor der GVK nur diese Position vertreten, zusammen mit dem erwähnten Änderungsvorschlag des Art. 51 Abs. 4 GG 1 7 7 . Die Entwicklung für die Landtage scheint damit allgemein in eine Richtung zu weisen, bei der sich die Aufgabenbereiche der Landtage mehr und mehr von der gesetzgebenden Tätigkeit auf die Legitimation und Kontrolle von Regierung und Staatsapparat reduziert 178 . Der Bundesrat mit den in ihm vertretenen Regierungen hingegen konnte im Verhältnis zu den Landesparlamenten einen stetigen Machtzuwachs verzeichnen - ein Phänomen, welches auch unter dem Stichwort „Exekutiv-" oder „Verwaltungsföderalismus" beschrieben wird 1 7 9 und seine Ursachen nicht nur im Fortschreiten der europäischen Integration findet, sondern auch mit der oben erwähnten Verlagerung der Gesetzgebungskompetenzen auf den Bund und den Verflechtungen des kooperativen Föderalismus zusammenhängt 180 . Der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen hat allerdings inzwischen einer Unterrichtungs- und Begründungspflicht, wenn auch in abgeschwächter Form, grundsätzlich zugestimmt181. In den meisten Bundesländern

175 Die Gemeinsame Verfassungskommission hat bei ihren Beratungen keinen Anlaß gesehen, die derzeitig gegebene Verfassungsstruktur der Ländermitwirkung im Bund in Frage zu stellen, sondern hat nur Vorschläge zur Umgestaltung der Gesetzgebungskompetenz und zur Verbesserung des Verfahrens gemacht, vgl. Bericht der GVK, 2. Kapitel „Bund und Länder", S. 60 ff. Die vom Bundesrat eingesetzte Kommission Verfassungsreform hat sich in ihrem Bericht ebenfalls nur für die Stärkung der Mitwirkung des Bundesrates ausgesprochen, siehe BR-Drs. 360/92, S. 3 ff., 27 ff. und 53 ff. Weitere Vorschläge zur Intensivierung der Mitwirkung der Landtage am europäischen Einigungsprozeß aus neuerer Zeit finden sich dagegen bei Friebe, S. 23 ff. 176 Abgedr. bei: Friebe, S. 151 ff. 177 So Friebe, die ehemalige Präsidentin des Landtags NW, Stenographischer Bericht der 5. Sitzung der GVK vom 7.5.1992, S. 2 (3 ff.). 178 So die Ergebnisse von Große-Sender, Kommissionsbericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Teil 1, S. 81 ff., m.w.N. 179 Vgl. Glotz/Faber, in: Benda/Maihofer/Vogel, HdbVerfR, § 28 Rdnr. 60 ff.; Haas, DÖV 1988, 613 ff. u. 620 ff., m.w.N. Zu dieser Entwicklung auch: Schmidt, DÖV 1973, 469 ff. 180 Zur Entwicklung der Situation der Landesparlamente, vgl. Große-Sender, Kommissionsbericht, Teil 1, S. 65 ff. u. 78 ff. 181 Siehe das Schreiben des Ministerpräsidenten von NW vom 18.1.1989, abgedr. bei: Große-Sender, Kommissionsbericht, Teil 1, Anhang 5. Mit Schreiben vom 20.11.1991, abgedr. bei: Friebe, S. 132 f., hat der Ministerpräsident NW eine demgegenüber noch etwas erweiterte Information des Landtages zugesagt.

60

Teil 1 : Die Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern

bestehen ebenfalls informelle Abmachungen und Verfahren über die Information der Landtage182. Darüber hinaus sind in allen Landtagen mittlerweile besondere Ausschüsse oder Gremien gebildet worden, die sich speziell mit den Fragen der Europäischen Gemeinschaft befassen 183. Diese informellen Absprachen zwischen den Landesregierungen und den Landtagen erreichen nicht den Umfang und Grad der von den Landtagen befürworteten Bindungswirkung und bleiben auch im Hinblick auf die Umsetzung in der Praxis weit hinter das von den Landtagen geforderte Ausmaß zurück 184 . Im übrigen wäre jedoch die These der befürchteten „massiven Gewichtsverschiebung" zu Lasten der Landesparlamente und zugunsten der Exekutive 185 in dieser Form zu pauschal, da sie zu einseitig auf die Gesetzgebungstätigkeit abstellt und die tatsächlich bestehenden Einflußmöglichkeiten der Landesparlamente außer acht läßt 186 .

V. Die neueren Entwicklungen bis zur Verabschiedung des Art. 23 GG 1. Mängel des Bundesratsverfahrens nach Art. 2 EEAG a) Die Umsetzung von Art. 2 EEAG in der Praxis Der Bundesrat verzeichnete aufgrund des neuen Verfahrens etwa 10000 Eingänge an Dokumenten der Europäischen Gemeinschaft pro Jahr 187 . Die Stellungnahmen des Bundesrates nach Art. 2 Abs. 3 EEAG, die zwischen 1987 und 1989 vom Bundesrat oder von der neu gebildeten Kammer für Vorlagen der Europäischen Gemeinschaft 188 abgegeben worden sind, hatten vor allem die Berei-

182 Vgl. auch die Darstellung bei : Hölscheidt, DÖV 1993, 593 (596 ff.). Zur Situation in Brandenburg: Neßler, LKV 1995, 12 ff. 183 Friebe, S. 57 u. 118 ff. 184 Große-Sender, Kommissionsbericht, Teil 2, S. 68; Müller, M , DÖV 1993, 103. 185 Herdegen, EuGRZ, 92, 589 (594). 186 Vgl. Ockermann/Glende, S. 32 ff. Zur Entwicklung der Gesetzgebungstätigkeit der Landtage siehe auch noch weiter unten, Teil 3, Kap. II. 3., insbesondere zu Fußn. 71 aufS. 173. 187 Vgl. Gerber, in: Staatsrechtliche Auswirkungen, 77 (130 ff.); sowie Oschatz, in: Die Subsidiarität Europas, S. 41 (49). 188 Die erste Sitzung der Kammer fand am 14.9.1988 statt. In der 11. Wahlperiode wurden 16 Vorlagen von der EG-Kammer behandelt, in der 12. Wahlperiode waren es 24. Diese vergleichsweise geringe Anzahl besagt allerdings nichts über die Bedeutung der EG-Kammer bzw. der „Europakammer" (so die neue Bezeichnung, vgl. § 45b GOBR i.d.F. der Bek. v. 26.11.1993, BGBl. I S. 3736), denn sie wird bestimmungsgemäß nur in Ausnahmefallen tätig, vgl. Erfahrungsbericht 1990, S. 16.

V. Die neueren Entwicklungen bis zur Verabschiedung des Art. 23 GG

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che Bildungs- und Kulturpolitik zum Gegenstand189. Nach den Erfahrungen der Länder bis zum Jahre 1990 war die Bundesregierung im allgemeinen bemüht, die Stellungnahmen des Bundesrates bei den Verhandlungen zu berücksichtigen 190 . Das neue Beteiligungsverfahren schien jeden denkbaren Strang des offiziellen Daten- und Informationsflusses zu erfassen, so daß die Länder offenbar zu Anfang im großen und ganzen zufrieden gewesen sind 191 . Die Kooperation mit der Bundesregierung wurde als gut und die erzielten Ergebnisse wurden als befriedigend bezeichnet192.

b) Nachteile des Verfahrens Die Tatsache, daß die Länder dennoch in der Folgezeit weitere Forderungen nach einer intensiveren Beteiligung an den Bund richteten, beruhte im wesentlichen auf folgenden Ursachen: Auch das Bundesratsverfahren vermochte keinen wirksamen Schutz gegen den Verlust von ausschließlichen Gesetzgebungskompetenzen der Länder zu bieten. Die mit Billigung des Europäischen Gerichtshofs vorgenommene dynamische Ausschöpfung der Rechtsetzungskompetenzen des EWG-V wirkte sich naturgemäß zu Lasten der Mitgliedstaaten aus. Innerstaatlich traf diese Entwicklung die Länder im Verhältnis zum Bund in besonders harter Weise 193 . So beklagten die Länder eine förmliche „Regelungswut" auf EG-Ebene, auf der in den Jahren 1986 bis 1990 allein 1205 Verordnungen beschlossen wurden; fur die Länder, die innerstaatlich zum Vollzug verpflichtet waren, brachten darüber 189 Eine Übersicht enthält der „Erfahrungsbericht der Bevollmächtigten der Länder beim Bund vom 15.5.1990" in den Anlagen 5 und 6: Danach hat der Bundesrat zwischen 1987 und 1989 insgesamt zu 35 EG-Vorlagen, die ausschließliche Gesetzgebungsmaterien der Länder betrafen, eine Stellungnahme abgegeben. Es handelte sich überwiegend um Vorlagen aus den Bereichen Bildungs- und Kulturpolitik (19), Forschungs- und Technologiepolitik (2), Freizügigkeit von Personen (1), Öffentliches Auftragswesen (4), Strukturpolitik (2), Umwelt- und Naturschutz (1), Sozialpolitik und Arbeitsschutz (3). In 45 Fällen erfolgte eine Stellungnahme des Bundesrates zu EG-Vorhaben, die in besonderem Maße wesentliche Länderinteressen betrafen: Es handelte sich hauptsächlich um Vorhaben verschiedensten Inhalts aus dem Bereichen Forschungsund Technologiepolitik (11), Freizügigkeit von Personen (3), Haushalts und Finanzpolitik (5), Strukturpolitik (6), Umwelt- und Naturschutz (5), Sozialpolitik und Arbeitsschutz (7) und Verbraucherschutz (3). Insgesamt hat der Bundesrat zwischen 1987 und 1989 zu 311 Vorlagen eine Stellungnahme abgegeben, vgl. Erfahrungsbericht 1990, S. 18. 190 Gerber; in: Staatsrechtliche Auswirkungen, 77 (130 ff.). Erleichternd kam aber hinzu, daß die Stellungnahmen des Bundesrates nur selten grundsätzlich von der Position der Bundesregierung abwichen, Erfahrungsbericht 1990, S. 19. 191 Busch, S. 186 f. 192 Erfahrungsbericht 1990, S. 19; Oschatz/Risse, DÖV 1995, 437 (441). 193 Vgl. bereits oben, Kap. III, Fußn. 82 und 83.

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Teil 1 : Die Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern

hinaus viele dieser Verordnungen einen erheblichen Verwaltungsaufwand mit sich 194 . Mit dem Modus der Mehrheitsentscheidung im Bundesrat war außerdem der Nachteil verbunden, daß die Länder ihre Belange stets nur einheitlich artikulieren konnten. Die Geltendmachung einzelner Länderbelange war den Ländern nur auf informellem Wege möglich, wie durch die Informations- und Länderbüros oder durch sonstige informelle Direktkontakte zu den Organen der Europäischen Gemeinschaft. Der Bund konnte sich des weiteren mit dem Bundesrat zum Nachteil einzelner Länder einigen 195 . Schließlich offenbarten sich in der Praxis neben technischen und organisatorischen Schwierigkeiten auf Seiten des Bundesrates noch weitere Schwächen, die im vorhinein nicht ohne weiteres abzusehen waren 196 . Bemängelt wurde vor allem, daß der Bundesrat zwar alle offiziellen, der Bundesregierung zugeleiteten Dokumente erhalte, nicht aber die bereits vorhandenen inoffiziellen Dokumente der Kommission und des Rates, sowie die sog. „Non-Papers". Gerade auf der Basis dieser inoffiziellen Dokumente, die aufgrund der Dauer des internen Verwaltungsverfahrens des Rates und der Kommission bei den Verhandlungen oft nur in französischer und englischer Sprache vorliegen, wird in der Praxis nicht selten verhandelt 197. Auch auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft manifestierten sich durch die neuen Regeln Unzulänglichkeiten und Nachteile: Die Ländervertreter durften zwar an den Verhandlungen teilnehmen, besaßen aber kein Mitspracherecht und verfügten somit über keine Möglichkeiten, Einwände im Lauf der Verhandlungen zur Geltung zu bringen. Einwände, die nach der Verhandlung erhobenen werden, können meist nicht mehr berücksichtigt werden. Eine personelle Beteiligung der Länder auf der Ebene des „Ausschusses der Ständigen Vertreter" (AStV) 1 9 8 war darüber hinaus überhaupt nicht vorgesehen. Gerade auf dieser Verhandlungsebene erfolgte die politische Vorklärung der meisten Fragen. Obwohl der AStV nach Art. 151 EGV nur unterstützende Funktion hat, ist er de facto weitgehend zum Entscheidungsorgan geworden, da in der Entscheidungspraxis des Rats die meisten Beschlüsse ohne Aussprache als sog. „APunkte" gefaßt werden, wenn bereits auf der Ebene der AStV und der Kommis-

194

Aus: Friebe, S. 36. Darauf weist Benz hin, in: Ende des Föderalismus, 195 (198). 196 Diese betrafen den inneren technischen Verfahrensablauf des Bundesrates, vgl. hierzu die Verbesserungsvorschläge des Erfahrungsberichts 1990 zum organisatorischen und zum technischen Ablauf der Beteiligung, Abschnitte II. bis VIII. 197 Bisweilen müssen in den nationalen Ministerien auch Dokumente in anderen Amtssprachen der EG ausgewertet werden, um bei den Beratungen „am Ball" zu bleiben. Die Bundesregierung ist seit langem bemüht, Deutsch als gleichgewichtige Arbeitssprache neben dem Französischen und Englischen zu etablieren, welche in der Praxis eindeutig dominieren, vgl. Schweitzer/Hummer, Europarecht, Rdnr. 142. 195

198

Vgl. oben, Kap. III, Fußn. 116.

V. Die neueren Entwicklungen bis zur Verabschiedung des Art. 23 GG

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sion eine Einigung erzielt worden ist 199 . Nach den Erfahrungen des Bundesrates entstanden gerade auf dieser Ebene die „unabweisbaren außen- und integrationspolitischen Gründe", die zu einem Abweichen der Bundesregierung von einer Stellungnahme des Bundesrates führten 200 . Befürchtet wurde des weiteren, daß eine Festlegung der Bundesregierung durch den Bundesrat nach Art. 2 Abs. 3 EEAG auf eine starre Ausgangsposition dazu führen könnte, daß die Bundesregierung ihre Kompromißfähigkeit verlöre und dementsprechend keine Vorteile, Abschwächungen oder sonstige Verbesserungen für die Länder mehr aushandeln könnte 201 . Zwischen 1987 und 1989 wich die Bundesregierung in insgesamt vier Fällen 202 bei Vorlagen, die den Bereich der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder betrafen, von der Stellungnahme des Bundesrates ab: bei der Hochschuldiplomrichtlinie 203, der Rahmen- und Durchführungsverordnung zur Reform der Strukturfonds 204, der Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Bildungsminister zur Gesundheitserziehung in Schulen205 und bei der Fernsehrichtlinie 206. In allen Fällen begründete die Bundesregierung ihre Zustimmung zu dem EG-Vorhaben und ihr Abweichen von der Stellungnahme des Bundesrates damit, daß ohne ihre Zustimmung bestimmte Teilerfolge im Interesse der Länder nicht hätten erzielt werden können 207 .

2. Insbesondere: Der Streit um die Rundfunkrichtlinie Um einen wichtigen Fall, der für die Länder quasi die „Nagelprobe" des Bundesratsverfahrens nach Art. 2 EEAG bildete, ging es beim Streit um die Rundfunkrichtlinie. Dem Streit lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Kommission plante die Errichtung eines gemeinsamen Marktes für den Rundfunk und legte am 29.4.1986 einen „Vorschlag einer Richtlinie des Rates über die Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitglied-

199

GTE-Harnier, Art. 151 Rdnr. 6. Die übrigen Beschlußvorlagen (etwa 1/3 aller Vorlagen) werden „B-Punkte" genannt. 200 Böhm, BayVBl 1993, 545 (551); Erfahrungsbericht 1990, S. 22. 201 Vgl. Benz, Ende des Föderalismus, 195 (198). 202 Vgl. Fußn. 190. 203 BR-Drs. 546/87. 204 BR-Drs. 367/87 und 395/88. 205 BR-Drs. 509/88. 206 BR-Drs. 259/86. 207 Vgl. Gerber, in: Staatsrechtliche Auswirkungen, 77 (130 ff.).

64

Teil 1 : Die Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern

Staaten über die Ausübung der Rundfunktätigkeit" vor 208 . Der Richtlinienvorschlag, den die Kommission auf Art. 59 Abs. 2 EWG-V und 66 EWG-V (Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit) stützte, enthielt neben Regelungen zur Vereinheitlichung von Rechtsvorschriften über die freie grenzüberschreitende Verbreitung von Rundfunksendungen und ihren freien Empfang auch Regelungen über Programm- und Produktionsquoten für europäische Fernsehproduktionen, einschließlich Regelungen zur Werbung, Sponsoring, Minderjährigenschutz und Urheberrecht 209. Die Länder lehnten den Richtlinienvorschlag von Anfang an als nicht hinnehmbaren Eingriff in den Kernbereich ihrer Rundfunkhoheit ab 210 . Die Bundesregierung beschloß am 8.3.1989, dem Richtlinienvorschlag der Kommission zuzustimmen, für den sie auch, mit Ausnahme der Quotenregelung fur europäische Produktionen, eine Kompetenz in den Art. 59 ff. EWGV begründet sah. Bei einer befriedigenden Gesamtlösung in der Sache und der Maßgabe, daß die Quotenregelung nur als politische Zielvorstellung formuliert würde, kündigte die Bundesregierung dem Bundesrat ihre Zustimmung im Rat an 211 . Die hiergegen von der Bayerischen Staatsregierung beim Bundesverfassungsgericht beantragte einstweilige Anordnung nach § 32 BVerfGG, gerichtet auf die Feststellung, daß der Kabinettbeschluß die Rechte des Landes Bayern aus Art. 30 GG verletzt habe, und auf die Verpflichtung der Bundesregierung, den Beschluß einstweilen nicht zu vollziehen, lehnte das Bundesverfassungsgericht aufgrund einer Folgenabwägung ab 212 . In der Folge konnte die Bundesregierung in den Verhandlungen noch einige Abschwächungen und Verbesserungen zugunsten der Länder erreichen 213. Mit dem Vorschlag einer Streichung oder zumindest einer Klarstellung der Unverbindlichkeit der Quotenregelung hat sie sich jedoch

208 Dok. KOM (86) 146 endg., geänd. mit Dok. KOM (88) 154; ABl. EG Nr. C 179/4 v. 17.7.1986. Vgl. das entsprechende „Grünbuch" der Kommission, Dok. K O M (84) 300 endg. 209 Nach Art. 5 der Richtlinie (ABl. EG Nr. L 298/23 v. 17.10.1989, ber. ABl. EG Nr. L 331/51 v. 16.10.1989) haben die Mitgliedstaaten im Rahmen des praktisch Durchführbaren und mit angemessenen Mitteln dafür Sorge zu tragen, daß die Fernsehveranstalter mindestens 10 v.H. ihrer Sendezeit, die nicht aus Nachrichten, Sportberichten, Spielshows oder Werbe- und Videotextleistungen besteht, oder alternativ nach Wahl des Mitgliedstaats 10 v.H. ihrer Haushaltsmittel für die Programmgestaltung der Sendung europäischer Werke i.S.d. Art. 6 der Richtlinie vorbehalten. 210 Vgl. Nr. 1 und 7 des Beschlusses der Ministerpräsidentenkonferenz vom 1.3.10.1986 in Hamburg, wiedergegeben im Urteil der BVerfGE 92, 203 (208 f.); Stellungnahme des Bundesrates nach Art. 2 Abs. 2 EEAG, BR-Drs. 259/86; Pechstein, DÖV 1991,535 (539). 211 Die Begründung der Bundesregierung vom 8. März 1989 ist wiedergegeben im Urteil des BVerfGE 92, 203 (211 f.). 212 BVerfGE 80, 74 (79 ff.). 213 Vgl. die Tatbestandsschilderung der Hauptsacheentscheidung des BVerfGE 92, 203 (212 ff.).

V. Die neueren Entwicklungen bis zur Verabschiedung des Art. 23 GG

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im Kreis der Mitgliedstaaten nicht durchsetzen können. Vielmehr ist nur eine abschwächende Protokollerklärung erreicht worden, die an der Verbindlichkeit der Richtlinie nichts zu ändern vermochte. Schließlich stimmte die Bundesregierung am 13.4.1989 im Rat der Richtlinie zu. In der rund sechs Jahre später erfolgten Hauptsacheentscheidung hat das Bundesverfassungsgericht zwar den angegriffenen Beschluß der Bundesregierung vom 8.3.1989 gebilligt, da aufgrund des frühen Verhandlungsstadiums hierin noch keine Verletzung oder unmittelbare Gefährdung von Rechten der Länder gesehen werden konnte 214 . Die Bundesregierung dürfe auch trotz gegenläufiger Rechtsauffassung des Bundesrates und ungeachtet der Voraussetzungen des zu der Zeit anwendbaren Art. 2 Abs. 3 Satz 2 EEAG vom Rechtsstandpunkt des Bundesrates abweichen, wenn sie sich fur ihre Rechtsauffassung auf eine gefestigte Vertragsauslegung des Europäischen Gerichtshofs berufen könne 215 . Im Hinblick auf die Gemeinschaftskompetenz zu der umstrittenen Quotierungsregelung habe die Bundesregierung jedoch durch die weitere Art der Wahrnehmung ihrer Mitgliedschaftsrechte die Rechte der Länder dadurch verletzt, daß sie sich in der Folge nicht konsequent genug gegen die betreffende Regelung eingesetzt habe 216 . Abschwächungen oder Verbesserungen im Sinne der Länder nach der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung seien insoweit keine ausreichende Rechtfertigung. Vielmehr habe die Bundesregierung „sich mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln fur ein kompetenzmäßiges Verhalten der EWG-Organe einzusetzen und ihren Rechtsstandpunkt hierbei unmißverständlich zu vertreten..." 217. Der entscheidende Unterschied in dieser Entscheidung gegenüber der Argumentation in der Eilentscheidung lag hierin begründet, daß auch die Bundesregierung selbst von einer Kompetenzüberschreitung der Europäischen Gemeinschaft in der Frage der Quotenregelung ausging. Die Bundesregierung wich insoweit von der gemeinsamen Auffassung von Bund und Ländern ab. Zur Frage der innerstaatlichen Geltung der Richtlinie im Hinblick auf die Regelung über die Quotierung hat sich das Gericht hingegen trotz einer vielversprechenden Andeutung in der Eilentscheidung218 nicht geäußert, da es die dahingehenden Feststellungs- und Hilfsanträge mangels angreifbarer „Maßnahme" i.S.d.

214

BVerfGE 92, 203 (238 ff., 243). BVerfG E 92, 203 (237 f.). 216 BVerfGE 92, 203 (243 ff.). 217 BVerfGE 92, 203 (237). 218 Das Gericht meinte, daß die Bindung eines Landes an das sekundäre Gemeinschaftsrecht im Fall der Verletzung einer verfassungsrechtlichen Position nur „teilweise und vorläufig" gegeben sei, vgl. BVerfGE 80, S. 74 (81). 215

5 Halfmann

66

Teil 1 : Die Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern

Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG i.V.m. §§ 64, 69 BVerfGG als unzulässig angesehen hat 219 . Die Länder, die das Verfahren aus grundsätzlichen Erwägungen angestrengt hatten, konnten sich mit ihrer Auffassung, daß die Bundesregierung bereits bei den Verhandlungen nicht gegen den Willen des Bundesrates stimmen dürfe, nicht durchsetzen, sondern obsiegten letztlich in einem Nebenpunkt, nämlich in der Frage der Quotierung. Insoweit dürften ihre Erwartungen also enttäuscht worden sein 220 . Nach den Erfahrungen mit der EG-Rundfunkrichtlinie mußten die Länder zu der Schlußfolgerung gelangen, daß ihre Einflußmöglichkeiten auf die Bundesregierung und die europäische Normsetzung in den fur die Länder sensiblen Bereichen unzureichend waren. Das Bundesverfassungsgericht war offenbar nicht gewillt, in das Abstimmungsverhalten der Bundesregierung im Rat bei bestehenden Meinungsverschiedenheiten zwischen Bund und Ländern per einstweiliger Anordnung einzugreifen, sondern gewährte nur nachträglichen Rechtsschutz. In einer weiteren Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht, die etwa einen Monat später erging und der ebenfalls ein Antrag, das Abstimmungsverhalten des deutschen Ratsvertreters zu beeinflussen, zugrunde lag, nämlich im Fall der Richtlinie zur Etikettierung von Tabakerzeugnissen, bestätigte sich die zurückhaltende Linie des Bundesverfassungsgerichts. Das Gericht hat diese Verfassungsbeschwerde mangels unmittelbarer Beschwer der Antragstellerin zurückgewiesen 221. Es kann davon ausgegangen werden, daß die Erfahrungen der Länder in dem Streit um die Rundfunkrichtlinie maßgeblich ihre weitere Position zur Frage der Erweiterung ihrer Mitwirkungsbefugnisse beeinflußt haben. Insbesondere dieser Streit veranlaßte die Länder, im Zusammenhang mit dem Gestaltungsauftrag des Art. 5 EV 2 2 2 und der Ratifizierung des Maastricht-Vertrages Nachbesserungen im Hinblick auf ihre Mitwirkung in An-

219

BVerfGE 92, 203 (236 f.). Vgl. Dörr, JuS 1995, 1030 (1031 f.), m.w.N. Dies sollte nicht die einzige Enttäuschung bleiben: Am gleichen Tag, an dem das Urteil des BVerfG in der Hauptsache zur Rundfunkrichtlinie erging, nämlich am 22.3. 1995, hat die Kommission mit Zustimmung des Deutschen Kommissars, Martin Bangemann, eine Verschärfung der Quotenregelung empfohlen, so Dörr, JuS 1995, 1030 (1032). Immerhin hat die Bundesregierung in der Folge mehrfach die Verhandlungsfuhrung gem. Art. 23 Abs. 6 GG i.V.m. § 6 Abs. 2 EUZBLG übertragen. 221 BVerfG, Beschluß v. 12.5.1989, EuGRZ 1989, S. 339 f. Kritisch zur Begründung des BVerfG, das Abstimmungsverhalten der Bundesregierung im Rat stelle noch keinen mit der Verfassungsbeschwerde angreifbaren Hoheitsakt mit Außenwirkung dar, Scholz, NJW 1990, 941 (946). 222 Nach Art. 5 EV empfahlen die Regierungen der beiden Vertragsparteien den gesetzgebenden Körperschaften des vereinten Deutschlands, sich innerhalb von zwei Jahren mit den in Zusammenhang mit der deutschen Einigung aufgeworfenen Fragen zur Änderung oder Ergänzung des Grundgesetzes zu befassen, vgl. den Wortlaut des EV v. 31.8.1990, BGBl 1990 II, S. 889. 220

V. Die neueren Entwicklungen bis zur Verabschiedung des Art. 23 GG

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gelegenheiten der Europäischen Gemeinschaft zu fordern und eine verfassungsrechtliche Verankerung ihrer Rechte einzufordern 223.

3. Der Vertrag von Maastricht a) Die Position der Länder in den Beratungen Die Diskussionen um die geplante Wirtschafts- und Währungsunion haben für die Länder und Regionen Anlaß geboten, die Problematik einer künftigen föderalen Struktur der EWG bzw. der Europäischen Union verstärkt zu überdenken. Insbesondere die europäische Regierungskonferenz zum Thema „Politische Union" am 14.12.1990 hat bereits im Vorfeld die Diskussion um die Rolle der Regionen in der künftigen Europäische Union neu entfacht 224. Es war abzusehen, daß die Politische Union und die Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion im Gegensatz zur EEA weitergehende Kompetenzverschiebungen an die Europäischen Gemeinschaft sowohl zu Lasten des Bundes als auch der Länder mit sich bringen würde 225 . Die Entwürfe des EUV beinhalteten eine Erweiterung der EG-Kompetenzen, u.a. in den Bereichen Umweltschutz, Bildung 226 , Kultur 227 , Medien 228 , Gesundheit229 und Verbraucherschutz 230. Die politischen Beurteilungen über die Bedeutung des EUV hielten sich die Waage: Zum Teil wurde der EUV bei näherer Betrachtung des Vertragsinhaltes als „kleiner Schritt" eingestuft 231, zum Teil aber auch als „qualitativer" oder „gro-

223

BR-Drs. 703/89 und 920/90. Petersen, DÖV 1991, S. 278. Die Position der deutschen Landtage zu den erwarteten Veränderungen ist dargestellt bei: Friebe, S. 76 ff. Einen Überblick über die durch den EUV eingeführten Neuerungen bieten: Klein., E/Haratsck, DÖV 1993, S. 785 ff., und DÖV 1994, S. 133 ff.; Oppermann/Classen, NJW 1993, 5 ff.; Sedemund/Montag, NJW 1994, S. 625 ff.; Simson/Schwarze, in: Benda/Mai hofer/Vogel, HdbVerfR, § 4 Rdnr. 91 ff. Zur Entwicklung des EUV vgl. auch Everling, CMLR 1992, 1053 ff. 225 Eine Bewertung der mit dem Vertrag von Maastricht eintretenden Änderungen, die für aus Sicht der Länder relevant waren, findet sich bei: Blanke, DÖV 1993, 412 (414 ff.); Pernice , DVBl. 1993, 909 (912 ff.). 226 Art. 126, 127 EGV. 227 Art. 128 EGV. 228 Art. 128 EGV, insbes. Abs. 2 letzter Spiegelstrich: „... künstlerisches und literarisches Schaffen, einschließlich im audiovisuellen Bereich." 229 Art. 129 EGV. 230 Art. 129a EGV. 231 Magiera, Jura 1994, 1 (6 f.); Everling, DVBl. 1993, 936 (940): „Etappe auf dem langen Weg der Integration". 224

68

Teil 1 : Die Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern

ßer Sprung" 2 3 2 . Allerdings konnte und kann die Europäische Union selbst noch nicht als „Bundesstaat" qualifiziert werden 2 3 3 . Denn der Annahme eines Bundesstaates steht zum einen die volle Souveränität der Mitgliedstaaten entgegen sowie zum anderen, daß die Europäische Union selbst noch keinen Staatencharakter aufweist 2 3 4 . Davon abgesehen fehlt es im E U V - i m Gegensatz zu den anderen Gemeinschaftsverträgen 235 - an einer ausdrücklichen Bestimmung über die Rechtsfähigkeit der Europäischen Union, der derzeit weder eine eigene Völkerrechtssubjektivität noch eine innerstaatliche Rechtspersönlichkeit zugesprochen werden kann 2 3 6 . Dies gilt auch nach den moderaten institutionellen Änderungen, die im Zuge des Vertrages von Amsterdam

hinzugekommen

sind 2 3 7 . Die Europäische Union stellt bislang lediglich eine „Koordinierungsplattform für intergouvernementales Zusammenwirken" 2 3 8 dar, wenn auch mit der Option einer sich schrittweise vertiefenden Vergemeinschaftung 2 3 9 . V o n einem Bundesstaat ist sie hingegen noch weit entfernt 2 4 0 . Weniger als die i m Vertragstext unmittelbar vorgenommenen Kompetenzerweiterungen dürften die im

232

Herdegen, EuGRZ 1992, 589; Jahn, DVB1. 1994, 177 (178); Ossenbühl, DVB1. 1993, 629 (629 f.); Ress, JuS 1992, 985 (991): mit der EU sei der „point of no return" nahezu erreicht; Scholz, NJW 1992, 2593 (2594); dersin: Arbeitspapiere zur Internationalen Politik, Nr. 71 (1992), 19 (21), und NVwZ 1993, 817 (818); Die Gemeinsame Verfassungskommission ging ebenfalls von einem qualitativen Sprung aus, vgl. Bericht der GVK, S. 40 (Begründung zu Art. 23 Abs. 1 Satz 1). A.A.: Oppermann/Classen, NJW 1993,5 (11). 233 So die ganz h.M.: vgl. Badura, EuR 1994, Beiheft 1, 9 (10 ff.); Blanke, DÖV 1993, 412 (421 ff.); Everling, DVB1. 1993, 936 (938, 941); GGK-Rojahn, Art. 23 Rdnr. 8; Lecheler, in: Verfassungsrecht im Wandel, 383 (393); Steinberger, VVDStRL Bd. 50 (1991), 9 (\6 ff.). Die Beurteilungen des Stadiums der Staatlichkeit der Europäischen Union gehen weit auseinander: BVerfGE 89, 155, (156, 181, 184, 188 ff.): „Europäischer Staatenverbund"; Häberle, EuGRZ 1992, 429 (435): „Tendenz zu einer Vorform des Bundesstaates"; Ipsen, EuR 1994, 1 (8): „Staatengemeinschaft"; Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. VI, § 183 Rdnr. 54: „Entwicklung zu einem Staatenverbund"; Lenz, in: FS fur Helmrich, S. 269: „Staatenverein"; Oppermann, Europarecht, Rdnr. 45: „parastaatliche Superstruktur"; Rupp, NJW 1993, 38 (40): „Quasi-Staat"; vgl. auch Doehring, ZRP 1993, 98 ff. A . A W o l f JZ 1993, 594 (597 f.): Die Gründung der Europäischen Union sei der endgültige Übergang in den europäischen Bundesstaat. 234 Streinz, ZfRV 1995, 1 (4 ff); BVerfGE 89, 155 (195): „Staatenverbund"; Di Fabio, Der Staat 32 (1993), 191 (197): „Prästaatlichkeit". 235 Vgl. Art. 210, 211 EGV, Art. 185 EAG-V, Art. 6 Abs. 3 EGKS-V. 236 Vgl. GGK-Rojahn, Art. 23 Rdnr. 9; Streinz, ZfRV 1995, 1 (4 ff); a.A.: Magiern, Jura 1994, 1 (6), Ress, JuS 1992, 985 (986). 237 Karpenstein, DVB1. 1998, 942 (945). 238 Streinz, ZfRV 1995, 1 (13). 239 Ein dahingehender Impetus ist in verschiedenen Vertragsbestimmungen angelegt, vgl. Art. K.9, Art. Ν Abs. 2, Art. A Abs. 2, Art. Β 2. und 5. Spiegelstr. EUV. 240 Näher läge allenfalls die Annahme einer Staatlichkeit der Europäischen Gemeinschaft. Aber auch diese Annahme scheitert am Fehlen der für jeden Staat notwendigen Konstituenten, Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt bei der EG; überzeugend: Oppermann, in: Der Staatenverbund der EU, 87 (90 ff).

V. Die neueren Entwicklungen bis zur Verabschiedung des Art. 23 GG

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E U V angelegte Dynamik und die Finalität der Kompetenzvorschriften den Ländern Sorge bereitet haben. So richtig es ist, daß die bloße Tatsache einer Kompetenzzuweisung an die Europäische Gemeinschaft für sich betrachtet nichts darüber aussagt, auf welche Weise die Gemeinschaft von der Kompetenz Gebrauch machen w i r d 2 4 1 , so muß doch konstatiert werden, daß fur kaum ein Sachgebiet von vornherein ausgeschlossen werden kann, daß es dem Z u g r i f f des europäischen Gemeinschaftsrechts unterliegt 2 4 2 . In einer Reihe von Standortfestlegungen der Länder und des Bundesrates vor den Verhandlungen 2 4 3 forderten die Länder für die weitere Einigung Europas unter anderem ein strenges Subsidiaritätsprinzip 2 4 4 , einen föderalen, an bundesstaatlichen Regeln orientierten Ausbau der Europäischen Gemeinschaft 2 4 5 , d.h. einen dreistufigen A u f b a u 2 4 6 , sowie die Sicherung ihrer Bildungs-, Kultur und Rundfunkhoheit 2 4 7 . In mehreren nachfolgenden Beschlüssen, die begleitend zu den Verhandlungen über den Ausbau der Politischen Union und die Wirtschafts- und Währungsunion gefaßt wurden, kristallisierten sich die konkreten

241 Di Fabio , Der Staat 32 (1993), 191 (196), Epiney, EuR 1994, 301 (303); Zuleeg, DVBl. 1992, 1329 (1336), der daraufhinweist, daß die Rolle des Gesetzgebers in der EG den im Rat vertretenen Mitgliedstaaten obliege und daß sich Appelle zur Zurückhaltung bei der Ausübung von EG-Kompetenzen dementsprechend primär an die Mitgliedstaaten richten müßten. Dies trifft zwar zu, vernachlässigt aber die Dynamik eines zusammengesetzten Gremiums, das Mehrheitsentscheidungen treffen kann. Die Möglichkeiten jedes einzelnen Mitgliedstaates, die Richtung zu beeinflussen, sind in dem Rahmen entsprechend geringer. 242 Di Fabio , Der Staat 32 (1993), 191 (196); Epiney, EuR 1994, 301 (302); Steinberger, VVDStRL Bd. 50 (1991), 9 (20); Zuleeg, DVBl. 1992, 1329 (1335). Demgegenüber hat das BVerfG in seiner Maastricht-Entscheidung den Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung hervorgehoben, der gebiete, daß die Auslegung des EGV nicht im Ergebnis einer Vertragserweiterung gleichkommen dürfe, BVerfGE 89, 155 (210). 243 Vgl. hierzu die Übersicht bei Petersen, DÖV 1991, S. 278 ff., sowie die Sammlung der entsprechenden Dokumente bei: Bauer, J., Europa der Regionen, 2. Aufl., Berlin 1992. Grundlegend war in diesem Zusammenhang der Beschluß der Ministerpräsidentenkonferenz vom 21. bis 23. Oktober in München („10 Münchener Thesen zur Europapolitik"), abgedr. bei Bauer, Dokument 1, S. 13 ff. 244 Bauer, Dokument 1, S. 13 ff., These Nr. 2: Tätigwerden auf der Gemeinschaftsebene nur bei einer „unabweisbaren Notwendigkeit". 245 Bauer, Dokument 1, S. 13 ff., These Nr. 3. 246 Insbesondere Großbritannien hat sich (erfolgreich) gegen jedwede Aufnahme einer Formulierung wie „Föderalismus" „föderal" u.a. gesperrt, vor allem, weil „federal" im Englischen mit der Vorstellung einer zentralistischen Staatsstruktur nach dem Vorbild der USA verbunden ist, vgl. R. Morgan, The British view of „federalism", in: Föderalismus in Deutschland und Europa, Hrsg.: Jörg-Dieter Gauger und Klaus Weigelt, Köln 1993, S. 82 ff. Siehe auch: Blanke, DÖV 1993, 412 (414); Jachtenfuchs, EA 1992, 279 ff.; Kalbßeisch-Kottsieper, DÖV 1993, 541 (542); Koopmanns, CMLR 1992, 1047 ff.; Möschel, JZ 1992, 877 (881); Neisser, JB1. 1994, 713 (718). Allgemein zu den traditionellen britischen Vorbehalten: v. Simson, in: Vom Binnenmarkt zur EU, S. 35 ff. 247 Bauer, Dokument 1, S. 13 ff., Thesen Nr. 4 und 5.

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Teil 1 : Die Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern

Positionen der Länder heraus, die in zweierlei Richtungen zielten 248 : zum einen auf die Verbesserung ihrer Mitwirkung an den Entscheidungsprozessen auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft („Mitwirkungsföderalismus") und zum anderen auf die Wahrung der substanziellen Eigenstaatlichkeit der Länder („Substanzföderalismus") 249. Die Länder stellten sich jedoch nicht grundsätzlich gegen eine fortschreitende europäische Einigung, sondern begrüßten diese sogar ausdrücklich 250. Auch den sich abzeichnenden weiteren Kompetenzübertragungen auf die Europäische Gemeinschaft widersetzten sich die Länder nicht. Nach ihrem Selbstverständnis wollten die deutschen Länder vielmehr eine aktive Rolle einnehmen und „Motoren der europäischen Entwicklung" sein 251 .

b) Die Ergebnisse: Der Vertrag von Maastricht Die Länder waren an den Beratungen der beiden Regierungskonferenzen zur Politischen Union und zur Wirtschafts- und Währungsunion im Dezember 1990 intensiv beteiligt: Der Bund hatte zugestimmt, zu beiden Konferenzen je zwei Ländervertreter in die Deutsche Delegation aufzunehmen 252. Auch an den Ressortbesprechungen der Bundesregierung zur Festlegung der deutschen Verhandlungsposition haben Vertreter der Länder teilgenommen253. Die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern im Hinblick auf die Verfahrensbeteiligung wurde insgesamt als recht gut bezeichnet254.

248 Vgl. den Bericht der Arbeitsgruppe „Europa der Regionen" vom 22.5. 1990, die Entschließungen des Bundesrates vom 6.4.1990 (BR-Drs. 198/90), 13.6.1990 (BR-Drs. 220/90), 24.8.1990 (BR-Drs. 550/90) und vom 9.11.1990 (BR-Drs. 780/90) sowie die Beschlüsse der Regierungschefs der Länder vom 7.6.1990 und der Ministerpräsidentenkonferenz vom 17./19.10.1990; alle abgedr. bei Bauer, a.a.O. 249 Borchmann, ThürVBl. 1994, S. 8 (12). Vgl. auch Ossenbühl, DVB1. 89, 1230, (1237), der insoweit die Wendungen „Beteiligungsföderalismus" und „Kompetenzföderalismus" verwendet. 250 Vgl. die in Fußn. 248 zuvor erwähnten Beschlüsse. 251 Entschließung des Bundesrates zum föderativen Aufbau Europas im Rahmen der Politischen Union vom 9.11.1990, (BR-Drs. 780/90 Beschl); abgedr. bei: Bauer, Dokument 11, dort S. 115. 252 Borchmann, ThürVBl. 1994, 8 (12); Kalbfleisch-Kottsieper, DÖV 1993, 541 (544 ff.). Während der Schlußrunde der EG-Regierungskonferenzen in Maastricht, blieben die Ländervertreter allerdings außen vor, Kalbfleisch-Kottsieper, ebd., S. 546. Im übrigen hat Deutschland insoweit keine Sonderrolle gespielt, auch die belgische Delegation bestand aus Vertretern der flämischen und wallonischen Gemeinschaft, vgl. Borchmann, EA 1991, 340 (345). 253 Nach Borchmann haben sich das ganze Jahr 1991 über Vertreter aller Länder wöchentlich in Bonn getroffen, um die Länderposition zum jeweiligen Verhandlungsstand zu erarbeiten, vgl. ders., in: ThürVBl. 1994, 8 (12). 254 Borchmann, ThürVBl. 1994, 8 (12); Kalbfleisch-Kottsieper, DÖV 1993, 541 (545), spricht von einem „kooperativen Miteinander".

V. Die neueren Entwicklungen bis zur Verabschiedung des Art. 23 GG

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Die Erfolgsbilanz der Länder bei den Verhandlungen um die zukünftige Ausgestaltung der Europäischen Union mutet allerdings eher dürftig an: Der in den Art. 198a bis cEGV neu eingerichtete „Ausschuß der Regionen" muß in bestimmten Fällen vor Erlaß eines Rechtsaktes gehört werden, bleibt aber hinsichtlich seiner Einflußmöglichkeiten hinter den Forderungen der Länder zu" rück 255 . Der neugefaßte Art. 146 EGV erlaubt hingegen nach seinem Wortlaut auch die Entsendung eines Vertreters jedes Mitgliedstaates auf Ministerebene, der befugt ist, für den Mitgliedstaat verbindlich zu handeln256. Die Forderung, auch den Untergliederungen der Mitgliedstaaten ein eigenes Klagerecht vor dem Europäischen Gerichtshof einzuräumen, wurde weder von der Bundesregierung aufgegriffen noch auf der Regierungskonferenz auch nur ernsthaft erörtert 257 . Zwar gelang es den Ländern, in Art. 3b EGV ein Subsidiaritäts- und ein Verhältnismäßigkeitsprinzip zu verankern, allerdings nicht in der geforderten Strenge 258. Daran hat sich auch durch die Neufassung des Subsidiaritätsprinzips durch den Vertrag von Amsterdam nicht viel geändert 259. Darüber hinaus ist jegliche Erwähnung der mitgliedstaatlichen Untergliederungen vermieden worden, so daß bei der Prüfung der Voraussetzungen des Art. 3b EGV nur auf die Mitgliedstaaten selbst abzustellen ist sowie auf das Verhältnis der Europäi-

255

Borchmann, EuZW 1994, S. 449. Zu den Befugnissen des Ausschusses der Regionen: Benz, VerwA Bd. 84 (1993), 328 (334 ff.); Hoppe/Schulz, Die deutschen Länder in Europa, S. 26 ff. Probleme ergeben sich auf deutscher Seite vor allem im Zusammenhang mit der Besetzung dieses Gremiums nach § 14 EUZBLG. Vor allem die in Satz 2 vorgeschriebene Benennung von drei Vertretern der kommunalen Spitzenverbände sowie die in der Praxis vorkommende Benennung von Landtagsabgeordneten erscheint problematisch. Diese Frage kann hier nicht näher vertieft werden. Vgl. näher hierzu: Dästner, NWVB1. 1994, 1 (6 ff.). 256 Die Änderung ging auf Initiative Belgiens zurück - die Bundesregierung hatte insoweit jegliche Konzessionen abgelehnt; Borchmann , E A 1991, 340 (344); KleffnerRiedel, BayVBl. 1995, 104 (105), m.w.N. 257 Borchmann, ThürVBl. 1994, 8 (12). Vgl. statt dessen jetzt die Regelung des § 7 EUZBLG; hierzu: Mulert, S. 209 ff.; Schede, S. 182 ff. 258 Vgl. hierzu Böhm, BayVBl 1993, 545 (548 ff.). 259 Vgl. Art. 5 EGV i.d.F. des Vertrages von Amsterdam. Die Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten haben es ungeachtet der Neuregelung für erforderlich gehalten, die Neufassung mit einer ausführlichen „amtlichen Kommentierung" zu versehen. Diese ist nun als „Protokollerklärung über die Anwendung und Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit" dem Vertragstext beigefügt und somit völkerrechtlich verbindlich, vgl. Art. 239 EGV (Art. 311 EGV n.F.), vgl. hierzu Kenntner, NJW 1998, S. 2871 ff. Damit nicht genug: Das Protokoll selbst wird wiederum durch eine „Erklärung zum Protokoll über die Anwendung und Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit" ergänzt, die ebenfalls Bestandteil des EGV darstellt und rechtsverbindlich ist - „difficile est satiram non scribere!". Zur Problematik der Protokolle, die dem Vertragswerk des EUV inhaltlich geradezu zuwiderlaufen, vgl. auch Curtin, CMLR 1993, 17 (44 ff.). Kritisch zum Subsidiaritätsprinzip allgemein: Pescatore, in FS für Everling, 1071 (1072 ff).

72

Teil 1 : Die Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern

sehen Gemeinschaft zu den Mitgliedstaaten, nicht aber auf die Länder 260 . Das Verständnis des Subsidiaritätsprinzips aus Sicht der Länder, welches einen dreistufigen Aufbau der Europäischen Gemeinschaft impliziert, hat demnach nirgends Niederschlag in dem EG-Vertrag finden können 261 . Aus Sicht des EGV sind die deutschen Bundesländer nichts anderes als die in den anderen Mitgliedstaaten auch vorhandenen Regionen262. An dem Status der „Landesblindheit" 263 der Europäischen Gemeinschaft hat sich damit insoweit nichts geändert, als es um die Beibehaltung des zweistufigen Aufbaus der Europäischen Union geht. Ansonsten ist der Begriff der „Landesblindheit" aber nicht sehr treffend. Die Europäische Gemeinschaft nimmt die selbständigen Untergliederungen der Mitgliedstaaten sehr wohl zur Kenntnis 264 . Auch berücksichtigen die Organe der Europäischen Gemeinschaft deren Existenz bei ihrem Vorgehen. Eine solche Pflicht zur Berücksichtigung läßt sich bereits dem Art. 5 EGV entnehmen265. Der EGV selbst will im Hinblick auf den Föderalismus keine Aussagen oder Regelungen über die Binnenstruktur in den Mitgliedstaaten treffen 266 . Die Erfolglosigkeit der Länder, einen dreistufigen Aufbau in den Gemeinschaftsverträgen zu verankern, wird verständlich, wenn man sich vor Augen fuhrt, daß föderale Strukturen, die vergleichbar dem deutschen Staatsaufbau wären, in den anderen Mitgliedstaaten bis auf Österreich nicht existieren 267: Die Länder Belgien, Italien, Spanien kennen zwar Regionen und, wie im Falle Österreichs, sogar „Bundesländer" mit einem gewissen Grad 260 Badura, in: FS für Lerche, 369 (383); Graf Stauffenberg/Langenfeld, ZRP 1992, 252 (256); Huber, P.M., in: Verfassungsrecht im Wandel, 349 (368). Ansätze einer Erweiterung finden sich nunmehr in einer von der Regierungskonferenz „zur Kenntnis genommene" Erklärung Deutschlands, Österreichs und Belgiens zur Subsidiarität, die als Schlußakte dem Vertrag von Amsterdam beigefügt worden ist, vgl. BR-Drs. 784/97, S. 72 (Erklärung Nr. 3). 261 Borchmann, EA 1991, 340 (341 f.); Schweitzer, ZG 1992, 128 (145). 262 Rudolf, in: FS für Schlochauer, S. 117 (119); ders., in: FS für Partsch, S. 357. 263 Nach H P. Ipsen, in: FS für Hallstein, S. 248 (256). Einige Regelungen des EGV beziehen sich in sachlicher Hinsicht oder nach ihrem Adressaten aber auf die Gebietskörperschaften der Mitgliedstaaten, wie z.B. Art. 68 Abs. 3, Art. 82, 130r Abs. 3, 2. und 4. Spiegelstrich, Art. 146 oder 198a EGV; vgl. auch Epiney, EuR 1994, 301 (304 ff.); Grabitz, EuR 1987, 310 (311); v. Welch, S. 23. 264 So auch Benz, VerwA Bd. 84 (1993), 328 (329); siehe nunmehr Art. 146 EGV, 198a EGV sowie Art. F Abs. 1 EUV. 265 Hierzu Epiney, EuR 1994, 301 (310 ff); vgl. auch: Dröll, S. 25 f.; Hailbronner, JZ 1990, 149 (152 f.); Ipsen, in: FS für Dürig, 159 (177). Ablehnend einer solchen Rechtspflicht demgegenüber: Graf Vitzthum, AöR 115 (1990), 281 (287); Ress, EuGRZ 1986, 549 (551). Kritisch auch Blanke, Föderalismus und Integrationsgewalt, S. 376, 391. 266 Epiney, EuR 1994, 301 (305). 267 Epiney, EuR 1994, 301 (308); Möschel, JZ 1992, 877 (881), spricht angesichts dieser Tatsache von einer „überaus kühnen" Forderung der Länder; vgl. zum ganzen auch Wiedmann, AöR 117 (1992), 46 (48 ff).

V. Die neueren Entwicklungen bis zur Verabschiedung des Art. 23 GG

73

eigener Kompetenzen. Die föderal strukturierten Länder der Europäischen Gemeinschaft weisen aber im einzelnen große Verschiedenheiten auf 268 . Selbst eine „maßvolle" Einbeziehung der innerstaatlichen Untergliederungen hätte außerdem kaum abschätzbare institutionelle Probleme nach sich gezogen und den ohnehin schon diffizilen Entscheidungsprozeß der Europäischen Gemeinschaft belastet. Die anderen Mitgliedstaaten waren keinesfalls bereit, dies zu akzeptieren 269 . Den Ländern gelang es bis zum heutigen Tage lediglich in einer Erklärung, die dem Vertrag von Amsterdam vom 2.10.1997 als Schlußakte beigefugt ist, darauf hinzuweisen, daß die Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft gemäß dem Subsidiaritätsprinzip auch die Gebietskörperschaften der Mitgliedstaaten betreffen, soweit diese nach nationalem Recht eigene Gesetzgebungsbefugnisse besitzen270. Im Gegensatz zu anderen Erklärungen, die die Regierungskonferenz „angenommen" hat, ist letztere Erklärung von der Konferenz aber lediglich „zur Kenntnis genommen" worden. Über eine „Kenntnisnahme" ihrer Existenz hinaus und damit einer „Achtungspflicht", die ohnehin dem geltenden Recht entsprach, haben die Länder keine Änderungen erreichen können 271 . Die Länder waren trotz gewisser Teilerfolge nicht zufrieden mit den Ergebnissen der „Maastricht"-Verhandlungen und konzentrierten fortan ihr Bemühen um eine Kompensation der weiteren Kompetenzverluste auf das innerstaatliche Ratifikationsverfahren 272. Ähnlich wie zuvor schon bei der Ratifikation der EEA machten die Länder die Zustimmung des Bundesrates zur Umsetzung des Maastricht· Vertrages davon abhängig, innerstaatlich einen zufriedenstellenden Aus-

268 Der Regionalismus in den romanistischen Ländern ist z.B. vor dem Hintergrund einer zentralistischen Staatsauffassung zu begreifen, die eine Aufspaltung der Staatsgewalt zwischen Zentralstaat und Gliedstaat nicht zuläßt. Zur Lage in Frankreich: Maier, JöR Bd. 35 (1986), 47 ff. Spanien: Montoro Chiner , in: Bundesländer und EG, S. 165 ff.; Wiedmann,, ZaöRV 1997, 363 ff.; Italien: Pocar, in: Bundesländer und EG, S. 151 ff. Einen allgemeinen Überblick über die Verfassungsstrukturen anderer EG-Mitgliedstaaten bieten: Battis et. al., Europäische Integration und nationales Verfassungsrecht, Baden-Baden, 1995; Rudolf, in: FS für Schlochauer, S. 117 ff. (bis 1981); Ossenbühl, Föderalismus und Regionalismus in Europa, Baden-Baden 1990; Schweizerisches Institut für Rechtsvergleichung, Staatsrechtliche Auswirkungen, S. 1 ff. (bis 1991); Wiedmann,, AöR 117 (1992), 46 (48 ff.). Zu den Regionalparlamenten in Belgien, Spanien und Italien vgl. Friebe, S. 58 ff. Ausführlich zur Lage in Deutschland und den drei letztgenannten Ländern: Blanke, Föderalismus und Integrationsgewalt, S. 39 ff. 269 So sind die Länder auch mit ihrer Forderung gescheitert, das Wort „föderativ" im Vertrag von Maastricht unterzubringen, vgl. Oschatz/Risse, DÖV 1995, 437 (438), sowie Fußn. 246. Bereits 1988 hat der damalige Kommissionspräsident Jacques Delors bei einem Treffen mit den Ministerpräsidenten der Länder verdeutlicht, daß die europäische Vorstellung von „Subsidiarität" in erster Linie pragmatisch und ergebnisorientiert ist, und nicht in einer gesicherten Kompetenzabgrenzung besteht, vgl. Fechtner/Hannes, ZParl 1993, 132 (134 f.). 270 BR-Drs. 784/97, S. 72 (Erklärung Nr. 3). 271 Schmitt Glaeser, Grundgesetz und Europarecht, S. 229 ff. 272 Borchmann, ThürVBl. 1994, 8 (13), sowie ders., in: VwR 1994, 149 (150).

74

Teil 1 : Die Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern

gleich für die Kompetenzverluste zu erhalten 273. Die Zustimmungsbedürftigkeit zu dem Vertrag von Maastricht ergab sich direkt aus dem neuen, bereits vor der Ratifizierung verabschiedeten Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG, der die Übertragung von Hoheitsrechten an die Zustimmung des Bundesrates knüpft. Zwischen dem Bund und den Ländern war aufgrund der Ergebnisse der Beratungen der Gemeinsamen Verfassungskommission zuvor bereits Einigkeit darüber erzielt worden, daß eine Grundgesetzänderung zur Ratifizierung erforderlich war und Art. 23 GG neu gefaßt werden sollte 274 .

c) Die innerstaatliche

Umsetzung und der neue Artikel 23 GG

Der neue Art. 23 GG beruht ganz wesentlich auf den Vorschlägen der Gemeinsamen Verfassungskommission (im folgenden mit „ G V K " abgekürzt), die ihre Existenz der Wiedervereinigung Deutschlands verdankte. Die Finanzierung der Kosten der deutschen Einheit, einschließlich der Finanzlastverteilung, sowie die politisch beabsichtigte Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse im gesamten Bundesgebiet ließen einen weiteren „Zentralisierungsschub" in Richtung des Bundes erwarten, der allein über die notwendigen Möglichkeiten und Mittel verfügte, um die mit der Wiedervereinigung verbundenen Aufgaben zu bewältigen 275 . Die Klärung der einigungsbedingten Fragen sollte gemäß Art. 5 E V 2 7 6 von einer Verfassungsreform und einer grundlegenden Neuordnung des Föderalismus begleitet werden. Zum Zweck der Erarbeitung von Vorschlägen für die Grundgesetzrevision wurde eine Gemeinsame Verfassungskommission des

273 Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetzentwurf des Ratifikationsgesetzes, BT-Drs. 12/3334, S. 116, Nr. 5; Borchmann, ThürVBl. 1994, 8(13). 274 Die Frage, ob eine Grundgesetzänderung zur Ratifizierung des EUV erforderlich war, war zweifelhaft, wurde aber mehrheitlich bejaht: Die Gemeinsame Verfassungskommission ging davon aus, daß der bisherige Art. 24 Abs. 1 GG fur die Ratifizierung des Vertrages von Maastricht nicht ausreichte, vgl. Scholz, NJW 1992, 2593 (2594), ders., N V w Z 1993, 817 (818 f.); ders., NJW 1993, 1690 (1691); ebenso (im Hinblick auf Art. 8b EUV und Art. 28 GG): Herdegen, EuGRZ, 92, 589 (592 f.); Klein, E./Haratsch, DÖV 1993, 785 (788); Schwarze, JZ 1993, 585 (587); Simson/Schwarze, Europäische Integration, S. 55 ff., dies., in: Benda/Maihofer/Vogel, HdbVerfR, § 4 Rdnr. 120 ff. Verneinend demgegenüber: Magiera, Jura 1994, 1 (7); Oppermann/Classen, NJW 1993, 5 (11), (Verfassungsänderung sei aber im Hinblick auf Art. 28 GG geboten). 275 Große-Sender, Kommissionsbericht, Teil 2, S. 13 ff. (17). 276 Siehe Fußn. 222. Vgl. auch den Beschluß der Ministerpräsidenten zu „Eckpunkten der Länder für die bundesstaatliche Ordnung im vereinigten Deutschland vom 5.7. 1990, in: ZParl 1990, S. 461 ff.

V. Die neueren Entwicklungen bis zur Verabschiedung des Art. 23 GG

75

Bundes und der Länder eingesetzt, die über die anstehenden Grundgesetzänderungen beraten sollte 2 7 7 . Die G V K setzte sich aus jeweils 32 Mitgliedern des Bundestages und des Bundesrates zusammen, die zum einen vom Bundestag gewählt, zum anderen von den Landesregierungen entsandt wurden 2 7 8 . Die G V K hat sich am 16. Januar 1992 konstituiert und die Verfassungsfragen, die sich i m Zusammenhang mit dem „Maastricht-Vertrag" und der Mitgliedschaft Deutschlands in der Europäischen Union stellten, wegen der zeitlichen Vorgaben im Maastricht-Vertrag - Art. R Abs. 2 E U V sah als Datum für das Inkrafttreten den 1. Januar 1993 vor - bei ihren Beratungen vorgezogen 2 7 9 . Die mit der europäischen Einigung verbunden Verfassungsfragen bildeten auch den eigentlichen Kernpunkt der Beratungen der Gemeinsamen Verfassungskommission. Wenngleich eine Reihe von Vorschlägen i m weiteren Verlauf durch Verfassungsänderung umgesetzt worden sind, namentlich i m Bereich der Gesetzgebungskompetenzen und des Gesetzgebungsverfahrens 280 , gelangte die G V K im wesentlichen nur in den Fragen Föderalismus und Europa zu markanten Ergebnissen 281 .

277

Die Tätigkeit der GVK hat eine große Aufmerksamkeit in der Literatur gefunden, vgl.: Benz, DÖV 1993, S. 881 ff.; Busch, in: Aus Politik und Zeitgeschichte Β 52-53/93, S. 7 ff.; Evers, in: Der Souverän auf der Nebenbühne, S. 50 ff.; Fischer, ZParl 1993, S. 33 ff.; Guggenberger, in: Der Souverän auf der Nebenbühne, S. 14 ff.; Hofmann, Hans, N V w Z 1995, S. 134 ff.; Jahn, DVBl. 1994, S.177 ff.; Kloepfer, Verfassungsänderung statt Verfassungsreform, Berlin 1995; Meier, Der Souverän auf der Nebenbühne, S. 33 f f ; Roth, in: Der Souverän auf der Nebenbühne, S. 39 ff.; Rubel, JA 1992, S. 265 ff., JA 1993, S. 12 ff. und S. 269 ff.; Sannwald, ZParl 1994, S. 15 ff.; Schmalenbach, S. 22 ff.; Scholz, NJW 1992, S. 2593 ff.; ders., in: Aus Politik und Zeitgeschichte Β 52-53/93, S. 3 ff.; Voscherau, in: Aus Politik und Zeitgeschichte Β 52-53/93, S. 5 ff. Zuvor hatte der Bundesrat mit Beschluß vom 1.3.1991 bereits eine „Kommission Verfassungsreform" eingesetzt, BR-Drs. 360/92. 278 Zustimmend zur Besetzung der GVK: Scholz, in: Aus Politik und Zeitgeschichte Β 52-53/93, S. 3. Kritisch: Benz, DÖV 1993, 881 (883 ff.); Meier, in: Der Souverän auf der Nebenbühne, 33 (35); Roth, in: Der Souverän auf der Nebenbühne, S. 39 ff. Nach Mahrenholz, zit. bei Meier, stellte die GVK eine „Fehlkonstruktion" dar, die nur aus Berufspolitikern bestehe, denen die Distanz zum Alltag fehle. Jedenfalls erwies sich die Besetzung mit den Ministerpräsidenten der Länder als Fehler, da diese so gut wie gar nicht an den Sitzungen teilnahmen, vgl. Starck, in: FS für Helmrich, 289 (299). 279 Die GVK sollte gemäß den Einsetzungsbeschlüssen ihren Bericht bis zum 31.3.1993 vorlegen, was sich jedoch als nicht realisierbar erwies, vgl. BT-Drs. 12/1590 und 12/1670, BR-Drs. 741/91. Der Bericht wurde schließlich am 28.10.1993 in der letzten Sitzung der GVK beschlossen. Die GVK hat sich in ihren Sitzungen am 13.2., 12.3., 22.5., 4.6., 26.6.1992 und 15.10.92 mit der Thematik „Grundgesetz und Europa" befaßt. Der Formulierungsvorschlag für den künftigen Art. 23 GG wurde dabei mit großer Mehrheit verabschiedet (59:1, bei 3 Enthaltungen), vgl. Scholz, NJW 1992, 2593 (2594).

76

Teil 1 : Die Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern

Die konkrete Zusammensetzung der GVK setzte dem Gremium von vornherein Grenzen im Hinblick auf seine Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit und prägte in besonderer Weise die Ergebnisse seiner Arbeit 282 . Strukturell konnte die GVK als Parlamentsausschuß bezeichnet werden, der die pouvoirs constitués verkörperte und der aufgrund seiner Zusammensetzung die Sicht der Parteifraktionen und der Länderexekutiven widerspiegeln mußte 283 . Nicht zu Unrecht wurde der Vorwurf erhoben, daß die GVK den zuvor genannten Entscheidungsarenen de facto nachgeordnet gewesen sei 284 ; sie war „Fleisch vom Fleische des Allparteienbundesstaats" 285. Die Funktion der beteiligten Bundesressorts, die normalerweise die Hauptinitiatoren von Gesetzesvorhaben sind, reduzierte sich auf eine intensive Zuarbeit 286 . Der politische und zeitliche Zwang zur Einigung und die Entscheidungsstrukturen der GVK begünstigten eine Entscheidungsfindung im Wege des Tauschgeschäfts und der Paketlösung, was sich letztlich in der von der GVK vorgeschlagenen und von Bundestag und Bundesrat später nahezu unverändert verabschiedeten Fassung des Art. 23 GG niederschlagen sollte 287 . Die Bundesländer haben dabei aufgrund ihrer einzigartigen

280 Insbesondere durch das 42. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27.10.94, BGBl. I S. 3146. Zu den Änderungen des Gesetzgebungsverfahrens: Hofmann, Hans, NVwZ 1995, S. 134 ff.; vgl. auch v. Stetten, in: FS für Helmrich, 303 (305 ff.). 281 Kritisch mit Blick auf den Auftrag des Art. 5 EV deshalb: Evers, in: Der Souverän auf der Nebenbühne, 50 (51 ff.); Kloepfer, S. 148 ff. Lhotta, ZParl 1998, 159 (161 ff.), kritisiert ebenfalls die selbstauferlegte Verengung der Aufgabenstellung der GVK. 282 Kritisch insoweit: Lhotta, ZParl 1998, 159 (168 ff.); Müller-Brandeck-Bocquet, DV 1996, 143 (147). Zum Vergleich: Die 1. Enquête-Kommission Verfassungsreform aus dem Jahre 1976 bestand aus 21 Mitgliedern: 7 Mitgliedern des Deutschen Bundestages, 7 von der Länderseite benannten Persönlichkeiten und sieben Sachverständigen. Die weitgefächerte personelle Zusammensetzung sollte die verschiedenen Strömungen, Überlegungen und Aspekte für eine Reform des Grundgesetzes berücksichtigen. Parallel zur Enquête-Kommission des Bundestages wurde von den Ländern eine aus Vertretern der Landesparlamente und der Länderregierungen bestehende Länderkommission Verfassungsreform gebildet, die z.T. personell mit der Enquête-Kommission des Bundestages verzahnt war und die der Kommission des Bundestages unterstützend zur Seite stand, vgl. BT-Drs. 7/5924 S. 1 ff. 283 Vgl. Benz, DÖV 1993, 881 (883 ff.); Evers, Fußn. 277, S.54; Voscherau, in: Aus Politik und Zeitgeschichte Β 52-53/93, 5 (6). Kritisch auch Lhotta,, ZParl 1998, 159

(166). 284

Benz, DÖV 1993, 881 (883). Dafür, daß die Verhandlungen einen vorhersehbaren Gang nehmen sollten, spricht die permanente Abwesenheit der Ministerpräsidenten der Länder, vgl. Starck, in: FS für Helmrich, 289 (299 f.). 285 Eckertz, in: FS für Böckenförde, 13 (26). 286 Klatt, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1998, 45 (55). 287 Benz, DÖV 1993, 881 (888); Scholz, NJW 1992, 2593 (2595), hebt hervor, daß Art. 23 das Ergebnis eines „vielfältigen gegenseitigen Nachgebens" gewesen sei.

V. Die neueren Entwicklungen bis zur Verabschiedung des Art. 23 GG

77

politischen Machtposition das Gros ihrer Forderungen im Hinblick auf die innerstaatliche Mitwirkung an den Entscheidungsprozessen der Europäischen Union durchsetzen können 288 .

288 Benz, DÖV 1993, 881 (888). Schwarze, JZ 1993, 585 (590), unter Berufung auf W. Hennis : Die Länder hätten ihren Trumpf „bis zum äußersten" ausgereizt.

2. Teil

Artikel 23 GG - Inhalt und Anwendungsbereich I. Überblick Art. 23 GG beschreibt zunächst in Absatz 1 die wesentlichen Voraussetzungen einer Mitwirkung Deutschlands bei der Verwirklichung eines Vereinten Europas: Satz 1 schreibt als Staatsziel die Mitwirkung der Bundesrepublik Deutschland an einer Europäischen Union und an ihrer Entwicklung fest und konkretisiert damit die Entscheidung des Grundgesetzes für die „internationale Offenheit" 1. Außerdem wird mit Hilfe einer „Struktursicherungsklausel" geregelt, welche Strukturen die Bundesrepublik Deutschland in einer Europäischen Union anstrebt2. Das politische Gestaltungsermessen der Bundesorgane im Rahmen ihrer Mitwirkung an einer Europäischen Union wird damit einem Maßgabevorbehalt unterworfen 3. Satz 2 enthält die Ermächtigung für den Bund, Hoheitsrechte zu übertragen, und Satz 3 regelt durch den Verweis auf Art. 79 Abs. 2 und 3 GG die hierfür geltenden formellen und materiellen Rahmenbedingungen. Die Bedeutung und der juristische Gehalt des Art. 23 Abs. 1 GG sind bereits Gegenstand intensiver Auseinandersetzungen in der Literatur gewesen und werden daher im folgenden nur soweit erörtert, als dies für die BundLänder-Zusammenarbeit nach den Absätzen 2 bis 6 erforderlich ist4. Die Zusammenarbeit der Bundesorgane Bundestag, Bundesregierung und Bundesrat in den Angelegenheiten der Europäischen Union ist in den Absätzen 2 bis 7 eingehend geregelt worden. Absatz 2 beschreibt zunächst den Kreis der 1 GGK-Rojahn, Art. 23 Rdnr. 3; MΌ-Scholz, Art. 23 Rdnr. 36 ff. Die Entscheidung des Grundgesetzes für die „internationale Offenheit" ist nirgends im GG ausdrücklich erwähnt, kann aber der Präambel und den Art. 1 Abs. 2, 9 Abs. 2, Art. 23, 24, 25 und 26 GG entnommen werden, Tomuschat, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. VII, § 172 Rdnr. 3 ff. 2 M D -Scholz, Art. 23 Rdnr. 54 ff. Kritisch zu diesem Begriff: GGK-Rojahn, Rdnr. 17, nach dem die Betonung zu einseitig auf der schrankensetzenden Funktion liege· 3 Breuer, N V w Z 1994, 417 (421); GGK-Rojahn, Art. 23 Rdnr. 17; SGK-Streinz, Art. 23 Rdnr. 16, m.w.N. Zur näheren Funktion dieser Klausel vgl. die Begründung des Regierungsentwurfes BR-Drs. 501/92, S. 4 ff., 11 ff., sowie den Bericht der GVK, S. 40 ff. 4 Vgl. nur die Kommentierungen bei: M D-Scholz, Art. 23 Rdnr. 36 ff., M D -Randelzhofer, Art. 24 Rdnr. 201 ff; GGK-Rojahn, Art. 23 a.E.; SGK -Streinz, Art. 23 Rdnr. 8 ff.

II. Die Mitwirkung des Bundesrates nach Art. 23 Abs. 2 S. 1 GG

79

mitwirkungsberechtigten Organe und die Informationspflicht der Bundesregierung. Absatz 3 konkretisiert sodann die Beteiligung des Bundestages, wohingegen die Absätze 4 bis 6 in einer Stufenfolge die Beteiligungsrechte des Bundesrates regeln. Art. 23 Absatz 7 sowie Absatz 3 S. 2 GG verweisen schließlich zur Ausgestaltung der näheren Einzelheiten auf eine einfachgesetzliche Regelung5.

II. Die Mitwirkung des Bundesrates nach Art. 23 Abs. 2 S. 1 GG Art. 23 Absatz 2 Satz 1 enthält zunächst die wichtige Grundentscheidung, daß in Angelegenheiten der Europäischen Union sowohl der Bundestag als auch die Länder durch den Bundesrat mitwirken. Folgende Aussagen verdienen festgehalten zu werden:

1. Die verfassungsrechtliche Grundentscheidung für das Bundesratsprinzip Nach Art. 23 Abs. 2 S. 1 GG erfolgt die Mitwirkung der Länder durch den Bundesrat. Mit anderen Worten: Die Beteiligung der Länder findet in der seit dem EEAG bekannten Form des Bundesratsprinzips statt, das nunmehr auf eine verfassungsrechtliche Grundlage gestellt worden ist. Den vereinzelt in der Vergangenheit geäußerten Vorschlägen der Einfuhrung eines Senatsprinzips, in welcher Form auch immer, ist während der Beratungen der GVK eine klare Absage erteilt worden 6. Ein Vorschlag der Landtage, daß die Landesregierungen bei ihrer Stimmabgabe im Bundesrat an die Stellungnahme der Landesparlamente gebunden werden sollten, soweit Hoheitsrechte der Länder auf den Bund oder zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen würden 7, ist bei den Mitgliedern der GVK letztlich aus praktischen wie aus systematischen Gründen nicht

5 Vgl. die hierzu ergangenen Gesetze und Vorschriften, die in der Einleitung, Fußn. 4, aufgezählt sind. 6 Vgl. auch Dästner, NWVB1. 1994, 1 (2, 5). 7 So Friebe, die ehemalige Präsidentin des Landtags NW, Stenographischer Bericht der 5. Sitzung der GVK vom 7.5.1992, S. 2 (3 ff.). Art. 51 Abs. 4 GG sollte lauten: „Soweit dem Bund durch Änderung des Grundgesetzes Gegenstände zur Gesetzgebung übertragen werden, sind die Mitglieder des Bundesrates bei der Stimmabgabe an hierzu gefaßte Beschlüsse der Landesparlamente gebunden. Dasselbe gilt, wenn nach Art. 24 Abs. 1 Hoheitsrechte der Länder auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen werden." Vgl. hierzu ebenfalls den Beschluß der Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Länderparlamente „Struktur und Zusammensetzung des Bundesrates" vom 24.9.1991, abgedr. als Arbeitsunterl age Nr. 3 zu den Sitzungen der GVK (erhältlich beim Deutschen Bundestag), S. 17 ff.

80

Teil 2: Art. 23 GG - Inhalt und Anwendungsbereich

auf Zustimmung gestoßen8. Ernsthaft erörtert worden ist lediglich der Vorschlag, Art. 79 GG um einen Absatz 2a zu ergänzen, mit dem Inhalt, Grundgesetzänderungen, die die Übertragung von Gesetzgebungszuständigkeiten der Länder auf den Bund zum Gegenstand haben, an die Zustimmung der Mehrheit der Volksvertretungen der Länder zu binden; auch dieser Vorschlag wurde schließlich verworfen, weil er zumindest der Sache nach eine Annäherung an das „Senatsmodell" bedeutet hätte9. Der Bundestag hat die von der GVK vorgeschlagenen Änderungen im sich anschließendem Gesetzgebungsverfahren nahezu vollinhaltlich übernommen. Der Wille des verfassungsändernden Gesetzgebers bei Einführung des Art. 23 GG ging eindeutig dahin, daß eine Mitwirkung der Länder in Angelegenheiten der Europäischen Union allein in mediatisierter Form über den Bundesrat stattfinden kann.

2. Die Bundesregierung als Hauptträgerin der Organkompetenz Aus dem Wortlaut der Formulierung des Grundgesetzes „wirken ... mit" ergibt sich implizit, daß das Grundgesetz davon ausgeht, daß Bundestag und Bundesrat nicht die Hauptakteure auf der europäischen Bühne sein sollen. Diese wirken vielmehr nur „mit". Der Gesetzgeber hielt es für erforderlich, deren Mitwirkungsrechte besonders abzusichern, wohingegen die grundsätzliche Organkompetenz der Bundesregierung keiner besonderen Regelung bedurfte. Hätte das Grundgesetz hieran etwas ändern wollen, so wäre dies durch andere Formulierungen, wie z.B. „wirken gemeinsam zusammen", „sind zuständig" oder ähnliches zum Ausdruck gekommen. Absatz 2 Satz 1 kann daher als Bestätigung der grundsätzlichen Prärogative der Bundesregierung aufgefaßt wer-

8 Zum einen wollte der Bundestag diese Frage nicht als „Schiedsrichter" entscheiden, da zwischen den Landtagen und den Landesregierungen hierzu abweichende Auffassungen bestanden; die Vorschläge wurden nämlich vom Bundesrat nicht unterstützt (!), Müller-Brandeck- Β ocquet, DV 1996, 143 (153 f.). So am deutlichsten: Vogel, Sten. Prot, der 5. Sitzung der GVK vom 7.5.1992, S. 23 und 26; vgl. auch Möller, ebd., S. 20; Penner, ebd., S. 12; Fuchs, ebd., S. 19. Des weiteren befürchteten die Mitglieder der GVK, daß die Mitwirkung einer zweiten parlamentarischen Ebene das System des Bundesgesetzgebungsverfahrens aufbrechen und zu einem „Zweikammersystem" führen würde, so: Scholz, Stenographischer Bericht der 11. Sitzung der GVK vom 15.10.1992, S. 21; vgl. auch Jahn, ebd., S. 11 ; Schnoor, ebd., S. 21 f. 9 Bericht der GVK, S. 75 f. Dieser Vorschlag betraf nicht die Zusammensetzung des Bundesrates und ging auf eine Anregung der „Martin-Kommission" (Teil 1, Kap IV, Fußn. 169) zurück. Übriggeblieben sind nur die Verschärfungen der Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Gesetzgebungskompetenzen durch den Bund nach Art. 72 Abs. 2 und 75 Abs. 2 GG und die Möglichkeit für die Landtage, nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2a GG - neu - die Einhaltung dieser Bestimmungen im Wege der abstrakten Normenkontrolle vor dem BVerfG überprüfen zu lassen.

II. Die Mitwirkung des Bundesrates nach Art. 23 Abs. 2 S. 1 GG

81

den 10 . Konkrete Rückschlüsse im Hinblick auf die Intensität der Mitwirkung von Bundestag oder Bundesrat lassen sich hieraus jedoch unmittelbar nicht ziehen, da die Kompetenzverteilung zwischen den Bundesorganen in den Folgeabsätzen eine detaillierte Regelung erfahren hat.

3. Angelegenheiten der Europäischen Union a) Erfordernis

einer weiten Auslegung

Art. 23 Abs. 2 S. 1 und Art. 50 GG sprechen von der Mitwirkung der Länder durch den Bundesrat in „Angelegenheiten der Europäischen Union". Der Begriff „Angelegenheiten der Europäischen Union" ist nicht näher spezifiziert und an dieser Stelle bewußt so weit gefaßt worden. Aufgrund des in Art. A Abs. 3 EUV niedergelegten „Drei-Säulen-Konzepts" 11 der Europäischen Union, wonach die Europäische Union das gemeinsame Dach der fortbestehenden Europäischen Gemeinschaften und der im EUV weiter geregelten Formen und Politiken der Zusammenarbeit darstellt, zählen zu „Angelegenheiten der Europäischen Union" sowohl die Maßnahmen der Europäischen Union und der Europäischen Gemeinschaften nach dem EUV und EGV als auch diejenigen nach dem EGKS-V und dem EAV. Der Begriff „Angelegenheiten der Europäischen Union" umfaßt alle politischen, gesetzgeberischen, administrativen und judikativen Aktivitäten, die der EUV oder die anderen Gemeinschaftsverträge insgesamt als Handlungsformen der Gemeinschaft vorsehen 12. Als Anknüpfungspunkt für eine Mitwirkung der Länder durch den Bundesrat kommen somit, grob gesagt, alle Handlungen in Betracht, die die Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat im Rahmen einer ihr durch den EUV, den EGV, den EGKS-V oder den EAV eingeräumten Kompetenz vornimmt. „Angelegenheiten" hat dabei vor allem Rechtsetzungsakte wie „Verordnungen" und „Richtlinien" i.S.d. Art. 189 EGV sowie andere rechtserhebliche Maßnahmen im Auge, ist aber vom Wortlaut nicht hierauf beschränkt 13. Neben Verordnungen und Richtlinien kommen in Betracht: (Individuelle) Entscheidungen (Art. 189 Abs. 4 EGV, Art. 161 Abs. 4 EAG-V, Art. 14 Abs. 2 i.V.m. Art. 15 EGKS-V), Empfehlungen und Stellungnahmen (Art. 189 Abs. 5 EGV,

10

Kunig, in: Verfassungsrecht im Wandel, 591 (597 f.); MD-Scholz, Art. 23 Rdnr. 101. A.A.: Rath, ZParl Sonderband 1/1995, 114 (128 f.), der jedoch der Entstehungsgeschichte und ratio des Art. 23 GG zu geringe Bedeutung beimißt, ebenso wohl auch Wolfrum, VVDStRL Bd. 56 (1997), 38 (44). 11 Zur Architektur der Europäischen Union, vgl. Streinz, ZfRV 1995, 1 ff. 12 Vgl. die Darstellung bei Schede, S. 93 ff. 13 Anders: Möller für „Rechtsakte" i.S.d. Art. 23 Abs. 3 GG (nur Verordnungen und Richtlinien), Sten. Prot, der 11. Sitzung der GVK v. 15.10.92, S. 2. 6 Halfmann

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Teil 2: Art. 23 GG - Inhalt und Anwendungsbereich

Art. 161 Abs. 5 EAG-V, Art. 14 Abs. 4 EGKS-V), sowie im EGV nicht näher spezifizierte Rechtsakte (z.B. „Beschlüsse")14. Letztere sind in Ermangelung einer abstrakt-generellen, verbindlichen Regelung zwar keine „Gesetze" im materiellen Sinn. Das heißt jedoch nicht, daß diese Maßnahmen für die Länder ohne Bedeutung wären. Adressat einer „Entscheidung" kann beispielsweise auch ein Mitgliedstaat sein, der mit der Entscheidung zu einem legislativen oder exekutiven Tätigwerden verpflichtet wird 15 . Empfehlungen und Stellungnahmen können ebenfalls zumindest wegen der ihnen zukommenden politischen Wirkung Interessen der Länder berühren. Gleiches gilt für die speziell vorgesehenen Rechtshandlungen des Rates im Rahmen der intergouvernementalen Zusammenarbeit nach dem EUV, z.B. die Festlegung von „gemeinsamen Standpunkten", die „Annahme von gemeinsamen Maßnahmen" oder die Ausarbeitung von Übereinkommen im Rahmen des Art. K.3 Abs. 2 EUV: Die Gegenstände dieser Beschlüsse können im Einzelfall wesentliche Interessen oder ausschließliche Gesetzgebungskompetenzen der Länder berühren. Die Beschlüsse entfalten auch rechtliche Relevanz, da sie die Mitgliedstaaten ungeachtet des Grades ihrer Bindungswirkung und Durchsetzbarkeit zur innerstaatlichen Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen verpflichten wollen 16 . Gleiches gilt für sonstige Maßnahmen und Beschlüsse, die auf den Erlaß von Rechtsakten hinauslaufen oder den Erlaß inhaltlich bereits weitgehend determinieren. Nunmehr werden als weitere rechtliche Handlungsformen nach Art. 34 Abs. 2 Buchst, b) und c) EUV n.F. sog. „Rahmenbeschlüsse" zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten hinzukommen. Die „Rahmenbeschlüsse" des EUV sind als Parallele zum Gemeinschaftsinstrument der Richtlinie konzipiert und ebenso wie die sonstigen Beschlüsse für die Mitgliedstaaten verbindlich, darüber hinaus entfalten sie jedoch keine unmittelbare Wirksamkeit 17 . Die bislang nach Art. K.3 Abs. 2, 2. Spiegelstr. Buchst, b) EUV vorgesehenen „gemeinsamen Maßnahmen" sind aufgrund des Amsterdamer Vertrags entfallen. Die „Rahmenbeschlüsse" stehen im Hinblick auf ihren Regelungsgehalt und ihre Regelungswirkungen der Richtlinie in nichts nach und dürften zukünftig verstärkt in das Zentrum des In-

14 Hierzu: Geiger; EGV, Art. 189 Rdnr. 24-26; Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, § 22 Rdnr. 1 ff. 15 Weber; ADurchführung des Gemeinschaftsrechts, S. 12. 16 Vgl. zur Bindungswirkung: MülIer-GrafT, in: FS für Everling, 925 (932 ff.); Streinz, ZfRV 1995, 1 (10 ff.). 17 Zur Reform der intergouvernementalen Zusammenarbeit durch den Amsterdamer Vertrag vgl. Karpenstein, DVB1. 1998, 942 (944 f.).

II. Die Mitwirkung des Bundesrates nach Art. 23 Abs. 2 S. 1 GG

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teresses der Länder rücken 18. An der Geltung des Art. 23 GG für diese neuen Handlungsformen kann kein Zweifel bestehen. Trotz dieses weit gefaßten Anknüpfungspunktes von Art. 23 Abs. 2 S. 1 GG bedeutet dies nicht, daß sich für den Bundesrat im gleichen Umfang ein Mitwirkungsrecht oder gar eine Mitwirkungs/j/Z/c/tf ergeben würde. Die in Absatz 2 gewählte imperative Formulierung „wirken ... mit" betont zwar eine aktive und gestaltende Rolle des Bundestages und des Bundesrates19. Konkrete Rechte und Pflichten lassen sich Art. 23 Abs. 2 S. 1 GG allein aber genauso wenig entnehmen wie dem gleichlautenden Art. 50 GG 20 . Vielmehr bedarf auch im Rahmen des Art. 23 Abs. 2 S. 1 GG die Mitwirkung in „Angelegenheiten der Europäischen Union" der Konkretisierung im einzelnen, und zwar sowohl im Hinblick auf den Anknüpfungspunkt der Mitwirkung als auch im Hinblick auf Art und Umfang der Mitwirkungshandlung selbst. Diese Konkretisierung wird in den folgenden Absätzen des Art. 23 GG vorgenommen und ergänzend hierzu in den nach Art. 23 Abs. 3 S. 3 und Abs. 7 ergangenen Ausführungsgesetzen.

b) Einschränkung des Anwendungsbereichs durch §11 EUZBLG Eine explizite Einschränkung des Anwendungsbereiches der Art. 23 Abs. 2 bis 6 GG enthält § 11 des in Ausführung des Art. 23 Abs. 7 GG erlassenen EUZBLG. Danach gilt das EUZBLG nicht für den Bereich der Gemeinsamen Außen· und Sicherheitspolitik der Europäischen Union. § 11 EUZBLG betrifft alle Beteiligungsformen, bezieht sich also nicht nur auf die in Art. 23 Abs. 2 S. 2 GG genannte Unterrichtungspflicht 21. Fraglich ist indes, ob § 11 EUZBLG mit den Vorgaben des Grundgesetzes vereinbar ist. Der Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik zählt durch seine Einbeziehung als „2. Säule" in den Rahmen der Europäischen Union gemäß den Vorschriften des Titels V EUV zu den „Angelegenheiten der Europäischen Union" i.S.d. Art. 23 Abs. 2 GG, so daß die Mitwirkung des Bundesrates nach den Absätzen 2 bis 6 grundsätzlich eröffnet wäre.

18

Der Bundesrat schlug in seiner Stellungnahme zu dem Entwurf des Gesetzes zum Vertrag von Amsterdam die Einfügung eines neuen § 5 Abs. 3 EUZBLG vor, mit dem die bisherige Regelung des § 5 Abs. 3 EUZBLG, die sich nur auf Maßnahmen nach Art. 235 EGV bezog, inhaltlich auf die Rahmenbeschlüsse nach Art. 34 Abs. 2 EUV n.F. erstreckt werden sollte, vgl. BR-Drs. 784/97 (Beschl.), S. 7 f. 19 GGK'Rojahn, Art. 23 Rdnr. 58; Wilhelm, BayVBl. 1992, 705 (708). 20 Anders: Schede, S. 101, Fußn. 254. 21 Vgl. die Begründung des Regierungsentwurfes, BT-Drs. 12/3540, S. 7. Die bislang in diesem Bereich übliche Unterrichtung des Bundesrates sollte ausweislich dieser Begründung indes durch § 11 EUZBLG nicht eingeschränkt werden.

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Teil 2: Art. 23 GG - Inhalt und Anwendungsbereich

Nach Art. J und J.l EUV verwirklichen die Union und ihre Mitgliedstaaten eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, zu der nach Art. J. 4 Abs. 1 EUV auch die Zusammenarbeit in Fragen einer gemeinsamen Verteidigungspolitik zählt. Der Blick auf die in Art. J.l Abs. 2 EUV genannten Ziele belegt, daß es insoweit um die Koordinierung der Außenpolitik der einzelnen Mitgliedstaaten geht. Der Erlaß von Rechtsakten in diesem Bereich ist nicht vorgesehen. Die vorgesehene Koordinierung der politischen Standpunkte erfolgt in durch den EUV näher bezeichneten Formen. Hierzu zählen die „regelmäßige Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten bei der Führung ihrer Politik" nach Art. J.l Abs. 3, 1. Spiegelstr. EUV, die Festlegung „Gemeinsamer Standpunkte" nach Art. J.2 EUV, die Koordinierung des gemeinsamen Auftretens nach außen gem. Art. J.2 Abs. 3 EUV sowie die Annahme von „Gemeinsamen Aktionen" nach Art. J.3 EUV 2 2 . Im Hinblick auf die Reichweite der Bindungswirkung, die von einem festgelegten „Gemeinsamen Standpunkt" ausgeht, begründen Art. J.2 Abs. 2 und 3 EUV (=Art. 15 EUV n.F.) eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zu einem politisch konformen Verhalten nach innen und außen23. Keinesfalls handelt es sich um justitiable oder gar einklagbare Rechtspflichten 24. Der Rückgriff auf die gemeinschaftsrechtlichen Handlungsformen, wie der Erlaß von Verordnungen oder Richtlinien, ist den Mitgliedstaaten nach Art. J.l 1 EUV (=Art. 28 EUV n.F.) verwehrt. Eine Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs für diesen Bereich ist nach Art. L EUV bewußt nicht begründet worden. Bei der Festlegung „Gemeinsamer Standpunkte" handelt es sich um ein politisches „Instrument der Selbstdisziplin"25. Eine Verpflichtung eines Mitgliedstaats zur Vornahme oder zum Erlaß einer konkreten Einzelhandlung kann hieraus unmittelbar noch nicht abgeleitet werden 26. Dagegen sieht Art. J.3 Nr. 4 EUV (= Art. 14 Abs. 3 EUV n.F.) ausdrücklich vor, daß die „Gemeinsamen Aktionen" für die Mitgliedstaaten bei ihren Stellungnahmen und ihrem Vorgehen bindend sind, allerdings mit der Möglichkeit eines „opting out" nach Art. J.3

22 Art. 12 EUV n.F. wird einige Änderungen bringen: Vorgesehen sind eine Bestimmung der Grundsätze und der allgemeinen Leitlinien für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik sowie Beschlüsse über „gemeinsame Strategien"; zu letzteren vgl. nunmehr Art. 13 Abs. 2 und 3 EUV n.F.; hinzu kommen die im EUV nicht näher bezeichneten Handlungen wie Beschlüsse, Entschließungen, Empfehlungen, Stellungnahmen und Schlußfolgerungen, vgl. Schweitzer/Hummer.; Europarecht, Rdnr. 970. 23 Siehe hierzu: Glaesner, EuR 1994, Beiheft 1, 25 (35); Lange, JZ 1996, 442 (444); Schweitzer/Hummer.; Europarecht, Rdnr. 1826, 973. 24 Burghardt/Tebbe, EuR 1995, 1 (2, 5, 7). Weitergehend Schweitzer/Hummer, Europarecht, Rdnr. 973, 1826: Über das im völkerrechtlichen Verkehr der Staaten untereinander geltende „estoppel-Prinzip", d.h. das Verbot des „venire contra factum proprium", könnten diese Handlungen je nach Fallgestaltung indes eine rechtliche Bindungswirkung erzeugen. 25 Burghardt/Tebbe, EuR 1995, 1 (12). 26 Burghardt/Tebbe, EuR 1995, 1 (7).

I Die Mitwirkung des Bundesrates nach Art. 23 Abs. 2 S. 1 GG

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Nr. 7 EUV 2 7 . Der Wortlaut darf indes nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich auch hierbei nur um politische, nicht einklagbare Pflichten für die Mitgliedstaaten handelt28. Die möglichen Gegenstände einer „Gemeinsamen Aktion" sind durch Art. 14 Abs. 1 EUV n.F. näher umschrieben worden. In Abgrenzung zu den Gemeinsamen Standpunkten betreffen „Gemeinsame Aktionen" „spezifische Situationen, in denen eine operative Aktion der Union für notwendig erachtet wird". Gemeint ist ein konkretes Vorgehen der Mitgliedstaaten auf Unionsebene innerhalb der Zielbestimmung des Art. J.l Abs. 2 EUV (= Art. 11 Abs. 1 EUV n.F.), das theoretisch das gesamte Potential des traditionellen außenpolitischen Instrumentariums umfassen kann 29 - mit Ausnahme jedoch von militärischen Aktionen, für die nach Art. J.4 EUV (= Art. 17 EUV n.F.) die Westeuropäische Union (WEU) zuständig ist 30 . Der Rat bestimmt nach Art. J.3 Nr. 1 EUV aufgrund allgemeiner Leitlinien des Europäischen Rates Gegenstand, Umfang, Ziele, Mittel und die näheren Modalitäten der Gemeinsamen Aktion 31 (vgl. aber Art. 14 EUV n.F.). Mit Ausnahme der in Art. 73g und Art. 228a EGV (= Art. 60 und 301 EGV n.F.) genannten Wirtschaftssanktionen, die ein zweistufiges Verfahren erfordern, kann der Rat im Rahmen der GASP sofort Maßnahmen ergreifen oder beschließen32. Alle Angelegenheiten, die zu dem Bereich der Gemeinsamen Verteidigungspolitik nach Art. J.4 EUV zählen, unterliegen nach Art. J.4 Abs. 3 EUV darüber hinaus nicht dem Verfahren nach Art. J.3 EUV. Im Rahmen des EUV findet lediglich eine gemeinsame Erörterung der Fragen statt, die die Sicherheit der Europäischen Union betreffen. Zu deren Ausarbeitung und Entscheidung kann die WEU „ersucht" werden 33. Aus Art. J.4 Abs. 3 EUV ergibt sich, daß eine Festlegung auf politisch bindende Standpunkte oder Beschlüsse im Rahmen der Verteidigungspolitik bislang nicht gewollt war. Künftig wird allerdings die WEU durch Art. 17 EUV n.F. stärker institutionell in den Rahmen des EUV einbezo-

27

Lange, JZ 1996, 442 (444). Weder die Mitgliedstaaten noch die Kommission könnten zu einem konformen Verhalten gezwungen werden, Lange, JZ 1996, 442 (444 f.). Der Rückgriff auf das Kohärenzgebot nach Art. C EUV begründet ebenfalls keine justitiable Rechtspflicht, vgl. Schweitzer/Hummer, Europarecht, Rdnr. 977, 980, 1827 f. 29 Burghardt/Tebbe, EuR 1995, 1 (12 ff.), mit Beispielen aus der Praxis. 30 Burghardt/Tebbe, EuR 1995, 1 (16 ff.); Lange, JZ 1996, 442 (446). 31 Hierzu Burghardt/Tebbe, EuR 1995, 1 (14). 32 Lange, JZ 1996, 442 (444). Problematisch ist allerdings der „schleichende" Rückgriff auf die Formen der Art. J.2 und J.3 EUV in Bereichen, die in die Zuständigkeit der Gemeinschaft fallen, hierzu Burghardt/Tebbe, EuR 1995, 1 (15 f.). 33 Die Zusammenarbeit zwischen der EU und der WEU ist äußerst kompliziert geregelt worden und hat sich bislang nicht bewährt, kritisch daher Lange, JZ 1996, 442 (447 ff.). 28

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Teil 2: Art. 23 GG - Inhalt und Anwendungsbereich

gen, insbesondere wird nach Absatz 3 UAbs. 2 die Leitlinienkompetenz des Europäischen Rates aus Art. 13 EUV n.F. auf die WEU erstreckt werden. Die vorstehende Betrachtung ergibt, daß die im Rahmen der GASP getroffenen Maßnahmen des Rates lediglich einer Koordinierung der politischen Standpunkte auf dem Gebiet der Außen- und Sicherheitspolitik dienen sollen, ohne für die Mitgliedstaaten einklagbare Pflichten zu einem konkreten Vorgehen zu begründen. Bei vergleichender Betrachtung nach der innerstaatlichen Kompetenzverteilung könnte ein entsprechendes Vorgehen der Bundesregierung keinen tauglichen Gegenstand einer Mitwirkung des Bundesrates bilden. Für die politische Führung des Staatsganzen sieht das Grundgesetz eine Kompetenz des Bundesrates oder der Länder nicht vor. Die Wahrnehmung der auswärtigen Angelegenheiten und der Sicherheitsbelange des Bundes fällt nach Art. 73 Nr. 1,5 und 10 GG in die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes, dem nach Art. 87 und 87a GG auch eine entsprechende Verwaltungskompetenz zusteht. Mitwirkungsbefugnisse des Bundesrates bestehen auf dem Gebiet der Außen- und Sicherheitspolitik - abgesehen vom Abschluß völkerrechtlicher Verträge nach Art. 59 Abs. 2 GG - nur in den Fällen des Gesetzgebungsnotstandes, des Verteidigungsfalles oder der Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes34. Die politische Zusammenarbeit im Rahmen von Titel V des EUV stellt mithin keinen tauglichen Gegenstand einer Mitwirkung des Bundesrates dar. Die Ausnahmeregelung des § 11 EUZBLG konkretisiert lediglich die inhärenten Grenzen des Art. 23 GG, der nach seiner ratio eine Bund-Länder-Zusammenarbeit im Bereich der GASP nicht konstituieren wollte 35 . Die Länder haben hier auch nie ernsthaft eine Mitsprache erwogen oder an der alleinigen Zuständigkeit der Bundesregierung gezweifelt 36. Der Bundesrat ist insoweit auf das allgemeine Zitier- und Interpellationsrecht nach Art. 53 S. 1 GG und auf das Recht nach Art. 53 S. 3 GG beschränkt, über die Führung der Geschäfte der Bundesregierung auf dem laufenden gehalten zu werden 37.

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Siehe im einzelnen die Art. 81 Abs. 1 S. 1 GG, Art. 115a Abs. 1 S. 1, 115c Abs. 1 S. 2 u. Abs. 3, Art. 115k Abs. 3 S. 2, 115f Abs. 2, 1151 Abs. 1 S. 1 u. Abs. 2 S. 1 GG, Art. 87a Abs. 4 S. 2 GG und Art. 91 Abs. 2 GG. 35 A.A.: Scheda, S. 115, Fußn. 321, der jedoch weder die ratio des Art. 23 GG hinreichend berücksichtigt noch die praktische Relevanz der Art. J ff. EUV für das BundLänder-Verhältnis näher untersucht. 36 Die Vorschrift des § 11 EUZBLG ist einvernehmlich verabschiedet worden und war auch im Vorfeld nicht streitig. Auch bei der Regierungskonferenz von 1996 haben sich die Länder bei der Frage der Weiterentwicklung der GASP „in kluger Selbstbescheidung mit Vorschlägen zurückgehalten", so Fischer.; ZParl 1998, 46 (54). 37 Fastenrath, Kompetenzverteilung, S. 249 f.

II. Die Mitwirkung des Bundesrates nach Art. 23 Abs. 2 S. 1 GG

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4. Das Verhältnis von Art. 23 GG zu anderen Bestimmungen des Grundgesetzes a) Das Verhältnis von Art. 23 GG zu Artikel 50 GG Auffallend ist, daß das Grundgesetz in Art. 23 Abs. 1 S. 1 und Art. 50 an zwei Stellen nahezu wortgleich - abgesehen von der unterschiedlichen Satzstellung - die Aussage trifft, daß die Länder durch den Bundesrat in den Angelegenheiten der Europäischen Union mitwirken. Durch die Einfügung des Zusatzes „und in Angelegenheiten der Europäischen Union" in Art. 50 GG wird der Anschein erweckt, daß es sich bei den „Angelegenheiten der Europäischen Union" um eine zusätzliche, vierte Staatsfunktion handele neben den in Art. 50 GG sonst genannten Bereichen „Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes"38. Nach einhelliger Ansicht kennt das Grundgesetz jedoch außerhalb der herkömmlichen Trias Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung keine „Vierte Gewalt", etwa für Angelegenheiten mit Auslandsbezug oder solche im Rahmen der Europäischen Union, auch wenn manchmal in Ansehung kompetentieller Besonderheiten der Ausdruck „auswärtige Gewalt" oder „Integrationsgewalt" hierfür verwendet wird 39 . Indes ist nicht zu bestreiten, daß sich die Mitwirkung der Bundesrepublik Deutschland an der Gesetzgebung auf europäischer Ebene nicht ohne weiteres unter die Begriffe „Gesetzgebung oder Verwaltung des Bundes" subsumieren läßt. Der supranationale Rechtsetzungsprozeß ist nicht den herkömmlichen innerstaatlichen Kategorien der Gesetzgebung und Verwaltung vergleichbar, weil er besonderen, durch supranationales Recht vorgegebenen Spielregeln unter" liegt 40 . So muß eine Zuordnung der Mitwirkung der Bundesregierung an der Rechtsetzung der Europäischen Gemeinschaft zum Bereich der „Gesetzgebung des Bundes" wegen des besonderen Charakters des EG-Rechts von vornherein ausscheiden. Das von den Organen der Europäischen Gemeinschaft gesetzte (Sekundär-)Recht beruht nur auf den vertraglichen Ermächtigungen der Gründungsverträge und kann daher nicht als Bundesrecht qualifiziert werden. Insoweit hat sich auch die vom EuGH vertretene und schließlich auch vom Bundesverfassungsgericht gebilligte Auffassung durchgesetzt, daß das EG-Recht „autonom" ist, also im Verhältnis zum nationalen Recht eine eigenständige Rechts-

38 GGK-Krebs, Art. 50 Rdnr. 12. Art. 50 GG beschränkt sich auf die Bereiche Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes, da wegen Art. 92 GG eine Mitwirkung des Bundesrates an der rechtsprechenden Gewalt von vornherein nicht in Betracht kommt. 39 Mosler, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. VII, § 175 Rdnr. 15; Müller, M.K, Innerstaatliche Umsetzung, S. 25 f.; Stern, StaatsR I, S. 498 f., u. StaatsR II, S. 537; vgl. auch Hailbronner, VVDStRL Bd. 56 (1997), 7 (9). 40 Dies verkennt Rath, ZParl Sonderband 1/1995, 114 (129), der die nationale Rechtsetzung der supranationalen gleichsetzt.

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Teil 2: Art. 23 GG - Inhalt und Anwendungsbereich

Ordnung darstellt 41. Auch eine Subsumtion der Mitwirkungshandlungen der Bundesorgane unter das Merkmal „Verwaltung des Bundes" begegnet Bedenken. Funktionell betrachtet unterfällt die Mitwirkung der Bundesregierung bei den Verhandlungen und Abstimmungen zum Erlaß eines Rechtsaktes auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft zwar dem Bereich der Regierungstätigkeit im allgemeinen Sinne42. Diese wird allgemein als die „Wahrnehmung aller politischen Leitungsaufgaben aufgefaßt, die der Staatstätigkeit die Richtung geben" 43 . Der Bereich der Regierungstätigkeit wiederum kann auch unter den allgemeinen Begriff „Verwaltung des Bundes" subsumiert werden 44. Nur entspräche diese Einordnung nicht dem traditionellen Verständnis von „Verwaltung", da die Mitwirkung der Bundesregierung im Ministerrat der Sache nach auf „Gesetzgebung" im materiellen Sinn ausgerichtet ist 45 - nur eben eine solche der Europäischen Gemeinschaft und nicht des Bundes46. Im Ergebnis rechtfertigt dieser Befund die besondere Erwähnung der „Angelegenheiten der Europäischen Union" in Art. 50 GG, auch wenn damit keine neuartige Staatsfunktion oder -gewalt beschrieben werden sollte. Der Gesetzgeber hat die Auslegungsfragen des Art. 50 GG zur rechtlichen Qualifizierung der Tätigkeit der Bundesregierung im Rat der Europäischen Gemeinschaft nicht in dem einen oder anderen Sinn entscheiden wollen. Die Änderung des Art. 50 GG durch Einfügung der Worte „und in Angelegenheiten der Europäischen Union" erfolgte zusammen mit der Neufassung des Art. 23 GG und sollte der Klarstellung dienen, daß der Bundesrat auch dann an der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes zu beteiligen ist, wenn es sich um Angelegenheiten der Europäischen Union handelt. Allein die zu regelnde Sachfrage der Einbindung des Bundesrates stand bei den Beratungen der GVK ganz eindeutig im Vordergrund. Art. 50 GG enthält damit lediglich die Festschreibung der „organisationsrechtlichen Konsequenzen" der neuen nach Art. 23 GG getroffenen Aufgabenverteilung 47. Er enthält die Grundsatzentscheidung für ein föderatives Bundesorgan in Gestalt des Bundesrates und dessen Teilhabe an der Willensbildung

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So die Rspr. und ganz h.L.: EuGH, Slg. 1964, S. 1255 (1269 ff.); BVerfGE 22, 293 (296); 31, 145 (173); 37, 271 (280 ff.); 52, 187 (199). Friauf, DVBl. 1964, 781 (783). Zu den verschiedenen Meinungen vgl.: Bleckmann, Europarecht, Rdnr. 1070 ff.; Schweitzer/Hummer, Rdnr. 76 ff., 849 ff. 42 Dröll, S. 116. 43 Stern, StaatsR II, S. 681. 44 GGK-Av^s, Art. 50 Rdnr. 11. Nach Oschatz/Risse, EA 1988, 9 (14), gehört die Tätigkeit der Regierung auf EG-Ebene daher zur „Verwaltung des Bundes". 45 Schilling, DVBl. 1997, 458 (460); ähnlich Kabel\ in: Gedächtnisschrift für Grabitz, S. 241 (246). 46 V. Welck, S. 105. 47 Bericht der GVK, S. 48. Der SoAEU des Bundestages hat sich die Empfehlungen der GVK im Gesetzgebungsverfahren weitgehend zu eigen gemacht; so auch: GGKKrebs, Art. 50 Rdnr. 2; Scholz, NVwZ 1993, 817 (820). A.A. offenbar Schede, S. 101.

II. Die Mitwirkung des Bundesrates nach Art. 23 Abs. 2 S. 1 GG

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des Bundes. Hingegen trifft Art. 50 GG keine Aussage über die konkrete Mitwirkung oder den konkreten Kompetenzumfang im einzelnen. Die konkreten Rechte und Pflichten des Bundesrates ergeben sich aus anderen Vorschriften des Grundgesetzes und sind folglich in ihrer Ausprägung weder aus Art. 50 GG ableitbar noch gegen Änderungen geschützt. Angesichts der Funktion des Art. 50 GG als Grundsatznorm, die einer konkreten Ausformung bedarf und die den Tätigkeitsbereich des Bundesrates nicht abschließend festlegt 48, können aus Art. 50 GG bestimmte Kompetenzen nicht abgeleitet werden 49. Diese sind vielmehr ausschließlich in anderen Vorschriften des Grundgesetzes zu suchen, zu denen unter anderem auch Art. 23 GG zählt.

b) Das Verhältnis von Art. 23 GG zu Art. 24 Abs. 1 GG Art. 23 GG ist nach einhelliger Ansicht lex specialis zu Art. 24 Abs. 1 GG 50 . Während bislang der gesamte Prozeß der europäischen Integration unter der Vorherrschaft des Art. 24 GG stattfand 51, ist der Hauptanwendungsfall - die europäische Integration - aus dessen Anwendungsbereich ausgenommen und in Art. 23 GG abschließend auf eine neue Grundlage gestellt worden. Soweit es um die Entwicklung, Begründung oder Änderung der Europäischen Union oder sonst um Materien geht, die dem weiten Anwendungsfeld der „Angelegenheiten der Europäischen Union" angehören, ist der Anwendungsbereich des Art. 23 GG eröffnet; die Rechtsfolgen und Kompetenzen richten sich in diesem Fall allein nach dieser Vorschrift. Zu Überschneidungen zwischen Art. 23 GG und Art. 24 Abs. 1 GG kann es daher nicht mehr kommen. Die Grundsätze, die bislang bei der Anwendung von Art. 24 GG Abs. 1 maßgebend waren, sowie die hierzu ergangene Rechtsprechung haben jedoch größtenteils in dem neuen Art. 23 GG ihren Niederschlag gefunden und können daher als Auslegungshilfe herangezogen werden 52.

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GGK-Krebs, Art. 50 Rdnr. 2; Grabitz, EuR 1987, 311 (315). Ganz h.M., vgl. GGK-Krebs, Art. 50 Rdnr. 2; Reuter, Art. 50 Rdnr. 226; v. Welck, S. 105; a.A.: Schede, S. 101. 50 GGK-Rojahn, Art. 23 Rdnr. 3; Klein, E./Haratsch, DÖV 1993, 785 (789); MDScholz, Art. 23 Rdnr. 3; SGK-Streinz, Art. 23 Rdnr. 9; Sommermann, LKV 1994, S. 382 (384). 51 GGK-Kunig Art. 24 Rdnr. 9. 52 GGK-Rojahn, Art. 24 Rdnr. 9; SGK-Streinz, Art. 23 Rdnr. 12. 49

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Teil 2: Art. 23 GG - Inhalt und Anwendungsbereich c) Das Verhältnis von Art. 23 GG zu Art. 32 Abs. 1 GG

Soweit es zu Überschneidungen zwischen den Regelungsbereichen der Art. 23 und Art. 32 GG kommen kann, muß im Grundsatz das gleiche wie für das Verhältnis zu Art. 24 GG gelten, nämlich eine Spezialität des Art. 23 GG 53 . Zur Begründung kann darauf verwiesen werden, daß die innerstaatliche Willensbildung und die Außenvertretung der Bundesrepublik Deutschland in den einzelnen Absätzen des Art. 23 GG eine eingehende und besondere Regelung erfahren haben. Hinzu kommen die in Ausfüllung von Art. 23 Abs. 3 S. 3 und Abs. 7 GG ergangenen Ausführungsgesetze und die Bund-Länder-Vereinbarung von 1993. Bereits die früher überwiegende Meinung ging von einer Spezialität des Art. 24 GG für den Gesamtbereich der europäischen Integration aus54, so daß das gleiche nunmehr erst recht für Art. 23 GG Geltung beanspruchen muß. Die Streitfrage, ob die Wahrnehmung der Mitgliedschaftsrechte der Bundesrepublik Deutschland im Verfahren der Rechtsetzung der Europäischen Gemeinschaft überhaupt dem Bereich der „Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten" i.S.d. Art. 32 Abs. 1 GG unterfällt 55, kann offenbleiben, da diese Frage nach geltender Verfassungslage keine Relevanz mehr beansprucht 56. In materieller Hinsicht würden sich ohnehin keine Abweichungen zu Art. 32 GG ergeben, da Art. 23 GG wie Art. 32 GG eine umfassende Kompetenz des Bundes vorsieht. Art. 32 Abs. 1 und Art. 24 Abs. 1 GG stellen in systematischer Hinsicht Sonderregelungen der vertikalen Gewaltenteilung im Bundesstaat zu den sonst geltenden Regeln der Art. 30 GG und Art. 70 ff. GG dar und schließen die Gliedstaaten des Bundes und deren Organe von einer Mitwirkung aus57. Auch Art. 32 GG ist insoweit lex specialis zu Art. 30 GG 58 . Eine Ausnahme von der Grundregel der Bundeszuständigkeit beschreiben allerdings die Absätze 2 und 3 des Artikels 32 GG, die in bestimmten Fällen, nämlich Materien, die die besonderen Verhältnisse eines Landes berühren oder in die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder fallen 59 , auch den Gliedstaaten des Bundes eigene Teil53

GGK-Rojahn, Art. 23 Rdnr. 3. So die h.M.: Weber, Α., DVB1. 1986, 800 (805); v. Welck, S. 84 f.; Winkelmann, DVB1. 1993, 1128(1133). 55 Die Schwierigkeit besteht weniger darin, diese Handlungen unter „Pflege der Beziehungen" zu subsumieren, vgl. BVerfGE 68, 1 (80), Dröli\ S. 117; Fastenrath, Kompetenzverteilung, S. 99. Fraglich ist vielmehr, ob Art. 32 von seiner ratio nicht auf die klassischen Völkerrechtsbeziehungen zwischen Staaten bzw. Völkerrechtssubjekten beschränkt werden muß, vgl. hierzu auch Baumhof, S. 73 ff.; Dröll\ S. 117 (130 f.). 56 In dem Sinne auch: Schede, S. 202 f. 57 SGK-Streinz, Art. 32 Rdnr. 8 f. 58 So die h.M., vgl. GGK-Rojahn, Art. 32 Rdnr. 9; SGK-Streinz, Art. 32 Rdnr. 9. 59 Die Auslegung des letzteren Merkmals ist zwischen dem Bund und den Ländern überaus streitig. Siehe auch: Grewe, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 77 Rdnr. 68 ff. 79 ff.; Schweitzer, StaatsR III, Rdnr. 80 ff.; Starck, in: FS für Lerche, 561 (563 ff.). 54

II. Die Mitwirkung des Bundesrates nach Art. 23 Abs. 2 S. 1 GG

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haberechte und Zuständigkeiten auf dem Gebiet der auswärtigen Angelegenheiten zuweisen60. Keine ausdrückliche Regelung enthält Art. 32 GG hingegen zur Frage der horizontalen Gewaltenteilung auf der Ebene des Bundes, also zur konkreten Kompetenzverteilung der Bundesorgane untereinander 61. Überschneidungen der Anwendungsbereiche von Art. 23 und 32 GG können sich in der Frage der horizontalen Kompetenzverteilung also von vornherein nicht ergeben. Allerdings kann Art. 23 GG auch eine Regelung zur vertikalen Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern entnommen werden. Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG weist nämlich die Kompetenz zur Übertragung von Hoheitsrechten an die Europäische Union ausdrücklich dem Bund zu. Man wird annehmen müssen, daß durch die Zuweisung der Mitwirkungs- und Vertretungsbefugnisse im Rahmen der Absätze 2 bis 6 ausschließlich an die Organe des Bundes eine implizite Bestätigung einer Bundeskompetenz auch für diesen Bereich zu sehen ist, so daß auch insoweit konkludent eine Regelung der vertikalen Kompetenzverteilung im Bundesstaat getroffen worden ist 62 . Soweit eine Überschneidung der Anwendungsbereiche von Art. 23 und Art. 32 GG möglich ist, könnte fraglich sein, wie sich das Verhältnis des Beteiligungsverfahrens nach Art. 23 GG zu dem sog. „Lindauer Abkommen" von 195763 im Hinblick auf die Frage der Abschlußkompetenz und zum Verfahren bei völkerrechtlichen Verträgen nunmehr bestimmt. Das Lindauer Abkommen ähnelt den Beteiligungsregeln des Art. 23 Abs. 4 bis 6 GG, jedoch mit einem gewichtigen Unterschied: Im Fall des Art. 23 GG wirken die Länder nur durch den Bundesrat mit, wohingegen die Länder im Rahmen des Lindauer Abkommens ein eigenes Gremium, die „Ständige Vertragskommission der Länder", gebildet haben, die die Koordinierung unter den Ländern vornimmt 64 .

60 Daß Artikel 32 GG den tatsächlichen Bedürfnissen der Staatspraxis nicht gerecht werden konnte, beweist die Existenz des Lindauer Abkommens zwischen dem Bund und den Ländern sowie die von der Enquête-Kommission des Deutschen Bundestages geäußerten Änderungsvorschläge zu Art. 32 GG, vgl. BT-Drs. 7/5924, S. 231 ff.

61

GGYL-Rojahn, Art. 32 Rdnr. 9; Memminger, in: Bundesländer und EG, 61 (65).

Die Frage der Organkompetenz auf Bundesebene muß aus anderen Bestimmungen hergeleitet werden, insbesondere aus Art. 59 GG. 62 Siehe hierzu noch unten, Kap. IV.3. a), S. 147 ff. 63 Siehe bereits S. 30; zur Entstehung vgl. Winkelmann, DVBl. 93, 1128 ff. 64 Ziff. 3 und 4 des Lindauer Abkommens, siehe oben, Teil 1, Kap. I, Fußn. 28.

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Teil 2: Art. 23 GG - Inhalt und Anwendungsbereich d) Insbesondere: Das Verhältnis des Art. 23 GG zum „Lindauer Abkommen"

Nach alter Rechtslage, unter Geltung des Art. 24 GG und der bis dahin geltenden Beteiligungsregeln wie Art. 2 EEAG, ging die Staatspraxis von der Parallelität der verschiedenen Beteiligungsverfahren aus65. Insbesondere wurde Art. 24 nicht als lex specialis zu dem Lindauer Abkommen gesehen, da Art. 24 GG (a.F.) nur für den Kompetenzverzicht als solchen gegolten habe, aber nichts daran geändert habe, daß gleichwohl ein völkerrechtlicher Vertrag habe geschlossen werden müssen66. Ob diese Auslegung des Art. 24 GG a.F. zutreffend war, mag dahinstehen. Es spricht vieles dafür, daß bereits Art. 24 GG (a.F.) lex specialis sowohl zu Art. 32 GG als auch zu Art. 59 Abs. 2 GG war und ebenfalls für die Übertragung von Hoheitsrechten durch völkerrechtlichen Vertrag galt 67 . Bei Erlaß des Art. 23 GG ist an eine mögliche Konkurrenz zu dem Lindauer Abkommen offensichtlich nicht gedacht worden. Allerdings ist die Frage Gegenstand der Beratungen zwischen der Bundesregierung und den Ländern bei Abschluß der Bund-Länder-Vereinbarung gewesen, ohne daß eine Einigkeit erzielt werden konnte: In einer Fußnote zu Ziffer VII. 1. der Bund-Länder-Vereinbarung 1993 heißt es: „7. In der Frage, ob und inwieweit darüber hinaus gegebenenfalls innerstaatlich eine Zustimmung der Länder nach der Lindauer Absprache erforderlich ist, bestehen bei Bund und Ländern unterschiedliche Rechtsauffassungen. Das Verfahren in diesen Fällen bleibt einer besonderen Absprache überlassen."

Bislang ist eine solche Absprache zwischen Bund und Ländern nicht erfolgt, so daß die Streitfrage einer Klärung bedarf.

(1) Überschneidungen des Anwendungsbereiches von Art. 23 GG mit dem Lindauer Abkommen Fraglich ist zunächst, in welchen Bereichen überhaupt Überschneidungen des Anwendungsbereiches von Art. 23 GG mit dem Lindauer Abkommen auftreten können. Das Lindauer Abkommen erfaßt nur den Abschluß völkerrechtlicher Verträge. Im Rahmen der Europäischen Union können völkerrechtliche Verträge in folgenden Bereichen geschlossen werden: Zum einen bei Vertragsänderungen nach Art. Ν Abs. 1 EUV, bei der Ausarbeitung von Übereinkommen nach Art. K.3 Abs. 2 Buchst, c) oder K.9 EUV, die der Rat den Mitgliedstaaten zur Annahme gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften empfiehlt, oder 65

Weber, KJ Wuermeling, EuZW 1990, 341 (342). Weber, KJ Wuermeling, EuZW 1990, 341 (342). 67 Vgl. v. Welck, S. 84 f. Zur Auslegung des Art. 24 GG siehe bereits oben, Teil 1, Kap. III, Fußn. 88. 66

II. Die Mitwirkung des Bundesrates nach Art. 23 Abs. 2 S. 1 GG

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im Fall eines Beitritts weiterer europäischer Staaten zur Europäischen Union nach Art. Ο EUV. Zum anderen sieht der EGV selbst an verschiedenen Stellen die Möglichkeit vor, völkerrechtliche Abkommen zu schließen, wie beispielsweise in den Art. 109 Abs. 3, 113, 126 Abs. 3, 128 Abs. 3, 129 Abs. 3, 129c Abs. 3, 130m Abs. 2, 130r Abs. 4, 130y Abs. 1 und 228 EGV. Des weiteren können Assoziierungsabkommen nach Art. 238 EGV sowie Abkommen aufgrund einer Empfehlung nach Art. 8e und 201 EGV geschlossen werden. Darüber hinaus hat der Europäische Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung aufgrund der von ihm vertretenen „implied powers"-Lehre 68 eine generelle Zuständigkeit der Europäischen Gemeinschaft zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge kraft Sachzusammenhangs auf allen Gebieten begründet, für die eine Rechtsetzungskompetenz der Gemeinschaft besteht (Parallelität der Innen- und Außenkompetenzen)69. Die völkerrechtlichen Abkommen, die auf der Grundlage einer bestehenden Gemeinschaftskompetenz geschlossen werden, sind indes keine „Staatsverträge" i.S.d. Lindauer Abkommens70. Vielmehr wirken die Mitgliedstaaten an diesen EG-Abkommen nur im Rahmen der ihnen durch den EGV verliehenen Befugnisse mit 71 . Ein Anwendungsbereich für das Lindauer Abkommen kann sich allenfalls dann ergeben, wenn und soweit diese Abkommen zugleich unter Einbeziehung der einzelnen Mitgliedstaaten als Vertragspartner - als sog. „gemischte Abkommen" - geschlossen werden 72. Der Modus der „gemischten Abkommen" wird in der Praxis dann gewählt, wenn das zu schließende Abkom-

68 Vgl. hierzu: Bleckmann, Europarecht, Rdnr. 797 ff.; Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, § 20 Rdnr. 43 ff. 69 Bahnbrechend erwiesen sich insoweit die Leitentscheidungen des EuGH, Rs. 22/70, „AETR", Slg. 1971, 263 (275), Rs. 3, 4 u. 6/76, Slg. 1976, 1279 (1312 ff.); KEU- Vedder, Art. 228 Rdnr. 4 ff.; Schweitzer/Hummer.; Europarecht, Rdnr. 654 ff. Teilweise wird allerdings die „treaty making power" der EG nicht als materielle Erweiterung der im EGV vorhandenen Kompetenzen gesehen, sondern nur als weitere Rechtshandlungsform im Sinne einer bloßen verfahrensmäßigen Erweiterung der Kompetenzen, so daß es eines Rückgriffes auf die „implied powers"-Lehre nicht mehr bedürfe, so: Vedder; Rdnr. 6, m.w.N. Zur Geltung des Grundsatzes der Parallelität der Innen- und Außenkompetenzen im deutschen Verfassungsrecht: Bleckmann, NVwZ 1989, 311 ff. 70 Vgl. auch Winkelmann, DVB1. 1993, 1128 (1134). In den Bereichen, in denen der EG eine ausschließliche Rechtsetzungskompetenz zusteht, werden die Außenkompetenzen der Mitgliedstaaten verdrängt. Im übrigen bleibt es bei dem Regelfall des alternativkonkurrierenden Kompetenzverhältnisses, wobei freilich die Mitgliedstaaten nach Art. 5 Abs. 2 EGV die spätere Ausübung der EG-Kompetenzen nicht präjudizieren dürfen, vgl. zu allem: KEU- Vedder, Art. 228 Rdnr. 10 f.; Oppermann, Europarecht, Rdnr. 1648 ff.; Schweitzer/Hummer, Europarecht, Rdnr. 683 ff. 71 Siehe zum Verfahren: Schweitzer/Hummer; Europarecht, Rdnr. 664 ff. 72 Weber, KJ Wuermeling, EuZW 1990, 341 (343). Zu den „gemischten Abkommen" vgl. Geiger, EGV, Art. 228 Rdnr. 29 ff. Siehe zu den „gemischten Räten" oben, Teil 1, Kap. III, Fußn. 128.

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Teil 2: Art. 23 GG - Inhalt und Anwendungsbereich

men auch Vorschriften enthält, für die der EGV keine Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft vorsieht, und sich eine solche Kompetenz auch nicht ohne weiteres über Art. 235 EGV begründen läßt.

(2) Die Lösung des Kompetenzkonfliktes Art. 23 GG erfaßt von seinem Wortlaut auch den Abschluß völkerrechtlicher Verträge im Rahmen der Europäischen Union. Wie oben bereits erwähnt, ist der Begriff der Angelegenheiten der Europäischen Union weit auszulegen. Auch die gemischten Abkommen ihrerseits unterfallen den „Angelegenheiten der Europäischen Union", wenn sie sich auf irgendeine Vorschrift des EUV beziehen73. Soweit die Europäische Gemeinschaft ihre Kompetenz aus Art. 235 EGV herleitet, ist die Einordnung der betreffenden Materie unter „Angelegenheiten der Europäischen Union" ohnehin unproblematisch und wird durch § 5 Abs. 3 EUZBLG bestätigt74. Die Verhandlungen und die Beschlüsse nach der „gemischten Formel", die ein Vertragsänderungsverfahren in Gang setzen, stehen aufgrund der Personenidentität der Rats- oder der Regierungsmitglieder sowohl in materieller als auch in verfahrensmäßiger Hinsicht in einem so unmittelbaren Zusammenhang mit dem EG-Recht, daß ihre Einordnung unter den Begriff der „Angelegenheiten der Europäischen. Union" sachgerecht ist 75 . Ein „Auseinanderdividieren" dieser Beschlüsse im Hinblick auf die Rechtsetzungskompetenz nach einzelnen Vorschriften wäre weder zweckmäßig noch ohne größere verfahrensmäßige Schwierigkeiten möglich. Die nach der „gemischten Formel erlassenen Rechtsakte" werden regelmäßig auch im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft veröffentlicht 76. Diese Auslegung wird durch § 12 EUZBLG gestützt, wonach das EUZBLG auch für Vorhaben gilt, die auf Beschlüsse des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Mitgliedstaaten gerichtet sind 77 . Nach Ziffer VII. 1. der Bund-Länder-Vereinbarung 1993 soll diese ebenfalls auf die „Gemischten Beschlüsse" und auf die Vorbereitung und den Abschluß völkerrechtlicher Verträge Anwendung finden. Auch die Verträge, die der Rat nach Art. K.3 Abs. 2 Buchst, c) EUV ausarbeitet und die er den Mitgliedstaaten zur Annahme gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften empfiehlt, gehören

73 A.A.: Meißner.; S. 197 f., der insoweit keinen Raum für Überschneidungen zwischen dem Lindauer Abkommen und Art. 23 GG sieht. 74 Im Ergebnis ebenso: Winkelmann,, DVBl. 1993, 1128 (1135). 75 Für eine Zuordnung dieser Ratsbeschlüsse zum Gemeinschaftsrecht auch: Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, § 22 Rdnr. 8 ff. 76 KE\)-Schweitzer, Art. 146 Rdnr. 18. 77 A.A., aber zu undifferenziert: Schede, S. 92, 113 f. § 12 EUZBLG muß daher auch nicht einschränkend ausgelegt werden. Wie hier: Morawitz/Kaiser.; S. 119.

III. Die interne Willensbildung des Bundes

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ohne weiteres zu den Angelegenheiten der Europäischen Union 78 . Der Anwendungsbereich des Art. 23 GG ist in diesen Fällen grundsätzlich eröffnet, so daß das Beteiligungsverfahren nach Art. 23 Abs. 4 bis 6 GG i.V.m. den §§ 4 bis 6 EUZBLG eingreift, falls die weiteren Voraussetzungen hierfür erfüllt sind 79 . Als formelles und damit ranghöheres Verfassungsrecht muß Art. 23 GG im Rahmen seines gesamten Anwendungsbereiches dem bloßen „modus vivendi" des Lindauer Abkommens vorgehen, das als solches die verfassungsrechtlich vorgegebene Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern nicht verändern kann 80 . Mit Art. 23 GG hat der verfassungsändernde Gesetzgeber die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern für den Bereich der Europäischen Union in umfassender Weise regeln wollen. Das Grundgesetz sieht eine Mitwirkung der Länder im Bereich der Angelegenheiten der Europäischen Union zum einen nur durch den Bundesrat vor, zum anderen knüpft es dessen Mitwirkung an einschränkende Voraussetzungen. Angesichts der Intention des Art. 23 GG, alle möglichen Konstellationen möglichst vollständig zu erfassen, muß Art. 23 GG auch in „negativer" Hinsicht als abschließend betrachtet werden. D.h., sobald der Anwendungsbereich des Art. 23 GG eröffnet ist, weil eine Materie zu den „Angelegenheiten der Europäischen Union" zählt, scheidet ein Rückgriff auf das Lindauer Abkommen aus. Sind die qualifizierten Voraussetzungen nach Art. 23 GG nicht gegeben, etwa weil ein Vorhaben zwar von seinem Gegenstand ausschließliche Kompetenzen der Länder „berührt", nicht aber zugleich „im Schwerpunkt" deren Gesetzgebungsbefugnisse betrifft, so kommt eine Mitwirkung der Länder nach dem Willen des Gesetzgebers nicht in Betracht. Für einen Rückgriff auf den Modus des Lindauer Abkommens ist somit im Rahmen des Anwendungsbereiches von Art. 23 GG kein Raum mehr 81.

III. Die interne Willensbildung des Bundes 1. Art. 23 Abs. 2 S. 2 GG - Die Pflicht zur umfassenden Unterrichtung a) Inhalt der Unterrichtungspflicht Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG legt der Bundesregierung eine Pflicht zur umfassenden Unterrichtung gegenüber dem Bundesrat und dem Bundestag auf. Weiterhin soll die Unterrichtung „zum frühestmöglichen Zeitpunkt" erfolgen. 78

Winkelmann, DVBl. 1993, 1128 (1134). Näher zu dieser Frage: Winkelmann, DVBl. 1993, 1128 (1134). 80 Insoweit besteht Einverständnis; Streit besteht indes um den Grad der rechtliche Bindungswirkung der Lindauer Vereinbarung, vgl. GGK-Rojahn, Art. 32 Rdnr. 53 f. 81 Ebenso: Donoth, S. 224; GGK-Rojahn, Art. 23 Rdnr. 3; SGK-Streinz, Art. 23 Rdnr. 9; Winkelmann, DVBl. 93, 1128 (1132 f.). 79

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Teil 2: Art. 23 GG - Inhalt und Anwendungsbereich

Gleichwohl knüpft die Pflicht zur Unterrichtung an den Anwendungsbereich des Absatzes 2 an und bezieht sich von ihrem Gegenstand nur auf Materien, die zu den Angelegenheiten der Europäischen Union zählen. Weitere Einschränkungen sieht das Grundgesetz selbst nicht vor. Die näheren Einzelheiten sind vielmehr gemäß Art. 23 Abs. 7 GG einer Regelung durch den einfachen Gesetzgeber überlassen, der hiervon mit dem Erlaß der §§ 2 EUZBLG und 3 EUZBTG Gebrauch gemacht hat. Nach § 2 EUZBLG unterrichtet die Bundesregierung den Bundesrat unbeschadet des Art. 2 EWG/EAG-V umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt über alle Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union, die „für die Länder von Interesse sein könnten". Die nähere Ausgestaltung und die Modalitäten der Unterrichtung sind in Ziffer I der Bund-Länder-Vereinbarung 1993 festgelegt.

b) Vereinbarkeit

von § 2 EUZBLG mit dem Grundgesetz

Fraglich ist, inwieweit § 2 EUZBLG mit der grundsätzlich unbeschränkten Unterrichtungspflicht des Art. 23 Abs. 2 S. 2 GG vereinbar ist. Der Zusatz in § 2 EUZBLG, nach dem sich die Pflicht zur Unterrichtung auf Vorhaben bezieht, „die für die Länder von Interesse sein könnten", erfordert eine politische und wertende Vorauswahl von Seiten der Bundesregierung und könnte schwer kontrollierbare Ermessensspielräume eröffnen. Bei der Beurteilung, was für die Länder von Interesse sein könnte - gleiches gilt auch im Hinblick auf die Unterrichtung des Bundestages nach § 3 EUZBTG - , gehen die politischen Einschätzungen und Interessen oftmals weit auseinander. Es ist für die Beteiligten kein Geheimnis mehr, daß die Bundesregierung über die Ebene der Europäischen Gemeinschaft auch Vorhaben verwirklichen kann, für die sich innenpolitisch keine Mehrheiten finden lassen würden 82 . Eine rechtzeitige und umfassende Information ist für die Wahrnehmung der Mitwirkungsrechte der anderen Bundesorgane angesichts der Dynamik des auf dem Verhandlungswege stattfindenden Rechtsetzungsprozesses und des Informationsvorsprungs der Bundesregierung 83 von eminenter Wichtigkeit. Sie ist gleichsam „conditio sine qua non" für eine effektive Wahrnehmung der Mitwirkungsbefugnisse von Bundestag und

82 Die Bundesregierung soll hierbei nach Berichten der Kommission an der Spitze der Staaten stehen, die die Kommission regelmäßig drängten, eine bestimmte Regelung vorzunehmen, vgl. Weber-Panariello, S. 239, unter Verweis auf Stoiber,; Sten. Prot, der 646. Sitzung des Bundesrates, S. 419 ff., 425. Insgesamt handelt es sich um ein strukturelles Problem der Entscheidungsfindung auf EG-Ebene, das auch die anderen Mitgliedstaaten betrifft, vgl. Frisch, in: Koch/Senghaas, Technokratiediskussion, 90 (104 ff.). 83 Vgl. Brenner, ThürVBl. 1993, 196 (200).

III. Die interne Willensbildung des Bundes

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Bundesrat. Aus diesem Grund ist die Pflicht zur Unterrichtung an erster Stelle in der Verfassung vor den näheren Mitwirkungsbefugnissen geregelt worden. Bei der Auslegung des § 2 EUZBLG ist weiter zu berücksichtigen, daß die Konstituierung und Ausgestaltung der Verfassungsorgane oder ihrer Teile wie auch das Parlaments- und Geschäftsordnungsrecht zu den grundlegendsten Entscheidungen rechnen, die eine Verfassung selbst treffen kann. Unabhängig von ihrem Standort stellen diesbezügliche Regelungen „materielles Verfassungsrecht" dar, das lediglich aus Gründen der Entlastung des Verfassungstextes nicht förmlich in diesen aufgenommen wird 84 . Bei Regelungsaufträgen des Grundgesetzes, die den Erlaß von materiellem Verfassungsrecht zum Gegenstand haben, kommt dem einfachen Gesetzgeber demzufolge bei der Ausfüllung des Regelungsauftrags nur ein geringer eigener Entscheidungsspielraum zu. Vielmehr muß er in besonderem Maße die in der Verfassung selbst gesteckten Ziele und Grenzen beachten85. Sinn und Zweck der Unterrichtung ist es, den anderen Bundesorganen eine angemessene Tatsachenbasis zur vollständigen Wahrnehmung ihrer in der Verfassung begründeten Mitwirkungsmöglichkeiten zu bieten. Daraus folgt, daß die Pflicht zur Information und dementsprechend auch der korrespondierende Anspruch von Bundestag und Bundesrat auf Information im Lichte ihrer möglichen Mitwirkung zu verstehen sind und sich folglich nach dem Umfang der potentiellen Mitwirkung ausrichten müssen86. Somit muß differenziert werden: Im Hinblick auf die allgemeine Funktion des Bundesrates als Kontrollorgan der Bundesregierung, die sich vor allem aus Art. 53 S. 3 und Art. 43 Abs. 2 GG und der Stellung der Staats- und Verfassungsorgane untereinander ergibt 87 , wäre eine „blinde" Weitergabe jeglicher im Rahmen der Europäischen Union erlangten Information weder interessen- noch sachgerecht. Der nur allgemeinen Kontrolltätigkeit des Bundesrates auf der einen Seite entspricht eine nur allgemein gehaltene Informationspflicht durch die Bundesregierung auf der anderen Seite. Eine vorherige Auswahl der Informationen durch die Bundesregierung ist insoweit zulässig und geboten. Anders ist die Sachlage zu beurteilen, in denen die Informationsübermittlung der potentiellen Wahrnehmung der dem Bundesrat gem. Art. 23 Abs. 4 bis 6 GG zugewiesenen Mitwirkungsrechte dient. Für diesen Fall sind dem Bundesrat im Verhältnis zur Bundesregierung besondere, über Art. 53 S. 3 GG hinausge84 Nach Hesse, Verfassungsrecht, Rdnr. 26 f., gehören der staatliche Aufbau und die Verteilung der Staatsfunktionen zu den Bereichen, die eine Verfassung nicht offen lassen kann. Vgl. zur Unterscheidung zwischen dem sog. „materiellen Verfassungsrecht" und der Regelung der staatliche Organisation lediglich nachgeordneter Bereiche: Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, § 13, Rdnr. 121 ff.; Stern, StaatsR I, S. 107 f. 85 So Stern, StaatsR I, S. 108; a.A.: SGK-Sachs, Einf. Rdnr. 10, der die Zugehörigkeit einer Norm zum materiellen Verfassungsrecht für „weithin ohne Bedeutung" hält. 86 In dem Sinne auch: Schede, S. 103. 87 Vgl. GGK-Krebs, Art. 53 Rdnr. 1, m.w.N. 7 Halfmann

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Teil 2: Art. 23 GG - Inhalt und Anwendungsbereich

hende Mitwirkungsrechte von Verfassungs wegen eingeräumt. Diese von der Verfassung vorgesehene Funktionsverteilung steht nicht zur Disposition der beteiligten Bundesorgane und darf nicht von der Bundesregierung erschwert oder verhindert werden. Die Bundesregierung muß folglich bei ihrer Entscheidung, welche Dokumente und Informationen sie weiterleitet, den Zweck des Art. 23 Abs. 2 S. 2 GG beachten, der nach seinem Wortlaut keine Einschränkung kennt. Die Bundesregierung ist gegenüber den Organen der Europäischen Gemeinschaft Empfängerin einer Vielzahl von Mitteilungen, Dokumenten oder der sonstigen Informationen, die Vorhaben der Europäischen Union betreffen. Nicht alle diese Dokumente oder Informationen betreffen Angelegenheiten, die bei vergleichender innerstaatlicher Betrachtung nach Art. 23 Abs. 4 GG eine Mitwirkungsbefugnis des Bundesrates auslösen oder in die ausschließliche Zuständigkeit der Länder fallen würden. Eine „blinde" Weiterleitung aller erhaltenen Informationen kommt somit ebenfalls nicht in Frage. In allen übrigen Fällen, in denen eine Mitwirkung des Bundesrates nach Art. 23 Abs. 4 bis 6 GG in Betracht kommt, und sei es auch nur im Wege der „einfachen" Stellungnahme, liegt der Erhalt der maßgebenden Informationen im Interesse der Länder. In diesem Fall muß folglich zwingend eine Weiterleitung der diesbezüglichen Informationen erfolgen. Ein Ermessen der Bundesregierung besteht somit nur auf der ersten Stufe, nämlich bei der Beurteilung, ob eine Angelegenheit voraussichtlich Mitwirkungsrechte des Bundesrates nach Art. 23 Abs. 4 bis 6 GG auslösen kann oder nicht. Ist dies zu bejahen, ist auch das von § 2 EUZBLG vorausgesetzte „Interesse" der Länder gegeben und hat eine Weiterleitung zu erfolgen. § 2 EUZBLG verwendet abweichend von Art. 23 Abs. 2 S. 2 GG darüber hinaus nicht den Begriff der „Angelegenheiten", sondern spricht von „Vorhaben". Ziffer I der Bund-Länder-Vereinbarung 1993 nennt hierfür unter 1) beispielhaft Dokumente, Berichte über Sitzungen und Informationen über förmliche Initiativen, Stellungnahmen und Erläuterungen der Bundesregierung für Organe der Europäischen Union. Gegenüber den „Angelegenheiten" ist der Begriff der „Vorhaben" somit der engere. Er bezieht sich nicht auf den internen Willensbildungsprozeß der beteiligten Regierungen oder der Kommission, sondern setzt erst dann ein, wenn eine Angelegenheit den internen Kreis des betreffenden Organs verlassen hat und den anderen Regierungen und Beteiligten zugänglich gemacht worden ist. Hierfür wird regelmäßig ein offizielles Dokument erforderlich sein. Vor diesem Zeitpunkt fehlt es noch an einem konkreten „Vorhaben". Auch diese Einschränkung konkretisiert die Vorgaben des Art. 23 Abs. 2 S. 2 GG in zutreffender Weise. Eine weitergehende Zielrichtung kann der Regelung des Art. 23 Abs. 2 S. 2 GG, der ohne nähere Einschränkung von „umfassender" Unterrichtung spricht, nicht unterstellt werden. Die Erstreckung der Informationspflicht auf interne Regierungsvorgänge war von den Ländern zu keiner Zeit angestrebt worden und kann darüber hinaus in den „Kernbereich

III. Die interne Willensbildung des Bundes

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der exekutiven Eigenverantwortung" der Bundesregierung eingreifen 88. Die wesentlichen Defizite im Hinblick auf die Unterrichtung der Länder und des Bundesrates sind seit Verabschiedung des Art. 2 EEAG und dem Abschluß der Bund-Länder-Vereinbarung 1987 behoben worden; die Mängel, die dennoch zu verzeichnen waren, beruhten überwiegend auf organisatorischen Umständen89. Die Informationspflicht der Bundesregierung und der korrespondierende Anspruch des Bundesrates auf Unterrichtung sollten lediglich auf eine verfassungsrechtliche Grundlage gestellt werden, ohne daß hiermit wesentliche inhaltliche Erweiterungen bezweckt worden wären.

2. Art. 23 Abs. 4 GG - Die Ausrichtung der Beteiligung an der innerstaatlichen Kompetenzverteilung Im Wege der Konkretisierung des in Art. 23 Abs. 2 S. 1 GG enthaltenen Grundsatzes der Mitwirkung des Bundesrates bestimmt Art. 23 Abs. 4 GG, daß die Mitwirkung erfolgt, wenn und soweit der Bundesrat an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären. Art. 23 Abs. 4 GG will eine lückenlose Beteiligung des Bundesrates in Übereinstimmung mit der innerstaatlichen Verfassungslage sicherstellen, wenn entweder der Bundesrat ein Beteiligungsrecht innehat oder aber die Länder zuständig wären 90. Anknüpfungsgegenstand ist jeweils die „Angelegenheit der Europäischen Union", die einer vergleichenden Betrachtung anhand der innerstaatlichen Kompetenzordnung unterzogen wird. Die Mitwirkung des Bundesrates erfolgt in Form der Beteiligung an der Willensbildung des Bundes. Die näheren Modalitäten werden in den weiteren Absätzen des Art. 23 GG geregelt. So verstanden bildet Absatz 4 die „Generalnorm" oder „Zwischenüberschrift" für die näheren Fallgruppen der Absätze 5 und 6 9 1 . Vereinzelt wird mit Blick auf den Wortlaut, der nur von „Willensbildung des Bundes" spricht, die Ansicht vertreten, Absatz 4 würde sich nur auf Absatz 5, also den Bereich der innerstaatlichen Willensbildung beziehen, nicht jedoch auf die Frage der Außenvertretung des Absatzes 6 9 2 . Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Ausgehend von Absatz 2 erfolgt eine schrittweise Konkretisierung und Intensivierung der Mitwirkung des Bundesrates in den nachfolgenden Ab-

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Siehe zum „Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung" noch unten, Teil 3, Kap. IV. 1. b), S. 243 ff. 89 Vgl. oben, Teil 1, Kap. V, zu den Fußn. 191 und 197. 90 GGK-Rojahn, Art. 23 Rdnr. 63. 91 So die ganz h.M., vgl. Fischer, ZParl 1993, 33 (42); GGK-Rojahn, Art. 23 Rdnr. 63; MD-RandeIzhofer, Art. 24 Rdnr. 206; Scholz, NJW 1992, 2593 (2597). 92 So: Schede, S. 91 f.

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Teil 2: Art. 23 GG - Inhalt und Anwendungsbereich

Sätzen 4 bis 6. Die Mitwirkung des Bundesrates variiert graduell nach dem Maß der Betroffenheit der Gesetzgebungskompetenzen der Länder, und zwar sowohl innerhalb des Absatzes 5 als auch zwischen den Absätzen 5 und 6 untereinander. Insbesondere wird durch den Verweis in Art. 23 Absatz 6 Satz 2 GG auf das Erfordernis der Abstimmung mit der Bundesregierung und der Verpflichtung, die gesamtstaatliche Verantwortung zu wahren, der enge Zusammenhang zwischen Willensbildung des Bundes und der sog. „Außenvertretung" deutlich. Eine Außenvertretung ohne vorherige und gleichzeitige Willensbildung des Bundes ist nach dem Wortlaut des Art. 23 Abs. 6 GG ausgeschlossen. Das Grundgesetz geht insoweit nur von einem graduellen Unterschied zwischen Willensbildung und Außenvertretung aus, nicht aber von einem „aliud"-Verhältnis. Das hier vertretene Verständnis findet ebenfalls in den Beratungen der parlamentarischen Gremien seine Stütze, die Absatz 4 als Leitsatz für die Mitwirkungsrechte des Bundesrates an der Willensbildung des Bundes in weiterem Sinn verstanden haben93. Die von Randelzhofer vertretene Dreistufigkeit der Mitwirkung des Bundesrates in Art. 23 GG (Abs. 5 S. 1, Abs. 5 S. 2 und Abs. 6) ist daher zutreffend 94. Die Gegenansicht erscheint auch gekünstelt, wenn zur Begründung angeführt wird, daß Absatz 4 und 5 nicht für die sogenannten „uneigentlichen Ratsbeschlüsse" gelte, Absatz 6 hingegen auch diesen Fall umfassen soll 95 . Soweit der EGV selbst die erwähnten Beschlußformen vorsieht, handelt es sich, wie bereits zuvor erwähnt, ohne weiteres um „Angelegenheiten der Europäischen Union" 96 . Sie werden daher nach überwiegender Ansicht auch dem Gemeinschaftsrecht zugeordnet, was sich nicht zuletzt daraus ergibt, daß diese Beschlüsse für neu beitretende Staaten nach der Beitrittsakte als verbindlich bestimmt werden 97. Etwas anderes muß lediglich für die „reinen Vertreterbeschlüsse" gelten, die ohne gemeinschaftliche Kompetenzgrundlage und ohne den engen Bezug zum Gemeinschaftsrecht gefaßt werden. Mögen diese auch durch die Einbeziehung in der Beitrittsakte wie verbindliches Gemeinschaftsrecht behandelt werden, so handelt es sich bei ihnen de jure nicht um Gemeinschaftsrecht 98. Folglich gelten diese auch nicht als eine „Angelegenheit der Eu-

93

Bericht der GVK, S. 43. Vgl. den Gesetzentwurf der BReg. vom 2.10.92, BT-Drs. 12/3338, S. 7 f.; deutlich auch: Möller, Sten. Prot, der GVK, 8. Sitzung v. 26.6.92, S. 5. 94 MD-Randelzhofer, Art. 24 Rdnr. 206; a.A.: Schede, S. 92, Fußn. 208. 95 Schede, S. 91 f. 96 Die Rechtsnatur ist im einzelnen umstritten, vgl. KEU-Schweitzer, Art. 146 Rdnr. 13 f.; Schweitzer/Hummer, Rdnr. 183 ff. 97 KEU-Schweitzer, Art. 146 Rdnr. 14 f.; Schweitzer/Hummer, Rdnr. 184; vgl. auch: Geiger, EGV, Art. 189a Rdnr. 28. 98 Schweitzer, Art. 146 Rdnr. 16 f. Deshalb könnte der EuGH einen solchen Beschluß auch nicht aufheben, sondern allenfalls einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht durch eben diesen Beschluß feststellen.

III. Die interne Willensbildung des Bundes

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ropäischen Union" 99 , so daß der Art. 23 GG ohnehin nicht zur Anwendung gelangen könnte.

3. Art. 23 Abs. 5 Satz 1 Die einfache Berücksichtigung der Stellungnahme des Bundesrates Art. 23 Abs. 5 GG konkretisiert in den Sätzen 1 und 2 die Mitwirkung des Bundesrates an der Willensbildung des Bundes, die je nach der innerstaatlichen Kompetenzverteilung und dem Grad der Betroffenheit in ihrer Intensität variiert. Nach Satz 1 ist die Stellungnahme des Bundesrates lediglich einfach zu berücksichtigen. Satz 2 wiederum begründet eine Pflicht zur „maßgeblichen Berücksichtigung" der Stellungnahme des Bundesrates, soweit Länderkompetenzen in besonderer Weise betroffen sind.

a) Tatbestand und Anwendungsbereich von Art. 23 Abs. 5 S. 1 GG Die Bundesregierung hat die Stellungnahme des Bundesrates zu berücksichtigen, soweit es sich um einen Bereich ausschließlicher Zuständigkeiten des Bundes handelt und Interessen der Länder berührt sind oder soweit im übrigen der Bund das Recht zur Gesetzgebung hat.

(1) Alternative: Ausschließliche Zuständigkeit des Bundes Satz 1 verlangt in der ersten Alternative kumulativ, daß die beabsichtigte Maßnahme aus dem Blickwinkel des nationalen Verfassungsrechts in den Bereich der ausschließlicher Zuständigkeiten des Bundes fallen würde und daß Interessen der Länder berührt sind. Die Qualifizierung einer Maßnahme hiernach dürfte keine besonderen, bislang nicht gekannte Schwierigkeiten aufwerfen. In Betracht kommen alle Zuständigkeiten des Bundes, fur die das Grundgesetz keine Kompetenztitel zugunsten der Länder enthält 100 . Hierzu zählen neben den in Art. 73 GG genannten Gesetzgebungsbefugnissen auch die Kompetenzen des

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So auch: Morawitz/Kaiser, S. 119. Richtigerweise müssen diese nach allgemeinem Völkerrecht behandelt werden, vgl. KEU -Schweitzer, Art. 146 Rdnr. 14 f.; Schweitzer/Hummer, Rdnr. 183. 100 So auch der Bericht der Berichterstattergruppe „Grundgesetz und Europa" der GVK vom 25.11.92, S. 8, abgedruckt als „Arbeitsunterlage 104" der GVK; Schede, S. 119 f.

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Teil 2: Art. 23 GG - Inhalt und Anwendungsbereich

Bundes nach Art. 32 Abs. 1 GG 1 0 1 , die Bundesauftragsverwaltung nach Art. 85 GG und die bundeseigene Verwaltung nach den Art. 86 ff. GG. Die erste Alternative ist damit nicht auf den Bereich der Gesetzgebungsmsimà\$&\X des Bundes beschränkt. Dies beweist der Vergleich mit der zweiten Alternative, in der explizit von dem Recht der „Gesetzgebung" die Rede ist 102 . „Interessen der Länder" sind entsprechend dem Grundgedanken des Art. 23 Abs. 4 GG stets dann „berührt", wenn die Länder entweder über den Bundesrat am Erlaß einer entsprechenden innerstaatlichen Regelung mitwirken würden oder die Länder für den VerwaltungsVollzug zuständig wären. Soweit der Erlaß von Rechtsakten in Frage steht, ist dieses Merkmal stets erfüllt, da der Bundesrat hieran nach Art. 77 GG, sei es im Wege des Einspruchs oder der Zustimmung, immer mitwirkt 103 . Da im übrigen der Verwaltungsvollzug nach den Art. 30 und 83 ff. GG regelmäßig den Ländern obliegt, dürfte die Mehrzahl der Fälle im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit des Bundes eine lückenlose Beteiligung auch des Bundesrates nach sich ziehen. Konfliktstoff zwischen Bund und Ländern kann sich daher bei der Anwendung dieses Merkmals im Ergebnis kaum ergeben 104. Gibt der Bundesrat nach einer Unterrichtung durch die Bundesregierung eine Stellungnahme zu der fraglichen Angelegenheit ab, ist dies in der Regel ein Indiz dafür, daß auch Interessen der Länder berührt sind 105 .

(2) Alternative: Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes im übrigen Schwieriger zu handhaben ist die zweite Alternative des Art. 23 Abs. 5 S. 1 GG, in der auf die „Gesetzgebungskompetenz des Bundes im übrigen" abzustellen ist. Im Rahmen dieser Alternative kommt es nicht mehr darauf an, ob „Interessen der Länder" berührt sind. Das Grundgesetz geht davon aus, daß in den Bereichen, die nicht zur ausschließlichen Zuständigkeit des Bundes gehören, die Interessen der Länder stets berührt sind. Der Bereich der „Gesetzgebungskompetenzen im übrigen" ist wiederum anhand der Kompetenztitel des

101 Wenngleich es nach dem hier vertretenen Verhältnis der Spezialität des Art. 23 GG zu Art. 32 GG nicht zu Überschneidungen kommen kann, soweit eine Materie den Angelegenheiten der Europäischen Union unterfällt. 102 Vgl. Schede, S. 119 f., Fußn. 337, sowie den Bericht der Berichterstattergruppe „Grundgesetz und Europa" der GVK vom 25.11.92, S. 8, abgedruckt als „Arbeitsunterlage 104" der GVK. 103 Wie hier im Ergebnis: Schede, S. 121, der aus der Beteiligung des Bundesrates „regelmäßig" das Vorliegen von Länderinteressen folgert. 104 So auch im Ergebnis: Schede,, S. 123. 105 In Betracht kommen auch finanzielle oder haushaltsmäßige Interessen, auf die das geplante Vorhaben Auswirkungen haben kann. Die Formulierung „Interessen der Länder" ist bereits früher zur Abgrenzung verwendet worden, vgl. bereits die Anmerkung oben in Teil 1, Kap. II, Fußn. 54.

III. Die interne Willensbildung des Bundes

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Grundgesetzes zu ermitteln. Einschlägig sind also alle Titel der konkurrierenden Gesetzgebung nach den Art. 72, 74, 74a und 105 Abs. 2 GG sowie der Rahmengesetzgebung nach Art. 75 GG. Indes hat sich gerade an dieser Alternative ein heftiger Streit entzündet, der bereits während des Gesetzgebungsverfahrens zwischen Bundesregierung und Bundesrat entbrannte und nachfolgend von der Literatur aufgegriffen worden ist. Hintergrund der Streitigkeiten war die unterschiedliche Auslegung der „Vorrang-" oder der „Sperrklausel" des Art. 72 Abs. 1 GG sowie der „Bedürftiisklausel" des Art. 72 Abs. 2 GG. Art. 72 Abs. 1 GG in der bis zum 15.11.1994 geltenden Fassung hatte folgenden Wortlaut: „(1) Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung haben die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung, solange und soweit der Bund von seinem Gesetzgebungsrechte keinen Gebrauch macht."

Hieran anknüpfend vertrat die Bundesregierung die Auffassung, daß dem Bund bereits dann das Recht zur Gesetzgebung im Sinne des Art. 23 Abs. 5 S. 1 GG zustehe, wenn lediglich die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG erfüllt seien, also ein Bedürfnis nach einer bundesgesetzlichen Regelung bestehe; ein Gebrauchmachen der Kompetenz durch den Bund sei nicht erforderlich 106. Die Bundesregierung machte sich insoweit das Ergebnis der Beratungen der GVK zu eigen, in denen die Frage des Umfangs der Mitwirkungsrechte der Länder nicht nur zwischen Bund und Ländern, sondern auch innerhalb der Bundesregierung selbst zunächst streitig war 107 . Aus den Beratungen der GVK, in denen schließlich Einigkeit erzielt worden ist, ergibt sich jedoch deutlich, daß Art. 23 Abs. 5 S. 1 GG auch für den Bereich der konkurrierenden und der Rahmengesetzgebung Anwendung finden sollte, in dem der Bund wegen eines Bedürfnisses für eine bundesgesetzliche Regelung zumindest Gebrauch machen könnte™*. Im nachfolgenden Gesetzgebungsverfahren hatte der Bundesrat dieser Auffassung in seiner Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zunächst widersprochen und vertrat die Position, daß in den Fällen, in denen der Bund trotz bestehender Gesetzgebungszuständigkeit nach Art. 72, 74 oder 75 GG kein Bundesrecht erlassen hat, die Stellungnahme des Bundesrates

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BT-Drs. 12/3338, S. 8. Siehe den Bericht des Abg. Franz Möller zur 7. Sitzung der GVK vom 4.6.92, Arbeitsunterlage Nr. 41 der GVK, S. 3 f. 108 Hervorheb. durch den Verf. Siehe Möller.; Bericht zur 8. Sitzung der GVK vom 26.6.92, Arbeitsunterlage Nr. 64, S. 5 f.; Schnoor.; Bericht der Berichterstattergruppe „Grundgesetz und Europa" vom 25.11.92, Arbeitsunterlage Nr. 104 der GVK, S. 8 ff., sowie der stenographische Bericht der 8. Sitzung der GVK v. 26.6.1992, S. 4 ff. Die GVK hat die Empfehlungen der Berichterstattergruppe nahezu unverändert aufgenommen und hierbei das Verständnis des Art. 23 Abs. 5 S. 1, 2. Alt. geteilt, vgl. Bericht der GVK, S. 44. 107

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Teil 2: Art. 23 GG - Inhalt und Anwendungsbereich

nach Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG „maßgeblich" zu berücksichtigen sei 109 . Nachdem der „Sonderausschuß Europäische Union (Vertrag von Maastricht)" des Deutschen Bundestages in seiner Stellungnahme der Auffassung der Bundesregierung und der GVK beigetreten war 110 , stimmte der Bundesrat dem Gesetzentwurf zu 111 . Der Regierungsentwurf des Ausführungsgesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern enthielt dementsprechend in § 5 Abs. 2 S. 1 im Anschluß an das Tatbestandsmerkmal „Gesetzgebungsbefugnisse der Länder" den klärenden Zusatz „und der Bund kein Recht zur Gesetzgebung hat" 112 . Der Bundesrat widersprach zwar in seiner Gegenäußerung der Einfügung des besagten Zusatzes113, verzichtete aber letztlich darauf, in dieser Frage den Vermittlungsausschuß anzurufen 114. Nachdem sowohl die Grundgesetzänderungen als auch das EUZBLG wie auch das EUZBTG in den parlamentarischen Gremien gleichzeitig beraten und verhandelt worden sind, kann kein Zweifel mehr daran bestehen, daß die in den §§5 und 7 EUZBLG zum Ausdruck kommende Auslegung den Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers korrekt wiedergibt. Ein Anzeichen dafür, daß nunmehr auch der Bundesrat von seiner gegenteiligen Rechtsauffassung abgerückt ist, enthält die BundLänder-Vereinbarung von 1993 115 in Ziffer II unter 2. im zweiten Absatz. Danach ist zur Beurteilung der Frage, ob bei einem Vorhaben der Bund im nationalen Bereich das Recht zur Gesetzgebung hat, in den Fällen der konkurrierenden und der Rahmengesetzgebung „auch darauf abzustellen, ob ein Bedürfnis nach bundesgesetzlicher Regelung im Sinne von Art. 72 GG bestehen wiirdè\ Im Klartext bedeutet dies, daß der Bundesrat seine abweichende Auffassung aufgegeben hat 116 . Während der Meinungsstreit damit in der Praxis erledigt ist, bestehen in der Literatur die unterschiedlichen Auffassungen fort. Die überwiegende Meinung folgt der Auslegung der Bundesregierung, jedoch wird auch die gegenteilige

109 BR-Drs. 501/92 (Beschluß), zu Nr. 2. Der Bundesrat berief sich u.a. darauf, daß die Entstehungsgeschichte „eindeutig" für diese Auslegung spreche. Nach den vorliegenden Protokollen, Berichten und Empfehlungen der GVK ist gerade das Gegenteil der Fall. Möglicherweise steckte hinter dem Streit ein offener oder verdeckter Dissens der Länder untereinander. 110 Vgl. BT-Drs. 12/3896, S. 20. 111 BR-Drs. 809/92 (Beschluß). 112 Gesetzentwurf der BReg. v. 25.9.92, BR-Drs. 630/92. 113 Vgl. BT-Drs. 12/3540, Anlage 2, S. 8 f. 114 Der Bundesrat hat den Vermittlungsausschuß lediglich zu § 14 des Entwurfes des EUZBLG (Zusammensetzung des Ausschusses der Regionen) angerufen, vgl. BT-Drs. 12/4034. 115 Siehe Einleitung, Fußn. 4. 116 Im Ergebnis wie hier: Kunig\ in: Verfassungsrecht im Wandel, 591 (600).

III. Die interne Willensbildung des Bundes

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Auffassung vertreten 117. Nach einer vermittelnden Ansicht hat der Bund bei bestehendem Bedürfnis für eine bundesgesetzliche Regelung nach Art. 72 Abs. 2 GG das Recht zur Gesetzgebung i.S.v. Art. 23 Abs. 5 S. 1, 2. Alt. GG, es sei denn, eines der Länder hätte seine Befugnis zur Gesetzgebung nach Art. 72 Abs. 1 GG in Anspruch genommen und sei gesetzgeberisch bereits tätig geworden. Im letzteren Fall seien stets „im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder" i.S.v. Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG betroffen 118. Wortlaut und Entstehungsgeschichte des Artikels 23 GG sprechen jedoch wie gezeigt für die Auffassung der Bundesregierung. Soweit das Grundgesetz einerseits in Absatz 5 Satz 1 GG die Formulierung „Recht zur Gesetzgebung" des Bundes und andererseits in Satz 2 die Formulierung „Gesetzgebungsbefugnisse der Länder" verwendet, sind die Formulierungen zwar den ersten beiden Absätzen des Artikels 72 GG entlehnt. Artikel 72 GG trifft im Gegensatz zu Art. 23 Abs. 4 und 5 GG allerdings nur eine Aussage im Hinblick auf das Rangverhältnis für den Fall eines tatsächlichen Gebrauchmachens der Gesetzgebungskompetenz durch den Bund. Sind die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 erfüllt und macht der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch, wird die Gesetzgebungskompetenz der Länder verdrängt; eventuell bestehende Landesgesetze sind in dem Fall wegen des Wegfalls der Kompetenzgrundlage nichtig 119 . Im übrigen verbleibt die Kompetenz bei den Ländern 120. Im Rahmen des Artikels 23 Abs. 4 und 5 GG kommt es hingegen auf die hypothetische Gesetzgebungskompetenz an. Versuche, wegen der Entlehnung der Tatbestandsmerkmale das Verhältnis zwischen beiden Varianten unter Rückgriff auf Artikel 72 GG oder die abstrakte Verteilung der Kompetenzen im Bundesstaat zu lösen 121 , können schon deshalb nicht überzeugen, weil sich eine hypothetische Rangfrage zwischen Art. 72 Abs. 1 und Abs. 2 GG nicht stellt. Vor dem Zeitpunkt des Gebrauchmachens von der Gesetzgebungskompetenz durch den Bund können gleichermaßen die Absätze 1 und 2 des Artikels 72 GG von ihren Tatbestandsvoraussetzungen ge-

117 So vor allem: Wilhelm,, BayVBl. 1992, 705 (708). Der Ansicht der Bundesregierung folgend: Fischer,; ZParl 1993, 32 (42 f.); GGK-Rojahn, Art. 23 Rdnr. 65; Magiera, Jura 1994, 1 (10); M D - Randelzhof er, Art. 24 Rdnr. 207, Morawitz/Kaiser, S. 96 f.; Scholz, NVwZ 1993, 817 (823); SGK-Streinz, Art. 23 Rdnr 105. 118 Schede, S. 127 ff. 119 Auf einen Normwiderspruch kommt es nicht an, vgl. SGK-Degenhart, Art. 72 Rdnr. 30, m.w.N. 120 Damit sei nicht behauptet, im Rahmen des Art. 72 GG gäbe es keine Auslegungsprobleme. So ist z.B. die Feststellung der Voraussetzungen der Bedürfnisklausel nicht unproblematisch, ebenso wie die Frage des Zeitpunktes des Eintritts der Sperrwirkung oder ob der Bund von seiner Kompetenz erschöpfend Gebrauch gemacht hat, vgl. hierzu die Kommentierungen bei: GGK-von Münch, Art. 72 Rdnr. 5 ff.; SGK-Degenhart, Art. 72 Rdnr. 1 ff. Nur sind diese Probleme für die vorliegende abstrakte Frage der Abgrenzung ohne Bedeutung. 121

So aber die Versuche des Bundesrates, vgl. BR-Drs. 809/92 (Beschluß), S. 2; diesem folgend: Schede, S. 124, 127 ff.

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Teil 2: Art. 23 GG - Inhalt und Anwendungsbereich

geben sein, so daß sich diese nicht als Anknüpfungspunkt für eine hypothetische Abgrenzung eignen 122 . Daran hat auch die Neufassung des Art. 72 GG mit Wirkung vom 16.11. 1994 nichts geändert 123. Absatz 1 hat nun folgenden Wortlaut: „(1) Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung haben die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat i]2 4.

Ziel der Neufassung war lediglich eine zeitliche Abschwächung und inhaltliche Präzisierung des Eintritts und Umfangs der Sperrwirkung 125, nicht jedoch eine Änderung der grundsätzlichen Systematik des Art. 72 Abs. 1 und 2 GG 1 2 6 . Durch die Verwendung des Perfektes in der Formulierung „Gebrauch gemacht hat" ist das Verhältnis zwischen Absatz 1 und Absatz 2 nicht verändert worden, so daß auch insoweit keine Rückschlüsse auf eine „abstrakte" Rangfolge der Gesetzgebungskompetenzen gezogen werden können. Maßgebend für die Bestimmung des Verhältnisses können nur andere Gesichtspunkte sein, wie die Gesetzesentstehung, die Systematik oder der Gesetzeszweck. Neben den Gesetzesmaterialien, die eindeutig für die von der Bundesregierung und der überwiegenden Literatur vertretene Ansicht sprechen, wird diese Auslegung auch durch folgende systematische Erwägungen gestützt: Artikel 23 GG stellt abweichend von den Art. 30 und 72 ff. GG eine Sonderregelung zur vertikalen und horizontalen Kompetenzverteilung im Bundesstaat dar, durch die dem Bund, und hier näher der Bundesregierung, die vorrangige Kompetenz zugewiesen wird. Schon aufgrund dieser Unterschiede ist der Rückgriff auf einen „Grundgedanken" des Art. 72 GG im Rahmen des Art. 23 GG verfehlt. Es wäre vom Ergebnis nicht einzusehen, weshalb der Bundesrat bei EG-Vorhaben ein maßgebliches Mitspracherecht haben sollte, wenn der Bund unter den Voraussetzungen des Artikels 72 Abs. 2 GG durch einfaches Gesetz und ungeachtet etwaiger be-

122 So auch die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drs. 12/3338, Anlage 3, S. 14. 123 Siehe oben, Teil 1, Kap. V, Fußn. 280. 124 Hervorhebung durch den Verf. 125 Vgl. die Begründung des Entwurfes der Fraktionen der CDU/CSU, F.D.P. und SPD, BT-Drs. 12/6633, S. 8; Bericht der GVK. S. 65. Der Zeitpunktes des Eintritts der Sperrwirkung war bislang umstritten: Das BVerfG neigt unter Berufung auf den Gesichtspunkt des bundesfreundlichen Verhaltens der Ansicht zu, daß die Sperrwirkung des Art. 72 GG bereits ab dem Zeitpunkt der Einbringung eines Gesetzentwurfes in den Bundestag eintrete, BVerfGE 34, 9 (29); 36, 342 (363). Die überwiegende Literatur folgt diesem Ergebnis, vgl. Rengeling, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. IV, § 100, Rdnr. 108; Stern, StaatsR II, S. 595 f. Nach der Änderung des Art. 72 GG dürfte es fortan für den Bereich des Art. 72 GG aber nur noch auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens ankommen, vgl. Stern, StaatsR II, S. 595 f., für die Formulierung „Gebrauch gemacht hat". 126 SGK-Degenhart, Art. 72 Rdnr. 4.

III. Die interne Willensbildung des Bundes

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stehender Landesgesetze von seiner Kompetenz Gebrauch machen könnte 127 . Auch die oben genannte Mittelmeinung, die danach differenziert, ob die Länder von ihren Gesetzgebungsbefugnissen bislang Gebrauch gemacht haben oder nicht, vermag daher nicht zu überzeugen.

b) Die Pflicht zur Berücksichtigung der Stellungnahme des Bundesrates Im Fall des Satzes 1 hat die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates bei der Willensbildung des Bundes zu „berücksichtigen". Damit greift das Grundgesetz eine Formulierung auf, die bereits in Art. 2 Abs. 3 EEAG enthalten war und über deren Bedeutung bislang keine Differenzen bestanden. Die aus dem Bereich des allgemeinen Verwaltungsrechts entlehnte Formulierung „berücksichtigen" bedeutet, daß die Bundesregierung die Argumente des Bundesrates zur Kenntnis nehmen, sie in ihre Entscheidung einbeziehen muß und sich mit ihnen auseinanderzusetzen hat. Sie ist jedoch an die Stellungnahme im Ergebnis nicht gebunden128. Vom Wortlaut her fügt sich die Formulierung „berücksichtigen" nicht in den sprachlichen Duktus des Grundgesetzes ein. Bei den Beratungen der GVK wurden Bedenken erhoben, ob man das Grundgesetz mit einer Bestimmung „belasten sollte, die in der Praxis keine besonderen Auswirkungen haben" würde 129 . Vorgeschlagen wurde vielmehr, eine solche Bestimmung in einem Ausführungsgesetz aufzunehmen 130. Die Tatsache, daß diese Pflicht im Grundgesetz selbst verankert worden ist und somit zu einer formellen und verbindlichen Rechtspflicht erhoben worden ist, bleibt indes nicht ohne Rechtsfolgen. Der Bundesrat und die Länder haben im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens großes Gewicht auf eine verfassungsrechtliche Verankerung ihrer Mitwirkungsrechte gelegt. Entsprechend dem verfassungsrechtlichen Stellenwert der Pflicht zur Berücksichtigung wird man im Organverhältnis zwischen Bundesregierung und Bundesrat ein transparentes und nachprüfbares Verfahren der Kontrolle der Einhaltung der gegenseitigen Pflichten fordern müssen, da ansonsten die Rechtspflicht zur Berücksichtigung praktisch entwertet würde. Hierzu in Widerspruch steht die Tatsache, daß eine Verpflichtung, bei einem Abweichen von der Stellungnahme des Bundesrates diesem auf Verlangen die 127

Darauf weist insbesondere die Bundesregierung hin, vgl. BT-Drs. 12/3338, S. 8 u.

15. 128 Vgl. bereits: Drs. 12/3338, S. 8; S. 20. 129 So der Abg. S. 8. 130 Verheugen,

Bericht der GVK, S. 57; Gesetzentwurf der Bundesregierung., BTBericht und Beschlußempfehlung des SoAEU, BT-Drs. 12/3896, Verheugen, vgl. Sten. Prot, der 7. Sitzung der GVK am 4.6.1992, Fußn. 129.

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Teil 2: Art. 23 GG - Inhalt und Anwendungsbereich

hierfür maßgeblichen Gründe mitzuteilen, nicht mehr im Ausfuhrungsgesetz enthalten ist. In dem bis zum Inkrafttreten des EUZBLG geltenden Art. 2 Abs. 4 EEAG war eine diesbezügliche Rechtspflicht der Bundesregierung noch ausdrücklich verankert. Nunmehr ist eine Begründungspflicht für den Fall eines Abweichens von der Stellungnahme des Bundesrates nur noch in Ziffer III. 5. der in Ausführung zu § 9 EUZBLG geschlossenen Bund-Länder-Vereinbarung 1993 enthalten, jedoch mit der Maßgabe, daß die Mitteilung erst „nach Abschluß eines Vorhabens" erfolgt 131 . Ein Abwarten bis zum Abschluß eines Vorhabens, das sich über Jahre hinziehen kann, entspricht allerdings nicht dem Sinn der Pflichten aus Art. 23 Abs. 2 S. 1 und Abs. 5 S. 1 GG, die dem Bundesrat eine wirkungsvolle Mitwirkung im Rahmen seiner Befugnisse ermöglichen wollen. Auf Verlangen des Bundesrates sind diesem daher die für ein Abweichen von seiner Stellungnahme maßgeblichen Gründe mitzuteilen, sobald der Bundesregierung dies möglich und zumutbar ist. Aus Gründen der Transparenz, der Justitiabilität und des Rechtsschutzes kann darüber hinaus auch die Einhaltung der Schriftform für eine solche Mitteilung verlangt werden 132 .

4. Art. 23 Abs. 5 Satz 2 GG Die Pflicht zur „maßgeblichen46 Berücksichtigung Nach Absatz 5 S. 2 ist bei der Willensbildung des Bundes die Auffassung des Bundesrates „maßgeblich" zu berücksichtigen, soweit im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahren betroffen sind. Absatz 5 Satz 2 statuiert eine qualifizierte Pflicht zur Berücksichtigung, die allerdings weiteren Vorbehalten unterliegt: Zum einen ist nach Satz 2, 2. Hs. die „gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren", zum anderen ist nach Satz 3 in Angelegenheiten, die zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeverminderungen für den Bund führen können, die Zustimmung der Bundesregierung erforderlich.

a) Tatbestand und Anwendungsbereich (1) „Gesetzgebungsbefugnisse der Länder" Satz 2 verlangt zunächst, daß die Länder von einer Angelegenheit der Europäischen Union entweder in ihren Gesetzgebungsbefugnissen oder in ihrer Verwaltungs- und Organisationshoheit betroffen sind. Die Bestimmung des ersten Merkmals wirft keine besonderen Schwierigkeiten auf: Angesprochen sind alle 131 132

Zur Fundstelle der Bund-Länder-Vereinbarung siehe Einleitung, Fußn. 4. So auch: Schede, S. 131, Fußn. 382.

III. Die interne Willensbildung des Bundes

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Bereiche, für die das Grundgesetz keinen Kompetenztitel zugunsten des Bundes enthält, einschließlich der Bereiche der konkurrierenden und der Rahmengesetzgebung, für die sich mangels des Vorliegens der Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG eine Kompetenz des Bundes nicht begründen ließe.

(2) „Einrichtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahren" Mit „Einrichtung ihrer Behörden" ist wie in Art. 84 Abs. 1 GG jedwede Änderung des Behördenaufbaus oder der Behördenstruktur gemeint, d.h. die Errichtung und Ausgestaltung der Behörden wie auch der Festlegung ihrer Aufgaben und Befugnisse 133. Das „Verwaltungsverfahren" umfaßt zunächst den formellen Ablauf und die Art und Weise des behördlichen Verwaltungshandelns. Die Frage, ob auch materiellrechtliche Regelungen hierunter fallen können, muß danach beantwortet werden, ob hierdurch zumindest auch das Verwaltungshandeln festgelegt wird, also ein Eingriff in die Organisationsgewalt der Länder erfolgt oder nicht 134 .

(3) „Betroffensein im Schwerpunkt" Für ein „Betroffensein" der Länder im Hinblick auf die Einrichtung ihrer Behörden oder auf ihre Verwaltungsverfahren genügt nicht, daß die Länder mit dem Verwaltungsvollzug einer EG-Maßnahme oder eines im Gefolge eines EGRechtsaktes erlassenen innerstaatlichen Rechtsaktes befaßt sind. Nach der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes ist dies der Regelfall, so daß die Differenzierung der Mitwirkungsrechte im Rahmen des Art. 23 Abs. 5 GG leerlaufen würde. Vielmehr meint das Grundgesetz, daß die Einrichtung der Behörden oder das Verwaltungsverfahren selbst den Gegenstand der betreffenden EUoder EG-Maßnahme bilden müssen135. Gerade letzteres ist bei der Rechtsetzung der Europäischen Gemeinschaften nicht selten der Fall, obwohl der EGV keine

133

So die ganz h.M., vgl. GGK-Broß, Art. 84 Rdnr. 6; SGK-D/ttmann, Art. 84 Rdnr. 7. Näher zum Merkmal „Einrichtung ihrer Behörden": Schede, S. 134 f. 134 Vgl. GGK-Broß, Art. 84 Rdnr. 10 ff.; SGK-Dittmann, Art. 84 Rdnr. 9 ff.; offengelassen von: Schede, S. 135. Siehe auch die Beispiele in der Begründung des Regierungsentwurfes, BT-Drs. 12/3338, S. 9. 135 So die Begründung des Regierungsentwurfes, BT-Drs. 12/3338, S. 9, wo in sophistischer Weise zwischen „betroffen" und „berührt" unterschieden wird.

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Teil 2: Art. 23 GG - Inhalt und Anwendungsbereich

ausdrückliche Kompetenzgrundlage hierfür bereitstellt 136. Vor allem im Umweltbereich zeichnen sich viele Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft zunehmend durch ein Übergewicht an Verfahrens- und Organisationsregelungen im Verhältnis zu den materiellen Regelungen aus 137 . „Im Schwerpunkt" sind die Länderkompetenzen betroffen, wenn die betreffenden Regelungen bei einer Gesamtschau im Mittelpunkt stehen oder ganz überwiegend den Regelungsgegenstand bilden 138 . Maßgebend soll insoweit eine qualitative Betrachtung sein 139 . Auf eine entsprechende Auslegung haben sich Bund und Länder in der Bund-Länder-Vereinbarung von 1993 geeinigt 140 . Teilweise wird unter Verweis auf die innerstaatliche Kompetenzverteilung und den möglicherweise nur geringen Anwendungsbereich eine erweiternde Auslegung des Merkmals „im Schwerpunkt" vertreten, dergestalt, daß bereits ein „wesentlicher, ins Gewicht fallender Teil" des EG-Vorhabens, der Länderrechte betrifft, die Pflicht zur maßgeblichen Berücksichtigung auslösen soll 141 . Letztere Auffassung begegnet jedoch erheblichen Bedenken. Mit der Abgrenzung der Zuständigkeiten „nach dem Schwerpunkt" weicht das Grundgesetz in augenfälliger Weise von dem Modus der innerstaatlichen Kompetenzordnung ab. Zwar kennt auch das nationale Verfassungsrecht Zuordnungsprobleme und ungeschriebene Kompetenzzuweisungen wie etwa die sog. „Kompetenz kraft Sachzusammenhangs", die „Annexkompetenz" oder die Kompetenz aus der „Natur der Sache"142. Eine Abgrenzung nach dem Schwerpunkt eines Regelungsvorhabens erfolgt jedoch nicht. Auch durch die Verwendung der Formulierung „insoweit" in Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG, die sicherstellen soll, daß sich die Pflicht zur „maßgeblichen Berücksichtigung" der Bundesratsstellungnahme nicht auf die gesamte EG-Maßnahme bezieht, wird von dem im innerstaatlichen

136 Im EGV finden sich nur ganz vereinzelt Vorschriften, die der Gemeinschaft eine Kompetenz zum Vollzug des EG-Rechts einräumen, vgl. die Beispiele bei: Schweitzer/Hümme,r, Rdnr. 426 u. 430 f. Der EuGH leitet aus Art. 5 EGV zusätzliche, neben Art. 189 Abs. 3 EGV tretende Verfahrenspflichten der Mitgliedstaaten für die Umsetzung von Richtlinien ab, vgl. die Nachweise bei: KEU- v.Bogdandy; Art. 5 Rdnr. 41. Er verlangt generell nach dem Grundsatz des „effet utile", daß die Mitgliedstaaten dem Gemeinschaftsrecht zu einer umfassenden Wirksamkeit verhelfen müssen, EuGH Rs. 30/70, Slg. 1970, 1197 (1208); Rs. 205-215/82, Slg. 1983, 2633 (2665 f.). Näher zum Effizienzgebot und zum Diskriminierungsgebot: Meyer,; Jura 1994, S. 455 ff.; Streinz, in: Europäisches Verwaltungsrecht, 241 (267 ff.). 137 Zu den Verfahrens- und Instrumentenrichtlinien mit Querschnittscharakter vgl. Breuer, NVwZ 1998, S. 1001 ff., und NVwZ 1997, S. 833 ff.; ders., Entwicklungen des europäischen Umweltrechts, S. 48 ff. 138 So die Begründung des Regierungsentwurfes, BT-Drs. 12/3338, S. 9. 139 Morawitz/Kaiser, S. 96. 140 Siehe Ziffer II. 2. Abs. 3 der genannten Vereinbarung, Einleitung, Fußn. 4. 141 So insbesondere: Schede, S. 137 f.; Wilhelm, BayVBl. 92, 705 (709). 142 Vgl. hierzu z.B. GGK-von Münch, Art. 70 Rdnr. 17 ff.; Stern, StaatsR I, S. 609 ff.

III. Die interne Willensbildung des Bundes

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Recht geltenden „Einheitsgedanken" abgewichen. Bei der innerstaatlichen Kompetenzverteilung ist anerkannt, daß eine einzige zustimmungsbedürftige Regelung eines Gesetzes dessen Zustimmungsbedürftigkeit im ganzen auslöst 143 . Im übrigen ist die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern eine Frage der Auslegung der vorhandenen Kompetenztitel, wobei verschiedene Auslegungsmethoden zur Anwendung gelangen, wie insbesondere die wesensmäßige und historische Zugehörigkeit einer Materie oder die Sachgemäßheit und Funktionsgerechtheit der Kompetenzzuweisung144. Ungeachtet der offensichtlichen Abweichung vom innerstaatlichen Verteilungsmuster und damit von dem Grundgedanken des Art. 23 Abs. 4 GG ist die Regelung des Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG aber weder während der Beratungen der GVK noch im Gesetzgebungsverfahren bemängelt worden 145 . Vielmehr spricht alles dafür, daß sie vom Gesetzgeber sehr wohl bedacht und auch in dieser Form gewollt war. Nach dem Bericht der GVK, deren Empfehlungen bis auf marginale Abweichungen vom Gesetzgeber vollständig übernommen worden sind, Jäßt der Willensbildungsmechanismus innerhalb der Europäischen Union eine bruchlose Projektion der innerstaatlichen Kompetenzordnung auf die Willensbildung in Angelegenheiten der Europäischen Union nicht zu. Dem trägt Absatz 5 Rechnung, indem er ein System differenzierter Beteiligungsformen vorsieht 146. Ursache der Abweichung von dem Grundsatz des Absatzes 4 waren nach den Vorstellungen des Gesetzgebers die Eigenheiten der Mechanismen der Willensbildung und des Rechtsetzungsprozesses auf der Ebene der Europäischen Union. Der Prozeß der Rechtsetzung auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaften zeichnet sich durch einen in hohem Maße dynamischen Beratungs- und Willensbildungsprozeß aus, der von Seiten der einzelnen Verhandlungspartner ein konzentriertes, gleichzeitig aber hinreichend flexibles Vorgehen bei der Willensbildung abverlangt. Infolgedessen ist eine stärkere Konzentration des Willensbildungsprozesses vonnöten, die es nach den Vorstellungen der GVK rechtfertigte, eine intensive Beteiligung des Bundesrates auf Maßnahmen zu begrenzen, die die Gesetzgebungs- oder Verwaltungshoheit der Länder „im Schwerpunkt" betreffen.

143 Sog. „Einheitsgedanke" des Gesetzes, ganz h.M., vgl. GGK-Bryde, Art. 77 Rdnr. 21; SGK-Dittmann, Art. 84 Rdnr. 15; Stern., StaatsR II, S. 145. 144 Vgl. Vogel; in: Benda/Maihofer/Vogel, HdbVerfR, § 22 Rdnr. 75; Erbguth,, in: Verfassungsrecht im Wandel, 549 (556 ff.). Darüber hinaus finden die allgemeinen Auslegungsmethoden Anwendung, SGK-Degenhart, Art. 70 Rdnr. 46 ff. 145 Offenbar bestand recht frühzeitig bei den Berichterstattern der GVK Einigung im Hinblick auf die vorzunehmende Kompetenzabgrenzung. Aus den Protokollen ist insoweit nicht Gegenteiliges ersichtlich, vgl. bereits den Bericht des Abg. Möller zur 7. Sitzung der GVK am 4.6.1992, Arbeitsunterlage Nr. 41, S. 3, wonach offenbar die Länderseite selbst auf die schwerpunktmäßige Betroffenheit abgestellt hat. 146 Bericht der GVK, S. 43; siehe auch den Bericht von Schnoor zu der 8. Sitzung der GVK am 26.6.1992, Arbeitsunterlage Nr. 104, S. 7 f.

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Teil 2: Art. 23 GG - Inhalt und Anwendungsbereich

Die Abstufung der Intensität der Mitwirkung des Bundesrates nach dem wertenden Kriterium „im Schwerpunkt" ist allerdings nicht unproblematisch. Begriffe wie „im Schwerpunkt", ebenso wie „berücksichtigen", bilden sprachlich einen Fremdkörper im Grundgesetz und passen eher zur Ebene der administrativen Einzelfallentscheidung als zur Ebene der verfassungsmäßigen und generellen Verteilung der Aufgabenbereiche von Verfassungsorganen 147. Nach Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG muß zur Ermittlung, ob eine schwerpunktmäßige Betroffenheit vorliegt, jedes individuelle Rechtsetzungsvorhaben bis ins Detail analysiert werden. Die Staatspraxis wie auch die Rechtsprechung sind hierdurch an der Möglichkeit gehindert, generelle Leitlinien für eine Kompetenzabgrenzung zu entwickeln und Konfliktstoff zu vermeiden. Selbst während der Beratungen der GVK gab es keine eindeutige Vorstellung von dem, was der „Schwerpunkt" konkret bedeuten sollte und wie sich die gefundenen Formulierungen im Ergebnis auswirken würden 148 . Inzwischen liegen auch erste Erfahrungsberichte aus der Staatspraxis vor, die die Schwierigkeit der Handhabung von Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG belegen149.

b) Der Inhalt der Pflicht zur „maßgeblichen " Berücksichtigung der Stellungnahme des Bundesrates Sind durch ein Vorhaben der Europäischen Union die Tatbestandsmerkmale des Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG im Einzelfall erfüllt, ist die Stellungnahme des Bundesrates „maßgeblich" zu berücksichtigen. Um diese neuartige Formulierung des Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG wurde bei den Beratungen der GVK lange und heftig gestritten. Der Wortlaut legt eine Bedeutung nahe, welche zwischen „maßgebend" und „berücksichtigen" anzusiedeln ist. „Maßgeblich" bedeutet als Adverb nichts anderes als „in maßgebender Weise" und bezieht sich somit auf den Prozeß, das „Wie" des Berücksichtigens. Würde es ausschließlich auf das Ergebnis der Willensbildung ankommen, hätte das Grundgesetz die Formulierung „ist maßgebend" verwendet. Daraus folgt, daß es grundsätzlich bei einem Berücksichtigen der Stellungnahme des Bundesrates bleibt - allerdings in einer qualifizierten Art und Weise. Zu den weiteren Einzelheiten schweigt das Grundgesetz und überläßt die nähere Konkretisierung einer Regelung durch einfaches Ge-

147 Die Formulierungen wurden auch in den Beratungen der GVK von einigen Abgeordneten kritisiert, wie z.B. von Hirsch, Sten. Prot, der 8. Sitzung der GVK vom 26.6.1992, S. 20 f., oder von Verheugen, der aus „verfassungsästhetischen Gründen" nicht ganz zufrieden war, vgl. ders., in: Sten. Prot, der 8. Sitzung der GVK v. 26.6.1992, S. 10. Für die Länder war indes die Aufnahme der Bestimmungen in das Grundgesetz unverzichtbar, vgl. auch Scholz, Sten. Prot, der 8. Sitzung der GVK v. 26.6.1992, S. 21; Verheugen, Sten. Prot, der 8. Sitzung der GVK vom 26.6.1992, S. 10. 148 Vgl. Kleinert,, Sten. Prot, der 8. Sitzung der GVK v. 26.6.1992, S. 16. 149 Siehe hierzu noch unten, Teil 3, Kap. V, S. 283 ff.

III. Die interne Willensbildung des Bundes

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setz. Immerhin erhellt durch die gewählte Formulierung, daß weder ein „einfaches" Berücksichtigen noch ein einfaches „Maßgebend-Sein" der Stellungnahme des Bundesrates, sondern eine Zwischenlösung gemeint ist. Insoweit ist eine ganze Palette von Nuancierungen zwischen einem „einfachen" Berücksichtigen und einem Maßgebend-Sein denkbar, die mit dem Wortlaut des Grundgesetzes vereinbar wären. Um die genaue Bedeutung der Formulierung zu erschließen, muß auf die Materialien zu den Beratungen der GVK zurückgegriffen werden. Aus den Beratungsprotokollen der GVK ergibt sich, daß bereits in einem sehr frühen Stadium der Beratungen Einigkeit bestand, daß mit „maßgeblich berücksichtigen" im Ergebnis ein Letztentscheidungsrecht des Bundesrates statuiert werden sollte. Lediglich die einzelnen Bereiche, in denen den Ländern dieses Zugeständnis gemacht werden sollte, sowie die näheren Modalitäten und das Verfahren waren umstritten 150. In den Beratungen wurde Einigkeit erzielt, daß bei einem Abweichen der Standpunkte der Bundesregierung und des Bundesrates zunächst ein entsprechendes Verfahren zur Erzielung eines Einvernehmens vorgesehen werden sollte 151 . Wenn ein Einvernehmen auf diesem Wege scheitert, sollte in einem weiteren Verfahrensschritt die Auffassung des Bundesrates „durchschlagen", jedoch erst nach einer qualifizierten Beschlußfassung 152. Diese Positionen wurden als gemeinsame „Eckwerte" für ein Ausführungsgesetz vereinbart. Die Beratungen und die Abstimmung über die Grundgesetzänderungen waren in enger Weise mit den Beratungen über den Inhalt des zu erlassenen Ausführungsgesetzes verknüpft. Beides wurde von den Mitgliedern der GVK als Einheit gesehen, zusammen beraten und verhandelt 153. Insofern bilden die Vorschriften des EUZBLG eine hervorragende Quelle zur Erforschung des historischen Willens des verfassungsändernden Gesetzgebers, und sie können ergänzend zur Auslegung des Grundgesetzes herangezogen werden 154 . Im eigentlichen Gesetz-

150 Siehe den Bericht des Abg. Möller zur 7. Sitzung der GVK am 4.6.1992, Arbeitsunterlage Nr. 41, S. 3; sowie ders., in: Sten. Prot, der 7. Sitzung der GVK, S. 2; Neusei, Sten. Prot, der 7. Sitzung der GVK, S. 12; Schnoor, Sten. Prot, der 7. Sitzung der GVK, S. 6; Verheugen, Sten. Prot, der 7. Sitzung der GVK, S. 8. 151 So die vereinbarten Elemente für ein Ausführungsgesetz zu Art. 23 GG der Berichterstatter „Grundgesetz und Europa" der GVK, Arbeitsunterlage Nr. 63, die zugleich mit den Grundgesetzänderungen beraten worden sind und für die Beteiligten eine Sinneinheit bildeten, vgl. Schnoor, Sten. Prot, der 8. Sitzung der GVK v. 26.6.1992, S. 8, 26; Verheugen, Sten. Prot, der 8. Sitzung der GVK v. 26.6.1992, S. 25. 152 Siehe hierzu bereits die frühzeitigen Empfehlungen der Berichterstatter „Grundgesetz und Europa" zur 8. Sitzung der GVK vom 26.6.1992, Arbeitsunterlage Nr. 63; Möller, Sten. Prot, der 8. Sitzung der GVK v. 26.6.1992, S. 5; vgl. auch Schwalenbach, S. 132 f. 153 Siehe Schnoor, Sten. Prot, der 8. Sitzung der GVK v. 26.6.1992, S. 26; Verheugen, Sten. Prot, der 8. Sitzung der GVK v. 26.6.1992, S. 25. 154 Vgl. auch Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 23 Rdnr. 21. 8 Halfmann

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Teil 2: Art. 23 GG - Inhalt und Anwendungsbereich

gebungsverfahren haben sich alle gesetzgebenden Körperschaften auf die Empfehlungen der GVK gestützt und sich diese zu eigen gemacht155. Entsprechend wurde schließlich das Ausführungsgesetz formuliert. § 5 Abs. 2 Satz 1 EUZBLG enthält bis auf wenige Klarstellungen, die Art. 23 Abs. 5 GG konkretisieren 156 , eine wortgetreue Wiedergabe des Verfassungstextes 157. Das nähere Verfahren zur Erzielung eines Einvernehmens ist in § 5 Abs. 2 S. 3 bis 5 EUZBLG niedergelegt. Danach gilt folgendes: „(2)... Stimmt die Auffassung der Bundesregierung nicht mit der Stellungnahme des Bundesrates überein, ist ein Einvernehmen anzustreben. Zur Herbeiführung dieses Einvernehmens erfolgt erneute Beratung der Bundesregierung mit Vertretern der Länder. Kommt ein Einvernehmen nicht zustande und bestätigt der Bundesrat daraufhin seine Auffassung mit einem mit zwei Dritteln seiner Stimmen gefaßten Beschluß, so ist die Auffassung des Bundesrates maßgebend."

Nach den Vorstellungen der GVK war bei den verschiedenen Formulierungsvorschlägen in der Sache jedenfalls für den Streitfall ein Letztentscheidungsrecht des Bundesrates beabsichtigt158. Ein Letztentscheidungsrecht der Bundesregierung, etwa aus „integrationspolitischen Gründen", fand demgegenüber Ablehnung 159 . Die verfahrensmäßigen Voraussetzungen für eine solche Letztentscheidung sind für den Bundesrat nicht leicht herzustellen. Erfahrungsgemäß konnten 2/3Mehrheiten im Bundesrat in der Vergangenheit nicht leicht zusammengebracht werden 160 . Mit der weiteren Beschränkung des Anwendungsbereiches des Letztentscheidungsrechts durch die Verwendung des Wortes „insoweit" will das Grundgesetz zum Ausdruck bringen, daß im Gegensatz zu der vorgenannten Abgrenzung nach dem Schwerpunkt im Hinblick auf das Letztentscheidungs-

155 Siehe den Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 12/3338, S. 8 f. Siehe auch die Beschlußempfehlung und den Bericht des SoAEU, BT-Drs. 12/3896. 156 Es handelt sich im wesentlichen um die Satzteile „... und der Bund kein Recht zur Gesetzgebung hat" sowie um „im übrigen gilt Absatz 1". 157 Der Gesetzentwurf der Bundesregierung enthielt insoweit noch größere textliche Abweichungen, ist aber aufgrund der Beschlußempfehlung des SoAEU angepaßt worden, vgl. BT-Drs. 12/3896, S. 10. 158 Scholz, NJW 1992, 2593 (2598 f.); Bericht des Abg. Möller von der 8. Sitzung der GVK am 26.6.1992, Arbeitsunterlage Nr. 64, S. 5, sowie der Bericht von Schnoor.; Arbeitsunterlage Nr. 104, S. 10 f. So auch im Ergebnis der Abschlußbericht der GVK, S. 45. 159 Vgl. Schnoor, Sten. Prot, der 8. Sitzung der GVK v. 26.6.1992, S. 8. 160 Oschatz/Risse, DÖV 1995, 437 (443 f.), die daraufhinweisen, daß für die Abstimmung stets auf die gesetzliche Stimmenzahl abzustellen ist, vgl. Art. 52 Abs. 3 S. 1 GG. Bei einer derzeitigen Stimmenzahl von 69 müssen also mindestens 46 Stimmen zusammenkommen, um eine Stellungnahme im Rahmen des § 5 Abs. 2 EUZBTG mit Letztverbindlichkeit auszustatten. D.h., daß z.B. eine Enthaltung von 2 großen Ländern mit 6 Stimmen und 3 kleineren Ländern mit 4 Stimmen (= 24 Stimmen insgesamt) einen solchen Beschluß verhindern würde.

III. Die interne Willensbildung des Bundes

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recht wieder auf jeden Einzelgegenstand der Regelung rekurriert werden muß. Dadurch kommt der Ausnahmecharakter dieser Vorschrift deutlich zum Vorschein sowie die nur zögernde Haltung des Gesetzgebers, dem Bundesrat eine letztentscheidende Rolle bei der Willensbildung zuzuweisen. Aus dem Wortlaut des Grundgesetzes sowie den hierzu geführten Verhandlungen und Beratungen kommt somit der Bedeutungsgehalt der Formulierung „maßgeblich zu berücksichtigen" mit hinreichender Klarheit zum Ausdruck: Gemeint ist eine qualifizierte Pflicht zur Berücksichtigung der Stellungnahme des Bundesrates, die durch ein besonderes Verfahren zur Erzielung eines Einvernehmens gekennzeichnet ist, an dessen Ende aber - soweit eine Einigung nicht erzielt werden kann - die Auffassung des Bundesrates maßgebend, d.h. letztentscheidend sein soll 161 . Das Gewollte bringt das Grundgesetz nur unvollständig zum Ausdruck. Dem Wortlaut selbst läßt sich nicht entnehmen, daß zunächst ein Einvernehmen anzustreben ist und daß der Bundesrat im Prozeß der Willensbildung am Ende ein Letztentscheidungsrecht besitzt, und dies auch nur bei Erreichen eines bestimmten Stimmquorums 162. Mit der Komposition von „maßgeblich" und von „berücksichtigen" zu einem einheitlichen Rechtsbegriff hat der Gesetzgeber Neuland auf juristischem Sprachgebiet betreten 163. Ebenso wie die meisten anderen Formulierungen des Artikels 23 GG verdankt auch diese Begriffswendung ihre Entstehung einem während der Beratungen der GVK zwischen den Vertretern der Bundesregierung und des Bundesrates erzielten politischen Kompromiß, der später im eigentlichen Gesetzgebungsverfahren aus politischen Gründen nicht mehr in Frage gestellt worden konnte 164 . In sprachlicher Hinsicht fällt die Verwendung der Formulierung „maßgeblich zu berücksichtigen" ebenso aus dem Rahmen der für das Grundgesetz üblichen Wortwahl wie die anderen Tatbestandsmerkmale des Artikels 23 GG. Dessen war sich der verfassungsändernde Gesetzgeber durchaus bewußt 165 . Offenbar wollte man, nachdem bereits ein Konsens erzielt werden konnte im Hinblick auf die Verwendung des Begriffes „berücksichtigt" in Absatz 5 Satz 1, nicht noch das Grundgesetz mit einer zu-

161 A.A., jedoch unzutreffend: GGK-Rojahn, Art. 23, Rdnr. 72; Heckel Jahrb. zur Staats- und Verwaltungswissenschaft 1992/93, 385 (398); Lang, S. 188. 162 Insoweit ist Rojahn, Fußn. 161, sicher recht zu geben. 163 Wendungen wie „nach Maßgabe" oder „sinngemäß", zuweilen noch kombiniert eingesetzt, finden zunehmend Eingang in die Gesetzgebungssprache neuerer Zeit. Der Einigungsvertrag bietet hierfür ein anschauliches Beispiel. Sowohl der genaue Anknüpfungspunkt als auch die konkreten Rechtsfolgen einer Regelung bleiben hierdurch im unklaren. 164 Während der Beratungen der GVK machte die Fraktion der SPD deutlich, daß sie von dem gefundenen Ergebnissen nicht mehr abweichen würde und zu Neu- oder Nachverhandlungen auch nicht mehr bereit sei, vgl. Verheugen, Sten. Prot, der 8. Sitzung der GVK v. 26.6.1992, S. 12. 165 Siehe bereits Fußn. 147.

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Teil 2: Art. 23 GG - Inhalt und Anwendungsbereich

sätzlichen, davon abweichenden Formulierung für das Letztentscheidungsrecht des Bundesrates belasten. Der Begriff des „Berücksichtigens" sollte vielmehr konsequent weiterverwendet werden.

cJArt. 23 Abs. 5 S. 2, Hs. 2 GGDie Pflicht zur Wahrung der gesamtstaatlichen Verantwortung

des Bundes

(1) Inhalt In den Fällen, in denen dem Bundesrat nach Absatz 2 Satz 2 im Prozeß der Willensbildung ein Letztentscheidungsrecht zukommt, ist nach Satz 2, 2. Hs. außerdem die „gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren". Aus der Satzstellung ergibt sich, daß sich diese Verpflichtung nur auf die Fälle der gesteigerten Berücksichtigung nach Satz 2 bezieht, nicht aber auf die Pflicht zur einfachen Berücksichtigung der Bundesratsstellungnahme nach Satz 1 1 6 6 . In inhaltlicher Hinsicht soll der Begriff „gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes" einen Oberbegriff darstellen für die verschiedenen, typischerweise von der Bundesregierung im Verkehr mit dem Ausland zu beachtenden Gesichtspunkte, wie z.B. der Integrations-, Außen- und Sicherheitspolitik 167. In § 5 Abs. 2 S. 2 EUZBLG hat diese Auslegung explizit ihren Niederschlag gefunden. Fraglich ist jedoch, inwieweit sich das Merkmal „gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes" näher fassen läßt. Das Grundgesetz selber verwendet die Begriffe „Gesamtstaat" oder „gesamtstaatlich" außer in Art. 23 Abs. 5 und 6 GG nur noch an einer weiteren Stelle, nämlich in Art. 72 Abs. 2 GG, und zwar zur Abgrenzung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern. Der Begriff „gesamtstaatlich" korrespondiert in dem Zusammenhang mit dem Begriff des „Bundes". In Artikel 23 GG verwendet das Grundgesetz ebenso wie in Artikel 72 GG die Bezeichnung „Bund" und „gesamtstaatlich" in Abgrenzung zu der Ebene der Länder und in Gegenüberstellung der Kompetenzen des Bundes mit denen der Länder als Gliedstaaten168. Nach dem „zweigliedrigen Bundesstaatsbegriff' 1 6 9 des Grundgesetzes, wonach der Bundesstaat nur aus dem Bund und den Ländern besteht und der Bund die Länder einschließt und als der Oberstaat begriffen werden kann, zielen die Begriffe „Bund" und „gesamtstaatlich" auf

166 Schede, S. 139. Dieses Ergebnis wird durch § 5 Abs. 2 S. 2 EUZBLG bekräftigt, wonach sich die Verpflichtung zur Wahrung der gesamtstaatlichen Belange ebenfalls nur auf Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG bezieht. 167 So die Begründung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung, BT-Drs. 12/3338, S. 9. In diesem Sinne lauteten bereits die Empfehlungen der GVK, S. 45. 168 Vgl. Kimminich, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, § 26, Rdnr. 41. 169 BVerfGE 13, 54 (78); Kimminich, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, §26, Rdnr. 40; Vogel\ in: Benda/Maihofer/Vogel, HdbVerfR, § 22 Rdnr. 25; zu den verschiedenen Theorien: Stern, StaatsR I, S. 650 ff.

III. Die interne Willensbildung des Bundes

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diese oberstaatliche Ebene ab. Mit anderen Worten bezieht sich die Wahrnehmung der „gesamtstaatlichen Verantwortung" vorwiegend auf die unitarischen Interessen und Belange der Bundesrepublik Deutschland in Abgrenzung zu den föderalen Belangen der Gliedstaaten. Zu den unitarischen Belangen des Bundes zählen aber nicht nur die Sachverhalte mit spezifischen außen- oder zwischenstaatlichen Bezügen, sondern auch die innerstaatliche Verantwortung des Bundes für den Gesamtstaat170. Dies kommt ebenfalls in der Fassung des § 5 Abs. 2 S. 2 EUZBLG zum Tragen, wonach die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes, „einschließliclt 1 außen-, verteidigungs- und integrationspolitisch zu bewertender Fragen, zu wahren ist. Die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes umfaßt damit die Wahrung der unitarischen, einheitsbildenden Interessen des Bundesstaats, und zwar sowohl nach innen als nach außen. Die von Bull in den Beratungen der GVK vorgeschlagene Formulierung „gesamtstaatliche Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland^ 11 wäre daher nicht ganz zutreffend gewesen, da damit ausschließlich der Außenbezug angesprochen würde. Zweck des Vorbehaltes der Wahrung der gesamtstaatlichen Verantwortung ist es, die an der Willensbildung des Bundes beteiligten Organe in die Pflicht zu nehmen und hierbei die gesamtstaatlichen Interessen zu betonen, die bei der Willensbildung und der Außenvertretung des Bundes im Rahmen der Europäischen Union im Vordergrund stehen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Organe des Bundes in den Angelegenheiten der Europäischen Union mit Wirkung für die Gliedstaaten, die selbst nicht mitwirkungsberechtigt sind, handeln können. Insoweit handelt der Bund aufgrund seiner Verpflichtung zur Bundes" treue 172 als „Sachwalter" für die Länder 173 . Eine unreflektierte Übertragung der innerstaatlichen Kompetenzverteilung, etwa durch eine Verpflichtung des Bundes, auf den Gebieten der Gesetzgebungskompetenzen der Länder vorwiegend deren föderale Interessen zu vertreten, würde der besonderen Situation der Teilnahme Deutschlands als Mitgliedstaat in der Europäischen Union nicht gerecht werden.

170

So auch Schede, S. 140 f. Bull, Sten. Prot, der 8. Sitzung der GVK v. 26.6.1992, S. 22. 172 Vgl. hierzu BVerfGE 2, 103 (104 f.); 3, 52 (57); 4, 115 (140 f.); 14, 197 (215); 31, 314 (355); 32, 319 (327); 34, 9 (44); 43, 291 (348), 55, 274 (346); 81, 310 (337 ff.); 92, 203 (227 ff.); Maunz, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. IV, § 94, Rdnr. 20 f.; Stern, StaatsR I, S. 699 ff.; kritisch zum Ansatz des BVerfG: Bleckmann, JZ 1991, 900 ff. 173 Vgl. zum Gedanken der Sachwalterpflicht: Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. IV, § 98 Rdnr. 290, sowie das BVerfG in seiner Hauptsacheentscheidung zur sog. „Fernsehrichtlinie", BVerfGE 92, 203 (230 f., 235). Zu der Entscheidung des BVerfG wiederum: Winkelmann, DÖV 1996, S. 1 ff. 171

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Teil 2: Art. 23 GG - Inhalt und Anwendungsbereich (2) Adressaten

Nach dem Wortlaut des Grundgesetzes knüpft die Pflicht zur Wahrung der gesamtstaatlichen Belange an den Prozeß des Berücksichtigens der Stellungnahme des Bundesrates durch die Bundesregierung („dabei...") und somit an ein Verhalten der Bundesregierung an. Adressat der Verpflichtung zur Wahrung der gesamtstaatlichen Belange sollte nach Vorstellung der Bundesregierung jedoch in erster Linie der Bundesrat sein, über den die Länder im Falle des Satzes 2 einen prägenden Einfluß auf die Willensbildung des Bundes besitzen. Die Bundesregierung war nur unter der Voraussetzung der Einfügung eines solchen Vorbehaltes bereit, dem Bundesrat ein Letztentscheidungsrecht zuzugestehen174. Für die Bundesregierung hätte es einer besonderen Regelung insoweit nicht bedurft. Ihre Verpflichtung, die Belange des Gesamtstaates zu wahren, ergibt sich als selbstverständliche Folge ihrer funktionalen Stellung als unitarisches Bundesorgan und als Regierung des Bundes. Im Kompetenzgefüge des Grundgesetzes stellt die Bundesregierung das klassische Organ zur Wahrung der gesamtstaatlichen Belange des Bundesstaates dar. Im Hinblick auf die Bundesregierung wird man den Vorbehalt des Absatzes 2, 2. Hs. lediglich als positiv-rechtliche Ausprägung des Grundsatzes der Bundestreue oder des bundesfreundlichen Verhaltens auffassen können. Für den Bundesrat gilt Vorstehendes nicht in gleicher Weise: Zwar ist der Bundesrat ebenfalls ein Bundesorgan 175; als solches hat er auch die Pflicht, die gesamtstaatlichen Belange des Bundes zu wahren. Der Schwerpunkt ist aber ein anderer als bei der Bundesregierung. Der Bundesrat verkörpert im Bundesstaat das klassische föderative Organ, durch den die Gliedstaaten in mediatisierter Form an der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes mitwirken 176 . Der Schwerpunkt seines Wirkens besteht primär in der Einbringung der föderativen Interessen der Länder in die Willensbildung des Bundes, nicht aber in der Wahrung der außen- oder integrationspolitischen Belange des Bundes. Dies gilt insbesondere für die dem Bundesrat durch Art. 23 Abs. 2 bis 6 GG zugewiesene „Ausgleichszuständigkeit" auf dem Gebiet der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenzen der Länder nach Art. 23 Abs. 5 S. 2, 1. Alt. GG. Eine besondere Inpflichtnahme des Bundesrates zur Wahrung der gesamtstaatlichen Verantwortung erscheint um so eher sinnvoll und geboten, je größer das Gewicht ist, das der Bundesrat bei der Willensbildung und Außenvertretung von Verfassungs wegen einnehmen soll.

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Vgl. den Bericht des Abg. Möller zur 7. Sitzung der GVK am 4.6.1992, Arbeitsunterlage Nr. 41, S. 3, sowie den Bericht von der 8. Sitzung der GVK am 26.6.1992, Arbeitsunterlage Nr. 64, S. 5; Bericht von Schnoor zu der 8. Sitzung der GVK am 26.6.1992, Arbeitsunterlage Nr. 104, S. 11. 175 GGK-Krebs, Art. 50 Rdnr. 4 f. 176 BVerfGE 8, 104(120).

III. Die interne Willensbildung des Bundes

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(3) Die Verpflichtung zur Wahrung der gesamtstaatlichen Verantwortung des Bundes als Ausnahmetatbestand vom Letztentscheidungsrecht des Bundesrates? Problematisch ist, ob die Bundesregierung unter Berufung auf den Vorbehalt der Wahrung der gesamtstaatlichen Verantwortung in Ausnahmefallen das Letztentscheidungsrecht des Bundesrates nach Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG aushebeln kann 177 . Sowohl der Wortlaut als auch die Entstehungsgeschichte sprechen eindeutig gegen eine derartige Annahme 178 . Aus dem Wortlaut „ist zu wahren." kann jedenfalls nicht auf eine Befugnis der Bundesregierung geschlossen werden, von der Stellungnahme des Bundesrates abzuweichen. Das Grundgesetz sieht selbst keine Konsequenzen fur den Fall eines Verstoßes gegen den Grundsatz des Abs. 5 S. 2, Hs. 2 GG vor. In den Beratungen der GVK trat vielmehr zutage, daß fur den Fall eines Abweichens der Standpunkte der Bundesregierung und des Bundesrates ein besonderes Streitschlichtungsverfahren stattfinden solle, welches auf die Herstellung eines Einvernehmens abzielt. An dessen Ende sollte fur den Streitfall, wie oben dargelegt, ausdrücklich ein Letztentscheidungsrecht des Bundesrates stehen179. Das Kriterium der „gesamtstaatlichen Verantwortung des Bundes" sollte lediglich ein Korrektiv zum Letztentscheidungsrecht des Bundesrates darstellen und durch ein Streitschlichtungsverfahren schließlich eine prozedurale Auflösung finden. Das Letztentscheidungsrecht des Bundesrates sollte also nicht beseitigt, sondern nur verfahrensmäßig abgemildert werden 180 . Die in früheren Vereinbarungen und Rechtsvorschriften verwendete ausdrückliche Ermächtigung für die Bundesregierung, in bestimmten Fällen von einer bindenden Stellungnahme des Bundesrates oder der Länder aus „unabweisbarer! 4 oder „zwingenden außen- und integrationspolitischen Gründet abweichen zu dürfen 181 , ist bewußt nicht mehr verwendet worden 182 . Hierfür spricht auch die Gesetzessystematik: Der einzige Fall, in dem das Grundgesetz der Bundesregierung im Rahmen der qualifizierten Mitwirkungsbefugnisse des Bundesrates eine echte Vetoposition einräumt, ist erst in dem folgenden Satz 3 des Art. 23 Abs. 5 GG enthalten: „In Angelegenheiten, die zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmevernlinderungen für den Bund führen können, ist

177

So: Di Fabio, Der Staat 32 (1993), 191 (208); Lang S. 187 f. Lang S. 187 f.; Schede, S. 140. 179 Siehe oben, Kap. III.4. b), S. 112 ff., insbesondere zu den Fußn. 158 und 159. 180 Scholz, NJW 1992, 2593 (2600); ders.: NVwZ 1993, 817 (823); Empfehlungen der Berichterstatter „Grundgesetz und Europa" zur 8. Sitzung der GVK vom 26.6. 1992 („Vereinbarte Elemente für ein Ausführungsgesetz zu Art. 23 Abs. 3 - 5"), Arbeitsunterlage Nr. 63. 181 Art. 2 Abs. 3 S. 2 EEAG; Nr. II.2. S. 5 des Kanzlerbriefes von 1979 zum Länderbeteiligungsverfahren (Befugnis zum Abweichen bei „zwingenden außen- und integrationspolitischen Gründen"). 182 Siehe Fußn. 159. 178

120

Teil 2: Art. 23 GG - Inhalt und Anwendungsbereich

die Zustimmung der Bundesregierung erforderlictt\ Der Ausnahmecharakter dieser Regelung unterstreicht, daß ein Erfordernis der Zustimmung durch die Bundesregierung in den übrigen Fällen nicht vorgesehen ist. Auch im Ausführungsgesetz hat die Pflicht zur Wahrung der gesamtstaatlichen Verantwortung des Bundes nach § 5 Abs. 2 S. 2 EUZBLG systematisch vor der Regelung über das Einvernehmen und das Letztentscheidungsrecht ihren Platz gefunden. Nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Sinn und Zweck sollte die Verpflichtung zur Wahrung der gesamtstaatlichen Verantwortung des Bundes somit nicht als Ermächtigung für die Bundesregierung dienen, das Letztentscheidungsrecht des Bundesrates zu unterlaufen und hiervon ihrerseits abweichen zu können 183 .

d) Art. 23 Abs. 5 S. 3 GG - Der Zustimmungsvorbehalt bei Ausgabenerhöhungen und Einnahmeverminderungen des Bundes (1) Inhalt und Bedeutung Nach Art. 23 Abs. 5 S. 3 GG i.V.m. § 5 Abs. 2 S. 5 EUZBLG ist in Angelegenheiten, die zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeverminderungen für den Bund führen können, die Zustimmung der Bundesregierung erforderlich. Der Begriff der „Zustimmung" bedeutet wie sonst im Verwaltungsrecht die volle Willensübereinstimmung der beteiligten Entscheidungsträger 184. Der Bundesrat kann also in diesen Fällen die Position des Bundes nicht maßgeblich bestimmen ohne die ausdrückliche Billigung durch die Bundesregierung. Der Zustimmungsvorbehalt erstreckt sich auf alle Formen der Ländermitwirkung an der Willensbildung 185 . Das Grundgesetz bringt dies durch seine Schlußstellung im Rahmen der verschiedenen Beteiligungsvarianten des Art. 23 GG zum Ausdruck. Der Zustimmungsvorbehalt betrifft somit nicht nur das Letztentscheidungsrecht des Bundesrates nach Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG 1 8 6 , sondern findet auch im Rahmen der Außenvertretung nach Absatz 6 Anwendung. Wie sich aus Absatz 6 Satz 2 ergibt, findet auch vor und während der Außenvertretung ein Prozeß der Willensbildung und Abstimmung zwischen den Vertretern der Bundesregierung und des Bundesrates statt. Daß der Zustimmungsvorbehalt nicht im Anschluß an die Regelung des Absatzes 6 eingefügt worden ist, liegt lediglich

183

Wie hier: Oschatz/Risse, DÖV 1995, 437 (443). Vgl. Stelkens-Sachs, VwVfG, § 44 Rdnr. 106. Auch im Grundgesetz wird der Begriff der Zustimmung beim Gesetzgebungsverfahren zur Beschreibung einer zwingenden Voraussetzung verwendet, vgl. Art. 77 Abs. 2a und Art. 78 GG. 185 Vgl. die Begründung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung, BT-Drs. 12/3338, S. 9. 186 So ausdrücklich die Begründung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung, BTDrs. 12/3338, S. 9. 184

III. Die interne Willensbildung des Bundes

121

daran, daß Absatz 6 vorrangig die Frage der Außenvertretung des Bundes zum Gegenstand hat, so daß der Zustimmungsvorbehalt an dieser Stelle systematisch schlecht gepaßt hätte 1 8 7 .

(2) Einschränkungen des Anwendungsbereichs Hintergrund fur die Einfügung des Satzes 3 sollte der Rechtsgedanke des Art. 113 Abs. 1 GG sein; danach besitzt die Bundesregierung als Verfassungsorgan im Bereich des Haushaltes eine besondere Verantwortung im Interesse einer sachgerechten Haushalts- und Finanzpolitik 1 8 8 . Über die Einfügung der Regelung bestand innerhalb der G V K recht frühzeitig Einigkeit 1 8 9 . Den Vertretern der Bundesseite schien dieser Vorbehalt als „selbstverständlich" 1 9 0 ; auch die Länderseite akzeptierte ohne weiteres das „berechtigte Anliegen der Bundesregierung, vor der Gefahr geschützt zu werden", daß der Bundesrat mittels seines Letztentscheidungsrechts „Geschäfte zu Lasten des Bundeshaushaltes machen könnte" 1 9 1 . Lediglich der Abgeordnete Hirsch schien bemerkt zu haben, daß die Bezugnahme auf Art. 113 GG nicht stimmig ist 1 9 2 .

187

Darauf weist auch Schede hin, vgl. ders., S. 147, Fußn. 462. Bericht von Schnoor zw der 8. Sitzung der GVK am 26.6.1992, Arbeitsunterlage Nr. 104, S. 11. 189 Vgl. Bericht von Schnoor zu der 8. Sitzung der GVK am 26.6.1992, Arbeitsunterlage Nr. 104, S. 11. Bezüglich der Willensbildung in Fragen, die die Einnahmen oder die Haushaltswirtschaft der Länder oder der Kommunen betreffen, sollte im Zusammenhang mit der Finanzverfassung eine Regelung gefunden werden, vgl. Bericht der GVK, S. 46, unter Bezugnahme auf die Empfehlungen der Berichterstatter „Grundgesetz und Europa" zur 8. Sitzung der GVK vom 26.6.1992, Arbeitsunterlage Nr. 63. 190 Vgl. Möller, Sten. Prot, der 8. Sitzung der GVK v. 26.6.1992, S. 5. 191 Schnoor, Sten. Prot, der 8. Sitzung der GVK v. 26.6.1992, S. 8. Dagegen ist die Frage der Finanzlastverteilung zwischen Bund und Ländern bei der Umsetzung von EGRecht ein seit Jahren ungelöstes Thema, vgl. bereits die (nicht umgesetzten) Vorschläge der 1. Enquête-Kommission Verfassungsreform, BT-Drs. 7/5924, S. 253. Die zweite Gemeinsame Verfassungskommission beschloß einvernehmlich, diesen Punkt erst gar nicht auf die Tagesordnung zu setzen, da zu den Fragen der Finanzverfassung zwischen Bundesregierung und den Ländern „noch keine hinlängliche Entscheidungsreife" bestehe, vgl. Bericht der GVK, Kapitel 11.3.III., S. 228. Nach Einschätzung Leonardys hat die GVK die Thematik absichtlich ignoriert bzw. umgangen, vgl. ders., ZParl 1999, 135 (163). In der Praxis scheint bislang so verfahren zu werden, daß der Bund 60%, die Länder 40 % der Ausgaben tragen, soweit der Vollzug innerstaatlich in den Kompetenzbereich der Länder fällt, vgl. von Arnim, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. IV, § 103 Rdnr. 38 ff. Allgemein zu der bislang noch ungelösten Problematik: von Arnim, ebd.; Littwin, DVBl 1997, 151 (154 ff.); MD-Scholz, Art. 104a Rdnr. 19 ff.; Milbradt, ZG 1996, 25 (34 f.). 192 Hirsch, Sten. Prot, der 8. Sitzung der GVK v. 26.6.1992, S. 20. 188

122

Teil 2: Art. 23 GG - Inhalt und Anwendungsbereich

Die Begründung des Gesetzes vermag in der Tat nicht recht zu überzeugen: Art. 113 Abs. 1 GG stellt eine Ausnahmevorschrift im Verhältnis der Exekutive zur Legislative fax, durch die die parlamentarische Budgethoheit zugunsten der Regierung beschnitten wird 1 9 3 . Der Regelung des Art. 113 Abs. 1 GG liegt die Vorstellung zugrunde, daß die um die Gunst der Wähler bemühten Abgeordneten zu „ausgabenfreudig" sein könnten, die Regierung jedoch eher zur Zurückhaltung geneigt sei und über das bessere Verwaltungsinstrumentarium verfüge, einigermaßen verläßlich die finanziell vertretbaren Belastungen zu ermitteln 194 . Hat sich eine solche Vorstellung des Grundgesetzes nach den bisherigen Erfahrungen der Staatspraxis bereits als unbegründet erwiesen 195, muß Art. 113 GG im Hinblick auf die gegenüber dem Parlament nur abgeleitete, mittelbare demokratische Legitimation der Regierung erst recht Bedenken hervorrufen 196; in der Praxis ist Art. 113 GG im übrigen zur Bedeutungslosigkeit herabgesunken 197. Vergleicht man den geschilderten - problematischen - Rechtsgedanken des Art. 113 Abs. 1 GG mit der Interessenlage, die sich im Rahmen des Art. 23 Abs. 4 bis 6 GG darstellt, so wird deutlich, daß der Rückgriff auf Art. 113 GG zur Frage der horizontalen Kompetenzabgrenzung zweier Exekutivoxgms des Bundes und zur vertikalen Kompetenzverteilung im Bund-Länder-Verhältnis nicht nur nichts aussagen kann, sondern vielmehr geradezu deplaziert erscheint. Wenn man den zweifelhaften Grundgedanken des Art. 113 Abs. 1 GG auf das Zusammenspiel der Bundesorgane in Angelegenheiten der Europäischen Union übertragen wollte, so würde dieser allenfalls auf die Mitwirkung des Bundestages und dessen Verhältnis zur Bundesregierung Anwendung finden können. Eine besondere Verantwortung der Bundesregierung für eine sachgerechte Haushalts- und Finanzpolitik stünde ihr gegenüber dem Bundesrat; soweit dieser innerstaatlich aufgrund eines Eingriffes in die Gesetzgebungs- und Organisationshoheit der Länder mitwirkungsbefugt ist, nicht zu. Nicht nur erweist sich der Ausgangspunkt für eine Übertragung des Rechtsgedankens des Art. 113 Abs. 1 GG in dem hier vorliegenden Zusammenhang als verfehlt; auch die Rechtsfolgen des Art. 113 Abs. 1 GG passen bei näherer Betrachtung überhaupt nicht 198 . Der maßgebende Grund, weshalb die Regelung des Art. 23 Abs. 5 S. 3 GG offenbar allseits akzeptiert worden ist, scheint die Befürchtung der Bundesregierung gewesen zu sein, daß der Bundesrat bei der Ausübung seines Letztentscheidungsrechts „Geschäfte zu Lasten des Bundes" machen könnte. Die Be193

SGK-Siekmann, Art. 113 Rdnr. 2 ff. Kisker, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. IV, § 89 Rdnr. 9, 48. 195 G G Κ - Fischer-Menshausen, Art. 113 Rdnr. 14; Kisker, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. IV, § 89 Rdnr. 49; kritisch auch Stern, StaatsR II, S. 1223. 196 SGK-Siekmann, Art. 113 Rdnr. 8, bezeichnet die Vorschrift als „Fehlkonstruktion". 197 Stern, StaatsR II, S. 1223. 198 Zweifelnd bereits: Hirsch, Sten. Prot, der 8. Sitzung der GVK v. 26.6.1992, S. 20. 194

III. Die interne Willensbildung des Bundes

.123

fürchtung erscheint im Kern jedenfalls dort berechtigt, wo der Bundesrat in der Funktion des Sachwalters der Länder, also im Rahmen der Gesetzgebungskompetenzen der Länder auftritt, d.h. in allen Fällen des Art. 23 Abs. 5 S. 2, 1. Alt. GG, und des Absatzes 6 GG. Zwar stellt der Bundesrat auch bei Wahrnehmung dieser Kompetenzen ein Organ des Bundes dar, er agiert aber auf Gebieten, die innerstaatlich in die Kompetenz der Länder fallen würden. Wenn der Bundesrat auf EG-Ebene die Möglichkeit hätte, über seine Mitwirkung den Bundeshaushalt zu verpflichten, würde dies nicht Art. 113 GG, sondern dem Gedanken des Art. 109 Abs. 1 GG widersprechen, der den Grundsatz der Selbständigkeit der Haushaltswirtschaft von Bund und Ländern bestimmt. Insoweit hätte der Bundesrat entgegen Art. 23 Abs. 4 GG mehr Rechte, als ihm innerstaatlich zustehen würden. Daß die Bundesregierung eine solche Möglichkeit nicht zulassen wollte, kann in der Tat mehr oder weniger als eine „Selbstverständlichkeit" 199 bezeichnet werden. Mit dem Gedanken des Art. 113 Abs. 1 GG hat dies jedoch, wie gezeigt, nichts zu tun; vielmehr hätte auf Art. 109 Abs. 1 GG abgestellt werden müssen. Unter Berücksichtigung der ratio des Art. 23 Abs. 5 S. 3 GG, nämlich der auf dem Prinzip der vertikalen Gewaltenteilung im Bundesstaat beruhenden Regelung des Art. 109 Abs. 1 GG, reduziert sich der Anwendungsbereich Absatz 5 Satz 3 in nicht unerheblicher Weise. In den Fällen des Art. 23 Abs. 5 S. 2, 2. und 3. Alt. GG, in denen die Stellungnahme des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen ist, weil ein Vorhaben die Einrichtung der Behörden der Länder oder ihre Verwaltungsverfahren betrifft, ist kaum vorstellbar, inwieweit die Länder in die Haushalts- oder Finanzpolitik des Bundes eingreifen könnten. Die Mitwirkung des Bundesrates beruht in diesen Fällen auf der Tatsache, daß die betreffende Maßnahme in die Organisationshoheit der Länder eingreift und ist inhaltlich ausschließlich auf diese Gegenstände beschränkt („insoweit").

(3) Verbleibender Anwendungsbereich In dem verbleibenden Anwendungsbereich des Zustimmungsvorbehalts nach Absatz 5 Satz 3 sind zwei Konstellationen denkbar, in denen der Bundesrat die Entscheidung „maßgeblich" bestimmen kann: zum einen die Fallgruppe des Art. 23 Abs. 5 S. 2, 1. Alt. GG, wenn im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder betroffen sind; zum anderen die Fälle der Außenvertretung durch einen Vertreter der Länder nach Absatz 6, wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder betroffen sind. In allen anderen Fällen der Beteiligung ist die Stellungnahme des Bundesrates nur „einfach"

199

S. 5.

So der Abgeordnete Möller, Sten. Prot, der 8. Sitzung der GVK v. 26.6.1992,

124

Teil 2: Art. 23 GG - Inhalt und Anwendungsbereich

zu berücksichtigen, so daß die Auffassung der Bundesregierung immer ausschlaggebend ist. Da das Letztentscheidungsrecht des Bundesrates aber an die konkrete und punktuelle („insoweit") Gesetzgebungsbefugnis der Länder anknüpft, scheiden unmittelbar für den Bund ausgabenerhöhende oder einnahmevermindernde Maßnahmen von vornherein aus, da eine solche Situation nach den Tatbestandsvoraussetzungen des Absatzes 5 Satz 2 schlicht nicht auftreten kann 200 . Auf dem Gebiet der Gesetzgebungszuständigkeiten der Länder existiert kein Kompetenztitel, der unmittelbar die Finanzhoheit des Bundes beträfe. Sofern auf EG-Ebene eine finanzielle Verpflichtung oder Belastung der Mitgliedstaaten Bestandteil einer geplanten Regelung ist, wäre die Stellungnahme des Bundesrates insoweitmohi maßgeblich zu berücksichtigen. Anders stellt sich die Sachlage im Fall der Außenvertretung durch den Bundesrat nach Art. 23 Abs. 6 GG dar. Im Vorgriff auf die nähere Erörterung des Absatzes 6 soll die Außenvertretungs- und Verhandlungsbefugnis stets im ganzen, d.h. auch bezüglich der nicht die Länderkompetenzen betreffenden Bestandteile des Vorhabens auf den Vertreter der Länder übertragen werden. Dieser könnte folglich im Rahmen der Wahrnehmung der ihm übertragenen Verhandlungsführung auch einer Maßnahme zustimmen, die unmittelbar für den Bund ausgabenerhöhend oder einnahmevermindernd wirkt, wie beispielsweise die Verabschiedung eines Förderprogramms oder die Schaffung einer Gemeinschaftseinrichtung, die durch einen bestimmten Prozentsatz an Beiträgen der Mitgliedstaaten zu finanzieren ist. Freilich ist aber auch hier zu bedenken, daß nach Art. 199 EGV alle Einnahmen und Ausgaben der Gemeinschaft, auch die sog. „nichtobligatorischen Ausgaben" i.S.d. Art. 203 Abs. 9 EGV 2 0 1 , für jedes Jahr veranschlagt und in den Haushaltsplan der Europäischen Gemeinschaft eingestellt werden müssen (Prinzip der Vollständigkeit). Dieser wird nach Art. 203 Abs. 3 EGV vom Rat auf Vorschlag der Kommission und unter Mitwirkung des Europäischen Parlamentes jährlich festgesetzt 202. Für einen solchen Beschluß ist die Stellungnahme des Bundesrates ebenfalls nicht maßgeblich zu berücksichtigen, da die Festsetzung des Haushaltsplanes entsprechend der innerstaatlichen Kompetenzverteilung nach Art. 110 GG Sache des Bundes ist 203 . Daher ist auch im Fall des Absatzes 6 die Wahrscheinlichkeit gering, daß der

200

So auch Schede, S. 148. Die Unterscheidung zwischen den obligatorischen Ausgaben gem. Art. 203 Abs. 4 UAbs. 2 EGV und den nach dem Vertrag nicht obligatorischen Ausgaben kann im Einzelfall schwierig sein und hat in der Vergangenheit stets zu Auseinandersetzungen zwischen Rat und Europäischen Parlament gefuhrt, da das Europäische Parlament im Hinblick auf die letztere Ausgabenart grundsätzlich das letzte Wort behält, vgl. zum komplizierten Beschlußverfahren nach Art. 203 EGV: Bleckmann,, Europarecht, Rdnr. 1284 ff.; Geiger, EGV, Art. 203 Rdnr. 3 ff. 202 Vgl. KEU-Magiera, Art. 199 Rdnr. 18 ff. 203 So auch Schede, S. 149, Fußn. 475. 201

III. Die interne Willensbildung des Bundes

125

Bundesrat den Bund mit einer unmittelbaren Verpflichtung zu dessen Lasten „überraschen" kann, die nicht zumindest dem Grunde nach bereits feststeht. Anderes könnte allenfalls dann eintreten, wenn Handlungen oder Erklärungen des Bundesratsvertreters auch den mittelfristigen, unter Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland vereinbarten Finanzrahmen der Europäischen Gemeinschaft erkennbar sprengen würden 204 . Ob in der Praxis damit noch Raum für eine praktische Anwendung des in Art. 23 Abs. 5 S. 3 GG vorgesehenen Zustimmungsvorbehaltes verbleibt, dürfte im übrigen von der Handhabung des Art. 199 EGV abhängen205. Während die Möglichkeit einer unmittelbaren finanzwirksamen Verpflichtung des Bundes durch die Mitwirkungsrechte des Bundesrates kaum vorstellbar ist, sind Maßnahmen, die mittelbare Auswirkungen auf den Bundeshaushalt haben können, ohne weiteres denkbar. Als Beispiel für eine mittelbar den Bundeshaushalt beeinflussende EG-Maßnahme wird bei Wilhelm und Schede die Fallgestaltung diskutiert, daß durch ein bestimmtes EG-Vorhaben der Finanzbedarf der Europäischen Gemeinschaft steigen könnte, was sich dann wiederum mittelbar auf die Festlegung der Höhe der der Europäischen Gemeinschaft aus den Mitgliedstaaten zufließenden Mittel auswirken könnte 206 . Falls die Europäische Gemeinschaft z.B. für die Durchführung von Förder- oder Finanzierungsmaßnahmen im Bereich der Bildungs- und Kulturpolitik Mittel aufwenden müßte 207 , für die die Mitgliedstaaten in irgendeiner Form letztlich ausgleichspflichtig sind oder die sich auf die Höhe der von den Mitgliedstaaten an die Europäische Gemeinschaft zu erbringenden Finanzmittel auswirken, läge insoweit eine mittelbar ausgabenerhöhende oder einnahmevermindernde Maßnahme für den Bund vor. Fraglich ist allerdings, ob jede mittelbare Beeinflussung des Bundeshaushalts ausreichen kann, um das Zustimmungserfordernis der Bundesregierung nach Art. 23 Abs. 5 S. 3 GG auszulösen. Nach dem Wortlaut von Art. 23 Abs. 5 S. 3 GG greift das Zustimmungserfordernis bereits dann Platz, wenn eine Angelegenheit zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahme Verminderungen führen „kann". Das Grundgesetz stellt auf die potentielle Eignung der Angelegenheit als solche ab. Andererseits ist der Vorbehalt des Art. 23 Abs. 5 S. 3 GG von seiner systematischen Stellung innerhalb des Art. 23 GG als Ausnahmetatbestand konzipiert, um das Letztentscheidungsrecht des Bundesrates in bestimm-

204

So auch: Schede, S. 151. Nach Geiger, EGV, Art. 199 Rdnr. 4, werden die Einnahmen und Ausgaben von Gemeinschaftseinrichtungen mit eigener Rechtspersönlichkeit nicht vollständig in den Haushaltsplan aufgenommen; krit. hierzu: KE\J-Magiera, Art. 199 Rdnr. 23. 206 Schede, S. 149 ff.; Wilhelm, BayVBl 1992, 705 (709). 207 Vgl. etwa die zahlreichen Bildungs- und Aktionsprogramme mit einem nicht unerheblichen Finanzvolumen, die bei Schweitzer/Hummer, Rdnr. 1642 ff. und 1662 f f , aufgeführt sind. Zur Kultur- und Bildungspolitik der EG siehe auch Bleckmann, Europarecht, Rdnr. 2630 ff. 205

126

Teil 2: Art. 23 GG - Inhalt und Anwendungsbereich

ten Konstellationen einzuschränken. Daher ist eine enge Auslegung geboten. Würde jede Angelegenheit, die sich in entfernter Weise mittelbar auf die Einnahmen oder Ausgaben des Bundes auswirken kann, den Zustimmungsvorbehalt der Bundesregierung auslösen, so würde dies praktisch zu einer nicht gewollten Aushöhlung der qualifizierten Mitwirkungsbefugnisse des Bundesrates führen. Aus systematischen und teleologischen Gründen muß daher das Vorliegen einer hinreichend konkreten und nachvollziehbaren Gefährdungslage in bezug auf die Verpflichtung des Bundes zu finanzwirksamen Maßnahmen gefordert werden. Zusammenfassend kann daher festgehalten werden, daß nur wenig Raum für die Anwendung des Art. 23 Abs. 5 S. 3 GG verbleibt: Im Rahmen der einfachen Pflicht zur Berücksichtigung der Stellungnahme des Bundesrates nach Absatz 5 Satz 1 bedarf es aufgrund der Letztverantwortung der Bundesregierung eines solchen Vorbehalts nicht. Für die Fallgruppen des Absatzes 5 S. 2, 2. und 3. Alt. ist kaum vorstellbar, inwieweit die vom Grundgesetz befürchtete Gefährdungslage einer finanzwirksamen Verpflichtung des Bundes durch die Länder, genauer durch den Bundesrat, soll eintreten können. Lediglich für mittelbar zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeverminderungen führende Maßnahmen im Rahmen der gesteigerten Mitwirkung des Bundesrates nach Absatz 5 S. 2, 1. Alt. oder der Außenvertretung nach Absatz 6 kann sich am ehesten ein Anwendungsfeld für den Zustimmungsvorbehalt ergeben. Eine diesbezügliche Gefährdungslage muß indes in nachvollziehbarer Weise durch die Bundesregierung dargetan werden 208 . Art. 23 Abs. 5 S. 3 GG wird somit bei nüchterner Analyse aller Voraussicht nach in der Staatspraxis nicht die Rolle spielen können, die seine Stellung im Gefüge des Art. 23 GG auf den ersten Blick nahelegt. Zumindest in diesem Punkt kann eine deutliche Parallele zum Schicksal des Art. 113 GG gezogen werden.

e) Der Konflikt fall sich widersprechender Stellungnahmen von Bundestag und Bundesrat Soweit die Angelegenheiten der Europäischen Union den Erlaß von Rechtsetzungsakten betreffen, hat die Bundesregierung bei der innerstaatlichen Willensbildung nach Art. 23 Abs. 3 GG sowohl den Bundestag als auch nach Art. 23 Abs. 5 GG den Bundesrat zu beteiligen, deren Stellungnahmen sie gleichzeitig zu berücksichtigen hat. Dabei kann es vorkommen, daß die Stellungnahmen von Bundestag und Bundesrat divergieren oder sich sogar kontradiktorisch widersprechen. Fraglich ist, wie die Bundesregierung sich in diesem Fall verhalten soll oder verhalten darf. Wenn beide Stellungnahmen inhaltlich nicht miteinander vereinbar sind, spräche auf den ersten Blick einiges für eine

208

A.A.: MD-Scholz, Art. 23 Rdnr. 130.

III. Die interne Willensbildung des Bundes

127

„Pflichtenkollision", die das politische Ermessen der Bundesregierung innerhalb der Grenzen der gegenseitigen Organ- und Bundestreue Wiederaufleben läßt 209 ; rechtlich Unmögliches kann von der Bundesregierung nicht verlangt werden.

(1) Die Pflicht zur Berücksichtigung der Stellungnahme des Bundestages nach Art. 23 Abs. 3 S. 2 GG i.V.m. § 5 S. 3 EUZBTG Um das Konkurrenzverhältnis der verschiedenen Stellungnahmen zu lösen, muß zunächst die Bedeutung der Pflicht zur Berücksichtigung der Stellungnahmen des Bundestages nach Art. 23 Abs. 3 S. 2 GG näher untersucht werden. Art. 23 Abs. 3 S. 2 GG verwendet die gleiche Formulierung wie Art. 23 Abs. 5 Satz 1 GG, nämlich daß die Bundesregierung die Stellungnahmen der Bundestages bei den Verhandlungen „berücksichtigt" 210 . Die gleiche Wortwahl innerhalb des Art. 23 Abs. 3 und Abs. 5 GG ist nicht zufallig getroffen worden: Bei den Beratungen durch die GVK wurde versucht, für die erst später vereinbarte Aufnahme der Mitwirkungsrechte des Bundestages eine Lösung zu finden, die sich inhaltlich und begrifflich eng an die für den Bundesrat gefundene Regelung anlehnt 211 . Dem Begriff des „Berücksichtigens" ist daher die gleiche Bedeutung wie in Art. 23 Abs. 5 GG zuzumessen. Das heißt, daß die Bundesregierung die Argumente des Bundestages zur Kenntnis nehmen, sich mit ihnen auseinandersetzen und sie in ihre Entscheidungsfindung einbeziehen muß, ohne jedoch inhaltlich bei ihrer Entscheidung daran gebunden zu sein 212 . Der Gesetzgeber hat indes in dem Ausführungsgesetz zu Art. 23 GG mit § 5 S. 3 EUZBTG eine Regelung getroffen, die sich von ihrem Wortlaut in Widerspruch zu der grundsätzlichen Aussage des Grundgesetzes befindet und die vorstehenden Überlegungen in Frage stellt. § 5 Satz 3 EUZBTG lautet:

209

Morawitz/Kaiser, S. 103; Scholz, NVwZ 1993, 817 (823). Nicht klar ist, wieso Absatz 3 von „Stellungnahme/7" spricht, wohingegen in Absatz 5 nur von der „Stellungnahme" des Bundesrates die Rede ist. In den ersten Regelungsentwürfen zur Mitwirkung des Bundestages war ebenfalls nur die Berücksichtigung „der Stellungnahme" des Bundestages vorgesehen, vgl. Bericht des Abg. Möller zur 9. Sitzung der GVK am 9.7.1992, Arbeitsunterlage Nr. 67, S. 1, und Bericht zur 11. Sitzung am 15.10.92, Arbeitsunterlage Nr. 84, S. 4. Auch der Bericht des SoAEU vom 1.12.92, BT-Drs. 12/3896, sprach nur von der Pflicht zur Berücksichtigung der „Stellungnahme" des Bundestages im Singular. Bei der tags darauf erfolgten Schlußabstimmung im Bundestag am 2.12.92 tauchte in Absatz 3 die Formulierung „die Stellungnahmen" des Bundestages auf, vgl. BR-Drs. 809/92. Wahrscheinlich handelt es sich um ein redaktionelles Versehen. 210

211 212

Bericht der GVK, S. 43. So der Bericht der GVK, S. 43.

128

Teil 2: Art. 23 GG - Inhalt und Anwendungsbereich .§5

Die Bundesregierung gibt vor ihrer Zustimmung zu Rechtsakten der Europäischen Union dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Frist zur Stellungnahme muß so bemessen sein, daß der Bundestag ausreichend Gelegenheit hat, sich mit der Vorlage zu befassen. Die Bundesregierung legt die Stellungnahme ihren Verhandlungen zugrunde" 213

Der Begriff „zugrunde legen" in § 5 S. 3 EUZBTG impliziert, daß die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundestages zur Grundlage ihrer eigenen Position machen muß oder, anders ausgedrückt, daß die Stellungnahme des Bundestages die Basis oder den Ausgangspunkt der weiteren Willensbildung und Verhandlung darstellen soll. Dies würde eine weitergehendere Bindung an die Stellungnahme bedeuten als nach Art. 23 Abs. 3 S. 2 GG gefordert. Denn im letzteren Fall ist lediglich ein Zur-Kenntnis-Nehmen und eine Pflicht des „SichAuseinandersetzens" gefordert. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers sollte der Begriff des Zugrundelegens folgendes bedeuten: Während der Begriff „berücksichtigen" in Art. 23 Abs. 3 GG den gesamten Prozeß der Willensbildung auf europäischer Ebene erfasse, betreffe das Zugrundelegen nur den Anfang dieses Willensbildungsprozesses 214. Beabsichtigt war erklärtermaßen nur eine Konkretisierung in zeitlicher, nicht aber in qualitativer Hinsicht 215 . Im übrigen betonte der Sonderausschuß Europäische Union, der auf Seiten des Bundestages federführend für die Regelungen des Art. 23 GG und der Ausführungsgesetze war, daß der Gesetzesvorbehalt des Art. 23 Abs. 3 S. 3 GG dem Bundestag das Recht gebe, im Rahmen seiner nationalen Zuständigkeit alle Materien zu beraten und der Bundesregierung für ihr Verhalten im Rat Empfehlungen und Vorgaben zu geben, an die die Bundesregierung innerstaatlich im Verhältnis zum Bundestag politisch gebunden sei 216 . Das Ergebnis mag auf den ersten Blick schlüssig klingen. Es stellt jedoch keine Erklärung für die augenfällige Abweichung des § 5 S. 3 EUZBTG vom Wortlaut des Grundgesetzes dar. Die vom Sonderausschuß Europäische Union vertretene Auslegung von § 5 S. 3 EUZBTG findet nämlich weder im Wortlaut noch in den Beratungen der GVK eine Stütze. Während der Beratungen der GVK kamen die Beteiligten überein, auch die Rechte des Bundestages stärken zu müssen217. Der Kompetenzverlust des Bundestages als Gesetzgebungsorgan 213

Hervorheb. d. Verf. So der Sonderausschuß „Europäische Union" des Deutschen Bundestages, BTDrs. 12/3896, S. 19; der SoAEU griff damit die Vorarbeiten der GVK auf, insbesondere die bereits vereinbarten „Eckwerte" für ein Ausfuhrungsgesetz, Arbeitsunterlagen Nr. 63 und 86 der GVK. 2,5 Scholz, NVwZ 1993, 817 (822). 216 Sonderausschuß „Europäische Union" des Deutschen Bundestages, BT-Drs. 12/3896, S. 19. 217 Bericht des Abg. Möllerzwx 7. Sitzung der GVK am 4.6.1992, Arbeitsunterlage Nr. 41, S. 5 ff.; ders., in: Sten. Prot, der 7. Sitzung der GVK v. 4.6.1992, S. 3 f. 214

III. Die interne Willensbildung des Bundes

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und der korrespondierende Kompetenzzuwachs der Bundesregierung, die nunmehr auf europäischer Ebene Gesetzgebungsbefugnisse wahrnimmt, wurden als zu gravierend empfunden, insbesondere im Hinblick auf das oft beklagte „Demokratiedefizit" in der Europäischen Gemeinschaft 218. Die ersten Überlegungen gingen dahin, die Mitwirkungsbefugnisse des Bundestages nur im Wege einer einfachgesetzlichen Regelung zu verankern. Im Laufe der Beratungen zur Verankerung der Rechte des Bundesrates gelangte man zu der Erkenntnis, daß man nicht die Rechte des Bundesrates eingehend in der Verfassung regeln und die des Bundestages nur quasi „en passant" erwähnen könnte 219 . Der Eindruck einer „optischen Schieflage" sollte vermieden werden 220 . In Anlehnung an die Beteiligungsregelung für den Bundesrat entschied man sich, den Begriff des „Berücksichtigens" zu verwenden. Dabei war jedoch zunächst nicht ganz klar, ob der Begriff des „Berücksichtigens" in Art. 23 Absatz 3 die gleiche Bedeutung haben sollte wie derjenige im Rahmen des Absatzes 5 Satz 1 für den Bundes" rat 221 . Den ersten Formulierungsvorschlägen der GVK war gemein, daß von Anfang an eine weitgehende Bindung der Bundesregierung an die Stellungnahme des Bundestages gewollt war. Nach den Vorstellungen der Berichterstatter sollte die Bundesregierung - in Anlehnung an die Formulierung des Art. 2 EEAG - zunächst nur aus „unabweisbaren außen- und integrationspolitischen Gründeif von der Stellungnahme des Bundestages abweichen dürfen 222 . Der Begriff „berücksichtigen" im Text des Grundgesetzes erschien den Vertretern der SPD in den Beratungen der GVK aus dem Grund dann „doch ein bißchen zu wenig" 223 . Sie schlugen vor, den weiteren Begriff des „Zugrundelegens" an-

218 Hierzu: Doehring DVBl. 1997, S. 1133 ff.; Hrbek, in: Gedächtnisschrift für Grabitz, S. 171 ff.; Kamann, S. 200 ff.; Klein, H.H., in: FS für Remmers, 195 (197 ff.); Kluth, S. 11 ff.; Randelzhofer, in: Der Staatenverbund der EU, S. 39 ff.; Scharpf, Jahrb. zur Staats- und Verwaltungswissenschaft 1992/93, S. 165 ff.; jew. m.w.N. Vgl. des weiteren die Darstellung bei Streinz, ThürVBl. 1997, S. 73 ff. 219 So Irmer, Sten. Prot, der 9. Sitzung der GVK v. 9.7.1992, S. 11. 220 So deutlich: Bericht des Abg. Möller von der 11. Sitzung der GVK am 15.10. 1992, Arbeitsunterlage Nr. 84, S. 5; Möller,; machte deutlich, daß die Aufnahme der Mitwirkungsrechte des Bundestages in das Grundgesetz Voraussetzung zur Zustimmung des Bundestages für die Aufnahme der Mitwirkungsrechte der Länder sei. 221 So besagen die Empfehlungen der GVK auch, daß die Begriffe „grundsätzlich" die gleiche Bedeutung hätten, vgl. Bericht der GVK, S. 43. Welche Ausnahmen der GVK vorschwebten, ist nicht aufklärbar. 222 Hierbei handelte es sich zunächst um eine Initiative des Bundestagspräsidiums, vgl. Bericht des Abg. Möller zur 7. Sitzung der GVK am 4.6.1992, Arbeitsunterlage Nr. 41, S. 6. Der Vorschlag, den Bundestag in die Regelung des Art. 23 Abs. 2 GG aufzunehmen, ist von Schnoor geäußert worden, vgl. ders., Sten. Prot, der 7. Sitzung der GVK v. 4.6.1992, S. 8. Später legte dann Möller einen entsprechenden Entwurf für einen neuen Absatz im Rahmen des Art. 23 vor, in dem die Mitwirkungsrechte des Bundestages ausfuhrlich geregelt waren, vgl. Empfehlungen der Berichterstatter „Grundgesetz und Europa" zur 9. Sitzung der GVK vom 9.7.1992, Arbeitsunterlage Nr. 67. 223 Verheugen, Sten. Prot, der 11. Sitzung der GVK v. 15.10.1992, S. 3. 9 Halfmann

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Teil 2: Art. 23 GG - Inhalt und Anwendungsbereich

stelle von „berücksichtigen" in das Grundgesetz zu schreiben, um Verfassungskonflikte zwischen dem Grundgesetz und dem Ausführungsgesetz zu vermeiden 224 . In der entscheidenden 11. Sitzung der GVK wurde der Antrag der SPD jedoch abgelehnt. Über die Gründe des Scheiterns geben die Beratungsprotokolle keinen eindeutigen Aufschluß. Die Gegner des Vorschlags machten geltend, daß ein neuer Begriff wie der des „Zugrundelegens" nur neue Konfliktsituationen in die Verfassung hineinbringen würde, vor allem im Hinblick auf das Verhältnis zu den Befugnissen des Bundesrates 225. Man hielt es fur angebrachter, das Grundgesetz nicht mit einer Frage zu befrachten, die den bis dahin erreichten Konsens mit den Ländern gefährden könnte, und wollte die Lösung der Konkurrenzsituation einer einfachgesetzlichen Regelung überlassen 226. Der „Sonderausschuß Europäische Union" des Deutschen Bundestages, der die abschließenden Empfehlungen zu den Vorschlägen der Grundgesetzänderung und der Ausführungsgesetze abzugeben hatte, befand sich politisch in einer verzwickten Lage: Zum einen sprang der Widerspruch der Fassung des Ausführungsgesetzes mit dem Wortlaut der beabsichtigten Grundgesetzänderung auf Anhieb ins Auge. Zum anderen war es ihm aus politischen Gründen und auch in der Kürze der Zeit nicht möglich, an den ausgefeilten und erst im Kompromißwege zustande gekommenen subtilen Formulierungen des Art. 23 GG und der Ausführungsgesetze bedeutsame textliche Änderungen vorzunehmen, wollte er nicht die Verabschiedung der Grundgesetzänderungen insgesamt gefährden. Daher liegt die Vermutung nahe, daß der „Sonderausschuß Europäische Union" mit seiner Deutung des Begriffes „zugrunde legen" in § 5 S. 3 EUZBTG versucht hat, die Formulierung „zu retten" und ihr quasi vorab eine verfassungskonforme Auslegung zu geben227. Die in § 5 S. 3 EUZBTG enthaltene Formulierung ist offenbar ein Relikt des gescheiterten Versuchs, den Stellungnahmen des Bundestages ein stärkeres Gewicht gegenüber solchen des Bundesrates einzuräumen 228. Sie spiegelt einen höchst zerbrechlichen Kompromiß zwischen den Parteifraktionen, der Bundesregierung und den Ländern wider. Auf diese Weise mag es sich erklären, warum die ursprünglich gewollte Regelung des „Zugrundelegens" ihren Platz im Ausführungsgesetz gefunden hat und die schwächere Formulierung im Text des Grundgesetzes selbst verblieben ist. Der Bundesrat seinerseits hatte nachfolgend im Wege des Vermittlungsverfahrens noch versucht, eine Änderung des § 5 S. 3 EUZBTG zu erreichen, blieb indes-

224

Vgl. Verheugen, Sten. Prot, der 11. Sitzung der GVK v. 15.10.1992, S. 3 f. So Stoiber, Sten. Prot, der 11. Sitzung der GVK v. 15.10.1992, S. 6. 226 Vgl. Stoiber, Sten. Prot, der 11. Sitzung der GVK v. 15.10.1992, S. 7. 227 Siehe oben, Fußn. 214. Breuer, NVwZ 1994, 417 (426), hat die Deutung des SoAEU trefflich als Juristisches Glasperlenspiel" charakterisiert. Vgl. auch die Erklärung bei Schwalenbach, S. 153 f. 228 So auch: Oschatz/Risse, DÖV 1995, 437 (441); Schwalenbach, S. 151 ff. 229 Vgl. BT-Drs. 12/4035 und 12/4247. 225

III. Die interne Willensbildung des Bundes

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sen mit seinem Begehren ebenfalls erfolglos 229 . Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift deutet folglich eher auf eine Unklarheit oder Inkonsequenz des Gesetzgebers hin als auf eine bewußte und planvolle Abweichung. Im Ergebnis können hieraus zweierlei Folgerungen gezogen werden: Zum einen muß den Begriffen „berücksichtigt" in Art. 23 Abs. 3 S. 2 und Abs. 5 S. 1 GG auf der verfassungsrechtlichen Ebene die gleiche Bedeutung zukommen. Die Bundesregierung hat, wenn sie die Stellungnahmen von Bundestag und Bundesrat zur Kenntnis nimmt und sich mit diesen auseinandersetzt, den Anforderungen des Grundgesetzes Genüge getan. Mehr verlangt das Grundgesetz von seinem Wortlaut her nicht. Das Erfordernis des Berücksichtigens ist verfahrensund nicht ergebnisbezogen. Zum anderen mögen innerhalb dieses Rahmens in verfassungsrechtlich zulässiger Weise aufgrund der unterschiedlichen Stellung von Bundestag und Bundesrat noch bestimmte Nuancierungen vorgesehen werden, wie die zeitliche Komponente des § 5 S. 3 EUZBTG in der Deutung des „Sonderausschusses Europäische Union". Eine weitergehende rechtliche Bindungswirkung für die Bundesregierung, als dies bei der Pflicht zur „einfachen" Berücksichtigung der Stellungnahme des Bundestages nach Art. 23 Abs. 3 S. 2 GG der Fall ist, vermag § 5 S. 3 EUZBTG im Ergebnis jedenfalls nicht zu erzeugen. Er muß somit in diesem Sinne verfassungskonform zu Art. 23 Abs. 3 S. 2 GG ausgelegt werden 230 .

(2) Die Auflösung des Konkurrenzverhältnisses Sofern sich die Stellungnahmen von Bundestag und Bundesrat widersprechen, muß zunächst unterschieden werden, ob es sich bei der Stellungnahme des Bundesrates um eine solche nach Art. 23 Abs. 5 S. 1 GG handelt, die schlicht zu berücksichtigen ist, oder um eine solche, die nach Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG in qualifizierter Weise berücksichtigt werden muß. Im ersten Fall bereitet die Lösung eines möglichen Konfliktes keine Schwierigkeiten 231 : Weiter oben wurde bereits gesagt, daß die Pflicht zur Berücksichtigung nicht ergebnisbezogen ist. Die Bundesregierung muß sich lediglich ernsthaft mit den Stellungnahmen auseinandersetzen und diese in ihre Überlegungen einbeziehen. Ansonsten verfügt sie über ein politisches Ermessen im Hinblick auf die Bildung und Festlegung der deutschen Verhandlungsposition. Die Grenzen ihres Ermessens werden lediglich durch die Grundsätze der gegenseitigen Organ- und Bundestreue bestimmt. Nach dem Grundsatz der „Organtreue" haben sich die Staatsorgane zueinander so zu verhalten, daß sie ihre verfassungsrechtlichen Zuständigkeiten verantwortlich, gewissenhaft sowie frei von Zeitnot und Pressionen ausüben

230 231

GGK-Rojahn, Art. 23 Rdnr. 62, m.w.N. Ebenso Kokott, DVBI. 1996, 937 (942). So auch Schede, 132.

132

Teil 2: Art. 23 GG - Inhalt und Anwendungsbereich

können 232 ; außerdem haben sie bei der Ausübung ihrer Kompetenzen wechselseitige Rücksichtnahme gelten zu lassen233. Die Bundesregierung muß folglich bei sich widersprechenden Stellungnahmen des Bundestages und des Bundesrates unter Abwägung aller Belange des Bundes und der Länder nach Möglichkeit einen schonenden Ausgleich zwischen den verschiedenen Interessen suchen. Das Ergebnis wird folglich im Einzelfall von der zugrundeliegenden Sach- und Interessenlage und vom jeweiligen Inhalt der Stellungnahmen abhängen. Im Fall des Aufeinandertreffens einer Stellungnahme des Bundestages mit einer abweichenden Stellungnahme des Bundesrates, die nach Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG in qualifizierter Weise zu berücksichtigen ist, kann die Frage des Konkurrenzverhältnisses wie folgt beantwortet werden: In Art. 23 Absatz 5 S. 2 GG ist mit dem Begriff des „maßgeblichen Berücksichtigens" ein neuer Rechtsbegriff eingeführt worden, der sich inhaltlich und von seiner Bedeutung wesentlich vom einfachen, aus dem Bereich des Verwaltungsrechts stammenden Begriff des „Berücksichtigens" unterscheidet und der sich als stärkere, qualifizierte Rechtspflicht gegenüber dem „einfachen" Berücksichtigen durchsetzen muß. Art. 23 Absatz 5 S. 2 GG geht also im Konfliktfall Art. 23 Abs. 3 S. 2 GG vor, so daß es nicht zu einer echten Konkurrenz kommen kann 234 . Für dieses Ergebnis spricht neben dem Wortlaut auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Die Möglichkeit einer Konkurrenzsituation zwischen den Stellungnahmen von Bundestag und Bundesrat ist sowohl von der GVK als auch von den gesetzgebenden Körperschaften erkannt und auch intensiv diskutiert worden. Während der Beratungen der GVK zur Frage einer Verankerung auch der Mitwirkungsrechte des Bundestages wurde Einvernehmen erzielt, daß die qualifizierten Mitwirkungsrechte der Länder hierdurch nicht angetastet werden sollten. Für die Länder war es inakzeptabel, die schon vereinbarte Bindung der Bundesregierung an die Stellungnahme des Bundesrates und somit dessen Letztentscheidungsrecht nach Absatz 5 Satz 2 nachträglich durch die Aufnahme der Mitwirkungsrechte des Bundestages wieder in Frage zu stellen 235 . Die vorstehenden Ausführungen werden durch den Vorschlag eines § 6 EUZBTG des „Sonder-

232

Stern., StaatsR I, S. 134 f. GGK-Krebs, Art. 50 Rdnr. 4. 234 Scholz, NVwZ 1993, 817 (823). 235 Möller sah keine Bedenken, einen Passus aufzunehmen, wonach die Rechte der Länder „unberührt" bleiben sollten, vgl. ders. Sten. Prot, der 11. Sitzung der GVK v. 15.10.1992, S. 2; Stoiber, Sten. Prot, der 11. Sitzung der GVK v. 15.10.1992, S. 7. Morawitz/Kaiser, S. 103. 233

III. Die interne Willensbildung des Bundes

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ausschusses Europäische Union" des Deutschen Bundestages bestätigt, mit dem der Konfliktfall gelöst werden sollte 236 : „§6 Im Fall sich widerstreitender Stellungnahmen des Bundestages und des Bundesrates berücksichtigt die Bundesregierung vorrangig die Stellungnahme des Bundestages oder des Bundesrates, je nachdem, ob im Falle innerstaatlicher Gesetzgebung die Materie schwerpunktmäßig in die Zuständigkeit des Bundes oder der Länder fiele. Art. 23 Abs. 5 Satz 2 GG bleibt unberührt"™

Beabsichtigt war nur eine Regelung des Konkurrenzverhältnisses zwischen den einfachen, nicht qualifizierten Pflichten zur Berücksichtigung der Stellungnahmen von Bundestag und Bundesrat. Die Regelung in § 6 Satz 2 des Entwurfes hatte dagegen nur deklaratorischen Charakter. Der Bundesrat rief, wie oben erwähnt, aufgrund dieser Regelung zwar den Vermittlungsausschuß an. Er wandte sich aber nur gegen die Regelung des § 6 Satz 1 des Entwurfes, der seiner Ansicht nach die in der Verfassung zum Ausdruck kommende Gleichrangigkeit der Stellungnahmen wieder beseitigte238. Auf die Empfehlung des Vermittlungsausschusses wurde § 6 gestrichen 239. Der Vermittlungsausschuß hat § 6 nur deklaratorische Bedeutung zugemessen und hielt eine besondere Regelung nicht für erforderlich 240. Dem ist angesichts der obigen Ausführungen zu den Lösungsmöglichkeiten einer Konkurrenzsituation beizupflichten. An dem Willen des Gesetzgebers, die Pflicht zur maßgeblichen Berücksichtigung nach Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG als vorrangig gegenüber der einfachen Pflicht zur Berücksichtigung der Stellungnahmen des Bundestages einzustufen, kann im Ergebnis somit kein Zweifel bestehen.

5. § 5 Abs. 3 EUZBLG - Vorhaben der EU nach Art. 235 EGV Nach § 5 Abs. 3 EUZBLG stellt die Bundesregierung vor ihrer Zustimmung zu Vorhaben, die auf Art. 235 E WG-Vertrag gestützt werden, das Einvernehmen mit dem Bundesrat her, soweit dessen Zustimmung nach innerstaatlichem Recht erforderlich wäre oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären. Enthält Art. 23 GG in den Absätzen 4 bis 6 eine fein differenzierte Systematik an Beteiligungsformen, die nach Absatz 4 von dem Gedanken der innerstaatli236

BT-Drs. 12/3896. Ein verfassungsrechtliches Regelungsbedürfnis wurde demgegenüber vom Ausschuß mehrheitlich verneint. Auch bei den Beratungen der GVK war die Mehrheit offenbar der Ansicht, daß mögliche Konfliktsituationen auf der einfachen Gesetzesebene gelöst werden sollten, vgl. Stoiber, Sten. Prot, der 11. Sitzung der GVK v. 15.10.1992, S. 7. 237 238 239 240

Hervorhebung d. Verf. Vgl. BT-Drs. 12/4035. Vgl. BT-Drs. 12/4247. Vgl. Scholz, NVwZ 1993, 817 (823).

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Teil 2: Art. 23 GG - Inhalt und Anwendungsbereich

chen Kompetenzverteilung als Anknüpfungsmaßstab regiert wird, so stellt § 5 Abs. 3 EUZBLG entscheidend auf die von der Europäischen Gemeinschaft herangezogene Ermächtigungsgrundlage als Anknüpfungspunkt für die Mitwirkung des Bundesrates ab. Fraglich ist daher, inwieweit § 5 Abs. 3 EUZBLG mit Art. 23 Abs. 4 bis 6 GG vereinbar ist.

a) Entstehung der Ausnahmeregelung § 5 Abs. 3 EUZBTG verdankt seine Entstehung - anders als die Mehrzahl der übrigen Regelungen - nicht den Vorschlägen der GVK oder der Berichterstatter, sondern vielmehr einer späteren Initiative des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren. Dieser schlug in seiner Gegenäußerung zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung des EUZBLG die Einfügung eines § 5 Abs. 3 mit folgender Fassung vor: „ (3) Für Vorhaben, die auf Artikel 235 E WG-Vertrag gestützt werden, ist das Einvernehmen mit dem Bundesrat erforderlich."

Zur Begründung führte er an, daß es sich bei dem Rückgriff der Europäischen Gemeinschaft auf Art. 235 EWG-V materiell um eine Vertragserweiterung handele, weshalb entsprechend dem Gedanken des Art. 23 Abs. 1 GG die Zustimmung des Bundesrates erforderlich sei 241 . Schon bei den Regierungskonferenzen über die Gründung der Europäischen Union hatten sich die Länder erfolglos für eine Abschaffung des Art. 235 EWG-V eingesetzt, der ihnen ein besonderer Dorn im Auge war. Die Bundesregierung widersprach diesem Anliegen unter Verweis auf Art. 23 GG, nach dem sich die Mitwirkung des Bundesrates unabhängig von der gewählten Rechtsgrundlage allein nach der jeweiligen innerstaatlichen Zuständigkeit richte 242 . In den Verhandlungen zwischen der Bundesregierung und Vertretern der Länder einigten sich beide Seiten auf die Einfügung des § 5 Abs. 3 EUZBLG in der jetzt gültigen Fassung243. Nicht durchsetzen konnten sich einige Abgeordnete des Bundestages mit ihrer Forderung, eine entsprechende Regelung zusätzlich auch für den Bundestag einzufüh-

241 242 243 244

BT-Drs. 12/3540, S. 9. BT-Drs. 12/3540, S. 11. Bericht des SoAEU, BT-Drs. 12/3896, S. 25. Morawitz/Kaiser, S. 104.

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b) Anwendungsbereich § 5 Abs. 3 EUZBLG knüpft tatbestandlich an Vorhaben an, „die auf Art. 235 EWG-Vertrag' gestützt werden. Hieraus kann allerdings nicht hergeleitet werden, daß § 5 Abs. 3 EUZBLG nach Gründung der Europäischen Union und Umbenennung des EWG-Vertrages in den EG-Vertrag nicht mehr anwendbar sei. Vielmehr handelt es sich um eine redaktionelle Unstimmigkeit, die bei Verabschiedung des EUZBLG am 12. März 1993 nicht bereinigt werden konnte, da der Vertrag über die Gründung der Europäischen Union erst rund sieben Monate später, nämlich am 19.10.1993, in Kraft getreten ist 245 . §5 Abs. 3 EUZBLG sollte unabhängig davon bereits vor der Gründung der Europäischen Union Anwendung finden 246 . Weiteres Anknüpfungsmerkmal des § 5 Abs. 3 EUZBLG ist, daß im Hinblick auf das konkrete Vorhaben der Bundesrat oder die Länder innerstaatlich zuständig wären. Durch dieses Merkmal, welches entgegen den ursprünglichen Vorstellungen des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren noch eingefügt werden konnte, versucht § 5 Abs. 3 EUZBLG der grundsätzlichen Systematik des Art. 23 Abs. 4 GG zu folgen. „Vorhaben, die auf Art. 235 E WG-Vertrag" gestützt werden, sind stets auch „Angelegenheiten der Europäischen Union" im Sinne des Art. 23 Abs. 2 GG, so daß eine Konkurrenz zu den in Art. 23 Abs. 4 bis 6 GG geregelten Mitwirkungsrechten des Bundesrates besteht. Indes weicht § 5 Abs. 3 EUZBLG in vielerlei Hinsicht von der Systematik der Beteiligung in Art. 23 Abs. 5 und 6 GG ab: Art. 23 Abs. 5 und 6 GG differenzieren nach der innerstaatlichen Kompetenzverteilung sowie nach der Betroffenheit „im Schwerpunkt". Demgegenüber wählt § 5 Abs. 3 EUZBLG als primären Anknüpfungspunkt allein die gewählte Ermächtigungsgrundlage nach dem EGV sowie die Zustimmungsbedürftigkeit eines Vorhabens durch den Bundesrat nach innerstaatlichem Recht oder die schlichte Gesetzgebungszuständigkeit der Länder. Eine Differenzierung nach dem Schwerpunkt der Maßnahme erfolgt weiter nicht. Das Abstellen auf das Kriterium der Zustimmungsbedürftigkeit eines Vorhabens nach innerstaatlichem Recht durch den Bundesrat in diesem Zusammenhang ist bemerkenswert. Die Regelung des § 5 Abs. 3 EUZBLG scheint damit in erster Linie den Schutz der Mitwirkungsrechte des Bundesrates und nur indirekt eine Stärkung der Länder zu bezwecken. Die im Grundgesetz enumerati ν aufgeführten Fälle der Zustimmungsbedürftigkeit sind zwar nach den Vorstellungen des Parlamentarischen Rates für die Gesetze vorgesehen worden, die in die Verwaltungsorganisation und in die finanzwirtschaftlichen Interessen der Länder eingreifen 247. Die Einteilung der Gesetze in „Zustimmungs-" und „Einspruchsgesetze" folgt allerdings keinem logisch strin-

245

Siehe Einleitung, Fußn. 1. Nach § 16 S. 2 EUZBLG ist § 5 Abs. 3 rückwirkend zum 1. Januar 1993 in Kraft getreten. 247 Mußgnug, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, § 6 Rdnr. 70. 246

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Teil 2: Art. 23 GG - Inhalt und Anwendungsbereich

genten Muster, aus dem sich die Zustimmungsbedürftigkeit zwingend ableitet, da nahezu jedes Gesetz in irgendeiner Form auf die Interessen der Länder durchschlägt und auch einige Gesetze, die die Interessen der Länder aufs stärkste berühren, nicht zustimmungsbedürftig sind 248 . Auch die zweite Alternative des § 5 Abs. 3 EUZBLG wirft erhebliche Abgrenzungsfragen auf. In augenfälliger Weise weicht die Formulierung „soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären" von der in Art. 23 Abs. 5 GG und § 5 Abs. 1 und 2 EUZBLG enthaltenen Formulierung ab, bei der das „Recht des Bundes zur Gesetzgebung" das maßgebliche Abgrenzungskriterium darstellt. § 5 Abs. 3 EUZBLG scheint damit im Gegensatz zu der Regelung des Grundgesetzes die konkurrierende und die Rahmengesetzgebungskompetenz mit zu umfassen 249. Die Gesetzgebungsmotive verweisen als Motiv für diese Einfügung auf eine Verständigung zwischen der Bundesregierung mit den Ländern, geben ansonsten aber keinen näheren Aufschluß über die Gründe 250 . Schließlich weichen auch die vorgesehenen Rechtsfolgen des § 5 Abs. 3 EUZBLG von denen des Art. 23 Abs. 5 und 6 GG ab. Sehen Art. 23 Abs. 5 und 6 ein differenziertes System der Mitwirkung vor, angefangen von der einfachen Berücksichtigung der Stellungnahme über die „maßgebliche" Berücksichtigung nach Durchführung des Streitschlichtungsverfahrens und einem „Beharrungsbeschluß" bis hin zum Recht der Außenvertretung des Bundes, so spricht § 5 Abs. 3 EUZBLG nur von der Herstellung des „Einvernehmens". Das „Einvernehmen" beschreibt einen Begriff, der ebenfalls der Terminologie des Verwaltungsrechts entlehnt ist und der nach üblichem Rechtsverständnis bedeutet, daß die mitwirkungsberechtigte Stelle einen bestimmenden Einfluß auf die Entscheidung hat 251 . Über ein fehlendes Einvernehmen des Bundesrates dürfte sich die Bundesregierung folglich nicht hinwegsetzen. Darüber hinaus bedarf nach § 5 Abs. 3 EUZBLG nur die Zustimmung der Bundesregierung zu Vorhaben, die auf Art. 235 EGV gestützt werden, der vorherigen Herstellung des Einvernehmens. Fraglich ist, wie der Fall der Stimmenthaltung im Rat zu beurteilen ist. Die Stimmenthaltung steht nach Art. 148 Abs. 3 EGV dem Erlaß einer Maßnahme, die auf Art. 235 EGV gestützt ist, nicht entgegen. Diese Frage wird, wie nicht anders zu erwarten, von der Bundesregierung und vom Bundesrat

248 Reuter, Art. 50 Rdnr. 159; Stern, StaatsR II, S. 144, jew. mit Beispielen. Allenfalls kann eine grobe Einteilung vorgenommen werden, vgl. Herzog, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, § 45 Rdnr. 8 ff., sowie Reuter, ebd. 249 Siehe zu dem Auslegungsstreit bereits oben, S. 102 ff. 250 Vgl. die Stellungnahme des Sonderausschusses Europäische Union, BT-Drs. 12/3896, S. 25. 251 Vgl. Erichsen, Hans-Uwe, Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl., Berlin 1995, § 37 Rdnr. 29. Siehe auch oben, Fußn. 184.

III. Die interne Willensbildung des Bundes

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konträr beantwortet 252. In der Praxis blieb dieser Streit wegen der Erteilung des Einvernehmens auch in den streitigen Fällen bislang ohne Relevanz253.

c) Vereinbarkeit

von § 5 Abs. 3 EUZBLG mit Art. 23 Abs. 4 bis 6 GG

§ 5 Abs. 3 EUZBLG räumt dem Bundesrat teilweise mehr, teilweise weniger Rechte ein, als in Art. 23 Abs. 5 und 6 GG vorgesehen ist, und weicht nicht unerheblich von der Systematik der Kompetenzverteilung des Art. 23GG ab 254 . Durch das Abstellen auf die Zustimmungsbedürftigkeit eines Gesetzes im Rahmen des § 5 Abs. 3 EUZBLG wird die Systematik des Art. 23 Abs. 5 GG gleichsam ausgehebelt, da innerstaatlich aufgrund der häufig vorgenommenen Verknüpfung von Bundesgesetzen mit organisations- und verfahrensrechtlichen Regelungen i.S.d. Art. 84 Abs. 1 GG die meisten Gesetze der Zustimmung des Bundesrates bedürfen 255. Der Anteil der zustimmungsbedürftigen Gesetze ist seit der ersten Wahlperiode des Deutschen Bundestages von 41,8 Prozent kontinuierlich auf 66,9 Prozent in der 13. Wahlperiode angewachsen256. So wird geschätzt, daß heute etwa 90 Prozent der Bundesgesetze von wesentlicher Bedeutung Zustimmungsgesetze sind 257 . Zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung dieser Sonderregelung wird geltend gemacht, daß es sich bei § 5 Abs. 3 EUZBLG um einen Spezialfall handele, der sich nicht unmittelbar auf Art. 23 GG zurückführen lasse, der aber dem Grundgedanken der Länderbeteiligung folge 258 . Der Bundesrat vertritt außerdem die Auffassung, daß es sich bei dem Rückgriff auf Art. 235 EGV als Kompetenzgrundlage materiell um eine Vertragsänderung handele259. Beide Argumente vermögen bei näherer Betrachtung jedoch nicht zu überzeugen: Wie oben bereits festgestellt, wollte der Gesetzgeber mit Art. 23 GG die Bund-Länder-Zusammenarbeit in abschließender Weise 252 Vgl. v. Dewitz,; Praxisbericht 1996, S. 13, sowie den Brief der Ministerpräsidentenkonferenz vom 29.10.1993 und das Antwortschreiben des Bundeskanzlers vom 10.11.1993, abgedr. bei: Morawitz/Kaiser,; S. 188 ff. Gegen die Einbeziehung der Stimmenthaltung: Morawitz/Kaiser,; S. 106; insgesamt zum Verfahren: Oschatz/Risse, DÖV 1995, 437(445). 253 v. Dewitz, Praxisbericht 1996, S. 13. 254 So auch: Schede, S. 156 f. 255 Die Verknüpfung ist von Verfassungs wegen nicht geboten, vgl. BVerfGE 37, 363 (382); Stern, StaatsR I, S. 145 f. 256 Quelle: Handbuch des Bundesrates, S. 286. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die an der fehlenden Zustimmung des Bundesrates gescheiterten Gesetze nicht mitgezählt worden sind. Der Prozentsatz ist also tatsächlich noch etwas höher. Insgesamt beläuft sich der Anteil der zustimmungsbedürftigen Gesetze an der Gesetzgebung im Durchschnitt auf 52,7 Prozent. 257 Große-Sender; Kommissionsbericht, Teil 1, S. 57. 258 So Oschatz/Risse, DÖV 1995, 437 (444). 259 BT-Drs. 12/3540, S. 9.

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Teil 2: Art. 23 GG - Inhalt und Anwendungsbereich

regeln 260 . Eine Ausnahme fur den Fall des Art. 235 EGV zu schaffen, stand bei den Beratungen zwischen Bund und Ländern im Vorfeld und auch bei den Beratungen der GVK nicht zur Debatte. Die Argumentation, bei einem Rückgriff auf Art. 235 EGV handele es sich materiell um eine Vertragsänderung des EGV, die entsprechend Art. 23 Abs. 1 GG der Zustimmung des Bundesrates bedürfe, trifft ebenfalls nicht zu. Ein zulässiger Rückgriff auf Art. 235 EGV bei Erlaß eines Rechtsaktes steht rechtlich einer „Änderung der vertraglichen Grundlagen" der Europäischen Union oder einer „vergleichbaren Regelung" im Sinne des Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG nicht gleich. Hiervon erfaßt sind nämlich nur formelle Änderungen des primären Gemeinschaftsrechts oder Hoheitsrechtsübertragungen aufgrund von „Evolutivklauseln" wie Art. 138 Abs. 3 und Art. 201 EGV sowie Art. K.9 EUV, die von ihren Auswirkungen qualitativ über das hinausgehen, was mit der Billigung des Maastricht-Vertrages verbunden ist 261 . Die Frage der Ausübung der der Europäischen Gemeinschaft übertragenen Befugnisse ist nicht Gegenstand von Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG 2 6 2 . Zwar werden Reichweite und Bedeutung des Art. 235 EGV in der Literatur divergierend beurteilt 263 . Im Rahmen des EUV und des EGV ist jedoch strikt zwischen der Wahrnehmung einer begrenzt eingeräumten Hoheitsbefugnis und einer Vertragsänderung zu unterscheiden. Die Auslegung der Kompetenznormen darf im Ergebnis nicht einer Vertragserweiterung gleichkommen und hätte, wie vom Bundesverfassungsgericht festgestellt, für die Bundesrepublik Deutschland keine ΒindungsWirkung 264. Rechtlich gesehen ist daher ein zulässiger Rückgriff auf Art. 235 EGV, der sich im Rahmen der Voraussetzungen des EGV bewegt, eine Vertragsanwendung und kann daher weder formell noch materiell einer Vertragsänderung im Sinne des Art. 23 Abs. 1 GG gleichgestellt werden 265 . Dabei soll nicht verkannt werden, daß die Kompetenznormen des EGV eine finale Struktur aufvveisen und damit quasi von Haus aus einen grundsätzlichen Widerspruch und ein Spannungsverhältnis erzeugen zu den statisch angelegten Kompetenzvorschriften des Grundgesetzes, die auf Transparenz und Mäßigung

260 Zum Verhältnis des Art. 23 GG zum Lindauer Abkommen siehe oben, Teil 2, Kap. II.4. d), S. 92 ff. 261 Vgl. die Begründung des „Sonderausschusses Europäische Union", BT-Drs. 12/3896, S. 18 f. Die Abgrenzung zwischen Art. 23 Abs. 1 S. 2 und S. 3 GG, insbesondere die Frage, ob Satz 3 nur für Hoheitsrechtsübertragungen einschlägig ist, die materiell von grundlegender Bedeutung sind, oder für jede Art von Hoheitsrechtsübertragungen, ist im einzelnen umstritten, vgl. hierzu: GGK-Rojahn, Art. 23 Rdnr. 47 ff.; MDScho/z, Art. 23 Rdnr. 84 ff.; Oschatz/Risse, DÖV 1995, 437 (438 ff.); Schede,, S. 74 ff.; jew. m.w.N. 262 GGK-Rojahn, Art. 23 Rdnr. 54. 263 Vgl. hierzu KEU-Grabitz, Art. 235 Rdnr. 2 ff.; GTE-Schwartz, Art. 235 Rdnr. 6 ff. 264 BVerfGE 89, 155, Ls. 6 und S. 192 ff., 209 f. 265 A.A.: Lang, S. 192 f.

IV. Die Außen Vertretung des Bundes nach Art. 23 Abs. 6 GG

139

der Hoheitsgewalt abzielen266. Allein diese Tatsache vermag eine verstärkte Mitwirkung des Bundesrates nicht zu rechtfertigen. Ein Rückgriff auf Art. 235 EGV als Ermächtigungsgrundlage für ein Rechtsetzungsvorhaben ist entweder zulässig, weil die Voraussetzungen des EGV hierfür erfüllt sind, oder er erweist sich als unzulässig. Im ersten Fall liegt weder formell noch materiell eine Vertragsänderung vor, im zweiten Fall hingegen eine unzulässige Vertragsdurchbrechung. Diese entfaltet für die Bundesrepublik Deutschland keine Wirkung und könnte auch nicht durch eine Zustimmung des Bundesrates „geheilt" werden. Ein vom Grundgesetz nicht vorgesehenes, außerhalb des Art. 23 Abs. 4 bis 6 GG liegendes Zustimmungsrecht des Bundesrates kann hiermit nicht gerechtfertigt werden. § 5 Abs. 3 EUZBLG ist somit wegen Verstoßes gegen Art. 23 Abs. 4 bis 6 GG unanwendbar und nichtig 267 . Eine Aufrechterhaltung der Vorschrift im Wege einer verfassungskonformen Auslegung kommt nach Lage der Dinge nicht in Betracht, da die Regelungen der §§ 5 Abs. 1 und 2 und 6 Abs. 2 EUZBLG alle Beteiligungsformen des Art. 23 Abs. 4 bis 6 GG erfassen und ein darüber hinausgehender Regelungsspielraum nicht vorhanden ist.

IV. Die AuBenvertretung des Bundes nach Art. 23 Abs. 6 GG 1. Tatbestand und Anwendungsbereich Während Art. 23 Abs. 5 GG den Prozeß der (internen) Willensbildung des Bundes betrifft, hat Absatz 6 die Außenvertretung der Bundesrepublik Deutschland in der Europäischen Union zum Gegenstand. Dieser Bereich bildete einen der umstrittensten Punkte der Beratungen der GVK. Auch Art. 23 Abs. 6 GG ist das Ergebnis eines unter schwierigen Bedingungen ausgehandelten Kompromisses, der sich in den Formulierungen widerspiegelt und manche Unklarheit erklären kann.

a) Ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder Art. 23 Abs. 6 S. 1 GG verlangt für die Übertragung der Verhandlungsführung auf einen Vertreter der Länder, daß im Schwerpunkt „ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse" der Länder betroffen sind. Der Begriff „ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder" beschreibt keine neuartigen Kompetenztitel, sondern meint den Bereich, für den das Grundgesetz keinen ausdrückli-

266

Vgl. Schock, JZ 1995, 109 (115 ff.). Zur Finalstruktur des EG-Rechts vgl. auch: Rengeling, Deutsches und europäisches Verwaltungsrecht - wechselseitige Einwirkungen, in: VVDStRL Bd. 53 (1993), S. 202 (222 ff.). 267 Ebenso: Schede, S. 157.

140

Teil 2: Art. 23 GG - Inhalt und Anwendungsbereich

chen Gesetzgebungstitel zugunsten des Bundes vorsieht 268 . Auch insoweit stellt sich die Frage, wie der Bereich der konkurrierenden und der Rahmengesetzgebungskompetenz einzuordnen ist. Teilweise wird vertreten, daß die Bereiche der konkurrierenden und der Rahmengesetzgebung, für die ein Bedürfnis nach einer bundesgesetzlichen Regelung im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG nicht besteht, zu den „ausschließlichen Gesetzgebungsbefugnissen" der Länder im Sinne des Absatzes 6 gehören müßten 269 . Mithin würden alle Vorhaben hiervon erfaßt, die nicht der Regelung des Art. 23 Abs. 5 Satz 1 GG unterfallen, sowie nach der hier vertretenen Auslegung zugleich alle Vorhaben des Art. 23 Abs. 5 Satz 2, 1. Alternative GG. Wortlaut und Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes sprechen indes dafür, daß mit den „ausschließlichen Gesetzgebungsbefugnissen" der Länder nur die Bereiche gemeint sind, für die das Grundgesetz bereits abstrakt keinen Kompetenztitel zugunsten des Bundes enthält, ohne daß es auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG noch ankäme. In Art. 23 Abs. 5 und 6 GG, sowie noch deutlicher in § 5 Abs. 2 und § 6 Abs. 2 EUZBLG, wird zwischen „Gesetzgebungsbefugnissen" der Länder einerseits und „ausschließlichen Gesetzgebungsbefugnissen" der Länder andererseits differenziert. Das Grundgesetz bringt damit zum Ausdruck, daß der Anwendungsbereich von Absatz 6 gegenüber demjenigen von Absatz 5 Satz 2 der engere sein soll. Nur dieser enge Bereich sollte mit einem gesteigerten Mitwirkungsrecht des Bundesrates nach Absatz 6 korrespondieren 270. Um die Akzeptanz der Bundesregierung für die Regelung zu gewinnen, argumentierten die Länder selbst damit, daß es sich bei den „ausschließlichen Gesetzgebungsbefugnissen" der Länder letztlich nur um einen „äußerst schmalen Bereich" handeln würde 271 . „Ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse" der Länder meint daher nur die Bereiche, die von den Art. 72 ff. GG überhaupt nicht erfaßt sind und die weder zur ausschließlichen noch abstrakt zur konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes oder zur Rahmengesetzgebungskompetenz zählen 272 .

268 269

Siehe Bericht der GVK, S. 46, sowie Teil 1, Kap. II, Fußn. 47. So z.B. Oschatz/Risse, DÖV 1995, 437 (446); Morawitz/Kaiser,

S. 110; Paul,

S. 66. 270 Bericht von Schnoor zu der 8. Sitzung der GVK am 26.6.1992, Arbeitsunterlage Nr. 104, S. 12. Der Schlußbericht der GVK ist insoweit deutlicher als die Begründung der Bundesregierung und die Stellungnahme des Sonderausschusses Europäische Union, indem dort ausdrücklich vermerkt ist, daß mit dem Ausdruck „ausschließliche Gesetzgebungsbefugnis" der Länder „der - gegenüber Absatz 5 Satz 2 engere - Bereich gemeint (ist), für den das Grundgesetz keinen ausdrücklichen Gesetzgebungstitel zugunsten des Bundes enthält.", vgl. den Bericht der GVK, S. 46. 271 Stoiber, Sten. Prot, der 8. Sitzung der GVK v. 26.6.1992, S. 14. 272 So auch MD-Randeizhofer, Art. 24 Rdnr. 209; Schede, S. 159 f.

IV. Die Außenertretung des Bundes nach Art. 23 Abs. 6 GG b) Das „ Betroffensein

141

im Schwerpunkt "

Im Hinblick auf die weiteren Tatbestandsmerkmale des Absatzes 6 „im Schwerpunkt" und „betroffen" gilt das zu Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG Gesagte entsprechend. Aufgrund der gleichartigen Verwendung der Begriffe ergeben sich insoweit keine Bedeutungsunterschiede273. Im Ergebnis bedeutet dies auch, daß in dem Fall, in dem Art. 23 Abs. 6 GG nach seinem Tatbestand einschlägig ist, notwendigerweise auch der Tatbestand von Absatz 5 S. 2 erfüllt ist. Der Bundesrat verfügt daher über die Möglichkeit, die nach außen zu vertretende Position Deutschlands bereits zuvor bei der internen Willensbildung „maßgeblich" bestimmen zu können.

2. Rechtsfolgen Ist der Tatbestand des Art. 23 Abs. 6 GG erfüllt, soll die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat in der Europäischen Union zustehen, vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen werden. Hinter diesen Merkmalen verbirgt sich jeweils eine komplexe rechtliche und tatsächliche Problematik, die während der Beratungen eine nicht unerhebliche Rolle gespielt hat.

a) Die Rechte der Bundesrepublik Deutschland Mit den Rechten, „die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat in der Europäischen Union zustehen", ist die Gesamtheit der Rechte umfaßt, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat im Rahmen des Willensbildungsprozesses auf supranationaler Ebene zustehen. Im Kern geht es um Teilnahme·, Präsenz- und Rederechte in bezug auf die Beratungen und Verhandlungen in den Gremien der Kommission und des Rates sowie um die Möglichkeit, die Verhandlungen durch eigene Wortbeiträge aktiv mitzubestimmen. Insbesondere gehören hierzu die Verhandlungsführung und das Recht zur Mitentscheidung durch die Stimmabgabe namens und mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland274. Den konkreten Hintergrund für die Forderungen der Länder nach einer solchen Mitwirkung bildeten negative Erfahrungen der Vergangenheit. Die hohe Dynamik des Verhandlungsprozesses auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft und Europäischen Union erforderte die Möglichkeit, sich

273

A.A. Schede, S. 158 f., der sich an dieser Stelle zu einer Korrektur seiner Auffassung gezwungen sieht, weil er die Merkmale des Absatz 5 S. 2 im Sinne der Länder erweiternd ausgelegt hat. 214 Schede, S. 160.

142

Teil 2: Art. 23 GG - Inhalt und Anwendungsbereich

aktiv und ohne zeitliche Verzögerung in diesen Prozeß einschalten zu können. Demzufolge spricht § 6 Abs. 2 EUZBLG konkreter vom Recht der „Verhandlungsführung", das übertragen werden soll. Darin sind die Stimm- und Rederechte enthalten.

b) Das Merkmal „ soll übertragen werden " Die näheren Voraussetzungen der Übertragung der Rechte und deren Wahrnehmung gehörten zu den umstrittensten Punkten, um die bei den Beratungen der GVK gerungen worden ist: Die Vertreter des Bundesrates strebten eine Lösung an, wonach die Übertragung der Verhandlungsführung im Sinne einer strikt gebundenen Entscheidung zu erfolgen habe. Von Bundesseite, gemeint ist die Bundesregierung, wurde hingegen eine Formulierung präferiert, die das politische Ermessen der Bundesregierung so weit wie möglich wahrt. Im Gespräch waren unter den Berichterstattern unter anderem Begriffe wie „wird übertragen", „kann übertragen" und „überträgt", deren sprachlichen Unterschiede zum Teil sehr dicht beieinander lagen 275 . Als Kompromiß einigte man sich schließlich auf die für das Grundgesetz ungewöhnliche und bislang einzigartige „Soll"Formulierung. Einigkeit herrschte insoweit, daß die Formulierung „soll" in diesem Zusammenhang wie im administrativen Bereich für den Regelfall ein „Muß" bedeutet, das in begründeten Fällen Ausnahmen zuläßt, die jeweils von dem Zweck der Vorschrift gerechtfertigt sein müssen276. Das bedeutet zugleich, daß die Bundesregierung, wenn sie sich auf einen solchen atypischen Fall beruft und die Übertragung der Verhandlungsführung ablehnen will, hierfür eine Darlegungs- und Beweislast trifft 277 . Im Hinblick auf mögliche Ausnahmen war in erster Linie gedacht an die Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland zu gemeinschaftsrechtskonformem Verhalten 278 . Einige Ausnahmen von der vorgesehenen Regelübertragung sind durch § 6 Abs. 3 und 4 EUZBLG konkretisiert worden: Nach § 6 Abs. 3 EUZBLG findet eine Übertragung der Verhandlungsführung nicht statt, soweit es um die Rechte geht, die der Bundesrepublik Deutschland als Vorsitz im Rat zustehen. Die Geschäftsordnung des Rates kennt folgende Rechte des Vorsitzes 279 :

275

Kleinen, der 8. Sitzung der GVK v. 26.6.1992, S. 15. GVK, BT-Drs. 12/6000, S. 24; Nach der Begründung der Bundesregierung, BTDrs. 12/3338, S. 9, sollte eine pauschale „Übertragungsautomatik" verhindert werden, sondern eine Entscheidung je nach Einzelfall ermöglicht werden. 277 GGK-Rojahn, Art. 23 Rdnr. 74. 278 Insoweit bestand Einigkeit, vgl. Fußn. 276. 279 Vgl. zu den Aufgaben: Hölscheidt/Schotten, ThürVBl. 1997, 6 (9 f.); Röhl\ EuR 1994, 409 (427 ff.); Schweitzer/Hummer, Europarecht, Rdnr. 150 ff. 276

IV. Die Außenertretung des Bundes nach Art. 23 Abs. 6 GG

143

-

Die Einberufung des Rates, Art. 147 EGV i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GO,

-

die Erstellung der vorläufigen Tagesordnung, Art. 2 Abs. 1 GO,

-

die Veranlassung von Abstimmungen, Art. 7 Abs. 1, 8 Abs. 1 und Abs. 4 GO,

-

die Unterzeichnung des Protokolls, Art. 9 Abs. 1 UAbs. 1 GO,

-

die Unterzeichnung der Rechtsakte des Rates, Art. 11 GO,

-

die Vertretung des Rates vor dem Europäischen Parlament, Art. 25 Abs. 1 GO,

-

die Einberufung der Regierungskonferenz nach Art. Ν Abs. 1 UAbs. 2 EUV,

-

die Vertretung der Union in Angelegenheiten der GASP, Art. J.5 Abs. 1 und 2 EUV,

-

die Leitung der Sitzungen des Rates und seiner Gremien

-

sowie die Internationale Vertretung der Europäischen Gemeinschaft, meist zusammen mit der Kommission 280 .

An den Vorsitz im Rat geknüpft ist auch der Vorsitz in allen Hilfsorganen und Gremien des Rates, insbesondere im AStV und in dem Gremium der „im Rat vereinigten Vertreter der Mitgliedstaaten". Die Aufgaben aus dem vorangegangen oder dem zukünftigen Vorsitz im Rahmen der sog. „Troika" wird man ebenfalls hierzu rechnen müssen281. Insgesamt entspringen diese Rechte der hervorgehobenen Stellung des Ratsvorsitzes nach Art. 146 EGV. Sie beziehen sich in besonderer Weise auf die formellen Regeln und Gepflogenheiten des Umgangs internationaler Delegationen untereinander oder des Rates mit internationalen Organen und haben mit dem Verhandlungsgegenstand in der Sache wenig zu tun. Es ist auch durchaus nicht so, daß die Position des Vorsitzes Gelegenheit böte, den eigenen Standpunkt leichter durchzusetzen; vielmehr muß die Delegation, die den Vorsitz führt, nicht selten die eigenen Interessen im Zuge der koordinierenden Funktion zurückstellen 282 . An der Wahrnehmung dieser Mitgliedschaftsrechte haben der Bundesrat und die Länder kein Eigeninteresse. Ihnen ist damit Genüge getan, wenn sichergestellt ist, daß die sich aus der Stellung des Ratsvorsitzes ergebenden Rechte im Einzelfall nicht gegen ihre Interessen eingesetzt werden. Dem dient der Vorbehalt des § 6 Abs. 3 S. 2 EU-

280

Vgl. KEU-Schweitzer, Art. 146 Rdnr. 10. Die „Troika" ist in Art. J.5 Abs. 3 EUV erwähnt. Hierbei handelt es sich um eine informelle Struktur der Zusammenarbeit, in der jeweils der vorhergehende, der gegenwärtige und der künftige Vorsitz gem. Art. 146 EGV zusammenwirken. Vgl. Schweitzer/Hummel; Europarecht, Rdnr. 152. Zukünftig wird die Troika eine andere Zusammensetzung aufweisen, vgl. Art. 18 EUV n.F. 282 „La présidence coûte cher", vgl. Junker,; Regionale Verflechtungen, 167 (173). 281

144

Teil 2: Art. 23 GG - Inhalt und Anwendungsbereich

ZBLG, wonach die Bundesregierung sich mit dem Vertreter der Länder ins Benehmen setzt. Als weitere Ausnahme nennt § 6 Abs. 4 EUZBLG die Tagesordnungspunkte der Ratstagungen, die der Rat ohne Aussprache genehmigt, sofern diese Behandlung mit dem Vertreter der Länder abgestimmt worden ist. Dies vor folgendem Hintergrund: Normalerweise werden die Beschlüsse des Rates mündlich gefaßt. Ohne Aussprache wird gem. Art. 6 GO des Rates nur über die sog. „APunkte" abgestimmt. Hierbei handelt es sich um Beschlußvorlagen, meist zu Verfahrensfragen oder „unpolitischen" Punkten, über die sich die Mitgliedstaaten und die Kommission bereits auf der Ebene des AStV geeinigt haben283. Ebenfalls ohne Aussprache, nämlich im Wege einer schriftlichen Abstimmung, erfolgt die Beschlußfassung des Rats in dringenden Fällen, sofern hierfür die Zustimmung aller Ratsmitglieder vorliegt, Art. 8 der GO des Rates284. Sofern im Rat eine Aussprache oder Verhandlung nicht mehr stattfindet, ist auch eine Übertragung der Verhandlungsführung hinfällig 285 . Für den Fall des schriftlichen Verfahrens wollte sich der Bund (gemeint: die Bundesregierung) darüber hinaus die federführende Koordinierung vorbehalten 286. Auch diese Ausnahme ist sachgerecht, da es - ähnlich den besonderen Rechten des Vorsitzes - insbesondere um die formelle Ebene des Umgangs mit den anderen Mitgliedstaaten geht und die typische „Verhandlungssituation" im schriftlichen Verfahren nicht gegeben ist. Die interne Willensbildung und die Festlegung auf die inhaltlich von der Bundesrepublik Deutschland zu vertretende Position erfolgen unbeschadet von den Ausnahmen des Absatzes 3 und 4 nach den hierfür geltenden Regeln des Art. 23 und des EUZBLG 2 8 7 . Daneben existieren zwei weitere Fallgestaltungen, in denen eine Übertragung der Verhandlungsführung aus rechtlichen Gründen ausscheidet. Zum einen handelt es sich um die Tagungen des „Europäischen Rates", zum anderen um die Sitzungen des AStV. Der „Europäische Rat" setzt sich nach Art. D Abs. 2 EUV qua definitionem aus den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten und

283 Zahlenmäßig werden etwa 2/3 der Entscheidungen ohne Aussprache als sog. „APunkte" beschlossen, vgl. Schweitzer/Hummer.; Europarecht, Rdnr. 192. Röhl, spricht sogar von 3 / 4 , vgl. ders., in: EuR 1994, 409 (425). 284 Auch diese Möglichkeit wird von § 6 Absatz 4 EUZBLG erfaßt, vgl. die Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 12/3540, S. 6. 285 Dies schließt nach Art. 2 Abs. 6 GO des Rates jedoch nicht aus, daß ein Ratsmitglied oder die Kommission bei der Annahme dieser Punkte Meinungen äußert oder Erklärungen in das Ratsprotokoll aufnehmen läßt. Zeigt sich wider Erwarten, daß eine solche Stellungnahme zu einer erneuten Aussprache führen könnte oder stellt ein Ratsmitglied oder die Kommission einen entsprechenden Antrag, so wird der Punkt von der Tagesordnung abgesetzt, es sei denn, daß der Rat anders entscheidet, Art. 2 Abs. 7 der GO. 286 Vgl. die Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 12/3540, S. 6. 287 Vgl. die Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 12/3540, S. 6.

IV. Die Außenertretung des Bundes nach Art. 23 Abs. 6 GG

145

dem Präsidenten der Kommission zusammen. Seine Aufgaben sind nach Art. D Abs. 1 EUV vorwiegend politischer Natur; er legt die politischen Zielvorstellungen für die Entwicklung der Europäischen Union fest und setzt die hierfür erforderlichen Impulse 288 . Eine Mitwirkung der Länder in diesem Gremium kommt von vornherein nicht in Betracht. Der AStV hingegen besteht nach Art. 151 Abs. 1 EGV aus den „Ständigen Vertretern" der Mitgliedstaaten. Alle Mitgliedstaaten entsenden zu den Europäischen Gemeinschaften ständige Vertreter im Botschaftsrang, wobei die Ständige Vertretung für die Bundesrepublik Deutschland dem Auswärtigen Amt untersteht. In der Praxis nimmt der Leiter der Ständigen Vertretung des betreffenden Mitgliedstaats zugleich den Sitz im AStV wahr 289 . Aufgrund der Besetzung des AStV durch Beamte mit Diplomatenstatus und seiner besonderen Aufgabe als ständiger „Dreh- und Angelpunkt" für den Willensbildungsprozeß und den Informationsfluß einerseits zwischen den Mitgliedstaaten untereinander sowie zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission, andererseits zwischen den einzelnen Ministerien und der Regierung 290 , ist eine Übertragung dieser Funktionen auf einen Ländervertreter ebenfalls nicht möglich 291 . Ob und unter welchen Voraussetzungen in weiteren Fällen von einer Übertragung abgesehen werden kann, ist zwischen Bund und Ländern streitig. Die Bundesregierung vertritt im Gegensatz zum Bundesrat den Standpunkt, daß auch sonstige Gründe der politischen oder administrativen Opportunität eine Ausnahme rechtfertigen könnten 292 . Die unterschiedlichen Rechtsauffassungen zwischen Bundesrat und Bundesregierung zur Auslegung der „Soll"-Regelung bilden gleichsam die Verlängerung der entsprechenden Diskussion in der GVK. Die Vielzahl möglicher Fallgestaltungen und Interessenlagen ist im Vorfeld kaum eingrenzbar. In den Reihen der GVK war man sich durchaus bewußt, daß die Problematik zu einem erheblichen Teil im Tatsächlichen liegt und rechtlich kaum zu fassen ist 293 . Die Bundesregierung muß jedenfalls im Wege einer Ermessensentscheidung von Fall zu Fall über die Übertragung der Verhandlungsführung befinden. Bei dieser Entscheidung muß sie die Wertung des Art. 23 Abs. 6 GG, daß eine Übertragung regelmäßig zu erfolgen hat, berücksichti-

288

Zu den Aufgaben: Hölscheidt/Schotten, ThürVBl. 1997, 6 (8 f.). Schweitzer/Hummer, Europarecht, Rdnr. 178. Näher zur Rolle der StÄV: Röhl, EuR 1994, 409 (430 ff.). 290 Vgl.: Bleckmann, Europarecht, Rdnr. 236; KEU-Schweitzer, Art. 151 Rdnr. 8; Röhl, EuR 1994, 409 (420 ff.). 291 Ebenso: Röhl, EuR 1994, 409 (440); Schede, S. 169 f. 292 Bundesregierung, BT-Drs. 12/3338, S. 10, einerseits, die Stellungnahme des Bundesrates andererseits (S. 12), und die hierzu gegebene Gegenäußerung der Bundesregierung (S. 15). 293 Kleinert, Sten. Prot, der 8. Sitzung der GVK v. 26.6.1992, S. 15. 289

10 Halfmann

146

Teil 2: Art. 23 GG - Inhalt und Anwendungsbereich

gen 294 . Im übrigen werden die verbleibenden Grenzen des Ermessens nach den Grundsätzen der gegenseitigen Organ- und Bundestreue konkretisiert werden müssen295. In der Staatspraxis dürften die Meinungsverschiedenheiten allerdings eher akademischer Natur bleiben: Wenn die Bundesregierung im konkreten Fall die Übertragung der Verhandlungsfiihrung ablehnt, wird sie sich in der Regel bereits darauf berufen, daß der Tatbestand des Art. 23 Abs. 6 GG nicht erfüllt sei, mit anderen Worten, daß das Vorhaben nicht „im Schwerpunkt" die „ausschließlichen Gesetzgebungsbefugnisse der Länder" betreffe. Über die Einordnung eines Vorhabens unter diese Merkmale läßt sich, wie oben gezeigt, trefflich streiten 296; die bisherigen Erfahrungen in der Praxis scheinen diese Überlegung zu bestätigen297.

c) Der Umfang der Übertragung Art. 23 Abs. 6 GG kennt - anders als Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG - keine weiteren Einschränkungen der Übertragung. Sofern ein Vorhaben schwerpunktmäßig die ausschließlichen Gesetzgebungsbefugnisse der Länder betrifft, soll die Verhandlungsführung insgesamt übertragen werden, also auch bezüglich der restlichen Teile des Vorhabens, die nicht in den Kompetenzbereich der Länder fallen. Hierbei handelt es sich nicht um ein Redaktionsversehen, sondern um eine bewußt vom Gesetzgeber getroffene Entscheidung298. Das Grundgesetz trägt damit der Tatsache Rechnung, daß die Verhandlungsfiihrung und die Vertretung der Bundesrepublik Deutschland nach außen nicht teilbar sind. Sofern die Positionen am Verhandlungstisch nach außen vertreten werden, erfordern die Belange des Gesamtstaates, daß „mit einer Stimme" gesprochen wird und den anderen Verhandlungspartnern nur ein Verhandlungsführer gegenübertritt, der verbindlich für die deutsche Seite Stellung bezieht. Eine nach außen sichtbare Teilung der Verhandlungsführerschaft würde den Eindruck der Uneinigkeit hervorrufen, die anderen Verhandlungspartner verunsichern und letztlich die deutsche Position schwächen.

294

Ebenso im Ergebnis: Schede; S. 165 f. Siehe hierzu Stern., StaatsR I, S. 134 f. 296 Kritisch auch: Hirsch, Sten. Prot, der 8. Sitzung der GVK v. 26.6.1992, S. 20; Morawitz/Kaiser, S. 110 f. 297 Siehe hierzu noch unten, Teil 3, Kap. 5, S. 283 ff. 298 Bericht der GVK, S. 46; Beschlußempfehlung und Bericht des SoAEU, BT-Drs. 12/3896, S. 20. 295

IV. Die Außenertretung des Bundes nach Art. 23 Abs. 6 GG

147

3. Der vom Bundesrat benannte „Vertreter der Länder" a) Die rechtliche Stellung des Vertreters

der Länder

Art. 23 Abs. 6 GG spricht von der Übertragung der Rechte der Bundesrepublik Deutschland „vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder". Bei wörtlicher Lesart scheint es so, als ob eine Übertragung der Rechte des Bundes auf eine Gesamtheit der Länder stattfinden würde, der Vertreter der Länder also eine Ländergesamtheit repräsentiert 299. Eine solche Lesart würde indes der Grundaussage der Art. 23 Abs. 2 S. 1 und Art. 50 GG widersprechen, daß die Länder in Angelegenheiten der Europäischen Union nur durch den Bundesrat mitwirken. Wie oben zu Art. 23 Abs. 2 S. 1 GG dargelegt, hat sich das Grundgesetz bewußt für die Mitwirkung der Länder in der Form des Bundesratsmodells entschieden und allen anderen Vorschlägen zur Mitwirkung der Länder eine klare Absage erteilt 300 . Der Begriff „Vertreter der Länder" ist insoweit mißverständlich. Er knüpft lediglich an die geschichtliche Entwicklung der Länderbeteiligung an, wonach für die personelle Vertretung der Länder in den Gremien der Europäischen Gemeinschaft von Anfang an die Bezeichnung „Vertreter der Länder" oder „Ländervertreter" gewählt worden ist 301 . Für die Rechtsstellung des Vertreters der Länder ist vielmehr entscheidend, daß er nach Art. 23 Abs. 6 GG vom Bundesrat benannt wird und nach § 45i GO-BR an dessen Beschlüsse gebunden ist. Er stellt funktional ein Organ des Bundesrates und somit des Bundes, nicht aber ein Organ der Länder dar 302 . Eine gegenteilige Aussage läßt sich auch nicht dem Wortlaut von Art. 23 Abs. 6 GG entnehmen, der von der „Übertragung" der Rechte „vom Bund auf einen ... Vertreter der Länder" spricht. Bereits während der Beratungen der GVK ist moniert worden, daß die im Wege des allseitigen Konsenses beschlossene Formulierung von

299 In dem Sinne aber: Lerche, AfP 1995, 632, (633 f.). Ebenso: Donoth, S. 339; Badura, in: FS für Schambeck, 887 (895); Heckel, Jahrb. zur Staats- und Verwaltungswissenschaft 1992/93, 385 (393), Lang, S. 267; Meißner, S. 252, Fußn. 320.; Schweizer/Brunner, S. 37 f. 300 Vgl. oben, Teil 2, Kap. II. 1., S. 79 ff. 301 Vgl. Ziffer II Nr. 2 des Kanzlerbriefes zum Länderbeteiligungsverfahren (Fundstelle: siehe Teil 1, Kap. II, Fußn. 58) sowie Art. 2 Abs. 5 EEAG. 302 A.A.: Lerche, AfP 1995, 632, (633 f.); Wolfrum, VVDStRL Bd. 56 (1997), 38 (59, Fußn. 103). Von diesem Verständnis geht auch MD -Scholz aus, Art. 23 Rdnr. 136. Die Konstruktion, die Scholz ausgehend von seiner Ausgangsthese, es handele sich um originäre Kompetenzen der Länder, wählen muß, steht jedoch in Widerspruch zu seinen vorangegangenen Aussagen, die Integrationskompetenz liege in den Fällen des Art. 23 Abs. 2 bis 6 GG stets beim Bund (Rdnr. 96 f.) und das Grundgesetz kenne keine Gemeinschaftszuständigkeiten einer Ländergesamtheit (Rdnr. 103). Darüber hinaus soll der Vertreter der Länder auch mittelbar dem Bundestag (!) parlamentarisch verantwortlich sein (Rdnr. 137). Dies alles paßt nicht recht zusammen.

148

Teil 2: Art. 23 GG - Inhalt und Anwendungsbereich

Art. 23 Abs. 6 S. 1 GG („...übertragen...") mißverständlich sei 303 . Mit „Bund" war in diesem Zusammenhang nämlich nur die „Bundesregierung" gemeint. Eine Fräzisierung hat insoweit aber erst auf der Ebene des Ausführungsgesetzes erfolgen können. § 6 Abs. 2 EUZBLG drückt sich sprachlich genauer aus, indem es dort explizit heißt, daß die Übertragung der Verhandlungsfiihrung durch „die Bundesregierung" erfolgt. Eine Übertragung sollte mithin keineswegs in vertikaler Weise vom Bund auf die Länder, sondern nur auf der Ebene des Bundes durch die Bundesregierung auf ein anderes Organ des Bundes erfolgen. Entsprechend sieht auch Ziffer IV.6. der Bund-Länder-Vereinbarung 1993 vor, daß der Ländervertreter Mitglied der deutschen Delegation ist und nach außen verbindlich für den Gesamtstaat Bundesrepublik Deutschland handelt 304 . Dieses Ergebnis findet seine Stütze in der Entstehungsgeschichte und Systematik des Art. 23 Abs. 6 GG: Art. 23 weist in Absatz 1 Satz 2 GG die Kompetenz zur Übertragung von Hoheitsrechten an die Europäische Union nur dem Bund zu. Die Regelung des Art. 23 Abs. 1 GG trägt wie diejenige der Art. 24 Abs. 1 und Art. 32 Abs. 1 GG dem allgemein anerkannten Gesichtspunkt Rechnung, daß im Völkerrechtsverkehr und in internationalen Beziehungen ein größeres Maß an zentraler Lenkung und Gestaltung erforderlich ist als auf den sonstigen Gebieten der Bund-Länder-Beziehungen. Der Bundesstaat soll im völkerrechtlichen Verkehr grundsätzlich als Einheit auftreten 305. In Absatz 2 wird der Grundsatz der Beteiligung der Länder durch den Bundesrat festgelegt, und in den folgenden Absätzen erfolgt eine nähere Regelung der horizontalen Kompetenzverteilung, ebenfalls auf der Ebene des Bundes. Dabei wird in den einzelnen Alternativen der Absätze 5 und 6 die Mitwirkung des Bundesrates entsprechend der innerstaatlichen Kompetenzverteilung schrittweise intensiviert bis hin zum Recht der Außenvertretung der Bundesrepublik Deutschland. Nach der Entstehungsgeschichte wie auch der inneren Systematik des Art. 23 GG kann kein Zweifel bestehen, daß es sich in allen Beteiligungsformen nur um eine ausschließliche Kompetenz des Bundes handelt 306 . Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, daß die Gesetzgebung der Europäischen Gemeinschaft strukturell auf einer anderen Ebene stattfindet als auf derjenigen des einzelnen Mitgliedstaates, und zwar in einer institutionalisierten und

303 Kritisch zur Wortwahl insoweit zu Recht: Bull, Sten. Prot, der 8. Sitzung der GVK v. 26.6.1992, S. 22. 304 Vgl. näher: Schede, S. 175 ff. 305 BVerfGE 2, 347 (378); GGK-Rojahn, Art. 32 Rdnr. 2; Hecke!\ Jahrb. zur Staatsund Verwaltungswissenschaft 1992/93, 385 (389). Die meisten Bundesstaaten haben sich im übrigen, soweit das Handeln des Staates in auswärtigen Angelegenheiten in Frage steht, für eine umfassende Kompetenz des Bundes entschieden, vgl. Geiger, GG und Völkerrecht, S. 121. Zur unitarischen Wirkung von Staatszielbestimmungen: Badura, in: FS für Redeker, 111 (119). 306 MD-Scholz, Art. 23 Rdnr. 96; Schede, S. 174 ff.

IV. Die Außenertretung des Bundes nach Art. 23 Abs. 6 GG

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von einer anderen Rechtsordnung vorgegebenen Weise. Bei dem Rechtsetzungsverfahren der Europäischen Gemeinschaft handelt es sich aufgrund der eigenständigen, auf autonomem Recht basierenden Rechtsordnung der Gemeinschaft 307 weder um ein Verfahren der Bundes- noch um ein solches der Landesgesetzgebung308. Macht die Europäische Gemeinschaft von einem ihr zustehenden Gesetzgebungsrecht Gebrauch, so bedeutet dies für die Mitgliedstaaten folgerichtig auch keinen „dinglichen" Rechtsverlust ihrer Kompetenzen309. Die Organe der Bundesrepublik Deutschland, namentlich die Bundesregierung und der Bundesrat, wirken innerhalb des Rechtsetzungsverfahrens der Europäischen Gemeinschaft rechtlich gesehen niemals an Materien der Gesetzgebungskompetenz des Bundes oder der Länder nach den Art. 70 ff. GG mit. Gleich wie man das Konkurrenzverhältnis der Rechtsetzungskompetenzen der Europäischen Gemeinschaft zu den Kompetenzen der Mitgliedstaaten beurteilen mag 310 , kann es sich bei der Mitwirkung der Mitgliedstaaten an dem Prozeß der Rechtsetzung auf Gemeinschaftsebene nicht mehr um eine Ausübung nationaler Gesetzgebungskompetenzen handeln. Ein Gesetzgebungsverfahren nach den Landesverfassungen oder den Art. 76 ff. GG findet insoweit auch gar nicht statt. Zur Begründung dieses Ergebnisses bedarf es auch keiner komplizierten Überlegungen zur Frage der Kompetenzabgrenzung der Europäischen Gemeinschaft im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten311. Vielmehr erwachsen den Mitgliedstaaten kraft ihrer Mitgliedschaft im Rat der Europäischen Union und über den „Umweg" der Art. 189 ff. und 146 EGV konkrete Beteiligungs- und Mitwirkungsrechte an dem supranationalen Gesetzgebungsverfahren. Diese Mitwirkungsrechte und -pflichten entstehen konkret spätestens, sobald die Kommission den Vorschlag einer Maßnahme an den Rat zur Beratung und Beschlußfassung übersendet 312. Zur Wahrnehmung dieser Rechte im Rat sind nach Art. 146 EGV ausschließlich die Vertreter der jeweiligen Mitgliedstaaten befugt. Art. 146 EGV bestimmt, daß der Rat aus einem Vertreter jedes Mitgliedstaats auf Ministerebene besteht, der befugt ist, für die Regierung des Mitgliedstaats verbindlich zu handeln. Zwar ist es den Ländern aufgrund der Initiative Belgiens gelungen, eine Locke-

307

Hierzu siehe oben, Teil 2, Kap. 11.4. a), S. 87 f. Vgl. auch Isensee., in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. IV, § 98 Rdnr. 291.; Memminger.i in: Bundesländer und EG, 61 (64). Siehe zur Auslegung des Merkmals „Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes" in Art. 50 GG bereits oben, Teil 2, Kap. II.4. a), S. 87 f. 309 Klein. , Ε θ, VVDStRL Bd. 50 (1991), 56 (63). 310 Bei den meisten Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaft handelt es sich um konkurrierende Kompetenzen, vgl. Schweitzer/Hummer.; Rdnr. 344. Die Sperrwirkung für die Mitgliedstaaten bestimmt sich nach Art. 5 EGV, vgl. KEU- v.Bogdandy., Art. 5 Rdnr. 73. 311 So aber: Busch., S. 206 ff. 312 Ab diesem Zeitpunkt beginnt das gemeinschaftsrechtliche Rechtsetzungsverfahren, Borchmann., VR 1991, 105 (107). 308

150

Teil 2: Art. 23 GG - Inhalt und Anwendungsbereich

rung des Art. 146 EGV zu erreichen 313. Nunmehr können nach dem Wortlaut des Art. 146 EGV auch Personen im Ministerrang an den Tagungen des Rates teilnehmen, die innerstaatlich nicht der Regierung des Mitgliedstaats angehören. Damit steht den föderal gegliederten Staaten Deutschland, Belgien und Österreich 314 die Möglichkeit offen, Vertreter ihrer staatlichen Untergliederungen im Ministerrang in den Rat zu entsenden. Eine „Föderalisierung" des Rates oder gar Ansätze eines dreistufigen Aufbaues der Europäischen Union ist mit dieser Möglichkeit allerdings nicht verbunden: Der Ministerrat besteht nach Art. 146 EGV nach wie vor nur aus Vertretern der Mitgliedstaaten als solchen, nicht aber aus Vertretern etwaiger föderaler Untergliederungen dieser Staaten315. Diese Vertreter können und müssen daher verbindlich nur für die Regierung des Mitgliedstaats, d.h. mit Wirkung für den Mitgliedstaat als solchen handeln. Die Vertretung einer anderen staatlichen Ebene oder Organisation als die des Mitgliedstaats ist kraft Art. 146 EGV ausgeschlossen. Bei der Wahrnehmung dieser Mitwirkungsrechte im Rat handelt es sich somit notwendig stets um Befugnisse der Bundesrepublik Deutschland als Gesamtstaat - also des Bundes - , und zwar gänzlich unabhängig davon, wie die Gesetzgebungskompetenzen innerstaatlich verteilt sind 316 . Dies verkennen Stimmen in der Literatur, die meinen, daß es im Rahmen des Art. 23 Abs. 6 GG um die Wahrnehmung von Gesetzgebungsbefugnissen der Länder gehe317. Der Annahme, der Ländervertreter handele innerstaatlich als

313

Siehe Teil 1, Kap. V, Fußn. 256. Zur Regelung in Österreich siehe noch unten, Teil 4, Kap. III, S. 327 ff. 315 Badura, in: FS für Schambeck, 887 (895 f.). Zur „Landesblindheit" des EGRechts siehe bereits oben, Teil 1, Kap. V.3. b), S. 72. Nach Herdegen ist der Wortlaut des Art. 146 EGV mißlungen; es bedürfe einer „gewissen Phantasie", den Begriff des Ministers auch auf Angehörige von Exekutivorganen außerhalb der zentralen Regierung zu erstrecken, wenn es um die Vertretung des Gesamtstaates gehe, vgl. ders., in: EuGRZ 1992, 589 (594). 316 BVerfGE 92, 203 (227, 230). Badura, EuR 1994, Beiheft 1, 9 (15); Graf Vitzthum, AöR 115 (1990), 281 (293); Scholz, NJW 1990, 941 (944). Vgl. auch bereits Haegert, NJW 1961, 1137 (1139 f.). 317 Vgl. Lerche, AfP 1995, 632, (633). MD-Scholz, Art. 23 Rdnr. 103, 136. Rudolf sieht einen Systembruch des Bundesratsverfahrens darin begründet, daß die in die Kompetenz der Länder fallenden Angelegenheiten bisher im Wege einer auf Übereinstimmung aller Länder zielenden Zusammenarbeit koordiniert wurden, vgl. ders., in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. IV, § 105, Rdnr. 76. Vgl. ebenfalls Hecke!\ Jahrb. zur Staatsund Verwaltungswissenschaft 1992/93, 385 (393); Heintzen, JZ 1991, 317 (322); Pernice, DVB1. 1993, 909 (919); auch Wilhelm, BayVBl 92, 705 (710), spricht davon, daß die Länder nur ihre „ureigensten - ihnen vom Grundgesetz zugewiesenen - Aufgaben" wahrnähmen. 3,4

IV. Die Außenertretung des Bundes nach Art. 23 Abs. 6 GG

151

Vertreter einer „Ländergemeinschaft" 318, liegt ersichtlich eine solche Fehl Vorstellung zugrunde. Abgesehen davon kennt das Grundgesetz im Rahmen der vertikalen Kompetenzordnung zwischen Bund und Ländern oder auch an anderer Stelle nirgends eine „Ländergemeinschaft" als gesamthänderisches Zuordnungssubjekt von Kompetenzen319. Das Grundgesetz hat sich vielmehr für eine zweigliedrige Konstruktion des Bundesstaates entschieden, wonach die Bundesrepublik Deutschland nur aus dem Bund und den Ländern besteht: Der Bund schließt die Länder ein und kann als der Oberstaat begriffen werden, der durch die Verbindung der Länder zu einem Bundesstaat bewirkt wird 3 2 0 . Die Ländergesamtheit bildet als solche kein drittes Zuordnungssubjekt von Rechten oder Pflichten neben dem Bund. Eine Kompetenz liegt daher entweder bei dem Bund oder bei den Ländern, und im Fall des Art. 23 GG ist Inhaber der Kompetenz nur der Bund. Die Möglichkeiten der Länder, im Rahmen der Europäischen Union selbst im eigenen Namen nach außen aufzutreten, sind auf informelle Mitwirkungsformen, wie die Tätigkeit der Informations- und Länderbüros oder des Länderbeobachters, beschränkt. Art. 23 Abs. 4 GG berücksichtigt diesen Sachverhalt, indem er jeweils auf die hypothetische innerstaatliche Kompetenzverteilung als Maßstab der weiteren Aufgabenzuweisung abstellt. Das Kriterium der innerstaatlichen Kompetenzverteilung ist deshalb ausdrücklich im Konjunktiv („soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären.") formuliert 321 . Der Vertreter der Länder handelt im Rahmen des Absatzes 6 folglich nur als Organ des Bundes und auch in Ausübung einer dem Bund zustehenden Kompetenz. Eine „Übertragung" dieser Kompetenz vom Bund auf die Länder oder eine - wie auch immer rechtlich geartete - „Ländergemeinschaft" findet im Rahmen des Absatzes 6 also nicht statt.

b) Das Verfahren

der Benennung

Nach Art. 23 Abs. 6 GG wird der Vertreter der Länder vom Bundesrat benannt. Das Verfahren der Benennung im Verhältnis zur Bundesregierung richtet

318 So Lerche, AfP 1995, 632, (633). Ebenso Badura, EuR 1994, Beiheft 1,9(16), der in Art. 23 Abs. 6 GG eine Umbildung des Bundesrates zu einer „kooperativen Interessenvertretung der Länder mit Frontstellung gegen den Bund" erblickt; vgl. ders., in: FS für Schambeck, 887 (895). 319 Haegert, NJW 1961, 1137 (1139 f.); Pollmann, S. 119, 146 f. Zumindest insoweit richtig: MD-Scholz, Art. 23 Rdnr. 103; Scholz geht jedoch falschlich davon aus, daß es sich nach wie vor um Kompetenzen der einzelnen Länder handele. Wie hier auch: Fastenrath, DÖV 1990, 125 (135, Fußn. 84). 320 BVerfGE 13, 54 (78); Vogel, in: Benda/Maihofer/Vogel, HdbVerfR, §22 Rdnr. 25; zu den verschiedenen Theorien: Stern, StaatsR I, S. 650 ff. 321 Daraufhat Busch in bezug auf die Regelung des Art. 2 EEAG bereits zutreffend hingewiesen, vgl. ders., S. 205 ff.

152

Teil 2: Art. 23 GG - Inhalt und Anwendungsbereich

sich nach Ziffer IV. der Bund-Länder-Vereinbarung 1993. Danach werden die zur Teilnahme bestimmten Ländervertreter in der Regel listenmäßig für einen bestimmten Zeitraum im vorhinein benannt. Die Bundesregierung und die Regierungen der Länder führen gemeinsam eine Liste der Beratungsgremien, zu denen nach § 6 Abs. 1 EUZBLG Vertreter der Länder hinzuzuziehen sind. Eine Benennung eines Ländervertreters außerhalb oder in Änderung der listenmäßigen Benennung bleibt im Einzelfall möglich 322 . Die Übertragung der Verhandlungsführung setzt nicht voraus, daß der designierte Vertreter Mitglied des Bundesrates ist 323 . Dies gilt selbst dann, wenn es sich um Ratstagungen handelt, an denen nach Art. 146 EGV und § 6 Abs. 2 S. 2 EUZBLG nur ein Mitglied einer Landesregierung im Ministerrang teilnehmen kann. In der Praxis werden aber in den Ländern neben dem Regierungschef alle übrigen Kabinettsmitglieder zu Stellvertretern im Sinne des Art. 51 Abs. 1 S. 2 GG benannt324. Zu den Beratungen der Gremien der Kommission und des Rates unterhalb der Ebene der Ratstagungen werden regelmäßig Beamte der jeweils federführenden Ministerien eines Landes entsandt. Die Ländervertreter werden gem. § 45i Abs. 1 S. 2 GO-BR von einem Bundesland „gestellt". Diese Maßnahme ist beamtenrechtlich als „Abordnung" im Sinne von § 17 BRRG i.V.m. den entsprechenden landesrechtlichen Beamtengesetzen (z.B. § 29 LBG NW) zu qualifizieren, da der betreffende Landesbeamte in seiner Eigenschaft als vom Bundesrat benannter Ländervertreter und Organ des Bundesrates vorübergehend ein Amt eines anderen Dienstherrn, nämlich des Bundes, wahrnimmt. Nach § 27 Abs. 2 BBG gelten für diesen Fall kraft Bundesrechts die fur Bundesbeamte einschlägigen Rechte und Pflichten mit Ausnahme der §§ 58 und 81 bis 87a BBG. Während den „normalen" Mitgliedern des Bundesrates eine doppelte Organstellung eignet - sie sind in Personalunion als Mitglied des Bundesrates Organwalter eines Bundesorgans und zugleich als Mitglied der Landesregierung Organwalter eines Landesorgans 325 - , kann dies nicht für den vom Bundesrat bestellten Vertreter der Länder gelten. Der Ländervertreter wird von der Mehrheit der im Bundesrat vertretenen Landesregierungen bestellt und mit Weisungen versehen und fungiert insoweit nicht mehr als Organwalter seiner Landesregierung und seines Entsendelandes. Allenfalls könnte er organschaftlich eine Gesamtheit von Landesregierungen und damit letztlich eine Ländergesamtheit vertreten. Eine solche Konstruktion ist jedoch, wie oben erwähnt, dem bundesstaatlichen Aufbau des Grundgesetzes fremd, das nur die Ebene des

322

Vgl. im einzelnen Ziffer IV. Nr. 2 ff. der Bund-Länder-Vereinbarung 1993. Darauf wies Voscherau schon während der Beratungen der GVK hin, vgl. ders., in: Sten. Prot, der 8. Sitzung der GVK v. 26.6.1992, S. 18 f. 324 Vgl. QGK-Krebs, Art. 51 Rdnr. 4; Reuter, Art. 51 Rdnr. 47. 325 Vgl. näher Pollmann, S. 132 ff.; Reuter, Art. 51 Rdnr. 78 ff. 323

IV. Die Außenertretung des Bundes nach Art. 23 Abs. 6 GG

153

Bundes und der Länder kennt 326 . Der vom Bundesrat benannte Vertreter der Länder handelt somit als Organwalter eines Bundesorgans und ausschließlich mit Wirkung fur und gegen den Bund. Nähere Regelungen über Aufgaben und Rechtsstellung des Ländervertreters im Innenverhältnis zum Bundesrat enthält die Geschäftsordnung des Bundesrates. Nach § 45i GO-BR sind die Ländervertreter intern an die Beschlüsse des Bundesrates gebunden. Sie haben den Ausschüssen des Bundesrates im Anschluß an die Sitzungen der Gremien auf EU-Ebene unverzüglich schriftlich über die die Länder interessierenden Gesichtspunkte zu berichten. Auf der anderen Seite haben die beteiligten Ausschüsse des Bundesrates nach § 45a Abs. 4 GO-BR während des Entscheidungsprozesses die Aufgabe, die Ländervertreter fachlich zu begleiten und eine Erfolgskontrolle durchzuführen. Es soll also eine möglichst kontinuierliche und enge Zusammenarbeit zwischen Bundesrat und Ländervertretern stattfinden. Für die Landesminister, die vom Bundesrat nach Art. 23 Abs. 6 GG i.V.m. § 6 Abs. 2 Abs. 2 S. 2 EUZBLG als Ländervertreter fur die Ratstagungen benannt werden, ist die Bestellung und die Beauftragung durch den Bundesrat nicht unproblematisch. Die einzelnen Landesverfassungen sehen regelmäßig nur eine Befugnis der Landesregierung vor, das jeweilige Land nach außen zu vertreten, nicht aber den Bund insgesamt327. Außerdem kollidieren die in den Landesverfassungen ebenfalls verankerten Grundsätze der parlamentarischen Verantwortlichkeit, die Richtlinienbefugnis des Ministerpräsidenten, das Ressortprinzip und das Kollegialprinzip 328 mit der in § 45i GO-BR vorgesehenen Weisungsunterworfenheit des Landesministers gegenüber den Beschlüssen des Bundesrates. Die rechtliche Grundlage für die Bestellung und Entsendung von Landesmeistern zum Rat der Europäischen Gemeinschaft muß daher direkt Art. 23 Abs. 6 S. 1 GG und den bundesrechtlichen Ausführungsvorschriften entnommen werden. Nach Art. 31 GG genießen diese Bestimmungen Vorrang vor etwaigen entgegenstehenden Regelungen der Landesverfassungen und des sonstigen Landesrechts 329. Demzufolge tritt der vom Bundesrat bestellte und entsandte Landesminister in den Gremien der Europäischen Gemeinschaft zwar als „Minister" auf, d.h. als Person im Range eines Ministers, jedoch nicht mehr als Minister seines Herkunftslandes, denn er vertritt den Bundesrat und damit den Bund.

326 Vgl. bereits Pollmann., S. 141. Zur zweigliedrigen Bundesstaatskonstruktion siehe oben, Teil 3, Kap. I l . l . b ) , S. 167. 327 Vgl. etwa Art. 57 VerfNW. 328 Vgl. etwa Art. 55 VerfNW. 329 § 29 S. 2 GO-LR NW hat demgegenüber nur deklaratorischen Charakter: „Die Vertretung in Organen und Gremien der Europäischen Gemeinschaften richtet sich nach den hierfür geltenden besonderen Bestimmungen."

154

Teil 2: Art. 23 GG - Inhalt und Anwendungsbereich

Mit der Bestellung und Beauftragung des Landesministers durch den Bundesrat ist folglich gleichsam seine demokratische „Nabelschnur" zum betreffenden Landesparlament und Landesstaatsvolk durchtrennt. Es ist fraglich, woher der entsandte Landesminister seine demokratische Legitimation bezieht, um fortan ein Mandat des Bundes wahrnehmen zu können. Dieser Frage soll im nächsten Teil vertieft nachgegangen werden. Hier sei nur angemerkt, daß die angedeuteten Probleme weder bei den Beratungen in der GVK noch während des Gesetzgebungsverfahrens diskutiert worden sind. Die auf den ersten Blick scheinbar logische und konsequente Konstruktion des Art. 23 GG beginnt insoweit, deutliche „Risse" aufzuweisen.

c) Die Aufgaben des Ländervertreters

im Außenverhältnis

Der Vertreter des Bundesrates nimmt folgende Aufgaben mit Wirkung für und gegen die Bundesrepublik Deutschland wahr: -

in den Gremien der Europäischen Union fuhrt er in Abstimmung mit dem Vertreter der Bundesregierung die Verhandlungen für die deutsche Seite.

-

Er vertritt in den Gremien die bereits vorher maßgeblich durch den Bundesrat bestimmte Verhandlungsposition. Aufgrund der Verhandlungsführerschaft kann er maßgeblichen Einfluß auf den Inhalt der zu erlassenden Maßnahme nehmen. Er gestaltet den Rechtsakt selbst mit.

-

Schließlich übt er als Mitglied des Rates das Stimmrecht zum Erlaß der Maßnahme aus. Er „erläßt" also im Zusammenwirken mit den anderen Vertretern der Mitgliedstaaten den betreffenden Rechtsakt.

d) Die Rechtsstellung des Länderbeobachters nach der Bund-Länder-Vereinbarung 1993 Fraglich ist, welche Rechtsstellung dem Länderbeobachter zukommt, der in Ausnahmefällen nach Ziffer IV.3. UAbs. 4 der Bund-Länder-Vereinbarung 1993 i.V.m. Art. 2 Abs. 2 Buchst, b) und d) des Länderabkommens über den Beobachter der Länder 330 auch den Ländervertreter vertreten kann. Weiter spricht die Bund-Länder-Vereinbarung unter Ziffer VIII.5. in Satz 1 davon, daß der Beobachter der Länder die Aufgabe habe, „die Länder bei der Wahrnehmung ihrer Rechte nach dem EUZBLG zu unterstützen".

330

Siehe oben, Teil 1, Kap. III, Fußn. 114.

IV. Die Außenertretung des Bundes nach Art. 23 Abs. 6 GG

155

Wie oben dargelegt, stellt der Länderbeobachter eine genuine gemeinsame Einrichtung der Länder dar und handelt außerhalb der formellen Mitwirkungsbefugnisse des Bundesrates nach Art. 23 Abs. 2 bis 6 GG 3 3 1 . Soweit er keine Tätigkeiten vornimmt, die zum Wirkungsbereich der Angelegenheiten der Europäischen Union gehören, für den Art. 23 GG im Bund-Länder-Verhältnis eine abschließende Regelung darstellt, gerät sein Handeln nicht in einen kompetenzrechtlichen Konflikt zu Art. 23 GG. Unter diesen Umständen muß es jedoch als problematisch bewertet werden, wenn dem Länderbeobachter nach der BundLänder-Vereinbarung 1993 in Ausnahmefällen die Befugnis zugestanden wird, den Ländervertreter - ein Organ des Bundes - zu vertreten; in diesem Fall nimmt er eine ausschließlich dem Bund und dem Bundesrat zugewiesene Kompetenz wahr. Da der Bund und die Länder über ihre Kompetenzen nicht verfügen können, läßt sich dies allenfalls unter der Annahme rechtfertigen, daß der Länderbeobachter im Wege einer „Organleihe" funktional als Organ des Bundesrates und damit des Bundes tätig wird. Die in dem gemeinsamen Länderabkommen vorgesehene Ermächtigung, anstelle des Ländervertreters handeln zu können, müßte dann konkludent als vorweggenommene Abordnung des Länderbeobachters zum Bundesrat qualifiziert werden. Eine solche Konsequenz ist von den Ländern bei Abschluß der Bund-Länder-Vereinbarung und des Abkommens über den Länderbeobachter aber offensichtlich nicht bedacht worden. Ausdrücklich geregelt ist in dem Länderabkommen nach Art. 3 Abs. 2 nur die Abordnung des Länderbeobachters zu dem Landesministerium, bei dem die Stelle des Länderbeobachters eingerichtet wird. Insgesamt stellt das Auswechseln des Bundes- oder Landesmandats in der Person des Länderbeobachters, das in Ziffer IV.3. UAbs. 4 der Bund-Länder-Vereinbarung ermöglicht wird, keine gelungene Lösung dar und erscheint, wenn man die Konstruktion der Organleihe überhaupt für tragfähig hält, zumindest sehr bedenklich. Auch im übrigen weist der Wortlaut der Bund-Länder-Vereinbarung 1993 einige Unschärfen auf, durch die die Grenzen der Kompetenzräume des Bundes und der Länder verwischt werden. Enthält das EUZBLG in § 1 noch an zentraler Stelle das Bekenntnis zum Bundesratsprinzip, zeichnet sich die Bund-Länder-Vereinbarung 1993 in sprachlicher Hinsicht durch einen eher freimütigen Umgang mit den Begriffen „Bund" und „Länder" aus. Neben Regelungen, die das in Art. 23 GG festgelegte Bundesratsverfahren näher konkretisieren, enthält die Bund-Länder-Vereinbarung 1993 zugleich Regelungen, die, ähnlich dem Lindauer Abkommen, darauf schließen lassen, daß es sich um eine das Prinzip der Bundestreue konkretisierende Vereinbarung auf der Grundlage gegenseitiger Kompetenzen von Bund und Ländern handeln würde. Bereits Satz 1 der Eingangsformel spricht von Informations- und Handlungspflichten „in wechselseitigem bundesstaatlichen Treueverhältnis". Satz 2 wiederum ordnet im Ge-

331

Zum Länderbeobachter siehe oben, Teil 1, Kap. III.2. c), S. 46 ff.

156

Teil 2: Art. 23 GG - Inhalt und Anwendungsbereich

gensatz hierzu an, daß die Zusammenarbeit auf der Grundlage des Art. 23 GG und des EUZBLG stattfinden solle. Da für eine ergänzende Kompetenz der Länder im Rahmen des Anwendungsbereichs von Art. 23 GG kein Raum verbleibt, müssen bei der Anwendung der Bund-Länder-Vereinbarung 1993 folglich die jeweiligen Regelungen einzeln darauf durchgemustert werden, ob sie zur Konkretisierung des Bundesratsprinzips auf der Grundlage der Bundeskompetenz im Rahmen des Art. 23 GG dienen, oder ob es sich außerhalb dessen um ergänzende Regelungen im Rahmen des vertikalen Bund-Länder-Verhältnisses handelt. Für den letzteren Fall muß zusätzlich geprüft werden, ob die betreffenden Regelungen angesichts des abschließenden Charakters von Art. 23 GG Bestand haben können. Alles in allem erscheint die Bund-Länder-Vereinbarung 1993 wegen ihrer fließenden Übergänge zwischen einer Regelung des Organverhältnisses auf der Bundesebene einerseits und den gleichzeitig enthaltenen Regelungen auf der Grundlage des vertikalen Bund-Länder-Verhältnisses andererseits äußerst ambivalent und mehr als unglücklich. Die Vereinbarung ist offenbar in Reminiszenz an das „Vorläufermodell" aus dem Jahre 1987 ausgehandelt worden, ohne daß die Beteiligten die durch Erlaß des Art. 23 GG bewirkte qualitative Veränderung der verfassungsrechtliche Ausgangslage hinreichend berücksichtigt haben.

4. Die Art und Weise der Wahrnehmung der Rechte Nach Art. 23 Abs. 6 S. 2 GG i.V.m. § 6 Abs. 2 S. 3 EUZBLG erfolgt die Wahrnehmung der Rechte „unter Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren".

a) Das Merkmal „in Abstimmung mit der Bundesregierung" Ähnlich dem Begriff des „maßgeblichen" Berücksichtigens hat der Gesetzgeber mit der Formulierung „in Abstimmung" eine in der Sprache des Grundgesetzes bislang unbekannte Formulierung verwendet. Auch sie stellt das Ergebnis eines schwierigen Kompromisses dar, der während der Beratungen der GVK zwischen den Berichterstattern vereinbart worden ist. Zur Begründung wurde kurz und bündig darauf hingewiesen, daß das Merkmal „in Abstimmung" weniger als ein „Einvernehmen", jedoch mehr als ein bloßes „Benehmen" bedeuten solle 332 . Die Bedeutung der in den Berichterstatterausschüssen der GVK gefun-

332

Bericht der GVK, BT-Drs. 12/6000, S. 24; Bundesregierung, BT-Drs. 12/3338, S. 10; Beschlußempfehlung und Bericht des SoAEU, BT-Drs. 12/3896, S. 20.

IV. Die Außenertretung des Bundes nach Art. 23 Abs. 6 GG

157

den Kompromißformel kann jedoch durchaus als „sibyllinisch" 333 und alles andere als eindeutig bezeichnet werden. Führt man sich den Bedeutungsgehalt der Begriffe „Einvernehmen" und „Benehmen" vor Augen, der diesen im Verwaltungsrecht üblicherweise zugeschrieben wird, so offenbart sich das Dilemma: Das Einvernehmen ist ebenso wie die Zustimmung für den jeweiligen Entscheidungsträger verbindlich. Eine so starke Berücksichtigung der Auffassung der Bundesregierung war nach den Vorstellungen des verfassungsändernden Gesetzgebers nicht gemeint. Das Benehmen hingegen ist wie die einfache Berücksichtigung nur verfahrensbezogen und bedeutet ein Zur-Kenntnis-Nehmen und Einbeziehen der Stellungnahme in die Ergebnisfindung 334. Insoweit soll indes die Pflicht zur Abstimmung über ein bloßes Benehmen hinausgehen. Es soll sich somit um eine gesteigerte Pflicht zur Berücksichtigung der Auffassung der Bundesregierung handeln, um eine gesteigerte Kooperations- und Koordinationspflicht, die in der Sache aber nicht soweit reichen darf, daß eine Bindungswirkung eintritt. Der Vertreter der Länder soll vielmehr seine letztentscheidende Position behalten. In semantischer Hinsicht dürfte mit dieser Interpretation das „Ende der Fahnenstange" erreicht sein. Wie diese „Weder-noch"-Vorgabe in der Praxis zu handhaben ist, darüber herrschte auch bei den an der Grundgesetzänderung Beteiligten keine rechte Klarheit. Immerhin verweist § 6 Abs. 2 S. 4 EUZBLG zumindest für die Situation der sich ändernden Verhandlungslage darauf, daß die Abstimmung entsprechend den für die interne Willensbildung geltenden Regeln und Kriterien erfolgen soll. Gemeint ist, daß je nach Einordnung des betreffenden Gegenstandes in die hypothetische innerstaatliche Kompetenzordnung gemäß Art. 23 Abs. 4 und 5 GG entweder der Ländervertreter oder der Vertreter der Bundesregierung das letzte Wort haben soll 335 . Auch dies hört sich in der Theorie schlüssig an, ist aber während des Verlaufs einer internationalen Verhandlung nicht praktikabel. In einer solchen Situation kann das Verfahren des innerstaatlichen Willensbildungsprozesses nach § 5 EUZBLG schon aus Zeitgründen oft nicht richtig durchgeführt werden. Die erforderliche Rückkoppelung des Ländervertreters mit dem Bundesrat bei sich ändernder Verhandlungslage oder beim Auftauchen neuer Verhandlungspunkte wird meist nicht möglich sein, von der Herbeiführung eines „Beharrungsbeschlusses" des Bundesrates nach § 5 Abs. 2 S. 5 EUZBLG ganz zu schweigen. Die Bundesregierung hat diese Schwierigkeiten in der Regel nicht, zumindest nicht in diesem Ausmaß: Auf der Ebene der Ratstagungen nimmt der betreffende Bundesminister teil, der gemäß seiner Ressortverantwortung nach Art. 65 S. 2 GG innerhalb der Richtlinien des Kanzlers die Politik selbständig bestimmt; eine Koordinierung der Europapolitik durch Ka-

333 334 335

Hirsch, Sten. Prot, der 8. Sitzung der GVK v. 26.6.1992, S. 20. Vgl. Stelkens-Saate, VwVfG, § 44 Rdnr. 106. So: Schede, S. 172.

158

Teil 2: Art. 23 GG - Inhalt und Anwendungsbereich

binettsentscheidungen findet in Deutschland nur in den seltensten Fällen statt 336 . Und auf der Ebene der Fachgremien besteht für die teilnehmenden Beamten der Ministerien in dringlichen Fällen die Möglichkeit, sich telefonisch mit ihren Vorgesetzen in Verbindung zu setzen, um eine Handlungsanweisung fur den weiteren Verlauf der Verhandlung einzuholen. In der Praxis muß der Ländervertreter in unvorhergesehenen Verhandlungslagen, die nicht selten auftauchen, entweder die Verhandlung durch Einlegung eines „Vorbehaltes" verzögern oder er verhandelt vorläufig weiter, dann aber ohne Rückbindung zum Bundesrat und zur Ländermehrheit. Beide Situationen sind gleichermaßen unbefriedigend und lassen erkennen, daß es dem verfassungsändernden Gesetzgeber nicht gelungen ist, eine stimmige und praktikable Regelung der Außenvertretung zu finden 337.

b) Die Wahrung der gesamtstaatlichen Verantwortung

des Bundes

Wie oben zu Art. 23 Abs. 5 GG bereits dargestellt, bezieht sich die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes auf die typischerweise von der Bundesregierung im Verkehr mit dem Ausland zu beachtenden Gesichtspunkte, wie z.B. die Integrations-, Außen- und Sicherheitspolitik 338. Daneben besteht auch eine innerstaatliche Zielrichtung dieser Verpflichtung im Sinne der innerstaatlichen Verantwortung des Bundes für den Gesamtstaat339. Es handelt sich insgesamt um die „gesamtstaatlichen", d.h. unitarischen Belange des Bundes als Oberstaat. Adressaten dieser Verpflichtung sind wiederum die Organe des Bundes, also die Bundesregierung und der Bundesrat. Wenngleich sich die Verpflichtung zur Wahrung der gesamtstaatlichen Belange sowohl auf den Bundesrat als auch auf die Bundesregierung bezieht, so darf nicht verkannt werden, daß dieses Merkmal auf Drängen der Bundesregierung eingefügt worden ist, die nur unter engen Voraussetzungen zur Abgabe der von ihr beanspruchten Kompetenz zur Außenvertretung des Bundes bereit war 340 . Ein Streitschlichtungsverfahren wie für den Fall des Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG i.V.m. § 5 Abs. 2 EUZBLG, an dessen Ende gar ein Letztentscheidungsrecht des Bundesrates stehen sollte, ist für den sensiblen Bereich der Außenvertretung weder vorgesehen noch bei den Beratungen der GVK diskutiert worden. Insoweit muß dem Vorbehalt der „Wahrung der gesamtstaatlichen Belange des Bundes" im Rahmen des Absatzes 6 eine andere Funktion zukommen als im Rahmen des Art. 23 Abs. 5 GG. Während sich der Vorbehalt dort auf ein

336 337 338 339 340

Kühn., S. 4 ff.; Weber-Panariello, S. 233 ff. So auch. Morawitz/Kaiser, S. 113. Siehe Teil 2, Kap. III, Fußn. 167. Siehe Teil 2, Kap. III, Fußn. 170. Siehe oben, Teil 2, Kap. III, Fußn. 174.

IV. Die Außenertretung des Bundes nach Art. 23 Abs. 6 GG

159

Schlichtungsverfahren mit einem Letztentscheidungsrecht des Bundesrates bezieht, muß es im Rahmen des Absatzes 6 bei der Letztverantwortung der Bundesregierung verbleiben. Sowohl die Entstehungsgeschichte als auch die systematische Stellung des Vorbehaltes am Schluß des Absatzes 6 lassen darauf schließen, daß sich die Bundesregierung eine ständige Kontrollposition, wenngleich auch nur „aus der zweiten Reihe", sichern wollte. Sinn und Zweck des Vorbehalts im Rahmen des Absatzes 6 kann daher nur sein, die Kontrolle im Bedarfsfall auch ausüben und aktualisieren zu können, und zwar bis hin zur Rückholung der dem Bundesrat eingeräumten Kompetenz zur Außenvertretung. Als Ergebnis ist demnach festzuhalten, daß sich die Verpflichtung zur Wahrung der gesamtstaatlichen Verantwortung des Bundes zwar sowohl auf den Bundesrat als auch auf die Bundesregierung bezieht, daß letztlich aber die hauptsächliche Verantwortung für die Einhaltung dieser Belange bei der Bundesregierung verbleibt. Die Übertragung und Ausübung der Verhandlungsführung steht unter dem ständigen Vorbehalt der Wahrung der gesamtstaatlichen Belange des Bundes, der im Zweifel von der Bundesregierung autoritativ bestimmt werden kann. Unter Berufung auf diese Grundsätze steht der Bundesregierung daher eine Rückholbefugnis zu 341 . Bei diesem Ergebnis handelt es sich zunächst um verfassungsrechtliche „Theorie". Ob die Regelungen, die der Gesetzgeber konzipiert hat, überhaupt praktikabel sind und nicht dem Grundgedanken der Außenvertretung, nämlich der Einheitlichkeit des Auftretens nach außen, zuwiderlaufen, ist eine andere Frage. Die Ausübung der „Rückholkompetenz" durch die Bundesregierung unter Berufung auf die Belange des Gesamtstaates würde, nachdem eine Übertragung der Verhandlungsführung nach außen sichtbar einmal stattgefunden hat, im Kreise der anderen Verhandlungspartner den Eindruck der inneren Zerrissenheit der deutschen Seite hervorrufen, die Verläßlichkeit Deutschlands untergraben und der deutschen Position möglicherweise schweren Schaden zufügen. Sollte es jemals zur Ausübung eines solchen Rechts kommen, würden die anderen Mitgliedstaaten bei den Verhandlungen einem Vertreter der Länder in Zukunft zu Recht kein Vertrauen mehr schenken. Auch die Bundesregierung wäre möglicherweise auf der internationalen Bühne schweren Vorwürfen ausgesetzt, so daß sie politisch gezwungen wäre, von einer Übertragung der Verhandlungsführung bereits bei leisesten Zweifeln an der Übereinstimmung ihrer Position mit der des Bundesrates abzusehen, um die Berechenbarkeit Deutschlands zu unterstreichen. In gesteigertem Maße gelten die vorstehenden Bedenken für eine etwaige Ausübung der Rückholbefugnis im Verlauf der internationalen Beratungen. Ein solches Szenario käme einer schweren politischen Brüskierung des Vertreters der Länder gleich, würde aber gleichzeitig auch ein äußerst schlechtes Bild auf die deutsche Seite in ihrer Gesamtheit werfen. Die Aus341

So auch: Schede, S. 173.

160

Teil 2: Art. 23 GG - Inhalt und Anwendungsbereich

Übung einer Rückholbefugnis ist praktisch somit kaum vorstellbar. Sie läuft dem Grundgedanken einer Übertragung der Verhandlungsbefiignis nach Art. 23 Abs. 6 GG zuwider, der eine Einheitlichkeit der Außenvertretung voraussetzt. Die Bundesregierung muß sich daher schon vor der Entscheidung über die Übertragung der Verhandlungsführung überlegen, ob nicht die Belange des Gesamtstaates gegen eine Übertragung sprechen. Der Wortlaut von Art. 23 Abs. 6 S. 2, 2. Hs. GG („dabei") ist insoweit zu eng gefaßt. Vielmehr muß der Vorbehalt der Wahrung der gesamtstaatlichen Belange bereits auf den vorherigen Akt der Entscheidung über eine Übertragung der Verhandlungsführung erstreckt werden; auch die Gesetzgebungsmaterialien deuten daraufhin 342 . Insgesamt ist der Anwendungsbereich des Art. 23 Abs. 6 GG damit enger, als es auf den ersten Blick scheint. Zwar läßt sich Art. 23 Abs. 6 S. 2, 2. Hs. GG eine Letztverantwortung der Bundesregierung entnehmen, die theoretisch auch eine „Rückholbefugnis" einschließt. Nach erfolgter Übertragung der Verhandlungsführung scheidet eine Geltendmachung dieser Letztverantwortung aber praktisch aus und liefe der Grundvorstellung der Einheitlichkeit der Außenvertretung zuwider, die Art. 23 Abs. 6 GG gerade sichern will. Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat die innere Widersprüchlichkeit des Absatzes 6 offenbar gesehen oder zumindest „erahnt". Für die Situation nach erfolgter Übertragung der Verhandlungsführung fehlt es bezeichnenderweise im Grundgesetz an eindeutigen oder praktikablen Vorgaben. Trotz allen Bemühens konnte ein Kompromiß unter den Beteiligten des Gesetzgebungsverfahrens in diesem Punkt nicht gefunden werden. Es soll daher an dieser Stelle auch nicht der Versuch unternommen werden, mehr aus dem Grundgesetz „herauszulesen", als der verfassungsändernde Gesetzgeber selbst in die Verfassung implementieren konnte. Die Folge dessen ist jedoch, daß sich die maßgebende rechtliche Entscheidung, ob die Wahrnehmung der Verhandlungsfuhrung (das „Wie") mit den gesamtstaatlichen Belangen des Bundes zu vereinbaren ist, in das Vorfeld der Entscheidung verlagert, ob überhaupt eine Übertragung erfolgen kann. Damit wird wiederum die Wertung des Absatzes 6 Satz 1, der von einer Übertragung als Regelfall ausgeht, im nachhinein wieder unterlaufen. Dieser Konflikt innerhalb des Absatzes 6 ist in der Verfassung selbst angelegt und kann auch durch eine harmonisierende Auslegung nicht gelöst werden. Abhilfe würde nur eine klare Regelung schaffen können, die die Entscheidungsbefugnis eindeutig dem einen oder dem anderen Bundesorgan zuweist.

342

So auch: Schede, S. 165 f.

3. Teil

Die Bewertung von Art. 23 Abs. 2 bis 6 GG aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht Die bisherige Darstellung des Art. 23 GG hat sich darauf beschränkt, unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte und des Wortlauts die Bedeutung der komplizierten Vorschrift herauszuarbeiten, so wie sie vom verfassungsändernden Gesetzgeber konzipiert worden ist. Dabei sind jedoch die weitergehenden Fragen des Staatsorganisationsrechts ausgeklammert worden, die durch die neue Regelung aufgeworfen worden sind und die in dem unter großem Zeitdruck durchgeführten Gesetzgebungsverfahren ebenfalls nicht behandelt worden sind. Nach der notwendigen Klärung der juristischen Ausgangsbasis sind nunmehr die Voraussetzungen dafür geschaffen, den weitergehenden Fragen nachzugehen und, soweit möglich, Antworten hierauf zu finden.

I. Art. 23 GG am Prüfmaßstab des Art. 79 Abs. 3 GG „Verfassungswidriges Verfassungsrecht" ? Obwohl es sich bei Art. 23 GG um formelles Verfassungsrecht handelt, ist anerkannt, daß auch Verfassungsnormen ihrerseits gegen die Verfassung verstoßen können. Nicht alle Verfassungsrechtssätze sind gleichrangig und unterliegen der Disposition des verfassungsändernden Gesetzgebers1. Beruht wie in den meisten Fällen die streitige Norm des Verfassungsrechts - hier Art. 23 GG - auf einem Gesetz, durch das die Verfassung geändert wird, so kann sich die Verfassungswidrigkeit der Verfassungsnorm bereits aus der Tatsache der Verfassungswidrigkeit des zugrundeliegenden Änderungsgesetzes ergeben. Als Nichtigkeitsgründe für eine Gesetzesnorm kommen insbesondere Verstöße gegen Art. 79 Abs. 3 GG in Betracht, der Änderungen des Grundgesetzes verbietet, durch die die tragenden Staatsstrukturprinzipien des Grundgesetzes berührt werden. Solange der verfassungsändernde Gesetzgeber Art. 79 Abs. 3 GG selbst nicht ändert, ist davon auszugehen, daß er die Begrenzung seiner Revisionsgewalt der Verfassung akzeptiert 2. Verfassungsändernde Gesetze sind daher an

1

Benda/Klein, Rdnr. 428; GGK-Bryde, Art. 79 Rdnr. 26; Stern, StaatsR 1, S. 113 ff. A.A.: Badura, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. VII, § 159 Rdnr. 7. 2 GGK-Bryde, Art. 79 Rdnr. 26, m.w.N. 11 Halfmann

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Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

Art. 79 Abs. 3 GG zu messen und unterfallen dem Verdikt der Nichtigkeit, wenn sie gegen diese Vorschrift verstoßen3. Ein Verstoß eines verfassungsändernden Gesetzes gegen sonstige Verfassungsbestimmungen, die nicht schon selbst zum geschützten Bereich des Art. 79 Abs. 3 GG gehören, ist darüber hinaus theoretisch denkbar, dürfte indes praktisch nicht auftreten 4. Nach dem Prinzip der „Einheit der Verfassung" stellt die Gesamtheit der Verfassungsnormen einen Sinnzusammenhang dar und muß als einheitliches Ganzes verstanden und interpretiert werden. Verfassungsnormen dürfen daher nicht isoliert betrachtet, sondern müssen jeweils im Kontext der Gesamtverfassung interpretiert werden, und zwar so, daß Widersprüche und Konflikte zwischen einzelnen Normen möglichst vermieden werden und ein schonender Ausgleich zwischen diesen hergestellt werden kann5. Dementsprechend bleibt die Konstruktion von „verfassungswidrigen Verfassungsnormen", abgesehen von der Verletzung des Art. 79 Abs. 3 GG, eine eher theoretische Rechtsfigur. Das Bundesverfassungsgericht hat bislang keine auf eine entsprechende Behauptung gestützte Verfassungsbeschwerde für begründet erachtet6. Die Frage bedarf vorliegend allerdings keiner weiteren Erörterung. Eine Verletzung von sonstigen Verfassungsnormen durch Art. 23 GG, die nicht bereits den Kernbestand des Art. 79 Abs. 3 GG ausmachen, kommt nach Lage der Dinge nicht in Betracht. Wegen des Charakters von Art. 23 GG als lex specialis für den Gesamtbereich der Angelegenheiten der Europäischen Union wäre eine direkte Prüfung der Vereinbarkeit des Art. 23 GG am Maßstab anderer Verfassungsnormen als Art. 79 Abs. 3 GG, etwa an Art. 32 GG, systematisch der falsche Ansatz und wenig erfolgversprechend 7. In Betracht zu ziehen ist jedoch um so mehr eine mögliche Unvereinbarkeit von Art. 23 GG als Sonderregelung der Kompetenzverteilung im Bundesstaat mit den über Art. 79 Abs. 3 GG ge-

3 Di Fabio, Der Staat 32 (1993), 191 (211); GGK-Bryde, Art. 79 Rdnr. 26, m.w.N.; Stern, StaatsR I, S. 167 f. 4 Das Bundesverfassungsgericht scheint diese Möglichkeit zumindest nicht auszuschließen, vgl. Hofmann, Hasso, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. 1, § 7 Rdnr. 4 ff., mit Nachweisen. 5 St. Rspr. des BVerfG: BVerfGE 1, 14 (32); 7, 198 (205); 19, 206 (220); 33, 23 (27); 34, 165 (183); 49, 24 (56); 55, 274 (300); vgl. auch Di Fabio, Der Staat 32 (1993), 191 (213 f.); Badura, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. VII, § 159 Rdnr. 2 ff.; Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. VII, § 162 Rdnr. 41; Starck, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. VII, § 164 Rdnr. 16 ff.; Stern, StaatsR I, S. 113 ff., 131 ff. 6 Badura, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. VII, §159 Rdnr. 7; Benda/Klein, Rdnr. 427. 7 In der Literatur scheinen diese Grundsätze nicht immer beachtet zu werden, vgl. etwa Kleffher-Riedel, BayVBl. 1995, 104 (107); Lang, S. 234 ff.; Neßler, EuR 1994, 216 (217, 223). Teilweise wird auf eine systematische Prüfung des Art. 79 Abs. 3 GG ganz verzichtet, vgl. Schede, S. 197 ff. Im Ergebnis wie hier: Donoth, S. 232.

II. Das „Bundesstaatsprinzip" nach Art. 79 Abs. 3 GG

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schützten Prinzipien des Bundesstaats, der Demokratie und der Gewaltenteilung.

II. Das „Bundesstaatsprinzip44 nach Art. 79 Abs. 3 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG Das zuerst in Art. 79 Abs. 3 GG erwähnte, vor Änderungen geschützte Grundprinzip aller staatlichen Organisation der Bundesrepublik Deutschland ist das sog. „Bundesstaatsprinzip". Das „Bundesstaatsprinzip" als solches ist freilich im Grundgesetz nirgends definiert. Meist wird der Begriff als Oberbegriff zur Bezeichnung der konkreten Konzeption des Bundesstaats nach dem Grundgesetz verwendet, die wiederum aus den Merkmalen des Art. 79 Abs. 3 GG „Gliederung des Bundes in Länder", „grundsätzliche Mitwirkung der Länder an der Gesetzgebung" im Zusammenspiel mit dem Verweis auf Art. 20 Abs. 1 GG („demokratischer und sozialer Bundesstaat") gewonnen werden kann.

1. Inhalt und geschützter Kernbereich des Bundesstaatsprinzips a) Die durch Art. 79 Abs. 3 G G geschützten „ Grundsätze " Art. 79 Abs. 3 GG verbietet neben einer Änderung des Grundgesetzes, durch die die Gliederung des Bundes in Länder und die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung berührt werden, darüber hinaus auch eine Änderung der in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten „Grundsätze". Was letztlich zum unantastbaren Kernbereich der bundesstaatlichen Ordnung zählt und wo die Grenzen der zulässigen Umgestaltung dieser Ordnung zu ziehen sind, hängt entscheidend von dem Verständnis der „Grundsätze" des Art. 20 GG ab, die Art. 79 Abs. 3 GG auch für den verfassungsändernden Gesetzgeber für unantastbar erklärt. Der Begriff „Grundsätze" ist selbst nicht sehr klar; er kann entweder auf den Kern der Normaussage abzielen oder als Bezeichnung eines in der Norm enthaltenen komplexen Inhalts oder Rechtsinstituts aufgefaßt werden 8. Nichtsdestoweniger handelt es sich bei der Herausarbeitung des Inhalts der geschützten „Grundsätze" um das „Schlüsselproblem" bei der Auslegung und Anwendung des Art. 79 Abs. 3 GG 9 . Stellt man auf die ratio des Art. 79 Abs. 3 GG ab, so liegt der Sinn der „Ewigkeitsgarantie" zunächst darin, zu verhindern, daß die geltende Verfassungsordnung in ihrer Substanz auf dem formal-legalistischen Weg eines verfassungsändernden Gesetzes beseitigt und

8 9

Stern, StaatsR I, S. 173; ders., in: StaatsR III/2, S. 1105. Stern, StaatsR II 1/2, S. 1104 f.

164

Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

zur nachträglichen Legalisierung eines totalitären Regimes mißbraucht werden kann 10 . Das Bundesverfassungsgericht tritt in ständiger Rechtsprechung für eine hierauf bezogene Beschränkung des Anwendungsbereichs von Art. 79 Abs. 3 GG ein 11 . Verboten ist danach nicht die Änderung der Einzelausprägungen12, sondern nur eine „prinzipielle Preisgabe" der in Art. 20 GG genannten Grundsätze. Danach kommt der Aussage, jene Grundsätze dürfen „nicht berührt" werden, keine striktere Bedeutung zu als die verwandte Formel in Art. 19 Abs. 2 GG, nach der in keinem Fall ein Grundrecht „in seinem Wesensgehalt angetastet" werden darf 13 . Zur Bestimmung des Umfangs der geschützten Grundsätze sind die verwendeten Begrifflichkeiten aber nicht entscheidend. Der Kernbereich ist „etwas anderes, zum Teil mehr, zum Teil weniger als die Formulierung" der Einzelaussagen der in Art. 79 Abs. 3 GG Bezug genommenen Artikel 1 und 20 GG 14 . Angesichts des Ausnahmecharakters von Art. 79 Abs. 3 GG, der selbst den verfassungsändernden Gesetzgeber bindet, spricht in der Tat einiges für eine zurückhaltende Auslegung und somit für eine Begrenzung des Anwendungsbereichs von Art. 79 Abs. 3 GG auf die in Art. 20 GG selbst niedergelegten Regelungsgehalte15. Die Ausformung der Staatsstrukturprinzipien im einzelnen kommt primär dem hierzu berufenen Gesetzgeber zu. Bei einer weiten Auslegung bestünde die Gefahr, daß im Wege einer „Kettenreaktion" mehr Vorschriften einer Verfassungsänderung entzogen wären, als dies der Verfassungsgeber bei Erlaß des Art. 79 Abs. 3 GG selbst beabsichtigt hat 16 . Zudem würde anderenfalls das Bundesverfassungsgericht über Art. 79 Abs. 3 GG in die Rolle der letztentscheidenden Instanz des auf dem Prinzip der Volkssouveränität gegründeten Gemeinwesens schlüpfen 17. Die vom Bundesverfassungsgericht verfolgte Auslegung erscheint allerdings insoweit zu restriktiv, als es nur auf den Aspekt der ratio des Art. 79 Abs. 3 GG abstellt, die Errichtung eines totalitären Systems auf legalem Wege zu verhindern. Gegen eine Revolution oder einen Staatsstreich im klassischen Sinn wäre ohnehin kein Juristisches Kraut" ge-

10 Darauf allein abstellend: BVerfGE 30, 1 (24). Kritisch zu einer derart engen Auslegung: GGK-Bryde, Art. 79 Rdnr. 28 f.; SGK-Lücke, Art. 79 Rdnr. 24 f. Vgl. auch Stern, StaatsR III/2, S. 1086 ff. 11 BVerfGE 30, 1 (24 f.); 84, 90 (121); 89, 155 (208 f.). 12 BVerfGE 84, 90(121). 13 BVerfGE 30, 1 (24 f.). 14 BVerfGE 30, 1 (24). 15 BVerfGE 30, 1 (24); GGK-Bryde, Art. 79 Rdnr. 28; Stern, StaatsR 1, S. 173; kritisch zum allgemeinen Verständnis einer engen Auslegung des Art. 79 Abs. 3 GG demgegenüber ders., in: StaatsR III/2, S. 1098 ff. 16 GGK-Schnapp, Art. 20 Rdnr. 12. 17 Vgl. GGK-Bryde, Art. 79 Rdnr. 24.

II. Das „Bundesstaatsprinzip" nach Art. 79 Abs. 3 GG

165

wachsen18. Dem Grundgesetzgeber ging es vielmehr auch darum, generell die Grenzen der Legitimation des Grundgesetzes für die staatlich verfaßte Gewalt („pouvoir constitué") aufzuzeigen 19. So ist in der Literatur weithin anerkannt, daß Art. 79 Abs. 3 GG nicht ausschließlich auf den Aspekt der Verhinderung einer absichtlichen Herbeiführung eines totalitären Systems reduziert werden kann. Vielmehr erfaßt er von seiner Zwecksetzung auch Grundgesetzänderungen, die nicht in dieser Absicht erfolgen, die aber dennoch den Kernbereich des Art. 79 Abs. 3 GG berühren und so die Grenzen der Legitimation des verfassungsändernden Gesetzgebers als „pouvoir constitué" überschreiten 20. Folglich können auch die „nicht-revolutionären" Änderungen durch einen loyalen, „irrenden" Gesetzgeber, die weniger einschneidend sind, z.B. durch eine allmähliche Aushöhlung der Grundsätze, gegen Art. 79 Abs. 3 GG verstoßen 21. Für diese Ansicht spricht entscheidend der Wortlaut von Art. 79 Abs. 3 GG selbst, der von „Grundsätzen" spricht, die nicht berührt werden dürfen. Das ist nicht gleichbedeutend mit der Formulierung „grundsätzlich nicht berühren", im Sinne von „in der Regel, aber mit Ausnahmen"22. Vielmehr ist nach dem Wortlaut des Art. 79 Abs. 3 GG bereits ein „Berühren" der geschützten Grundsätze verboten. Mit anderen Worten schützt Art. 79 Abs. 3 GG zwar nur die „Grundsätze" und mag insoweit mit der gebotenen Zurückhaltung interpretiert werden; diese Grundsätze sind aber absolut und ausnahmslos vor Veränderungen geschützt23. Aufgrund der gebotenen zurückhaltenden Auslegung der „Grundsätze" kann es nur um die Systematik und die Struktur der in Art. 20 GG niedergelegten Rechtsinstitute selbst gehen; diese müssen auf jeden Fall gewahrt bleiben, während Modifizierungen, die sich unter Beachtung des Regelungsgehaltes im übrigen im Rahmen des Systems halten, nicht der Verfassungsänderung nach Art. 79 Abs. 3 GG entzogen sind. Insoweit kann dem Bundesverfassungsgericht darin beigepflichtet werden, daß ein „Berühren" der „Grundsätze" und des geschützten essentiellen Kerns auch dann nicht vorliegt, wenn ihnen im allgemeinen Rechnung getragen wird und sie nur für eine Sonderlage entsprechend de-

18

Rupp, NJW 1993,38(39). Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, § 19 Rdnr. 29, 32; Rupp, NJW 1993, 38 (39); ders., in: ZRP 1993, 211; ähnlich GGK-Bryde, Art. 79 Rdnr. 3. Ablehnend dieser Denkfigur gegenüber: BK-Evers, Art. 79 Rdnr. 77 ff, 86 ff. Im Ergebnis besteht jedoch Einigkeit, daß der verfassungsändernde Gesetzgeber nicht befugt ist, sich über die in Art. 79 Abs. 3 GG gezogenen Grenzen hinwegzusetzen, vgl. BK-Evers, Art. 79 Rdnr. 90 und 106 f.; GGK-Biyde, Art. 79 Rdnr. 26 ff. 20 GGK-Bryde, Art. 79 Rdnr. 28; SGK-Lücke, Art. 79 Rdnr. 24 f. Die Entscheidung des BVerfG in E 30, 1 (24), ist demgegenüber zu restriktiv, vgl. bereits die Anmerkung in Fußn. 10. 21 BK-Evers, Art. 79 Rdnr. 115; SGK-Lücke, Art. 79 Rdnr. 24 f.; Stern, StaatsR I, S. 174; ders., in: StaatsR III/2, S. 1106 f. 22 Stern, StaatsR III/2, S. 1104. 23 So Stern, StaatsR I, S. 174; ders., in: StaatsR III/2, S. 1105 f. 19

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Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

ren Eigenart aus evident sachgerechten Gründen modifiziert werden, sofern diese Modifizierung „in systemimmanenter Weise" vorgenommen wird 24 . Erst recht zulässig bleiben - innerhalb der aufgezeigten Grenzen - Veränderungen der positiv-rechtlichen Einzelausprägungen der Staatsstrukturprinzipien, die an vielen Stellen des Grundgesetzes ihren Niederschlag gefunden haben.

b) Der Bundesstaat des Grundgesetzes Das Bundesstaatsprinzip, das in Art. 79 Abs. 3 GG mit den Merkmalen „Gliederung des Bundes in Länder", „grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung" und dem Verweis auf die in Art. 20 GG niedergelegten Grundsätze einen doppelten Schutz erfahren hat 25 , kommt nur sehr allgemein in Art. 20 Abs. 1 GG zum Ausdruck und knüpft nicht etwa an einen wie auch immer gearteten „vorverfassungsmäßigen" Bundesstaatsbegriff oder eine solche Theorie an 26 . Der Begriff des Bundesstaates bezieht vielmehr seine besondere Ausprägung durch die Verfassung und kann daher nur aus dem Grundgesetz selbst interpretiert werden 27. Um die Grundpfeiler des Systems der grundgesetzlichen Bundesstaatlichkeit herauszufiltern, ist allerdings auch bei zurückhaltender Auslegung der Blick über den bloßen Wortlaut des Art. 20 GG unerläßlich. So existieren eine Fülle von Grundgesetznormen neben Art. 20 Abs. 1 GG, in denen das Bundesstaatsprinzip des Grundgesetzes seine konkrete Ausprägung gefunden hat 28 . Dazu zählen unter anderem die Art. 50 bis 53 GG sowie die Art. 30 und 70 ff., 83 ff. GG über die Verteilung der Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen im Bundesstaat, ebenso wie nunmehr der neue Art. 23 GG. Erst aus diesen Einzelnormen lassen sich im Wege einer Gesamtschau bestimmte, das Bild des Bundesstaates prägende Strukturprinzipien, wie z.B. die Staatlichkeit von Bund und Ländern, die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern, der Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens, das Homogenitätsprinzip oder die Mitwirkung der Länder an der Willensbildung des Bundes, ableiten - um nur einige zu nennen29.

24

BVerfGE 30, 1 (24 f.); 84, 90 (121); 89, 155 (208 f.); Stern, StaatsR I, S. 174. Vgl. Kimminich, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, § 26, Rdnr. 39. 26 Hesse, Verfassungsrecht, Rdnr. 217; Isensee, AöR 115 (1990), 248 (252). 27 Badura, in FS für Lerche, 369 (371 ff.); Kimminich, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, § 26, Rdnr 36; Mos/er, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. VII, § 175, Rdnr. 71; Niebier, ThürVBl. 1992, 104 ff.; Ossenbühl, Föderalismus und Regionalismus, 117 (124); Stern, StaatsR I, S. 171. 28 Vgl. die Aufzählung bei Kimminich, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, § 26, Rdnr. 38. 29 Vgl. auch näher hierzu: Stern, StaatsR I, S. 667 ff. 25

II. Das „Bundesstaatsprinzip" nach Art. 79 Abs. 3 GG

167

Im Hinblick auf den Typus des Bundesstaates des Grundgesetzes ergibt sich danach folgendes Bild: Das Grundgesetz hat sich bei dem bundesstaatlichen Aufbau für ein in der „Vertikalen gebietskörperschaftlich gegliedertes Ganzes" 30 durch Bund, Länder, Kreise und Gemeinden entschieden31. Die Verfassung bildet dabei die gemeinsame Grundordnung des Bundesstaates, die gleichsam den Bund und die Länder umfaßt 32. Die Länder sind als Glieder des Bundes Staaten mit eigener, wenn auch gegenständlich beschränkter, nicht vom Bund abgeleiteter, sondern von ihm anerkannter staatlicher Hoheitsmacht33. Staatsqualität besitzen in diesem Gebilde nur der Bund und die Länder. Somit ist von einem „zweigliedrigen" Bundesstaatsbegriff auszugehen, nach dem die Bundesrepublik Deutschland nur aus dem Bund und den Ländern besteht. Hierbei schließt der Bund die Länder ein und kann als der Oberstaat begriffen werden, der durch die Verbindung der Länder zu einem Bundesstaat bewirkt wird 34 . Wenn im Grundgesetz von „Bund" die Rede ist, ist aufgrund der zweigliedrigen Bundesstaatskonstruktion des Grundgesetzes - von wenigen Ausnahmen abgesehen35 - lediglich die Ebene der Gesamtstaatlichkeit im Gegensatz zu der Ebene der Gliedstaaten zu verstehen 36. Wie oben gezeigt, folgt Art. 23 GG mit Ausnahme des Absatzes 6 Satz 1 ebenfalls einem so verstandenen Sprachgebrauch des Begriffs „Bund" 37 . In dem zweigliedrigen Bundesstaat stehen die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder grundsätzlich selbständig nebeneinander 38. Auch die Bereiche der Verwaltung nach den Art. 83 ff. GG und der Gesetzgebung nach Art. 70 Abs. 2 GG sind grundsätzlich voneinander zu trennen, wenngleich sich in der Staatspraxis gerade auf dem Gebiet der nicht formalisierten Hoheits- und der Fiskalverwaltung vielfaltige Formen der Bund-

30

Vgl. Stern, StaatsR I, S. 666, m.w.N. Zur Bedeutung der Gemeinden und Gemeindeverbände: OssenbühL\ Föderalismus und Regionalismus, 117 (129 f.). 32 Stern, StaatsR I, S. 652. 33 BVerfGE 1,14 (34); 60, 175 (207). 34 So die heute ganz h.M.: BVerfGE 13, 54 (78); MD-Herzog, Art. 20 IV. Rdnr. 15 ff.; Vogel, in: Benda/Maihofer/Vogel, HdbVerfR, § 22 Rdnr. 25. Zu den verschiedenen Theorien: Stern, StaatsR I, S. 650 ff. 35 So müßte es in Art. 79 Abs. 3 GG genauer heißen: „... Gliederung der Bundesrepublik Deutschland in Länder...", vgl. Kimminich, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, § 26, Rdnr. 40. Die terminologischen Ungereimtheiten des Grundgesetzes beruhen darauf, daß das Grundgesetz in mehreren Ausschüssen parallel beraten und konzipiert worden ist und eine volle terminologische Homogenität nicht mehr hergestellt werden konnte, vgl. MD-Herzog, Art. 20 Rdnr. 19. 36 In dem Sinne: Kimminich, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, § 26, Rdnr. 14, 40. Relativierend hingegen: Oppermann, Arbeitspapiere zur Internationalen Politik, Nr. 71 (1992), 7 (13 f.). 37 Vgl. die Kritik von Bull, Teil 2, Kap. IV, Fußn. 303. Zur Stellung des Ländervertreters siehe oben, Teil 2, Kap. IV.3. a), S. 147 ff. 38 BVerfGE 60, 175 (209); 64, 301 (317). 31

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Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

Länder-Kooperation herausgebildet haben39. Von einem generellen „Verbot der Mischverwaltung" zwischen Bund und Ländern 40 kann daher aufgrund der Vielzahl der Ausnahmen kaum noch gesprochen werden 41; die Möglichkeit einer „Doppelzuständigkeit" bei der Gesetzgebung wird allerdings nach wie vor ausgeschlossen42. Eine Sonderstellung nimmt außerdem der Bereich der Rechtsprechung ein: Die Verschränkungen zwischen Bund und Ländern sind auf diesem Gebiet erheblich umfangreicher, als dies bei den anderen Gewalten der Fall ist 43 . Zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Grundgesetzes und der Konstituierung der Länder spielte die territoriale Komponente, die auf die Bewahrung landestypischer Besonderheiten im kulturellen, sprachlichen oder landsmanntypischen Bereich abzielt, keine entscheidende Rolle mehr 44. Denn die meisten Länder waren Neuschöpfungen der Besatzungsmächte, die zum Teil auf willkürlichen Grenzziehungen beruhten 45. Abgesehen davon wäre es aber verfehlt zu sagen, die Länder verfügten über keine hinreichende historische Legitimationsbasis46. Vielmehr war die Existenz von Ländern als solche nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches und zum Zeitpunkt der Beratungen des Grundgesetzes eine historische Tatsache, die entscheidenden Einfluß auf die konkrete Ausgestaltung des bundesstaatlichen Aufbaus Deutschlands nach dem Grundgesetz hatte47. Mittlerweile haben sich die Länder auch als überaus stabil erwiesen und zunehmend eine eigene Identität und ein eigenes Landesbewußtsein entwickeln können48.

39

Zum „kooperativen Föderalismus" siehe bereits oben, Teil 1, Kap. IV, Fußn. 161. BVerfGE 32, 145 (156); 39, 96 (116 ff.); 41, 291 (311). Stern, StaatsR I, S. 685. 41 Nunmehr hat sich das BVerfG von dem Begriff der „Mischverwaltung" verabschiedet und stellt vielmehr auf die konkrete Kompetenzordnung im Einzelfall ab, vgl. BVerfGE 63, 1 (39 ff.). Zustimmend: Blümel\ in: Isensee/Kirchhof, HdbStR, §101 Rdnr. 121 ff.; kritisch hingegen zu recht Isensee, in Isensee/Kirchhof, HdbStR, §98 Rdnr. 183 ff. 42 BVerfGE 36, 193 (202 f.); 61, 149 (204); 67, 299 (321). Vgl. auch Frowein, in: FS für Lerche, 401 (402 ff.). 43 Vgl. Stern, StaatsR I, S. 689 f. 44 Brenner, DÖV 1992, 903 (907); Ossenbühl, DVBl. 89, 1230 ff.; Schepke, Jus 1989, 699. 45 Ossenbühl\ DVBl. 89, 1230 ff.; Wiedmann, AöR 117 (1992), 46, (51). Aus diesem Grunde sahen Art. 29 in der bis 1976 geltenden Fassung eine obligatorische Neugliederung des Bundesgebietes vor. Hierzu kam es jedoch nie, so daß als Ausweg Art. 29 durch Gesetz vom 23.8.1976, BGBl. I S. 2381, in eine Ermessensvorschrift umgewandelt wurde, vgl. Ossenbühl, Föderalismus und Regionalismus, 117 (128 f.). 46 Hierzu vgl. Isensee, in: Föderalismus, 139 (140 ff.). 47 Ossenbühl, DVBl. 89, 1230 ff.; ders., Föderalismus und Regionalismus, 117 (122). 48 Vogel, in: Benda/Maihofer/Vogel, HdbVerfR, § 22 Rdnr. 10 f. 40

II. Das „Bundesstaatsprinzip" nach Art. 79 Abs. 3 GG

169

Den Bundesstaat des Grundgesetzes kennzeichnen verfassungsrechtlich im wesentlichen drei Funktionen. Zum einen steht er in enger Wechselwirkung zur Demokratie, da er die demokratischen Entscheidungszentren vervielfacht und die Entscheidungsvorgänge für den Bürger überschaubarer und näher gestaltet. Durch die Verteilung der staatlichen Funktionen der Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung zwischen Bund und Ländern verbreitert der Bundesstaat zugleich die Gewaltenteilung und bewirkt somit eine zusätzliche Sicherung der Freiheit des Bürgers 49. Hinzu kommt die Funktion der Erhaltung von gewachsener regionaler Vielfalt wie auch der Möglichkeit, daß sich regionale Vielfalt und Identität überhaupt entwickeln und weiter ausbilden können. Wenn gesagt wird, der Bundesstaat des Grundgesetzes beziehe seine Legitimation eher aus seiner Pluralismus- und demokratiestärkenden Funktion als aus dem Erhalt seiner Untergliederungen um ihrer selbst willen 50 , so vernachlässigt dies den Aspekt der zum Teil historisch geprägten, zum Teil aber erst im Laufe der Jahre gewachsenen regionalen Vielfalt 51 . Zu den wesentlichen, typenbestimmenden Merkmalen des grundgesetzlichen Bundesstaats gehören daher jedenfalls, wenn auch in unterschiedlicher Gewichtung, alle Elemente, die den Bundesstaat in den oben geschilderten Funktionen ausmachen und erhalten. Primär müssen jedenfalls im Bundesstaat die Länder als Zentren mit eigener demokratischer Legitimation und politischer Willensbildung erhalten bleiben52. Verfassungsändernde Gesetze, die - abgesehen von den im Grundgesetz bereits angelegten Ausnahmen53 - das System als Ganzes berühren oder in Frage stellen, würden insoweit gegen Art. 79 Abs. 3 GG verstoßen. Modifizierungen oder Fortentwicklungen des bundesstaatlichen Prinzips, die die vertikale Gewaltenteilung zwischen Bund und Ländern im Grundsatz nicht berühren und die Länder in ihrer Funktion als Gebietskörperschaften und Zentren demokratisch legitimierter Entscheidung erhalten, bleiben innerhalb dieses Rahmens zulässig. Dies bestätigt beispielsweise der im Jahre 1969 neu eingefügte Abschnitt „Villa. Gemeinschaftsaufgaben" in das Grundgesetz, durch den die Trennung

49 Vogel; in: Benda/Maihofer/Vogel, HdbVerfR, §22 Rdnr. 17; a.A.: Lhotta, Der Staat 36 (1997), 189(191). 50 Wiedmann, AöR 117 (1992), 46, (54). 51 Kritisch insoweit auch: Isensee, in: AöR 115 (1990), 248 (259 ff.). 52 Mosler, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. VII, § 175 Rdnr. 71. 53

So beschreiben z. B. die Art. 35 Abs. 3, 37, 84 Abs. 3 und 4, 85 Abs. 4, 91 Abs. 2, 108 Abs. 3 S. 2 GG Ingerenzrechte des Bundes gegenüber den Ländern. Ingerenzrechte der Länder, die nicht über den Bundesrat mediatisiert sind, finden sich in den Art. 32 Abs. 2, 54 Abs. 3, 91a, und 95 Abs. 2 GG. Auch eine Mischverwaltung ist in besonderen Fällen vorgesehen, vgl. Art. 91a, 91b und 104a Abs. 4 GG.

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Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

der Verwaltungsräume zwischen Bund und Ländern erheblich aufgelockert worden ist 54 .

2. Die Vereinbarkeit von Art. 23 Abs. 2 bis 6 GG mit dem Bundesstaatsprinzip a) Die Gliederung des Bundes in Länder Art. 79 Abs. 3 GG garantiert zunächst die „Gliederung des Bundes in Länder". Mit dieser Garantie soll verhindert werden, daß die Länder als Gliedstaaten abgeschafft werden und ein „Einheitsstaat" gebildet wird 55 . Es muß also weiterhin Länder mit einem Mindestmaß an Eigenständigkeit, d.h. mit einem bestimmten Bestand an Kompetenzen im Bereich der Gesetzgebung, Verwaltung, Rechtsprechung und einer eigenen Finanzausstattung geben. Nicht geschützt sind die Grenzen oder der Bestand der augenblicklich existierenden Länder, vielmehr ist nur die Tatsache garantiert, daß überhaupt im Bundesstaat eine Mehrzahl von Zentren demokratisch-legitimer Entscheidung vorhanden sind 56 . Auf den ersten Blick scheinen sich durch die Regelungen des Art. 23 Abs. 2 bis 6 GG keine Konfliktfelder mit diesen Grundsätzen zu ergeben. Durch die verstärkten Mitwirkungsrechte des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union wird das erste Kernelement, welches Art. 79 Abs. 3 GG im Hinblick auf das Bundesstaatsprinzip aufführt - „Gliederung des Bundes in Länder" - , in der Tat nicht berührt. Ein Verstoß gegen diese Maximen durch die Regelungen des Art. 23 Abs. 2 bis 6 GG scheidet offensichtlich aus. Zielrichtung des Art. 23 GG ist es im Gegenteil, den Ländern eine - wenn auch inkongruente - Kompensationsmöglichkeit für den Verlust ihrer Kompetenzen an die Europäische Gemeinschaft durch eine verstärkte Mitwirkung über den Bundesrat einzuräumen und so den Föderalismus insgesamt zu stärken. Wenn die Existenz oder Staatlichkeit der Länder in Frage gestellt wird oder in Zukunft in Frage gestellt werden könnte, dann allenfalls durch die fortschreitende europäische Integration und die Entscheidung des Grundgesetzes nach Art. 23 Abs. 1 GG, hieran mitzuwirken. Insbesondere die Stellung der Landesparlamente erscheint nach dem oben geschilderten Befund von der Kompetenzverschiebung in Richtung der Bundesexekutiven und der Europäischen Gemeinschaft bedroht 57.

54

21. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 12.5.1969, BGBl. I S. 359. Zu den Hintergründen und der Entwicklung vgl. Hofmann, Hasso, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, § 7 Rdnr. 62 ff. 55 SGK-Lücke, Art. 79 Rdnr. 26 GG. 56 GGK-Bryde, Art. 79 Rdnr. 30. 57 Siehe zur Stellung der Landesparlamente oben, Teil 1, Kap. IV.3., S. 56 ff.

II. Das „Bundesstaatsprinzip" nach Art. 79 Abs. 3 GG

171

Ob die befürchtete Entwicklung einer „Entstaatlichung" der deutschen Länder durch eine sich vertiefende europäische Einigung in Zukunft eintreten wird, kann derzeit nicht vorausgesagt werden 58. Zulässig wäre eine solche Entwicklung nach dem Grundgesetz jedenfalls nicht. Durch den ausdrücklichen Verweis in Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG auf Art. 79 Abs. 3 GG wird die Verpflichtung aller Staatsorgane betont, die innerstaatliche Struktur des Bundesstaats der Bundesrepublik Deutschland auch im Rahmen der Mitwirkung an der Europäischen Union zu erhalten 59. Aus Anlaß der Ratifizierung des Vertrages von Maastricht hat in der Literatur eine breite Diskussion stattgefunden, zumeist unter dem Gesichtspunkt des Verlustes der Gesamtstaatlichkeit Deutschlands durch Einordnung in einen europäischen Bundesstaat60. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zum Vertrag von Maastricht mit der überwiegenden Literatur eine Verletzung des Art. 79 Abs. 3 GG verneint, wenngleich seine Ausführungen vornehmlich dem Demokratieprinzip gegolten haben61. Entscheidend hierfür ist, daß die Europäische Union nach ihrem Selbstverständnis eine Gemeinschaft nationaler Staaten bleibt. Dies kommt insbesondere in den Vorschriften der Gründungsverträge wie in Art. A Abs. 2 EUV, Art. Β Abs. 2, Art. E und F EUV sowie in dem in Art. 3b EGV verankerten Subsidiaritätsprinzip zum Ausdruck. Hinzu kommen das Prinzip der Gemeinschaftstreue nach Art. 5 EGV und die Möglichkeit einer Anrufung des Europäischen Gerichtshofes, um die Einhaltung der Kompetenznormen zu gewährleisten 62. Der EUV bietet somit hinreichende rechtliche Sicherungen, um die Staatlichkeit der Mitgliedstaaten zu erhalten und Einbrüche in deren Staatsstrukturprinzipien zu vermeiden 63. Dies gilt um so mehr, als die Entscheidung, ob und inwieweit die Europäische Gemeinschaft von ihren Gesetzgebungsbefugnissen Gebrauch macht oder nicht, hauptsächlich den im Rat vertretenen Mitgliedstaaten selbst

58 Teilweise wird entgegen den üblichen Klagen sogar ein Bedeutungszuwachs der Länder im Verfassungsgefüge bei der Vollendung des Binnenmarktes prognostiziert, vgl. Scharpf, Regionalisierung, 92 (109 ff.); sowie ders., Föderalismus im globalen Kapitalismus, 156 (163 ff.). Vgl. auch Große-Sender,; Kommissionsbericht, Teil 1, S. 89. 59 MD-Scholz, Art. 23 Rdnr. 62. 60 Vgl. Doehring, ZRP 1993, 98 ff.; Everling, DVB1. 1993, 936 (942 ff.); Götz, JZ 1993, S. 1081 ff.; Hilf, in: Der Staatenverbund der EU, 75 (78 ff.); Huber, P.M., AöR 116 (1991), 210 ff.; Lerche, in: FS für Redeker, 131 (134 ff.); MD-Randelzho fer, Art. 24 Rdnr. 204; Ossenbühl, DVB1. 1993, 629 (631 ff.); Schachtschneider/EmmerichFritsche/Beyer, JZ 1993, 751 ff.; Thürer, VVDStRL Bd. 50 (1991), 97 (109 ff.), am Beispiel der Schweiz. Lhotta hingegen kritisiert die Diskussion als „etatistische Renaissance" der Staatsrechtslehre, vgl. ders., in: Der Staat 36 (1997), 189 (191 ff.). 61 BVerfGE 89, 155 (179, 181 ff., 191 ff.). 62 Kritisch gegenüber der „Bilateralisierung" des Art. 5 EGV: Pescatore, in FS für Everling, 1071 (1087). 63 So BVerfGE 89, 155 (184, 189, 192 ff., 2 03, 210 ff.). Vgl. auch Hilf, in: Gedächtnisschrift für Grabitz, 157 (160 ff.).

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Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

obliegt 64 . Sollten sich diese Sicherungen infolge einer weiteren Vertiefung der europäischen Integration nicht als ausreichend erweisen, etwa aufgrund einer nicht mehr vom EGV gedeckten Ausschöpfung der Gesetzgebungskompetenzen durch die Europäische Gemeinschaft, und hierdurch die Staatlichkeit der Länder bedroht und die Grenze des Art. 79 Abs. 3 GG überschritten werden, müssen sich zunächst die Organe des Bundes, vor allem die Bundesregierung, mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln für ein kompetenz- und vertragsgemäßes Verhalten der EU- und EG-Organe einsetzen65. Ein konkreter oder auch nur konkret absehbarer Verlust der „Eigenstaatlichkeit" der Länder kann jedenfalls nach derzeitigem Stand der Integration nicht bejaht werden 66. Die Länder verfügen weiterhin über ihre Verfassungs- und Finanzautonomie und über eine weitgehende Zuständigkeit nach den Art. 83 ff. GG für den Verwaltungsvollzug 67. Hieran werden auch die weiteren Integrationsschritte durch den Vertrag von Amsterdam nichts ändern. In der Erklärung zum Protokoll (Nr. 30) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit, die von den Mitgliedstaaten angenommen worden ist und die gemäß Art. 311 EGV n.F. (bislang: Artikel 239 EGV) Bestandteil des EGV ist, haben die Mitgliedstaaten ausdrücklich bekräftigt, daß die administrative Durchführung des Gemeinschaftsrechts grundsätzlich Sache der Mitgliedstaaten gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften bleibt 68 . Zusammen mit dem Subsidiaritätsprinzip, auf dessen Anwendung sich die Erklärung bezieht, wird der Gemeinschaft die Pflicht auferlegt, sich strikt an die im EGV geregelte Kompetenzordnung zu halten, wonach die Europäischen Gemeinschaft regelmäßig über keine Kompetenzen für den Vollzug des Gemeinschaftsrechts verfügt. Bei der Beurteilung der verfassungsrechtlichen Stellung der Länder und ihres relativen Gewichts zum Bund verbietet sich darüber hinaus eine Betrachtungsweise, die einseitig auf den Bestand der den Ländern verbliebenen Gesetzgebungskompetenzen abstellt69. Die meisten Lebensbereiche weisen mittlerweile einen hohen Grad an „Durchnormiertheit" auf, so daß der Schwerpunkt der gesetzgeberischen Tätigkeit der Parlamente ohnehin in dem Erlaß von Änderungs-

64

Zuleeg, DVBl. 1992, 1329 (1336). BVerfGE 92, 203 (237). 66 Pessimistischer: Erbguth, in: Verfassungsrecht im Wandel, 549 (568); Ossenbühl\ Föderalismus und Regionalismus, 117 (132, 147 f., 157). 67 Langer, DÖV 1991, 823 (829), sieht gerade den Bereich der Verwaltung als „tragenden Pfeiler" der Eigenstaatlichkeit der Länder an; kritisch im Hinblick auf die praktische Bedeutung bzw. Realisierbarkeit dieser Kompetenzen: Ossenbühl, DVBl. 89, 1230, (1231 ff.); ders., Föderalismus und Regionalismus, 117 (132). 68 Zur Fundstelle des Vertrags von Amsterdam siehe oben, Einleitung, Fußn. 1. 69 So auch: Ockermann/Glende, S. 32 ff. 65

II. Das „Bundesstaatsprinzip" nach Art. 79 Abs. 3 GG

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gesetzen besteht70. Betrachtet man die Gesetzgebungsaktivitäten der Landesparlamente am Beispiel Nordrhein-Westfalens, so läßt sich aufgrund der steigenden Bedeutung der Änderungsgesetzgebung insgesamt eher ein Zuwachs als ein Rückgang der Gesetzgebungstätigkeit beobachten71. Von einer „Beschäftigungslosigkeit" der Parlamente oder von einem Entzug von Aufgaben von substanziellem Gewicht kann bislang nicht die Rede sein. Außerdem muß Berücksichtigung finden, daß sich die Rolle und Funktion der Parlamente nicht in der Gesetzgebungsaktivität erschöpft, sondern daß die Parlamente vielmehr als unmittelbar demokratisch legitimierte Organe der Ausübung aller Staatsgewalt, insbesondere dem Handeln der Exekutive, die notwendige demokratische Legitimation vermitteln und damit ihren Anteil an der Staatsleitung insgesamt innehaben72. Daneben nehmen die Landesparlamenten eine Reihe weiterer klassischer Parlamentsaufgaben und -funktionen wahr, wie zum Beispiel die Artikulations- und Öffentlichkeitsfunktion sowie die Initiativ- und Willensbildungsfunktion 73 . Diese Funktionen stehen den Landesparlamenten nach wie vor zur Verfügung; sie haben im Zuge des Wandels der Parlamentsfunktionen sogar an Bedeutung zugenommen74. Es wäre verfehlt, den Bundesstaat des Grundgesetzes an einem im Grundgesetz von 1949 scheinbar angelegten Idealbild oder an

70 Vgl. für NRW: Ockermann/Glende, S. 33. Nach Angaben der Dokumentationsstelle für das Bundesrecht beim Bundesministerium der Justiz betrug das Verhältnis der Änderungsgesetze zum Erlaß von Neuregelungen für den Zeitraum ab 1994 bis zum 1. Quartal 1998 auf der Ebene des Bundes ca. 52 : 48 (1240 „reine" Änderungsgesetze 1160 Stammgesetze). Nimmt man die Folgeänderungen hinzu, die meist im Zusammenhang mit Neuregelungen erfolgen, beträgt das Verhältnis etwa 70 : 30. Das bedeutet, daß die Gesetzgebung auf Bundesebene zu 70 % eine ÄnderungsgzscXzgtbxmg ist. Die Zahl der neuen Stammgesetze ist in den letzten Jahren allerdings nicht rückläufig gewesen. 71 Beispielhaft sei die Landtagsarbeit des Landtages von Nordrhein-Westfalen genannt: In der 1. Wahlperiode (1947-50) betrug die Zahl der verabschiedeten Gesetze 96, in der 2. WP (1950-54) 105, der 3. WP (1954-58) 110, der 4. WP (1958-62) 92, der 5. WP (1962-66) 82, der 6. WP (1966-70) 154, der 7. WP (1970-75) 135, der 8. WP (1975-80) 108, der 9. WP (1980-85) 119, der 10. WP (1985-90) 108, der 11. WP (199095) 144. In der 11. WP entfielen auf die 144 Gesetzgebungsverfahren 38 neue Gesetze, 90 Änderungsgesetze und 16 periodisch wiederkehrende Gesetze, Quelle: Ockermann/Glende., S. 87 f. 72 Zur Regierungsfunktion der Parlamente vgl. Mößle, W., Regierungsfunktionen des Parlaments, München 1986; ders., in: Beiträge zum Parlamentarismus, S. 23 ff. 73 Vgl. die Selbstdarstellung und den Aufgabenkatalog des Landtags von NordrheinWestfalen, in: Ockermann/Glende, S. 17 ff. Nach einer Befragung der bayerischen Abgeordneten sahen diese die Schwerpunkte ihrer Amtstätigkeit zu 59 % in dem Bereich Bürgerservice und Kontaktpflege liegend, zu 22 % in der Gesetzgebung, zu 15 % in der politischen Führung und Staatsleitung und nur zu 4 % (!) in der Kontrollfunktion der Regierung, wiedergegeben bei Ockermann/Glende, S. 90 ff. Zu den Parlamentsfunktionen allgemein, vgl. Gusy., DVBl. 1998, 917 (919 ff.). 74 Ockermann/Glende; S. 32 ff. Zu künftigen Möglichkeiten der Landesparlamente siehe noch weiter unten im Teil 4, Kapitel IV, S. 339 ff.

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Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

einem bestimmten Begriff des „Föderalismus" zu messen75. Vielmehr muß das gesamte Spektrum der Teilhabe der Länder an der Ausübung der Hoheitsgewalt im Gesamtstaat gesehen werden, vor allem aber der vom Grundgesetz maßgeblich garantierte Aspekt der Erhaltung der Länder als Zentren mit eigener demokratischer Legitimation und Willensbildung. Daher kann nunmehr nicht unberücksichtigt bleiben, daß den Ländern über ihre Beteiligung an der Willensbildung des Bundes nach Art. 23 Abs. 4 GG auf der „Haben"-Seite ein politisch nicht zu unterschätzender weiterer Kompetenzzuwachs zugeflossen ist 76 . In gleichem Zusammenhang kann die Neuregelung des Art. 80 Abs. 4 GG erwähnt werden, wonach die Länder auch in den Fällen zu einer Regelung durch Gesetz befugt sind, in denen die Landesregierungen durch Bundesgesetz oder aufgrund eines Bundesgesetzes ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen. Im übrigen stellt die Tatsache selbst, daß es den Ländern gelungen ist, mit der Regelung des Art. 23 GG quasi ihre Maximalforderungen gegen den Widerstand der Bundesregierung durchzusetzen, einen Beleg dafür dar, daß die Länder über den Bundesrat über einen erheblichen Einfluß im Bundesstaat verfügen und ihre Funktion als Zentren mit eigener demokratischer Legitimation und Willensbildung noch nicht eingebüßt haben77. Mit der Einfügung des Art. 23 GG sind die Einflußmöglichkeiten der Länder im Bundesstaat dementsprechend insgesamt gewachsen. Die erweiterten Beteiligungsrechte des Bundesrates können, sofern die Landtage ihre Einwirkungsmöglichkeiten nutzen, indirekt auch zu einer Aufwertung der Situation der Landesparlamente führen 78. Für die Richtigkeit dieser Sichtweise spricht entscheidend, daß der verfassungsändernde Gesetzgeber durch Einfügung des Art. 23 Abs. 2 bis 6 GG auf die seit Bestand des Grundgesetzes eingetretenen Gewichtsverschiebungen innerhalb der bundesstaatlichen Ordnung reagiert und insofern seinerseits den verfassungsrechtlichen Typus des Bundesstaates des Grundgesetzes modifiziert hat, indem er der Mitwirkung der Länder über den Bundesrat größeres Gewicht als bislang eingeräumt hat 79 . Die Gliederung des Bundes in Länder, die Art. 79 Abs. 3 GG ge-

75 Lhotta, ZParl 1993, 116 (123 ff.). Zur Entwicklungsoffenheit und Dynamik des Systems „Bundesstaat", vgl. Müller, Gin: Der Bundesrat im Rückblick, 23 (28 ff.); Ossenbühl,\ Föderalismus und Regionalismus, 117(131 f.). 76 Zur indirekten Stärkung der Staatlichkeit der Länder aufgrund des Bedeutungszuwachses des Bundesrates vgl. auch Klein, H.H., in: Vierzig Jahre Bundesrat, 95 (98 ff.). 77 Everling, Arbeitspapiere zur Internationalen Politik, Nr. 71 (1992), 43 (45 f.); Frowein, in: Vierzig Jahre Bundesrat, 285 (293), im Hinblick auf Art. 2 Abs. 3 EEAG. A.A.: (geringer Einfluß der Länder) Pieper, in: FS für Bleckmann, 197 (214), mit Blick auf die vorläufige Entscheidung des BVerfG zur Fernsehrichtlinie. Im Hauptsache verfahren haben die Länder allerdings weitgehend recht bekommen. Gegen eine finale Betrachtungsweise: Kirchner/Haas, JZ 1993, 760 (769 f.). 78 Klein, H.H., in: Der Landtag als Forum, 38 (48); Oberreuter; in: Der Landtag als Forum, 17(22). 79 In dem Sinne auch: MD-Scholz, Art. 23 Rdnr. 90. Vgl. BVerfGE 30, 1(19).

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bietet, ist alles in allem durch die Regelung des Art. 23 Abs. 2 bis 6 GG nicht berührt worden.

b) Die grundsätzliche Mitwirkung der Länder an der Gesetzgebung des Bundes Ebenfalls von vornherein ausscheiden läßt sich die Möglichkeit, daß durch Art. 23 Abs. 2 bis 6 GG die „grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung" berührt sein könnte. Hiermit ist nur die grundsätzliche Mitwirkung der Länder an der Gesetzgebung des Bundes als Ausprägung der vertikalen Gewaltenteilung gemeint80. Die Garantie des Rechts der Länder zu einer eigenen Gesetzgebung folgt aus deren Eigenstaatlichkeit und wird bereits von der ersten Alternative („Gliederung des Bundes in Länder") mitumfaßt 81. Geschützt wird insoweit auch nur eine grundsätzliche Teilhabe an der Gesetzgebung des Bundes. Weder die konkrete Art und Weise noch der Umfang der Teilhabe noch die Zusammensetzung des Bundesrates sind von Art. 79 Abs. 3 GG vorgegeben und vor einer Änderung durch den Gesetzgeber geschützt82. Durch die Erweiterung der Aufgaben des Bundesrates im Hinblick auf die Angelegenheiten der Europäischen Union wird folglich die grundsätzliche Mitwirkung der Länder an der Gesetzgebung des Bundes weder berührt noch sonstwie in Frage gestellt.

c) Der Grundsatz der Trennung der Kompetenzräume von Bund und Ländern (1) Die Wahrnehmung von Gesetzgebungsbefugnissen der Länder durch ein Organ des Bundes? Wie oben gezeigt, stellt die Trennung der Verfassungsräume und insbesondere die vertikale Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern ein Wesensmerkmal des Bundesstaats des Grundgesetzes dar. Als problematisch könnte sich daher die Wahrnehmung von Gesetzgebungsbefugnissen der Länder im Bereich ihrer ausschließlichen Gesetzgebungskompetenzen durch den Bundesrat als ein Organ des Bundes erweisen. Nach Art. 23 Abs. 4 GG wirkt der Bundesrat auch mit, soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären. Das Prinzip des Art. 23 Abs. 4 GG, nämlich das Abstellen auf

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Vgl. GGK-Bryde, Art. 79 Rdnr. 32; Stern, StaatsR I, S. 170 f. SGK-Lücke, Art. 79 Rdnr. 28. 82 Einhellige Ansicht, vgl. GGK-Bryde, Art. 79 Rdnr. 32. Umstritten ist allerdings, ob wegen des Begriffes „Länder" eine Senatslösung im Sinne einer echten, vom Volk gewählten zweiten Kammer zulässig wäre, vgl. Bryde, m.w.N. 81

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die innerstaatliche Kompetenzverteilung als Schlüssel für die weitere Funktionsverteilung, wird in Art. 23 Abs. 5 und 6 GG fortgeführt und gipfelt schließlich in dem Recht des Bundesrates zur Außenvertretung der Bundesrepublik Deutschland. Wenn der Bundesrat als Bundesorgan im Rahmen des Art. 23 Abs. 4 bis 6 GG tatsächlich auf den Gebieten der Gesetzgebungsbefugnisse der Länder agieren oder Länderkompetenzen ausüben würde, läge hierin eine unzulässige Verlagerung von Länderkompetenzen auf den Bund, die sich kaum als „systemimmanente" Fortentwicklung des bundesstaatlichen Systems rechtfertigen ließe. Aus diesem Grund wird in der Literatur zum Teil die Bundesratslösung im Bereich der Angelegenheiten der Europäischen Gemeinschaft als „systemwidrig" bezeichnet83. Des weiteren könnte die Tätigkeit des Bundesrates, folgt man dem Ansatz der Literatur, auch einen Eingriff in den Kernbereich der Staatlichkeit der Länder darstellen. Den Ländern muß nach dem oben Gesagten als Gliedstaaten ein Kernbereich eigener Aufgaben, ein unentziehbares „Hausgut" eigener Kompetenzen verbleiben 84. Nach den Ergebnissen der obigen Untersuchung trifft eine solche Annahme nach geltender Verfassungslage indes nicht zu, da sie den Bedeutungsgehalt des Art. 23 GG vernachlässigt. Denn der Bundesrat kann in allen Alternativen des Art. 23 GG notwendigerweise immer nur an einer ausschließlich dem Bund zustehenden Kompetenz mitwirken 85 . Die Mitwirkung der Bundesrepublik Deutschland an dem Verfahren der Rechtsetzung der Europäischen Gemeinschaft ist verfassungsrechtlich kraft Art. 23 Abs. 1 GG und nach supranationalem Recht kraft Art. 146 EGV immer nur eine Kompetenz des Mitgliedstaates und damit des Gesamtstaates als solchem. Daß infolge des Gebrauchmachens der Europäischen Gemeinschaft von einer ihr nach dem EGV zugewiesenen Kompetenz auf den Gebieten, die innerstaatlich zu den Gesetzgebungsbefugnissen der Länder gehören, nur dem Bund Mitwirkungsrechte an dem Prozeß der supranationalen Rechtsetzung zuwachsen, ist Folge der Gemeinschaftsverträge, die nur den Mitgliedstaaten, nicht aber deren Untergliederungen Beteiligungsrechte einräumen 86. Tatsächlich ist es nicht möglich, daß der Bundesrat im Rahmen seiner Mitwirkung nach Art. 23 GG Gesetzgebungsbefugnisse der Länder wahrnimmt. Nach geltender Verfassungslage kann daher nicht mehr, wie noch im Fall des Art. 2 EEAG, argumentiert werden, daß der Bundesrat, soweit ausschließliche Gesetzgebungskompetenzen der Länder betroffen sind, im Wege

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Heintzen, JZ 1991, 317 (322); Rudolf, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. IV, § 105 Rdnr. 76. Im Ergebnis ebenso: Erbguth, in: Verfassungsrecht im Wandel, 549 (567). 84 BVerfGE 34, 9 (19 f.). 85 Siehe oben, Teil 2, Kap. IV.3. a), S. 147 ff. 86 Zur „Landesblindheit" des EG-Rechts siehe bereits oben, Teil 1, Kap. V.3. b), S. 72.

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einer „Organleihe" für die Länder oder die Länderparlamente, quasi als deren „Kooperationsorgan", tätig werde oder daß die Abstimmung der Länder nur „unter dem Dach des Bundesrates" stattfinden würde 87 . Das Bundesratsmodell stellt daher in allen Alternativen der Mitwirkung des Bundesrates nach Art. 23 GG keinen Eingriff in Kompetenzräume der Länder dar.

(2) Der Vorwurf der unzulässigen „Mischverwaltung" in auswärtigen Angelegenheiten Teilweise wird gegen die Mitwirkung des Bundesrates ins Feld geführt, es handele sich der Sache nach um eine unzulässige „Mischverwaltung" in auswärtigen Angelegenheiten88. Der Vorwurf der Mischverwaltung erfolgt meist im Hinblick auf das Recht der Außenvertretung der Bundesrepublik Deutschland durch einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder nach Art. 23 Abs. 6 GG. Hierdurch könnten in systemfremder Weise staatenbündische oder auch partikulare Interessen der Gliedstaaten anstelle des Bundes zur Geltung kommen 89 . Die Bedenken sind, bezogen auf die Regelung des Absatzes 6, nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen. Nicht nur sind die Verfassungsräume von Bund und Ländern grundsätzlich strikt zu trennen. Überdies weist der Bundesstaat des Grundgesetzes neben der Garantie der Länder und des Verbots der Errichtung eines Einheitsstaates noch eine weitere Zielrichtung auf: Auch die Ersetzung des Bundes durch einen staatenbündischen „Bund deutscher Länder" wäre nicht zulässig90. Die Problematik des Art. 23 GG Abs. 6 unterscheidet sich insoweit nicht grundsätzlich vom Fall des Letztentscheidungsrechts des Bundesrates nach Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG. Sowohl nach Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG als auch nach Absatz 6 kann der Bundesrat die „Marschroute" vorgeben; im Fall des Absatzes 6 tritt er zusätzlich als Handelnder nach außen auf, so daß letztlich nur

87 In dem Sinne noch für das Verfahren nach Art. 2 EEAG: Baumhof, S. 109, 125 ff.; Meißner, S. 220 f.; Morawitz/Kaiser, S. 65; Müller, M., DÖV 1993, 103 (105); ähnlich: Klein, R, VVDStRL Bd. 50 (1991), 56 (92); Schütz, Der Staat 28 (1989), 201 (211); ders., in: BayVBl. 1990, 518 (520); Tomuschat, in: Bundesländer und EG, 21 (38). A.A. damals schon (zutreffend): Busch, S. 204 ff.; Remmers, S. 198 f.; Ress, EuGRZ 1987, 361 (362). Auch nach Erlaß des Art. 23 GG gehen fälschlich von dem Gedanken der Organleihe aus: Donoth, S. 339; Badura, in: FS für Schambeck, 887 (895); Hecke!\ Jahrb. zur Staats- und Verwaltungswissenschaft 1992/93, 385 (393), Kamann, S. 93; Lang, S. 267; Lerche, AfP 1995, 632, (633), und Meißner, S. 252, Fußn. 320. 88 So in bezug auf Art. 23 Abs. 6 GG: Herdegen, EuGRZ, 92, 589 (593 f.); ebenso: Breuer, NVwZ 1994, 417 (428); Klein, E./Haratsch, DÖV 93, 785 (794, 797). 89 Kritisch insoweit Breuer, NVwZ 1994, 417 (428). 90 Huber.; P.M., in: Verfassungsrecht im Wandel, 349 (369 f.); vgl. auch: Badura, in: FS für Schambeck, 887 (895 f.); Vogel, in: Benda/Maihofer/Vogel, HdbVerfR, § 22 Rdnr. 2. 12 Halfmann

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Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

eine graduelle Abstufung zwischen einem Letztentscheidungsrecht nach innen und der Wortführerschaft nach außen besteht. Der Streit zwischen Bund und Ländern um die Inhaberschaft der sog. „auswärtigen Gewalt" oder der „Integrationskompetenz" des Grundgesetzes reicht dabei sehr weit zurück und beruht, zumindest zum Teil, nicht zuletzt auf einer unzulässigen Gleichsetzung von „Bund" mit „Bundesregierung" einerseits sowie „Länder" mit dem Bundesrat andererseits - eine sprachliche Ungenauigkeit, die sich wie ein roter Faden durch die Literatur der hier behandelten Thematik zieht und auch vor der BundLänder-Vereinbarung 1993 nicht halt gemacht hat 91 . Die Frage der vertikalen Gewaltenteilung zwischen Bund und Ländern in den Angelegenheiten der Europäischen Union kann indes nach dem oben Gesagten durch Art. 23 Abs. 1 GG eindeutig als geklärt in dem Sinne angesehen werden, daß insoweit stets nur der Bund zuständig ist. Dies gilt für alle Varianten der Beteiligung einschließlich der Außenvertretung des Bundes nach Art. 23 Abs. 6 GG, bei der der Ländervertreter rechtlich den Bundesrat und damit den Bund vertritt 92 . Der Streit um die Auslegung des Art. 32 GG spielt hierfür ebenfalls keine Rolle mehr, da Art. 23 GG für seinen Anwendungsbereich als lex specialis anzusehen ist 93 . Die „Integrationsgewalt" steht im Rahmen des Art. 23 GG nur dem „Bund" zu. Eine „Mischverwaltung" zwischen Bund und Ländern in auswärtigen Angelegenheiten ist aufgrund der Entscheidung des Art. 23 Abs. 2 GG für das Bundesratsmodell ausgeschlossen. Bedenken könnten allerdings daraus resultieren, daß der Bundesrat zwar ein Organ des Bundes darstellt, allerdings überwiegend die föderale Komponente des Bundesstaats repräsentiert. Sofern dem Bundesrat im Interorganverhältnis zu den unitarischen Organen Bundesregierung und Bundestag ein Übergewicht eingeräumt wird, wäre hierdurch möglicherweise die Handlungsfähigkeit des Bundes als Gesamtstaat nach außen bedroht. Auch dies betrifft das Bundesstaatsprinzip, und zwar in seiner einheitsbildenden Funktion 94 . Art. 23 GG will jedoch, wie oben gezeigt, durch den Vorbehalt der Wahrung der gesamtstaatlichen Belange des Bundes in Absatz 5 S. 2, 2. Hs. 2 und Absatz 6 S. 2, Hs. 2, gerade den Bundesrat in die Pflicht nehmen und ein einheitliches Auftreten Deutschlands nach außen sicherstellen. Eine „Partikularisierung" der auswärtigen Gewalt soll im Rahmen des Art. 23 GG verhindert werden. Soweit im übrigen das Organverhältnis zwischen Bundesregierung und Bundesrat, insbesondere die Gewichtung und die Balance

91

Als Beispiele aus der Literatur mögen die Ausführungen Donoths, S. 232 ff., und Kleffner-Riedels, BayVBl. 1995, 104 (107 ff.), dienen. Auch Dörr, JuS 1995, 1030 (1031), unterliegt dieser Ungenauigkeit, wenn er unter Berufung auf das BVerfG meint, daß der „Bund" nach neuer Rechtslage keinen Alleinvertretungsanspruch mehr besitze. Zur Bund-Länder-Vereinbarung 1993 vgl. oben, Teil 2, Kap. IV.3. d), S. 154 ff. 92 Siehe oben, Teil 2, Kap. IV.3. a), S. 147 ff. 93 Siehe Teil 2, Kap. II, Fußn. 81. 94 Siehe Fußn. 90.

II. Das „Bundesstaatsprinzip" nach Art. 79 Abs. 3 GG

179

der Organe untereinander, in Frage steht, überschneidet sich das Bundesstaatsprinzip mit dem Gewaltenteilungsprinzip des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG 95 . Während der Vorwurf der „Mischverwaltung" vorwiegend auf den Aspekt der vertikalen Gewaltenteilung zwischen Bund und Ländern abzielt, betrifft die Frage der richtigen „Gewichtung" zwischen Bundesrat und Bundesregierung schwerpunktmäßig den Aspekt der horizontalen Gewaltenteilung des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG. Die Frage der Gefährdung der integrationspolitischen Handlungsfähigkeit Deutschlands als Gesamtstaat, die aus dem Umfang der Mitwirkung des Bundesrats möglicherweise resultieren kann, soll daher erst weiter unten im Zusammenhang mit dem Gewaltenteilungsprinzip näher untersucht werden 96.

(3) Faktische Ingerenzen der Länder? Nicht zu übersehen ist die Tatsache, daß sich in der Praxis seit vielen Jahren eine vertikale und kaum zu durchschauende Verflechtung der Bundes- und Landesadministration eingestellt hat. Angesprochen ist hiermit das Phänomen der „Ausschußwirtschaft" und „Ressortkameradie" in der Ministerialverwaltung die Verflechtung mit den Parlamentsausschüssen des Bundestages kommt noch hinzu - , bei der ein Großteil der zu erlassenden Regelungen inhaltlich von den jeweiligen Fachbeamten gemeinsam ausgehandelt wird und an den politischen Spitzen der Ministerien oder den Parlamentariern entweder vorbeiläuft oder nur noch nachträglich entweder in toto gebilligt oder abgelehnt werden kann97. Die angesprochene Problematik, daß de facto ein kleiner Kreis aus Fachbeamten des Bundes und der Länder die Inhalte der zu erlassenden Regelungen aushandeln, berührt in erster Linie Aspekte der Gewaltenteilung und des Demokratieprinzips. Allerdings betrifft diese Art der Bund-Länder-Kooperation auch das Bundesstaatsprinzip, weil hierdurch die Meinungsbildung zwischen den Ländern und dem Bund am Bundesrat „vorbeilaufen" kann und das Bundesratsprinzip damit seiner Funktion beraubt würde. So wird in der Literatur bereits vereinzelt die Frage aufgeworfen, ob nicht de facto jene Länderressorts oder die zuständigen Referatsleiter eine eigene „Europapolitik" in enger Zusammenarbeit mit den beteiligten Bundesressorts oder deren zuständigen Beamten betreiben 98. Aufgrund der Komplexität der zu behandelnden Fragen, der zeitlichen Zwänge, die auf den Beteiligten des europäischen Rechtsetzungsprozesses la95 Zu den Überschneidungen der einzelnen Staatsstrukturprinzipien des Art. 20 GG: Kimminich, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, § 26, Rdnr. 43 ff.; Schenke, JuS 1989, S. 698 ff. 96 Siehe hierzu noch unten, Teil 3, Kap. IV.3., S. 255 ff. 97 Hierzu eingehend: Weber-Panariello, S. 242 ff. Kritisch auch Callies, DÖV 1997, 889 (897); Scharpf, PVS 26 (1985), 323 (349). 98 Weber-Panariello, S. 299.

180

Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

sten, und der faktischen Schwierigkeiten der Willensbildung von sechzehn Bundesländern untereinander, liegt die hauptsächliche Verantwortung für die Wahrnehmung der Belange der Länder und des Bundesrates faktisch in der Tat meist in den Händen der mit den einzelnen Angelegenheiten befaßten Ländervertreter. Nicht selten sind vom Bundesrat gerade diejenigen Beamten der Landesministerien als Ländervertreter benannt, die anschließend auch für die innerstaatliche Anwendung und Umsetzung der auf EG-Ebene beschlossenen Maßnahmen zuständig sind". Der Bundesrat wie auch die anderen Länder sind daher in besonderem Maße auf die von dem Ländervertreter übermittelten Informationen und auf die interessengerechte Ausübung und Wahrnehmung seiner Aufgaben angewiesen, wenn nicht sogar davon abhängig. Die Zwänge und Eigenheiten des europäischen Rechtsetzungsprozesses stärken tendenziell den Einfluß der mit der Wahrnehmung dieser Aufgaben betrauten Beamtenschaft, wohingegen der Einfluß der politischen Spitzen, über die die demokratische Rückkoppelung zu den Länderparlamenten hergestellt wird, unterlaufen werden kann. Auf der Ebene der Bundesregierung verhält es sich dabei ganz ähnlich: Auch hier findet eine Koordinierung der Europapolitik durch gemeinsame Kabinettsbeschlüsse oder durch Richtlinien des Kanzlers nur in den seltensten Fällen statt 100 . Derzeit besteht kein Europaministerium, welches die Angelegenheiten der Europäischen Union koordiniert. Vielmehr gilt insoweit das Ressortprinzip des Art. 65 S. 2 GG, wonach die betroffenen Ressorts in aller Regel selbständig und in eigener Verantwortung über die politische Richtung und die Art und Weise der Behandlung ihrer Angelegenheiten befinden 101. Für die operative Führung und Koordinierung von EU-Angelegenheiten und die Beziehungen zur Ständigen Vertretung in Brüssel sind das Auswärtige Amt und das Bundesfinanzministerium federführend 102, wohingegen im Rahmen der intergouvernementalen Zusammenarbeit nach Titel V I EUV das Justiz- und Innenministerium die führende Rolle einnehmen. Wenn mehrere Ressorts mit einer Angelegenheit befaßt sind, ist es für die Parlamentarier des Deutschen Bundestages besonders schwierig, während der Beratungen einer Angelegenheit in Brüssel den gegenwärtigen Verhandlungsstand zu erfragen, da die betreffenden Ressorts nicht selten vollkommen voneinander abweichende Auskünfte erteilen 103 . So soll es durchaus in der Praxis vorkommen, daß Kommissionsentwürfe in den Arbeitsgruppen des Rates von den beteiligten Fachbeamten verhandelt und gebilligt werden, den Ausschuß der Ständigen Vertreter (AStV) und anschließend den 99

Weber-Panariello, S. 299. Weber-Panariello, S. 234 f. 101 Weber-Panariello, S. 236 ff. 102 Weber-Panariello, S. 234 f. Im Zuge des Regierungswechsels im Jahre 1998 sind die europapolitischen Zuständigkeiten des Bundeswirtschaftsministeriums weitgehend auf das Bundesfinanzministerium verlagert worden. 103 Weber-Panariello, S. 240. 100

II. Das „Bundesstaatsprinzip" nach Art. 79 Abs. 3 GG

181

Rat durchlaufen, ohne daß sich jemals ein deutscher Politiker mit der Vorlage befaßt hätte 104 . Bei der geschilderten Problematik handelt es sich überwiegend um ein faktisches Phänomen der Staatspraxis, das im Hinblick auf seine tatsächlichen Auswirkungen nur schwer abzuschätzen ist 105 . In rechtlicher Hinsicht sind die Verantwortungsstränge hingegen klar definiert. Die neu eingefügten Vorschriften der §§ 45a Abs. 4 und 45i Abs. 2 GO-BR verpflichten die Ländervertreter zu einer engen Zusammenarbeit mit den Ausschüssen des Bundesrates. Der Bundesrat seinerseits hat darüber hinaus eine Reihe organisatorischer Maßnahmen ergriffen, um das Ziel einer effektiven Rückkoppelung mit den Ländervertretern zu realisieren, wie beispielsweise die Einführung einer nachträglichen Erfolgskontrolle 106 . Hierbei dürfte es sich um ein wirkungsvolles Instrument handeln, das Bewußtsein der Ländervertreter zu schärfen, daß sie rechtlich keine Vertreter eines oder mehrerer Länder, sondern des Bundesrates darstellen, und ihre Handlungen dem Bundesrat zugerechnet werden. Werden die bestehenden rechtlichen Rahmenvorgaben beachtet, woran angesichts der Bemühungen des Bundesrates um eine möglichst effektive Mitwirkung kein Anlaß zu Zweifeln besteht, dürfte die Gefahr einer eigenen „Landeseuropapolitik" am Bundesrat und der Ländermehrheit vorbei als verfassungsrechtlich noch nicht relevantes Phänomen einer Praxis in Einzelfällen einzustufen sein. In Anbetracht dieser Umstände läßt sich der Vorwurf einer „Mischverwaltung" zwischen Bund und Ländern in auswärtigen Angelegenheiten weder von Rechts wegen noch von der Sache her aufrechterhalten.

104 Weber-Panariello, S. 233 f. Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt hat in einem der von ihm verfaßten Werke eingeräumt, daß „vereinbarungsgemäß" mit dem französischen Premierminister Giscard die nationalen Bürokratien sowie die Brüsseler Kommission in Unkenntnis gelassen worden sind über die Absichten zur Schaffung des Europäischen Währungssystems, zit. nach Weber-Panariello; a.a.O.; vgl. auch Kühn, S. 4 ff. Hierbei dürfte es sich um ein europaweites Problem handeln: Bei der Aushandlung des EUV hat offenbar nur eine spärliche Unterrichtung der nationalen Parlamente stattgefunden, so: Curtin, CMLR 1993, 17 (18 f.). Ein vergleichbares Phänomen ist darüber hinaus auch im innerstaatlichen Bereich bekannt, soweit es um die (kaum stattfindende) Beteiligung der Landtage an den von den Landesregierungen in nicht öffentlichen Sitzungen ausgehandelten Staatsverträgen geht. Im letzteren Zusammenhang ist der Ausdruck der „staatsnotariellen Ratifikationsämter" für die Landtage geprägt worden, vgl. Große-Sender, Kommissionsbericht, Teil 1, S. 79; Martin, ZParl 1984, 278 (283 f.). 105 Die Gefahr der Bürokratisierung des Bundesrates wird in der Literatur unterschiedlich bewertet, vgl. einerseits Herzog,; in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, § 44 Rdnr. 22, sowie andererseits Stern,, StaatsR II, S. 129 ff. 106 Siehe v. Dewitz, Praxisbericht 1996, S. 8 f., sowie unten das Kapitel „Erfahrungen in der Staatspraxis" ab S. 283.

182

Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht (4) Konkurrenz des Bundesratsprinzips mit Rechten einzelner Länder?

Im Zusammenhang mit der Einfuhrung des Bundesratsverfahrens durch Art. 2 EEAG ist die Frage aufgetaucht, ob ein einzelnes Land etwaige Mitwirkungsrechte auch außerhalb des Bundesratsverfahrens geltend machen kann. Ein Bedürfnis hierfür ergibt sich aus der Tatsache, daß bei der Beschlußfassung des Bundesrates nach Art. 52 Abs. 3 GG das Mehrheitsprinzip gilt, also eine Majorisierung eintritt, bei der ein einzelnes Land mit seinem Anliegen unterliegen kann 107 . Dieses Problem hing mit der Struktur des Bundesratsverfahrens nach Art. 2 EEAG zusammen und hat sich nach der hier vertretenen Auffassung mit Erlaß des Art. 23 GG und der damit erfolgten Begründung einer ausschließlichen Kompetenz des Bundes und einer Mitwirkung der Länder durch den Bundesrat weitgehend erledigt. Da die Wahrnehmung der Angelegenheiten der Europäischen Union nunmehr ausschließlich dem Bund zugewiesen ist, kann es nicht zu einer Überschneidung der Kompetenzräume von Bund und Ländern kommen. Die Frage, ob die Länder neben oder außerhalb des Verfahrens nach Art. 23 GG Mitwirkungsrechte beanspruchen können, ist somit zu verneinen. Das folgt zum einen bereits daraus, daß die vom Grundgesetz vorgesehene Verteilung der Kompetenzen zwingend ist und weder einen Verzicht, eine Delegation, noch etwa die Einräumung wechselseitiger Zuständigkeiten zuläßt 108 . Zum anderen ist davon auszugehen, daß der Gesetzgeber mit Art. 23 GG eine abschließende Regelung für die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union hat treffen wollen. Eine ganz andere Frage ist, ob die Länder einen eigenen verfassungsrechtlichen Anspruch behaupten können, daß die Bundesregierung zumindest die Rechte des Bundesrates aus Art. 23 Abs. 5 und 6 GG respektiert und das vorgesehene Verfahren einhält. Auch wenn den Ländern keine Kompetenz zur Mitwirkung eingeräumt worden ist, könnten sie zumindest über ein rechtlich durchsetzbares Interesse an der Einhaltung des Bundesratsverfahrens besitzen. Diese Frage wird indes erst weiter unten im Zusammenhang mit der Justitiabilität und den Möglichkeiten des Rechtsschutzes näher behandelt werden 109 .

107

Baumhof, S. 109, 125 ff., hat fur Art. 2 EEAG das Gebot der Einstimmigkeit gefordert. In der Tat gilt der Grundsatz, daß, soweit die Länder im Rahmen ihrer Kompetenzen ihr Handeln untereinander koordinieren, das Prinzip der Einstimmigkeit Platz greifen muß, BVerfGE 1, 299 (315); 41, 298 (308); Stern, StaatsR I, S. 758. 108 GGK-Gubelt, Art. 30 Rdnr. 21; SGK-Degenhart, Art. 30 Rdnr. 11 f; Fastenrath, Kompetenzverteilung, S. 136 ff. 109 Siehe hierzu noch unten, Kap. VI., S. 297 ff.

III. Das Demokratieprinzip

183

3. Zwischenergebnis Die Mitwirkung des Bundesrates nach Art. 23 Abs. 2 bis 6 GG ist eine „systemgerechte" Lösung der Ländermitwirkung im Bundesstaat. Sie verletzt in allen Alternativen nicht das Bundesstaatsprinzip des Grundgesetzes.

III. Das Demokratieprinzip nach Art. 79 Abs. 3 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 und 2 GG Fraglich ist, ob der Bundesrat als föderales Organ, wenn er in den Fällen von Art. 23 Abs. 5 S. 2 und Abs. 6 GG eine maßgebende Stellung bei der Willensbildung und Außenvertretung des Bundes einnimmt, hierfür über eine hinreichende demokratische Legitimation verfügt 110 . Weiterhin könnte sich auch die komplizierte Struktur des Zusammenwirkens mehrerer Entscheidungsorgane selbst als problematisch erweisen. Diese Fragen berühren sowohl Aspekte des Demokratieprinzips als auch solche des Prinzips der (horizontalen) Gewaltentrennung. Sie bilden den Gegenstand der nachfolgenden Untersuchungen.

1. Der über Art. 79 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 und 2 GG geschützte Kerngehalt des Demokratieprinzips Nach Art. 20 Abs. 1 GG ist die Bundesrepublik Deutschland ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. Art. 20 Abs. 2 GG besagt darüber hinaus, daß die gesamte Staatsgewalt vom Volke ausgeht und von diesem in Wahlen und Abstimmungen sowie durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt wird. Diese in ihren Grundsätzen über Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Prinzipien werden im allgemeinen mit dem Begriff „Demokratieprinzip" oder „demokratisches Prinzip" beschrieben. Ähnlich dem Bundesstaatsprinzip geht es auch hier nicht um „die Demokratie" als solche im Sinne einer abstrakten Modellvorstellung, sondern um das konkrete demokratische Prinzip, welches dem Grundgesetz zugrunde liegt 111 . Daß das Grundgesetz nur ein bestimmtes Prinzip oder einen bestimmten Typus im Auge hat, ergibt sich zum einen aus dem Wortlaut von Art. 20 Abs. 1 GG, der nicht von der „Demokratie" im allgemeinen, sondern von dem „demokratischen Bundesstaat" spricht, zum anderen aus Art. 28 Abs. 1 GG, der auf den

110 Kritisch bereits während der Beratungen der GVK: Hirsch, Sten. Prot, der 8. Sitzung der GVK v. 26.6.1992, S. 21. 111 Hesse, Verfassungsrecht, Rdnr. 127 ff.

184

Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

demokratischen Rechtsstaat „im Sinne dieses Grundgesetzes" abstellt 112 . Das soll indes nicht bedeuten, daß eine Auslegung der in dem Grundgesetz ausgeformten demokratischen Prinzipien völlig abstrahiert von den jeweiligen historischen, politischen und ideengeschichtlichen Theorien und Modellen vorgenommen werden könnte 113 . Diese können sehr wohl ergänzend zur Auslegung des Grundgesetzes berücksichtigt werden. Ausgangspunkt einer verfassungsrechtlichen Deutung muß jedoch stets die konkrete Normierung und Ausformung des Demokratieprinzips im Grundgesetz selbst bleiben 114 . Auf eine umfassende Darstellung des Demokratieprinzips in allen seinen Ausprägungen, die das Grundgesetz kennt, kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit dabei allerdings verzichtet werden 115 . Für die Frage der Vereinbarkeit des Art. 23 GG mit Art. 79 Abs. 3 GG ist vor allem maßgebend, ob und inwieweit die Regelungen des Art. 23 GG gegen die „Grundsätze" der in Art. 20 GG niedergelegten Prinzipien verstoßen. Das in Art. 23 Abs. 5 und 6 GG vorgesehene Schema des Zusammenspiels der beteiligten Bundesorgane wirft ganz konkret die Frage der demokratische Legitimation der Bundesorgane bei ihrem Zusammenwirken im Rahmen der Rechtsetzung der Europäischen Union auf. Die Bestimmung der „Grundsätze" im Sinne des Art. 79 Abs. 3 GG und des essentiellen, unverzichtbaren Kerngehaltes des Demokratieprinzips stößt auf ähnliche Schwierigkeiten wie beim Bundesstaatsprinzip. Nirgends in der Verfassung ist von einem „Demokratieprinzip" als solchem die Rede. Vielmehr sind dessen Einzelelemente und Ausprägungen über mehrere Stellen des Grundgesetzes verteilt. Für das Demokratieprinzip mag daher die Aussage des Bundesverfassungsgerichts, daß die über Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Grundsätze der Staatsstrukturprinzipien „etwas anderes, zum Teil mehr, zum Teil weniger als die Formulierung" in Art. 20 GG darstellen 116, in besonderem Maße zutreffen. Erst eine Gesamtschau der in der Verfassung enthaltenen Einzelausprägungen läßt in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und 2 GG einen bestimmten Typus der Demokratie erkennbar werden, der gleichermaßen wiederum Auswirkungen auf die Einzelausprägungen zeitigt, die jeweils im Lichte dieses Typus

112

So auch: Hesse, Verfassungsrecht, Rdnr. 127, und Stern,, StaatsR I, S. 589 ff., die darauf hinweisen, daß angesichts der Vielzahl und der Vieldeutigkeit der Demokratiebegriffe nur schwerlich allgemeingültige Aussagen über deren konkreten Inhalt gemacht werden können. 113 Stern, StaatsR I, S. 590. 114 Hesse, Verfassungsrecht, Rdnr. 127, 129; Maihofer, in: Benda/Maihofer/Vogel, HdbVerfR, § 12 Rdnr. 8, 9. 115 Zu den vielfältigen Verzahnungen und Vorbedingungen des Demokratieprinzips vgl.: Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, § 22 Rdnr. 41 ff., 58 ff., sowie Maihofer, in: Benda/Maihofer/Vogel, HdbVerfR, § 12 Rdnr. 81 ff., 99 ff. Siehe des weiteren: Bleckmann, JZ 1990, 301 (302 ff). 116 BVerfGE 30, 1 (24).

III. Das Demokratieprinzip

185

ausgelegt werden müssen117. Fraglich ist somit, welche unabänderlichen „Grundaussagen" Art. 20 GG - in wechselseitiger Betrachtungsweise mit anderen Bestimmungen des Grundgesetzes - entnommen werden können. Angesichts der gebotenen restriktiven Auslegung des Art. 79 Abs. 3 GG, der nur auf die Grundsätze des Art. 20 GG verweist, können nicht alle demokratischen Elemente der Verfassung zum unabänderlichen „Typuskern" gerechnet werden. Art. 20 GG selbst ist jedoch in bezug auf das Demokratieprinzip „aussagefreudiger" als in bezug auf das Bundesstaatsprinzip. Art. 20 Abs. 2 GG nennt bereits die zwei wichtigsten Elemente, nämlich das Prinzip der „Volkssouveränität" (Satz 1) und die nähere Art und Weise seiner Ausübung (Satz 2).

a) Das Prinzip der Volkssouveränität Mit der Aussage in Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus" beantwortet das Grundgesetz die Frage nach der Trägerschaft und dem Ursprung der Staatsgewalt. Es knüpft hierbei an die bereits im Mittelalter entstandene Idee der Volkssouveränität an, die sich seit der amerikanischen Verfassungsgebung im Jahr 1787 auch juristisch zum klassischen Bestand aller demokratischen Verfassungen entwickelt hat 118 . Die Volkssouveränität ist eine fortdauernd existente Kraft und Autorität des Volkes, die Verfassung in ihrem normativen Geltungsanspruch hervorzubringen, zu tragen oder auch aufzuhe" ben 119 . Sie zielt auf die Garantie der Herrschaft einer Gesamtheit von Menschen ab, die im Staat als politischer Handlungs- und Wirkeinheit zusammengeschlossen sind, wobei die statusmäßige Zugehörigkeit zu dem Trägerverband durch das rechtliche Band der Staatsangehörigkeit geknüpft wird 120 . Die Volkssouveränität schließt somit anderweitige Herrschaftsträger, sei es aufgrund des Standes oder aufgrund transzendenter Vorstellungen, als Legitimationsquelle aus 121 . Die vom Volk ausgehende Staatsgewalt muß jedoch nicht in allen Angelegenheiten unmittelbar selbst auch durch das Volk ausgeübt werden. Dies wäre bereits unter praktischen Gesichtspunkten nicht möglich; vielmehr stellt ihre Herleitung vom Volk den entscheidenden Punkt dar 122 . Zulässig und mit dem Ge-

117

Ähnlich: Stern, StaatsR I, S. 599 f. Zu den einzelnen Ausprägungen vgl. ders., S. 606 ff. 118 Vgl. Stern, StaatsR II, S. 20 ff. Zur Entwicklung vgl. Jestaedt, S. 156 ff.; Kluth, S. 37 ff. In der Präambel der Verfassung der Vereinigten Staaten heißt es: „We the People of the United States ... do ordain and establish this Constitution for the United States of America." 119 Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, § 22 Rdnr. 7. 120 Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, § 22 Rdnr. 26. 121 Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, § 22 Rdnr. 10, Kaufmann, S. 69 f.; Kluth, S. 37. 122 Stern, StaatsR I, S. 604, und StaatsR II, S. 23.

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Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

danken der Volkssouveränität vereinbar ist daher eine Übertragung der Ausübung der Regierungsgewalt auf bestimmte Organe, solange diese Übertragung rücknehmbar bleibt 123 . Das Volk muß in jedem Fall Träger der verfassunggebenden Gewalt sein und auch bleiben.

b) Demokratie als Staats- und Regierungsform Das Grundgesetz erschöpft sich nicht in der bloßen Anordnung des Prinzips der Volkssouveränität als bloße Inhaberschaft der verfassunggebenden Gewalt durch das Volk. In Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG trifft es zugleich die Aussage, daß die Staatsgewalt vom Volke „in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt" wird. Das Volk herrscht danach nicht nur, es regiert auch, und zwar fortwährend 124. Anknüpfend an den Grundgedanken des Absatzes 2 Satz 1 Stile Staatsgewalt geht vom Volke aus.") beschreibt das Grundgesetz mit Absatz 2 Satz 2 die Entscheidung für die Demokratie als Staats- und Regierungsform im Sinne einer repräsentativen Demokratie 125 . Das Volk übt die Staatsgewalt nicht unmittelbar selbst aus, etwa im Wege einer Volksherrschaft ohne Staat, sondern „durch" die besonderen Organe. Hieraus folgt unmittelbar, daß sowohl die Innehabung der Staatsgewalt als auch deren konkrete Ausübung auf das Volk rückführbar sein müssen126. Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Erfordernis der „ununterbrochenen Legitimationskette" wie folgt formuliert: „Die verfassungsrechtlich notwendige demokratische Legitimation erfordert eine ununterbrochene Legitimationskette vom Volk zu den mit staatlichen Aufgaben betrauten Organen und Amtswaltern. Die Legitimation muß allerdings nicht in jedem Fall durch unmittelbare Volkswahl erfolgen. In aller Regel genügt es, daß sie sich mittelbar auf das Volk als Träger der Staatsgewalt zurückfuhren läßt" 1 2 7 .

Erforderlich ist stets, daß das Volk einen „effektiven" Einfluß auf die Ausübung der Staatsgewalt besitzt 128 . Ohne das Vorhandensein einer „ununterbrochenen Legitimationskette" zum Willen des Volkes könnte das staatliche Handeln nicht mehr so gesehen werden, daß das Volk die Staatsgewalt durch die besonderen Organe ausübt129. Unter „Volk" im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG ist

123

Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, § 22 Rdnr. 6. Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, § 22 Rdnr. 8. 125 Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, § 22 Rdnr. 8 ff. 126 So auch: Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, § 22 Rdnr. 11. 127 BVerfGE 47, 253 (275). Siehe auch BVerfGE 38, 258 (270 f.); 44, 125 (138); 52, 95 (130); 77, 1 (40); 83, 60 (73); 93, 37 (66 f.). 128 BVerfGE 83, 60 (71). 129 Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, § 22 Rdnr. 11. 124

III. Das Demokratieprinzip

187

hierbei das Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland gemeint 130 . Das bedeutet, daß die Handlungen aller Staatsorgane, wie Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung, in Ausübung der ihnen verliehenen Befugnisse einer ständigen Rückfuhrbarkeit auf den Willen des Volkes bedürfen 131. Aus Sicht des Art. 20 Abs. 2 GG ist dabei nicht die Form der demokratischen Legitimation entscheidend, sondern deren „Effektivität". Notwendig ist in den Worten des Bundesverfassungsgerichts ein bestimmtes „Legitimationsniveau", ein bestimmter „demokratischer Gehalt" 132 . Dieser demokratische Gehalt entzieht sich freilich angesichts der Vielzahl der Vorbedingungen und Determinanten des politischen und gesellschaftlichen Lebens einer konkreten Meßbarkeit 133. Maßgebend kann deshalb nur eine funktionsbezogene Betrachtung des Systems als solchem sein 134 . Der erforderliche Zurechnungszusammenhang zwischen Volk und staatlicher Herrschaft wird dabei vor allem durch die Wahl des Parlaments, durch die von ihm beschlossenen Gesetze als Maßstab der vollziehenden Gewalt, durch den parlamentarischen Einfluß auf die Politik der Regierung sowie durch die grundsätzliche Weisungsgebundenheit der Verwaltung gegenüber der Regierung hergestellt 135. Im Hinblick auf die Anforderungen der demokratischen Rückkoppelung wird in der Literatur näher unterschieden zwischen den Aspekten der „organisatorisch-personellen" und der „sachlich-inhaltlichen" (auch: materiellen) demokratischen Legitimation, wie dies ansatzweise zum Teil auch in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG („Wahlen und Abstimmungen") selbst anklingt 136 . Der organisatorisch-per-

130

BVerfGE 83, 37 (50); BVerwG, NVwZ 1999, 870 (873); Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, § 22 Rdnr. 26 f.; Grawert, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, § 14, Rdnr. 11 ff. Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (348 ff.). Der Begriff „Volk" kann je nach Funktion eine unterschiedliche Bedeutung aufweisen. Zum einen als extrakonstitutionelles, zur Verfassungsgebung berechtigtes „Volk" (Präambel und Art. 146 GG), und zum anderen als konstitutionell tätiges (und konstituiertes) Volk nach dem Akt der Verfassungsgebung. Letzteres meint Art. 20 Abs. 2 GG, wenn er von Volk spricht. Dieser Begriff läßt sich wiederum genauer unterscheiden in das durch die besonderen Organe organschaftlich handelnde Gesamt-Volk einerseits und das „Staatsbürgervolk", d.h. die Gesamtheit der Wahlberechtigten des Volkes, die die in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG vorgesehenen Wahlen und Abstimmungen ausüben können, vgl. Grawert, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, § 14, Rdnr. 18; Jestaedt, S. 206 ff.; Stern, StaatsR I, S. 151, und StaatsR II, S. 23 ff. Der Unterscheidung kommt jedoch keine qualitative, sondern nur eine kompetenzrechtliche Bedeutung zu, vgl. Grawert, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, § 14, Rdnr. 23. 131

BVerfGE 77, 1 (41); SGK-Sac/w, Art. 20 Rdnr. 29, 35. BVerfGE 83, 60 (71); Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, §22 Rdnr. 14; näher zum Ganzen: Jestaedt, S. 273 ff., 285 ff. 133 Cremer, EuR 1995, 21 (40). 134 Cremer, EuR 1995, 21 (40). Vgl. auch BVerwG, NVwZ 1999, 870 (873). 135 BVerfGE 93, 37 (66 f.). 136 Vgl. Jestaedt, S. 267. 132

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Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

sonelle Aspekt demokratischer Legitimation besagt, daß der konkret mit der Wahrnehmung staatlicher Aufgaben betraute Amtswalter individuell durch das Volk oder durch vom Volk gewählte Organe berufen sein muß, so daß in personeller Hinsicht eine ununterbrochene Legitimationskette zum Volk besteht137. Der sachlich-inhaltliche oder auch der materielle Aspekt der notwendigen demokratischen Legitimation des staatlichen Handelns beschreibt das Erfordernis, daß sich die Ausübung der Staatsgewalt inhaltlich auf das Volk zurückführen läßt; mit anderen Worten geht es hierbei um die Einflußmöglichkeit des Volkes auf den Inhalt der konkret zu treffenden Entscheidungen138. Beide Aspekte sind nebeneinander wirksam, gewinnen ihre Bedeutung jedoch erst in ihrem Zusammenwirken, so daß die Frage der „hinreichenden" demokratischen Legitimation - wie bereits angedeutet - einer wertenden Gesamtbetrachtung bedarf 39 . Diese Prinzipien, nämlich die Bestellung der Herrschenden durch das Volk und die ununterbrochene Rückkoppelung der Ausübung ihrer Herrschaftsmacht mit dem Volk können als ein zentraler Bestandteil des demokratischen Prinzips des Grundgesetzes gesehen werden 140 . Sie haben in vielen anderen Bestimmungen, namentlich in Organisations- und Kompetenzvorschriften ihre Ausprägung gefunden und sind nicht hinwegzudenken, ohne daß das gesamte Prinzip der Demokratie des Grundgesetzes in seinem Wesen verändert, wenn nicht sogar gänzlich hinfallig würde. Als Grundpfeiler des Demokratieverständnisses des Grundgesetzes gehören die Aussagen des Art. 20 Abs. 2 S. 1 und 2 GG somit zu den „Grundsätzen" und der unveränderbaren Essenz des Art. 79 Abs. 3 GG, die nicht „berührt" werden dürfen 141 . Eine andere Beurteilung gilt im Hinblick auf die einzelnen organisatorischen Ausprägungen, die lediglich die Form der demokratischen Vermittlung betreffen. Art. 20 Abs. 2 GG fordert nur einen hinreichenden Gehalt an demokratischer Legitimation, der den oben dargestellten Anforderungen genügt; die jeweilige Form zählt nicht hierzu 142 .

137 Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, §22 Rdnr. 16 ff.; Jestaedt, S. 267 ff. 138 Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, §22 Rdnr. 21 ff.; Jestaedt, S. 270 ff. 139 Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (366 f.). Vgl. auch BVerfGE 93, 37 (66 f.). 140 Stern, StaatsR I, S. 604. 141 Jestaedt, S. 155. 142 BVerfGE 89, 155 (213); Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, § 22 Rdnr. 14.

III. Das Demokratieprinzip

189

c) Die Ausübung von „Staatsgewalt" als Gegenstand der demokratischen Legitimation Nach Art. 20 Abs. 2 GG bedarf die Ausübung aller „Staatsgewalt" einer demokratischen Legitimation durch das Volk. Ausgehend vom Sinn und Zweck des in Art. 20 GG niedergelegten Demokratieprinzips, sowohl die Einrichtung der Staatsorgane als auch deren Betätigung auf den Willen des Volkes zurückzufuhren, muß der Begriff der „Staatsgewalt" weit ausgelegt werden. Der Begriff der „Gewalt" knüpft dabei nicht an die üblicherweise hierunter verstandene physische oder psychische Zwangsausübung an, vielmehr kann nur die Ausübung von zugewiesenen Herrschaftsbefugnissen gemeint sein 143 . Weder kommt es auf die Rechts- oder die Organisationsform des staatlichen Handelns noch darauf an, ob das Handeln Eingriffscharakter aufweist oder nicht 144 . Entscheidend ist insoweit nur, daß das betreffende Handeln in Wahrnehmung einer verfassungsrechtlich gestützten Aufgabenzuweisung erfolgt 145 . Die Verfassungsorgane üben deshalb nicht nur Staatsgewalt aus, wenn sie rechtsverbindliche Akte setzen, sondern auch, wenn sie von verfassungsrechtlichen Befugnissen Gebrauch machen, die nicht unmittelbar verbindliche Wirkungen hervorrufen. Die einzelnen Handlungen der Gesetzgebungsorgane im Verfahren der Gesetzgebung, wie beispielsweise die Stellungnahme des Bundesrates nach Art. 76 Abs. 2 GG, gelten danach ohne weiteres als Ausübung von Staatsgewalt146.

143

Jestaedt, S. 234. SGK -Sachs, Art. 20 Rdnr. 29; Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, § 22 Rdnr. 12 f.; Kaufmann, S. 70 f. Jestaedt sieht einen systematischen Zusammenhang mit Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG, kommt aber letztlich zum gleichen Ergebnis wie hier, vgl. ders., S. 236 f., 246. Heintzen hingegen betont, daß der Begriff der Staatsgewalt im jeweiligen Kontext der Art. 1 und 20 GG unterschiedlich ausgelegt werden müsse, vgl. ders., in: Der Staat 31 (1992), 367 (380, 385). 145 So auch Jestaedt, S. 248 f. Differenzierend: Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (339 ff.). Enger ist offenbar die Definition des BVerfG, in: E 83, 60 (71); 93, 37 144

(68):

„Als Ausübung von Staatsgewalt, die demokratischer Legitimation bedarf, stellt sich jedenfalls alles amtliche Handeln mit Entscheidungscharakter dar (vgl. BVerfGE 47, 253 (273)). Entscheidungen steuern die staatliche Herrschaft und müssen sich daher vom Volk herleiten. Dies gilt gleichermaßen für Entscheidungen, die unmittelbar nach außen wirken, wie für solche, die durch einen anderen Verwaltungsträger umgesetzt werden müssen, sofern dieser dazu rechtlich verpflichtet ist (vgl. BVerfGE 47, 253 (273)). Entscheidungscharakter hat auch die Wahrnehmung von Mitentscheidungsbefugnissen; dazugehört auch die Ausübung von Vorschlagsrechten, wenn ein anderer Verwaltungsträger bei der Ausübung seiner Entscheidungsbefugnisse von ihnen rechtlich abhängig ist." 146 Vgl. die aufzählenden Beispiele, die das BVerfG selbst nennt, in: BVerfGE 8, 104 (114 f.).

190

Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht d) Die „ besonderen Organe " Bundesregierung und Bundesrat (1) Die demokratische Legitimation der Bundesregierung

Die Bundesregierung ist zum einen bereits aufgrund der Tatsache demokratisch legitimiert, daß der Verfassungsgeber diese im Grundgesetz konstituiert hat 147 . Auch dies stellt eine demokratische Entscheidung des Volkes dar, die als solche demokratische Legitimation vermittelt. Die Anforderungen des Art. 20 Abs. 2 GG erschöpfen sich wie gesagt jedoch nicht in einer einmaligen demokratischen Konstituierung einer Gewalt durch den Verfassungsgeber, sondern verlangen darüber hinaus auch personell und inhaltlich eine fortdauernde demokratische Legitimation des Handelns der individuellen Organwalter 148. Zusätzlich zu der „institutionellen" demokratischen Legitimation bedarf es ebenfalls einer fortwährenden Legitimation des konkreten Handelns der Bundesregierung durch das Volk 1 4 9 . Da die Bundesregierung nicht selbst unmittelbar aus Wahlen des Volkes hervorgeht, fällt dem unmittelbar gewählten Bundestag die Rolle des notwendigen Zwischenglieds in der legitimierenden Kette zwischen Exekutive und dem Willen des Volkes zu 150 . Der Bundestag nimmt somit eine hervorgehobene Stellung ein; alle anderen Staatsorgane, die nicht unmittelbar aus Wahlen des Volkes hervorgehen, müssen ihre demokratische Legitimation entweder mittelbar oder unmittelbar von der Volksvertretung ableiten 151 . Um die nötige Rückbindung des Handelns an den Willen des Volkes sicherzustellen und zu aktualisieren, sieht das Grundgesetz verschiedene Mechanismen vor. Neben dem Gesetzgebungsrecht des Bundestages, mit dem er das Verhalten der Exekutive generell steuern kann, dienen vor allem die Grundsätze der „parlamentarischen Verantwortlichkeit" des Bundeskanzlers und der Minister dem Erfordernis der Rückfuhrbarkeit des Handelns der Bundesregierung auf den Willen des Volkes. Die parlamentarische Verantwortung der Regierung bezeichnet ein differenziertes Beziehungs-, Kontroll- und Verantwortungsgefuge zwischen Bundestag und Regierung, welches sich zum Teil aus Vorschriften des Grund-

147

Hierfür hat sich der Begriff der sog. „funktionellen und institutionellen" demokratischen Legitimation eingebürgert, der Ossenbühl zugeschrieben wird, vgl. ders., Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968, S. 197 ff. 148 Siehe Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, § 22 Rdnr. 15 ff. 149 Vgl. Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, § 22 Rdnr. 15. 150 Zur Bedeutung des Bundestages und seiner Rolle für das Demokratieprinzip: Badura, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, § 23 Rdnr. 1 ff.; Jestaedt, S. 170 f., 272 f. 151 Jestaedt, S. 292, 306 ff.; Kaufmann, S. 78 f.

III. Das Demokratieprinzip

191

gesetzes152, zum Teil aus Geschäftsordnungsrecht 153 ergibt, ansonsten aber Inzident aus der verfassungsrechtlichen Funktionszuweisung und Aufgabenstellung der betreffenden Organe folgt 154 . Insbesondere durch die Wahl- und Abwahlmöglichkeit besteht eine hinreichend „effektive" Einflußmöglichkeit des im Bundestag repräsentierten Volkes auf die konkrete Führung der Politik der Regierung. Diese muß in einem öffentlichen Forum den Abgeordneten und damit indirekt den Wählern Rede und Antwort für ihr Verhalten stehen und wird in der Praxis deshalb bemüht sein, nicht eine Politik zu betreiben, die an den Wünschen der Mehrheit vorbeiläuft. Die nötige „Responsivität" 155 zwischen dem Willen des Volkes und den Vorstellungen und Plänen der Regierung kann so in einem öffentlichen Diskussionsprozeß erfolgen, bei dem sich auch die Regierung die Gewißheit verschaffen kann, daß ihre Absichten von einer Mehrheit der Abgeordneten und der Bevölkerung getragen werden. Die Wahl des Bundeskanzlers und die parlamentarischen Kontrollrechte, die sich entsprechend dem Grundsatz der sachlich-inhaltlichen oder auch materiellen demokratischen Legitimation auf die gesamte Amtsführung erstrecken 156, einschließlich der Gesetzgebungsbefugnis und der Haushaltskompetenz des Bundestages nach Art. 110 GG 1 5 7 , bilden somit das notwendige Rückgrat für die nötige Rückkoppelung des Handelns der Bundesregierung an den Willen des Volkes 158 . Über die Wahl der im Bundestag vertretenen Abgeordneten nach Art. 38 Abs. 1 GG ist somit eine wirksame Anbindung an den Willen des Volkes sichergestellt, die den Anforderungen des Demokratieprinzips in jeder Hinsicht genügt 159 .

152 Zum Beispiel das in Art. 43 Abs. 1 GG niedergelegte Zitierrecht, das in Art. 44 GG geregelte Recht zur Bildung von Untersuchungsausschüssen sowie die Art. 63 ff. GG zur Wahl und Abwahl des Bundeskanzlers. Vgl. ebenfalls Art. 45b GG (Wehrbeauftragter) sowie Art. 45c GG i.V.m. mit dem G über die Befugnisse des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages vom 19.7.1975, BGBl. I S. 1921. 153 Zum Beispiel die §§ 42, 100 ff. GO-BT (Große und Kleine Anfragen); § 56 GOßT (Enquête-Kommissionen). 154 Zum parlamentarischen Regierungssystems vgl.: Badura, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, § 23; Gusy, DVB1. 1998, 917 (918 ff.); Klein, H.H., in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, §40 Rdnr. 33 ff.; Schneider, H.-P., in: Benda/Maihofer/Vogel, HdbVerfR, § 13 Rdnr. 82 ff.; Stern, StaatsR II, S. 44 ff., 313 ff.; ders., in: StaatsR I, S. 959 ff. 155 Vgl. Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, § 30 Rdnr. 20 ff.; Kluth, S. 39 ff. 156 Stern, StaatsR II, S.318. 157 Siehe hierzu: BVerfGE 70, 324 (356). 158 Zu den Kontrollrechten im einzelnen: Stern, StaatsR I, S. 988 ff. Vgl. auch Gusy, AöR 106(1981), 329 (354 ff.). 159 Vgl. auch BVerfGE 68, 1 (88).

192

Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht (2) Die demokratische Legitimation des Bundesrates

Die demokratische Legitimation des Bundesrates funktioniert, abgesehen von dem Aspekt seiner institutionellen Legitimation, nach einem etwas anderen Grundmuster als diejenige der Bundesregierung. Der Bundesrat setzt sich nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 GG aus den Mitgliedern der Regierungen der Länder zusammen. Die im Bundesrat agierenden Vertreter der Länderregierungen sind personell durch ihre Wahl von den Landesparlamenten legitimiert. Die sachlich-inhaltliche oder auch materielle Legitimation für die Ausübung ihrer Funktionen im Bundesrat erfolgt im Wege der parlamentarischen Verantwortlichkeit gegenüber den jeweiligen Landesparlamenten und führt auf die jeweiligen Landesvölker zurück. Die demokratische Legitimation des Handelns des Bundesrates ist damit in zweifacher Hinsicht mediatisiert: Nicht nur erfolgt die Herleitung der demokratischen Legitimation des Bundesorgans Bundesrat strukturell über eine andere Ebene der Staatlichkeit, nämlich über diejenige der Länder. Auch steht dem (Gesamt-)Organ „Bundesrat" kein einheitliches Repräsentationsorgan der Landesvölker als Legitimationsspender gegenüber. Die demokratische Rückkoppelung ist vielmehr auf sechzehn einzelne Landesparlamente und Landesvölker aufgespalten, die in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland voneinander unabhängig, zu unterschiedlichen Zeitpunkten und nach unterschiedlichen politischen Gesichtspunkten gewählt werden und deren politische Zusammensetzungen infolgedessen von Land zu Land stark differieren. Eine weitere Abschwächung bei der Vermittlung der demokratischen Legitimation soll dadurch bedingt sein, daß ein „Hineinwirken" der Landesparlamente in die Tätigkeit des Bundesrates, welches über den Grad einer rechtlich nicht bindenden Empfehlung an die jeweilige Landesregierung hinausgeht, mit dem Prinzip der vertikalen Gewaltenteilung des Grundgesetzes zwischen Bund und Ländern als nicht vereinbar angesehen wird 1 6 0 . Diese Aussage verleitet jedoch leicht zu Mißverständnissen. Nahezu unbestritten ist die Unzulässigkeit einer (verbindlichen) „Instruktion" der Mitglieder der Landesregierung im Bundesrat

160 Vgl. Stern, StaatsR II, S. 138 f., m.w.N. In der früheren staatsrechtlichen Literatur gab es hingegen auch Gegenstimmen, vgl. die Nachweise bei: Kratzsch, DÖV 1975, 109 ( I I I f., Fußn. 23 bis 30). Die Gegenansicht beruht auf der Prämisse, daß die eigentlichen Mitglieder des Bundesrates nicht die Landesregierungen, sondern die Länder seien. Dem steht allerdings der Wortlaut des Art. 51 Abs. 1 GG entgegen, der in deutlicher Abkehr von Art. 63 Abs. 1 S. 1 WRV nur die Mitglieder der Regierungen der Länder zu Mitgliedern des Bundesrates erklärt, vgl. GGK-Krebs, Art. 51 Rdnr. 2 f., 14, m.w.N.

III. Das Demokratieprinzip

193

durch die Landtage161. Aufgrund der in Art. 28 Abs. 1 GG fur zwingend erklärten demokratischen Struktur in den Ländern muß jedoch die parlamentarische Kontrollbefugnis der Landtage hinreichend „effektiv" im oben geschilderten Sinne ausgeübt werden können, um den Grundsätzen des Demokratieprinzips zu genügen. Abstriche von diesen Grundsätzen wären nicht zulässig162. Wenn die parlamentarischen Kontrollbefugnisse der Landesparlamente gegenüber den im Bundesrat agierenden Landesregierungen eingeschränkt sind, dann vielmehr aufgrund faktischer Ursachen. Bereits aufgrund der unterschiedlichen Kompetenzbereiche des Bundes und der Länder beschränkt sich die Kontrolle der Landtage weitgehend auf diejenigen Materien, die auch für die Länder von spezifischem politischen oder finanziellen Eigeninteresse sind und die darüber hinaus auch das Eigeninteresse der jeweiligen Landtagsabgeordneten finden 163 . So folgt die Willensbildung im Bundesrat häufig direkt den bundespolitischen Entwicklungen, ohne daß der „Umweg" einer Willensbildung über die Landtage stattfinden würde 164 . Ein gewisses Maß an Desinteresse oder mangelnder Initiative der Landtagsabgeordneten mag noch hinzutreten, um die These der „Abseits-Stellung" der Landtage zu stützen165. Im übrigen treten sonstige Schwierigkeiten einer Kontrolle durch die Landtage hinzu, die mit der Konstruktion des Bundesrates als Gremium, dem kein einheitliches Parlament gegenübersteht, verbunden sind 166 .

161

Vgl. BVerfGE 8, 114 (120 f.), sowie Staatsgerichtshof BW, ESVGH 36, 161 (163); vgl. auch Dästner, NWVB1. 1994, 1 (3); Haas, DÖV 1988, 613 (620 ff.); Kratzsch, DÖV 1975, 109 (111 ff.), Müller, M., DÖV 1993, 103 (104), jeweils m.w.N. Darüber hinaus verbietet der Grundsatz der horizontalen Gewaltenteilung in den Landesverfassungen - nicht anders als auf Bundesebene - eine rechtliche Bindung der Landesregierung an die Stellungnahme oder die Beschlüsse des Parlamentes, da dem Prinzip der parlamentarischen Verantwortlichkeit ein entsprechender eigenständiger Handlungs- und Gestaltungsspielraum auf Seiten der Exekutive korrespondiert, in den nicht eingegriffen werden darf, vgl. BVerfGE 9, S. 268 (281); 22, 106 (111), 34 (52, 59); 67, 100 (139); Haas, DÖV 1988, 613 (621); Stern,, StaatsR II, S. 313 ff. und 541 ff., sowie Bd. I, S. 966 f. Zum „Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung" auch noch unten, Teil 3, Kap. I V . l . b ) , S. 243 ff. 162 In diesem Sinne: Stern, StaatsR I, S. 739; vgl. auch BbgVerfG, NVwZ 1999, 868 (869 f.). A.A.: Badura, in: Vierzig Jahre Bundesrat, 317 (324). 163 Vgl. Kratzsch, DÖV 1975, 109 (110 f.). 164 Kratzsch, DÖV 1975, 109 (110 ff., 116). 165 Fechtner/Hannes, ZParl 1993, 132 (151 f.); Friebe, S. 88.; Schmidt, DÖV 1973, 469 (474 f.). Skeptisch auch: Klein, H.H., in: Der Landtag als Forum, 38 (48). Vgl. insbesondere die in Kap. II, Fußn. 73, erwähnte Selbsteinschätzung der bayerischen Abgeordneten, die der Kontrolle der Regierung nur eine geringe Bedeutung beimessen. 166 Bei Kollegialorganen besteht tendenziell die Möglichkeit des „Versteckens" hinter der Mehrheitsmeinung und des Abstreitens der Eigenverantwortlichkeit. Als weiterer Faktor kann auch die räumliche Entfernung des Bundesrates von dem Sitz der Landesparlamente genannt werden, die Einblicke in dessen Arbeitsweise und Willensbildung erschwert. 13 Halfmann

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Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

Der Bundesrat besitzt somit, verglichen mit dem Bundestag und der Bundesregierung, eine schwächere demokratische Legitimation. Wenn das Grundgesetz für seine Mitwirkung an der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes gleichwohl eine solchermaßen mediatisierte Legitimation ausreichen läßt, handelt es sich um eine bewußt in Kauf genommene Folge des grundgesetzlichen Typus des Bundesstaates, genauer: der gewählten Form der Mitwirkung der Gliedstaaten an der Willensbildung des Bundes. Das Grundgesetz verbindet bewußt zwei Faktoren - das unmittelbar demokratisch legitimierte und unitarische Organ Bundestag und das mittelbar demokratisch legitimierte, jedoch föderale Organ Bundesrat - zum „demokratischen Bundesstaat" i.S.v. Art. 20 Abs. 1 GG 1 6 7 . Verfassungstheoretisch ist diese Konstruktion mit dem Begriff der „funktionellen Verdoppelung" oder „dédoublement fonctionell" charakterisiert worden 168 . Die Mitwirkung der Länder über den Bundesrat soll in erster Linie das föderale Element des demokratischen Bundesstaates zur Geltung bringen und nur in zweiter Linie den Aspekt der demokratischen Legitimation 169 . Insoweit stehen die gewaltenteilende Komponente und die Einbringung des besonderen Sachverstandes der mit dem Vollzug des Bundesrechts regelmäßig betrauten Exekutive der Länder im Vordergrund 170 . Den demokratischen Erfordernissen des Art. 20 Abs. 2 GG, also der Rückkoppelung des Handelns der Staatsorgane des Bundes an das (Bundes-)Volk, ist bereits in hinreichender Weise dadurch Rechnung getragen, daß an der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes notwendigerweise der Bundestag und die Bundesregierung beteiligt sind, deren Handeln insoweit hinreichend demokratisch legitimiert sind. Soweit die herkömmliche Mitwirkung der Länder durch den Bundesrat an der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes nach Art. 50 GG betroffen ist, ist die demokratische Legitimation seiner Mitwirkung nie ernsthaft in Frage gestellt worden. Daß das Grundgesetz die demokratische Legitimation des Bundesrates nicht nur als ausreichend, sondern als außerordentlich hoch einschätzt, wird an der Tatsache deutlich, daß es den Bundesrat für den Fall des Gesetzgebungsnotstandes nach Art. 81 Abs. 2 GG als „Legalitätsreserve" bereitstellt 171 - wenngleich auch in diesem Fall nicht nur der Bundesrat allein handelt 172 . Die unterschiedliche demokratische Legitimation der Bundesorgane, so wie sie vom Verfassungsgeber konstituiert worden sind (funktionelle und institutionelle demokratische Legitimation), erlaubt für sich gesehen noch keinerlei negativen Rückschlüsse auf die

167

Stern, StaatsR I, S. 740. Vgl. näher Stern, StaatsR I, S. 735 ff. 169 Stern, StaatsR I, S. 740. 170 Weber-Panariello, S. 216. 171 Herzog, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, § 44 Rdnr. 26. 172 Vielmehr ist ein Zusammenwirken von Bundespräsident, Bundesregierung und Bundesrat erforderlich; lediglich das Parlament wird - unter strengen Voraussetzungen - zeitweilig umgangen. 168

III. Das Demokratieprinzip

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Ausübung der diesen eingeräumten Befugnisse 173, zumindest dann nicht, solange hierbei die Grenzen des Art. 79 Abs. 3 GG beachtet werden.

2. Die Geltung des Demokratieprinzips im Rahmen der Europäischen Union Bevor die Frage der Vereinbarkeit des Art. 23 GG mit dem Demokratieprinzip beantwortet werden kann, ist vorrangig zu klären, ob die verfassungsrechtlichen Anforderungen des Demokratieprinzips in gleicher Weise fur die Mitwirkung der Bundesorgane an dem Rechtsetzungsprozeß auf der Ebene der Europäischen Union Platz greifen können und müssen. Denkbar ist ebenfalls, daß die demokratische Legitimation für das Handeln des Rats supranational, etwa durch das Europäische Parlament, vermittelt wird oder sich Modifikationen hieraus ergeben. Bei den Kompetenzen der Europäischen Union, an denen die Mitgliedstaaten mitwirken, handelt es sich im wesentlichen um Rechtsetzungskompetenzen174. Da dieser Bereich zugleich den ganz überwiegenden Teil des Anwendungsgebietes von Art. 23 GG ausmacht, konzentriert sich die Darstellung im folgenden nur hierauf. Für den Vollzug des primären und sekundären Gemeinschaftsrechts, soweit dieses seiner Art nach überhaupt vollziehbar ist, sieht der EGV eine Kompetenz der Gemeinschaft nur in wenigen Ausnahmefällen vor; ansonsten richtet sich der Vollzug nach innerstaatlichem Recht. Auch die Rechtsprechung wird durch ein eigenes Gemeinschaftsorgan, den Europäischen Gerichtshof, gewährleistet. Die Mitwirkungsbefugnisse der Mitgliedstaaten im Bereich der dritten Gewalt beschränken sich auf die Ernennung der Richter und Generalanwälte nach Art. 167 Abs. 1 EGV.

a) Die demokratische Legitimation der Organe der EG im Verfahren der supranationalen Rechtsetzung Die Rechtsetzung im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft - die Rechtsakte und Maßnahmen im Rahmen der intergouvernementalen Zusammenarbeit nach den Titeln V und VI EUV im folgenden ausgeklammert - ist institutionell zwischen den drei Hauptakteuren Kommission, Rat und Europäischem Parlament aufgeteilt. Je nach Funktionsverteilung und nach Art des Legitimations-

173

Vgl. GGK-Krebs, Art. 50 Rdnr. 5 ff.; Stern,, StaatsR I, S. 739 ff.; weitergehend: Herzog, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, § 44 Rdnr. 26. 174 Zu dem Umfang der möglichen „Angelegenheiten der Europäischen Union" siehe oben, S. 81 ff.

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Teil 3 : Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

strangs muß die Frage nach der demokratischen Legitimation differenziert beantwortet werden: Die Kommission ist in den meisten Fällen das Initiativorgan für den Erlaß der Rechtsakte und kann nur in den Fällen des Art. 145 3. Spiegelstr. EGV aufgrund besonderer Übertragung durch den Rat selbst Rechtsakte und Durchführungsvorschriften erlassen 175. Sie setzt sich gem. Art. 157 Abs. 1 EGV aus 20 Mitgliedern zusammen, die von den Regierungen der Mitgliedstaaten in gegenseitigem Einvernehmen und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments ernannt oder besser: „rekrutiert" 176 werden, Art. 158 Abs. 2 EGV 1 7 7 . Die Mitglieder der Kommission sind nach Art. 157 Abs. 2 EGV gegenüber den Mitgliedstaaten und den jeweiligen Regierungen mit voller Unabhängigkeit ausgestattet und dürfen Anweisungen von einer Regierung oder anderen Stelle weder anfordern noch entgegennehmen. Im EGV finden sich allerdings dem nationalen Recht vergleichbare Ansätze einer parlamentarischen Verantwortlichkeit der Kommission gegenüber dem Europäischen Parlament 178. Abgesehen von der Mitwirkung des Europäischen Parlaments bei der Ernennung der Mitglieder muß die Kommission nach Art. 140 Abs. 3 EGV Fragen des Europäischen Parlaments beantworten und diesem jährlich nach Art. 143 EGV einen Gesamtbericht vorlegen. Außerdem kann das Europäische Parlament nach Art. 144 EGV unter engen Voraussetzungen mittels eines Mißtrauensantrages die Mitglieder der Kommission geschlossen zur Niederlegung ihrer Ämter zwingen 179 . Die Möglichkeit einer Amtsenthebung hingegen und der Verhängung der in Art. 157 Abs. 2 UAbs. 3 EGV vorgesehenen Sanktionen auf Antrag des Rates oder der Kommission durch den EuGH bezieht sich nur auf den Sonderfall der Verletzung beamtenrechtlicher Dienstpflichten durch die Kommissionsmitglieder, betrifft aber ansonsten nicht die Art und Weise der Wahrnehmung der zugewiesenen Kompetenzen180. Selbst im Falle nachweisbaren Fehl-

175 Die im EGV vorgesehenen Einzelermächtigungen, die den Rat zum Erlaß von Rechtsvorschriften ermächtigen, enthalten i.d.R. die Einschränkung, daß der Rat „auf Vorschlag der Kommission" tätig wird. Insoweit besitzt die Kommission das „Initiativmonopol". 176 Die Kriterien der Auswahl sind vornehmlich „Nationalproporz", politische Loyalität, administrative Kompetenz sowie z.T. schlichte politische Tauschlösungen, vgl. näher Bach, in: Winkler/Kaelble, Nationalismus, 288 (298). 177 Zukünftig wird nach Art. 158 EGV n.F. das Zustimmungserfordernis des Europäischen Parlaments auf die Ernennung des Kommissionspräsidenten erstreckt. 178 Vgl. auch die Darstellung bei Kluth, S. 76 ff. 179 Die praktische Relevanz des Mißtrauensvotums ist außerordentlich gering: Von den sieben bislang eingereichten Anträgen fand keiner auch nur annäherungsweise die erforderliche Mehrheit, vgl. Kaufmann, S. 234. 180 Zu den allgemeinen Amtspflichten der Kommissionsmitglieder vgl.: KEU-Hummer, Art. 157 Rdnr. 14 ff.

III. Das Demokratieprinzip

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Verhaltens gelingt es in der Praxis allerdings kaum, Kommissionsmitglieder oder Beamte der Kommission wirkungsvoll zur Verantwortung zu ziehen 181 . Der Rat ist das Organ, daß die Rechtsvorschriften auf Vorschlag der Kommission nach dem Verfahren der Mitentscheidung (Art. 189b EGV) oder der Zusammenarbeit (Art. 189c EGV) mit dem Europäischen Parlament erläßt. Ihm kommt, verglichen mit den Kompetenzen der anderen Organe, das stärkste Gewicht und die bedeutendste Rolle zu 182 . Durch den Vertrag von Amsterdam ist allerdings die Rolle des Europäischen Parlaments bei der Rechtsetzung aufgewertet worden 183 . Der Rat besteht nach Art. 146 Abs. 1 EGV aus je einem Vertreter eines Mitgliedstaates auf Ministerebene, der befugt ist, für die Regierung des Mitgliedstaates verbindlich zu handeln. Die jeweiligen Mitglieder des Rates sind grundsätzlich an die Weisungen ihrer jeweiligen Regierungen gebunden184. Funktionell befinden sich die Mitglieder des Rates somit in einer Doppelstellung 185 : Zum einen sind sie Teil des EG-Organs „Rat", zum anderen sind sie zugleich Vertreter der Mitgliedstaaten und bilden das notwendige Bindeglied, durch das der Wille der Mitgliedstaaten im Rat repräsentiert wird. Soweit die „nationale Seite" betroffen ist, handeln die deutschen Vertreter in den Gremien des Rates zugleich immer in Wahrnehmung einer ihnen nach nationalem Verfassungsrecht verliehenen Kompetenz; im Falle Deutschlands nach Art. 23 GG. Die Handlungen der deutschen Vertreter im Rat stellen nach der obigen Definition somit Ausübung von „Staatsgewalt" dar und unterliegen insoweit auch der nationalen Verfassungsbindung 186. Davon zu unterscheiden ist die Frage der eu-

181

Vgl. Rack/Gassner, EuZW 1998, 421 (425 f.). Vgl. Hölscheidt/Schotten, VR 1994, 183; Kabel, in: Gedächtnisschrift für Grabitz, 241 (245 f.); Kaufmann, S. 356 f.; Steinberger, VVDStRL Bd. 50 (1991), 9 (31); Zuleeg, DVBl. 1992, 1329(1336). 183 Das Mitentscheidungsverfahren nach Art. 251 EGV n.F. (bislang: Artikel. 189b EGV) wird erheblich ausgeweitet. Das Verfahren der Zusammenarbeit wird mit Ausnahme der Bestimmungen über die Wirtschafts- und Währungsunion in das Mitentscheidungsverfahren überführt, vgl. die Darstellung in der Begründung des Regierungsentwurfs zum Vertrag von Amsterdam, BR-Drs. 784/97, S. 158. Auf der anderen Seite werden mit dem Protokoll Nr. 9 über die Rolle der einzelstaatlichen Parlamente in der Europäischen Union (1997) wiederum die Mitwirkungsrechte der nationalen Parlamente gestärkt, vgl. hierzu Pohle, ZParl 1998, 77 ff. 184 Einschränkend Bleckmann, Europarecht, Rdnr. 216. 185 Vgl. Kaufmann, S. 354; KEU -Schweitzer, Art. 146 Rdnr. 1 (,janus-köpfig"); Schilling, DVBl. 1997, 458 (462); ders., in: AöR 116 (1991), 32 (42 f.); Scholz, NJW 1990, 941 (945). 186 Huber, P.M., ThürVBl. 1994, 1 (2); Schilling, DVBl. 1997, 458 (459 ff.); Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (339); Schmitt Glaeser, Grundgesetz und Europarecht, 110 ff.; Scholz, NJW 1990, 941 (945); Streinz, Bundesverfassungsgerichtliche Kontrolle, S. 24. A.A.: Nicolaysen, in: FS für Everling, 945 (949); ders., Europarecht I, S. 82 f. Eine andere, hiervon zu trennende Frage ist diejenige nach der Grundrec/z/sbindung, vgl. hierzu Heintzen, Der Staat 31 (1992), 367 ff.; Kluth, S. 81 f. 182

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Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

ropäischen, supranationalen Legitimation, die vor allem von Seiten des Europäischen Parlaments vermittelt wird. Das Europäische Parlament besteht nach Art. 137 EGV aus Vertretern der Völker der Mitgliedstaaten, die nach unterschiedlicher Gewichtung in den einzelnen Mitgliedstaaten gewählt werden. An dem Verfahren der Rechtsetzung der Europäischen Gemeinschaft ist das Europäische Parlament nach dem EGV in unterschiedlicher Weise beteiligt 187 . Zum Teil sehen einige Vertragsvorschriften lediglich eine obligatorische Anhörung des Europäischen Parlaments vor Erlaß des betreffenden Rechtsakts vor, wie z.B. die Art. 75 Abs. 3, 99 und 100 Abs. 2 EGV 1 8 8 . Überwiegend richtet sich die Mitwirkung des Europäischen Parlaments nach einem in Art. 189a ff. EGV näher geregelten Zusammenarbeits- und Mitentscheidungsverfahren, das dem Europäischen Parlament von der Möglichkeit einer Stellungnahme (Verfahren der Zusammenarbeit nach Art. 189c EGV) bis hin zu der Möglichkeit der Verhinderung des Erlasses eines Rechtsaktes (Verfahren der Mitentscheidung nach Art. 189b EGV) eine unterschiedlich starke Stellung im Rechtsetzungsverfahren einräumt. Für bestimmte Rechtsakte von grundlegender Bedeutung oder solchen, die die Vertragsgrundlagen oder das Wahlverfahren des Europäischen Parlaments betreffen, sehen die Verträge das Erfordernis der Zustimmung durch das Europäische Parlament vor 189 . Das Verhältnis der Rechtsetzungsorgane der Europäischen Gemeinschaft zueinander hat im EGV dabei eine eigene Ausprägung erfahren, die nur wenig Gemeinsamkeiten mit dem parlamentarischen Regierungssystem Deutschlands aufweist. So kennt die Europäische Gemeinschaft keinen Grundsatz der „Gewaltenteilung" im herkömmlichen Sinn 190 . Wohl aber statuiert der EGV eine spezifische Funktionen- und Kompetenzordnung auf der horizontalen Ebene zwischen den Gemeinschaftsorganen wie auch auf der vertikalen Ebene zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, die Durchbrechungen und Verschiebungen der jeweiligen Kompetenzen grundsätzlich ausschließt (Grundsatz des „institutionellen Gleichgewichts") 191 . Betrachtet man die spezifische Stellung und Funktion der Rechtsetzungsorgane zueinander, so ergibt sich folgender Befund:

187

Vgl. die Übersicht bei Kaufmann, S. 238 ff. Siehe die Übersicht bei Kluth, S. 75 f. Vgl. auch Hrbek, in: Gedächtnisschrift für Grabitz, 171 (181 ff.). 189 So z.B. in Art. 8a Abs. 2, 105 Abs. 6, 106 Abs. 5, 130d, 138 Abs. 3, 228 Abs. 3 EGV und Art. Ο EUV. Siehe die Übersicht bei Kluth, S. 73. Zu den Aufgaben des Europäischen Parlaments, vgl. auch Streinz, ThürVBl. 1997, 73 (75 ff.). 190 Ipsen, Europarecht, § 11 Rdnr. 3 ff.; Lenaerts, CMLR 1991, 11 (12 f.). Vgl. auch Friauf, DVB1. 1964, S. 781, 784. 191 Vgl. KEU-Hummer, vor Art. 155 Rdnr. 13 f.; Schweitzer/Hummer, Europarecht, Rdnr. 923 ff.; Zuleeg, NJW 1994, 545 (548). Weitergehend: Schmitt Glaeser, Grundgesetz und Europarecht, S. 197 ff. 188

III. Das Demokratieprinzip

199

Im institutionellen Gefüge der Europäischen Gemeinschaft stellt die Kommission das politische Leitungsorgan dar. Sie erfüllt eine überwiegend supranationale, unitarische Funktion. Die institutionelle und personelle demokratische Legitimation wird ihr gleichermaßen durch die Mitgliedstaaten als auch durch das Europäische Parlament vermittelt, die im beiderseitigen Zusammenwirken die Kommissionsmitglieder ernennen. Ihre Amtstätigkeit unterliegt darüber hinaus in gewissem Umfang der Kontrolle des Europäischen Parlaments, so daß insoweit eine materielle, supranational vermittelte demokratische Legitimation hinzutritt. Ansonsten bedarf ihr Handeln keiner unmittelbaren Rückkoppelung an die Mitgliedstaaten. Die Kommission verfügt somit über eine gemischt-paritätische supranationale und mitgliedstaatliche demokratische Legitimation 192 . Eine ganz andere Funktion nimmt hingegen der Rat ein: Der Rat stellt zugleich ein supranationales Organ dar, das in die autonome, supranationale Rechtsordnung eingebettet ist, als auch ein föderatives Organ, durch das der Wille der Regierungen der Mitgliedstaaten zum Ausdruck gebracht werden soll 193 . Der notwendige personelle und materielle demokratische Legitimationsstrang des Rates erfolgt hierbei in Ermangelung einer Rückbindung an ein supranationales Organ oder ein „Volk" der Europäischen Gemeinschaft vor allem über die jeweiligen Mitgliedstaaten194. Das Europäische Parlament wiederum verkörpert im Gegensatz zum Rat vorwiegend eine supranationale, also unitarische Funktion, da es sich in seiner Legitimation nicht von den Mitgliedstaaten ableitet, sondern ein eigenständiges, aus supranationalen Wahlen hervorgegangenes Organ darstellt 195 . Im Zusammenspiel der Organe der Europäischen Gemeinschaft stellt der föderative Rat das hauptsächliche Organ der Rechtsetzung dar. Dem Rat auf der einen Seite stehen bei der Rechtsetzung die supranationalen, unitari-

192 Langer, DÖV 1991, 823 (826 ff.), stellt zu sehr auf die supranationale Seite ab; P.M. Huber hingegen stellt ausschließlich auf die Mitgliedstaaten als Demokratiemittler ab, vgl. ders., Jahrb. zur Staats- und Verwaltungswissenschaft 1992/93, 179 (184 f.). Beides wird der Stellung der Kommission nach den Art. 157 und 158 EGV nicht gerecht. Eine Sonderstellung nimmt der Kommissionspräsident ein: Er ist gem. Art. D Abs. 2 EUV zugleich Mitglied des Europäischen Rates - eines föderalen Organs - so daß föderale und unitarische Funktionen insoweit verschränkt sind, vgl. Langer, ebd., S. 828. 193 Langer, DÖV 1991, 823 (826 ff.). Deswegen bleibt der Rat trotz seines Übergewichts bei der Rechtsetzung Teil der Exekutive, vgl. Friauf, DVBl. 1964, 781 (783 f.). 194 BVerfGE 89, 155 (213). 195 Langer, DÖV 1991, 823 (826 ff). Die politische Bedeutung des Europäischen Parlaments erschöpft sich allerdings nicht in der bloßen Mitwirkung bei der Rechtsetzung, vgl. Geiger, GG und Völkerrecht, S. 233.

200

Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

sehen Organe „Europäisches Parlament" und „Kommission" gegenüber 196 oder besser: zur Seite. Ebenso steht der unitarisch legitimierten Kommission bei der politischen Richtungsgebung im Rahmen des EGV der Europäische Rat als föderatives Organ im Rahmen des EUV gegenüber 197. Die typische Tätigkeit der Organe der Europäischen Union zeichnet sich also ebenfalls durch eine „Zweigleisigkeit" 198 oder Verdoppelung der Gewaltausübung („dédoublement fonctionell") aus, die in der grundgesetzlichen Struktur der Bundesrepublik Deutschland durchaus eine Parallele findet 199 . Die von der Europäischen Gemeinschaft erlassenen Rechtsakte ruhen im Hinblick auf ihre demokratische Legitimation folglich ebenfalls „auf zwei Beinen", d.h. auf zwei unterschiedlichen Legitimationssträngen: einem nationalen, vermittelt durch den Rat, und einem supranationalen, vermittelt durch die Kommission und das Europäische Parlament 200 . Die Funktion des Europäischen Parlaments kann aber nicht mit derjenigen des Bundestages oder der Parlamente der anderen Mitgliedstaaten verglichen werden. Die Gewichtung der Rollen der EG-Organe ist, verglichen mit der Funktionenordnung des Grundgesetzes, geradezu umgekehrt. Das Europäische Parlament repräsentiert derzeit aufgrund seiner Wahl und Zusammensetzung nach Art. 137 EGV nur die Völker Europas, nicht aber ein „europäisches Staatsvolk" 201 . Weder besteht eine Wahlgleichheit, noch stellt das Europäische Parlament ein Forum der Willensbildung und der Rückkoppelung an einen ge-

196 Langer, DÖV 1991, 823 (826 ff.), setzt freilich dem Rat als Pendant nur das Europäische Parlament gegenüber. Das erscheint angesichts des Initiativmonopols der Kommission und ihrer Rolle bei der Vorbereitung der Rechtsakte nicht gerechtfertigt. Richtigerweise sind sowohl Kommission als auch das Europäische Parlament vonnöten, um die starke Rolle des Rates auszugleichen. Das Parlament allein wäre hierzu institutionell bei weitem nicht in der Lage. 197 Langer, DÖV 1991, 823 (826 ff.). Zur Funktion des Europäischen Rates als Institution des EUV: Streinz, ZfRV 1995, 1 (6 ff.). 198 Langer, DÖV 1991, 823 (826 ff.). 199 Kluth, S. 87; Stern, StaatsR I, S. 737. 200 Kluth, S. 87; ähnlich: Klein, H.H., in: Der Landtag als Forum, 38 (44); Pernice, DV 1993, 449(483). 201 BVerfGE 89, 155 (188), bestätigt durch Beschluß v. 31.5.1995, 2 BvR 635/95 = NJW 1995, 2216. So auch: Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, § 54 Rdnr. 23: Der Marktbürger bleibe primär „Glied der Gesellschaft seines staatlichen Verbandes."; ders., in: FS für Lerche, 425 (435 f.). Vgl. des weiteren: Bohr/Albert, ZRP 1993, 61 (63); Classen, AöR 119 (1994), 238 (241); Di Fabio, Der Staat 32 (1993), 191 (203 ff.); Everling, CMLR 1992, 1053 (1074); Graf Kielmansegg, in: Reform der Europäischen Union, 229 (234 ff.); Kaufmann, S. 261 ff.; Kluth, S. 34 ff. A.A.: kein homogenes „europäischen Volk" notwendig: Bieber, in: Verfassungsrecht im Wandel, 291 (300 ff.); Zuleeg JZ 1993, 1069 (1073 f.); kritisch auch König, ZaöRV 1994, 17 (38 f. 46 ff.).

III. Das Demokratieprinzip

201

samteuropäischen Volkswillen dar 202 . Es fehlt somit sowohl an einer Gesamtrepräsentation als auch an der hierfür erforderlichen politischen Infrastruktur 203. Im Verlauf des europäischen Integrationsprozesses von der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft bis hin zur Europäischen Union ist eine Änderung dieses Zustandes institutionell bislang auch nicht angestrebt worden 204 . Im Gegenteil: Mit der direkten Einbindung der nationalen Regierungsspitzen als „Europäischer Rat" in den supranationalen Entscheidungsprozeß sind das „gouvernementale Primat" und damit die mitgliedstaatliche Legitimation im Verhältnis zu den supranationalen Organen, vor allem aber im Hinblick auf das Europäische Parlament, weiter gestärkt und unterstrichen worden 205 . Das Europäische Parlament spiegelt lediglich die Struktur der Gemeinschaft als Staatengemeinschaft wider 206 . Die Einführung der Unionsbürgerschaft nach den Art. 8 ff. EGV kann ebenfalls nur ansatzweise zur Herausformung eines „Unionsvolkes" beitragen, denn es ist nicht geplant, die nationale Staatsbürgerschaft aufzugeben oder gar zu ersetzen 207. Des weiteren vermag das Europäische Parlament aufgrund seiner strukturell andersartigen, supranationalen Legitimation dem föderal legitimierten Rat selbst keine demokratische Legitimation zu vermitteln 208 . Es verfügt folgerichtig gegenüber dem Rat auch nicht über die Kreations- und Kontrollbefugnisse, die dem Bundestag gegenüber der Bundesregierung zukommen. Die Idee, dem Europäischen Parlament mehr Rechte gegenüber dem Rat einzuräumen, wäre bereits vom Ansatz her verfehlt, da sie die institutionelle Struktur der EG unberücksichtigt ließe 209 .

202 Vgl.: Bleckmann,, JZ 1990, 301 (303 f.); Kaufmann, S. 245 ff.; Kirchner/ H aas, JZ 1993, 760 (766 f.); Ossenbühl, DVBl. 1993, 629 (634 f.); Schmitt Glaeser, Grundgesetz und Europarecht, S. 209 ff.; Seidel, EuR 1992, 125 (140 ff.); Tomuschat, EuR 1990, 340 (354); Zuleeg, NJW 1994, 545 (548). Positiver wird die künftige Rolle des Europäischen Parlaments allerdings von Classen, AöR 119 (1994), 238 (256 ff.), und Schwarze, JZ 1993, 585 (588 f.), eingeschätzt. 203 Scharpf Jahrb. zur Staats- und Verwaltungswissenschaft 1992/93, 165 (168 ff.). 204 Kluth, S. 50; Seidel, EuR 1992, 125 (130 f.); für die EWG: Friauf DVBl. 1964, 781 (786). 205 Kaufmann, S. 357 ff.; Lhotta, Der Staat 36 (1997), 189 (196). 206 Seidel, EuR 1992, 125 (127). 207 Kamann, S. 218; Pernice, DV 1993, 449 (476 f.); Randelzhofer, in: Gedächtnisschrift für Grabitz, 581 (591 ff.). A.A.: Wolf, JZ 1993, 594 (598 f.). Optimistisch im Hinblick auf die Bildung eines europäischen Volkes in Zukunft: Ress, JuS 1992, 985 (987, 991). Nach Art. 17 Abs. 1 S. 2 EGV n.F. (bislang: Artikel 8) wird jedoch der klarstellende Hinweis in den EGV aufgenommen, daß die Unionsbürgerschaft die nationale Staatsbürgerschaft ergänzt, nicht aber ersetzt. 208 In dem Sinne auch Kaufmann, S. 232; Kluth, S. 78. 209 Vgl. Lepsius, in: Wildenmann, Staatswerdung Europas, 19 (22); Kaufmann, S. 232; Kluth, S. 95; Randelzhofer, in: Der Staatenverbund der EU, 39 (54). Zur fehlenden Vergleichbarkeit der Stellung des Europäischen Parlaments mit der der nationalen Parlamente auch: Badura, in: FS für Schambeck, 887 (890); Ipsen, in: FS für Lerche, 425 (438 f.).

202

Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

Die inhaltlichen Einflußmöglichkeiten des Europäischen Parlaments auf die Rechtsetzung sind darüber hinaus grundsätzlich begrenzter Natur. So kann das Europäische Parlament keine Gesetzgebungsvorschläge von sich aus unterbreiten oder ein Rechtsetzungsverfahren in Gang setzten210. Das Initiativrecht fur die Einleitung eines Rechtsetzungsverfahrens liegt ausschließlich bei der Kommission. Hieran vermag auch die Tatsache nichts zu ändern, daß dem Europäischen Parlament zukünftig über die vorgesehene Ausweitung des Mitentscheidungsverfahrens nach Art. 251 EGV n.F. ein stärkerer Einfluß auf die Gesetzgebung der Europäischen Gemeinschaft zuwächst211. Inhaltlich werden die Rechtsetzungsvorschläge maßgeblich in den Arbeits- und Expertengremien der Kommission und des Rates beraten und verhandelt, ohne daß das Europäische Parlament hierauf einen wirksamen Einfluß nehmen könnte 212 . Der Einfluß des Europäischen Parlaments erschöpft sich hauptsächlich in einer begrenzten Mitgestaltungsoption kraft Vetorechts, die in der Literatur als „negative demokratische Kompetenz" bezeichnet worden ist 213 . Um dem Europäischen Parlament zukünftig eine gewichtigere Rolle im Verfahren der Rechtsetzung einzuräumen, müßten überaus schwierige organisatorische Vorfragen geklärt werden. Dem Europäischen Parlament steht keine geschlossene Ministerialbürokratie bei der Rechtsetzung gegenüber, da die Rechtsetzungsvorschläge maßgeblich von Arbeits» und Expertengruppen erarbeitet werden, die mit Vertretern der 15 Mitgliedstaaten besetzt sind 214 . Allein die Zahl der ständigen und nicht-ständigen Sachverständigenausschüsse und -gremien bei der Kommission wird auf über 1000 geschätzt215. Die Anzahl der multilateralen Ausschußsitzungen in Brüssel wird mit ca. 150 pro Woche bei 50 Jahresarbeitswochen beziffert 216 . Das „Arbeitsergebnis" der Kommission soll mehr als 7000 rechtserhebliche Entscheidungen pro Jahr betragen; dies entspricht einem „output" von 150 Entscheidun-

210

Es kann allerdings nach Art. 138 b Abs. 2 EGV (Art. 192 EGV n.F.) mehrheitlich die Kommission auffordern, geeignete Vorschläge für den Erlaß eines Gemeinschaftsrechtsakts zu unterbreiten, den das Europäische Parlament für erforderlich erachtet. 211 Siehe oben, Fußn. 183. 212 Vgl. Leutheusser-Schnarrenberger, in: Recht und Pflicht, 48 (49); Röhl, EuR 1994, 409 (417). 213 Hölscheidt/Schotten, VR 1994, 183 (188). Huber, P.M., Jahrb. zur Staats- und Verwaltungswissenschaft 1992/93, 179 (188). Den Einfluß des Europäischen Parlaments positiver bewertend: Kaufmann, S. 242 f. 214 Leutheusser-Schnarrenberger, in: Recht und Pflicht, 48 (51). 215 KEU-Hummer, Art. 162 Rdnr. 34. Die Anzahl solcher Ausschüsse bzw. Gruppen ist nur schwer zu schätzen, da viele von ihnen ad hoc einberufen werden und nach Erfüllung ihrer Aufgaben nie wieder zusammentreten, während andere wiederum nach Jahren der Vergessenheit wieder reaktiviert werden; die Mehrzahl dieser Gruppen ist von der Kommission selbst eingerichtet worden, ein Zehntel etwa ist vom Rat bei der Kommission eingesetzt worden, vgl. hierzu auch Schmitt von Sydow, EuR 1974, S. 62 ff. 216 Bach, ZfSoz. Bd. 21 (1992), 16 (24).

III. Das Demokratieprinzip

203

gen pro Tag 217 . Neuere Schätzungen gehen sogar von einer Zahl von 12000 förmlichen Rechtsakten pro Jahr aus 218 . Der Prozeß der Rechtsetzung auf EGEbene ist daher nach wie vor so stark exekutivisch geprägt, daß er mit Fug und Recht als „Exekutivrechtsetzung" bezeichnet werden kann 219 . Um diese Gesetzgebungsarbeit, die bislang hauptsächlich von den Bürokratien der Mitgliedstaaten im Zusammenwirken mit der Kommission erledigt wird, wirksam begleiten oder gar selbst maßgeblich in die Hand nehmen zu können, müßte das Europäische Parlament mit einem gigantischen administrativen Unterbau ausgestattet werden 220 . Keineswegs kann das Europäische Parlament im Zusammenspiel der supranationalen Rechtsetzung als „erste Kammer" der Gesetzgebung bezeichnet werden 221 . Im Rechtsetzungsprozeß kommt dem Europäischen Parlament deshalb nach den Worten des Bundesverfassungsgerichts nur unterstützende Funktion zu 222 . Gleichwohl dürfen diese Aussagen auf der anderen Seite aber nicht dazu verleiten, den real vorhandenen Einfluß des Europäischen Parlaments zu unterschätzen 223. Nach dem institutionellen Aufbau der Europäischen Union tritt somit die supranationale Legitimation, die durch das Europäische Parlament vermittelt wird, bei der Rechtsetzung als zweiter Strang hinzu, sozusagen als „zweites Standbein", kann jedoch den mitgliedstaatlichen Strang der demokratischen Legiti-

217

Nach einer Schätzung von Bach, ZfSoz. Bd. 21 (1992), 16 (20), für das Jahr

1990. 218

Oppermann, Europarecht, Rdnr. 392. Ipsen, in: FS für Lerche, S. 425 ff. Andere sprechen gar von einer „Entparlamentarisierung des politischen Prozesses in den Mitgliedstaaten", so: Hänsch, EA 1986, 191 (194 ff.); Klein, H.H., in: FS für Remmers, 195 (199); Pieper, in: FS für Bleckmann, 197 (203 f.); Steinherger, VVDStRL Bd. 50 (1991), 10 (39 f.). 220 Kritisch im Hinblick auf die Schaffung eines funktionstüchtigen parlamentarischen Regierungssystems auf Gemeinschaftsebene auch: Seidel, EuR 1992, 125 (142). A u f die Grenzen der Funktions- und Leistungsfähigkeit der Entscheidungsverfahren auf EG-Ebene hinweisend: Simson/Schwarze, Europäische Integration, S. 15. 221 Grimm, Jahrb. zur Staats- und Verwaltungswissenschaft 1992/93, S. 13 f. Vgl. bereits Friauf, DVBl. 1969, 781 (783), für die damalige „Gemeinsame Versammlung". 222 So das BVerfG in dem Urteil zum Maastricht-Vertrag, vgl. BVerfGE 89, 155 (184 ff.); best, durch Beschluß v. 31.5.1995, 2 BvR 635/95 = NJW 1995. Überzogen die Aussage Hubers, die politische Bedeutung des Europäischen Parlaments sei „en quelque façon nulle", vgl. ders., Jahrb. zur Staats- und Verwaltungswissenschaft 1992/93, 179 (186). Zur Sichtweise Frankreichs vgl. Classen, AöR 119 (1994), 238 (246). 223 Vgl. zum Einfluß des Europäischen Parlaments beim Aufdecken von Versäumnissen im Zusammenhang mit der „BSE"-Krise Rack/Gassner, EuZW 1998, 421 ff. Zu weitgehend daher die Aussage, das Europäische Parlament agiere weitgehend im luftoder „politikleeren" Raum, vgl. Leutheusser-Schnarrenberger, in: Recht und Pflicht, 48 (50 f.). Zu den Einflußmöglichkeiten des Europäischen Parlaments vgl. Kaufmann, S. 234 ff., 242 f.; Schmidthuber, in: FS für Everling, 1265 (1272 ff.). 219

204

Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

mation weder ablösen noch ersetzen 224. Für diesen Befund ist unerheblich, ob allein durch die zukünftige Erweiterung der Mitwirkungsrechte des Europäischen Parlaments Rat und Europäisches Parlament bei der Gesetzgebung in etwa gleichgestellt werden, das Europäische Parlament also die Stellung einer „zweiten Kammer" im Sinne eines echten „Mitgesetzgebers" einnehmen würde 225 . Bereits die Tatsache der Beibehaltung von Art. F Abs. 1 EUV (jetzt: Art. 6 Abs. 3 EUV n.F.), der politischen Vorrangstellung des Europäischen Rats nach Art. D und J.8 EUV (zukünftig: Art. 4 und 13 EUV n.F.), der Verschärfung des Subsidiaritätsprinzips (jetzt: Art. 5 EGV i.V.m. dem Protokoll Nr. 30 über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit) und die ausdrückliche Rückbesinnung auf die Rolle der nationalen Parlamente 226 im Vertrag von Amsterdam belegen, daß grundlegende Änderungen der institutionellen Entscheidungsstruktur weder geplant noch annähernd in Sicht sind 227 . Nach der vertraglichen Struktur der Europäischen Union wird die demokratische Legitimation nach wie vor hauptsächlich über die Mitgliedstaaten vermittelt 228 . Soweit die Bundesorgane daher im Rahmen der Entscheidungsprozesse der Europäischen Union mitwirken, d.h. vor allem an der Rechtsetzungstätigkeit des Rates, greifen die Anforderungen des Demokratieprinzips somit grundsätzlich in gleicher Weise Platz, wie dies im innerstaatlichen Bereich der Fall ist. Das Handeln der Bundesregierung, auch soweit sie im Rahmen des Willensbildungsprozesses des Rates mitwirkt, und auch, soweit sie als „Sachwalter der Länder" 229 nach Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG deren Position vertritt,

224

Deringer, in: FS für Everling, 245 (251 f.); Everling, DVB1. 1993, 936 (944); Heinz, Jahrb. zur Staats- und Verwaltungswissenschaft 1992/93, 33 (38, 42); Henrichs, DÖV 1994, 368 (376); Kamann. S. 258; Ossenbühl, DVB1. 1993, 629 (633 ff.). Ebenso im Ergebnis: Ipsen, in: FS für Lerche, 425 (437 ff.); Kluth, S. 87, 95; Magiern, in: FS für Everling, 789 (798 f.); Pernice, DV 1993, 449 (483); Rupp, NJW 1997, 2210 (2211). A.A.: Meessen, NJW 1994, 549 (552), der höchstens den Grundsatz souveräner Staatlichkeit verletzt sieht. 225 Vgl. die Begründung der Bundesregierung, BT-Drs. 784/97, S. 141, 158. 226 Siehe Fußn. 183. 227 „Ein europäisches Parlament, das diesen Namen verdient und 500 Millionen Menschen mit vierzig oder fünfzig Sprachen repräsentieren soll, ist schlicht Utopie", so Ipsen, in: FS für Lerche, 425 (437), unter Berufung auf ein Peter Glotz zugeschriebenes Zitat. Vgl. auch Grimm, Jahrb. zur Staats- und Verwaltungswissenschaft 1992/93, 13 (15 ff.), sowie Ossenbühl, DVB1. 1993, 629 (635), und Philipp, ZRP 1992, 433 (437 f.). Zuleeg hingegen schätzt die demokratische Funktion des Europäischen Parlaments erheblich höher ein, vgl. ders., in: JZ 1993, 1069 (1070 ff.); ebenso Lenz, in: FS für Helmrich, 269 (272). Kritisch zum Befund des BVerfG Classen, in: AöR 119 (1994), 238 (259); dagegen zutreffend Breuer, N V w Z 1994, 417 (422 ff.). 228 So auch: Badura, EuR 1994, Beiheft 1, 9 (10, 18 ff.); Cremer, EuR 1995, 21 (36); Henrichs, DÖV 1994, 368 (375); Hölscheidt/Schotten, VR 1994, 183 (187). Dies räumen auch die Kritiker des BVerfG ein, vgl. Classen, AöR 119 (1994), 238 (244 ff.); Zuleeg, JZ 1993, 1069 (1071 ff.). 229 BVerfGE 92, 203 (Ls. 1 u. S. 230); siehe auch Teil 2, Kap. III, Fußn. 173.

III. Das Demokratieprinzip

205

stellt aus innerstaatlicher Sicht eine Ausübung von Staatsgewalt dar und bedarf somit der demokratischen Legitimation. Eine Ausnahme hiervon ergibt sich auch nicht daraus, daß bloß „vorbereitende" oder rein „konsultative" Tätigkeiten nach Meinung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Bereich des demokratisch zu legitimierenden Handelns regelmäßig ausscheiden sollen 230 . Die interne Willensbildung des Bundes nach Art. 23 Abs. 5 GG und die Außenvertretung nach Art. 23 Abs. 6 GG ist hiermit nämlich nicht zu vergleichen. Zum einen findet in den Angelegenheiten der Europäischen Union die Bestimmung des Inhalts der zu erlassenden Rechtsakte gerade im vorbereitenden Verhandlungswege statt („Verhandlungsregime"). Dabei werden die Inhalte bereits auf der Beamtenebene meist vollständig vereinbart, ausgehandelt und „festgezurrt", so daß der Ministerrat selbst auf eine Zustimmung oder Ablehnung in toto beschränkt ist 231 . Von reinen „Vorbereitungshandlungen" kann daher bei den Beratungen der Gremien des Rates in Anbetracht der ihnen zukommenden Vorwirkung nicht mehr gesprochen werden 232 . Zum anderen findet dieser ganze Prozeß durch die eigenen Gremien des Rates statt, so daß nicht die Entscheidung eines anderen demokratisch legitimierten Organs vorbereitet wird 2 3 3 . Gleiches gilt für den vorhergehenden oder begleitenden Prozeß der Willensbildung und der Abstimmung zwischen Bundesregierung und Bundesrat. Auch insoweit geht es nicht um die Vorbereitung der Entscheidung eines anderen Organs, sondern um die Festlegung der von der Bundesregierung selbst nach außen zu vertretenden Position des Bundes. An dem Erfordernis einer demokratischen Legitimation des Handelns der Bundesregierung, sei es bei der internen Willensbildung des Bundes, sei es bei der Außenvertretung im Rat, führt demnach kein Weg vorbei.

b) Relativierungen

des Demokratieprinzips

Vereinzelt wird in der Literatur mit Blick auf das in der Präambel und in Art. 23 Abs. 1 GG genannte Staatsziel der Mitwirkung an einer Europäischen Union eine Relativierung der Grundsätze des Art. 79 Abs. 3 GG im Wege der Herstellung einer „praktischen Konkordanz" zwischen beiden Bestimmungen

230

BVerfGE 83, 60 (74); 47, 253 (273). Zu der Tatsache, daß die „transnationalen Kommunikationsstrukturen" selbst die vertikalen Behördenstrukturen durchbrechen können, vgl. Bach, ZfSoz. Bd. 21 (1992), 16 (25 f.); Frisch, in: Koch/Senghaas, Technokratiediskussion, 90 (104 ff.). 232 Zum Problem der vorwirkenden Legitimationsverantwortung vgl. Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (373 f.). 233 Diese Konstellation liegt aber dem von BVerfG entschiedenen Ausnahmefall gerade zugrunde, vgl. BVerfGE 83, 60 (74); 47, 253 (273). 231

206

Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

gefordert 234. Zutreffend hieran ist der Befund, daß die Mitgliedschaft in der Europäischen Union, das Verfahren der Rechtsetzung und der andersartige institutionelle Aufbau der Europäischen Union die Bundesrepublik Deutschland innerstaatlich vor erhebliche verfassungsrechtliche Probleme stellen. Einerseits verlieren die Länder immer mehr an eigenen Rechtsetzungskompetenzen, andererseits verliert auch der Bundestag an Kompetenzen und an Einflußmöglichkeiten. Gerade im Hinblick auf den letztgenannten Aspekt hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich eingeräumt, daß aufgrund der Mitwirkung der Bundesrepublik Deutschland an der Europäischen Union die demokratische Legitimation nicht in gleicher Weise vermittelt werden kann wie im innerstaatlichen Be" reich 235 . Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zum MaastrichtVertrag zur Frage der Geltung des Art. 79 Abs. 3 GG wie folgt Stellung genommen: „... Zu dem gemäß Art. 79 Abs. 3 GG nicht antastbaren Gehalt des Demokratieprinzips gehört, daß die Wahrnehmung staatlicher Aufgaben und die Ausübung staatlicher Befugnisse sich auf das Staatsvolk zurückführen lassen und grundsätzlich ihm gegenüber verantwortet werden. Dieser notwendige Zurechnungszusammenhang läßt sich auf verschiedene Weise, nicht nur in einer bestimmten Form, herstellen. Entscheidend ist, daß ein hinreichend effektiver Gehalt an demokratischer Legitimation, ein bestimmtes Legitimationsniveau, erreicht wird (vgl. BVerfGE 83, 60 (72)) ..." 2 3 6 .

Gleichwohl ließe sich hiermit eine Aufweichung der grundlegenden Anforderungen des Art. 79 Abs. 3 GG nicht rechtfertigen. Art. 79 Abs. 3 GG entzieht die „Grundsätze" der in Art. 20 GG niedergelegten Staatsstrukturprinzipien jeglicher Änderung durch den verfassungsändernden Gesetzgeber. Geschützt ist insoweit zwar nur ein Kernbereich, dieser aber absolut 237 . Auch wären weder allmähliche Prozesse der „schleichenden Aushöhlung" des Kernbereichs 238 noch Einbrüche durch verfassungsexterne Entwicklungen mit Art. 79 Abs. 3 GG zu vereinbaren 239. Durch den Hinweis in Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG auf Art. 79 Abs. 3 GG hat der verfassungsändernde Gesetzgeber ausdrücklich die Grenzen seiner eigenen Legitimation als staatlich verfaßte Gewalt bekräftigt. Hieraus kann gefolgert werden, daß der Gesetzgeber auch im Verlauf der europäischen Einigung keine Aushöhlung oder Relativierung der Staatsstrukturprinzipien anstreben will 2 4 0 . Die Gesetzgebungsmaterialien belegen dies auch in deutlicher Wei234

So etwa König., ZaöRV 1994, 17 (37 ff.; 47 f.); Pernice , DV 1993, 449 (477 ff.); ähnlich Hobe, S. 157 ff. A.A.: Schmitt Glaeser, Grundgesetz und Europarecht, S. 61 ff. (in bezug auf Art. 24 Abs. 1 ). 235 BVerfGE 89, 155 (182). 236 BVerfGE 89, 155 (182). 237 Siehe oben, Kap. II, Fußn. 23. 238 Siehe oben, Kap. II, Fußn. 21. 239 BVerfGE 73, 339 (375 f.); GGK-Rojahn, Art. 23 Rdnr. 11 und Art. 24 Rdnr. 52 ff.; SGK-Lücke, Art. 79 Rdnr. 20. 240 Vgl. auch Isensee, in: FS für Everling, 567 (588 f.).

III. Das Demokratieprinzip

207

se. So hatte der bereits mehrfach zitierte „Sonderausschuß Europäische Union" des Deutschen Bundestages in seiner Stellungnahme zu Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG ausgeführt, „... daß die absoluten Grenzen des Art. 79 Abs. 3 GG auch auf dem Weg in die Europäische Union und beim Fortschritt in der Union zu beachten sind. Auf dem Weg in die Europäische Union und im Rahmen der Weiterentwicklung der Europäischen Union stehen deshalb die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder an der Gesetzgebung oder die in Art. 1 und 20 des Grundgesetzes niedergelegten Grundsätze nicht zur Disposition" 241 .

Insoweit herrschte beim verfassungsändernden Gesetzgeber weder Unsicherheit 242 , noch kann man diesem eine gegenteilige Intention unterstellen 243. Bei den erwähnten Erfordernissen handelt es sich nicht etwa um eine Erfindung oder einen Anachronismus des Bundesverfassungsgerichts, sondern um eine vom Verfassungsgeber mit Art. 79 Abs. 3 GG bewußt eingerichtete Begrenzung des Geltungsanspruches aller staatlich verfaßten Gewalt 244 . Nicht diese definiert das Volk und ihre eigene Legitimation; vielmehr bezieht sie ihrerseits erst ihre Legitimation aus dem verfassunggebenden Akt des zuvor vorhandenen Vol" kes 245 . Die Blickrichtung des Art. 79 Abs. 3 GG ist damit, wie vielfach verkannt wird, nicht etwa rückwärtsgerichtet 246. Art. 79 Abs. 3 GG will vielmehr die Voraussetzungen dafür sichern, daß nachfolgende Generationen die Rechts- und Verfassungsordnung nach ihren Bedürfnissen im Wege von Mehrheitsentscheidungen gestalten und von ihrem Selbstbestimmungsrecht weiterhin Gebrauch machen können 247 . Die Autoren, die dem Bundesverfassungsgericht deshalb in polemischer Weise eine „eindimensionale und staats-zentrierte Wahrnehmung sozialer Vorgänge nach Art eines ptolemäischen Weltbildes" und ein „Denken gegen die Zukunft" vorwerfen 248 , übersehen neben der Entscheidung des Gesetzgebers in Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG und der Existenz des Art. 79 Abs. 3 GG ebenfalls, daß die Europäische Union ihre Legitimation nicht aus sich selbst

241

BT-Drs. 12/3896, S. 18; Hervorheb. durch den Verf. So aber Lhotta, Der Staat 36 (1997), 189 (195). 243 Eine solche gegenteilige Intention liegt z.B. den Ausführungen Hobes, S. 161, implizit zugrunde. 244 Kirchhof in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, § 19 Rdnr. 32, 35. 245 Ebenso: Graf Kielmansegg, in: Reform der Europäischen Union, 229 (234 f.); Kirchhof in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, § 19 Rdnr. 56 ff. 246 Kirchhof in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, § 19 Rdnr. 10. Zustimmend zum Maastricht-Urteil des BVerfG ebenfalls Pechstein,, NJW 1998, 569, (570). 247 BK-Evers, Art. 79 Rdnr. 68. 248 Bieber, in: Verfassungsrecht im Wandel, 291 (300, 303); ähnlich kritisch: Classen,, in: AöR 119 (1994), 238 (259); Lhotta, Der Staat 36 (1997), 189 (206 f.). Scharfe Kritik übt auch Weiler, in: JöR Bd. 44 (1996), 91 (94 ff.). Bezeichnenderweise erwähnen Bieber, Lhotta und Weiler in ihrer Argumentation mit keinem Wort die Vorschrift des Art. 79 Abs. 3 GG. 242

208

Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

heraus begründet, sondern diese Legitimation nach dem Selbstverständnis der Gemeinschaftsverträge de jure wie de facto gerade von dem Willen der Völker in den Mitgliedstaaten ableitet 249 . Die Aussagen zur Geltung des Demokratieprinzips in der Europäischen Gemeinschaft hat das Gericht dabei ohnehin bereits auf der Basis seines restriktiven Verständnisses des Art. 79 Abs. 3 GG getroffen 250 . Modifizierungen im Hinblick auf eine Sonderlage entsprechend deren Eigenart oder aus evident sachgerechten Gründen bleiben zulässig, sofern den Grundsätzen dadurch Rechnung getragen wird, daß diese Modifizierungen in „systemimmanenter Weise" erfolgen 251 . Auch gegen einen weiteren Ausbau der Kompetenzen des Europäischen Parlaments sperrt sich das Bundesverfassungsgericht nicht. Entscheidend ist jedoch, „daß die demokratischen Grundlagen der Union schritthaltend mit der Integration ausgebaut werden und auch im Fortgang der Integration in den Mitgliedstaaten eine lebendige Demokratie erhalten bleibt" 252 . Es mag danach im Einzelfall schwierig zu bestimmen sein, ob und welche Änderungen oder Modifizierungen als „systemimmanent" in diesem Sinne gelten können oder nicht. Jedenfalls beziehen sich die Aussagen des Bundesverfassungsgerichts bereits vom Wortlaut her nur auf modale Ausformungen der Grundprinzipien, insbesondere im Hinblick auf die jeweils gewählte Form. Keinesfalls nur zu den system immanenten und somit änderbaren Formfaktoren rechnet das Prinzip der Volkssouveränität an sich 253 . Hierbei handelt es sich vielmehr um ein systembildendes oder -begründendes Merkmal für das Demokratieprinzip des Grundgesetzes selbst254. Ob und welche materiellen und verfahrensmäßigen Ausgestaltungen des Demokratieprinzips auf Gemeinschaftsebene, die den Erfordernissen des Art. 79 Abs. 3 GG Rechnung tragen, in Zukunft an die Stelle der bisherigen Strukturprinzipien des Grundgesetzes treten können, bedarf im vorliegenden Zusam249

Huber, P.M., in: Verfassungsrecht im Wandel, 349 (360). Vgl. auch Hilf, in: Gedächtnisschrift für Grabitz, 157 (166 f.), sowie Isensee, in: FS für Everling, 567 (570), der zutreffend auf die Widersprüchlichkeit der Kritiker hinweist, die einerseits das Denken in staatlichen Kategorien als anachronistisch verwerfen, andererseits eben eine solche Staatlichkeit für Europa befürworten. 250 Siehe zum Verständnis des BVerfG von Art. 79 Abs. 3 GG oben, Kap. II, zu den Fußn. 11 und 24. 251 Noch großzügiger insoweit: BVerfGE 30, 1 (24 f.). Zur Problematik der „Grundsätze" vgl. oben, Teil 3, Kap. I L I . a), S. 163 f. 252 BVerfGE 89, 155 (185 f.); best, durch Beschluß v. 31.5.1995, 2 BvR 635/95 = NJW 1995. 253 Auch die Staatlichkeit Deutschlands kann indirekt aus Art. 79 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG entnommen werden: Isensee, in: FS für Everling, 567 (588 f.); Kirchhof in: Europa als politische Idee, 63 (96 ff.); Lerche, in: FS für Redeker, 131 (134); Penski, ZRP 1994, 192 (193 f.), Schilling, AöR 116 (1991), 32 (54 f.); kritisch hingegen: Pernice , DV 1993, 449 (472 f.). Zu dieser Diskussion siehe auch bereits die oben, Kap. II, in Fußn. 60 genannten Autoren. 254 In diesem Sinn auch: Kaufmann, S. 469 ff.; Penski, ZRP 1994, 192 (195).

III. Das Demokratieprinzip

209

menhang allerdings keiner weiteren Vertiefung 255 . Angesichts der vorhandenen vertraglichen Struktur der Europäischen Union handelt es sich hierbei um eine hypothetische Fragestellung. Von einer strukturellen „Kompensation" demokratischer, auf das Staatsvolk zurückgehender Einflußmöglichkeiten durch einen entsprechenden Gewinn an Einfluß- und Gestaltungsmöglichkeiten auf gesamteuropäischer Ebene, der Anlaß bieten könnte, über Relativierungen des demokratischen Prinzips nachzudenken, kann nach einer Analyse der Strukturen des Rechtsetzungsverfahrens nach dem EGV nicht die Rede sein. Eine beliebige Menge an herrschaftsunterworfenen EG-Bürgern könnte das Legitimitätsmodell der parlamentarischen Demokratie in ihrer Ausprägung als Staatsform nicht in Anspruch nehmen, sondern nur eine real vorhandene, entsprechend konstituierte politische Einheit 256 . Und gerade an diesem Element fehlt es nach dem oben Gesagten in der Europäischen Union. Die Demokratisierung der Europäischen Union ist kein „deus ex machina", sondern sie wird nach wie vor von den Mitgliedstaaten gespeist257. Auch der Vertrag von Amsterdam sieht keinerlei Änderungen des EUV und des EGV vor, die in Richtung eines europäischen Bundesstaates oder einer Ablösung der Europäischen Union von ihren mitgliedstaatlichen Grundlagen zielen würden 258 . Solange der demokratische Legitimationsstrang für das Handeln des Rates über die Mitgliedstaaten erfolgt, muß im Hinblick auf das Handeln der deutschen Organe nach Art. 79 Abs. 3 GG den Erfordernissen einer „ununterbrochenen Legitimationskette" zum Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland sowie einer hinreichenden „Effektivität" der vermittelten Legitimation entsprochen werden. Bei diesen Merkmalen handelt es sich, wie oben gezeigt, um unverzichtbare Eckpfeiler des Demokratieverständnisses des Grundgesetzes. Die änderungsfesten Grundsätze des Art. 79 Abs. 3 GG sind darüber hinaus untereinander gleichwertig und gleichrangig: Sie ergänzen sich, modifizieren sich und können sich auch gegenseitig begrenzen 259. Unter Berufimg auf die Erfordernisse der europäischen Integration oder auf das Bundesstaatsprinzip können aber keine Abstriche von den unabänderlichen Kerngehalten des Demokratieprinzips gemacht werden. Die demokratische Legitimation der Entscheidungsprozesse der Europäischen Union könnte daher auch nicht „funktionell" durch Verschmelzung verschiedener Legitimationsquellen oder im Wege einer erhöhten Akzeptanz bürokratischer Eliten herge-

255

Zum Gedanken der Kompensation durch „strukturelle Kongruenz", vgl. Cremer, EuR 1995, 21 (34 ff.); König,, ZaöRV 1994, 17 (39); Herdegen,, EuGRZ, 92, 589 (593). Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Pernice , DV 1993, 449 (478 f.). Kritisch: Di Fabio , Der Staat 32 (1993), 191 (199 ff.). 256 Kaufmann,, S. 250 f., 471 ff. 257 Vgl. Ziebura, Regionale Verflechtung, 293 (310). 258 Vgl. zu Vertrag von Amsterdam die Würdigung der Bundesregierung, BR-Drs. 784/97, S. 140 ff. 259 Kirchhof in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, § 19 Rdnr. 69 ff., 85 ff. 14 Halfmann

210

Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

stellt werden 260 . Zwar ist nicht zu verkennen, daß der Entscheidungsprozeß der Europäischen Gemeinschaft ganz im Sinne der Gründungsverträge in hohem Maße „elitär" sein will und auf eine gesonderte Legitimation kraft einer spezifischen Zweckorientiertheit, Funktionalität und Sachlogik, verkörpert in den Expertengremien der Kommission und des Rates, abzielt 261 . Eine Verselbständigung und Überhöhung bestehender oder vorgeblicher ökonomischer und administrativer „Systemimperativen" liefe jedoch dem Anspruch der politischen Selbstbestimmung der staatlich geeinten Werte- und Rechtsgemeinschaft, des Volkes freier Bürger, den das Demokratieprinzip des Grundgesetzes gewahrt wissen will, gerade zuwider 262 . Das Bedürfnis nach „Effizienzgewinn" vermag aus sich heraus, so verständlich es auch erscheinen mag, nicht die erforderliche demokratische Legitimation zu ersetzen 263. Das „DemokratiemodeH" des Grundgesetzes unterscheidet sich in diesem Punkt ganz wesentlich von dem begrenzten, funktionalistischen Ansatz der Gemeinschaftsverträge. Das Spannungsverhältnis zwischen den Erfordernissen der Vermittlung demokratischer Legitimation durch die Mitgliedstaaten und dem Funktionieren - der „Effizienz" - der supranationalen Entscheidungsprozesse kann demnach nur in einer Art und Weise aufgelöst werden, die den Anforderungen der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen und der Gemeinschaftsrechtsordnung gleichermaßen gerecht wird. So würde eine schlichte Übertragung der Vorstellungen der klassischen parlamentarischen Demokratie angesichts der geschilderten institutionellen Besonderheiten des supranationalen Rechtsetzungsprozesses ebenso zu kurz greifen 264 wie eine Aufgabe der demokratischen Mindestanforderungen des Art. 79

260 Vgl. die „Fusionsthese44 bei: Ipsen, Fusionsverfassung, S. 65 f.; Wessels, in: Die Integration Europas, 36 (40 ff.; 51 ff.); ähnlich Bach, in: Winkler/Kaelble, Nationalismus, 288 (308). Herausragender Vorreiter des Gedankens, daß die Sachgesetzlichkeiten der wissenschaftlich-technischen Zivilisation der Demokratie ihre Substanz entzögen und selbst keiner Legitimität mehr bedürften, war Helmut Schelsky, Der Mensch in der wissenschaftlichen Zivilisation, 439 (453 ff.); dagegen zutreffend: Offe , in: Koch/Senghaas, Technokratiediskussion, S. 156 ff.; kritisch ebenfalls: Graf Kielmansegg, in: Reform der Europäischen Union, 229 (240). Eine Darstellung des Demokratiemodells aus funktional istischer Sicht findet sich auch bei Kaufmann, S. 287 ff. 261 Vgl. Bach, in: Winkler/Kaelble, Nationalismus, 288 (298 ff); Häckel, Regionale Verflechtung, 15 (34). 262 Kaufmann, S. 314, 333 ff. Ähnlich: Eidenmüller, S. 207 ff., 213 ff., 220 ff., 414 ff. Greiffenhagen, in: Koch/Senghaas, Technokratiediskussion, 54 (55 ff.). Ein anschauliches Beispiel für die Gegenläufigkeit von Effizienzerwägungen und Individualinteressen war die „BSE-Krise 44 , bei der die Kommission trotz nachweislich drohender Gesundheitsgefahren dem Funktionieren des Binnenmarktes den Vorzug einräumte, vgl. Rack/Gassner, EuZW 1998, 421 (423 ff.). 263 Überzeugend: Eidenmüller, S. 414 ff.; in dem Sinne auch: Kamann, S. 278 f.; Pechstein, NJW 1998, 569 (570 ff.). Auf die Grenzen der Figur des „effet utile 44 weist auch Breuer hin, vgl. ders., NVwZ 1998, 1001 (1007). 264 Vgl. Bach, in: Winkler/Kaelble, Nationalismus, 288 ff.

III. Das Demokratieprinzip

211

Abs. 3 GG, zu der darüber hinaus die staatlich verfaßte Gewalt, wie gezeigt, nicht befugt wäre.

c) Problematik der Realisierbarkeit

der demokratischen Rückbindung

In dem vorliegenden Zusammenhang darf allerdings die Tatsache nicht unerwähnt bleiben, daß die faktische Realisierbarkeit der vom Grundgesetz geforderten inhaltlichen Rückbindung des Handelns der Regierung an den repräsentierten Willen des Volkes in den Angelegenheiten der Europäischen Union unter anderen Determinanten steht als bei innerstaatlichem Handeln und nur in erschwerter Form möglich ist 265 .

(1) Erschwernisse aufgrund des supranationalen Entscheidungsprozesses Bedingt durch die Besonderheiten der Struktur und Arbeitsweise des Rates sowie des Ablaufs des Rechtsetzungsverfahrens auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft, mangelt es an der für eine wirkungsvollen Kontrolle notwendigen Transparenz der Entscheidungsprozesse. Dem Gemeinschaftsorgan „Rat" steht kein einheitliches, unmittelbar demokratisch legitimiertes Organ gegenüber, das den Rat als Ganzes kontrollieren könnte 266 . Vielmehr erfolgt die erforderliche demokratische Rückbindung jeweils getrennt nach Regierung über die nationalen Parlamente. Die Situation ist insoweit vergleichbar mit der des Bundesrates im nationalen Bereich. Die Entscheidung der einzelnen Regierungen geht regelmäßig vollständig in dem Kollegialorgan „Ministerrat" auf, so daß die individuelle Zurechenbarkeit der Handlungen des einzelnen Regierungsvertreters nicht mehr klar auszumachen ist 267 . Bei Mehrheitsentscheidungen kann sich der betreffende Minister hinter der Mehrheit „verstecken", da die Entscheidungs- und Abstimmungsverläufe im Rat nach Art. 4 seiner Geschäftsordnung regelmäßig nicht veröffentlicht werden 268 . Eine gewisse Auflockerung dieses Prinzips sieht Art. 6 GO des Rates vor, wonach Orientierungsaussprachen über das halbjährliche Arbeitsprogramm sowie gegebenenfalls über das jährliche Arbeitsprogramm der Kommission von den audiovisuellen Medien öffentlich übertragen werden. Des weiteren ordnet Art. 7 Abs. 5 der GO des Rates die Veröffentlichung der Abstimmungsprotokolle an, wenn der Rat als Gesetz-

265

Hierzu auch Bleckmann, JZ 1990, 301 (302 ff.). Vgl. Kamann, S. 269. 267 So bereits: Friauf DVB1. 1964, 781 (784); Magiern, in: FS für Everling, 789 (793); Zuleeg, JZ 1993, 1069 (1073). 268 Bleckmann, Europarecht (5. Aufl.), Rdnr. 42; Friauf DVB1. 1964, 781 (784). Ähnlich auch: Hänsch, EA 1986, 191 (197); Pohle, ZParl 1993, 49 (54 f.). 266

212

Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

geber in den dort näher bezeichneten Fällen tätig wird, d.h. bei Abstimmungen über Rechtsakte im Verfahren nach den Art. 43, 189b und 189c EGV 2 6 9 . Gleiches gilt für seine Abstimmungen im Rahmen des Vermittlungsausschusses nach Art. 189b Abs. 4 bis 6 EGV. In anderen Fällen kann der Rat einstimmig 270 oder mit der Mehrheit seiner Mitglieder 271 die Veröffentlichung der Abstimmungsergebnisse beschließen. Der Beratungsverlauf und die einzelnen Erklärungen der Ratsmitglieder werden dagegen grundsätzlich nicht veröffentlicht 272 . Gleiches gilt für die vorbereitenden Sitzungen der einzelnen Arbeits- und Expertengremien unterhalb der Ratsebene; die dort angefertigten Sitzungsprotokolle verbleiben ausschließlich in der Sphäre des jeweiligen Ressorts 273. Trotz der Herstellung einer gewissen Transparenz haben die Akteure des Gesetzgebungs- und Verhandlungsprozesses immer die Möglichkeit, auf die politische und divergierende Interessenlage im Rat zu verweisen, die eine (vollständige) Durchsetzung der jeweiligen nationalen Position nicht zugelassen habe 274 . Ganz allgemein vollziehen sich die Entscheidungsprozesse, vor allem auf der Ebene der Untergremien des Rates und der Kommission, wo die wichtigen Weichenstellungen in inhaltlicher Hinsicht erfolgen, in nichtöffentlichen Verhandlungen und fernab von der nationalen Bühne im Ausland, so daß sie weder für den Deutschen Bundestag noch für das Wahlvolk transparent und sichtbar sind 275 . Bei den nationalen Parlamentswahlen, bei denen die Regierung ihre Politik vor

269

Die GO des Rates nennt im Anhang Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen, die in den oder für die Mitgliedstaaten bindend sind. Andere Entscheidungsprozesse, die z.B. auf den Erlaß interner Maßnahmen dienen oder nur vorbereitender Art sind, zählen nicht hierzu. Vgl. näher hierzu: Bandilla/Hix, NJW 1997, 1217 (1218). 270 Bei Handlungen des Rates im Rahmen des Titels V und V I EUV. 271 Dies gilt für alle übrigen, nicht in Art. 7 Abs. 5 aufgeführten Fälle. Hierfür bleibt es beim Beschlußmodus des Art. 148 Abs. 1 EGV, vgl. Glaesner, EuR 1994, Beiheft 1, 25 (28). 272 Siehe aber Art. 5 Abs. 2 GO des Rates vom 6.12.1993, ABl. EG Nr. L 304 v. 10.12.1993, S. 1 : Danach können auch die Erklärungen zur Stimmabgabe auf Antrag der betroffenen Ratsmitglieder im Einklang mit dieser Geschäftsordnung und unter Wahrung der Rechtssicherheit und der Wahrung der Interessen des Rates veröffentlicht werden. In den bislang strittigen Fällen hat die Bundesregierung das Abstimmungsergebnis bekanntgegeben, vgl. Streinz, Bundesverfassungsgerichtliche Kontrolle, S. 51. Eine Änderung könnte in Zukunft auch durch Art. 1 Abs. 2 EUV n.F., Art. 207 Abs. 3 und Art. 255 EGV n.F. eintreten, die ein besonderes Transparenzprinzip statuieren. So sollen in Zukunft nach Art. 207 Abs. 3 S. 4 EGV n.F. immer dann, wenn der Rat als Gesetzgeber tätig wird, die Abstimmungsergebnisse, die Erklärungen zur Stimmabgabe und die Protokollerklärungen veröffentlicht werden. 273 Vgl. Rath, ZParl Sonderband 1/1995, 114 (132). 274 Friebe, S. 52. 275 Krauß spricht im Zusammenhang mit der Regierungskonferenz von 1996 von „Metternichscher Geheimdiplomatie" bei den Verhandlungen, vgl. ders., ZParl 1998, 64 (65). Hinzu kommt, daß die innerstaatlichen Prozesse ähnlich intransparent verlaufen können, vgl. bereits oben, Teil 3, Kap. II.2. c) (3), S. 179 ff.

III. Das Demokratieprinzip

213

der Gesamtheit der Bürger zu verantworten hat, spielte die europäische Politik bislang auch nur eine Nebenrolle 276 . Das Problem, daß die Verhandlungsergebnisse, die den Exekutivspitzen zur Abstimmung vorgelegt werden, weitgehend durch die vorbereitenden Beratungen festgeschrieben sind, und die damit einhergehende Verkürzung des potentiellen Entscheidungsspielraums trifft die Abgeordneten des Deutschen Bundestages ungleich schwerer: Deren Möglichkeiten, Einfluß auf das Ergebnis der Beratungen zu nehmen, sind noch geringer als die der Regierung, so daß sie sich häufig mit „faits accomplis" konfrontiert sehen277. Diese Schwierigkeiten hängen neben den innerstaatlichen Gegebenheiten nicht zuletzt mit einem Aspekt des supranationalen Rechtsetzungsprozesses zusammen, der als „Verhandlungsregime" 278 bezeichnet wird und der weiter unten im Zusammenhang mit der Praktikabilität des Art. 23 GG noch näher erläutert werden soll 279 .

(2) Innerstaatlich bedingte Erschwernisse Hinzu gesellen sich innerstaatliche Hindernisse einer parlamentarischen Rückbindung, deren Ursachen teils im parlamentarischen System angelegt sind 280 , teils in der Dynamik und dem raschen Zeitablauf der Entscheidungsprozesse sowie teils in organisatorischen Mängeln und der Flut der Dokumente zu suchen sind 281 , die zudem oft nur in nichtdeutscher Sprache vorliegen. Diese Gegebenheiten bereiten selbst der Bundesregierung als Exekutivorgan nicht unerhebliche Schwierigkeiten, die nötige Willensbildung und Abstimmung innerhalb der Bundesressorts durchzuführen 282. Auf Seiten des Parlaments führen die 276

Vgl. Graf Kielmansegg, in: Reform der Europäischen Union, 229 (233). Classen , ZRP 1992, 57, (61); Curtin, CMLR 1993, 17 (18 ff.). Siehe auch bereits oben, Teil 3, Kap. II.2. c) (3), S. 179 ff. 278 Leutheusser-Schnarrenberger, in: Recht und Pflicht, 48 f. 279 Siehe hierzu das Kapitel IV.3. b) zu (2), S. 262 ff. 280 Die zahlreichen Determinanten der Kontroll- und Entscheidungsprozesse können hier nicht abschließend aufgezählt werden. Sie reichen von Fragen der Organisation bis hin zur Rolle der Parteien und den eingespielten Mechanismen der Willensbildung zwischen Bundestag und Bundesregierung, vgl. allgemein hierzu: Leibholz, S. 98 ff.; Schneider, H.-P., in: Benda/Maihofer/Vogel, HdbVerfR, § 13 Rdnr. 114 ff. Speziell zur Entscheidungsfindung in EG-Angelegenheiten: Kabel, in: Gedächtnisschrift für Grabitz, S. 241 (257 ff.); Weber-Panariello, S. 243 ff. 281 Die Zahl der BT-Drucksachen und der EG-Dokumente betrug: 8. Wahlperiode: 4520 Drucksachen - 1706 EG-Vorlagen; 9. WP: 2443 Drucksachen - 1100 EG-Vorlagen; 10. WP: 6830 Drucksachen - 1685 EG-Vorlagen; 11. WP: 8546 Drucksachen 2413 EG-Vorlagen; 12. WP: 8611 Drucksachen - (EG-Vorlagen noch nicht bekannt); Angaben bis zur 10. WP aus: Friebe, S. 52, Fußn. 65, m.w.N., ab der 11. WP Angaben laut Auskunft des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages. Vgl. auch Gusy, DVBl. 1998, 917 (922 ff.). 282 Röhl, EuR 1994, 409 (443). 277

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Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

geschilderten Umstände zwangsläufig dazu, daß der Deutsche Bundestag selbst Ansätze exekutivischer Entscheidungsstrukturen annehmen muß, um die Bundesregierung fortlaufend und wirksam einer vollen parlamentarischen Kontrolle unterziehen zu können: So ist zeitgleich mit der Regelung der Mitwirkungsbefugnisse des Bundestages Art. 45 GG über den Ausschuß für Angelegenheiten der Europäischen Union in das Grundgesetz eingefügt worden. Der EU-Ausschuß kann vom Bundestag nach Art. 45 S. 2 GG ermächtigt werden, die Rechte des Bundestages nach Art. 23 GG gegenüber der Bundesregierung wahrzunehmen. Grundlegendes Motiv für die Einführung eines EU-Ausschusses bildeten eben die Besonderheiten des Willensbildungsprozesses in der Europäischen Union sowie der Zeitdruck, unter dem die Meinungsbildung und Entscheidungsfindung des Bundes stehen können 283 . Allerdings hat bereits vor Einsetzung des EU-Ausschusses die tatsächliche Willensbildung des Bundestages überwiegend nicht im Plenum, sondern im vorhinein in den jeweils zuständigen Fachausschüssen stattgefunden 284. Nach Untersuchungen nimmt der Bundestag in mehr als 90 % aller Fälle nur routinemäßig von den Rechtsetzungsvorhaben der Europäischen Gemeinschaft Kenntnis 285 . Weber-Panariello hat das Verfahren im einzelnen ausführlich geschildert und kommt zu dem Schluß: „Das Plenum folgt fast ausnahmslos der Ausschußempfehlung. Praxis ist es zudem, entweder auf eine Aussprache ganz zu verzichten oder eine mit anderen Vorlagen verbundene Debatte zu führen. Bei diesen „anderen Vorlagen" handelt es sich um weitere Beschlußempfehlungen zu EG-Vorlagen, Berichte der Bundesregierung zu EG-Themen sowie oftmals um Regierungserklärungen und Interpellationen zu europapolitischen Fragen. Auf die einzelnen EG-Vorlagen wird in diesen ,großen Europadebatten' mit Ausnahme der Berichterstattung überhaupt nicht Bezug genom„ - „ 44.286 men.

Diese Praxis, verbundene Debatten zu führen, hat nach Ansicht Weber-Panariellos in der Vergangenheit dazu geführt, daß die EG-Vorlagen viel zu spät diskutiert worden seien. Im Zeitraum von 1980 bis 1986 wären mehr als die Hälfte 283

Vgl. die Begründung im Bericht der GVK, S. 47 f. Näher zur Entstehungsgeschichte und Funktionsweise des Ausschusses: Brück,; ZParl 1988, 220 ff.; Lang,; S. 295 ff.; 332 ff.; Weber-Panariello, S. 242 ff., 268 ff. 284 Vgl. auch die Darstellung bei Kabel,\ in: Gedächtnisschrift für Grabitz, S. 241 (251 ff.). 285 Hänsch, EA 1986, 191 (197). Nur in ca. 7 % aller EG-Vorlagen wurde von den Ausschüssen eine über die Kenntnisnahme hinausgehende Beschlußfassung empfohlen. Aktuell liegt die Zahl laut Auskunft des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages immer noch unter 10 %. Allerdings ist zu berücksichtigen, daß die Masse der Vorhaben eher technische Detailregelungen betrifft, die innerstaatlich nicht in den Bereich der parlamentarischen Zuständigkeit fallen würden, vgl. Rath., ZParl Sonderband 1/1995, 114(135). 286 Weber-Panariello., S. 254. Ebenso: Kabel.\ in: Gedächtnisschrift für Grabitz, S. 241 (254).

III. Das Demokratieprinzip

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aller EG-Vorlagen zum Zeitpunkt der Befassung im Plenum bereits im Amtsblatt der EG publiziert, verkündet und in Kraft getreten 287. Die Beratung in den Ausschüssen erfolgt in der Regel nichtöffentlich und in enger Zusammenarbeit mit den Beamten der jeweils zuständigen Ministerien. Dies führt nicht selten soweit, daß die Beschlußempfehlungen von der Regierung im Wege der „Formulierungshilfe" geradezu „bestellt" werden 288 . Die öffentlich sichtbare Tätigkeit der Parlamente im Plenum stellt heute gleichsam nur die „Spitze des Eisbergs" der Parlamentsaktivitäten dar 289 . Das höchst komplizierte Geflecht zwischen Ausschüssen und Unterausschüssen, Fraktionen und Regierungsvertretern sowie die Komplexität der zu beratenden Materien einschließlich des damit häufig verbundenen Zeitdrucks üben einen starken Druck in Richtung auf die Bildung exekutiver Entscheidungsstrukturen aus, von denen auch das Parlament nicht verschont bleibt. Es ist eine allgemeine Beobachtung, daß aufgrund der „Schnellebigkeit" der modernen, technologisierten Gesellschaft mit ihren sich stetig wandelnden Verhältnissen hochflexible, regierungsähnliche Entscheidungsprozesse und -abläufe begünstigt werden, die zum einen zu einer Verlagerung der Parlamentsarbeit in exekutivisch arbeitende Ausschüsse fuhren, zum anderen aber auch eine wachsende Koordination und Verflechtung der Exekutiven von Bund und Ländern nach sich ziehen 290 . Das Problem der Verlagerung der parlamentarischen Repräsentation in regelmäßig nichtöffentlich tagende Ausschüsse und Fraktionen, in denen der Parteiproporz die Richtung der Willensbildung bestimmt 291 , ist daher auch kein Phänomen, das erst im Zusammenhang mit der europäischen Integration entstanden wäre. Vielmehr bildete es bereits in den letzten Jahrzehnten Gegenstand

287 Weber-Panariello, S. 254. Vgl. auch: Brück, ZParl 1988, 220 (221); Hänsch, EA 1986, 191 (197). Hierbei handelt es sich nicht nur um ein deutsches, sondern um ein europaweites Problem, vgl. Pohle, ZParl 1998, 77 (79). 288 Weber-Panariello, S. 252. 289 So Ockermann/Glende, S. 64. Kritisch im Hinblick auf die fehlende Transparenz: Mengel, S. 279 f. 290 Vgl. bereits die Anmerkungen zu den faktischen Ingerenzen der Länder, Teil 3, Kap. II.2. c) (3), S. 179 ff. Allgemein zu dieser Entwicklung: Brohm, in Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, § 36 Rdnr. 5 ff.; Collies, DÖV 1997, 889 (897); Schenke, JuS 1989, 698 (700 ff.). Zum Phänomen der Bildung neuer Formen der gesellschaftlichen Steuerung aufgrund der technologischen Entwicklung: Hofmann, Hasso, in: Benda/Maihofer/Vogel, HdbVerfR, § 21 Rdnr. 47 ff.; Streinz, BayVBl. 89, 550 (551). 291 Nach Schneider, H.-P., in Benda/Maihofer/Vogel, HdbVerfR, § 13 Rdnr. 65, ist das Verhältnis von nichtöffentlichen Ausschuß- und Unterausschußsitzungen zu Plenarberatungen acht bis zehn zu eins. Zur Gefährdung des Gewaltenteilungsprinzips durch Parteikonkordanz, vgl. Grimm, in: Benda/Maihofer/Vogel, HdbVerfR, § 14 Rdnr. 70 ff.; ders., Staatswissenschaften und Staatspraxis 1990, 5 (19 ff., 24 ff.); Schenke, JuS 1989, 698 (700 ff.); Zeller, Der Souverän auf der Nebenbühne, 147 (152).

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Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

kritischer Diskussionen292. Wohl aber ist es im Zuge der europäischen Einigung weiter verschärft worden und hat möglicherweise eine bislang unterschätzte Dimension erhalten 293. Der beispiellose Typus des supranationalen Rechtsetzungsprozesses, verbunden mit der Entwicklungsdynamik der Europäischen Gemeinschaft, stellen tatsächlich eine der größten Herausforderungen für die klassischen parlamentarischen Demokratien dar 294 . Bislang war unbestritten, daß die Funktionsfähigkeit des Parlaments in hohem Maße eine damit verbundene Arbeitsteilung und Vorbereitung seiner Entscheidungen erfordert 295. Das Bundesverfassungsgericht hat dies auch ausdrücklich anerkannt und gebilligt, solange der Entscheidungsprozeß institutionell in den Bereich des Parlaments eingefügt bleibe 296 . Wird das „normative Primat des Politischen" 297 aber bereits aufgrund allgemeiner Entwicklungen in der Praxis zunehmend zurückgedrängt 298, stellt sich die Frage, ob das Parlament dem Anspruch, eine begleitende parlamentarische Vollkontrolle der Regierung in den Angelegenheiten der Europäischen Gemeinschaft durchzuführen, überhaupt gerecht werden kann 299. Konsequent zu Ende gedacht würde dies bedeuten, daß das Parlament, um eine gleichlaufende Kontrolle der Bundesregierung zu gewährleisten, eine regelrechte „Nebenregierung" einsetzen müßte; aus der politischen Kontrolle würde dann echte exekutive Mitentscheidung300. Es ist bezeichnend, daß auch der oben erwähnte neu eingerichtete Ausschuß für Angelegenheiten der Europäischen Union des Deutschen Bundestages nach den §§93 a, 69 Abs. 1 S. 1 GO-BT grundsätzlich in nichtöffentlicher Sitzung berät, und zwar selbst dann, wenn der Ausschuß an-

292 Siehe Fußn. 290. Allgemein zur Krise des parlamentarischen Systems: Bach, in: Winkler/Kaelble, Nationalismus, 288 (305), m.w.N.; Frisch, in: Koch/Senghaas, Technokratiediskussion, S. 90 ff.; Greiffenhagen, in: Koch/Senghaas, Technokratiediskussion, S. 54 ff; Eichenberger, SJZ 1965, 269 (285 ff); Leibholz, S. 98 ff; Offe , in: Koch/Senghaas, Technokratiediskussion, S. 156 ff Vgl. in dem Zusammenhang auch Huber, H, Krise des Rechtsstaats, 27 (47 ff). 293 Siehe Wessels, in: Die Integration Europas, 36 (42 ff). Zum Prozeß der „Exekutivrechtsetzung" siehe Teil 3, Kap. III.2. a), S. 195 ff. 294 Vgl. Bach, in: Winkler/Kaelble, Nationalismus, 288 (308). 295 Badura, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, § 23 Rdnr. 60. 296 BVerfGE 44, 308 (319). 297 Vgl. Bach, ZfSoz. Bd. 21 (1992), 16 (17 f.). 298 Zur „Entparlamentisierung" vgl. aus jüngster Zeit auch Gusy, DVB1. 1998, 917 (925 ff). 299 Zweifelnd auch Weber-Panariello, S. 267; vgl. auch Ipsen, in: FS für Lerche, 425 (427 ff); Eichenberger, SJZ 1965, 269 (286 ff.) A.A. offenbar Röhl, EuR 1994, 409 (434). Zu den Einschränkungen der Funktion des Parlaments im nationalen Gesetzgebungsverfahren, vgl. auch Fromme, in: FS für Helmrich, S. 501 ff. 300 Kritisch insoweit zu Recht: Badura, in: VVDStRL Bd. 56 (1997), 103 (104); Ocker mann/G le nde, S. 35.

III. Das Demokratieprinzip

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stelle des Plenums handeln soll 301 . Tatsächlich werden derartige Schwierigkeiten bei der Herstellung einer „intensiven" parlamentarischen Kontrolle auch aus anderen EG-Mitgliedstaaten berichtet 302 : In Dänemark beispielsweise, wo die Kontrolle der Regierung durch das Parlament auf eine weitreichende Tradition zurückblicken kann 303 , ist aus Anlaß des Beitritts Dänemarks zur EWG im Jahre 1972 durch Gesetz ein besonderer EG-Ausschuß des Parlaments errichtet worden, der aus 17 gewählten Parlamentsmitgliedern besteht und der die Aufgabe hat, der Regierung in wichtigen Fällen jeweils ein vorheriges politisches „Mandat" fur die Verhandlungsführung und Abstimmung in Angelegenheiten der Europäischen Gemeinschaft zu erteilen 304 . Die Organisation und Arbeitsweise dieses Ausschusses steht derjenigen der Regierungsgremien in nichts nach. Die Mitglieder des Ausschusses müssen das Parlamentssekretariat während der Verhandlungen des Ministerrats in Brüssel ständig über ihren jeweiligen Aufenthaltsort und ihre Telefonnummer informieren. So sei es auch vorgekommen, daß die Erweiterung des Verhandlungsmandats des Ministers aufgrund einer „Telefonkonferenz" erteilt worden sei 305 . Der „demokratische Mehrwert" einer solchen Vorgehensweise bleibt gleichwohl zweifelhaft 306 . Gerade das dänische „Nein" bei der Volksabstimmung Dänemarks am 3. Juni 1992 über die Ratifikation des Vertrages von Maastricht hat bewiesen, daß trotz aller Anstrengungen des dänischen Parlamentes zur „Mitregierung" bei den Vertragsverhandlungen offenbar dennoch eine breite Kluft zwischen den Vorstellungen der Bevölkerung und den politisch Handelnden vorhanden war 307 . Die Anforderungen an die Realisierbarkeit der demokrati301 Dies ist im Hinblick auf das Demokratieprinzip nicht unproblematisch; der Ausschußvorsitzende kann jedoch nach § 10 der Grundsätze über die Behandlung der zugeleiteten Vorlagen (abgedr. bei M D -Scholz, Anm. zu Art. 45 Rdnr. 2) die Öffentlichkeit für die Schlußberatung herstellen, falls keine Fraktion widerspricht. Die Regelung und ihr Verhältnis zu § 69 Abs. 1 GO-BT vermag nicht zu überzeugen, vgl. zur Problematik: Kaufmann, S. 371 f.; Lang, S. 342 ff.; Weber-Panariello, S. 280 f.; jew. m.w.N. 302 Vgl. das Ergebnis der Untersuchung Weber-Panariellos, S. 306 ff., sowie die Studie Kamanns: Die Mitwirkung der Parlamente der Mitgliedstaaten an der europäischen Gesetzgebung, Frankfurt et al. 1997, S. 47 ff. 303 Kamann, S. 55 ff. Dies mag auch damit zu erklären sein, daß es in Dänemark seit dem zweiten Weltkrieg fast immer nur Regierungen gegeben hat, die sich auf eine Minderheit im Parlament stützen mußten, vgl. Pohle, ZParl 1993, 49 (59). 304 Vgl. näher zur Entwicklung und zu den Befugnissen dieses Ausschusses: Cottier, Staatsrechtliche Auswirkungen, 57 (68 ff.); Gulman/Clauson-Kaas, CMLR 1979, 227 ff.; Kamann, S. 56 ff.; Zahle, in: Europäische Integration, S. 67 ff. 305 So Gulman/Clauson-Kaas, CMLR 1979, 227 (231). 306 Kritisch auch Weber-Panariello, S. 308 f. A.A. aus europäischer Perspektive Kaufmann, S. 386 f. 307 So auch die Einschätzung von Leutheusser-Schnarrenberger, in: Recht und Pflicht, 48 (53). Zu den verschiedenen, im Verlauf der europäischen Einigung abgehaltenen Referenden in den Mitgliedstaaten, vgl. Luthardt; Jahrb. zur Staats- und Verwaltungswissenschaft 1992/93, 299 ff.

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Teil 3: Bewertung aus taatsorganisationsrechtlicher Sicht

sehen Legitimation dürfen daher nicht überspitzt werden. Eine begleitende parlamentarische Vollkontrolle der Bundesregierung durch den Deutschen Bundestag würde der Funktion beider Organe nicht gerecht und zu einer Vermengung der gegenseitigen Aufgaben- und Verantwortungsbereiche führen. Vielmehr muß es im Hinblick auf Art. 20 Abs. 2 GG als ausreichend angesehen werden, daß ungeachtet der geschilderten Schwierigkeiten die Verantwortung der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag im Rahmen der Willensbildung nach Art. 23 Abs. 5 S. 1 GG i.V.m. § 5 Abs. 1 EUZBLG rechtlich ungeschmälert fortbesteht. Der Deutsche Bundestag könnte jederzeit, wenn und soweit er es für notwendig erachtet, in vollem Umfang von seinen parlamentarischen Kontrollrechten Gebrauch machen, selbst bis hin zum Mißtrauensvotum nach Art. 67 GG. Es steht ihm darüber hinaus frei, jeden beliebigen Beratungsgegenstand auf seine Tagesordnung zu setzen, öffentlich zu debattieren und damit die öffentliche Meinungsbildung und den dialektischen Prozeß der „Responsivität" in Gang zu setzen und zu forcieren 308. Außerdem darf das Verhältnis des Parlaments zur Regierung auch nicht als reiner Antagonismus aufgefaßt werden 309 . Aufgrund der Tatsache, daß die Regierung politisch mit der Parlamentsmehrheit korrespondiert, ist die Kritik- und Kontrollfunktion des Plenums nicht gänzlich verschwunden, sondern weitgehend auf die parlamentarische Opposition übergegangen310. In der Vergangenheit haben sich die von der Opposition eingeleiteten parlamentarischen Kontrollmittel durchaus als wirksam erwiesen 311. Äußerst ungünstig unter den Aspekten des Demokratieprinzips muß sich allerdings die in vergangenen Jahren aufgetretene politische Konstellation auswirken, in der die Oppositionsparteien des Bundestages zugleich die politische Mehrheit im Bundesrat stellen. Wenn sich Bundesregierung und Bundesrat in diesem Fall auf ein gemeinsames Vorgehen einigen, besteht die Gefahr, daß aus Gründen der Parteidisziplin eine parlamentarische Kontrolle durch die Opposition im Bundestag trotz eventueller gegenläufiger Standpunkte zwischen ihr und der Regierung praktisch nicht mehr stattfindet 312. Die Ursachen dafür, daß der Bun-

308 Dies wird in den Reihen der Kritiker meist übersehen: Doehring, DVB1. 1997, 1133 (1134 ff.); Hölscheidt/Schotten, VR 1994, 183 (188 f.); Graf Stauffenberg/Langenfeld, ZRP 1992, 252 (258); Klein, H.H., in: FS für Remmers, 195 (198 f.); Lamprecht, NJW 1997, 505 (506); Magiern, in: FS für Everling, 789 (793); Pieper, in: FS für Bleckmann, 197 (214); Rupp, ZRP 1993, 211 (213). 309 Mößle, in: Der Landtag als Forum, 23 (28 f.). 3,0 Vgl. Badura, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, § 23 Rdnr. 18 f.; Schneider, HP., in: Benda/Maihofer/Vogel, HdbVerfR, § 13 Rdnr. 91 ff.; Stern, StaatsR I, S. 989 ff., 1008 ff., 1032 ff. Zu den praktischen Schwierigkeiten der Opposition, diese Rolle auszufüllen vgl. Menget, S. 188 ff. 311 Stern, StaatsR I, S. 998. Vgl. auch Schröder, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, §51 Rdnr. 57. 312 Vgl. auch Schenke, JuS 1989, 698 (701); Zeller, Der Souverän auf der Nebenbühne, 147(152).

III. Das Demokratieprinzip

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destag in der Vergangenheit bislang nie ernsthaft den Versuch unternommen hat, den Entscheidungsprozeß im Rat über die Regierung zu beeinflussen 313, können daher auch nur zu einem geringen Teil auf bestehende oder vermeintliche institutionelle Unzulänglichkeiten der nationalen oder supranationalen Entscheidungsprozesse zurückgeführt werden 314 . Das Funktionieren der Vermittlung der demokratischen Legitimation hängt vielmehr nicht unerheblich vom Verantwortungsbewußtsein und von dem Engagement des einzelnen Abgeordneten ab 315 . Die Vorschläge zu einer „großen Parlamentsreform" sind möglicherweise nicht zuletzt aus diesen Gründen bislang nicht aufgegriffen worden 316 . Auch die Gemeinsame Verfassungskommission, die sich jüngst mit diesen Fragen beschäftigt hatte, hat sich - abgesehen von der Einfügung des Art. 23 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 GG - nicht zu weiteren Änderungsempfehlungen durchringen können 317 . Mit der Erweiterung der Informations- und Beteiligungsrechte des Bundestages nach Art. 23 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 GG ist allerdings eine rechtliche Grundlage geschaffen worden, den dargestellten faktischen Schwierigkeiten der Sicherstellung der Einflußnahme des Parlamentes in den Angelegenheiten der Europäischen Union zu begegnen oder diese zumindest abzumildern. Verfassungsrechtlich begründet Art. 23 Abs. 2 S. 1 GG in seiner imperativen Form darüber hinaus fur den Deutschen Bundestag ebenso wie für den Bundesrat nicht nur ein Recht zur Mitwirkung, sondern auch eine diesbezügliche Pflicht 318 . Insofern besteht jedoch ein weites Ermessen des Bundestages, in welcher Form und in welcher Intensität er seine Mitwirkung in den Willensbildungsprozeß einbringt; keinesfalls kann aus Art. 23 Abs. 3 S. 1 GG eine generelle Pflicht zur Stellungnahme abgeleitet werden 319 . Überdies könnte ein stärkeres demokratisches Engagement von Rechts wegen nicht erzwungen werden. Der Vorschrift kommt daher vor allem ein appellhafter Charakter zu.

313 Ossenbühl, DVBl. 1993, 629 (636 f.); auch Klein, £., VVDStRL Bd. 50 (1991), 56 (76), sieht es als „erstaunlich" an, daß der Bundestag offenbar noch kaum selbst die Notwendigkeit einer Abhilfe in puncto Demokratiedefizit verspürt habe; vgl. auch ders., in: FS für Remmers, 195 (202 f.). 314 Vgl. Gusy, DVBl. 1998, 917 (926, 928); Eichenberger, SJZ 1965, 269 (286 ff.); Mengel, S. 203 f.; rückblickend Kaufmann, S. 365 f. Graf Kielmansegg spricht von einem „Gemisch aus vagen Wohlwollen und Uninteressiertheit", von dem der Prozeß der europäischen Integration jahrelang getragen worden sei, vgl. ders., in: Reform der Europäischen Union, S. 229. 315 Die individuelle Verantwortung des einzelnen Repräsentanten zu Recht betonend: Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, § 22 Rdnr. 26 ff. In dem Sinne auch: Mengel, 203 f. 316 Zu den Vorschlägen vgl. Schneider, H.-P., in: Benda/Maihofer/Vogel, HdbVerfR, § 13 Rdnr. 128 ff. 317 Vgl. Bericht der GVK, 6. Kapitel (Parlamentsrecht), S. 171 ff. 318 Klein, H.H., in: FS für Remmers, 195 (202); ders., in: Der Landtag als Forum, 38 (47). 319 M D -Scholz, Art. 23 Rdnr. 119.

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Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

Gerade in der Tatsache der vom Bundestag durchgesetzten verfassungsrechtlichen Verankerung seiner Mitwirkungsrechte kann jedoch ein Indiz dafür erblickt werden, daß das Parlament auf dem Weg ist, stärker als bislang ein eigenes politisches Bewußtsein zu entwickeln, und daß sich die „Mehrheitsabgeordneten" nicht lediglich als „der parlamentarische Teil der Regierung" betrachten, wie vielfach beklagt worden ist 3 2 0 . Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zum „MaastrichtVertrag" das verbleibende Maß an Kontrollmöglichkeiten des Deutschen Bundestages offensichtlich als mit dem Demokratieprinzip für vereinbar erachtet, ohne auch nur ein Wort zu der angesprochenen Problematik zu verlieren: „... Darüber hinaus ist der Bundestag an der Wahrnehmung der deutschen Mitgliedschaftsrechte in den europäischen Organen beteiligt. Er wirkt nach Maßgabe des Art. 23 Abs. 2 und 3 GG und des zu seiner Ausführung erlassenen Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 12. März 1993 (BGBl. I S. 311) an der Willensbildung des Bundes in diesen Angelegenheiten mit. Diese wechselbezüglichen Kompetenzen sind von Bundesregierung und Bundestag im Sinne der Organtreue wahrzunehmen. Schließlich beeinflußt der Bundestag die europäische Politik der Bundesregierung auch durch deren parlamentarische Verantwortlichkeit (Art. 63, 67 GG - vgl. BVerfGE 68, 1 (109 f.)). Diese Kreations- und Kontrollfunktion, die der Bundestag grundsätzlich in öffentlicher Verhandlung wahrnimmt, veranlaßt eine Auseinandersetzung der Öffentlichkeit und der politischen Parteien mit der Europapolitik der Bundesregierung und wird damit zu einem Faktor für die Wahlentscheidung der Bürger..." 3 2 1 . M a g man auch die Aussage des Bundesverfassungsgerichts unter den Aspekten der geübten Staatspraxis kritisch bewerten 3 2 2 , so ist doch zu konstatieren, daß der Bundestag über ein ausreichendes rechtliches

Instrumentarium verfügt,

um wirksamer als bisher an den Angelegenheiten der Europäischen Union mitzuwirken und das Demokratieprinzip auch tatsächlich mit Leben zu erfüllen 3 2 3 . Die gegebenen Möglichkeiten des Deutschen Bundestages sollten in ihrer W i r k -

320

Zu dieser Entwicklung: Stern, StaatsR I, S. 1034 ff. Seifert spricht gar davon, daß sich das Parlament auf dem Wege befinde, zu einem „Wurmfortsatz" der Exekutive zu verkümmern, vgl. ders., in: Der Souverän auf der Nebenbühne, 124 (129 f.). 321 BVerfGE 89, 155 (191). 322 So vor allem: Klein, H.H., in: FS für Remmers, 195 (198 f.); Möller/Limpert, ZParl 1993, 21 (28 f.); Schmidthuber, in: FS für Everling, 1265 (1274); Schröder, DVBl. 1994, 316 (320 f.); Weber-Panariello, S. 243 ff., 266 ff. 323 Ähnlich: Kaufmann, S. 452 ff.; Mengel, S. 203 f. Dies räumt auch Weber-Panariello, S. 283 ein. Vgl. auch bereits Eichenberger, SJZ 1965, 269 (288 ff.). A.A. hingegen Kokott, DVBl. 1996, 937 (949), die meint, eine wirksame parlamentarische Kontrolle könne mit herkömmlichen Mitteln des deutschen Verfassungsrechts nicht erreicht werden; zweifelnd auch: Hölscheidt, DÖV 1993, 593 (596); Hölscheidt/Schotten, VR 1994, 183 (188 f.); Pieper, in: FS für Bleckmann, 197 (209 f.).

III. Das Demokratieprinzip

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samkeit nicht unterschätzt werden 324 . Als Fazit kann jedenfalls festgehalten werden, daß die gegenwärtige Struktur und Systematik des parlamentarischen Regierungssystems des Grundgesetzes sehr wohl die Möglichkeit bieten, eine demokratische Legitimation für das europapolitische Handeln der Bundesregierung hinreichend effektiv zu vermitteln und der „wohltätigen Diffusion der politischen Verantwortung" 325 entgegenzuwirken - wenngleich dies aufgrund der geschilderten Schwierigkeiten eine erhöhte Anstrengung und ein stärkeres Engagement von seiten des Parlaments und der einzelnen Abgeordneten verlangen mag.

3. Die interne Willensbildung des Bundes nach Art. 23 Abs. 5 GG im Lichte des Demokratieprinzips Wenn auch das Handeln des Bundesrates bislang innerstaatlich anerkanntermaßen über eine hinreichende demokratische Legitimation verfügt, so ist doch fraglich, ob sich durch den neuen Art. 23 Abs. 4 bis 6 GG das Prinzip der „gemischten Verfassung" auf den Prozeß der Rechtsetzung auf europäischer Ebene und die Teilhabe der Bundesorgane hieran transponieren läßt, ohne daß Brüche in der Systematik der Vermittlung der demokratischen Legitimation entstehen. Diese Frage stellt sich insbesondere deshalb, weil die Europäische Union über eigene Organe und einen eigenen institutionellen Rahmen verfügt, in dem die Rechtsetzung bewirkt wird. Die Funktion des Rates der Europäischen Gemeinschaft ist nach Art. 146 EGV nur auf die unitarische, d.h. gesamtstaatliche Vertretung und Mitwirkung der Mitgliedstaaten ausgerichtet. D.h., daß der Bundesrat um so stärker eine gesamtstaatliche, unitarische Funktion einnehmen muß, je intensiver seine Mitwirkung im Rahmen der Tätigkeit des Rates der Europäischen Gemeinschaft ausgestaltet wird. Gerade im Hinblick auf diese Funktion, nämlich die unitarische Vertretung des Gesamtstaates, ist der Bundesrat nach dem Prinzip der gemischten Verfassung des Grundgesetzes aber nicht konzipiert.

324 Nach Einschätzung Oberreuters sind die Parlamente rechtlich wie faktisch in der deutschen Verfassungsgeschichte nie so mächtig wie heute gewesen, da alles staatliche Handeln umfassend ihrer Legitimation unterworfen sei, vgl. ders., in: Der Landtag als Forum, S. 17. 325 Scharpf, PVS 26 (1985), 323 (349).

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Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht a) Die Herstellung der demokratischen Legitimation beim Zusammenwirken mehrerer Organe

Art. 23 Abs. 5 GG sieht ein mehr oder weniger kompliziertes Zusammenspiel von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat vor. Weiter oben ist bereits dargestellt worden, wie im innerstaatlichen Bereich die erforderliche Rückbindung des Handelns der jeweiligen Organe an den Willen des Volkes hergestellt wird. Wirken mehrere Funktionsträger an einer Entscheidung mit, so stellt sich die Frage, auf welche Weise in dem Fall diese Rückführbarkeit sichergestellt werden kann. Art. 20 Abs. 1 Satz 1 GG geht von der Einheitlichkeit des Trägers der Staatsgewalt und von einer Staatsgewalt als solcher aus. Das Grundgesetz hat jedoch in Art. 20 Abs. 2 S. 2 ebenfalls den Grundsatz der Gewaltenteilung niedergelegt. So wirken nach dem grundgesetzlichen System der „checks and balances" an einer Entscheidung zumeist mehrere Organe in unterschiedlichen Funktionen mit. Um daher die Rollenverteilung zwischen Bundesregierung und Bundesrat im Rahmen des Art. 23 GG unter dem Blickwinkel des Demokratieprinzips würdigen zu können, muß das Verhältnis des Demokratieprinzips zu dem scheinbar entgegengesetzten Prinzip der Gewaltentrennung geklärt werden. Grundsätzlich erscheinen zwei Wege denkbar, um das Spannungsverhältnis zwischen beiden Prinzipien aufzulösen: Entweder nimmt das am stärksten demokratisch legitimierte Organ einen Vorrang gegenüber den mitbeteiligten, schwächer legitimierten Organen ein, oder es bleibt bei einer Funktionentrennung ohne Vorrang des einen oder anderen Organs. Im letzteren Fall muß dann jedes beteiligte Staatsorgan in bezug auf seinen Teilbeitrag über eine hinreichende demokratische Legitimation verfügen. Art. 20 Abs. 2 GG hat sich für die letztere Alternative entschieden. Aus dem Wortlaut „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke ... durch besondere Organe ... ausgeübt" geht hervor, daß das Prinzip der Gewaltenteilung nicht etwa dem demokratischen Prinzip entgegengesetzt wird oder einen eigenen Legitimationsgrund für die Ausübung von Staatsgewalt bildet; vielmehr soll sich das Prinzip der Gewaltenteilung auf dem Boden des Demokratieprinzips entfalten 326. Damit beide Prinzipien miteinander verbunden und voll zur Geltung gebracht werden können, muß jedes einzelne Organ, das an einer der Funktionen Gesetzgebung, vollziehende Gewalt oder Rechtsprechung mitwirkt und auf diese Weise Staatsgewalt ausübt, über eine hinreichende personelle und materielle demokratische Legitimation verfügen, und zwar gerade auch im Hinblick auf die konkrete Wahrnehmung seiner spezifischen Aufgaben. Einen „Gewaltenvorrang" oder „Gewaltenmonismus" des unmittelbar oder am stärksten demokratisch legitimierten Organs kennt das Grundgesetz daher nicht 327 . Zwar ist es zutreffend, zu

326 Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, § 22 Rdnr. 87 ff.; Jestaedt, S. 168 ff.; Wrege, Jura 1996, 436 ff. 327 Vgl. BVerfGE 49, 89 (124 ff.); 68, 1 (88 f.). Siehe auch Jestaedt, S. 168 ff.

III. Das Demokratieprinzip

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sagen, daß es im Geltungsbereich des Gebotes der demokratischen Legitimation - bei der Ausübung von Staatsgewalt - keine „Parlamentsfreiheit" geben kann; jedes Staatsorgan leitet seine personelle und materielle demokratische Legitimation in irgendeiner Form, sei es unmittelbar oder mittelbar, letztlich von der Volksvertretung als Bindeglied zum Willen des Volkes ab 328 . Allerdings ist das Parlament dabei auf die ihm zukommenden Gesetzgebungsrechte und parlamentarischen Kontrollrechte beschränkt, um die Rückbindung des staatlichen Handelns an den Willen des Volkes generell und im konkreten Fall sicherzustellen 329 . Das Erfordernis der personellen und materiellen demokratischen Legitimation jedes Organs, das Staatsgewalt ausübt, bedingt nach diesem Verständnis zweierlei: Zum einen bleibt es auch im Fall des Zusammenwirkens mehrerer Organe bei der Notwendigkeit der Herstellung und Aktualisierung einer Verantwortlichkeit und Verantwortbarkeit gegenüber dem Volk oder dem unmittelbar gewählten Parlament. Die Grundsätze der parlamentarischen Verantwortung gegenüber dem Bundestag und den Landtagen müssen daher sowohl für die Bundesregierung als auch für den Bundesrat - auch wenn diese im Rahmen des Art. 23 GG eng zusammenwirken - unangetastet bleiben. Die Verantwortlichkeit für die jeweils getroffenen Entscheidungen ist das wesentliche Moment, über das die demokratische Rückbindung zum Willen des Volkes konkret aktualisiert werden kann. Zum anderen bedingen die Verantwortlichkeit des Entscheidungsträgers und eine Verantwortbarkeit seiner getroffenen Entscheidungen quasi spiegelbildlich eine damit verbundene Eigenständigkeit und Weisungsfreiheit bei der Wahrnehmung der ihm zugewiesenen Befugnisse 330. Ansonsten könnte in Ermangelung eines zurechenbaren Verhaltens von einer Verantwortlichkeit gegenüber Volk oder Parlament nicht gesprochen werden 331 ; Verantwortlichkeit setzt daher Entscheidungsfreiheit voraus. Die vorstehenden Überlegungen werden von der Verfassungswirklichkeit bestätigt: Ohne leitende Organe und ein bestimmtes Maß an Organisation kann sich der Wille des Volkes praktisch nicht äußern; anderenfalls bliebe er eine Fiktion. Jede Form der Organisation, die mit Befugnissen ausgestattet ist, bedarf einer gewissen Autorität und Entscheidungsfreiheit, um die ihm übertragenen Herrschaftsbefugnisse aktualisieren zu können 332 . Die Willensbildung des Volkes vollzieht sich in der sozialen Wirklichkeit nicht in Form einer „Einbahnstraße" von unten nach oben, sondern ist durch einen responsiven Charakter ge-

328 Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, §22 Rdnr. 16; Jestaedt, S. 306 f., 311. 329 Vgl. etwa BVerfGE 90, 286 (364 f.). 330 Vgl. Schröder, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, § 51 Rdnr. 49 ff. 331 Brenner, ThürVBl. 1993, 196 (198 f.); Stern,, StaatsR II, S. 968. 332 Heller, H., Staatslehre, 6. Aufl. 1983, S. 183.

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Teil 3: Bewertung aus taatsorganisationsrechtlicher Sicht

kennzeichnet, in dem die repräsentierenden Organe nicht bloß „Vollstrecker" der Bedürfnisse und Wünsche des Volkes darstellen, sondern durchaus eigene Vorstellungen, Initiativen und politische Konzepte entwickeln und diese dem Volk zur Wahl stellen. Auf diese Weise stellt sich die inhaltliche Repräsentation als ein fortwährender dialektischer Prozeß zwischen den Repräsentierten und den Repräsentanten dar 333 . So kann es bei der Aktualisierung der inhaltlichen demokratischen Legitimation nicht darum gehen, weisungsfreie Leitungsgewalt abzuschaffen oder möglichst auf ein Minimum zurückzudrängen; vielmehr ist erforderlich, diese zu stabilisieren, dem offenen Prozeß demokratischer Willensbildung zu unterwerfen und an Verantwortlichkeit und demokratische Kontrolle zu binden 334 . Für die Funktion der Regierung bedeutet das nichts anderes, als daß Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Erfüllung der Regierungsaufgaben überhaupt erst eine parlamentarische Verantwortlichkeit ermöglichen 335. Das Bundesverfassungsgericht hat folglich die selbständige politische Entscheidungsgewalt der Regierung, ihre Funktionsfähigkeit zur Erfüllung ihrer verfassungsmäßigen Aufgaben und ihre Sachverantwortung gegenüber Volk und Parlament als „zwingende Gebote der demokratischen rechtsstaatlichen Verfassung" bezeichnet336. Im Hinblick auf das Zusammenwirken mehrerer Organe wie im Fall des Art. 23 GG bilden die Momente der Verantwortlichkeit und der Entscheidungsfreiheit, die durch das Demokratie- und das Gewaltenteilungsprinzip des Grundgesetzes gewahrt werden sollen, eine äußerste Grenze für gegenseitige Gewaltenverschränkungen und -Verzahnungen der jeweils beteiligten Entscheidungsträger 337 . Zu enge Verzahnungen und Ingerenzen zwischen Bundestag, Bundesregierung und Bundesrat würden die Konturen der Funktions- und Verantwortungsbereiche der einzelnen Organe verwischen, so daß nicht mehr erkennbar wäre, wessen Wille repräsentiert wird und wer für Amtshandlungen die Verant-

333

S. 39

ff.

Böckenförde,

in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, §30 Rdnr. 20 ff.; Kluth,

334 Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, § 30 Rdnr. 14; zum Aspekt der Stabilität der Regierung vgl. Gusy, DVBl. 1998, 917 (918 ff.). 335 Schröder, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, §51 Rdnr. 49 ff.; Stern, StaatsR II, S. 966. 336 BVerfGE 9, 268 (281). 337 Nicht zuletzt deshalb wird im Zusammenhang mit der „Politikverflechtung" stets von einer „Falle" gesprochen, vgl. näher zu dem Problem: Fechtner/Hannes, ZParl 1993, 132 (1140 f.); Lhotta, ZParl 1993, 116 (122 ff.); Scharpf PVS 26 (1985), 323 ff.; ders., Kooperation auf der »dritten Ebene«, 59 (65 ff.). Relativierend demgegenüber: Schmid, PVS 28 (1997), S. 446 ff.; Wessels, in: Die Integration Europas, 36 (47 f.).

III. Das Demokratieprinzip

225

wortung trägt 338 . Im einzelnen hat das Grundgesetz in allen Bereichen fur die Funktionen Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes ein fein austariertes System der gegenseitigen Kompetenzen und Kompetenzverschränkungen der beteiligten Bundesorgane vorgesehen, wobei aber jeweils die Eigenständigkeit wie auch die Eigenverantwortlichkeit jedes beteiligten Organs bei allen Entscheidungsprozessen gewahrt bleibt. So ist in allen Fällen, in denen das Grundgesetz eine Mitwirkung des Bundesrates vorsieht, - unabhängig von politischen Zwängen - in jeder Lage des Verfahrens die volle Freiheit und Eigenverantwortlichkeit jedes am Verfahren beteiligten Organs im Hinblick auf seine Entscheidung gewahrt. Für jede Handlung oder Unterlassung des Bundestages, des Bundesrates oder der Bundesregierung kann somit eine klare Zuweisung von Verantwortung gegenüber dem Volk vorgenommen werden. Eine Situation des Zusammenspiels verschiedener Entscheidungsträger, in der ein Bundesorgan die Willensbildung und Entscheidung eines anderen Organs „determinieren" oder dieses rechtlich verbindlich auf eine Position gegen dessen Willen festlegen könnte, ist dem Grundgesetz unbekannt. Zwar kann der Bundestag Gesetze erlassen, zu deren Vollzug die Exekutive verpflichtet ist, und so die Exekutive auch gegen deren Willen zu einem bestimmten Handeln verpflichten. Auch die Gerichte können die Regierung in einem Streitfall zu einem bestimmten Verhalten zwingen. Hierbei geht es jedoch um die Einhaltung abstrakt-genereller Regelungen und um eine Kontrolle der Rechtmäßigkeit des staatlichen Handelns allgemein, ohne im Wege einer Ingerenz eine bestehende demokratische Verantwortlichkeit zu unterbrechen. Art. 23 Abs. 3 bis 6 GG betrifft hingegen den spezifischen Prozeß der Willensbildung der Organe des Bundes, d.h. das Stadium der tatsächlichen Aktualisierung des Willens des Volkes, der schließlich in den Erlaß eines Rechtsaktes oder in eine andere rechtsverbindliche Handlung des Bundes mündet. Fraglich ist daher, inwieweit sich die Regeln des Zusammenspiels nach Art. 23 Abs. 5 und 6 GG mit ihren mannigfaltigen Einwirkungsmöglichkeiten der gegenseitigen Willensbildung noch innerhalb der Grenzen bewegen, die durch das Demokratieprinzip gezogen werden.

b) Die „ einfache " Berücksichtigung der Stellungnahmen des Bundesrates Art. 23 Abs. 5 GG i.V.m. § 5 Abs. 1 und 2 EUZBLG sieht eine Einflußmöglichkeit des Bundesrates auf die inhaltliche Willensbildung der Bundesregie-

338

Vgl. zur Problematik der „Staatsleitung zur gesamten Hand Klein, H.H., in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, §40 Rdnr. 8; Schneider, H.-Pin: Benda/Maihofer/Vogel, HdbVerfR, §13 Rdnr. 82; Stern, StaatsR I, S. 966 f.; ders.: StaatsR II, S. 544 ff.; kritisch auch: Brenner, ThürVBl. 1993, 196 (199, 202), Schenke, JuS 1989, 698 (700). 15 Halfmann

226

Teil 3: Bewertung aus taatsorganisationsrechtlicher Sicht

rung bis hin zu einem Letztentscheidungsrecht des Bundesrates vor. Soweit die Bundesregierung die Stellungnahmen des Bundesrates „schlicht" zu berücksichtigen hat, ist sie im Ergebnis bei ihrer Entscheidungsfindung frei und verfügt bei der Festlegung ihrer Positionen über einen weitgehenden eigenen politischen Gestaltungsspielraum. Die Pflicht zur einfachen Berücksichtigung ist im Hinblick auf den Inhalt nicht ergebnisbezogen und greift damit nicht in nennenswerter Weise über die Pflichten zur gegenseitigen Rücksichtnahme hinaus, die sich aus den Geboten der Organtreue oder - soweit die Bundesregierung als „Sachwalter" Interessen der Länder wahrnimmt 339 - der Bundestreue ergeben. Die Bundesregierung vertritt daher im Rahmen der Verhandlungen auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft immer eine eigene, von ihr selbst gebildete Position und kann und muß hierfür die volle Verantwortung gegenüber dem Bundestag übernehmen. Ihre Stellung als letztverantwortliches Organ gegenüber dem Bundestag ist insoweit durch die Beteiligung des Bundesrates rechtlich nicht geschmälert oder beeinträchtigt. Aufgrund des Fortbestehens der Verantwortlichkeit der Bundesregierung gegenüber dem Deutschen Bundestag für die von ihr im Rahmen des Art. 23 Abs. 5 S. 1 GG gebildete Verhandlungsposition und der parlamentarischen Einflußmöglichkeiten des Bundestages kann eine ununterbrochene Kette der Legitimation zum Volk gebildet werden. Die Verwirklichung der demokratischen Legitimation bleibt in dem Fall auch hinreichend „effektiv" im Sinne der oben geschilderten Anforderungen 340: Dadurch, daß die Bundesregierung sich im Fall des Art. 23 Abs. 5 S. 1 GG stets eine eigene Position bilden kann, ist es ihr nicht möglich, die Verantwortung auf den Bundesrat oder die Länder „abzuwälzen". Sie kann weiterhin in vollem Umfang parlamentarisch zur Verantwortung gezogen werden, d.h. sie muß gegebenenfalls für ihr Verhalten öffentlich im Bundestag Rede und Antwort stehen und schlimmstenfalls mit einem Mißtrauensvotum rechnen, wenn die von ihr vertretene Politik nicht mehr die Billigung der Bundestagsmehrheit findet. Der Wille des Volkes, repräsentiert durch die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, kann sich somit durchsetzen und auch im Ergebnis „durchschlagen". Die „einfache" Pflicht der Bundesregierung, die Stellungnahmen des Bundesrates zu berücksichtigen, wirft daher unter den Aspekten des Demokratieprinzips keine Bedenken auf.

c) Das Letztentscheidungsrecht

des Bundesrates

Fraglich ist, ob Gleiches für den Fall des Letztentscheidungsrechts des Bundesrates Geltung beanspruchen kann. Wie oben gezeigt, bedeutet die Formulie-

339 340

BVerfGE 92, 203 (Ls. 1 und S. 230); vgl. auch Teil 2, Kap. II, Fußn. 173. Siehe oben, Teil 2, Kap. III.4., S. 108 ff.

III. Das Demokratieprinzip

227

rung „maßgeblich zu berücksichtigen" nach dem Wortlaut und dem Willen des Gesetzgebers ein Letztentscheidungsrecht des Bundesrates 341. Die näheren Einzelheiten des Verfahrens einschließlich der weiteren Voraussetzungen sind in § 5 Abs. 2 EUZBLG niedergelegt. Der Bundesrat kann mit einem mit zwei Dritteln seiner Mitglieder gefaßten Beschluß („Beharrungsbeschluß") die Bundesregierung für die weiteren Verhandlungen auf EG-Ebene inhaltlich auf seine Position festlegen. Fortan wäre die Bundesregierung verfassungsrechtlich verpflichtet, die vom Bundesrat vorgegebene Auffassung auch gegen ihren Willen nach außen in den Gremien der Kommission und des Rates als Standpunkt der Bundesrepublik Deutschland zu vertreten.

(1) Das Erfordernis der ununterbrochenen Legitimationskette zum Staatsvolk Fraglich ist, ob den Anforderungen des Demokratieprinzips auch für den Fall des Letztentscheidungsrechts des Bundesrates noch entsprochen ist. Wären der von der Bundesregierung einzunehmende Standpunkt und ihr Stimmverhalten bei den Verhandlungen auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft aus verfassungsrechtlichen Gründen vom Bundesrat vorgegeben, so besäßen der Bundestag und das durch ihn repräsentierte Staatsvolk insoweit keine Möglichkeit, auf die Handlungen der Bundesregierung Einfluß auszuüben, sie zu billigen, zu mißbilligen oder sie letztlich zu verändern. Eine entgegenstehende Stellungnahme des Bundestages nach Art. 23 Abs. 3 S. 2 GG tritt nach dem Willen des Gesetzgebers hinter der maßgeblich zu berücksichtigenden Stellungnahme des Bundesrates zurück und kann somit nicht „durchschlagen". Auch würden die parlamentarischen Kontrollrechte des Bundestages ins Leere laufen, da eine Verantwortlichkeit der Bundesregierung voraussetzt, daß ihr eine eigene Entscheidungsfreiheit zukommt. Muß die Bundesregierung aus verfassungsrechtlichen Gründen die Position eines anderen Organs vertreten, könnte sie hierfür nicht zur Verantwortung gezogen werden 342 . Sie könnte allenfalls für die Tatsache verantwortlich gemacht werden, daß es ihr im Vorfeld nicht gelungen ist, eine Einigung mit dem Bundesrat herbeizuführen, die von beiden Seiten mitgetragen wird. Dies träfe im Fall des Letztentscheidungsrechts indes nicht den entscheidenden Punkt, nämlich daß die Bundesregierung eine Position vertreten muß, die weder direkt noch indirekt vom Bundestag herrührt noch seiner Ein-

341

Siehe oben, Teil 2, Kap. III.4 b), S. 112 ff. Mit ähnlichen Bedenken, überwiegend jedoch in bezug auf Art. 23 Abs. 6 GG: Heckel, Jahrb. zur Staats- und Verwaltungswissenschaft 1992/93, 385 (399); KleffnerRiedel, BayVBl. 1995, 104 (107); Oppermann, Arbeitspapiere zur Internationalen Politik, Nr. 71 (1992), 7 (16); Oppermann/Classen, NJW 1993, 5 (12). Badura,, in: FS für Schambeck, 887 (901); ders., in: FS für Lerche, 369 (377 f.), bereits in bezug auf die Vorschläge der „Kommission Verfassungsreform" des Bundesrates (BR-Drs. 360/92). 342

228

Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

flußnahme unterliegt und die von ihm auch nicht mehr zu ändern wäre. Vielmehr würde die Bundesregierung je nach den Vorgaben des „Beharrungsbeschlusses" lediglich als Übermittler eines im Einzelfall vom Bundesrat gebildeten Standpunktes agieren. Die Kette der Willensbildung würde mithin nicht zum Bundestag und dem Staatsvolk zurückführen, sondern vielmehr zum Bundesrat und den durch diesen mittelbar repräsentierten Landesvölkern. Fraglich ist allerdings, ob nicht der Bundesrat in diesem Fall der Bundesregierung die hierfür notwendige demokratische Rückkoppelung an den Willen des Staatsvolkes vermitteln könnte. Auch der Bundesrat verfügt über eine demokratische Legitimation, mag es sich auch nur um eine mittelbare handeln. Entscheidend ist nach dem oben Gesagten nicht die Form, sondern nur die ununterbrochene Kette der Rückfuhrbarkeit sowie eine hinreichende Effektivität. Hiergegen sprechen allerdings schwere Bedenken: Zunächst würde ein solcher Weg der Vermittlung von demokratischer Legitimation über den Bundesrat und damit die Länder eine Vermengung der verschiedenen Ebenen demokratischer Legitimation bedeuten und dem zweistufigen Staatsaufbau des Bundesstaates, der eine Trennung der Staats- und Verwaltungsräume von Bund und Ländern gebietet 343 , zuwiderlaufen. Bei den Handlungen der Bundesregierung im Rahmen der Mitwirkungsrechte der Bundesrepublik Deutschland in den Angelegenheiten der Europäischen Union handelt es sich um die Ausübung einer ausschließlich dem Bund zustehenden Kompetenz, mithin um die Ausübung von Staatsgewalt durch den Bund 344 . Die Handlungen der Bundesregierung als unitarisches Gesamtorgan des Bundes erfordern daher eine Legitimation durch ein parlamentarisches Repräsentationsorgan für das Staatsganze, in dem eine funktionierende, das Staatsganze umfassende öffentliche Meinungsbildung stattfinden kann, die an den Willen des Staatsvolkes rückgekoppelt ist. Art. 20 Abs. 2 GG verlangt insoweit die Rückkoppelung der Ausübung der Staatsgewalt an den Willen des Bundes-Staatsvolkes, der nur durch den vom Volk gewählten Bundestag zum Ausdruck gebracht wird 345 . Nach Art. 28 Abs. 1 GG gelten für die einzelnen Länder zwar die gleichen Grundsätze der Staatsstrukturprinzipien wie für den Bund, so daß auch die Landesparlamente eine demokratische Legitimation vermitteln können. Auch wird der Wille der Landes Völker über die Landesregierungen im Bundesrat wegen des Mehrheitsprinzips gebündelt, so daß jeweils eine einheitliche Äußerung dieses Willens möglich ist. Die Summe der Landesvölker als solche erscheint jedoch an keiner Stelle des Grundgesetzes als eigener Legitimationskörper oder

343

Stern, StaatsR 1, S. 707, m.w.N. Siehe oben, Teil 2, Kap. IV.3. a), S. 147 ff. 345 So auch Breuer, NVwZ 1994, 417 (428). Vgl. bereits Haegert, NJW 1961, 1137 (1139 f.). Zum Volksbegriff siehe oben, Kap. III. 1. a), S. 186, sowie Kap. III, Fußn. 130. 344

III. Das Demokratieprinzip

229

auch als Zuordnungssubjekt von Rechten346. Die einzelnen Landesvölker bilden lediglich eine teilidentische Masse mit dem Bundesvolk 347 . Daraus kann nicht gefolgert werden, daß die Summe der Teile in jeder Hinsicht gleichbedeutend mit der Gesamtheit wäre. Dies mag zahlenmäßig der Fall sein, in rechtlicher Hinsicht trennt das Grundgesetz jedoch strikt zwischen den Verfassungsräumen des Bundes und der Länder. Der Bundesstaat des Grundgesetzes besteht nur aus zwei Ebenen: Derjenigen des Bundes, die aus dem Zusammenschluß der Länder bewirkt worden ist, sowie derjenigen der Länder 348 . Eine daneben etwa noch existierende dritte Ebene einer Ländergesamtheit als solche wäre dem Grundgesetz fremd 349 . Der Bundesstaat des Grundgesetzes stellt eben mehr als nur einen kooperativen Zusammenschluß oder einen Zweckverband seiner Glieder dar, vielmehr bildet er eine aus eigener Kraft wirkende und auf einer eigenen Legitimation beruhende staatliche Einheit 350 . Die Länder können diese Einheit, rechtlich wie faktisch, auch im Falle eines gesamthänderischen Zusammenschlusses nicht herstellen oder gar repräsentieren 351. Insoweit besitzt nur der Bund für die Bundesebene ein Organ- und Organisationsmonopol 352. Aus der Formulierung in Satz 2 der Präambel des Grundgesetzes „Die Deutschen in den Ländern ... haben in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands vollendet" kann nichts Gegenteiliges gefolgert werden. Vielmehr ist Satz 2 im Zusammenhang mit Satz 1 und Satz 3 der Präambel des Grundgesetzes zu lesen, wonach sich das „Deutsche Volk" kraft seiner verfassunggebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben hat. Die Länder sind dabei nur als organisatorische Einheiten in Erscheinung getreten, deren sich das ungeteilte deutsche Volk, und nicht etwa eine Summe von Landesvölkern, zur Ausübung seiner verfassunggebenden Gewalt bedient hat 353 . Auch in tatsächlicher Hinsicht könnte die Summe der Landesvölker nicht einen einheitlichen Willen des Volkes im Sinne von Art. 20 Abs. 2 GG bilden. Trotz der Bündelung der Stimmen folgt die Stimmgewichtung im Bundesrat nach Art. 51 Abs. 2 GG dem Prinzip der „abgestuften Gleichheit" und stellt - in 346 Vgl. Pollmann, S. 119, 146 f.; so auch Fastenrath, DÖV 1990, 125 (135, Fußn. 84). 347 Grawert, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, § 14, Rdnr. 25. 348 Siehe oben, Teil 3, Kap. II.l. b), S. 166 ff. 349 Haegert, NJW 1961, 1137 (1139 f.). Zweifelnd im Hinblick auf die Regelung des Art. 23 Abs. 6 GG bereits: Pernice , DVBl. 1993, 909 (917). 350 Badura, Die Verfassung, S. 59. 351 Abzulehnen daher die Auffassung Erbguths, in: Verfassungsrecht im Wandel, 549 (567), der meint, es müsse ein gemeinsames Willensbildungsorgan der Länder geschaffen werden. 352 Haegert, NJW 1961, 1137 (1139). 353 GGK-Münch, Präambel Rdnr. 18; Haegert, NJW 1961, 1137; SGK-Huber, Präambel Rdnr. 20 f. Zur ursprünglichen Formulierung der Präambel: Stern, StaatsR II, S. 24.

230

Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

Abweichung von dem in Art. 38 Abs. 1 GG niedergelegten Prinzip der Gleichheit des Zähl- und Erfolgswertes - einen Kompromiß zwischen dem Prinzip der formalen Gleichheit der Gliedstaaten und der Bevölkerungsarithmetik dar 354 . Zudem bezieht die Staatspraxis bei der Berechnung der Stimmenzahl der Länder aufgrund des Wortlauts Art. 51 Abs. 2 GG, der von „Einwohnern" spricht, in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise auch die nichtdeutsche Bevölkerung mit ein, so daß nicht allein das „Staatsvolk" repräsentiert ist und es infolgedessen zu Verzerrungen kommen kann 355 . Darüber hinaus sind die Gegenstände der Willensbildung und -äußerung der Völker in den Ländern als territorial begrenzter Verbände notgedrungen andere als bei den Wahlen zum Bundestag und differieren in den einzelnen Ländern sehr stark voneinander. So sind die Landtagswahlen inhaltlich auf die jeweilige Landespolitik und die Bestätigung, Wahl oder Abwahl der jeweiligen Landesregierung bezogen356. Wenn die Landtagswahlen auch vielfach als mittelbare Bundesratswahlen erscheinen mögen 357 , korrespondieren die politischen Mehrheiten in den Landtagen in der Regel nicht mit denen im Bundestag, so daß den Wahlen in den Ländern weiterhin eine wichtige eigenständige und gewaltenteilende Funktion zukommt. Die Wahlen der Landtage erfolgen darüber hinaus in den Ländern zu ganz unterschiedlichen Zeitpunkten. Weder sind die einzelnen Legislaturperioden in den Ländern dekkungsgleich, noch besteht eine Übereinstimmung mit der Dauer der Wahlperiode des Bundestages358. Im Bundesrat sind daher regelmäßig die politischen Mehrheiten anders zusammengesetzt als im Bundestag. Auch der Bundesrat selbst ist daher keineswegs lediglich die Summe seiner Teile, sondern etwas Neues 359 . Insbesondere die Willensbildung und -betätigung wie auch die Repräsentation der Landesstaatsvölker durch den Bundesrat weisen daher nicht den Grad der Homogenität und der Einheitlichkeit auf, wie dies für das Staatsvolk

354

Vgl. GGK-Krebs, Art. 51 Rdnr. 11 f.; Stern, StaatsR II, S. 140 f. Nach der hier vertretenen Auffassung zum Demokratieprinzip und zum Begriff des „Volkes" dürfte diese Praxis verfassungswidrig sein, ebenso: MD-Scholz, Art. 51 Rdnr. 3. 356 Nach Schenke, JuS 1989, 698 (703), sollen die Wahlentscheidungen auf Landesebene indes eindeutig auf die BundesyoWtik bezogen sein. Dies trifft wohl nur zu einem Teil zu. 357 Isensee, AöR, 115 (1990), 248 (254). 358 In den Ländern wird nicht nur zu unterschiedlichen Zeitpunkten gewählt, auch die Dauer der Wahlperioden weichen voneinander ab: In den Ländern Baden-Württemberg, Brandenburg, Niedersachsen (ab der 14. WP), Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Thüringen, Saarland und Sachsen wird der Landtag auf 5 Jahre gewählt, in den übrigen Ländern hingegen nur für die Dauer von 4 Jahren. 359 Ossenbühl, DVB1. 89, 1230, (1235); ders., Föderalismus und Regionalismus, 117 (155). 355

III. Das Demokratieprinzip

231

im Sinne Art. 20 Abs. 2 GG und dessen Repräsentation durch den Deutschen Bundestag und die Bundesregierung der Fall ist 360 . Der Legitimationsstrang, den der Bundesrat vermitteln kann, könnte daher rechtlich wie faktisch unter keinen Umständen zum Bundes-Volk im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG zurückführen, sondern nur zu den Teilvölkern in den Ländern; letztere weisen jedoch weder eine gesamthänderische Qualität als Legitimationssubjekt noch einen hinreichenden Grad an Einheitlichkeit der Willensbildung und -betätigung auf. Der essentielle Bestandteil des Demokratieprinzips, nämlich eine ununterbrochene Legitimationskette zum Staatsvolk, ist im Fall des Letztentscheidungsrechts des Bundesrates in bezug auf die Handlungen der Bundesregierung damit nicht mehr gegeben. Die Situation des Bundesrates weist unter demokratischen Aspekten eine strukturelle Ähnlichkeit mit der gegenwärtigen Funktion des Europäischen Parlaments auf: Auch letzterem könnte in Ermangelung einer funktionierenden Gesamtrepräsentation eines einheitlichen Volkes derzeit keine demokratische Vollkompetenz oder - in den Worten Hubers - eine „positive demokratische Kompetenz" zugesprochen werden 361 .

(2) Das Erfordernis der „Effektivität" der Vermittlung demokratischer Legitimation Selbst wenn man entgegen der hier vertretenen Ansicht annehmen sollte, daß der über den Bundesrat vermittelte Legitimationsstrang zu den Landesvölkern im Fall des Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG der Bundesregierung eine ausreichende Legitimationsbasis verschaffen könnte, so käme immer noch das Erfordernis einer hinreichend „effektiven" Vermittlung der demokratischen Legitimation hinzu. Dies beinhaltet, daß der Wille der Landesvölker rechtlich und tatsächlich in einer Weise vermittelt werden müßte, so daß er im Ergebnis bei den betreffenden, zur Entscheidung berufenen Organen auch zur Geltung kommt. Für eine effektive demokratische Legitimation ist entscheidend, daß ein funktionierender und realisierbarer Zurechnungszusammenhang zwischen dem Volk und der Ausübung der Staatsgewalt hergestellt werden kann. Dieser Zurechnungszusammenhang muß letztlich bewirken können, daß sich der Wille des Volkes auch in den konkreten Amtshandlungen niederschlägt; ansonsten würde die Staatsgewalt nicht mehr vom Volk „durch" die besonderen Organe ausgeübt werden. Der Bundesrat könnte jedoch diese Effektivität, wollte man den Willen der Landesvölker ausreichen lassen, von vornherein nicht gewährleisten. Dem Bundesrat ermangelt es hierfür bereits an der einem Parlament typischen Repräsen-

360

Zum Erfordernis der Einheitlichkeit vgl. BVerfGE 83, 60 (75). Huber, P.M., Jahrb. zur Staats- und Verwaltungswissenschaft 1992/93, 179 (191 f., 203). 361

232

Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

tations-, „Rückkoppelungs-" und Öffentlichkeitsfiinktion, durch die der Wille des Volkes ausgedrückt, mitgebildet und aktualisiert wird 3 6 2 . Der oben beschriebene dialektische Prozeß der Willensbildung und Rückkoppelung könnte zwischen der Bundesregierung und den Landesvölkern und Länderparlamenten schon rein theoretisch gar nicht erst stattfinden. Der Bundesrat hätte auch - abgesehen von dem Informationsanspruch nach Art. 53 S. 3 GG - keinerlei Möglichkeiten oder Handhabe, die Bundesregierung politisch für deren Verhalten zur Verantwortung zu ziehen 363 . Auch diese Tatsache folgt zwingend aus der Zweigliedrigkeit des Staatsaufbaus der Bundesrepublik Deutschland und dem Gebot der Trennung der Verfassungsräume von Bund und Ländern. Ein Letztentscheidungsrecht des Bundesrates ist daher mit den Grundsätzen des Demokratieprinzips nicht zu vereinbaren 364.

(3) Abweichung vom Grundgedanken des Art. 23 Abs. 4 GG Der Gesetzgeber hat die sich aus dem Demokratieprinzip möglicherweise ergebenden Schranken für die Konstituierung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern bei Erlaß des Art. 23 GG offenbar nicht näher bedacht. Die Frage hat während der Beratungen der GVK keine Rolle gespielt 365 . Die Regelung des Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG mit der Möglichkeit der Bindung der Bundesregierung an ein Votum des Bundesrates muß dabei um so mehr überraschen, als eine solche Situation auch im innerstaatlichen Gesetzgebungsverfahren, das nach Art. 23 Abs. 4 GG Pate stehen sollte, nicht möglich wäre. Im Verfahren der Gesetzgebung des Bundes nach den Art. 76 ff. GG kann zwar ein bestimmtes Gesetzgebungsorgan „obsiegen" und ein anderes „unterliegen", so daß die Beteiligten meist versuchen, durch Anrufung des Vermittlungsausschusses politisch eine Einigung zu erzielen. Keinesfalls kann es jedoch zu einer Konstellation kommen, in der ein Gesetzgebungsorgan einem anderen eine Entscheidung aufzwingen könnte, die jenes gegen seinen Willen mittragen oder vertreten müßte. Selbst bei Gesetzesvorhaben, die der Zustimmung des Bundesrates be-

362 Hierzu: BVerfGE 10, 4 (13); 80, 188 (218); Klein,, H.H., in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, §40 Rdnr. 13 ff.; Ockermann/Glende, S. 17 ff.; Stern, StaatsR I, S. 959 ff. Bedenken auch bei: Langer, in: Deutschland auf dem Weg in die EU, 87 (89). 363 Auch die Möglichkeit der Anrufung des Bundesverfassungsgerichts könnte hieran nichts ändern. Dieses könnte bestenfalls ein Feststellungsurteil bezüglich der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des Verhaltens der Bundesregierung aussprechen, vgl. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG i.V.m. §§ 13 Nr. 5, 67 BVerfGG. Die politischen Konsequenzen aus einem solchen Urteil könnte wiederum nur der Bundestag ziehen, nicht aber der Bundesrat. 364 Ebenso: Badura Die Verfassung, S. 56 f. 365 Lediglich an einer Stelle wurde während der Beratungen der GVK diesbezügliche Zweifel geäußert, vgl. Hirsch, Sten. Prot, der 8. Sitzung der GVK v. 26.6.1992, S. 21.

III. Das Demokratieprinzip

233

dürfen, können sowohl im Fall des Zustandekommens als auch im Fall eines Scheiterns alle beteiligten Gesetzgebungsorgane ihre Entscheidungen ungeachtet politischer Zwänge eigenverantwortlich treffen und diese dem Volk gegenüber entweder unmittelbar - wie der Bundestag - oder mittelbar - wie Bundesregierung und Bundesrat - verantworten. Die Eigenverantwortlichkeit der beteiligten Organe ist hiernach immer gewahrt, denn sie ist conditio sine qua non für die Zurechenbarkeit von Verantwortung gegenüber dem legitimierenden Volk. Indem die Bundesregierung bei der Willensbildung gemäß Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG i.V.m. § 5 Abs. 2 EUZBLG vom Bundesrat gezwungen werden kann, eine „fremde", von ihr nicht gebilligte Haltung einzunehmen und nach außen zu vertreten, wird dem Bundesrat folglich ein „Mehr" an Rechten gewährt, als ihm innerstaatlich im Verfahren der Gesetzgebung überhaupt zukommen könnte. Es spricht einiges dafür, daß dieser eigenartige „Bruch" in der Systematik des Art. 23 GG durch das Abweichen vom Verteilungsmodus des Absatzes 4 das Ergebnis eines politischen Kompromisses der Gemeinsamen Verfassungskommission darstellte, dem als Motiv die Vorstellung der Länder zugrunde lag, es handele sich „eigentlich" um Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die der Bundesrat wahrnehme 366 - eine These, die bereits an anderer Stelle als nicht haltbar widerlegt worden ist und die zu widersprüchlichen Konsequenzen nötigt 3 6 7 .

4. Die Vereinbarkeit von Art. 23 Abs. 6 GG mit dem Demokratieprinzip a) Das Erfordernis

der ununterbrochenen Legitimationskette

zum Staatsvolk

Die Wahrnehmung der dem Ländervertreter im Rahmen der Außenvertretung nach Art. 23 Abs. 6 GG zugewiesenen Aufgaben - die Verhandlungsführung einschließlich der Abstimmung im Rat und seinen Untergremien - zählt nach dem oben Gesagten aus der innerstaatlichen Perspektive zur Ausübung von „Staatsgewalt" und bedarf folglich ebenfalls einer hinreichenden demokratischen Legitimation. Da der „Vertreter der Länder" formell und materiell nur die Bundesrepublik Deutschland als Gesamtstaat vertritt und eine dem Bund zustehende Kompetenz ausübt, muß die demokratische Legitimation ebenfalls auf das Volk im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG rückführbar sein. Wie zu Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG bereits dargelegt, könnte der Bundesrat aber eine solche Legitimation unmöglich vermitteln. Auch der Deutsche Bundestag scheidet in bezug

366 So deutlich der ehemalige Vorsitzende der GVK, Scholz, in: MD-Scholz, Art. 23 Rdnr. 103, 136. 367 Zur Kritik an der Konstruktion von Scholz siehe bereits die Anmerkung in Teil 2, Kap. IV, Fußn. 302. Zur Stellung des Ländervertreters siehe oben, Teil 2, Kap. IV.3. a), S. 147 ff.

234

Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

auf den Vertreter der Länder als potentieller Legitimationsmittler aus, da der Vertreter der Länder seiner Funktion und Stellung nach den Willen des Bundesrates repräsentiert, von diesem mit Weisungen versehen wird und diesem auch verantwortlich ist. Das einzelne Bundesland, aus dessen Bereich der Vertreter der Länder stammt, könnte erst recht keine demokratische Legitimation für die Ausübung eines Mandates eines Bundesorgans, d.h. eines Organs, das namens und mit Wirkung für das Staatsganze handelt, vermitteln 368 . Denkbar und möglich ist allerdings, daß das Handeln des Ländervertreters durch die Mitwirkung der Bundesregierung, die insoweit über eine hinreichende demokratische Legitimation verfügt, zumindest im Ergebnis mitgestützt werden kann. Der Ländervertreter tritt in den Verhandlungen nach Art. 23 Abs. 6 GG nicht alleine auf, sondern die Ausübung der ihm übertragenen Rechte erfolgt jeweils „unter Teilnahme von und in Abstimmung mit dem Vertreter der Bundesregierung". Durch ein solches Zusammenwirken zweier Organe, eines unitarischen und eines primär föderalen, könnte zumindest im Ergebnis den Erfordernissen des Demokratieprinzips entsprochen sein. Das Prinzip eines „dédoublement fonctionell" liegt der Mitwirkung des Bundesrates zugrunde und ist dem Grundgesetz daher nicht fremd 369 . Die Mitwirkung des Bundesrates an der Gesetzgebung des Bundes beruht primär darauf, neben dem demokratischen Aspekt, der vor allem durch den Bundestag vermittelt wird, ein föderales Element ins Spiel zu bringen; dies war gerade die tragende Idee der Schaffung des Organs „Bundesrat" in der Form, die das Grundgesetz vorgesehen hat 370 . Der demokratische Aspekt kann bei der Mitwirkung des Bundesrates deswegen an zweiter Stelle stehen, weil dieser Aspekt im Verfahren der Gesetzgebung durch die Mitwirkung des Bundestages und der Bundesregierung in hinreichender Weise zur Geltung kommt. Verglichen mit dem Gesetzgebungsverfahren nach den Art. 76 ff. GG sind die Gewichte bei dem Zusammenspiel zwischen Bundesregierung und Bundesrat im Rahmen des Art. 23 Abs. 6 GG i.V.m. § 6 Abs. 2 EUZBLG hingegen gänzlich unterschiedlich verteilt: Innerstaatlich kann der Bundesrat zwar bei zustimmungsbedürftigen Gesetzen das Zustandekommen eines Gesetzes verhindern. Entscheidend ist aber, daß kein Gesetz und keine Rechtsverordnung erlassen werden kann ohne die Zustimmung und maßgebliche Mitwirkung des Bundestages und der Bundesregierung, die zusammen weitgehend den Inhalt der zu erlassenden Vorschrift bestimmen. Im Rahmen des Zusammenwirkens nach Art. 23 Abs. 6 GG soll das Merkmal „in Abstimmung" aber weniger als ein

368

Dästner, NWVB1. 1994, 1 (3). Ähnlich: Heckel, Jahrb. zur Staats- und Verwaltungswissenschaft 1992/93, 385 (401). 369 Siehe hierzu oben, Teil 3, Kap. III. 1. d) (2), S. 194. 370 Zur demokratischen Legitimation des Bundesrates siehe bereits oben, Teil 3, Kap. I l l . l . d ) (2), S. 192 ff.

III. Das Demokratieprinzip

235

Einvernehmen bedeuten. Über die Sinnhaftigkeit dieser Nuancierung mag man streiten; weiter oben wurden schon einige kritische Bemerkungen angebracht 371. Ausschlaggebend für die Beurteilung aus dem Blickwinkel des Demokratieprinzips ist jedoch, daß dem Ländervertreter auch eine Verhandlungsführung ermöglicht wird, die von der Bundesregierung inhaltlich nicht oder zumindest nicht zur Gänze mitgetragen wird, da ein Einvernehmen eben nicht gefordert ist. Der Bundesrat könnte sich dergestalt mit seinen Vorstellungen gegen den Willen der Bundesregierung und des Bundestages durchsetzen und positiv den Erlaß eines Rechtsakts veranlassen, z.B. eine Richtlinie im Rat verhandeln und dieser zustimmen, mit der sich Bundesregierung und Bundestag inhaltlich nicht vollständig identifizieren können. Der Grad der Abweichung ist insoweit ohne Belang. Art. 20 Abs. 2 GG ordnet an, daß „alle" Staatsgewalt vom Volke ausgeht und durch besondere Organe ausgeübt wird. Sind die Handlungen des Ländervertreters als Vertreter des Bundes wegen der fehlenden vollinhaltlichen Zustimmung der Bundesregierung nicht über den Bundestag auf das Staatsvolk zurückführbar, sondern nur auf die Völker der Länder, läge ein Bruch in der Kette der demokratischen Legitimation vor. Auch die „Rückholbefugnis" der Bundesregierung, die aus der Pflicht zur Wahrung der gesamtstaatlichen Verantwortung des Bundes abgeleitet werden kann, reicht zur Vermittlung der demokratischen Legitimation nicht aus. Wie oben gezeigt, handelt es sich hierbei nur um einen als Ausnahmetatbestand konzipierten „Notvorbehalt", der sowohl aus rechtlichen wie aus faktischen Gründen nur selten zur Anwendung gelangen kann 372 . Art. 20 Abs. 2 GG fordert demgegenüber für jede Ausübung von Staatsgewalt die Rückführbarkeit auf das Staatsvolk. Eine Übertragung der Verhandlungsführung auf einen Vertreter der Länder wäre demnach zwar nicht schlechthin unzulässig. Voraussetzung wäre aber zumindest, daß die Bundesregierung der Verhandlungsführung inhaltlich zustimmt und stets über einen solchen Einfluß auf den Inhalt der vertretenen Positionen und das Stimmverhalten verfügt, daß sie sich die jeweils vertretene Position zu eigen machen kann und ihr die Handlungen des Ländervertreters vollinhaltlich zurechenbar sind. Da Art. 23 Abs. 6 GG i.V.m. § 6 Abs. 2 EUZBLG diesen Erfordernissen nicht entspricht, verstößt er insoweit gegen das Demokratieprinzip.

b) Die Effektivität

der Vermittlung

demokratischer

Legitimation

Nicht nur ermangelt es im Fall der Außenvertretung der Bundesrepublik Deutschland durch einen Ländervertreter an einer ununterbrochenen Legitimationskette hin zum Bundes-Volk im Sinne von Art. 20 Abs. 2 GG. Auch von ei-

371 372

Siehe oben, Teil 2, Kap. IV.4. a), S. 156 f. Siehe oben, Teil 2, Kap IV.4. b), S. 158 ff.

236

Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

ner „effektiven" Vermittlung demokratischer Legitimation könnte keine Rede mehr sein: Der Deutsche Bundestag muß als möglicher „Demokratiemittler" nach dem oben Gesagten von vornherein ausscheiden. Der Vertreter der Länder ist gem. § 45i GO-BR an die Beschlüsse des Bundesrates gebunden und kann folglich insoweit vom Bundesrat zur Verantwortung gezogen werden, zum Beispiel durch Abberufung. Hierbei handelt es sich jedoch um eine exekutive Eigenkontrolle innerhalb des Organs „Bundesrat", die von ihrer Wirkung im Hinblick auf die Öffentlichkeits- und Rückbindungsfunktion nicht den Grad einer parlamentarischen Kontrolle einnehmen kann 373 . Dem Bundesrat fehlt es an den für ein Parlament typischen Eigenschaften als Forum der Willensbildung und -Vermittlung374. Der Vertreter der Länder könnte auch nicht von dem Parlament desjenigen Bundeslandes zur Rechenschaft gezogen werden, das ihn zum Bundesrat entsandt hat, da er ein Mandat des Bundes wahrnimmt und seine Weisungen vom Bundesrat als Gremium erhält 375 . Die Aspekte der Rückkoppelung und der Rückbindung würden aber andererseits auch nicht in bezug auf eine etwaige Gesamtheit der Landesvölker funktionieren. Dies würde in praktischer Hinsicht kaum zu bewältigende Probleme der Koordination der Länderparlamente aufwerfen - an das Scheitern des Länderbeteiligungsverfahrens sei erinnert - , so daß eine Einheitlichkeit der Willensbildung der Landesvölker, die zu dem Ländervertreter letztlich durchschlägt, auch auf diese Weise nicht hergestellt werden könnte. Der Einfluß der Landesparlamente beschränkt sich - eine Koordinierung unterstellt - allenfalls auf die Möglichkeit, das Verhalten ihrer jeweiligen Regierung im Bundesrat zu beeinflussen und so auf indirektem Wege bei der Bestellung oder Abberufung des Ländervertreters mitzuwirken. Mag ein solches Szenario eines konzertierten Vorgehens der Landesparlamente bereits unwahrscheinlich sein, so wäre ein funktionierender Willensbildungsprozeß zwischen den einzelnen Bundesländern und der letzten Entscheidungsstufe „Ministerrat" aufgrund der demokratischen „Entfernung" und der Vielzahl der von den Landesparlamenten praktisch nicht zu überschauenden Einflüsse auf internationaler Ebene praktisch kaum vorstellbar 376 .

5. Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis kann festgehalten werden, daß sowohl Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG als auch Art. 23 Abs. 6 GG teilweise gegen den Kerngehalt des Demo-

373 Unzutreffend daher Dästner, NWVB1. 1994, 1 (2 f.), der insoweit von „politischer" Verantwortlichkeit des Vertreters der Länder spricht. 374 Siehe Fußn. 362. 375 Dästner, NWVB1. 1994, 1 (3). 376 Ähnlich auch Classen , ZRP 1992, 57, (60).

IV. Der Grundsatz der Gewaltenteilung

237

kratieprinzips verstoßen und verfassungswidrig sind 377 . Im Fall des Letztentscheidungsrechts fehlt der Bundesregierung, sofern sie inhaltlich an das Votum des Bundesrates gebunden ist, für ihr Handeln eine hinreichende, auf das Staatsvolk im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG zurückgehende Legitimation. Die Legitimation, die der Bundesrat vermitteln könnte, führt lediglich zu den Landesvölkern zurück, so daß eine ununterbrochene Legitimationskette zum Volk im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG nicht mehr vorliegt. Gleiches gilt für die Außenvertretung nach Art. 23 Abs. 6 GG i.V.m. § 6 Abs. 2 EUZBLG, soweit der Vertreter der Länder zu einer Verhandlungsführung ermächtigt ist, die nicht die vollinhaltliche Zustimmung der Bundesregierung voraussetzt 378.

IV. Der Grundsatz der Gewaltenteilung, Art. 79 Abs. 3 i.V.m. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG Das Letztentscheidungsrecht des Bundesrates nach Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG und seine Befugnis zur Außenvertretung nach Art. 23 Abs. 6 GG fordern auch zu einer Untersuchung heraus, ob sie gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz des Grundgesetzes verstoßen. Insbesondere greifen die weitreichenden Mitwirkungsrechte des Bundesrates gegenüber der Bundesregierung möglicherweise in deren „Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung" ein 379 . Dieser kann, wie im folgenden zu zeigen sein wird, aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz des Grundgesetzes abgeleitet werden. Die Bestimmung der änderungsfesten Grundsätze des Gewaltenteilungsprinzips bereitet indes ähnliche Schwierigkeiten wie bei den zuvor untersuchten Staatsstrukturprinzipien.

1. Der normative Gehalt des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG Der sog. Grundsatz der „Gewaltenteilung" zählt durch die Bezugnahme des Art. 79 Abs. 3 GG auf die Grundsätze des Art. 20 GG ebenfalls zum geschützten, jeder Verfassungsänderung entzogenen Kernbereich der Verfassung. Der Grundsatz der Gewaltenteilung wird im allgemeinen der Aussage des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG entnommen, der vorsieht, daß die Staatsgewalt durch „besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtspre-

377 Im Ergebnis ebenso: Classen, ZRP 1992, 57, (60); Breuer, NVwZ 1994, 417 (428), für Art. 23 Abs. 6 GG. 378 A.A.: GGK-Rojahn, Art. 23 Rdnr. 76. 379 Zum Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung: BVerfGE 9, 268 (281); 22, 106 (111); 34, 52 (59); 67, 100 (139); 68, 1 (87); 77, 1 (44, 59); 90, 286 (389 f.). Vgl. auch Stern, StaatsR II, S. 541 ff., m.w.N.

238

Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

chung" ausgeübt w i r d 3 8 0 . Darüber hinaus ist ein Grundsatz der „Gewaltentrennung" oder der „Gewaltenteilung" selber i m Grundgesetz nirgends explizit niedergelegt. Dennoch kann auch das Grundgesetz nicht isoliert von der geschichtlichen Entwicklung der Gewaltenteilungslehre begriffen werden 3 8 1 . M i t der Trennung zwischen verschiedenen „Gewalten" und dem Erfordernis der Einrichtung „besonderer Organe" hierfür knüpft das Grundgesetz in bewußter Weise an die „klassische" Gewaltenteilungslehre i m Sinne Montesquieus 3 8 2 an 3 8 3 . Die Deutungen des Dogmas der Gewaltenteilung und die hieraus gezogenen Konsequenzen für die Auslegung des Grundgesetzes sind überaus variantenreich und können an dieser Stelle nicht vertieft werden 3 8 4 . Maßgebend für eine rechtliche Analyse des Kerngehaltes muß in erster Linie seine konkrete Ausgestaltung im Grundgesetz bilden, da anderenfalls die Konturen des Gewaltenteilungsprinzips des Grundgesetzes zu verschwimmen drohen 3 8 5 . So w i r d das im Grundgesetz verwendete M o d e l l der Gewaltentrennung zwar von einer historischen Entwicklung beeinflußt und ist nicht isoliert davon zu sehen; sein Inhalt

380

Vgl. Hesse, Verfassungsrecht, Rdnr. 476 ff. Vgl. hierzu: Stern, StaatsR II, S. 513 ff. 382 Charles de Montesquieu, De Γ Esprit des Lois, (Genf 1748); in deutscher Fassung mit Einleitung herausgegeben von Forsthoff, Montesquieu, Tübingen 1951, Bd. 1, S. 214 ff. 383 Kühl, S. 106, 125 f., m.w.N.; Stern, StaatsR II, S. 521 f. Natürlich weicht die Ausgestaltung des Prinzips im Grundgesetz in mannigfaltiger Weise von den Vorstellungen Montesquieus ab. Deswegen kann aber nicht der historische Einfluß desselben verneint werden, wie dies E. Stein tut, der die Behauptung für „nicht haltbar" ansieht, daß das Grundgesetz das Prinzip der Gewaltenteilung im Sinne Montesquieus verwirkliche, vgl. ders., Staatsrecht, § 12 II, S. 110. 384 Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG ist nach allgemeiner Ansicht nur Ausdruck des „überpositiven" Dogmas der Gewaltenteilung, wonach die Trennung der Staatsgewalt zum Zweck ihrer Mäßigung durch gegenseitige Kontrolle das tragende Prinzip sei. In diese Richtung deuten die meisten Entscheidungen des BVerfG, vgl. E 3, 225 (247); 9, 267 (279); 34, 52 (59). Auch Stern, StaatsR II, S. 531 f., scheint hierauf zumindest den Schwerpunkt zu legen. Meist wird der Gewaltenteilungsgrundsatz als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips verstanden, so: GGK-Bryde, Art. 79 Rdnr. 42 f.; GGK -Schnapp, Art. 20 Rdnr. 23; Görisch, JuS 1997, 988 (989); Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, § 24 Rdnr. 46 ff. Es gibt aber auch Stimmen, die dem Gewaltenteilungsprinzip schlechthin eine Bedeutung jenseits der konkreten Kompetenzbestimmungen absprechen, so z.B. Stein, E., Staatsrecht, § 12 II, S. 110. Demgegenüber wird eine „moderne", weitere Auffassung maßgeblich von Hesse vertreten, der den Gegenstand der Gewaltenteilung in positivem Sinne bestimmt als einer konkreten Ordnung des Zusammenwirkens, einer Konstituierung und Kompetenzzuweisung an die Organe, die die einzelnen Funktionen wahrnehmen, vgl. ders., Verfassungsrecht, Rdnr. All ff., 482; ihm folgend: Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, § 24 Rdnr. 50; in dem Sinn auch Stern, StaatsR II, S. 530 f. 381

385 Insoweit gilt nichts anderes wie für das Bundesstaatsprinzip und das Demokratieprinzip, vgl. auch: Hesse, Verfassungsrecht, Rdnr. 477 ff.; Stettner, JöR Bd. 35 (1986), 57 (63 f.); Kühl, S. 103 f., m.w.N., der jedoch in stärkerem Maße als die Vorgenannten auf die historischen Grundlagen abstellt.

IV. Der Grundsatz der Gewaltenteilung

239

wird jedoch nicht von einem der Verfassung vorausgehenden Dogma bestimmt 386 . Auch insoweit kann wiederum mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts gesagt werden, daß der geschützte Kernbereich des Art. 79 Abs. 3 GG „etwas anderes, zum Teil mehr, zum Teil weniger (ist) als die Formulierung" der Einzelaussagen der jeweiligen Artikel, auf die sich Art. 79 Abs. 3 GG bezieht 387 .

a) Der Grundsatz der Trennung der „Gewalten" und sein Bezug zu den anderen Staatsstrukturprinzipien Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG spricht von dem Erfordernis, daß die Staatsgewalt durch „besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung" ausgeübt wird. Einigkeit besteht insoweit, daß Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG die Unterscheidung der Funktionen Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung (materielle Funktionentrennung) sowie die Zuordnung dieser Funktionen an bestimmte, hierfür vorgesehene Organe oder Funktionsträger verlangt 388 . Eine Bestätigung dieser grundsätzlichen Trias findet sich darüber hinaus in Art. 1 Abs. 3 GG sowie in den Abschnitten VII, VIII und IX des Grundgesetzes 389. In Verbindung mit dem vorhergehenden Satz 1 des Art. 20 Abs. 1 GG, der für das Prinzip der Volkssouveränität von der Einheitlichkeit des Trägers der Staatsgewalt und damit auch von der Einheit der Staatsgewalt ausgeht390, ergibt sich weiterhin, daß es nicht um die Verteilung der „Staatsgewalt" als solcher gehen kann, sondern lediglich um die Verteilung von Zuständigkeiten und Funktionen™. Die „Staatsgewalt" tritt abgesehen von den Wahlen und Abstimmungen immer nur als die Ausübung der den „besonderen Organen" zugewiesenen Funktionen in Erscheinung. Sie kann als der Inbegriff dessen betrachtet werden und ist identisch hiermit 392 . Nur von den Funktionen wiederum ist auch ein Rückschluß auf die jeweiligen Funktionsträger oder Organe möglich 393 . Daher ist der Begriff „Gewaltenteilung" selbst nicht eindeutig; vielmehr müßte genauer von einem Grundsatz der „Funktionenteilung" oder ,,-tren-

386

Hesse, Verfassungsrecht, Rdnr. 476 ff. In dem Sinne wohl auch Kühl, S. 103 f. BVerfGE 30, 1 (24). 388 Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, § 24 Rdnr. 52 ff. 389 So auch Kühl, S. 125 f. 390 Vgl. Stern, StaatsR II, S. 533 ff. 391 Jestaedt, S. 168 f.; Ossenbühl, DÖV 1980, 545 (547); Stern, StaatsR II, S. 520 ff; Wrege, Jura 1996, 436 ff. Kritisch: Stettner, JöR Bd. 35 (1986), 57 (60 ff.). 392 Stern, StaatsR II, S. 522. 393 Stern, StaatsR II, S. 522 ff. 387

240

Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

nung" gesprochen werden, da hiermit das Gewollte deutlicher zum Ausdruck kommt 394 . Die Staatsgewalt, die durch die besonderen Organe ausgeübt wird, erfährt auf diese Weise ihre Gliederung und Organisation. Das Gewaltenteilungsprinzip soll sich auf dem Boden des Demokratieprinzips entfalten, und zwar dergestalt, daß beide Prinzipien voll zur Geltung kommen und die Verantwortungs- und Legitimationsstränge der jeweiligen Organe und Organwalter gewahrt bleiben 395 . Auch der demokratische Staat ist auf die Aspekte der Mäßigung, der Balancierung und der rationalen Kompetenzzuordnung seiner Staatsorgane angewiesen 396 . Das Prinzip der Gewaltenteilung wirkt so als oberste Zuständigkeitsund Kompetenzordnung und tritt als eigenständiges Prinzip neben das Demokratieprinzip 397 . Nach seinem Zweck, die staatliche Ordnung zu gliedern und zu organisieren, wirkt das Gewaltenteilungsprinzip auch innerhalb der Funktionsträger oder Organgruppen und in deren nachgeordneten Bereichen fort („Gewaltenteilung innerhalb der Gewalten") 398 . In den Aspekten der Mäßigung und der Balance der Staatsgewalt erblickte das Bundesverfassungsgericht und mit ihm die überwiegende Auffassung in der Literatur die wesentliche Bedeutung des grundgesetzlichen Gewaltenteilungsprinzips 399. Aus diesem Grund wird das Gewaltenteilungsprinzips auch traditionellerweise als Kernelement und besondere Ausprägung des in Art. 28 Abs. 1 GG und nunmehr auch in Art. 23 Abs. 1 GG genannten Rechtsstaatsprinzips gedeutet, das ebenfalls zu den tragenden Staatsstrukturprinzipien des Art. 20 GG zählt 400 . Im übrigen ergeben sich Inhalt, Ausgestaltung und Tragweite des vom Grundgesetz konkret verwirklichten Gewaltenteilungsgrundsatzes erst anhand der Analyse einer Vielzahl weiterer Bestimmungen im Grundgesetz, die den Aufgabenbereich und das Verhältnis der Staatsorgane zueinander im einzelnen festlegen. Auch insoweit kann von einem Typus gesprochen werden, dessen nä-

394

Der Begriff der „Gewalt" kann sowohl an die Funktion als auch an die hierfür vorgesehenen Organe anknüpfen und ist bereits deshalb unpräzise, vgl. Stern, StaatsR II, S. 522. 395 Zu der Verbindung mit Demokratieprinzip siehe oben, Teil 3, Kap. III.3. a), S. 222 ff. 396 So auch Kühl, S. 117 ff., m.w.N. 397 Vgl. Kühl, S. 117 ff., m.w.N. 398 Stern, StaatsR II, S. 541. Zur „Multidimensionalität" des Gewaltenteilungsprinzips vgl. ders., S. 548 ff. 399 Vgl. BVerfGE 5, 85 (199); 9, 268 (279); 22, 106 (111); 30, 1 (27 f.); 34, 52 (59); Kühl, S. 118; Stern, StaatsR II, S. 539 ff., m.w.N. 400 Vgl. BVerfGE 2, 307 (329); 3, 225 (247 f.); 30, 1 (27 f.); Bleckmann, Staatsrecht I, S. 243 ff.; Görisch, JuS 1997, 988 (989); Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, § 24 Rdnr. 1 ff.; 46 ff.; SGK-Sachs, Art. 20 Rdnr. 74 ff., 79 ff.; Stern, StaatsR I, S. 778 ff., 784 ff., 792 ff.

IV. Der Grundsatz der Gewaltenteilung

241

herer Gehalt nicht ohne den Blick auf das Ganze der Verfassung ermittelt werden kann 401 . Ein reines oder striktes Prinzip der „Gewaltentrennung" im Sinne eines außerverfassungsmäßigen Dogmas wird dabei vom Grundgesetz nirgends verwirklicht 402 . Die Zuordnung der einzelnen Gewalten ist im Grundgesetz stets nur prinzipiell und für den jeweiligen Kernbereich an einen bestimmten Funktionsträger erfolgt. Regelmäßig sind die jeweiligen Funktionszuweisungen durch ein differenziertes Geflecht von gegenseitigen Verschränkungen, Verzahnungen und Einwirkungen gekennzeichnet, die sich quer durch das Verfassungsrecht erstrecken und nahezu jeden Aufgabenbereich erfassen (sog. System der „checks and balances")403. Die Kompetenzzuweisungen an die obersten Bundesorgane Bundestag, Bundesregierung und Bundesrat sind dermaßen vielfältig, und sie zeichnen sich durch so zahlreiche Mitwirkungsbefugnisse und gegenseitige Ingerenzen aus, daß eine ausschließliche Zuordnung der Funktion „Gesetzgebung" zum Bundestag oder der „vollziehenden Gewalt" zur Bundesregierung oder zum Bundesrat nicht möglich wäre. Selbst der Bereich der Rechtsprechung, der von den anderen Gewalten in besonderer Weise getrennt ist 404 , kennt Verflechtungen vor allem mit der vollziehenden Gewalt, wie zum Beispiel auf dem Gebiet der Justizverwaltung 405. Für den Bundesrat, der als „Organ sui generis" eine querschnittsähnliche Stellung zwischen Gesetzgebung und Regierung und Verwaltung einnimmt, ist dies besonders augenfällig 406. Auch der Deutsche Bundestag stellt nicht nur ein „reines" Gesetzgebungsorgan dar, vielmehr ist er aufgrund der mannigfaltigen Verschränkungen und des gegenseitigen Wechselspiels im Verhältnis zur Bundesregierung - nunmehr verstärkt durch Art. 23 Abs. 3 und Art. 45 GG - in erheblichem Umfang an der Funktion der Regierung im Sinne einer Staatsleitung als Ganzes beteiligt und „regiert"

401

Hesse, Verfassungsrecht, Rdnr. 481 f. Vgl. Ossenbühl, DÖV 1980, 545 (546). Wie Kühl nachgewiesen hat, war der Gedanke der Gewaltenverschränkung und gegenseitiger Machtbalance durchaus bereits in der „klassischen" Gewaltenteilungslehre Montesquieus enthalten. Das Dogma der strikten Trennung entwickelte sich erst später im Zuge der französischen Revolutionsverfassungen, ging jedoch nicht auf das klassische Prinzip Montesquieus zurück und wurde im übrigen auch nie in Reinform verwirklicht, vgl. Kühl, S. 114 f., 120 f. 403 Vgl. die Beispiele bei: Kühl, S. 120 ff.; Stern, StaatsR II, S. 540 ff., m.w.N. 404 Vgl. Art. 92, 97, 101, 137 GG. 405 Siehe im einzelnen § 4 Abs. 2 DRiG; vgl. zur Problematik eingehend Heyde, HdbVerfR, § 33 Rdnr. 12 ff.; Stern, StaatsR II, S. 898 ff.; jew. mit Nachweisen aus der umfangreichen Rechtsprechung. 406 Die Rechtsstellung des Bundesrates ist bis heute umstritten. Neben seinen Mitwirkungsbefugnissen im Bereich der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes (Art. 50 GG) besitzt der Bundesrat noch eine Vielzahl weiterer Befugnisse unterschiedlichster Intensität, vgl. die Darstellungen bei: Herzog, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, § 44 Rdnr. 1 ff., 27 ff.; §45 Rdnr. 1 ff.; Pollmann, S. 99 ff., 114 ff.; Reuter, Art. 50 Rdnr. 12 ff., 36 ff., 63 ff., 227 ff.; Stern, StaatsR II, S. 126 ff.; ders., StaatsR I, S. 729 ff. 402

16 Halfmann

242

Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

folglich in gewissem Umfang mit 4 0 7 . In der Staatsrechtslehre ist dieses Zusammenspiel sogar dahingehend charakterisiert worden, daß die politische Leitungsgewalt Parlament und Regierung „zur gesamten Hand" zustehe408 - eine unter dem Aspekt der Gewaltenteilung und des Demokratieprinzips nicht unproblematische Aussage409. Anerkannt ist nämlich, daß Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG im Grundsatz die Aufrechterhaltung der Trennung der verschiedenen Funktionsbereiche und deren Wahrnehmung durch hierfür vorgesehene „besondere" Organe verlangt. Diese Grundaussage darf auch durch ein System der „checks and balances" nicht soweit modifiziert oder ausgehöhlt werden, daß von dem Grundsatz de jure und de facto nichts mehr übrigbleibt 410 . So ist beispielsweise ein Einbruch in die zentralen Gestaltungsbereiche, die zu den wesensbestimmenden Merkmalen einer Funktion gehören, durch zu enge Verzahnungen der verschiedenen Funktionen, sei es in organisatorischer oder personeller Hinsicht, nicht zulässig411. Mögen daher Verstöße gegen Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG im Einzelfall auch schwer begründbar sein 412 , so enthebt dies nicht von der Aufgabe, die durch Art. 79 Abs. 3 GG gezogenen Grenzen aufzuzeigen. Keineswegs läßt sich aufgrund der zahlreichen Verflechtungen und Ingerenzen, die das Grundgesetz für das Zusammenspiel der Bundesorgane vorsieht, der Schluß ziehen, dem Grundsatz der Gewaltenteilung komme außerhalb der geltenden Kompetenzordnung keine eigene Bedeutung zu 413 . Solcherlei Aussagen fußen auf einem dem Grundgesetz fremden Verständnis des Gewaltenteilungsprinzips im Sinne eines strik407 Zur Regierungsfunktion des Parlamentes vgl. Klein, H.H., in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, §40 Rdnr. 30 ff.; Mößle, W., Regierungsfunktionen des Parlaments, München 1986; ders., in: Der Landtag als Forum, S. 23 ff.; Stern, StaatsR I, S. 956 ff. Vgl. zu den Verflechtungen zwischen Bundestag und Bundesregierung auch Schneider, H.-P., in: Benda/Maihofer/Vogel, HdbVerfR, § 13 Rdnr. 15 ff., 82 ff. 408 Die Formulierung geht, freilich in positivem Sinne gemeint, auf Ernst Friesenhahn zurück, vgl. ders., Parlament und Regierung im modernen Staat, in: VVDStRL Bd. 16(1958), S. 9 (37 ff.). 409 Kritisch auch: Kühl, S. 120; ΜΌ-Scholz, Art. 23 Rdnr. 99. Zum Problem der „Staatsleitung zur gesamten Hand", vgl. die oben in Kap. III, Fußn. 338, genannten Autoren. Bedenken in bezug auf die Regelung des Art. 23 Abs. 5 und 6 GG äußern insoweit: Badura, in: FS für Lerche, 369 (377 f.), (bereits hinsichtlich der Vorschläge der „Kommission Verfassungsreform" des Bundesrates, BR-Drs. 360/92); Heckel, Jahrb. zur Staats- und Verwaltungswissenschaft 1992/93, 385 (399); Kleffner-Riedel, BayVBl. 1995, 104 (107); Oppermann, Arbeitspapiere zur Internationalen Politik, Nr. 71 (1992), 7(16); Oppermann/Classen, NJW 1993, 5 (12). 410 Brenner, ThürVBl. 1993, 196 (198); Busse, DÖV 1989, 45 (47); Stern, StaatsR II, S. 536 ff. 411 GGK-Schnapp, Art. 20 Rdnr. 34; Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, § 24 Rdnr. 56 f.; Stern, StaatsR II, S. 541 ff.; StaatsR I, S. 795. 412 GGK -Schnapp, Art. 20 Rdnr. 34; SGK -Sachs, Art. 20 Rdnr. 93; ähnlich SchmidtAßmann, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, § 24 Rdnr. 53 ff. 413 So Stein, E., Staatsrecht, § 12 II, S. 110.

IV. Der Grundsatz der Gewaltenteilung

243

ten Trennungsgebotes und übersehen dabei die konkrete Ausprägung und Funktion dieses Prinzips, die das Grundgesetz getroffen hat 414 .

b) Die „ besonderen Organe " und der Schutz des Kernbereichs Die Bestimmung des unantastbaren Kernbereichs des Gewaltenteilungsprinzips muß zunächst vom Wortlaut des Art. 20 GG ausgehen. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG kann entnommen werden, daß er nicht nur die grundsätzliche Trennung der Funktionen erfordert, sondern auch die Wahrnehmung dieser Funktionen durch „besondere Organe". Aus der Garantie des Vorhandenseins „besonderer" Organe folgt weiterhin, daß auch ein wesenstypischer, „besonderer" Kompetenzbereich jeder der drei grundlegenden Staatsfunktion einem ausschließlich hierfür bestimmten Organ oder Funktionsträger vorbehalten werden muß 415 . Das Erfordernis einer grundlegenden Trennung der Staatsfunktionen korrespondiert daher auf der Ebene der Organe, die zur Wahrnehmung der jeweiligen Funktion vorgesehenen sind, mit dem Erfordernis einer grundsätzlichen Trennung und Wahrung ihrer Aufgabenbereiche 416. Jedes Organ oder jede Organgruppe 417 einer bestimmten Funktion ist vor Übergriffen und Einwirkungen durch andere Funktionsträger bis zu einem bestimmten Grad geschützt418. Dieser unantastbare Bereich wird in der Rechtsprechung und der Literatur vielfach mit dem Begriff des „Kernbereichs" bezeichnet419. Der Kernbereichsgedanke ist bereits frühzeitig durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geprägt worden, das sich in mehreren Entscheidungen mit dem Zusammenspiel zwischen Gesetzgeber und Regierung im parlamentarischen Regierungssystem des Grundgesetzes zu befassen hatte. Der Kernbereichsschutz spielte vor allem im Verhältnis zwischen Parlament und Regierung eine Rolle, da aufgrund des parlamentarischen Regierungssystems eine besonders enge Wechselwirkung zwischen Parlament und Regierung stattfindet. Bei der näheren Bestimmung der Grenzen des unantastbaren Kernbereichs hat es folgende Entwicklungslinien gegeben.

414

So zutreffend Kühl, S. 114 f., 120 f.; kritisch auch: Bleckmann., Staatsrecht I, Rdnr. 564 f., sowie Stettner, JöR Bd. 35 (1986), 57 (68 f.). 415 BVerfGE 4, 331 (346 f.). 416 Vgl. Hesse, Verfassungsrecht, Rdnr. 489; Stern, StaatsR II, S. 525, 538 ff., m.w.N. 417 Betrachtet man die Gewaltenteilung unter dem Aspekt der drei Staatsfunktionen Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung, so bietet sich an, die Staatsorgane zu „Organgruppen" zusammenzufassen, vgl. Stern, StaatsR II, S. 522 f. 418 BVerfGE 9, 268 (281); 22, 106 (111); 34, 52 (59); 67, 100 (139); 68, 1 (87); 77, 1 (44, 59); 90, 286 (389 f.). Vgl. auch Stern, StaatsR II, S. 541 ff., m.w.N. 419 Siehe Fußn. 416 und 418.

244

Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht (1) Der Aspekt der gegenseitigen Machtbalance

Ursprünglich maß das Bundesverfassungsgericht dem Gedanken der Machtbalance zwischen den Funktionsträgern eine entscheidende Bedeutung zur Bestimmung des weisungsfreien Kernbereichs zu. Kein Organ dürfe ein in der Verfassung nicht vorgesehenes Übergewicht über ein anderes Organ erhalten und diesem die verfassungsrechtlich zugewiesenen Kompetenzen entziehen420. Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts spiegeln insoweit sein Verständnis des Gewaltenteilungsprinzips wider, dessen Hauptzweck es ursprünglich darin erblickte, im Wege der gegenseitigen Kontrolle und Hemmung der Gewalten eine Aufteilung, Mäßigung und Beschränkung der Staatsmacht zu bewirken 421 .

(2) Der Aspekt der Eigenverantwortlichkeit In späteren Entscheidungen wurde der Kernbereichsgedanke weiterentwickelt 4 2 2 und schließlich losgelöst vom Topos der Machtbalance mit dem Gesichtspunkt der Eigenverantwortung der Regierung begründet 423: Die Verantwortung der Regierung gegenüber Parlament und Volk setze notwendigerweise einen Kernbereich exekutivischer Eigenverantwortung voraus, in den nicht eingegriffen werden dürfe 424 . Durch das Abstellen auf die exekutivische Eigenverantwortung wurden Elemente des Demokratieprinzips zur Konkretisierung des unantastbaren Kernbereichs herangezogen 425. In der Tat erfordert - wie oben dargestellt - die Herstellung und Aktualisierung von demokratischer Legitimation, vor allem im Hinblick auf die konkreten Amtshandlungen, eine dem korrespondierende Handlungsfreiheit des Amtsträgers, da es ansonsten an Ansatzpunkten für eine Zurechenbarkeit der Verantwortung fehlen würde. Der Umschwung in der Rechtsprechung zur Begründung des Kernbereichs kann als Indiz dafür gesehen werden, daß das Bundesverfassungsgericht den Inhalt des grundgesetzlichen Gewaltenteilungsprinzips nicht mehr allein in den Aspekten der gegenseitigen Ba-

420

So BVerfGE 9, 268 (279 f.); 22, 106 (111); 34, 52 (59). Vgl. BVerfGE 5, 85 (199); 9, 268 (279); 22, 106 (111); 30, 1 (27 f.); 34, 52 (59); Stern, StaatsR II, S. 539 ff. Kritisch vor allem Hesse, Verfassungsrecht, Rdnr. 476 ff., 482 ff. 422 BVerfGE 22, 49; 34, 52 (59). 423 Vgl. BVerfGE 67, 100 (139); 68, 1 (87); 77, 1 (44, 59); 90, 286 (389 f.). 424 BVerfGE 67, 100 (139); 68,1 (87); 90, 286 (389 f.). 425 Vgl. auch die Entscheidung des VerfGH RhPf, NVwZ-RR 1994, 665 (669), der einen eingriffsfesten Kern zugunsten der Regierung aus deren qualitativem Legitimationsvorsprung ableitete. 421

IV. Der Grundsatz der Gewaltenteilung

245

lance und der Machtverschränkung und -hemmung der Staatsorgane erblickt, sondern sich insoweit in Richtung der neueren Literatur bewegt, die dem Gewaltenteilungsprinzip auch positiv-gestaltende und ordnende Aspekte abgewinnt 426 . Gleichwohl bleibt der Aspekt der Balance nach wie vor von Bedeutung: Ein Vorrang eines Organs einer Funktion gegenüber einem anderen Organ wäre mit der vom Grundgesetz vorgesehenen Eigenständigkeit der Gewalten oder Funktionen ebenfalls nicht vereinbar 427. Die Bundesregierung stellt keinen Ausschuß des Parlamentes dar, sondern formiert eine eigene selbständige Staatsfunktion 428; insbesondere darf sie nicht zu einem bloßen „Anhängsel" eines anderen Organs herabgestuft werden 429 .

(3) Der Aspekt der Funktionsgerechtheit und der Organadäquanz Das Erfordernis der Wahrnehmung der Staatsgewalt durch „besondere Organe" darf nicht in einem so engen Sinn verstanden werden, daß hierfür lediglich voneinander getrennte, ansonsten aber beliebige Organe eingerichtet werden könnten. Ebenso wie die Trennung der staatlichen Grundfunktionen folgt die Zuordnung dieser Funktionen an hierfür bestimmte Organe einem empirisch gewachsenen, rationalen und zweckhaften Plan 430 . Das Gewaltenteilungsprinzip des Grundgesetzes ist auch „funktionsbezogen" 431. Dieser Befund wird durch die zahlreichen Wahl-, Organisations- und Verfahrensbestimmungen der Bundesorgane bestätigt, die das Grundgesetz entweder selbst vorsieht oder die zu seiner Ausfüllung als materielles Verfassungsrecht erlassen worden sind. Die „besonderen Organe" müssen daher auf die Erfüllung ihrer jeweiligen Hauptfunktion zugeschnitten sein, d.h. die Zuweisung der Funktion muß sich in der Verfahrens- und Organstruktur widerspiegeln und dort eine Entsprechung finden 432 . Die staatliche Organisation und die Wahrnehmung der Verantwortlich-

426 So auch Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, § 24 Rdnr. 49. Die Tendenz zeichnete sich indes bereits in E 67, 100 (Flick-Untersuchungsausschuß) ab, nicht erst in E 68, 1 ff. (Atomwaffenstationierung). 427 Busse, DÖV 1989, 45 (47). 428 Stern, StaatsR I, S. 966 ff., 1008 ff. Dies verkennt Rath, ZParl Sonderband 1/1995, 114 (130 f.). 429 Vgl. Kühl, S. 127, m.w.N.; Stern, StaatsR II, S. 545. 430 Stern, StaatsR II, S. 536 ff. Auch die Dreiteilung der Funktionen Gesetzgebung, Vollziehung und Rechtsprechung ist nicht zufällig vorgenommen worden. Sie findet sich bereits bei Aristoteles und stellt ein „in langer historischer Entwicklung gewachsenes, empirisch und rational überzeugendes Prinzip" dar, so Stern, S. 524 f. 431 Kühl, S. 134 ff.; Stern, StaatsR II, S. 536. 432 Vgl. Hesse, Verfassungsrecht, Rdnr. 489. Kühl, S. 134 ff.

246

Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

keiten sollen „funktionsklar" und „funktionsgerecht" sein 433 . Den einzelnen materiellen Funktionen - Legislative, Exekutive und Judikative - muß grundsätzlich ein dafür spezifisch eingerichteter Funktionsträger entsprechen 434. Eine Lähmung der Staatstätigkeit würde die freiheitsverwirklichende Funktion des staatlichen Handelns behindern und liefe der Intention des Gewaltenteilungsprinzips im Ergebnis zuwider 435 . Angesichts der geschilderten Grundelemente und Ziele, die das Grundgesetz mit einem so verstandenen Gewaltenteilungsprinzip verfolgt, greift der vom Bundesverfassungsgericht in früheren Entscheidungen besonders hervorgehobene, maßgeblich auf der historischen Entwicklung fußende Gedanke der gegenseitigen Kontrolle und Hemmung der Gewalten als Hauptzweck des Gewaltenteilungsprinzips in der Tat zu kurz 436 . Nicht nur Teilung, Hemmung und Beschränkung der Staatsmacht allein, sondern auch in positiver Hinsicht die Garantie einer rationalen Ordnung der staatlichen Organisation, die sachgemäße Bestimmung, Zuordnung und Balancierung der staatlichen Funktionen, der Organe sowie der realen Kräfte, die durch diese verkörpert werden, und die hierdurch bewirkte Möglichkeit des einheitlichen Zusammenwirkens verschiedener Machtfaktoren bilden den Sinn und Zweck des Gewaltenteilungsgrundsatzes 437. Gewaltenteilung soll daher auch rationalisierend wirken, indem sie Verantwortungsklarheit durch geordnete Zuweisung und Wahrnehmung von Kompetenzen schafft 438. So verstanden ist der Gewaltenteilungsgrundsatz tragendes Organisationsprinzip für die „Ordnung der Verteilung und des Ausgleichs staatlicher Macht" 439 schlechthin. Vor dem Hintergrund der verschiedenen Funktionen des Gewaltenteilungsprinzips liegt es nahe, alle verschiedenen Aspekte miteinander zu kombinieren und zur Bestimmung des unantastbaren Kernbereichs der „besonderen Organe" heranzuziehen. Über die Argumentationstopoi „Machthemmung und -balance" sowie „Eigenverantwortung" hinaus kann somit auch auf den Aspekt der rationalen und sachgemäßen Ordnung des Zusammenwirkens zur Bestimmung des jeweiligen unantastbaren Kernbereichs zurückgegriffen werden. In einer neue433 Stern, StaatsR I, S. 793 f.; vgl. auch v. Danwitz, Der Staat 35 (1996), 329 (330 ff.). 434 Stern, StaatsR II, S. 538. 435 Kühl, S. 135, m.w.N. 436 Vgl. BVerfGE 5, 85 (199); 9, 268 (279); 22, 106 (111); 30, 1 (27 f.); 34, 52 (59); Stern, StaatsR II, S. 539 ff. Kritisch vor allem Hesse, Verfassungsrecht, Rdnr. 476 ff., 482 ff. 437 So vornehmlich Hesse, Verfassungsrecht, Rdnr. 482 ff., 497 ff.; Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, § 24 Rdnr. 50; Schuppert, S. 49 f.; Stettner, JöR Bd. 35 (1986), 57 (76 ff.). 438 Auf diesen Gesichtspunkt stellt nunmehr auch das BVerfG entscheidend ab, vgl. BVerfGE 67, 100 (139); 68, 1 (87); 77, 1 (44, 59); 90, 286 (389 f.). Vgl. ebenfalls die in Fußn. 437 genannten Autoren. 439 BVerfGE 68, 1 (87).

IV. Der Grundsatz der Gewaltenteilung

247

ren Entscheidung - „Pershing-2" - hat das Bundesverfassungsgericht in diesem Sinne argumentiert, indem es auf die besonderen „personellen, sachlichen und organisatorischen Möglichkeiten" der Regierung verwies, um auf „wechselnde äußere Lagen zügig und sachgerecht zu reagieren und so die staatliche Aufgabe, die auswärtigen Angelegenheiten verantwortlich wahrzunehmen, bestmöglich zu erfüllen" 440 . Damit hat es dem Gewaltenteilungsprinzip einen umfassenden Zweck beigemessen, der gleichzeitig die Bezüge zum Demokratieprinzip („verantwortlich") einschließt. Insoweit kann von einem Grundsatz der „funktionsgerechten Organstruktur" oder auch der „Funktionsgerechtheit" und „Organadäquanz" gesprochen werden, der ebenfalls zu den Kernelementen des Gewaltentrennungsgrundsatzes rechnet 441. Als Zwischenergebnis läßt sich demnach festhalten, daß der durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützte eingriffsfreie Kernbereich der staatlichen Funktionsträger unter Rückgriff auf die eben genannten Topoi an Konturen gewinnen kann, ähnlich wie dies bei den anderen Staatsstrukturprinzipien der Fall ist 442 . Das Gewaltenteilungsprinzip bildet auch für den verfassungsändernden Gesetzgeber eine äußerste Grenze dergestalt, daß die Zuweisung von Funktionen an besondere Organe und das Zusammenspiel derselben nicht in einer Weise vorgenommen werden darf, daß die Gesichtspunkte der Eigenverantwortlichkeit, der Machtbalance und der sachgerechten Aufgabenwahrnehmung nicht mehr zur Geltung gebracht werden können. Zu prüfen ist, ob die Regelungen der Art. 23 Abs. 5 und 6 GG diesen Anforderungen standhalten können.

2. Art. 23 Abs. 2 bis 6 GG im Lichte des Gewaltenteilungsgrundsatzes a) Die Pflicht zur umfassenden und frühestmöglichen nach Art. 23 Abs. 2 S. 2 GG

Unterrichtung

Einige Stimmen in der Literatur sehen in der Verpflichtung der Bundesregierung nach Art. 23 Abs. 2 S. 2 GG, den Bundestag und den Bundesrat „umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten", einen verfassungswidrigen Eingriff in den Kernbereich der exekutiven Eigen Verantwortung 443.

440 441 442

BVerfGE 68, 1 (87). Vgl. Hesse, Verfassungsrecht, Rdnr. 488 ff. Für eine funktionelle, „dynamische" Betrachtungsweise: Neßler, L K V 1995, 12

(15). 443

Brenner, ThürVBl. 1993, 196 (201). MD-Scholz, Art. 23 Rdnr. 115 (verfassungskonforme Auslegung notwendig).

248

Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

Begründet wird dies damit, daß sich die Unterrichtungspflicht auflaufende Verhandlungen und die regierungsinterne Willensbildung erstrecke 444. Auf der Basis der im zweiten Teil vorgenommenen verfassungsrechtlichen Untersuchung des Art. 23 Abs. 2 S. 2 GG kann bereits der Ausgangsthese nicht zugestimmt werden. Wie oben dargelegt, erfährt Art. 23 Abs. 2 S. 2 GG durch die Vorschriften des EUZBTG und des EUZBLG i.V.m. der Bund-Länder-Vereinbarung 1993 bedeutsame Konkretisierungen. „Umfassend" bedeutet danach nicht „unbegrenzt". Insbesondere ergeben sich Beschränkungen daraus, daß sich der Inhalt und Umfang der Unterrichtung am Maß der möglichen Beteiligung von Bundestag und Bundesrat orientieren müssen und daß sich der Begriff des „Vorhabens" nach § 2 EUZBLG i.V.m. Ziffer I. der Bund-Länder-Vereinbarung 1993 nicht auf den internen Willensbildungsprozeß der beteiligten Regierungen oder der Kommission bezieht 445 . Die Unterrichtungspflicht setzt vielmehr in zeitlicher und gegenständlicher Hinsicht erst ein, wenn eine Angelegenheit den internen Kreis des betreffenden Organs verlassen hat und den anderen Regierungen und Beteiligten zugänglich gemacht wird, regelmäßig durch Übermittlung eines offiziellen Dokumentes446. Eine so verstandene Pflicht zur Unterrichtung deckt nur den aus der Natur der Sache folgenden „Informationsvorsprung" der Bundesregierung ab und dient den Organen Bundestag und Bundesrat zur Wahrnehmung ihrer verfassungsmäßigen Mitwirkungsrechte. Weder wird hierdurch die Gewichtung der beteiligten Bundesorgane zueinander verschoben, so daß ein Organ ein „Anhängsel" des anderen würde, noch wird die Eigenverantwortung der Bundesregierung im Hinblick auf ihre Willensbildung erschwert oder beseitigt, noch wird die Funktionsfahigkeit der Bundesregierung in Mitleidenschaft gezogen. Die Pflicht der Bundesregierung, die erhaltenen, meist offiziellen Dokumente weiterzuleiten, kann vielmehr bereits aus den Grundsätzen der gegenseitigen Organtreue abgeleitet werden. Danach müssen sich alle Staatsorgane zueinander so verhalten, daß sie ihre verfassungsrechtlichen Zuständigkeiten verantwortlich und gewissenhaft, frei von Zeitnot und Pressionen ausüben können 447 ; außerdem haben sie bei der Ausübung ihrer Kompetenzen wechselseitige Rücksichtnahme gelten zu lassen448. Da die Bundesregierung als einzige Empfängerin der Informationen quasi „an der Quelle" sitzt, sind die anderen beteiligten Bundesorgane auf eine Weiterleitung dieser Informationen für die Wahrnehmung ihrer Kompetenzen zwingend angewiesen. Weiter oben wurde bereits ausgeführt, daß die rechtzeitige und umfassende Information in Angelegenheiten der Europäischen

444 445 446 447 448

Brenner, ThürVBl. 1993, 196 (201). Vgl. oben, Teil 2, Kap. III.l., S. 95 ff. Vgl. oben, Teil 2, Kap. III.l., S. 98. Stern, StaatsR I, S. 134 f. GGK-Krebs, Art. 50 Rdnr. 4.

IV. Der Grundsatz der Gewaltenteilung

249

Gemeinschaft eine „conditio sine qua non" für die Ausübung der Beteiligungsrechte auf nationaler Ebene darstellt 449 . Gerade die Weiterleitung der Information dient also der sachgerechten Wahrnehmung der gegenseitigen Kompetenzen und damit dem Erhalt der vorgesehenen Machtbalance, während anderenfalls die Gewichtung zugunsten der Bundesregierung in einem verfassungsrechtlich nicht vorgesehenen Ausmaß verschoben würde. Die damit einhergehende Belastung der Bundesregierung, vor allem in organisatorischer Hinsicht, erscheint demgegenüber gering und muß zurücktreten, zumal die Unterrichtung seit Jahren bereits gängige Praxis der Bundesregierung ist und Art. 23 Abs. 2 S. 2 GG insoweit nur marginale Änderungen bedingt 450 . Ein Eingriff in den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung der Bundesregierung aufgrund ihrer Verpflichtung zur umfassenden und frühestmöglichen Unterrichtung des Bundestages und des Bundesrates nach Art. 23 Abs. 2 S. 2 GG läßt sich somit bei näherer Analyse der verfassungsrechtlichen Bestimmungen nicht begründen.

b) Die „ einfache " Berücksichtigung der Stellungnahmen des Bundesrates Wie oben bereits gezeigt, bleibt die Bundesregierung bei ihrer Entscheidungsfindung in jedem Stadium des Verfahrens der „einfachen" Berücksichtigung in ihrer Willensbildung und Entscheidungsfindung frei und unterliegt keinen zwingenden Einflüssen durch ein anderes Bundesorgan 451. Das gegenseitige Macht-, Kontroll- und Verantwortungsgefuge der beteiligten Bundesorgane wird durch die zusätzliche, lediglich verfahrensbezogene Berücksichtigungspflicht nicht tangiert. Art. 23 Abs. 5 S. 1 GG i.V.m. § 5 Abs. 1 EUZBLG kann insoweit auch unter dem Aspekt des Gewaltenteilungsprinzips verfassungsrechtlich als unbedenklich eingestuft werden.

c) Das Letztentscheidungsrecht

des Bundesrates

Im Gegensatz hierzu nötigt das Letztentscheidungsrecht des Bundesrates nach Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG i.V.m. § 5 Abs. 2 EUZBLG zu einer kritischeren Betrachtung. Weiter oben wurde bereits festgestellt, daß eine strikte Bindung der Bundesregierung an die Stellungnahme des Bundesrates gegen das Demo449

Siehe oben, Teil 2, Kap. III. 1., S. 96. Zur Praxis der Unterrichtung aufgrund Art. 2 EEAG siehe oben, Teil 1, Kap. V . l . a), S.61. 451 Zum Inhalt der einfachen Berücksichtigungspflicht siehe oben, Teil 2, Kap. III.3., S. 101 ff. Zur Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip siehe Teil 3, Kap. III.3. b), S. 225 ff. 450

250

Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

kratieprinzip verstößt. Wegen der engen Verbindung des Demokratieprinzips zum Prinzip der Gewaltenteilung in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG muß ein Verstoß gegen dieses Prinzip zwangsläufig auch zu Konflikten mit jenem fuhren. In deutlicher Weise tritt dies hervor, wenn man die Stellung der Bundesregierung im Rahmen des Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG anhand der drei Argumentationstopoi der Eigenverantwortlichkeit, der Machtbalance und der sachgerechten Aufgabenwahrnehmung, die den Kernbereich der Exekutive prägen, einer Wertung unterzieht. Stellt man auf das Merkmal der Eigenverantwortlichkeit oder der verantwortlichen Aufgabenwahrnehmung ab, so beseitigt - wie oben zum Demokratieprinzip nachgewiesen - die strikte Bindung der Bundesregierung an ein von einem anderen Bundesorgan vorgegebenes Votum deren Verantwortlichkeit für die Willensbildung und -äußerung in der betreffenden Angelegenheit452. Die Bundesregierung könnte die ihr im Rahmen des Art. 23 Abs. 5 GG zugewiesene Verhandlungskompetenz auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft mangels eigenen Entscheidungsspielraums nicht mehr „verantwortlich" wahrnehmen. Darüber hinaus ergeben sich Bedenken im Hinblick auf das gegenseitige Macht- und Balancegefüge des Zusammenwirkens zwischen Bundestag, Bundesregierung und Bundesrat. Während das Grundgesetz mit der Ausgestaltung des parlamentarischen Regierungssystems ein fein austariertes gegenseitiges Macht-, Kontroll- und Balanceverhältnis zwischen Bundestag und Bundesregierung statuiert, bestehen solche Beziehungen im Verhältnis zum Bundesrat nicht. Zwar kommen letzterem gewichtige Mitwirkungsrechte bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes zu, insbesondere wegen der Zustimmungsbedürftigkeit der meisten Bundesgesetze453. Von ihrem Motiv rechtfertigen sich seine Mitwirkungsbefugnisse allerdings in erster Linie aus föderalen Aspekten, die mit der bundesstaatlichen Struktur Deutschlands in Zusammenhang stehen454. Keinesfalls greift der Bundesrat hierdurch in das gegenseitige Macht- und Kontrollgefüge zwischen Bundestag und Bundesregierung ein. Gleiches gilt für die sonstigen Regelungen des Grundgesetzes, die für den Bereich der sog. „Auswärtigen Gewalt" Mitwirkungsbefugnisse des Bundesrates beschreiben, wie Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 24 Abs. 1 GG, Art. 79 Abs. 1 S. 2 i.V.m. Abs. 2,

452

Siehe hierzu oben, Teil 3, Kap. III.3. c), S. 226 ff. Aufgrund der - verfassungsrechtlich nicht notwendigen - Verknüpfung von Bundesgesetzen mit organisations- und verfahrensrechtlichen Regelungen i.S.d. Art. 84 Abs. 1 GG ist der Einfluß des Bundesrates nicht unerheblich gestiegen; geschätzt wird, daß auf diese Weise etwa 90 % der Bundesgesetze von wesentlicher Bedeutung zu Zustimmungsgesetzen geworden sind; vgl. Große-Sender, Kommissionsbericht, Teil 1, S. 57. 454 Zum „dédoublement fonctionell" siehe bereits oben, Teil 3, Kap. III.l. d) (2), S. 194. 453

IV. Der Grundsatz der Gewaltenteilung

251

115a Abs. 1, 1151 Abs. 2 und 3 GG 4 5 5 . Anders ist dies hingegen für den Fall einer strikten Bindung der Bundesregierung an die Stellungnahme des Bundesrates, die Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG i.V.m. § 5 Abs. 2 EUZBLG vorsieht. Nicht nur wird die Regierung zu einem Vollzugsorgan des Bundesrates degradiert, sondern auch die Stellungnahmen und Einflußmöglichkeiten des Bundestages treten nach dem Willen des Gesetzgebers insoweit zurück 456 . Eine derartige Gewichtsverschiebung, wie sie Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG vorsieht, zu Lasten von Bundestag und Bundesregierung und zugunsten des Bundesrates, der die Rolle einer föderalen „Superregierung" annimmt, ohne freilich selbst als repräsentatives Gesamtorgan des Bundes einer demokratischen Kontrolle und Legitimation durch das Volk zu unterliegen, fallt aus dem Rahmen der grundgesetzlichen Systematik sowohl des Demokratieprinzips als auch der „checks and balances". Dabei soll nicht verkannt werden, daß der Gesetzgeber mit Art. 23 Abs. 5 und 6 GG durch die weitgehenden Mitwirkungsrechte des Bundesrates bewußt eine Stärkung der Stellung der Länder im Bundesstaat bewirken wollte 457 . Insoweit ist also zu berücksichtigen, daß der verfassungsändernde Gesetzgeber mit Art. 23 Abs. 2 bis 6 GG das Gewaltenteilungsprinzip seinerseits modifiziert hat 458 . Das Letztentscheidungsrecht des Bundesrates läuft jedoch letztlich auf eine dem Grundgesetz fremde Dominanz des föderalen Prinzips vor dem demokratischen Prinzip hinaus und stellt damit einen tiefen Einbruch in die Struktur des „dédoublement fonctionell" 459 dar. Es widerspricht im übrigen dem vom verfassungsändernden Gesetzgeber selbst zur Grundlage der Mitwirkungsbefugnisse erhobenen „regierenden" Verteilungsprinzip des Art. 23 Abs. 4 GG 4 6 0 . Es handelt sich mithin auch nicht mehr nur um eine systemimmanente Fortentwicklung oder gar Korrektur des Gewaltenteilungsprinzips, sondern um eine systemfremde Durchbrechung, zu der auch der verfassungsändernde Gesetzgeber nicht berechtigt ist 461 . Neben dem Demokratieprinzip ist durch Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG daher auch das Gewaltenteilungsprinzip verletzt. Dem hier vertretenen Ergebnis ließe sich auch nicht entgegenhalten, daß das Letztentscheidungsrecht des Bundesrates nach Art. 23 Abs. 5 S. 2 i.V.m. § 5

455

Vgl. hierzu Fastenrath, Kompetenzverteilung, S. 247 ff. Das Informationsrecht des Bundesrates nach Art. 53 GG erstreckt sich ebenfalls auf die Führung der Geschäfte in „auswärtigen Angelegenheiten", Reuter, Art. 50 Rdnr. 196. 456 Zum Verhältnis sich widersprechender Stellungnahmen von Bundesrat und Bundestag vgl. oben, Teil 2, Kap. III.4. e), S. 126 ff. 457 Vgl. Bericht der GVK, S. 39. 458 Vgl. BVerfGE 30, 1(19). GGK-Rojahn, Art. 23 Rdnr. 59; Kaufmann, S. 441. 459 Siehe hierzu oben, S. 194. 460 Siehe bereits oben, Teil 3, Kap. III.3. c) (3), S. 232 f. 461 Im Ergebnis ebenso: Di Fabio , Der Staat 32 (1993), 191 (210, 215); Hechel, Jahrb. zur Staats- und Verwaltungswissenschaft 1992/93, 385 (399 ff.). A.A., indes ohne nähere Begründung: Donoth, S. 251.

252

Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

Abs. 2 EUZBLG an sehr einschränkende Voraussetzungen geknüpft ist, so daß es eventuell nur selten zum Tragen kommt 462 . Soweit der Kernbereich der Staatsstrukturprinzipien betroffen ist, erlaubt Art. 79 Abs. 3 GG, wie oben geschildert, keine Ausnahmen; geschützt werden nur die „Grundsätze", diese aber absolut. Auch eine Verletzung unter einschränkend formulierten Voraussetzungen ist ein „Berühren" der Grundsätze und kann angesichts der absoluten Schutzwirkung des Art. 79 Abs. 3 GG nicht hingenommen werden 463 . Davon abgesehen ist keineswegs sicher, daß der Fall des Letztentscheidungsrechts nur selten zum Tragen kommen wird. Zum einen ist es für die Staatsorgane der Bundesrepublik Deutschland weder vorhersehbar, noch liegt es in ihrer alleinigen Hand, auf welchen Gebieten und in welchem Umfang die Europäische Gemeinschaft künftig von ihren Rechtsetzungskompetenzen Gebrauch machen wird. Trotz des Grundsatzes der „begrenzten Einzelermächtigung" 464 ist bei einem weiteren Fortschreiten der europäischen Integration durchaus damit zu rechnen, daß die Gemeinschaft in weiterem Umfang gesetzgeberisch auf Gebieten tätig wird, die innerstaatlich in die Gesetzgebungskompetenz der Länder fallen würden. Zum anderen können sich die politischen Mehrheiten in den gesetzgebenden Körperschaften jederzeit wandeln. Mag es in der Vergangenheit auch schwierig gewesen sein, im Bundesrat Beschlüsse mit einer 2/3-Mehrheit zu fassen 465, so könnte dies unter einer anderen politischen Besetzung einfacher werden. Der Versuch einer Bagatellisierung der Grundgesetzänderungen unter Verweis auf die Gegebenheiten der tagespolitischen Situation - wie bei den Beratungen der GVK zum Teil angeklungen466 - verträgt sich nicht mit der Funktion des Grundgesetzes als dauerhafter Grundordnung 467.

462

In diese Richtung gingen die Überlegungen in der GVK, bei Art. 23 Abs. 6 GG handele es sich um einen „äußerst schmaler Bereich": Stoiber, Sten. Prot, der 8. Sitzung der GVK v. 26.6.1992, S. 14. 463 Vgl. oben, Teil 3. Kap. II.l. a), S. 163 ff. 464 Siehe hierzu: Bleckmann, Europarecht, Rdnr. 380 ff.; Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, § 20 Rdnr. 21 ff; Kraußer, Das Prinzip begrenzter Ermächtigung im Gemeinschaftsrecht als Strukturprinzip des EWG-Vertrages, Berlin 1991, S. 16 ff.; Op~ permann, Europarecht, Rdnr. 430 ff.; Schweitzer/Hummer, Europarecht, 5. Aufl., Neuwied et al. 1996, Rdnr. 335 ff. 465 Zum Erfordernis des § 5 Abs. 2 EUZBLG (2/3 Mehrheit für den „Beharrungsbeschluß"), vgl. Oschatz/Risse, DÖV 1995, 437 (443 f.). 466 Vgl. Fußn. 462. 467 Zu den Funktionen der Verfassung vgl. Hesse, Verfassungsrecht, Rdnr. 16 ff.; Stern, StaatsR I, S. 78 ff.

IV. Der Grundsatz der Gewaltenteilung

253

d) Die Außenvertretung des Bundes nach Art. 23 Abs. 6 GG Bedenken im Hinblick auf das Gewaltenteilungsprinzip muß auch die Möglichkeit der Außenvertretung des Bundes durch einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder nach Art. 23 Abs. 6 GG i.V.m. § 6 Abs. 2 EUZBLG hervorrufen. Die Zuweisung einer solchen Funktion könnte wiederum in den verfassungsrechtlich geschützten Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung der Bundesregierung eingreifen. Artikel 23 GG geht unausgesprochen von einer Hauptverantwortlichkeit der Bundesregierung bei gleichzeitiger Kompetenzzuweisung und -verschränkung durch die Mitwirkung von mehreren Bundesorganen aus 468 . Die Hauptverantwortlichkeit der Bundesregierung ergibt sich vor allem aus den Regelungen der Art. 23 Abs. 2 S. 2, Abs. 3, Abs. 5 S. 1 und 3 und Abs. 6 S. 2 GG, die als Adressaten jeweils die Bundesregierung ansprechen. Insbesondere räumt Absatz 6 Satz 2, 2. Hs. der Bundesregierung als letztverantwortliche Hüterin der gesamtstaatlichen Verantwortung des Bundes für den Bereich der Außenvertretung eine - wenn auch kaum realisierbare - „Rückholkompetenz" ein 469 . Damit knüpft Art. 23 GG an die bisher für das Grundgesetz typische Systematik der Kompetenzverteilung im Rahmen der „Auswärtigen Gewalt" an. Zwar handelt der Bund im Bereich der „Auswärtigen Gewalt" regelmäßig durch mehrere Bundesorgane, so wie im Fall der Art. 24 und 32 Abs. 1 und 59 GG durch Bundesregierung, Bundestag, Bundesrat und Bundespräsident 470. Anerkannt war jedoch stets, daß die Entscheidungsbefugnis für den Bereich der auswärtigen Beziehungen - sofern man die Willensbildung bei der Rechtsetzung der Europäischen Gemeinschaft hierzu zählt - , im Kern bei der Exekutive liegen muß 471 . Allein die technische und personelle Überlegenheit des Regierungsapparates samt seiner Auslandsvertretungen und die Notwendigkeit, auf wechselnde außenpolitische Lagen schnell zu reagieren, bedingt eine Führungsrolle und einen operativen Vorrang der Bundesregierung 472. So hat das Bundesverfassungsgericht konstatiert, daß die grundsätzliche Zuordnung der Handlungsbefugnis im Bereich der auswärtigen Angelegenheiten zur Exekutive (gemeint: die Bundesregierung) auf der Annahme beruhe, „daß institutionell und auf Dauer typischerweise allein die Regierung in hinreichendem Maße über die personellen,

468

Siehe hierzu oben, Teil 2, Kap. Π.3., S. 80. Zur Auslegung dieses Vorbehalts siehe oben, Teil 2, Kap. IV.4. b), S. 158 ff. 470 Der Bundesrat ist bei jeder Art von Gesetzgebung mitwirkungsbefugt, vgl. Art. 76 ff. GG. 471 BVerfGE 68, 1 (87), „Pershing II", bestätigt in E 90, 286 (357 f.). Grewe, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 77 Rdnr. 55 f. So auch Brenner, ThürVBl. 1993, 196 (201). 472 GGK-Rojahn, Art. 59 Rdnr. 21; Grewe, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 77 Rdnr. 55. 469

254

Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

sachlichen und organisatorischen Möglichkeiten verfügt, auf wechselnde äußere Lagen zügig und sachgerecht zu reagieren und so die staatliche Aufgabe, die auswärtigen Angelegenheiten verantwortlich wahrzunehmen, bestmöglich zu erfüllen" 473 . Art. 23 Abs. 6 S. 2 GG geht jedoch insoweit über die beschriebenen Grundsätze hinaus, als der Vertreter der Länder in bezug auf Wahrnehmung der Verhandlungsführung und Abstimmung keiner Zustimmung durch die Bundesregierung bedarf, sondern auch Ergebnisse aushandeln und vertreten kann, die von der Bundesregierung nicht zur Gänze mitgetragen werden. Gleichwohl würden die erzielten Ergebnisse nach Art. 146 EGV der Regierung des Mitgliedstaats und damit letztlich dem Mitgliedstaat selbst zugerechnet. Zwar hat der verfassungsändernde Gesetzgeber die partielle Durchbrechung der Letztverantwortung der Bundesregierung bewußt in Kauf genommen. Gleichwohl bildet der Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung der Bundesregierung eine unüberwindbare Schranke. Die letztverantwortliche Stellung der Bundesregierung und der unantastbare Kernbereich können dabei zwar nicht aus der Erwägung heraus begründet werden, daß diese ein Exekutivorgan darstellt, denn auch der Bundesrat hat teil an der Exekutivgewalt 474 . Allerdings kommt insoweit der funktionelle Aspekt des Gewaltenteilungsgrundsatzes zum Tragen, nach dem die besonderen Organe auch zu einer verantwortlichen Wahrnehmung der ihnen übertragenen Funktionen befähigt sein müssen. Wie oben bereits gesagt, verlangt die Vertretung des Bundes nach Art. 23 GG und Art. 146 EGV eine demokratische Legitimation, die auf das Staatsvolk im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG zurückgeführt werden kann. Insofern ist es für den verfassungsändernden Gesetzgeber auch unter dem Gesichtspunkt des Gewaltenteilungsprinzips nicht zulässig, mit dieser Aufgabe ein Organ, nämlich den vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder, zu betrauen, das diese Funktion mangels hinreichender demokratischer Legitimation nicht ausfüllen kann. Der Bundesrat als primär föderales Organ ist nach seiner Struktur, Zusammensetzung und Legitimation zu einer unitarischen Gesamtvertretung des Bundes nicht in der Lage 475 . Daher verbietet es sich, dem Bundesrat eine letztverbindliche Stellung bei der Außenvertretung einzuräumen. Vielmehr verfügt im Verhältnis zum Bundesrat allein die Bundesregierung über eine hinreichende demokratische Legitimation, den Bund nach außen zu vertreten. Ihre letztverantwortliche Position darf daher durch Art. 23 Abs. 6 GG nicht angetastet werden. Soweit Art. 23 Abs. 6 GG eine Außenvertretung erlaubt, die nicht vollinhaltlich von der Bundesregierung m it verantwortet wird, liegt hierin ebenfalls ein Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip.

473 474 475

BVerfGE 68, 1 (87), „Pershing II", bestätigt in E 90, 286 (357 f.). Stern., StaatsR II, S. 126 f.; 149 f. Siehe oben, Teil 3, Kap. III.3. c), S. 226 ff.

IV. Der Grundsatz der Gewaltenteilung

255

Was schließlich den Gesichtspunkt der gegenseitigen Machtbalance unter den beteiligten Bundesorganen Bundestag, Bundesregierung und Bundesrat angeht, so gelten für die Außenvertretung durch den Bundesrat im Prinzip die gleichen Bedenken wie für dessen Letztentscheidungsrecht im Rahmen des Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG. Käme dem Bundesrat das letztentscheidende Gewicht bei der Wahrnehmung der Außenvertretung im Rahmen der Europäischen Union zu, würden der Einfluß des Bundestages und der Bundesregierung leerlaufen. Daher ist zu konstatieren, daß die Außenvertretungsbefugnis des Bundesrates nach Art. 23 Abs. 6 GG ebenfalls eine Dominanz des föderalen Prinzips vor dem demokratischen Prinzip darstellt, die innerstaatlich keine Entsprechung findet und gegen die Grundregel des Art. 23 Abs. 4 GG verstößt. Dieser will jedoch eben die innerstaatliche Kompetenzverteilung als Maßstab für die Kompetenzverteilung in Angelegenheiten der Europäischen Union gewahrt wissen. Die Außenvertretungsbefugnis des Bundesrates bildet somit einen systemfremden Einbruch in das grundgesetzliche Gefüge der Gewaltenteilung und ist verfassungswidrig.

3. Art. 23 GG und die integrationspolitische Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland Über die bereits festgestellten Verstöße gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz hinaus wird von Teilen der Literatur außerdem behauptet, die intensive Mitwirkung des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union gefährde die „außen- und integrationspolitische Handlungsfähigkeit" der Bundesrepublik Deutschland476. Auch dieser Aspekt betrifft die Zuordnung der Funktionen der Bundesorgane im Rahmen des Art. 23 GG und kann unter den Gewaltenteilungsgrundsatz subsumiert werden.

a) Die integrationspolitische Handlungsfähigkeit als Bestandteil der Staatlichkeit Die „außenpolitische Handlungsfähigkeit" ist als Rechtssatz oder -begriff im Grundgesetz nirgends explizit erwähnt. Gleichwohl gehört die Handlungsfähigkeit eines Staates nach innen und außen zu den Wesensmerkmalen der Staatlichkeit an sich. Nach der aus Sicht des Völkerrechts maßgebenden sog. „DreiElemente-Lehre" Jellineks besteht ein Staat notwendig aus Staatsgebiet, Staats-

476

Badura, EuR 1994, Beiheft 1, 9 (15); Brenner, DÖV 1992, 903 (904 f., 907); ders., in: ThürVBl. 1993, 196 (197); Breuer, NVwZ 1994, 417 (427 f.); MD-Randelzhofer, Art. 24 Rdnr. 211.

256

Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

volk und souveräner Staatsgewalt477. Die außenpolitische Handlungsfähigkeit kann insoweit als der nach außen gerichtete Aspekt der Staatsgewalt begriffen werden 478 . Das Grundgesetz konnte sich einer ausdrücklichen Regelung hierüber enthalten, weil der Staat mit seinen konstituierenden Elementen aus Sicht des Grundgesetzes bereits vor Erlaß der Verfassung vorhanden war 479 . Das Grundgesetz verzichtet auf eine vollständige Darstellung der Staatsstrukturen und folgt vielmehr praktischen Regelungsinteressen480. Für den Gesamtbereich der Außenbeziehungen zu anderen Staaten ist die Vorgegebenheit des völkerrechtlichen Staatskonzepts für den Verfassungsgeber besonders ausgeprägt, da er dieses akzeptieren muß, um eine international wirksame Staatlichkeit zu erlangen481. Den Regelungen des Grundgesetzes, die sich mit Fragen der Teilnahme am völkerrechtlichen Verkehr, einschließlich der Willensbildung und dem Handeln in auswärtigen Angelegenheiten befassen, liegt ersichtlich das Bestreben zugrunde, den Anforderungen des Völkerrechts in möglichst wirksamer Weise entsprechen zu können 482 . Die Art. 24, 32 Abs. 1 und 59 Abs. 1 GG weisen in Abweichung von dem sonst geltenden innerstaatlichen Verteilungsmuster der Art. 30 und 70 GG die Kompetenzen ausdrücklich dem Bund zu. So soll der Staat, und auch der Bundesstaat, im völkerrechtlichen Verkehr grundsätzlich als Einheit auftreten 483. Auf der horizontalen Ebene des Bundes geht das Grundgesetz von einer grundsätzlichen operativen Handlungsbefugnis der Exekutive aus, soweit nicht den anderen Organen des Bundes ausdrücklich Mitwirkungsbefugnisse zugewiesen sind 484 . Das Bundesverfassungsgericht hat, diesem Verständnis folgend, mehrfach in seinen Entscheidungen den Gesichtspunkt der außenpolitischen

477 Vgl. Geiger, GG und Völkerrecht, § 7, S. 21 ff.; Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, § 13 Rdnr. 28 ff. 478 Vgl. Geiger, GG und Völkerrecht, § 24, S. 117 ff.; Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, § 13 Rdnr. 34; Schuppert, S. 19. Einen allgemeingültigen Begriff des „Staates" zu formulieren, erweist sich darüber hinaus schwierig, vgl. Isensee, Rdnr. 26 ff. 479 Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, § 13 Rdnr. 6 ff. Nach Ansicht BVerfGE 6, 309 (360), war die staatliche Organisation 1945 bis 1949 zusammengebrochen. Das deutsche Reich existierte hingegen fort. Die altbekannte Streitfrage, ob die Präambel den historischen Prozeß der Entstehung des Grundgesetzes richtig wiedergebe oder nicht, kann im vorliegenden Zusammenhang dahinstehen, vgl. hierzu näher: GGKMünch, Präambel Rdnr. 16 ff.; Mußgnug, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, §6, Rdnr. 96 ff.; SGK-Huber, Präambel Rdnr. 14 ff. Die These Isensees, daß das Grundgesetz nicht den Anspruch hat, alle staatlichen Vorbedingungen zu regeln, wird hierdurch jedenfalls nicht in Frage gestellt. 480 Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, § 13 Rdnr. 14. 481 Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, § 13 Rdnr. 147 f. 482 Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, § 13 Rdnr. 147. 483 BVerfGE 2, 347 (378); GGK-Rojahn, Art. 32 Rdnr. 2. 484 Siehe oben, Fußn. 471.

IV. Der Grundsatz der Gewaltenteilung

257

Handlungsfreiheit Deutschlands herangezogen, ohne hierfür eine ausdrückliche Begründung zu liefern 485 . Das Zusammenspiel der Bundesorgane darf daher auch durch den verfassungsändernden Gesetzgeber nicht ein einer Art und Weise ausgestaltet werden, daß eine funktionsgerechte Ausübung der Staatsgewalt nach außen unmöglich gemacht wird. Die Bedenken, die sich insoweit an dem Letztentscheidungsrecht des Bundesrates und der Außenvertretung durch einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder entzünden486, sind daher im Kern rechtlicher und keineswegs bloß „rechtspolitischer" Art 4 8 7 . In bezug auf die Mitwirkung der Bundesrepublik Deutschland an der Europäischen Union bestätigt Art. 23 GG zunächst durch die ausschließliche Zuweisung der Kompetenz an den Bund mit der grundsätzlichen operativen Handlungsbefugnis der Bundesregierung die zuvor erwähnten Grundsätze. Die „integrationspolitische Handlungsfähigkeit" ist Bestandteil der allgemeinen außenpolitischen Handlungsfreiheit des Staates, bezogen allerdings auf die Gründung und Entwicklung der Europäischen Union. Art. 23 Abs. 1 GG beschreibt das ausdrückliche Staatsziel, bei der Gründung und Entwicklung der Europäischen Union mitzuwirken, und bekräftigt damit das Bekenntnis des Grundgesetzes zur „offenen Staatlichkeit" und zur „Integrationsoffenheit", das bereits vor Erlaß des Art. 23 GG aus der Präambel und den Art. 24, 25 und 59 GG abgeleitet werden konnte 488 . Das Grundgesetz nimmt zwar durch die ausdrücklich verankerten Mitwirkungsrechte des Bundesrates und des Bundestages in den Absätzen 2 bis 6 die mit der Einbeziehung des Bundestages und des Bundesrates verbundenen Erschwernisse bei der innerstaatlichen Willensbildung wie auch bei der Außenvertretung bewußt in Kauf. Die Regelungen der innerstaatlichen Willensbildung in Art. 23 Abs. 2 bis 6 GG haben gegenüber dem Staatsziel des Art. 23 Abs. 1 GG allerdings „dienenden" Charakter. Sie sollen die innerstaatlichen Voraussetzungen schaffen, damit die Bundesrepublik Deutschland an der Europäischen Union mitwirken kann. Die explizite Aufnahme der Vorbehalte der „Wahrung der gesamtstaatlichen Verantwortung des Bundes" in Art. 23 Abs. 5 S. 2, 2. Hs. und Abs. 6 S. 2, 2. Hs. GG belegen, daß die „Föderalisierung" der innerstaatlichen Beteiligungsrechte nach den Vorstellungen des verfassungsändernden Gesetzgebers dem Ziel der Mitwirkung an der Europäischen Union nicht entgegenstehen, sondern vielmehr hiermit in Einklang gebracht werden sollen 489 .

485

BVerfGE 77, 170 (240); 80, 74 (80); 90, 286 (364, 376); 93, 181 (191); 93, 248

(257). 486

Siehe oben, Fußn. 476. So aber SGK-Streinz, Art. 23 Rdnr. 110, sowie Donoth, S. 250, im Hinblick auf ein bindendes Votum des Parlaments. 488 Vgl. GGK -Rojahn, Art. 24 Rdnr. 1 ff. 489 Lenz, in: FS für Helmrich, 269 (275). 487

17 Halfmann

258

Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht b) Der Rechtsetzungsprozeß der EG als „ Verhandlungsregime

"

Fraglich ist, ob das Verfahren der innerstaatlichen Willensbildung und der Außenvertretung durch einen Vertreter der Länder den Besonderheiten des Gesetzgebungsverfahrens in Brüssel gerecht wird. Die Rechtsetzung innerhalb des Entscheidungsgefüges der Europäischen Gemeinschaft findet im wesentlichen im Wege der multilateralen Verhandlung statt, und zwar gleichsam „ab ovo", d.h. von den ersten Vorverhandlungen ohne vollständige Textvorschläge bis hin zur Ministerratssitzung, in der endgültig über den ausgehandelten Text der zu erlassenden Vorschrift entschieden wird. Diese Art des Rechtsetzungsverfahrens unterscheidet sich sowohl durch seinen äußeren Ablauf als auch durch seine sonstigen verhandlungstypischen Gesetzmäßigkeiten grundlegend von dem Ablauf des nationalen Gesetzgebungsverfahrens nach den Art. 76 ff. GG und wird deshalb gelegentlich auch als „Verhandlungsregime" bezeichnet490.

(1) Der äußere Verfahrensgang Die Normgenese einer EG-Richtlinie oder einer EG-Verordnung - die anderen Rechtsakte des EGV können insoweit vernachlässigt werden 491 - verläuft üblicherweise in zwei Phasen492: In einer Entwurfs- oder Verhandlungsphase zur Vorbereitung eines offiziellen Entwurfs beraten Expertengruppen, die mit Vertretern der Kommission, der Verwaltungen der Mitgliedstaaten, verwaltungsexternen Sachverständigen und Vertretern von Interessenverbänden besetzt sind, über Vorschläge für legislative Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft 493. Der Anstoß für legislative Vor-

490

Leutheusser-Schnarrenberger, in: Recht und Pflicht, S. 48 f. Neben den Verordnungen und Richtlinien zählen nach Art. 189 EGV hierzu: (individuelle) Entscheidungen (Art. 189 Abs. 4 EGV, Art. 161 Abs. 4 EAG-V, Art. 14 Abs. 2 i.V.m. Art. 15 EGKS-V), Empfehlungen und Stellungnahmen (Art. 189 Abs. 5 EGV, Art. 161 Abs. 5 EAG-V, Art. 14 Abs. 4 EGKS-V), sowie im EGV nicht näher spezifizierte Rechtsakte, (z.B. „Beschlüsse"); vgl. zu letzteren Geiger, EGV, Art. 189 Rdnr. 24-26. 492 Hierzu Siedentopf/Hausschild, DÖV 1990, 445 (448). 493 Rechtsgrundlage für die Bildung der Expertengruppen ist das Selbstorganisationsrecht der Kommission. Nach Art. 19 GO der Kommission (ABl. EG Nr. L 230 v. 11.9.1993, S. 15) kann die Kommission in Sonderfällen Verwaltungsstrukturen auf Zeit mit bestimmten Aufgaben festlegen, vgl. zur Thematik: Geiger, EGV, Art. 158 Rdnr. 12; Röhl, EuR 1994, 409 (415 f.); Schweitzer/Hummer, Rdnr. 219, 325 ff. 491

IV. Der Grundsatz der Gewaltenteilung

259

haben kommt nach Art. 152 EGV entweder vom Rat selbst494, oft aber auch aus den Reihen der Ministerialverwaltungen der Mitgliedstaaten, die mit Regelungswünschen an die Kommission herantreten 495. Der Vorwurf der „Regelungswut", gerichtet an die „Brüsseler Bürokratie", trifft daher oft den falschen Adressaten 496. Die Beamten der Mitgliedstaaten treten in diesem frühen Stadium in der Eigenschaft als „Fachexperten" für die jeweilige Regelungsmaterie auf und nicht als formelle Vertreter der nationalen Delegation497. Im offiziellen Sprachgebrauch bezeichnet die Kommission ihre selbst geschaffenen Hilfsorgane daher auch als „Sachverständigengruppe" („groupe d'experts"), wohingegen sie die Bezeichnung „Ausschuß" den vom Rat eingesetzten Ausschüssen vorbehält. Insgesamt umgibt sich die Kommission in dieser Phase geradezu mit Sachverstand 498. Die Regeln des Art. 23 GG einschließlich seiner Ausführungsbestimmungen können, abgesehen von der Unterrichtungspflicht aus Art. 23 Abs. 2 GG, in diesem Stadium noch keine Anwendung finden. Dies ergibt sich indirekt aus Art. 23 Abs. 4 GG, der auf die innerstaatliche Kompetenzverteilung abstellt. Vor Einleitung eines Gesetzgebungsverfahrens setzen die formellen Mitwirkungsbefugnisse des Bundesrates nach den Art. 76 ff. GG ebenfalls nicht ein. Die Tätigkeit dieser Gruppen mündet entweder in einen Entwurf, der das

Nach Siedentopf/Hausschild, DÖV 1990, 445 (448), soll es etwa 500 solcher Gremien geben. Alles in allem scheinen auf Kommissionsebene aber weit mehr als 1000 ständige oder nicht-ständige Ausschüsse mit beratender Funktion zu existieren, deren Zahl in den letzten Jahren stetig angewachsen ist, vgl. hierzu: KEU-Hummer, Art. 162 Rdnr. 34. Die Mehrzahl ist von der Kommission selbst eingerichtet worden, während etwa ein Zehntel vom Rat bei der Kommission eingesetzt worden ist, vgl. hierzu Schmitt von Sydow, EuR 1974, S. 62 ff. Die aktuelle Anzahl der Ausschüsse bzw. Gruppen ist nur schwer zu schätzen, da viele ad hoc einberufen werden und nach Erfüllung ihrer Aufgaben nie wieder zusammentreten, während andere wiederum nach Jahren der Vergessenheit wieder reaktiviert werden. 494 In der Praxis scheint Art. 152 EGV nur selten zur Anwendung zu gelangen. Die Frage der Verbindlichkeit einer Aufforderung nach Art. 152 EGV ist in der Literatur ungeachtet der geringen praktischen Relevanz - umstritten, vgl. KEU -Schweitzer, Art. 152 Rdnr. 3 ff. 495 Siedentopf/Hausschild, DÖV 1990, 445 (448). Derartige Anregungen wiederum sind nicht selten auf interessierte Wirtschaftskreise oder Sozialpartner und den in Brüssel vertretenen Interessengruppen zurückzuführen, vgl. Rabe, NJW 1993, 1 (2 ff.); Stein, T., in: Die Subsidiarität Europas, S. 23 (23 f.); vgl. auch Huber, P.M., AöR 116 (1991), 210 (212). In der Literatur werden die Zahlen von 8000 Lobbyisten und etwa 800 organisierten Verbänden bei der EG-Kommission in Brüssel genannt, vgl. Laufer/Arens, in: Reform der EU, 193 (194), sowie Lepsius, in: Wildenmann, Staatswerdung Europas, 19 (20). Zu den sich hierdurch für die Bundesregierung bietenden Möglichkeiten siehe auch die Anmerkung in Teil 2, Kap. III, Fußn. 82. 496 Kalbfleisch-Kottsieper, DÖV 1993, 541 (544). 497 Siedentopf/Hausschild, DÖV 1990, 445 (448). 498 Vgl. Junker, Regionale Verflechtung, 167 (169). Um eine Vorstellung zu geben: Für das Jahr 1969 handelte es sich nach Junker, um 1527 Sitzungen mit 17080 Experten.

260

Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

Rechtsetzungsverfahren im Rat erst noch durchlaufen muß, oder in einen von der Kommission selbst aufgrund besonderer Ermächtigung erlassenen Rechtsakt 499 . Im letzteren Fall wird in den Beratungsgremien der Kommission ähnlich wie in den „echten" Ausschüssen des Rates beraten und verhandelt 500. Zählt man alle nach dem EGV mit Rechtserheblichkeit ausgestatteten Maßnahmen zusammen, überwiegt die Tätigkeit der Kommission diejenige des Rates zahlenmäßig ungefähr im Verhältnis zehn zu eins 501 . Der Schwerpunkt der eigentlichen Rechtsetzung, also der Erlaß von abstrakt-generellen Regelungen wie Verordnungen und Richtlinien, liegt jedoch - mit Ausnahme der Durchfuhrungsbestimmungen, zu deren Erlaß meist die Kommission ermächtigt wird - beim Rat. Indes besitzt die Kommission auch insoweit aufgrund ihrer Initiativbefugnis einen maßgeblichen Einfluß auf die vom Rat zu erlassenden Rechtsakte. Die bedeutsamen Weichenstellungen für die im späteren Verlauf vom Rat zu erlassenden Rechtsakte finden daher - nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit - bereits im Vorfeld der Erstellung eines Entwurfes in den Beratungsgremien der Kommission statt 502 . Die Auswahl, Zusammensetzung und Entscheidungsprozedur dieser Gremien begegnet teilweise Bedenken503. Insgesamt handelt es sich bei dieser Phase der Gesetzesentstehung um eine relative „Grauzone", der ungeachtet ihrer Bedeutung bislang zu Unrecht nur wenig Aufmerksamkeit zuteil geworden ist. Allerdings kennt auch die nationale Gesetzgebung eine mehr oder weniger lange Phase der Vorbereitung, in der vor der Fertigstellung eines Entwurfs durch die Ministerialbürokratie Sachverständige, Interessenvertreter sowie die betroffen Verwaltungen in die Entscheidungsfindung einbezogen werden 504 . Die offizielle Phase schließt sich an mit der Vorlage eines Entwurfes durch die Kommission an den Rat und - sofern das Europäische Parlament zu beteiligten ist, wie z.B. in den Fällen des Art. 189 b Abs. 2 EGV (zukünftig: Art. 251

499 Gemeint sind die Fälle, in denen die Kommission vom Rat gem. Art. 145 3. Spiegelstrich EGV zum unmittelbaren Erlaß von Durchführungsbestimmungen ermächtigt ist. Zu diesen Fällen und zum Verfahren vgl. Geiger, EGV, Art. 145 Rdnr. 15 ff.; Hofmann, Herwig/Töller, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1998, S. 209 ff.; sowie Schweitzer/Hummer, Rdnr. 928 ff. 500 Zum Problemstand der „Komitologie" vgl. Hofmann, Herwig/Töller, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1998, S. 209 ff. 501 Siehe die Angaben bei Bach, ZfSoz. Bd. 21 (1992), 16 (20). 502 Siehe hierzu im einzelnen: Bach, ZfSoz. Bd. 21 (1992), 16 (19 ff.). 503 Ein anschauliches Beispiel von Versagen und schweren Versäumnissen auf Seiten der Kommission im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Rinderseuche „BSE" beschreiben Rack/Gassner, EuZW 1998, 421 (422 f.). 504 Zur ministeriellen Vorbereitungsphase eines Gesetzesentwurfes oder eines Entwurfes einer Rechtsverordnung oder Verwaltungsvorschrift: Mengel, S. 24 ff.; Schneider, H, Gesetzgebung, Rdnr. 96 ff. und 103 ff.

IV. Der Grundsatz der Gewaltenteilung

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Abs. 2 n.F.) - an dieses505. In dieser Phase findet die offizielle Beratung des vorgelegten Entwurfs statt, die von der jeweiligen Ratspräsidentschaft in den betreffenden Ausschüssen und Arbeitsgruppen des Rates eröffnet wird 506 . Die Ausschüsse sind überwiegend mit Beamten der einzelstaatlichen Ministerialverwaltungen besetzt. Insbesondere in den Gremien der Kommission finden sich daneben aber auch Sachverständige und Vertreter von Interessenverbänden 507. Innerhalb eines bestimmten Sachgebiets gibt es nicht selten mehrere Ebenen von Gremien, die untereinander hierarchisch gegliedert sind: Angefangen von den „einfachen" Arbeitsgruppen, die mit Beamten auf der Referenten- oder Referatsleiterebene besetzt sind, und Sonder- oder Unterarbeitsgruppen für bestimmte, schwierige Materien, die meist mit Fachexperten besetzt sind, über die auf der nächsthöheren Ebene angesiedelten „Lenkungsausschüsse", bestehend aus höherrangigen Beamten und dem sog. „K.4-Ausschuß" im Rahmen der intergouvernementalen Zusammenarbeit nach Art. K.6 EUV 5 0 8 , der ausschließlich mit hohen Beamten besetzt ist, bis zum Ausschuß der Ständigen Vertreter (AStV). Auf jeder Ebene wird versucht, so weit wie möglich eine Entscheidungsreife herzustellen 509. Ist eine weitere Einigung nicht mehr möglich, legt der Vorsitz der betreffenden Gruppe oder des betreffenden Gremiums die Ergebnisse, über die Einigung erzielt worden ist, zusammen mit den noch offenen Punkten dem nächsthöheren Gremium zur weiteren Entscheidung vor. Über die meisten Vorlagen, die dem Rat vorgelegt werden, ist bereits auf der Ebene des AStV eine Einigung erzielt worden, so daß die Vorlagen i.d.R. als „A-Punkte" ohne Aussprache beschlossen werden können 510 . Über die noch offenen Punkte, meistens Fragen von grundlegender politischer Bedeutung, wird sodann im Mi-

505 Regelmäßig werden die Vorschläge auch dem Wirtschafts- und Sozialausschuß sowie dem Ausschuß der Regionen zur Stellungnahme überwiesen. Die Arbeitsgruppen des Rates nehmen ihre Tätigkeit dann nach Eingang der Stellungnahmen auf, vgl. Hölscheidt/Schotten, ThürVBl. 1997, 6 (8). Allerdings beginnt das Verhandeln im Rat bereits schon, bevor das Europäische Parlament seine Stellungnahme abgegeben hat, vgl. Röhl, EuR 1994, 409 (417). 506 Nach Siedentopf/Hausschild, DÖV 1990, 445 (448), handelt es sich um ca. 200 Ausschüsse. Deren Anzahl scheint sich mittlerweile verringert zu haben: Hölscheidt/Schotten, ThürVBl. 1997, 6 (7), sprechen von 100 Arbeitsgruppen des Rates. Auch die Arbeitsgruppen werden oft ad hoc eingesetzt und sind unterschiedlich gegliedert, so daß die Anzahl variiert; das zu den Kommissionsgremien in Fußn. 493 Gesagte gilt entsprechend. Gebildet werden diese Ausschüsse ebenfalls kraft des Selbstorganisationsrechtes des Rates von dem AStV, vgl. Art. 19 Abs. 2 und 3 GO des Rates v. 6.12.1993, ABl. EG Nr. L 305 v. 10.12.1993, S. 1. Zu allem vgl. auch GTE-Harnier, Art. 151 Rdnr. 12. 507 Bach, ZfSoz. Bd. 21 (1992), 16 (22 f.). 508 Zukünftige Rechtsgrundlage: Art. 36 EUV n.F. 509 Schweizer/Brunner, S. 16. 510 Hölscheidt/Schotten, ThürVBl. 1997, 6 (8); zum AStV siehe bereits Teil 1, Kap. III, Fußn. 116.

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Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

nisterrat verhandelt und entschieden, wobei je nach Lage des Falles auch eine Zurückverweisung an die Arbeitsgruppen möglich ist.

(2) Die Besonderheiten der Konsensfindung Bedingt durch die besondere Zusammensetzung und Funktionsweise, weist der Beratungs- und Verhandlungsverlauf ganz erhebliche Abweichungen und Besonderheiten gegenüber dem nationalen Gesetzgebungsverfahren auf, die in der Literatur bislang relativ wenig Beachtung gefunden haben511. Der wohl bedeutsamste Unterschied zur nationalen Gesetzgebung ist der, daß die Verhandlungen in den Gremien des Rates nach Grundsätzen stattfinden, die sich in internationalen Beziehungen für Verhandlungen formal gleichgestellter und souveräner Staaten herausgebildet haben512. Abgesehen von den besonderen im EGV festgelegten Verfahrensbestimmungen und den fast diplomatischen Höflichkeitsregeln, ist der Prozeß der Entscheidungsfindung durch eine intensive Inanspruchnahme informeller Kontakte geprägt 513. Dies fuhrt unter anderem zu folgenden erwähnenswerten Besonderheiten bei der Entscheidungsfindung: Das Verhalten der Verhandlungspartner ist von gegenseitigem Respekt, Achtung und formaler Korrektheit geprägt. Verbale Attacken, Ausfälle oder persönliche Angriffe verbieten sich, da bereits ein solches Verhalten die Ablehnung des eigenen Vorschlags oder der eigenen Position bewirken könnte, und zwar ohne Rücksicht auf den jeweiligen Inhalt oder die Begründetheit des eigenen Standpunktes. Die Delegationen sprechen sich „am runden Tisch" regelmäßig nicht direkt an, sondern bitten vorher beim Vorsitz per Knopfdruck oder Handzeichen um die Erteilung des Wortes 514 . Der Vorsitz in den Ausschüssen bestimmt sich regelmäßig nach dem jeweiligen Vorsitz im Rat 515 . Innerhalb der jeweiligen Delegation spricht in aller Regel nur der Delegationsleiter, der auch allein über ein Mikrophon verfügt. Aus besonderem Anlaß - etwa wenn ein anderes Delegationsmitglied für eine bestimmte Fachfrage zuständig ist oder hierfür eine besondere Kompetenz aufweist - kann der Delegationsleiter diesem das

511

Eingehend zum Ablauf der Entscheidungsprozesse aber: Bach, ZfSoz. Bd. 21 (1992), 16 (19 ff.); ders., in: Winkler/Kaelble, Nationalismus, 288 (300 ff.). Eine Analyse technokratischer Verhaltensmuster und Verhandlungsabläufe bietet: Frisch, in: Koch/Senghaas, Technokratiediskussion, S. 90 ff. 512 Everling, DVBl. 1993, 936 (947); Siedentopf/Hausschild, DÖV 1990, 445 (448). Auch Bleckmann, Europarecht, Rdnr. 240, weist darauf hin, daß sich die Ratssitzungen immer mehr zu diplomatischen Konferenzen entwickelt hätten. 513 Wessels, in: Die Integration Europas, 36 (46). 514 Zum Verhandlungsklima vgl. Schmitt von Sydow, EuR 1974, S. 62 (65). 515 Art. 19 Abs. 3 Satz 3 GO des Rates (ABl. EG Nr. L 304 v. 10.12.1993, S. 1).

IV. Der Grundsatz der Gewaltenteilung

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Wort erteilen 516 . Aus diesem Grunde ist es wichtig, einen Platz direkt am Verhandlungstisch neben dem Delegationsleiter einnehmen zu können 517 . Nur von dieser Position aus besteht die Möglichkeit, aktiv in die Verhandlungen einzugreifen und sich mit dem Delegationsleiter abzustimmen oder diesem eine Mitteilung zukommen zu lassen. Meist sind jedoch die Teilnehmer der Delegation, die nicht in vorderster Reihe am Verhandlungstisch sitzen, zu einer passiven Beobachterrolle verurteilt und können allenfalls noch in der Sitzungspause ihren Standpunkt mit dem Delegationsleiter erörtern - wenn nicht über den strittigen Punkt bereits eine Einigung erzielt wurde und somit der „Zug abgefahren ist". Aus diesem Grund war es für die Länder wichtig, in den ihre Gesetzgebungs- oder Verwaltungskompetenz betreffenden Fragen bei den Verhandlungen mit „in der ersten Reihe" sitzen zu dürfen. Auch die gegenseitigen Interessen sind zu Beginn der Verhandlungen keineswegs so klar zu bestimmen wie im nationalen Gesetzgebungsverfahren. Die jeweilige Interessenlage hängt vielmehr von einer komplexen Anzahl von Faktoren des jeweiligen Mitgliedstaates ab, die von den anderen Mitgliedstaaten nicht immer im vorhinein abzuschätzen ist. Parteipolitische „Frontlinien", vergleichbar denen im nationalen Bereich, bestehen zwischen den verschiedenen Delegationen in aller Regel nicht 518 . In dem Maße, in dem die Regelungsvorgänge pragmatisch Expertenkreisen zur Entscheidungsfindung überantwortet werden, kann ein zunehmender Prozeß der „Entpolitisierung" und auch „Entnationalisierung" der Verhandlungsgegenstände beobachtet werden 519 . Dies dürfte nicht zuletzt mit der Tatsache zusammenhängen, daß die Aufgabenverteilung der Ressorts in den einzelnen Mitgliedstaaten in der Regel stark voneinander variiert. So kann beispielsweise für die Beratungen einer bestimmten Vorlage in Deutschland das Innenministerium federführend sein, während ein anderer Mitgliedstaat mit Angehörigen des Justizministeriums vertreten ist. Entsprechend groß können die Auswirkungen der Zusammensetzung auf die gefundenen Kompromisse sein 520 . Somit ergeben sich die Verhandlungspositionen oftmals erst im Laufe der Verhandlungen 521, was wiederum die Notwendigkeit einer

516

Die Entscheidung liegt in jedem Fall beim Delegationsleiter. Dieser wird in der Praxis einem anderen Delegationsteilnehmer nur dann das Wort überlassen, wenn gegenseitiges Einvernehmen im Hinblick auf den Inhalt des beabsichtigten Wortbeitrags besteht und nicht einer zuvor vertretenen Position widersprochen wird. 517 Die vorhandenen Sitzplätze am Verhandlungstisch sind je nach Größe des Sitzungssaales begrenzt. Oft stehen pro Delegation nur 3 Sitzplätze zur Verfügung, die vom Leiter der Delegation, einem Referenten oder Referatsleiter aus dem gleichen Ministerium sowie einem Angehörigen eines anderen Ressorts eingenommen werden können. 518 Everling, DVBl. 1993, 936 (947). 519 Back, ZfSoz. Bd. 21 (1992), 16 (24). 520 Vgl. Siedentopf/Hausschild, DÖV 1990, 445 (449), mit einem konkreten Beispiel. 521 Rabe, NJW 1993, 1 (4).

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Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

schnellen und flexiblen Meinungsbildung und Verhandlungsfiihrung von Seiten der Delegationen bedingt 522 . Des weiteren muß jede Delegation darauf bedacht sein, mit „einer Stimme" aufzutreten und Meinungsverschiedenheiten innerhalb der eigenen Delegation nicht nach außen dringen zu lassen. Meinungsverschiedenheiten werden zwar vom Vorsitz oder den anderen Delegationen aus Höflichkeit nicht unmittelbar ausgenutzt523. Werden sie von den anderen Verhandlungspartnern wahrgenommen, kann dies die eigene Verhandlungsposition jedoch entscheidend schwächen524. Der Vorsitz versucht meist, auf eine einvernehmliche Lösung hinzuwirken. Insgesamt ist der Verhandlungsprozeß sehr stark „konsensorientiert" 525. Jede Delegation muß somit versuchen, bei den anderen Delegationen um Verständnis fur die eigenen Standpunkte zu werben und ihre Position den anderen Verhandlungspartnern nahe zu bringen. Viele Ergebnisse basieren auf dem „do ut des"-Prinzip und sind nur so zu erklären 526. Die Möglichkeit des „Handels" ist angesichts der vielfältigen Kontakte der Regierungen untereinander dabei nicht auf ein einzelnes Vorhaben beschränkt, sondern kann sich auch auf Gegenstände erstrecken, die in keinerlei thematischem Sachzusammenhang miteinander stehen. Ein besonderes Charakteristikum internationaler Verhandlungen, das in seiner Bedeutung nicht zu unterschätzen ist, bilden die sog. „Paketlösungen". Hierbei werden mehrere Rechtsakte aus unterschiedlichen Themenbereichen im Wege der Bündelung verschiedener Kompromisse - „im Paket" - verhandelt und entschieden527. Gelingt es einem oder mehreren Verhandlungspartnern, eine bestimmte Maßnahme zum Bestandteil eines solchen Paketes zu machen, stehen die anderen Verhandlungspartner vor der Situation, der Gesamtlösung aus übergeordneten Interessen in toto zustimmen zu müssen, obwohl einzelne Bestandteile des Pakets für sie eigentlich inakzeptabel wären 528 . Die Vorliebe der Regierungsvertreter für Paketlösungen beruht insbesondere darauf, daß die Vor- und Nachteile des gefundenen Kom-

522

Die gegenteilige Aussage Raths, ZParl Sonderband 1/1995, 114 (133), der sich hierfür allein auf die lange Dauer der Rechtsetzungsvorhaben insgesamt beruft, stimmt schlicht nicht mit der Staatspraxis überein. 523 Schmitt von Sydow, EuR 1974, S. 62 (64 f.). Es ist auch möglich, daß sich länderübergreifende Fronten innerhalb mehrerer Delegationen ergeben, wenn einige Angehörige einer Delegation im Gegensatz zum Delegationsleiter mit dem Standpunkt anderer Delegationen oder der Kommission sympathisieren, Schmitt von Sydow, S. 65. 524 Die Aussage Raths, ZParl Sonderband 1/1995, 114 (133), das Erfordernis der Geschlossenheit eines Mitgliedslandes im Auftreten sei „reichlich antiquiert", fußt auf einer praxisfernen Einschätzung und negiert die realen Gegebenheiten des Verhandlungsregimes. 525 Röhl, EuR 1994, 409 (414); Schweizer/Brunner, S. 16. 526 Dies gilt auch für die Tätigkeit der Kommission, vgl. Brunner, Die Subsidiarität Europas, 9 (14). 527 Hölscheidt/Schotten, ThürVBl. 1997, 6 (8 f.); Leutheusser-Schnarrenberger, in: Recht und Pflicht, 48 (49); Wessels, in: Die Integration Europas, 36 (44 ff.). 528 Rabe, NJW 1993, 1 (5), mit einem konkreten Beispiel.

IV. Der Grundsatz der Gewaltenteilung

265

promisses in einer „präsentablen" Art und Weise über mehrere Politikbereiche verteilt werden können, so daß jede Regierung die Ergebnisse innerstaatlich als Nutzen oder Erfolg verbuchen kann 529 . Für die nötige Abstimmung der Beteiligten steht regelmäßig nicht viel Zeit zur Verfügung. Oftmals werden die Sitzungen kurzfristig anberaumt und die nötigen Unterlagen, Dokumente oder Vorschläge der anderen Delegationen erst ad hoc zur Sitzung verteilt 530 . Gleiches gilt naturgemäß für die Vorschläge, die in der Sitzung erarbeitet werden. Die vorherige Abstimmung innerhalb und zwischen den beteiligten Ministerien muß dann entweder noch während der Sitzung oder - soweit hierfür Gelegenheit besteht - kurzfristig vor der Sitzung vorgenommen werden. Im Rahmen der oft mühsamen Konsensfindung, die oft unter Zeitdruck und den politischen Vorgaben des Rates oder des AStV erfolgt, ist ein Abrücken oder ein In-Frage-Stellen von einem einmal konsentierten Standpunkt nicht mehr ohne weiteres möglich. In der Praxis werden bei Meinungsverschiedenheiten anstelle eines absoluten Vetos oft diverse „Sprach-", „Prüf-", oder „Zustimmungsvorbehalte" angebracht, um zumindest den zwischenzeitlichen Weitergang der Beratungen nicht zu blockieren. Das häufige Einlegen von Vorbehalten verbietet sich allerdings, da es den mühsam ausgehandelten Komprom iß und den Fortgang der Verhandlungen gefährdet. Die Delegationen müssen sich deshalb auch gut überlegen, von ihrem Vorbehalt Gebrauch zu machen und die Verhandlungen zurückzudrehen oder in diesem Punkt lieber nachzugeben und sich dafür das Wohlwollen der anderen Delegationen in einem anderen, wichtigeren Punkt zu sichern 531. Die Ausweitung des Mehrheitsprinzips im Rat und die damit verbundene Möglichkeit des Überstimmt-Werdens haben noch zu einer weiteren Dynamisierung des Verhandlungsverlaufs und zur Erhöhung der Kompromißbereitschaft der Verhandlungsteilnehmer geführt 532 . Hinzu kommt ein weiterer, nicht zu unterschätzender Faktor: Wenn von den „Delegationen" die Rede ist, darf nicht übersehen werden, daß es sich häufig um einen relativ kleinen Kreis von Beamten und Experten handelt, die sich seit Jahren kennen und die sich bei den Verhandlungen sowohl in den Gremien der Kommission in der Vorphase als auch in der zweiten Phase in den Gremien des Rates gegen-

529

Wessels, in: Die Integration Europas, 36 (46 f.). Die Übermittlung von Stellungnahmen oder Formulierungsvorschlägen erfolgt regelmäßig über den Vorsitz an das Ratssekretariat und über die Ständige Vertretung an das federführende Ressort im Mitgliedstaat. 531 Vgl. auch Röhl, EuR 1994, 409 (414 f.). 532 Hierauf weisen hin: Götz, JZ 1993, S. 1081 (1085); Wessels, in: Die Integration Europas, 36 (46, 48). 530

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Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

überstehen oder besser: wiederfinden 533. Die persönlichen Kontakte beschränken sich nicht nur auf das eigentliche Zusammenkommen während der Sitzungen. Es kommt durchaus vor, daß sich die Teilnehmer vor oder nach der Sitzung, z.B. in Brüssel, mit Vertretern anderer Delegationen treffen und daß am Rande des Treffens in inoffiziellen „Korridorgesprächen" Fachfragen erörtert und Verhandlungspositionen abgesteckt werden 534 . Die geschilderten Eigenheiten des Verhandlungsregimes bergen gleichermaßen Vorteile wie Nachteile: Zum einen haben Beobachtungen gezeigt, daß die beteiligten Beamten oft Verständnis für die Probleme der anderen Mitgliedstaaten gewonnen haben und sich über die Grenzen hinweg eine Art kollegiales Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt hat 535 . Hierin kann gewiß ein bedeutender Beitrag zur europäischen Integration erblickt werden 536 . Zum anderen erschweren jedoch die besonderen Funktionsweisen und Strukturen des europäischen Rechtsetzungsprozesses die Herstellung von Transparenz und demokratischer Kontrolle. Je mehr Fachbeamte an einem Entwurf mitgewirkt haben, desto schwieriger wird es bereits für die nächsthöhere Entscheidungsebene, etwa den AStV oder den Ministerrat, von dem konsentierten Ergebnis abzuweichen. Oft können selbst die politischen Spitzen einem Vorschlag nur noch im ganzen zustimmen oder diesen ablehnen. Streitpunkte oder Schwierigkeiten gelangen nur zu ihrer Kenntnis, wenn die Fachbeamten diese „nach oben" weiterleiten und nicht selbst darüber entscheiden537. Dabei besitzen die einzelnen Fachbeamten, die an der betreffenden Sitzung teilgenommen haben, kaum kontrollierbare Verhandlungsspielräume. Einwänden kann unter Verweis auf den Verhandlungsverlauf und die Interessenlage der anderen Delegationen immer entgegengehalten werden, daß eine andere als die vertretene Position im Kreise der anderen Delegationen nicht konsensfähig sei, die Verhandlungen blockiere oder aber, daß eine bestimmte Position bereits „festgezurrt" sei. Zudem sind häufig gerade dieselben Beamten für die Verhandlungsführung auf der Arbeitsebene in Brüssel zuständig, die die innerstaatliche Koordination innerhalb des eigenen und zwischen den Ressorts wahrnehmen und die anschließend auch für die Umsetzung der beschlossenen Maßnahme zuständig sind 538 . Diese Art der Verwaltungskooperation - im Schrifttum auch als „transnationale Fusionsbürokratie"

533 Rabe, NJW 1993, 1 (4); Schmitt von Sydow, EuR 1974, S. 62 (65). Ipsen, in: FS für Lerche, 425 (428), hat den Begriff der „Expertokratie", Wagener den der „Fachbruderschaften" geprägt, vgl. dersin: DÖV 1977, 587 (588), sowie in: VVDStRL Bd. 37 (1979), S. 215 (238 ff.). Kritisch auch Hänsch,, EA 1986, 191 (196 f.); Lamprecht, NJW 1997, 505 ff. 534 Bach, ZfSoz. Bd. 21 (1992), 16 (25). 535 Schmitt von Sydow, EuR 1974, S. 62 (65 ff.). 536 So Bach, ZfSoz. Bd. 21 (1992), 16 (28). 537 Schmitt von Sydow, EuR 1974, S. 62 (71 ff.). 538 Vgl. auch Weber-Panariello, S. 237 f.

IV. Der Grundsatz der Gewaltenteilung

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bezeichnet539 - vermag die herkömmlichen Grenzen der horizontalen und vertikalen Hierarchie- und Kompetenzordnungen in den Einzelstaaten relativ ungehindert zu überschreiten und führt im Endeffekt dazu, daß die Verantwortung für die Verhandlungsergebnisse in weitem Umfang in den Händen der persönlich an den Beratungen teilnehmenden Beamten liegt 540 . Mittlerweile hat die „Funktionselite der europäischen Verwaltungskader" einen Grad der Verselbständigung erreicht, die als „technokratisches Regime" sui generis 541 bezeichnet werden kann und die aus dem Blickwinkel des grundgesetzlichen Demokratieprinzips Anlaß zur Nachdenklichkeit gebietet. In der Literatur sind aus diesen Gründen nicht zu Unrecht bereits Vorwürfe erhoben worden, daß die jeweils mit den Verhandlungen betrauten Beamten die „wahren Gesetzgeber" der Gemeinschaft seien, die gestalten und verhindern 542, oder daß die Rechtsetzung auf europäischer Ebene weitgehend in einem „top-down"-Verfahren stattfinde 543. Die hiermit verbundenen weiterreichenden Gefahren liegen auf der Hand: Auf lange Sicht gesehen kann eine solchermaßen praktizierte Entscheidungsfindung, die sich gleichsam als „arcanum" gegen die Sphäre der gesellschaftlichen Interaktion abhebt, eine wachsende politische Entfremdung hervorrufen und sich sowohl im politischen System der Mitgliedstaaten als auch im „Staatenverbund" der Europäischen Union tendenziell destabilisierend auswirken, und zwar bis hin zur offenen Aggression gegen Entscheidungen der Europäischen Gemeinschaft 544. Der von den Exekutiven gewonnene Freiraum könnte sich unter diesen Umständen leicht als „Pyrrhussieg" erweisen. Das Initiativmonopol der Kommission und die grundsätzliche Bindung des Rates an den Vorschlag der Kommission nach Art. 189 a EGV vermögen hieran kaum etwas zu ändern. Die Gremien des Rates und der Kommission sind über dieselben Beamten und Fachexperten eng miteinander verflochten, so daß die Zuständigkeitsgrenzen bereits im Vorfeld „pragmatisch" und informell, eben „effizient", unterlaufen werden können. In den meisten Fällen wird der Vorschlag der Kommission zwar in den

539

Bach, ZfSoz. Bd. 21 (1992), 16 (21). Bach, ZfSoz. Bd. 21 (1992), 16 (25 ff.); vgl. auch Frisch, in: Koch/Senghaas, Technokratiediskussion, 90 (104 ff). 541 Vgl. Bach, in: Winkler/Kaelble, Nationalismus, 288 (305). 542 Rabe, NJW 1993, 1 (4). Besonders nachdenklich stimmt die Einschätzung Frischs, in: Koch/Senghaas, Technokratiediskussion, 90 (105): „... Nicht zuletzt deswegen waren die Technokraten von Anfang an hartnäckige Verteidiger der europäischen Idee. Und heute gibt es wohl keinen einzigen Technokraten, der nicht zu den »Europäern« gehörte, denn die technokratische Entfaltung wird ungeheuer begünstigt durch die Verwässerung der Staatsgewalt infolge einer über die Grenzen hinausreichenden Zusammenarbeit...". 543 Thürer, VVDStRL Bd. 50 (1991), 97 (120 f.). 544 Zu den Gefahren der technokratisch-administrativen Entscheidungsfindung bereits frühzeitig: Offe, in: Koch/Senghaas, Technokratiediskussion, 156 (164 ff). Vgl. ebenfalls Häckel, Regionale Verflechtung, 15 (34 f.). 540

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Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

Gremien des Rates noch erheblich abgeändert 545. In der Praxis ist es aber üblich, daß die Kommission ihre Vorschläge - auch stillschweigend - den Vorstellungen der Mitgliedstaaten im Rat anpaßt546. Gleichwohl könnte aus dem Vorstehenden nicht der Schluß gezogen werden, daß die Rechtsetzung der Europäischen Gemeinschaft nicht mehr den Anforderungen des Demokratieprinzips entspräche 547. Eine solche Beurteilung wäre voreilig, da sie den Blick ausschließlich auf die Mängel einer faktisch geübten Staatspram richtet. Eine verfassungsrechtliche Betrachtung der Rahmenbedingungen, um die es vorliegend allein geht, muß demgegenüber zurückhaltender ausfallen. Wie oben gezeigt, sind die vorhandenen Möglichkeiten der Einflußnahme und der Kontrolle durch den Deutschen Bundestag trotz aller geschilderten Hemmnisse rechtlich in jeder Hinsicht ausreichend, um den Handlungen der Bundesregierung im Rahmen der supranationalen Rechtsetzung eine hierfür erforderliche demokratische Legitimation zu vermitteln 548 . Die Möglichkeiten hierfür müssen nur entsprechend genutzt werden.

c) Bewertung von Art. 23 Abs. 5 und 6 GG im Lichte der integrationspolitischen Handlungsfähigkeit Deutschlands (1) Die einfache Pflicht zur Berücksichtigung Angesichts der geschilderten Besonderheiten des Rechtsetzungsverfahrens auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft liegt es auf der Hand, daß jede Erweiterung des Kreises der am Abstimmungsprozeß Beteiligten für die Bundesregierung zu Einbußen an Handlungsfreiheit und Flexibilität führen muß. Die Pflicht zur einfachen Berücksichtigung der Stellungnahmen des Bundestages und des Bundesrates nach Art. 23 Abs. 3 S. 2 GG und Abs. 5 S. 1 GG dürfte insoweit jedoch nicht problematisch sein, da hierdurch die Handlungs- und Entscheidungsfreiheit der Bundesregierung nicht wesentlich beschnitten wird. Vielmehr geht die einfache Pflicht der Bundesregierung zur Berücksichtigung der Stellungnahmen des Bundesrates kaum über das hinaus, was ohnehin den Geboten der Bundestreue entspricht und was zwischen Bundesregierung und Bundesrat bereits auf einer langjährigen Praxis der Zusammenarbeit in der Vergangenheit beruht. Etwaige Probleme im Hinblick auf eine Gefährdung der in-

545

Hölscheidt/Schotten, ThürVBl. 1997, 6 (8). Rabe, NJW 1993, 1 (3 f.). 547 So aber: Graf Staufenberg/Langenfeld, ZRP 1992, 252 (258); Hölscheidt/Schotten, VR 1994, 183 (188 f.); Klein, H.H., in: FS für Remmers, 195 (198 f.); Lamprecht, NJW 1997, 505 (506); Pieper, in: FS für Bleckmann, 197 (214); Rupp, ZRP 1993,211 (213). 548 Siehe hierzu oben, Teil 3, Kap. III.2. c), S. 211 ff. 546

IV. Der Grundsatz der Gewaltenteilung

269

tegrationspolitischen Handlungsfähigkeit der Bundesregierung sind - im Vorgriff auf das nachfolgende Kapitel V über die Erfahrungen in der Praxis - insoweit bislang noch von keiner Seite verlautbart worden. Vorstehendes gilt jedoch nur für den Fall, daß innerstaatlich kein Streit um die Einordnung eines bestimmten Vorhabens in die Kategorien des Art. 23 Abs. 5 S. 1 oder S. 2 GG besteht. Die wertenden Formulierungen, insbesondere die „Schwerpunktregelung" in Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG, werden aufgrund der unterschiedlichen Interessenlage von Bund und Ländern oft Anlaß zu Meinungsverschiedenheiten geben. Ein schwebender Kompetenzkonflikt kann die Einheitlichkeit und die Durchschlagskraft der vertretenen Position schwächen, wenn sowohl Bundesregierung als auch Bundesrat befürchten müssen, daß ihre Haltung nachfolgend möglicherweise zu einem Streitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht führt, dessen Ausgang ungewiß ist. Wird die Existenz eines solchen Konfliktes gar nach außen bekannt, führt dies zu einer Verunsicherung der Verhandlungspartner, da sie die endgültige Position Deutschlands nicht abschätzen können; letztlich wird Verhandlungsposition Deutschlands geschwächt. Die unklaren und wertenden Abgrenzungskriterien des Art. 23 Abs. 5 und 6 GG sind also für sich genommen bereits geeignet, eine potentielle Schwächung der integrationspolitischen Handlungsfreiheit Deutschlands zu bewirken. Das Grundgesetz nimmt jedoch, wie oben bereits erwähnt, Erschwernisse der Willensbildung und Außenvertretung bis zu einem gewissen Grad bewußt in Kauf. Solange die integrationspolitische Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland nicht ernsthaft beeinträchtigt ist, und hierfür liegen bislang keine Anhaltspunkte vor, bestehen gegen Art. 23 Abs. 5 S. 1 GG keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.

(2) Gefahren des Letztentscheidungsrechts des Bundesrates Sofern der Bundesrat - wie vom Gesetzgeber ermöglicht - nach Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG i.V.m. § 5 Abs. 2 S. 5 EUZBLG einen „Beharrungsbeschluß" trifft, würde die Bundesregierung innerstaatlich unausweichlich an das Votum des Bundesrates gebunden und müßte in den Beratungen und Verhandlungen die vom Bundesrat festgelegte Position einnehmen. Auf der Ebene der internationalen Beratungen und Verhandlungen könnte dies folgende Nachteile nach sich ziehen: -

Der Position Deutschlands würde es an der nötigen „Durchschlagskraft" fehlen, wenn erkennbar ist, daß die Bundesregierung sich die eingenommene Position nur zwangsweise oder widerwillig zu eigen macht, politisch aber möglicherweise nicht mit allen Mitteln dafür einsteht. Verhandlungen sind in aller Regel nur dann erfolgreich, wenn die Verhandlungspartner nach außen Entschlossenheit beweisen und über Druckmittel von einigem Gewicht

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Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

verfügen. Die Bundesregierung verfügt aufgrund ihrer Rolle und ihrer vielfältigen außenpolitischen Beziehungen über weitreichende Möglichkeiten der politischen Einflußnahme, mit denen sie bei internationalen Verhandlungen ihren Forderungen Geltungskraft verleihen kann 549 . Wenn diese Möglichkeiten nicht genutzt werden - und Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG könnte die Bundesregierung auf keinen Fall zur anderweitigen Geltendmachung ihres Einflusses verpflichten - wäre die Verhandlungsposition Deutschlands von vornherein geschwächt. Dem Bundesrat oder den Ländern fehlt es dagegen an der nötigen internationalen „Gewichtigkeit", ihren Forderungen selbst Nachdruck zu verleihen. -

Der Bundesrat ist im Gegensatz zur Bundesregierung auch nicht in der Lage, sektorübergreifende „Verhandlungspakete" mit den anderen Verhandlungspartnern zu schnüren und so den Verhandlungsgang in seinem Sinne zu beeinflussen. Der Einsatz eines sich über mehrere Politikfelder erstreckenden „do ut des"-Prinzips ist dem Bundesrat mangels Zuständigkeit verwehrt 550 . Das „Schnüren von Verhandlungspaketen" ist in den wichtigen Fällen meist nur dem Europäischen Rat selbst möglich 551 . Gerade im Hinblick auf die häufig vorkommenden „Paketlösungen" werden die anderen Verhandlungspartner geneigt sein, eher die für sie berechenbareren oder entgegenkommenderen Partner für Kompromisse und Mehrheiten zu gewinnen. Eine optimale Ergebniserzielung im Sinne und im Interesse Deutschlands würde durch eine von vornherein festgelegte Bindung der Bundesregierung erheblich erschwert 552.

-

Ganz allgemein ist ein „Verhandeln" nicht möglich, wenn ein Verhandlungspartner auf einer Position beharrt und seinerseits keine Angebote des Nachgebens machen kann. Sind die Verhandlungen an einem Punkt durch die starre Haltung der Bundesregierung festgefahren, besteht das Risiko, daß die deutsche Delegation einfach überstimmt wird und so noch nicht einmal

549

Darauf weist auch Littwin, DVBl. 1997, 151 (153 f.), hin. Als herausragendes Beispiel eines ebenso unzulässigen wie nichtsdestoweniger erfolgreichen politischen Druckmittels kann die Drohung Großbritanniens aus dem Jahre 1996 gesehen werden, sämtliche wichtige EU-Vorhaben zu blockieren, wenn in der Frage des von der EG verhängten Schlachtprogramms und des Importverbots im Zusammenhang mit der Rinderseuche „BSE" kein Kompromiß im Sinne Großbritanniens erzielt würde, vgl. hierzu Rack/Gassner, EuZW 1998, 421 (422 ff.). Die Existenz der sog. „Luxemburger Vereinbarung" vom 29. Januar 1966, die von Frankreich erzwungen worden ist, kann als weiterer Beleg für die Möglichkeiten der Einflußnahme einer Regierung dienen, vgl. hierzu: Schweitzer/Hummer.; Europarecht, Rdnr. 171. 550 Darauf weisen auch Schweizer/Brunnerhin, vgl. dies., S. 35, Fußn. 114. 551 Hö/scheidt/Schotten, ThürVBl. 1997, 6 (8 f.). 552 Leutheusser-Schnarrenberger.; in: Recht und Pflicht, 48 (54). Kritisch auch: Herdegen, EuGRZ 1989, 309 (314); Neßler, EuR 1994, 216 (224 f.).

IV. Der Grundsatz der Gewaltenteilung

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einen Kompromiß oder eine Abschwächung in ihrem Sinn erzielen kann 553 . Gerade diesem Gesichtspunkt hatte das Bundesverfassungsgericht bei der Ablehnung des Eilantrages der Länder im Streit um die Rundfunkrichtlinie maßgebliche Bedeutung zugemessen554. Bei einer Änderung der Verhandlungslage müßte der Bundesrat zur Durchsetzung seiner Position zudem den „Beharrungsbeschluß" notfalls auf schnellem Wege ändern oder modifizieren können. Angesichts der erschwerten Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 EUZBLG, insbesondere des Erfordernisses einer Mehrheit mit 2/3 der Stimmen, ist von seiten des Bundesrates selbst Skepsis im Hinblick auf die Realisierbarkeit der Regelung geäußert worden 555 . -

Das Prinzip der Mehrheitsentscheidung bedarf unter dem Gesichtspunkt des Demokratieprinzips zu seiner materiellen Rechtfertigung bestimmter Vorbedingungen wie die Gleichheit der Abstimmungsberechtigten und eine freie und offene Meinungsbildung in einem geordneten Verfahren, das der Minderheit die Möglichkeit einräumt, ihre Vorstellungen in den Willensbildungsprozeß einzubringen und diese zur Geltung zu bringen 556 . Die innere Rechtfertigung des Mehrheitsprinzips als demokratischer Entscheidungsmodus beruht daher wesentlich auf der Möglichkeit aller Beteiligten, ihre Interessen bereits in den Prozeß der Willensbildung einzubringen, um die anderen Teilnehmer überzeugen zu können und die eigenen Standpunkte dabei so weit wie möglich in das Ergebnis einfließen zu lassen557. Nur unter diesen Voraussetzungen kann der unterlegenen Minderheit zugemutet werden, das Ergebnis einer Mehrheitsentscheidung gegen sich gelten zu lassen. In der Praxis werden Niederlagen und Kompromisse der heimischen Bevölkerung tatsächlich auch auf diese Weise verkauft 558 . Dies gilt um so mehr, als der

553 Everling, DVB1. 1993, 936 (947); in dem Sinne auch: Röhl, EuR 1994, 409 (442); Scharpf, Jahrb. zur Staats- und Verwaltungswissenschaft 1992/93, 165 (170 f.). 554 Zum Streit um die Rundfunkrichtlinie siehe oben, Teil 1, Kap. V.2., S. 63 ff. In seiner Hauptsacheentscheidung - nach Abschluß der Verhandlungen - hat das BVerfG den Einwand des „wohlwollenden" Übergehens der Länderposition im Interesse der Länder allerdings nicht mehr akzeptiert und der sog. „Annäherungstheorie", die es vereinzelt in der Vergangenheit zur Rechtfertigung von Verträgen im Zusammenhang mit der besatzungsrechtlichen Lage Deutschlands zur Begründung herangezogen hatte, eine Absage erteilt, BVerfGE 92, 203 (236 ff). Vgl. Stern, NWVB1. 94, 241 (249), m.w.N., sowie Lerche, AfP 1995, 632, (634). 555 Siehe Teil 2, Kap. III, Fußn. 160. Vgl. auch Neßler, EuR 1994, 216 (224 f.). 556 Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, § 22 Rdnr. 52 ff; Gusy, AöR 106 (1981), 329 (342 f.); Stern, StaatsR I, S. 613 ff. Vgl. auch BVerfGE 89, 155 (182 ff). 557 Vgl. Kamann, S. 271 f. Kritisch hingegen Hrbek, in: Gedächtnisschrift für Grabitz, 171 (177 f.). Einen etwas anderen Ansatz verfolgt Kaufmann, der auf die freiwillige Selbstbindung und auf den letztlichen Entscheidungsvorbehalt der Mitgliedstaaten abstellt, vgl. ders., S. 463 ff. 558

Vgl. bereits Everling, Regionale Verflechtung, 39 (77).

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Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht Rat institutionell das entscheidende Forum der Willensbildung der Mitgliedstaaten bei der Gesetzgebung darstellt. Eine Beschneidung der Verhandlungsfähigkeit der Bundesregierung im Rat fuhrt zu einer Schmälerung der Möglichkeit, einen für Deutschland tragbaren Gesamtkompromiß zu erzielen. Damit wird jedoch tendenziell die Legitimation der Zurechenbarkeit von Mehrheitsentscheidungen im Rat mit Wirkung für und gegen Deutschland unterlaufen. Das Mehrheitsprinzip verliert seine Tauglichkeit zur Konfliktlösung um so mehr, je mehr das betreffende politische System eine starke Fragmentierung der politischen Kultur und der „Versäulung" bei der Artikulation der Interessen aufweist 559 . Eine strikte Bindung der Bundesregierung an die Stellungnahmen anderer Organe, sei es der Bundestag oder der Bundesrat, kann sich aufgrund Gesetzmäßigkeiten des Verhandlungsregimes daher im Ergebnis sogar nachteilig für die demokratische Repräsentation des Volkswillens auswirken und somit letztlich zu einer Schwächung des Demokratieprinzips aus deutscher Sicht beitragen 560.

-

Außerdem würde die Haltung Deutschlands bei einer verfassungsrechtlichen Bindung der Bundesregierung an das Votum des Bundesrates für die anderen Verhandlungspartner ein Stück unberechenbarer. Sie miißten befürchten, daß die Bundesrepublik Deutschland nach Durchführung eines Organstreits vor dem Bundesverfassungsgericht möglicherweise gezwungen ist, ihre bisherige Position zu ändern und erzielte Kompromisse zu bekämpfen. Der Streit um die Rundfunkrichtlinie belegt diese Gefahr allzu deutlich 561 . Dies alles muß vor dem Hintergrund gesehen werden, daß die deutsche Europapolitik in Ermangelung einer zentralen Instanz zur Koordinierung und des statt dessen geltenden Ressortprinzips 562 ohnehin von den anderen Mitgliedstaaten zuweilen als unberechenbar empfunden wird 5 6 3 .

(3) Gefahren der Außen Vertretung durch einen Vertreter der Länder Grundsätzlich gelten für die Außenvertretung des Bundesrates im Rahmen des Art. 23 Abs. 6 GG die gleichen Bedenken und Nachteile wie für den Fall des Letztentscheidungsrechts. Da sich die Voraussetzungen des Absatzes 6 mit denen des Absatzes 5 Satz 2 überschneiden, findet eine Außenvertretung nur in 559

Kaufmann, S. 252. Zu dem Dilemma, daß sich die Forderung nach intraorganisatorischer Demokratisierung der Entscheidungsprozesse nicht mit der Zielsetzung einer kooperativen Problemlösung verträgt, Benz, in: Kooperative Verwaltung, S. 195 f. Vgl. zum Spannungsverhältnis zwischen Demokratie und Entscheidungseffizienz Kaufmann, S. 384 ff. 561 Siehe hierzu oben, Teil 1, Kap. V.2., S. 63 ff. 562 Siehe die Anmerkung oben, Teil 2, Kap. IV, zu Fußn. 336. 563 Weber-Panariello, S. 238, m.w.N. 560

IV. Der Grundsatz der Gewaltenteilung

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den Bereichen statt, in denen die Auffassung des Bundesrates zuvor bei der innerstaatlichen Willensbildung maßgeblich zu berücksichtigen ist. Hinzu kommen jedoch noch folgende Nachteile: -

Allein die Tatsache, in internationalen Verhandlungen nach außen sichtbar mit einer „Doppelspitze" aufzutreten, bestehend aus dem Vertreter des Bundesrates und der Bundesregierung, untergräbt die Position und die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung. Ist diese ansonsten der alleinige Wortführer für die Bundesrepublik Deutschland und ständiger Verhandlungspartner der anderen Mitgliedstaaten, wird ihre Kompetenz nun nach außen sichtbar beschnitten. Auch insoweit büßt die Bundesrepublik Deutschland aus Sicht der anderen Mitgliedstaaten an Berechenbarkeit ein.

-

Durch die nach § 6 Abs. 2 S. 3 und 4 EUZBLG erforderliche Abstimmung zwischen den beiden Vertretern Deutschlands während der Verhandlung besteht die Gefahr, daß Meinungsverschiedenheiten innerhalb des „deutschen Lagers" nach außen getragen und für die anderen Delegationen sichtbar dokumentiert werden. Für die Vertreter der anderen Mitgliedstaaten ist es ohnehin nur schwer nachvollziehbar, wenn innerhalb der deutschen Delegation aufgrund der Beteiligung von Beamten verschiedener Ressorts Diskussionen oder Meinungsverschiedenheiten auftauchen 564; dieser Effekt wird bei einer Hinzuziehung eines Vertreters des Bundesrates noch verstärkt.

-

Eine Ausübung der Rückholkompetenz durch die Bundesregierung oder sonstige Konfliktlösungsmechanismen zwischen Bundesregierung und Bundesrat müssen während des Verlaufs einer internationalen Verhandlung aus praktischen Gründen versagen, um nicht der Position Deutschlands größeren Schaden zuzufügen 565. Die „sibyllinische" Formel „in Abstimmung mit dem Vertreter der Bundesregierung" trägt nicht zur klaren Kompetenzabgrenzung bei und läßt ebenfalls Streitigkeiten vor und während der Verhandlung erwarten.

-

Schließlich droht das Modell der „Doppelspitze" innerstaatlich die Transparenz und eine klare Zuweisung von Verantwortung für die Position Deutschlands zu verwischen. Eine Ausübung parlamentarischer Kontrolle und damit eine Aktualisierung des Willens des Volkes wären unter diesen Umständen kaum möglich. Dies gilt in besonderem Maße, wenn die parlamentarische

564

So passiert es gelegentlich, daß unter den Vertretern der deutschen Delegation ein regelrechtes „Gerangel" um die vorhandenen Plätze am Verhandlungstisch stattfindet. Man kann nur erahnen, wie dieses Szenario von den anderen Delegationen aufgefaßt wird. 565 Zur mangelnden Praktikabilität der Rückholbefugnis siehe bereits oben, Teil 2, Kap. 4. b), S. 158 ff. 18 Halfmann

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Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht Opposition wie in den letzten Jahren zugleich die Mehrheit im Bundesrat stellt 566 .

Die Überlegungen beweisen, daß die neuen Beteiligungsregeln in der Tat geeignet sind, in vielfältiger Weise die außen- und integrationspolitische Handlungsfreiheit Deutschlands zu gefährden. Insoweit ist den kritischen Stimmen in der Literatur recht zu geben. Allerdings kann hieraus nicht ohne weiteres der Schluß gezogen werden, die außen- und integrationspolitische Handlungsfreiheit werde durch die Regelungen des Art. 23 Abs. 5 und 6 GG zur Gänze gelähmt oder gar beseitigt. Vielmehr handelt es sich nach den einschränkenden Voraussetzungen der Absätze 5 und 6 bereits tatbestandlich um punktuelle Einschnitte, die außerdem einen politisch hochsensiblen und komplexen Bereich betreffen. In diesem Bereich wirken viele Faktoren zusammen, die sich größtenteils einer juristischen Analyse entziehen. So wird das Funktionieren des Gesamtgefüges in starker Weise sowohl vom persönlichen Geschick der Vertreter der Bundesregierung und des Bundesrates als auch vom Willen und der Akzeptanz der anderen Mitgliedstaaten und der jeweiligen politischen Gesamtsituation abhängen. Die Bundesregierung verfügt insgesamt über weitreichende Handlungs- und Einflußmöglichkeiten im Bereich ihrer Außenbeziehungen, mit denen sie eine Schwerfälligkeit ihrer Willensbildung auf dem einem Gebiet durch ein weiterreichendes Engagement oder eine weiterreichende Einflußnahme auf einem anderen Gebiet kompensieren kann. Die aufgezeigten Nachteile und Gefahren beruhen auf prognostischen und zum Teil spekulativen Erwägungen, die eintreten können, aber nicht müssen. Sofern zwischen Bundesregierung und Bundesrat Einvernehmen herrscht, kann sich die Beteiligung des Bundesrates und der Ländervertreter aufgrund der Fachkompetenz der Länder für den Verwaltungsvollzug auch positiv für die Stellung Deutschlands auswirken 567. Trotz aller kritischen Bemerkungen ist daher bei der rechtlichen Bewertung Zurückhaltung geboten. Die neuen Formen der Mitwirkung bringen sicher Erschwernisse und Einengungen für die Bundesregierung mit sich. Nach den bisherigen praktischen Erfahrungen mit der neuen Regelung ist eine nachhaltige Störung der integrationspolitischen Handlungsfreiheit der Bundesrepublik Deutschland aber insgesamt nicht zu verzeichnen gewesen568. Es erscheint somit nicht hinreichend wahrscheinlich, daß die Regelungen des Art. 23 Abs. 5 S. 2 und Abs. 6 GG für sich gesehen tatsächlich eine Lähmung der außen- und integrationspolitischen Handlungsfreiheit der Bundesregierung und damit Deutschlands bewirken. Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat die geschilderten

566

Siehe auch die Anmerkung oben, Kap. III, zu Fußn. 312. Vgl. Schnapauff ZG 1997, 188(192). 568 Hofmann, Hans/Meyer-Teschendorff ZG 1997, 81 (85); Schweizer/Brunner, S. 31. Siehe im übrigen auch das nachfolgende Kapitel V über die Erfahrungen in der Praxis, S. 283 ff. 567

IV. Der Grundsatz der Gewaltenteilung

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Nachteile gesehen und bewußt in Kauf genommen, um die Stellung der Länder im Bundesstaat zu stärken. Eine Verfassungswidrigkeit der Art. 23 Abs. 5 S. 2 und Abs. 6 GG könnte daher jedenfalls nicht allein mit dem Gesichtspunkt der Gefährdung der außen- und integrationspolitischen Handlungsfähigeit Deutschlands begründet werden. Vielmehr ergibt sich die Verfassungswidrigkeit der Regelungen aus anderen Gründen, die oben dargestellt worden sind.

4. Die Vereinbarkeit von Art. 23 GG mit dem EG-Recht a) Rechtsfolgen eines Verstoßes von Art. 23 Abs. 5 und 6 GG gegen Vorschriften des europäischen Gemeinschaftsrechts Zuweilen wird behauptet, die neuen Beteiligungsregeln des Art. 23 Abs. 5 und 6 GG würden gegen den Grundsatz der Gemeinschaftstreue aus Art. 5 EGV verstoßen 569. Darüber hinaus kommt auch ein Verstoß gegen Art. 146 EGV in Betracht. Klärungsbedürftig erscheint zunächst, welche Rechtsfolgen ein Verstoß von Vorschriften des Grundgesetzes gegen EG-Recht auslösen würde. Angesprochen ist hiermit das Problem des Verhältnisses des EG-Rechts zur nationalen Rechtsordnung, das - vor allem in der Frage der gerichtlichen Prüfungskompetenz - noch nicht bis in alle Einzelheiten geklärt ist 570 . Im Hinblick auf die Rechtsfolgen einer Unvereinbarkeit des nationalen Rechts mit Vorschriften des EG-Rechts gehen Rechtsprechung und Literatur lediglich von einem „Anwendungs-" oder „Geltungsvorrang" des EG-Rechts aus, der im übrigen aber nicht zur Nichtigkeit der nationalen Rechtsnorm führt 571 . Eventuelle Verstöße gegen den EGV vermögen daher bereits vom Ansatz her keine Nichtigkeit des Art. 23 GG oder der Ausführungsgesetze zu begründen. Im Hinblick auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit und einer eventuellen Nichtigkeit des Art. 23 GG verbleibt es einzig bei dem Prüfmaßstab des Art. 79 Abs. 3 GG. Das bedeutet jedoch nicht, daß das EG-Recht keinen Einfluß auf die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit einer Vorschrift des nationalen Rechts haben kann. Geht es nämlich wie hier um die Frage der funktionsgerechten Organstruktur im Rahmen des Art. 23 Abs. 5 und 6 GG, so muß Berücksichtigung finden, daß Art. 23 GG gerade im Hinblick darauf erlassen worden ist, die für erforderlich gehaltenen verfassungsrechtlichen Grundlagen für die Mitwirkung Deutschlands an der

569

Badura, in: FS fur Schambeck, 887 (898); Brenner, DÖV 1992, 903 (908); Everling, DVBl. 1993, 936 (946 f.); Ress, EuGRZ 1986, 549 (552 ff.), in bezug auf Art. 2 Abs. 3 EEAG; zweifelnd auch Röhl, EuR 1994, 409 (441 f)· 570 Vgl. hierzu: Schweitzer/Hummer, Europarecht, Rdnr. 845 ff. 57 1 Schweitzer/Hummer, Europarecht, Rdnr. 851 ff.

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Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

Europäischen Union zu schaffen 572. Art. 23 Abs. 1 GG in Verbindung mit der Präambel des Grundgesetzes schreibt die Mitwirkung Deutschlands an der Europäischen Union als Staatsziel verbindlich fest. Die Regelung der Ländermitwirkung in Art. 23 Abs. 2 bis 6 GG, die der Staatszielbestimmung des Absatzes 1 nachfolgt, geht implizit davon aus, daß die gefundene Form der Länderbeteiligung mit den Anforderungen des EG-Rechts und dem Rechtsetzungsprozeß auf EG-Ebene vereinbar ist. Die verfahrensmäßigen Modalitäten sollen der Verwirklichung dieses Ziels dienen, nicht aber seiner Verhinderung 573. Sollte sich daher herausstellen, daß die Regelung der Ländermitwirkung in Art. 23 Abs. 2 bis 6 GG zum Teil mit den Anforderungen des EG-Rechts unvereinbar ist, läge zugleich ein innerer Verfassungskonflikt vor, nämlich zum einen mit der Staatszielbestimmung des Art. 23 Abs. 1 GG und der Präambel sowie zum anderen mit der „inneren Logik" der Absätze 2 bis 6 selbst, die von einer Vereinbarkeit der gewählten Beteiligungsformen mit dem EG-Recht ausgehen. Dieser Konflikt müßte zunächst im Wege einer harmonisierenden Auslegung nach dem Prinzip der „Einheit der Verfassung" aufgelöst werden 574 . Im konkreten Fall würde dies bedeuten, daß das Letztentscheidungsrecht und die Außenvertretungsbefugnis des Bundesrates im Falle ihrer Unvereinbarkeit mit Art. 5 oder Art. 146 EGV auch aus verfassungsrechtlichen Gründen zurücktreten müßten, da der Staatszielbestimmung des Art. 23 Abs. 1 GG gegenüber den einzelnen Beteiligungsvarianten das größere Gewicht zukommt. Im Ergebnis würde daher eine sachliche Unvereinbarkeit von Art. 23 Abs. 5 S. 2 oder Abs. 6 GG mit Art. 5 und Art. 146 EGV zwar nicht zu einer unmittelbaren Nichtigkeit der Vorschriften des Grundgesetzes, jedoch zu ihrer Nichtanwendbarkeit im konkreten Fall führen, und zwar sowohl aus Gründen des EGRechts als auch aus Gründen des innerstaatlichen Verfassungsrechts.

b) Die Anforderungen

aus Art. 5 EGV

Art. 5 Abs. 1 EGV begründet die Pflicht der Mitgliedstaaten zur Vertragserfüllung und eine darauf aufbauende Unterstützungpflicht sowie in seinem Absatz 2 eine Unterlassungspflicht, die Ziele des Vertrages zu gefährden. Art. 5 EGV stellt damit eine zentrale Vorschrift des Gemeinschaftsrechts dar, die der funktionsgerechten Konkretisierung und Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten dient 575 . Der Eu-

572

Zur Diskussion vgl. bereits Teil 1, Kap. V, Fußn. 274. Lenz, in: FS für Helmrich, 269 (275). 574 Zu diesem Prinzip siehe oben, Teil 3, Kap. I, S. 161 f., sowie Teil 3, Kap. I, Fußn. 5. 575 KEU- v. Bogdandy, Art. 5 Rdnr. 1. 57 3

IV. Der Grundsatz der Gewaltenteilung

277

ropäische Gerichtshof versteht Art. 5 EGV als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes in dem Sinne, daß den Mitgliedstaaten und den Gemeinschaftsorganen gegenseitige Pflichten zur loyalen Zusammenarbeit obliegen 576 . Der konkrete Inhalt dieser Pflichten zur „Gemeinschaftstreue" bestimmt sich im Einzelfall unter Berücksichtigung der jeweils maßgebenden Vorschriften des Vertrages und der aus der Gesamtdynamik des Vertrags ableitbaren Regeln577. Die Anlehnung an die Grundsätze der Bundestreue des nationalen Verfassungsrechts ist unverkennbar 578. Wenngleich der Bereich der Durchführung und Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Pflichten und die Konkretisierung der gegenseitigen Kompetenzordnung das Hauptanwendungsfeld für Art. 5 EGV darstellen 579 , ist anerkannt, daß es den Mitgliedstaaten aus Art. 5 Abs. 2 EGV auch untersagt ist, in ihrem eigenen Kompetenzbereich Maßnahmen zu ergreifen, die den inneren Funktionsablauf der Gemeinschaftsorgane behindern können 580 . Auf die Tätigkeit und Funktionsweise des Rates angewendet, bedeutet dies zunächst, daß die Mitgliedstaaten aus Art. 5 EGV verpflichtet sind, dessen Funktionsfähigkeit zu erhalten und nicht dessen Funktionieren durch gezielte Obstruktion oder beispielsweise eine „Politik des leeren Stuhls" zu vereiteln 581 . Des weiteren wird man aus dem Gebot der loyalen Zusammenarbeit nach Art. 5 EGV ableiten können, daß der nationale Vertreter im Rat innerstaatlich nicht solchen Regeln unterworfen werden darf, daß eine Verhandlungs- und Kompromißbereitschaft de facto nicht mehr besteht582. Dies ergibt sich aus der Struktur des Rates als einem exekutiven Gremium der Regierungen der Mitgliedstaaten, das seine Entscheidungen und Beschlüsse im Wege der Verhandlung und der gegenseitigen Konsensbildung faßt, und in dem die nationalen Interessen zum Ausgleich gebracht werden sollen. Aus Art. 5 EGV ergibt sich danach nur eine Pflicht zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Rates an sich, d.h. in seiner Eigenschaft als exekutives und föderales Entscheidungsgremium der Europäischen Gemeinschaft. Im Einzelfall ist es den Regierungen bei dem Prozeß der Willensbildung und der Abstimmung im Rat unbenommen, ihre aus nationaler Sicht für erforderlich gehaltenen Standpunkte mit Nachdruck zu vertreten und notfalls auch mit „Sturheit" auf den eigenen Standpunkten zu beharren 583. Dies folgt zum einen aus der 576

St. Rspr. des EuGH, vgl. KEU- v. Bogdandy, Art. 5 Rdnr. 6 mit Nachweisen. EuGH, Rs. 2/73, Geddo/Ente Nationale Risi , Slg. 1973, 865 (878). 578 Vgl. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 325, 407, 548. A.A.: Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, § 9 Rdnr. 22. 579 Zur Auslegung von Art. 5 EGV vgl. bereits Teil 2, Kap. III, Fußn. 136. 580 EuGH Rs. 208/80, Lord Donington, Slg. 1981, 2205 (2219); Rs. 85/85, Kommission/Belgien, Slg. 1986, 1149, (1168 f.). 581 Vgl. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 248. 582 Ähnlich KEU- v.Bogdandy, Art. 5 Rdnr. 78. 583 Vgl. auch Streinz, Bundesverfassungsgerichtliche Kontrolle, S. 33 f. 577

278

Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

Natur der Sache eines jeden demokratischen Willensbildungsprozesses sowie zum anderen aus der Funktion des Rates selbst. Der Rat stellt nämlich ein Organ zur Bündelung und Abstimmung der Interessen und des Willens der einzelnen Mitgliedstaaten dar, den diese im Rat artikulieren 584 . In einem Prozeß der demokratischen Abstimmung, den Art. 148 EGV für den Rat vorsieht, muß in Kauf genommen werden, daß Beschlüsse und Rechtsetzungsvorhaben von einzelnen Staaten oder einer qualifizierten Minderheit zu Fall gebracht - oder umgekehrt von einer qualifizierten Mehrheit durchgesetzt werden 585 . In einem offenen Prozeß der Meinungsbildung und -findung sind Verzögerungen der Abstimmung aufgrund heftiger innenpolitischer Kontroversen nicht per se mißbilligenswert. Vielmehr unterstreichen sie eine funktionierende Rückbindung der Ratsmitglieder an den jeweiligen Entsendestaat und können gleichermaßen dazu führen, daß begründete sachliche Verbesserungen an dem zu erlassenden Rechtsakt vorgenommen werden und hierdurch dessen Akzeptanz insgesamt erhöht wird 5 8 6 . Die Ausweitung des Mehrheitsprinzips als Abstimmungsmodus für den Rat durch den Vertrag von Maastricht sowie durch den Vertrag von Amsterdam 587, ebenso wie die Regelung des Art. 148 Abs. 3 EGV beweisen, daß der EGV diese Funktionsweise des Rates anerkennt und hierfür selbst Mechanismen der Konfliktlösung zur Verfügung stellt 588 . Diese Fälle des „normalen" Entscheidungsablaufs des Rats einer Einschränkung des Art. 5 EGV zu unterwerfen, hieße die Stellung und Funktion des Rates als föderales Organ der Europäischen Gemeinschaft zu mißachten. Darüber hinaus muß Berücksichtigung finden, daß der EGV mit der Änderung des Art. 146 EGV durch den Vertrag von Maastricht selber den Mitgliedstaaten eine Möglichkeit eingeräumt hat, Vertreter ihrer regionalen Gebietskörperschaften in den Rat zu entsenden. Die mit der Auflockerung der Ratsstruktur notwendig verbundenen Erschwernisse der Willensbildung des Rats nimmt Art. 146 EGV daher ebenfalls in Kauf. Davon zu unterscheiden sind die Fälle einer generellen oder gezielten Herbeiführung einer Lähmung des Rats, wie beispielsweise der erwähnte Fall der Dro-

584

Vgl. auch Kamann, S. 294 ff.; Kaufmann, S. 382. Vgl. Kaufmann, S. 383; KEU-v.Bogdandy, Art. 5 Rdnr. 77; Streinz, Bundesverfassungsgerichtliche Kontrolle, S. 33 f. 586 So für das parlamentarische Regierungssystem in Deutschland Gusy; DVB1. 1998, 917(927). 587 Siehe Einleitung, Fußn. 1. Durch den Vertrag von Amsterdam sind die Befugnisse des Rats zur Mehrheitsentscheidung in vielen Bereichen ausgeweitet worden, vgl. Art. 23 Abs. 2 EUV n.F. (Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik), Art. 67 EGV n.F. (Visa, Asyl, Einwanderung, freier Personenverkehr), 135 EGV n.F. (Zusammenarbeit im Zollwesen); Art. 128 Abs. 2 und 4, Art. 129 EGV n.F. (Beschäftigungspolitik); Art. 166, 172 EGV n.F. (Forschung und technologische Entwicklung), Art. 280 Abs. 4 EGV n.F. (Betrugsbekämpfung). Lediglich für die besonders sensiblen Kernbereiche der nationalen Souveränität bleibt es bei dem Prinzip der Einstimmigkeit, vgl. näher die Begründung des Regierungsentwurfs, BR-Drs. 784/97, S. 140 ff. 588 Vgl. Röhl; EuR 1994, 409 (414). 585

IV. Der Grundsatz der Gewaltenteilung

279

hung Großbritanniens, alle wichtigen Entscheidungen im Rat zu blockieren, falls es in dem Streit um den Rinderimport und das vorgesehene Schlachtprogramm im Zusammenhang mit der Rinderseuche („BSE") keine für Großbritannien akzeptable Lösung gäbe 589 . Mißt man die Regelungen des Art. 23 Abs. 5 S. 2 und Abs. 6 GG an diesen Maßstäben, kann ein Verstoß aufgrund der Mitwirkung des Bundesrates gegen die Pflicht zur Gemeinschaftstreue nach Art. 5 EGV schwerlich begründet werden. Das Letztentscheidungsrecht des Bundesrates ist von seinen Wirkungen her nicht anders zu beurteilen als eine Weisung der Regierung an ihre Vertreter im Rat, deren Zulässigkeit für den Einzelfall nach Art. 146 EGV nicht in Frage gestellt werden kann 590 . Von einer Obstruktion des Rats als Gemeinschaftsorgan kann in Einzelfällen einer nachdrücklichen nationalen Interessenvertretung nicht gesprochen werden. Erschwernisse und Beschränkungen auf Seiten der Willensbildung der nationalen Vertreter, die sich im Rahmen der im Rat typischerweise wahrzunehmenden Interessenvertretung des Mitgliedstaats bewegen, müssen in Kauf genommen werden und stellen folglich keine gemeinschaftsrechtswidrige Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Gemeinschaftsorgans „Rat" dar 591 .

c) Die Vereinbarkeit

mit Art. 146 EGV

Eine andere Frage ist, ob ein Letztentscheidungsrecht des Bundesrates oder eine Außenvertretung durch ein föderatives Organ überhaupt mit den Anforderungen des Art. 146 EGV zu vereinbaren sind. Betrifft Art. 5 EGV mehr das „Wie" der gegenseitigen Kompetenzausübung, regelt Art. 146 EGV verbindlich die Zusammensetzung des Rates. Weiter oben ist bereits dargelegt worden, daß der Rat seiner Funktion nach das Organ darstellt, durch das der Wille der Regierungen der Mitgliedstaaten zum Ausdruck gebracht werden soll 592 und dessen demokratischer Legitimationsstrang zu den jeweiligen Mitgliedstaaten zurückführt 593 . Im institutionellen Gefüge der Europäischen Gemeinschaft verkörpert der Rat das föderative Element, wohingegen die Kommission und das Eu589

Siehe Fußn. 549. Selbst ein solches, für sich gesehen rechtswidriges Verhalten ist als „taktisches Manöver" wie im erwähnten Beispiel Großbritanniens bei internationalen Verhandlungen oftmals nicht nur sanktionslos, sondern sogar von Erfolg gekrönt. Der „institutionelle Rahmen" (Art. C EUV) darf daher keineswegs überbewertet werden. Kritisch insoweit auch: Curtin, CMLR 1993, 17 (24). 590 Vgl. KEU -Schweitzer, Art. 146 Rdnr. 1. Einschränkend Bleckmann, Europarecht, Rdnr. 216. 591 So im Ergebnis wohl auch Classen , AöR 119 (1994), 238 (254 f.), der die Beschlußfassung nur erschwert, nicht aber verhindert sieht; ebenso: Steinberger, VVDStRL Bd. 50 (1991), 9 (41 f.). A.A.: Bleckmann, Europarecht, Rdnr. 217. 592 Langer, DÖV 1991, 823 (826 ff.). 593 Siehe oben, Teil 3, Kap. III.2. a), S. 195 ff.

280

Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

ropäische Parlament eine supranationale, unitarische Funktion innehaben594. Eine weitere „Föderalisierung" der Staatenvertreter im Rat würde letztlich dazu führen, daß - aus der Perspektive des EG-Rechts - andere Körperschaften oder Untergliederungen durch den Rat vertreten werden als die Mitgliedstaaten selbst. Dies widerspräche sowohl dem klaren Wortlaut des Art. 146 EGV als auch der inneren Logik des EGV überhaupt. Die „Verfassung" der Europäischen Union begründet Rechte und Pflichten unmittelbar nur zwischen den Mitgliedstaaten und der Europäischen Union und deren Organe, auch wenn an verschiedenen Stellen des EGV die Untergliederungen der Mitgliedstaaten anerkannt und zur Kenntnis genommen werden 595 . Des weiteren darf nicht übersehen werden, daß hinter den institutionellen Fragen gleichbedeutend auch praktische Erwägungen stehen. Bereits aus Gesichtspunkten der Praktikabilität und der Arbeitsfähigkeit eines internationalen föderalen Entscheidungsgremiums ergibt sich, daß die Vertretung der Mitgliedstaaten im Rat nur eine unitarische sein kann, d.h., daß die vertretenen Staaten nur mit „einer Stimme" sprechen dürfen. Eine weitere Föderalisierung des jetzt 15-köpfigen Gremiums Rat und seiner entsprechenden Untergremien durch eine direkte institutionelle Einbindung der mitgliedstaatlichen Untergliederungen in den Entscheidungsprozeß würde seine Arbeits- und Funktionsfähigkeit zunichte machen, zumindest aber erheblich gefährden. Innerhalb der Europäischen Union fehlt es an den unitarisch wirkenden, den einheitstiftenden Faktoren der „parteipolitischen Loyalität" und der „Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse" als gemeinsames dominierendes politisches Ziel, die innerstaatlich ein Funktionieren der Politik trotz eines hohen Grades an Verflechtung ermöglicht haben596. Art. 146 EGV hält daher auch in seiner neuen Fassung an dem Grundsatz fest, daß im Rat ausschließlich die Mitgliedstaaten vertreten werden und nicht ihre Untergliederungen. Die Versuche der Länder, bei den Beratungen des Maastricht-Vertrags die zweistufige Struktur der EG zu verändern, sind im Kreise der anderen Mitgliedstaaten auf entschiedene Ablehnung gestoßen597. Art. 146 EGV in seiner durch den Vertrag von Maastricht geänderten Fassung bietet den Mitgliedstaaten lediglich ein größeres Maß an innerstaatlicher Flexibilität, als daß diese nunmehr nach ihrem jeweiligen Verfassungsrecht auch Nicht-Regierungsmitglieder in den Rat entsenden können, wenn und soweit die Erfordernisse des Art. 146 EGV im übrigen gewahrt sind (Ministerrang und Gesamtvertretungsbefugnis). Die mit der Auflockerung der Ratsstruktur notwendig verbunden Erschwernisse der Willensbildung des Rats nimmt der EGV, wie ge594

KEU -Schweitzer, Art. 146 Rdnr. 1; Langer, DÖV 1991, 823 (826 ff.). Siehe oben, Teil 1, Kap. V.3. a), S. 72 ff. 596 Scharpf, Föderale Balance, 117 (121 ff.); ders., Europäische Mehrebenenpolitik, 131 (134 f.). 597 Zu den Zielen und Erfolgen der Länder bei den Beratungen siehe oben, Teil 1, Kap. V.3. b), S. 70 ff. 595

IV. Der Grundsatz der Gewaltenteilung

281

sehen, dabei in Kauf. Die innerstaatliche Ermöglichung einer solchen Verfahrensweise wird auch von Art. 146 EGV nicht berührt und fällt ausschließlich in die Kompetenz des betreffenden Mitgliedstaats598. Allerdings muß der Rat aus der Perspektive des EG-Rechts nach wie vor aus Vertretern der Mitgliedstaaten bestehen, die im Hinblick auf den Entsendestaat ein ausschließlich auf den Gesamtstaat bezogenes, also unitarisches Mandat in wirksamer Weise wahrnehmen können. Insoweit ergeben sich jedoch Friktionen mit Art. 23 Abs. 5 S. 2 und Abs. 6 GG: Denn der Bundesrat ist, wie oben gezeigt, das föderale Organ der Bundesrepublik Deutschland599, dessen Existenz, Legitimation, Organstruktur und dessen Kompetenzen sich maßgeblich aus der föderalen und nicht der unitarischen Erwägung heraus rechtfertigen. Zwar hat der Bundesrat auch die Belange des Gesamtstaates zu berücksichtigen - das ergibt sich aus seiner rechtlichen Stellung als Bundesorgan und aus seiner materiellen Funktion als Bindeglied zwischen Bund und Ländern - , primär steht jedoch die föderale Interessenvertretung der Länder im Vordergrund. Nach seiner Zusammensetzung, seiner Organstruktur, seiner Funktion im Bundesstaat und seiner demokratischen Legitimation, die zu den Landesvölkern zurückführt, ist der Bundesrat kein geeignetes Organ zur ausschließlichen unitarischen Gesamtvertretung der Bundesrepublik Deutschland; hierzu ist er nach dem oben Gesagten nicht befugt. Insoweit kann Art. 23 Abs. 6 GG, der in seiner gegenwärtigen Form eine Außenvertretungsbefugnis eines Ländervertreters gegen den Willen der Bundesregierung zuläßt, auch nicht den Anforderungen des Art. 146 EGV an eine wirksame Gesamtrepräsentation des Mitgliedstaats genügen. Der Vertreter der Länder, dem die Verhandlungsführung nach Art. 23 Abs. 6 GG übertragen worden ist, befindet sich im Rat in einem eigenartigen verfassungsrechtlichen Dilemma: Zum einen soll er nach außen den Gesamtstaat Bundesrepublik Deutschland vertreten und im Kreise der anderen Mitgliedstaaten den Prozeß der Konsensund Kompromißfindung in positiver und konstruktiver Weise mitgestalten. Zum anderen soll er gleichzeitig auch den föderalen Willen der Länder zur Geltung bringen 600 . Beides in einer Person paßt nicht recht zusammen und muß als funk-

598 Gegenwärtig machen nur Belgien, Deutschland und Österreich von den erweiterten Möglichkeiten des Art. 146 EGV Gebrauch. 599 Reuter, Art. 50 Rdnr. 53. 600 Ähnlich kritisch: Badura, in: FS für Redeker, 111 (126). Zu der Tatsache, daß eine Ländergesamtheit auch nicht im Zusammensehluß mit dem Bund gleichgesetzt werden kann, siehe bereits oben, Teil 3, Kap. III.3. c) (1), S. 227 ff.

282

Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

tioneller Systembruch gewertet werden 601 . Der Vertreter der Länder, der an die Weisungen des Bundesrates gebunden ist, wird ungeachtet seiner rechtlichen Position zur gesamtstaatlichen Außenvertretung in praxi geneigt sein, schwerpunktmäßig nur die föderalen Interessen einzubringen. In der Praxis könnte dies dazu führen, daß der Vertreter der Länder neben dem Vertreter der Bundesregierung eher eine Linie der Verhinderung und Abschwächung einnehmen wird als diejenige einer positiven Mitgestaltung der Rechtsakte im Rat 602 . Auch das Letztentscheidungsrecht des Bundesrates begegnet insoweit erheblichen Bedenken. Mit der Regelung des Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG hat sich der verfassungsändernde Gesetzgeber für die Beibehaltung des „dédoublement fonctionell" im Verfahren der innerstaatlichen Willensbildung in EG-Angelegenheiten entschieden, jedoch mit der Maßgabe, daß die föderale Komponente in diesem Fall vor der unitarischen Komponente, repräsentiert durch Bundestag und Bundesregierung, überwiegt. Die Zielrichtung der innerstaatlichen Regelung ist somit im Fall des Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG eine primär föderale. Daran vermag auch der Vorbehalt der Pflicht zur Wahrung der gesamtstaatlichen Belange in Art. 23 Abs. 5 S. 2,2. Hs. GG nichts zu ändern, da hierdurch das Letztentscheidungsrecht des Bundesrates, wie oben gezeigt, lediglich prozedural abgemildert, aber nicht aufgehoben werden soll. Die Blickrichtung des Art. 146 EGV, bezogen auf die jeweiligen Mitgliedstaaten, ist jedoch nach dem oben Gesagten eine ausschließlich unitarische, d.h. eine solche, die auf die Willensbildung des Gesamtstaates im Rat abzielt. Hieraus ergibt sich als Konsequenz für die Ausgestaltung der Organstruktur und des Zusammenspiels der beteiligten Bundesorgane im Rahmen des Art. 23 GG, daß der innerstaatliche Willensbildungsprozeß notwendig auf die Bildung einer gesamtstaatlichen Willensäußerung und auf eine gesamtstaatliche Vertretung des Bundes abzielen muß 603 . Da das Verfahren der internen Willensbildung auf Seiten der Bundesrepublik Deutschland im Fall des Letztentscheidungsrechts des Bundesrates dem nicht entspricht, ist es von seiner Struktur und Zielsetzung her inkongruent zu den sich aus Art. 146 EGV ergebenden Anforderungen an die Repräsentation der Mitgliedstaaten im Rat. Hierdurch wird zugleich ein innerer Verfassungskonflikt im Rahmen des Art. 23 GG erzeugt, da Art. 23 Abs. 1 GG die Teilnahme an der Europäischen Union ermöglichen will und sogar als verbindliches Staatsziel vorschreibt. Die diesem

601 So auch Heintzen, JZ 1991, 317 (322). Weitergehend für das gesamte Bundesratsverfahren, soweit es Gegenstände der Gesetzgebungskompetenz der Länder betrifft: Rudolf, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. IV, § 105 Rdnr. 76; a.A.: Langer, DÖV 1991, 823 (828, Fußn. 36), der allerdings offenbar nur den innerstaatlichen Bereich meint, denn auch Langer spricht sich gegen eine institutionelle Beteiligung der Länder auf europäischer Ebene aus, vgl. ders., ebd., S. 829. 602 So auch: Benz, VerwA Bd. 84 (1993), 328 (344). 603 Siehe bereits oben, Teil 2, Kap. IV.3. a), S. 147 ff.

V. Bisherige Erfahrungen in der Staatspraxis

283

Ziel dienenden Regelungen der innerstaatlichen Willensbildung und Außenvertretung müssen daher zurücktreten, soweit sie diesen Zielen im Wege stehen. Alles in allem sind die Gebote der „funktionsgerechten Organstruktur" oder der „Organadäquanz" durch die Konstruktion der Länderbeteiligung in Art. 23 Abs. 5 S. 2 und Abs. 6 GG nicht mehr erfüllt. Die Struktur des Zusammenspiels zwischen Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat darf auch durch den verfassungsändernden Gesetzgeber nicht so verändert werden, daß der Bundesrat als föderales Organ ausschließlich oder maßgeblich mit der Wahrnehmung einer unitarischen, d.h. auf den Gesamtstaat bezogenen Funktion betraut wird.

5. Zwischenergebnis Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG i.V.m. § 5 Abs. 2 EUZBLG und Art. 23 Abs. 6 GG i.V.m. § 6 Abs. 2 EUZBLG verstoßen gegen den über Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Kerngehalt des Gewaltenteilungsprinzips des Art. 20 Abs. 2 GG und sind insoweit verfassungswidrig. Die integrations- oder außenpolitische Handlungsfreiheit der Bundesregierung wird durch die neuen Beteiligungsformen zwar partiell beschnitten, ist als solche jedoch noch nicht in Frage gestellt. Die Regeln der Willensbildung nach Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG und Art. 23 Abs. 6 GG verstoßen nicht gegen den Grundsatz der Gemeinschaftstreue nach Art. 5 EGV, sie sind allerdings unvereinbar mit Art. 146 EGV, der eine ausschließlich unitarische Gesamtvertretung des Mitgliedstaates im Rat voraussetzt. Die Pflicht zur umfassenden und frühzeitigen Unterrichtung nach Art. 23 Abs. 2 S. 2 GG greift nicht in den exekutiven Kerngehalt der Bundesregierung ein, da sie sich nach § 3 EUZBTG und § 2 EUZBLG i.V.m. Ziffer I der BundLänder-Vereinbarung von 1993 nicht auf Vorgänge der internen Willensbildung der Bundesregierung erstreckt. Ebenfalls keinen Bedenken unter dem Gesichtspunkt des Gewaltenteilungsgrundsatzes begegnet die „einfache" Pflicht zur Berücksichtigung der Stellungnahmen des Bundesrates nach Art. 23 Abs. 5 S. 1 GG i.V.m. § 5 Abs. 1 EUZBLG.

V. Bisherige Erfahrungen in der Staatspraxis Mittlerweile ist der neue Art. 23 GG seit Ende 1992 in Kraft und wird von der Staatspraxis seitdem auch angewendet. Erste Berichte der Praxis liegen inzwischen vor. Insbesondere der Bundesrat war bemüht, auf den ersten Erfahrungsbericht aus dem Jahre 1990 einen weiteren Erfahrungsbericht folgen zu lassen, der die Anwendbarkeit und die Probleme des neuen Art. 23 GG in der Praxis umfassend dokumentieren sollte. Die nachfolgenden Ausführungen basieren daher zum großen Teil auf einem neuerlichen Erfahrungsbericht des

284

Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

Bundesrates, der im Jahr 1996 fertiggestellt worden ist 604 . Obwohl dieser Bericht lediglich die Erfahrungen aus Sicht des Bundesrates widerspiegelt, stellt er doch eine wertvolle Quelle der Erkenntnis dar. Insbesondere kann daraus ersehen werden, ob die rechtlichen Probleme, die im Rahmen der vorliegenden Untersuchung angesprochen worden sind, auch in der Praxis ihren Niederschlag gefunden haben.

1. Die Information des Bundesrates nach Art. 23 Abs. 2 S. 2 GG Bislang hat die Bundesregierung dem Bundesrat nahezu alle ihr offiziell zugänglich gemachten Dokumente des Europäischen Rates, des Rates sowie der informellen Ministertrefifen zugeleitet. Die Möglichkeit einer einschränkenden Auslegung des Begriffs der „Vorhaben der Europäischen Union" in § 2 EUZBLG ist in der Praxis weder aufgegriffen noch ernsthaft diskutiert worden 605 . Entsprechend Ziffer I der Bund-Länder-Vereinbarung 1993 werden dem Bundesrat von der Bundesregierung zahlreiche weitere Dokumente zur Verfügung gestellt, von denen die Bundesregierung annimmt, daß sie für die Länder von Interesse sein könnten; im einzelnen handelt es sich hierbei um: -

Kommissionsdokumente, die der Bundesregierung offiziell zugänglich gemacht werden, die aber nicht als Ratsdokumente erscheinen,

-

Berichte und Mitteilungen von Organen der Europäischen Union über Sitzungen der Beratungsgremien bei der Kommission,

-

vorbereitende Papiere der Kommission, die für die Meinungsbildung Länder von Bedeutung sein könnten, Berichte der Ständigen Vertretung Bundesrepublik Deutschland in Brüssel über Sitzungen des Rates und Ratsgruppen, informelle Ministertreffen, Sitzungen des Ausschusses Ständigen Vertreter etc.,

-

Dokumente über Verfahren vor europäischen Gerichten, an denen die Bundesrepublik Deutschland beteiligt ist 606 .

der der der der

604 v. Dewitz, Bericht über die Praxis der Mitwirkung der Länder und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union nach dem Inkrafttreten des Vertrages von Maastricht am 1. November 1993 vom 16.4.1996, (unveröffentlicht; erhältlich über das Sekretariat des Bundesrates, Büro des Ausschusses für Fragen der Europäischen Union); aus jüngster Zeit ebenfalls v. Dewitz: Der Bundesrat, S. 69 ff. 605 v. Dewitz, Praxisbericht 1996, S. 2; ders., Der Bundesrat, 69 (71). 606 v. Dewitz, Bericht über die Praxis der Mitwirkung des Bundesrates bei der Setzung von sekundärem Gemeinschaftsrecht nach Art. 23 GG vom 11.9.1995, (unveröffentlicht; erhältlich über das Sekretariat des Bundesrates, Büro des Ausschusses für Fragen der Europäischen Union).

V. Bisherige Erfahrungen in der Staatspraxis

285

Des weiteren erhalten der Bundesrat und die Länder die Berichte des Länderbeobachters über die Tagungen des Rates und von den Ländervertretern entsprechende Berichte über die Sitzungen der verschiedenen Rats- und Kommissionsgruppen. Alle eintreffenden Dokumente werden im Sekretariat des Bundesrates vom Büro des Ausschusses für Fragen der Europäischen Union gesichtet und größtenteils in einer Datenbank erfaßt 607. Insgesamt rollt auf den Bundesrat eine wahre „Papierflut" zu. Allein für den Zeitraum von Anfang 1996 bis zum Monat Oktober 1996 ist die Seitenzahl der übermittelten Dokumente mit 32270 beziffert worden 608 . Insgesamt beläuft sich die Anzahl der EG-Dokumente, die dem Bundesrat zugeleitet werden, nach dessen Angaben auf ca. 10000 pro Jahr 609 . Der Direktor des Bundesrates wählt diejenigen Vorhaben aus, welche für eine Beratung im Bundesrat in Betracht kommen, und weist sie den Ausschüssen zu, §45a Abs. 1 GO-BR. Etwa 160 Vorhaben pro Jahr werden im Durchschnitt für eine Beratung vorgesehen und beim Bundesrat umgedruckt. Alle übrigen Dokumente werden vervielfältigt und an die Länder weitergeleitet. Zu den für die Beratung im Bundesrat ausgewählten EU-Vorhaben erarbeiten die beteiligten Fachausschüsse unter der Federführung des Ausschusses für Fragen der Europäischen Union - wie bereits vor Inkrafttreten des Art. 23 GG Empfehlungen für eine Stellungnahme des Bundesrates 610. Im Durchschnitt kommt es in etwa 130 Fällen pro Jahr zu einer solchen Stellungnahme611. Die Länder sind offensichtlich mit der vom Bundesrat vorgenommenen Auswahl zufrieden, da sie bislang nur äußerst selten von ihrem Recht nach § 45a Abs. 1 S. 3 GO-BR Gebrauch gemacht haben, eine Zuweisung weiterer Unterrichtungen an die Ausschüsse zu verlangen. Alles in allem belegen die Angaben, daß der Umfang des von der Bundesregierung zur Verfügung gestellten Materials für die Länder zufriedenstellend ist und in der Praxis keinen Anlaß zu Klagen bietet. Ein größeres Problem stellt hingegen der zeitliche Rahmen der Informationsübermittlung dar. Die Länder haben trotz des neuen Verfahrens nach Art. 23 GG und der Ausfuhrungsvorschriften bemängelt, daß sie die benötigten Doku-

607 Es handelt sich um die sog. „KEP"-Datenbank (Konkordanzen EG-Vorlagen Parlamentspapiere). 608 Vgl. Hofmann,, Hans/Meyer-Teschendorff ZG 1997, 81 (83). 609 Bericht des Ausschusses für Fragen der EU des Bundesrates vom 11.9.1995 (unveröffentlicht). Dagegen beziffert v. Dewitz die Anzahl der jährlich eingehenden Dokumente in einem neueren Bericht nur noch mit 4000, vgl. ders., Der Bundesrat, 69 (71). 610 Vgl. Bericht des Ausschuß für Fragen der EU beim Bundesrat vom 11.9.1995 (unveröffentlicht). 611 Von der geringen Zahl der Stellungnahmen im Vergleich zur absoluten Zahl der übermittelten Dokumente - rund 1,3 bis 1,5 Prozent - darf man sich nicht täuschen lassen. Viele der EG-Dokumente enthalten begleitende Informationen, die nicht im Zusammenhang mit konkreten Vorhaben der Europäischen Union stehen, befassen sich mit Angelegenheiten, die bereits durchgeführt sind, oder aber mit Änderungsvorhaben.

286

Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

mente, Einladungen zu Sitzungen der Gremien und Fernschreiben der Ständigen Vertretung häufig erst dann erhielten, wenn sie nicht mehr aktuell seien612. Vor dem Hintergrund der Dauer des internen Geschäftsganges der Ministerien, der mit mindestens ein bis zwei Wochen veranschlagt werden kann und der sich aus organisatorischen Gründen kaum verkürzen läßt, wird deutlich, daß neue und schnellere Wege gefunden werden müssen, um mit der Dynamik des Brüsseler Verhandlungsregimes mithalten und einen sinnvollen Willensbildungsprozeß auf Länderseite vornehmen zu können. Hierfür soll in Zukunft verstärkt die elektronische Datenverarbeitung genutzt werden 613 . Eine erste Testphase hat insoweit zu positiven Ergebnissen geführt 614 . Es ist zu erwarten, daß nach Klärung der technischen und organisatorischen Einzelheiten in Zukunft eine gemeinsame EU-Datenbank oder eine Datenbank der Bundesregierung mit Zugriffsberechtigung für den Bundesrat und die Länder eingerichtet werden wird, wie bereits in Ziffer 1.3. der Bund-Länder-Vereinbarung 1993 vorgesehen ist.

2. Die Willensbildung des Bundes a) Die „ vorbereitenden Beratungen " nach Ziffer II der Bund-Länder-Vereinbarung

1993

Nach den bisherigen Erfahrungen gestalten sich die vorbereitenden Beratungen zwischen der Bundesregierung und den Ländervertretern zur Festlegung der deutschen Verhandlungsposition für die Länder zufriedenstellend. Die Umsetzung und Anwendung von Ziffer II.l. der Bund-Länder-Vereinbarung 1993 verursacht offenbar keine nennenswerten Probleme 615. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, daß die weiteren Regelungen in Ziffer II.2. und II.3. der Bund-Länder-Vereinbarung 1993, die die Einordnung eines Vorhabens unter die jeweiligen Beteiligungsvarianten des Art. 23 Abs. 5 und 6 GG betreffen, vom Bundesrat als „praktisch bedeutungslos" eingestuft werden 616 . Keiner der bisher aufgetretenen Streitfälle zwischen Bund und Ländern habe auf der Grundlage der neuen Verfahrensregeln gelöst oder entschieden werden können 617 . Dies deckt sich mit dem rechtlichen Befund, daß die wertenden For-

612 613 614 615 616 617

v. v. v. v. v. v.

Dewitz, Dewitz, Dewitz, Dewitz, Dewitz, Dewitz,

Praxisbericht Praxisbericht Praxisbericht Praxisbericht Praxisbericht Praxisbericht

1996, 1996, 1996, 1996, 1996, 1996,

S. 2. S. 2 f.; ders., Der Bundesrat, 69 (72). S. 3. S. 4. S. 4. S. 4.

V. Bisherige Erfahrungen in der Staatspraxis

287

mulierungen in Art. 23 Abs. 5 und 6 GG eine Abgrenzung nach objektiven Kriterien kaum zulassen618.

b) Die Beteiligung des Bundesrates in den Fällen des Art. 23 Abs. 5 S. 1 GG Soweit die Stellungnahmen des Bundesrates nach Art. 23 Abs. 5 S. 1 GG i.V.m. § 5 Abs. 1 EUZBLG nur in einfacher Form von der Bundesregierung bei der Willensbildung zu berücksichtigen sind und über diese Einstufung auch Einvernehmen zwischen Bundesrat und Bundesregierung herrscht, kommt es in der Praxis offenbar zu keinen nennenswerten Problemen. Der Erfahrungsbericht des Bundesrates vom April 1996 enthält insoweit nur Angaben zum Verfahren nach § 5 Abs. 2 EUZBLG, also zum Verfahren in den Fällen, in denen die Stellungnahme des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen war 619 . Soweit der Bereich des Titels V I EUV - Justiz und Inneres - betroffen ist, wurde die Zusammenarbeit zwischen Bundesregierung und Bundesrat als „gut und vertrauensvoll" bezeichnet620. Beklagt auf Seiten des Bundesrates wird allerdings die Tatsache, daß den Ländervertretern in den Fällen, in denen ein Vorhaben nur unter Art. 23 Abs. 5 S. 1 GG i.V.m. § 5 Abs. 1 EUZBLG fällt, jede über ein reines Zuhören hinausgehende Teilnahme an den Sitzungen versagt werden kann und offenbar in Einzelfällen auch versagt worden ist 621 .

c) Die Beteiligung des Bundesrates in den Fällen des Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG Größeres Augenmerk auf die Berücksichtigung ihrer Stellungnahmen legen die Länder und der Bundesrat naturgemäß auf die EG-Vorhaben, bei denen entsprechend der innerstaatlichen Kompetenzverteilung die Stellungnahme des Bundesrates nach Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG i.V.m. § 5 Abs. 2 EUZBLG „maßgeblich" zu berücksichtigen ist. Seit Inkrafttreten der neuen Regelung hat sich der Bundesrat - zumindest konkludent - bei 30 EU-Vorhaben auf § 5 Abs. 2 EUZBLG berufen und eine maßgebliche Berücksichtigung seiner Stellungnahme eingefordert 622. In zwölf Fällen ist zwischen Bundesrat und Bundesregierung strittig erörtert worden, ob es sich um einen Fall des § 5 Abs. 2 EUZBLG

618 Siehe hierzu oben, Teil 2, Kap. III.4. a) (3), S. 109 ff, sowie Kap. IV.2. b), S. 142 ff. 619 v. Dewitz, Praxisbericht 1996, S. 5 ff. 620 Schnapauff, ZG 1997, 188 (192). 621 v. Dewitz, Praxisbericht 1996, S. 11. 622 v. Dewitz, Praxisbericht 1996, S. 4, Stand: 31.12.1995. Eine aktualisierte Liste mit dem Stand vom 31.12.1997 ist erhältlich über das Sekretariat des Bundesrates, Büro des Ausschusses für Fragen der Europäischen Union.

288

Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

handelt oder nur um einen Fall des § 5 Abs. 1 EUZBLG 6 2 3 . Eine von v. Dewitz, Büro des Ausschusses für Fragen der Europäischen Union des Bundesrates, erstellte Liste der Vorhaben, in denen nach Auffassung des Bundesrates ein qualifiziertes Mitwirkungsrecht gegeben ist, belegt, daß sich die Streitpunkte vor allem auf die Auslegung und Anwendung der 2. und 3. Alternative des § 5 Abs. 2 S. 1 EUZBLG konzentrieren 624. In den erwähnten Streitfällen haben sich Bund und Länder bislang einigen können, möglicherweise begünstigt dadurch, daß jeweils in der Sache kein oder zumindest kein gravierender Dissens bestand625. Der verfassungsrechtlich brisante Fall, daß der Bundesrat bei Nichterzielung eines Einvernehmens seine Auffassung nach § 5 Abs. 2 S. 6 EUZBLG im Wege eines mit zwei Dritteln seiner Stimmen gefaßten Beschlusses („Beharrungsbeschluß") bestätigt, ist bislang noch nicht eingetreten 626. Zur schnelleren Klärung der Situation wird die Bundesregierung aufgefordert, sich innerhalb einer bestimmten Frist zu erklären, ob sie für das betreffende Vorhaben Bedenken gegen die Anwendung des § 5 Abs. 2 EUZBLG habe 627 . Mittlerweile ist die Bundesregierung dazu übergegangen, in der Plenarsitzung des Bundesrates, in der ein Beschluß zur Anwendbarkeit des § 5 Abs. 2 oder § 6 Abs. 2 EUZBLG gefaßt wird, unmittelbar ihre abweichende Auffassung schriftlich zu Protokoll zu geben628.

3. Die Außenvertretung des Bundes durch den Bundesrat Bislang (Stand: April 1996) hat der Bundesrat in zwölf Fällen verlangt, die Verhandlungsführung zu einem Vorhaben der Europäischen Union gemäß Art. 23 Abs. 6 GG i.V.m. § 6 Abs. 2 EUZBLG auf einen Vertreter der Länder

623

V. Dewitz, Praxisbericht 1996, S. 6. Unveröffentlicht, (erhältlich über das Sekretariat des Bundesrates, Büro des Ausschusses für Fragen der Europäischen Union); vgl. nunmehr v. Dewitz, Der Bundesrat, 69 (80 ff.). Als Beispiele mögen die Richtlinien Vorschläge des Rates über einheitliche Verfahren für die Kontrolle von Gefahrguttransporten auf der Straße, K O M (93), 665 endg., (jetzt: Richtlinie 95/50/EG des Rates vom 6.10.95, ABl. Nr. L 249 v. 17.10.1995, S. 35) und zur Änderung verschiedener Richtlinien über den Verkehr mit Saatgut, K O M (93) 598 endg., dienen; vgl. hierzu die Beschlüsse des Bundesrates, BR-Drs. 85/94 und 54/94. Ein weiteres Beispiel stellt das Verfahren im Zusammenhang mit der Ausarbeitung des Übereinkommens aufgrund Art. K.3 EUV über die Errichtung eines Europäischen Polizeiamtes dar, ABl. Nr. C 316 vom 27.11.1995 S. 2 (Europol-Übereinkommen); vgl. hierzu BR-Drs. 909/94. 625 v. Dewitz, Praxisbericht 1996, S. 6 f. 626 v. Dewitz, Praxisbericht 1996, S. 6 f. 627 v. Dewitz, Praxisbericht 1996, S. 6. 628 Auskunft von v. Dewitz, Büro des Ausschusses für Fragen der Europäischen Union des Bundesrates. 624

V. Bisherige Erfahrungen in der Staatspraxis

289

zu übertragen 6 2 9 . In vier aus der Sicht der Länder bedeutsamen Fällen hat die Bundesregierung die Übertragung der Verhandlungsführung abgelehnt ( A k t i onsprogramme „ S O K R A T E S " , „ R A P H A E L " , Entschließung des Rates im Bereich der Promotionsstudien und Programm zur „Qualität der Hochschulbild u n g " ) 6 3 0 . In drei weiteren Fällen hat eine Übertragung der Verhandlungsführung auf einen Vertreter der Länder stattgefunden 631 . I m Hinblick auf die anderen Vorhaben ist offenbar eine anderweitige Einigung zwischen Bundesrat und Bundesregierung erzielt worden, jedenfalls erwähnt der Erfahrungsbericht des Bundesrates insoweit keine Streitpunkte 6 3 2 . In allen Fällen, in denen die Bundesregierung trotz nachdrücklicher Forderungen des Bundesrates die Übertragung der Verhandlungsführung abgelehnt hat, hat der Bundesrat darauf verzichtet, einen Beschluß nach § 5 Abs. 2 S. 5 E U Z B L G („Beharrungsbeschluß") zu treffen oder rechtliche Schritte zur Durchsetzung seines Begehrens einzulegen.

629

v. Dewitz, Praxisbericht 1996, S. 10; ders., Der Bundesrat, 69 (76 ff.). Hierbei ging es um folgende Vorhaben (in Kurzform): Weißbuch zur allgemeinen beruflichen Bildung „Lehren und Lernen", BR-Drs. 731/96 und 906/95; Aktionsprogramm zum Katastrophenschutz, BR-Drs. 384/94, 220/95 und 295/96; Beschlußvorschläge des EP und des Rates über ein Programm zur Förderung künstlerischer und kultureller Aktivitäten „KALEIDOSKOP 2000" und „ARIANE", BR-Drs. 885/94 (2) und 282/96; Richtlinie betreffend die Ausübung der Fernsehtätigkeit, BR-Drs. 803/94, 548/95; Beschluß des EP und des Rates über ein Aktionsprogramm zur Erhaltung des kulturellen Erbes „RAPHAEL", Dok. K O M 96/333 endg., BR-Drs. 237/95; themenbezogene Benennung zum Bereich „Audiovisuelle Medien", BR-Drs. 168/95; Entschließung zum Fremdsprachenlernen, BR-Drs. 64/95; Europäisches Jahr für lebenslanges Lernen, BRDrs. 863/94; Kommunalwahlrichtlinie, BR-Drs. 294/94; Richtlinie über Seilbahnen für den Personenverkehr, BR-Drs. 165/94 und 165/94 (2); Aktionsprogramm „SOKRATES", BR-Drs. 109/94; Entwurf einer Entschließung des Rates zur europäischen Zusammenarbeit im Bereich der Promotionsstudien, BR-Drs. 336/95; Grünbuch zur europäischen Dimension des Bildungswesens, BR-Drs. 769/93. 630

Vgl. Fußn. 629. Diese betrafen: Die Kommunalwahlrichtlinie (Richtlinie 94/80/EG des Rates vom 19.12.1994 über die Einzelheiten der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts bei den Kommunalwahlen für Unionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen, ABl. EG Nr. L 368 vom 31.12.94, S. 38, geänd. durch Richtlinie 96/30/EG des Rates vom 13.5.96, ABl. EG Nr. L 122 vom 22.5.96, S. 14, vgl. hierzu den Beschluß des Bundesrates, BR-Drs. 294/94) sowie das Aktionsprogramm Katastrophenschutz (Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 31.10.1994 zum Ausbau der gemeinschaftlichen Zusammenarbeit im Bereich des Katastrophenschutzes, ABl. EG Nr. C 313 v. 10.11.94, S. 1, vgl. hierzu BR-Drs. 182/93, 384/94 und 220/95). Außerdem hat die Bundesregierung nach dem Urteil des BVerfG in der Hauptsache im Streit um die Fernsehrichtlinie, BVerfGE 92, S. 203 ff., die Verhandlungsführung ab dem 31. März 1995 mehrfach auf einen Ländervertreter übertragen. 631

632 Vgl. v. Dewitz, Praxisbericht 1996, S. 10 f. Möglicherweise waren die Verhandlungen zwischen Bundesrat und Bundesregierung zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Berichts bezüglich einzelner Vorhaben auch noch in der Schwebe. 19 Halfmann

290

Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

Statt dessen hat er Vorschläge entwickelt, auf welche Weise derartige Konflikte verfahrensmäßig aufgelöst werden können 633 . Im übrigen haben die Länder und der Bundesrat die ernüchternde Erfahrung machen müssen, daß die Übertragung der Verhandlungsfiihrung auf einen Vertreter der Länder auf europäischer Ebene nicht automatisch zum Erfolg in der Sache führt. Ein Beispiel hierfür bietet das Aktionsprogramm Katastrophenschutz der Europäischen Union 634 : Nachdem die Europäische Gemeinschaft verschiedene Entschließungen zur Koordinierung des Katastrophenschutzes in den Mitgliedstaaten gefaßt hatte, rügte der Bundesrat diese Pläne als mit dem Subsidiaritätsprinzip nicht vereinbar und forderte von der Bundesregierung die Übertragung der Verhandlungsführung auf einen Vertreter der Länder. Der zivile Katastrophenschutz ist nach der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes mangels Gesetzgebungsbefugnis des Bundes ausschließlich eine Aufgabe der Länder. Nachdem die Bundesregierung dem Anliegen entsprochen und die Verhandlungsführung auf den Minister des Landes Brandenburg, Ziel, übertragen hatte, trug dieser im Rat die ablehnende Haltung des Bundesrates namens und mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland vor. Bei den Verhandlungen war die Bundesrepublik Deutschland mit ihrer ablehnenden Position im Kreis der Mitgliedstaaten jedoch isoliert, so daß sich der Bundesrat schließlich gezwungen sah, seinen Widerstand aufzugeben. In der Folge faßte der Bundesrat noch einige Beschlüsse, inwieweit eine Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft im Bereich des Katastrophenschutzes seiner Auffassung nach konkretisiert werden könnte, ohne gegen das Subsidiaritätsprinzip zu verstoßen 635. Es ist jedoch sehr fraglich, ob der Bundesrat mit seinen Forderungen das Gehör der Kommission oder der anderen Mitgliedstaaten finden wird.

4. Die Hinzuziehung von Ländervertretern a) Das interne Verfahren

der Benennung

Die Hinzuziehung und Beteiligung von Ländervertretern ist - wie oben bereits gesagt - für den Bundesrat und für die Länder von größter Wichtigkeit, weil nur auf diese Weise effektiv auf den Verhandlungs- und Beratungsverlauf in den Gremien der Kommission und des Rates Einfluß genommen werden kann. Außerdem sorgt der Ländervertreter für die umgehende Rückmeldung des Verhandlungsstandes an den Bundesrat und die Länder. § 45a Abs. 4 GO-BR schreibt dementsprechend eine möglichst enge Zusammenarbeit zwischen den

633 634 635

Siehe nachfolgend im Text zu Ziffer 5. Siehe Fußn. 631. BR-Drs. 384/94, 220/95 und 295/96.

V. Bisherige Erfahrungen in der Staatspraxis

291

Ausschüssen des Bundesrates und den Ländervertretern vor. Gemäß § 45i GOBR haben die Ländervertreter die Aufgabe, den Bundesrat unverzüglich im Anschluß an eine Sitzung des jeweiligen Gremiums auf EU-Ebene über alle die Länder interessierende Gesichtspunkte zu berichten und gegebenenfalls auf neuen Beratungsbedarf hinzuweisen. Das Bedürfnis nach möglichst umfassender und vollständiger Präsenz bei den Beratungen auf EU-Ebene hat auf Seiten des Bundesrates dazu geführt, daß die Zahl der benannten Ländervertreter in den letzten Jahren stetig erhöht worden ist und teilweise bis zu 450 betrug 636 . In der Praxis hat sich jedoch herausgestellt, daß die große Anzahl der Ländervertreter eine Koordinierung der gesammelten Informationen sowie die Wahrnehmung der Länderinteressen erschwert und eine wachsende Intransparenz geschaffen hat. Dies führte in einzelnen Fällen dazu, daß die Ländervertreter die Wahrnehmung ihrer Aufgaben aus Sicht der Bundesrates vernachlässigt haben637. Als weiterer Mangel ist vermerkt worden, daß die Ländervertreter dem Bundesrat nur in sehr „dürftigem Umfang" Informationen über den neuesten Sachstand der Beratungen aus Brüssel lieferten 638. Diesen Entwicklungen versucht der Bundesrat verstärkt entgegenzuwirken: Durch eine Konzentration der Benennungen konnte die Zahl der Ländervertreter kontinuierlich von 450 auf mittlerweile 280 reduziert werden; diese betreuen derzeit ca. 370 Gremien 639 . Darüber hinaus sind die Ländervertreter in die vom Ausschuß für Fragen der Europäischen Union durchzuführenden Erfolgs- und Abschlußkontrollen zu den Stellungnahmen des Bundesrates einbezogen worden. Mittlerweile kann jeder der benannten Ländervertreter einem Fachausschuß des Bundesrates zugeordnet werden 640 . Insgesamt sollen durch diese Maßnahmen vor allem das Bewußtsein der Beteiligten über die Bedeutung des europäischen Rechts für die nationalen Rechtsordnungen und die

636

v. Dewitz, Praxisbericht 1996, S. 8. v. Dewitz, Praxisbericht 1996, S. 8. 638 v. Dewitz, Praxisbericht 1996, S. 4. Als mögliche Ursache wird gesehen, daß die Arbeitsbelastung der entsprechenden Bediensteten der Länder erheblich ist, wenn sie möglichst vollständig an den Sitzungen der jeweiligen Gremien teilnehmen und ihren Berichtspflichten entsprechen wollen. Eine Freistellung von der „normalen" Arbeit beim jeweiligen Landesministerium kann in der Regel nicht erfolgen, so daß die Berichte des Ländervertreters, die nach § 45i Abs. 2 S. 2 GO-BR in der Regel schriftlich zu erstatten sind, neben der normalen Referats- oder Dezernatsarbeit abgefaßt werden müssen. Nicht selten erfolgt die Vor- und Nachbereitung der entsprechenden Sitzung bei der entsprechenden An- oder Abreise im Zug oder im Flugzeug. 639 Die aktuellen Zahlenangaben schwanken und geben den Stand vom April 1998 wieder, Auskunft von v. Dewitz, Büro des Ausschusses für Fragen der Europäischen Union des Bundesrates. 640 Auskunft von v. Dewitz, Büro des Ausschusses für Fragen der Europäischen Union des Bundesrates, vom 17.4.1998. 637

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Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

damit verbundenen innerstaatlichen Kompetenzverluste geschärft werden 641 . Nach den bisherigen Erfahrungen haben die Verbesserungen des internen Verfahrens inzwischen auch Erfolge bewirkt 642 .

b) Die Teilnahme von Ländervertretern

an den Sitzungen der Gremien der EU

Während im Bereich der einfachen Mitwirkung des Bundesrates nach Art. 23 Abs. 5 S. 1 i.V.m. § 5 Abs. 1 EUZBLG die Ländervertreter in den Verhandlungen wie gewohnt in der zweiten Reihe Platz nehmen müssen und weitgehend auf das Zuhören beschränkt sind, gestattet die Bundesregierung den Ländervertretern in den Fällen der qualifizierten Mitwirkung nach § 5 Abs. 2 und 6 Abs. 2 EUZBLG regelmäßig auch, in erster Reihe am Verhandlungstisch sitzen zu können 643 . Immer wieder führt die begrenzte Größe der Sitzungssäle dazu, daß nur etwa 2 bis 3 Sitzplätze für die einzelnen Delegationen zur Verfügung stehen und somit oft nur ein kleiner Teil der deutschen Delegation am Verhandlungstisch Platz nehmen kann 644 . Nähere Regelungen, auf welche Weise die Hinzuziehung von Ländervertretern konkret zu handhaben ist, fehlen im EUZBLG und in der Bund-Länder-Vereinbarung 1993. Insoweit haben sich Bund und Länder inzwischen im Wege eines Schriftwechsels auf eine pragmatische Vorgehensweise geeinigt 645 .

c) Die Teilnahme von Ländervertretern

an Tagungen des Rates

Der Bundesrat hat bislang in vier Fällen Landesminister oder -Senatoren zur Teilnahme für den Rat benannt. Hierbei handelte es sich um die Bereiche Forschung, Bildung, Kultur sowie Justiz und Inneres. Für den Bereich „Audio-Visuelles" ist eine themenbezogene Benennung für die entsprechenden Vorhaben erfolgt 646 . Im dem zuletzt erwähnten Bereich hat regelmäßig einer der themenbezogen Benannten an den Ratstagungen teilgenommen. Im Rat der Justiz- und

641 Bericht des Ausschusses für Fragen der EU beim Bundesrat vom 11.9.1995, (unveröffentlicht). 642 v. Dewitz, Praxisbericht 1996, S. 9. 643 v. Dewitz, Praxisbericht 1996, S. 11. 644 Bisweilen fuhrt dies zu einem „Gerangel" um die Plätze, vgl. bereits die Bemerkungen in Kap. IV, Fußn. 564. 645 Laut Auskunft von v. Dewitz, Büro des Ausschusses für Fragen der Europäischen Union des Bundesrates, ist im Frühjahr 1996 im Wege eines Briefwechsels zwischen dem Vorsitzenden der Konferenz der Chefs der Staatskanzleien der Länder und dem Chef des Bundeskanzleramts eine Vereinbarung getroffen worden, wie in den streitigen Fällen über die Anwendung des § 6 Abs. 2 EUZBLG verfahren werden soll. 646 Vgl. v. Dewitz, Praxisbericht 1996, S. 10.

V. Bisherige Erfahrungen in der Staatspraxis

293

Innenminister wurde dem Minister des Landes Brandenburg, Ziel, die Verhandlungsführung nach Art. 23 Abs. 6 GG i.V.m. § 6 Abs. 2 EUZBLG übertragen, und zwar jeweils für die Bereiche Katastrophenschutz und Kommunalwahlrecht 647 . Staatsminister Zehetmair aus Bayern hat in der Vergangenheit an jedem der beiden jährlich stattfindenden Räte der Minister (Kultur) teilgenommen. Darüber hinaus hat Minister Breitenbach, Saarland, seit Juni 1993 an sechs Tagungen des Rates der Minister (Bildung) teilnehmen können. Obwohl im Vorfeld zwischen Bundesregierung und Bundesrat heftig über die Übertragung der Verhandlungsführung für das Aktionsprogramm „SOKRATES" 648 gestritten worden ist und die Bundesregierung die Übertragung abgelehnt hat, ist dem Vertreter der Länder nach § 6 Abs. 2 S. 2 EUZBLG die Möglichkeit eingeräumt worden, das Wort zu ergreifen und Erklärungen abzugeben. Im Rat der Minister (Forschung) hat sich der Bundesrat ebenfalls intensiv darum bemüht, durch den zuständigen Minister Baden-Württembergs, von Trotha, an den Verhandlungen des Rats teilzunehmen und eine Übertragung der Verhandlungsführung zu erreichen 649. Nicht vorgesehen ist eine Hinzuziehung von Ländervertretern zu den Sitzungen des AStV. Dafür nehmen Ländervertreter an den innerstaatlichen Weisungssitzungen der Bundesregierung für den AStV teil. Aus dem Erfahrungsbericht des Bundesrates geht hervor, daß eine Notwendigkeit, die Länderpositionen nochmals in den AStV-Weisungssitzungen zu überprüfen, nicht mehr unbedingt gesehen wird 6 5 0 . Dies mag, entgegen früheren Erfahrungen 651, seine Ursache darin haben, daß sich die Kooperation zwischen Bundesregierung und Bundesrat insgesamt verbessert hat und die Standpunkte der Länder in zufriedenstellender Weise eingebracht werden können.

5. Die Überarbeitung der Bund-Länder-Vereinbarung 1993 Nach Ziffer VI II.8. der Bund-Länder-Vereinbarung 1993 waren Bund und Länder übereingekommen, zum 1. Juli 1996 die Vereinbarung aufgrund der bis dahin gesammelten Erfahrungen zu überprüfen, insbesondere im Hinblick auf die Anwendung der §§ 5 und 6 EUZBLG im Bereich der konkurrierenden und der Rahmengesetzgebung. Hierzu hatte es zunächst auf Seiten des Bundesrates

647

Siehe Fußn. 631. Beschluß des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 14.3.1995 über das gemeinsame Aktionsprogramm SOKRATES, ABl. EG Nr. L 87 vom 20.4.95. Vgl. hierzu BR-Drs. 109/94. 649 Auskunft von v. Dewitz, Büro des Ausschusses für Fragen der Europäischen Union des Bundesrates. 650 v. Dewitz, Praxisbericht 1996, S. 4. A.A.: Schweizer/Brunner, S. 30. 651 Siehe oben, Teil 1, Kap. V, zu Fußn. 200. 648

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Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

Überlegungen gegeben, eventuell auftretende Konfliktfälle prozedural aufzulösen, etwa durch Einführung eines „Schlichtungsverfahrens". Dieses sollte vor einem eventuellen verfassungsgerichtlichen Organstreitverfahren ausgetragen werden und dazu dienen, Konflikte im Vorfeld ausräumen 652. Nach Auffassung des Bundesrates, der Länder und der Bundesregierung hat sich die Bund-Länder-Vereinbarung allerdings im wesentlichen bewährt, so daß eine Änderung des Wortlautes nicht in Betracht gezogen wird. In bezug auf praktisch noch bestehende Zweifelsfälle sind auf informellem Wege verfahrensmäßige Lösungen vereinbart worden 653 . Der oben angesprochene ambivalente Charakter der Bund-Länder-Vereinbarung als konkretisierende Regelung sowohl des Bundesratsprinzips als auch des Grundsatzes der Bundestreue im Bund-Länder-Verhältnis 654 hat offenbar in der Staatspraxis noch keine Probleme aufgeworfen.

6. Bewertung Die vorliegenden Erfahrungen geben zwar nur ein vorläufiges Bild ab, da von einer gesicherten Staatspraxis angesichts der relativ jungen Vorschrift des Art. 23 GG noch nicht gesprochen werden kann. Auch ist die Zahl der „kritischen" Anwendungsfälle des Art. 23 Abs. 5 S. 2 und Abs. 6 GG bislang gering geblieben. Insgesamt zeichnen sich jedoch folgende Entwicklungen ab: Die umfassende und frühzeitige Information des Bundesrates nach Art. 23 Abs. 2 S. 2 GG und die einfache Berücksichtigung seiner Stellungnahmen nach Art. 23 Abs. 5 S. 1 GG werfen in der Zusammenarbeit zwischen der Bundesregierung und dem Bundesrat keine Probleme auf* 55. Dieser Befund kann nicht überraschen. Auch in der Vergangenheit hat es unter Geltung des Art. 2 Abs. 3 S. 1 EEAG, der Vorläuferregelung, keine nennenswerten Streitigkeiten zwischen Bund und Ländern über die Auslegung und Anwendung dieser Vorschrift gegeben. Darüber hinaus dürfte eine Rolle spielen, daß in den Bereichen, in denen die Interessen der Länder nur „berührt" sind, eventuelle Interessengegensätze zwischen Bund und Ländern nicht in der Schärfe hervortreten wie in den Bereichen, die für die Länder von essentieller Bedeutung sind und die in deren Organisationshoheit eingreifen. Ganz überwiegend stehen bei den Beratungen Fragen der Umsetzung, der Effizienz und der Geeignetheit im Vordergrund, die von der Bundesregierung und vom Bundesrat häufig ähnlich oder sogar gleich 652 Der Ständige Beirat des Bundesrates hat entsprechende Vorschläge vorgelegt, die derzeit zwischen Bundesrat, Bundesregierung und Ländern erörtert werden, vgl. v. Dewitz, Praxisbericht 1996, S. 11. 653 Vgl. den in Fußn. 645 erwähnten Schriftwechsel. Vgl. auch v. Dewitz, Der Bundesrat, 69 (77 f.). 654 Siehe hierzu oben, Teil 2, Kap. IV.3. d), S. 154 ff. 655 Schnapauff, ZG 1997, 188 (192).

V. Bisherige Erfahrungen in der Staatspraxis

295

beurteilt werden 656 . Während der 13. Wahlperiode des Deutschen Bundestages kamen die unterschiedlichen politischen Auffassungen zwischen der Bundesregierung und dem Bundesrat, in dem die SPD-geführten Länder die Mehrheit darstellten, auf europäischer Ebene offenbar nur selten zum Tragen 657 . Diese Einschätzung trifft sich mit der oben erwähnten Beobachtung, daß im Verfahren der Rechtsetzung auf EG-Ebene keine politischen „Frontlinien" wie im rein nationalen Bereich existieren und hierdurch tendenziell eine „Entpolitisierung" bewirkt wird 6 5 8 . In der Frage der Anwendung des Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG zeichnen sich jedoch deutliche Schwierigkeiten ab: Die „detailverliebte" Regelung trägt offenbar wenig dazu bei, eine klare Zuordnung der Kompetenzen zu ermöglichen. Die Ausftihrungsvorschriften zu Art. 23 GG, einschließlich der Bund-LänderVereinbarung von 1993, haben sich als tauglich und praktikabel erwiesen, soweit zwischen Bundesrat und Bundesregierung Einvernehmen im Hinblick auf die Qualifizierung eines Vorhabens besteht. Sie tragen jedoch nichts oder nur wenig dazu bei, wie gerade die streitigen Konfliktfälle in einer praktikablen Weise bewältigt werden können. Dies gilt insbesondere fur die in Art. 23 Abs. 5 und 6 GG enthaltene „Schwerpunktregelung". Die hierfür in der Bund-LänderVereinbarung unter Ziffer 11.2. getroffene Verfahrensregelung hat sich als Entscheidungshilfe in der Praxis als untauglich erwiesen 659. In den wenigen Fällen, in denen die Bundesregierung die Verhandlungsführung auf einen Vertreter der Länder nach Art. 23 Abs. 6 GG übertragen hat, ist es offenbar zu keinen Problemen gekommen. Die im Hinblick auf die Art und Weise der Wahrnehmung der Außenvertretungsbefugnis und der Abstimmung zwischen dem Ländervertreter und der Bundesregierung als „kritisch" zu bewertende Regelung des Art. 23 Abs. 6 S. 2 GG i.V.m. § 6 Abs. 2 S. 3 EUZBLG scheint in der Praxis noch nicht zu nennenswerten Abstimmungsproblemen geführt zu haben660. In einem für die Länder wichtigen Fall, in dem die Bundesregierung die Übertragung der Verhandlungsführung ablehnte, hat sie zumindest konzediert, daß der teilnehmende Landesminister Erklärungen im Rat abgeben durfte. Anhaltspunkte, daß es zu einer Beeinträchtigung oder gar Lähmung der außen- oder integrationspolitischen Handlungsfreiheit der Bundesregierung gekommen sein könnte oder daß die Position Deutschlands insgesamt geschwächt worden wäre, sind bislang nicht ersichtlich 661 . So ist in einem Fall von Seiten

656

v. Dewitz, Der Bundesrat, 69 (79). Bericht von v. Dewitz, Büro des Ausschusses für Fragen der Europäischen Union beim Bundesrat, vom 11.9.1995 (unveröffentlicht). 658 Siehe zum „Verhandlungsregime", Teil 3, Kap. IV.3. b), S. 258 ff. 659 Vgl. Fußn. 616 und 617. 660 Der Praxisbericht 1996 enthält diesbezüglich keine Angaben. 661 Schweizer/Brunner, S. 31. 657

296

Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

des Bundes hervorgehoben worden, daß die Teilnahme des Vorsitzenden der Innenministerkonferenz der Länder an den Beratungen des Rates Justiz und Inneres zur Problematik der Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien der Position der Bundesrepublik Deutschland Gewicht verliehen habe 662 . Insgesamt steht die Bundesregierung dem Verlangen der Übertragung der Verhandlungsfuhrung offenbar sehr zögerlich gegenüber und ist hierzu allenfalls dann bereit, wenn bereits im Vorfeld in der Sache weitgehend einvernehmliche Standpunkte zwischen Bund und Ländern bestehen. Daß sich der Bundesrat auch nach Übertragung der Verhandlungsführung auf einen Vertreter der Länder im Fall des Aktionsprogrammes Katastrophenschutz im Kreis der Mitgliedstaaten auch nicht ansatzweise hat durchsetzen können, könnte als Anzeichen für die oben bereits angestellte Überlegung gewertet werden, daß der Bundesrat auf der internationalen Bühne nicht in gleichem Maße ernst genommen wird und über das gleiche Gewicht verfügt wie die Bundesregierung - zumindest dann nicht, wenn Bund und Länder nicht erkennbar „an einem Strang ziehen" 663 . Als Fazit kann festgehalten werden, daß die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern nach Art. 23 GG in der weit überwiegenden Zahl aller Fälle relativ konstruktiv und reibungslos verläuft. Die im Rahmen dieser Arbeit vorgetragenen rechtlichen Bedenken gegen die neue Regelung sollten auch nicht den Eindruck erwecken, daß sich Bundesregierung und Bundesrat stets als unversöhnliche Kontrahenten gegenüberstünden 664. Es waren in der Vergangenheit vielmehr nur einzelne, aber für die Länder qualitativ um so wichtigere Vorhaben, wie die erwähnte Fernsehrichtlinie, an denen sich der Streit zwischen Bund und Ländern entzündet hat und die schließlich zu der Forderung nach einer verfassungsrechtlichen Verankerung der Mitwirkungsrechte des Bundesrates geführt haben. Gleichwohl ist das rechtliche Potential, das dem Bundesrat mit Art. 23 Abs. 5 S. 2 und Abs. 6 GG verliehen wird, nicht zu unterschätzen. Insbesondere verlieren die verfassungsrechtlichen Bedenken, die die neue Regelung gerade unter dem Gesichtspunkt des Demokratieprinzips aufwirft, nicht dadurch an Gewicht, daß sich Bundesregierung und Bundesrat letztlich immer noch haben einigen können und der Bundesrat bislang auf einen „Beharrungsbeschluß" und eine gerichtliche Durchsetzung seiner Rechte verzichtet hat. Dies könnte sich, je nach 662

Schnapauff, ZG 1997, 188 (192). Zu den möglichen Nachteilen der Außenvertretung durch den Bundesrat siehe oben, Teil 3, Kap. IV.3. c) (3), S. 272 f. 664 v. Dewitz bewertet die Praxis der Mitwirkung des Bundesrates seit dem Inkrafttreten des Vertrages von Maastricht als „insgesamt erfolgreich", vgl. ders., Der Bundesrat, 69 (83). In seinem Beschluß zu dem Gesetzentwurf zum „Vertrag von Amsterdam" dankte der Bundesrat des weiteren der Bundesregierung gleich zu Anfang ausdrücklich für die „enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit", vgl. BR-Drs. 784//97, (Beschluß), S. 1; näher zur Beteiligung der Länder an den Verhandlungen vgl. Fischer, ZParl 1998, S. 46 ff. 663

VI. Justitiabilität und Rechtsschutz

297

der politischen „Großwetterlage", jederzeit ändern. Darüber hinaus werden das Demokratieprinzip und das Gewaltenteilungsprinzip spätestens dann auf den Plan treten, wenn die Entwicklungen im Zusammenhang mit der europäischen Integration nicht zur allgemeinen Zufriedenheit verlaufen und es darum geht, die Verantwortung für etwaige begangene Fehler zuzuweisen. Die Folgen dessen könnten sich als unabsehbar erweisen. Sowohl das Demokratie- als auch das Gewaltenteilungsprinzip erschöpfen sich nicht in der Möglichkeit eines nachträglichen „Zur-Verantwortung-Ziehens", sondern verlangen nach dem oben Gesagten vielmehr ihre fortwährende Aktualisierung in bezug auf jede Amtshandlung, die sich als Ausübung von Staatsgewalt darstellt. Die Aussage, daß das neue, auf Art. 23 GG gestützte Länderbeteiligungsverfahren inzwischen seine „Feuerprobe" bestanden habe 665 , erscheint angesichts dieser Umstände noch als verfrüht.

V I . Justitiabilität und Rechtsschutz 1. Zulässige Verfahrensarten vor dem Bundesverfassungsgericht Die Problematik der gerichtlichen Durchsetzbarkeit der gegenseitigen Beteiligungsrechte im Rahmen des neuen Art. 23 GG ist bislang nur selten in der Literatur erörtert worden 666 . Unberührt von der mangelnden „Griffigkeit" der juristischen Vorgaben steht allerdings außer Frage, daß die Einhaltung der im Grundgesetz vorgenommenen horizontalen und vertikalen Kompetenzverteilung vom Bundesverfassungsgericht überprüft werden kann. Hierfür stehen insbesondere das Organstreitverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG und der BundLänder-Streit nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG zur Verfügung. Bei der Auslegung und Anwendung des Art. 23 GG können unter den Beteiligten verschiedene Konflikte entstehen, die zu einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht führen könnten. Im einzelnen sind folgende Konstellationen denkbar:

a) Das Organstreitverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG zwischen Bundesrat und Bundesregierung Zunächst könnte sich der Bundesrat gezwungen sehen, eine Verletzung seiner Mitwirkungsrechte vor dem Bundesverfassungsgericht zu rügen. Auch die Bundesregierung könnte ihre Rechte im Organstreitverfahren geltend machen; letzteres ist allerdings unwahrscheinlich, da sich die Bundesregierung aufgrund 665

Fischer, ZParl 1998, 46 (63). Ausdrücklich mit der Justitiabilität der neuen Regelungen befaßt sich Lang, S. 266 ff. Zu Art. 2 EEAG: Streinz, Bundesverfassungsgerichtliche Kontrolle, S. 11 ff. 666

298

Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

ihrer stärkeren Rechtsstellung innerhalb des Art. 23 GG gegenüber dem Bundesrat stets durchsetzen kann, ohne den „Umweg" über das Bundesverfassungsgericht einschlagen zu müssen. Sofern der Bundesrat jedoch der Auffassung ist, seine in der Verfassung begründeten Mitwirkungsrechte seien durch das Verhalten der Bundesregierung verletzt oder mißachtet, hätte er die Möglichkeit, nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG i.V.m. § 13 Nr. 5 BVerfGG ein Organstreitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht durchzuführen. Mit einem solchen Antrag kann nach § 67 S. 1 BVerfGG die Feststellung begehrt werden, daß eine bestimmte Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners gegen eine Bestimmung des Grundgesetzes verstößt. Außerdem besteht nach § 67 S. 3 BVerfGG die Möglichkeit der verbindlichen Klärung einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage durch das Bundesverfassungsgericht. Letztere Entscheidung ist jedoch immer an eine Streitigkeit nach Satz 1 gebunden und ergeht nur aus Anlaß eines konkreten Rechtsstreits 667. Die Zulässigkeit eines Organstreitverfahrens würde im übrigen keine besonderen Probleme aufwerfen: Die Parteifahigkeit von Bundesrat und Bundesregierung ergibt sich aus § 63 BVerfGG 668 . Den Gegenstand eines Organstreitverfahrens muß stets eine konkrete Streitigkeit über die verfassungsmäßigen Kompetenzen der beteiligten Bundesorgane bilden, vgl. § 67 S. 1 i.V.m. den §§ 63, 64 BVerfGG. Im Rahmen der Antragsbefugnis nach § 64 BVerfGG könnte der Bundesrat unter anderem die Verletzung oder Gefährdung folgender Rechte geltend machen: Sein Letztentscheidungsrecht nach Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG i.V.m. § 5 Abs. 2 S. 5 EUZBLG bei Vorhaben, die im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder betreffen; außerdem sein Recht zur Außen Vertretung nach Art. 23 Abs. 6 GG i.V.m. § 6 Abs. 2 EUZBLG durch einen von ihm benannten Vertreter. Ebenso könnte eine Verletzung der Ausfuhrungsgesetze einschließlich der Bund-Länder-Vereinbarung gerügt werden, da diese zum Bereich des „materiellen Verfassungsrechts" gezählt werden müssen669. Ob auch unterstützend das Prinzip der Bundestreue herangezogen werden könnte, ist fraglich. Der Bundesrat, auch wenn er für die Länder auf dem Gebiet der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder bei der Willensbildung und bei der Rechtsetzung der Europäischen Gemeinschaft mitwirkt, ist Organ des Bundes670. Insoweit käme nur ein Verstoß gegen den Grundsatz der „gegenseitigen Organtreue" in Betracht. Ähnlich der „Bundestreue" konstituiert der Grundsatz der „Organtreue" allerdings nicht ein selbständiges Rechtsverhältnis, sondern modifiziert oder begrenzt nur Rechte und Pflichten innerhalb eines bestehenden Rechtsver667

So die h.M.; auch das BVerfG hat Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 in diesem Sinne interpretiert, vgl. Benda/Klein, Rdnr. 904, 975 ff. 668 Die Inkongruenz von § 63 BVerfGG zu Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG spielt insoweit keine Rolle; vgl. zu diesem Problem Benda/Klein, Rdnr. 911 ff. 669 Zu dieser Qualifizierung siehe oben, Teil 2, Kap. III.l. b), S. 97. 67 0 GGK-Krebs, Art. 50 Rdnr. 4; Stern,, StaatsR I, S. 731.

VI. Justitiabilität und Rechtsschutz

299

hältnisses671. Angesichts des hohen Grades der Ausdifferenziertheit der Regelungen des Art. 23 GG und der Ausfuhrungsvorschriften bliebe insoweit nur wenig Raum ftlr einen Rückgriff auf den Grundsatz der „Organtreue" 672 . Schließlich müßte der Bundesrat nach § 64 BVerfGG geltend machen können, durch eine „Maßnahme oder Unterlassung" des Antragsgegners in seinen grundgesetzlichen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet zu sein. Der Begriff der „Maßnahme" in § 64 BVerfGG ist weit zu verstehen und umfaßt Einzelrechtsakte, Realakte wie auch den Erlaß von Normen 673 . Die Maßnahme muß objektiv vorliegen und wirklich vom bezeichneten Antragsgegner ausgegangen sein 674 . Anknüpfungspunkt könnte somit das Verhalten der Bundesregierung bei der innerstaatlichen Willensbildung sowie deren Stimmverhalten in den Ratsgremien sein. Nicht anfechtbar im Rahmen des Organstreitverfahrens wäre hingegen der Erlaß einer Richtlinie oder Verordnung selbst, da es sich insoweit um einen Rechtsakt der Europäischen Gemeinschaft handelt, und nicht um eine Maßnahme, die dem Bund zugerechnet werden kann 675 .

b) Der Bund-Länder-Streit nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG zwischen einzelnen Ländern und der Bundesregierung Möglich wäre aber auch, daß ein einzelnes Land oder mehrere Länder selbst gegen die Bundesregierung vorgehen wollen. Eine solche Situation könnte zum Beispiel dann eintreten, wenn im Bundesrat unter den Ländern konträre Auffassungen über die Behandlung einer Angelegenheit der Europäischen Union bestehen und ein Teil der Länder im Wege der Mehrheitsentscheidung überstimmt wird. Soweit einzelne Länder mit dem Verhalten der Bundesregierung bei der Behandlung einer bestimmten Angelegenheiten nicht einverstanden sind, stellt sich die Frage, ob sie auch selbst anstatt des Bundesrates oder neben diesem aus eigenem Recht eine Klagemöglichkeit vor dem Bundesverfassungsgericht besitzen. Für eine solche Streitigkeit käme nur ein Bund-Länder-Streit nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG i.V.m. § 13 Nr. 7 BVerfGG in Betracht. Zulässiger Verfahrensgegenstand des Bund-Länder-Streits sind nach § 13 Nr. 7 BVerfGG Meinungsverschiedenheiten über Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder. Im übrigen verweist § 69 BVerfGG auf die für das Organstreitverfahren geltenden Vorschriften der §§ 64 bis 67 BVerfGG. Ebenso wie das Organstreitverfah-

671

Zur Bundestreue vgl. insoweit: Stern, StaatsR I, S. 701 f. A.A. offenbar Winkelmann,, DÖV 1996, 1 (3 f.), in Bezug auf den Grundsatz der Bundestreue. 673 Vgl. Benda/Klein, Rdnr. 951. 674 Vgl. Benda/Klein,, Rdnr. 952 f. 675 BVerfGE 92, 203 (227). 672

300

Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

ren stellt der Bund-Länder-Streit ein kontradiktorisches Streitverfahren dar, d.h. Antragsteller und Antragsgegner müssen in einem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis zueinander stehen, aus dem sich die streitigen, wechselseitig zu beachtenden Rechte und Pflichten ergeben 676. Es muß sich um „bundesstaatsspezifische" Rechte und Pflichten handeln, d.h. um Rechte und Pflichten, die gerade dem einen Beteiligten gegenüber dem anderen obliegen 677 . Dies ist im einzelnen nicht unproblematisch.

(1) Die Antragsbefugnis nach § 64 BVerfGG (a) Eigene Rechte der Länder § 69 i.V.m. § 64 BVerfGG verlangt, daß der Antragsteller geltend machen kann, durch eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners in seinen ihm durch das Grundgesetz übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet zu sein. Ausreichend dafür ist, daß sich die Verletzung oder Gefährdung als mögliche Rechtsfolge aus dem Sachvortrag ergibt 678 . Bei einem Streit im Rahmen des Art. 23 GG könnten die einzelnen Länder versuchen, sich auf die Art. 23 Abs. 4 bis 6 GG nebst den Vorschriften des EUZBLG zu berufen, beispielsweise wegen einer unzureichenden Berücksichtigung der Stellungnahme des Bundesrates oder einer Ablehnung der Übertragung der Verhandlungsführung. Außerdem könnte sich jedes Land auf die Einhaltung der Kompetenzvorschriften des Grundgesetzes berufen, also auf die Art. 30 und 70 Abs. 1 GG sowie auf Art. 23 Abs. 1 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG. Art. 23 Abs. 1 GG ermächtigt nicht zu Handlungen, durch die in den durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Kernbestand des Bundesstaatsprinzips eingegriffen wird. Schließlich könnten die Länder unterstützend auf den Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens abstellen679. Hierbei würde es sich jeweils um spezifische verfassungsrechtliche Rechte und Pflichten handeln sowie auch um solche, die eine spezifisch bundesstaatliche Prägung haben, da sie die vertikale Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern betreffen. Problematisch ist aber, ob es sich bei den aufgezählten Rechten und Pflichten um solche handelt, die den Ländern zugewiesen sind, sowie darüber hinaus, wann eine hinreichende Verletzung oder Gefährdung bejaht werden kann.

67 6

Benda/Klein, Rdnr. 981. Pestalozzi § 9 Rdnr. 6 f. 67 8 Pestalozzi § 7 Rdnr. 35 und § 9 Rdnr. 11. 679 Isoliert kann darauf aber nicht abgestellt werden, da ein besonderes verfassungsrechtliches Rechtsverhältnis vorliegen muß; das Prinzip der Bundestreue ist insoweit nur Nebenpflicht, vgl. BVerfGE 42, 103 (117); 81, 310 (337); Benda/Klein, Rdnr. 991; Pestalozzi § 9 Rdnr. 7. 67 7

VI. Justitiabilität und Rechtsschutz (b) Die Entscheidung

des Bundesverfassungsgerichts

301

zur RundTunkrichtlinie

In seiner Hauptsacheentscheidung i m Streit um die Rundfunkrichtlinie hat das Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit der Geltendmachung der Verletzung eigener Rechte der Länder durch ein Verhalten der Bundesregierung bejaht. Allerdings erging die Entscheidung noch unter Geltung des Art. 2 E E A G , der Vorläuferregelung zu Art. 23 GG. Zur Zulässigkeit des Organstreitverfahrens führte das Gericht aus: „3. Die Antragstellerin macht bezüglich des Rundfunks kompetentielle Rechte aus Art. 30 GG in Verbindung mit Art. 70 Abs. 1 GG geltend, denen der Bund nach den Grundsätzen bundesfreundlichen Verhaltens Rechnung zu tragen habe. Die verfahrensrechtliche Regelung des Art. 2 EEAG, die bei Regelungsvorhaben der Europäischen Gemeinschaft den Bundesrat einschaltet und die Bundesregierung nach näherer Maßgabe des Absatzes 3 verpflichtet, die Stellungnahme des Bundesrats bei den Verhandlungen zu berücksichtigen, schließt es - jedenfalls angesichts der bisher verfassungsgerichtlich ungeklärten Rechtslage - nicht aus, daß die Antraestellerin die Verletzung eigener Rechte im Bund-Länder-Streit geltend machen kann" 8 0 . Die dahinterstehende materielle Rechtsposition der Länder leitete das Gericht aus Art. 70 Abs. 1 i.V.m. Art. 24 Abs. 1 G G und dem Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens ab: „Behält das Grundgesetz die Regelung des von der Gemeinschaft beanspruchten Gegenstandes innerstaatlich dem Landesgesetzgeber vor, so vertritt der Bund gegenüber der Gemeinschaft als Sachwalter der Länder auch deren verfassungsmäßige Rechte. Geht es um das Bestehen und die Reichweite einer solchen Gemeinschaftskompetenz, so verpflichtet das Bundesstaatsprinzip den Bund, den Rechtsstandpunkt der Länder zu berücksichtigen. Beurteilungsmaßstab ist in der Zeit vor dem Inkrafttreten des Art. 23 in der Fassung des 38. Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl I S. 2086) Art. 70 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 24 Abs. 1 GG und dem Verfassungsgrundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens. 1. Der Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens (vgl. BVerfGE 81, 310 [337 f.]) fordert, daß sowohl der Bund als auch die Länder bei der Wahrnehmung ihrer Kompetenzen die gebotene und ihnen zumutbare Rücksicht auf das Gesamtinteresse des Bundesstaates und auf die Belange der Länder nehmen" 681 . „... Die Länder hingegen können die ihnen verfassungsrechtlich zugewiesenen Kompetenzen gegenüber den Gemeinschaftsorganen nicht selbst wahrnehmen. Wenn das Bestehen oder die Reichweite einer Gemeinschaftskompetenz zur Setzung von sekundärem Gemeinschaftsrecht streitig ist, sind sie darauf angewiesen, daß die Bundesregierung als ihr Sachwalter die ihnen durch das Grundgesetz zugewiesenen und nach dem Gemeinschaftsvertrag verbliebenen Gesetzgebungskompetenzen wirksam vertritt" 682 .

680 681 682

BVerfGE 92, 203 (227). BVerfGE 92, 203 (230). BVerfGE 92, 203 (231).

302

Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

Jedenfalls habe jedes Land, so das Bundesverfassungsgericht, soweit es um die „Wahrung seiner grundgesetzlich gewährleisteten Rechte" gehe, „einen Anspruch darauf, daß die Bundesregierung das Verfahren des Art. 2 EEAG" einhalte „und nach den Grundsätzen der Bundestreue" handhabe683.

(c) Stellungnahme Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts können nach Erlaß des Art. 23 GG nicht unbesehen übernommen werden und bedürfen der Modifikation: Ein Abstellen auf „die verfassungsgerichtlich ungeklärte Rechtslage" dürfte nach der Änderung des Grundgesetzes und der hierdurch bewirkten verfassungsrechtlichen Verankerung des Bundesratsprinzips nunmehr nicht mehr möglich sein, um die Zulässigkeit eines Antrags vor dem Bundesverfassungsgericht zu begründen. Ein solches Argument könnte allenfalls hilfsweise oder unterstützend herangezogen werden, will man nicht das Erfordernis der Antragsbefugnis unterlaufen. Maßgebend ist nach Wortlaut und Sinn und Zweck des § 64 BVerfGG nur die möglicherweise verletzte oder gefährdete materielle Rechtsposition des Antragstellers. Das behauptete Recht, welches der Antragsteller für sich in Anspruch nimmt, muß diesem von der Verfassung objektiv eingeräumt sein, wohingegen die Frage der tatsächlichen Verletzung oder Gefährdung eine Sache der Begründetheit darstellt 684 . Zu klären ist daher in erster Linie, welche eigenen materiellen Rechtspositionen den Ländern gegenüber dem Bund in Angelegenheiten der Europäischen Union zustehen. Räumt die Verfassung den Ländern Kompetenzen ein, so müssen diese auch - im Falle der Verletzung oder Gefährdung - gerichtlich verteidigt werden können. Die gefährdete materielle Rechtsposition der Länder hat das Bundesverfassungsgericht in Art. 70 Abs. 1 i.V.m. Art. 24 Abs. 1 GG einschließlich des Grundsatzes des bundesfreundlichen Verhaltens erblickt. Der Hinweis auf Art. 70 Abs. 1 GG vermag in diesem Zusammenhang jedoch nicht zu überzeugen: Bundesregierung und Bundesrat handeln im Rahmen des Art. 23 GG stets nur in Wahrnehmung einer ausschließlich dem Bund zugewiesenen Kompe-

683

BVerfGE 92, 203 (234 f.). Benda/Klein, Rdnr. 944 f., mit Nachweisen zur Rspr. des BVerfG. Das BVerfG legt offenbar an § 64 BVerfGG strengere Maßstäbe an, als die Verwaltungsgerichte an die Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO. Nach der bekannten Formel des BVerwG fehlt die Klagebefugnis nur dann, wenn offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise die vom Kläger behaupteten Rechte bestehen oder ihm zustehen können, vgl. BVerwGE 18, 154 (157); 44, 1 (3); NJW 1976, 2175; NJW 1982, 2513; N V w Z 1990, 262; sowie Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rdnr. 65, m.w.N. Pestalozza hingegen zieht der Sache nach eine Parallele zu den Anforderungen des § 42 Abs. 2 VwGO, vgl. ders., Verfassungsprozeßrecht, § 7 Rdnr. 25 und 35. 684

VI. Justitiabilität und Rechtsschutz

303

tenz 685 . Die Kompetenz des Bundes zur Mitwirkung an einem Rechtsetzungsvorhaben der Europäischen Gemeinschaft wird kraft der Mitgliedschaft der Bundesrepublik Deutschland in der Europäischen Gemeinschaft und nach Art. 189 a ff. EGV mit der Vorlage eines Vorschlags der Kommission begründet, und zwar unabhängig davon, ob das konkrete Regelungsvorhaben von den Kompetenztiteln des EUV oder des EGV gedeckt ist oder nicht. Es ist auch im Fall einer Kompetenzüberschreitung Sache der Mitgliedstaaten, dies im Rat zu rügen und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln für ein kompetenzgemäßes Verhalten der Organe der Europäischen Gemeinschaft zu sorgen. Ein Kompetenzstreit im vertikalen Verhältnis zwischen Bund und Ländern hingegen, den die zitierte Entscheidung suggeriert, liegt in Wahrheit nicht vor, jedenfalls nicht mehr seit Erlaß des Art. 23 GG. Eine Berufung auf Art. 30 und 70 GG muß daher ausscheiden686. Soweit die Länder einen Eingriff in ihre über Art. 23 Abs. 1 und Art. 79 Abs. 3 GG geschützte Eigenstaatlichkeit oder eine diesbezügliche Gefährdung geltend machen, würde es sich dagegen um eigene Rechte handeln. Allerdings könnte die Geltendmachung einer Verletzung oder unmittelbaren Gefährdung der Eigenstaatlichkeit der Länder nur mit erheblichen Schwierigkeiten begründet werden. Zwar gilt für alle Handlungen der Bundesorgane in Angelegenheiten der Europäischen Union in jedem Fall die Integrationsschranke des Art. 79 Abs. 3 GG 6 8 7 . Alle Bundesorgane haben dementsprechend auch eine verfassungsrechtliche Pflicht, sich auf europäischer Ebene mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln für die Bewahrung der identitätsbildenden Strukturen der Bundesrepublik Deutschland einzusetzen688. Art. 79 Abs. 3 GG schützt die Länder jedoch weder im Hinblick auf ihre gegenwärtige Existenz noch im Hinblick auf den Bestand ihrer Kompetenzen689. Zu dem nach Art. 79 Abs. 3 GG unentziehbaren Hausgut der Länder gehören nur eine Mindestkompetenz an eigenen Aufgaben, die Verfassungsautonomie und die Finanzautonomie690. Ein Bundesland, welches sich im Rahmen eines Bund-Länder-Streits auf Art. 79 Abs. 3 GG berufen wollte, müßte plausibel darlegen können, daß eine bestimmte Handlung der Bundesregierung, z.B. ein Beschluß, einem bestimmten Richtlinienvorschlag nicht entgegenzutreten oder die Verhandlungsführung nicht auf einen Vertreter der Länder zu übertragen, den Bestand der Länder der Bundesrepublik Deutschland gefährdet habe. Dies würde einen erheblichen argumentativen Aufwand erfordern und nicht ohne eine vergleichende und wertende verfas-

685 686 687 688 689 690

Siehe hierzu oben, Teil 2, Kap. IV.3. a), S. 147 ff. Dies übersehen: Rengeling/Middeke/Gellermann, Rdnr. 1061. Breuer, NVwZ 94, 417 (425). BVerfGE 92, 203 (237). GGK-Bryde, Art. 79 Rdnr. 30 f. Ossenbühl, DVB1. 89, 1230 (1231 ff.); BVerfGE 34, 9 (19 f.).

304

Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

sungsrechtliche Gesamtbetrachtung des föderalen Systems des Grundgesetzes auskommen, nämlich inwieweit die Länder ihre Rolle als Zentren eigenständiger demokratischer Legitimation noch wahrnehmen oder wahrnehmen können. Eine diesbezügliche Gefährdung ist nach dem oben Gesagten zur Zeit jedenfalls unwahrscheinlich 691. Auch wird eine Gefährdung der durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Eigenstaatlichkeit kaum an einer Einzelmaßnahme „festgemacht" werden können 692 . Auf entsprechende Argumentationsversuche der Bayerischen Staatsregierung im Verfahren um die Rundfunkrichtlinie ist das Bundesverfassungsgericht bei seiner Entscheidung auch erst gar nicht eingegangen693. Im Hinblick auf die Mitwirkungsrechte des Bundesrates nach Art. 23 Abs. 4 bis 6 GG i.V.m. den Vorschriften des EUZBLG ist ebenfalls fraglich, ob hierdurch den Ländern eine eigene Rechtsposition verliehen wird, auf die sie sich neben dem Bundesrat oder an dessen Stelle berufen können. Schließlich ist mit Art. 23 Abs. 2, und Abs. 4 bis 6 GG aus guten Gründen eine Entscheidung für das Bundesratsprinzip getroffen worden, wohingegen die Möglichkeit einer direkten Länderbeteiligung abgelehnt wurde 694 . Den Bundesrat lediglich als ein „mit Ausübungsrechten versehenes Werkzeug der Länder" zu betrachten 695, wäre mit dieser verfassungsrechtlichen Grundentscheidung nicht vereinbar 696. Bei dem Streit zwischen Bund und Ländern in den Angelegenheiten der Europäischen Union geht es, wie oben dargelegt, in der Sache nicht um die Wahrung der gegenseitigen Gesetzgebungskompetenzen, sondern vielmehr um die Wahrung der Interessen der Länder, mit anderen Worten um eine interessengerechte Ausübung von ausschließlich dem Bund zustehenden Befugnissen. Der Bund ist bei der Wahrnehmung der Angelegenheiten der Europäischen Union nunmehr aufgrund Art. 23 Abs. 5 S. 2, 2. Hs. und Abs. 6 S. 2, 2. Hs. GG ausdrücklich kraft positiven Rechts verpflichtet, die „gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes" zu wahren. Hierzu zählt ebenfalls die Wahrung der Belange und Inter-

691

Siehe hierzu oben, Teil 3, Kap. II.2 a), S. 170 ff. So auch Joos/Scheurle, EuR 1989, 226 (234); Ossenbühl, DVB1. 1993, 629 (632); Streinz schätzt die Berufung auf das Bundesstaatsprinzip hingegen als erfolgversprechender ein, vgl. ders., Bundesverfassungsgerichtliche Kontrolle, S. 68. 693 Vgl. die Antragsschrift, wiedergegeben in BVerfGE 92, 203 (218 ff.), einerseits, und die Entscheidung des BVerfG (S. 226 ff.) andererseits. Das BVerfG hat nur die Art. 30 und 70 GG i.V.m. dem Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens herangezogen. An anderer Stelle im selben Urteil hat das Gericht indessen vor einer schrittweise sich ausdehnenden Inanspruchnahme der Gemeinschaftskompetenzen gewarnt, die Länderrechte beeinträchtigen könne, vgl. BVerfG, S. 239. 694 Zur Grundentscheidung für das Bundesratsprinzip siehe oben, Teil 2, Kap. II.l., S. 79 ff. 695 So Lang, S. 267; ebenfalls in diesem Sinne Rengeling/Middeke/Gellermann, Rdnr. 1062. 696 Zur Unhaltbarkeit des Gedankens der „Organleihe" siehe bereits oben, S. 175 ff. 692

VI. Justitiabilität und Rechtsschutz

305

essen der Gliedstaaten im Bund 697 . Ergänzend kann der „Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens" herangezogen werden. Wie das Bundesverfassungsgericht zutreffend ausgeführt hat, sind die Länder nämlich selbst nicht in der Lage, ihren Kompetenzbereich auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft vor Übergriffen zu schützen698. Die stufenweise Intensivierung der Mitwirkungsrechte des Bundesrates nach Art. 23 Abs. 4 bis 6 GG am Maßstab der Betroffenheit der Länder in ihren Gesetzgebungsbefugnissen belegt, daß Art. 23 GG den Bereich der Gesetzgebungsbefugnisse der Länder als besonders schützenswertes Interesse anerkennt. Erklärtermaßen hat der Gesetzgeber mit der Einfügung des Art. 23 GG das Ziel verfolgt, den Ländern über die Mitwirkung durch den Bundesrat eine gewisse, wenn auch nicht kongruente Kompensation für Eingriffe in den Bereich ihrer Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen durch Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft zu verschaffen; insbesondere sollten weitere Verschiebungen der Gewichte zwischen Bund und Ländern aufgrund des europäischen Einigungsprozesses vermieden werden 699 . Wenn Art. 23 GG somit zumindest auch dem Schutz der Interessen der Länder zu dienen bestimmt ist und die Organe des Bundes insoweit in die Pflicht genommen werden, muß den Ländern auch eine prozessuale Möglichkeit der Verteidigung der ihnen hierdurch eingeräumten Rechtsposition zugebilligt werden. Ein Bedürfnis hierfür besteht um so mehr, als aufgrund des für das Bundesratsverfahren geltenden Mehrheitsprinzips und des damit einhergehenden Zwangs zur Einigung den einzelnen Ländern die Möglichkeit der Verteidigung ihrer individuellen Interessen fehlt, was besonders im Fall des Überstimmt-Werdens Bedeutung erlangt. Zwar dienen die Vorschriften des Grundgesetzes, die sich mit der Kompetenzverteilung befassen, in aller Regel nur den Interessen der jeweiligen Kompetenzträger. Im Rahmen des Art. 23 GG ist dies jedoch anders, da die Mitwirkung des Bundesrates erklärtermaßen in besonderer Weise den Interessen der Länder dienen und deren mangelnde Möglichkeit zu eigener Mitwirkung kompensieren soll. Aus diesen Gründen liegt es nahe, auch im Rahmen von § 64 BVerfGG auf den Rechtsgedanken der „Schutznormlehre" zurückzugreifen, der bei der Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO eine maßgebliche Rolle spielt. Danach ist die Klagebefugnis bei Verstößen gegen Rechtssätze bereits dann zu bejahen, wenn der betreffende Rechtssatz zumindest auch dem Schutz von Individualinteressen zu dienen bestimmt ist 700 . Den Ländern ist daher jedenfalls eine Antragsbefugnis im Hinblick auf die Einhaltung der Mitwir-

697 Zum Merkmal der „gesamtstaatlichen Verantwortung des Bundes" siehe oben, Teil 2, Kap. III.4. c), S. 116 ff. 698 BVerfGE 92, 203 (231). 699 So der Bericht der GVK, S. 39 und 43. Vgl. auch die Begründung des Regierungsentwurfs zur Änderung des Art. 23 GG, BT-Drs. 12/3339, S. 6: Die Mitwirkung über den Bundesrat trage der „Länderstaatlichkeit" Rechnung. 700 Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rdnr. 71 ff., 83 ff. 20 Halfmann

306

Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

kungsrechte des Bundesrates und des Verfahrens des Art. 23 GG i.V.m. den Ausfuhrungsvorschriften insgesamt zuzubilligen. In Konsequenz der Zielrichtung des Art. 23 GG, die auch den Schutz der Interessen der Länder als Gliedstaaten des Bundes umfaßt, muß den Ländern aber auch die Möglichkeit eingeräumt werden, unabhängig von der Einhaltung des Bundesratsverfahrens eine vermeintliche Verletzung ihrer eigenen Interessen geltend zu machen. Eine solche Situation kann dann auftreten, wenn einzelne Länder von der im Bundesrat vertretenen Mehrheitsauffassung abweichen und überstimmt werden, das Verfahren nach Art. 23 GG ansonsten aber fehlerfrei durchgeführt wird. Das Bundesverfassungsgericht hat eine solche Möglichkeit ausdrücklich offengelassen 701. Soweit die Länder sich auf Interessen berufen, die in ihrer Rechtsstellung als eigene Staaten begründet sind, gilt weder das Bundesratsverfahren, noch wäre unter den Ländern die Vereinbarung eines Mehrheitsprinzips als Abstimmungsmodus zulässig702. Die vom Grundgesetz vorgesehene Verteilung der Kompetenzen ist zwingend und gestattet weder einen Verzicht oder eine Delegation noch etwa die Einräumung wechselseitiger Zuständigkeiten703. Mögliche Ansprüche der Länder aus ihrem eigenen Rechtskreis sind daher auch nicht durch das Bundesratsverfahren abgeschnitten. Freilich müßte ein Land, das sich auf seine eigene Rechtsstellung als Gliedstaat des Bundes beruft und unabhängig von der Einhaltung des Bundesratsverfahrens einen Bund-Länder-Streit einleiten will, eine solche Verletzung oder Gefährdung seiner Rechte konkret dartun. Während dies bei einer Verletzung der Verfahrensregeln des Art. 23 GG im Verhältnis zwischen Bundesregierung und Bundesrat stets anzunehmen ist, da das Grundgesetz davon ausgeht, daß die Einhaltung des in Art. 23 GG vorgesehenen Verfahrens auch im Interesse der einzelnen Länder erfolgt, dürfte die Geltendmachung einer eigenen Rechtsverletzung außerhalb des Bundesrats Verfahrens durch ein einzelnes Land nach dem oben Gesagten nur schwer zu begründen sein.

(d) Die Verletzung oder unmittelbare

Gefahrdung

eigener Rechte

§ 64 BVerfGG verlangt darüber hinaus, daß der Antragsteller geltend machen kann, daß er durch die streitige Maßnahme oder Unterlassung in seinen grundgesetzlichen Rechten und Pflichten verletzt oder zumindest unmittelbar gefährdet ist. Eine „unmittelbare Gefährdung" i.S.d. § 64 BVerfGG wird erst dann bejaht, wenn die Rechtsverletzung, sofern der beanstandeten Maßnahme

701

BVerfGE 92, 203 (234). BVerfGE 1, 299 (315); 41, 298 (308); Stern,, StaatsR I, S. 758. 703 GGK-Gubelt, Art. 30 Rdnr. 21; SGK-Degenhart, Art. 30 Rdnr. 11 f; Fastenrath, Kompetenzverteilung, S. 136 ff. 702

VI. Justitiabilität und Rechtsschutz

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nicht entgegengetreten wird, mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten steht und diese sich bereits in sachlicher wie zeitlicher Hinsicht so weit konkretisiert hat, daß eine konkrete Streitigkeit vorliegt 704 . Berufen sich die Länder auf eine Gefährdung ihrer Interessen aufgrund eines drohenden Erlasses eines EGRechtsaktes, bedeutet dies, daß sowohl der Inhalt des Vorschlags als auch dessen Verabschiedung mit hinreichender Sicherheit feststehen müssen, bevor darauf bezogene Maßnahmen oder Unterlassungen der Bundesorgane von den Ländern gerichtlich angegriffen werden können 705 . Die Beratungsdauer eines Richtlinienvorschlags erstreckt sich nicht selten über mehrere Jahre 706, ohne daß zu Beginn konkret abzusehen ist, ob und mit welchem Inhalt die vorgeschlagene Richtlinie überhaupt verabschiedet wird. Handlungen der Bundesregierung, wie Beschlüsse zu Stellungnahmen des Bundesrates über die einzunehmende Verhandlungsposition, die vor einer sich bereits abzeichnenden Schlußabstimmung im Rat erfolgen oder die - im Fall des „Α-Punkte"-Verfahrens 707, bei dem der Zeitpunkt entsprechend vorverlegt werden muß - vor der Herstellung des Einvernehmens über die dem AStV zuzuleitende Beschlußvorlage liegen, könnten daher mangels „Unmittelbarkeit" der Gefährdung kaum je einen zulässigen Gegenstand eines Bund-Länder-Streits oder auch Organstreitverfahrens bilden 708 .

(2) Klageziel Nach § 69 i.V.m. § 67 BVerfGG ist der Antrag wie im Organstreitverfahren auf die Feststellung durch das Bundesverfassungsgericht gerichtet, daß die Handlungen oder Unterlassungen der Bundesregierung bei der Willensbildung oder Außenvertretung des Bundes mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sind. Auch die Entscheidung einer für die Auslegung des Grundgesetzes erheblichen Rechtsfrage aus Anlaß der Streitigkeit wäre möglich 709 . Im Verfahren im Streit um die Rundfunkrichtlinie hat die Bayerische Staatsregierung zudem eine Feststellung durch das Bundesverfassungsgericht beantragt, daß die für kompetenzwidrig erachtete Rundfunkrichtlinie wegen Verstoßes gegen Art. 30 GG i.V.m. Art. 23 Abs. 1 GG im Bereich der Bundesrepublik Deutschland und damit im 704

So Benda/Klein, Rdnr. 955. Zur Rechtserheblichkeit der Akte deutscher Mitwirkung im Rat, vgl. eingehend Streinz; Bundesverfassungsgerichtliche Kontrolle, S. 36 ff. 706 Vgl. Siedentopf/Hausschild\ sowie die Darstellung über die Eigenheiten des „Verhandlungsregimes" oben, Teil 3, Kap. IV.3. b), S. 258 ff. 707 Siehe oben, Teil 1, Kap. V, Fußn. 199 und Teil 2, Kap. IV, Fußn. 283. 708 Vgl. insoweit BVerfGE 92, 203 (243). Das BVerfG hat die Beschlüsse der Bundesregierung im Hinblick auf die Rundfunkrichtlinie, bevor deren Inhalt und Verabschiedung hinreichend sicher feststand, mangels unmittelbarer Gefährdung als noch nicht angreifbar betrachtet. 709 Vgl. die Ausführungen unter a) zum Organstreitverfahren. 705

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Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

Bereich des Freistaates Bayern als nicht anwendbares Recht zu behandeln sei (Antrag Nr. 3a), sowie hilfsweise, den Bund zu verpflichten, gegenüber dem Freistaat Bayern anzuerkennen, daß die Richtlinie im Geltungsbereich der Bundesrepublik Deutschland und damit im Bereich ihres Bundeslandes nicht anwendbar sei (Antrag Nr. 3b) 710 . Die hierauf gerichteten Anträge hat das Bundesverfassungsgericht zutreffend als unzulässig verworfen 711 . Der Antrag zu 3a) hatte die Klärung einer abstrakten Rechtsfrage zum Gegenstand, nicht aber eine Entscheidung über eine „Maßnahme" im Bund-Länder-Verhältnis. Auch über § 67 S. 3 BVerfGG lassen sich keine abstrakten Rechtsfragen in ein Bund-Länder-Streitverfahren einbezie" hen 712 . Mit dem Hilfsantrag zu 3b) wurde zwar die Entscheidung über eine „Maßnahme" i.S.d. § 64 BVerfGG begehrt, insoweit fehlte es jedoch an dem Merkmal einer Rechtsverletzung oder -gefährdung durch ein Verhalten oder Unterlassen des Bundes713. Im übrigen wäre der Bund rechtlich nicht zu einer verbindlichen Feststellung befugt, eine von der Europäischen Gemeinschaft erlassene Richtlinie sei als „nicht anwendbares" Recht zu behandeln. Für die Frage der Auslegung und Anwendung von Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft ist nach Art. 164 EGV grundsätzlich nur der Europäische Gerichtshof zuständig. Obwohl das Bundesverfassungsgericht einen grundrechtlichen und staatsrechtlichen „Auffangvorbehalt" angebracht hat 714 , hat es eine Überprüfung von EG-Rechtsakten auf ihre Rechtmäßigkeit bislang noch in keinem Fall vorgenommen oder vornehmen müssen715.

(3) Parteifähigkeit § 68 BVerfGG bestimmt, daß als Antragsteller nur die jeweiligen Regierungen des Bundes oder des Landes in Frage kommen. Vertreten wird allerdings, daß bei einem Streit um Gesetzgebungsbefugnisse auch den Parlamenten die

710

BVerfGE 92, 203 (216). BVerfGE 92, 203 (228). 712 Vgl. Benda/Klein, Rdnr. 904, 975. 713 BVerfGE 92, 203 (216). 714 Vgl. BVerfGE 89, 155 (Ls. 5 S. 3, Ls. 7 S. 3 [„Kooperationsverhältnis" zum EuGH], S. 188, 195, 210). Vgl. hierzu: Everling, in: Gedächtnisschrift für Grabitz, 57 (66 ff.); Pernice , in: Gedächtnisschrift für Grabitz, 523 (527 ff.). 715 Vgl. BVerfGE 22, 293 ff.; 31, 173 ff.; 37, 271 ff. („Solange I-Beschluß"); 52, 187 ff. („Vielleicht-Beschluß"); 58, 1 ff. („Eurocontrol"); 59, 63 ff. (nochmals „Eurocontrol"); 73, 339 ff. („Solange II-Beschluß"); NJW 1990, S. 974 ff.; 89, 155 ff. („Maastricht-Urteil"). Weder der EG noch dem EuGH kann eine Kompetenz zu einer Überschreitung der Grenzen des Art. 79 Abs. 3 GG übertragen werden. Aus diesem Grunde muß es insoweit bei der Zuständigkeit des BVerfG verbleiben, so: Everling, in: Gedächtnisschrift für Grabitz, 57 (70 ff.). 711

VI. Justitiabilität und Rechtsschutz

309

Parteifähigkeit zugebilligt werden müsse716. § 68 BVerfGG hat, wie sich aus der Gesetzesbegründung ergibt, nur die Exekutivstreitigkeiten im Auge gehabt717. Aus dem Wortlaut des Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG und § 68 BVerfGG folgt indes, daß Parteien des Rechtsstreits nur der Bund und das jeweilige Land selbst sind. Im Gegensatz zum Organstreitverfahren, das die Wahrung der spezifischen Organkompetenzen bezweckt, stehen sich im Bund-Länder-Streit der Bund und das Land oder die Länder als Parteien im Außenverhältnis gegenüber. Bund und Länder sind aber selbst nicht prozeßfähig und deshalb auf eine Vertretung durch ihre Organe angewiesen718. § 68 BVerfGG geht davon aus, daß insoweit die jeweiligen Regierungen des Bundes oder des Landes die Rechtsposition ihrer Verbände am effektivsten verteidigen können 719 . Eine Notwendigkeit, den Kreis der Parteifähigkeit auf andere Bundes- oder Landesorgane als die Regierung auszudehnen, besteht deshalb nicht.

c) Der Bund-Länder-Streit nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG zwischen einzelnen Ländern und dem Bundesrat Wie oben bereits angedeutet, kann auch die Situation auftreten, daß ein oder mehrere Länder im Bundesrat überstimmt werden. Sofern zwischen Bundesregierung und Bundesrat Einvernehmen bei ihrem Vorgehen herrscht und die Verfahrens· und Beteiligungsregeln des Art. 23 GG im übrigen nicht verletzt werden, stellt sich die Frage, ob ein einzelnes Bundesland seine abweichende Auffassung im Wege eines Verfassungsrechtsstreits auch gegen den Bundesrat durchsetzen könnte. Auch der Bundesrat hat im Rahmen der ihm durch Art. 23 GG eingeräumten Kompetenzen bei der Willensbildung und Außenvertretung als Organ des Bundes die Interessen der Länder zu berücksichtigen. Insoweit ist nicht nur die Bundesregierung, sondern auch der Bundesrat Sachwalter der Interessen - nicht aber der Kompetenzen der Länder 720 . Wie oben zur Antragsbefugnis der Länder unter b) gesagt, besitzen die Länder nicht nur ein berechtigtes Interesse an der Einhaltung des Bundesratsverfahrens, sondern sie können sich auch auf ihre rechtliche Stellung als Gliedstaaten im Bund berufen. Insoweit können einzelne Länder und der Bundefcrat in einem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis mit wechselseitig zu beachtenden Rechten und Pflichten zueinander stehen, das grundsätzlich einen zulässigen Verfahrensgegenstand des Bund-Länder-Streits i.S.v. Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG und § 13 Nr. 7 BVerfGG

716 717 718 719 720

Pestalozza, § 9 Rdnr. 9. So in der Tat die Gesetzesbegründung, vgl. Pestalozzi § 9 Rdnr. 9. So Benda/Klein,, Rdnr. 985, 986. Benda/Klein, Rdnr. 986. Zur Sachwalterpflicht vgl. bereits oben, Teil 2, Kap. III, Fußn. 173.

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Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

bilden kann 721 . Als angreifbare Maßnahme i.S.v. § 64 BVerfGG, der über § 69 BVerfGG auch im Verfahren des Bund-Länder-Streits Anwendung findet, kommen vor allem die Beschlüsse des Bundesrates über die nach Art. 23 Abs. 5 GG abzugebenden Stellungnahmen in Betracht sowie Beschlüsse bezüglich der Weisungen an den Vertreter der Länder nach § 45i GO-BR, aber auch das Stimmverhalten des Ländervertreters im Falle der Außenvertretung. Im übrigen würden die Voraussetzungen der Zulässigkeit eines Bund-Länder-Streits zwischen einzelnen Ländern und dem Bundesrat den unter b) genannten Voraussetzungen eines Streits mit der Bundesregierung entsprechen. Eine Verletzung oder unmittelbare Gefährdung der Rechtspositionen eines einzelnen Landes durch Beschlüsse oder Handlungen des Bundesrates darzulegen, wäre hier allerdings noch schwieriger als bei der Bundesregierung, da der Bundesrat bei seiner Mitwirkung im Rahmen der Willensbildung nach Art. 23 Abs. 5 und 6 GG keinen „bestimmenden" Einfluß auf das jeweilige Verhandlungsergebnis hat. Die Bundesregierung steht dem letztlich erzielten Verhandlungsergebnis und dem zu erlassenden Rechtsakt aufgrund ihres größeren Einflusses erheblich näher als der Bundesrat. Es wäre deshalb zweifelhaft, ob und unter welchen Voraussetzungen Beschlüsse des Bundesrates im Verlauf der Beratungen eines Rechtsakts auf EG-Ebene überhaupt zu einer „unmittelbaren Gefährdung" der Interessen des betroffenen Landes führen könnten.

2. Fragen der Begründetheit a) Der Prüfungsmaßstab und die verfassungsgerichtliche

Kontrolldichte

Zumeist wird gesagt, daß die neuen Beteiligungsrechte angesichts ihrer Kompliziertheit „kaum justitiabel" seien722. Relativ breiten Raum im Schrifttum nimmt darüber hinaus die Frage ein, inwieweit die sog. „Auswärtige Gewalt" der verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterworfen werden könne 723 . Damit ist indes nicht gemeint, daß eine Kontrolle durch das Verfassungsgericht schlechthin nicht stattfinden könnte. Wie oben zur Zulässigkeit gezeigt, stehen verschiedene Antragsverfahren zur Überprüfung möglicher Streitigkeiten im Rahmen des Art. 23 GG zur Verfügung. Wenn die „Justitiabilität" von Handlungen im Bereich der „auswärtigen Gewalt" problematisiert wird, handelt es sich aufgrund des Bekenntnisses des Grundgesetzes zur Rechtsstaatlichkeit und der Stellung des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 92 und 93 GG i.V.m. § 1 721

Benda/Klein, Rdnr. 981. Vgl. etwa Classen , ZRP 1992, 57, (59); GGK-Rojahn, Art. 23 Rdnr. 79. Zur Rechtslage nach Art. 2 EEAG: Joos/Scheurle, EuR 1989, 226 (234). 723 Vgl. hierzu: Blumenwitz, BayVBl. 1996, S. 577 ff.; Kokott, DVB1. 1996, S. 937 ff.; Schuppen, S. 159 ff.; Stern, NWVB1. 1994, S. 241 ff. 722

VI. Justitiabilität und Rechtsschutz

311

BVerfGG als „allen übrigen Verfassungsorganen gegenüber selbständiger und unabhängiger Gerichtshof des Bundes" weniger um eine Frage des abstrakten „Ob", eines Judical activism" oder eines Judical restraint". Vielmehr geht es um die Frage des konkreten „Wie", nämlich ob verfassungsrechtliche Normen für eine Überprüfung existieren und inwieweit deren Regeîungsintensitât reicht 724 . Prüfungsumfang und -tiefe hängen entscheidend von den in der Verfassung selbst ausdrücklich vorhandenen oder im Wege der Interpretation zu ermittelnden rechtlichen Maßstäbe für den betreffenden Sachverhalt ab 725 . So hat das Bundesverfassungsgericht bereits frühzeitig die Auffassung verworfen, daß Akte der auswärtigen Gewalt in Anlehnung an die „political-question"Doktrin des amerikanischen Supreme Court 726 nicht seiner Zuständigkeit und Kontrolle unterlägen 727. Besteht für die zu entscheidende Frage eine verfassungsrechtliche Norm, so hat das Bundesverfassungsgericht diese anzuwenden, mag es sich auch um Angelegenheiten hochpolitischer Natur handeln728. Das Gericht war allerdings stets darauf bedacht, nicht selbst aktiv in die Außenpolitik einzugreifen, indem es der Regierung fur den Bereich ihres außenpolitischen Handelns regelmäßig einen breiten Spielraum politischer Wertungen und Prognosen zuerkannt hat, sofern nicht die Grenze der offensichtlichen Willkür überschritten war 729 . Da mit Art. 23 GG eine verfassungsrechtliche Norm über die Kompetenzverteilung zwischen den Organen des Staates für die Wahrnehmung der Angelegenheiten der Europäischen Union vorhanden ist, kann kein Zweifel bestehen, daß die Einhaltung der entsprechenden Vorgaben einer Rechtskontrolle durch das Bundesverfassungsgericht unterliegt. Soweit die Regelungen nicht genuin außenpolitische Fragen betreffen, die eine Einschätzungsprärogative der Bundesregierung bedingen, ist die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte auch nicht etwa eingeschränkt. Der Integrationsauftrag des Art. 23 Abs. 1 GG geht zwar offensichtlich von einem weiten politischen Gestaltungsermessen der Bundesregierung aus. Dieser wird jedoch zum einen in Satz 1 einem „Maßgabevorbehalt" unterworfen 730, und zum anderen enthält Art. 23 Abs. 2 bis 6 GG eine

724

Vgl. Stern, NWVB1. 94, 241 (244); ders., in: StaatsR III/2, S. 1706 ff., mit Nachweisen zur Rspr. des BVerfG. Ähnlich Benda, IP 1995, 39 (40). 725 Stern, NWVB1. 94, 241 (244). Vgl. auch Hailbronner, VVDStRL Bd. 56 (1997), 7(13 ff.). 726 Vgl. hierzu Stern, NWVB1. 94, 241 (244), m.w.N.; ders., in: StaatsR II, S. 961 f. 727 BVerfGE 1, 396 (410 f.); 4, 157 (162). Vgl. auch Benda, IP 1995, S. 39 ff. 729 Stern, StaatsR II 1/2, S. 1711. 729 Vgl. Benda, IP 1995, 39 (43 ff.); Blumenwitz, BayVBl. 1996, 577 (579); Hailbronner, VVDStRL Bd. 56 (1997), 7 (19 ff.); Kokott, DVBl. 1996, 937 (946, 948); Stern, NWVB1. 94, 241 (249); ders., in: StaatsR III/2, S. 1704 ff., jeweils mit Beispielen und Nachweisen zur Rspr. des BVerfG. 730 Vgl. oben, Teil 2, Kap. I, Fußn. 3.

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Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

konkrete und detaillierte Regelung der Kompetenzverteilung der beteiligten Bundesorgane. Im Hinblick auf die Wahrung gegenseitiger Kompetenzen, sei es auf der Ebene des Bundes oder im Bund-Länder-Verhältnis, billigt das Bundesverfassungsgericht den beteiligten Kompetenzträgern auch keinerlei Ermessensspielräume zu 731 . In der Hauptsacheentscheidung zur Rundfunkrichtlinie hat das Bundesverfassungsgericht keinen Zweifel daran aufkommen lassen, daß die Regelungen der horizontalen und vertikalen Kompetenzverteilung im Bundesstaat eine strikte Beachtung verlangen und seiner nachträglichen Kontrolle unterliegen. Der bisweilen für den außenpolitischen Bereich angewendeten „Annäherungstheorie" hat es eine deutliche Absage erteilt 732 : „... Es ist ihr (gemeint: die Bundesregierung, Anm. d. Verf.) nicht erlaubt, sich über die gemeinsame Auffassung von Bund und Ländern, daß es für die beabsichtigte Regelung ganz oder teilweise an einer Gemeinschaftskompetenz fehle, hinwegzusetzen, wenn sie glaubt, in Sachverhandlungen auf Gemeinschaftsebene einen gemeinschaftsrechtlich nicht zu rechtfertigenden Eingriff in die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder immerhin mildern zu können; es hat ihr vielmehr darum zu gehen, ihn zu vermeiden. Auch die tatsächliche Möglichkeit, in Sachverhandlungen auf Gemeinschaftsebene einen Kompromiß über den Inhalt des Gemeinschaftsrechts zu erzielen, der den Vorstellungen der Länder über den sachlichen Gehalt einer Regelung der betreffenden Materie entgegenkommt, rechtfertigt es noch nicht, sich über die gemeinsame Auffassung vom Fehlen einer Gemeinschaftskompetenz hinwegzusetzen" 733 .

Lediglich soweit keine konkreteren verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Wahrnehmung einer Angelegenheit der Europäischen Union durch die Bundesregierung bestehen, kann es bei ihrem weiten integrations- und außenpolitischen Ermessen verbleiben, welches ihr im Rahmen des Integrationsauftrags nach Art. 23 Abs. 1 GG zusteht. Im übrigen aber unterliegt die Einhaltung der Art. 23 Abs. 2 bis 6 GG der vollen Kontrolle des Bundesverfassungsgerichts.

b) Die Problematik der unbestimmten Rechtsbegriffe im Rahmen des Art. 23 GG Trotz der grundsätzlich unbeschränkten verfassungsgerichtlichen Kontrolldichte sind damit die Probleme der Auslegung und Anwendung des Art. 23 GG nicht gelöst. Es leuchtet ein, daß die verschiedenen Varianten der Mitwirkung des Bundesrates nach Art. 23 Abs. 4 bis 6 GG keine nennenswerten Streitigkeiten aufvverfen, soweit über die Einordnung eines EG-Vorhabens zwischen

731

Vgl. Kokott, DVB1. 1996, 937 (948). Anders hingegen für das Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz, vgl. die Anmerkungen oben, Kap. IV, in Fußn. 554. 733 BVerfGE 92, 203 (236). 732

VI. Justitiabilität und Rechtsschutz

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Bundesregierung und Bundesrat Einvernehmen besteht734. Diese Fallkonstellation lag letztlich auch der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Fernsehrichtlinie zugrunde. Die Besonderheit dieser Entscheidung lag darin, daß die Bundesregierung sich einseitig über eine zuvor gemeinsam gebildete Auffassung zwischen Bund und Ländern hinwegsetzen wollte. Die zwischen Bundesregierung und Bundesrat im Rahmen des Art. 23 GG streitigen Fälle sind jedoch überwiegend diejenigen, in denen aufgrund der wertenden Formulierungen, wie „im Schwerpunkt", „insoweit", „betroffen", „maßgeblich zu berücksichtigen", „gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes", die zudem noch kumulativ verwendet werden, eine objektive und klare Kompetenzabgrenzung kaum möglich ist. Als herausragendes Beispiel mag insbesondere die Formulierung des Absatzes 6 „unter Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung" dienen, die schon im Verlauf ihrer Entstehung als „sibyllinisch" bezeichnet worden ist 735 . Die Aussage, daß Art. 23 GG mit politischen Kompromißformeln überfrachtet worden sei, denen es an der nötigen juristischen Trennschärfe ermangelt, ist daher ganz und gar zutreffend 736. Sofern ein Kompromiß unter den Beteiligten bei der praktischen Anwendung der Norm scheitert oder die Länder aus eigenem Recht das Bundesverfassungsgericht anrufen, wird das Bundesverfassungsgericht nicht umhin können, eine volle gerichtliche Überprüfung der unbestimmten Rechtsbegriffe vornehmen zu müssen und den Einzelfall „durchzuentscheiden". Das Bundesverfassungsgericht würde hierdurch in ein nur schwer auflösbares Dilemma gebracht werden: Zum einen ist die Kompetenzordnung des Grundgesetzes im Bund-Länder-Verhältnis sowie auf der horizontalen Ebene der Bundes bindend und verlangt von allen beteiligten Organe eine strikte Beachtung. Eine „bewegliche Zuständigkeit" 737 im Sinne einer Zuständigkeit „nach Ermessen" wäre mit dem grundgesetzlichen Prinzip der Gewaltenteilung nicht vereinbar. Eine der Hauptfunktionen des Gewaltenteilungsprinzips ist es gerade, eine rationale, klare Trennung und Zuordnung der Funktionen zu den verschiedenen Funktionsträgern zu garantieren, um auf diese Weise auch eine klare und eindeutige Zuordnung von Verantwortung zu ermöglichen 738. Zwar hat das Bun-

734 Dieser Befund wird durch die praktischen Erfahrungen bestätigt, vgl. hierzu das vorangegangene Kapitel V, S. 283 ff. 735 Hirsch, Sten. Prot, der 8. Sitzung der GVK v. 26.6.1992, S. 20. 736 Herdegen, EuGRZ, 92, 589 (593). 737 Dies gilt für die Amts- und Landgerichte in Strafsachen. Deren Zuständigkeit hängt nach § 24 Abs. 1 Nr. 3 und § 74 Abs. 1 S. 2 GVG von der Einschätzung der Staatsanwaltschaft ab, ob dem Fall eine „besondere Bedeutung" zukommt. Zur Problematik dieser Regelungen vgl. BVerfGE 9, S. 223 ff., sowie Kleinknecht/Meyer-Goßner, Strafprozeßordnung, 42. Aufl., München 1995, § 24 GVG Rdnr. 5 ff. 738 Siehe hierzu im einzelnen bereits oben, Teil 3, Kap. IV. 1. a), S. 239 ff. Vgl. auch Rengeling, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. IV, § 100 Rdnr. 12.

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Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

desVerfassungsgericht selbst von diesen Grundsätzen im Hinblick auf die Auslegung und Anwendung der „Bedürfhisklausel" in Art. 72 Abs. 2 GG a.F. eine erstaunliche Ausnahme gemacht, indem es dem Bundesgesetzgeber ein weites, gerichtlich nur beschränkt überprüfbares Ermessen zugebilligt hatte 739 . Allerdings ist dieser „Rückzug der Kontrolldichte" des Bundesverfassungsgerichts wie die Entscheidung zur Rundfunkrichtlinie belegt - weder in der Theorie noch in der Praxis auf die Zusammenarbeit von Bund und Ländern und der Bundesorgane in den Angelegenheiten der Europäischen Union übertragbar. Durch die Neufassung des Art. 72 Abs. 2 GG und die Einfügung des Art. 93 Abs. 1 Nr. 2a GG 7 4 0 hat der Gesetzgeber überdies versucht, die Einhaltung der Kompetenzordnung im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz wieder justitiabel zu gestalten und der zuvor erwähnten Entwicklung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entgegenzuwirken 741. Die Absicht des Gesetzgebers, die in der Fassung des Art. 23 GG zum Ausdruck kommt, nämlich die Kompetenzabgrenzung für alle denkbaren Alternativen im Detail festzulegen, spricht ebenfalls gegen eine Beschränkung der verfassungsgerichtlichen Kontrolldichte auf eine bloße „Mißbrauchskontrolle". Folglich muß die Beachtung der wechselseitigen Kompetenzen im Rahmen des Art. 23 GG grundsätzlich einer unbeschränkten gerichtlichen Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht unterliegen. Zum anderen fehlt es aber im Rahmen des Art. 23 GG auf der Tatbestandsseite an klaren und griffigen rechtlichen Maßstäben für eine Entscheidung. In Anbetracht der Kumulation von wertenden, unbestimmten Rechtsbegriffen in Art. 23 Abs. 5 und 6 GG besteht die Gefahr, daß das Bundesverfassungsgericht in die Rolle des „politischen Schiedsrichters" gedrängt wird 7 4 2 , der versuchen muß, mit salomonischen Billigkeitserwägungen die Balance zwischen Bund und Ländern zu wahren. Erschwerend kommt hinzu, daß die „Detailverliebtheit" des Art. 23 GG dazu nötigt, jeden einzelnen Fall trennscharf und bis ins einzelne zu untersuchen, so daß dem Bundesverfassungsgericht voraussichtlich auch die Möglichkeit verwehrt ist, zu abstrahieren und allgemeingültige Kriterien für zukünftige Streitfälle zu entwickeln. Betrachtet man die Regelung des Art. 23 GG unter dem Blickwinkel des Rechtsschutzes, so erweist sich die unter Durchbre739

St. Rspr., vgl. BVerfGE 1, 264 (272 f.); 2, 213 (224 f.); 4, 115 (127); 10, 234 (245 f.); 13, 230 (233 f.); 26, 338 (382 f.); 33, 224 (229); 34, 9 (39); 39, 96 (114 f.); 65, 1 (63); 65, 283 (289); 67, 299 (327); 78, 249 (270). In der Literatur ist die Rspr. zu Recht auf erhebliche Kritik gestoßen: Vgl. Scholz, in: BVerfG und GG, 252 (260 ff.); Stern, StaatsR I, S. 679, Fußn. 203; ders., StaatsR II, S. 596 ff. Zuletzt: Callies, DÖV 1997, 889 (893 ff.), m.w.N. 740 42. G zur Änderung des Grundgesetzes v. 27.10.94, BGBl. I S. 3146. 741 Vgl. Bericht der GVK, S. 65 f. Ob diese Änderungen in der Rechtsprechung des BVerfG zukünftig „anschlagen", wird in der Literatur zurückhaltend beurteilt, vgl. Callies, DÖV 1997, 889 (896 ff.), m.w.N. 742 Diese Gefahr sieht auch Starck, in: FS für Remmers, 159 (167).

VI. Justitiabilität und Rechtsschutz

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chung des Art. 23 Abs. 4 GG vorgenommene partielle Abkehr vom innerstaatlichen Modus der strikten Kompetenzverteilung durch die Verwendung von wertenden und unbestimmten Rechtsbegriffen, die noch dazu „hintereinandergeschaltet" sind, geradezu als fatal. Dem potentiellen Nutzen einer verfassungsgerichtlichen Klärung der gegenseitigen Kompetenzen stehen auf Seiten des rechtsschutzsuchenden Antragstellers - voraussichtlich der Bundesrat oder die Länder - ein unkalkulierbares Prozeßrisiko sowie ein ebenso nicht abschätzbares Risiko der außen- und innenpolitischen Auswirkungen eines solchen Rechtsstreits gegenüber. Die beschriebenen Unklarheiten wirken darüber hinaus auf die Staatspraxis zurück, in der die Streitpunkte zuerst auftreten, und können nur zu einer Verunsicherung der jeweiligen Kompetenzträger führen. Die diesbezüglichen Nachteile sind oben bereits geschildert worden 743 . Dies mag einen Grund dafür darstellen, daß sich die Bundesregierung, der Bundesrat und die Länder bislang bemüht haben, ihre bisweilen unterschiedlichen Standpunkte im Zusammenhang mit der Anwendung den neuen Regelungen des Art. 23 GG nicht auf die Spitze zu treiben und eine Einigung in der Sache zu suchen. Verfassungsrechtlich vermag dieser Zustand jedoch auf Dauer nicht zu befriedigen. Es bleibt abzuwarten, wie das Bundesverfassungsgericht im Falle eines Antrags eines Bund-Länder-Streits oder eines Organstreitverfahrens auf die neuen Herausforderungen, die Art. 23 GG an die verfassungsgerichtliche Kontrolle stellt, reagieren wird.

3. Die Möglichkeit der einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG Im Organstreitverfahren und im Verfahren des Bund-Länder-Streits kann nur nachträglich die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit von behaupteten Verstößen gegen die Kompetenzordnung festgestellt werden. Oftmals wird aber ein Interesse der Länder oder des Bundesrates bestehen, bereits während der Beratungen einer Angelegenheit der Europäischen Union ihre Mitwirkungsrechte wirksam durchzusetzen. Damit könnte vermieden werden, daß ein EG-Rechtsakt mit einem für sie unerwünschten Inhalt zustande kommt. Um die Beteiligungsrechte des Bundesrates und der Länder im Ergebnis wirksam durchzusetzen, bietet sich einzig die Möglichkeit einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG an.

743

Siehe oben, Teil 3, Kap. V.2. a), S. 286 ff.

316

Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht a) Verfahrensvoraussetzungen

Eine einstweilige Anordnung kann in allen Verfahrensarten beantragt werden, in denen das Bundesverfassungsgericht nach § 13 BVerfGG zuständig ist, also auch im Organstreitverfahren und im Bund-Länder-Streit 744. Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung setzt auch nicht eine Anhängigkeit der Hauptsache voraus, kann also bereits sofort gestellt werden 745 . Das entsprechende Hauptsacheverfahren darf indes nicht evident unzulässig sein, etwa wegen einer fehlenden Antragsbefugnis oder einer fehlenden Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts 746. Des weiteren darf der Erlaß einer einstweiligen Anordnung grundsätzlich nicht zur Vorwegnahme der Entscheidung in der Hauptsache fuhren 747 . Ausnahmsweise ist der Antrag aber dann zulässig, wenn der Antragsteller in anderer Weise keinen ausreichenden Rechtsschutz mehr erlangen könnte 748 . Die Zulässigkeit eines Antrags auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung würde im Vergleich mit der Zulässigkeit eines entsprechenden Hauptsacheverfahrens ansonsten keine besonderen Probleme aufwerfen. So könnte im Wege der einstweiligen Anordnung vom Bundesrat oder den Ländern beantragt werden, der Bundesregierung zu untersagen, im Rat einem Rechtsakt zuzustimmen oder auch nicht zuzustimmen749. Auch insoweit wird man jedoch verlangen müssen, daß der Inhalt des betreffenden EG-Vorhabens bereits mit hinreichender Sicherheit feststeht. Ist dies nicht der Fall wäre mangels „unmittelbarer Gefahrdung" i.S.v. § 64 BVerfGG auch ein entsprechendes Hauptsacheverfahren evident unzulässig. Auch eine vorläufige Übertragung der Außenvertretungsbefugnis auf einen Vertreter der Länder nach Art. 23 Abs. 6 GG könnte prinzipiell im Wege der einstweiligen Anordnung beantragt werden. Zwar würde dies praktisch zu einer Vorwegnahme der Hauptsache führen, eine andere Möglichkeit der Sicherung der Rechte aus Art. 23 Abs. 6 GG stünde aber nicht zur Verfügung. Dagegen könnte der Beratungsverlauf auf EG-Ebene selbst nicht im Wege einer einstweiligen Anordnung angehalten werden oder der Bundesregierung gar auferlegt werden, vorläufig nicht weiterzuverhandeln. Solche Anträge

744

Benda/Klein, Rdnr. 1123, 1125; Pestalozza, § 18 Rdnr. 3. Benda/Klein, Rdnr. 1119; Pestalozza, § 18 Rdnr. 9. 746 Vgl. Benda/Klein, Rdnr. 1127; Pestalozza, § 18 Rdnr. 3, 7. 747 Benda/Klein, Rdnr. 1128, mit Nachweisen zur Rspr. des BVerfG; Pestalozza, § 18 Rdnr. 10. 748 Benda/Klein, Rdnr. 1128, mit Nachweisen zur Rspr. des BVerfG; Pestalozza, § 18 Rdnr. 11 f. 749 Vgl. Lang, S. 268. 745

VI. Justitiabilität und Rechtsschutz

317

gingen über das hinaus, was mit einem entsprechenden Hauptsacheverfahren erreicht werden könnte 750 .

b) Die Erfolgsaussichten

einer einstweiligen Anordung

Nach § 32 BVerfGG setzt eine einstweilige Anordnung als Anordnungsgrund voraus, daß der Erlaß „zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist" 7 5 1 . Das Bundesverfassungsgericht entscheidet im Rahmen einer Folgenabwägung, bei der es die voraussichtlichen Folgen im Falle des Erlasses der beantragten Anordnung mit den möglichen Folgen bei deren Unterbleiben gegeneinander abwiegt. Auf die Erfolgsaussichten des entsprechenden Hauptsacheverfahrens kommt es - abgesehen von den erwähnten Ausnahmefällen der Vorwegnahme der Hauptsache oder deren offensichtlichen Unzulässigkeit oder Unbegründetheit - dabei nicht an 752 .

(1) Die Anforderungen an das Vorliegen des Anordnungsgrundes An das Vorliegen des Merkmals des „dringenden Gebotenseins" legt das Bundesverfassungsgericht einen strengen Maßstab an, vor allem in Angelegenheiten, die zur „auswärtigen Gewalt" rechnen 753. Jedenfalls hat es - unabhängig von der Frage, ob die Wahrnehmung der Angelegenheiten der Europäischen Union zur „auswärtigen Gewalt" im eigentlichen Sinn gezählt werden kann - in den zwei bislang entschiedenen Fällen, in denen es um den Erlaß oder die Anwendung von EG-Recht ging, den Erlaß einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Im Verfahren über die Rundfunkrichtlinie stellte das Bundesverfassungsgericht bei der gebotenen Folgenabwägung entscheidend darauf ab, daß die Bundesregierung bei Erlaß der beantragten Anordnung jede Möglichkeit verlöre, den Inhalt und das Ausmaß der Richtlinie in einer Weise zu beeinflussen, daß kein sekundäres, dem deutschen Verfassungsrecht widersprechendes Gemeinschaftsrecht entsteht und daß somit eine stattgebende Entscheidung des Gerichts selbst einen solchen Verfassungskonflikt herbeifuhren könnte 754 . Demgegenüber würden die Nachteile des antragstellenden Landes bei Nichtergehen der einstweiligen Anordnung weniger schwer wiegen. Falls eine verfassungs-

750

Zu dieser Einschränkung vgl. Benda/Klein, Rdnr. 1128. Mit „kann" in § 32 BVerfGG ist dem Gericht freilich kein Ermessen eingeräumt, vgl. Benda/Klein, Rdnr. 1131. 752 Vgl. Benda/Klein,, Rdnr. 1135 ff.; Pestalozza, § 18 Rdnr. 19. 753 Vgl. Benda/Klein, Rdnr. 1133; Hailbronner, VVDStRL Bd. 56 (1997), 7 (32 ff.). 754 BVerfGE 80, S. 74 (79 f.). 751

318

Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

rechtliche Position des antragstellenden Landes durch die Beteiligung der Bundesregierung am Zustandekommen sekundären Gemeinschaftsrechts verletzt werden würde, sei das Land zwar „teilweise und vorläufig 14755 an dieses gebunden. Jedoch würden Inhalt und Ausmaß dieser Bindung durch situationsgerechte Ausnutzung des integrationspolitischen Handlungsspielraums der Bundesregierung in den Beratungen in einer für die Länder schonenden Weise gestaltet werden können 756 . Einer für das Land befürchteten negativen Präzedenzwirkung des Verhaltens der Bundesregierung könne durch die Entscheidung in der Hauptsache in ausreichender Weise begegnet werden 757 . In einem weiteren Verfahren, in denen Hersteller von Tabakerzeugnissen der Bundesregierung im Wege der einstweiligen Anordnung aufgeben wollten, im Ministerrat gegen den Vorschlag einer EG-Richtlinie zur Etikettierung von Tabakerzeugnissen zu stimmen, lehnte das Bundesverfassungsgericht ebenfalls den Erlaß der begehrten Anordnung ab 758 . Die Ablehnung erfolgte mit der Begründung, daß die beabsichtigte Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache unzulässig wäre, da die Mitwirkung der Bundesregierung im Rat noch keinen Akt öffentlicher Gewalt gegenüber den Antragstellerinnen darstelle 759. Die Regelungen der Richtlinie erreichten die Antragstellerinnen erst durch einen selbständig angreifbaren Rechtsetzungsakt der deutschen Staatsgewalt, der als solcher der vollen verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterliege. Soweit die Richtlinie selbst Grundrechte der Antragstellerinnen verletzen sollte, gewähre der Europäische Gerichtshof Rechtsschutz. Erst wenn auf diesem Wege der vom Grundgesetz als unabdingbar gebotene Grundrechtsstandard nicht verwirklicht werden sollte, könnte das Bundesverfassungsgericht angerufen werden 760 .

(2) Folgerungen für den Bundesrat und die Länder Auch wenn die zuletzt genannte Entscheidung ein anderes Verfahren, nämlich eine Individualverfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG zum Gegenstand hatte, bestätigt sich doch die zurückhaltende Linie des Bundesver-

755

Hervorheb. durch den Verf. Nach Herdegen, EuGRZ 1989, 309 (310), handelt es sich um eine „erstaunliche Wendung", deren Exegese nicht leicht falle. Memminger, DÖV 89, 846 (847 f.), entnahm dieser Passage die „Hauptbotschaft", daß das BVerfG in Weiterentwicklung der „Solange II"- Entscheidung (BVerfGE 73, 339 ff.) die Überprüfung des EG-Rechts am Maßstab des Grundgesetzes nicht ausschließe. 756 BVerfGE 80, S. 74 (81). 757 BVerfGE 80, S. 74 (81). 758 BVerfG, Beschluß v. 12.5.1989, EuGRZ 1989, S. 339 f. 759 BVerfG, EuGRZ 1989, S. 339 (340). Kritisch hierzu Scholz, NJW 1990, 941 (946). 760 BVerfG, EuGRZ 1989, S. 339 (340).

VI. Justitiabilität und Rechtsschutz

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fassungsgerichts. Im Rahmen der gebotenen Folgenabwägung dürfte sich auf Seiten des Bundesrates oder der Länder kaum jemals ein dringendes Gebotensein zur Abwehr schwerer Nachteile i.S.d. § 32 BVerfGG ins Feld fuhren lassen, das ein Eingreifen des Bundesverfassungsgerichts in den offenen Verhandlungsprozeß rechtfertigen könnte. Da die Einschätzung der politischen Gesamtlage zudem prinzipiell in einem nicht überprüfbaren Beurteilungsspielraum der Bundesregierung steht, ist deren Argumentation über mögliche nachteilige Folgen bei Erlaß der einstweiligen Anordnung praktisch kaum widerlegbar 761. Die Wahrung der grundgesetzlichen Kompetenzordnung allein würde nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Rundfunkrichtlinie jedenfalls als Anordnungsgrund für eine einstweilige Anordnung nicht ausreichen. Einer negativen Präzedenzwirkung könnte durch die Entscheidung in der Hauptsache stets in ausreichender Weise begegnet werden 762 . Insoweit würde es bereits an dem Vorliegen eines „schweren Nachteils" und damit an einem „dringenden Gebotensein" für eine einstweilige Anordnung fehlen. Hinzukommen müssen in jedem Fall schwerwiegende materielle Interessen des Bundesrates oder der Länder, die über die bloße Einhaltung der Kompetenzordnung des Art. 23 GG an sich hinausgehen und die nicht mehr im Wege des nachträglichen Rechtsschutzes gesichert werden können. Darüber hinaus müssen die befürchteten Nachteile ein Eingreifen in den offenen Verhandlungsprozeß auf EG-Ebene durch das Bundesverfassungsgericht trotz der damit verbundenen Nachteile, wie der Unvorhersehbarkeit des weiteren Verhandlungs- und Integrationsprozesses, als geboten erscheinen lassen. Solche weitergehenden, die bloße Einhaltung der Kompetenzordnung übersteigende Interessen könnte der Bundesrat aus eigenem Recht nicht geltend machen. Der Bundesrat wäre daher in jedem Fall auf den nachträglichen Rechtsschutz verwiesen. Die Länder könnten dagegen ein über die Einhaltung der Kompetenzordnung des Art. 23 GG hinausgehendes Eigeninteresse besitzen. Dabei müssen zwei grundlegende Konstellationen unterschieden werden: Zum einen die dem Streit um die Rundfunkrichtlinie zugrundeliegende Situation der behaupteten Kompetenzwidrigkeit eines bevorstehenden EG-Rechtsaktes, der innerstaatlich die Gesetzgebungskompetenzen der Länder betreffen würde. Im Fall des Erlasses des Rechtsaktes wären die Länder in der Tat hieran gebunden und müßten diesen entsprechend der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung umsetzen und vollziehen. Eine eigene Verwerfungskompetenz stünde den Ländern trotz der mißverständlichen Bemerkungen des Bundesverfassungsgerichts in seinem Maastricht-Urteil nicht zu 763 . Diese Bindung wäre aber - in den Worten des

761

Vgl. Hailbronner, VVDStRL Bd. 56 (1997), 7 (32). BVerfGE 80, S. 74 (81). 763 Vgl. BVerfGE 89, 155 (Ls. 6 und S. 210): „...für Deutschland keine Bindungswirkung", sowie auf S. 188: 762

320

Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

Bundesverfassungsgerichts - nur „teilweise und vorläufig\ Der Bund wäre nach den Grundsätzen der Bundestreue verpflichtet, auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft alles Mögliche zu tun, um eine Beseitigung oder Abänderung des kompetenzwidrigen Rechtsakts zu erwirken, insbesondere durch Anrufung des Europäischen Gerichtshofs 764. Eine solche Verpflichtung ist nunmehr ausdrücklich in § 7 EUZBLG niedergelegt. Ungeachtet des Wortlauts von § 7 EUZBLG, der ausdrücklich nur dem Bundesrat das Recht zugesteht, von der Bundesregierung eine Klageerhebung vor dem Europäischen Gerichtshof zu verlangen, muß nach der hier vertretenen Auffassung auch den Ländern eine solche Möglichkeit zugebilligt werden. Dies liegt letztlich in der Konsequenz der Bejahung einer eigenen Antragsbefugnis der Länder zur Durchführung eines Bund-Länder-Streitverfahrens. Sofern diese Möglichkeit nicht ausreichen sollte oder aus sonstigen Gründen nicht zum Erfolg führt, ist daran zu erinnern, daß sich das Bundesverfassungsgericht stets eine „Auffangkompetenz" zur eigenen Entscheidung über die Vereinbarkeit von Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft mit dem Grundgesetz vorbehalten hat 765 . Ob und in welchen Fällen diese zur Geltung gelangen kann, ist nicht ganz klar. Jedenfalls im Hinblick auf die Bewahrung der änderungsfesten Grundsätze des Art. 79 Abs. 3 GG muß es bei einer letztentscheidenden Prüfungskompetenz des Bundesverfassungsgerichts verbleiben, an der auch die Gemeinschaftsverträge nichts zu ändern vermögen 766 . Aufgrund der ratio des Art. 79 Abs. 3 GG, eine justitiable Schranke auch für die verfassungsändernde Gewalt gerade im Hinblick auf eine Aushöhlung der Kernbestandteile der Verfassung auf legalem Wege zu errichten, dürfte der verfassungsändernde Gesetzgeber die Prüfungskompetenz für die Einhaltung dieser Schranken nicht letztverbindlich in die Hände des Europäischen Gerichtshofs legen 767 . Die „Fundamentalkontrolle" 768 des Art. 79 Abs. 3 GG verbleibt damit ungeachtet fortschreitender Integrationsschritte stets beim Bundesverfassungsgericht. Insoweit stünde den Ländern zumindest bei drohenden schweren Nachteilen die Möglichkeit des nachträglichen Rechtsschutzes zur

„...Die deutschen Staatsorgane wären aus verfassungsrechtlichen Gründen gehindert, diese (gemeint: kompetenzwidrigen) Rechtsakte in Deutschland anzuwenden". 764 So das BVerfG in E 92, 203 (237); vgl. auch Joos/Scheurle, EuR 1989, 226 (232 f.). 765 Siehe oben zu Fußn. 714. 766 Vgl. Burgi, S. 41 ff.; Everling, in: Gedächtnisschrift für Grabitz, 57 (70 ff.); Selmayr/Prowald, DVBl. 1999, 269 (272 ff.); in dem Sinne auch Enders, in: FS für Böckenförde, 29 (42 ff.). A.A.: Hirsch, NJW 1997, 2457 (2466). 767 Diese Frage ist, soweit ersichtlich, in der Literatur bis auf die Beiträge der in Fußn. 766 Genannten bislang selten erörtert worden. Letztlich handelt es sich aber um das Problem der Abänderbarkeit des Art. 79 Abs. 3 GG auf legalem Wege, vgl. hierzu: Badura, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. VII, § 160 Rdnr. 28; GGK-Bryde, Art. 79 Rdnr. 27; Stern, StaatsR I, S. 115 f., und StaatsR III/2, S. 1101. 768 So Kirchhof, zit. nach dem Tagungsbericht von Pähl, NJW 1998, 3180 (3181).

VI. Justitiabilität und Rechtsschutz

321

Verfügung, mit dem die Kompetenzordnung im Bund-Länder-Verhältnis ohne Einbußen wiederhergestellt werden könnte. Ein dringendes Gebotensein für eine Entscheidung im Wege der einstweiligen Anordnung dürfte für diese Konstellation somit in der Regel ausscheiden769. Zum anderen ist aber auch die Situation denkbar, daß die Länder bei bestehender Gemeinschaftskompetenz in bezug auf ein bestimmtes Vorhaben inhaltlich nicht mit dem Vorhaben einverstanden sind oder aus sonstigen Gründen ein Interesse haben, daß dieses nicht oder nicht in dieser Form zustande kommt. Wenn eine Kompetenz der Gemeinschaft nach dem EGV besteht, die Länder aber der Ansicht sind, der Bund würde ihre Interessen nicht hinreichend auf der EG-Ebene vertreten, stellt sich die Frage des einstweiligen Rechtsschutzes in besonderem Maße. Eine nachträgliche Abänderung oder Aufhebung eines kompetenzmäßig erlassenen Rechtsaktes der Europäischen Gemeinschaft kann rechtlich nicht verlangt werden, sondern liegt vielmehr im politischen Ermessen aller Mitgliedstaaten, und dürfte damit praktisch ausscheiden. Darüber hinaus müßten die Länder den Eintritt solch schwerwiegender Nachteile durch die geplante Regelung geltend machen, daß ein Eingreifen des Bundesverfassungsgerichts in den offenen Verhandlungs- und Beratungsprozeß auf EG-Ebene ungeachtet der damit verbundenen Risiken und der mangelnden Vorhersehbarkeit der Folgewirkungen geboten erscheint. Bloße Kompetenzverschiebungen und -Verluste zu Lasten der Länder unterhalb der „Gefahrenschwelle" des Art. 79 Abs. 3 GG dürften hierfür nicht ausreichen. Zwar verbietet Art. 79 Abs. 3 GG auch eine allmähliche Aushöhlung der Kompetenzen der Länder, der die Bundesregierung vorzubeugen hat 770 . Insbesondere verpflichtet das Prinzip der Bundestreue nach den Worten des Bundesverfassungsgerichts die Bundesorgane, „einer langfristigen Entwicklung entgegenzuwirken, bei der durch eine schrittweise ausdehnende Inanspruchnahme der Gemeinschaftskompetenzen, vor allem der sogenannten Querschnittskompetenzen, verbliebene Sachkompetenzen der Mitgliedstaaten und damit auch Länderrechte beeinträchtigt werden können" 771 . Die Geltendmachung einer solchen Gefährdung wäre aber ähnlich schwer zu begründen wie für ein entsprechendes Verfahren in der Hauptsache 772 . Abgesehen davon läge es nahe, zu prüfen, ob angesichts eines solch

769 A.A.: Streinz, der die Linie des Bundesverfassungsgerichts für nicht schlüssig hält, vgl. ders., Bundesverfassungsgerichtliche Kontrolle, S. 77. Für den einstweiligen Rechtsschutz bei drohenden Grundrechtsverletzungen mag man die Schwelle der Gefahr schwerwiegender Nachteile i.S.d. § 32 BVerfGG niedriger ansetzen. Im Hinblick auf Streitigkeiten zur Wahrung der Kompetenzordnung vermag die Auffassung von Streinz indes nicht recht zu überzeugen. 770 Zur Bedeutung der „Grundsätze" vgl. oben, Teil 3, Kap. I L I . a), S. 163 ff. 771 BVerfGE 92, 203 (239). 772 Zur Antragsbefugnis der Länder für ein Bund-Länder-Streitverfahren siehe oben, Kap. V I . l . b) (1), S. 300 ff. 21 Halfmann

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Teil 3: Bewertung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht

schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Nachteils i.S.d. § 32 BVerfGG durch den vorgesehenen Rechtsakt der Europäischen Gemeinschaft nicht doch auch gleichzeitig eine Kompetenzüberschreitung des EGV vorliegt. Nach Art. 3b Abs. 3, Art. 5 EGV und Art. F Abs. 1EUV ist die Gemeinschaft verpflichtet, die nationale Identität und die tragenden Verfassungsstrukturen der Mitgliedstaaten zu beachten773. Insoweit käme wiederum der nachträgliche Rechtsschutz durch den Europäischen Gerichtshof und äußerstenfalls durch das Bundesverfassungsgericht in Betracht. Als Fazit kann damit folgendes festgehalten werden: Angesichts der strengen Voraussetzungen für das Vorliegen eines Antragsgrundes im Sinne von § 32 BVerfGG kann das bloße Interesse an der Wahrung der Kompetenzordnung des Art. 23 GG den Erlaß einer einstweiligen Anordnung nicht rechtfertigen. Insoweit steht sowohl dem Bundesrat als auch den Ländern nur die Möglichkeit des nachträglichen Rechtsschutzes durch das Bundesverfassungsgericht zur Verfügung. Für die Länder, nicht aber für den Bundesrat, ist hingegen der Eintritt eines sonstigen „schweren Nachteils" über die Verletzung der Kompetenzordnung hinaus theoretisch denkbar, so daß der Erlaß einer einstweiligen Anordnung im Einzelfall gerechtfertigt sein könnte. Sind die hohen Voraussetzungen des § 32 BVerfGG erfüllt, spricht allerdings einiges dafür, daß das betreffende EG-Vorhaben zugleich eine Kompetenzüberschreitung durch die Europäische Gemeinschaft darstellen würde, so daß durch den Europäischen Gerichtshof und äußerstenfalls durch das Bundesverfassungsgericht in hinreichender Weise nachträglicher Rechtsschutz gewährt werden könnte. Somit dürfte einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG im Zusammenhang mit der Wahrnehmung einer Angelegenheit der Europäischen Union nach Art. 23 GG in der Sache jeweils der Erfolg versagt bleiben. Dies läuft darauf hinaus, daß die Möglichkeit einer (erfolgreichen) einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG praktisch weder für den Bundesrat noch für die Länder in Betracht kommt.

773 Siehe oben, Teil 3, Kap. II.2. a), S. 170 ff. Vgl. auch Hilf, in: Gedächtnisschrift für Grabitz, 157 (167 f.).

4. Teil

Mögliche Alternativen zur Verbesserung einer Mitwirkung der Länder Nach dem Ergebnis der bisherigen Untersuchung stößt die Mitwirkung des Bundesrates und der Länder in Angelegenheiten der Europäischen Union bei den Staatsstrukturprinzipien des Demokratie- und des Gewaltenteilungsprinzips auf ihre Grenzen. So ist ein „Letztentscheidungsrecht" des Bundesrates und damit eine strikte Bindung der Bundesregierung an das Votum des Bundesrates ebenso unzulässig wie der Außenvertretungsanspruch des Bundesrates. Beides verstößt gegen die „Ewigkeitsgarantie" des Art. 79 Abs. 3 GG. Damit ist jedoch nicht gesagt, daß eine Weiterentwicklung der Ländermitwirkung in Angelegenheiten der Europäischen Union generell unmöglich wäre. Vielmehr läßt Art. 79 Abs. 3 GG dem verfassungsändernden Gesetzgeber einen relativ weiten Gestaltungsspielraum. Aus dem absoluten Schutzzweck des Art. 79 Abs. 3 GG folgt allerdings, daß Veränderungen oder Fortentwicklungen nur in „systemimmanenter" Weise unter Wahrung der Anforderungen der Staatsstrukturprinzipien vorgenommen werden dürfen 1. Im folgenden soll untersucht werden, welche Möglichkeiten und Alternativen bestehen, eine Mitarbeit der Länder oder des Bundesrates zu steigern, insbesondere ob und welche alternativen Möglichkeiten für eine Länderbeteiligung nach dem Grundgesetz in Betracht kommen. Zu solchen Überlegungen besteht durchaus Anlaß: Jede weitere Vertiefung der europäischen Integration birgt langfristig die Gefahr einer weiteren Machtverlagerung in Richtung des Bundes und der Exekutive2. So ist nicht zu verkennen, daß durch die Mitwirkungsrechte des Bundesrates nach Art. 23 Abs. 4 bis 6 GG vor allem der europäische „Exekutivföderalismus" in den innerstaatlichen Bereich der Willensbildung des Bundes verlängert worden ist3.

1

Siehe zu Art. 79 Abs. 3 GG im einzelnen oben, Teil 3, Kap. I L I . a), S. 163 ff. Möglich wäre aber auch eine Schwächung der Ebene des Bundes und eine dadurch eintretende Verstärkung der Tendenz zur Dezentralisierung, von der wiederum die Länder profitieren, vgl. Große-Sender, Kommissionsbericht, Teil 1, S. 89. 3 Kritisch insoweit auch: Rupp, in: Verfassungsrecht im Wandel, 499 (506). 2

324

Teil 4: Alternativen zur Verbesserung der Mitwirkung der Länder

I. Das Senatsmodell und verwandte Formen Verschiedentlich ist in der Vergangenheit angedacht worden, die Mitwirkung der Länder im Bund gänzlich neu zu strukturieren und das Bundesratsmodell durch ein „Senatsprinzip" zu ersetzen. Das Senatsmodell kennzeichnet sich dadurch, daß der Senat nicht aus bestellten, sondern aus gewählten Mitgliedern zusammengesetzt ist, ähnlich wie dies beim Senat der Vereinigten Staaten von Amerika der Fall ist. In den Einzelheiten bestehen allerdings noch breite Variationsmöglichkeiten, vor allem im Hinblick auf die Ausgestaltung des Wahlsystems sowie die Art der Mandate der Mitglieder. Entscheidendes Merkmal des Senatsmodells bleibt jedoch die Tatsache einer Wahl der Senatsmitglieder; allein hierdurch soll der Senat mit einer starken demokratischen Legitimation ausgestattet werden. Ohne Zweifel würde ein „Senatsmodell" oder gegebenenfalls eine Mischform den demokratischen Aspekt der Mitwirkung der Länder oder des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union stärken, so daß auf diese Weise auch ein Letztentscheidungsrecht oder eine Außen Vertretungsbefugnis des Bundesrates geschaffen werden könnten, die jeweils den Anforderungen des Art. 79 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 und 2 GG Rechnung tragen. Ein wie auch immer geartetes Senatsprinzip müßte dabei so ausgestaltet sein, daß eine hinreichend effektive und ununterbrochene Legitimationskette zu dem gesamten Staatsvolk als Einheit hergestellt werden könnte. Bei einer Legitimation, die von den Landesvölkern ausgeht, entweder im Wege der unmittelbaren Volkswahl oder mittelbar über die Landesparlamente, wäre hierfür Voraussetzung, daß Wahl, Struktur und Zusammensetzung der Landesparlamente in einer Weise angeglichen und koordiniert würden, daß eine fortlaufende Rückkoppelung zwischen den Handlungen der Amtswalter und dem Willen des gesamten Staatsvolkes sichergestellt werden könnte. Anderenfalls wären die Landesparlamente nicht in der Lage, das gesamte Volk im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG als Einheit zu repräsentieren 4. Bereits die Herstellung dieser Voraussetzungen würde tiefgreifende Änderungen der bundesstaatlichen Struktur erfordern, deren Auswirkungen im vorhinein kaum abzuschätzen sind. Sinnvoll wäre die Etablierung eines Senatsmodells des weiteren nur dann, wenn es umfassend, d.h. für den Gesamtbereich der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes eingeführt werden würde, und nicht nur beschränkt auf den Wirkungskreis der Angelegenheiten der Europäischen Union. Eine gegenständlich auf den Bereich der Angelegenheiten der Europäischen Union begrenzte Misch- oder „Hybridform", wie beispielsweise die Aufnahme von Vertretern der Landesparlamente in den Bundesrat, ließe sich kaum widerspruchsfrei in einen anderweitig bestehenden Typus des Bundesstaats- und Demokratieprinzips des Grundgesetzes einfügen und

4

Siehe hierzu bereits oben, S. 227 ff.

I. Das Senatsmodell und verwandte Formen

325

würde äußerst schwierige Abgrenzungs- und Einordnungsfragen im Hinblick auf die Funktion, das Zusammenspiel und die Kompetenzen der bereits bestehenden, an der Willensbildung des Bundes beteiligten Organe aufwerfen 5. Die vom Landtag Nordrhein-Westfalen eingesetzte Verfassungskommission („Ziegler-Kommission") hatte einen ähnlichen Vorschlag zur Änderung des Art. 51 GG vorgelegt, allerdings bezogen sich die Vorschläge nicht auf die Mitwirkung in Angelegenheiten der Europäischen Union, sondern ausschließlich auf den schmalen Bereich der Veränderung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern im Wege der förmlichen Grundgesetzänderung 6. Eine Ausweitung dieses Modells auf den Gesamtbereich der Mitwirkung in Angelegenheiten der Europäischen Union wird selbst von Seiten der Landesparlamente aus den erwähnten nachteiligen Gründen nicht befürwortet. Abgesehen davon, sprächen systematische Bedenken auch gegen eine nur gegenständlich eng umgrenzte Ausnahmeregelung7. Bereits diese kurzen Überlegungen beweisen, daß die Einführung eines Senatsmodells oder verwandter Mischformen kaum in Frage kommen dürften, um die Stellung der Länder in den Angelegenheiten der Europäischen Union zu stärken. Entweder man entschließt sich zu einer Senatslösung, etwa nach amerikanischem Vorbild, und somit zu einer tiefgreifenden Strukturreform des Grundgesetzes bis in letzter Konsequenz oder man versucht, innerhalb des bestehenden Struktursystems die Mitwirkungsbefugnisse der Länder zu verbessern. Eine Veränderung der Struktur des Bundesrates in Richtung eines Senatsmodells steht heute jedoch nicht mehr ernsthaft zur Debatte8. Bei den Beratungen des Parlamentarischen Rates bildeten noch die Fragen über den Aufbau, die Zusammensetzung und die Aufgaben des zu schaffenden föderativen Organs den Gegenstand kontroverser Diskussionen9. In der Folge gab es erst zu Anfang der 70er Jahre, und zwar vor dem Hintergrund der Entwicklung zum „unitarischen Bundesstaat" zusammen mit der wachsenden Machtverlagerung von den Ländern hin zum Bund, ein erneutes Aufflackern der Diskussionen um den Bundesrat 10. Die im Jahre 1976 gebildete Enquête-Kommission Verfassungsreform hatte sich seinerzeit deshalb eingehend mit Vorschlägen einer strukturellen Re-

5

Vgl. die ablehnende Begründung der Enquête-Kommission Verfassungsreform, BT-Drs. 7/5924, S. 97 f.; ebenso: Schmidt, DÖV 1973, 473 ff. 6 Kommissionsbericht, Teil 2, S. 62 ff. (66); näher zur Problematik: Schmidt, DÖV 1973, 469 ff.; Schütz, BayVBl. 1990, 518 (523). Zum Wortlaut des vorgeschlagenen Art. 51 Abs. 4 GG siehe Teil 1, Kap. IV, Fußn. 172. 7 Vgl. Enquête-Kommission Verfassungsreform, BT-Drs. 7/5924, S. 100 f. 8 Vgl. auch Lhotta,, Der Staat 36 (1997), 189 (199 f.). 9 Vgl. zu den verfassungsgeschichtlichen Vorläufern des Bundesrates Stern, StaatsR II, S. 111 ff. 10 Überwiegend ging es jedoch um strukturelle Reformen, nicht aber um eine Abschaffung des Modells an sich, vgl. die Nachweise bei Stern, StaatsR II, S. 12, Fußn. 58.

326

Teil 4: Alternativen zur Verbesserung der Mitwirkung der Länder

form des Bundesrats befaßt 11. Letztlich hat sie sich aber ebenso für die Beibehaltung der Struktur und Zusammensetzung des Bundesrates ausgesprochen12 wie die im Jahre 1992 gebildete Gemeinsame Verfassungskommission des Bundes und der Länder, die die mit der Einigung Deutschlands und der europäischen Einigung bedingten verfassungsrechtlichen und -politischen Fragen zu bewältigen hatte13. Es ist daher auch in absehbarer Zeit kaum zu erwarten, daß sich an der Beibehaltung des Bundesratsprinzips in naher Zukunft etwas ändern könnte14.

IL Der Gedanke eines „EG-Länderrats 44 Ein weiterer Vorschlag war, das Bundesratsverfahren beizubehalten, aber seine Rechtsnatur entsprechend den behandelten Materien zu variieren. D.h., sofern Angelegenheiten zur Beratung und Entscheidung anstünden, die innerstaatlich zur Kompetenz des Bundes gehörten, sollte es dabei bleiben, daß der Bundesrat wie bisher üblich als Bundesorgan „Bundesrat" tagt. Soweit Materien auf dem Plan stünden, die in die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder fallen würden, sollte der Bundesrat materiell als eigenständiges Länderorgan (z.B. „EG-Länderrat") auftreten 15. Nach dem Ergebnis der obigen Untersuchungen handelt es sich bei den Angelegenheiten der Europäischen Union jedoch notwendig um solche, die sowohl aus Sicht des Grundgesetzes als auch aus europarechtlicher Sicht in die Kompetenz des Gesamtstaates, mithin des Bundes fallen müssen. Den Überlegungen zur Einrichtung eines „Länderrats" oder einer „Organleihe" des Bundesrates fehlt damit mangels einer Kompetenz der Länder nach geltender Verfassungslage von vornherein die Grundlage 16. Eine Zuweisung der Kompetenz des Gesamtstaates in Angelegenheiten der Europäischen Union an die Länder oder eine Gesamtheit der Länder würde wiederum eine grundlegende Änderung der bundesstaatlichen Struktur erfordern und aus dem Blickwinkel des Demokratieprinzips letztlich auf eine Senatslösung zulaufen. Darüber hinaus würde sie

11

Enquête-Kommission Verfassungsreform, BT-Drs. 7/5924, S. 95 ff. Die Enquête-Kommission hat lediglich eine Verlängerung der Beratungsfristen des Art. 76 Abs. 2 GG empfohlen, vgl. BT-Drs. 7/5924, S. 96 ff. 13 Zur Grundentscheidung für das Bundesratsprinzip siehe oben, Teil 2, Kap. I L L , S. 79 ff. 14 Für die Notwendigkeit einer „Totalrevision" des bundesdeutschen Föderalismus hingegen Scharpf, Entwicklungslinien, 45 (56 ff.). 15 So Schütz, BayVBl. 1990, 518 (522 f.). Der Gedanke eines „Länderrats" ist nicht neu, vgl. Schmidt, DÖV 1973, 469 (472 ff.). 16 Zur Unhaltbarkeit des Gedankens der „Organleihe" siehe bereits oben, Teil 2, Kap. IV.3. a), S. 147 ff. sowie Teil 3, Kap. II.2. c), S. 175 ff. 12

III. Der Blick über die Grenzen: Das „österreichische Modell"

327

leicht in Konflikt mit der institutionellen Struktur und Funktion des Rates der Europäischen Gemeinschaft geraten 17. Vergegenwärtigt man sich weiterhin die negativen Erfahrungen der Praxis mit dem Länderbeteiligungsverfahren von 1979, die schließlich zu dessen Scheitern geführt haben18, dürften sich weitere Überlegungen in Richtung der Bildung eines „Länderrats" als nicht fruchtbar erweisen 19.

III. Der Blick über die Grenzen: Das „österreichische Modell44 Im Zusammenhang mit dem Beitritt zur Europäischen Union am 1.1.1995 hat auch in Österreich eine Verfassungsdiskussion stattgefunden, die zu einer Änderung des österreichischen Bundes-Verfassungsgesetzes geführt hat. Die Änderungen sind aus bundesdeutscher Sicht unter mehreren Aspekten von besonderem Interesse: Zum einen ist Österreich neben Deutschland der einzige echte Bundesstaat in der Europäischen Union, der darüber hinaus in vielerlei Hinsicht Parallelen zur bundesstaatlichen Struktur Deutschlands erkennen läßt. Das Problem der Kompetenzverschiebung zu Lasten des Parlamentes und der österreichischen Länder und die Tatsache, daß die Länder gegenüber der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union selbst keine Möglichkeit besitzen, ihre Interessen zur Geltung zu bringen, stellt sich gleichermaßen auch für den Bundesstaat österreichischer Prägung 20. Zum anderen hat der österreichische Nationalrat - ähnlich wie in Deutschland unter großem Zeitdruck 21 - am 15.12. 1994 eine Bundes-Verfassungsgesetznovelle beschlossen, die sich inhaltlich an die Regelung des Art. 2 EEAG anlehnt22. Wohl eher zufällig dürfte dabei die Tatsache zu bewerten sein, daß der Standort der Vorschriften über die europäische Union in der Verfassung mit den Art. 23 a ff. B-VG nahezu der gleiche ist wie in Deutschland. Die Art. 23 d bis Art. 23 f B-VG lauten: „Art. 23 d B-VG (1) Der Bund hat die Länder unverzüglich über alle Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union, die den selbständigen Wirkungsbereich der Länder berühren oder sonst für sie von Interesse sein können, zu unterrichten und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Solche Stellungnahmen sind an das Bundeskanzleramt zu richten. Gleiches gilt für die Gemeinden, soweit der eigene Wirkungsbereich oder sonstige wichtige Interessen der Gemeinden berührt werden. Die Vertretung der Ge-

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Siehe oben, Teil 3, Kap. IV.4. c), S. 279 ff. Siehe hierzu oben, Teil 1, Kap. Π.3., S. 37 f. 19 Vgl. auch Enquête-Kommission Verfassungsreform, BT-Drs. 7/5924, S. 98 f. 20 Vgl. Zur Reformdiskussion in Österreich vgl. Holzinger, JB1. 1993, S. 2 ff.; Niedermühlbichler, JB1. 1996, S. 549 ff; Schambeck, ÖJZ 1996, S. 521 ff. 21 Öhlinger, in: FS fìir Everling, 1017 (1022). 22 Österr. BGBl. 1013/1994. 18

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Teil 4: Alternativen zur Verbesserung der Mitwirkung der Länder

meinden obliegt in diesen Angelegenheiten dem Österreichischen Gemeindebund (Art. 115 Abs. 3). (2) Liegt dem Bund eine einheitliche Stellungnahme der Länder zu einem Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union vor, das Angelegenheiten betrifft, in denen Gesetzgebung Landessache ist, so ist der Bund bei Verhandlungen und Abstimmungen in der Europäischen Union an diese Stellungnahme gebunden. Der Bund darf davon nur aus zwingenden außen- und integrationspolitischen Gründen abweichen. Der Bund hat diese Gründe den Ländern unverzüglich mitzuteilen. (3) Soweit ein Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union auch Angelegenheiten betrifft, in denen Gesetzgebung Landessache ist, kann die Bundesregierung einem von den Ländern namhaft gemachten Vertreter die Mitwirkung an der Willensbildung im Rat übertragen. Die Wahrnehmung dieser Befugnis erfolgt unter Beteiligung des zuständigen Mitgliedes der Bundesregierung und in Abstimmung mit diesem. Für einen solchen Ländervertreter gilt Abs. 2. Der Vertreter der Länder ist dabei in Angelegenheiten der Bundesgesetzgebung dem Nationalrat, in Angelegenheiten der Landesgesetzgebung den Landtagen gemäß Art. 142 verantwortlich. (4) Die näheren Bestimmungen zu den Abs. 1 bis 3 sind in einer Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern (Art. 15 a Abs. 1) festzulegen. (5) Die Länder sind verpflichtet, Maßnahmen zu treffen, die in ihrem selbständigen Wirkungsbereich zur Durchführung von Rechtsakten im Rahmen der europäischen Integration erforderlich werden; kommt ein Land dieser Verpflichtung nicht rechtzeitig nach und wird dies von einem Gericht im Rahmen der Europäischen Union gegenüber Österreich festgestellt, so geht die Zuständigkeit zu solchen Maßnahmen, insbesondere zur Erlassung der notwendigen Gesetze, auf den Bund über. Eine gemäß diesen Bestimmungen vom Bund getroffene Maßnahme, insbesondere ein solcherart erlassenes Gesetz oder eine solcherart erlassene Verordnung, tritt außer Kraft, sobald das Land die erforderlichen Maßnahmen getroffen hat. Art. 23 e B-VG (1) Das zuständige Mitglied der Bundesregierung hat den Nationalrat und den Bundesrat unverzüglich über alle Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union zu unterrichten und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. (2) Liegt dem zuständigen Mitglied der Bundesregierung eine Stellungnahme des Nationalrates zu einem Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union vor, das durch Bundesgesetz umzusetzen ist oder das auf die Erlassung eines unmittelbar anwendbaren Rechtsaktes gerichtet ist, der Angelegenheiten betrifft, die bundesgesetzlich zu regeln wären, so ist es bei Verhandlungen und Abstimmungen in der Europäischen Union an diese Stellungnahme gebunden. Es darf davon nur aus zwingenden außenund integrationspolitischen Gründen abweichen. (3) Wenn das zuständige Mitglied der Bundesregierung von einer Stellungnahme des Nationalrates gemäß Abs. 2 abweichen will, so hat es den Nationalrat neuerlich zu befassen. Soweit der in Vorbereitung befindliche Rechtsakt der Europäischen Union eine Änderung des geltenden Bundesverfassungsrechts bedeuten würde, ist eine Abweichung jedenfalls nur zulässig, wenn ihr der Nationalrat innerhalb angemessener Frist nicht widerspricht. (4) Wenn der Nationalrat eine Stellungnahme gemäß Abs. 2 abgegeben hat, so hat das zuständige Mitglied der Bundesregierung dem Nationalrat nach der Abstimmung in der Europäischen Union Bericht zu erstatten. Insbesondere hat das zuständige

III. Der Blick über die Grenzen: Das „österreichische Modell"

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Mitglied der Bundesregierung, wenn es von einer Stellungnahme des Nationalrates abgewichen ist, die Gründe hierfür dem Nationalrat unverzüglich mitzuteilen. (5) Die Wahrnehmung der Zuständigkeiten des Nationalrates gemäß den Abs. 1 bis 4 obliegt grundsätzlich dessen Hauptausschuß. Die näheren Bestimmungen hierzu werden durch das Bundesgesetz über die Geschäftsordnung des Nationalrates getroffen. Dabei kann insbesondere geregelt werden, inwieweit für die Behandlung von Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union anstelle des Hauptausschusses ein eigenständiger Unterausschuß des Hauptausschusses zuständig ist und die Wahrnehmung der Zuständigkeiten gemäß Abs. 1 bis 4 dem Nationalrat selbst vorbehalten ist. Für den ständigen Unterausschuß gilt Art. 55 Abs. 2. (6) Liegt dem zuständigen Mitglied der Bundesregierung eine Stellungnahme des Bundesrates zu einem Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union vor, das zwingend durch ein Bundesverfassungsgesetz umzusetzen ist, das nach Art. 44 Abs. 2 der Zustimmung des Bundesrates bedürfte, so ist es bei Verhandlungen und Abstimmungen in der Europäischen Union an diese Stellungnahme gebunden. Es darf davon nur aus zwingenden außen- und integrationspolitischen Gründen abweichen. Die Wahrnehmung der Zuständigkeiten des Bundesrates gemäß Abs. 1 und diesem Absatz wird durch die Geschäftsordnung des Bundesrates näher geregelt. Art. 23 f B-VG (i)... (2) Für Beschlüsse im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union auf Grund des Titels V sowie für Beschlüsse im Rahmen der Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres auf Grund des Titels V I des Vertrages über die Europäische Union gilt Art. 23 e Abs. 2 bis 5." Die näheren Einzelheiten sind in zwei Vereinbarungen geregelt: Z u m einen besteht eine Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern gemäß Art. 15 a B - V G über die Mitwirkungsrechte der Länder und Gemeinden in Angelegenheiten der Europäischen Integration vom 12.3.1992 23 . In dieser Vereinbarung sind die Modalitäten und das Verfahren der Bund-Länder-Zusammenarbeit i m einzelnen geregelt. Inhaltlich entspricht die Vereinbarung in etwa dem, was in Deutschland im E U Z B L G und in der Bund-Länder-Vereinbarung von 1993 geregelt ist. Zum anderen existiert aber auch eine Vereinbarung zwischen den Ländern gemäß Art. 15 a B - V G über die Mitwirkungsrechte der Länder und Gemeinden in Angelegenheiten der europäischen Integration vom 12.3.1992 24 . Nach deren Art. 1 richten die Länder eine besondere Stelle ein, die sog. „Integrationskonferenz der Länder" ( I K L ) , deren Aufgabe es ist, gemeinsame Länderinteressen in Angelegenheiten der Europäischen Integration wahrzunehmen und wichtige integrationspolitische Fragen zu beraten. Vertreten in der Integrationskonferenz sind die Länder dabei sowohl durch den jeweiligen Landes-

23

Österr. BGBl. 775/1992; wiedergegeben bei: Pernthaler, A , Das Länderbeteiligungsverfahren an der europäischen Integration, Wien 1992, Anhang I, S. 80 ff.; Schweizer/Brunner, Anhang VI, S. 97 f. 24 Wiedergegeben bei: Pernthaler, P., Das Länderbeteiligungs verfahren an der europäischen Integration, Wien 1992, Anhang II; Schweizer/Brunner, Anhang VII, S. 100 f.

330

Teil 4: Alternativen zur Verbesserung der Mitwirkung der Länder

hauptmann als auch durch den Landtagspräsidenten. Darüber hinaus ist auch das Präsidium des Bundesrates zur Teilnahme an den Sitzungen berechtigt. Die Stimmabgabe erfolgt allerdings nach Art. 3 Nr. 3 der Vereinbarung nur durch den Landeshauptmann, also die Exekutivspitze des jeweiligen Landes. Bemerkenswert ist Art. 3 Nr. 4 der Vereinbarung, der vorsieht, daß die Beschlüsse der IKL zustande kommen, wenn mindestens fünf der neun österreichischen Länder zustimmen und kein Land eine Gegenstimme erhebt 25. Es gilt mithin weder ein reines Mehrheitsprinzip noch ein striktes Einstimmigkeitsprinzip. Bereits der kurze Überblick über die bestehende Rechtslage Österreichs verdeutlicht, daß Österreich im Hinblick auf die Mitwirkung seiner Länder eine verfassungsrechtliche Lösung gewählt hat, die zwar auf den ersten Blick Ähnlichkeiten mit dem bundesdeutschen Länderbeteiligungsverfahren von 1979 und der Regelung des Art. 2 EEAG aufweist, die sich im übrigen jedoch stark von der Regelung des Art. 23 GG und dessen Vorläufermodellen abhebt. Unterzieht man die österreichische Regelung einer näheren Analyse, so verdienen aus vergleichender verfassungsrechtlicher Perspektive vor allem folgende Punkte Hervorhebung: -

Die Rolle des Bundesrates im Zusammenspiel zwischen Bund und Ländern ist in Österreich ungleich schwächer ausgestaltet als in Deutschland. Der Bundesrat Österreichs verfügt nur im Fall des Art. 23 e Abs. 6 B-VG über durchschlagskräftige Mitwirkungsbefugnisse, nämlich soweit ein Vorhaben der Europäischen Union zwingend eine Verfassungsänderung im Sinne von Art. 44 Abs. 2 B-VG erfordern würde, die der Zustimmung des Bundesrates bedürfte. Art. 44 Abs. 2 B-VG erfaßt jedoch nur solche Verfassungsänderungen, durch die die Zuständigkeit der Länder in Gesetzgebung oder Vollziehung eingeschränkt wird. Weder bedürfen sonstige Änderungen der Verfassung nach Art. 44 Abs. 1 B-VG der Zustimmung des Bundesrates, noch besteht in Österreich die Kategorie der zustimmungsbedürftigen Gesetze. Gesetzesbeschlüsse sind nach Art. 42 B-VG regelmäßig einfache „Einspruchsgesetze"26, wobei ein Einspruch des Bundesrates ähnlich wie in Deutschland mit einer qualifizierten Mehrheit der Mitglieder des Parlaments

25

Österreich besteht aus insgesamt neun selbständigen Ländern, die in Art. 2 Abs. 2 B-VG genannt sind: Burgenland, Kärnten, Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg, Steiermark, Tirol, Vorarlberg und Wien. 26 Nach der österreichischen Terminologie würde man nicht von „Einspruchsgesetzen", sondern von der Möglichkeit eines „suspensiven Vetos" des Bundesrates sprechen.

III. Der Blick über die Grenzen: Das „österreichische Modell"

331

überwunden werden kann 27 . Der Anwendungsbereich von Art. 23 e Abs. 6 B-VG ist damit denkbar gering: Da die Europäische Union grundsätzlich über keine Ermächtigung zur Regelung der innerstaatlichen Gesetzgebungsund Verwaltungsstrukturen der einzelnen Mitgliedstaaten verfügt, wird sich der Anwendungsbereich des Art. 23 Abs. 6 B-VG auf förmliche Kompetenzübertragungen im Wege von völkerrechtlichen Verträgen beschränken28. Wenn allerdings der Fall des Art. 44 Abs. 2 B-VG gegeben ist, sind die Mitwirkungsrechte des Bundesrates sehr weitgehend: Das zuständige Mitglied der Bundesregierung ist in dem Fall bei Verhandlungen und Abstimmungen auf der Ebene der Europäischen Union an die Stellungnahme des Bundesrates gebunden und darf hiervon nur aus zwingenden außen- und integrationspolitischen Gründen abweichen. Insoweit hat sich der österreichische Gesetzgeber an der Regelung des Art. 2 Abs. 3 EEAG orientiert. -

Die Regelung des Art. 23 d Abs. 2 B-VG, nach der die Länder selber ihre Stellungnahmen abgeben in allen Angelegenheiten, in denen die Gesetzgebung Landessache ist, verwirklicht ein reines Länderbeteiligungsverfahren oder besser: das Modell eines „Länderrats". Vergleichbar mit dem Länderbeteiligungsverfahren von 1979 in Deutschland hat man in Österreich versucht, dem erhöhten Koordinierungsbedarf durch die Bildung eines besonderen Entscheidungsgremiums - die „Integrationskonferenz der Länder" Rechnung zu tragen, das anstelle und mit Wirkung für jedes einzelne Land entscheiden kann. In Abweichung allerdings zu dem deutschen Länderbeteiligungsverfahren, bei dem die Landtage bei der Willensbildung außen vor blieben, sind gem. Art. 2 der oben erwähnten Ländervereinbarung 29 die jeweiligen Landtagspräsidenten in dem Gremium personell mit eingebunden. Damit sind mögliche Kritikpunkte, die der entsprechenden deutschen Regelung damals entgegengehalten wurden, von vornherein entschärft worden 30. Hervorzuheben ist ebenfalls, daß zur Beschlußfassung der IKL ein besonderer Abstimmungsmodus vorgesehen ist: Für das Zustandekommen einer „einheitlichen Stellungnahme" der Länder im Sinne des Art. 23 d Abs. 2

27

Im Gegensatz zu Art. 77 Abs. 4 GG, wonach für einen solchen Beschluß mindestens die Mehrheit der Stimmen der gesetzlichen Mitgliederzahl erforderlich ist, verlangt Art. 42 Abs. 4 S. 1 B-VG lediglich einen (Mehrheits-)Beschluß bei Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder. Von den gegenwärtig 183 Mitgliedern des österreichischen Nationalrats müssen also 92 für den Beschluß anwesend sein, der dann mit einfacher Mehrheit, das entspricht 47 Stimmen, gefaßt werden kann. Das erforderliche Stimmquorum ist damit erheblich geringer als in Deutschland. 28 Vgl. auch Öhlinger, ZG 1996, 57 (65 f.); ders.: Verfassungsrecht, 3. Aufl., Wien 1997, S. 95, Fußn. 11. Nach Auskunft der Parlamentsdirektion des Nationalrats in Wien hat es bislang auch nur einen Fall einer Stellungnahme des Bundesrates gegeben (Stand: 26.3.1998). 29 Siehe Fußn. 24. 30 Siehe zu Länderbeteil igungsverfahren oben, S. 35 ff.

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Teil 4: Alternativen zur Verbesserung der Mitwirkung der Länder B-VG reicht es bereits aus, wenn eine Mehrheit der österreichischen Länder, also mindestens fünf Länder, zustimmen und kein Land eine Gegenstimme erhebt. Man kann dieses Verfahren als „Konsensualverfahren" bezeichnen31, das zwischen dem Mehrheitsprinzip und dem strikten Einstimmigkeitsprinzip anzusiedeln ist. Im Fall des Schweigens oder der Enthaltung wird die Zustimmung der betreffenden Länder vermutet („qui tacet consentire videtur"). Allerdings hat es bis dato noch keinen Beschluß der IKL in Österreich gegeben32. Die Stellungnahmen der Länder werden vielmehr von den Exekutivspitzen der Verwaltungsdepartemente in Österreich erarbeitet 33. Möglicherweise zeichnet sich damit in Österreich eine ähnlich ernüchternde Erfahrung ab, wie sie in Deutschland mit den „Gemeinsamen Stellen" des Länderbeteiligungsverfahrens von 1979 verzeichnet werden konnte 34 .

-

Auch in Österreich knüpfen die Mitwirkungsbefugnisse der Länder, des Parlaments und des Bundesrates an die innerstaatliche Kompetenzverteilung an, die somit wie die Regelung des Art. 23 Abs. 4 GG zum regierenden Prinzip der Kompetenzverteilung in den Angelegenheiten der Europäischen Union erhoben wird.

-

Dabei sehen die Art. 23 d Abs. 2 und 3, Art. 23 e Abs. 2 und 6 B-VG eine grundsätzliche Bindung der österreichischen Bundesregierung an die Stellungnahmen der mitwirkungsbefugten Körperschaften und Organe nach dem Vorbild des ehemals in Deutschland geltenden Art. 2 EEAG vor.

-

Ähnlich wie in Deutschland besteht in Österreich mit Art. 23 d Abs. 3 B-VG die Möglichkeit, die Mitwirkung und Willensbildung im Rat in Angelegenheiten, in denen die Gesetzgebung Landessache ist, einem von den Ländern benannten Vertreter zu übertragen. Der Vertreter der Länder wird nicht von dem Bundesrat, sondern in Konsequenz der österreichischen Lösung von den Ländern selbst benannt. Des weiteren liegt die Entscheidung zur Übertragung im Gegensatz zu Art. 23 Abs. 6 GG im einfachen Ermessen der Bundesregierung („... kann ... übertragen"); ein Regelmechanismus wie in Deutschland ist nicht vorgesehen. Zur Beschreibung des Zusammenspiels zwischen Bundesregierung und Ländervertreter hat Österreich die „sibyllini-

31

Vgl. Schäffer, DÖV 1994, 181 (193). Quelle: Auskunft der Parlamentsdirektion des österreichischen Nationalrats vom 26.3.1998. 33 Die „einheitlichen Stellungnahmen" der Länder - bis Oktober 1997 22 an der Zahl - wurden bislang _unter Mitwirkung der „Verbindungsstelle der Bundesländer", einem von den Landesregierungen bereits im Jahre 1950 gebildeten und ihr unterstehenden Gremium, abgegeben, vgl. Schweizer/Brunner,; S. 50 f. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit dieser Lösung ist umstritten, vgl. Öhlinger.; ZG 1996, 57 (61). 34 Kritisch zur Praktikabilität der IKL: Öhh'nger, ZG 1996, 57 (61). Zum Länderbeteil igungsverfahren Deutschlands siehe oben, Teil 1, Kap. II.3., S. 36. 32

III. Der Blick über die Grenzen: Das „österreichische Modell"

333

sehe" Formel der Gemeinsamen Verfassungskommission „unter Beteiligung ... und in Abstimmung..." übernommen. -

Art. 23 d Abs. 3 Satz 4 B-VG enthält eine besondere und deshalb bemerkenswerte Regelung zur Verantwortlichkeit des Ländervertreters: Dieser ist in Angelegenheiten der Bundesgesetzgebung dem Nationalrat, in Angelegenheiten der Landesgesetzgebung den Landtagen verantwortlich. Allerdings bezieht sich die Verantwortlichkeit lediglich auf Art. 142 B-VG. Da die letztgenannte Vorschrift die Zuständigkeit des österreichischen Verfassungsgerichtshofs in bezug auf schuldhafte Rechtsverletzungen von obersten Bundes- und Landesorganen sowie den Kreis der möglichen Antragsberechtigten beschreibt, handelt es sich primär um eine Regelung der rechtlichen Verantwortlichkeit. Gleichwohl kann in der Möglichkeit einer Anklage des Ländervertreters vor dem Verfassungsgerichtshof wegen behaupteter Rechtsverletzungen auch ein Mittel zur Realisierung der parlamentarischen Verantwortlichkeit gesehen werden. Einer Anklage durch den Nationalrat oder durch die Landtage wird regelmäßig eine öffentliche Befassung und Debatte über das Verhalten des Ländervertreters im Plenum der betreffenden Parlamente vorausgehen. In diesem Rahmen kann sich die Möglichkeit der Anklage als ultima ratio aber zugleich als politisches Druckmittel erweisen35. Sowohl der Nationalrat als auch die Landesparlamente haben demnach die Möglichkeit, den Ländervertreter im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeit politisch und rechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Wie oben gezeigt, scheidet eine solche Möglichkeit für die deutsche Regelung des Art. 23 Abs. 6 GG aus systematischen Gründen aus und würde zu ihrer Realisierung eine tiefgreifende Reform des Bundesstaats erfordern.

-

Den Regelungen der Art. 23 e bis f B-VG und Art. 142 Abs. 2 c) B-VG läßt sich entnehmen, daß die Integrationsgewalt in Österreich im Gegensatz zu Deutschland nicht ausschließlich dem Bund zusteht, sondern in den Bereichen der Gesetzgebungskompetenzen der Länder auch diesen. Dabei bildet die Ländergesamtheit als solche ein eigenes, neben dem Bund stehendes verfassungsrechtliches Zuordnungssubjekt von Rechten und Pflichten. Eine Mediatisierung der Mitwirkung der Länder über das Bundesorgan Bundesrat findet in den Angelegenheiten der europäischen Integration also nicht statt. Insoweit unterscheidet sich die Konstruktion der österreichischen Ländermitwirkung in dem Bereich erheblich von dem zweigliedrigen Bundes-

35 Zu einer solche Ministeranklage ist es bislang in Österreich - ebensowenig wie in Deutschland zur Präsidentenanklage nach Art. 61 GG - noch in keinem Fall gekommen.

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Teil 4: Alternativen zur Verbesserung der Mitwirkung der Länder staatsbegrifF des Grundgesetzes, der nur den Bund und die Länder kennt, nicht aber eine neben dem Bund stehende Ebene der Ländergesamtheit 36.

Eine umfassende Bewertung der verfassungsrechtlichen Ausgestaltung der Länderbeteiligung nach dem österreichischen B-VG kann im Rahmen dieser Arbeit nicht vorgenommen werden. Die Abweichungen und Unterschiede zur Regelung des Art. 23 GG beruhen auf den Besonderheiten des österreichischen Staatsaufbaus. Daß der Bundesrat in Österreich eine vergleichsweise schwache Position bei der gemeinsamen Willensbildung einnimmt, läßt sich mit der unterschiedlichen Funktion und Zusammensetzung des Bundesrates in Österreich erklären. Nach Art. 35 B-VG besteht der Bundesrat in Österreich nicht aus den Mitgliedern der Landesregierungen, sondern aus von den Landtagen nach dem Grundsatz der Verhältniswahl gewählten Mitgliedern. Deren Amtszeit ist entsprechend auf die Dauer ihrer Gesetzgebungsperiode beschränkt. Die Bundesratsmitglieder verfügen über ein freies Mandat, so daß die Länder, abgesehen von der Wahl der Bundesratsmitglieder, keinen direkten Einfluß auf den Bundesrat ausüben können37. Die Stellung des Bundesrates bei der Gesetzgebung in Österreich ist auch insoweit schwächer als die des Bundesrates in Deutschland, als es in Österreich die Kategorie der „Zustimmungsgesetze" wie im Grundgesetz - abgesehen von den Gesetzen nach Art. 44 Abs. 2 B-VG, durch die die Zuständigkeit der Länder in Gesetzgebung und Vollziehung eingeschränkt wird - nicht gibt. Gerade der Zustimmungsbedürftigkeit von Gesetzen verdankt jedoch der Bundesrat in Deutschland seinen maßgeblichen politischen Einfluß 38 . Faktisch stellt der Bundesrat Österreichs deshalb kein starkes Instrument zur Wahrung der Interessen der Länder auf Bundesebene dar 39 . Auch würde das Modell der direkten Länderbeteiligung und der Bildung eines Länderrats nach dem oben Gesagten der Systematik der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung widersprechen und eine tiefgreifende Änderung des herkömmlichen Typus des grundgesetzlichen Bundesstaats erfordern. Eine grundsätzliche Bindung der Bundesregierung an die Stellungnahme anderer Körperschaften und Organe würde - wie ausführlich zur deutschen Rechtslage darge36 Die Konstruktion der Ländermitwirkung in Österreich weist insoweit Bezüge zur namentlich von Kelsen und Nawiasky geprägten Lehre des dreigliedrigen Bundesstaats auf, vgl. hierzu Kimminich, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, §26 Rdnr. 15 ff.; Stern., StaatsR I, S. 650 f. 37 Auf die Unterschiede weist auch Schäffer, DÖV 1994, 181 (191), hin. Die Meinung der Bundesratsvertreter wird allerdings de facto durch die Parlamentsfraktion geprägt, der der betreffende Vertreter angehört. Der österreichische Bundesrat dient somit der Länderrepräsentation nach dem „Parteiproporz" im jeweiligen Landtag, vgl. Schambeck., ÖJZ 1996, 521 (526). Dieses Phänomen ist auch dem Bundesrat deutscher Prägung nicht unbekannt, vgl. Koschnik, in: Vierzig Jahre Bundesrat, 81 (87 ff); Kübel.\ in: Der Bundesrat im Rückblick, 50 (58 ff.); v. Hassel\ in: Vierzig Jahre Bundesrat, S. 71 ff. 38 Siehe oben, Teil 2, Kap. III.5. c), S. 137 f. 39 Schweizer/Brunner, S. 13.

III. Der Blick über die Grenzen: Das „österreichische Modell"

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legt - dem Demokratie- und dem Gewaltenteilungsgrundsatz des Grundgesetzes widersprechen und gegen den durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Kerngehalt dieser Staatsstrukturprinzipien verstoßen. Österreich kennt dieses Problem bereits aus formellen Gründen nicht, weil in der österreichischen Verfassung eine der „Ewigkeitsgarantie" des Grundgesetzes vergleichbare Vorschrift nicht existiert. Ein Aufgehen Österreichs in einem europäischen Bundesstaat wäre demgemäß verfassungsrechtlich ohne weiteres denkbar 40. Allerdings könnten sich die Regelungen der Art. 23 d und e B-VG auch für Österreich aus materiellen Gründen als nicht unproblematisch erweisen. Nach Art. 44 Abs. 3 B-VG bedürfen „Gesamtänderungen der Bundesverfassung" einer Abstimmung durch das gesamte Bundesvolk. Sofern man in der durch Art. 23 d und e B-VG vorgesehene Länderbeteiligung eine Gesamtänderung der Bundesverfassung erblickt, etwa weil die in Österreich geltenden Staatsstrukturprinzipien der Bundesstaatlichkeit, der Demokratie und der Gewaltenteilung41 modifiziert würden, wäre eine Volksabstimmung vonnöten gewesen42. Auch aus der Perspektive des österreichischen Verfassungsrechts ist darüber hinaus die Frage klärungsbedürftig, welche staatliche Ebene der Ländervertreter im Fall der Übertragung der Verhandlungsführung nach Art. 23 d S. 1 B-VG vertritt. Seine Bestellung durch die Integrationskonferenz der Länder sowie die Regelung seiner Verantwortlichkeit gegenüber einer Ländergesamtheit nach Art. 142 B-VG sprechen dafür, daß der Ländervertreter auf den Gebieten, die zur Gesetzgebungskompetenz der Länder gehören, rechtlich eine Gesamtheit der Länder nach außen vertritt. Ungeachtet dessen, wie diese Frage nach österreichischem Bundes-Verfassungsrecht bewertet werden muß 43 , bliebe immer noch das Problem einer möglichen Inkongruenz zu Art. 146 EGV. Wie oben dargelegt, stellt der Rat der Europäischen Gemeinschaft nach seiner institutionellen Struktur bereits das föderale Organ der Gemeinschaft dar und erfordert im Gegenzug eine ausschließlich unitarische Vertretung der Mitgliedstaaten; ei-

40

Öhlinger, in: FS für Everling, 1017 (1020 f.). Die genannten Prinzipien ergeben sich nur andeutungsweise aus den Art. 1 und 2 B-VG, lassen sich jedoch ähnlich wie in Deutschland aus einer Gesamtschau der Verfassung hinreichend deutlich gewinnen, vgl. Öhlinger, Verfassungsrecht, S. 50 ff. 42 Die Volksabstimmung vom 12. Juni 1994 legitimiert nicht das später erlassene EU-Begleit-Verfassungsgesetz vom 15.12.1994. Zum Inhalt und den Wirkungen der österreichischen Volksabstimmung vgl. Öhlinger, in: FS für Everling, 1017 (1021 ff., 1027 f.). Art. 44 Abs. 3 B-VG wird in der österreichischen Staatspraxis allerdings restriktiv ausgelegt, vgl. Öhlinger, Verfassungsrecht, S. 50 f., 61 f. Bislang ist noch keine Verfassungsänderung mit der Begründung gescheitert, daß sie eine Gesamtänderung der Bundesverfassung bewirkt habe und eine hierfür erforderliche Volksabstimmung nicht durchgeführt worden sei. 43 Zur Unzulässigkeit einer neben dem Bund stehenden dritten Ebene einer Ländergesamtheit nach deutschem Verfassungsrecht, siehe bereit oben, Teil 3, Kap. 3 c) (1), S. 227 ff. 41

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Teil 4: Alternativen zur Verbesserung der Mitwirkung der Länder

ne weitere Föderalisierung der Mitglieder des Rates stünde dazu in Widerspruch 44. Wie auch immer man daher das „österreichische Modell" rechtlich beurteilen mag, so lassen sich als vorläufiges Fazit doch zwei Grundaussagen treffen: Zum einen scheidet eine Übertragung der österreichischen Lösung auf das deutsche Verfassungsrecht bereits aus den erwähnten Gründen des positiven Verfassungsrechts aus; insoweit läßt sich der Vergleich der Regelungen zur Länderbeteiligung in Österreich und Deutschland trotz aller Parallelen und Ähnlichkeiten kaum fruchtbar machen. Positiv und richtungsweisend läßt sich jedoch hervorheben, daß der österreichische Gesetzgeber in Art. 23 d und e B-VG auf die Verwendung der Vielzahl der unbestimmten und wertenden Formulierungen verzichtet hat, die gegenwärtig Art. 23 GG durchziehen und die sowohl staatsorganisationsrechtliche als auch praktische Bedenken hervorrufen. Zum anderen begegnet die österreichische Lösung auch aus verfassungspolitischen Gründen erheblichen Bedenken: Letztlich bleibt aufgrund der in Art. 23 d und e B-VG vorgesehenen Bindung der Regierung an das Votum der Länder, des Bundesrates und des Nationalrats unklar, wessen Willen bei den Handlungen der österreichischen Amtswalter in Brüssel oder anderswo auf der europäischen Bühne repräsentiert wird. In dem Bestreben, die Mitwirkungsrechte der verschiedenen Körperschaften und Organe möglichst vollständig zu kompensieren, hat der österreichische Gesetzgeber für den Bereich der Angelegenheiten der Europäischen Union ein sehr weitgehendes Modell der „Staatsleitung zur gesamten Hand" verwirklicht 45 . Dies beginnt mit der grundsätzlichen Bindung des zuständigen Regierungsmitglieds an die Stellungnahmen verschiedener Organe und Körperschaften, findet seine Fortsetzung in der Zusammensetzung der Integrationskonferenz der Länder - Landtagspräsident, Landeshauptmann und Bundesrat - und erstreckt sich schließlich bis hin zur der in einigen Landesverfassungen vorgesehenen Bindung der Landeshauptmänner an die Beschlüsse der zugehörigen Landesparlamente46. Zusätzlich hierzu sind gem. Art. 23 d B-VG auch die Gemeinden in den Willensbildungsprozeß einbezogen, wenn auch deren Stellungnahmen nach Art. 5 Abs. 1 der Bund-LänderVereinbarung nur „entsprechend zu erwägen" sind, also nicht mit Bindungswirkung ausgestattet sind.

44

Siehe oben, Teil 3, Kapitel IV.4. c), S. 279 ff. Zu diesem Begriff vgl. bereits Teil 3, Kap. IV, Fußn. 408. Ursache hierfür mag gewesen sein, daß die regierende Koalition in Österreich kurz vor der Verabschiedung der Verfassungsnovelle die Zweidrittelmehrheit im Nationalrat verloren hat und sich so zu weitgehenden Kompromissen gezwungen sah, um die Novelle verabschieden zu können, vgl. Öhlinger, in: FS für Everling, 1017 (1029). 46 Schäffer, DÖV 1994, 181 (193). 45

III. Der Blick über die Grenzen: Das „österreichische Modell"

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In Österreich mögen diese Regelungen verfassungsrechtlich zulässig, praktikabel und auch von einer allseitigen Akzeptanz getragen sein47. So ist beispielsweise das Gewaltenteilungsprinzip in der österreichischen Verfassung nicht in der Weise ausgeprägt wie im Grundgesetz; der Bereich „Regierung" ist vielmehr von der österreichischen Staatsrechtslehre im Verwaltungsbegriff aufgelöst worden 48 . Die Verfassungskultur und das Demokratieverständnis hängen darüber hinaus in jedem Gemeinwesen von vielerlei landesspezifischen, kulturellen und historischen Faktoren ab und haben auch in Österreich eine eigene Prägung erhalten, die für die Verfassungswirklichkeit in Deutschland nicht übertragen werden kann 49 . Die Verfassungsdiskussion im Zusammenhang mit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union war nach den Aussagen eines namhaften Verfassungsrechtlers im Vergleich zu Deutschland in Österreich auch „um einige Grade weniger grundsätzlich, dafür um einiges technischer" 50. So haben in Österreich auch die Länder von ihren weitgehenden Mitwirkungsbefugnissen aufgrund des Art. 23 d B-VG in der Praxis bislang nur in moderater Form Gebrauch gemacht51. Und auch der Bundesrat hat bislang nur in einem Fall eine für die Bundesregierung nach Art. 23 e Abs. 6 B-VG verbindliche Stellungnahme abgegeben52. Die Ursachen hierfür dürften vielschichtig sein. Auch in Österreich haben sich vielerlei Formen der Kooperation, Koordination und Verflechtungen der Administration zwischen Bund und Ländern und unterhalb der Länder entwickelt, vermittels derer die Länder auf die Bundespolitik einwirken können53. Zu bedenken ist weiterhin, daß in Österreich, dessen Einwohnerzahl mit rd. 7, 8 Millionen etwa der des viertgrößten deutschen Bundeslandes, nämlich Niedersachsen, entspricht, auch andere Mechanismen der demokratische Willensbildung und Konsensfindung stattfinden können, als dies

47

Kritisch zur allgemeinen Verfassungsentwicklung jedoch Öhlinger, in: FS für Everling, 1017 (1027 ff.). Darüber hinaus sind die Überlegungen bezüglich einer Strukturreform des Bundesstaats in Österreich noch nicht abgeschlossen, vgl. hierzu Pernthaler , Ρ., Bundesstaatsreform als Instrument der Verwaltungsreform und des europäischen Föderalismus, Wien 1997; Schambeck, ÖJZ 1996, 521 (535 f.). 48 Vgl. Öhlinger, VVDStRL Bd. 56 (1997), 81 (82). 49 Vgl. den Länderbericht Österreichs von Schambeck, in: Föderalismus und Regionalismus, S. 55 ff. 50 Öhlinger, in: FS für Everling, 1017(1019). 51 Vgl. Schweizer/Brunner, S. 50 ff. 52 Auskunft der Parlamentsdirektion des österreichischen Nationalrats vom 26.3.1998. 53 Hier können beispielsweise die „Verbindungsstelle der Bundesländer" sowie die „Landeshauptmänner-" und die „Landesamtsdirektorenkonferenz" erwähnt werden. 22 Halfmann

338

Teil 4: Alternativen zur Verbesserung der Mitwirkung der Länder

für Deutschland aufgrund seiner Einwohnerzahl und seiner Geographie möglich wäre 54. Aus deutscher verfassungsrechtlicher Sicht könnte jedenfalls das Modell der „Staatsleitung zur gesamten Hand" kein richtungsweisender oder erfolgversprechender Weg der Stärkung der Demokratie und des Föderalismus sein. Im Gegenteil: Das Demokratie- und Gewaltenteilungsverständnis des Grundgesetzes verlangen bei der fortlaufenden Realisierung und Aktualisierung der Staatsgewalt nach mehr Transparenz, Klarheit und Stringenz des Verantwortungsgefüges. Das Bundesstaats- und das Demokratieprinzip des Grundgesetzes stellen nach dem oben Gesagten eine bewußte Entscheidung gegen die Doppel- oder Mehrfachrepräsentation des Volkes oder Teile der Bevölkerung dar und gebieten jeweils eine hinreichend effektive und ununterbrochene Rückfuhrbarkeit der Staatsgewalt auf einen einheitlichen Willen des Volkes entweder auf der Ebene des Bundes oder der Länder. Eine diffuse Konkordanz der Willensbildung von unterschiedlich legitimierten Organen könnte diesen Erfordernissen nicht gerecht werden 55. Hinzu kommt, daß die unbestreitbaren demokratischen Mängel bei der europäischen „Exekutivrechtsetzung" 56 auf nationaler Seite eher ein Entgegenwirken im Wege der Intensivierung vorhandener Legitimationstränge und der Herstellung und Gewährleistung von Transparenz, Stringenz und Verantwortungsklarheit erfordern, als eine institutionelle Ausweitung der „Fusionsbürokratie" und der „Politikverflechtung" in den innerstaatlichen Bereich 57. Überlegungen einer Übernahme des österreichischen Modells der Ländermitwirkung

54

In diesem Zusammenhang könnten die Gremien wie der im Jahre 1976 eingerichtete „Rat für Auswärtige Angelegenheiten" und der seit 1989 gebildete „Rat für Fragen der österreichischen Integrationspolitik" genannt werden, vgl. hierzu Öhlinger; VVDStRL Bd. 56 (1997), 81 (90). Von großer Wichtigkeit ist auch das sog. „Begutachtungsverfahren" von Regierungsvorlagen durch die betroffenen Interessengruppen und Körperschaften, das sich in der Staatspraxis neben der Verfassung entwickelt hat, vgl. Walter.; R./Mayer, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Rdnr. 440. 55 A.A.: Für die Schaffung einer „Konkordanzdemokratie" in Europa: Steinherger; in: FS für Helmrich, 427 (433). Zur Unvereinbarkeit einer „Fusionsthese" mit dem Demokratieverständnis des Grundgesetzes siehe bereits oben, Teil 3, Kap. III.2. b), S. 205 ff. 56 Siehe hierzu oben, Teil 3, Kap. III.2. c), S. 211 ff., sowie zu den Eigenheiten des „Verhandlungsregimes" Kap. IV. 3. b), S. 258 ff. 57 Kritisch zur innerstaatlichen Politikverflechtung: Fechtner/Hannes, ZParl 1993, 132 (1140 f.); Glotz/Faber, in: Benda/Maihofer/Vogel, HdbVerfR, §28 Rdnr. 60 ff.; Lhotta, ZParl 1993, 116 (122 ff.);. Scharpf, PVS 26 (1985), 323 ff.; ders., Kooperation auf der »dritten Ebene«, 59 (65 ff.); Schenke, JuS 1989, 698 (700). Relativierend demgegenüber: Schmid, PVS 28 (1997), S. 446 ff. Siehe auch Callies, DÖV 1997, 889 (897), sowie die Anmerkungen zu den Kapiteln „Faktische Ingerenzen der Länder?", Teil 3, Kap. II.2. c) (3), S. 179 ff., und zu der „Problematik der Realisierbarkeit der demokratischen Rückbindung", Teil 3, Kap. II 1.2. c), S. 211 ff.

IV. Einräumung erweiterter Kontrollrechte der Landesparlamente?

339

für das Grundgesetz ist daher aus verfassungsrechtlicher wie -politischer Sicht entgegenzutreten58.

IV. Einräumung erweiterter Kontrollrechte der Landesparlamente? Vereinzelt ist in der Vergangenheit eine Stärkung der Landesparlamente durch die Schaffung stärkerer Kontroll- und Einflußmöglichkeiten gegenüber den im Bundesrat agierenden Vertretern der Landesregierungen gefordert worden 59 . Die sog. „Ziegler-Kommission" des nordrhein-westfalischen Landtages hat hierzu im einzelnen detaillierte Vorschläge unterbreitet und einen Entwurf eines einfachen Gesetzes vorgelegt, nach dem die Landesregierung den Landtag umfassend und rechtzeitig unterrichtet über Entscheidungsvorlagen des Bundesrates, geplante Verwaltungsabkommen mit anderen Bundesländern und mit Rechtsträgern des Auslands sowie über die Verhandlungen zum Abschluß von Staatsverträgen 60. Der Gesetzentwurf sah ebenfalls die Möglichkeit der Bindung der Landesregierung an einen Beschluß des Landtages vor, von dem die Landesregierung nur unter Berufung auf Rechtsgründe oder aber auf schwerwiegende politische Interessen des Landes sollte abweichen dürfen 61. Sollte dies aus landesverfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich sein, wurde erwogen, die Landesverfassung entsprechend zu ändern 62. In Österreich sind entsprechende Änderungen der Landesverfassungen in diesem Sinne zum Teil vorgenommen worden. In rechtlicher Hinsicht begegnen diese Vorschläge erheblichen staatsorganisationsrechtlichen Bedenken. So markieren die vertikale Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern einerseits sowie die horizontale Funktionsaufteilung zwischen Legislative und Exekutive andererseits die unverrückbaren rechtlichen Grenzen einer Einflußnahme der Landesparlamente: Nach ganz überwiegender Meinung ist ein „Hineinwirken" der Landesparlamente, welches über den Grad einer bloßen Empfehlung an die jeweilige Landesregierung hinausgeht, in die Tätigkeit des Bundesrates mit dem Prinzip der vertikalen Gewaltenteilung des Grundgesetzes zwischen Bund und Ländern nicht vereinbar 63. Darüber hinaus wurde weiter oben dargelegt, daß dem Prinzip der parlamentari58

A.A.: Donoth, der meint, daß sich mit dem österreichischen Modell die bundesstaatliche Ordnung des Grundgesetzes stärken ließe, vgl. ders., S. 344. Donoth geht jedoch auf keines der hier erörterten Probleme ein. 59 Zur Beteiligung der Landesparlamente siehe bereits oben, S. 56 ff. 60 Vgl. im einzelnen Große-Sender, Kommissionsbericht, Teil 2, S. 72 ff. 61 Vgl. im einzelnen Große-Sender, Kommissionsbericht, Teil 2, S. 72 ff. 62 So Schweitzer, ZG 1992, 128 (147 f.); ihm folgend: Friebe, S. 100 ff. 63 Siehe hierzu oben, Teil 3, Kap. III. 1. d) (2), S. 192 ff.

340

Teil 4: Alternativen zur Verbesserung der Mitwirkung der Länder

sehen Verantwortlichkeit ein entsprechender eigenständiger Handlungs- und Gestaltungsspielraum auf Seiten der Exekutive korrespondieren muß, in den nicht eingegriffen werden darf. Eine rechtliche Bindung der Landesregierung an die Stellungnahme oder die Beschlüsse des Landesparlamentes würde in den weisungsfreien Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung der Regierung eingreifen und würde das Prinzip der Gewaltenteilung und des parlamentarischen Regierungssystems durchbrechen 64. Auf bundesrechtlicher Ebene würde deshalb eine strikte Bindung der Regierung an Beschlüsse des Parlamentes nach der hier vertretenen Auffassung gegen die Grundsätze des Art. 79 Abs. 3 GG verstoßen. Ob ein solches System auf Länderebene im Wege der Änderung der Landesverfassung etabliert werden könnte, ist fraglich und hängt von der Auslegung des Art. 28 Abs. 1 GG ab. Über das Homogenitätsgebot des Art. 28 Abs. 1 GG sind die Länder bei der Ausgestaltung ihrer Verfassungsordnung unzweifelhaft an die „Grundsätze des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaats im Sinne dieses Grundgesetzes" gebunden. Ob die „Grundsätze" des Art. 28 Abs. 1 GG indes gleichbedeutend mit den Grundsätzen des Art. 20 GG oder denen des Art. 79 Abs. 3 GG auszulegen sind, ist in Literatur und Rechtsprechung keineswegs vollständig geklärt. Während das Bundesverfassungsgericht lediglich ein „Mindestmaß" an Homogenität im Sinne einer Bindung an die leitenden Prinzipien fordert 65 und somit eher der weiteren, föderalismusfreundlichen Auslegung zuzuneigen scheint, legen andere den Schwerpunkt mehr auf das Tatbestandsmerkmal „im Sinne dieses Grundgesetzes" und fordern eine stärkere Kongruenz zu den typenbestimmenden Merkmalen des Grundgesetzes66. Die Frage, inwieweit das parlamentarische Regierungssystem des Bundes auch für die Länder einen verbindlichen normativen Rahmen bildet, wird von der Literatur folglich divergierend beurteilt 67. Letztlich kann die Frage aber dahinstehen: Denn eine durch Landesgesetz oder Landesverfassung vorgeschriebene Bindung der Landesregierung an die Beschlüsse des Landtags in bezug auf das Stimmverhalten im Bundesrat würde den Kompetenzrahmen der Länder überschreiten, weil es die Struktur und Funktionsweise des Bundesrates in Richtung eines Senatsmodells mit einer „parteipolitisch ausgerichteten Par-

64 In bezug auf das Verhältnis der Bundesregierung zum Bundestag, vgl. BVerfGE 9, 268 (281); 22, 106 (111), 34 (52, 59); 67, 100 (139); Haas, DÖV 1988, 613 (621); Stern, StaatsR II, S. 313 ff. und 541 f f , sowie Bd. I, S. 966 f. 65 BVerfGE 9, 268 (279); 24, 367 (390); 27, 44 (56); 36, 342 (360); 41, 88 (116); 83, 37 (58), st. Rspr. In jgleichem Sinne: Stern., StaatsR I, S. 704 ff.; SGK-Merhaus, Art. 28 Rdnr. 9; Kersten, DÖV 1993, 896 (898 ff.). 66 So z.B. GGK-Löwer, Art. 28 Rdnr. 15. 67 Vorsichtig bejahend: GGK-Löwer, Art. 28 Rdnr. 15; dagegen prinzipiell für einen weitergehenden Gestaltungsspielraum der Länder: EK-Stern, Art. 28 Rdnr. 35; SGKNierhaus, Art. 28 Rdnr. 14; in letzterem Sinn auch: BVerfGE 27, 44 (56).

IV. Einräumung erweiterter Kontrollrechte der Landesparlamente?

341

allelrepräsentation" verändern würde 68 . Die in Art. 51 GG zum Ausdruck gebrachte gouvernementale Zusammensetzung des Bundesrates mit schwerpunktmäßig föderaler Funktion steht in bewußtem Gegensatz zur Etablierung einer zweiten parlamentarisch-demokratischen Ebene auf Bundesebene; sie ist kraft Bundesverfassungsrechts vorgegeben und steht nicht zur Disposition der Länder 69 . Die Stärkung des demokratischen Prinzips, das von den Befürwortern einer Bindung der Landesregierung im Bundesrat an Beschlüsse des Landesparlaments ins Feld geführt wird 70 , vermengt die verschiedenen Stränge der demokratischen Legitimation auf der Ebene des Bundes und der Länder und wird der föderalen Funktion des Bundesrates nicht gerecht. Wie an anderer Stelle bereits dargelegt, fällt die Wahrnehmung der Angelegenheiten der Europäischen Union in die ausschließliche Kompetenz des Bundes und bedarf einer Legitimation des gesamten (Bundes-)Staatsvolkes im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG, die nur über den Deutschen Bundestag und die Bundesregierung vermittelt werden kann. Eine Stärkung des Demokratieprinzips muß folglich primär innerhalb der Kette zwischen Staatsvolk und Bundesregierung erfolgen, wohingegen der Bundesrat auch bei unterstellter Stärkung der Rückbindung an die Landesparlamente eine solche gesamtstaatliche Legitimation gar nicht vermitteln könnte71. Die Vorstellung, die deutschen Länder zu „Ersatz-Hütern" des demokratischen Defizits in der Europäischen Gemeinschaft machen zu können, hieße die bestehenden Probleme an falscher Stelle kurieren zu wollen 72 . Ohne eine tiefgreifende Veränderung der bundesstaatlichen Struktur insgesamt ließen sich die Vorschläge einer Bindung der Landesregierungen an die Landesparlamente, soweit es um die Beschlußfassung im Bundesrat geht, nicht in systemgerechter Weise verwirklichen. Auch in faktischer Hinsicht sprechen nicht unerhebliche Einwände gegen diese Vorschläge: Der Prozeß der Rechtsetzung auf EG-Ebene setzt der Mitwirkung der nationalen Parlamente der Mitgliedstaaten bereits von seinem Ver-

68 Enquête-Kommission Verfassungsreform, BT-Drs. 7/5924, S. 97; ähnlich Paul, S. 116 f.; noch zurückhaltender (auch regelmäßige parlamentarische Entschließungen verletzten das Bundesratsprinzip): Badura, in: Vierzig Jahre Bundesrat, 317 (324). 69 In dem Sinne auch BK-Blumenwitz, Art. 51 Rdnr. 15 f. 70 Große-Sender, Kommissionsbericht, Teil 2, S. 71 ff.; Schweitzer, ZG 1992, 128 (147); ähnlich auch Donoth, S. 336, 338; differenzierend Schütz, BayVBl. 1990, 518 (524, Fußn. 94). 71 Vgl. oben, Teil 3, Kap. III.3. c), S. 226 ff. 72 So auch Kewenig, in: Arbeitspapiere zur Internationalen Politik, Nr. 71 (1992), 55 (56).

342

Teil 4: Alternativen zur Verbesserung der Mitwirkung der Länder

fahrens- und Zeitablauf Grenzen 73. Inhaltlich gelten für den Beratungsverlauf gänzlich andere Mechanismen und Determinanten als im nationalen Rechtsetzungsverfahren, die den Abstimmungsprozeß aus der Ferne erschweren und die weiter oben ausführlich geschildert worden sind 74 . Jede Erweiterung der Abstimmungsebene muß die Schwierigkeiten in kumulativer, wenn nicht sogar in exponentiel 1er Weise verstärken 75. Wenn auch im allgemeinen der Grundsatz gilt, daß es auf die Form der Vermittlung der demokratischen Legitimation nicht entscheidend ankommt, so hat doch die Zwischenschaltung von weiteren Gliedern in der Legitimationskette ihre Grenzen 76. Die Landtage sind weder von ihrer Organisation noch von ihrer Kapazität darauf angelegt, die europapolitischen Aktivitäten der Bundesregierung oder der Landesregierung im Bundesrat umfassend und kritisch zu begleiten77. Eine Parallelentwicklung in den Ländern zu der auf Bundesebene bereits kritisch dargestellten Entwicklung der „Staatsleitung zur gesamten Hand" 78 , noch dazu in den gleichen Beratungs- und Verhandlungsmaterien, würde das Demokratieprinzip aufgrund der Verwischung klarer Verantwortungszusammenhänge eher schwächen als stärken 79. Systemgerechter wäre dagegen vielmehr die Intensivierung der bereits vorhandenen parlamentarischen Kontrollmöglichkeiten der Landtage gegenüber den jeweiligen, im Bundesrat agierenden Regierungsvertretern. Die parlamentarischen Kontrollrechte stehen den Landtagen zu, unbeschadet der Tatsache, daß die Landesregierungen im Bundesrat über Bundesangelegenheiten beraten und beschließen80. Um dies zu ermöglichen, bietet sich beispielsweise an, eine dem

73 Zu den faktischen Schwierigkeiten der Herstellung einer wirksamen demokratischen Rückbindung der Handlungen der Bundesregierung an den Willen des Volkes siehe oben, Teil 3, Kap. III.2. c), S. 211 ff. 74 Näher hierzu im Kapitel über die Eigenheiten des Verhandlungsregimes, Teil 3, Kap. IV.3. b), S. 258 ff. 75 Scharpf spricht im Zusammenhang mit dem Vorschlag der Einschaltung der Landesparlamente in die Willensbildung von einem „Alptraum der innerstaatlichen Koordination", vgl. ders., Regionalisierung, 92 (94 f.). 76 Classen, , AöR 119 (1994), 238 (252); Sommermann, DÖV 1994, 596 (600). 77 Vgl. Glauben/Edinger, DÖV 1995, 941 (945); Müller, M , DÖV 1993, 103 (106), sowie die Anmerkungen in Teil 3, Kap. III, zu den Fußn. 163 und 166. Kritisch auch Borchmann, DÖV 1988, 623 (629). Große-Sender, Kommissionsbericht, Teil 1, S. 88, nennt zwei weitere Ursachen: Zum einen die intensive Verschränkung von Mehrheitsfraktion im Landtag und Regierung, zum anderen schlicht das mangelnde Interesse der einzelnen Abgeordneten, die sich danach mehr für die Probleme ihres lokalen Wahlkreises interessierten. Auch von neuen sich ergebenden Gesetzgebungsfeldern scheinen die Länder oft nur sehr zurückhaltend Gebrauch machen zu wollen, vgl. Friebe, S. 88. 78 Vgl. oben, Teil 3, Kap. IV. 1. a), S. 239 ff. 79 So auch Ockermann/Glende, S. 35: Die Ausübung der Kontrollfunktion dürfe nicht dazu führen, daß die Landesparlamente zu „Nebenregierungen oder Nebenverwaltungen" werden und hierdurch die Grundsätze der Gewaltenteilung verwischt werden. 80 Siehe oben, Teil 3, Kap. III. 1. d) (2), S. 192 ff.

V. Eigener Vorschlag

343

Art. 23 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 GG entsprechende Regelung für das Verhältnis zwischen Landesregierung und Landesparlament in den Ländern einzuführen, entweder durch Änderung der Landesverfassung oder auf einfachgesetzlicher Grundlage. In der Praxis wird in einigen Ländern bereits nach diesen Grundsätzen verfahren 81. Darüber hinaus gilt ebenso für die Länder wie für den Bund, daß die Herstellung effektiver demokratischer Legitimation wesentlich von der Initiative und dem Verantwortungsbewußtsein jedes einzelnen Repräsentanten abhängt, durch welche sie erst mit Leben erfüllt wird 82 . Dies setzt voraus, daß die Landesparlamente ihre eigenen Einwirkungs- und Entscheidungsmöglichkeiten in effektiver Form wahrnehmen und auch tatsächlich ihre diesbezüglichen Kompetenzen ausschöpfen 83.

V. Eigener Vorschlag: Eine stärkere Orientierung an dem Grundgedanken des Art. 23 Abs. 4 GG Den bislang dargestellten Alternativmodellen ist zu eigen, daß sie allesamt ohne eine Umwandlung oder Reform der Bundesstaatsstruktur von systemverändernder Tiefe nicht realisierbar sind. Eine solche „große" Bundesstaatsreform ist allerdings in Deutschland weder geplant noch für die Zukunft wahrscheinlich 84 . Von daher stellt sich die Frage, inwieweit eine Intensivierung der Ländermitwirkung innerhalb des geltenden verfassungsrechtlichen Rahmens möglich und sinnvoll ist. Als naheliegende Lösung bietet sich an, die positiv zu bewertenden Elemente des Art. 23 GG beizubehalten und weiter auszubauen, die rechtlichen Schwachpunkte des Art. 23 GG dagegen zu verwerfen. Wie die verfassungsrechtliche Untersuchung gezeigt hat, bilden die Schwächen des Art. 23 GG das Letztentscheidungsrecht des Bundesrates nach Absatz 5 Satz 2, das Recht zur Außenvertretung nach Absatz 6 und die Verwendung der unbestimmten, wertenden Formulierungen zur Kompetenzabgrenzung in den Absätzen 5 und 6. Zu den Stärken des Art. 23 GG zählen dagegen die Regelung des Absatzes 4, nach dem die innerstaatliche Kompetenzverteilung das Grundmuster für die Kompetenzverteilung auch in Angelegenheiten der Europäischen Union bilden soll, sowie die Informationspflicht nach Absatz 2, die eine wichtige Voraussetzung für eine effektive Wahrnehmung der Mitwirkungsrechte darstellt. Die dargestellten Schwächen beruhen auch allesamt auf einer Durchbrechung des Grundgedankens des Art. 23 Abs. 4 GG, da nach der innerstaatlichen Kom-

81

Siehe oben, Teil 1, Kap. IV.3., S. 56 ff. Siehe oben, Teil 3, Kap. III.2. c) (2), S. 213 ff. 83 Böhm, in: Der Landtag als Forum, 11 (15); siehe auch die Anmerkungen in Teil 3, Kap. III, zu Fußn. 165. 84 In letzter Zeit mehren sich allerdings Stimmen, die nach Reformen verlangen, vgl. hierzu Leonardy,, ZParl 1999, S. 135 ff 82

344

Teil 4: Alternativen zur Verbesserung der Mitwirkung der Länder

petenzverteilung weder ein Letztentscheidungsrecht oder ein Alleinvertretungsanspruch des Bundesrates besteht, noch eine Kompetenzabgrenzung „nach dem Schwerpunkt" erfolgt. Insoweit bietet sich die stärkere Anlehnung an den Grundgedanken des Art. 23 Abs. 4 GG besonders an. Konkret können hieraus folgende Postulate für die Zusammenarbeit von Bund und Ländern im Rahmen des Art. 23 GG abgeleitet werden:

1. Grundsätzliche Beibehaltung der gestuften Mitwirkung des Bundesrates unter Wahrung der Gebote des Demokratieprinzips Die Tatsache, daß die Mitwirkungsrechte des Bundesrates von unterschiedlicher und gestufter Intensität sind, entspricht dem Muster der innerstaatlichen Kompetenzverteilung und sollte daher beibehalten werden. Der Bundesrat wirkt im Verfahren der Gesetzgebung immer mit und hat, je nach Materie, entweder ein überwindbares Einspruchsrecht oder ein nicht überwindbares Zustimmungsrecht - letzteres in der Regel bei Gesetzen, die die Interessen der Länder in besonderem Maß berühren 85. Die Position des Bundesrates im Fall der einfachen Berücksichtigung nach Art. 23 Abs. 5 S. 1 GG entspricht, abgesehen von der Möglichkeit der Durchführung eines Vermittlungsverfahrens nach Art. 77 Abs. 2 GG, in etwa seiner Stellung im Gesetzgebungsverfahren bei Einspruchsgesetzen. Kommt es zu keiner Einigung, kann ein Einspruch des Bundesrates vom Bundestag überwunden werden, was in der Praxis auch regelmäßig der Fall ist 86 . Dagegen entspricht die Position des Bundesrates in den Fällen der „maßgeblichen Berücksichtigung" nach Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG seiner starken Stellung im Gesetzgebungsverfahren bei Zustimmungsgesetzen - allerdings mit zwei Ausnahmen: Zum einen kennt das innerstaatliche Gesetzgebungsverfahren kein „Letztentscheidungsrecht" des Bundesrates. Das Maximum an Rechten dessen, was das Grundgesetz dem Bundesrat innerstaatlich im Verfahren der Gesetzgebung bietet, ist eine „Vetoposition", eine Verhinderungsmöglichkeit, nicht aber eine rechtlich zwingende Möglichkeit zur (positiven) Durchsetzung einer Verabschiedung und inhaltlichen Gestaltung eines Gesetzes87. Zum anderen nimmt der Bundesrat im Fall des Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG die Interessen (nicht aber die

85

Vgl. Teil 2, Kap. III, Fußn. 247 und 248. Das Einspruchsverfahren des Art. 77 Abs. 3 und 4 GG spielt daher in der Praxis eine sehr bescheidene Rolle: Bei den bislang insgesamt 2350 (Stand: 19.07.1996) vom Bundestag als Einspruchsgesetze beschlossenen Gesetzen, hat der Bundesrat nur in 33 Fällen Einspruch erhoben, der in 25 Fällen vom Bundestag zurückgewiesen wurde, Quelle: Handbuch des Bundesrates 1996/97, S. 286 f. 87 Zum Zusammenspiel der Bundesorgane im Gesetzgebungsverfahren vgl. auch die Bemerkungen oben, Teil 3, Kap. III.3. a), S. 222 ff. 86

V. Eigener Vorschlag

345

Kompetenzen) der Länder auf den Gebieten wahr, die innerstaatlich zur Gesetzgebungsbefugnis der Länder gehören würden. Der Bundesrat handelt insoweit ebenfalls als Sachwalter der Länder. Diese Lösung ist nach geltendem Verfassungsrecht zwingend, da die Länder ihre Interessen nicht selbst auf EG-Ebene vertreten können. Nach dem Ergebnis der vorliegenden Untersuchung ist ein Letztentscheidungsrecht des Bundesrates mit Art. 79 Abs. 3 GG nicht vereinbar und somit nichtig. Fraglich ist allerdings, ob dem Bundesrat in den Fällen des Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG nicht zumindest ein Zustimmungsrecht, mithin eine „Vetoposition" wie im Fall der Zustimmungsgesetze nach innerstaatlichem Recht eingeräumt werden könnte.

a) Einführung eines Zustimmungsrechts des Bundesrates in Anlehnung an Art. 77 Abs. 2 und2a GG? Zweifellos wäre dies bei Beachtung der Systematik des Art. 23 Abs. 4 GG die nächstliegende Lösung, da sie die innerstaatliche Kompetenzverteilung exakt widerspiegeln würde. Ansätze für die Einführung eines Zustimmungsrechts des Bundesrates finden sich gegenwärtig in § 5 Abs. 3 EUZBLG sowie in einem vom Bundesrat kürzlich vorgeschlagenen Entwurf eines neuen § 5 Abs. 3 EUZBLG, wonach die Bundesregierung vor ihrer Zustimmung zu den im Vertrag von Amsterdam als neues Handlungsinstrument vorgesehenen „Rahmenbeschlüssen" nach Art. 34 Abs. 2 S. 2 Buchst, b EUV n.F. das Einvernehmen mit dem Bundesrat herstellen müsse88. Ein Zustimmungsrecht des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union sähe sich allerdings schweren Bedenken unter den Gesichtspunkten des Demokratieprinzips ausgesetzt. Während im Verfahren der innerstaatlichen Gesetzgebung die demokratischen Legitimations- und Verantwortungsstränge der beteiligten Organe bei jeder nur denkbaren Entscheidungsalternative gewahrt bleiben - entweder es kommt ein Gesetz zustande, das von allen Beteiligten inhaltlich getragen und damit verantwortet wird, oder das Vorhaben scheitert ganz - , wäre dies im Verfahren der supranationalen Rechtsetzung nicht gewährleistet. Der EGV läßt für den Erlaß von Rechtsakten regelmäßig eine Mehrheitsentscheidung des Rates genügen, so daß Rechtsetzungsvorhaben in aller Regel nicht durch ein Veto eines Beteiligten zu Fall gebracht werden kön-

88

BR-Drs. 784/97 (Beschluß), S. 7 f. Nach der hier vertretenen Auffassung ist § 5 Abs. 3 EUZBLG wegen Verstoßes gegen Art. 23 Abs. 4 bis 6 GG nichtig und unanwendbar, vgl. oben, Teil 2, Kap. III.5. c), S. 137 f. Der neuerliche Vorschlag begegnet den gleichen verfassungsrechtlichen Bedenken, vgl. auch die Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drs. 13/9339, Anlage 3.

346

Teil 4: Alternativen zur Verbesserung der Mitwirkung der Länder

nen 89 . Zu einem Veto Deutschlands würde es bei einem Zustimmungserfordernis des Bundesrates und dessen verweigerter Zustimmung indes gar nicht erst kommen: Im Fall einer verweigerten Zustimmung des Bundesrates käme eine einheitliche Willensbildung des Bundes nämlich nicht erst zustande. Die Bundesregierung dürfte folglich auf EG-Ebene weder ihre Zustimmung noch ihre Ablehnung zu einem Vorhaben erklären, so daß Deutschland als Mitgliedstaat in der Europäischen Union in den Zustand einer vorläufigen „Nichtentscheidung", eines „Patts", versetzt werden würde. Eine rechtliche Verpflichtung der Bundesregierung, in einer solchen Situation entgegen ihrer Überzeugung entweder gegen eine bestimmte Maßnahme zu stimmen oder aber weiterzuverhandeln, wäre nach der hier vertretenen Auffassung weder mit dem Demokratienoch mit dem Gewaltenteilungsprinzip vereinbar 90. Die Bundesregierung könnte bei einem innerstaatlichen „Patt" der Willensbildung allenfalls darauf verweisen, daß in Deutschland eine abschließende Willensbildung noch nicht stattgefunden habe, und müßte deshalb für Deutschland einen Vorbehalt erklären, soweit und solange dies möglich ist 91 . Ein solches Verhandlungs- oder Stimmverhalten stünde aber weder weiteren Beratungen der anderen Mitgliedstaaten noch nach Art. 148 Abs. 3 EGV dem Erlaß selbst einstimmig zu beschließender Maßnahmen entgegen. Das Rechtsetzungsverfahren auf EG-Ebene kennt nur die Zustimmung, Ablehnung oder Enthaltung der Mitgliedstaaten. Eine fehlende Stellungnahme Deutschlands aufgrund innerstaatlicher Umstände würde EG-rechtlich als Enthaltung gewertet und folglich dem Erlaß eines supranationalen Rechtsaktes nicht entgegenstehen. Dieser würde Deutschland als Mitgliedstaat in jedem Fall zugerechnet und wäre auch für Deutschland verbindlich. Aus Sicht des EG-Rechts ist eine solche Lösung konsequent und notwendig, um die Funktions- und Entscheidungsfähigkeit des Rates zu gewährleisten. Aus Sicht des nationalen Verfassungsrechts wäre es allerdings unzulässig, wenn sich die Bundesorgane „aus der demokratischen Verantwortung stehlen", indem sie den Erlaß eines Rechtsaktes hinnehmen, ohne hierzu durch einen dem Bund zurechenbaren Beschluß innerstaatlich Stellung zu beziehen. Die Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft und zukünftig diejenigen der Europäischen Union bedürfen notwendig einer demokratischen

89 Zur Ausweitung des Mehrheitsprinzips durch den Vertrag von Amsterdam siehe Teil 3, Kap. IV, Fußn. 587. 90 Diesen Aspekt übersehen: Lang S. 196; MD-Scholz, Art. 23 Rdnr. 132. Bezeichnend „schwammig" ist daher auch die Formulierung des Bundesrates, der in seiner Gegenäußerung zum Entwurf des Gesetzes zum Vertrag von Amsterdam forderte, daß „in geeigneter Form klargestellt" werden sollte, daß das Verfahren für die Zustimmung im Rat in den Fällen des § 5 Abs. 3 und 4 EUZBLG - neu - auch auf die Fälle der Stimmenthaltung anzuwenden sei, vgl. BR-Drs. 784/97 (Beschl.), S. 8. Im Ergebnis dagegen wie hier (in bezug auf den geltenden § 5 Abs. 3 EUZBLG): Morawitz/Kaiser, S. 106. 91 In der Verhandlungspraxis kann eine solche Haltung unter Umständen auch Nachteile mit sich bringen, vgl. hierzu oben, Teil 3, Kap. IV.3. b) (2), S. 262 ff.

V. Eigener Vorschlag

347

Rückkoppelung zu den Völkern der einzelnen Mitgliedstaaten. Die Bundesorgane, die am Verfahren der Rechtsetzung beteiligt sind, stellen ein notwendiges Bindeglied in der Kette der demokratischen Legitimation zwischen dem Volk der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Gemeinschaft dar, um eine Zurechnung der Rechtsakte gegenüber dem deutschen Volk überhaupt erst bewirken zu können92. So mag die Bundesregierung bei der Abstimmung im Rat ihre Enthaltung erklären, dem Rechtsakt zustimmen oder diesen ablehnen. Entschließt sich die Bundesregierung auf EG-Ebene zu einer Enthaltung, kann in Anbetracht der Rechtsfolgen des Art. 148 Abs. 3 EGV kein Zweifel daran bestehen, daß die Bundesregierung für den Erlaß und den Inhalt des betreffenden Rechtsaktes, wenn er zustande kommt, innerstaatlich die volle demokratische Verantwortung gegenüber dem Bundestag und damit gegenüber dem Staatsvolk Deutschlands zu tragen hat. Selbst wenn die Bundesregierung im Rat ihre Ablehnung erklärt und bei Mehrheitsentscheidungen überstimmt wird, hindert dies eine Zurechnung des betreffenden Rechtsaktes für Deutschland nicht. Das Prinzip der Mehrheitsentscheidung bezieht seine Legitimation dabei maßgeblich aus der Tatsache der gemeinsamen Willensbildung und des gegenseitigen Durchdringens von Mehrheit und Minderheit, das auch der Minderheit die Gelegenheit gibt, ihre Vorstellungen in den Prozeß der Willensbildung einzubringen, einen Kompromiß zu erzielen und gegebenenfalls selbst zur zukünftigen Mehrheit zu werden 93. Nur dann kann die unterlegene Minderheit die Entscheidung der Mehrheit als legitim und gültig akzeptieren. So hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Maastricht-Entscheidung das Mehrheitsprinzip als Entscheidungsmodus der Europäischen Gemeinschaft auch ausdrücklich gebilligt 94 . Allerdings finde es „gemäß dem aus der Gemeinschaftstreue folgenden Gebot wechselseitiger Rücksichtnahme eine Grenze in den Verfassungsprinzipien und elementaren Interessen der Mitgliedstaaten"95. Aufgrund des Fehlens eines gemeinsamen europäischen Volkes und einer staatsübergreifenden, gesamteuropäischen Willensbildung 96 stellt die aktive Teilnahme am Verhandlungsprozeß und die wirksame Einbringung der deutschen Interessen in diesen geradezu das 92

Ähnlich bereits Heinz, Jahrb. zur Staats- und Verwaltungswissenschaft 1992/93, 33 (42 ff.). 93 Vgl. Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, § 22 Rdnr. 52 ff.; Starck, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. 2, § 29 Rdnr. 33; BVerfGE 44, 125 (142). Für die Beschlußfassung im Rat, vgl. Heinz, Jahrb. zur Staats- und Verwaltungswissenschaft 1992/93, 33 (44). Siehe zudem auch oben, Teil 3, Kap. IV, Fußn. 556. 94 BVerfGE 89, 155 (183 f.). 95 BVerfGE 89, 155 (184). Kritisch zur „Bilateralisierung" von Art. 5 EGV: Pescatore , in FS für Everling, 1071 (1087 f.), der die Ausführungen des BVerfG zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts als „ultra vires" liegend bezeichnet und diesen eine rechtliche Bindungswirkung abspricht, vgl. ders., S. 1080. 96 Siehe hierzu oben, Teil 3, Kap. III.2. a), S. 195 ff.

348

Teil 4: Alternativen zur Verbesserung der Mitwirkung der Länder

entscheidende Schlüsselelement dar, um eine Zurechnung von Mehrheitsentscheidungen des Rats mit Wirkung für und gegen Deutschland demokratisch rechtfertigen zu können. Diese Aussagen finden ihre Bestätigung in der Verhandlungspraxis auf Gemeinschaftsebene, die in besonderem Maße von formaler Gleichheit, Diplomatie und gegenseitiger Rücksichtnahme geprägt ist und bei der alle Delegationen bemüht sind, zunächst einen gemeinsamen Kompromiß zu finden 97. Selbst wenn die Bundesregierung überstimmt wird, so gelingt es ihr doch regelmäßig, in den Verhandlungen Abschwächungen und Verbesserungen im Sinne Deutschlands zu erzielen oder zumindest im Wege der „Paketlösung" Vorteile an anderer Stelle zu erreichen, die das Ergebnis insgesamt aus Sicht Deutschlands als tragbar erscheinen lassen. An all diesen Voraussetzungen würde es fehlen, wenn die Bundesregierung aufgrund einer fehlenden Zustimmung des Bundesrates gehindert wäre, in der Sache weiterzuverhandeln und die Interessen des Bundes und damit des Bundes-Staatsvolkes soweit wie möglich in den Verhandlungsprozeß einzubringen. Sie würde ihre Funktion als demokratisches Bindeglied verlieren, wenn sie gegen ihren Willen innerstaatlich keine Stellung zu dem Rechtsakt bezieht oder beziehen könnte. In diesem Fall bestünde die Gefahr, daß eine Maßnahme der Europäischen Gemeinschaft oder Europäischen Union erlassen wird, ohne daß der Wille des Deutschen Volkes sich darin in irgendeiner Weise wiederfindet. Für jede Handlung der Europäischen Gemeinschaft oder Europäischen Union, die mit Wirkung für und gegen die Bundesrepublik Deutschland als Gesamtstaat ergeht, bedarf es zwingend eines verantwortlichen Entscheidungsträgers, der den demokratischen Legitimationsstrang von Seiten des Mitgliedstaates in jedem Einzelfall aktualisiert und gewährleistet. Nach der hier vertretenen Auffassung kann diese Funktion ausschließlich und allein von der Bundesregierung wahrgenommen werden, nicht aber vom Bundesrat, dessen Legitimation zu den einzelnen Landesvölkern zurückführt. Die Struktur des supranationalen Entscheidungsverfahrens, nach dem auch ohne die gesonderte Mitwirkung eines einzelnen Mitgliedstaates Rechtsakte mit Wirkung für und gegen jeden Mitgliedstaat erlassen werden können, verbietet es folglich, die letztverantwortliche Stellung der Bundesregierung durch ein Zustimmungsrecht des Bundesrates, das eine „Patt-Situation" herbeiführen kann, zu beseitigen und dadurch den Prozeß der demokratischen Rückkoppelung zum Staatsvolk zu unterbrechen. Das innerstaatliche Verfahren bei zustimmungsbedürftigen Gesetzen läßt sich insoweit nicht bis in allerletzter Konsequenz auf das Verfahren der Rechtsetzung auf EG-Ebene übertragen. Ein Zustimmungsrecht des Bundesrates wäre daher auch de lege ferenda abzulehnen.

97 Zu den Eigenheiten der Konsensfindung auf EG-Ebene siehe bereits oben, Teil 3, Kap. IV.3. b) (2), S. 262 ff.

V. Eigener Vorschlag

349

b) Gesteigerte Berücksichtigung der Belange der Länder Befugnis zur Letztentscheidung der Bundesregierung Zulässig und unter dem Gesichtspunkt der Bundestreue geboten erscheint es, die Interessen der Länder in den Fällen des Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG in intensiver Form und inhaltlich soweit wie möglich zu berücksichtigen bis hin zur Grenze der Letztverantwortlichkeit der Bundesregierung. Die letzt verantwortliche Stellung der Bundesregierung darf nach bestehender Verfassungslage in keinem Fall beseitigt werden. Die Bundesregierung muß bei der gemeinsamen Willensbildung versuchen, die Interessen des Gesamtstaates in einen angemessenen Ausgleich mit den Interessen der Länder zu bringen. Die Interessen der Länder können dabei im Einzelfall, insbesondere wenn diese innerstaatlich die ausschließliche Zuständigkeit zur Umsetzung der betreffenden EG-Maßnahme besitzen, von so großem Gewicht sein, daß sich die Bundesregierung die Auffassung des Bundesrates zu eigen machen muß. Die Entscheidung hierüber hat sie jedoch - mit allen Konsequenzen - selbst und in eigener Verantwortung zu treffen. Diese Lösung hätte den Vorteil, daß sie sich nahtlos in Art. 23 Abs. 5 GG einfügen ließe, ohne daß eine Änderung des Wortlauts erforderlich wäre. Wie oben bereits gezeigt, deutet der Wortlaut von Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG daraufhin, daß mit „maßgeblich zu berücksichtigen" eine gesteigerte Form des Berücksichtigens gemeint ist, die einerseits über ein schlichtes Berücksichtigen hinausgeht, ohne daß andererseits die Stellungnahme des Bundesrates maßgebend wäre 98 . Die in Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG enthaltene Formulierung des „maßgeblichen" Berücksichtigens läßt sich somit ohne weiteres verfassungskonform dahingehend auslegen, daß nur eine gesteigerte Pflicht zur Berücksichtigung gemeint ist, ohne jedoch ein Letztentscheidungsrecht des Bundesrates zu beinhalten 99 . Diese gesteigerte Pflicht zur Berücksichtigung läßt sich rechtlich hingegen kaum näher formulieren, da es sich der Sache nach nicht um einen Kompetenzkonflikt zwischen Bund und Ländern handelt - die ausschließliche Kompetenz liegt stets beim Bund - sondern vielmehr um eine Abwägung der gegenseitigen Interessen des Bundes und der Länder. Daher müssen auch bereits überwiegende außen- oder integrationspolitische Belange der Bundesregierung genügen, um sich über eine Stellungnahme des Bundesrates hinwegsetzen zu können. Die in früheren Regelungen, vor allem in Art. 2 Abs. 3 EEAG enthaltenen

98

Siehe oben, Teil 2, Kap. III.4. b), S. 112 ff. Im Ergebnis ist GGK-Rojahn, Art. 23 Rdnr. 72, daher recht zu geben. Hierfür bedarf es jedoch einer verfassungskonformen Auslegung des Grundgesetzes selbst, da nach der Entstehungsgeschichte eindeutig ein Letztentscheidungsrecht des Bundesrates gewollt war. 99

350

Teil 4: Alternativen zur Verbesserung der Mitwirkung der Länder

Formulierungen, wonach „unabweisbare" Gründe für ein Abweichen von der Stellungnahme des Bundesrates vorliegen mußten, trafen insoweit den Kern der Sache nicht 100 . In verfahrensmäßiger Hinsicht und entsprechend dem Grundgedanken des Art. 23 Abs. 4 GG, die Struktur des innerstaatlichen Gesetzgebungsverfahrens so weit wie möglich auf das Zusammenspiel der Bundesorgane in Angelegenheiten der Europäischen Union zu übertragen, bietet sich an, in diesen Fällen in Anlehnung an Art. 77 Abs. 2 GG ein „Vermittlungsverfahren" durchzuführen. Aus den oben erwähnten Gründen muß die Bundesregierung hierbei jedoch stets die Letztverantwortung in der Frage der Willensbildung des Bundes behalten. Die Regelung des Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG i.V.m. § 5 Abs. 2 S. 3 und 4 EUZBLG, wonach bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Bundesrat und Bundesregierung zunächst ein „Einigungsverfahren" durchzuführen ist, ist somit im Grundsatz konsequent und begrüßenswert. Die Regelung des § 5 Abs. 2 S. 5 EUZBLG hingegen, der vorsieht, daß die Auffassung des Bundesrates nach qualifizierter Beschlußfassung maßgebend ist, muß dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit anheimfallen und ist nichtig. Die Möglichkeit einer sinnvollen verfassungskonformen Auslegung besteht insoweit nicht, da gerade das Gegenteil der Aussage des Normtextes - nämlich eine Letztverantwortung der Bundesregierung - geboten ist 101 .

2. Anwendung der „Einheitstheorie 64 bei der Kompetenzverteilung und Streichung der wertenden, unbestimmten Formulierungen Die unbestimmten und wertenden Formulierungen in Art. 23 Abs. 4, 5 und Abs. 6 GG „soweit", „soweit ... berührt sind", „im Schwerpunkt ... betroffen sind" und „insoweit ... maßgeblich zu berücksichtigen" laufen der Systematik der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung der Art. 72 ff. und 84 ff. GG, die eine möglichst klare Trennung der Kompetenz- und Verfassungsräume zwischen Bund und Ländern bezwecken, zuwider und stellen eine partielle Durchbrechung des Gedankens des Art. 23 Abs. 4 GG dar. Wie die Erfahrungen der Praxis belegen, bilden diese Merkmale des Art. 23 GG einen Dauerstreitpunkt zwischen Bundesregierung und Bundesrat und sind praktisch ungeeignet, eine klare Zuordnung der entsprechenden Vorhaben zu den einzelnen Alternativen des Art. 23 GG zu ermöglichen 102. Auf ihre Verwendung sollte daher ganz verzichtet werden. Statt dessen bietet sich an, als Anknüpfungspunkt fur die Kompetenzverteilung auch im Rahmen der Angelegenheiten der Europäischen Union die im in-

100 101 102

Vgl. insoweit bereits die kritischen Anmerkungen in Teil 1, Kap. III, Fußn. 94. A.A. GGK-Rojahn, Art. 23 Rdnr. 72. Siehe hierzu oben, Teil 3, Kap. V.2., S. 286 ff.

V. Eigener Vorschlag

351

nerstaatlichen Bereich bekannte und bewährte „Einheitsformel" zu verwenden. Hiernach löst eine einzige zustimmungsbedürftige Vorschrift eines Gesetzes dessen Zustimmungsbedürftigkeit im ganzen aus 103 . Obwohl dies in der Praxis zu einer vom Grundgesetz nicht beabsichtigten Umkehr des Regel-/ Ausnahmeverhältnisses zwischen Einspruchs- und Zustimmungsgesetzen geführt hat 104 , ist die Anwendung der „Einheitsformel" innerstaatlich geboten, da das betreffende Gesetz, solange es aus einem Gesetzgebungsverfahren hervorgeht, ein unteilbares Ganzes darstellt und verfahrensmäßig nicht unterschiedlich behandelt werden kann 105 . Gegen eine Anwendung der „Einheitsformel" auch im Rahmen des Art. 23 Abs. 4 bis 6 GG könnte zwar eingewendet werden, daß diese gerade auf den Spezifika des innerstaatlichen Gesetzgebungsverfahrens beruhe, die im Verfahren der EG-Rechtsetzung keine Rolle spielen. Dieser Einwand würde indes zu kurz greifen. Regelmäßig handelt es sich bei den vom Rat erlassenen Rechtsakten um Richtlinien, die der innerstaatlichen Umsetzung durch ein Gesetz oder eine Rechtsverordnung bedürfen. Und im Rahmen der innerstaatlichen Umsetzung durch Gesetz bedarf es der Zustimmung des Bundesrates im ganzen, auch wenn nur eine einzige zustimmungsbedürftige Regelung darin enthalten ist. Der Vorteil der Anwendung der „Einheitsformel" läge vor allem darin, daß in der Frage der Kompetenzabgrenzung mehr Rechtsklarheit geschaffen werden würde. Die Mitwirkungsrechte des Bundesrates würden gegenüber dem status quo erweitert, allerdings entspräche die Erweiterung nur der innerstaatlichen Stellung des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren und läge daher näher an dem Grundgedanken des Art. 23 Abs. 4 GG als die jetzige Regelung. Hauptmotiv für die Aufnahme der einschränkenden Formulierungen in Art. 23 Abs. 4 bis 6 GG war die Furcht vor einem unangemessenen Einfluß des Bundesrates im Fall des Letztentscheidungsrechts und der Außenvertretung. Da diese aber ohnehin nach der hier vertretenen Auffassung verfassungswidrig sind, ist kein Grund mehr ersichtlich, die Rechte des Bundesrates gegenüber seiner innerstaatlichen Rechtsstellung weiter zu beschneiden. Um diese Vorschläge umzusetzen, wäre eine Änderung des Wortlauts von Art. 23 Abs. 4 bis 6 GG und der §§ 4 bis 6 EUZBLG zwar nicht zwingend geboten, allerdings sehr ratsam. Um die Anwendung der „Einheitsformel" und den Gleichklang mit den innerstaatlichen Befugnissen des Bundesrates zu gewährleisten, könnten beispielsweise in Art. 23 Abs. 4 GG die Worte „soweit" jeweils durch die Worte „wenn" ersetzt werden. Entsprechendes gilt für Art. 23 Abs. 5 S. 1 GG. In Absatz 5 Satz 2 müßten die Formulierungen „im Schwerpunkt" und der Zusatz „insoweit" gestrichen werden, und in Absatz 6 ebenfalls die Schwerpunktregelung.

103 104 105

Siehe Teil 2, Kap. III, Fußn. 143. Siehe Teil 3, Kap. IV, Fußn. 453. Vgl. MD-Maunz, Art. 77 Rdnr. 8.

352

Teil 4: Alternativen zur Verbesserung der Mitwirkung der Länder 3. Gewährleistung der letztverantwortlichen Stellung der Bundesregierung bei der Außenvertretung

Nach dem Ergebnis der verfassungsrechtlichen Untersuchung hat sich gezeigt, daß eine Außenvertretung des Gesamtstaats Bundesrepublik Deutschland durch einen Vertreter der Länder vor allem aufgrund der „Desorientierung" der demokratischen Legitimation 106 verfassungswidrig ist. Der maßgebende Grund für die Unzulässigkeit liegt in der Konstruktion des Art. 23 Abs. 6 GG, wonach die Wahrnehmung der Rechte zwar „unter Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung" zu erfolgen hat, hierbei jedoch ein Einvernehmen oder eine Zustimmung durch die Bundesregierung nicht erforderlich ist 107 ; die aus dem letzten Halbsatz des Art. 23 Abs. 6 S. 2 GG herauszudeutende „Rückholbefugnis" der Bundesregierung kann dieses Manko aus rechtlichen wie aus praktischen Erwägungen nicht kompensieren 108. Eine Außenvertretung der Bundesrepublik Deutschland durch einen Vertreter der Länder wäre allerdings nicht völlig undenkbar. In einigen Bereichen ist sie sogar gängige Staatspraxis. Erforderlich hierfür ist jedoch unter dem Gesichtspunkt des Demokratieprinzips, daß die Bundesregierung stets die volle Letztverantwortung für alle Handlungen oder Erklärungen des Ländervertreters behält. Eine Übertragung der Verhandlungsführung setzt daher voraus, daß sich die Bundesregierung alle Handlungen und Erklärungen des Ländervertreters vollinhaltlich zu eigen machen kann, diese quasi als eigene Position mittragen und auch verantworten kann. Eine „Übertragung" der demokratischen Letztverantwortung im eigentlichen Wortsinne oder auch nur die Möglichkeit einer Delegation im Sinne einer Entäußerung durch die Bundesregierung stünde nicht zur Disposition der Bundesregierung und wäre verfassungswidrig. Dies bedeutet, daß es nicht um eine Übertragung der Verhandlungsführung als solcher gehen kann, sondern nur um die Übertragung ihrer Ausübung im Einzelfall, wenn und soweit gewährleistet ist, daß zwischen Bundesregierung und Ländervertreter volle inhaltliche Übereinstimmung besteht. Die Bundesregierung muß daher stets sorgfältig prüfen, ob eine Übertragung der Ausübung der Verhandlungsführung im Einzelfall von ihr verantwortet werden kann. Gegen den hier vertretenen Ansatz mag eingewendet werden, daß eine Außenvertretungsbefugnis den Ländern in den Fällen der vollen sachlichen Übereinstimmung mit der Bundesregierung „nichts bringe". Ein Mehr an Länderbeteiligung wäre verfassungsrechtlich jedoch, wie gesehen, ohnehin nicht zulässig.

106

Badura., in: FS für Redeker, 111 (126 f.); Breuer, NVwZ 1994, 417 (428). Kritisch auch Kamann, S. 94. 107 Zu den Merkmalen unter Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung siehe oben, Teil 2, Kap. IV.4., S. 156 ff. 108 Zur „Rückholkompetenz" siehe oben, Teil 2, Kap. IV.4. b), S. 159.

V. Eigener Vorschlag

353

Insoweit kann es besser sein, „einen Fuß in der Tür" zu haben und im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten mitzuwirken, als gänzlich „außen vor" zu bleiben. So ist es bisher üblich gewesen, in den Kulturministerräten die Verhandlungsführung auf einen Ländervertreter zu übertragen, wenn die Bundesregierung keine Probleme sah, die Länderposition inhaltlich zu billigen 109 . Dies mag entsprechend auf andere Felder der Länderzuständigkeiten ausgedehnt werden, vor allem dort, wo die spezifische Sachkompetenz der Landesadministration gefragt ist. Ein Anspruch der Länder auf die Übertragung der Verhandlungsführung ließe sich hiermit jedoch nicht begründen. Art. 23 Abs. 6 GG kann diesen Erfordernissen entsprechend verfassungskonform ausgelegt werden. Insbesondere kann die Formulierung „unter Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung" verfassungskonform dahingehend interpretiert werden, daß stets die vollinhaltliche Zustimmung der Bundesregierung erforderlich ist. Allerdings erscheint es ratsam, zur Verdeutlichung der demokratischen Letztverantwortung der Bundesregierung das Wort „soll" in Art. 23 Abs. 6 S. 1 GG durch ein einfaches „kann" zu ersetzen. Des weiteren sollten bei der Anpassung des Ausführungsgesetzes die näheren Voraussetzungen für eine Übertragung entsprechend den hier vertretenen Vorgaben festgelegt und zumindest durch einen klarstellenden Zusatz deutlich gemacht werden, daß die Übertragung der Wahrnehmung der Rechte der Bundesrepublik Deutschland auf den Vertreter der Länder stets nur zur Ausübung erfolgen kann.

109

Zu dieser Praxis siehe Teil 1, Kap. III.3., S. 51.

23 Halfmann

. Teil

Gesamtergebnis und Thesen I. Zur Bedeutung der Regelung des Art. 23 GG 1. Art. 23 Abs. 2 bis 4 GG 1. Art. 23 Abs. 2 S. 1 GG enthält eine verfassungsrechtliche Grundentscheidung zugunsten des Bundesratsprinzips. Das Grundgesetz hat sich bewußt für eine Mitwirkung der Länder nur in mediatisierter Form durch den Bundesrat entschieden. Eine unmittelbare Mitwirkung der Länder im Bereich der Angelegenheiten der Europäischen Union ist fortan ausgeschlossen. 2. Der Begriff „Angelegenheiten der Europäischen Union" ist weit auszulegen. Erfaßt werden grundsätzlich alle Handlungsformen nach den Gemeinschaftsverträgen, an denen die Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat mitwirkt. Auch das durch den Vertrag von Amsterdam neu eingeführte Instrument der „Rahmenbeschlüsse" nach Art. 34 Abs. 2 b) und c) EUV - neu - unterfällt dem Anwendungsbereich des Art. 23 Abs. 2 S. 1 GG. 3. § 11 EUZBLG, der die Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union aus dem Anwendungsbereich des EUZBLG ausnimmt, stellt eine verfassungskonforme Konkretisierung von Art. 23 Abs. 2 S. 1 GG dar. 4. Art. 23 GG ist lex specialis sowohl zu Art. 24 GG als auch zu Art. 32 GG. Soweit sich beim Abschluß völkerrechtlicher Verträge Überschneidungen mit dem Lindauer Abkommen ergeben können, wird dieses verdrängt. Wenn der Anwendungsbereich des Art. 23 GG eröffnet ist, scheidet ein Rückgriff auf das Lindauer Abkommen selbst dann aus, wenn die qualifizierten Voraussetzungen für die Mitwirkung des Bundesrates nach den Art. 23 Abs. 4 bis 6 GG im Einzelfall nicht erfüllt sind. 5. Die Pflicht zur Unterrichtung nach Art. 23 Abs. 2 S. 2 GG ist nach dem Wortlaut des Grundgesetzes nicht beschränkt. Nach der ratio legis soll sie jedoch die Voraussetzungen für eine sinnvolle Wahrnehmung der Mitwirkungsbefugnisse des Bundesrates nach Art. 23 Abs. 4 bis 6 GG schaffen. Durch diesen Bezug ergeben sich Grenzen des Anwendungsbereichs.

I. Zur Bedeutung der Regelung des Art. 23 GG

355

6. Art. 23 Abs. 2 S. 2 GG will nicht die Sphäre der regierungsinternen Willensbildung erfassen. Dies findet in den Ausfuhrungsvorschriften des EUZBLG und der Bund-Länder-Vereinbarung von 1993 seine Bestätigung, wonach im wesentlichen nur die der Bundesregierung vorliegenden Dokumente, Berichte und Mitteilungen der Pflicht zur Unterrichtung unterliegen. Die Ausführungsgesetze, das EUZBLG und das EUZBTG, standen mit den Beratungen zur Änderung des Grundgesetzes in engem Zusammenhang und geben Aufschluß über die Motive des verfassungsändernden Gesetzgebers. 7. § 2 EUZBLG konkretisiert die Pflicht der Bundesregierung zur umfassenden Unterrichtung nach Art. 23 Abs. 2 S. 2 GG danach in zutreffender Weise. Die Bundesregierung hat zunächst nach pflichtgemäßem Ermessen eine Vorauswahl unter den ihr zugehenden Dokumenten zu treffen. Sofern nach Lage der Dinge eine Mitwirkung des Bundesrates nach Art. 23 Abs. 4 bis 6 GG in Betracht kommt, hat zwingend eine umfassende Unterrichtung zu erfolgen. Ein Ermessen steht der Bundesregierung auf dieser Ebene nicht mehr zu. 8. Art. 23 Abs. 4 GG hat die Funktion einer „Generalnorm" oder „Zwischenüberschrift" und bestimmt als Grundsatz, daß eine Mitwirkung des Bundesrates zu erfolgen hat, wenn und soweit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären. Die näheren Modalitäten werden in den weiteren Absätzen 5 und 6 geregelt.

2. Art. 23 Abs. 5 GG 1. Im Rahmen der einfachen Pflicht zur Berücksichtigung der Stellungnahme des Bundesrates nach Art. 23 Abs. 5 S. 1, 2. Alt. GG ist die Streitfrage, ob für das Bestehen der Gesetzgebungskompetenz des Bundes „im übrigen" ein Gebrauchmachen der Kompetenz durch den Bund erforderlich ist oder nicht, nach der Entstehungsgeschichte und der ratio der Vorschrift im letzteren Sinne zu entscheiden. An dieser Auslegung hat sich durch die Neufassung des Art. 72 Abs. 2 GG durch das 42. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27.10.94, BGBl. I S. 3146, nichts geändert. 2. Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG sieht eine gesteigerte Pflicht zur Berücksichtigung der Stellungnahme des Bundesrates vor, sofern die Gesetzgebungshoheit oder die Verwaltungs- oder Organisationshoheit der Länder im Schwerpunkt von einem EG-Vorhaben betroffen ist. Ein Betroffensein „im Schwerpunkt" setzt voraus, daß die betreffenden Regelungen bei einer Gesamtschau im Mittelpunkt stehen oder ganz überwiegend den Regelungsgegenstand des Vorhabens bilden. 3. Die Abgrenzung nach dem „Schwerpunkt" und die einschränkende Formulierung „insoweit" stellen eine bewußte Abweichung von dem Grundgedanken

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Teil 5: Gesamtergebnis und Thesen

des Art. 23 Abs. 4 GG dar, da diese Kriterien bei der innerstaatlichen Kompetenzverteilung nicht verwendet werden. In der Praxis fuhren diese unbestimmten, wertenden Merkmale zu Unsicherheiten und erlauben keine klare Kompetenzabgrenzung. 4. Mit der Verpflichtung der Bundesregierung, die Stellungnahme des Bundesrates „maßgeblich" zu berücksichtigen, war im Ergebnis ein Letztentscheidungsrecht des Bundesrates gemeint. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers sollte bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Bundesregierung und Bundesrat ein Einigungsverfahren stattfinden, an dessen Ende nach qualifizierter Beschlußfassung des Bundesrates dessen Letztentscheidungsrecht steht. 5. Das Merkmal „Wahrung der gesamtstaatlichen Belange des Bundes" in Art. 23 Abs. 5 S. 2, 2. Hs. GG sollte nach dem Willen des Gesetzgebers vor allem dazu dienen, den Bundesrat in die Pflicht zu nehmen. Für die Bundesregierung stellt diese Verpflichtung lediglich eine positiv-rechtliche Ausprägung des Grundsatzes der Bundestreue dar. Der Vorbehalt des Art. 23 Abs. 5 S. 2, 2. Hs. GG begründet indes keinen Ausnahmetatbestand für die Bundesregierung, um das Letztentscheidungsrecht des Bundesrates zu überwinden. Das Ergebnis ein Letztentscheidungsrecht des Bundesrates - bedarf jedoch einer Korrektur unter den Aspekten des Demokratie- und des Gewaltenteilungsprinzips (hierzu siehe nachfolgend unter II). 6. Das Zustimmungserfordernis der Bundesregierung in den Fällen des Art. 23 Abs. 5 S. 3 GG rechtfertigt sich in entsprechender Anwendung des Grundgedankens des Art. 109 Abs. 1 GG, wonach Bund und Länder ihre Haushaltswirtschaft selbständig und unabhängig voneinander fuhren. Art. 113 GG, der nach den Vorstellungen des Gesetzgebers das Motiv fur die Regelung des Art. 23 Abs. 5 S. 3 GG bildete, ist hingegen in dem vorliegenden Zusammenhang weder vom Tatbestand noch von den Rechtsfolgen übertragbar. 7. Der Anwendungsbereich des Art. 23 Abs. 5 S. 3 GG bleibt von vornherein gering, da der Bundesrat nur im Fall des Art. 23 Abs. 6 GG über die Möglichkeit verfugt, auf EG-Ebene unmittelbar finanzwirksame Verpflichtungen für den Bund zu begründen. Im Hinblick auf mittelbare finanzwirksame Auswirkungen greift der Zustimmungsvorbehalt nur dann ein, wenn die Bundesregierung eine hinreichend konkrete und nachvollziehbare diesbezügliche Gefährdungslage darlegen kann. 8. Das Konkurrenzverhältnis einander widerstreitender Stellungnahmen von Bundestag und Bundesrat ist, sofern es sich auf Seiten des Bundesrates um eine „einfache" Stellungnahme nach Art. 23 Abs. 5 S. 1 GG handelt, von der Bundesregierung nach den Grundsätzen der gegenseitigen Organ- und Bundestreue zu behandeln. Eine rechtliche Bindung der Bundesregierung an die Stellungnahme des Bundestages besteht nicht. Die Regelung des § 5 S. 2 EUZBTG, wonach die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundestages „ihren Ver-

I. Zur Bedeutung der Regelung des Art. 23 GG

357

handlungen zugrunde" zu legen hat, begründet keine über ein einfaches „Berücksichtigen" im Sinne von Art. 23 Abs. 3 S. 2 GG hinausgehenden Rechtswirkungen. 9. Im Fall einer Unvereinbarkeit einer Stellungnahme des Bundestages mit einer Stellungnahme des Bundesrates, die nach Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG in qualifizierter Weise von der Bundesregierung zu berücksichtigen ist, soll nach dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes die Stellungnahme des Bundesrates vorrangig Berücksichtigung finden. 10. Die Vorschrift des § 5 Abs. 3 EUZBLG, die das Erfordernis des Einvernehmens des Bundesrates für Maßnahmen begründet, die auf Art. 235 EWG-V gestützt werden, ist mit der Systematik der in Art. 23 Abs. 4 bis 6 GG vorgesehenen Kompetenzverteilung unvereinbar und nichtig. Gleiches gilt für die geplante Regelung des § 5 Abs. 3 EUZBLG - neu - im Hinblick auf die nach dem Vertrag von Amsterdam vorgesehen „Rahmenbeschlüsse" des EUV.

3. Art. 23 Abs. 6 GG 1. Der Tatbestand des Art. 23 Abs. 6 GG ist gegenüber dem Tatbestand des Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG der engere. Mit „ausschließlichen Gesetzgebungsbefugnissen" der Länder sind nur die Bereiche gemeint, für die das Grundgesetz abstrakt keinen Kompetenztitel zugunsten des Bundes enthält, ohne daß es hierfür auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG ankäme. 2. Das Merkmal „soll... übertragen" begründet nach dem Willen des Gesetzgebers eine zwingende Verpflichtung zur Übertragung für den Regelfall. Die Bundesregierung trägt für das Vorliegen eines Ausnahmetatbestandes hiervon die Darlegungs- und Beweislast. Die in § 6 Abs. 3 und 4 EUZBLG gesetzlich vorgesehenen Ausnahmefälle stehen mit Art. 23 Abs. 6 GG in Übereinstimmung. 3. Die Verhandlungsführung ist im Fall des Art. 23 Abs. 6 GG jeweils in bezug auf das gesamte Vorhaben zu übertragen, auch wenn einzelne Teile nicht in die ausschließliche Zuständigkeit der Länder fallen würden. 4. Bei der Wahrnehmung der Mitgliedschaftsrechte der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Europäischen Union handelt es sich notwendig um eine ausschließlich dem Bund zustehende Kompetenz. Eine Übertragung der Verhandlungsführung findet nur auf der Ebene des Bundes im Verhältnis der Bundesregierung zum Bundesrat statt. Der „Vertreter der Länder" nimmt im Fall des Art. 23 Abs. 6 GG ausschließlich ein Mandat des Bundes wahr. Die Vorstellung, der Bundesrat handele lediglich als „Koordinationsgremium" in Wahrnehmung einer Kompetenz einer Ländergemeinschaft oder im Wege der

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Teil 5: Gesamtergebnis und Thesen

Organleihe für die Länder, ist weder mit Art. 23 GG noch mit Art. 146 EGV vereinbar. 5. Das Merkmal „in Abstimmung mit der Bundesregierung" soll nach den Vorstellungen des Gesetzgebers weniger als ein „Einvernehmen" und mehr als ein „Benehmen" bedeuten. Gemeint ist eine gesteigerte Pflicht zur Kooperation und Koordination zwischen Bundesrat und Bundesregierung, bei der der Vertreter der Länder die letztentscheidende Position innehat. Auch dieses Ergebnis bedarf mit Blick auf die Staatsstrukturprinzipien des Art. 79 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 20 GG einer Korrektur (siehe hierzu nachfolgend unter II). 6. Die Verpflichtung zur Wahrung der gesamtstaatlichen Belange des Bundes nach Art. 23 Abs. 6 S. 2, 2. Hs. GG bezieht sich entgegen dem Wortlaut nicht nur auf die Art und Weise der Verhandlungsführung, sondern auch bereits auf die vorhergehende Entscheidung der Bundesregierung, ob eine Übertragung erfolgen soll oder nicht. Der Vorbehalt sollte darüber hinaus dazu dienen, der Bundesregierung für Ausnahmefälle eine „Rückholbefugnis" zu gewähren. Die Bestimmung ist jedoch nicht praktikabel, da die Ausübung einer solchen Befugnis die Gefahr in sich birgt, die außenpolitischen Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen; sie läuft insoweit dem Zweck des Art. 23 Abs. 6 GG zuwider. 7. Sofern Landesminister als Vertreter der Länder nach Art. 23 Abs. 6 GG für den Bund auftreten, kollidieren die Regelungen über die Benennung und die Weisungsunterworfenheit gegenüber dem Bundesrat mit den in den Landesverfassungen enthaltenen Grundsätzen über die parlamentarische Verantwortlichkeit sowie mit der Richtlinienbefugnis des Ministerpräsidenten, dem Ressortprinzip und dem Kollegialprinzip. Etwaige entgegenstehende Regelungen des Landesverfassungsrechts werden jedoch nach Art. 31 GG von Art. 23 GG verdrängt. 8. Für eine ergänzende Tätigkeit des Länderbeobachters, der eine originäre Einrichtung der Länder darstellt, ist innerhalb des Anwendungsbereichs von Art. 23 GG kein Raum mehr. Art. 23 GG weist die Kompetenz zur Wahrnehmung der Angelegenheiten der Europäischen Union ausschließlich dem Bund zu und hat insoweit abschließenden Charakter. 9. Die Bund-Länder-Vereinbarung von 1993 wirft insofern Probleme auf, als sie zum einen nach Art. 23 Abs. 7 GG i.V.m. § 9 EUZBLG das Bundesratsverfahren näher konkretisiert, zum anderen jedoch in Anlehnung an die Bund-Länder-Vereinbarung von 1987 zugleich Regelungen zur Konkretisierung des Prinzips der Bundestreue im vertikalen Bund-Länder-Verhältnis enthält. Soweit letzteres der Fall ist, muß bei Anwendung der Vorschriften jeweils geprüft werden, inwieweit die betreffenden Regelungen vor dem Hintergrund des abschließenden Charakters von Art. 23 GG Bestand haben können.

II. Die Vereinbarkeit von Art. 23 GG mit Art. 79 Abs. 3 GG

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I I . Die Vereinbarkeit von Art. 23 G G mit Art. 79 Abs. 3 G G 1. Die Vereinbarkeit von Art. 23 GG mit dem Bundesstaatsprinzip 1. Durch das in Art. 23 Abs. 2 S. 1 GG niedergelegte Bundesratsprinzip und die Mitwirkung des Bundesrates nach Art. 23 Abs. 4 bis 6 GG wird das Bundesstaatsprinzip nicht verletzt. Die Mitwirkung der Länder an der Ausübung einer dem Bund zustehenden Kompetenz durch den Bundesrat ist systemgerecht. Eine „Mischverwaltung" in auswärtigen Angelegenheiten findet im Rahmen des Art. 23 Abs. 2 bis 6 GG nicht statt. 2. Die Gliederung des Bundes in Länder ist durch die Mitwirkung der Bundesrepublik Deutschland an der Europäischen Union gegenwärtig nicht bedroht. Zur Beurteilung des Kernbereichs der den Ländern verbliebenen Kompetenzen darf nicht einseitig auf den Bestand der Gesetzgebungsbefugnisse abgestellt werden. Der Gesetzgeber hat das Bundesstaatsprinzip insoweit selbst modifiziert, als er den Ländern über den Bundesrat im Rahmen des Art. 23 GG weitere Mitwirkungsrechte eingeräumt hat. Hierdurch ist die Stellung der Länder im Bundesstaat als Zentren eigener demokratischer Legitimation gestärkt worden. 3. Eine Aufhebung der bundesstaatlichen Struktur Deutschlands im Zuge einer fortschreitenden europäischen Integration wäre sowohl nach nationalem Verfassungsrecht als auch nach der Zielsetzung der Gemeinschaftsverträge unzulässig. Dieser Befund wird durch den Vertrag von Amsterdam bestätigt, der eine weitere Verstärkung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit vorsieht.

2. Die Vereinbarkeit von Art. 23 GG mit dem Demokratieprinzip 1. Zu den nach Art. 79 Abs. 3 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 und 2 GG unantastbaren Grundsätzen des Demokratieprinzips gehören das Prinzip der Volkssouveränität und das Erfordernis einer ununterbrochenen Kette demokratischer Legitimation zwischen den Amtswaltern, die Staatsgewalt ausüben, und dem Volk. Die Vermittlung der demokratischen Legitimation muß hinreichend effektiv sein dergestalt, daß auch die einzelnen konkreten Amtshandlungen inhaltlich auf den Willen des Volkes rückfuhrbar sind. Hierzu bedarf es eines funktionierenden Zurechnungszusammenhanges zwischen dem Willen des Volkes und den mit der Ausübung von Staatsgewalt betrauten Amtswaltern. 2. Die erforderliche demokratische Legitimation für das Handeln der Bundesregierung wird ihr durch den Deutschen Bundestag vermittelt. Insbesondere die Wahl-, Kreations- und Kontrollbefugnisse des Bundestages sowie die parlamentarische Verantwortlichkeit der Bundesregierung stellen notwendige Vor-

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Teil 5: Gesamtergebnis und Thesen

aussetzungen für eine wirksame Rückkoppelung ihres Handelns an den Willen des Volkes dar. 3. Die demokratische Legitimation für das Handeln des Bundesrates wird diesem über die parlamentarische Verantwortlichkeit der im Bundesrat vertretenen Landesregierungen gegenüber den Landesparlamenten von den einzelnen Landesvölkern vermittelt. Aufgrund der nach Art. 28 Abs. 1 GG gebotenen demokratischen Struktur in den Ländern muß die parlamentarische Kontrollbefugnis der Landtage ebenfalls hinreichend effektiv ausgeübt werden können. Die Verantwortlichkeit der Landesregierungen gegenüber ihren Landesparlamenten besteht auch dann fort, wenn die Landesregierungen im Bundesrat handeln und Bundeskompetenzen wahrnehmen. 4. Im Rahmen der Europäischen Union wird die demokratische Legitimation über zwei verschiedene Stränge vermittelt. Das Europäische Parlament vermittelt den Organen der Europäischen Gemeinschaft eine von den einzelnen Mitgliedstaaten abgelöste, selbständige supranationale Legitimation. Die demokratische Legitimation des Rates als dem föderalem Organ der Europäischen Gemeinschaft wird diesem über die Mitgliedstaaten selbst vermittelt. Nach der institutionellen Struktur der Europäischen Union kann das Europäische Parlament den über die Mitgliedstaaten vermittelten Strang der demokratischen Legitimation des Rates weder ablösen noch ersetzen. 5. Das Handeln der Organe der Bundesrepublik Deutschland im Rat der Europäischen Gemeinschaft erfolgt in Wahrnehmung einer nach Art. 23 GG zugewiesenen Kompetenz und stellt aus der innerstaatlichen Perspektive Ausübung von Staatsgewalt dar. Es bedarf der demokratischen Legitimation, die nur von Seiten des deutschen Volkes vermittelt werden kann. 6. Eine Relativierung dieser Grundsätze aufgrund der Erfordernisse der Mitwirkung Deutschlands an der Europäischen Union wäre nach Art. 79 Abs. 3 GG nicht zulässig. Die staatlich verfaßte Gewalt des Grundgesetzes kann weder über ihre eigene Legitimität verfügen noch deren Grenzen überschreiten. Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat sein Festhalten hieran durch den Verweis in Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG auf Art. 79 Abs. 3 GG ausdrücklich bekräftigt. 7. Die „einfache" Berücksichtigung der Stellungnahme des Bundesrates nach Art. 23 Abs. 5 S. 1 GG wirft unter dem Aspekt des Demokratieprinzips keine Probleme auf, da die Bundesregierung ihre Position stets in eigener Verantwortung bilden kann und muß. Ihre parlamentarische Verantwortlichkeit gegenüber dem Bundestag besteht fort, so daß über den Bundestag ein konkreter Zurechnungszusammenhang zwischen dem Willen des Volkes und dem Handeln der Bundesregierung hergestellt werden kann. 8. Soweit dem Bundesrat nach Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG die Möglichkeit eines Letztentscheidungsrechts eingeräumt wird, ist die Vorschrift mit dem Demo-

II. Die Vereinbarkeit von Art. 23 GG mit Art. 79 Abs. 3 GG

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kratieprinzip nicht vereinbar und wegen Verstoßes gegen Art. 79 Abs. 3 GG nichtig. Im Falle einer strikten Bindung der Bundesregierung an die Position des Bundesrates können der Bundestag und das durch ihn repräsentierte Staatsvolk ihren Willen nicht mehr effektiv zur Geltung bringen. Die parlamentarische Verantwortlichkeit der Bundesregierung liefe insoweit leer, so daß ihr Handeln nicht mehr auf eine durch das Volk im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG vermittelte Legitimation rückführbar wäre. 9. Die demokratische Legitimation, die der Bundesrat vermitteln kann, führt nicht zum „Bundes-Volk" im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG zurück, sondern lediglich zu den davon verschiedenen Völkern in den Ländern. Aufgrund der Art und Weise der Willensbildung und der unterschiedlichen Repräsentation des Willens der Landesvölker im Bundesrat können diese auch gesamthänderisch keinen einheitlichen Willen des Volkes im Sinne von Art. 20 Abs. 2 GG bilden, der ein gesamtstaatliches Handeln der Bundesregierung legitimieren könnte. Davon abgesehen würde es auch an der nötigen „Effektivität" der Vermittlung eines solchen Willens im Verhältnis der Bundesregierung zu den Landesvölkern fehlen. 10. Auch Art. 23 Abs. 6 GG ist mit Art. 79 Abs. 3 GG insoweit nicht vereinbar und nichtig, als der vom Bundesrat benannte Vertreter der Länder im Fall der Übertragung der Wahrnehmung der Rechte der Bundesrepublik Deutschland im Rat zu einer Verhandlungsführung ermächtigt werden kann, die nicht die vollinhaltliche Billigung und Zustimmung der Bundesregierung voraussetzt. Eine effektive Einflußnahme des Volkes auf den Inhalt der Handlungen des deutschen Vertreters im Rat kann nur über den Bundestag und die Bundesregierung erfolgen. Das Kräfteverhältnis im Rahmen des Zusammenspiels zwischen Bundesregierung und Bundesrat darf auch durch den verfassungsändernden Gesetzgeber nicht so ausgestaltet werden, daß Handlungen oder Erklärungen mit Wirkung für den Gesamtstaat erfolgen können, die die Bundesregierung nicht wie eigenes Handeln gegenüber dem Deutschen Bundestag und dem Volk verantworten kann und muß.

3. Die Vereinbarkeit von Art. 23 GG mit dem Gewaltenteilungsprinzip 1. Das Gewaltenteilungsprinzip des Grundgesetzes gehört ebenfalls zu den über Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Grundsätzen, die jeder Beeinträchtigung durch den verfassungsändernden Gesetzgeber entzogen sind. Zu den unabänderlichen Grundsätzen gehören jeweils das Vorhandensein und die Garantie eines wesenstypischen Kernbereichs eigener Aufgaben der „besonderen Organe" im Sinne von Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG. 2. Der solchermaßen geschützte Kernbereich kann durch die Aspekte der gegenseitigen Machtbalance, der Eigenverantwortlichkeit und der Funktionsge-

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Teil 5: Gesamtergebnis und Thesen

rechtheit und Organadäquanz im Wege einer Gesamtschau der zugewiesenen Aufgaben konkretisiert werden. 3. Die Pflicht zur umfassenden und frühestmöglichen Unterrichtung des Bundesrates nach Art. 23 Abs. 2 S. 2 GG greift nicht in den geschützten Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung der Bundesregierung ein, da sich die Pflicht zur Unterrichtung nicht auf den Bereich der internen Willensbildung der Bundesregierung erstreckt. 4. Das Letztentscheidungsrecht des Bundesrates nach Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG greift hingegen in den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung der Bundesregierung ein und ist mit dem Gewaltenteilungsprinzip unvereinbar. Es beseitigt das Erfordernis der Eigenverantwortlichkeit des Handelns der Bundesregierung und verändert in systemfremder Weise das bestehende gegenseitige Macht- und Balancegeftige zwischen Bundestag, Bundesregierung und Bundesrat. Das Grundgesetz kennt weder einen Gewaltenvorrang, noch erlaubt es die Möglichkeit des „Determinierens" der Willensbildung eines Organs durch ein anderes. 5. Art. 23 Abs. 6 GG verstößt ebenfalls gegen das Gewaltenteilungsprinzip und ist nichtig, soweit dem Vertreter der Länder eine letztverantwortliche Stellung bei der Außenvertretung des Bundes eingeräumt wird. Die Grundsätze der Funktionsgerechtheit und der Organadäquanz verlangen, daß der entsprechende Funktionsträger in bezug auf die zugewiesene Funktion nach seiner Struktur und Zusammensetzung die Gewähr dafür bietet, die zugewiesene Funktion in bestmöglicher und verantwortlicher Weise wahrnehmen zu können. Der Vertreter der Länder ist aufgrund seiner mittelbaren, von den Ländern herrührenden Legitimation nicht in der Lage, die Bundesrepublik Deutschland als Gesamtstaat verantwortlich zu vertreten. Diese Aufgabe kann vielmehr nur die Bundesregierung wahrnehmen. 6. Das Letztentscheidungsrecht und die Außenvertretungsbefugnis können zu einer Gefährdung der integrationspolitischen Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland führen. Insbesondere schmälert eine Beschneidung der Verhandlungsfähigkeit der Bundesregierung im Rat die Möglichkeit, für Deutschland optimale und im Ergebnis tragbare Kompromisse zu erzielen. Damit laufen die weitgehenden Befugnisse des Bundesrates tendenziell der Legitimation von Mehrheitsentscheidungen im Rat mit Wirkung für und gegen Deutschland zuwider. Das Mehrheitsprinzip als Entscheidungsmodus im Rat der Europäischen Gemeinschaft bezieht seine demokratische Legitimation wesentlich aus dem Umstand, daß die Mitgliedstaaten ihre Interessen so weit wie möglich in den Prozeß der gegenseitigen Verhandlungen im Rat einbringen können. 7. Der Eintritt einer akuten Gefährdung oder Beeinträchtigung der außenoder integrationspolitischen Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland konnte bislang in der Praxis nicht beobachtet werden. Erschwernisse der Willensbildung unterhalb dieser Grenze nimmt Art. 23 GG durch die Beteiii-

II. Die Vereinbarkeit von Art. 23 GG mit Art. 79 Abs. 3 GG

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gung von Bundestag und Bundesrat bewußt in Kauf. Unter dem Aspekt der außen- oder integrationspolitischen Handlungsfähigkeit Deutschlands allein lassen sich daher keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken gegen Art. 23 Abs. 5 S. 2 und Abs. 6 GG herleiten, die für sich genommen bereits zu einer Verfassungswidrigkeit der Regelung führen würden. 8. Ein eventueller Konflikt von Art. 23 Abs. 5 S. 2 und Abs. 6 GG mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht würde nicht zur Nichtigkeit der Vorschriften des Grundgesetzes, sondern nur zu deren Unanwendbarkeit im Einzelfall führen, da das EG-Recht nur einen Anwendungsvorrang gegenüber dem nationalen Recht begründet. Im Falle eines solchen Konfliktes würden Art. 23 Abs. 5 S. 2 und Abs. 6 GG jedoch auch der Zielsetzung des Art. 23 Abs. 1 GG widersprechen; dieser geht davon aus, daß durch die Beteiligung des Bundesrates die Mitwirkung Deutschlands an der Europäischen Union ermöglicht und nicht verhindert wird. Im Ergebnis würde ein solcher Konflikt nach dem Prinzip der Einheit der Verfassung ebenfalls zu einer einschränkenden Auslegung von Art. 23 Abs. 5 S. 2 und Abs. 6 GG führen. 9. Ein Verstoß von Art. 23 Abs. 5 S. 2 und Abs. 6 GG gegen das Prinzip der Gemeinschaftstreue nach Art. 5 EGV aufgrund intern bindender Stellungnahmen läßt sich nicht begründen. Nach Art. 146 EGV stellt der Rat das Organ dar, in dem der Wille der Mitgliedstaaten zum Ausdruck gebracht werden soll. Es zählt zur bestimmungsgemäßen Funktionsweise eines solchen Gremiums, wenn die Regierungen im Prozeß der Willensbildung im Rat ihre aus nationaler Sicht für erforderlich gehaltenen Standpunkte im Einzelfall auch mit Nachdruck vertreten. Das Gemeinschaftsrecht stellt mit der Regelung des Art. 148 Abs. 3 EGV selbst Mechanismen der Konfliktlösung zur Verfügung. Solange keine gezielte Politik der Obstruktion des Rats betrieben wird, verstoßen interne Regeln der Willensbildung nicht gegen die sich aus Art. 5 EGV ergebende Pflicht zur Gemeinschaftstreue. 10. Art. 23 Abs. 5 S. 2 und Abs. 6 GG verstößt jedoch gegen Art. 146 EGV und der sich hieraus ergebenden institutionellen Funktion des Rats als föderales Organ der Mitgliedstaaten. Art. 146 EGV verlangt, daß der Vertreter der Regierung im Rat zu einer wirksamen gesamtstaatlichen Außenvertretung des Mitgliedstaats befugt ist. Nach dem oben Gesagten ist der Bundesrat und mit ihm der Vertreter der Länder hierzu aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht in der Lage. 11. Darüber hinaus begründen die Befugnisse des Bundesrates nach Art. 23 Abs. 5 S. 2 und Abs. 6 GG im Rahmen des grundgesetzlichen „dédoublement fonctionell" eine Dominanz des föderalen Prinzips vor dem unitarisch-demokratischen Prinzip. Insoweit ist die innerstaatliche Willensbildung von ihrer Zielsetzung inkongruent mit Art. 146 EGV, der davon ausgeht, daß die jeweiligen

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Teil 5: Gesamtergebnis und Thesen

Regierungsmitglieder im Rat ein in bezug auf den vertretenen Mitgliedstaat ausschließlich unitarisches, gesamtstaatliches Mandat wahrnehmen. 12. Im Ergebnis sind Art. 23 Abs. 5 S. 2 und Abs. 6 GG wegen Verstoßes gegen das Demokratie- und das Gewaltenteilungsprinzip teilweise verfassungswidrig und bedürfen der einschränkenden verfassungskonformen Auslegung.

III. Zur Justitiabilität und zum Rechtsschutz 1. Dem Bundesrat steht zur gerichtlichen Durchsetzung seiner verfassungsrechtlichen Mitwirkungsrechte die Möglichkeit eines Organstreitverfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG i.V.m. §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG zur Verfügung. Gegenstand eines solchen Verfahrens kann nur eine konkrete Maßnahme oder Unterlassung der Bundesregierung sein, nicht aber der Erlaß eines Rechtsaktes durch den Rat selbst. 2. Einzelne Länder können ihre Rechte im Wege eines Bund-Länder-Streits nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG i.V.m. §§ 13 Nr. 7, 68 ff. BVerfGG vor dem Bundesverfassungsgericht verfolgen, und zwar sowohl gegenüber der Bundesregierung als auch gegenüber dem Bundesrat. Letztere Situation kann eintreten, wenn ein einzelnes Land im Bundesrat überstimmt wird. Parteifähig für das betreffende Land ist nur die jeweilige Landesregierung. 3. Ein entsprechender Antrag von Seiten eines Landes setzt voraus, daß das betreffende Land die Verletzung oder Gefährdung eines eigenen Rechts geltend machen kann. Die Verletzung von Gesetzgebungskompetenzen der Länder nach den Art. 30 und Art. 70 ff. GG kommt hierfür nicht in Betracht, da die Organe des Bundes im Rahmen des Art. 23 GG stets in Wahrnehmung einer ausschließlich dem Bund zugewiesenen Kompetenz handeln. 4. Eine Berufung auf Art. 79 Abs. 3 GG wegen einer behaupteten Gefährdung der Bundesstaatlichkeit Deutschlands ist theoretisch denkbar, setzt aber voraus, daß die Schwelle des Art. 79 Abs. 3 GG durch eine bestimmte Maßnahme bedroht oder überschritten ist. 5. Auch Art. 23 GG selbst vermittelt den Ländern eine Rechtsposition, die sie selbständig im Bund-Länder-Streit geltend machen können. Aus der Verpflichtung zur Wahrung der gesamtstaatlichen Interessen des Bundes nach Art. 23 Abs. 5 S. 2, 2. Hs. und Abs. 6 S. 2, 2. Hs. GG erwächst den Organen des Bundes als „Sachwalter" der Länder eine verfassungsrechtliche Pflicht, auch die Interessen der Gliedstaaten des Bundes zu wahren. Gerügt werden können nicht nur die Einhaltung der in Art. 23 GG enthaltenen Verfahrensvorschriften, sondern auch Verstöße gegen sonstige Interessen der Länder. Der Nachweis eines konkreten Interesses eines Landes außerhalb des Bundesratsverfahrens dürfte allerdings schwierig sein.

IV. Mögliche Alternativen einer Mitwirkung der Länder

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6. Eine „Verletzung oder Gefährdung" eigener Rechte des Antragstellers im Sinne von § 64 BVerfGG durch ein Stimmverhalten der Bundesregierung im Rat kann in Anbetracht des oft mehrere Jahre dauernden Rechtsetzungsverfahrens auf EG-Ebene erst bejaht werden, wenn der Inhalt des zu erlassenden Rechtsakts bereits mit hinreichender Sicherheit feststeht. 7. Die unbestimmten Rechtsbegriffe in den Art. 23 Abs. 4 bis 6 GG, die zur Abgrenzung der Kompetenzen zwischen Bundesregierung und Bundesrat dienen („insoweit", „im Schwerpunkt"), sind voll justitiabel. Eine Zuständigkeit „nach Ermessen" würde dem Gewaltenteilungsprinzip des Grundgesetzes nicht entsprechen. Da es aber andererseits an rechtlichen Maßstäben zur Beurteilung fehlt, kann der Ausgang eines Rechtsstreits im Einzelfall kaum vorhergesagt werden. 8. Zur Sicherung ihrer Rechte können sowohl der Bundesrat als auch die Länder grundsätzlich den Erlaß einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG durch das Bundesverfassungsgericht beantragen. 9. Einem solchen Begehren wäre jedoch aller Voraussicht nach der Erfolg versagt. Die bloße Sicherung der Kompetenzordnung ohne einen darüber hinausgehenden materiellen Nachteil rechtfertigt den Erlaß einer einstweiligen Anordnung nicht. Der Bundesrat ist daher stets auf den nachträglichen Rechtsschutz verwiesen. 10. Auch soweit die Länder einen besonderen Nachteil, wie etwa den Erlaß eines kompetenzwidrigen oder sonst ihre Interessen verletzenden Rechtsakts auf dem Gebiet ihrer Gesetzgebungs- oder Verwaltungszuständigkeit, behaupten können, könnte dem zumeist in hinreichender Weise durch die Gewährung nachträglichen Rechtsschutzes begegnet werden. Besondere Nachteile, die ein Eingreifen des Bundesverfassungsgerichts in den laufenden internationalen Verhandlungsprozeß rechtfertigen können, werden von Seiten der Länder im Rahmen des § 32 BVerfGG aller Voraussicht nach nicht mit Erfolg geltend gemacht werden können.

IV. Mögliche Alternativen einer Mitwirkung der Länder 1. Alternative Vorschläge einer Länderbeteiligung 1. Die Einfuhrung eines „Senatsmodells" oder verwandter Mischformen würde den Ländern zwar eine stärkere Mitwirkung in den Angelegenheiten der Europäischen Union ermöglichen. Ein Senatsprinzip würde sich aber nicht in die vorhandene bundesstaatliche Struktur des Grundgesetzes einfügen und eine grundlegende Reform des Bundesstaats erforderlich machen. Die Aussichten

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Teil 5: Gesamtergebnis und Thesen

auf eine Verwirklichung einer solchen Lösung, fur die sich bislang weder der Bund noch die Länder ausgesprochen haben, sind gering. 2. Die Bildung eines „Länderrats", eines besonderen Koordinationsgremiums der Länder, für Angelegenheiten der Europäischen Union ließe sich ebenfalls nicht ohne eine grundlegende Reform in die gegenwärtige Struktur des Bundesstaats des Grundgesetzes einfügen. Nach den negativen Erfahrungen mit dem Länderbeteiligungsverfahren von 1979, die den Ausschlag für dessen Scheitern gaben, erscheint die Bildung eines „Länderrats" nicht als erfolgversprechend. 3. Das Modell der Länderbeteiligung Österreichs, das mit der Einrichtung eines besonderen Ländergremiums, der „Integrationskonferenz der Länder", den Weg des Länderrats gewählt hat, wäre für Deutschland kein richtungweisender Weg. Darüber hinaus hat Österreich ein weitgehendes Modell der „Staatsleitung zur gesamten Hand" verwirklicht, das mit dem Demokratie- und dem Gewaltenteilungsprinzip des Grundgesetzes nicht zu vereinbaren wäre. 4. Soweit die Einräumung verstärkter Kontrollrechte der Landesparlamente gegenüber den im Bundesrat handelnden Regierungen gefordert wird, muß beachtet werden, daß diese Rechte nicht den Grad einer bindenden Anweisung erhalten dürfen. Unabhängig von der Frage der Reichweite des Homogenitätsgebots des Art. 28 Abs. 1 GG stünde einer Bindung der Landesregierung an Beschlüsse des Landtags in bezug auf das Stimmverhalten im Bundesrat bereits Art. 51 GG entgegen. Im Falle einer Bindung an Stellungnahmen der Landtage würde die von Art. 51 GG vorgegebene Funktionsweise des Bundesrates in Richtung eines Senatsmodells mit „parteipolitisch ausgerichteter Parallelrepräsentation" verändert. 5. Eine Intensivierung der Rolle der Landesparlamente könnte die Schwächen bei der Vermittlung der demokratischen Legitimation im Rahmen der Europäischen Union nicht kompensieren. Die Stärkung des demokratischen Prinzips muß aufgrund der ausschließlichen Kompetenz des Bundes in Angelegenheiten der Europäischen Union in erster Linie innerhalb der Legitimationskette zwischen dem Volk, dem Deutschen Bundestag und der Bundesregierung erfolgen.

2. Eigener Vorschlag: Eine stärkere Berücksichtigung des Art. 23 Abs. 4 GG 1. Die entscheidenden Schwachpunkte des Art. 23 GG beruhen auf der Tatsache, daß dem Bundesrat in den Fällen des Art. 23 Abs. 5 S. 2 und Abs. 6 GG entgegen Art. 23 Abs. 4 GG ein Mehr an Rechten eingeräumt wird, als diesem bei vergleichender innerstaatlicher Betrachtungsweise zustünde. Insoweit bietet

IV. Mögliche Alternativen einer Mitwirkung der Länder

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sich zur Korrektur eine stärkere Orientierung an dem Grundgedanken des Art. 23 Abs. 4 GG an. 2. Das Prinzip einer gestuften Mitwirkung entspricht grundsätzlich der innerstaatlichen Systematik der Stellung des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren bei Einspruchs- und Zustimmungsgesetzen und sollte beibehalten werden. 3. Die Gewährung eines Zustimmungsrechts des Bundesrates entsprechend seiner Stellung bei zustimmungsbedürftigen Gesetzen verbietet sich für den Bereich der Angelegenheiten der Europäischen Union. Ein Zustimmungserfordernis des Bundesrates könnte die Gefahr eines „Patts" oder eines Zustands der Nicht-Entscheidung herbeiführen, der ein Weiterverhandeln Deutschlands nicht zuließe. Aufgrund des im Bereich des EGV geltenden Mehrheitsprinzips als Abstimmungsmodus kämen die meisten Rechtsakte ungeachtet eines innerstaatlichen „Vetos" gleichwohl mit Wirkung für und gegen Deutschland zustande. Das Mehrheitsprinzip als Entscheidungsmodus auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft bedarf jedoch zu seiner demokratischen Rechtfertigung in besonderer Weise stets der ungehinderten Möglichkeit einer aktiven Einbringung der Interessen Deutschlands in den Verhandlungsprozeß. 4. Die unbestimmten und wertenden Formulierungen in den Absätzen 4 bis 6 („insoweit", „im Schwerpunkt") widersprechen der Systematik der innerstaatlichen Kompetenzverteilung und sollten gestrichen werden. In der Staatspraxis haben sie sich als nicht praktikabel erwiesen. Statt dessen sollte es für die Beurteilung der Kompetenzverteilung bei der „Einheitsformel" belassen werden; hiernach würde ein Rechtsetzungsvorhaben insgesamt der qualifizierten Mitwirkung des Bundesrats unterliegen, wenn nur eine einzige Regelung bei innerstaatlicher Betrachtungsweise zustimmungsbedürftig ist. Da ein Letztentscheidungsrecht des Bundesrates und die vorgesehene Außenvertretung aufgrund ihrer Verfassungswidrigkeit entfallen, besteht kein Grund mehr zur Beibehaltung der einschränkenden Merkmale innerhalb des Art. 23 Abs. 4 bis 6 GG. 5. Art. 23 Abs. 5 und 6 GG kann entsprechend den hier entwickelten Vorgaben verfassungskonform ausgelegt werden, ohne daß es einer Änderung seines Wortlauts zwingend bedürfte. In den Fällen des Absatzes 5 Satz 2 hat danach zwar eine gesteigerte Berücksichtigung der Stellungnahmen des Bundesrates zu erfolgen, jedoch unter Wahrung der letztverantwortlichen Entscheidungsbefugnis der Bundesregierung. § 5 Abs. 2 S. 5 und Abs. 3 EUZBLG ist wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht nichtig und sollte aufgehoben werden. 6. Eine Übertragung der Außenvertretungsbefugnis auf einen Vertreter der Länder nach Art. 23 Abs. 6 GG wäre nicht schlechthin unzulässig, setzt aber voraus, daß die Bundesregierung stets über einen maßgebenden Einfluß auf den Gang der Verhandlungen verfügt, so daß sie die volle demokratische Verantwortung hierfür übernehmen kann.

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Teil 5: Gesamtergebnis und Thesen

7. Um die hier vertretenen Verbesserungsvorschläge bestmöglich umzusetzen, sollten in Art. 23 Abs. 4 GG und Art. 23 Abs. 5 S. 1 GG die Worte „soweit" jeweils durch die Worte „wenn" ersetzt werden. In Absatz 5 Satz 2 müßten die Formulierungen „im Schwerpunkt" und der Zusatz „insoweit" gestrichen werden, und in Absatz 6 ebenfalls die Schwerpunktregelung. Zur Verdeutlichung der demokratischen Letztverantwortung der Bundesregierung erscheint es ratsam, die „Soll-Regelung" in Art. 23 Abs. 6 S. 1 GG durch eine „Kann-Bestimmung" zu ersetzen. Die Bestimmungen des Ausführungsgesetzes müßten entsprechend den verfassungsrechtlichen Vorgaben angepaßt werden.

Schlußbetrachtung In wenigen Worten ein Resümee über die Vorschrift des Art. 23 GG abzugeben, fällt nicht leicht. Sicherlich ist Art. 23 GG, insbesondere in sprachlicher Hinsicht, „keine Glanzleistung an verfassungsrechtlicher Klarheit" 1 und auch „kein Vorzeigebeispiel für eine schlanke und griffige Grundgesetznorm" 2. Schwerer wiegen allerdings die inhaltlichen Bedenken gegen Art. 23 GG, die zum einen auf der staatsrechtlichen, zum anderen auf der europarechtlichen Ebene ansetzen. Insoweit bedarf es, wie die verfassungsrechtliche Überprüfung der Vorschrift ergeben hat, allerdings einer differenzierten Betrachtungsweise. Art. 23 GG kann mit Fug und Recht als „verfassungsrechtlicher Gewinn" bezeichnet werden 3, soweit die Mitwirkung der Bundesrepublik Deutschland an der Europäischen Union und die Beteiligungsrechte der einzelnen Organe des Bundes nunmehr auf eine eindeutige verfassungsrechtliche Grundlage gestellt worden sind. Das Grundprinzip für die Kompetenzverteilung nach dem Muster der innerstaatlichen Kompetenzverteilung, das in Art. 23 Abs. 4 GG niedergelegt worden ist, und die sich in den folgenden Absätzen anschließende Regelung der gestuften Mitwirkungsrechte des Bundesrates können zu den herausragenden und überzeugenden Leistungen des verfassungsändernden Gesetzgebers gerechnet werden. Die Hauptprobleme des Art. 23 GG liegen zugleich in der Durchbrechung seines inneren Bauprinzips. Soweit dem Bundesrat in Art. 23 Abs. 5 S. 2 und Abs. 6 GG ein Letztentscheidungsrecht und eine Befugnis zur Außenvertretung ohne die vollinhaltliche Billigung der Bundesregierung eingeräumt werden, stellt dies entgegen dem Grundgedanken des Absatzes 4 ein „Mehr" an Rechten dar, als dem Bundesrat bei vergleichender innerstaatlicher Betrachtungsweise bei der Gesetzgebung überhaupt zustehen könnte. Nach der hier vertretenen Auffassung verstoßen diese Vorschriften insoweit auch gegen das Demokratieund das Gewaltenteilungsprinzip und bedürfen demnach einer einschränkenden verfassungskonformen Auslegung. Die eingangs gestellte Frage, ob nicht der Bundesrat als föderales Verfassungsorgan von seiner Funktion her zur Wahrnehmung dieser Aufgaben „überdehnt" worden ist, kann mit einem klaren „Ja" beantwortet werden. Derzeit nicht bestätigt werden konnten hingegen die Be-

1 2 3

Schede, S. 238. Lang, S. 378. GGK-Rojahn, Art. 23 Rdnr. 77 f.

24 Halfmann

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Schlußbetrachtung

denken, die sich an der Mitwirkung des Bundesrates im Hinblick auf eine hierdurch eventuell eintretende Gefährdung der außen- und europapolitischen Handlungsfähigkeit Deutschlands entzündeten4. Art. 23 Abs. 2 bis 6 GG scheint nach den bisherigen Erfahrungen der Staatspraxis eher zu einer Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern, genauer zwischen der Bundesregierung und dem Bundesrat, geführt zu haben, ohne daß bislang Anzeichen für eine Lähmung der Europapolitik Deutschlands erkennbar wären. Gleichwohl sind die zuvor erwähnten Bedenken nicht von der Hand zu weisen. Eine Garantie, daß sich diese zukünftig nicht realisieren könnten, vermag angesichts der Wechselhafiigkeit der politischen Situationen niemand abzugeben. Bedenklich stimmt ebenfalls, daß der verfassungsändernde Gesetzgeber mit der Regelung des Art. 23 GG auf verfassungsrechtlicher Ebene eine Entwicklung anerkannt hat, die sich in der Staatspraxis bereits seit langem vollzogen hat. Angesprochen ist das Problem, daß sich die demokratischen Entscheidungsprozesse zunehmend von den Parlamenten hin zu exekutivisch besetzten oder zumindest in dieser Weise strukturierten Gremien verlagert haben. Gemeinsame Merkmale dieser Gremien bilden ihre zahlenmäßig beschränkte Größe, der hohe Grad an Verflechtungen untereinander, die hohe Flexibilität und Dynamik ihrer Entscheidungsfindung und eine damit verbundene Intransparenz der Entscheidungsprozesse. Die Realisierbarkeit von demokratischer Rückbindung und Verantwortlichkeit wird durch diese Entwicklungen erheblich erschwert, ja sogar zunehmend in Frage gestellt5. Die Besetzung und Arbeitsweise der Gemeinsamen Verfassungskommission, die für die jetzige Fassung des Art. 23 GG verantwortlich zeichnet, mag hierfür mitursächlich gewesen sein6; nicht zu Unrecht wurde die Art der Verfassungsgebung als bloßes „constitutional engeneering" der „parteipolitischen Akteure" in Bund und Ländern kritisiert 7 . Art. 23 GG kann diesbezüglich als ein verfassungsrechtlicher Schritt in Richtung der Konstituierung einer „Staatsleitung zur gesamten Hand" gesehen werden. Dies allerdings nicht in der noch positiven, veranschaulichenden Bedeutung, die seinerzeit Ernst Friesenhahn diesem Begriff zugrunde legen wollte 8 , sondern vielmehr im Sinne einer vom Grundgesetz gerade nicht gewollten Vermengung und Verwischung demokratischer Verantwortlichkeit. Faktisch mag gegen solche Entwicklungen der Staatspraxis „kein Kraut gewachsen sein". Es handelt sich

4

Vgl. Badura, EuR 1994, Beiheft 1,9(15); Brenner, DÖV 1992, 903 (904 f., 907); ders., in: ThürVBl. 1993, 196 (197); Breuer, NVwZ 1994, 417 (427 f.); MD-Randelzhofer,; Art. 24 Rdnr. 211; Oppermann, Arbeitspapiere zur Internationalen Politik, Nr. 71 (1992), 7(15). 5 Kritisch auch Klatt, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1998, 45 (68). 6 Vgl. bereits die kritischen Bemerkungen oben, Teil 1, Kap. V, zu den Fußn. 283 bis 287. 7 Lhotta, ZParl 1998, 159 (166 ff.). 8 Vgl. Friesenhahn, VVDStRL Bd. 16 (1958), S. 9 (37 ff.).

Schlußbetrachtung hierbei keineswegs um ein Problem, das nur die Bundesregierung und die supranationalen Entscheidungsprozesse beträfe. Vielmehr betrifft es auch, wenn nicht sogar in erster Linie, die Funktionsweise des parlamentarischen Regierungssystems und das Selbstverständnis des Deutschen Bundestages als dem legitimationsvermittelnden Organ gegenüber der Exekutive. Gleiches gilt fur die Landesparlamente in den Ländern gegenüber ihren im Bundesrat agierenden Landesregierungen. Durch die Einfügung des Art. 23 GG wurden diese innerstaatlich bekannten Funktionsmechanismen der Politikverflechtung verfassungsrechtlich abgesichert und auf die Mitwirkung an der Europäischen Union transferiert 9. Verzichten die am demokratischen Entscheidungsprozeß Beteiligten einvernehmlich auf die Ausfüllung der ihnen zukommenden eigenständigen Funktion oder nehmen sie diese nur unzulänglich wahr, mag dies beklagenswert sein. Rechtlich anerkannt werden sollten diese Entwicklungen hingegen nicht, denn sie entsprechen nicht dem Demokratieverständnis des Grundgesetzes. Das Demokratie· und das Gewaltenteilungsprinzip wollen Entscheidungsfreiheit auf der einen Seite und verantwortliche Aufgabenwahrnehmung der staatlichen Organe auf der anderen Seite sichern, und zwar auch für zukünftige Generationen. Sofern Art. 23 GG aufgrund der Notwendigkeit der Mitwirkung Deutschlands an den europäischen Entscheidungsprozessen ein Zusammenwirken unterschiedlicher Organe und Gremien vorsieht, ist bei seiner Anwendung daher um so strikter auf die Wahrung der gegenseitigen Kompetenz- und Verantwortungsstränge zu achten. Art. 23 GG sollte - und hierin liegt seine Gefahr - von den Beteiligten der Staatspraxis nicht als Freibrief dazu genutzt werden, die institutionellen Verflechtungen zwischen Bundestag, Bundesregierung, Bundesrat und Länderadministration unter dem Deckmantel der Stärkung des Föderalismus oder der Demokratie noch weiter voranzutreiben 10. Allzu leicht könnte hierdurch im Ergebnis Gegenteiliges bewirkt werden 11. Artikel 23 GG bietet hingegen, wenn er im Sinne des grundgesetzlichen Verständnisses von Demokratie und Gewaltenteilung genutzt wird, die Möglichkeit einer Vertiefung der europäischen Integration unter gleichzeitiger Wahrung und Stärkung der Erfordernisse der Demokratie und des Föderalismus. In Anbetracht dieses ihm innewohnenden Potentials ist die Bezeichnung von Art. 23

9 Vgl. Klatt.; Staatswissenschaften und Staatspraxis 1998, 45 (71 ff.); Lhotta, ZParl 1998, 159(177). 10 Nach Lhotta war die Verfassungsänderung Ausdruck einer „gewollten Selbstimmunisierung verfassungsrechtlich zementierter Besitzstände", vgl. ders., in: ZParl 1998, 159 (170). Auch ScharpfsidxX die institutionellen Eigeninteressen der beteiligten „korporativen Akteure" als Hauptursache der Politikverflechtung an, vgl. ders., Kooperation auf der »dritten Ebene«, 59 (70 ff.). Kritisch auch Zeller, in: Der Souverän auf der Nebenbühne, 147 (148 ff.). 11 Siehe oben, Teil 3, Kap. IV, zu Fußn. 544.

372

Schlußbetrachtung

GG als „Krücke" 12 nicht gerechtfertigt. Sowohl der Deutsche Bundestag als auch die Länder haben eine rechtliche Möglichkeit an die Hand bekommen, ihren Einfluß bei der Willensbildung des Bundes stärker und effektiver als bislang zur Geltung zu bringen. Ob sich diese Möglichkeiten vor dem Hintergrund der fortschreitenden europäischen Integration als hinreichend erweisen oder ob es einer „Totalrevision" des deutschen Bundesstaates bedarf 13, muß die zukünftige Entwicklung zeigen. Solange allerdings die effektive Verwirklichung von demokratischer Rückbindung und Verantwortlichkeit im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses aus vielerlei tatsächlichen wie politischen Gründen an Mängeln leidet und der Bundesregierung hierdurch kaum zu kontrollierende Handlungsspielräume zuwachsen14, bleibt aus der Sicht des betroffenen Staatsbürgers nur eins zu hoffen: „Videant consules, ne quid res publica detrimenti capiat !"

12

So aber Voscherau, einer der „Väter" der Vorschrift, in: Arbeitspapiere zur Internationalen Politik, Nr. 71 (1992), 30 (33). 13 Scharpf, Entwicklungslinien, 45 (56 ff.). Für schrittweise Reformen: Leonardy, ZParl 1999, 135 (162 ff.). 14 Vgl. auch die Einschätzung Pohles, ZParl 1998, 77 (88 f.).

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Sachwortregister Angelegenheiten der Europäischen Union - Begriff 81 Annäherungstheorie 312

- Organleihe 155; 177; 326; 358 Bundesstaatsprinzip - Eigenstaatlichkeit der Länder 70; 172; 175; 303

Art. 23 GG

- Inhalt 163

- Außenvertretung 139,253

- zweigliedriger Bundesstaatsbegriff

- Bundesratsprinzip 79

167

- Erfahrungen der Staatspraxis 283

BVerfGG, § 32 64; 315 ff.; 322

-

BVerfGG, § 64 298 ff.; 305 ff.; 316;

integrationspolitische Handlungsfähigkeit 255, 268

- Justitiabilität 297 - Konfligierende Stellungnahmen von Bundestag und Bundesrat 126

365 BVerfGG, § 67 299; 307 BVerfGG, § 68 308 BVerfGG, § 69 66; 299; 310

- Organkompetenzen 80 - Vereinbarkeit mit dem Bundesstaatsprinzip 170

COREPER Siehe AStV

- Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung 247 - Vereinbarkeit von Abs. 5 S. 1 mit dem Demokratieprinzip 249 - Vereinbarkeit von Abs. 6 mit dem Demokratieprinzip 233

Dédoublement fonctionell 194; 200; 234; 251; 282; 364 Demokratiedefizit 129 Demokratieprinzip - Bundesrat 192

- Verhältnis zu Art. 32 GG 90

- Bundesregierung 190

- Verhältnis zu Art. 50 GG 87

- Erschwernisse 211

AStV 47, 62, 143 f., 180, 261; 265 f.;

- Geltung innerhalb der EU 195

293; 307 Auffangvorbehalt (des BVerfG) 308; 320

- Legitimationskette 186 ff.; 209; 227; 231; 233 ff.; 324; 342; 367 - Stellung des Ministerrats 197

Ausschuß der Regionen 71

- und Mehrheitsentscheidungen 271

Auswärtige Gewalt 250; 253; 310

- Unterschied zum Effizienzprinzip

210 Beharrungsbeschluß 136; 157; 227 f.; 269; 271; 288 f.; 296

- Zusammenwirken mehrerer Organe

222

Bundesrat - Bundesratsmodell 42 f.; 177 f.; 324

EEAG, Art. 2 38; 43; 60; 176; 301 f.

Sachortregister - Mängel und Nachteile 60

- Länderbeteil igungsverfahren 32

Effet utile 40; 210

- Zuleitungsverfahren 28

Effizienzprinzip Siehe Effet utile

Europäischer Rat 144; 200 f.

EGV, Art. 3b (Subsidiaritätsprinzip)

EUV, Art. 6 -neu- 204

71; 171; 322 EGV, Art. 5 72; 171; 275 ff.; 322; 364

EUV, Art. 13 -neu- 85 EUV, Art. 14-neu- 84 f.

EGV, Art. 5 -neu- 204

EUV, Art. 17-neu- 85

EGV, Art. 73g 85

EUV, Art. 28 -neu- 84

EGV, Art. 137 198; 200

EUV, Art. 34 -neu- 82; 345; 354

EGV, Art. 138 138

EUV, Art. A 81; 171

EGV, Art. 140 196

EUV, Art. Β 171

EGV, Art. 143 196

EUV, Art. D 144; 204

EGV, Art. 144 196

EUV, Art. E 171

EGV, Art. 145 39; 196

EUV, Art. F 171; 204; 322

EGV, Art. 146 71; 143; 149; 152;

EUV, Art. J 84

176; 197; 221; 254; 276; 279 ff.;

EUV, Art. J.l 84 f.

335; 358; 364

EUV, Art. J.l 1 84

EGV, Art. 148 136; 278; 346 f.; 364

EUV, Art. J.2 84

EGV, Art. 151 62; 145

EUV, Art. J.3 84 f.

EGV, Art. 157 196

EUV, Art. J.4 84 f.

EGV, Art. 158 196

EUV, Art. J.8 204

EGV, Art. 167 195

EUV, Art. K.3 82; 92; 94

EGV, Art. 189 81; 149

EUV, Art. K.6 261

EGV, Art. 189a 267; 303

EUV, Art. K.9 92; 138

EGV, Art. 189b 197 f.; 212; 260

EUV, Art. L 84

EGV, Art. 189c 198

EUV, Art. Ν 92; 143

EGV, Art. 199 124

EUV, Art. Ν 68

EGV, Art. 201 138

EUV, Art. Ο 93

EGV, Art. 203 124

EUV, Art. R 75

EGV, Art. 228a 85

EUZBLG, § 2 96 ff.; 248; 283 f.; 355

EGV, Art. 235 94

EUZBLG, § 4 95; 273; 350

EGV, Art. 251 202; 260

EUZBLG, §5 136; 139; 140; 157;

Einheit der Verfassung 162; 276

225

Einheitstheorie 350 f.; 368

- Absatz 1 218; 249; 287 f.; 292

Einigungsvertrag, Art. 5 66; 74

- Absatz 2 114; 116; 120; 158; 227;

einstweilige Anordnung (durch das BVerfG) 64; 316 ff. Enquête-Kommission Verfassungsreform 56; 325 Entwicklung der Zusammenarbeit 26 - Art. 2 EEAG 38

233; 249 ff.; 269; 271; 283; 287

ff.;

292; 298; 350 - Regelung des Absatzes 3 94; 133

ff.;

345; 357

- Vereinbarkeit von Abs. 3 mit Art. 23 GG 137

- Bereiche Kultur und Bildung 51

EUZBLG, § 6 95

- Kanzlerbrief von 1979 34

- Absatz 1 152

398

Sach Wortregister

- Absatz 2 139; 140 ff.; 152 f.; 157; 234; 237; 253; 272; 283; 288; 292 f.; 298 - Absatz 3 142; 144 - Absatz 4 142; 144 EUZBLG, § 7 104; 320

GG, Art. 24 30; 33 f.; 42; 89 ff.; 148; 250; 253; 256 f.; 301 f.; 354 GG, Art. 28 193; 228; 240; 340; 360; 367 GG, Art. 30 30; 64; 90; 102; 106; 166; 256; 300 f.; 303; 307; 365

EUZBLG, § 9 47; 108

GG, Art. 38 191; 230

EUZBLG, §11 83; 86; 354

GG, Art. 45 214; 241

EUZBTG, § 3 96; 283

GG, Art. 51 45; 57; 59; 152; 192;

EUZBTG, §5 127 ff.

229; 325; 341; 367

EUZBTG, § 6 132

GG, Art. 52 182

Evolutivklauseln 138

GG, Art. 53 29; 86; 97; 232

EWG/EAG-V, Art. 2 28 ff.; 37; 96

GG, Art. 59 86; 92; 250

Exekutivföderalismus 323

GG, Art. 65 157; 180

exekutivische Eigenverantwortung

GG, Art. 67 218

Siehe Gewaltenteilung Exekutivrechtsetzung 203; 338

GG, Art. 70 90; 149; 167; 300 ff.; 365 GG, Art. 72 103 ff.; 109; 116; 140; 314; 355; 357

GASP 85 f.; 143 Gemeinsame Aktion (EUV) 84 Gemeinsame Maßnahme (EUV) 82 Gemeinsame Verfassungskommission 58; 75 ff.; 88; 103; 107; 111 ff.; 132 ff.; 232; 252 - Entstehung und Zusammensetzung 74 - Kritik 76 Gemeinsamer Standpunkt (EUV) 82; 84 Gemischter Rat 50; 52

GG, Art. 77 344; 350 GG, Art. 79 Abs. 3 161 ff.; 169 ff.; 183 ff.; 188; 205 ff.; 237; 242; 247; 252; 275; 283; 300; 303; 320 ff.; 335; 340; 345; 358 ff. GG, Art. 83 167; 172 GG, Art. 84 109; 137 GG, Art. 93 66; 297 ff.; 309 f.; 314; 318; 364; 365 GG, Art. 109 93; 123; 356 GG, Art. 110 124; 191 GG, Art. 113 121 f.; 126; 356

Gewaltenteilung 90; 123; 169; 175; 178 f.; 198; 222; 237 ff.; 246; 250;

Institutionelles Gleichgewicht 198

255; 313; 335; 339; 372

Integrationsgewalt 30; 34; 87; 178;

- Inhalt 239 - Kernbereich der besonderen Organe 243 f.

333 Integrationskonferenz der Länder (Österr.) 329; 331; 335 f.; 367

- Organadäquanz 245 GG, Art. 1 239 GG, Art. 19 Abs. 2 164 GG, Art. 20 24; 163 ff.; 179; 183 ff.; 194; 206; 218; 222; 228 ff.; 250; 254; 283; 324; 340 f.; 358; 361 f.

Kernbereich der Exekutive Siehe Gewaltenteilung Konsensualverfahren (Österr.) 332 Kooperativer Föderalismus 55 Kramer/Heubl - Absprache 49

Sachortregister Länderbeobachter 35 f.; 45 ff.; 151; 154; 155; 285; 359

Rundfunkrichtlinie 63; 66; 271 f.; 296; 301; 304; 307; 312 ff; 317 ff.

Länderrat 326; 331; 334; 366; 367 Ländervertreter 48 ff; 62; 70; 145 ff; 178 ff; 233 ff; 274; 281; 289 ff; 328; 332 ff; 352 f. - rechtliche Stellung 147 - Verfahren der Benennung 151 Landesblindheit (der EG) 72 Landtage - mangelnde Beteiligung 56 Letztentscheidungsrecht 113 ff; 132; 158; 177; 226 f.; 231 f.; 237; 249; 251; 255; 257; 269; 272; 276; 279 ff; 298; 323 f.; 343 f.; 349; 351; 356; 361 ff; 368; 370 Lindauer Abkommen 30; 32; 34;

Senatsmodell 56; 80; 324 f.; 340; 366-367 Sonderausschuß Europäische Union 128 ff; 207 Staatsleitung zur gesamten Hand 336 ff; 342; 367; 371 Staatsvolk - Begriff des Grundgesetzes 187 - europäisches - 200 - Unterschied zu den Landesvölkern 229 Subsidiaritätsprinzip 39; 69; 73; 171 f.; 290

91 ff;354 Tabakrichtlinie 66; 318 Mischverwaltung, Verbot 168; 177 f.;

Troika 143

181;359 Mitwirkungsföderalismus 70

Unitarisierung 31

Montanunionvertrag 27 Verfassungswidriges Verfassungsrecht Organstreitverfahren 294; 297 ff; 307 ff; 315 f.; 364 Organtreue 131; 220; 226; 248; 298 Österreich - System der Ländermitwirkung 327

162 Verhandlungsregime (EG) 205; 213; 258 Vertrag von Amsterdam 68; 73; 172; 197; 204; 209; 278; 345; 354; 357; 359

Politikverflechtung 338; 372

Rahmenbeschlüsse (EUV) 82; 345; 354;357

Vertrag von Maastricht 23; 66 f.; 70; 171; 206; 217; 220; 278; 280

Westeuropäische Union 85

Reine Vertreterbeschlüsse (Rat) 100 Rückholbefugnis (bei Art. 23 Abs. 6 GG) 159 f.; 235; 352; 358

Zuleitungsverfahren Siehe EWG/EAG-V, Art. 2 Zustimmungsgesetze 137; 334; 345