Energieumweltrecht in Zeiten von Europäisierung und Energiewende [1 ed.] 9783428544400, 9783428144402

Das Regelungsziel des Klima- und Umweltschutzes zählt neben Wettbewerbsfähigkeit und Versorgungssicherheit zu den zentra

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Energieumweltrecht in Zeiten von Europäisierung und Energiewende [1 ed.]
 9783428544400, 9783428144402

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Schriften zum Deutschen und Europäischen Infrastrukturrecht Band 2

Energieumweltrecht in Zeiten von Europäisierung und Energiewende

Herausgegeben von Ralf Brinktrine, Markus Ludwigs und Wolfgang Seidel

Duncker & Humblot · Berlin

BRINKTRINE/LUDWIGS/SEIDEL (Hrsg.)

Energieumweltrecht in Zeiten von Europäisierung und Energiewende

Schriften zum Deutschen und Europäischen Infrastrukturrecht Herausgegeben von Ralf Brinktrine und Markus Ludwigs

Band 2

Energieumweltrecht in Zeiten von Europäisierung und Energiewende

Herausgegeben von Ralf Brinktrine, Markus Ludwigs und Wolfgang Seidel

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2014 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH, Wustermark Printed in Germany ISSN 2198-0632 ISBN 978-3-428-14440-2 (Print) ISBN 978-3-428-54440-0 (E-Book) ISBN 978-3-428-84440-1 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Das Regelungsziel des Klima- und Umweltschutzes zählt neben Wettbewerbsfähigkeit und Versorgungssicherheit zu den zentralen Bausteinen der Energiepolitik. Die hierauf bezogenen nationalen und unionalen Maßnahmen haben zur Herausbildung eines Energieumweltrechts als abgrenzbarem Teilgebiet des Energierechts geführt. Der vorliegende Band dokumentiert die von den Lehrstühlen der Professoren Ralf Brinktrine und Markus Ludwigs in Zusammenarbeit mit dem Umweltbundesamt (Deutsche Emissionshandelsstelle) veranstaltete Tagung „Energieumweltrecht in Zeiten von Europäi­sierung und Energiewende“, die am 18. / 19. Oktober 2013 an der Universität Würzburg stattfand. Das mit der Tagung verfolgte Ziel bestand darin, mit dem Emissions­ handel, der Förderung Erneuerbarer Energien und der Steigerung der Energieeffizienz alle drei Säulen des Energieumweltrechts zusammenzuführen und so zu einer kritischen Bestandsaufnahme beizutragen. Dabei wurden aus interdisziplinärer Perspektive auch ökonomische Frage­stellungen einbezogen. Unser besonderer Dank gilt den engagierten Referenten und Diskussionsteilnehmern sowie den Förderern der Tagung. Danken möchten wir zudem den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der beteiligten Lehrstühle für die wertvolle Unterstützung bei der Planung und Durchführung der Veranstaltung. Wichtige Hilfe bei der redaktionellen Betreuung des Bandes haben Frau Carolin Friedmann, Frau Mirjana Gudeljevic, Frau Viktoria Hildebrand, Herr Richard Lauer und Frau Sabine Weidermann, LL.M., geleistet. Die Veröffentlichung des Tagungsbandes wurde durch einen Druckkostenzuschuss des Umweltbundesamtes (Deutsche Emissionshandelsstelle) ermöglicht. Dem Verlag Duncker & Humblot, namentlich Herrn Dr. Florian R. Simon, LL.M., sei für die vertrauensvolle Zusammenarbeit auch bei der Entstehung dieses Bandes herzlich gedankt. Würzburg und Berlin, im April 2014

Ralf Brinktrine Markus Ludwigs Wolfgang Seidel

Inhaltsverzeichnis Energie und Umwelt – Aktuelle Entwicklungstendenzen im Zeichen von Europäisierung und Energiewende Von Matthias Schmidt-Preuß, Bonn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Umweltpolitischer Instrumentenmix im Kontext der Energiewende Von Felix Höffler, Köln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Netzintegration erneuerbarer Energien als Baustein der Energiewende Von Martin Kment, Augsburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Praktische Erfahrungen mit der Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Netzplanung Von Peter Ahmels, Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 Rechtsfragen des Verwaltungsverbundes im EU-Emissionshandel Von Wolfgang Seidel, Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Die Lernkurven beim EU-Emissionshandel Von Uwe Neuser, Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Die Einbeziehung des Luftverkehrs in das EU-Emissionshandelssystem Von Yvonne C. Schmidt, Braunschweig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Die Versteigerung im EU-Emissionshandels­system Von Felix Hardach, Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Energieeffizienzrichtlinie: „Papiertiger“ oder Meilenstein für die Entwicklung des Energieumweltrechts? Von Julian Asmus Nebel, Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Das deutsche und europäische Energieeffizienzrecht – Ein Rechtsgebiet im Werden? Von Markus Ludwigs, Würzburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Tagungsbericht Von Sabine Weidermann, Würzburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 Verzeichnis der Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213

Energie und Umwelt – Aktuelle Entwicklungstendenzen im Zeichen von Europäisierung und Energiewende* Von Matthias Schmidt-Preuß, Bonn I. Energiewende, Europa und das Recht Die Bundesrepublik Deutschland hat sich mit der „Energiewende“ entschlossen, als führendes Industrieland ihre Energieversorgungsbasis im Interesse des Klimaschutzes nachhaltig zu verändern und den Weg in eine CO2-freie Energieerzeugung ohne Kernkraft zu beschreiten.1 Die Dimension dieses Vorhabens lässt es nicht als Übertreibung erscheinen, hier von einem Generationenprojekt zu sprechen. Es ist nicht nur ambitionös, sondern in dieser Form ohne Beispiel. Die Herausforderungen sind technischer, elektrophysikalischer, ökonomischer, ökologischer, aber nicht zuletzt auch rechtlicher Art. Das gilt zum einen auf der nationalen Ebene. Zum anderen aber komplizieren sich die Realisierungsbedingungen dadurch, dass immer drängender Fragen der EU-rechtlichen Kompatibilität gestellt werden. So hat die EU-Kommission2 am 18.12.2013 ein Beihilfeverfahren gem. Art. 108 Abs. 2 AEUV wegen der Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien eingeleitet. Damit steht fast das gesamte Fördersystem des ErneuerbareEnergien-Gesetzes (EEG), das im Mittelpunkt der Energiewende steht, auf dem Prüfstand. Das Interesse fokussiert sich hier in der aktuellen Diskussion auf die Besondere Ausgleichsregelung (§§ 60 ff. EEG 2014). Sie dient der Begrenzung der von energieintensiven Unternehmen zu zahlenden EEGUmlage, durch die das EE-Fördersystem finanziert wird. Darüber hinaus hat die EU-Kommission3 am 9.4.2014 die neuen „Umwelt- und Energie-Beihilfe-Leitlinien“ beschlossen, die stabile Rahmenbedingungen auf diesem Felde *  Aktualisierte Fassung des Vortrags, den ich auf der Tagung „Energieumweltrecht in Zeiten von Europäisierung und Energiewende“, die am 18.10.2013 unter der Leitung von Prof. Dr. Ralf Brinktrine und Prof. Dr. Markus Ludwigs an der Universität Würzburg stattfand, gehalten habe. 1  Vgl. programmatisch die Formulierung im Gesetzentwurf der Bundesregierung zum „Entwurf eines Gesetzes zur grundlegenden Reform des Erneuerbare-EnergienGesetzes und zur Änderung weiterer Bestimmungen des Energiewirtschaftsrechts“, BT-Drcks. 18 / 1304, S.  1. 2  Kommission, Staatliche Beihilfe SA.33995 (2013 / C) (ex2013 / NN) – Deutschland, C(2013) 4424 final (18.12.2013).

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schaffen sollen. Vor diesem Hintergrund fanden die Gespräche zwischen der EU-Kommission und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie statt, die möglichst auf eine Beseitigung von Streitpunkten abzielten. Akuter Handlungsbedarf wurde spätestens am 15.10.2013 manifest, als die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber die EEG-Umlage für 2014 vorläufig auf 6,240 Cent pro Kilowattstunde (kWh) bezifferten.4 Das bedeutet für einen durchschnittlichen Haushalt ein Plus von 35 Euro pro Jahr in der Stromrechnung.5 Die Koalitionsvereinbarung6 der die Bundesregierung bildenden Parteien hat die Energiewende zu einem zentralen Thema der 18. Legislaturperiode gemacht. Dabei wird am EEG als Förderinstrument festgehalten. Ebenso klar wird aber die Notwendigkeit von Kosteneindämmung und Marktintegration betont. Damit war die Reform des EEG vorgezeichnet. Die Bundesregierung hat am 8. April 2014 den Regierungsentwurf für die EEG-Novelle von 2014 verabschiedet.7 All diese mit Rasanz sich vollziehenden Entwicklungen zeigen einerseits die Dynamik und die für das Gemeinwesen existentielle Bedeutung des Energiesektors auf.8 Andererseits muss sich auch die Energiepolitik in den Bahnen des Rechts bewegen, wenn sie das Generationenprojekt der Energiewende zum Erfolg führen will. Das Wort von Walter Hallstein,9 dass Europa im Rahmen der damaligen EWG – und das gilt vice versa auch für die heutige EU – eine „Rechtsgemeinschaft“ darstellt, ist längst Allgemeingut. Es ist nur ein winziger Schritt zu der naheliegenden Konsequenz, von einer Energierechtsgemeinschaft zu sprechen, um den Rechtsrahmen der Europäischen Energiepolitik auf einen Begriff zu bringen. Welche Bedeutung die Vorgaben 3

3  EU-Commission. Guidelines on State aid for environmental protection and ernergy 2014–2020. C (2014) 2322, http//ec.europa.eu/competition/sectors/energy/ legislation_en.html (zuletzt abgerufen am 2.6.2014). 4  50hertz, amprion, Tennet, TRANSNET BW, „Prognose der EEG-Umlage 2014 nach AusglMechV- Prognosekonzept und Berechnung der Übertragungsnetzbetreiber, Stand: 15.10.2013. http: /  / www.netztransparenz.de / de / file / Konzept_zur_Berech nung_und_Prognose_der_EEG-Umnlage_2014_n – Windows Internet Explorer (zuletzt abgerufen am 30.03.2014), S. 14. 5  Vgl. F.A.Z. online vom 15.10.2013, http: /  / www.faz.net / aktuell / wirtschaft / frueh aufsteher / rekordwert-oekostrom-umlage-steigt-auf-6-24-cent-12617347.html (zuletzt abgerufen am 07.04.2014). 6  Deutschlands Zukunft Gestalten. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD (Berlin, 16. Dezember 2013), S. 38 ff. 7  „Entwurf eines Gesetzes zur grundlegenden Reform des Erneuerbare-EnergienGesetzes und zur Änderung weiterer Bestimmungen des Energiewirtschaftsrechts.“ (s. o. Fn.  1) 8  Schmidt-Preuß, in: Isensee  /  Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VI, 3. Aufl. 2006, § 93 Rn. 1 ff. 9  Hallstein, Der unvollendete Bundesstaat, 1969, S. 48.



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des EU-Rechts mittlerweile gegenüber den Mitgliedstaaten haben, lässt sich am Beispiel des EEG auf vielfältige Weise demonstrieren. II. Die Idee des Wettbewerbs und das Netzmonopol Will man die dominierenden Wirkungskräfte der Energierechtsgemeinschaft umschreiben, dann war dies in den letzten 15 Jahren vor allem die Öffnung des Netzmonopols. Die Durchsetzung der Idee des Wettbewerbs erfolgte auf europäischer Ebene in drei Etappen: Am Anfang – 1996 / 1998 – stand die noch vorsichtige Einführung diskriminierungsfreien Netzzugangs in den Sektoren Strom und Gas. 2003 folgte der große Sprung durch Einführung des obligatorischen Regulators und einer an Kosteneffizienz orientierten ex-ante-Entgeltkontrolle.10 Dem folgte 2009 eine Verschärfung der Entflechtung durch OU, ISO und ITO im Zuge des 3. Liberalisierungs-Pakets.11 Der freie Zugang von Konkurrenten auf den geöffneten Märkten und die Schaffung von Wahlmöglichkeiten der Kunden wurden verpflichtende Eckwerte. Nichts anderes gilt für die Entgeltregulierung, die eine Monopolpreisbildung nach dem Modell des Cournot’schen Punktes verhindern sollte.12 Der Wettbewerb ist regulatorisches Leitmotiv im Interesse von Kosteneffizienz und niedrigen Preisen. Konzepte und Erkenntnisse der Regulierungsökonomie setzten sich bei der Gestaltung des Ordnungsrahmens durch und fanden in den Rechtsakten der drei Liberalisierungspakete ihren Niederschlag. Die wirtschaftswissenschaftlichen Postulate determinieren seither die juristischnormativen Strukturen und Begriffe. Das – europäisch geprägte – Energierecht etablierte sich damit als durch und durch interdisziplinäre Materie.13 Normativ lassen sich die genannten Elemente wie folgt belegen. Primärrechtlich ist Art. 3 Abs. 3 EUV zu nennen, der die soziale Marktwirtschaft als Wirtschaftspolitik der EU umschreibt, also den Markt mit Preisbildung nach Angebot und Nachfrage normativ fixiert, der eine effiziente Erstellung von Produkten und Dienstleistungen durch optimale Allokation knapper Produktionsfaktoren und damit die beste Versorgung der Verbraucher gewährleistet.14 Damit ist zugleich die Wirtschaftsverfassung der EU und die der Mitgliedstaaten rechtlich verbindlich fixiert.15 Hinzu kommt das Proto10  Ludwigs, Unternehmensbezogene Effizienzanforderungen im Öffentlichen Recht, 2013, S. 180 ff. 11  Schmidt-Preuß, et 9 / 2009, S. 82 ff. 12  Schmidt-Preuß, in: Säcker (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Energierecht, Bd. I, 1. Halbbd., 3. Aufl. 2014, Einl. B Rn. 105. 13  Schmidt-Preuß, in: FS f. Kühne, 2009, S. 329 (331 ff.). 14  Schmidt-Preuß in: FS f. Säcker, 2011, S. 969 (970 ff.). 15  Ibid. S.  981 ff.

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koll Nr. 27 zu Binnenmarkt und Wettbewerb, das den Wettbewerb als marktwirtschaftliches Steuerungsprinzip normativ fixiert.16 Dieses ist etwas „versteckt“ dem EUV und dem AEUV beigefügt, dennoch aber Bestandteil der Verträge (Art. 51 EUV). Es entfaltet damit keine mindere normative Kraft.17 Des Weiteren ist auf Art. 26 Abs. 2 AEUV zu verweisen, der den Binnenmarkt18 kraftvoll umschreibt. Als sektorspezifischer Teilmarkt ist hier der Energiebinnenmarkt hervorzuheben.19 Zu seinen Kernelementen gehören freier Marktzugang der Anbieter, Preisbildung nach Angebot und Nachfrage und damit die Sicherstellung effizienter Erstellung von Gütern und Dienstleistungen. Damit öffnet sich der Energiesektor dem Wettbewerb. Die Querverbindung zur sozialen Marktwirtschaft und zum Wettbewerbsprotokoll ist manifest. Es gilt das verbindliche Kernpostulat, dass Strom und Gas in der EU frei zirkulieren können.20 Idealiter können die Waren Strom bzw. Gas von Faro bis Stockholm und von Kopenhagen nach Neapel gehandelt werden. Dass dieses Ziel noch keine Realität geworden ist, liegt vor allem an den noch nicht ausreichenden Grenzkuppelstellen.21 Dies gilt trotz einer beachtlichen Weiterentwicklung des market coupling. Insgesamt kann von einer Beseitigung der Hemmnisse für einen freien Handel mit Strom und Gas (noch) nicht gesprochen werden. Am verpflichtenden Charakter des Energiebinnenmarktziels ändert dies nichts. Sekundärrechtlich bringen Art. 1 der Strom- und der Gas-RL des Dritten Liberalisierungs-Pakets22 entschlossen und unzweideutig zum Ausdruck, dass die Energiepolitik unter dem maßgeblichen Zeichen des Wettbewerbs steht. Dass sich dieser Wettbewerb angesichts der natürlichen Netzmonopo16  Schmidt-Preuß,

in: Säcker (Fn. 12), Einl. B Rn. 107. in: Säcker (Fn. 12), Einf. B Rn. 107. 18  Kahl, in: Calliess  / Ruffert (Hrsg.), EUV / AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 26 Rn. 27 („System unverfälschten Wettbewerbs“). 19  Schmidt-Preuß, in: Säcker (Fn. 12), Einl. B Rn. 77. 20  Schmidt-Preuß, in: FS f. Salje, 2013, S. 397 (407). 21  Pritzsche, in: Baur  / Salje / Schmidt-Preuß (Hrsg.), Regulierung in der Energiewirtschaft, 2011, Kap. 15 Rn. 7. s. auch die treffende Formulierung in Rn. 8, wo das Ziel der VO (EG) Nr. 714 / 2009 dahin umschrieben wird, „sachgerechte Regeln für den grenzüberschreitenden Stromhandel festzulegen um so zu einer Verbesserung des Wettbewerbs und langfristig zur Schaffung eines Energiebinnenmarktes beizutragen“ (zweite Hervorhebung v. Verf.). 22  Richtlinie 2009  /  72  /  EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.07.2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003 / 54 / EG, ABl. L Nr. 211 (vom 14.08.2009), S. 55; Richtlinie 2009 / 73 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.07.2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003 / 55 / EG, ABl. L Nr. 211 (vom 14.08.2009), S. 94. 17  Schmidt-Preuß,



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le nicht von allein einstellt, sondern vom Staat herbeigeführt werden muss, gehört zu den zentralen Erkenntnissen der Regulierungstheorie. Insofern kann man von dem Paradox „Freiheit durch Zwang“23 sprechen. III. Die Energiewende als Kontrapunkt zu Wettbewerb und Energiebinnenmarkt? Ist diese wettbewerbsgeprägte Welt der europäischen Energiepolitik noch unangefochten gültig oder gibt es Friktionen, Bruchlinien oder gar – unauflösliche – Widersprüche?24 Entstehen sie womöglich und ausgerechnet durch das deutsche EEG als Magna Charta der Energiewende? Auf den ersten Blick mag dies so erscheinen. Jedenfalls steht in § 4 Nr. 1 EEG 201425 explizit, dass die Förderung – also der Anspruch auf Anschluss, Abnahme, Transport und Vergütung – nur jenen Betreibern von Anlagen zur Erzeugung von Ökostrom zugutekommt, deren Standort in der Bundesrepublik Deutschland belegen ist. Damit – so könnte die Argumentation lauten – verhindert das EEG die freie Zirkulierung von Strom im Energiebinnenmarkt – mindestens potentiell. Der deutsche Markt wird abgeschottet. Europarechtlich basieren die rechtlichen Vorwürfe gegen das EEG auf den beiden bekannten Argumentationssäulen „Beihilfenverbot“ und „Warenverkehrsfreiheit“. Beide waren von Anbeginn Gegenstand der Kontroverse. Jahrelang konnte das PreussenElektra-Urteil des EuGH26 allerdings für sich beanspruchen, der Entscheidung Deutschlands für die Förderung regenerativer Stromerzeugung nach dem „feed-in-tariff“-Modell des EEG eine tragfähige Basis zu bieten und allen kritischen Fragen standzuhalten. Unverkennbar hat sich das argumentative Klima seit einigen Jahren verschärft. Der Wind weht sozusagen dem EEG jetzt selbst ins Gesicht. Damit sieht sich das deutsche Fördermodell zunehmend herausgefordert. Seit längerem schon wurde immer dringlicher – nicht zuletzt von der EU-Kommission27 selbst – die Frage gestellt, ob nicht das EEG insgesamt oder einzelne seiner Teilregelungen bei einer neuen Grundorientierung als Beihilfe zu qualifizieren seien. Damit rücken zunächst der Beihilfebegriff des Art. 107 Abs. 1 AEUV einerseits und die Bewertung des EEG-Fördermechanismus anhand dieses Maßstabs andererseits in den Fokus. 23  Schmidt-Preuß,

in: Säcker (Fn. 12), Einl. B Rn. 106. plastisch Pielow, EurUP 2013, S. 150 (162), der vom „EEG als Fremdkörper im EU-Energiebinnenmarkt“ spricht. 25  Bislang § 2 Nr. 1 EEG 2012. 26  EuGH, Rs. C-379 / 98, Slg. 2001, I – 2159. 27  Kommission, Staatliche Beihilfe SA.33995 (2013 / C) (ex2013 / NN) – Deutschland, C(2013) 4424 final (18.12.2013), S. 36. 24  Siehe

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IV. EEG und Beihilfenverbot 1. Das Grundsystem der Vergütungspflicht („feed-in-tariff“)

Das Grundsystem der Förderung Erneuerbarer Energien lässt sich in seiner Grundstruktur einfach umschreiben. Die Betreiber von Anlagen zur Herstellung von Strom aus regenerativen Quellen erhalten eine feste Vergütung (im EEG 2012 / 2014 prinzipiell 20 Jahre). Damit soll zu Investitionen angereizt werden, die wegen des geringen Marktwerts fluktuierender Stromquellen ohne diese Förderung nicht getätigt würden. Anspruchsberechtigt sind die öko-stromerzeugenden Anlagenbetreiber. Zur Refinanzierung verpflichtet sind die Energieversorgungsunternehmen, die am Ende die Last an die Verbraucher weitergeben. Der Einsatz finanzieller Mittel des Staates – direkt oder indirekt – ist mit diesem Fördersystem nicht verbunden. Dies ergibt sich daraus, dass nur ein Kontrahierungszwang mit einer Preisregelung im Verhältnis zwischen zwei Privaten normiert ist. Eine staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfe ist hiermit nicht verbunden. Dies sei anhand neuer, von den Kritikern28 vorgebrachter Entscheidungen im Folgenden begründet. 2. Das PreussenElektra-Urteil des EuGH

Das Grundmodell des deutschen Fördersystems bildet das Stromeinspeisungsgesetz29 von 1990. Seine Europarechtskonformität hat der EuGH30 im PreussenElektra-Urteil vom 13. März 2001 bestätigt. Der Gerichtshof judizierte, dass die Vergütungspflicht eine Preisregelung sei, die sich an private Unternehmen adressiere und deshalb keine staatlichen oder aus staatlichen Quellen stammenden Finanzmittel in Anspruch nehme.31 Kaum ein Urteil des EuGH ist im Kontext der Förderung regenerativer Energien so oft genannt worden wie diese Entscheidung. Die zentrale Aussage des Gerichtshofs ist, dass es sich beim Stromeinspeisungsgesetz um die gesetzliche Anordnung eines Kontrahierungszwangs im Verhältnis zwischen zwei Privaten mit einer Pflicht zur Zahlung von Mindestpreisen der geleisteten Ware handelt, nicht aber um eine Beihilfe. Art. 107 Abs. 1 AEUV verbietet staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen. Das Beihilfenverbot gilt daher – so 28  Vgl. Haucap / Klein / Kühling, Die Marktintegration der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien, 2013, S. 31 ff. 29  Gesetz über die Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien in das öffentliche Netz v. 7.12.1990, BGBl. I, S. 2633. 30  EuGH, Rs. C-379 / 98, Slg. 2001, I – 2159. 31  EuGH, Rs. C-379 / 98, Slg. 2001, I – 2159 Rn. 66.



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der EuGH – nicht. Aus dem Staatsbudget ist kein Pfennig geflossen. Dies sollte offenbar seinerzeit auch gerade vermieden werden. Das Urteil hat damals überzeugt und tut dies noch heute.32 Es war gerade die förderpolitische raison d’être, keinerlei Mittel der öffentlichen Hand – in welcher Form auch immer – in Anspruch zu nehmen. Stattdessen handelt es sich nur um eine Preiskomponente im Verhältnis privater Vertragspartner. Damit hat sich der Großteil des Schrifttums gegen die Qualifizierung als Beihilfe ausgesprochen. 3. Keine Abkehr von PreussenElektra durch neue EuGH-Judikatur

a) Rechtssache Essent Angesichts neuer Entscheidungen des EuGH stellt sich zunehmend die Frage, ob sich hieraus Konsequenzen für die Beurteilung des Fördersystems des EEG ergeben bzw. die Maßgeblichkeit des PreussenElektra-Urteils in Frage gestellt ist.33 Dabei wird vor allem auf drei Urteile verwiesen, die am Ende doch zur Geltung des Beihilfenverbots führen sollen. Das gilt zunächst für das Essent-Urteil des EuGH34 vom 17. Juli 2008. Diesem Vorabentscheidungsersuchen lag ein Fall zugrunde, der auf dem niederländischen „Übergangsgesetz für den Sektor der Elektrizitätserzeugung“ beruhte. Dieses Gesetz sah einen Finanzierungsmechanismus vor, nach dem die Stromkunden einen Tarifaufschlag zu entrichten hatten, aus dem u. a. nicht marktkon32  Schmidt-Preuß, UTR 61 (2002), S. 27 (43  ff.); Scholz / Mönch / Herz, Verfassungs- und europarechtliche Grundsatzfragen einer EEG-Reform, 2014, S. 124 ff.; Reuter, RdE 2014, 160 (164 ff.); Sailer / Kantenwein, in: Reshöft/Schäfermeier (Hrsg.), EEG, 4. Aufl. 2014, Einleitung Rn. 240 ff.; Gent / Hädrich / Herbort, Strompreisentlastungen für Unternehmen in der beihilfenrechtlichen Bewertung, 2013, S. 58 ff., 78; Schlacke / Kröger, Europarechtliche Fragen deutscher Förderinstrumente für Erneuerbare Energien, S. 66 ff.; Salje, EEG, 6. Aufl. 2012, Einführung Rn. 75; Ehricke, in: Frenz / Müggenborg (Hrsg.), EEG, 3. Aufl. 2013, S. 151 (177) Tz. 47; Altrock / Oschmann (Hrsg.), EEG, 4. Aufl. 2013, Einf. Rn. 104; Müller, ZNER 2014, 21 (22 ff.); in diesem Sinne auch Ludwigs, in: Ruffert (Hrsg,.), Europäisches Sektorales Wirtschaftsrecht, Enzyklopädie Europarecht, 2013, § 5 Rn. 112 (anders jetzt – zur Besonderen Ausgleichsregelung – ders., EuZW 2014, 201); zwar eine „Relativierung“ der PreussenElektra-Doktrin durch die neuen Entscheidungen konstatierend, letztlich aber mangels „Entität“ das EEG – auch in der Fassung von 2012 – ausdrücklich nicht als Beihilfe qualifizierend Haucap / Klein / Kühling (Fn. 28), S. 36 f.; im Ergebnis ferner eine Beihilfe ablehnend Frenz / Wimmers, GewArch. 2014, 30 (44). Das PreussenElektra-Urteil kritisch aufnehmend Koenig / Kühling, NVwZ 2001, 768 (769 ff.); nunmehr für Beihilfe Graf von Kielmannsegg, WiVerw 2014 / 2, S. 103 (110). 33  Kühling, in: Ehricke (Hrsg.), Hürden und Grenzen der Liberalisierung im Energiesektor, 2013, S. 65 (75). 34  EuGH, Rs. C-206 / 06, Slg. 2008, I – 5497.

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forme Aufwendungen aus der Zeit vor der Liberalisierung finanziert wurden, die sich als „stranded costs“ erwiesen. Sieht man von der Unterschiedlichkeit der zahlungspflichtigen Personen ab, ist auch der Sachverhalt des Urteils nicht mit dem des PreussenElektra-Urteils vergleichbar. Im Essent-Fall sah das Gesetz die Einrichtung einer Gesellschaft (SEP) vor, die bis zu 400 Mio NLG erhob und verwaltete. Über diesen Betrag hinausgehende Beträge wurden vom Minister kontrolliert. Diese Gelder sollten u. a. zum Ausgleich nicht marktkonformer Kosten für Fernheizung und eine Kohlevergasungsanlage verwendet werden. Die Gesellschaft SEP stellt eine eigens gegründete institutionell-administrative Einrichtung dar, die finanziell Regie führt, was den EuGH – wenn man das Kriterium einer verwaltenden Einrichtung hypothetisch zugrunde legen wollte – zu Recht zur Annahme einer Beihilfe bewog. An einer derartigen Einrichtung aber fehlt es im Stromeinspeisungsgesetz und im heutigen EEG, die – wie bereits dargelegt – strukturell vergleichbar sind. Folgerichtig hat dies auch der EuGH selbst explizit im Essent-Urteil in Rn. 74 unterstrichen: „Ebenso unterscheidet sich die in Rede stehende Maßnahme von derjenigen, um die es im Urteil vom 13. März 2001, PreussenElektra … ging, in dem der Gerichtshof in Rn. 59 entschieden hat, dass die Verpflichtung privater Elektrizitätsversorgungsunternehmen zur Abnahme von Strom aus erneuerbaren Energiequellen zu festgelegten Mindestpreisen nicht zu einer unmittelbaren oder mittelbaren Übertragung staatlicher Mittel auf die Unternehmen, die diesen Strom erzeugen, führt. In diesem Fall waren die Unternehmen nicht vom Staat mit der Verwaltung staatlicher Mittel beauftragt worden, sondern zur Abnahme unter Einsatz ihrer eigenen finanziellen Mittel verpflichtet.“ (Hervorhebung v. Verf.)

Klarer kann man es kaum ausdrücken. Es fehlt wie bereits im Stromeinspeisungsgesetz und unverändert auch jetzt unter den Bedingungen des EEG 2012 und EEG 2014 an dem Kriterium einer institutionell-administrativen Einrichtung. Stattdessen wird durch eine staatliche Preisregelung ein Vertragsverhältnis zwischen Privaten in der Vergütung umgestaltet. Im EEG 2012 / 2014 sind die Übertragungsnetzbetreiber zur Auszahlung der Vergütung verpflichtet und zur Refinanzierung durch Erhebung der Umlage berechtigt. Sie sind private Unternehmen. § 3 AusglMechV und die §§ 5 f. der Ausgleichsmechanismus-Ausführungsverordnung erlegen ihnen bestimmte Pflichten zur Berechnung der Einnahmen und Ausgaben auf. Hierbei handelt es sich um reine Handlungspflichten Privater. Institutionell-administrative Einrichtungen, die der Steuerung und Kontrolle durch den Staat unterliegen, existieren im EEG-Fördersystem nicht. Systematisch sei noch der Hinweis erlaubt, dass die Refinanzierung ein integraler Teil des Fördersystems insgesamt ist. Einnahmen und Ausgaben müssen einander entsprechen, weil andernfalls ein dauerhafter Mittelzufluss zugunsten der Anlagenbetreiber und damit ein Beitrag zum Klimaschutz



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nicht gewährleistet werden könnte.35 Gleichzeitig sind die Ebenen von Mittelvergabe und Refinanzierung im Rahmen eines Fördersystems zu unterscheiden, weil Art. 107 Abs. 1 AEUV eine „staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfe“ verlangt. Fehlt es in diesem Zusammenhang an der notwendigen Staatlichkeit der Mittelherkunft, scheidet eine Beihilfe aus. Der Beihilfentatbestand scheidet aus, wenn allein Rechtsbeziehungen im Bereich der Privatautonomie vorliegen. Dies gilt für beide Seiten der „Bilanz“: So stehen sich im EEG (2012 / 2014) auf der Seite der Mittelvergabe Anlagenbetreiber als Vergütungsempfänger und der Übertragungsnetzbetreiber als (letztlich) Zahlungspflichtiger gegenüber. Auf der Seite der „Refinanzierung“ bzw. Mittelherkunft besteht das Rechtsverhältnis zwischen dem Übertragungsnetzbetreiber und dem Energieversorgungsunternehmen. Dieses muss jenem die Umlage in der Höhe, die zwischen der Vergütung und dem Börsenerlös besteht (sog. Differenzkosten), erstatten. Die Umstellung auf der 4. Stufe ändert an der beihilfenrechtlichen Bewertung nichts. Hiermit wurde die Verpflichtung der Energieversorgungsunternehmen, von den Übertragungsnetzbetreibern den zu Bändern veredelten physischen EEStrom abzunehmen, durch das Erfordernis, dass diese den Strom an der Börse (Spotmarkt) verkaufen müssen, ersetzt. Die Differenzkosten werden den Übertragungsnetzbetreibern durch die EEG-Umlage erstattet. b) Rechtssache Wienstrom Auch das zweite von den Kritikern genannte Urteil des EuGH36 im Falle Wienstrom kann das EEG nicht erschüttern. Vorausgeschickt sei, dass der Streitgegenstand dieser Entscheidung vor allem die Geltung des Vollzugsverbots nach Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV und die Konsequenzen für die Rückforderung nach Ergehen einer zwischenzeitlichen positiven Kommis­ sionsentscheidung betrifft. Explizite Aussagen zur materiellen Beihilfenproblematik fehlen. Sieht man ferner von Einwänden gegen das Erfordernis einer institutionell-administrativen Einrichtung ab, dann wäre im Ergebnis auch insoweit das EEG nicht betroffen. Im Wienstrom-Fall sah das österreichische Gesetz im Rahmen des KWK-Fördersystems die Einrichtung einer staatlich kontrollierten Gesellschaft – der Energie-Control-GmbH37 – vor, 35  Siehe aber auch Müller, ZNER 2014, S. 21 (23), der offenbar keinerlei relevanten Zusammenhang zwischen Umlage und Vergütung sieht. Das ist physisch richtig, ökonomisch aber hat die Umlage eine Refinanzierungsfunktion. 36  EuGH, Rs. C-384 / 07, Slg. 2008, I – 10393; hierzu Koenig / Schreiber, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2010, S. 232, die in dem Wienstrom-Urteil eine „Einschränkung“ der PreussenElektra-Entscheidung sehen. 37  Vgl. § 5 Abs. 2 und Abs. 3 des Bundesgesetzes über die Aufgaben der Regulierungsbehörden im Elektrizitätsbereich und die Errichtung der Elektrizitäts-Control

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die mit der Einziehung, Verwaltung und Verausgabung der Finanzmittel betraut war. Dieses organisatorische Konzept erfüllte das Kriterium einer autonomen administrativ-institutionellen Einrichtung, die – bei Zugrundelegung dieses Kriteriums – angesichts der starken staatlichen Ingerenz in concreto die Annahme einer Beihilfe rechtfertigen würde. Genau hieran aber fehlt es im Falle des EEG. Das Merkmal „staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen“ lässt sich auf diese Weise nicht nachweisen, weil die ÜNB als private Gesellschaften keinerlei organisatorischer Verselbständigung und Einbindung unterliegen. c) Rechtssache Vent de Colère Jüngstes Judikat in der Reihe der von Kritikern des EEG angeführten Entscheidungen ist das Urteil des EuGH38 im Falle „Vent de Colère“. Im Rahmen des französischen Fördersystems zugunsten des Stroms aus regenerativen Quellen verpflichtete das Gesetz zur Modernisierung und Weiterentwicklung der öffentlichen Stromversorgung die Händler zur Abnahme und Vergütung zu einem Preis über dem Marktwert. Diese Mehrkosten wurden den Händlern durch einen eigens hierfür gegründeten „Fonds der Energieerzeugung“ ausgeglichen,39 der sich durch Abgaben refinanziert, die das Gesetz Erzeugern, Lieferanten und Händlern auferlegt. Deren Höhe wird auf der Grundlage eines Dekrets durch eine Verordnung des Ministers auf Vorschlag einer unabhängigen Verwaltungsbehörde festgelegt. Damit werden die Mehrkosten vollständig abgedeckt. Diese – gegenüber dem niederländischen und dem österreichischen Modell – nochmals unübersehbar gesteigerte institutionell-administrative Integration lässt sich – wollte man dieses Kriterium überhaupt zugrunde legen – als Beihilfe werten. Ein negativer Rückschluss auf das deutsche EEG kann hieraus aber schwerlich gezogen werden. Von dem französischen System ist das EEG grundsätzlich verschieden. Hier sind es die privaten Übertragungsnetzbetreiber, denen die Berechnung der Einnahmen und Ausgaben obliegt. Dies ist das Gegenteil eines öffentlichen Fonds, der sich aus öffentlichen Abgaben finanziert. Damit fehlt es am Kriterium einer institutionell-administrativen Einrichtung im deutschen Fördersystem. Die Entscheidung Vent de Colère betrifft eine gänzlich andere Fallkonstellation als das EEG. GmbH und der Elektrizitäts-Control Kommission, BGBl. Teil I (vom 1.12.2000), S. 1215. Zwischenzeitlich ist an deren Stelle die „Energie Control Austria für die Regulierung der Elektrizitäts- und Erdgaswirtschaft (E-Control)“ als Anstalt des öffentlichen Rechts mit eigener Rechtspersönlichkeit getreten. 38  EuGH, Urt. v. 19.12.2013, Rs. C-262  / 12, EnWZ 2014, 71 m. Anm. Nysten (S.  75 f.). 39  Die Verwaltung ist der „caisse des dépots et des consignations“ zugeordnet.



Energie und Umwelt – Aktuelle Entwicklungstendenzen19 4. Kritik am Kriterium der Verwaltung von Finanzmitteln

Zusammenfassend stellt die vorstehende Judikatur des EuGH keinen zwingenden Beleg für eine Verabschiedung der PreussenElektra-Doktrin dar. Dabei stellt sich bereits die Frage, ob der bloße Hinweis auf eine staatliche Auferlegung, Steuerung und Kontrolle der Rechnungslegung und Mittelverwaltung den Schluss auf die staatliche oder staatlich vermittelte Beihilfe rechtfertigt. Hält der Staat die Refinanzierung dominant in seinen Händen und verfügt er über die Aufbringung der Mittel wie ihren Einsatz, wäre die Annahme einer Beihilfe nachvollziehbar. Wenn man damit einmal das Kriterium einer institutionell-administrativen Einrichtung zugrunde legen wollte, lassen sich gleichwohl aus den Judikaten Essent, Wienstrom und Vent de Colère für das EEG keine negativen Schlüsse ableiten. Wie bereits dargelegt, fehlt es im Förderkonzept des EEG aber an einer institutionelladministrativen Einrichtung. Vielmehr ging es nur um Preisregelungen zwischen Privaten. Dies gilt sowohl auf der Vergütungs- wie auf der Refinanzierungsseite. Dort stehen sich der Anlagenbetreiber und der Netzbetreiber als Private gegenüber. Hier sind es der Übertragungsnetzbetreiber und das Energieversorgungsunternehmen, die sich ebenfalls als Private gegenüberstehen. Das Fördersystem des EEG beschränkt sich explizit auf die Gestaltung privatautonomer Vertragsverhältnisse. Es spielt sich komplett im Sektor der Privatautonomie ab. Damit scheidet eine Beihilfe des EEGFördersystems von vornherein aus.40 Jenseits dieser Darlegungen ist aber das Kriterium der institutionell-administrativen Einrichtung selbst kritikwürdig. Dass die Übertragungsnetzbetreiber buchhalterische Erhebungen und Berechnungen vornehmen, Konten führen und ggf. Geldbeträge verwalten müssen, wie dies in § 3 Ausgleichsmechanismus-Verordnung und § 6 der Ausgleichsmechanismus-Ausführungsverordnung vorgegeben ist, stellt eine unternehmerische Handlungspflicht dar, die der Staat den Übertragungsnetzbetreibern auferlegt, damit sie aus dem Abgleich von Einnahmen und Ausgaben die Höhe der EEG-Umlage ermitteln können. Zugleich müssen die vier Übertragungsnetzbetreiber Transparenzpflichten einhalten und auf der gemeinsamen Plattform die – weitgehend prognostisch ermittelten – Finanzströme dokumentieren. Art. 107 Abs. 1 AEUV verbietet nicht die Auferlegung von unternehmerischer Handlungspflichten. Damit kann aus der neuen Judikatur für den Fall des EEG 2012 / 2014 nicht auf eine staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfe geschlossen werden.

40  Ebenso

Scholz / Mönch / Herz (Fn. 32), S. 125.

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Matthias Schmidt-Preuß 5. Legitimation mitgliedstaatlicher EE-Fördersysteme durch die EU-RL 2009 / 28

Dass die Mitgliedstaaten die Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen selbst gestalten können, geht auch aus Art. 3 Abs. 3 der Erneuerbare-Energien-Richtlinie 2009 / 28 / EG41 hervor. Dies unterstreicht Erwägungsgrund 25: „Die Mitgliedstaaten haben unterschiedliche Potenziale im Bereich der erneuerbaren Energie und wenden auf nationaler Ebene unterschiedliche Regelungen zur Förderung von Energie aus erneuerbaren Quellen an. Die Mehrheit der Mitgliedstaaten wendet Förderregelungen an, bei denen Vorteile ausschließlich für in ihrem Hoheitsgebiet erzeugte Energie aus erneuerbaren Quellen gewährt werden.“

Der Richtliniengeber ist hier offenbar von der Zulässigkeit der nationalen Förderung von regenerativ erzeugtem Strom ausgegangen. Dies entspricht der Ratio des PreussenElektra-Urteils des EuGH, die – wie ausgeführt – darin liegt, den Mitgliedstaaten das Recht einzuräumen, eigenständige Fördermodelle zu kreieren, solange auf europäischer Ebene kein effektives Gesamtsystem durchsetzbar ist.42 Dass abschließendes Sekundärrecht die Anwendung des jeweiligen Primärrechts sperren kann, entspricht der Rspr. des EuGH.43 Voraussetzung aber ist, dass der Rechtsakt des EU-Gesetzgebers seinerseits die Bestimmungen der Verträge respektiert.44 Nach der Zielsetzung des Art. 1 RL 2009 / 28 / EG soll „ein gemeinsamer Rahmen für die Förderung von Energie aus erneuerbaren Quellen vorgeschrieben“ werden, was verbindliche nationale Gesamtziele einschließt (Art. 3). Mit dem Verzicht auf die Festlegung eines Fördermodells zugunsten regenerativer Energien auf EU-Ebene räumt der EU-Rechtsetzer aus eigenem Entschluss den Mitgliedstaaten einen Gestaltungsspielraum ein. Die Kommission hat weitgehende Aufgaben im Bereich der Überwachung und Berichterstattung (Art. 23). Damit hat der Richtliniengeber die Rolle der erneuerbaren Energien umfassend und abschließend geregelt.45 Darüber hinaus ist die Richtlinie kompatibel mit dem EU-Primärrecht. Die Ungleichbehandlung durch Ausschluss der im EU-Ausland belegenen Anlagen lässt sich dadurch recht41  Richtlinie 2009  /  28  /  EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.04.2008 zur Förderung der Nutzung von Energie und zur Änderung und anschließenden Aufhebung der Richtlinien 2001 / 77 / EG und 2003 / 30 / EG, ABl. L Nr.  140 (vom 5.6.2009), S. 16. 42  Vgl. Schmidt-Preuß, UTR 61 (2002), S. 27 (50); das dort zur Warenverkehrsfreiheit Gesagte gilt vice versa auch für die Beihilfenthematik. 43  Z. B. EuGH, Urt. v. 14.03.2013, Rs. C-216  / 11 Rn. 27 – Kommission / Frankreich; EuGH, Rs. C-463 / 01, Slg. 2004, I – 11705 Rn. 36 – Verpackungsverordnung. 44  Vgl. Ehricke, in: Frenz / Müggenborg (Fn. 32) S. 151 (175) Tz. 44. 45  Im Ergebnis ebenso Ehricke in: Frenz / Müggenborg (Fn. 32), S. 151 (175) Tz. 44.



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fertigen, dass jedenfalls auf mitgliedstaatlicher Ebene Fördermodelle realisiert werden sollten. Auch liegt kein Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit vor, wie sogleich darzulegen ist.46 Damit gilt die RL 2009 / 28 / EG und auch die Aussage des Erwägungsgrundes Nr. 25. Dieser ist zwar nicht konstitutiv, vermag aber bestärkend und begleitend der Richtlinienbestimmung Konturen zu geben.47 Wer eine Legitimation durch die Erneuerbare-Energien-Richtlinie 2009 / 28 / EG nicht gelten lassen wollte, könnte geneigt sein, die Kritik auf Beihilfenaspekte zu stützen. Zwar scheidet eine unmittelbare Anwendung des Art. 107 AEUV auf eine EU-Richtlinie aus. Diese Frage ist bislang – soweit ersichtlich – nicht näher behandelt worden.48 Enthielte sie aber Maßgaben für die Mitgliedstaaten, die mit den Grundgedanken des Beihilfenregimes klar kollidieren, ließe sich eine Inkonsistenz jedenfalls mit dem Energiebinnenmarktziel (Art. 26 Abs. 2 AEUV) nicht leugnen. Indem die Richtlinie es den Mitgliedstaaten ausdrücklich überlässt, Ob und Wie der Fördersysteme selbst zu bestimmen, verzichtet sie zwar auf die Vorgabe eines bestimmten Fördermodells auf EU-Ebene. Vielmehr bleibt es bei der Zulassung mitgliedstaatlicher EE-Fördersysteme gem. Art. 3 Abs. 3 RL 2009 / 28 / EG mit Erwägungsgrund 25. Damit ist die Tür auch für das EEG geöffnet. Da dieses Gesetz aber – wie gezeigt – mangels staatlicher oder aus staatlichen Mitteln gewährter Beihilfen nicht gegen Art. 107 AEUV verstößt, kann die RL 2009 / 28 / EG auch insoweit nicht in Frage gestellt werden. 6. Souveränitätsvorbehalt des Art. 194 Abs. 2 UAbs. 2 AEUV

Noch weitgehend ungeklärt ist die bislang kaum erörterte Frage, ob sich aus der Souveränitäts-Klausel des Art. 194 Abs. 2 UAbs. 2 AEUV Konsequenzen für die Frage der Beihilfe (bzw. Warenverkehrsfreiheit) ergeben. Dies überrascht, weil das Spannungsverhältnis auf der Hand liegt. Art. 194 Abs. 2 UAbs. 2 AEUV garantiert die nationale Entscheidung über den 46  Siehe

unter VI. Cost Orientation of the Grid Charge – Legal Comparison of the EU, German and Chinese Energy Laws, Diss. Bonn, 2012, S. 31. 48  Verschiedentlich wird in der Lit. lediglich betont, dass direkte Gemeinschaftsbeihilfen – um die es vorliegend allerdings nicht geht – dem Anwendungsbereich des Beihilfenregimes des Art. 107 AEUV nicht unterliegen, vgl. z. B. Kühling, in: Streinz (Hrsg.), EUV  /  AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 107 Rn. 18; Cremer, in: Calliess / Ruffert (Fn. 18), Art. 107 Rn. 80; Bär-Bouyssière, in: Schwarze (Hrsg.), 3. Aufl. 2012, Art. 107 Rn. 6; Mestmäcker / Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 46 Rn. 6; Cichy, Wettbewerbsverfälschungen durch Gemeinschaftsbeihilfen, 2002, S. 155. 47  Liu,

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Energiemix. Mit Hilfe dieser sog. Souveränitätsklausel bleibt es den Mitgliedstaaten vorbehalten, über den Einsatz der Primärenergie allein zu entscheiden.49 Der EU-Energiekompetenztitel gilt also insoweit nicht. Die Rechtsfolge des Art. 194 Abs. 2 UAbs. 2 AEUV ist im Falle rein energierechtlicher Materien, dass die Verbandshoheit von vornherein bei den Mitgliedstaaten liegt. Allerdings ist der Eingangssatz in Art. 194 Abs. 2 UAbs. 2 AEUV zu beachten. Danach bleibt Art. 192 AEUV „unberührt“. Diese Klausel ist so zu verstehen, dass bei einer Materie mit Umweltrechtsbezug die Verbandskompetenz der EU gilt, aber zugleich das Verfahren nach Art. 192 AEUV. Hiernach gilt das Einstimmigkeitsprinzip.50 Damit liegt die Verbandskompetenz zwar bei der EU, doch jedem Mitgliedstaat steht ein Vetorecht zu. Der Sache nach bleibt es aber auch insoweit bei dem Souveränitätsvorbehalt. Wenn also eine durchgreifende Zuständigkeit der EU gar nicht besteht, so könnte man argumentieren, weil die Bestimmung des Energiemix den Mitgliedstaaten vorbehalten ist, können diese auch Ob und Wie des Fördersystems bestimmen. Dies gilt auch für die Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf das EEG. Sieht man von diesem eher konstruktiven Unterschied ab, bleibt die Frage, ob nicht der Souveränitätsvorbehalt das Beihilfenverbot (oder auch die nachfolgend anzusprechende Warenverkehrsfreiheit) einschränkt. Wenn nämlich der Vertrag die Entscheidung über den Energiemix den Mitgliedstaaten zuweist, können diese nicht nur das „Ob“, sondern auch das „Wie“ der Förderung einzelner Primärenergien bestimmen. Damit bliebe für Art. 107 AEUV a limine kein Raum. Generalanwalt Yves Bot51 weist in seinen Schlussanträgen vom 28. Januar 2014 auf dieses Spannungsverhältnis zwischen der Warenverkehrsfreiheit – für das hier angesprochene Beihilfenverbot gilt Entsprechendes – und Art. 194 AEUV hin, gibt dann aber der Umweltpolitik den Vorrang. Die RL 2009 / 28 / EG gebe jedem Mitgliedstaat verbindliche Ziele vor, wodurch „die Zusammensetzung des Energiemix … zwangsläufig beeinflusst“ werde. Damit verhilft der Generalanwalt im Ergebnis auch dem Beihilfenverbot zur Geltung. Begründbar wäre dies damit, dass in Art. 194 Abs. 1 AEUV die „Verwirklichung … des Funktionierens des Binnenmarktes“ betont wird und die Souveränitätsklausel hiermit abgewogen werden müsse. Dagegen allerdings spricht, dass Art. 194 Abs. 2 UAbs. 2 AEUV als rechtliche Garantie der Autonomie der Mitgliedstaaten bei der Bestimmung ihres Energiemix’ diese Bezugnahme auf den Binnenmarktes nicht enthält. 49  Zutr. A. M. Schneider, EU-Kompetenzen einer Europäischen Energiepolitik, 2010, S.  308 f. 50  Dazu näher Schmidt-Preuß, in: Baur / Salje / Schmidt-Preuß (Fn.  21), Kap.  10 Rn.  13 ff. 51  Rs. C-573  / 12 Rn. 103 f. – Ålands Vindkraft; das nachfolgende Zitat befindet sich in Rn. 104.



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V. Die „Rabattproblematik“ Nach § 60 Nr. 1 EEG 2014 reduziert das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) die EEG-Umlage. Auf diese Weise wird die Belastung stromintensiver Unternehmen gemildert, um ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Insofern ist von der wirtschaftspolitischen Ratio der Besonderen Ausgleichsregelung der §§ 60 ff. EEG 2014 zu sprechen. Sicherlich kann man nicht übersehen, dass dann, wenn ein großer Zahler entfällt, das Gros der vielen kleinen und mittleren Pflichtigen mit einer höheren Pro-Kopf-Belastung einspringen muss. Im Verhältnis zum Grundsystem handelt es sich um eine Komplementärregelung, die ein punktuelles Defizit im Rahmen des regulatorischen Gesamtprojekts beseitigen soll. Rein äußerlich fällt auf, dass es hier nicht um die finanzielle Förderung der Anlagenbetreiber – also eine positive Förderung, die entzogen würde – geht. Im Einzelnen geben die §§ 60 f. EEG 2014 der BAFA die Berechnungsmaßstäbe vor. Im abgestuften System des § 61 Abs. 2 EEG 2014 wird für Unternehmen mit selbst verbrauchtem Strom an einer Abnahmestelle von mindestens 1 GWh Stromverbrauch für den Stromanteil von über 1 GWh auf 15 % der EEG-Umlage limitiert (§ 61 Abs. 2 EEG 2014)52. Es geht also gegenüber der Umlagefinanzierung als Basis der EEG-Förderung um den actus contrarius. Für ihn gilt dasselbe wie für die Beurteilung des gesamten Fördermodells. Stellt dieses – wie im Falle des EEG – keine Beihilfe dar, dann gilt dies auch für die Reduzierung der Umlagelast. Der Verordnungs- bzw. Gesetzgeber wollte stromintensive Unternehmen befreien oder weniger belasten, weil sie auf den globalen Märkten im Wettbewerb mit Konkurrenten stehen, die eine derartige Last nicht tragen müssen. Das ist keine sachwidrige Erwägung. Unter dem Aspekt der Diskriminierung ist es ein Rechtsgebot, dort zu differenzieren und Benachteiligungen durch Ausnahmen zu verhindern, wo die Profitabilität eines stromverbrauchenden Unternehmens durch das EEG in Frage gestellt wird. Wird in diesem Sinne die Unternehmensexistenz gefährdet oder gar beseitigt, wird das Eigentumsgrundrecht verletzt. Dieses honoriert allerdings nicht betriebswirtschaftliche Ineffizienz.53 Wenn aber einem effizienten Unternehmen 52  „Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Besonderen Ausgleichsregelung für stromkosten- und handelsintensive Unternehmen“, BT-Drcks. 18/1449. Weitere Möglichkeiten einer Begrenzung der EEG-Umlage ergeben sich z. B. aus § 61 Abs. 2 Nr. 3 lit. a) EEG 2014, wonach bei einer Stromkostenintensität von mindestens 20 % eine Gesamtreduzierung der EEG-Umlage auf 0,5 % der Bruttowertschöpfung erfolgt. Bei alledem ist eine Mindestumlage von 0,1 Cent/kWh gem. § 61 Abs. 2 Nr. 4 EEG 2014 unverzichtbar. 53  Schmidt-Preuß, Substanzerhaltung und Eigentum, 2003, S. 58.

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das Überleben nicht möglich ist, hat es einen Anspruch auf Reduktion der Belastung mit EEG-Umlage. Eine pauschale Gleichbehandlung wäre hier Diskriminierung. In diesem Sinne kann man erwarten, dass die Kommission im Beihilfenprüfungsverfahren und in den Energie-Umwelt-Leitlinien die Situation der stromintensiven Unternehmen angemessen berücksichtigt. Soweit Unternehmen nicht mehr berücksichtigt werden, muss durch eine maßvolle Übergangsregelung vermieden werden, dass eine Rückstellungspflicht entsteht. VI. Warenverkehrsfreiheit 1. „Fortbestehende Hemmnisse“ für den funktionsfähigen Strom-Binnenmarkt

Die zweite Argumentationssäule ist – wie gesagt – die Warenverkehrsfreiheit. Angesichts der Fixierung auf in Deutschland belegenen Anlagen liegt ein Eingriff ohne weiteres vor. Aber könnte er gerechtfertigt sein? Der EuGH hat im genannten PreussenElektra-Urteil diese Frage bejaht. Ohne dies explizit auszusprechen, nahm er eine Anleihe bei der Cassis-de-DijonDoktrin und verneinte einen Verstoß, weil das Stromeinspeisungsgesetz dem Umweltschutz und im Besonderen dem Klimaschutz diente und einen Beitrag zur Verringerung von Treibhausgasen leistete. Allerdings hat der EuGH seine Ausführungen unter einen Vorbehalt gestellt. Die Urteilsgrundsätze zur Einschränkbarkeit der Warenverkehrsfreiheit seien nur gültig, solange der Energiebinnenmarkt noch nicht vollendet sei (Rn. 78): „Zu berücksichtigen ist auch, dass diese Richtlinie [(EG) 96  /  92] gemäß ihrer neununddreißigsten Begründungserwägung lediglich eine weitere Stufe bei der Liberalisierung des Elektrizitätsmarkts darstellt und Hemmnisse für den Elektrizitätshandel zwischen den Mitgliedstaaten fortbestehen lässt.“

Gradmesser dafür, ob noch Hemmnisse bestehen oder nicht, ist, ob sich Angebot und Nachfrage nach Strom grenzüberschreitend etabliert haben. Erst wenn Verbraucher mit Sitz in Deutschland ohne weiteres Strom aus Spanien nachfragen können und dieser wie jede andere Ware aus anderen Mitgliedstaaten beziehbar ist, kann von einer Beseitigung der Hemmnisse gesprochen werden. Hiervon ist die heutige Lage unverändert weit entfernt. Eine Ursache ist zum einen das Fehlen von Grenzkuppelstellen, die das entscheidende Defizit darstellen. Market Coupling-Modelle sind erfreuliche Ansätze, bleiben aber bislang punktuell und geographisch begrenzt. Das europäische Stromnetz ist weit davon entfernt, eine stabile Basis für permanente Stromflüsse über die Grenze zu bieten. Es gibt keine europäische Kupferplatte (wobei es sich hierbei selbstverständlich nur um ein illustrie-



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rendes Bild handelt, das nur cum grano salis verwendet werden kann). Was in Europa vorhanden ist, diente eben nur dazu, in Zeiten temporärer Unterversorgung bzw. eines black-outs Strom zur Verfügung stellen zu können. Es ging um Hilfsaktionen im Notfall, nicht um die Normalität grenzüberschreitender Stromflüsse als Ausdruck des europäischen Energiebinnenmarktes. Ausgelegt ist das frühere UCTE-Netz nur für diesen Zweck, nicht als „Mautstraße“ für permanente Stromflüsse. Es gibt keinen (vollendeten) europäischen Energie-Binnenmarkt. Die Stromhandels-Verordnung54 krankt daran, dass auf beiden Seiten der Grenzen zwischen Mitgliedstaaten ein einseitiger Netzausbau, der allein Wettbewerb eröffnen würde, auf kein Interesse stößt, weil kein Übertragungsnetzbetreiber einseitig in Vorleistung treten will.55 Die Rahmenordnung, die hieran gezielt etwas ändert, ist auch im 3. Liberalisierungs-Paket nicht geschaffen worden. Ratio decidendi war hier, mittelbar einen Druck auf die Gemeinschaft zu erzeugen. Ihr sollte verdeutlicht werden, dass – solange sie passiv bleibt und keine (zulässige) Regelung auf EU-Ebene zustande brächte – die Mitgliedstaaten am Zuge seien. Bevor man sich auf EU-Ebene nicht einigen kann, sollten die Mitgliedstaaten freie Hand haben. Da auch die EE-Richtlinie 2009 / 28 / EG kein harmonisiertes Fördermodell formulierte, konnte der deutsche EEG-Gesetzgeber handeln. Hätte der EuGH dies nicht zugelassen, wäre der heutige Anteil regenerativ erzeugten Stroms am Gesamtstromerzeugungsmix von 25 % undenkbar. Dass es zu einer gewissen Zersplitterung der mitgliedstaatlichen Fördersysteme für erneuerbare Energien kommen könnte, nahm der EuGH im PreussenElektra-Urteil hin. „Entscheidend war für ihn offenbar, dass überhaupt ein Mitgliedstaat mit seinem Modell aktiv wurde.“56 Erst ein überzeugendes Förderregime auf EU-Ebene, zu dem der EuGH mittelbar anreizen wollte, hätte ein nationales Vorgehen ausgeschlossen. Dazu ist es aber nicht gekommen. 2. Neuorientierung durch Ålands Vindkraft

In der Rechtssache „Ålands Vindkraft“ hat Generalanwalt Bot57 in seinen Schlussanträgen vom 28. Januar 2014 ausgeführt, dass es sich beim schwe54  Verordnung (EG) 714 / 2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.07.2009 über die Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel und zur Aufhebung der Verordnung (EG) 1228 / 2003, ABl. L Nr. 211 (vom 14.08.2009), S. 15. 55  Pritzsche, in Baur  / Salje / Schmidt-Preuß (Fn. 21), Kap. 13 Rn. 7 f., 19 ff. (Vergütung). 56  Schmidt-Preuß, UTR 61 (2002), S. 27 (50). 57  Schlussanträge des Generalanwalts Yves Bot vom 28.01.2014, Rs. C-573  / 12 Rn.  97 ff.

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dischen Quotenmodell zur Förderung regenerativer Energien um einen Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit des Art. 34 AEUV handele. Dies wurde damit begründet, dass die notwendigen Zertifikate an nicht in Schweden belegene Unternehmen nur bei Vorliegen entsprechender völkerrecht­ licher Abkommen ausgestellt wurden. Davon war ein finnischer Windenergie-Anlagenbetreiber auf einem Archipel der Åland-Inseln betroffen. Darüber hinaus sah Generalanwalt Bot einen Verstoß des Art. 3 Abs. 3 der RL 2009 / 28 / EG gegen Art. 34 AEUV, der ausdrücklich Differenzierungen nationaler Fördersysteme erlaube. Sollte sich der EuGH diese Schlussanträge zu eigen machen, würde dies zu einer Öffnung des EEG-Fördermechanismus für Anbieter von Strom aus regenerativen Quellen führen, die nun durch den deutschen Endverbraucher finanziert werden müssten. VII. „To be or not to be“ – die Zukunft des EEG Europarechtlich kann das EEG also nicht in Frage gestellt werden. Damit hatte der deutsche Gesetzgeber des EEG 2014 (mindestens) drei Optionen. Welche Optionen haben sich geboten? 1.  Die erste stellt die Beibehaltung des EEG, das einer gründlichen Reform unterzogen wird, dar. Ein bedeutsames Ziel würde sein, eine stärkere Marktintegration zu erreichen. Dies soll durch die nunmehr obligatorische Marktprämie58 geschehen. Bislang war sie optional.59 Eine solche flächendeckende Maßnahme muss aber die Verhältnismäßigkeit wahren. Insofern ist es als zumutbare Regelung anzusehen, dass die Marktprämie gem. Anlage 4 den Monatsmittelwert (MW) ansetzt und nicht den tatsächlichen erzielten Preis. Damit ist ein Marktanreiz geschaffen, weil der Anlagenbetreiber einen über dem MW-Niveau hinausgehenden Betrag als Gewinn behalten darf. Es erscheint zumutbar, wenn er systembedingt einen Börsenpreis unterhalb des MW-Niveaus als Verlust hinnehmen muss. 2.  Ein Quotenmodell. Hiernach wird einem Quotenverpflichteten per Gesetz der Anteil an Erneuerbaren Energien verbindlich vorgegeben. Eine Verbindung mit handelbaren Zertifikaten ist möglich. Die Monopolkommission60 hat in ihrem kürzlich erschienen Gutachten hierfür geworben. Im Vereinigten Königreich ist das Quotenmodell praktiziert worden, zwischen58  Monopolkommission, Sondergutachten 54: Strom und Gas 2009: Energiemärkte im Spannungsfeld von Politik und Wettbewerb, 2009, Tz. 410 (für den Fall, dass das EEG beibehalten wird). 59  Vgl. dazu Wustlich / Müller, ZNER 2011, S. 380 (388 ff.). 60  Monopolkommission, Sondergutachten 54 (Fn. 58), Tz. 409. Näher zum Quotenmodell Drillisch, Quotenmodell für regenerative Stromerzeugung, 2001, S. 39 f.



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zeitlich ist man aber hiervon wieder abgerückt.61. Insgesamt dürfte das Quotenmodell theoretisch zwar einleuchtend, praktisch aber schwer verifizierbar sein. 3.  Auktionsverfahren. Hier finden Auktionen statt, in denen Gebote für Förderberechtigungen gestellt werden und der Anbieter mit dem günstigsten Angebot den Zuschlag erhält.62 Er darf, aber er muss auch die Anlage erstellen. Das Auktionsverfahren wird von der EU-Kommission in den bereits oben genannten Umwelt- und Energie-Beihilfe-Leitlinien63 für Neufälle befürwortet. Der deutsche Gesetzgeber hat sich im EEG 2014 für die erste der drei Optionen entschieden, wobei die Marktprämie nunmehr obligatorisch ausgestaltet wird (§§ 32 EEG 2014).64 Spätestens ab dem Jahr 2017 soll dann das Ausschreibungsverfahren eingeführt werden § 2 Abs. 5 EEG).65 Somit stellt sich das neue EEG im Energiewende-Konzept Deutschlands als innovativ dar. Zusammenfassend lässt sich feststellen: Der Gesetzgeber hat das EEG reformiert, nicht abgeschafft. VIII. Kapazitätsmärkte Bei Wind- und Solarstrom handelt es sich um fluktuierende Quellen. Der Wind bläst, wann er will und die Sonne scheint nur, wenn dunkle Wolken ausbleiben. Seine Betriebskosten sind zwar Null, doch ist er – trotz aller verbesserten Bedarfsprognosen – volatil. Bei Windstille und verhangenem Himmel bzw. nachts gibt es keinen regenerativ erzeugten Strom.66 Dann müssen Schattenkraftwerke bereitstehen und hochgefahren werden, damit die Frequenz von 50 Hertz eingehalten und der Netzzusammenbruch verhindert werden kann. Dafür sollen CO2-arme Gaskraftwerke, vornehmlich hocheffiziente Gas-und-Dampfkraftwerke einspringen. So war es geplant. Doch ließ sich das angesichts der vom EEG selbst ausgelösten Folgen nicht verwirklichen. Die klimapolitisch günstigen GuD-Kraftwerke sehen sich von der Entwicklung bei Preisen und Kosten abgedrängt. Die – trotz Degression der Fördersätze und Reduzierung bei Photovoltaik – massive Förderung durch das EEG hat eine nicht vorhergesehene Folge­ Pál, EnWZ 2014, S. VIII f. (Fn. 10), S. 337 ff.; Schmidt-Preuß, in: FS f. Salje, 2013, S. 397 (417). 63  EU-Kommission, Leitlinien für staatliche Umwelt- und Energiebeihilfen 2014– 2020 (Fn. 3). 64  BT-Drcks. 18 / 1304, S. 2 und 133 f. 65  BT-Drcks. 18 / 1304, S. 2 und 135. 66  Schmidt-Preuß, in: FS f. Salje, 2013, S. 397 (415). 61  Dazu

62  Ludwigs

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Matthias Schmidt-Preuß

wirkung. Die enormen Strommengen lösen ein Absinken der Preise auf dem Stromgroßhandelsmarkt aus. Über eine solche Baisse an der Strombörse sollte sich der Verbraucher zwar grundsätzlich freuen, wenn man denn hier nicht auf ein überraschendes Paradox stieße. Die reduzierten Mengen führen zu einem Rückgang des Umsatzes der Schattenkraftwerke. Dies macht den Bau neuer und die Fortführung bestehender Kraftwerke unprofitabel. Die merit order sorgt dafür, dass die nicht mehr profitablen Kraftwerke nach Maßgabe ihrer Grenzkosten abgeschaltet werden.67 Das gilt selbst für hocheffiziente Gas- und Dampfkraftwerke. Wie ist dem zu begegnen? Hier hat sich bekanntlich eine hochkontroverse Diskussion um Kapazitätsmärkte und ein neues Marktdesign entfaltet. Konzeptionell ist die Theorie allerdings noch nicht so weit, akzeptierte Modelle zu benennen. Eins scheint mir aber klar: Die gemeinwohlhaltige Aufrechterhaltung von unprofitablen Erzeugungskapazitäten dürfte ihren Preis haben. IX. Ausblick Am Schluss ist festzustellen: Deutschland hat sich zur Energiewende, d. h. zur Umstellung der Stromerzeugungsbasis auf regenerative Quellen, entschlossen. Hierbei handelt es sich um ein Generationenprojekt. Die Herausforderungen sind elektrophysikalischer, technischer, ökonomischer, ökologischer – und nicht zuletzt rechtlicher Art. Insbesondere müssen die europarechtlichen Rahmenbedingungen beachten werden. Dies gilt vor allem für das im Fokus der Energiewende stehende EEG. Der deutsche Gesetzgeber hat die angekündigte Reform eingeleitet und den Regierungsentwurf am 8. April 2014 beschlossen. Das Inkrafttreten ist für den 1. August 2014 geplant. Mit dieser Reform soll das EEG kosteneffizienter und marktorientierter werden. Zugleich nutzt der Gesetzgeber die Spielräume, die ihm das EU-Recht bietet, indem er prinzipiell am – wenn auch modifizierten – Fördersystem des „feed-in-tariff“ festhält. Von einem Verstoß des EEG gegen das Beihilfenverbot wie auch die Warenverkehrsfreiheit kann keine Rede sein. Die Rabattproblematik ist im Interesse der wirtschaftspolitischen Ratio gelöst. Damit hat der Gesetzgeber zugleich die wegweisenden Schritte getan, um das Gelingen des ambitionösen Vorhabens der Energiewende abzusichern.

67  Monopolkommission, Sondergutachten 65: Energie 2013: Wettbewerb in Zeiten der Energiewende, 2013, Tz. 217 ff.; Schmidt-Preuß, in: FS f. Salje, 2013, S. 397 (415 f.).

Umweltpolitischer Instrumentenmix im Kontext der Energiewende Von Felix Höffler, Köln* I. Einleitung In der Umweltpolitik werden viele verschiedene Instrumente eingesetzt. Dazu gehören zunächst zahlreiche technische Standards: Standards im engeren Sinne (wie Emissionsgrenzwerte für Kfz), Effizienzanforderungen (z.  B. im Wohnungsbau), Produkt- (Glühbirne) und Produktionsverbote (Kernenergie). Neben Standards kommen auch spezifische Förderungen zum Einsatz (z. B. KfW Programme zur energetischen Gebäudesanierung), Transparenzanforderungen (Gebäudepass) oder Informationsbereitstellung (Energieberatung). Zu den klassischen und wichtigsten umweltpolitischen Instrumenten zählen Steuern (z. B. Stromsteuer, Kfz- und Mineralölsteuer) sowie die Steuerung von Emissionsmengen im Rahmen des europäischen Emissionshandelssystems (EU ETS). Zentrales und daher auch am intensivsten diskutiertes Instrument der Energiewende sind Förderzahlungen im Rahmen des Gesetzes für den Vorrang Erneuerbarer Energien (EEG). Zahlungen auf der Grundlage des EEG beliefen sich im Jahr 2013 auf ca. 19 Mrd. €1, und es gibt an die 4.000 verschiedene Vergütungskategorien, aus denen diese Zahlungen folgen.2 Besonders das Nebeneinander von EU ETS und der Förderung erneuerbarer Energien (EE) wird kontrovers diskutiert. Auf europäischer Ebene wird darum gerungen, ob es neben Zielen für Emissionsreduktionen, die durch das EU ETS vorgegeben werden, noch zusätzlich EE-Ziele geben sollte.3 danke Herrn Christian Tode für wertvolle Kommentare. EEG-Strommengen und EEG-Auszahlungen 2000–2017, Download am 31.01.2014. 2  BDEW, Erneuerbare Energien und das EEG: Zahlen, Fakten, Grafiken, Berlin 2013, S. 52. 3  Im Januar 2014 hat die EU-Kommission vorgeschlagen, für 2030 eine CO 2 Mengenreduktion gegenüber 1990 um 40 % zu erreichen. Daneben wird ein EE-Ziel von 27 % vorgeschlagen, dass aber nicht mehr auf die Ebene der Einzelstaaten heruntergebrochen werden, sondern für die EU als Ganzes erreicht werden soll. Ein *  Ich

1  BDEW,

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Verschiedene Studien weisen auf beträchtliche Effizienzeinbußen hin, die durch nicht-koordinierte Politikinstrumente entstehen können.4 Bereits eine naive Betrachtung legt nahe, dass eine so große Zahl von Instrumenten Probleme schaffen könnte. Es scheint schwierig, alle Wirkungen und Wechselwirkungen noch zu überschauen. Die Instrumentenvielfalt mag daher nur sinnvoll erscheinen, wenn a) die Zahl der Ziele sehr groß ist, oder b) es Schwierigkeiten gibt, einzelne Ziele zu erreichen, so dass ein Ziel mit Hilfe mehrerer Instrumente erreicht werden soll. Dieser „common sense“ Ansatz findet sich auch in der ökonomischen Literatur. Der Einsatz multipler wirtschaftspolitischer Instrumente wird typischerweise entweder durch die Existenz multipler Ziele („ein Instrument pro Ziel“) gerechtfertigt, oder durch das Vorhandensein von „multiple constraints“.5 Letzteres meint, dass gleichzeitig mehrere Arten von Marktversagen oder politischen Restriktionen auftreten können, die durch unterschiedliche Instrumente adressiert werden sollten. Nachfolgend sollen aus ökonomischer Perspektive diese normativen Begründungen für die Verwendung vielfältiger Instrumente erläutert werden. Im Kontext der „Energiewende“ steht hierbei die Diskussion um das Nebeneinander von CO2-Steuerung und EE-Förderung im Mittelpunkt, ohne sich hierauf zu beschränken. Es wird sich zeigen, dass es aus ökonomischer Sicht sehr wohl Gründe für einen „Instrumentenmix“ geben kann, dass jedoch die gegenwärtige Vielzahl an Instrumenten aus einer normativen Analyse kaum ableitbar ist. Darum schließt der Beitrag mit einem kurzen Ausblick, welche Argumente im Sinne einer positiven Analyse erklären könnten, warum so viele politische Steuerungsinstrumente zum Einsatz kommen.

konkretes Energieeffizienz-Ziel, wie es noch in der „20-20-20 Agenda“ für 2020 (20 % Erhöhung der Energieeffizienz) vorgeschlagen wurde, findet sich im Kommissionsvorschlag nicht mehr. Siehe: A policy framework for climate and energy in the period from 2020 to 2030, COM(2014) 15 final (Brussels, 22.1.2014), S. 18. 4  Böhringer / Koschel / Moslener, Efficiency losses from overlapping regulation of EU carbon emissions, Journal of Regulatory Economics 2008 (33), S. 299–317. Jägemann / Fürsch / Hagspiel / Nagl, Decarbonizing Europe’s power sector by 2050 – Analyzing the economic implications of alternative decarbonization pathways, Energy Economics 2013 (40), S. 622–636. 5  Bennear / Stavins, Second-best theory and the use of multiple policy instruments, Environmental and Ressource Economics 37 (2007), S. 111–129.



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II. Ziele: Pluralität, Hierarchie und Konflikte Eine oft Tinbergen zugeschriebene Aussage lautet, dass man (mindestens) so viele Instrumente wie Politikziele benötigt. Eine Zielepluralität würde dann eine Pluralität der Instrumente erfordern und rechtfertigen. Tinbergen selbst formulierte dies im Zusammenhang mit makroökonomischen Zielen, wie Preisstabilität und Vollbeschäftigung.6 Auf den ersten Blick liegen Parallelen zur Energiepolitik mit dem oft zitierten „Zieldreieck“ aus Wirtschaftlichkeit, Sicherheit und Umweltverträglichkeit der Energieversorgung nahe. Gerade in Bezug auf die Energiewende ist aber zu fragen, welche Ziele relevant sind und wie (Teil-)Ziele zueinander im Verhältnis stehen. Die Expertenkommission der Bundesregierung zum Monitoring der Energiewende hat versucht, klar zwischen Oberzielen und Unterzielen (die für die Oberziele wiederum einen Instrumentencharakter haben) zu unterscheiden, siehe nachstehende Abbildung.

Quelle: Expertenkommission zum Monitoring-Prozess „Energie der Zukunft“, Berlin u. a.O., 2012, Seite Z-3.

Zielehierarchie

Klar ersichtlich hieraus ist, dass individuelle Instrumente nicht eindeutig einzelnen Zielen zuzuordnen sind und umgekehrt für einzelne (Unter-)Ziele 6  Tinbergen, On the Theory of Economic Policy, 1965, v. a. Kapitel 4 und 5. Bei Tinbergen folgt die Idee, dass die Zahl der Instrumente mindestens der der Ziele entsprechen muss, allerdings mechanistisch aus der Formulierung seines Problems. Instrumente sind hier Kontrollvariablen des Staates in einem n-dimensionalen Gleichungssystem, dessen Lösbarkeit erfordert, dass auch n Steuerungsvariablen zur Verfügung stehen.

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eine Vielzahl von Instrumenten eingesetzt werden. Vor dem Hintergrund, dass in den „20-20-20“ Zielen der EU-Kommission für 2020 eine 20-prozentige Steigerung der Energieeffizienz gleichberechtigt neben die 20-prozentige Reduktion der Treibhausgasemissionen und den Anteil von 20 % der erneuerbaren Energien gestellt wurde, ist die Charakterisierung der Steigerung der Energieeffizienz als Unterziel zunächst verwunderlich. Allerdings wird in der Kategorisierung der Expertenkommission die Effizienzsteigerung (die Reduktion des Primärenergieverbrauchs, PEV) zu Recht als Instrument zur Reduktion der Treibhausgasemissionen bei gleichzeitigem Ausstieg aus der Kernenergie qualifiziert.7 Die Expertenkommission identifiziert neben den klimapolitischen Zielen noch den Kernenergieausstieg als unabhängiges und gleichberechtigtes Oberziel. Daraus lässt sich konsistent der Einsatz von zumindest zwei Instrumenten ableiten: Einer Bepreisung von CO2 zur Adressierung des Klimaziels, sowie einem Verbot von Kernenergie zur Umsetzung des Kernenergieausstiegs. Eine unmittelbare Begründung für den zusätzlichen Einsatz einer EE-Förderung, z. B. durch das EEG, ergibt sich jedoch nicht. Das EEG spielt höchstens indirekt, wenngleich vermutlich politisch wirkungsmächtig, eine Rolle. Die CO2-Bepreisung im Rahmen des EU ETS ist ein europäisches Instrument, der Kernenergieausstieg eine nationale Politik. Dieser unterschiedliche Geltungsbereich der Politikinstrumente führt auf Umwegen dazu, dass eine alleinige Verwendung des EU ETS unerwünschte Folgen haben könnte. Die Bepreisung von CO2 macht Kernenergie im Vergleich zu fossilen Brennstoffen wie Kohle und Gas wettbewerbsfähiger und finanziell attraktiver. Fordert man einen möglichst weitgehenden europäischen Kernenergieausstieg, hat das EU ETS also unerwünschte Nebenwirkungen. Diesen kann auf Umwegen dadurch begegnet werden, dass man nun EE durch eine spezifische Förderung attraktiver macht, um nicht nur fossile Kraftwerke, sondern auch Kernenergie zu verdrängen. Allerdings fungiert die EE-Förderung dann als ein wenig effizientes Substitut für das eigentlich probate – aber politisch nicht durchsetzbare – Politikinstrument eines europäischen Verbots von Kernenergie. Ausgangspunkt dieser Überlegungen war, dass es mehrere gleichberechtigte Oberziele gibt. Grundsätzlich ist die Vorstellung, dass es mehrere 7  Energieeffizienzsteigerung erfordert eine Substitution von Inputfaktoren. Typischerweise wird Energie durch Kapital ersetzt (weniger Heizöl, besser isolierte Fenster). Grundsätzlich sind Märkte und Preise als Allokationssignale geeignet, die richtigen Anreize für einen effizienten Faktoreinsatz zu geben. Eine über das Markt­ ergebnis hinausreichende Substitution von Energie durch andere Inputfaktoren würde ein spezifisches Marktversagen voraussetzen, das über die Umweltexternalitäten (die bereits aus klimapolitischen Erwägungen bekämpft werden) hinausgeht. Zu solchen Marktversagensproblemen siehe unten, Abschnitt III.3.



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(Ober-)Ziele geben könnte, der ökonomischen Analyse fremd. Einziges Oberziel ist üblicherweise die Maximierung der Wohlfahrt als Aggregation des Wohlergehens aller Menschen der Ökonomie (inklusive zukünftiger Generationen). „Wohlfahrtsfunktionen“ sind das ökonomische Konzept, scheinbar unterschiedliche Ziele zusammenzufassen. Dies lässt sich z. B. an Wachstums- und Verteilungszielen verdeutlichen. Bei der Aggregation von Wachstum und Verteilung geht Wachstum positiv in die Wohlfahrtsfunktion ein. Bezüglich der Verteilung fließt die normative Wertung des Betrachters durch die Spezifikation der Wohlfahrtsfunktion in die Analyse ein. Diese normative Wertung zeigt sich z. B. hinsichtlich der Frage, ob eine starke Steigerung des Wohlergehens von Person A, die zu Lasten einer (kleinen) Minderung des Wohlergehens von Person B die Gesamtwohlfahrt erhöhen kann (utilitaristische oder Nash-Wohlfahrtsfunktion) oder nicht (strikte Komplementarität der Einzelnutzen, bspw. bei John Rawls). Das Konzept der Wohlfahrtsfunktion löst Widersprüche (trade-offs) zwischen Teilzielen keineswegs auf. Es zwingt aber, diese explizit zu machen und die Frage zu beantworten, wie Gewichtungen vorgenommen werden. Gerade für die Zielehierarchie der Expertenkommission wäre es sinnvoll, noch transparenter mit dem Verhältnis von Treibhausgasreduktion und Kernenergieausstieg umzugehen. Denn dies hat, zumindest in der europäischen politischen Diskussion, hohe Bedeutung für die strittige Frage nach dem Verhältnis der zwei Hauptinstrumente der Energie- und Klimapolitik: EEFörderung und CO2-Handel. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die große Zahl an Instrumenten sicherlich nicht im Tinbergen’schen Sinne durch eine ebenso hohe Zahl an Instrumenten zu rechtfertigen ist. Die scheinbar große Zahl an Zielen reduziert sich drastisch, wenn man stringent zwischen Ober- und Unterzielen unterscheidet. Das Nebeneinander von EE-Förderung und EU ETS war ansatzweise durch unaufgelöste Zielkonflikte zwischen den Oberzielen Kernenergieausstieg und Treibhausgas-Reduktion erklärbar. In dem Umfang, wie auf europäischer Ebene EE-Ziele weniger relevant werden könnten, verlöre die EE-Förderung als Instrument neben dem EU ETS weiter an Berechtigung. Gerade in diesem zentralen Punkt der Energiepolitik ist die Instrumentenvielfalt daher schlecht durch eine Zielepluralität zu rechtfertigen. Allerdings könnte es andere gute Gründe für Instrumentenvielfalt und auch für eine separate EE-Förderung geben. Diese werden im nächsten Abschnitt diskutiert.

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III. Multiples Marktversagen Viele Instrumente können sinnvoll sein, wenn zwar nur ein (übergeordnetes) Ziel erreicht werden soll, es aber mehrere Formen von Marktversagen gibt, die gleichzeitig auftreten. Die Beobachtung, dass in solchen Fällen die Konzentration auf ein einziges Instrument kontraproduktiv sein kann, wird in der ökonomischen Literatur unter dem Stichwort der „second best theory“ diskutiert.8 Was damit gemeint ist, erschließt sich am einfachsten an einem Beispiel. Ein Monopolist produziere ein Gut, dessen Produktion eine Umweltverschmutzung verursacht (z. B. Treibhausgasemissionen). Es liegen hier zwei Abweichungen vom idealen Markt vor: Marktmacht und externe Effekte. Die Theorie des „second best“ besagt nun, dass eine Politik, die nur eine Abweichung beseitigt, das Ergebnis sogar noch verschlimmern kann. Nehmen wir an, die Wettbewerbspolitik hätte Instrumente, um das Marktmachtproblem zu lösen und für vollständigen Wettbewerb zu sorgen. Dann würden die Preise sinken und die gehandelte Menge steigt. Dadurch steigen aber auch die Emissionen. Ist das Emissionsproblem besonders gravierend, kann es durch die Beseitigung der Marktmacht zu einer Effizienzminderung kommen. Multiple Marktunvollkommenheiten können multiple Instrumente rechtfertigen, müssen es aber nicht. Im genannten Beispiel könnte das effiziente Resultat durch eine Kombination von Wettbewerbspolitik und Umweltpolitik (z. B. Besteuerung der Emission) erreicht werden. Allerdings könnte die „second best“ Politikempfehlung auch lauten, keine der beiden Unvollkommenheiten zu bekämpfen, also gar keine Politikinstrumente einzusetzen.9 Fraglos treten auf jedem Markt, und besonders im Energiemarkt, oft mehrere Marktunvollkommenheiten gleichzeitig auf. Dies kann daher im Grundsatz als mögliche Begründung für einen Instrumentenmix herangezogen werden. Besonders relevant ist dies für die Rechtfertigung der gleichzeitigen Verwendung von EU ETS und EE-Förderung. Beide Instrumente gleichzeitig einzusetzen könnte sinnvoll sein, weil es neben der Umweltexternalität noch andere Arten von Marktversagen gibt, die es zu beachten gilt. Verwiesen wird hierbei i. d. R. auf mögliche Marktversagensprobleme 8  Lipsey / Lancaster, The general theory of second best, Review of Economic Studies 1957 (24), S. 11–32; Lipsey, Reflections on the general theory of second best at its golden jubilee, International Tax and Public Finance 2007 (14), S. 349–364. 9  Das im vorhergehenden Abschnitt diskutierte Thema von CO -Reduktion und 2 Kernenergieausstieg lässt sich auch als simultanes Auftreten zweier Marktunvollkommenheiten betrachten: 1. Klimapolitische Externalität in Form von Klimawandel, 2. Unzureichende Risikovorsorge beim Betrieb von Kernenergie (wenn man unterstellt, dass die Risiken der Kernenergie nicht hinreichend versichert sind).



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bei der Entwicklung und Durchsetzung neuer Technologien im Bereich der EE.10 Im Kern geht es darum, dass eine alleinige Anwendung einer CO2-Bepreisung, sei es als Steuer oder als Mengensteuerung im Rahmen des EU ETS, zwar für eine gegebene Technologielandschaft die kostenminimale Lösung implementiert, aber Kostensenkungen durch technischen Fortschritt ungenutzt lassen könnte. Gerade ein CO2-Handelssystem führt zwar dazu, dass die Vermeidungskosten für das vorhandene Portfolio an technischen Möglichkeiten (EE, Energieeffizienzsteigerung, Nachfrageeinschränkung, …) optimiert wird, aber vielleicht nicht das effiziente Portfolio an Technologien entsteht. Zwei Gründe könnten dazu führen, dass technologischer Fortschritt ungenutzt bleibt. Erstens könnten neue Technologien als zu teuer erscheinen, weil notwendige und im Laufe einer Technologieentwicklung übliche „Lern­ effekte“ ungenutzt bleiben, wenn die Technologie nicht in einem hinreichenden Umfang zum Einsatz kommt. Das würde dafür sprechen können, durch staatliche Eingriffe (wie das EEG) das „Ausrollen“ einer Technologie zu fördern. Zweitens könnte es zu einer Verengung des Technologieportfolios kommen. Ein reines CO2-Mengenmodell, so die Befürchtung, würde dazu führen, dass zunächst nur die gegenwärtig günstigste Technologie ausgebaut würde. In Deutschland wäre das i. d. R. Windkraft an Land. Es könnte damit zu einem „Einschluss“ (Lock-in) in eine ineffiziente Technologie kommen, weil vielversprechende Alternativen, z. B. Wind auf See (Wind off-shore) nicht genügend ausprobiert werden. 1. Lerneffekte, „Learning by doing“, und Erfahrungskurven

In diesem Abschnitt soll diskutiert werden, inwieweit Lerneffekte die gegenwärtige Förderung von EE durch das EEG zusätzlich zu einer klimapolitischen Steuerung durch das EU ETS rechtfertigen könnten. Das EEG fördert die Anwendung verschiedener EE-Technologien, in dem es eine feste, technologiespezifische Vergütung für die Betreiber von EE-Anlagen garantiert, die oberhalb des erwarteten Strommarkterlöses liegt. Damit ist zunächst klar, dass Forschungsförderung (und das hierfür spezifisch zugrunde liegende Marktversagen) nicht als Rechtfertigung des EEG dienen kann. Forschungsförderung ist i. d. R. dann sinnvoll, wenn Wissen als Ergebnis von (Grundlagen-)Forschung den Charakter eines öffentlichen Gutes hat, das also auch nicht effektiv rechtlich geschützt werden kann 10  Lehmann, Justifying a policy mix for pollution control: A review of the economic literature, Journal of Economic Surveys 2012 (26), S. 71–97.

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(z. B. durch Patente). Dann sollte der Staat durch Forschungsförderung das zu geringe private Interesse an Forschung kompensieren. Als Förderung von Forschung wirkt das EEG wenn überhaupt dann nur sehr indirekt; wäre dies das Hauptziel, wäre eine Erhöhung der EE-Forschungsförderung sicherlich ungleich effektiver als das Finanzieren der Installation einer weitgehend ausgereiften Technologie (wie Windturbinen oder PV-Paneelen). Ausgangspunkt ist auch vielmehr die Beobachtung, dass es im Verlaufe des Ausrollens der EE-Technologien zu deutlichen Senkungen der Stückkosten gekommen ist. Stückkostenreduzierung ist zunächst ein ganz allgemeines Phänomen, das auf Skalenökonomien beruht. Damit ist im Wesentlichen gemeint, dass Durchschnittskosten fallen, wenn es (signifikante) Fixkosten (z. B. für Fertigungsanlagen) gibt, die sich mit einer Erhöhung der Ausbringungsmenge auf eine größere Menge verteilen. Dies kann keine Rechtfertigung für Förderung im Stile des EEG sein. Denn die Kostenvorteile beziehen sich auf ein Unternehmen, nicht eine ganze Branche. Würde man das Argument ernst nehmen, wäre die Politikempfehlung, die Fertigung in wenige große Einheiten zu bündeln („national champions“), um die Skalenvorteil zu generieren. Dann müsste die Förderung auf der Angebotsseite der EE-Technologie ansetzen, nicht auf der Nachfrageseite. Da aber Skalenökonomien ein sehr allgemeines Phänomen sind, wäre auch fraglich, warum eine solche Förderung (nur) in der EE-Industrie gelten sollte. Als allgemeine Rechtfertigung von Staatseingriffen sind Skalenökonomien aber schon deshalb nicht geeignet, weil dies den Wettbewerb zwischen Anbietern reduzieren würde. Zu berücksichtigen ist auch, dass zwischen Stückkostendegression und Preisreduktion differenziert werden muss. Wenn Absatzmöglichkeiten in einem Bereich steigen (z. B. bei EE durch die Förderung des EEG), dann ist es plausibel anzunehmen, dass neue Firmen (z. B. ausländische) in den Markt eintreten und so den Wettbewerbsdruck erhöhen. Beobachtet man nun Preisreduktionen (wie z. B. für PV-Paneelen), so muss dies nicht (nur) mit einer Kostendegression zu tun haben, sondern kann schlicht ein Preiseffekt sein.11 Bezüglich der Stückkostendegression wird häufig argumentiert, dass Lern­effekte für EE relevant sind und zu entsprechenden Kostensenkungen geführt hätten, die ohne eine Unterstützung der Technologie-Diffusion durch das EEG nicht möglich gewesen wären.12 Lerneffekte als „learning by 11  Wene, Energy technology learning through deployment in competitive markets, Energy Economics 2008 (53), S. 340–364, hier: S. 344. 12  „Die bereits eingetretenen und zu einem großen Teil durch das ErneuerbareEnergien-Gesetz(EEG) hervorgerufenen Reduzierungen der spezifischen Energiekosten bei Wind, Sonne und Biogas zeugen ebenfalls von großen Kostensenkungspoten-



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­ oing“ gehen zurück auf die Beobachtung von Wright, dass Stückkosten in d der Flugzeugproduktion mit einer Verdopplung der Produktionskapazität bzw. der Ausbringungsmenge kontinuierlich zurückzugehen schienen.13 Häufig wird dies in „Lernraten“ quantifiziert, wobei eine Lernrate von 20 % (dies z. B. die Größe die Wene für PV-Module für 1976–2001 berichtet)14 besagt, dass eine Verdopplung der Menge eine Reduzierung der Stückkosten um 20 % impliziert. Lerneffekte sind vielfach dokumentiert und intuitiv, beruhen sie doch letztlich auf der Vorstellung, dass wer viel macht, viele Fehler macht und so die Gelegenheit hat, viel zu lernen und zu verbessern. Diese Effekte sind aber zunächst auf der Ebene eines (lernenden) Unternehmens angesiedelt, nicht auf der Ebene einer Industrie. Die Effekte auf Unternehmensebene haben zur Folge, dass sich die industrieökonomische Forschung intensiv mit der Frage beschäftigt hat, ob Lerneffekte zu Marktkonzentration führen.15 Wären nur Lerneffekte innerhalb eines Unternehmens relevant, so würde sich dieselbe Frage stellen wie bei Skalenökonomien. Es wäre dann sinnvoll, viel Produktion in einem Unternehmen zu bündeln, oder zumindest generell mit dem wirtschaftspolitischen Eingriff eher auf der Angebotsseite als auf der Nachfrageseite anzusetzen. Um eine „Industrieförderung“ durch Steigerung der Nachfrage sinnvoll erscheinen zu lassen, müssen Lerneffekte auch über ein einzelnes Unternehmen hinaus relevant sein. Dies setzt voraus, dass es „spill-over“ gibt, sodass Unternehmen A aus der von Unternehmen B gemachten Erfahrung lernen kann. Spill-over sind weder unplausibel noch kann davon ausgegangen werden, dass diese empirisch irrelevant sind. Sie führen auch zu einer Marktunvollkommenheit, da sich Unternehmen B nicht alle Erträge seines Lernprozesses aneignen kann. Es liegt also, ähnlich der Grundlagenforschung, ein zu geringer privater Anreiz zur Investition in Lernen vor. Gerade weil solche spill-over vermutlich sehr häufig vorkommen, stellt sich die Frage, ob sie als Begründung für Staatseingriffe taugen, hätte es doch Eingriffe in fast alle Industrien zur Folge. Gerechtfertigt werden müsste ein solcher Eingriff durch die besondere Bedeutung von spill-over in der EE-Technologie im Vergleich zu anderen Industrien. Dies scheint aber nicht zialen durch Lernkurveneffekte …“, Holm-Müller / Weber, Plädoyer für eine in­stru­ mentelle Flankierung des Emissionshandels im Elektrizitätssektor, S. 7. http: /  / www. umweltrat.de / SharedDocs / Downloads / DE / 06_Hintergrundinformationen / 2010_06_ Emissionshandel_Strom.pdf?__blob=publicationFile, Download am 12.02.2013. 13  Wright, Factors Affecting the Cost of Airplanes, Journal of the Aeronautical Sciences (Institute of the Aeronautical Sciences), Vol. 3, No. 4 (1936), S. 122–128. 14  Wene (Fn. 11), S. 344. 15  Sutton, Technology and Market Structure, 2001, MIT Press, S. 343 ff.

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zwingend zu sein. Die empirischen Ergebnisse beim Versuch, Lerneffekte in der EE-Industrie zu messen, bieten, wenig überraschend, eine weite Spannbreite. Unklar ist auch, ob Lernraten konstant sind, ob es sinnvoll ist, Untergrenzen für Stückkosten zu unterstellen, die durch Lernen nicht weiter unterschritten werden können.16 Eine im Vergleich zu anderen Industrien überragende Rolle von Lerneffekten und spill-over bei EE ist in der Literatur bisher nicht wirklich überzeugend nachgewiesen. Es ist daher fraglich, ob sie als Rechtfertigung für die massive Marktintervention und die damit verbundenen Fördervolumina geeignet sind. 2. Pfadabhängig und Lock-in Probleme

Intuitiv einleuchtend ist, dass Lernprozesse Experimentierphasen benötigen. Was ganz zu Beginn einer Entwicklung erfolgversprechend erscheint, muss nicht die letztlich überzeugende Lösung sein. Insofern spricht vieles dafür, dass es in frühen Phasen sinnvoll ist, die Technologiewahl nicht auf wenige Spezifikationen zu verengen. Diese Gefahr wird einer Steuerung allein über den CO2-Preis zugeschrieben.17 Pfadabhängigkeiten, die zu einem Einschluss (Lock-in) in eine inferiore Technologie führen, sind grundsätzlich denkbar und werden in der Literatur v. a. im Zusammenhang mit technologischen Standardsetzungen diskutiert. Ein viel zitiertes Beispiel ist die Buchstabenbelegung auf der (englischen) Tastatur, QWERTY. Argumentiert wird, die Anordnung habe ursprünglich zum Ziel gehabt, die Schreibgeschwindigkeit zu reduzieren, um bei mechanischen Schreibmaschinen das Verhaken der Typenhebel zu vermeiden. Typenhebel gibt es schon lange nicht mehr, aber da alle Nutzer sich an die Tastenbelegung gewöhnt haben, ist es schwierig, das System auf eine effizientere (schnellere) Tastenbelegung zu ändern.18 Unabhängig davon, ob Pfadabhängigkeiten, Netzwerkeffekte und die damit verbundenen Lock-in Probleme tatsächlich von hoher Relevanz sind,19 stellen sie die Wirtschaftspolitik vor große Herausforderungen. Offensichtlich kann es nicht sinnvoll sein, über sehr lange Zeit ein sehr breites Tech16  Jamasb / Köhler, Learning curves for energy technology: A critical assessment, Working Paper, University of Cambridge, October 2007. Zur Höhe der Lernrate und Untergrenzen für Stückkosten, ebd. S. 4–5. 17  Holm-Müller / Weber (Fn. 12), S. 8 ff. 18  Siehe hierzu den (kritischen) Beitrag von Liebowitz / Margolis, The fable of the keys, Journal of Law and Economics, 1990 (33), S. 1–25. 19  Liebowitz und Margolis überschreiben ihren Übersichtsartikel hierzu programmatisch: Network Externality: An uncommon tragedy. Journal of economic perspectives 1994 (8), S. 133–150.



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nologieportfolio durch staatliche Eingriffe zu erhalten. Zu irgendeinem Zeitpunkt und nach geeigneten Kriterien müsste die Politik entscheiden, dass bestimmte Technologien keine realistischen Chancen mehr haben. Wie dies geschehen sollte, wie die Politik z. B. beurteilen sollte, bei welchem Entwicklungsabstand zwischen Wind on-shore und PV vis-a-vis Wind offshore die Förderung letzterer eingestellt werden sollte, erscheint außerordentlich schwierig. 3. Weitere Marktunvollkommenheiten

Die Liste weiterer Marktunvollkommenheiten, die neben der Umweltexternalität zusätzlich zu beachten sein könnten, ist lang und kaum abschließend zu behandeln. Im Folgenden sollen nur knapp ein paar weitere, häufig diskutierte Argumente gestreift werden. Finanzmärkte sind unvollkommen und stellen vermutlich nicht die effiziente Menge an Finanzierungsmöglichkeiten für EE-Technologien zur Verfügung.20 Vermutlich findet nicht jedes sinnvolle Projekt einen Finanzier. Dies kann durchaus auch für Investitionen in EE-Projekte gelten, genau wie es für unzählige Projekte in anderen Wirtschaftsbereichen gilt. Auch hieraus kann die wirtschaftspolitische Schlussfolgerung kaum lauten, dass es Staatsaufgabe ist, durch Sicherheiten oder (Ko-)Finanzierung umfassend den privaten Kapitalmarkt zu korrigieren. Analog zur Forschungsförderung erscheint überzeugender, Pilotprojekte zu fördern, ggf. durch spezielle staatliche Kreditprogramme. Wenn auch für eine EE-Förderung zusätzlich zur Bepreisung von CO2 wenig stichhaltige Effizienzargumente gefunden werden können, so gilt dies nicht zwangsläufig für andere Teile des Instrumentenmix. Im Bereich der Gebäudesanierung werden umfangreiche technische Potenziale identifiziert, die nicht realisiert werden. Häufig wird von einer „energy efficiency gap“ gesprochen.21 Dass viele technische Potenziale von den Wirtschaftssubjekten unausgeschöpft bleiben, kann viele Gründe haben. Ein wichtiger ist vermutlich, dass der in den entsprechenden technisch-ingenieurswissenschaftlichen Studien zugrunde gelegte Kostenbegriff zu eng ist. (Wer einmal ein Haus saniert hat weiß, dass dies nicht nur Geld, sondern auch Zeit und Nerven kostet). Wie im Fall der EE-Förderung könnte man grundsätzlich der Ansicht sein, dass bei Einbezug des Wärmemarktes in den EU ETS keine weiteren 20  Weber / Hey, Effektive und effiziente Klimapolitik: Instrumentenmix, EEG und Subsidiarität, Wirtschaftsdienst 2012 (Sonderheft), S. 43–51, hier: S. 45. 21  Allcott / Greenstone, Is there an energy efficiency gap? Journal of Economic Perspectives 2012 (26), S. 3–28.

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Instrumente nötig seien. Dann müssten z. B. auch für Heizöl- oder Erdgaslieferungen für Haushaltskunden Zertifikate erworben werden (sinnvollerweise auf der vorgelagerten Stufe der Lieferanten oder Importeure). Werden Zertifikate knapp und teuer, so zeigt sich das in den Kosten der Kunden für die Verfeuerung fossiler Rohstoffe. Das motiviert sie, zu dämmen oder effizientere Heizsysteme zu wählen. Gleichwohl gibt es handfeste Marktunvollkommenheiten, die manche Potenziale unausgeschöpft lassen. Asymmetrische Informationsprobleme zwischen dem Leistungsnachfrager (Hausbesitzer) und dem -ersteller (Handwerker) spielen eine Rolle. Weiterhin verursacht der Erwerb von Wissen über die Vorteile einer Sanierung Fixkosten. Effizient ist es, wenn nicht jeder Hausbesitzer individuell diese Kosten aufbringen muss, sondern wenn dies durch einen (vertrauenswürdigen) Experten geschieht. Diesen bereit zu stellen, oder durch eine Zertifizierung seine Glaubwürdigkeit zu prüfen, kann ein sinnvoller staatlicher Beitrag sein. Energieeffizienzberatung kann daher durchaus Teil eines ökonomisch begründbaren Instrumentenmix sein. Schwierig gestaltet sich auch die Realisierung von Potenzialen in Mietswohnungen. Ein typisches Problem ist, dass Nutznießer und Kostenträger hier oft auseinanderfallen und daher sinnvolle Sanierungsmaßnahmen unterbleiben. Investiert der Mieter, so läuft er Gefahr, bei Kündigung des Mietverhältnisses der Früchte seiner Investition verlustig zu gehen. Investiert der Vermieter, reduziert er damit die Heizkostenrechnung des Mieters. Kann sich der Vermieter durch Mieterhöhungen nicht einen hinreichenden Anteil der Kostensenkung aneignen, unterbleibt wiederum die Investition. Auch hier können staatliche Regelungen sinnvoll sein, weil zu den Umweltexternalitäten noch andere Formen der Marktunvollkommenheiten (asymmetrische Information, unzureichende Eigentumsrechte, Regulierung des Mietmarktes) hinzukommen. IV. Positive Erklärungen für die Instrumentenvielfalt Dass staatliche Eingriffe in den Markt die Tendenz haben, sich zu vermehren und auszubreiten, wird oft als „Ölfleck-Theorie“ bezeichnet und mit dem Namen Ludwig von Mises verbunden. Auch wenn von Mises den Begriff nicht verwendet hat, argumentiert er in seiner Schrift „Kritik des Interventionismus“ doch, wie es geradezu zwangsläufig dazu kommen müsse, dass Eingriffe an einer Stelle Eingriffe an anderer Stelle nach sich zögen.22 Auch wenn man an der Zwangsläufigkeit der Vermehrung von Eingriffen 22  Besonders gilt dies nach Ansicht von Mises für „preispolitische Eingriffe“ (von Mises, L., Kritik des Interventionismus, Neuauflage 1976, S. 9 ff.).



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zweifeln kann, so gibt es doch gute Gründe anzunehmen, dass politische Partikularinteressen häufig die Triebkraft sind, Kompensationen für vermeintliche Nachteile aus einem Eingriff zu fordern und so zusätzliche Regelung zur Begünstigung der eigenen Klientel zu generieren. Ausgangspunkt muss hierbei nicht ein reiner Verteilungsstreit sein. Viele ökonomische Maßnahmen, die zu Wohlfahrtssteigerung führen, erfordern Umverteilungen, um eine Pareto-Verbesserung zu generieren, bzw. um sich breite demokratische Unterstützung zu sichern. Ein einfaches Beispiel ist Freihandel. Im Durchschnitt lag der niederländische Strompreis lange über dem deutschen. Die Integration beider Märkte gleicht die Preise an und erhöht die Effizienz. Sie stellt aber die deutschen Konsumenten und holländischen Produzenten schlechter. Ob und wenn ja für wen und wie viel Kompensation in jedem Einzelfall angebracht ist, ist schwer zu bestimmen. Sicherlich können sich aber wohlorganisierte Partikularinteressen in solchen Verteilungsfragen besser durchsetzen. Gemäß der „Logik kollektiven Handelns“ (Mancur Olson) haben gut organisierte Partikularinteressen Vorteile, wenn der Staat bereit ist, umfangreich und mit vielen Instrumenten in den Markt einzugreifen. Eine weitere Erklärung für vielfältige Instrumente könnte weniger in den Charakteristika des Problems (Zielevielfalt, Vielzahl von Marktunvollkommenheiten), sondern in den Eigenschaften des „Problemlösers“ zu finden sein. Es mag gut sein, dass die staatlichen Kompetenzen und Ressourcen zum Umsetzen bestimmter Ziele begrenzt sind und es daher sinnvoll sein kann, Instrumente zu kombinieren.23 Müllvermeidung kann theoretisch durch hohe Müllgebühren erreicht werden. Allerdings setzt dies die Fähigkeit der Behörden voraus, wilde Müllkippen zu vermeiden. Wenn dies schwierig ist, könnte es gerechtfertigt sein, neben Müllgebühren auch andere Instrumente zu verwenden, die das Müllaufkommen z. B. durch Verpackungsgebühren reduzieren. Die politikwissenschaftliche Literatur betont gerade diesen Aspekt, dass nicht jede Administration die gleichen Kompetenzen hat, und die Kombination von Instrumenten gerade durch die Begrenztheit der administrativen Kompetenzen erklärt werden kann.24 V. Fazit Die große Zahl umwelt- und energiepolitischer Instrumente, wie sie gegenwärtig in Deutschland genutzt werden, lässt sich nur sehr schwer aus 23  Bennear / Stavins

(Fn. 5),S. 124. What is a policy instrument? Tools, mixes, and implementation styles, in: Eliadis, T. et al. (Hrsg.), Designing Government. From instruments to governance, McGill-Queens University Press, 2005, S. 31–50. 24  Howlett,

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ökonomischen Effizienzerwägungen ableiten. Es kann gute Gründe geben, mehrere Instrumente einzusetzen, v. a. wenn mehrere Marktunvollkommenheiten zur gleichen Zeit auftreten. Aber die schiere Zahl von Instrumenten lässt es unplausibel erscheinen, dass sie durch dieses Argument zu rechtfertigen sind. Aus praktischer Sicht erscheint es fast ausgeschlossen, die (Wechsel-)Wirkungen aller Instrumente noch sicher beurteilen zu können. Aus der Perspektive der ökonomischen Effizienz ergibt sich das Problem, dass es unmöglich sein wird, die Grenzkosten für die Zielerreichung über alle Maßnahmen hinweg anzugleichen; die Grenzvermeidungskosten für CO2 aus Elektromobilität, Gebäudesanierung und EE-Strom sind sehr verschieden. Ökonomische Effizienz würde es aber erfordern, dass, solange es noch Maßnahmen mit niedrigen Grenzkosten gibt (wie ggf. Gebäudesanierung), diese ausgeschöpft werden sollten, bevor teurere (wie vermutlich Elektromobilität) zum Einsatz kommen. Werden gleichzeitig Maßnahmen mit unterschiedlichen Grenzvermeidungskosten eingesetzt, entstehen unnötig hohe Kosten der Schadstoffvermeidung. Unbefriedigend im gegenwärtigen Instrumentenmix ist vor allem, dass das bedeutendste Instrument der Energiewende, das EEG, als zusätzliches Instrument neben dem EU ETS, nicht wirklich überzeugend ökonomisch zu rechtfertigen ist.

Netzintegration erneuerbarer Energien als Baustein der Energiewende Von Martin Kment, Augsburg* I. Neue Anforderungen an die Netzstrukturen im Zuge der Energiewende Die Energiewende hat viele Gesichter. So gaben die Übertragungsnetzbetreiber jüngst bekannt, dass die EEG-Umlage auch im kommenden Jahr erneut erhöht werden wird.1 Die Umstellung der deutschen Energieinfrastruktur kostet aber nicht nur Geld und stellt damit die Geduld der Bevölkerung auf die Probe. Sie erweist sich neben einer technischen auch als eine juristische Herausforderung, die der Komplexität des Betrachtungsobjekts geschuldet ist. Nachfolgend sollen rechtliche Aspekte aufgezeigt werden, die mit der Integration der erneuerbaren Energien in die bestehende Netzinfrastruktur verbunden sind. Eine der besonderen Herausforderungen der Netzintegration erneuerbarer Energien ist das geographische Auseinanderfallen von Erzeugungsplätzen und Lastzentren. Die an den Küsten Deutschlands oder gar auf dem offenen Meer aus Wind erzeugte Energie muss in die energiehungrigen Ballungsräume – etwa Nordrhein-Westfalens oder Bayerns – geschafft werden.2 Die heutigen Verteilnetze müssen daher zu Transportnetzen umgebaut werden. Es werden Energieautobahnen von Nord nach Süd benötigt.3 Hinzu kommt, dass infolge der Umstellung von konventionellen Kraftwerken auf erneuerbare Energien einige wenige Kraftwerke durch eine Vielzahl kleiner Einzelanlagen und Energieparks ersetzt werden. Mit dieser Zersplitterung der Energiequellen sind die klassischen, hierarchisch konzipierten und *  Der Beitrag wurde am 19.11.2013 fertiggestellt. Der Vortragsstil wurde beibehalten. 1  Vgl. dazu die Pressemitteilung der Bundesnetzagentur v. 15.10.2013, abrufbar unter: http: /  / www.bundesnetzagentur.de / SharedDocs / Downloads / DE / Allgemeines /  Presse / Pressemitteilungen / 2013 / 131015_EEG-Umlage.pdf?__blob=publicationFile &v=5 (Abruf v. 12.11.2013). 2  Kment, ZNER 2011, 225 (225). 3  Scholz / Tüngler, RdE 2010, 317 (317).

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historisch gewachsenen Netzstrukturen Deutschlands kaum noch in Einklang zu bringen. Das Bild ist diffus geworden:4 So werden beispielsweise auf der einen Seite größere Windparks im Hochspannungsnetz angeschlossen. Auf der anderen Seite finden kleinere Energiequellen bis zu den typischen Dachflächen-PV-Anlagen ihren Netzzugang in der Niederspannungsebene. Überdies sind die Lastflüsse von den Höchstspannungsnetzen bis zum Endverbraucher im Niedrigspannungsnetz heute nicht mehr in ihrer ursprünglich reinen Form anzutreffen; immer häufiger kehren sich die Lastflüsse um: So drückt die Energie aus den unteren Netzen zurück in die oberen Ebenen. Als Reaktion auf diese neuen Herausforderungen des Netzbetriebs versuchen die Netzbetreiber zunächst die bestehenden Netze zu ertüchtigen.5 Mit einem Leiterseil-Temperatur-Monitoring möchten sie die Kapazitäten der Hochspannungsnetze steigern. Auch werden neue Werkstoffe eingesetzt und größere Querschnitte in Betracht gezogen. Im Mittel- und Niederspannungsbereich sollen zudem intelligente Netze dafür sorgen, dass regionale Energietransportaufgaben vor Ort – also regional – gelöst werden, ohne die höherstufigen Spannungsebenen in Mitleidenschaft zu ziehen. Außerdem gibt es Überlegungen, durch den Einsatz von Energiespeichern Puffer im Energienetz einzurichten, um so überflüssige Energieaufkommen aufzunehmen und bei Bedarf wieder abgeben zu können.6 Aktuell sind die technischen Voraussetzungen jedoch noch nicht gegeben, um den täglich erforderlichen Leistungsaustausch von mitunter über 100 GW durch die vorhandenen Pumpspeicher aufzufangen. Die beschriebenen Ausweichstrategien führen jedoch nicht dazu, dass ein Netzausbau in den verschiedenen Spannungsebenen der Netze überflüssig wird. Vielmehr werden bei der Anbindung des Offshore-Segments wohl neue Technologien, wie die HGÜ (Hochspannungs-Gleitstrom-Übertragung) helfen müssen, die erzeugte erneuerbare Energie in die Lastzentren zu befördern.7 Im Bereich der Hochspannungsnetze werden neue Verbindungspunkte zum Transportnetz zu schaffen sein. Außerdem dürfte ein Zielpunkt der Anstrengungen die Verbindung von Erzeugungs- und Lastzentren in der gleichen Spannungsebene sein. Letzteres wird allerdings durch Auflagen zur Trassenbündelung – auch bei variierenden Spannungsebenen – erschwert.8 Und schließlich müssen die Mittel- und Niederspannungsnetze substanziell 4  Siehe dazu Jendernalik, in: Kment (Hrsg.), Netzausbau zugunsten erneuerbarer Energien, 2013, S. 1 (3 f.). 5  Jendernalik, in: Kment (Fn. 4), S. 1 (4 ff.). 6  Vgl. dazu Thomas / Altrock, ZUR 2013, 579 (579 ff.). 7  Jendernalik, in: Kment (Fn. 4), S. 1 (3). 8  Die Trassenbündelung kann aber auch ökonomische Vorteile bieten, vgl. Wustlich, ZUR 2007, 122 (126).



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ausgebaut werden, da in diesem Bereich eine erhebliche Einspeisung erneuerbarer Energien erfolgt.9 II. Junge Entwicklungsgeschichte und Diversität des Rechts der Energieleitungsvorhaben Im erkennbaren Spannungsverhältnis zu Bedeutung und Eile des Netzausund -umbaus steht das zur Verfügung stehende rechtliche Instrumentarium. Erst in den letzten Jahren wurden zur Bestimmung des Netzausbaubedarfs mit den Regeln des EnLAG10, NABEG11 und den §§ 12a ff. EnWG gesetzliche Grundlagen geschaffen. Das Regelwerk ist jedoch in der Praxis noch unerprobt. Einige Konstruktionsfehler der neuen Vorschriften sind bislang aufgedeckt worden – wie etwa ein fehlendes Festsetzungsabweichungsverfahren im NABEG.12 Weitere (noch verborgene) Konstruktionsfehler werden aber wohl erst langsam aufgedeckt werden. Dies schadet der erforderlichen Rechtssicherheit. Hinzu kommt, dass innerhalb des Rechts des Energienetzausbaus für die unterschiedlichen Netze divergierende Regelungskomplexe zur Anwendung kommen. So gibt es 24 ausgewählte Vorhaben, die sich nach den Vorgaben des EnLAG richten. Andere grenzüberschreitende oder länderübergreifende Höchstspannungsleitungen unterfallen dem NABEG, wohingegen wieder andere allgemein durch die Raumordnung oder sogar nur die Bauleitplanung planerisch begleitet werden. Hinsichtlich der Zulassung der Leitungen haben sich manche Netzausbauprojekte dem Planfeststellungsverfahren des NABEG zu stellen, andere hingegen den §§ 43 ff. EnWG. Wieder andere Netzausbauvorhaben sind allein Gegenstand des Baurechts. Und wieder andere – völlig ungeachtet der bisherigen Ausführungen – sind den Besonderheiten der Ausschließlichen Wirtschaftszone ausgesetzt. Sie folgen daher einem eigenen Regime mit einer Bedarfsplanung nach §§ 17a, b EnWG und der Zulassung nach den Regeln der SeeAnlV13. Dieses Verwirrspiel der Normen mag qualifizierte Juristen nähren, der Sache dient es aber nicht. 9  Jendernalik,

in: Kment (Fn. 4), S. 1 (7 f.). zum Ausbau von Energieleitungen (Energieleitungsausbaugesetz – EnLAG) v. 21.08.2009, BGBl. I, S. 2870; zuletzt geändert durch Gesetz v. 23.07.2013, BGBl. I, S. 2543. 11  Netzausbaubeschleunigungsgesetz Übertragungsnetz (NABEG) v. 28.07.2011, BGBl. I, S. 1690; zuletzt geändert durch Gesetz v. 20.12.2012, BGBl. I, S. 2730. 12  Vgl. dazu Moench / Ruttloff, NVwZ 2011, 1040 (1043); Appel, UPR 2011, 406 (409); Sellner / Fellenberg, NVwZ 2011, 1025 (1032). 13  Verordnung über Anlagen seewärts der Begrenzung des deutschen Küstenmeeres (Seeanlagenverordnung – SeeAnlV) v. 23.01.1997, BGBl. I, S. 57; zuletzt geändert durch Verordnung v. 29.08.2013, BAnz AT 30.08.2013 V1. 10  Gesetz

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Vor dem Hintergrund des aufgezeigten Facettenreichtums soll der Versuch unternommen werden, einen Überblick über die einzelnen Rechtsebenen zu geben. Dabei wird der Blickwinkel der Makroebene eingenommen, um Strukturen aufzuzeigen, die mit dem Netzausbau zur Integration erneuerbarer Energien verbunden sind. III. Feststellung des Netzausbaubedarfs 1. Europäische Ebene

Der gewählten Makroperspektive entspricht es in gewissem Maße, zunächst die Europäische Union als Impulsgeber der Bedarfsfeststellung auszumachen. Bereits seit den 1990er Jahren erlässt diese Leitlinien, um Netzvorhaben zu fördern. Prägnant ist die Entscheidung Nr. 1254 / 96 / EG über Leitlinien betreffend die transeuropäischen Netze im Energiebereich.14 Mit ihr wurde erstmals eine Liste mit Vorhaben von gemeinsamem Interesse erstellt, die in den Genuss einer finanziellen Förderung durch die EU kommen konnten. Neben der finanziellen Privilegierung wurde außerdem die Aufgabe formuliert, im Zusammenwirken der Mitgliedstaaten günstige Rahmenbedingungen für den Ausbau der Netze herzustellen, wobei neben der technischen Seite auch die konkrete Genehmigungspraxis gemeint war.15 Später sind diese sog. TEN-E-Leitlinien16 durch weitere Entscheidungen des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates spezifiziert worden; dies sind die Entscheidung Nr.  1229 / 2003 / EG17 und die Entscheidung Nr.  1364 / 2006 / EG18. Inzwischen normiert die Finanzierungsverordnung Nr. 680 / 200719 die Bedin14  Entscheidung Nr. 1254  /  96  /  EG des Europäischen Parlaments und des Rates über eine Reihe von Leitlinien betreffend die transeuropäischen Netze im Energiebereich v. 05.06.1996, ABl. Nr. L 161, S. 147; geändert durch die Entscheidung Nr. 1047 / 97 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 29.05.1997, ABl. Nr. L 152, S. 12 und die Entscheidung Nr. 1741 / 1999 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 29.07.1999, ABl. Nr. L 207, S. 1. 15  Leidinger, in: Posser  /  Faßbender (Hrsg.), Praxishandbuch Netzplanung und Netzausbau, 2013, S. 52 f. 16  Scherer, NVwZ 2010, 1321 (1322). 17  Entscheidung Nr. 1229 / 2003 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates über eine Reihe von Leitlinien betreffend die transeuropäischen Netze im Energiebereich und zur Aufhebung der Entscheidung Nr. 1254 / 96 / EG v. 26.06.2003, ABl. Nr. L 176, S. 11. 18  Entscheidung Nr. 1364  / 2006 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung von Leitlinien für die transeuropäischen Energienetze und zur Aufhebung der Entscheidung Nr.  96 / 391 / EG und der Entscheidung Nr.  1229 / 2003 / EG v. 06.09.2006, ABl. Nr. L 262, S. 1. 19  Verordnung (EG) Nr. 680  / 2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Grundregeln für die Gewährung von Gemeinschaftszuschüssen für transeuropäische Verkehrs- und Energienetze v. 20.06.2007, ABl. Nr. L 162, S. 1.



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gungen der Kofinanzierung von TEN-E-Vorhaben.20 Der Förderumfang in den Jahren 2007 bis 2013 beträgt jedoch nur magere 155 Mio. €.21 Ungeachtet ihrer rechtlichen Verbindlichkeit repräsentieren die TEN-ELeitlinien gleichwohl politische Richtsätze, denen es bisweilen an Stringenz fehlt.22 Mangels einer systematischen Bedarfsermittlung und Netzplanung ist nunmehr die Verordnung (EU) Nr. 347 / 2013 zu Leitlinien für die transeuropäische Energieinfrastruktur an ihre Stelle getreten.23 Mit dem seit Juni dieses Jahres wirksamen Rechtsakt versucht die EU, einen europaweiten koordinierten Ausbau der transeuropäischen Stromnetze auf Grundlage eines Bedarfsermittlungsverfahrens in Kooperation mit den nationalen Behörden zu gewährleisten. Die Verordnung definiert hierzu zunächst 12 strategische, transeuropäische Energieinfrastrukturkorridore und -gebiete, wie etwa die Nord-Süd-Stromverbindung in Westeuropa. In diesen Korridoren bzw. Gebieten werden dann Vorhaben von gemeinsamem Interesse (sog. VGI-Projekte) gesucht, die bestimmte Anforderungen erfüllen müssen.24 Zu den Anforderungen zählt etwa, dass VGI-Projekte zur Realisierung der Energieinfrastrukturkorridore und -gebiete erforderlich sein müssen und dass eine Kosten-Nutzen-Analyse für das Vorhaben spricht.25 Abgesehen von der Ermittlung von VGI-Projekten fordert die europäische Verordnung weiter, dass auf nationaler Ebene eine besondere Stelle eingerichtet wird, die eine besondere Zuständigkeit für die Koordinierung und Aufsicht des Genehmigungsverfahrens bekommt, welches die VGI-Vorhaben betrifft. Diese Forderung ist zwar in Anbetracht der strukturellen Blindheit des Unionsrechts für die innere Gliederung der Mitgliedstaaten bedenklich.26 Gleichwohl dürfte das nationale NABEG bereits die Anforderungen der VO erfüllen.27 20  Gundel, in: Terhechte (Hrsg.), Verwaltungsrecht der Europäischen Union, 2011, § 23 Rn. 38 f. 21  Art. 18 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 680  / 2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Grundregeln für die Gewährung von Gemeinschaftszuschüssen für transeuropäische Verkehrs- und Energienetze v. 20.06.2007, ABl. Nr. L 126, S. 1. 22  Leidinger, in: Posser / Faßbender (Fn. 15), S. 53. 23  Verordnung (EU) Nr. 347 / 2013 des Europäischen Parlaments und des Rates zu Leitlinien für die transeuropäische Energieinfrastruktur und zur Aufhebung der Entscheidung Nr.  1364  /  2006  /  EG und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 713 / 2009, (EG) Nr. 714 / 2009 und (EG) Nr. 715 / 2009 v. 17.04.2013, ABl. Nr. L 115, S. 39. 24  Giesberts / Tiedge, NVwZ 2013, 836 (837). 25  Leidinger, in: Posser / Faßbender (Fn. 15), S. 59 f. 26  Vgl. Kment, Verw 45 (2012), 155 (161 f.). 27  Leidinger, in: Posser  / Faßbender (Fn. 15), S. 63; vgl. auch Giesberts / Tiedge, NVwZ 2013, 836 (839); siehe auch nachfolgend unter IV.1.b).

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Die Verordnung enthält zudem Vorgaben, wie auf Verzögerungen im Genehmigungsverfahren und bei der praktischen Umsetzung des Vorhabens zu reagieren ist. Hierzu gehören ein konstruktiver Informationsaustausch, die Bestellung eines Koordinators und die Ersatzvornahme. Schon vor Inkrafttreten der VO (EU) Nr. 347 / 2013 existierte auf der europäischen Ebene eine Form der Bedarfsermittlung. Diese wurde vom Europäischen Verbund der Übertragungsnetzbetreiber Strom (ENTSO-E) erarbeitet und von der europäischen Energie-Agentur (ACER) überprüft. Der so entwickelte zehnjährige Netzentwicklungsplan war jedoch unverbindlich und hatte daher keine Bindungskraft gegenüber Netzbetreibern und nationalen Regulierungsbehörden.28 2. Nationale Ebene

Die Ursprünge einer Bedarfsplanung auf nationaler Ebene liegen im EnLAG. Das Gesetz vom 21.8.2009 stellt erstmals für 24 ausgewählte Vorhaben im Bereich der Höchstspannungsnetze die energiewirtschaftliche Notwendigkeit und den vordringlichen Bedarf verbindlich fest.29 Allerdings werden nur Anfangs- und Endpunkte der in Bezug genommenen Projekte definiert.30 Zudem enthält das EnLAG keine Verpflichtung der Energienetzbetreiber, den Netzausbau auch tatsächlich voranzutreiben.31 Von anderer Qualität ist demgegenüber das mit der EnWG-Novelle von 2011 aufgenommene Bedarfsfeststellungsverfahren der §§ 12a ff. EnWG. In drei Etappen nähert man sich dort dem Ziel, eine verbindliche Bedarfsfestschreibung zu erzielen. Diese kann zusätzlich eine Grundlage sein, um Netzbetreiber etwa nach § 65 Abs. 2a EnWG zur Realisierung konkreter Vorhaben anzuhalten.32 Das Ineinandergreifen der drei Planungsphasen – Szenariorahmen, Netzentwicklungsplan und Bundesbedarfsplan – ist im letzten Jahr schon häufiger in der Literatur thematisiert worden.33 Daher sollen nachfolgend nun die Grundzüge dargelegt werden. An erster Stelle erarbeiten die Übertragungsnetzbetreiber nach § 12a Abs. 1 S. 1 EnWG einen gemeinsamen Szenariorahmen. Dieser hat gemäß § 12a Abs. 1 S. 2 EnWG mindestens drei Entwicklungspfade (sog. Szenari28  Leidinger,

in: Posser / Faßbender (Fn. 15), S. 67. NVwZ 2012, 1066 (1067). 30  Weyer, ZNER 2009, 210 (211). 31  Scherer, NVwZ 2010, 1321 (1324); Kment, RdE 2011, 341 (344). 32  Kment, ZVglRWiss 112 (2013), 123 (132 f.). 33  Fest, NVwZ 2013, 824 (826 ff.); Sellner / Fellenberg, NVwZ 2011, 1025 (1030); Moench / Ruttloff, NVwZ 2011, 1040 (1041 f.); Appel, UPR 2011, 406 (407 f.). 29  Elspaß / Schwoon,



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en) zu umfassen, von denen sich mindestens eines der Szenarien auf einen Zeitraum von zwanzig Jahren beziehen muss;34 die übrigen zwei Szenarien bilden die Entwicklung von zehn Jahren ab. Inhaltlich müssen die Szenarien die Bandbreite der wahrscheinlichen Entwicklungen abdecken, wobei die Zielsetzung der mittel- und langfristigen energiepolitischen Ziele der Bundesregierung zugrunde gelegt wird.35 Die Szenarien sollen demnach eine zukünftige Situation beschreiben, um so die Entwicklung von heute bis in die Zukunft aufzuzeigen.36 Der Szenariorahmen wird der Bundesnetzagentur übermittelt und dient in der Folge der Erarbeitung des Netzentwicklungsplans nach § 12b EnWG wie auch des Offshore-Netzentwicklungsplans nach § 17b EnWG.37 Der Netzentwicklungsplan wird ebenfalls durch die Netzbetreiber entwickelt. Das jährlich zu erarbeitende bzw. zu überarbeitende Werk wird der Bundesnetzagentur als zuständiger Regulierungsbehörde zur Bestätigung vorgelegt. Mit dieser Bestätigung nach § 12c EnWG wird der Plan für die Netzbetreiber verbindlich und bildet den Investitionsrahmen für den weiteren Stromleitungsausbau.38 Er gibt Auskunft über alle wirksamen Maßnahmen zur bedarfsgerechten Optimierung, Verstärkung und zum Ausbau des Netzes, die in den nächsten zehn Jahren – insbesondere mit Blick auf die Zunahmen erneuerbarer Energien – für einen sicheren und zuverlässigen Netzbetrieb erforderlich sind.39 Auch dieser Plan ist – wie auch der vorauseilende Szenariorahmen – Gegenstand einer umfangreichen Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 12d EnWG. An letzter Stelle – nach Szenariorahmen und Netzentwicklungsplan – folgt der Bundesbedarfsplan nach § 12e EnWG.40 Er fußt zwar auf den beiden vorgelagerten Planwerken. Aufgrund der Souveränität des Gesetzgebers ist dieser aber an keine planerischen Vorgaben gebunden.41 Der Bundesbedarfsplan stellt die energiewirtschaftliche Notwendigkeit und den vordringlichen Bedarf der in ihm enthaltenen Vorhaben fest. Diese Feststellungen sind für nachfolgende Planfeststellungsverfahren und Plangenehmigungsverfahren nach dem EnWG oder dem NABEG verbindlich. Die Bin34  Der Wortlaut der Norm fordert drei Szenarien. Eines „der“ Szenarien (§ 12a Abs. 1 S. 3 EnWG) muss auf zwanzig Jahre fortgeschrieben werden; a. A. Grigoleit / Weisensee, UPR 2011, 401 (401), die von vier Szenarien ausgehen. 35  Guckelberger, in: Kment (Fn. 4), S. 59 (66). 36  Leidinger, in: Posser / Faßbender (Fn. 15), S. 91. 37  Zum Offshore-Netzentwicklungsplan, siehe nachfolgend unter V.1. 38  Kment, ZVglRWiss 112 (2013), 123 (130). 39  Moench / Ruttloff, NVwZ 2011, 1040 (1042). 40  Vgl. dazu Schirmer / Seiferth, ZUR 2013, 515 (517 f.). 41  Appel, UPR 2011, 406 (408); Moench / Ruttloff, NVwZ 2011, 1040 (1042).

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dungswirkungen erfassen – anders als im Geltungsbereich des EnLAG – aber auch die Übertragungsnetzbetreiber,42 die gem. § 65 Abs. 2a EnWG zwangsweise zur Realisierung der Netzleitungen angehalten werden können. In diesem Zusammenhang ist die grundrechtliche Belastungssituation der Netzbetreiber anzusprechen. Die Netzbetreiber müssen bei Anwendung des § 65 Abs. 2a EnWG einen Eingriff in ihre Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 S. 1 i. V. m. Art. 19 Abs. 3 GG hinnehmen.43 Diese Indienststellung der Netzbetreiber wird zugunsten des Gemeinwohls grundsätzlich als zulässig erachtet.44 In den vorliegenden Kontext gebracht, fällt dabei die hinreichende Sach- und Verantwortungsnähe zwischen der Berufsausübung der Netzbetreiber und der aus Gemeinwohlgründen erforderlichen, auferlegten Tätigkeit maßgeblich ins Gewicht.45 Allerdings müssen die Betroffenen für ihre Belastungen – insbesondere die erheblichen Investitionen – eine angemessene Entschädigung erfahren, die auch auf die Verbraucher umgelegt werden darf.46 Das aktuelle energiewirtschaftliche Regelwerk liefert hierzu verschiedene Kompensationsmodelle zugunsten des betroffenen Netzbetreibers, die jedoch alle einen vollständigen Ausgleich der finanziellen Anstrengungen nicht garantieren.47 Deshalb muss es dem Netzbetreiber vorbehalten bleiben, dann von einem Netzausbau abzusehen, wenn ihm der Ausbau wirtschaftlich nicht mehr zumutbar ist.48 § 65 Abs. 2a S. 1 EnWG geht deshalb zu weit, wenn er als legitimes Ausbauhindernis nur zwingende Gründe als beachtlich erklärt, die nicht im Einflussbereich des Netzbetreibers liegen. Jedenfalls muss der Netzbetreiber keine Investitionen tätigen, die über den Wert seines Netzes hinausgehen; dies gebietet Art. 14 GG.49 IV. Realisierung des Netzausbaus Onshore Mit den Überlegungen zur verfassungsrechtlich gebotenen Einschränkung des § 65 Abs. 2a EnWG ist schleichend der Wechsel zur Realisierungsebene vollzogen. Dabei geht es Onshore vorrangig um die planerische Sicherung von Trassen, die Planfeststellung und die Zulässigkeit sonstiger Energielei42  Faßbender / Becker,

in: Posser / Faßbender (Fn. 15), S. 33. in: Britz / Hellermann / Hermes (Hrsg.), EnWG, 2010, § 11 Rn. 31. 44  BVerfG, Urt. v. 02.03.2010 – 1 BvR 256  / 08, BVerfGE 125, 260 (360 f.) = NJW 2010, 833 (850 f.). 45  Glaser, DVBl. 2012, 1283 (1286). 46  Ringel, Die wirtschaftliche Zumutbarkeit im Energierecht, 2011, S. 220 f. 47  Glaser, DVBl. 2012, 1283 (1286). 48  Kment, ZVglRWiss 112 (2013), 123 (135). 49  BVerfG, Beschl. v. 16.02.2000 – 1 BvR 242  / 91, BVerfGE 102, 1 (19 ff.) = NJW 2000, 2573 (2575 f.); Glaser, DVBl. 2012, 1283 (1287). 43  Bourwig,



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tungsvorhaben, die keinem Planfeststellungs- oder Plangenehmigungsvorbehalt unterliegen. 1. Planerische Sicherung von Trassen

a) Raumordnungspläne und Raumordnungsverfahren Nicht nur die Ansiedlung von erneuerbaren Energien, sondern auch der durch sie erzwungene Ausbau der Energieversorgungsleitungen kann mit Hilfe des Raumordnungsrechts erleichtert werden; dabei ist es auch möglich, beide Nutzungen miteinander in Bezug zu setzen. Das Raumordnungsrecht erlaubt es gem. § 8 Abs. 5 ROG, Festsetzungen zur Sicherung von Standorten und Trassen für die Versorgungsinfrastruktur in Raumordnungsplänen zu treffen. Diese planerischen Festsetzungen können mit strikter Verbindlichkeit gegenüber öffentlichen Stellen ausgestattet sein;50 es handelt sich hierbei um Ziele der Raumordnung nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG. Sie können aber auch nur die Bedeutung eines öffentlichen Belangs in der Abwägungs- oder Ermessensentscheidung besitzen.51 Man nennt solche Festsetzungen dann Grundsätze der Raumordnung nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 ROG. Besondere Bedeutung erlangen die Ziele der Raumordnung durch die Anordnung des § 35 Abs. 3 S. 2, 3 BauGB. Gemäß der baurechtlichen Vorschrift können die Ziele auch gegenüber einer Privatperson in Stellung gebracht werden und die Genehmigung eines den Zielen der Raumordnung widersprechenden Vorhabens im Außenbereich verhindern.52 Der für den Netzausbau so relevante Außenbereich wird dadurch maßgeblich durch Zielfestlegungen geprägt. Eine positive, zulassende Entscheidung zugunsten eines konkreten Netzausbauprojekts liefert der Raumordnungsplan jedoch nicht. Selbst wenn ein Vorhaben raumbedeutsam im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 6 ROG sein sollte, um so überhaupt von den raumordnungsrechtlichen Festlegungen erfasst zu werden,53 vermag der Raumordnungsplan lediglich Flächen freizuhalten und eine Angebotsplanung zu liefern. Für bestimmte Leitungsausbauprojekte, nämlich für die Errichtung von Hochspannungsfreileitungen mit einer Nennspannung von 110kV, schreibt § 15 Abs. 1 S. 1 ROG i. V. m. § 1 Nr. 14 ROV ein Raumordnungsverfahren 50  Runkel, in: Spannowsky  / Runkel / Goppel, ROG, 2010, § 4 Rn. 64 ff.; Kment, Rechtsschutz im Hinblick auf Raumordnungspläne, 2002, S. 71 ff., 83 ff. 51  Heemeyer, UPR 2007, 10 (11). 52  Jarass / Kment, BauGB, 2013, § 35 Rn. 69, 72. 53  BVerwG, Urt. v. 13.03.2003 – 4 C 4 / 02, BVerwGE 118, 33 (35 f.) = NVwZ 2003, 738 (739); Runkel, in: Spannowsky  /  Runkel  /  Goppel, ROG, 2010, §  3 Rn.  100 ff.; Jarass / Kment, BauGB, 2013, § 35 Rn. 68.

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vor. Es soll die Vereinbarkeit des Vorhabens mit dem Raumordnungsrecht – im Vorfeld des eigentlichen Genehmigungsverfahrens – klären.54 Das Raumordnungsverfahren mündet nicht in einer Zulassungsentscheidung. Vielmehr besitzt sein Ergebnis die Stellung eines öffentlichen Belangs, der im nachfolgenden Zulassungsverfahren Berücksichtigung zu finden hat.55 Sein Gewicht innerhalb des Entscheidungsverfahrens hängt dabei maßgeblich von der sachlichen Überzeugungskraft des Ergebnisses ab, wobei seine Aktualität von gewichtiger Bedeutung sein kann.56 Zu ergänzen bleibt, dass ein Raumordnungsverfahren grundsätzlich keine bestimmte Trasse benennt. Vielmehr wird es sich auf einen Trassenkorridor beschränken, innerhalb dessen der Vorhabenträger sein Vorhaben zu verwirklichen sucht.57 b) Bundesfachplanung nach dem NABEG In besonderen Fällen wird die soeben aufgezeigte gesetzliche Grundstruktur der planerischen Trassensicherung58 durchbrochen. Sollen länder­ übergreifende oder grenzüberschreitende Höchstspannungsleitungen zur Integration erneuerbarer Energien errichtet werden, findet das NABEG Anwendung. Allerdings müssen die entsprechenden Leitungen gem. § 2 Abs. 1 NABEG in einem Gesetz über den Bundesbedarfsplan nach § 12e Abs. 4 S. 1 EnWG als solche gekennzeichnet sein.59 Im Übrigen erstreckt sich das NABEG auf den Neubau von Hochspannungsleitungen mit einer Nennspannung von mindestens 110 kV. Dies setzt allerdings gem. § 2 Abs. 3 NABEG voraus, dass diese Leitungen zusammen mit einer qualifizierten Höchstspannungsleitung auf einem Mehrfachgestänge geführt werden können und die Einbeziehung ohne wesentliche Verfahrensverzögerung für die Bundesfachplanung oder die Planfeststellung möglich ist. Dahinter steckt der Gedanke, Ausbauvorhaben dem NABEG im Verbund zu unterwerfen, wenn man sie ohne signifikante Verzögerung direkt mit der Höchstspannungsleitung abhandeln kann. Für eine Vielzahl von Vorhaben gilt das NABEG gleichwohl nicht, auch nicht für die 24 EnLAG-Vorhaben,60 die gem. § 2 Abs. 4 NABEG ausdrücklich vom Anwendungsbereich des Gesetzes ausgenommen wurden. 54  Kment,

NVwZ 2010, 542 (542). Beschl. v. 04.06.2008 – 4 BN 12  /  08 = ZfBR 2008, 592 (592); ­BVerwG, Beschl. v. 30.08.1995 – 4 B 86 / 95 = NVwZ-RR 1996, 67 (67); BVerwG, Urt. v. 16.08.1995 – 11 A 2 / 95 = NVwZ 1996, 267 (269). 56  Kment, NVwZ 2010, 542 (543). 57  Faßbender / Becker, in: Posser / Faßbender (Fn. 15), S. 36. 58  Siehe die obigen Ausführungen unter IV.1.a). 59  Erbguth, in: Kment (Fn. 4), S. 17 (23). 60  Siehe hierzu bereits oben unter II. und III.2. 55  BVerwG,



Netzintegration erneuerbarer Energien als Baustein der Energiewende53

Das in Konkurrenz zur Raumordnung gesetzgeberisch eingeführte Instrument der Bundesfachplanung nach den §§ 4 ff. NABEG hat viel Erläuterungsbedarf ausgelöst und vermehrt Kritik auf sich gezogen.61 Diese im Folgenden aufzuarbeiten, würde den Rahmen sprengen. Es soll vielmehr erläutert werden, dass die im Grenzbereich von Gesamt- und Fachplanung angesiedelte Bundesfachplanung nach § 5 Abs. 1 NABEG der Kontrolle dient, ob der Verwirklichung eines Vorhabens in einem Trassenkorridor überwiegende öffentliche oder private Belange entgegenstehen. Behördlich geprüft wird insbesondere die Übereinstimmung mit den Erfordernissen der Raumordnung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ROG und die Abstimmung mit anderen raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 6 ROG.62 Gegenstand der Prüfung sind auch etwaige ernsthaft in Betracht kommende Alternativen von Trassenkorridoren.63 Insgesamt ist die Nähe zur raumplanerischen Gesamtplanung also unverkennbar. Am Ende des Prüfungsprozesses steht die Entscheidung der Bundesnetzagentur über die Bundesfachplanung. Sie benennt gem. § 12 Abs. 2 NABEG u. a. den Verlauf eines raumverträglichen Trassenkorridors, der Teil des Bundesnetzplans wird, sowie die an Landesgrenzen gelegenen Länderübergangspunkte einschließlich der Prüfung diesbezüglicher Alternativen. Für anschließende Planfeststellungsverfahren ist die Entscheidung nach § 15 Abs. 1 NABEG verbindlich; dies gilt auch gegenüber den Landesplanungen, also den bereits angesprochenen64 Raumordnungsplänen.65 c) Bauleitpläne Um das Bild zu vervollständigen, soll nunmehr auf die kommunalen Bauleitpläne eingegangen werden. Diese sind nach § 1 Abs. 4 BauGB den Zielen der Raumordnung anzupassen und setzen damit die überregionalen Planimpulse inhaltlich um.66 Aus Sicht der Netzbetreiber, die zur Integration erneuerbarer Energien – gerade auch im Bereich der Mittel- und Niederspannung – zum Handeln gezwungen sind, dürften die Planaussagen des Flächennutzungsplans von besonderem Interesse sein. Dieser vermag nämlich – ebenso wie Zielfestlegungen in Raumordnungsplänen – die nach § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB privilegierten Stromversorgungsleitungen67 auf behierzu Erbguth, in: Kment (Fn. 4), S. 17 (31 ff.). RdE 2011, 341 (344). 63  Zur Alternativenprüfung allgemein Kment, DVBl. 2008, 364 (364 ff.). 64  Siehe hierzu bereits oben unter IV.1.a). 65  Grigoleit / Wiesensee, UPR 2011, 401 (405). 66  BVerwG, Beschl. v. 14.05.2007 – 4 BN 8 / 07 = NVwZ 2007, 953 (953); Jarass / Kment, BauGB, 2013, § 1 Rn. 34. 67  Jarass / Kment, BauGB, 2013, § 35 Rn. 19 ff. 61  Ausführlich 62  Kment,

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stimmte Bereiche zu konzentrieren. § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB gibt den Kommunen insofern die Befugnis, hinsichtlich der Energieleitungen ein eigenes Energieversorgungskonzept in den Entwicklungsprozess einzubringen, das sachgerechterweise in Kombination mit der Ansiedlungsgestaltung erneuerbarer Energien erstellt wird.68 Dass nach den meisten Landesbauordnungen für Energieleitungen – unterhalb der Schwelle der Planfeststellung oder Plangenehmigung – kein Genehmigungserfordernis besteht,69 ist insofern unbedeutend, da mit Blick auf § 29 Abs. 1 BauGB eine Genehmigungsfreistellung nicht von der Bindung an das Bauplanungsrecht befreit.70 2. Planfeststellung71

Mit diesen Überlegungen ist der Bogen zur konkreten Vorhabenzulassung gespannt. Die weitere Analyse kann sich dabei auf die Planfeststellung begrenzen, denn die systematische Verortung der sonstigen Vorhaben wurde gerade vorgenommen.72 Die weiteren Ausführungen können überdies kurz gehalten werden, denn der Kreis der von § 43 EnWG erfassten Vorhaben ist hinlänglich bekannt und an Land in jedem Fall auf Leitungen von 110 kV und mehr begrenzt.73 Für Erdkabel bleibt es dabei, dass diese auch bei Überschreiten der 110 kV-Grenze nicht zwangsläufig der Planfeststellung unterliegen, sofern sie nicht zugleich in den Anwendungsbereich der § 43 S. 1 Nr. 3 und 4 EnWG fallen oder vom NABEG erfasst werden.74 Dessen ungeachtet, ist natürlich die Durchführung eines fakultativen Planfeststellungsverfahrens gem. § 43 S. 4 und 7 EnWG möglich.75 Die Entscheidung darüber, ob ein solches Verfahren durchgeführt werden soll, steht zwar grundsätzlich dem Vorhabenträger zu;76 im Gegensatz zu § 43 S. 7 EnWG wird jedoch ein „Antrag des Trägers des Vorhabens“ zur Einleitung des Verfahrens in § 43 S. 4 EnWG nicht ausdrücklich gefordert. Insofern steht 68  Zum Erfordernis eines schlüssigen Plankonzepts siehe BVerwG, Urt. v. 13.03.2003 – 4 C 4 / 02, BVerwGE 118, 33 (37) = NVwZ 2003, 738 (739); BVerwG, Urt. v. 21.10.2004 – 4 C 2 / 04, BVerwGE 122, 109 (111) = NVwZ 2005, 211 (211); Köck, ZUR 2010, 507 (508); Finkelnburg / Ortloff / Kment, Öffentliches Baurecht, 2011, § 27 Rn. 67. 69  Faßbender / Becker, in: Posser / Faßbender (Fn. 15), S. 44. 70  BVerwG, Urt. v. 24.02.1978 – 4 C 12 / 76, BVerwGE 55, 272 (273 f.) = NJW 1979, 327 (328 f.). 71  Auf die Bundesplanfeststellung nach den §§ 18 ff. NABEG wird im Folgenden nicht eingegangen. 72  Siehe die obigen Ausführungen unter IV.1. 73  Schirmer / Seiferth, ZUR 2013, 515 (524). 74  Elspaß / Schwoon, NVwZ 2012, 1066 (1068). 75  Herbold / Pleiner, UPR 2013, 258 (261). 76  Vgl. Schneller, DVBl. 2007, 529 (535); Schütte, RdE 2007, 300 (304).



Netzintegration erneuerbarer Energien als Baustein der Energiewende55

es bei § 43 S. 4 EnWG auch im Ermessen der Behörde, ein fakultatives Planfeststellungsverfahren einzuleiten und durchzuführen.77 Qualitativ führt die Planfeststellung nach § 43 EnWG dazu, dass die in Bezug genommenen Energieleitungsvorhaben rechtlich den Straßen-, Schienen- und anderen Infrastrukturprojekten gleichgestellt werden.78 Der Planfeststellungsbeschluss besitzt zunächst ganz allgemein eine Freigabewirkung, die auch notwendige Folgemaßnahmen erfasst. Überdies weist die Planfeststellung eine Gestaltungs-, Duldungs- wie auch eine Konzentrationswirkung auf und zeigt eine enteignungsrechtliche Vorwirkung.79 Die tradierten Inhalte, welche die Rechtsprechung und Literatur in Bezug hierauf über die Jahre geliefert haben, können deshalb auf den Leitungsausbau angewandt werden. V. Energieleitungen in der Ausschließlichen Wirtschaftszone Hinsichtlich der Energieleitungen in der Ausschließlichen Wirtschaftszone, welche der Anbindung von Windkraftanlagen dienen, die weit entfernt von der Küste Energie erzeugen, können zwei Ebenen unterschieden werden: die Planungsebene und die Zulassungsebene. 1. Offshore-Netzentwicklungsplan und Bundesfachplan Offshore

Die Planung wird zum einen durch den Offshore-Netzentwicklungsplan nach § 17b EnWG und zum anderen durch den Bundesfachplan Offshore nach § 17a EnWG geleistet. Erstgenannter gleicht strukturell und inhaltlich dem Netzentwicklungsplan nach § 12b EnWG.80 Wie dieser wird der Offshore-Netzentwicklungsplan zudem gem. § 17b Abs. 1 S. 1 EnWG von den Übertragungsnetzbetreibern erstellt. Demgegenüber enthält der Bundesfachplan Offshore nach § 17a EnWG u. a. Angaben zu geeigneten Offshore-Anlagen und Trassen bzw. Trassenkorridoren für Anbindungsleitungen und für grenzüberschreitende Stromleitungen. Er gleicht in dieser Form der Bundesfachplanung des NABEG.81 77  So Schirmer / Seiferth, ZUR 2013, 515 (524); Hermes, in: Britz / Hellermann /  Hermes, 2010, § 43 Rn. 12; unklar insoweit Missling, in: Danner / Theobald (Hrsg.), Energierecht, Loseblatt-Kommentar, Bd. 1, Stand: EL 78 (09  /  13), § 43 EnWG Rn. 16, der wohl bei beiden Alternativen einen Antrag des Vorhabenträgers zur Einleitung des Verfahrens als erforderlich ansieht. 78  Hermes, in: Britz / Hellermann / Hermes, 2010, § 43 Rn. 1. 79  Ausführlich dazu: Neumann, in: Stelkens / Bonk / Sachs (Hrsg.), VwVfG, 8.  Aufl. 2014, § 75 Rn. 6 ff. 80  Siehe oben unter III.2. 81  Vgl. dazu bereits oben unter IV.1.b).

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Wie diese soll er keine Außenwirkung besitzen, gleichwohl aber nach § 17a Abs. 5 S. 2 EnWG für das Planfeststellungs- und Genehmigungsverfahren nach der SeeAnlV verbindlich sein. Diese Kumulation gesetzlich angeordneter Rechtswirkungen lässt sich jedoch kaum durchhalten, denn die Bindungswirkung in der Planfeststellung bzw. im Genehmigungsverfahren betrifft unmittelbar den Rechtskreis der Beteiligten. 2. Energieleitungszulassung nach der SeeAnlV

Die am 29. August 2013 letztmals geänderte SeeAnlV82 unterwirft gem. § 2 Abs. 1 SeeAnlV die Errichtung und den Betrieb von Anlagen zur Übertragung von Energie aus Wasser, Strömung und Wind der Planfeststellung. Hierzu gehören insbesondere Seekabel, unabhängig von ihrer jeweiligen Netzspannung.83 Rechtliche Schwierigkeiten zeigen sich aktuell bei der Abgrenzung des Anwendungsbereichs der SeeAnlV zum BBergG. Dem Bergrecht wird zwar nach § 1 Abs. 2 S. 2 SeeAnlV Vorrang eingeräumt. Gleichwohl wendet das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) den § 133 BBergG entgegen seinem Wortlaut nur auf Transit-Rohrleitungen an, die durch den Festlandsockel hindurchführen, nicht aber auf solche, die auf ihm verlegt werden.84 Dies ist wohl dem Umstand geschuldet, dass der Festlandsockel sich im Wesentlichen mit der Ausschließlichen Wirtschaftszone deckt und deshalb der Anwendungsbereich der SeeAnlV bzgl. der Seekabel stark eingeschränkt wäre, wenn man die bergrechtlichen Vorschriften voll zur Geltung bringen würde.85 Gleichwohl sollte die gesetzliche Systematik gegenüber dieser praktischen Erwägung Vorrang genießen. VI. Resümee Der Beitrag sollte dazu anleiten, einen ersten Einblick zu bekommen, welche rechtlichen Anforderungen die Integration erneuerbarer Energien mit sich bringt. Doch selbst wenn der ein oder andere schon einmal im Dschungel der stark verästelten Regeln zum Netzausbau verlorengeht, so ist doch jedenfalls klar geworden, dass die Materie sehr verzweigt und verschachtelt ist. Die hierin veranlagte Schwerfälligkeit der systematischen Konzeption steht im Widerspruch zur dringend benötigten Ausbaugeschwindigkeit der Netze. 82  Verordnung über Anlagen seewärts der Begrenzung des deutschen Küstenmeeres (Seeanlagenverordnung – SeeAnlV) v. 23.01.1997, BGBl. I, S. 57. 83  Büllesfeld / Koch / v. Stackelberg, ZUR 2012, 274 (275). 84  Vgl. dazu Pfeil / Töpfer, NordÖR 2011, 373 (377 f.). 85  Faßbender / Becker, in: Posser / Faßbender (Fn. 15), S. 42.

Praktische Erfahrungen mit der Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Netzplanung Von Peter Ahmels, Berlin I. Einleitung Von März bis Dezember 2013 hat die Deutsche Umwelthilfe (DUH) im Auftrag des Energiewendeministeriums Schleswig-Holstein und in enger Kooperation mit dem Übertragungsnetzbetreiber TenneT TSO GmbH ein Dialogverfahren zur geplanten 380-kV-Westküstenleitung moderiert. II. Konzept und Bausteine des Bürgerdialogs 1. Konzept des Dialogverfahrens

Ziel des Dialogverfahrens war es, auf Grundlage der Vorplanung des Vorhabenträgers TenneT im Austausch mit den Akteuren und Betroffenen eine in der Region möglichst weitgehend akzeptierte Vorzugstrasse zu finden, die ins Planfeststellungsverfahren eingereicht und realisiert werden kann. Es sollten Meinungsbilder aus den Regionen, konkrete Planungshinweise sowie Fachexpertise zu den unterschiedlichen relevanten Themen eingeholt und in die weitere Planung einbezogen werden. Das Konzept für den Bürgerdialog wurde vom Energiewendeministerium Schleswig-Holstein im Ansatz vorgegeben und gemeinsam mit dem Moderator DUH weiterentwickelt. Das Dialogverfahren wurde durch zwei große, öffentliche Konferenzen am 9. November 2012 und am 29. Januar 2013 an der Westküste bekannt gemacht:

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Quelle: Ahmels / DUH

Abbildung 1: Konzept des Dialogverfahrens

2. Bürgerdialoge im April 2013

Die Veranstaltungsreihe von zehn Bürgerdialogen entlang des Trassenkorridors in Abschnitt 3 (v. a. Dithmarschen) und Abschnitt 4 (Nordfriesland) im April 2013 stand unter dem Motto: „bürgernah, wohnortnah, auf Augenhöhe“. Die dezentrale Verteilung der Veranstaltungsorte sollte es allen potenziell von der Trasse Betroffenen ermöglichen, sich ohne lange Anreisewege über die Westküstenleitung informieren zu können. Erfahrungen mit Frontalformaten hatten gezeigt, dass diese weniger gut geeignet für einen Dialog waren. Deshalb wurde grundsätzlich das Format des „Runden Tisches“ angewendet, bei dem auch die Referenten zwischen den Bürgern, „bürgernah und auf Augenhöhe“, Rede und Antwort standen. Damit sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass die Meinungen, Fragen



Erfahrungen mit der Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Netzplanung59

und Anregungen der Menschen aus der Region wertgeschätzt werden und – soweit möglich – in die weitere Planung Eingang finden sollen. 3. Fachdialoge im Mai 2013

Die Fachdialoge richteten sich explizit an Experten, Planer, Gemeindeund Kreisvertreter, Träger öffentlicher Belange und Vertreter von Bürgerinitiativen, um über einzelne Aspekte der Trassenplanung oder über besonders kritische Themen in einzelnen Abschnitten mit dem Vorhabenträger zu diskutieren. Bürgervertreter waren ausdrücklich eingeladen, um damit den Eindruck eines „geschlossenen Kreises“ und Misstrauen zu vermeiden und Transparenz sicherzustellen. In den Fachdialogen wurden spezielle Problemstellungen durch Fachinputs von Experten eingeführt und diskutiert. Erörtert wurden z. B. naturschutzfachliche Fragen des Arten- oder Gebietsschutzes – insbesondere zum Schutz der Avifauna bei der Eiderquerung und zum Knickschutz –, Siedlungsannäherungen, Möglichkeiten und Bedingungen für die Mitführung einer bestehenden 110-kV-Leitung auf dem Gestänge der neuen 380-kVLeitung oder die Beeinträchtigung des Landschaftsbildes und mögliche Einschränkungen der landwirtschaftlichen Nutzung von Flächen. 4. Zwischenkonferenz im Juni 2013

Die Zwischenkonferenz fand nach den Bürger- und Fachdialogen im J­uni 2013 im Messezentrum Husum, einem zentral gelegenen Veranstaltungsort, statt. Die Einladung richtete sich an ein breites Publikum und die Konferenz wurde von über 300 Personen besucht. Im Rahmen von locker moderierten Podiumsrunden wurden die wichtigsten Ergebnisse und Anliegen vorgestellt und diskutiert – zunächst aus den Bürgerdialogen, dann aus den Fachdialogen. Anschließend stellte der Vorhabenträger TenneT dar, wie die Ergebnisse der Dialoge in den weiteren Planungsverlauf Eingang finden. Dies wurde im Anschluss in einer offenen Podiumsrunde von Vertretern der Landesregierung und des Vorhabenträgers mit dem Publikum diskutiert. Vorstellung des Zwischenberichts Zentraler Baustein des Dialogverfahrens war die Sammlung sämtlicher Fragen und Anregungen der Teilnehmer in einem Zwischenbericht, der der Landesregierung und dem Netzbetreiber TenneT als „Meinungsbild der Region“ im Juni 2013 im Rahmen der öffentlichen Zwischenkonferenz offi­

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Quelle: Ahmels / DUH

Abbildung 2: Beispiel eines Trassenkorridors

ziell übergeben und parallel auf der Website des Ministeriums für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume (MELUR) veröffentlicht wurde. Der Zwischenbericht umfasst die Kurzprotokolle der Bürger­ dialoge, die Vorträge und Kurzprotokolle der vier Fachdialoge, das Kurz­ protokoll der von Anwohnervertretern initiierten Facharbeitsgruppe „Faktencheck Erdkabel“ und die umfangreiche Liste von über 200 Fragen und Anmerkungen aus den zehn Bürgerdialogen. Dieser Zwischenbericht versteht sich als eine Art „Pflichtenheft“, dessen Fragen beantwortet und bei der weiteren Planung berücksichtigt werden sollen.



Erfahrungen mit der Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Netzplanung61 5. Facharbeitsgruppen auf Wunsch von Anwohnern / Bürgerinitiativen

Sowohl bei den Regionalkonferenzen der Landesregierung Schleswig-Holstein im November 2012 und Januar 2013 als auch bei den Bürgerdialogen brachten Anwohner und Bürgerinitiativen zwei zusätzliche Themen ein, die neben den unter II.3. genannten Fachdialogen zusätzlich von Fachexperten vertieft und öffentlich diskutiert werden sollten. Zum einen die Frage, ob die geplante Westküstenleitung alternativ zur geplanten Ausführung als Drehstromfreileitung als Erdkabel-Gleichstromleitung verlegt werden könne; zum anderen die Frage, wie sich elektromagnetische Felder rund um die geplante Leitung auswirken und welche Vorkehrungen Landesregierung und Planer zum Wohnumfeldschutz treffen werden. a) Facharbeitsgruppe „Faktencheck Erdkabel“ im Mai 2013 Der breit gestreuten Einladung zur Facharbeitsgruppe „Faktencheck Gleichstrom-Erdkabel: Eine Übertragungs­ option für die Westküstenleitung?“, kurz „Faktencheck Erdkabel“, im Kreishaus in Heide folgten über 200 Personen. Ziel der Veranstaltung war es, die technische, wirtschaftliche und rechtliche Machbarkeit der Ausführung der Westküstenleitung als Erdkabel in Gleichstromtechnik (HGÜ) von Fachexperten im Rahmen einer

Quelle: Ahmels / DUH

Abbildung 3: Arbeitsgruppe Faktencheck Erdkabel im Kreishaus Heide

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öffentlichen Fachdiskussion zu überprüfen. Damit wurde die politische Diskussion um das alternative Konzept für ein Gleichstrom-Erdkabel an der Westküste in Schleswig-Holstein der Firma Infranetz AG aufgegriffen. Es war zuvor bei der Konferenz zur Westküstentrasse im November 2012 öffentlich vorgestellt worden. Nach einem Fachgespräch im Energiewendeministerium wurde es von der Landesregierung Schleswig-Holstein als nicht umsetzbar eingestuft. Dies hatte die Landesregierung sowohl mit öffentlichem Anschreiben an die Firma Infranetz AG als auch mit Vortrag bei der Westküstenkonferenz am 29. Januar 2013 eingehend begründet. Bei der Facharbeitsgruppe „Faktencheck Erdkabel“ fand mit sieben Experten von Universitäten, Bundesnetzagentur, Landesregierung und Übertragungsnetzbetreiber zunächst eine etwa einstündige fachliche Podiumsdebatte zur Prüfung der Machbarkeit einer Gleichstromleitung statt. Dann standen die Experten für die Beantwortung von Fragen aus dem Publikum zur Verfügung. b) Facharbeitsgruppe Wohnumfeldschutz im September 2013 Die zweite Facharbeitsgruppe fand am 24. September 2013 statt. Themen waren der Wohnumfeldschutz und die Wirkungen elektromagnetischer Fel-

Quelle: Ahmels / DUH

Abbildung 4: Arbeitsgruppe Wohnumfeldschutz im Stadttheater Heide



Erfahrungen mit der Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Netzplanung63

der (EM-Felder oder kurz EMF) von Höchstspannungsleitungen. Immer wieder waren bei den Bürgerdialogen Fragen zum Thema Elektromagnetische Felder (EMF) aufgeworfen worden. Etwa 80 betroffene Bürgerinnen und Bürger nutzten die Gelegenheit, bei der Veranstaltung im Stadttheater Heide mit ausgewählten Experten zu diskutieren. Einführend wurden die Ergebnisse einer morgendlichen EMFMessung an der bestehenden Leitung von den Fachleuten der Landesregierung und des Netzbetreibers vorgestellt und die potentiell zu erwartenden Werte der geplanten 380-kV-Westküstenleitung erläutert. Im Anschluss daran wurden Fragen nach den Auswirkungen der geplanten Leitung auf das Wohnumfeld und die Gesundheit von Anwohnern beantwortet. Die Experten für die abendliche Diskussionsrunde waren in Zusammenarbeit mit Bürgervertretern ausgewählt worden. Die Diskussion des Abends verlief durchaus kontrovers, aber trotz der Emotionalität des Themas sehr sachlich. Es wurden Fragen zu den Grenzwerten für elektromagnetische Felder an Stromleitungen und die Vergleichbarkeit dieser Grenzwerte mit denen anderer europäischer Länder thematisiert. 6. Ergebniskonferenz im Dezember 2013

Mit der Ergebniskonferenz am 9. Dezember 2013 im Messezentrum NCC Husum mit 300 Personen kam das Dialogverfahren zum Abschluss. Landesregierung, Vorhabenträger und das beauftragte Planungsbüro stellten in Überblicksvorträgen die wesentlichen Ergebnisse und Planänderungen vor, die sich aus dem im Zwischenbericht dokumentierten Meinungsbild der Region ergeben haben. Am gleichen Tag wurde der knapp 200 Seiten starke Ergebnisbericht zum Dialogverfahren Westküstenleitung auf der Website des Energiewendeministeriums veröffentlicht, der die mehr als 200 Fragen und Anregungen aus der Region beantwortet. III. Bewertung 1. Positive Erfahrungen und Erfolgsfaktoren

a) Engagement der Landesregierung Die Ausgangssituation in Schleswig-Holstein war in verschiedener Hinsicht günstig für ein ambitioniertes Dialogverfahren zu einer neu geplanten 380-kV-Leitung mit Pilotcharakter. Das Land verfolgt schon seit vielen Jahren eine ambitionierte Politik zum Ausbau der Windenergie und unter-

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stützt seit 2010 parteiübergreifend einen zügigen Um- und Ausbau der Stromnetze für die Energiewende. Es besteht grundlegender Konsens der politischen Parteien auf Landesebene, dass die Windenergie und damit verbundene Infrastrukturmaßnahmen sowohl aus wirtschafts- als auch aus umweltpolitischer Sicht in Schleswig-Holstein eine zunehmend wichtige Rolle spielen und weiter ausgebaut werden sollen. b) Konzept und Veranstaltungsformate des Dialogverfahrens aa) Frühzeitige Einbindung der Region Das Dialogverfahren hat geholfen, das Projekt in der Region bekannter zu machen und viele konkrete Fragen und Probleme zu beantworten – und dies umfassender und zu einem früheren Zeitpunkt, als es das formale Verfahren leisten könnte. Das gemeinsam erarbeitete und flexibel im Laufe des Jahres weiterentwickelte Gesamtkonzept mit verschiedenen, aufeinander aufbauenden Veranstaltungsformaten erwies sich als sehr gut geeignet, um einerseits grundlegende Fach- und Hintergrundthemen öffentlich zu diskutieren und andererseits konkrete Anregungen zu kleinräumigen Planungsfragen frühzeitig einzubeziehen. bb) Bürgerdialog Die wohnortnahe Veranstaltungsreihe von Bürgerdialogen konnte eine Vielzahl von Menschen aus der Region erreichen, mit jeweils 80 bis 220 Personen waren die Bürgerdialoge sehr gut besucht. Insgesamt wurden also etwa 1000 BürgerInnen erreicht. Es wurde positiv aufgenommen, dass sich Fachleute und Vertreter des verantwortlichen Ministeriums den Fragen der Bürger gestellt haben. Durch die schriftliche Fixierung aller Anmerkungen und die Visualisierung von „kritischen Bereichen“ auf einer Karte konnte jeder sicher sein, dass sein Punkt nicht unter den Tisch fällt. Der Netzbetreiber erhielt wertvolle Hinweise für die weitere Trassenplanung. Die räumliche Gestaltung als „runder Tisch“ schuf eine weniger konfrontative Gesprächsatmosphäre, als sie bei Bestuhlung in Reihen entsteht. Es wurde bewusst nur ein Einführungsvortrag gehalten, damit viel Zeit für Fragen und Diskussion bleiben konnte.



Erfahrungen mit der Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Netzplanung65

cc) Fachdialog Zu den Fachdialogen wurden auch Vertreter der Anwohner aus der Region eingeladen. Themen, die üblicherweise im Raumordnungsverfahren von Vertretern von Fachbehörden und Verbänden erörtert werden, erhielten so eine größere Transparenz. Konfliktthemen traten deutlicher zutage. Zu den Fachdialogen kamen 25 bis 40 Personen mit der entsprechenden Fachexpertise zusammen. Auch die Nicht-Fachleute haben sich sehr konstruktiv eingebracht und den Prozess bereichert. Von Kritikern geäußerte Befürchtungen, dass dadurch die Qualität der Diskussion leiden würde, konnten nicht bestätigt werden. dd) Facharbeitsgruppen zu Brennpunktthemen Der Dialog mit den Bürgern wurde glaubwürdig fortgeführt, indem die Brennpunktthemen, die sich bei den Bürgerdialogen herauskristallisiert hatten, in zusätzlichen öffentlichen Fachveranstaltungen vertieft wurden. Die hohe Teilnehmerzahl von über 200 Personen zeigt, dass an der Facharbeitsgruppe „Faktencheck Erdkabel“ ein sehr hohes Interesse bestand. Es ist allerdings sehr fraglich, inwieweit so hoch komplexe und technische Fragestellungen, wie die nach der geeigneten Stromübertragungstechnologie für eine Höchstspannungsleitung, im Rahmen eines Fach-Podiums vor sehr großem Publikum zufriedenstellend beantwortet oder auf hohem fachlichen Niveau diskutiert werden können. ee) Zwischenkonferenz Bei der Zwischenkonferenz wurde vor großem Publikum das Meinungsbild der Region als Zwischenbericht an die Vorhabenträger übergeben. Die Darstellung der lokalen Sorgen und Bedenken vor einem regionalen Publikum war mitentscheidend, um die Problematik als Ganzes zu verstehen. ff) Ergebniskonferenz Auf der abschließenden Ergebniskonferenz stellten Netzbetreiber und Planer einem Publikum von ca. 300 Personen deutliche Planungsänderungen vor, die auf das Dialogverfahren zurückgingen, wie beispielsweise die geplante weitgehende gemeinsame Führung der neuen 380-kV-Leitung auf einem gemeinsamen Gestänge mit der vorhandenen 110-kV-Leitung in Kooperation der beiden Netzbetreiber der verschiedenen Spannungsebenen. Es ist gelungen, in sechs wichtigen Themenfeldern wesentliche Planände-

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rungen und politische Lösungen zu finden. Dies ist aus Perspektive der DUH ein wichtiger Erfolg des Dialogprozesses. Wichtiger ist jedoch die Wahrnehmung der Bürger, dass sie an der Planung tatsächlich beteiligt sind und nicht schon alles im Vorfeld fixiert ist. c) Umweltverband als Moderator Die Moderation der Veranstaltungen durch einen Umweltverband wurde überwiegend positiv aufgenommen. Auf vielen Bürgerdialogen wurde die Frage nach der Finanzierung gestellt. Für viele Teilnehmer der Bürgerdialoge war die Unabhängigkeit des Moderators vom Netzbetreiber wichtig. Der Netzbetreiber wird oft als profit- und interessengeleitet wahrgenommen. Es wird unterstellt, er handle nur aus wirtschaftlichem Interesse. Sein gesetzlicher Auftrag, Netze zu bauen und zu betreiben, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, wird oft nicht wahrgenommen oder negiert. Die eigene Motivation der DUH beim Dialogverfahren, nämlich die Energiewende – im Auftrag der Landesregierung – voranzubringen, wurde offen kommuniziert. Dies hat zur Glaubwürdigkeit des Dialogverfahrens beigetragen. Von großer Bedeutung ist die Person des Moderators. Das Gelingen eines Dialogverfahrens hängt nicht unwesentlich davon ab, ob die Moderation als persönlich glaubwürdig und vertrauenswürdig wahrgenommen wird. 2. Negative Erfahrungen

Das Dialogverfahren zur 380-kV-Westküstenleitung stand wie alle Bemühungen um bessere Bürgerbeteiligung beim Stromnetzausbau vor einem grundlegenden Dilemma: Der Wunsch vieler Akteure und Betroffener nach frühzeitiger Beteiligung ist sehr ausgeprägt, der tatsächliche Gestaltungsspielraum ist wegen der Komplexität des Stromsystems und des mehrstufigen Planungsverfahrens jedoch gering. Im Laufe des Dialogverfahrens wurde bei verschiedenen Veranstaltungsformaten, insbesondere aber bei den Bürgerdialogen, deutlich, dass sehr viel Diskussionsbedarf zu den „großen energiepolitischen oder energiewirtschaftlichen Fragen“ besteht. Viele Menschen aus der Region fragen: – Ist die geplante Leitung wirklich notwendig? Kann eine dezentrale Energieerzeugung, z. B. in Kombination mit einer ambitionierten Energieeffizienz- und Energiesparpolitik, nicht den Netzausbau ersetzen? – Gibt es technische Alternativen zur Planung als Freileitung? Kann die geplante Leitung unterirdisch verlegt werden? – Ist das vorgelegte HGÜ-Erdkabelkonzept für die Westküste umsetzbar?



Erfahrungen mit der Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Netzplanung67

Diese und andere grundlegende Fragen wurden im Laufe des Dialogverfahrens immer wieder gestellt und es gelang nicht immer, sie kurz und doch zufriedenstellend zu beantworten. IV. Fazit Die informelle Beteiligung in Ergänzung zum kombinierten formalen Raumordnungs- und Planfeststellungsverfahren hat sich beim Dialogverfahren zur 380-kV-Westküstenleitung als wichtig und sinnvoll erwiesen. Entscheidend für den Erfolg waren die nachvollziehbare Auseinandersetzung mit allen vorgebrachten Argumenten der Bürger und die klare Kommunikation des Handlungsspielraums. Ebenso wichtig waren das gemeinsame Auftreten von Ministerium, Netzbetreiber und Landkreisen sowie die unabhängige Moderation durch den Umweltverband DUH. Für viele Akteure und Betroffene hat das Dialogverfahren entscheidend dazu beigetragen, den Standpunkt anderer Verfahrensbeteiligter und Betroffener kennenzulernen und Planungsgrundlagen und Entscheidungen nachvollziehen zu können. Das Angebot eines neutralen Forums ist dafür sehr gut geeignet. Auch war es wichtig, die Probleme häufiger anzusprechen, weil sie in ihrer Komplexität sonst nicht nachvollziehbar sind. Die Planungsverantwortlichen bekamen frühzeitig wertvolle Hinweise, wo konfliktträchtige Bereiche sind und welche Trassenvariante daher zu bevorzugen ist. Der Dialog hat nicht dazu geführt, dass Gegner die Leitung nun befürworten. Es wurden aber Konflikte und widerstreitende Interessen offenbar. Im Ergebnis konnte das Dialogverfahren an der Westküste zur Entspannung vor Ort beitragen, indem auf den Veranstaltungen klar dargestellt wurde, nach welchen Kriterien die Auswahl einer Trasse erfolgt, welche Technik warum eingesetzt wird und wie der Gesundheitsschutz gewährleistet wird. Dialogprozesse wie dieser können Beispiel für eine neue, bürgernähere Planungskultur sein. Die guten Erfahrungen aus dem Dialog in Schleswig-Holstein legen zudem nahe, die Bürgerbeteiligung auch im formalen Verfahren zu intensivieren.

Rechtsfragen des Verwaltungsverbundes im EU-Emissionshandel Von Wolfgang Seidel, Berlin* 1

I. Einleitung Das europäische Emissionshandelssystem – im Folgenden: EU ETS – nach der Emissionshandels-Richtlinie 2003  /  87  /  EG (in der Fassung der Änderungs-Richtlinie 2009 / 29 / EG) – im Folgenden: EHRL – hat für die dritte Handelsperiode (2013–2020) eine starke Harmonisierung erfahren. Das EU ETS ist in der dritten Handelsperiode zudem stärker als bisher von einer Vernetzung der Vollzugsbehörden in den Mitgliedstaaten mit der Europäischen Kommission gekennzeichnet. Hinzu kommen die in der Kommunikation und Abstimmung auch bei Vollzugsfragen häufig zwischengeschalteten Ministerien der Mitgliedstaaten. Diese vernetzten Verwaltungsstrukturen bestehen vor allem in den Bereichen Zuteilung, Auktionierung, Akkreditierung und Verifizierung, Registerführung sowie teilweise auch in den Bereichen Emissionsberichterstattung (Monitoring) und Sanktionierung. Sie dienen dazu, einen weitgehend EU-einheitlichen Vollzug sicherzustellen. Gleichzeitig ist das Verwaltungsverfahren als solches mangels eines einheitlichen europäischen Verwaltungsverfahrensrechts in diesem Mehrebenensystem kaum geregelt. Die Koordinierung findet teilweise in förmlichen Verwaltungsverfahren und teilweise informell statt. Kompetenzen, Beteiligungsrechte, Zuständigkeiten und Rechtsschutzmöglichkeiten sind teilweise unklar, die Kommunikationswege häufig umständlich und die Abstimmungen und Entscheidungen deshalb langwierig. Da dieser Zustand vielfach als unbefriedigend empfunden wird, besteht ein Bedürfnis, die Verfahren transparenter, effektiver und effizienter zu gestalten. Ziel der Abhandlung ist es deshalb, ausgehend von einer Analyse des Status quo der Verwaltungszusammenarbeit und Entscheidungsstrukturen ausgewählter Bereiche des Vollzuges des EU-Emissionshandels, die Herausforderungen des Verwaltungsverbundes zu diskutieren und die gegenwärtige Situation kritisch zu würdigen. Dies geschieht unter Berücksichtigung der im Wesentlichen beteiligten Akteure und ihrer Entscheidungswege, beleuch*  Der

Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Auffassung des Verfassers wieder.

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tet aber auch kurz die Beteiligungs- und Rechtsschutzmöglichkeiten der an den Verwaltungsverfahren Beteiligten. Ausgehend von einer Analyse des bestehenden Verwaltungsverbundes im EU-Emissionshandel (dazu unter II.) wird schwerpunktmäßig auf die Organisation des Vollzuges in dem Verfahren der kostenlosen Zuteilung von Emissionszertifikaten für Bestandsanlagen für die dritte Handelsperiode (2013–2020) in den Jahren 2012–2014 einschließlich der dazu bestehenden verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorgaben (dazu unter III.) eingegangen. Darauf aufbauend wird der normative Weiterentwicklungsbedarf der Verwaltungszusammenarbeit im Emissionshandel und der verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorgaben näher beleuchtet (dazu unter IV.). Schließlich sollen im Lichte der vorhergehenden Analyse einige Überlegungen zum Zentralisierungs- bzw. Dezentralisierungsbedarf im EU-Emissionshandel angestellt werden (dazu unter V.). Zahlreiche Rechts- und Sachfragen können nur angerissen werden und bedürfen weiterer und vertiefter Analysen. Das Umweltbundesamt hat im Rahmen des Umweltforschungsplans 2013 ein Forschungsvorhaben zur „Weiterentwicklung der Administration des EU-Emissionshandels“ (FKZ 3713 41 505) vergeben, das zahlreiche der hier angesprochenen Fragen vertiefen soll. Zu zentralen Rechtsfragen des gegenwärtigen Verwaltungsverbundes wird es aller Voraussicht nach in den nächsten Jahren auch grundlegende Klärungen durch die europäische Gerichtsbarkeit geben. II. Administration des Emissionshandels im Verwaltungsverbund Unbeschadet aller Verflechtungen hält das EU-Verwaltungsverfassungsrecht das Trennungsprinzip des europäischen Verwaltungsrechts aufrecht.1 Danach wird grundsätzlich zwischen unmittelbarem Vollzug, d. h. Vollzug des Unionsrechts durch Unionsorgane und mittelbarem Vollzug, d. h. Vollzug des Unionsrechts durch die Mitgliedstaaten, unterschieden. Als Mischform hat sich der europäische Verwaltungsverbund herausgebildet. Mit dem Verwaltungsverbund sollen die Vor- und Nachteile des zentralen bzw. dezentralen Vollzugskonzeptes so ausgeglichen werden, dass sie sich in einem positiven Sinne ergänzen.2 Der Verwaltungsverbund ist gegenwärtig das zentrale Paradigma europäischer Verwaltung und spiegelt die Verwaltungstätigkeit besser wieder, als die schematische Unterscheidung zwi1  Ruffert, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), EUV / AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 197 AEUV Rn.  5 ff. 2  Guckelberger, NVwZ 2013, 601 (602)



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schen direktem und indirektem Vollzug.3 In jedem Fall lässt sich sagen, dass der Verwaltungsverbund eine echte Alternative zwischen direktem und indirektem Vollzug ist. Man spricht auch von einer Mehrstufenverwaltung bzw. einer Ausprägung des europäischen Verwaltungskooperationsrechts, das die Eigenverwaltung und das Eigenverwaltungsrecht mit dem indirekten Vollzug und dem Unionsverwaltungsrecht verbindet.4 Primärrechtliche Rahmenbedingungen für die Verwaltungszusammenarbeit, wie sie im Verwaltungsverbund der Fall sind, finden sich in Art. 197 und 291 AEUV. Nach Art. 197 Abs. 1 AEUV ist die effektive Durchführung des Unionsrechts durch die Mitgliedstaaten eine Frage von gemeinsamem Interesse. Darüber hinaus hat die Vertragsbestimmung im Hinblick auf die europäische Verwaltungskooperation wenig Regelungsgehalt. Art. 291 Abs. 1 AEUV verpflichtet die Mitgliedstaaten, alle zur Durchführung der verbindlichen Rechtsakte der Union erforderlichen Maßnahmen nach innerstaatlichem Recht zu ergreifen. Der Begriff der Durchführung im Sinne von Art. 291 AEUV wird weit verstanden und umfasst sowohl Rechtsetzungsakte als auch die administrative Anwendung.5 Nach Art. 291 Abs. 2 AEUV werden Durchführungsbefugnisse den Unionsorganen übertragen, wenn ein Bedarf nach einheitlichen Durchführungsbedingungen besteht. Die Vorschrift enthält damit dem Subsidiaritätsprinzip entsprechend ein RegelAusnahme-Verhältnis zugunsten des mitgliedstaatlichen Vollzugs.6 Die Bestimmung des Art. 291 Abs. 2 AEUV ist insofern komplementär zu Art. 197 AEUV, als sie im Hinblick auf das gemeinsame Interesse an der Durchführung des Unionsrechts im Sinne von Art. 197 AEUV dessen Konkretisierung durch einen Durchführungsrechtsakt mit administrativen Kompetenzen der Union ermöglicht. Darüber hinaus gibt es keine primärrechtlichen Vorgaben für den europäischen Verwaltungsverbund. Das auf der EHRL7 basierende EU ETS wird in der dritten Handelsperiode (2013–2020) in zahlreichen Bereichen in einem Verwaltungsverbund administriert. Die Verwaltungskompetenzen der Union folgen dabei aus der SachPache, VVDStRL 66 (2007), 106 (111). hierzu Ruffert, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), EUV / AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 197 AEUV Rn. 12. 5  Ruffert, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), EUV / AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 291 AEUV Rn. 1. 6  Vgl. Ruffert, in: Calliess  / Ruffert (Hrsg.), EUV / AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 291 AEUV Rn. 2. 7  Richtlinie 2003 / 87 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 13.10.2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96 / 61 / EG des Rates (ABl. L 275, 32 3  Vgl.

4  Siehe

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kompetenz und sind sekundär- und tertiärrechtlich verankert. Hintergrund dieser strukturellen Veränderung des EU ETS von einem dezentralisierten hin zu einem stark zentralisierten Handelssystem sind die strukturellen Funktionsdefizite des Emissionshandels in der ersten und zweiten Handelsperiode.8 Diese strukturellen Defizite bezogen sich vorrangig auf die Festlegung der zulässigen Gesamtemissionsmenge als für den Klimaschutzeffekt des Emissionshandels zentraler politischer Gestaltungsaufgabe und die korrespondierenden Regelungen für die Allokation der Emissionszertifikate. In dem ETSVerwaltungsverbund findet sowohl eine Verwaltungskooperation zwischen der Kommission als Unionsorgan und den zuständigen mitgliedstaatlichen Behörden (Fall der sog. „vertikalen Verwaltungskooperation“) als auch in geringerem Umfang und abgeschwächter Form zwischen mitgliedstaatlichen Behörden untereinander statt. Oft ist zu den Entscheidungen der Mitgliedstaaten und der Kommission nur geregelt, dass sie eine solche Entscheidung treffen müssen und bis wann dies zu geschehen hat. Viele Aspekte des Verfahrens und der Zusammenarbeit sind nicht rechtlich normiert. Dem informellen Verwaltungshandeln kommt daher grundsätzlich eine außerordentlich große Bedeutung zu. Zur Koordination besteht ein System von Arbeitsgruppen mit Vertretern von Kommission und Mitgliedstaaten. Die konkrete Ausprägung der Zusammenarbeit im Verwaltungsverbund des EU ETS unterscheidet sich hinsichtlich der zentralen administrativen Fragestellungen erheblich. Betrachtet man die zwei zentralen administrativen Steuerungs- und Überwachungsaufgaben des Emissionshandels, nämlich 1) die Allokation der Emissionszertifikate an die erfassten Akteure9 und 2) die Emissionsüberwachung und -berichterstattung, so fallen die unterschiedlichen Vollzugskonzepte ins Auge. Die Allokation der Emissionszertifikate ist in der dritten Handelsperiode materiell-rechtlich zweigeteilt gelöst. Die Versteigerung, d. h. die entgeltliche Allokation durch Veräußerung im Rahmen einer Versteigerung an einer Handelsplattform ist die Hauptzuteilungsmethode (vgl. Art. 10 Abs. 1 EHRL). Die Versteigerung von Emissionsberechtigungen richtet sich nach der Auktions-Verordnung (EU) Nr. 1031  /  2010. Die Versteigerungsmengen der einzelnen Mitgliedstaaten sind vom Grundsatz her in Art. 10 Abs. 2 EHRL geregelt und werden von der Europäischen Kommission bestimmt (Art. 10 Abs. 3 und 4 und Art. 12 der Verordnung [EU] Nr. 1031 / 2010). Vollzugstechnisch erfolgt die Versteiv. 25.10.2003), zuletzt geändert durch Richtlinie 2009  /  29  /  EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 23.04.2009 (ABl. L 140, 63 v. 05.06.2009). 8  Vgl. hierzu ausführlich Hartmann, ZuR 2011, 246 (246 ff.). 9  Diese erste und für die Effektivität des Emissionshandels als Klimaschutzinstrument maßgebliche Gestaltungfrage ist im Wesentlichen eine politische Frage, die eingebettet in die internationale und europäische Klimaschutzpolitik in der EHRL erfolgt ist.



Rechtsfragen des Verwaltungsverbundes im EU-Emissionshandel73

gerung im Wesentlichen zentralisiert an einer gemeinschaftsweiten Handelsplattform; allerdings erlaubt die Verordnung unter bestimmten Voraussetzungen und nach Genehmigung durch die EU-Kommission auch eine dezentrale Versteigerung (sog. opt-out-Klausel). Die Bundesrepublik Deutschland betreibt – ebenso wie das Vereinigte Königreich – ihre eigene Versteigerungsplattform. Die ausgewählte Versteigerungsplattform musste durch die Kommission und einen EU-Komitologieausschuss (Ausschuss für Klimaänderung) geprüft und in eine Liste in Anhang III der Verordnung aufgenommen werden (Art. 30 Abs. 6 und 7 der Verordnung [EU] Nr. 1031 / 2010). Der Auktionskalender für die Versteigerungen der Bundesrepublik Deutschland muss mit der Kommission abgestimmt werden (Art. 32 Abs. 4 UAbs. 1 S. 3 und 4 der Verordnung [EU] Nr. 1031  /  2010). Die Auktionen sollen künftig neben den nationalen Zuständigkeiten von einer europäischen Auktionsaufsicht überwacht werden (Art. 24 f. der Verordnung [EU] Nr. 1031 /  2010). Sie hat Befugnisse zur Anforderung von Informationen (Art. 53 der Verordnung [EU] Nr. 1031 / 2010) und berichtet über die Auktionen. Sowohl die gemeinsame Versteigerungsplattform, die von 25 Mitgliedstaaten genutzt wird, als auch die europäische Auktionsaufsicht werden in einem gemeinsamen Vergabeverfahren von Kommission und Mitgliedstaaten nach Art. 133 der Verordnung (EU) Nr. 1268 / 2012 durchgeführt. Die nur noch übergangsweise vorgesehene kostenlose Zuteilung von Emissionszertifikaten für die dritte Handelsperiode (2013–2020) erfolgt nach harmonisierten Zuteilungsregeln, die sich aus dem Zuteilungs-Beschluss 2011 / 278 / EU10 ergeben, der in Deutschland durch die Zuteilungsverordnung 2020 (ZuV 2020) umgesetzt ist. Die Deutsche Emissionshandelsstelle im Umweltbundesamt (DEHSt) bestimmt als zuständige Behörde auf Antrag eines Anlagenbetreibers eine vorläufige Zuteilungsmenge für die betreffende Anlage (Art. 10 Abs. 1 des Beschlusses 2011  /  278  /  EU). Die DEHSt muss diese vorläufigen Zuteilungsmengen der Europäischen Kommission unterbreiten (Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie 2003  /  87  /  EG, Art. 15 Abs. 1 und 2 des Beschlusses 2011 / 278 / EU) und diese kann die vorläufigen Zuteilungsmengen ablehnen (Art. 11 Abs. 3 der Richtlinie 2003  /  87  /  EG, Art. 15 Abs. 4 des Beschlusses 2011 / 278 / EU). In diesem verschränkten und abgestuften Verfahren bis zur endgültigen Feststellung der Zuteilungsmengen ergibt sich eine Vielzahl von Rechtsfragen (dazu näher unter III.). Weiterhin muss die DEHSt bei der Bestimmung der endgültigen Zuteilungsmengen einen Korrekturfaktor anwenden, der sicherstellt, dass eine 10  Beschluss 2011  / 278 / EU der Kommission v. 27.04.2011 zur Festlegung EUweiter Übergangsvorschriften zur Harmonisierung der kostenlosen Zuteilung von Emissionszertifikaten gemäß Art. 10a der Richtlinie 2003 / 87 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 130, 1 v. 17.05.2011).

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Gesamtmenge nicht überschritten wird, und der von der Kommission bestimmt wird (Art. 10a Abs. 5 der Richtlinie 2003  /  87  /  EG, Art. 15 Abs. 3 UAbs. 2 des Beschlusses 2011 / 278 / EU). Im Verfahren für die Zuteilung von kostenlosen Emissionsberechtigungen an Luftfahrzeugbetreiber muss die DEHSt die Zuteilungsanträge an die Europäische Kommission weiterleiten, die dann einen Richtwert berechnet, den die DEHSt bei der Zuteilungsentscheidung zugrunde legt (Art. 3e Abs. 2 bis 4 und Art. 3f Abs. 4, 5 und 7 der Richtlinie 2003 / 87 / EG). Die Zuteilungen von kostenlosen Emissionsberechtigungen werden im Unionsregister abgebildet (derzeit in Art. 51 bis 57 der Register-Verordnung [EU] Nr. 389 / 2013 geregelt). Die Emissionsüberwachung und -berichterstattung sowie deren Kontrolle als zweite zentrale Überwachungsaufgabe des Emissionshandels folgt auch in der dritten Handelsperiode dem klassischen Ansatz des Vollzuges durch die Mitgliedstaaten, wird dabei aber harmonisiert durch tertiäres Unionsrecht, das im Komitologieverfahren erlassen wurde, und Anleitungen (sog. Guidance-Dokumente) der EU-Kommission.11 Die Prüfung (Verifizierung) von Emissionsberichten und Zuteilungsanträgen von Luftfahrzeugbetreibern durch Prüfstellen (sachverständige Stellen) und deren Akkreditierung ist in der Akkreditierungs- und Verifizierungsverordnung (EU) Nr. 600 / 2012 geregelt. Die Kommission wird hier vereinzelt zu Vorgaben ermächtigt (Art. 31 Abs. 1 S. 1 der Verordnung [EU] Nr. 600 / 2012) und erhält Informationen (Art. 55 Abs. 2, Art. 64 Abs. 3 und Abs. 5 UAbs. 2 S. 1 und UAbs. 3, Art. 65 Abs. 2 der Verordnung [EU] Nr. 600 / 2012). Es ist im Rahmen der Verordnung (EU) Nr. 600 / 2012 eine Zusammenarbeit zwischen nationalen Akkreditierungsstellen sowie – sowohl national als auch mitgliedstaatenübergreifend – zwischen Emissionshandelsbehörden und Akkreditierungsstellen vorgesehen. Die vorgenannten administrativen Steuerungsaufgaben werden maßgeblich im sog. Unionsregister vollzogen. Dieses in Form einer standardisierten elektronischen Datenbank betriebene Register stellt die genaue Verbuchung der Zuteilung, Inhaberschaft, Übertragung, Abgabe und Löschung der Emissionszertifikate sicher.12 In der dritten Handelsperiode wird dieses Register 11  Siehe Verordnung (EU) Nr. 601 / 2012 der Kommission v. 21.06.2012 über die Überwachung von und die Berichterstattung über Treibhausgasemissionen gemäß Richtlinie 2003 / 87 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 181, 30 v. 12.07.2012). Ein Überblick über die Guidance-Dokumente findet sich unter http: /  / ec.europa.eu / clima / policies / ets / monitoring / documentation_en.htm. 12  Verordnung (EU) Nr. 389 / 2013 der Kommission v. 02.05.2013 zur Festlegung eines Unionsregisters gemäß der Richtlinie 2003 / 87 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates und den Entscheidungen Nr. 280 / 2004 / EG und Nr. 406 / 2009 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Verordnungen (EU) Nr. 920 / 2010 und (EU) (ABl. L 122, 1 v. 03.05.2013).



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anders als in den beiden vorangegangenen Handelsperioden durch einen Zentralverwalter, der bei der EU-Kommission ansässig ist, geführt und gewartet (vgl. Art. 4 Abs. 2 EU-Registerverordnung). Dabei folgt auch die Registerverordnung regelungstechnisch dem Leitbild des Verwaltungsverbundes mit zentraler Letztentscheidungs- und vor allem Ausführungskompetenz durch den Zentralverwalter. So sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, einen nationalen Verwalter zu benennen, der Zugang und Verwaltungskompetenz zu seinen eigenen Konten und den „seiner Gerichtsbarkeit unterstehenden Konten“ im Unionsregister hat (Art. 7 Abs. 1 i. V. m. Anhang I Registerverordnung). Zur Koordinierung besteht im Rahmen des Ausschusses für Klimaänderung eine Arbeitsgruppe der Verwalter (Art. 8 Abs. 4 der Verordnung [EU] Nr. 389 / 2013). Die Zusammenarbeit zwischen Zentralverwalter und nationalen Verwaltern bei der Durchführung von Transaktionen im Register ist in der Register-Verordnung sehr detailliert geregelt. So übermitteln die Mitgliedstaaten bzw. die Versteigerungsplattformen der Kommission Tabellen mit Mengen an Berechtigungen, die jeweils Voraussetzung dafür sind, dass Berechtigungen über das Register ausgegeben bzw. zur Versteigerung bereitgestellt werden. In der Verordnung (EU) Nr. 389 / 2013 ist an mehreren Stellen geregelt, dass diese Tabellen im Register nur erfasst bzw. Änderungen nur berücksichtigt werden, wenn die Kommission der Auffassung ist, dass sie mit der Richtlinie 2003 / 87 / EG und dem ZuteilungsBeschluss 2011 / 278 / EU bzw. der Auktions-Verordnung (EU) Nr.  1031 / 2010 in Einklang stehen (Art. 51 Abs. 2, Art. 52 Abs. 2 UAbs. 2, Art. 54 Abs. 2, Art. 55 Abs. 3, Art. 62 Abs. 2 und Art. 63 Abs. 2 und 3). Für den Fall der Ablehnung einer Tabelle durch die Kommission ist an den betreffenden Stellen teils angedeutet, teils ausdrücklich erwähnt, dass der betreffende Mitgliedstaat eine überarbeitete Tabelle zu übermitteln hat, in der er bzw. sie die Gründe der Kommission berücksichtigt. Es gibt keine weiteren Verfahrensregelungen dazu, wie unterschiedliche Auffassungen des Mitgliedstaats und der Kommission geklärt werden. Es ist ferner unklar, wie vertieft die Kommission die Tabellen prüft und in welchem Verhältnis diese Prüfung zu parallelen Kontrollbefugnissen, insbesondere der Möglichkeit, vorläufige Zuteilungsmengen nach Art.  11 Abs.  3 der Richtlinie 2003 / 87 / EG, Art.  15 Abs. 4 des Beschlusses 2011 / 278 / EU abzulehnen, steht. Der Zentralverwalter hat im Rahmen der Vorgaben der Registerverordnung die Letztentscheidungskompetenz für alle Transaktionen von Zertifikaten im Unionsregister.

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III. Verfahren der kostenlosen Zuteilung von Emissionszertifikaten an ortsfeste Bestandsanlagen für die dritte Handelsperiode 1. Regelungsrahmen

Gestützt auf Art. 10a Abs. 1 EHRL hat die Kommission am 27. April 2011 den Beschluss 2011 / 278 / EU zur Festlegung EU-weiter Übergangsvorschriften zur Harmonisierung der kostenlosen Zuteilung von Emissionszertifikaten gemäß Art. 10a der Richtlinie 2003 / 78 / EG erlassen. Dieser Beschluss über Zuteilungsregeln ist ein Rechtsakt im Rahmen der Komitologie und gestützt auf Art. 10a EHRL.13 Mit diesem Beschluss sollte in Umsetzung der Vorgaben der 2009 novellierten EHRL auf die ungleichmäßige und damit auch potentiell wettbewerbsverzerrende Allokation der Emissionszertifikate in der ersten und zweiten Handelsperiode in den Mitgliedstaaten reagiert werden und eine Zuteilung auf der Basis anspruchsvoller ex-ante durch die Kommission festgelegter Benchmarks und einheitlicher materieller Zuteilungsregeln erfolgen.14 Fraglich ist zunächst, ob sich der KOM-Beschluss zu den Zuteilungsregeln im Rahmen dessen hält, was Art. 290 AEUV als Ausdruck einer „europäischen Wesentlichkeitsdoktrin“ festlegt.15 Dabei ist Bezugspunkt für die Bestimmung der Wesentlichkeit die demokratisch-politische Dimension und damit anders als die hierfür nach deutschem Verständnis maßgebliche rechtsstaatlich-grundrechtsbezogene Dimension.16 Art. 10a Abs. 1 EHRL beschreibt die grundlegenden Kriterien, nach denen sich die kostenlose Zuteilung zu richten hat und legt insbesondere für die Ex-ante-Benchmarks fest, dass der Ausgangspunkt für deren Festlegung die durchschnittlichen Emissionen von 10 % der effizientesten Anlagen eines Sektors bzw. Teilsektors sein sollen. Damit hält der Beschluss sich im Rahmen der diesbezüglichen unionsrechtlichen Vorgaben. Andererseits ist im EU-Emissionshandelsrecht ebenso wie in anderen Rechtsbereichen eine deutliche Tendenz erkennbar, in der Richtlinie als Basisrechtsakt nur die Grundlagen und Prin13  Der Beschluss 2011  /  278  /  EU wurde im Komitologieverfahren nach Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie 2003 / 87 / EG i. V. m. Art. 5a des alten Komitologie-Beschlusses 1999 / 468 / EG erlassen; dieser Artikel gilt nach Art. 12 Abs. 2 der neuen Komitologie-Verordnung (EU) Nr. 182 / 2011 weiter. 14  Vgl. Erwägungsgrund 23 S. 1 der Änderungs-Richtlinie 2009 / 29 / EG. 15  Vgl. Gärditz, DÖV 2010, 453 (456). 16  Ruffert, in: Calliess / Ruffert, EUV / AEUV (Hrsg.), 4. Aufl. 2011, Art. 290 AEUV Rn. 10.



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zipien zu normieren und wichtige Details auf der „dritten Ebene“, die vorgeblich nur technische und administrative Details der Durchführung regeln soll, zu erfassen. Im Ergebnis zeigt dieser Beschluss, dass die Kommission über weitreichende legislative Kompetenzen verfügt. Diese politisch-regulatorischen Kompetenzen werden in dem gesamten Verfahren der kostenlosen Zuteilung mit weitreichenden administrativen Kompetenzen der Kommission verbunden. 2. Ablauf, Entscheidungswege und Entscheidungsweise

Besonders deutlich werden die weitreichenden legislativen Kompetenzen bei den verfahrens- und teilweise auch organisationsbezogenen Vorgaben des Beschlusses. So enthält Art. 10a EHRL ausdrücklich nur eine Ermächtigung der Kommission zur Festlegung materieller Zuteilungsregeln, gibt der Kommission aber keine ausdrückliche Ermächtigung, als letztentscheidende Institution über die Gesamtheit der Zuteilungen oder die Zuteilung an einzelne Anlagen zu entscheiden. Dieses Letztentscheidungsrecht findet sich eher verklausuliert in Art. 11 Abs. 3 EHRL, der festlegt, dass die Mitgliedstaaten Anlagen, deren Eintrag in die nach Art. 11 Abs. 1 zu erstellende Gesamtliste der kostenlosen Zuteilungen des betreffenden Mitgliedstaats (sog. National Implementation Measures – NIMs) die Kommission ablehnt, keine kostenlosen Emissionszertifikate zuteilen dürfen.17 Art. 15 des Beschlusses 2011 / 278 / EU legt in Abs. 3 UAbs. 1 einen Prüfauftrag der Kommission für alle Anlageneinträge sowie die den jeweiligen Anlagen zugeordneten vorläufigen Jahresgesamtmengen der kostenlos zuzuteilenden Emissionszertifikate fest. Damit wird zugleich die Vorgabe des Art. 11 Abs. 3 EHRL konkretisiert, ohne dass dort eine ausdrückliche Befugnis zum Erlass von Durchführungsregeln enthalten ist. Die Kommission hat diese Vorschrift in der Praxis so ausgelegt, dass sie ihr ein umfassendes Prüfungsrecht hinsichtlich der einzelfallbezogenen Anwendung der Zuteilungsregeln durch die Mitgliedstaaten einräumt. Tatsächlich hat dies zwangsläufig dazu geführt, dass grundsätzlich einzelne kostenlose Zuteilungen an Anlagen in der EU einer Doppelprüfung durch den zuständigen Mitgliedstaat und die Kommission unterliegen und sofern man die unabhängige Prüfung durch die unabhängige externe Prüfstelle hinzunimmt, sogar eine dreifache Prüfung der gleichen Antragsdaten zur Folge hat. Kaum ausreichend für die Recht17  Dieser Absatz wurde allerdings ursprünglich nicht von der Kommission vorgeschlagen, sondern in der Ursprungsfassung erst im Laufe der Verhandlungen im Rat auf Vorschlag von Österreich, Belgien, Dänemark, Griechenland und dem Vereinigten Königreich in die Richtlinie aufgenommen. Das Argument dieser Mitgliedstaaten war u. a. gerade, dass eine stärkere Aufsicht der Kommission nötig sei (siehe Interinstitutionelles Dossier 2008 / 0013 (COD) v. 08.09.2008).

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fertigung dieser umfassenden Prüfungskompetenz ist jedenfalls die erforderliche Festlegung des einheitlichen sektorübergreifenden Korrekturfaktors zur Einhaltung der Gesamtzertifikatsmenge, die für die kostenlose Zuteilung zur Verfügung steht (vgl. Art. 10a Abs. 5 EHRL i. V. m. Art. 15 Abs. 3 UAbs. 2 Beschluss 2011 / 278 / EU). Hierfür wäre in wörtlicher Auslegung des Art. 15 Abs. 3 UAbs. 1 wirklich nur die Tauglichkeit der gemeldeten Anlage für eine kostenlose Zuteilung (d. h. der Anlageneintrag) und die der Anlage zugeordneten vorläufigen Jahresgesamtmengen zu prüfen bzw. zu erfassen gewesen. Auch mit den Erfordernissen, einen einheitlichen Vollzug sicherzustellen und Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden, lässt sich die tatsächliche Vorgehensweise kaum rechtfertigen, da dies u. a. der Bindung der Mitgliedstaaten durch Art. 291 Abs. 1 AEUV und dem primärrechtlich verankerten Subsidiaritätsprinzips (Art. 5 Abs. 3 AEUV) zuwider laufen würde. Zudem könnte mit diesem Argument nahezu jede Zentralisierung von Vollzugsaufgaben in der Union begründet werden. Andererseits muss der Kommission ein Beurteilungsspielraum eingeräumt werden, wie sie die ihr zugewiesenen Aufgaben im Einzelnen wahrnimmt. Aus der der Kommission in Art. 15 Abs. 4 des Beschlusses eingeräumten Möglichkeit, einen Eintrag abzulehnen, könnte auch gefolgert werden, dass die umfassende Prüfung der Einträge als weniger eingriffsintensive Maßnahme von dem Recht auf Ablehnung umfasst ist. Neben dem von der Kommission wahrgenommenen Prüfungsrecht ist die von der Kommission in der Praxis vorgenommene tatsächliche Verknüpfung der Zustimmung zur kostenlosen Zuteilung für jede einzelne von den Mitgliedstaaten in den sog. Nationalen Umsetzungsmaßnahmen (National Implementation Measures – NIMs, d.  h. der Gesamtliste aller vorläufigen kostenlosen Zuteilungen für ortsfeste Anlagen in einem Mitgliedstaat) gemeldeten Anlagen mit der Gesamtentscheidung über diese Nationalen Umsetzungsmaßnahmen des betreffenden Mitgliedstaates bemerkenswert. Nach Art.  1 Abs.  3 des Beschlusses 2013 / 448 / EU18 dürfen die Mitgliedstaaten die endgültige Gesamtmenge der Zuteilungen erst dann bestimmen, wenn die von der Kommission im Einzelfall erhobenen Einwände gegen einzelne Zuteilungsentscheidungen durch entsprechende Änderungen ausgeräumt sind. Diese Verknüpfung aller kostenlosen Zuteilungen in einem Mitgliedstaat miteinander ist jedenfalls in Art. 11 Abs. 3 EHRL nicht angelegt, sondern dort wird nur die Befugnis zur Ablehnung der Zuteilung für einzel18  Beschluss 2013  / 448 / EU über nationale Umsetzungsmaßnahmen für die übergangsweise kostenlose Zuteilung von Treibhausgasemissionszertifikaten gemäß Art. 11 Abs. 3 der Richtlinie 2003  /  78  /  EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 240, 27 v. 07.09.2013). Dieser Beschluss ist auf Art. 10a und 11 der EHRL gestützt, führt aber letztlich die Ermächtigung in Art. 15 Abs. 3 UAbs. 1 und Abs.  4 des Beschlusses 2011 / 278 / EU aus.



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ne Anlagen festgelegt. Die Vorgehensweise der Kommission findet allerdings einen rechtlichen Anknüpfungspunkt in Art. 15 Abs. 4 des Beschlusses 2011 / 278 / EU. In der Praxis hat diese Verknüpfung ganz erhebliche Konsequenzen, da sie die Mitgliedstaaten letztlich dazu zwingt, sich umgehend der Entscheidung der Kommission zu beugen, da andernfalls sämtliche Zuteilungen in dem betreffenden Mitgliedstaat aufgehalten werden, was wiederum weitere potentielle rechtliche Konsequenzen, z. B. in Form von Amtshaftungsansprüchen etc. haben kann. So führte diese Regelung in der bisherigen Praxis auch dazu, dass alle Mitgliedstaaten mit Ausnahme von Deutschland und Tschechien zur Vermeidung einer förmlichen Ablehnung ihrer nationalen Umsetzungsmaßnahmen die von der Kommission verlangten Änderungen bereits vorab, d. h. ohne eine förmliche Entscheidung der Kommission, vorgenommen haben. Auch Deutschland hat einen Großteil der auferlegten Änderungen bereits vorab, d. h. ohne die förmliche Entscheidung der Kommission durch den Beschluss 2013  /  448  /  EU abzuwarten, vorgenommen. Dies geschah ganz maßgeblich auch zur Verhinderung von zeitlichen Verzögerungen, die die Zuteilung an alle rund 1.800 betroffenen deutschen Anlagenbetreibern aufgehalten hätte. Die Änderung von Zuteilungen ohne förmliche Ablehnungsentscheidung der Kommission würde im Falle von Nichtigkeitsklagen der Mitgliedstaaten gegen tatsächliche Kommissionsentscheidungen zur kostenlosen Zuteilung die Frage aufwerfen, ob überhaupt noch ein Rechtsschutzbedürfnis besteht. Angesichts dieser potentiellen Rechtsschutzverkürzung für die Mitgliedstaaten im Falle einer Nichtigkeitsklage ist das in dem Durchführungsrechtsakt festgelegte Vorgehen mangels ausreichender sekundärrechtlicher Ermächtigung rechtlich zumindest zweifelhaft. Die Vorgehensweise widerspricht in tatsächlicher Hinsicht einem kooperativen Zusammenwirken der beteiligten Behörden. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch eine nähere Betrachtung der Rechtsnatur der Kommissionsentscheidung im Rahmen des Beschlusses 2013  /  338  /  EU. Danach hat die Kommission keine positive Entscheidung über jede einzelne Zuteilung vorgenommen, sondern „nur“ bestimmte Zuteilungen abgelehnt, die sie in Anhang I des Beschlusses konkretisierte, indem sie die Registernummern der zugehörigen Anlagen genannt hat.19 Damit hätte die Kommission nicht die einzelnen Zuteilungsentscheidungen konstitutiv genehmigt, sondern, von den abgelehnten Zuteilungen abgesehen, nur kleine Einwände erhoben, mit der möglichen Konsequenz, dass es an einer rechtsbegründenden Entscheidung fehlt. Dies erscheint mit Blick auf Art. 11 Abs. 3 EHRL zunächst folgerichtig. Es liegt nahe, diese Vorge19  Allerdings wird in Art. 2 des Beschlusses 2013 / 448 / EU festgestellt, dass unbeschadet des Art. 1 keine Einwände gegen die Verzeichnisse der nationalen Umsetzungsmaßnahmen erhoben werden. Eine positive konstitutive Genehmigung kann man darin aber wohl kaum sehen.

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hensweise auch mit Blick auf Art. 263 UAbs. 4 AEUV, der die Voraussetzungen für den Individualrechtsschutz gegen Unionsrechtsakte normiert, zu erklären. So könnte mit der Art und Weise der Entscheidung vor allem eine unmittelbare und individuelle Betroffenheit einzelner Anlagenbetreiber im Sinne dieser Vorschrift grundsätzlich ausgeschlossen werden. Dies ist jedenfalls für alle die Anlagenbetreiber, deren Anlagen nicht in Art. 1 i. V. m. Anhang I des Beschlusses aufgeführt werden, naheliegend. Hinsichtlich der in Art. 1 i. V. m. Anhang I des Beschlusses aufgeführten Anlagen ist der Ausschluss einer unmittelbaren und individuellen Betroffenheit wohl trotz dieser Regelungstechnik schwieriger zu begründen. Insgesamt würden sich die eingeschränkten Möglichkeiten des Individualrechtsschutzes im Unionsrecht20 auf diese Weise mit der Regelungstechnik des Beschlusses 2011 /  278 / EU gewissermaßen fortsetzen. Die damit aufgeworfene Rechtsfrage, ob und unter welchen Voraussetzungen möglicherweise eine unmittelbare und individuelle Betroffenheit von Anlagenbetreibern durch den Beschluss gegeben ist, die eine Klagebefugnis nach Art. 263 AEUV auslöst, wird hier aber nicht weiter vertieft. Die Regelungstechnik und die Vorgehensweise der Kommission bedeutet insofern auch eine Fortsetzung der Vorabkontrolle der nationalen Allokationspläne nach Art. 9 Abs. 3 EHRL in der Fassung vom 13. Oktober 2003. In der Rs. T-387 / 04 (EnBW Energie Baden-Württemberg) hat der EuGH u. a. festgestellt, dass das Verfahren zur Prüfung der nationalen Allokationspläne durch die Kommission nicht zu einer rechtsbegründenden Entscheidung in Form einer Genehmigungsentscheidung führen muss.21 Im Hinblick auf die endgültige Zuteilungsentscheidung nach § 9 TEHG ist die Entscheidung der Kommission über die nationalen Umsetzungsmaßnahmen einem gestuften oder mehrstufigen Verwaltungsakt vergleichbar. Es handelt sich dabei nicht um einen selbständigen Beschluss im Verhältnis zu den einzelnen Anlagenbetreibern. Einer Einordnung als selbständiger Verwaltungsakt gegenüber den Anlagenbetreibern steht auch bei ausschließlicher Betrachtung des deutschen Rechts die fehlende selbständige Bedeutung dieser Entscheidung nach den dafür maßgeblichen Rechtsvorschriften ent­ gegen.22 Diesem gestuften Verwaltungsakt entspricht in der begrifflichen Logik des deutschen Verwaltungsverfahrensrechts die Vorgreiflichkeit des 20  So muss der Einzelne, wenn er im europäischen Gerichtsverfahren Rechtsschutz erlangen will, ohne Verpflichtungs-, Leistungs- oder Feststellungsklagen auskommen, sondern kann allenfalls über Nichtigkeits-, Unterlassungs- oder Schadensersatzklage versuchen, seine Rechte zu wahren, vgl. Kment, JuS 2011, 211 (215). 21  EuGH, Rs. T-387 / 04, Slg. 2007, II-1195 Rn. 112 ff. – EnBW Energie BadenWürttemberg AG / Kommission. 22  Vgl. Kopp / Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl. 2013, § 35 Rn. 78 m. w. N.



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Genehmigungsverfahrens für die nationalen Umsetzungsmaßnahmen durch die Kommission. Der vorherige Abschluss dieses Verfahrens ist eine zwingende Voraussetzung für den Abschluss des Zuteilungsverfahrens durch eine Zuteilungsentscheidung des Umweltbundesamtes als Verwaltungsakt gegenüber dem einzelnen Anlagenbetreiber. Anders als bei rein nationalen Sachverhalten, bei denen bei Klagen in Bezug auf den ergehenden Verwaltungsakt über die Rechtmäßigkeit behördlicher Entscheidungen im Innenverhältnis – im Falle der Erheblichkeit – zugleich mitentscheiden würde23, ist diese Möglichkeit vorliegend nicht gegeben. Sowohl mit Blick auf die rechtliche Wirkung der Entscheidung als auch auf den Entscheidungsprozess ist es jedoch naheliegend, von einer konstitutiven Zustimmung (bzw. einer Genehmigung) für jede einzelne Zuteilungsentscheidung durch die Kommission zumindest in den Fällen auszugehen, in denen die Kommission Änderungen an den vorläufigen Zuteilungsentscheidungen der Mitgliedstaaten verlangt hat. Denn in diesen Fällen liegt eine rechtsbegründende bzw. zugleich ablehnende Entscheidung der Kommission in der Sache vor, auch wenn die von der Kommission verlangten Änderungen nicht von ihr, sondern von den mitgliedstaatlichen Behörden vorgenommen wurden, um eine Ablehnung ihrer nationalen Umsetzungsmaßnahmen zu vermeiden. Im Ergebnis führt dies dazu, dass die Kommission gegenüber den mitgliedstaatlichen Behörden ein faktisches Weisungsrecht in Anspruch genommen hat, auch wenn sich ein aktives Weisungsrecht weder aus Art. 15 des Beschlusses 2011 / 278 / EU ergibt, noch tatsächlich eine ausdrückliche schriftliche Weisung vorliegt. Gegen diese Wertung kann eingewendet werden, dass sich aus Art. 11 Abs. 3 EHRL und Art. 15 Abs. 4 des Beschlusses 2011 / 278 / EU nur eine Ablehnungsbefugnis ergibt und sich auch nur diese in dem Beschluss 2013 / 448 / EU wiederfindet. Dem ist zuzugeben, dass juristisch klar zwischen einer Ablehnungsbefugnis und einer Weisungsbefugnis differenziert werden kann und muss. Betrachtet man aber den tatsächlichen Ablauf des Zuteilungsverfahrens so ist festzustellen, dass die Androhung einer Ablehnung der nationalen Umsetzungsmaßnahmen der Mitgliedstaaten durch die Kommission in der praktischen Konsequenz den Effekt einer Weisung hatte. Nach deutschem Verwaltungsverständnis würde ein Weisungsrecht eine Fach- oder Rechtsaufsicht der weisenden Behörde voraussetzen. Eine ausdrückliche Fach- oder Rechtsaufsicht der Kommission ist aber weder in der EHRL noch in dem Beschluss 2011 / 278 / EU festgelegt worden, es sei denn, man sieht in der Ablehnungsbefugnis inzident eine partielle Rechtsaufsicht verankert. Vor diesem Hintergrund ist es auch fragwürdig, dass die Kommission im Zuteilungsverfahren die zuständigen Behörden der Mitgliedstaa23  Vgl.

Kopp / Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl. 2013, § 9 Rn. 43 f.

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ten evaluiert hat, was etwa beinhaltete, dass die Kommission während des Zuteilungsverfahrens die Deutsche Emissionshandelsstelle mit mehreren Kommissionsbediensteten besucht hat, um sich ein Bild über die Vorgehensweise bei der Antragsprüfung in Deutschland zu verschaffen. Diese Antragsprüfung findet vor der Erstellung der Liste der nationalen Umsetzungsmaßnahmen statt. Bezugspunkt der Evaluation sind also nicht die nationalen Umsetzungsmaßnahmen, sondern die diese vorbereitenden Prüfungen der Mitgliedstaaten. Diese Evaluationen geschahen auch nicht auf der Basis einer freiwilligen Vereinbarung oder eines Erfahrungsaustausches. Eine Rechtsgrundlage für die Evaluationen ist nicht vorhanden. Art. 7 Abs. 9 Beschluss 2011 / 278 / EU regelt nur, dass die Mitgliedstaaten der Kommission die nach Art. 7 erhobenen Daten zur Verfügung stellen müssen, gestattet aber keine Vor-Ort-Prüfungen. Auch die deutsche Ministerialbürokratie ist als zwischengelagerte Ebene an dem Verwaltungsverbund zur Entscheidung über die kostenlose Zuteilung beteiligt. Im Gegensatz etwa zum Regulierungsrecht besteht im EU ETS keine unionsrechtlich angeordnete Ministerialfreiheit der zuständigen nationalen Behörden.24 Insgesamt ist die Rolle der Ministerien in dem Verfahren zur kostenlosen Zuteilung aber eher von untergeordneter Bedeutung. So übt das BMUB die Fachaufsicht über die Deutsche Emissionshandelsstelle als Teil des Umweltbundesamtes als Bundesoberbehörde (vgl. Art. 87 Abs. 3 GG) aus. Die (vorläufigen) nationalen Umsetzungsmaßnahmen gemäß Art. 15 des Beschlusses 2011 / 278 / EU wurden und werden zwischen den beteiligten Ressorts, also v. a. BMUB und BMWi abgestimmt, bevor sie über die Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der Europäischen Union der Kommission förmlich notifiziert werden. Da aber den Ministerien die zugrundeliegenden Antragsdaten und Prüfungsroutinen der DEHSt nicht ohne Weiteres bekannt sind und auch der anlagenspezifische technische Sachverstand dort nicht vorhanden ist, ist es bislang kaum zu Änderungen an den gemeldeten deutschen Umsetzungsmaßnahmen im Zuge der Prüfung durch das BMUB bzw. der Abstimmung zwischen den Ressorts gekommen. Gegenüber der Kommission können die Ministerien zwar für den Mitgliedstaat Deutschland verhandeln.25 In Anbetracht der beschriebenen Letztentscheidungskompetenz der Kommission und des Fehlens von Mitentscheidungskompetenzen der Mitgliedstaaten waren diese – bislang nur in wenigen Fällen stattfindenden – Verhandlungen aus deutscher Sicht jedoch kaum erfolgreich. Mitursächlich für diese Erfolglosigkeit sind der 24  Siehe zur Ministerialfreiheit im Regulierungsrecht Ludwigs, RdE 2013, 297 (300 f.). 25  Vgl. § 37 Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien. Diese Aufgabe kann auch auf nachgeordnete Behörden delegiert werden.



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Zeitdruck, unter dem alle Abstimmungen im Zuteilungsverfahren stattfanden und die fehlende Möglichkeit der Mitgliedstaaten, zeitnah eine gerichtliche Klärung der Kommissionsentscheidungen durch den EuGH oder aber in einem speziell hierfür geschaffenen Beschwerdeverfahren herbeizuführen. 3. Beteiligungsrechte Betroffener und Rechtsschutzmöglichkeiten

Die Qualität eines Verwaltungsverfahrens hängt auch von den Beteiligungsmöglichkeiten der Betroffenen, d. h. im Zuteilungsverfahren v. a. den Adressaten der Zuteilungsentscheidungen, ab. Grundsätzlich gilt, dass mit zunehmender Eingriffstiefe in rechtlich geschützte Positionen der Betroffenen die Bedeutung der Beteiligungsrechte zunimmt. Die wesentlichen Beteiligungsrechte sind das Recht auf Anhörung, das Akteneinsichtsrecht und die Begründungspflicht der Behörden für die getroffenen Entscheidungen. In Verwaltungsverfahren, die wie das Zuteilungsverfahren einen Antrag auf Erlass eines begünstigenden Verwaltungsaktes voraussetzen, besteht nach der herrschenden Rspr. keine Anhörungspflicht nach § 28 VwVfG.26 In der behördlichen Praxis der Deutschen Emissionshandelsstelle erfolgt regelmäßig eine gesonderte Anhörung bzw. Nachforderung, falls dem Antrag nicht vollumfänglich stattgegeben wird, bzw. sonstige Änderungen beabsichtigt sind. Auch das Unionsrecht kennt den Grundsatz des rechtlichen Gehörs.27 So regelt Art. 41 Abs. 2 GRCh drei wesentliche Beteiligungsrechte und gestaltet sie als Individualgrundrechte aus: Erstens das Anhörungsrecht der Betroffenen; zweitens das Recht auf Akteneinsicht und drittens die Begründungspflicht der Verwaltung. Fraglich ist, ob sich im Zuteilungsverfahren erneut Anhörungsrechte der Betroffenen gegenüber der Kommission bzw. Anhörungspflichten der Kommission ergeben haben. Die Kommission hat in Fällen, in denen sie veranlasst hat, dass Zuteilungen zu Lasten der Antragsteller geändert wurden, keine Anhörungen durchgeführt. Legt man die Konzeption des Beschlusses 2011 / 278 / EU, d. h. die ausschließliche Gesamtentscheidung über die nationalen Umsetzungsmaßnahmen zugrunde, so musste die Kommission dies auch nicht, da sie keine Einzelentscheidungen getroffen hat. Dieser zunächst schlüssige Rechtsstandpunkt wird aber zweifelhaft, wenn man den im vorhergehenden Abschnitt beschriebenen tatsächlichen Vollzug betrachtet. Fraglich ist damit, ob die Kommission nicht bei den Einträgen in den nationalen 26  Kopp / Ramsauer,

VwVfG, 14. Aufl. 2013, § 28 Rn. 26 ff. m. w. N. ausführlich Nowak, in: Terhechte (Hrsg.), Verwaltungsrecht der Europäischen Union 1. Aufl. 2011, § 14 Rn. 37 ff. 27  Vgl.

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Umsetzungsmaßnahmen, bei denen sie vorläufige Zuteilungsentscheidungen der Mitgliedstaaten abgelehnt bzw. deren Abänderung verlangt hat, die Beteiligungsrechte des Art. 41 GRCh hätte beachten müssen. Der Wortlaut des Art. 41 Abs. 2, 1. Spstr. GRCh fordert „individuelle Maßnahmen“, um die Anhörungsrechte auszulösen. Gegen solche individuellen Maßnahmen spricht, dass die Kommission den Mitgliedstaaten als Adressaten ihres Beschlusses 2013 / 448 / EU in den Fällen, in denen sie Einzelentscheidungen nicht für rechtskonform gehalten hat, beteiligt und die tatsächlich Neuberechnung der Zuteilungsmengen letztlich immer den Mitgliedstaaten auf der Grundlage ihrer Vorgaben auferlegt hat. Wie ausgeführt, wirken sich aber die Entscheidungen der Kommission in diesen Fällen unmittelbar, d. h. ipso facto auf die Betroffenen aus, da die Mitgliedstaaten diese Entscheidungen – zumindest unter rein praktischen Aspekten – vollziehen müssen und eine Möglichkeit der Mitgliedstaaten zur Gegenvorstellung gegenüber der Kommission die Beteiligungsrechte der von den Zuteilungsentscheidungen betroffenen Anlagenbetreiber nicht ersetzen kann. Ob und falls ja, in welchem Umfang verfahrensbezogene Akteneinsichtsrechte durch die Kommission gewährt wurden, entzieht sich der Kenntnis des Verfassers. Es gab (zumindest teilweise) erfolgreiche Anträge auf Zugang zu verfahrensrelevanten Daten des Zuteilungsverfahrens als Umweltinformationen nach der Umweltinformationsrichtlinie28 und nach der sog. Transparenzverordnung 1049 / 2001 / EG.29 Die Begründungspflicht für die Zuteilungsentscheidung obliegt wiederum in vollem Umfang den mitgliedstaatlichen Behörden, die insoweit auch die Möglichkeit haben, Entscheidungen, zu denen sie von der Kommission angehalten wurden, in der Begründung für die Zuteilungsentscheidung entsprechend zu erläutern. In der Gesamtbetrachtung ist festzustellen, dass Beteiligungsrechte Betroffener im europäischen Teil des Zuteilungsverfahrens nur ansatzweise vorhanden sind. Fraglich ist, ob sich diese kaum vorhandenen Beteiligungsrechte im Verwaltungsverfahren auch im Rahmen des Rechtsschutzes fortsetzen werden. Trotz der skizzierten Ausgestaltung des Beschlusses der Kommission über die nationalen Umsetzungsmaßnahmen unter anderem wohl mit der Zielsetzung Individualrechtsschutz auszuschließen, dürfte die Frage, ob Nichtigkeitsklagen betroffener Anlagenbetreiber zulässig sind, 28  Richtlinie 2003 / 4 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 28.01.2003 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen und zur Aufhebung der Richtlinie 90 / 313 / EWG des Rates (ABl. Nr. L 41, 126 v. 14.02.2003). 29  Verordnung (EG) Nr. 1049  / 2001 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 30.05.2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (ABl. Nr. L 145, 43 v. 31.05.2001).



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d. h. die Klagebefugnis wegen unmittelbarer und individueller Betroffenheit vorliegt, einer Klärung durch die europäische Gerichtsbarkeit zugeführt werden. Unabhängig von dieser Frage ist in diesem Zusammenhang erwähnenswert, dass Art. 263 UAbs. 5 AEUV die Möglichkeit eröffnet, in Rechtsakten zur Gründung von Einrichtungen und sonstigen Stellen besondere Bestimmungen für die Erhebung von Individualklagen vorzusehen. Im Zusammenhang mit möglichen zukünftigen Überlegungen zur Schaffung einer zentralen europäischen Emissionshandelsbehörde erscheint es angezeigt, von dieser Möglichkeit unter bestimmten, noch zu diskutierenden Voraussetzungen, Gebrauch zu machen. Individualrechtsschutz besteht in Deutschland unzweifelhaft über die Möglichkeit, die Zuteilungsentscheidung als Verwaltungsakt gemäß § 35 VwVfG im Widerspruchsverfahren überprüfen zu lassen und im Anschluss ggf. einer verwaltungsgerichtlichen Klärung zuzuführen. In diesen Verfahren kommen aber erneut die Herausforderungen des Verwaltungsverbundes zum Tragen. So müsste beispielsweise im Falle einer Stattgabe des Widerspruchs gegen eine Zuteilungsentscheidung auch die Kommission der geänderten Zuteilungsentscheidung zustimmen. Hebt ein deutsches Verwaltungsgericht eine Zuteilungsentscheidung ganz oder teilweise auf, so würde es damit nach der hier vertretenen Ansicht zumindest in bestimmten Fällen inzident auch eine Entscheidung der Kommission abändern. Im Hinblick auf die Kommissionsentscheidung besteht aber keine sachliche Zuständigkeit der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit. Fraglich ist deshalb, ob im Falle einer beabsichtigten (Teil-)Stattgabe einer Klage oder unter Umständen auch bei einer beabsichtigten Klageabweisung ein Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV durchzuführen ist, um die Rechtmäßigkeit des europäischen Teils des Zuteilungsverfahrens von den Unionsgerichten klären zu lassen. Grundsätzlich denkbar erscheint es, Fallgruppen zu bilden, die ein Vorabentscheidungsverfahren auslösen müssen, z. B. bei allen Rechtsfragen, die die Auslegung des Beschlusses 2011 / 278 / EU betreffen und Fallgruppen, bei denen dies nicht der Fall ist, z. B. möglicherweise fehlerhafte Tatsachenfeststellungen der DEHSt. Es bleibt abzuwarten, wie die zuständigen Verwaltungsgerichte mit dieser Problematik umgehen werden. Unabhängig davon ist aber festzuhalten, dass das Vorabentscheidungsverfahren grundsätzlich nicht für individualrechtsschutzbezogene Fallkonstellationen in diesem Umfang gedacht war und auch eher ungeeignet erscheint, fehlende Individualrechtsschutzmöglichkeiten auf europäischer Ebene zu kompensieren. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass aufgrund verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen notwendige Änderungen von Zuteilungen wiederum von der Kommission genehmigt und im Unionsregister vollzogen werden müssen. Die Kommission kann also, sofern sie sich nicht an die Entscheidung eines nationalen Verwaltungsgerichts mit Blick auf die Besonderheiten des Zutei-

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lungsverfahrens als gestuftem Verwaltungsverfahren gebunden sehen würde, kraft ihrer Letztentscheidungs- und Ausführungskompetenz die Durchsetzung eines verwaltungsgerichtlichen Urteils verhindern. Auch dies zeigt, dass es letztlich einer effektiven Rechtskontrolle durch die europäische Gerichtsbarkeit oder aber einer – tatsächlich eher fernliegenden und auch hinsichtlich ihrer rechtlichen Zulässigkeit noch zu prüfenden – speziellen Unterwerfung der Kommission in allen die kostenlose Zuteilung betreffenden Rechtsfragen unter die mitgliedstaatliche Verwaltungsgerichtsbarkeit bedarf. Die Kommission könnte allerdings möglicherweise auch im Wege der Selbstbindung festlegen, dass sie Entscheidungen der nationalen Gerichte über falsche Berechnungen im Einzelfall ohne eigene Prüfung vollzieht. 4. Schlussfolgerungen

Der gegenwärtige Verwaltungsverbund für die kostenlose Zuteilung sieht für die mitgliedstaatlichen Behörden in der Praxis im Wesentlichen die Stellung als eine Art Verwaltungshelfer der Kommission vor. Der Verwaltungsverbund zeichnet sich kaum durch eine verrechtlichte Kooperation aus, sondern die Kommission hat in dem Verfahren der kostenlosen Zuteilung faktisch die Rolle einer Fachaufsichtsbehörde eingenommen, die Aufsichtsbefugnisse ausübt und – abgesehen von den Möglichkeiten einer gerichtlichen Klärung – die Letztentscheidungsbefugnis für alle Zuteilungsentscheidungen hat. Im Ergebnis lässt sich also von einer partiell vergemeinschafteten Verwaltung mit einer institutionellen Verwaltungskooperation sprechen. Das gesamte Verfahren der kostenlosen Zuteilung für ortsfeste Bestandsanlagen hatte in Deutschland, aber auch in anderen Mitgliedstaaten unter Einbeziehung der Antragsfrist eine Dauer von deutlich über zwei Jahren. Die in der EHRL vorgesehenen Fristen für die Zuteilungsentscheidungen und die Ausgabe der Emissionszertifikate wurden nicht eingehalten. Man kann dem Verfahren schon aus diesem Grund keine besondere Effizienz bescheinigen. In erheblichem Umfang fanden Doppelprüfungen der zugrunde liegenden Antragsdaten statt. Eine bewusste und klare Aufgabenverteilung hinsichtlich der vorzunehmenden Datenprüfungen gab es nicht. Die Prüfungspraxis der Kommission war vielfach durch Misstrauen gegenüber den Behörden der Mitgliedstaaten geprägt. Dieses Misstrauen kann sich allerdings kaum auf empirische Befunde über Fehlentscheidungen mitgliedstaatlicher Behörden stützen, da es in der ersten und zweiten Handelsperiode keine harmonisierten Allokationsregeln gab und im Übrigen ein fehlerhafter Vollzug der nationalen Allokationspläne in den ersten beiden Handelsperioden durch die Behörden der Mitgliedstaaten durch die Kommission bislang empirisch nicht belegt worden ist. Dieses Misstrauen steht letztlich auch im Widerspruch zum Charakter der Union als Rechtsgemeinschaft. Der



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durch die lange Verfahrensdauer verstärkte Zeitdruck hat die Wirkung der fehlenden rechtlichen Möglichkeiten einer angemessenen Bewältigung von Meinungsverschiedenheiten und Konflikten zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten noch verstärkt. Welche Erkenntnisse lassen sich aus diesen Erfahrungen für den Verwaltungsverbund bzw. die Verwaltungskooperation zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten im Verfahren der kostenlosen Zuteilung von Emissionszertifikaten ziehen? (1) Grundsätzlich ist die Durchführung der kostenlosen Zuteilung in der dritten Handelsperiode im Verwaltungsverbund sinnvoll und gerechtfertigt, weil bei einem ausschließlichen Vollzug der Zuteilungsregeln durch die Mitgliedstaaten wegen möglicher Disparitäten bei der Durchführung die konsistente Anwendung der Regeln gefährdet wäre. Hinsichtlich der konkreten normativen und vor allem faktischen Ausgestaltung sind aber sowohl Zweifel an der rechtlichen Zulässigkeit als auch der Zweckmäßigkeit angebracht. (2) Der Grundsatz der institutionellen und verfahrensmäßigen Autonomie der Mitgliedstaaten30 bzw. der Grundsatz der Anwendung der nationalen Verfahrens- und Prozessordnungen ist durch die vorhandenen Regelungen und deren praktische Anwendung in nicht unerheblichem Umfang außer Kraft gesetzt bzw. modifiziert worden. (3) Es liegt weniger eine Verwaltungskooperation, sondern vielmehr eine Hierarchisierung der Entscheidungswege vor. (4) Das Zuteilungsverfahren für die kostenlose Zuteilung von Emissionszertifikaten für die dritte Handelsperiode zeichnet sich teilweise durch mangelnde bzw. unklare Beteiligungs- und Rechtsschutzmöglichkeiten für die betroffenen Anlagenbetreiber aus. Damit verbunden sind zum Teil mangelnde Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Entscheidungen. IV. Weiterentwicklung der verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorgaben im EU ETS Für die Zukunft ist es vor dem Hintergrund der bisherigen Erfahrungen sinnvoll, die Aufgabenverteilung und die Zusammenarbeit der beteiligten Behörden im Verwaltungsverbund klar zu regeln. Die beschriebenen Verfahrensweisen und deren teilweise unzureichende rechtliche Normierung zeigen die Notwendigkeit, nicht nur die materiellen Regeln für die kostenlose Zu30  Siehe hierzu Stettner, in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, 34. Ergänzungslieferung 2013, B III, Rn. 9 f.

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teilung vollständig zu harmonisieren, sondern auch die Durchführung der diesbezüglichen Verwaltungsverfahren und die Kooperation zwischen den mitgliedstaatlichen Behörden und der Kommission in einer verfahrensbezogenen Durchführungsverordnung zu regeln. Für eine solche Verfahrensverordnung könnte bei der geplanten Novellierung der EHRL im Zuge der Umsetzung des Weißbuchs für Energie und Klima in der Periode 2020– 203031 eine entsprechende Verordnungsermächtigung geschaffen werden. Ausgangspunkt für die Überlegung, welche Regelungsgegenstände in eine solche Verfahrensverordnung aufgenommen werden sollten, ist eine Analyse des gegenwärtigen verwaltungsverfahrensrechtlichen Normbestandes. Das bestehende Verwaltungsverfahrensrecht der Union setzt sich nicht aus einem einheitlichen Rechtsakt zusammen, sondern enthält neben den primärrechtlichen Grundsätzen in Art. 41 GRCh zahlreiche sekundärrechtliche Ein­ zelbestimmungen für bestimmte Regelungsbereiche sowie „soft law“, wie beispielsweise den Kodex für gute Verwaltungspraxis für die Organe und Einrichtungen der Europäischen Union.32 Die EHRL selbst enthält, abgesehen von den verfahrensbezogenen Vorgaben für das Verfahren der kostenlosen Zuteilung von Emissionszertifikaten und verfahrensbezogenen Regelungen in den Durchführungsverordnungen, keine allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorgaben in Form von Beteiligungsrechten für die am Verfahren Beteiligten. Ursächlich hierfür ist vor allem, dass entsprechende Regelungen im Unionsrecht nur als Annexkompetenz zur Sachmaterie zulässig sind und deswegen notwendig Stückwerk bleiben und ein allgemeines Verwaltungsverfahrensrecht nicht ersetzen können. Aus Anlass der geplanten Neuregelung der Bankenaufsicht in der EU hat das Europäische Parlament die Kommission zum Entwurf eines allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts für die Union aufgefordert.33 Ziel ist es, den in der Bankenaufsicht – aber auch in anderen Bereichen und wie gezeigt auch im EU ETS bestehenden oder geplanten – weitreichenden Handlungs- und Eingriffsbefugnisse der EZB respektive der Kommission oder anderer EUEinrichtungen ein allgemeines Verwaltungsverfahrensrecht gegenüber zu stellen.34 Primärrechtliche Kompetenzgrundlage hierfür könnte Art. 298 Abs. 1 AEUV sein.35 Art. 298 Abs. 1 AEUV legt fest, dass es eine „offene, effiziente und unabhängige europäische Verwaltung“ geben soll. Die Ver31  COM(2014)

15 final. des Europäischen Parlaments über einen Kodex für gute Verwaltungspraxis (2011 / C 285 / 03) v. 29.09.2011 (ABl. Nr. C 285, 3). 33  Europäisches Parlament, Dokument A7-0369 / 2012. 34  Hierzu ausführlich Geber, EuZW 2013, 298 (298 ff.). 35  Geber, EuZW 2013, 298 (300 f. m. w. N.). 32  Beschluss



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tragsbestimmung bezieht sich allerdings nur auf die europäische Verwaltung, so dass es zweifelhaft ist, ob diese Vorschrift auch für übergreifende verwaltungsverfahrensrechtliche Regelungen der Verwaltungstätigkeit im Verwaltungsverbund herangezogen werden kann. Ebenfalls fraglich ist, ob und in welchem Umfang das vor den mitgliedstaatlichen Behörden ablaufende Verwaltungsverfahren einer sekundärrechtlichen Regelung zugänglich ist. Hinsichtlich des sektoralen Erlasses, d. h. also gegenständlich auf eine bestimmte Sachmaterie, wie den EU ETS, begrenzten Verwaltungsverfahrensrechts bestehen insoweit keine Bedenken, da diese Regelungen regelmäßig auf eine Annexkompetenz zur jeweiligen Sachkompetenz gestützt werden können.36 Als Alternative zu spezialgesetzlichen Regelungen kommt die Entwicklung eines europäischen Verwaltungsverfahrensgesetzes in Betracht. Ein solches Verwaltungsverfahrensgesetz könnte als „Handlungsrecht der Verwaltung“, den an europäischen Verwaltungsverfahren beteiligten Behörden das für eine wirksame Aufgabenerfüllung notwendige Instrumentarium zur Verfügung stellen. Zum anderen wäre ein Ziel die Disziplinierung der Verwaltung durch rechtliche Vorgaben.37 Potentielle Nachteile eines EU-VwVfG wären, dass je nach Ausgestaltung der Regelungen die Gefahr der Nivellierung und Simplifizierung oder – spiegelbildlich – der Überkomplexität bestünde.38 Kritisch zu hinterfragen ist auch, ob Verfahrensvorgaben für das Eigenverwaltungsrecht der Union, den Vollzug im Verwaltungsverbund und für den indirekten Vollzug in einem gemeinsamen Rechtsakt geregelt werden sollten.39 Die grundsätzliche Recht- und Zweckmäßigkeit eines europäischen VwVfG kann hier nicht diskutiert werden. Es erscheint aber im Sinne der Transparenz, Effizienz und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen sinnvoll, dass Verwaltungsverfahrensrecht zumindest für das Eigenverwaltungsrecht und den Vollzug im europäischen Verwaltungsverbund in einem europäischen Verwaltungsverfahrensrecht zu regulieren und nicht Spezialregelungen in den unterschiedlichen Sekundärrechtsakten zu schaffen. Damit sollten auch eine klare rechtliche Normierung des europäischen Verwaltungsverbundes und eine Definition des europäischen Verwaltungsverfahrens einhergehen. Wichtige Regelungsbereiche aus Sicht der Praxis wären die klassischen verwaltungsverfahrensrechtlichen Regelungsbereiche, wie sie beispielsweise im deutschen VwVfG angelegt sind, vor allem: 36  Geber,

EuZW 2013, 298 (301 m. w. N.). NVwZ 2013, 601 (603). 38  Guckelberger, NVwZ 2013, 601 (605). 39  Siehe auch Guckelberger, NVwZ 2013, 601 (606). 37  Guckelberger,

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– Klassifizierung der unterschiedlichen Formen von europäischen Verwaltungsverfahren; – Regelungen zum elektronischen Verwaltungsverfahren; – Beteiligte, Beteiligungsrechte; – Entscheidungskompetenzen, Weisungsrechte und Zusammenarbeit der beteiligten Behörden; – Rechtsschutz Privater und Möglichkeiten der Gegenvorstellung von Behörden der Mitgliedstaaten gegenüber EU-Einrichtungen im Verwaltungsverbund; – Amtshaftung. V. Organisationsbezogene Möglichkeiten der Weiterentwicklung des EU ETS Angesichts der transnationalen Struktur des EU ETS besteht eine unabweisbare Notwendigkeit administrativer Netzwerke und regulativer Kooperationsmodelle. Ebenso unabweisbar besteht die Notwendigkeit, dass die EU trotz ihrer Eigenschaft als vertraglich Kooperationszusammenhängen verpflichteter dialogischer Hoheitsträger die Rechtmäßigkeit des Vollzuges kontrollieren kann.40 Aus der Sicht des Vollzuges erscheint es aber nach den bislang gemachten Erfahrungen mit dem Verwaltungsverbund im EU ETS zweifelhaft, ob das gegenwärtige Modell gegenüber einem zentralisierten (direktem) oder einem dezentralisierten (indirekten) Vollzug grundsätzlich vorzugswürdig ist. Dies gilt jedenfalls solange die Aufgabenverteilung, die Verantwortlichkeiten und die Zusammenarbeit im Verwaltungsverbund nicht klar geregelt sind. Fehlen solche Regelungen, so führt der Verwaltungsverbund, wie das Beispiel aus dem EU ETS zeigt, zu ineffizienten und langwierigen Abläufen, die erhebliche Kapazitäten bei allen beteiligten Akteuren binden. Neben den geschilderten rechtlichen, v. a. verfahrens- und rechtsschutzbezogenen Problemen sind der Kommunikationsaufwand und auch die Kommunikationsschwierigkeiten im Verwaltungsverbund in der Tat erheblich. Zudem ist es wenig sinnvoll, dass mehrere Verwaltungsebenen – wie im Zuteilungsverfahren für die kostenlose Zuteilung von Emissionszertifikaten für die dritte Handelsperiode geschehen – im Wesentlichen die gleichen Prüfaufgaben wahrnehmen. Zur Sicherstellung der Gleichförmigkeit des Vollzuges im Verwaltungsverbund besteht zudem die Tendenz zur Überregulierung durch 40  Vgl. Hartmann, in: Berliner Online-Beiträge zum Europarecht, Nr. 1, S. 1 ff. (22 m. w. N. zur Gesamtproblematik).



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die Schaffung von immer mehr „soft law“ in Form von Leitfäden, FAQ etc. zur Auslegung des geschaffenen tertiären Gemeinschaftsrechts.41 Hinzu kommen Unterschiede in den Verwaltungstraditionen bzw. -mentalitäten, die sich im Verwaltungsverbund nicht nur fruchtbar ergänzen. So steht beispielsweise der durch das deutsche Verwaltungsrecht stark rechtsförmlich agierenden und von der Denkweise der Eingriffsverwaltung her geprägten deutschen Verwaltung eine oftmals deutlich stärker an den eigenen Interessen orientierte und auch pragmatischere Sichtweise anderer Akteure im Verwaltungsverbund gegenüber.42 Schließlich ist zweifelhaft, ob die Generaldirektion Klima der Kommission von ihrem stark politisch und an der Schaffung von Unionspolitik bzw. -recht orientierten und somit eher ministeriell geprägten Aufgabenzuschnitt, ihrer Organisationsstruktur und vor allem ihren Kapazitäten her gesehen, die richtige Stelle für die Wahrnehmung einer Vielzahl von genuinen und repetitiv wahrzunehmenden Verwaltungsaufgaben ist, die sich vielfach auch nicht durch Beurteilungs- oder Gestaltungsspielräume auszeichnen. Die im EU ETS der Kommission übertragenen Aufgaben kann diese faktisch in erheblichem Umfang nur mit Hilfe von externen Beratern wahrnehmen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob es recht- und zweckmäßig ist, eine zentrale europäische Aufsichtsbehörde für den EU ETS zu schaffen oder ob eine weitgehende Rückführung der Administration des EU ETS in den indirekten Vollzug vorzugswürdig wäre. Dabei ist zunächst bemerkenswert, dass es ungeachtet einer grundsätzlichen Billigung verselbstständigter Agenturen und Aufsichtsbehörden durch den EuGH hierfür im Primärrecht bislang keine (etwa Art. 87 GG vergleichbaren) kompetenzrechtlichen Vorgaben gibt.43 Für den EU ETS kommt je nach Ausgestaltung und Kompetenzen sowohl eine Regulierungs- oder Exekutivagentur oder eine der dem europäischen Finanzaufsichtssystem (ESFS)44 entsprechende Europäische Aufsichtsbehörde für den EU ETS in Betracht.45 Die Errichtungskompetenz folgt bislang vorrangig aus einer – angenommenen – Annexkompetenz zur Sachkompetenz. Allerdings gebietet das Subsidiaritätsprinzip nach Art. 5 Abs. 3 EUV auch bei der Schaffung neuer Organisationen 41  Unter http: /  / ec.europa.eu / clima / policies / ets / cap / allocation / documentation_en. htm findet sich eine Übersicht der entsprechenden Dokumente für das Verfahren der kostenlosen Zuteilung. 42  Ein Beispiel hierfür bietet die Kommunikation der Kommission zu aktuellen Fragen des Luftverkehrs im Emissionshandel unter http: /  / ec.europa.eu / clima / poli cies / transport / aviation / docs / faq_eraa_en.pdf (siehe v. a. Nr.  15). 43  Gärditz, DÖV 2010, 453 (458) mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des EuGH. 44  Siehe hierzu ausführlich Kämmerer, NVwZ 2011, 1281 ff. 45  Zu diesen beiden Agenturtypen vgl. Kment, JuS 2011, 211 (213).

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Zurückhaltung.46 Eine abschließende Steuerungswirkung zugunsten dezentraler, d. h. auf der Ebene der Mitgliedstaaten angesiedelter Verwaltungsstrukturen, ist ihm aber nicht zu entnehmen. Die Entscheidung für eine Zentralisierung der Vollzugskompetenzen und deren Ausgestaltung im Einzelnen ist somit weniger eine Rechtsfrage, sondern im Wesentlichen eine politische Gestaltungfrage. Sowohl für eine Zentralisierung der Administration als auch für deren konsequente Dezentralisierung finden sich brauchbare Argumente. So spricht für eine Zentralisierung die Sicherstellung einer einheitlichen Administration des EU-Emissionshandels als eines vollständig harmonisierten europäischen Klimaschutzinstrumentes. Diesem Argument kommt angesichts sehr unterschiedlicher Verwaltungsstrukturen und -kapazitäten in den 28 Mitgliedstaaten der EU eine erhebliche Bedeutung zu. Andererseits könnte mit diesem Argument in sehr vielen Verwaltungsbereichen eine Zentralisierung gerechtfertigt werden, weil es naheliegend ist, dass sich bei zahlreichen beteiligten Behörden regelmäßig unterschiedliche Handhabungen im Rahmen der, v. a. in naturwissenschaftlich-technischen Regelungsbereichen zwangsläufig gegebenen, behördlichen Auslegungs- und Beurteilungsspielräume ergeben werden. Für eine Zentralisierung spricht auch der vergleichsweise beschränkte sachliche Anwendungsbereich der EHRL. Für dezentrale Verwaltungsstrukturen spricht die regelmäßig einfachere Kommunikation mit den Betroffenen, da sprachliche und ggf. auch kulturelle Barrieren nicht bestehen. Dieser Umstand ist aus praktischer Sicht im Sinne einer transparenten, bürger- und serviceorientierten Verwaltung ebenfalls nicht zu unterschätzen. Die aktuelle Entwicklung im EU ETS deutet derzeit auf eine weitere Zentralisierung und die Schaffung von weiteren Kompetenzen für die Kommission hin. So plant die Kommission die Einführung einer sog. Marktstabilitätsreserve als Interventionsmechanismus zur Sicherstellung der Funktionsfähigkeit des EU ETS.47 Angesichts der Vor- und Nachteile, die ein ausschließlich zentralisiertes Vollzugskonzept einerseits und ein ausschließlich dezentralisiertes Vollzugskonzept andererseits haben, könnte sich letztlich doch der Verwaltungsverbund als zukunftsweisender Weg „europäischer Verwaltung“ erweisen, wenn er die jeweiligen Vorzüge von direktem und indirektem Vollzug miteinander verbinden kann. In diesem Sinne als Vorbild für die Weiterentwicklung und vor allem Verrechtlichung der Zusammenarbeit im EU ETS kommt das Europäischen Finanzaufsichtssystem (ESFS) in Betracht, in dem sich durch die drei neugeschaffenen Aufsichtsbehörden bereits eine europäische Aufsichtsstruktur 46  Brenner,

in: FS für Rengeling, 2008, S. 193 ff. (201 f.). 20 / 2.

47  COM(2014)



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in einem Verwaltungsverbund gebildet hat. Kämmerer spricht diesbezüglich von einem neuen Typus „europäisierter Verwaltung“.48 So kann die Europäische Bankenaufsicht verbindliche Einzelfallentscheidungen gegenüber den Marktteilnehmern treffen. Die European Supervisory Authorities (ESA)49 haben darüber hinaus erhebliche Aufsichtsbefugnisse gegenüber den mitgliedstaatlichen Behörden, die über die gegenwärtigen Befugnisse der Kommission gegenüber den nationalen Behörden im EU-Emissionshandel hinausgehen bzw. die Befugnisse zumindest klarer regeln. So können sie unter bestimmten Voraussetzungen auch gegenüber mitgliedstaatlichen Behörden Anordnungen mit Weisungscharakter treffen und im Falle der Verletzung von Unionsrecht durch eine nationale Behörde diese im Einzelfall durch Selbsteintritt entmachten.50 Der ESFS (vgl. Art.  58 ff. VO 1093 / 2010 / EU51) sieht einen verwaltungsinternen Beschwerdemechanismus vor, der dem deutschen Widerspruchsverfahren vergleichbar vor der Anrufung des EuGH durchlaufen werden muss. So können die zuständigen nationalen Behörden aber auch natürliche und juristische Personen unter bestimmten Voraussetzungen im Rahmen des ESFS eine Beschwerde gegen bestimmte Entscheidungen der ESA einlegen. Die Mitglieder des Beschwerdeausschusses sind unabhängig. Interessant und mit einer möglichen Vorbildfunktion für den Verwaltungsverbund im EU ETS verbunden ist auch, dass das Zentralorgan der jeweiligen ESA, der Rat der Aufseher, sich überwiegend aus den Leitungen der nationalen Fachbehörden zusammensetzt. Überträgt man diese Ansätze auf den EU ETS, bietet sich die Schaffung einer zentralen europäischen Emissionshandelsbehörde an, die die bisher in der Kommission ressortierenden Verwaltungskompetenzen übernimmt. Schafft man die für den ESFS beschriebenen Einrichtungen und Verfahrensweisen (Rat der Aufseher, Beschwerdeausschuss und Beschwerdemöglichkeit) in ähnlicher Form für den Emissionshandel, könnte man dem auch gegenwärtig schon bestehenden hierarchischen und verfahrensbezogenen „top-down-Ansatz“ mit einer gewissermaßen personellen Verschränkung zwischen Mitgliedstaaten und Union und einer stärkeren institutionellen Absicherung der mitgliedstaatlichen Behörden verbinden.

48  Kämmerer,

NVwZ 2011, 1281, (1283). zur Struktur Kämmerer, NVwZ 2011, 1281 (1282). 50  Zum Ganzen Kämmerer, NVwZ 2011, 1281 (1284 ff.). 51  Verordnung (EU) Nr. 1093  / 2010 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 24.11.2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Bankenaufsichtsbehörde), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716 / 2009 / EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009 / 78 / EG der Kommission (ABl. Nr. L 331, 12 v. 15.12.2010). 49  Siehe

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VI. Ausblick Zur Stärkung und Weiterentwicklung des EU ETS ist es neben den vorrangigen inhaltlichen Reformen auch erforderlich, die Administration des Emissionshandels einer kritischen Analyse zu unterziehen und darauf aufbauend weiterzuentwickeln. Ziel der administrativen Weiterentwicklung muss es sein, einen effektiven, effizienten und europaweit möglichst einheitlichen Vollzug des Emissionshandels zu gewährleisten, der die beteiligten Akteure in die Lage versetzt, ihre Positionen angemessen zu vertreten. Kontraproduktiv ist die in der gegenwärtigen Mehrebenverwaltung angesichts teilweise fehlender klarer Zuweisungen von Aufgaben und Verantwortlichkeiten bestehende Möglichkeit, sich die Verantwortlichkeit für Fehler, zeitliche Verzögerungen und sonstige Missstände gegenseitig zuzuweisen. Insgesamt besteht ein dringender Bedarf, die Verwaltungsverfahren im europäischen Verwaltungsverbund klarer zu regeln. Die aus dem EU ETS geschilderten Fragestellungen und Probleme dürften angesichts der ständig zunehmenden Europäisierung und Verflechtung zwischen nationaler und supranationaler Ebene auch in anderen Verwaltungsbereichen in ähnlicher Form auftreten. Über die rechtliche Ausgestaltung des Verwaltungsverbundes sollte zwischen den beteiligten Akteuren ein Dialog beginnen. Aus deutscher Sicht muss dabei vor allem auch den unterschiedlichen Verwaltungstraditionen und Bedürfnissen der Mitgliedstaaten Rechnung getragen werden. Es ist also einerseits durchaus angezeigt, die aus deutscher Sicht bestehenden rechtlichen Anforderungen an Verwaltungsverfahren und Abstimmungsprozesse nachdrücklich zu vertreten und auf bestehende Defizite hinzuweisen, andererseits aber auch anzuerkennen, dass europäische Verwaltungsverfahren zwangsläufig immer anders ablaufen werden als rein nationale Verfahren. In tatsächlicher Hinsicht sollte die Kooperation der beteiligten Behörden bzw. Verwaltungsebenen unabhängig von dem zukünftigen Regelungsrahmen stärker als bislang vom Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens in die Integrität und Kompetenz geprägt sein. Denn letztlich verbindet die Mitgliedstaaten und die Unionseinrichtungen immer die gemeinsame Zielsetzung und Gesamtverantwortung für den EU ETS als einem zentralen Baustein der europäischen Klimaschutzpolitik.

Die Lernkurven beim EU-Emissionshandel Von Uwe Neuser, Berlin* I. Einführung Mit dem Start des EU-Emissionshandels im Jahr 2005 erschien ein völlig neues Instrument auf der Bühne der europäischen Umweltpolitik. Das qualitativ Neue dieses Instruments war die Umkehrung des Verhältnisses von normativer Verhaltenssteuerung und Zielerreichung: Die klassischen Instrumente der Umweltpolitik zielen darauf, durch positive oder negative Sanktionen bei den Normadressaten Anreize für ein bestimmtes Verhalten zu schaffen, das am Ende dazu führen soll, die Belastung der Umweltmedien auf ein bestimmtes Maß zu begrenzen.1 Beim Emissionshandel ist dagegen die Zielerreichung über die Festlegung der insgesamt zur Verfügung stehenden Emissionsmenge bereits definiert und es bleibt den Normadressaten im Hinblick auf diese Zielerreichung überlassen, die ökonomisch günstigsten Maßnahmen zu identifizieren und durchzuführen, um die erforderlichen Treibhausgasminderungen zu realisieren. Gleichzeitig befanden sich die vom Emissionshandel erfassten Anlagen der Energiewirtschaft und der emissionsintensiven Industriesektoren durchaus nicht in einem regulatorischen Niemandsland, sondern unterlagen auch im Hinblick auf ihre CO2-Emissionen dem ordnungsrechtlichen Regime des Bundes-Immissionsschutzrechts. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass sich der Emissionshandel nicht völlig reibungsfrei in das bestehende System der umweltrechtlichen Steuerungsinstrumente eingefügt hat. Der EU-Emissionshandel ist durch die Festlegung der Gesamtemissionsmengen für bestimmte Zeitabschnitte systembedingt in einzelne Phasen untergliedert, für die jeweils neue Rahmenbedingungen festgelegt werden können. Mittlerweile hat die 3. Handelsperiode begonnen, so dass es lohnend erscheint, die Veränderungen des Systems in den einzelnen Handelsperioden *  Der

der.

Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Auffassung des Verfassers wie-

1  Vgl. zum Verhältnis von normativer Verhaltenssteuerung und Zielerreichung z. B. Ekardt / Manger / Neuser / Pottschmidt / Roßnagel / Rust, Rechtliche Risikosteuerung – Sicherheitsgewährleistung in der Entstehung von Infrastrukturanlagen, 2000, S.  104 ff.

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zu betrachten und dabei insbesondere der Frage nach den Ursachen für diese Veränderungen und den dabei durchlaufenen Lernkurven nachzugehen. II. Das Vorfeld des EU-Emissionshandels Der Hauptgrund für die Einführung des EU-Emissionshandels war sicherlich die Verabschiedung des Kyoto-Protokolls und die damit übernommene Verpflichtung der EU und der Mitgliedstaaten, ihre Treibhausgas-Emissionen im Zeitraum 2008–2012 um die festgelegten Minderungsquoten gegenüber dem Emissionsniveau von 1990 zu reduzieren. Allerdings reicht allein der Hinweis auf das Kyoto-Protokoll nicht aus. Denn der Emissionshandel ist zwar ein Instrument des Kyoto-Protokolls, er beschreibt dort allerdings nur die Möglichkeit des zwischenstaatlichen Emissionshandels, bei dem die Vertragsparteien Unterschiede bei der Erreichung ihrer Minderungsverpflichtungen untereinander ausgleichen können.2 Für den Emissionshandel auf Anlagenebene, wie er in der EU eingeführt wurde, sind die Vorgaben des Kyoto-Protokolls hingegen nicht bindend. Wie also kam es dazu, dass in der EU im Jahr 2003 die EmissionshandelsRichtlinie verabschiedet wurde? Wie bei allen politischen Prozessen hat auch beim Emissionshandel eine nachträglich kaum entwirrbare Zahl von Faktoren das Ergebnis beeinflusst. Allerdings können beim Emissionshandel drei aufeinander aufbauende Einflussfaktoren identifiziert werden. Zunächst einmal bestand mit der im Kyoto-Protokoll übernommenen Minderungsverpflichtung ein quantifizierter Handlungsdruck. Die EU und die Mitgliedstaaten hatten sich eben nicht nur verpflichtet, sich um die Reduktion von Treibhausgasen zu kümmern, sondern sie mussten einen festgelegten Zielwert erreichen. Vor diesem Hintergrund stellte sich also nur noch die Frage, mit welchen Maßnahmen diese Klimaziele (sicher) erreicht werden konnten. Bei der Auswahl der Maßnahmen mussten zudem die Besonderheiten der für die Treibhausgasemissionen relevanten Sektoren (Energie, Industrie, Haushalte und Verkehr) berücksichtigt werden. Als Maßnahme für die Sektoren Energie und Industrie bot sich dabei zunächst das bewährte Instrument der Festlegung immissionsschutzrechtlicher Vorsorgegrenzwerte an. Allerdings hatten bereits die Bemühungen um die Begrenzung der Waldschadens­ problematik gezeigt, dass das immissionsschutzrechtliche Instrumentarium nur begrenzt geeignet ist, solche Entwicklungen zu steuern, bei denen der 2  Vgl. Art. 3 X, XI i. V. m. Art. 17 des Kyoto-Protokolls; vgl. zu den völkerrechtlichen Grundlagen des Emissionshandels z. B. Schlüter, Emissionshandel in der dritten Handelsperiode, 2013, S. 22 ff.



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konkrete Emissionsbeitrag einer einzelnen Anlage den weiträumig entstehenden Auswirkungen der Gesamtemissionen kaum zugerechnet werden kann. Wenn es bei den Vorsorgegrenzwerten ausschließlich darum geht, die Gesamtemission aller Anlagen auf eine Höchstmenge zu begrenzen, dann ist es ökonomisch nicht optimal, für alle Anlagen denselben Grenzwert vorzuschreiben, da die Vermeidungskosten in jeder Anlage unterschiedlich hoch sind. Zur Erreichung solcher ausschließlich gesamtmengenbezogenen Ziele sind daher allgemeine Vorsorgegrenzwerte weniger geeignet als ein Emissionshandelssystem. Und schließlich war der Emissionshandel methodisch bereits so weit entwickelt, dass er als neues Instrument der Umweltpolitik eingeführt werden konnte. So gab es bereits erste Emissionshandelssysteme in den USA3 und innerhalb der Umweltökonomie eine breite Unterstützung für den Emissionshandel als ökonomisch effizientestes Instrument zur Begrenzung der Treibhausgasemissionen.4 Von daher kann man feststellen, dass Ende der 90er Jahre das Feld für die Einführung des Emissionshandels bereitet war: Durch die im Kyoto-Protokoll übernommenen Verpflichtungen war klar, dass etwas getan werden musste. Das vorhandene Instrumentarium des Immissionsschutzrechts war für diese Aufgabe nur begrenzt geeignet und mit dem Emissionshandel stand ein Instrument zur Verfügung, durch das die erforderlichen Emissionsminderungsziele auf die ökonomisch effizienteste Weise erreicht werden können. III. ‚Lessons learnt‘ aus dem Emissionshandel der ersten beiden Handelsperioden Trotz der günstigen Rahmenbedingungen war es durchaus nicht selbstverständlich, dass die Einführung des Emissionshandels erfolgreich verlaufen würde. Denn hinter der zunächst relativ banal anmutenden Funktionsweise dieses Instruments verbergen sich einige Stellschrauben, die bei falscher Einstellung die Funktion des gesamten Systems gefährden können. An den Veränderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen des Emissionshandelssystems kann man gut nachvollziehen, dass das ursprünglich eingeführte System einige strukturelle Mängel aufwies. Nachfolgend wird anhand der 3  Vgl. zur Darstellung dieser Systeme z. B. Koschel / Brockmann / Schmidt / Stronzik / Bergmann, Handelbare SO2-Zertifikate für Europa, 1998, S. 74 ff. 4  Vgl. z. B. Brockmann / Stronzik / Bergmann, Emissionsrechtehandel – eine neue Perspektive für die deutsche Klimapolitik 1999; zu Überlegungen für eine gesetz­ liche Ausgestaltung von Emissionszertifikaten bereits Rehbinder, in: Endres / Rehbinder / Schwarze (Hrsg.), Umweltzertifikate und Kompensationslösungen aus ökonomischer und juristischer Sicht, 1994, S. 92 ff.

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Veränderungen einiger zentraler Stellschrauben die Lernkurve des Systems dargestellt. 1. Die Festlegung der Gesamtemissionsmenge

Nach der Struktur der ursprünglichen Emissionshandels-Richtlinie bestand das EU-Emissionshandelssystem genau genommen aus 25 eigenständigen Emissionshandelssystemen der Mitgliedstaaten, die lediglich über eine gemeinsame Systemarchitektur miteinander verbunden waren. Diese gemeinsame Systemarchitektur manifestierte sich im Wesentlichen durch verbindliche Vorgaben zum Kreis der einbezogenen Anlagen, zu den Grundpflichten der Betreiber dieser Anlagen sowie durch eine einheitliche Registerstruktur, in der die Zertifikate aller Mitgliedstaaten unbeschränkt untereinander austauschbar waren. Demgegenüber lag es vorrangig in der Kompetenz der Mitgliedstaaten, die für den jeweiligen Staat geltende Gesamtemissionsmenge sowie die Regeln für die kostenlose Zuteilung an die Anlagen in diesem Mitgliedstaat festzulegen. Diese Gestaltungsmöglichkeiten der Mitgliedstaaten bei den wesentlichen Rahmenbedingungen des Systems waren sicherlich einer der Gründe dafür, dass die Richtlinie überhaupt verabschiedet werden konnte. Im Nachhinein betrachtet befanden sich die Mitgliedstaaten aufgrund dieser Gestaltungsmöglichkeiten allerdings in einem Dilemma, da die national festgelegten Gesamtemissionsmengen nicht nur Auswirkungen auf den einzelnen Mitgliedstaat hatten, sondern auch auf das Gesamtsystem. Der Emissionshandel funktioniert nur, wenn innerhalb des Systems Minderungsmaßnahmen durchgeführt werden müssen. Nur dann entsteht ein Knappheitspreis und die Zertifikate bekommen einen Wert. Dieser Wert der Zertifikate ist umso höher, je ambitionierter die Mitgliedstaaten in ihrer Gesamtheit die Gesamtminderungsleistungen festlegten. Die schwierige Situation für die Mitgliedstaaten bestand nun darin, dass sie vom Wert der Zertifikate volkswirtschaftlich umso mehr profitzierten, je weniger sie zu der Gesamtminderungsleistung beitrugen, da sie in diesem Fall den Anlagenbetreibern in ihrem eigenen Land eine höhere Anzahl an Zertifikaten kostenlos zuteilen und dadurch die Wettbewerbsposition der Anlagenbetreiber verbessern konnten. Wenn jedoch alle Mitgliedstaaten ihre eigene Position im Gesamtsystem auf diese Weise optimieren, gibt es insgesamt keinen Bedarf für Emissionsminderungen und die Zertifikate verlieren dadurch ihren Wert. Tatsächlich haben die Mitgliedstaaten in der ersten Handelsperiode entweder keine oder nur sehr geringe eigene Minderungsleistungen festgelegt. Die Konsequenz aus diesem Verhalten zeigte sich dann mit der Veröffentli-



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chung der tatsächlichen Emissionsmengen aller Anlagen. Diese Gesamtemissionen für die Jahre 2005 und 2006 lagen unterhalb der zur Verfügung stehenden Gesamtmenge an Zertifikaten. Da die Zertifikate aus der ersten Handelsperiode nicht übertragbar waren, fiel der Zertifikatepreis faktisch auf null, nachdem die Marktteilnehmer erkannten, dass es keine Käufer für die Überschusszuteilungen gab und diese Zertifikatmengen daher wertlos geworden waren. Vor diesem Hintergrund versuchte die EU-Kommission bei der Vorbereitung der zweiten Handelsperiode, einen stärkeren Einfluss auf die Mitgliedstaaten zu nehmen, indem sie eine eigene Prognose für die EU-weit zu erwartenden Gesamtemissionen aufstellte und diese Gesamtemissionsmenge bei der Bewertung der Allokationspläne der Mitgliedstaaten zugrunde legte. Diese Veränderung der Perspektive auf EU-Ebene war angesichts der Erfahrungen aus der ersten Handelsperiode sinnvoll und die meisten Mitgliedstaaten haben im Ergebnis die von der EU-Kommission verlangten Reduzierungen der Gesamtemissionsmengen akzeptiert. Allerdings hatte die EU-Kommission mit diesem Vorgehen nach Auffassung der europäischen Gerichte die ihr von der Emissionshandels-Richtlinie eingeräumten Befugnisse überschritten, da sie die von den Mitgliedstaaten vorgelegten Allokationspläne zwar beanstanden, aber nicht von sich aus festlegen durfte, wie die Mitgliedstaaten diese Pläne ändern sollten.5 Mit der Novelle der Emissionshandels-Richtlinie im Jahre 2009 wurden die bisherigen Emissionshandelssysteme der Mitgliedstaaten auch im Hinblick auf die Festlegung der Gesamtemissionsmenge zu einem einheitlichen EU-Emissionshandelssystem zusammengefasst, indem es seit der dritten Handelsperiode nur noch eine einheitlich festgelegte Gesamtemissionsmenge für die gesamte EU gibt.6 2. Die Regeln für die kostenlose Zuteilung von Zertifikaten

Der zweite Bereich, bei dem die Mitgliedstaaten in den ersten beiden Handelsperioden große Gestaltungsmöglichkeiten hatten, war die Festlegung der Regeln für die kostenlose Zuteilung von Emissionszertifikaten. In diesem Bereich fallen insbesondere drei Entwicklungslinien auf: Zunächst 5  Vgl. EuG, Rs. T-183 / 07, Slg. 2009, II-3395 Rn. 123 – Polen / Kommission; EuG, Rs. T-263 / 07, Slg. 2009, II-3463 Rn. 60 – Estland / Kommission. 6  Die Festlegung dieser Gesamtemissionsmenge folgt den Vorgaben aus Art. 9 und 9a der Richtlinie. Die EU-Kommission hat die Gesamtmenge der Zertifikate in Art. 3 des Beschlusses 2013 / 44 / EU vom 05.09.2013 für das Jahr 2013 auf 2,084 Mrd. Zertifikate festgelegt. Die Gesamtmenge für die Folgejahre ergibt sich aus der Anwendung des linearen Kürzungsfaktors von 1,74 % nach Art. 9 der Richtlinie.

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einmal die zunehmende Vereinheitlichung der Zuteilungsregeln, um innerhalb der EU gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen, darüber hinaus die zunehmende Vereinfachung der Zuteilungsregeln und schließlich der zunehmende Anteil der Auktionierung als Zuteilungsmethode. a) Vereinheitlichung der Zuteilungsregeln – level playing field Nach der ursprünglichen Fassung der Richtlinie waren die Mitgliedstaaten weitgehend frei in der Ausgestaltung der Zuteilungsregeln. Diese Gestaltungsmöglichkeit haben die Mitgliedstaaten in unterschiedlich hohem Maß dazu genutzt, für bestimmte Sektoren oder Anlagenkonstellationen Sonderprivilegierungsregeln festzulegen. Dadurch blieb es selbstverständlich nicht aus, dass Anlagen derselben Branche in verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedlich hohe kostenlose Zuteilungen erhalten hatten. Beim Übergang von der ersten zur zweiten Handelsperiode führte dieser Umstand zunächst dazu, dass die Anlagenbetreiber in den anderen Mitgliedstaaten darauf drängten, diese Privilegierung zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der EU ebenfalls zu übernehmen. Die Mitgliedstaaten ihrerseits haben demgegenüber versucht, diese Forderungen dadurch abzuwehren, dass sie den betreffenden Mitgliedstaat zu einem Verzicht auf seine Sonderprivilegierungsregel bewegen wollten. Vor dem Hintergrund dieser Konflikte auf mehreren Ebenen ist verständlich, dass die Mitgliedstaaten auf breiter Front bereit waren, die Regeln für die kostenlose Zuteilung in den nachfolgenden Handelsperioden zu vereinheitlichen. Diese Unterstützung für eine Vereinheitlichung der Zuteilungsregeln war dabei zunächst einmal unabhängig von der Frage, wie die Regeln vereinheitlicht werden sollten, da bereits der Wegfall der „Zuteilungskonkurrenz“ und die Schaffung einheitlicher Wettbewerbsbedingungen von vielen Mitgliedstaaten als Fortschritt erachtet wurde.7 Mit der Novelle der Emissionshandels-Richtlinie wurden daher die Regeln für die kostenlose Zuteilung EU-weit einheitlich festgelegt. Um zu gewährleisten, dass die Mitgliedstaaten diese Zuteilungsregeln auch einheitlich anwenden, hat die EU-Kommission innerhalb des Zuteilungsverfahrens 7  So gab es 2008 während der Verhandlungen in der zuständigen Ratsarbeitsgruppe über die Novelle der Emissionshandels-Richtlinie keine Forderungen von Mitgliedstaaten, am bisherigen System der nationalen Zuteilungsregeln festzuhalten. Die Diskussionen drehten sich nur noch darum, wie die Regelung in Art. 10a der Richtlinie über die EU-weit einheitlichen Zuteilungsregeln ausgestaltet werden sollten; im Mittelpunkt standen dabei die Teilbereiche ‚Carbon-leakage-Gefährdung‘ (Art. 10a Abs. 12 bis 18 der Richtlinie) und die von einzelnen (neuen) Mitgliedstaaten geforderte, übergangsweise Zuteilung für die Stromproduktion (Art. 10c der Richtlinie).



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eine deutlich stärkere Position eingenommen. Zu den Herausforderungen und Problemen solcher „verschränkten Verwaltungsverfahren“ hat Wolfgang Seidel in seinem Beitrag ausführlich Stellung genommen.8 b) Vereinfachung der Zuteilungsregeln – weniger ist gerechter Insbesondere in Deutschland hat es beim Übergang von der ersten zur zweiten Handelsperiode eine interessante Entwicklung hin zu einer deutlichen Straffung der anzuwendenden Zuteilungsregeln gegeben. Diese Vereinfachung der Zuteilungsregeln war im Wesentlichen getragen von den Erfahrungen aus der ersten Handelsperiode, bei der beispielsweise die Wahlmöglichkeiten der Betreiber zwischen verschiedenen Zuteilungsmodalitäten massive Auswirkungen auf die Verteilung des Gesamtbudgets hatten.9 Gleichzeitig gingen diese Vereinfachungen aber auch auf die Erkenntnis zurück, dass sehr ausdifferenzierte Zuteilungsregeln im Hinblick auf die rechtliche Gleichbehandlung der Anlagenbetreiber am Ende zu Ergebnissen führen, die ungerechter sind als die Anwendung weniger ausdifferenzierter Regelungen. Auf den ersten Blick erscheint dieses Ergebnis paradox, da die Ausdifferenzierung der Zuteilungsregeln in aller Regel aus Gleichbehandlungsgründen vorgenommen wurde, um einen besonderen Umstand zu berücksichtigen, der bei den von einer Sonderregelung Privilegierten gegenüber der allgemeinen Vergleichsgruppe vorlag.10 Allerdings kann eine solche Sonderregel nur unter den Bedingungen vollständiger Information erfolgreich umgesetzt werden. Denn nur dann, wenn die Umstände aller Betroffenen bekannt sind, kann eine Privilegierung so ausgestaltet werden, dass sie nur denjenigen zugutekommt, die andernfalls tatsächlich benachteiligt wären. Diese Bedingungen vollständiger Information waren jedoch bei der Festlegung der Zuteilungsregeln für die erste Handelsperiode innerhalb des damals gegebenen Zeitfensters nicht einmal ansatzweise erfüllt. Daher gab es eine Reihe von Fällen, bei denen Anlagenbetreiber die Anwendung einer Sonderregel beantragten, obwohl bei ihnen die tatbestandlihierzu den Beitrag von Seidel, (im selben Band), S. 69 (73, 76 ff.). betraf insbesondere die sog. „Optionsregel“ des § 7 Abs. 12 des Zuteilungsgesetzes 2007, die es Betreibern von Bestandsanlagen ermöglichte, eine Zuteilung nach den für Neuanlagen geltenden Regeln zu beantragen. 10  Vgl. z. B. die ausdifferenzierten Regelungen zu den Privilegierungen für prozessbedingte Emissionen (§ 13 ZuG 2007 i. V. m. § 6 ZuV 2007) oder für die Privilegierung für frühzeitige Emissionsminderungen (§ 12 ZuG 2007 i. V. m. § 13 ZuV 2007). 8  Vgl.

9  Dies

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chen Voraussetzungen für diese Privilegierung nicht vorlagen.11 Die Betreiber beriefen sich darauf, dass der hinter der Privilegierung stehende Grund bei ihnen ebenso gegeben sei wie bei vergleichbaren Anlagen, die eine Zuteilung nach der Sonderregel erhielten. Zwar gestehen die Gerichte dem Gesetzgeber bei der Überprüfung von Differenzierungskriterien eine Typisierungsbefugnis zu, die nicht verlangt, dass die Differenzierungskriterien in jedem Einzelfall fehlerfrei sein müssen.12 Bei der Ausgestaltung der Zuteilungsregeln für die zweite Handelsperiode bestand jedoch die Möglichkeit, auf bestimmte Sonderregeln ganz zu verzichten. Dieser Verzicht hat zu einer deutlichen Vereinfachung der Zuteilungsverfahren beigetragen und insgesamt zu einem Rückgang der Klageverfahren gegen die Zuteilungsentscheidungen geführt. c) Zunehmender Anteil der Auktionierung als Zuteilungsmethode Die wohl steilste Lernkurve im Emissionshandel hat es bei der Frage der Auktionierung von Zertifikaten gegeben. Nach den Vorgaben der Richtlinie13 waren die Mitgliedstaaten verpflichtet, in den ersten beiden Handelsperioden mindestens 95 % bzw. 90 % der Zertifikate kostenlos zuzuteilen. Allerdings gab es nach Beginn der ersten Handelsperiode eine lebhafte Diskussion über die Einpreisung des Wertes der kostenlos zugeteilten Zertifikate in die Preiskalkulation der Stromerzeuger.14 Die Zulässigkeit dieses Vorgehens war sogar Gegenstand eines Prüfverfahrens durch das Bundeskartellamt.15 Während dieser Diskussion setzte sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass diese Einpreisung als Berücksichtigung von Opportunitätskosten ökonomisch rational ist und selbst Stromerzeuger, die selbst nicht 11  Vgl. hierzu z. B. die Entscheidungen BVerwG, NVwZ 2013, 864 ff. (Ausschluss von Optionsanlagen von der periodenübergreifenden Privilegierung nach § 11 Abs. 1 S. 6 ZuG 2007); VG Berlin, Urt. v. 24.04.2012 – 10 K 146.09 – juris (keine Ausweitung der Regel über frühzeitige Emissionsminderungen); BVerwG, Urt. v. 16.10.2007 – 7 C 28 / 07, Rn. 7 ff. – juris (Begriff der prozessbedingten Emissionen). 12  Vgl. zur Typisierungsbefugnis z. B. BVerfGE 11, 245 (254); 78, 214 (227); 87, 324 (255). 13  Vgl. Art. 10 der ursprünglichen Fassung der Emissionshandels-Richtlinie. 14  Vgl. hierzu eingehend Helbig, Windfall Profits im europäischen Emissionshandel, 2010, S. 93 ff.; Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU), Die nationale Umsetzung des europäischen Emissionshandels: Marktwirtschaftlicher Klimaschutz oder Fortsetzung der energiepolitischen Subventionspolitik mit anderen Mitteln?, 2006, Rn.  5 f. 15  Vgl. Bundeskartellamt Az. B 8 – 88  / 05 – 1 (E.ON) und B 8 – 88 / 05 – 2 (RWE). Grundlage für die Verfahren war der Verdacht einer missbräuchlichen Preisstellung (§ 19 Abs. 1, § 19 Abs. 1 i. V. m. Abs. 4 Nr. 2 GWB).



Die Lernkurven beim EU-Emissionshandel103

aktiv einpreisten, durch das steigende Strompreisniveau an den Strombörsen profitierten. Durch diesen Einpreisungseffekt haben die Stromerzeuger sog. „windfall-profits“ in Milliardenhöhe erwirtschaftet.16 Je breiter sich die Erkenntnis von den windfall-profits der Stromerzeuger durchsetzte, desto geringer wurde der politische Rückhalt für Forderungen nach einer höheren kostenlosen Zuteilung für die Energiewirtschaft.17 Angesichts der Tatsache, dass ein Großteil der Sonderregeln in der ersten Handelsperiode geschaffen wurde, um Privilegierungen für bestimmte Konstellationen von Anlagen in der Energiewirtschaft zu schaffen, kann man sogar so weit gehen, die politischen Reaktionen auf die Einpreisungsdiskussion als „roll back“ zulasten der Energiewirtschaft zu bezeichnen. Jedenfalls waren am Ende des Gesetzgebungsverfahrens die im Zuteilungsgesetz 2012 festgelegten Zuteilungsregeln für die zweite Handelsperiode so ausgestaltet, dass die Anlagen der Energiewirtschaft nicht nur die gesamte Verringerung des Gesamtbudgets tragen mussten,18 sondern darüber hinaus noch ein Anteil am Gesamtbudget für die Auktionierung festgelegt wurde, der den nach der Richtlinie maximal zulässigen Anteil nahezu ausschöpfte und allein durch eine zusätzliche Kürzung der für die Stromproduktion vorgesehenen Zuteilungsmengen generiert wurde.19 Zu den verfassungsrechtlichen Fragen dieser Auktionierungen hat Felix Hardach in seinem Beitrag ausführlich Stellung genommen.20 Insgesamt fällt bei den Begründungen der Energieversorger für ihre Klagen gegen die Auktionierungskürzung eine eigenartige Leerstelle bei der Auseinandersetzung mit der Systemlogik des Emissionshandels auf: Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, die Gesamtmenge an Zertifikaten entweder über eine kostenlose Zuteilung oder über eine Auktionierung in den Markt auszugeben. Wenn Deutschland die Zertifikate nicht kostenlos an die Stromerzeuger zuteilen kann, da sie dort offensichtlich nicht ihren Zweck als Kompensati16  Vgl. Matthes / Gores / Hermann, Zusatzerträge von ausgewählten deutschen Unternehmen und Branchen im Rahmen des EU-Emissionshandelssystems – Analyse für den Zeitraum 2005–2012, 2011, S. 16 ff. 17  So trat beispielsweise bei der Beratung zum Zuteilungsgesetz 2012 nur noch der Bundesrat (auf Initiative der Landesregierungen der Länder mit großen Anteilen an Braunkohleverstromung) für Privilegierungen dieser Form der Stromerzeugung ein, vgl. BR-Drs 276 / 07 (Beschluss), S. 6. 18  Dies betraf zum einen die Zuteilung nach anspruchsvollen Stromeffizienzbenchmarks (§ 7 ZuG 2012) anstelle der nahezu ungekürzten Zuteilung für Industrieanlagen nach historischen Emissionen (§ 6 ZuG 2012) und zum anderen die alleinige Belastung von Energieanlagen im Rahmen der anteiligen Kürzung (§ 4 Abs. 3 ZuG 2012). 19  Vgl. § 20 ZuG 2012. 20  Vgl. hierzu den Beitrag von Hardach, (im selben Band), S. 123 (128 ff.).

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on zusätzlicher Belastungen aus dem Emissionshandel erfüllen können,21 sondern nur windfall-profits erzeugen, eine Umverteilung dieser Zertifikatmenge zur Erhöhung der Zuteilung an Industrieanlagen nach den Vorgaben der Emissionshandels-Richtlinie aber ebenfalls unzulässig ist, weil dies offensichtlich zu einer den Bedarf übersteigenden Zuteilung an diese Anlagen führen würde, dann bleibt dem Mitgliedstaat nur die Möglichkeit, die Zertifikate über eine Auktionierung in den Markt zu geben. Es gibt sehr gute Gründe dafür, dass die Finanzverfassung der Erhebung nichtsteuerlicher Abgaben Grenzen setzt.22 Wenn der Staat jedoch die Wirksamkeit des Emissionshandelssystems durch eine Veränderung der Allokationsformen verbessert und ihm lediglich als Folge dieser Veränderung Mittel aus der Auktionierung von Zertifikaten zufließen, dann besteht kein Erfordernis, diesen Mittelzufluss an den Grenzen der Finanzverfassung zu messen.23 Die Novelle der Emissionshandels-Richtlinie hat diese Veränderung hin zu einem höheren Anteil der Auktionierung als Zuteilungsmethode noch deutlicher vollzogen. So ist ab der dritten Handelsperiode eine kostenlose Zuteilung für die Stromproduktion vollständig ausgeschlossen.24 Für alle anderen Produkte ist eine übergangsweise kostenlose Zuteilung nach EUweit einheitlichen Zuteilungsregeln vorgesehen, die jedoch kontinuierlich abnimmt.25 Lediglich die Zuteilung für solche Produkte, die in besonderem Maße im internationalen Wettbewerb stehen, ist von diesem Rückgang der Zuteilungsmenge ausgenommen.26 3. Ergebnis

Insgesamt kann man festhalten, dass der Emissionshandel von seiner Einführung bis zur Verabschiedung der Novelle der EmissionshandelsRichtlinie schon eine hohe Lernkurve durchlaufen hat. Die Veränderungen betrafen insbesondere die zentralen Elemente der Festlegung der Emissionsgesamtmenge und die Regeln für die kostenlose Zuteilung von Zertifikaten. In beiden Bereichen ist der Emissionshandel mittlerweile vollständig harmonisiert. Gerade weil die Schwächen des bisherigen Systems an zentralen Punkten so eklatant zu Tage traten, gab es im politischen Bereich sowohl auf nationaler wie auf EU-Ebene eine breite Bereitschaft, aus den Erfahrun21  Vgl.

BVerwG, NVwZ 2013, 576 (581). BVerfGE 122, 316 (333); BVerfGE 123, 132 (140 f.). 23  Weinreich, in: Landmann  /  Rohmer (Hrsg.), Umweltrecht IV, Loseblatt-Kommentar, München, Stand: 69. Lfg. (4 / 13), § 19 ZuG 2012, Rn. 16 ff. 24  Vgl. Art. 10a Abs. 1 UAbs. 3 und Abs. 3 der Emissionshandelsrichtlinie. 25  Art. 10a Abs. 11 der Emissionshandels-Richtlinie. 26  Art. 10a Abs. 12 der Emissionshandels-Richtlinie. 22  Vgl.



Die Lernkurven beim EU-Emissionshandel105

gen der vorangegangenen Handelsperioden zu lernen und die rechtlichen Rahmenbedingungen für das Emissionshandelssystem entsprechend fortzuentwickeln. IV. Zukünftiger Entwicklungsbedarf für den EU-Emissionshandel Mit der Novelle der Emissionshandels-Richtlinie hat der EU-Emissionshandel qualitativ einen großen Schritt voran getan. Allerdings zeigte sich durch die Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise seit 2009, dass auch weiterhin Reformbedarf beim Emissionshandel besteht. Nach einer Darstellung zum gegenwärtigen Stand des EU-Emissionshandels wird der bestehende Reformbedarf näher erläutert. 1. Bestandsaufnahme: Der EU-Emissionshandel funktioniert, aber er wirkt nicht

Zunächst einmal kann man bei einer Bestandsaufnahme zur gegenwärtigen Situation des EU-Emissionshandels feststellen, dass das Instrument grundsätzlich gut funktioniert. Angesichts der Tatsache, dass es sich beim Emissionshandel um ein vollkommen neuartiges Instrument der EU-Umweltpolitik handelt, ist eine solche Feststellung durchaus nicht selbstverständlich. Die Feststellung zum Funktionieren des Emissionshandels bezieht sich in erster Linie darauf, dass sämtliche für den Emissionshandel erforderlichen Institutionen vollständig etabliert sind und ihre Aufgaben wahrnehmen. Dies betrifft zunächst die Vollzugsbehörden in den Mitgliedstaaten. Soweit erkennbar, sind bislang in keinem Mitgliedstaat erhebliche Umsetzungs- oder Vollzugsdefizite aufgetreten. Dieser im Vergleich mit anderen Bereichen der EU-Umweltpolitik positive Befund ist sicherlich auf die hohe Dichte an Berichtspflichten zurückzuführen, denen Betreiber und Mitgliedstaaten nach den Vorgaben der Richtlinie unterliegen. Auch die Veröffentlichung der jährlichen Emissionsmengen aller am Emissionshandel teilnehmenden Anlagen ist ein wirksames Mittel gegen strukturelle Vollzugsdefizite, da die betroffenen Unternehmen der aufmerksamen Kontrolle durch ihre konkurrierenden Mitbewerber unterliegen. Und schließlich hat das vergleichsweise robuste Sanktionssystem der Richtlinie sicherlich dazu beigetragen, dass die Betreiber ihren Berichtspflichten sehr gewissenhaft nachkommen, da ein Betreiber für den Fall, dass er weniger Zertifikate abgibt als er abzugeben verpflichtet ist, hohe Sanktionszahlungen leisten muss.27 27  Vgl.

Art. 16 der Emissionshandels-Richtlinie.

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Weiterhin ist es für das Funktionieren des Emissionshandels nötig, dass sich ein Markt für Emissionszertifikate entwickelt, der von einem breiten Kreis von Marktteilnehmern getragen wird und hinreichend liquide ist, um Marktmanipulationen zu erschweren. Diese Voraussetzungen sind mittlerweile gegeben. Es existieren mehrere Handelsplätze, die einen Börsenhandel mit CO2-Kontrakten anbieten und die Auktionen der Mitgliedstaaten abwickeln. Für die Anlagenbetreiber gibt es unterschiedliche Zugänge zu diesen Märkten, indem sie sich entweder selbst oder über Finanzmarkt-Interme­ diäre am Handel beteiligen.28 Daneben gibt es mittlerweile eine deutlich solidere Datenbasis über die am Emissionshandel teilnehmenden Anlagen. Auf der Grundlage dieser verbesserten Datenbasis können Regelungsalternativen sehr viel besser bewertet werden als in den ersten beiden Handelsperioden, so dass der Emissionshandel insgesamt weniger politikanfällig geworden ist. Aus dem Vorliegen dieser formalen Funktionsbedingungen für den Emissionshandel kann der Schluss gezogen werden, dass der EU-Emissionshandel sein Hauptanliegen erreichen wird, nämlich die Einhaltung der festgelegten Gesamtemissionsmenge. Allerdings entsteht das für den Emissionshandel wesentliche Preissignal nur unter Knappheitsbedingungen, wenn die Gesamtmenge an Zertifikaten also geringer ist als der Zertifikatbedarf der am Emissionshandel teilnehmenden Anlagen, so dass innerhalb des Systems Minderungsmaßnahmen durchgeführt werden müssen.29 Diese Voraussetzung war in der ersten Handelsperiode wegen der strukturellen Überallokation durch die Mitgliedstaaten nicht erfüllt. Und seit der zweiten Handelsperiode ist diese Voraussetzung wegen der Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise nicht erfüllt, die dazu geführt hat, dass die Gesamtemissionen der Anlagen dauerhaft unter der insgesamt zur Verfügung stehenden Gesamtmenge an Zertifikaten liegen. Diese Entwicklung hat dazu geführt, dass zum Beginn der dritten Handelsperiode ein Überschuss von etwa zwei Milliarden Zertifikaten im Markt vorhanden ist.30 Dieses Überangebot führte – den allgemeinen Marktgeset28  Vgl. zu den Bezugsmöglichkeiten im Einzelnen Deutsche Emissionshandelsstelle (DEHSt) im Umweltbundesamt, Zukaufkanäle deutscher Anlagenbetreiber im EU-Emissionshandel, 2014. 29  Vgl. zu dieser Voraussetzung oben unter III.1. 30  Vgl. z.  B. KOM, Impact Assessment zum Vorschlag zur Einführung einer Marktstabilitätsreserve, 22.01.2014, SWD (2014) 17 final, S. 8: Für den Zeitraum 2013–2020 geht die EU-Kommission in ihrem Referenzszenario davon aus, dass die Überschüsse ohne weitere Maßnahmen von 2,25 Mrd. auf 2,6 Mrd. EUA ansteigen werden.



Die Lernkurven beim EU-Emissionshandel107

zen folgend – zu einem Preisverfall. So ging der Zertifikatepreis im Verlauf der zweiten Handelsperiode von etwa 25 Euro auf etwa 7 Euro zurück.31 In einer solchen Situation eines überverkauften Marktes ist es eine rationale Reaktion der Anbieter, das Angebot zu reduzieren, um die Preise zu stabilisieren. Eine solche Steuerung von Angebotsmengen war jedoch nach der Emissionshandels-Richtlinie bislang ausgeschlossen. Denn nach dem Grundansatz des Emissionshandels bildet sich der Zertifikatepreis unter Knappheitsbedingungen allein durch die Grenzvermeidungskosten der möglichen Emissionsminderungsmaßnahmen, die die betroffenen Anlagenbetreiber durchführen können. Innerhalb dieses Grundansatzes ist kein Raum für externe Eingriffe zur Steuerung der Angebotsmenge. Dieser Grundansatz des Emissionshandels stößt aber dort an seine Grenzen, wo die Knappheit als preisbildender Faktor nicht existiert. In dieser Situation besteht die Notwendigkeit, die Wirkungsbedingungen für den Emissionshandel durch einen externen Eingriff wiederherzustellen. Andernfalls käme es zu zwei gleichermaßen unerwünschten Entwicklungen. Erstens wären Investitionen in Emissionsminderungsmaßnahmen gefährdet, die im Vertrauen auf das langfristig wirkende Preissignal des Emissionshandels getätigt wurden. Und zweitens hätte der Emissionshandel bei einem langfristig ausbleibenden Preissignal keine Anreizwirkungen auf aktuelle Investitionsentscheidungen für Anlagen, die in den kommenden Jahrzehnten betrieben werden und damit auch die Erreichbarkeit langfristiger Klimaziele beeinflussen (sog. Lock-in-Effekt). 2. Reformbedarf: Backloading und strukturelle Maßnahmen

Bei den Maßnahmen, die angesichts der gegenwärtigen Marktsituation durchgeführt werden können, ist zwischen der kurzfristig wirkenden Verschiebung von Auktionsmengen (sog. Backloading) und längerfristig wirkenden Maßnahmen zu unterscheiden. a) Backloading Die EU-Kommission hatte bereits 2012 einen Vorschlag zur zeitlichen Verschiebung von Auktionsmengen vorgelegt. Danach sollte die eigentlich für die Jahre 2013–2015 vorgesehene Auktionierung von insgesamt 900 Mio. Zertifikaten auf die Jahre 2019 und 2020 verschoben werden. Ziel 31  Vgl. z. B. Deutsche Emissionshandelsstelle (DEHSt) im Umweltbundesamt, Auswertungen und Hintergründe aus fünf Jahren Verkauf und Versteigerung am Übergang zur dritten Handelsperiode des EU-Emissionshandels, Juni 2012, S. 47.

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dieses Vorschlags war es, die bestehenden Überschüsse im Markt durch eine geringere Auktionsmenge vorübergehend abzubauen. Darüber hinaus sollte diese Maßnahme signalisieren, dass die EU am Emissionshandel als Leitinstrument ihrer Klimaschutzpolitik festhält, indem die Rahmenbedingungen verbessert werden, in denen der Emissionshandel wirken soll. Allerdings war dieser Vorschlag nicht auf eine wirksame Verringerung der Zertifikatüberschüsse am Markt ausgerichtet, da die zurückgehaltenen Zertifikate noch innerhalb der dritten Handelsperiode wieder in den Markt zurückgeführt werden sollten. Auch hatte dieser Vorschlag keinerlei Bedeutung für die Festlegung der längerfristigen Klimaziele der EU. Trotzdem traf dieser Vorschlag auf erhebliche Kritik, nicht nur von Seiten der Industrie, sondern auch innerhalb des Europäischen Parlaments, das den Vorschlag in einer ersten Befassung im April 2013 sogar mehrheitlich ablehnte. Auch innerhalb der damaligen Bundesregierung gab es keine einheitliche Position zu dem Kommissions-Vorschlag, so dass eine Zustimmung im Rat ebenfalls unsicher war. Erst nachdem das Europäische Parlament eine Kompromisslösung vorgelegt hatte und die neuen Koalitionsparteien sich im November 2013 auf eine Unterstützung dieses Vorschlags verständigten, wurde der Backloading-Vorschlag noch Ende 2013 von Rat und Parlament beschlossen.32 Auf Basis der Richtlinienänderung wurde dann im Komitologieverfahren eine Änderung der EU-Auktionsverordnung beschlossen, auf deren Basis seit Mitte März 2014 nur noch eine verringerte Menge an Zertifikaten auktioniert wird. b) Strukturelle Maßnahmen Im November 2012 hat die EU-Kommission einen Bericht veröffentlicht, in dem sie sechs Optionen für Maßnahmen darstellt, mit denen die strukturelle Schwäche des Emissionshandelssystems beseitigt werden kann.33 Neben drei Maßnahmen zur Reduktion der Gesamtmenge an Zertifikaten schlägt die EU-Kommission als mögliche Maßnahmen die Einbeziehung weiterer Sektoren in das EU-Emissionshandelssystem, eine Begrenzung der 32  Vgl. Beschluss Nr. 1359 / 2013 / EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.12.2013 zur Änderung der Richtlinie 2003 / 87 / EG zur Klarstellung der Bestimmungen über den zeitlichen Ablauf von Versteigerungen von Treibhausgasemissionszertifikaten, ABl. L 343, S. 1. 33  Vgl. Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: Die Lage des CO2-Marktes in der EU im Jahr 2012, vom 14.11.2012, COM(2012) 652 final.



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Nutzbarkeit internationaler Projektgutschriften sowie die Einführung eines Preismanagement-Mechanismus vor. Bei allen Ansätzen für eine strukturelle Reform des EU-Emissionshandels muss berücksichtigt werden, dass es beim EU-Emissionshandel seit jeher den grundsätzlichen Zielkonflikt zwischen Flexibilität und Stabilität gibt. Dem Ziel der Flexibilität entspricht es, die Rahmenbedingungen für das Emissionshandelssystem entsprechend den Veränderungen der tatsächlichen Umstände anzupassen. Das Ziel der Stabilität verlangt hingegen, dass die einmal festgelegten Bedingungen nachträglich nicht mehr verändert werden, damit die Marktteilnehmer ein langfristiges und verlässliches Preissignal erhalten, auf dessen Grundlage sie Investitionsentscheidungen treffen, bei denen sie auch die langfristigen CO2-Kosten als sicher zu erwartenden Kostenbestandteil berücksichtigen. Dieser Zielkonflikt verschärft sich proportional zur Länge der Handelsperioden. Die erste Handelsperiode mit einer Dauer von drei Jahren bot ein hohes Maß an Flexibilität, da Veränderungen der Emissionsentwicklung unmittelbar bei der Prognose der nachfolgenden Handelsperiode berücksichtigt werden konnten. Aber bereits mit der Handelsperiode 2008–2012 wurde der Zielkonflikt erkennbar. Die Kalkulation der Gesamtemissionsmenge für die zweite Handelsperiode basierte auf Daten aus den Jahren vor 2006 und die Gesamtmenge an Zertifikaten wurde im Jahr 2007 festgelegt. Die Auswirkungen der erst später beginnenden Finanz- und Wirtschaftskrise auf die Emissionsentwicklung konnte daher nicht berücksichtigt werden, so dass es im Verlauf der zweiten Handelsperiode zu der oben dargestellten Zunahme der Überschüsse am Markt gekommen ist. Innerhalb der derzeitigen Struktur der Emissionshandels-Richtlinie ist der Zielkonflikt eindeutig zugunsten der Stabilität aufgelöst. Die festgelegte Verlängerung der Handelsperioden auf eine Dauer von acht Jahren stärkt den Aspekt der Stabilität, da dies den Zeithorizont für die Kalkulation von Investitionsentscheidungen verlängert. Gleichzeitig gibt es jedoch keine Regelung, die eine Anpassung der Gesamtmenge an Zertifikaten innerhalb der verlängerten Handelsperiode vorsieht.34 Angesichts der Erfahrungen mit den Überschüssen aus der zweiten Handelsperiode müsste der Zielkonflikt zwischen Stabilität und Flexibilität bei einer strukturellen Reform des Emissionshandels daher anders aufgelöst werden als bisher. Das Ziel einer solchen Maßnahme sollte es daher sein, innerhalb der für den Emissionshandel unverzichtbaren Rahmenbedingun34  Die Ausnahmeregelung nach Art. 29a der Richtlinie und die Umsetzung des Backloading-Vorschlags führen jeweils nur zu einer periodeninternen Verschiebung von Auktionsmengen.

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gen (Gewährleistung der Zielpfad-Einhaltung, Preisbildung am Markt) eine möglichst hohe Stabilität der Rahmenbedingungen zu sichern, aber gleichzeitig auch die erforderliche Flexibilität zu eröffnen, auf unvorhergesehene und bedeutsame Abweichungen von der prognostizierten Emissionsentwicklung reagieren zu können. Der von der EU-Kommission im Januar 2014 vorgelegte Vorschlag für die Einführung einer Marktstabilitätsreserve35 erfüllt nahezu alle Anforderungen an eine neue und sachgerechte Auflösung des bestehenden Zielkonflikts. Nach diesem Vorschlag der EU-Kommission sollen in Zeiten zu hoher Überschüsse im Markt Auktionsmengen zurückgehalten und in eine neu geschaffene Marktstabilitätsreserve eingestellt werden. Umgekehrt werden aus dieser Reserve in Zeiten übermäßiger Knappheit oder bei überproportionalen Preisanstiegen Zertifikatmengen entnommen und zusätzlich in den Markt gegeben. Solange sich der Überschuss im Markt innerhalb eines festgelegten Korridors bewegt, gibt es keine Zuführung oder Entnahme von Zertifikaten aus der Reserve. Der wesentliche Vorteil dieses Vorschlags ist es, dass er die Stabilität der Rahmenbedingungen bei einem normalen Verlauf des Emissionshandels völlig unangetastet lässt. Dieser „Normalbetriebs-Korridor“ entspricht etwa einem Fünftel der jährlichen EU-Gesamtemissionsmenge. Nur bei einer extremen Abweichung von der prognostizierten Gesamtemissionsentwicklung, die dazu führt, dass die Überschüsse entweder zu stark ansteigen oder zu stark abnehmen, wird dies durch Zuführungen oder Entnahmen aus der Reserve kompensiert. Darüber hinaus sind dabei die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Interventionsschwellen ebenso wie die Höhe der Interventionsmengen fest vorgegeben. Die vorgesehene Flexibilität ist also strikt regelgebunden und steht ausdrücklich nicht zur Disposition einzelner Akteure oder Institutionen. Damit sind innerhalb der Ausgestaltung der Flexibilisierung deutlich stabilisierende Effekte vorgesehen, um das Vertrauen des Marktes in ein langfristig wirksames Preissignal zu sichern. Die einzige Schwäche dieses Vorschlags ist, dass die Marktstabilitätsreserve nach den Vorstellungen der EU-Kommission erst ab 2021 eingeführt werden soll. Dieser späte Termin für den Beginn der Marktstabilisierung ist möglicherweise den kommissionsinternen Abstimmungsprozessen geschuldet. Sachlich besteht jedoch kein Grund, mit der Marktstabilisierung erst 2021 zu beginnen. Denn dieser späte Termin führt zum einen dazu, dass die aus der zweiten Handelsperiode resultierenden Überschüsse über die gesam35  Vgl. EU-Kommission, Proposal for a decision of the European Parliament and of the Council concerning the establishment and operation of a market stability reserve for the Union greenhouse gas emission trading scheme and amending Directive 2003 / 87 / EC, COM(2014) 20 / 2.



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te Dauer der dritten Handelsperiode hinweg bestehen bleiben und zum anderen werden dadurch die durch das Backloading verschobenen Auktionsmengen am Ende der dritten Handelsperiode zunächst einmal zusätzlich in den ohnehin überverkauften Markt gebracht, um dann in den Folgejahren wieder aus dem Markt herausgenommen zu werden. Die aufgezeigten Schwächen des Vorschlags der EU-Kommission können vermieden werden, wenn die Backloading-Mengen in den Jahren 2014–2016 direkt in die Reserve eingestellt werden und im Anschluss daran ab 2017 der vorgesehene Marktstabilitätsmechanismus greift. Durch eine solche Ausgestaltung der Marktstabilitätsreserve wird eine kontinuierliche Zuführung in die Marktstabilitätsreserve erreicht und die Überschüsse im Markt sind bereits am Anfang der vierten Handelsperiode so weit verringert, dass sich die Überschussmengen im Bereich des regulären Überschusskorridors bewegen. Die rasche Einführung einer solchen Marktstabilitätsreserve wäre eine weitere erfolgreich durchlaufene Lernkurve beim Emissionshandel. Ob sich allerdings im Europäischen Parlament und im Rat die erforderlichen Mehrheiten für eine solche Ausgestaltung der Marktstabilitätsreserve finden lassen, bleibt abzuwarten.

Die Einbeziehung des Luftverkehrs in das EU-Emissionshandelssystem Von Yvonne C. Schmidt, Braunschweig* I. EU-Emissionshandel Das EU-Emissionshandelssystem (EU ETS) startete 2005. Der Anwendungsbereich des EU ETS wird durch Anhang I zur Richtlinie 2003 / 87 / EG1 bestimmt und erfasste zunächst die Kohlendioxid-Emissionen von 12.000 stationären Anlagen, energieintensiven Industrieanlagen sowie Energieanlagen. Island, Liechtenstein und Norwegen haben die Richtlinie in das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum einbezogen.2 Damit erweiterte sich der Anwendungsbereich auf 30 Staaten (nach dem Beitritt Kroatiens zur EU am 1. Juli 2013 auf 31 Staaten). II. Einbeziehung des Luftverkehrs Über die Reduzierung von internationalen Luftverkehrs-Emissionen wird seit 15 Jahren in der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) verhandelt. 2001 befürwortete die ICAO-Generalversammlung die Anwendung eines offenen Emissionshandelssystems für den internationalen Luftverkehr. Nachdem die ICAO 2004 regionalen marktbasierten Maßnahmen zugestimmt hatte, übernahm die EU die Vorreiterrolle. Nach der Mitteilung *  Der Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Auffassung der Verfasserin wieder. Die Autorin war bis 31.12.2013 als Juristische Referentin in dem Referat B.3 „Internationaler Kohlenstoffmarkt, Luftverkehr und Schiffsverkehr“ der General­ direktion Klimapolitik (Europäische Kommission) tätig. Seit 01.01.2014 ist sie Referatsleiterin des Referates L 4 „Lizenzierung und Rechtsangelegenheiten“ der Abteilung L beim Luftfahrt-Bundesamt, Braunschweig. 1  Richtlinie 2003 / 87 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 13.10.2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96  / 61 / EG des Rates, ABl. EU Nr. L 275 v. 25.10.2003, S. 32. 2  Beschluss 146 / 2007 des Gemeinsamen EWR-Ausschusses v. 26.10.2007, ABl. EU Nr. L 100 v. 10.04.2008, S. 92.

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„Verringerung der Klimaauswirkungen des Luftverkehrs“3 verabschiedete die Europäische Kommission im Dezember 2006 einen Vorschlag zur Einbeziehung von Luftverkehrstätigkeiten in das EU ETS. Die Richtlinie 2008 / 101 / EG4 trat am 2. Februar 2009 in Kraft. Da auch diese Richtlinie vom Gemeinsamen EWR-Ausschuss in das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum integriert wurde5, hat sich der Geltungsbereich auf die Staaten Norwegen, Island und Liechtenstein erweitert. Die Richtlinie wurde von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt. Verglichen mit den anderen in den EU-Emissionshandel einbezogenen Sektoren, hat der Luftverkehr einen Anteil von 11 % der CO2-Emissionen.6 1. Gründe für die Einbeziehung

Die EU ist verpflichtet, ihre Kohlendioxid-Emissionen zu verringern. Hierzu sollten alle Branchen einen Beitrag leisten. 3 % der Treibhausgasemissionen der EU sind Luftverkehrsemissionen, wobei internationale Flüge den Großteil der Emissionen verursachen.7 Der Luftverkehr zählt zu den am schnellsten wachsenden Quellen von Treib­haus­ gasemissionen. Es wird geschätzt, dass internationale Luftverkehrsemissionen von 632 Mt im Jahr 2006 auf 890–2800 Mt im Jahr 2050 steigen.8 Dieser Sektor hat zwar nur in begrenztem Maße technisches Potential für Ermessensreduktionen9, kann jedoch durch marktbasierte Mechanismen zur 3  KOM(2005)

459. 2008  /  101  /  EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 19.11.2008 zur Änderung der Richtlinie 2003 / 87 / EG zwecks Einbeziehung des Luftverkehrs in das System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft, ABl. EU Nr. L 8 v. 13.01.2009, S. 3. 5  Beschluss Nr. 6 / 2011 des Gemeinsamen EWR-Ausschusses v. 01.04.2011 über die Änderung von Anhang XX (Umwelt) des EWR-Abkommens, ABl. EU Nr. L 93 v. 07.04.2011, S. 35. 6  Bloomberg New Energy Finance. 7  EEA, Transport sector contribution to total GHG emissions, 2009 [EEA-32], http: /  / www.eea.europa.eu / data-and-maps / figures / transport-sector-contribution-to-to tal. 8  ICAO Information Paper, Group on International Aviation and Climate Change (GIACC), 4th meeting, 25–27 May 2009, „Review of aviation emissions-related activities within ICAO and internationally – Globally aviation CO2 emissions projections to 2050“, GIACC / 4-IP / 1, 20 / 5 / 09. 9  Umweltbundesamt, „Möglichkeiten zur Reduzierung der Umweltauswirkungen des Flugverkehrs“, https: /  / www.umweltbundesamt.de / sites / default / files / medien / 377 /  dokumente / reduzierung_umweltauswirkungen_flugverkehr.pdf. 4  Richtlinie



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Emissionsminderung beitragen, indem die Luftfahrzeugbetreiber Emissionsreduktionen in anderen Bereichen finanzieren. Geschätzt wird, dass die Einbeziehung des Luftverkehrs in den EU-Emissionshandel bis 2015 eine Menge an Kohlendioxid-Emissionen von 176 Mio. t einspart. Durch die Einbeziehung des Luftverkehrs in den EU-Emissionshandel werden Anreize für Effizienz und den Einsatz von Biotreibstoffen geschaffen. 2. Anwendungsbereich

Seit 1. Januar 2012 sind daher grundsätzlich alle Emissionen von Flügen, die auf Flugplätzen in dem Hoheitsgebiet des Europäischen Wirtschaftsraums starten oder landen, in das EU-Emissionshandelssystem einbezogen.10 Das bedeutet, dass auch außereuropäische Luftfahrzeugbetreiber betroffen sind, wenn sie solche Flüge durchführen. Dies dient der Gleichbehandlung und der Vermeidung von Wettbewerbsnachteilen für die europäischen Fluggesellschaften. Nach Art. 25a der Richtlinie kann die Kommission Änderungen erlassen, um Flüge aus einem Drittland (eine Richtung), das Maßnahmen zur Reduzierung der Klimaauswirkungen von Flügen erlässt, vom EU-Emissionshandel auszunehmen. Für die Verwaltung eines konkreten Luftfahrzeugbetreibers ist jeweils der Staat zuständig, dem der Luftfahrzeugbetreiber durch die sog. Verwaltungsmitgliedstaatenliste der Europäischen Kommission zugeordnet wurde (vgl. Art. 18a RL). Diese Liste veröffentlichte die Europäische Kommission am 22. August 200911 und aktualisierte sie zuletzt im Februar 201412. Die Zuordnung erfolgt nach zwei Kriterien: Im Fall eines gewerblichen Luftver10  Anhang I Richtlinie 2003 / 87 / EG in der Fassung der Richtlinie 2008 / 101 / EG. Bis zum 02.08.2009 legt die Kommission nach Art. 3b der Richtlinie Leitlinien für die Auslegung der Luftverkehrstätigkeiten fest. 11  Vgl. Art.  18a Abs.  3 Richtlinie 2008 / 101 / EG, Verordnung (EG) Nr.  748 / 2009 der Kommission v. 05.08.2009 über die Liste der Luftfahrzeugbetreiber, die am oder nach dem 01.01.2006 einer Luftverkehrstätigkeit im Sinne von Anhang I der Richtlinie 2003 / 87 / EG nachgekommen sind, mit Angabe des für die einzelnen Luftfahrzeugbetreiber zuständigen Verwaltungsmitgliedstaats (ABl. EU Nr. L 219 v. 22.08. 2009, S. 1. 12  Verordnung (EU) 100 / 2014 der Kommission v. 05.02.2014 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 748 / 2009 über die Liste der Luftfahrzeugbetreiber, die am oder nach dem 01.01.2006 einer Luftverkehrstätigkeit im Sinne von Anhang I der Richtlinie 2003 / 87 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates nachgegangen sind, mit Angabe des für die einzelnen Luftfahrzeugbetreiber zuständigen Verwaltungsmitgliedstaats, ABl. EU Nr. L 37 v. 06.02.2014, S. 1.

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kehrsbetreibers, der eine gültige Betriebserlaubnis eines EWR-Staats besitzt, ist dieser Staat zuständig für die Verwaltung. In allen anderen Fällen ist der EWR-Staat mit dem höchsten Schätzwert für zugeordnete Luftverkehrsemissionen in Bezug auf Flüge, die der Luftfahrzeugbetreiber im Basisjahr durchführt, zuständig.13 Ausgenommen sind die Flüge, die in Anhang I der Richtlinie genannt sind. Dazu zählen unter anderem Rundflüge, Militärflüge in Militärluftfahrzeugen, Flüge mit einem Luftfahrzeug mit einer höchstzulässigen Startmasse von bis zu 5,7 t, Such- und Rettungsflüge, Ambulanzflüge in medizinischen Notfällen und Flüge eines gewerblichen Luftfahrzeugbetreibers, der entweder Flüge mit jährlichen Gesamtemissionen von weniger als 10.000 t Kohlendioxid oder weniger als 243 Flüge in drei aufeinander folgenden Viermonatszeiträumen durchführt. Die Definition der Luftverkehrstätigkeit und der in Anhang I genannten Ausnahmen beruhen hauptsächlich auf den Kategorien der Verordnung (EG) Nr. 1794  /  2006 der Kommission vom 6. Dezember 2006 zur Einführung einer gemeinsamen Gebührenregelung für Flugsicherungsdienste.14 Die Auslegung der Luftverkehrstätigkeiten ist im Anhang der Entscheidung der Kommission 2009 / 450 / EG15 festgelegt. 3. Pflichten

Begonnen haben die Pflichten bereits im Jahr 2009. Denn nach Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie müssen die Luftfahrzeugbetreiber seit dem 1. Januar 2010 über ihre CO2-Emissionen der betroffenen Flüge berichten. Vorher mussten sie der zuständigen Behörde16 einen Überwachungsplan hinsichtlich der Ermittlung und Überwachung der CO2-Emissionen zur Genehmigung übermitteln (Art. 3g RL). Verifizierte Luftverkehrsemissionen seit dem Jahr 2012 sind jeweils bis zum 31. März des Folgejahres im Register einzutragen und damit betreiberscharf öffentlich einsehbar.17 Die Pflicht zur Abgabe von Zertifikaten für Emissionen des Vorjahres bestand für Luftfahrzeugbetreiber erstmalig zum 30. April 2013. Dabei können Luftfahrzeugbetreiber Zertifikate von Anlagenbetreibern, Luftver13  Art. 18a Abs. 1 der Richtlinie i. V. m. Beschluss Nr. 6 / 2011 des Gemeinsamen EWR-Ausschusses v. 01.04.2011. 14  ABl. EU Nr. L 341 v. 07.12.2006, S. 3. 15  Entscheidung der Kommission v. 08.06.2009 zur genauen Auslegung der in Anhang I der Richtlinie 2003 / 87 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates aufgeführten Luftverkehrstätigkeiten (2009 / 450 / EG), ABl. EU Nr. L 149 v. 12.06. 2009, S. 69. 16  In der Bundesrepublik Deutschland ist das Umweltbundesamt die zuständige Behörde. 17  http: /  / ec.europa.eu / environment / ets / ?



Die Einbeziehung des Luftverkehrs in das EU-Emissionshandelssystem117

kehrsberechtigungen und eine begrenzte Menge an CERs und ERUs nutzen. Für die Abgabepflicht korrespondierend zu den Emissionen des Jahres 2012 sind das maximal 15 % der Zahl der Zertifikate, die sie abgeben müssen.18 In der Periode 2013–2020 dürfen Luftfahrzeugbetreiber Gutschriften bis zu einem Umfang von 1,5 % ihrer geprüften Emissionen im Zeitraum von 2013–2020 nutzen.19 4. Cap und Zuteilungsregeln

Entsprechend der Richtlinie lief die erste Handelsperiode für den Luftverkehr vom 1. Januar 2012 bis 31. Dezember 2012, die zweite Handelsperiode begann am 1. Januar 2013 und endet am 31. Dezember 2020. Im Gegensatz zur ursprünglichen Richtlinie wird das Budget für den Bereich des Luftverkehrs von der Europäischen Kommission bestimmt. Das Cap hatte in der Periode 2012 eine Höhe von 97 % und reduziert sich in der Periode 2013–2020 auf 95 % der historischen Luftverkehrsemissionen (Art. 3c RL). Historische Luftverkehrsemissionen in diesem Sinne ist der durchschnittliche Mittelwert der jährlichen Emissionen von Luftfahrzeugen, die eine Luftverkehrstätigkeit nach Anhang I durchführen, in den Kalenderjahren 2004, 2005 und 2006 (Art. 3 lit. s). Die Europäische Kommission hat mit Beschluss vom 7. März 201120 die europaweiten historischen Luftverkehrsemissionen festgelegt. Mit der Einbeziehung dieses Beschlusses in das EWR-Abkommen wurden die EWRweiten historischen Luftverkehrsemissionen auf 221.420.279 t CO2 festgelegt.21 Die Richtlinie enthält darüber hinaus bereits die Zuteilungsregeln. 15 % der Berechtigungen werden versteigert (Art. 3d RL). Ab der Periode 2013 werden 3 % der Berechtigungen in eine Sonderreserve zurückgestellt (Art. 3f RL). Die restlichen Berechtigungen werden an die Alt-Betreiber kostenlos zugeteilt, d. h. im Jahr 2012 werden 85 % und in der Periode 2013–2020 werden 82 % kostenlos zugeteilt (Art. 3e RL). Eine Zuteilung aus der Sonderreserve können gemäß Art. 3f RL „neue“ Luftfahrzeugbetreiber oder „schnell wachsende Luftfahrzeugbetreiber“ bis 18  Art. 11a

Abs. 1a S. 1 in der Fassung der Richtlinie 2008 / 101 / EG. Abs. 8 UAbs. 3 S. 2 in der Fassung der Richtlinie 2009 / 29 / EG. 20  Beschluss der Kommission v. 07.03.2011 über historische Luftverkehrsemis­ sionen gemäß Art. 3c Abs. 4 der Richtlinie 2003 / 87 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft (2011 / 149 / EU), ABl. EU Nr. L 61 v. 08.03.2011, S. 42. 21  Beschluss des Gemeinsamen EWR-Ausschusses Nr. 87  /  2011 v. 01.07.2011, ABl. EU Nr. L 262 v. 06.10.2011, S. 59. 19  Art. 11a

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zum 30. Juni 2015 beantragen, wenn es sich nicht um die Fortführung einer Luftverkehrstätigkeit, die zuvor von einem anderen Luftfahrzeugbetreiber ausgeführt wurde, handelt. Neue Luftfahrzeugbetreiber sind solche, die nach dem Basisjahr 2010 emissionshandelspflichtige Flüge durchführen. Die Europäische Kommission hat zunächst gemäß Art. 3e der Richtlinie einen Beschluss erlassen über: – die Gesamtmenge der Zertifikate für die Perioden 2012 und 2013–2020, – die Anzahl der Zertifikate, die in den Perioden 2012 und 2013–2020 zu versteigern sind, – die Zahl der Zertifikate in der Sonderreserve für die Periode 2013–2020 und – die Zahl der Zertifikate, die kostenfrei zuzuteilen sind.22 Mit Einbeziehung dieses Beschlusses in das EWR-Abkommen standen die EWR-weiten Mengen der Zertifikate fest23 und die Europäische Kommission konnte die EWR-weit gültigen Benchmarks für die Perioden 2012 und 2013–2020 berechnen und festlegen24. Danach hatten die EWR-Staaten drei Monate Zeit, um die kostenlose Zuteilung für die Luftfahrzeugbetreiber für die Perioden 2012 und 2013–2020 zu berechnen und zu veröffent­ lichen25. 5. Einhaltung der Vorschriften

Um die Vorschriften einzuhalten, können die Luftfahrzeugbetreiber wählen, ob sie ihre Emissionen auf die Höhe der kostenlos erhaltenen Zuteilung begrenzen, ihre Emissionen unterhalb diese Menge reduzieren und die überschüssige Menge verkaufen oder die Differenz, die über die kostenlos erhaltene Zuteilungsmenge hinausgeht, ersteigern oder am Markt kaufen. 22  Beschluss der Kommission v. 30.06.2011 über die EU-weite Menge der Zertifikate gemäß Art. 3e Abs. 3 lit. a bis d der Richtlinie 2003 / 87 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates über ein System für den Handel mit Treibhausgasemis­ sionszertifikaten in der Gemeinschaft (2011 / 389 / EU), ABl. EU Nr. L 173 v. 01.07. 2011, S. 13. 23  Beschluss des Gemeinsamen EWR-Ausschusses Nr. 93  /  2011 v. 20.07.2011, ABl. EU Nr. L 262 v. 06.10.2011, S. 65. 24  Beschluss der Kommission v. 26.09.2011 über Benchmarks für die kostenlose Zuteilung von Treibhausgasemissionszertifikaten an Luftfahrzeugbetreiber gemäß Art. 3e der Richtlinie 2003  /  87  /  EG des Europäischen Parlaments und des Rates (2011 / 638 / EU), ABl. EU Nr. L 252 v. 24.09.2013, S. 20. 25  Die Links zu den Veröffentlichungen sind auf der Internetseite der Europäischen Kommission zu finden unter: http: /  / ec.europa.eu / clima / policies / transport / avia tion / allowances / links_en.htm.



Die Einbeziehung des Luftverkehrs in das EU-Emissionshandelssystem119

Luftfahrzeugbetreiber können Berechtigungen aus dem stationären Bereich, Luftfahrzeugberechtigungen und Projektgutschriften (bis zu dem erwähnten Limit) verwenden. Werden die Vorschriften nicht eingehalten, erfolgt bei Nichtabgabe des Emissionsberichts bis zum 31. März eine Sperrung des Kontos mit der Folge, dass mit Ausnahme der Abgabe keine Übertragungen von Berechtigungen an Dritte möglich sind. Wird die Abgabepflicht nicht erfüllt, resultiert eine Zahlungspflicht i.H.v. 100 € pro nicht abgegebener Berechtigung. Darüber hinaus sind die Berechtigungen weiterhin abzugeben. 6. Kritik

Die Einbeziehung der internationalen Luftverkehrsemissionen in den EUEmissionshandel wird weiterhin politisch debattiert. Zwar ist Anknüpfungspunkt für die Einbeziehung Start oder Landung im Hoheitsgebiet eines EWR-Staates, jedoch rügen Drittstaaten insbesondere eine Verletzung ihrer Souveränität. Amerikanische Luftverkehrsunternehmen und Verbände haben in Großbritannien geklagt.26 Das zuständige Gericht hatte das Verfahren ausgesetzt und dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob die Richtlinie gemessen an den gerügten Bestimmungen des Völkerrechts gültig ist. Der Gerichtshof hat die Gültigkeit der Richtlinie, mit der die Luftverkehrstätigkeiten in das System für den Handel mit Emissionszertifikaten einbezogen werden, bestätigt.27 Der Europäische Gerichtshof hat am 21. Dezember 2011 entschieden, dass die Richtlinie zur Einbeziehung des Luftverkehrs mit internationalem Recht vereinbar ist. Das Gericht hat festgestellt, dass erstens weder das Territorialitätsprinzip noch die Souveränität von Drittstaaten durch die Richtlinie verletzt sind. Zweitens stellt das EU Emissionshandelssystem weder eine Steuer noch eine Gebühr auf Treibstoff dar, die das EU-US Luftverkehrsabkommen verletzen könnten. Vielmehr steht die gleiche Anwendung des EU Emissionshandels auf europäische und nicht-europäische Fluggesellschaften im Einklang mit den Bestimmungen des EU-US Luftverkehrsabkommens, das die Diskriminierung zwischen Luftfahrzeugbetreibern aufgrund der Nationalität verbietet.

26  Klägerinnen waren: Air Transport Association of America, American Airlines Inc., Continental Airlines Inc. und United Airlines Inc. 27  EuGH, Rs. C-366 / 10, Slg. 2011, I-13755 – Air Transport Association of America u. a.

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III. Fortschritte in ICAO Gleichzeitig gab die Einbeziehung des Luftverkehrs in das EU-Emissionshandelssystem Impulse für die Verhandlungen in der ICAO. Mit seinem starken Engagement hat die EU wesentlich dazu beigetragen, dass in der ICAO eine Dynamik zu Gunsten globaler Maßnahmen zur Reduzierung der Luftverkehrsemissionen entstand. Die Hochrangige Gruppe für den internationalen Luftverkehr und den Klimawandel (High Level Group on International Aviation and Climate Change, HGCC) der ICAO wurde eingerichtet, um Leitlinien für einen Rahmen für marktbasierte Mechanismen auszuarbeiten, die Durchführbarkeit der Optionen für eine globale marktbasierte Maßnahme einzuschätzen und technische und operative Maßnahmen zu bestimmen. 1. „Stop-the-clock“

Um im Rahmen der ICAO Fortschritte zu erleichtern und weitere Impulse zu geben, hat die Europäische Kommission im November 2012 die „Stop-the-clock“-Entscheidung vorgeschlagen.28 Diese Entscheidung trat im April 2013 in Kraft und sieht vor, dass keine Vollstreckung von Verpflichtungen für Drittlandsflüge des Jahres 2012, die auf Flugplätzen in dem EWR starten oder landen, erfolgt. Damit werden nur Verpflichtungen für Flüge innerhalb des EWR vollstreckt. 2. 38. ICAO-Versammlung und Reaktion der EU

Die 38. ICAO-Versammlung, die im September / Oktober 2013 stattfand, beschloss, bis zur nächsten ICAO-Versammlung im Jahr 2016 einen globalen marktbasierten Mechanismus auszuarbeiten, der bis 2020 umgesetzt werden soll.29 Die EU sowie andere Staaten haben Vorbehalte gegen Teile der Resolution eingereicht.30 28  Beschluss

Nr. 377 / 2013 / EU v. 24.04.2013, ABl. EU Nr. L v. 25.04.2013, S. 1. Session, Report of the Executive Committee on Agenda Item 17 (Section on Climate Change), Resolution 17 / 2 „Consolidated statement of continuing ICAO policies and practices related to environmental protection – Climate change“, A38-WP / 430, P / 44, 3 / 10 / 13, http: /  / ec.europa.eu / clima / policies / transport /  aviation / docs / a38_wp_430_en.pdf. 30  „Written statement of Reservation by Lithuania on behalf of the Member States of the European Union and 14 other Member States of the European Civil Aviation Conference (ECAC) with regard to ICAO Resolution A38-18“, http: /  / ec.euro pa.eu / clima / policies / transport / aviation / docs / st_15605_13_en.pdf;  andere Staaten: http: /  / www.icao.int / Meetings / a38 / Documents / Forms / AllItems.aspx?RootFolder=  % 2fMeetings %2fa38 %2fDocuments %2fResolutions&FolderCTID=0x0120009231FF2 7FBD91B4DACC2C16DC2E90293. 29  Assembly-38th



Die Einbeziehung des Luftverkehrs in das EU-Emissionshandelssystem121

Als Reaktion auf diesen Fortschritt und um die weitere Dynamik bei der Schaffung eines globalen marktbasierten Mechanismus zu fördern, hat die Europäische Kommission am 16. Oktober 2013 vorgeschlagen, dass EU Emissionshandelssystem für Luftverkehrstätigkeiten zu ändern.31 Der Vorschlag für die Änderungsrichtlinie sieht im Wesentlichen folgendes vor: (1) Flüge zwischen Flugplätzen innerhalb des EWR sind in vollem Umfang erfasst. (2) Emissionen von Flügen im Jahr 2013 nach und von Staaten außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraumes sind ausgenommen. (3) Flüge von und nach Drittländern, die keine Industrieländer sind und weniger als 1 % der globalen Luftverkehrsemissionen verursachen, sind ausgenommen. Damit wären Flugstrecken zu rund 80 Ländern32 in nicht-diskriminierender Weise ausgeschlossen. (4) Ab 1. Januar 2014 würden Flüge nach und von Staaten außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraumes von einer generellen Ausnahme für den Anteil der Emissionen, die außerhalb des Luftraumes der Europäischen Wirtschaftszone emittiert werden, profitieren, indem nur die Emissionen des Anteils des Fluges, der innerhalb des Luftraumes der Europäischen Wirtschaftszone stattfindet, erfasst würden. Der Vorschlag sieht des Weiteren vor, dass die Zuteilungen für den Zeitraum 2013–2020 sowie die Anzahl der je Mitgliedstaat zu versteigernden Luftverkehrsberechtigungen entsprechend angepasst werden. Am 3. April 2014 wurde im Trilog ein Kompromiss gefunden. Der Bericht wurde im Plenum mit 458 zu 120 Stimmen bei 24 Gegenstimmen angenommen. Danach wird der Emissionshandel bis einschließlich 2016 nur den innereuropäischen Luftverkehr umfassen. Das bedeutet, dass alle Luftfahrzeugbetreiber die CO2-Emissionen, die bei innereuropäischen Flügen ausgestoßen werden, ausgleichen müssen.

31  Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2003 / 87 / EG über ein System für den Handel mit Treib­ hausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft zur Umsetzung bis 2020 eines internationalen Übereinkommens über die Anwendung eines einheitlichen globalen marktbasierten Mechanismus auf Emissionen aus dem internationalen Luftverkehr, COM(2013) 722 v. 16.10.2013,  http: /  / eur-lex.europa.eu / LexUriServ / LexUriServ.do? uri=COM:2013:0722:FIN:DE:PDF. 32  „Provisional list of countries referred to in recital 10 and the Annex to Commission proposal COM (2013)722 to amend Directive 2003 / 87 / EC, to / from which it is proposed that routes be exempted from the EU ETS for the period from 2014 to 2020“, http: /  / ec.europa.eu / clima / policies / transport / aviation / docs / country_list_en. pdf.

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Yvonne C. Schmidt 3. Konsultationen

Drittländer wurden förmlich, beispielsweise im Rahmen der Sitzungen des Gemeinsamen Ausschusses EU-USA und im Rahmen bilateraler und multilateraler Tagungen zum Luftverkehr und zum Emissionshandel konsultiert. Darüber hinaus unterhält die Kommission weiterhin bilaterale und multilaterale Kontakte mit Drittländern. IV. Ausblick Tritt die Änderungsrichtlinie nicht bis zum Zeitpunkt der Abgabeverpflichtung für Emissionen des Jahres 2013 am 30. April 2014 in Kraft, gilt die ursprüngliche Richtlinie, da „Stop-the-clock“ nur auf Emissionen des Jahres 2012 anwendbar ist. Das würde bedeuten, dass Luftfahrzeugbetreiber für ihre gesamten Emissionen aus Flügen von und nach Drittländern bis zum 30. April 2014 Berechtigungen abgeben müssten. Nach dem Entwurf der Änderungsrichtlinie erstattet die Kommission im Anschluss an die ICAO-Versammlung von 2016 dem Europäischen Parlament und dem Rat Bericht über die Maßnahmen zur Umsetzung des auf Emissionen ab 2020 anwendbaren globalen marktbasierten Mechanismus und unterbreitet geeignete Vorschläge. Kommt der globale Mechanismus nicht ab 2020 zur Anwendung, so wird in dem Bericht geprüft, in welchem Umfang Emissionen aus dem Luftverkehr von und nach Ländern außerhalb des EWR ab 2020 erfasst werden sollten, solange es einen solchen globalen Mechanismus noch nicht gibt.

Die Versteigerung im EU-Emissionshandelssystem Von Felix Hardach, Berlin* I. Rechtliche Grundlagen und Entwicklung der Versteigerung im Emissionshandelssystem Die „Kardinalpflicht“1 von Anlagen- und Luftfahrzeugbetreibern im europäischen Emissionshandelssystem ist es, jährlich eine Anzahl an Emissionsberechtigungen abzugeben, die den im vorangegangenen Kalenderjahr verursachten Emissionen entspricht (§ 7 Abs. 1 S. 1 des Treibhausgas-Emis­ sionshandelsgesetzes [TEHG]). Die Emissionsberechtigungen werden teilweise kostenlos an die Betreiber zugeteilt, teilweise müssen die Betreiber sie kaufen. Berechtigungen können einerseits von anderen Privaten auf dem Sekundärmarkt erworben werden. Andererseits wird auch die staatliche Erstausgabe (Primärallokation) von Emissionsberechtigungen in zunehmendem Maße durch Veräußerung (auf dem Primärmarkt) vorgenommen. 1. Die erste und zweite Handelsperiode als Testphase der Versteigerung

Das europäische Emissionshandelssystem basiert auf der europäischen Emissionshandels-Richtlinie (Richtlinie 2003 / 87 / EG), die auch den Rahmen für die Versteigerung setzt. Im ersten Entwurf der Richtlinie hatte die Europäische Kommission noch vorgeschlagen, dass in der ersten Handelsperiode (2005–2007) alle Berechtigungen kostenlos zugeteilt werden sollten und für die zweite Handelsperiode (2008–2012) die Zuteilungsmethode offen gelassen werden sollte.2 Das Europäische Parlament setzte sich hingegen für eine frühzeitige Einführung von Versteigerungen ein.3 Als Kompromiss bestimmte die Emissionshandels-Richtlinie für die erste Handelsperiode *  Der

der.

Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Auffassung des Verfassers wie-

1  So Weinreich, in: Landmann  / Rohmer, Umweltrecht IV, Loseblatt-Kommentar, § 7 TEHG Rn. 1 (im Erscheinen). 2  EU-Kommission, KOM (2001) 581 endg., Art. 10; Dies, KOM (2002) 680 endg., S. 10 (zu Änderungsantrag 102). 3  Europäisches Parlament, Plenarsitzungsdokument A5-02072003, S. 9 f. (Änderungsantrag 6 zu Art. 10).

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(2005–2007), dass die Mitgliedstaaten mindestens 95 % der Berechtigungen kostenlos zuteilen mussten (Art. 10 S. 1 i. d. F. nach ABl. EG 2003 L 275, 32), also nur bis zu 5 % veräußern durften. Von dieser Möglichkeit machten in der ersten Handelsperiode Dänemark, Ungarn, Litauen und Irland Gebrauch4, jedoch noch nicht die Bundesrepublik Deutschland. Für die zweite Handelsperiode (2008–2012) bestimmte die Richtlinie, dass die Mitgliedstaaten mindestens 90 % der Berechtigungen kostenlos zuteilen mussten (Art. 10 S. 2 i. d. F. nach ABl.EG 2003 L 275, 32), also bis zu 10 % versteigern durften. Nun führten noch weitere Mitgliedstaaten, darunter die Bundesrepublik Deutschland, die Versteigerung ein. Die Veräußerung von Emissionsberechtigungen war in Deutschland in der zweiten Handelsperiode in § 5 Abs. 3, §§ 19 bis 21 des Zuteilungsgesetzes 2012 (ZuG 2012) geregelt. § 19 S. 1 ZuG 2012 traf die Grundentscheidung für die Veräußerung und legte das Veräußerungsvolumen fest. Das Verfahren war in § 21 ZuG 2012 und ergänzend in der Emissionshandels-Versteigerungsverordnung 2012 (EHVV 2012) geregelt. Im Regierungsentwurf für die Rechtsgrundlagen für die zweite Handelsperiode5 und im entsprechenden Erstentwurf der Regierungsfraktionen6 war nur die Veräußerung von Emissionsberechtigungen aus der Reserve zur Refinanzierung der Deutschen Emissionshandelsstelle (DEHSt) im Umweltbundesamt vorgesehen. Ähnlich wie das Europäische Parlament im Verfahren zur Verabschiedung der Richtlinie traf der Bundestag den weitergehenden Beschluss, bis zu 10 % der Gesamtmenge an Emissionsberechtigungen zu versteigern und dafür die kostenlosen Zuteilungen für die Produktion von Strom durch Energieanlagen zu kürzen.7 Die Bundesrepublik Deutschland und das Vereinigte Königreich schöpften mit Veräußerung von 9 bis 10 % der Emissionsberechtigungen die zulässige Quote während der zweiten Handelsperiode weitgehend aus.8 4  Umweltbundesamt, Implementation of Emissions Trading in the EU: National Allocation Plans of all EU States, 2005, S. 16 ff. 5  BR-Drs.  276 / 07, §  5 Abs.  3. 6  BT-Drs.  16 / 5240, §  5 Abs.  3. 7  BT-Drs. 16 / 5769, S. 4 f., 16 ff.; BT-Plenarprotokoll 16 / 106, S. 10927; im Bundesrat wurde eine Ausschussempfehlung zur entsprechenden Ausweitung der Versteigerung nicht in die Stellungnahme des Bundesrates aufgenommen (BRDrs. 276 / 1 / 107, S. 1 ff.; BR-Drs. 276 / 07 (B), S. 1 f.), der Bundesrat rief jedoch nicht den Vermittlungsausschuss gegen das Gesetz an (BR-Plenarprotokoll 835, S. 231). 8  Zu den Versteigerungsmengen der einzelnen Mitgliedstaaten in der zweiten Handelsperiode siehe European Environment Agency, EU Emissions Trading System (ETS) data viewer, http: /  / www.eea.europa.eu / data-and-maps / data / data-viewers /  emissions-trading-viewer und die Tabelle bei Hardach, in: Landmann / Rohmer, Umweltrecht IV, Loseblatt-Kommentar, Stand: 69. Lfg. (04 / 13), § 8 TEHG Rn. 6. Zu den deutschen Veräußerungen in der zweiten Handelsperiode siehe ausführlich Um-



Die Versteigerung im EU-Emissionshandelssystem125 2. Die dritte Handelsperiode

In der dritten Handelsperiode (2013–2020) ist die Zuteilung von Emissionsberechtigungen durch Versteigerung die Regel. Art. 10 Abs. 1 S. 1 der Emissionshandels-Richtlinie sieht vor, dass die Mitgliedstaaten ab dem Jahr 2013 sämtliche Emissionsberechtigungen, die für stationäre Anlagen verwendet werden können, versteigern, sofern sie nicht gemäß Art. 10a und 10c der Richtlinie kostenlos zugeteilt werden. Kostenlose Zuteilung für Stromerzeugung ist grundsätzlich ausgeschlossen (Art. 10a Abs. 1 UAbs. 3 S. 2 und Abs. 3 der Emissionshandels-Richtlinie). Die Möglichkeit, nach Art. 10c der Richtlinie ausnahmsweise kostenlose Emissionsberechtigungen für Stromerzeuger zuzuteilen, ist nur für neue Mitgliedstaaten relevant. Für die Erzeugung anderer Produkte ist weiterhin eine kostenlose Zuteilung von Emissionsberechtigungen vorgesehen (Art. 10a Abs. 1 der Richtlinie). Diese kostenlose Zuteilung für die Industrie schmilzt von 80 % der Grundmenge nach Art. 10a Abs. 1 im Jahr 2013 über 30 % im Jahr 2020 auf 0 % im Jahr 2027 ab (Art. 10a Abs. 11 der Richtlinie). Jedoch werden für Anlagen in Sektoren und Teilsektoren, in denen im Falle zu hoher emissionshandelsbedingter Kosten ein erhebliches Risiko der Verlagerung von Emissionen außerhalb des EU-Emissionshandelssystems angenommen wird (CarbonLeakage-Risiko), zunächst bis zum Jahr 2020 weiterhin kostenlose Berechtigungen in Höhe von 100 % der Grundmenge nach Art. 10a Abs. 1 der Richtlinie zugeteilt (Art. 10a Abs. 12). Der Beschluss 2010  /  2  /  EU der Kommission führt rund 170 Sektoren und Teilsektoren auf, von denen nach Art. 1 des Beschlusses angenommen wird, dass sie einem erheblichen Carbon-Leakage-Risiko ausgesetzt sind. Hinsichtlich der Berechtigungen für stationäre Anlagen wird die Versteigerungsquote für die dritte Handelsperiode, über die gesamte Handelsperiode betrachtet, auf 55 % der Gesamtmenge geschätzt.9 Für Luftverkehrsberechtigungen ist unmittelbar in der Emissionshandels-Richtlinie (Art. 3d Abs. 1 und Abs. 2 S. 1) eine Versteigerungsquote von 15 % der Gesamtmenweltbundesamt / KfW, Versteigerung von Emissionsberechtigungen in Deutschland: Auswertungen und Hintergründe aus fünf Jahren Verkauf und Versteigerung am Übergang zur dritten Handelsperiode des EU-Emissionshandels, 2012, S. 13 ff. 9  EU-Kommission, SWD (2012) 234 final, S. 38, Table 13. Die Versteigerungen im Jahr 2013 beruhten auf einer konservativen Schätzung der Versteigerungsmenge. Die gesamte Auktionsmenge betrug demnach 808.146.500 Berechtigungen und die deutsche Auktionsmenge 182.560.500 Berechtigungen (Europäische Kommission, Questions and Answers: Auctioning (11.2013): How many allowances will be auctioned in 2013? When? How often?, http: /  / ec.europa.eu / clima / policies / ets / cap / auc tioning / faq_en.htm. Der deutsche Anteil an dieser vorläufig festgelegten Versteigerungsmenge für 2013 betrug also 22,6 %.

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ge an Luftverkehrsberechtigungen festgelegt. Die EU-Auktionsverordnung (Verordnung [EU] Nr. 1031 / 2010) regelt ausführlich das Verfahren für die Versteigerung sowohl von Berechtigungen für stationäre Anlagen als auch von Luftverkehrsberechtigungen. II. Gründe für die Versteigerung von Emissionsberechtigungen Die Europäische Kommission war trotz ihrer Vorsicht gegenüber der Einführung von Versteigerungen (siehe oben I.1.) schon von Anfang an der Ansicht, dass diese gegenüber der kostenlosen Zuteilung von Berechtigungen „technisch gesehen vorzuziehen“ seien.10 Die kostenlose Zuteilung könne Wettbewerbsprobleme mit sich bringen, während die Versteigerung allen Unternehmen eine gleiche und faire Chance auf den transparenten Erwerb der gewünschten Emissionsberechtigungen biete und dem Verursacherprinzip entspreche.11 Ein weiterer Grund für die Versteigerung ist eine Verbesserung der Allokationseffizienz des Emissionshandels.12 Die Versteigerung trägt dazu bei, dass Berechtigungen dort verwendet werden, wo dies volkswirtschaftlich den größten Nutzen erbringt.13 Auf einer Versteigerung bieten (zumindest theoretisch) diejenigen Unternehmen den höchsten Preis, für die Emissionsberechtigungen den höchsten Wert haben. Der Wert, den eine Berechtigung für einen Anlagen- oder Luftfahrzeugbetreiber hat, bestimmt sich wiederum danach, wie hoch die entsprechenden Kosten des Unternehmens für die Minderung von Emissionen sind und wie hoch die Wertschöpfung ist, die das Unternehmen mit der Emission von einer Tonne Kohlendioxidäquivalent erzielen kann. Es können auch andere Faktoren für den Gebotspreis eines Auktionsteilnehmers eine Rolle spielen. Etwa kann ein Teilnehmer der aufgrund seiner Marktstellung den Preis von Emissionsberechtigungen auf seine Kunden abwälzen kann, einen höheren Preis bieten als ein Teilnehmer, der dies nicht kann. Dies weicht das Prinzip, dass durch die Versteigerung eine effiziente Allokation bewirkt wird, zwar teilweise auf, stellt es aber nicht grundsätzlich in Frage. Demgegenüber kann die Zuteilung von kostenlosen Berechtigungen den Nachteil haben, dass die Unternehmen ihre Produktion nicht mehr primär an der Knappheit des Produktionsmittels „Emissionsbefugnis“ orientieren, sondern auch einen Anreiz 10  EU-Kommission,

KOM(2000) 87 endg., S. 21. KOM(2000) 87 endg., S. 21. 12  BT-Drs. 16 / 5769, S. 17 (zu § 19 ZuG 2012); Erwägungsgrund 15 der Richtlinie 2009 / 29 / EG spricht generell von „wirtschaftlicher Effizienz“. 13  BT-Drs. 16 / 5769, S. 17 (zu § 19 ZuG 2012); Erwägungsgrund 15 der Richtlinie 2009 / 29 / EG. 11  EU-Kommission,



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zu strategischem Verhalten im Hinblick auf künftige kostenlose Zuteilungen haben.14 Die Einführung der Versteigerung diente weiterhin dem Zweck, nicht intendierte Zufallsgewinne (Windfall Profits) soweit möglich abzuschöpfen (genauer gesagt gar nicht erst entstehen zu lassen15), die bei den Stromerzeugern durch die Einpreisung der Opportunitätskosten der kostenlos zugeteilten Berechtigungen am Strommarkt entstanden waren.16 Dadurch, dass die Stromerzeuger die kostenlosen Berechtigungen zur Erzeugung von Strom verbrauchten, verzichteten sie auf den Verkauf der Berechtigungen. Die Verkaufserlöse, die den Stromerzeugern dadurch entgingen, waren die Opportunitätskosten, die von den Stromerzeugern in die Strompreise eingepreist wurden. Wegen dieser Einpreisung von Opportunitätskosten stiegen die Strompreise auch bei kostenloser Zuteilung von Emissionsberechtigungen.17 Da es Ziel der kostenlosen Zuteilung ist, die mit dem Emissionshandelssystem verbundenen wirtschaftlichen Mehrbelastungen abzufedern, und nicht, Zufallsgewinne zu generieren,18 stellten diese Gewinne die Notwendigkeit der kostenlosen Zuteilung für die Stromerzeuger in Frage und legten den Umstieg auf die Versteigerung nahe. Umstritten an der Versteigerung anstelle kostenloser Zuteilung ist die finanzielle Belastung der betroffenen Unternehmen.19 Die Entscheidung, Berechtigungen zu versteigern statt kostenlos zuzuteilen, ändert nichts an der Gesamtmenge an Berechtigungen während der 14  BT-Drs. 16 / 5769, S. 17 (zu § 19 ZuG 2012); Sachverständigenrat für Umweltfragen, Umweltgutachten 2008, Berlin 2008, Rn. 176; Diekmann / Schleich, ZfE 2006, 259 (260 f.). 15  So BVerwG, NVwZ 2013, 587 (589). 16  BT-Drs. 16 / 5769, S. 17 (zu § 19 ZuG 2012); Erwägungsgrund 15 der Richtlinie 2009 / 29 / EG. 17  Siehe zur Einpreisung International Energy Agency, CO Allowance & Elec2 tricity Price Interaction, Paris 2007, S. 22 ff.; Ecologic, Strompreiseffekte des Emissionshandels, Berlin 2005, S. 14 ff.; Helbig, Windfall Profits im europäischen Emissionshandel, 2010, S. 93 ff.; zu Beispielen für Zufallsgewinne siehe Matt­hes / Gores /  Hermann, Zusatzerträge von ausgewählten deutschen Unternehmen und Branchen im Rahmen des EU-Emissionshandelssystems – Analyse für den Zeitraum 2005– 2012, 2011, S. 16 ff. 18  Vgl. BVerwG, NVwZ 2013, 587 (589). 19  EU-Kommission, Final Report of the 3rd meeting of the ECCP working group on emissions trading on the review of the EU ETS on Further Harmonisation and Increased Predictability, 070521-22 Final report M3, Brüssel 2007, S. 6 ff.; zu den makroökonomischen Effekten der Versteigerung, wenn die Erlöse wieder in die Wirtschaft zurückfließen, siehe EU-Kommission, Arbeitspapier der Kommissionsdienststellen – Folgenabschätzung – Begleitpapier zum Paket der Durchführungsmaßnahmen für die Ziele der EU in den Bereichen Klimawandel und erneuerbare Energie bis 2020, SEK (2008) 85, Brüssel 2008, S. 12 f.

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Handelsperiode, so dass die Menge der zulässigen Emissionen während der Handelsperiode durch die Versteigerung nicht sinkt. Es ist daher „schwierig einzuschätzen“, ob die Versteigerung neben der Verbesserung der Allokationseffizienz auch eine Verstärkung des Klimaschutzes bewirkt.20 Dies stand daher für die Einführung der Versteigerung – sowohl für den europäischen Richtliniengeber als auch für den deutschen Gesetzgeber – zumindest nicht im Vordergrund. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass Investitionen in Anlagen mit einem Planungshorizont getätigt werden, der weit über eine Handelsperiode hinausgeht. Die Stromerzeugung mit fossilen Brennstoffen wird im Vergleich zu Erneuerbaren Energien weniger attraktiv, wenn keine oder weniger kostenlos zugeteilte Berechtigungen zu erwarten sind. Wenn Erneuerbare Energien stärkere Verbreitung finden, lässt sich wiederum in zukünftigen Handelsperioden die Gesamtmenge der Berechtigungen stärker senken, da diese immer das Ergebnis einer Abwägung zwischen den Anforderungen des Klimaschutzes und den Möglichkeiten der Wirtschaft ist.21 So baute die Reduzierung der Gesamtmenge von der zweiten zur dritten Handelsperiode darauf auf, dass der Ausbau der Erneuerbaren Energien eines der Mittel war, mit denen die Minderungsziele des Emissionshandels erreicht werden konnten.22 III. Verfassungsrechtliche Bewertung der Versteigerung in der zweiten Handelsperiode Da es in der zweiten Handelsperiode der Bundesrepublik freigestellt war, bis zu 10 % der Berechtigungen zu versteigern oder die gesamte Menge kostenlos zuzuteilen, musste sich diese Entscheidung am Grundgesetz messen lassen. Die Verfassungsmäßigkeit der Versteigerung wurde vom ­BVerwG bestätigt.23 Jedoch hat sich damit und mit dem Ablauf der zweiten Handelsperiode der Streit um die Verfassungsmäßigkeit der Versteigerung noch nicht erledigt, weil mindestens ein Betreiber Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung des BVerwG eingelegt hat.24

20  EU-Kommission / Ecofys, Auctioning of CO Emission Allowances in the EU 2 ETS, 2006, S. 14 f. 21  Vgl. EU-Kommission, Green Paper, A 2030 framework for climate and energy policies, COM(2013) 169 final, S. 7. 22  Capros / Mantzos / Papandreou / Tasios, Model-based Analysis of the 2008 EU Policy Package on Climate Change and Renewables, Athen 2008, S. 5, 7 f., 16, 31 f.; siehe dazu Hermann / Matthes, Strengthening the EU ETS, Berlin 2012, S. 29 f. 23  BVerwG, NVwZ 2013, 576; BVerwG, NVwZ 2013, 587. 24  CO -Handel.de, RWE Power reicht Verfassungsbeschwerde gegen Versteige2 rung ein, 04.03.2013 (http: /  / www.co2-handel.de / article58_19827.html).



Die Versteigerung im EU-Emissionshandelssystem129 1. Finanzverfassung

Im Mittelpunkt der verfassungsrechtlichen Diskussion über die Versteigerung in der zweiten Handelsperiode steht die Frage, ob die Versteigerung den Vorgaben der Finanzverfassung (Art. 104a ff. GG) entspricht. Die Finanzverfassung enthält Vorschriften über die Ausgaben und Einnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden, unter anderem über Steuern. Sie soll sicherstellen, dass Bund und Länder am Gesamtertrag der Volkswirtschaft sachgerecht beteiligt werden.25 Dies spielt bei der Versteigerung von Emissionsberechtigungen insofern eine Rolle, als die Versteigerung im Vergleich zur kostenlosen Zuteilung das zu versteuernde Einkommen insbesondere der Stromerzeuger und damit mittelbar die Einnahmen der Länder aus den Ertragssteuern mindert.26 Die Einnahmen aus der Versteigerung hingegen stehen ausschließlich dem Bund zu (aktuell in § 8 Abs. 3 S. 1 TEHG geregelt, für die zweite Handelsperiode in § 19 S. 2 ZuG 2012). Die Finanzverfassung schützt aber auch den Bürger vor Überlastung durch beliebigen staatlichen Zugriff auf seine Ressourcen.27 Aus der Begrenzungs- und Schutzfunktion der Finanzverfassung ergibt sich, dass die Erhebung nichtsteuerlicher Abgaben eines besonderen Rechtfertigungsgrundes bedarf.28 Das Instrument der Versteigerung wurde vom BVerfG anlässlich der Versteigerung von UMTS-Frequenzen durch den Bund thematisiert. Hier war jedoch nicht die Zulässigkeit an sich strittig, sondern lediglich die (vom BVerfG verneinte) Frage, ob die Länder an den Versteigerungserlösen beteiligt werden mussten. Das BVerfG meinte zwar, die Art und vor allem die Höhe der erzielten Versteigerungserlöse könnten „die Frage aufwerfen, ob sich derartige nichtsteuerliche Einnahmen des Bundes noch in die Abgabensystematik des Grundgesetzes einfügen.“29 Dies war jedoch nicht als Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der UMTS-Versteigerung gemeint, sondern lief darauf hinaus, dass die Vorschriften über Steuereinnahmen nach Art. 106 Abs. 3 GG weder direkt noch analog anwendbar waren.30 In einer Entscheidung zum baden-württembergischen Spielbankgesetz hat das BVerfG immerhin Versteigerungen von Spielbankerlaubnissen als mögliche Maßnahme erwähnt, mit der privater Spielbankbetrieb und staatliche Gewinnabschöpfung hätten vereint werden können.31 Das BVerfG hat also keine grundsätz25  BVerfGE 93,

319 (342). kritisierte der Bundesrat anlässlich der TEHG-Novelle 2011, siehe BTDrs. 17 / 5711, S. 1 (zu Art. 1). 27  BVerfGE 123, 132 (141). 28  BVerfGE 93, 319 (342 f.); BVerfGE 122, 316 (333); BVerfGE 123, 132 (140 f.). 29  BVerfGE 105, 185 (193). 30  BVerfGE 105, 185 (193 ff.). 31  BVerfGE 102, 197 (217). 26  Dies

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lichen Bedenken gegen Versteigerungen von öffentlich-rechtlichen Erlaubnissen. Allerdings ist davon auszugehen, dass es darauf ankommt, welche Art von Erlaubnis im konkreten Fall versteigert wird. Hinsichtlich der Versteigerung von Emissionsberechtigungen in der zweiten Handelsperiode wird teilweise bezweifelt, dass die Vorschriften der Finanzverfassung anwendbar sind, da der Versteigerungsvorgang privatrechtlich organisiert ist und es zur Erfüllung der Abgabepflicht nicht notwendig ist, die Berechtigungen gerade bei der deutschen staatlichen Versteigerung zu erwerben.32 Nach h. M. bedarf auch die Versteigerung von Emissionsberechtigungen einer Rechtfertigung als nichtsteuerliche Abgabe, die jedoch vorliegt.33 Demnach ist die Versteigerung, da sie in den Formen des Privatrechts erfolgt, zwar keine Abgabe im Sinne einer Geldleistung, die auf Grund gesetzlicher Vorschriften in Ausübung hoheitlicher Gewalt dem Einzelnen einseitig auferlegt wird.34 Sie wird jedoch trotzdem finanzverfassungsrechtlich wie eine Abgabe behandelt, weil der Staat durch die Versteigerung Einnahmen erzielt, ohne dass dem ein realer monetärer Verlust gegenüberstünde, und die Versteigerung funktional einer Preissteuerung durch Umweltabgaben gleichsteht.35 Die Versteigerung ist allerdings – in Anlehnung an die Wasserpfennig-Entscheidung des BVerfG36 – als Abschöpfungsabgabe gerechtfertigt, durch die der Sondervorteil abgeschöpft wird, der darin besteht, die Atmosphäre zur Lagerung von Treibhausgasen zu benutzen.37 Dagegen wird zwar eingewendet, dass die Ressource Luft jedenfalls ein deutlich weniger 32  Weinreich,

in: Landmann / Rohmer (Fn. 8), § 19 ZuG 2012 Rn. 16 ff. NVwZ 2013, 576 (579 f.); BVerwG, NVwZ 2013, 587 f.; Sacksofsky, Rechtliche Möglichkeiten des Verkaufs von Emissionsberechtigungen, 2008, S. 11 ff.; Sachverständigenrat für Umweltfragen, Umweltgutachten 2008, Berlin 2008, Rn.  180 ff.; Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S.  686 ff.; Mehrbrey, Verfassungsrechtliche Grenzen eines Marktes handelbarer Emissionsrechte, 2003, S. 172 ff., S. 189 ff.; Frenz, Emissionshandelsrecht – Kommentar zu TEHG und ZuV 2020, 3. Aufl. 2012, § 8 TEHG, Rn. 90; Diehr, Rechtsschutz im Emissionszertifikate-Handelssystem, 2006, S. 255 ff.; Schlüter, Emissionshandel in der dritten Handelsperiode, 2013, S. 78 ff., die jedoch die Versteigerung zur Refinanzierung der DEHSt nach § 5 Abs. 3 ZuG 2012 als verfassungswidrig ansieht, da hier die Einnahmeerzielung die anderen Zwecke in den Hintergrund dränge, S.  105 f.; eine Kurzfassung der vorliegenden verfassungsrechtlichen Ausführungen findet sich bei Hardach, in: Landmann / Rohmer (Fn. 8) § 8 TEHG Rn. 9; einen Verstoß gegen die Finanzverfassung nehmen demgegenüber Burgi / Selmer, Verfassungswidrigkeit einer entgeltlichen Zuteilung von Emissionszertifikaten, 2007, S.  44 ff. und Rebentisch, NVwZ 2006, 747 (752 f.) an. 34  BVerwG, NVwZ 2013, 587 (588). 35  BVerwG, NVwZ 2013, 587 (588); Sacksofsky (Fn. 33), S. 11 ff. 36  BVerfGE 93, 319 (345 f.). 37  BVerwG, NVwZ 2013, 587 (588); Sacksofsky (Fn. 33), S. 34 ff.; Martini (Fn. 33), S. 689; siehe bereits Mehrbrey (Fn. 33), S. 190 f. 33  BVerwG,



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knappes Gut als Wasser und zudem ein Gut der Allgemeinheit sei, das einem bereits durch die Grundrechte eröffneten Zugriffsrecht unterliege.38 Jedoch kann die Atmosphäre nur begrenzt Treibhausgase aufnehmen, wenn schädliche Klimaänderungen vermieden werden sollen. Durch das Emissionshandelssystem wird daher eine öffentlich-rechtliche Nutzungsordnung für das Medium Luft bezüglich der Freisetzung von Treibhausgasen geschaffen.39 Die Gegenansicht sieht einen Gegensatz zwischen einem Handelssystem und einer Nutzungsregelung.40 Dieser Gegensatz besteht jedoch nicht, da Grundlage für den Emissionshandel die Festlegung von Gesamtmengen an Emissionsberechtigungen (in der zweiten Handelsperiode nach § 4 Abs. 1 und 2 ZuG 2012) und die Zuteilung nach bestimmten Regeln ist.41 Weiterhin besteht gegen die Versteigerung der Einwand, dass stets die Gefahr bestünde, dass der Zuschlagspreis den Wert der öffentlichen Leistung übersteige.42 In der Tat hat das BVerfG in der Wasserpfennig-Entscheidung entschieden, dass die Wasserentnahmeentgelte der Höhe nach den Wert der öffentlichen Gegenleistung nicht überschreiten dürften, weil sie andernfalls insoweit wie eine Steuer voraussetzungslos erhoben würden.43 Darauf baut die Annahme auf, dass der Zuschlagspreis zumindest annähernd dem Preis bei hypothetischem Markthandel entsprechen müsse, um dem verfassungsrecht­lichen Äquivalenzprinzip44 zu genügen.45 Weitergehend fordern Stimmen in der Literatur, das Versteigerungsdesign müsse von vornherein den Nachweis erbringen, dass die Höhe des Zuschlagspreises den Wert der Leistung nicht übersteigt.46 Dagegen ist jedoch zu sagen, dass die Versteigerung gerade den Wert der Leistung ermittelt, indem sie ihn dort ansetzt, wo die Zahlungsbereitschaft der Interessenten endet.47 38  Burgi / Selmer (Fn. 33), S. 48, 50; das BVerfG hat vor Einführung des Emissionshandelssystems im Waldschadens-Beschluss (NJW 1998, 3264) festgestellt, das Medium Luft unterliege keiner öffentlich-rechtlichen Benutzungsordnung, die die Nutzung von einer im Ermessen stehenden staatlichen Zuteilung abhängig mache. 39  BVerwG, NVwZ 2013, 587 (588); Weinreich, in: Landmann  / Rohmer (Fn. 8), § 19 ZuG 2012 Rn. 24 ff.; Sacksofsky (Fn. 33), S. 43 ff. 40  Burgi / Selmer (Fn. 33), S. 51 ff.; Rebentisch, NVwZ 2006, 747 (752 f.). 41  Vgl. Sacksofsky (Fn. 33), S. 45 f. 42  Burgi / Selmer (Fn. 33), S. 54 f. 43  BVerfGE 93, 319 (347). 44  Das Äquivalenzprinzip erscheint in seiner allgemeinen Form lockerer als die Anforderungen des BVerfG an die Wasserentnahmeentgelte, da es besagt, dass Gebühren in keinem „Missverhältnis“ zur dafür gebotenen Leistung stehen dürfen, BVerfGE 83, 363 (392), was nicht jede Übersteigung des Wertes ausschließt. 45  Mehrbrey (Fn. 33), S. 180 f. 46  Burgi / Selmer (Fn. 33), S. 55. 47  Differenziert Martini (Fn. 33), S. 441, 551 ff. mit Vorschlägen, wie der Gefahr überhöhter Zuschlagspreise begegnet werden kann.

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Dies lässt den Zuschlagspreis als „besonders präzise(n), exakt berechnete(n) Prototyp der Wertabgabe“ erscheinen.48 Der Zuschlagspreis kann zwar mit dem Preis von Berechtigungen auf dem Sekundärmarkt verglichen werden. Es kann für Preisabweichungen zwischen Primär- und Sekundärmarkt in einem bestimmten Moment aber viele Ursachen geben, so dass sich nicht allgemein sagen lässt, dass in Fällen, in denen der Zuschlagspreis den Sekundärmarktpreis übersteigt, nur letzterer den „wahren“ Wert der Berechtigungen widerspiegele. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die Abweichungen zwischen Primär- und Sekundärmarktpreis marginal sind.49 Ein Marktteilnehmer hat keinen Grund, in einer Primärauktion mehr für Emissionsberechtigungen zu bieten, als er auf dem Sekundärmarkt bezahlen müsste.50 Das Phänomen des „Fluch des Gewinnens“, wonach zuweilen in einer Auktion das höchste Gebot, das den Zuschlag erhält, auf einer Überschätzung des Wertes des versteigerten Gutes beruht, hat vor allem Unsicherheit über den Wert des Gutes als Ursache.51 Dieses Problem besteht jedoch bei der Versteigerung von Emissionsberechtigungen nicht, da der Sekundärmarkt an Börsen parallel zu den Auktionen durchgeführt wird und die Versteigerungsteilnehmer die Möglichkeit haben, die Sekundärmarktpreise in Echtzeit zu verfolgen. Außerdem wird bei den Versteigerungen ein Einheitspreisverfahren angewendet, in dem alle erfolgreichen Bieter den gleichen Preis zahlen, der dem des niedrigsten erfolgreichen Gebots entspricht (§ 3 Abs. 4 und 5 der Emissionshandels-Versteigerungsverordnung 2012 bestimmt dies für die zweite Handelsperiode, Art. 7 Abs. 2 und 3 der EU-Auktions-Verordnung für die dritte Handelsperiode). Daher zahlt bei mehreren erfolgreichen Bietern der Bieter mit dem höchsten Gebot immerhin nicht den Preis, den nur er zu bieten bereit war, sondern den Preis, den auch der erfolgreiche Bieter mit dem niedrigsten Gebot als angemessen angesehen hat. Es ist dennoch grundsätzlich möglich, dass in der Versteigerung ein Zuschlagspreis zustande kommen kann, der den Wert der Berechtigungen überschreitet. Jedoch sind überhöhte Gebote von Teilnehmern auf einer Versteigerung dem Staat, der sich der Versteigerung zur Verteilung knapper Ressourcen bedient, nicht zuzurechnen.52 Die Grundsätze des BVerfG zur Höhe der Wasserentnahmeentgelte und das Äquivalenzprinzip sind auf die 48  Martini (Fn. 33), S. 442, der jedoch anerkennt, dass bei der Versteigerung nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Zuschlagspreis den Wert der Leistung übersteigt, S. 581. 49  Umweltbundesamt / KfW (Fn.  8), S.  28. 50  Ockenfels, et 2009, 70 (73). 51  Ockenfels, et 2009, 70 (73). 52  A. A. Martini (Fn. 33), S. 619 ff.



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Konstellation zugeschnitten, dass der Staat die Höhe der Entgelte hoheitlich bestimmt und der Bürger keine andere Wahl hat, als sie zu bezahlen, wenn er die Leistung in Anspruch nehmen will. Sie sind daher nicht auf eine Versteigerung übertragbar, auf der die Bürger entscheiden, wie viel sie bieten und der Staat sie nicht daran hindern kann, zu viel zu bieten (abgesehen von überhöhten Geboten, die eine Marktmanipulation hinsichtlich Emissionsberechtigungen nach § 20a Abs. 1 i. V. m. Abs. 4 Nr. 2 WpHG darstellen). Zu berücksichtigen ist dabei, dass aufgrund der Möglichkeit, Berechtigungen auf dem Sekundärmarkt zu erwerben und aufgrund der wöchentlichen Versteigerungstermine (§ 2 Abs. 2 S. 1 EHVV 2012) kein faktischer Zwang für die Betreiber bestand, gerade an einem bestimmten Versteigerungstermin, zu dem der Zuschlagspreis aufgrund besonderer Faktoren zufällig gerade besonders hoch war, teilzunehmen. Da überhöhte Gebote dem Staat nicht zuzurechnen sind, können Versteigerungsteilnehmer die Versteigerung nicht verfassungswidrig machen, indem sie Gebote abgeben, die den Wert der Berechtigungen deutlich übersteigen. 2. Grundrechte

Zur Erzielung des Berechtigungsaufkommens für die Versteigerung wurde die kostenlose Zuteilung für Energieanlagen, die auf die Produktion von Strom entfiel, entsprechend gekürzt (§ 20 ZuG 2012). Dies verletzte nicht die Grundrechte der Anlagenbetreiber.53 Hinsichtlich des Eigentumsgrundrechts stellt die Veräußerungskürzung eine Inhalts- und Schrankenbestimmung (Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG) dar.54 Die Ziele der Versteigerung, die Allokationseffizienz zu erhöhen, Zufallsgewinne abzuschöpfen und dem Verursacherprinzip Rechnung zu tragen, sind verfassungsrechtlich gesehen legitim und die Veräußerungskürzung ist geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne, um diese Ziele zu fördern.55 Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung fällt ins Gewicht, dass 53  BVerwG, NVwZ 2013, 576 (580  ff.); BVerwG NVwZ 2013, 587 (588 ff.); Sacksofsky (Fn. 33), S. 63 ff.; Martini (Fn. 33), S. 782 ff.; Küll, Grundrechtliche Probleme der Allokation von CO2-Zertifikaten, 2009, S. 305 f. (Eigentum), 319 ff. (Berufsfreiheit); Weinreich, in: Landmann  /  Rohmer (Fn. 8), § 20 ZuG 2012 Rn. 5 ff.; Sachverständigenrat für Umweltfragen, Umweltgutachten 2008, Berlin 2008, Rn.  176 ff.; Schlüter (Fn. 33), S. 101 ff.; a. A. Burgi / Selmer (Fn. 33), S. 63 ff.; Rebentisch, NVwZ 2006, 747 (752 f.); in Bezug auf ein immissionsschutzrechtliches Zertifikatsmodell Becker-Neetz, Rechtliche Probleme der Umweltzertifikatmodelle in der Luftreinhaltepolitik, 1988, S. 148 ff. 54  BVerwG, NVwZ 2013, 587 (589); Küll, (Fn. 53), S. 292 ff. 55  BVerwG, NVwZ 2013, 587 (589); Weinreich, in: Landmann  / Rohmer (Fn. 8), § 20 ZuG 2012 Rn. 5 ff.; Demgegenüber bestreiten Burgi / Selmer (Fn. 33), S. 66,

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das Eigentum, soweit es zum Ausstoß von Treibhausgasen genutzt wird, einen hohen sozialen Bezug aufweist, weil damit ein knappes Gut der Allgemeinheit in Anspruch genommen wird und die Eigentumsnutzung somit zwangsläufig über die Sphäre des Eigentümers hinaus wirkt.56 Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass die Betreiber von Stromerzeugungsanlagen die Preise von Emissionsberechtigungen an ihre Kunden weitergeben können (siehe oben unter II).57 Entsprechend werden auch bei Zuteilung kostenloser Berechtigungen die Opportunitätskosten typischerweise an die Stromkunden weitergegeben. Teilweise wird im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung eine Übergangsregelung als notwendig angesehen. Sofern für die Übergangsfrist als Richtwert fünf Jahre vorgeschlagen werden58, wären diese zwischen der Diskussion der Versteigerung im Rahmen der Emissionshandels-Richtlinie und der Einführung in Deutschland abgelaufen. Auch wenn man eine Vollversteigerung aus Rücksicht auf die Investitionszyklen der betroffenen Unternehmen erst ab 2018 für möglich halten würde59, würde dies eine Versteigerung von bis zu 10 % der Berechtigungen in der zweiten Handelsperiode nicht ausschließen.60 Die Ansicht, die aus Sorge um eine Entwertung des in die Anlagen investierten Kapitals jegliche Versteigerung während der zweiten Handelsperiode für verfassungswidrig hält,61 berücksichtigt nicht die erwähnte Fähigkeit der Stromerzeuger, ihre Kosten für Emissionsberechtigungen an die Verbraucher weiterzugeben. Abgesehen von der finanziellen Belastung, die die Veräußerungskürzung mit sich bringt, gibt es die Befürchtung, kapitalstarke Marktteilnehmer könnten die Versteigerung monopolisieren und so dazu beitragen, dass andere Betreiber ihren Bedarf in der Versteigerung nicht decken können.62 Auch Autoren, die dies nicht als grundsätzliche Gefahr von Versteigerungen sehen, warnen, dass Marktmissbrauch bei den Versteigerungen die Alloka­ tionseffizienz und damit die verfassungsrechtliche Rechtfertigung in Frage dass der Grundrechtseingriff, der durch die Veräußerungskürzung bewirkt wird, durch die Allokationseffizienz gerechtfertigt werden kann. Sie stellen dabei darauf ab, dass der Versteigerungserfolg nicht wie bei der Versteigerung von UMTS-Frequenzen zu verbesserter Dienstleistungserbringung im Interesse der Allgemeinheit führe. Jedoch gehen sie nicht darauf ein, dass die Effizienz des Zuteilungsverfahrens auch ohne Auswirkungen auf die Dienstleistungserbringung ein Wert an sich ist (siehe dazu unter II.). 56  BVerwG, NVwZ 2013, 587 (589). 57  BVerwG, NVwZ 2013, 587 (589); Weinreich, in: Landmann  / Rohmer (Fn. 8), § 20 ZuG 2012 Rn. 14 ff.; Helbig (Fn. 17), S. 195 ff. 58  Mehrbrey (Fn. 33), S. 105 ff. 59  Küll (Fn. 53), S. 306. 60  Vgl. Sacksofsky (Fn. 33), S. 72. 61  So offenbar Diehr (Fn. 33), S. 245. 62  Rebentisch, NVwZ 2006, 747 (753).



Die Versteigerung im EU-Emissionshandelssystem135

stellen würde.63 Solcher Marktmissbrauch würde die verfassungsrechtliche Rechtfertigung für die Versteigerungen allerdings nur entfallen lassen, wenn er so gravierend und systematisch wäre, dass zumindest manche Bieter regelmäßig keine Möglichkeiten hätten, Emissionsberechtigungen auf diesen Versteigerungen zu einem unverfälschten Marktpreis zu ersteigern. Die Bundesrepublik hat Emissionsberechtigungen in der zweiten Handelsperiode zunächst ab 2008 freihändig an den Börsen ICE Futures Europe in London und European Energy Exchange (EEX) in Leipzig veräußert64 (zulässig nach § 21 Abs. 1 S. 1 ZuG 2012) und ab 2010 an der EEX versteigert. Durch die Handelsüberwachungsstellen der Börsen und die Börsenaufsicht bestand grundsätzlich Schutz gegen Marktmanipulation. Die Handelsüberwachungsstelle der EEX hat auch kein Bieterverhalten festgestellt, das auf eine Verzerrung des Zuschlagspreises gerichtet war.65 Die Gefahr einer Monopolisierung des Marktes für Emissionsberechtigungen besteht wegen der großen insgesamt vorhandenen Menge an Emissionsberechtigungen nicht. Hätte ein Unternehmen alle Berechtigungen der deutschen Versteigerungen in der zweiten Handelsperiode aufgekauft, so hätte es dadurch keine Monopolstellung oder anderweitig marktverschließende Wirkung erzielt, weil seine Konkurrenten Emissionsberechtigungen europaweit von anderen Marktteilnehmern hätten kaufen können. In den Versteigerungen der Bundesrepublik Deutschland wurde etwa im Jahr 2012 eine Menge von 48.108.000 Berechtigungen für stationäre Anlagen für die zweite Handelsperiode zum Preis von insgesamt 359.598.180 € versteigert.66 Die europaweit zugeteilte Gesamtmenge für 2012 betrug 2.174.995.053 Emissionsberechtigungen für stationäre Anlagen.67 Die Veräußerungskürzung ist auch als Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) verhältnismäßig.68 Die Veräußerungskürzung betraf nur Energieanlagen und nicht Industrieanlagen (§ 20 ZuG 2012). Diese Ungleichbehandlung gegenüber anderen 63  Martini

(Fn. 33), S. 244.

64  Umweltbundesamt / KfW

(Fn.  8), S.  16. die periodischen Berichte des Umweltbundesamts, z. B. Umweltbundesamt, Versteigerung von Emissionsberechtigungen in Deutschland – Periodischer Bericht: 10. / 11.2012, Berlin 2012, S. 6. 66  Umweltbundesamt (Fn. 65), S. 8. 67  European Environment Agency, EU Emissions Trading System (ETS) data viewer, http: /  / www.eea.europa.eu / data-and-maps / data / data-viewers / emissions-trad ing-viewer. Die geringere Menge an Luftverkehrs-Berechtigungen ermöglicht auch keinen Marktverschluss, weil Luftfahrzeugbetreiber auch Berechtigungen für stationäre Anlagen verwenden können, § 7 Abs. 1 TEHG. 68  BVerwG, NVwZ 2013, 587 (590  f.); Küll (Fn. 53), S. 319 ff.; Sacksofsky (Fn. 33), S. 68 ff.; Weinreich, in: Landmann / Rohmer (Fn. 8), § 20 ZuG 2012 Rn. 24 ff. 65  Siehe

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Produkten ist an Art. 3 Abs. 1 GG zu messen. Die Ungleichbehandlung knüpft nicht an personelle Merkmale an und bewirkt auch keine mittelbare Ungleichbehandlung von Personengruppen. Daher kann sie durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt werden, ohne dass es einer Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Ungleichbehandlung bedarf.69 Ein solcher sachlicher Grund liegt darin, dass Stromerzeuger typischerweise in der Lage sind, die Kosten von Emissionsberechtigungen an die Verbraucher weiterzugeben, während Hersteller von Industrieprodukten dies typischerweise nicht können.70 3. Parlamentsvorbehalt

Kritik an der Versteigerung nach dem ZuG 2012 gibt es auch unter dem Gesichtspunkt des Parlamentsvorbehalts. Dieser besagt, dass Rechtsstaatsprinzip und Demokratiegebot den Gesetzgeber verpflichten, die Schranken der Freiheitsgarantien jedenfalls so weit selbst zu bestimmen, wie eine solche Festlegung für die Ausübung dieser Freiheitsrechte wesentlich ist.71 An Versteigerungen wird teilweise grundsätzlich kritisiert, sie seien „völlig ergebnisoffen“, so dass der Gesetzgeber die finanzielle Tragweite der Entscheidung für die Versteigerung nicht habe vorhersehen können.72 Dieser Punkt ist verwandt mit der oben erwähnten Sorge, die Teilnehmer könnten einen Zuschlagspreis zahlen, der den Wert der Berechtigungen übersteigt, jedoch zielt er in erster Linie darauf ab, dass der Gesetzgeber keine Kontrolle über die Belastung der Versteigerungsteilnehmer hat. Durch die „Ergebnisoffenheit“ der Versteigerung hat der Gesetzgeber aber nicht darauf verzichtet, die wesentlichen Festlegungen für die Ausübung der Eigentumsund Berufsfreiheit der Betreiber selbst zu treffen. Ihm ging es gerade darum, dass die Berechtigungen nicht zu einem festen Preis zugeteilt werden, sondern zu einem Preis, der sich wegen des festgelegten Angebots an Berechtigungen allein aus der Zahlungsbereitschaft der Bieter ergibt, die wiederum von den ansonsten anfallenden Kosten von Emissionsminderungsmaßnahmen abhängt. Die Begrenzung der Menge an Emissionsberechtigungen bringt es mit sich, dass nicht alle Anlagenbetreiber so viele Emissionen freisetzen können, wie dies ohne Emissionshandelssystem der Fall wäre. Für die Verteilungsfunktion der Versteigerung ist nicht maßgeblich, ob der Zuschlagspreis vorhersehbar ist, sondern der Gesetzgeber nutzt den Verstei69  BVerwG,

NVwZ 2013, 587 (591). NVwZ 2013, 587 (591 f.); Sacksofsky (Fn. 33), S. 82 f.; Weinreich, in: Landmann / Rohmer (Fn. 8), § 20 ZuG 2012 Rn. 31 ff. 71  BVerfGE 108, 282 (311). 72  Rebentisch, NVwZ 2006, 747 (753). 70  BVerwG,



Die Versteigerung im EU-Emissionshandelssystem137

gerungsmechanismus, um die Emissionsberechtigungen demjenigen zukommen zu lassen, der ihnen den höchsten Wert beimisst. Auch Stimmen, die keine grundsätzliche Kritik an den Versteigerungen üben, bezweifeln, dass die Regelung der Versteigerung in §§ 19 bis 21 ZuG 2012 dem Parlamentsvorbehalt genügt.73 Als Grund wird angegeben, dass in den Vorschriften nicht geregelt ist, wie dem Einwirken genuiner Einnahmeinteressen der Bundesregierung in der Auktionsgestaltung Einhalt geboten werden, ob die Versteigerung jedermann offen steht oder der Teilnehmerkreis auf Betreiber im Anwendungsbereich des TEHG beschränkt werden und wie bei der Versteigerung Chancengleichheit hergestellt werden soll.74 Diese Verfahrensfragen betreffen jedoch nicht die wesentlichen Schranken der Freiheitsgarantien.75 Die Versteigerungsmengen in der zweiten Handelsperiode waren im Vergleich zum Sekundärmarkt gering und es bestanden daher hinreichend Alternativen zur Versteigerungsteilnahme. Daher hatte die Bundesregierung von vornherein keine Marktposition, die die Gefahr nahelegte, dass sie die Berechtigungen aus Einnahmeinteressen kontinuierlich über Wert verkaufen würde, wobei ein solcher Verkauf über Wert schon sehr drastisch hätte ausfallen müssen, um für sich genommen die wesentlichen Schranken der Freiheitsrechte der Betreiber im Sinne des Parlamentsvorbehalts zu verschieben. Der Gesetzgeber ermächtigte den Verordnungsgeber zur näheren Ausgestaltung des Verfahrens und legte fest, dass dieses diskriminierungsfrei sein und Vorkehrungen gegen die Beeinflussung der Preisbildung durch das Verhalten einzelner Bieter treffen müsse (§ 21 Abs. 2 S. 1 und 3 ZuG 2012). Näheres konnte er dem Verordnungsgeber überlassen. Die Festlegung, dass die Versteigerungsmengen pro Jahr in regelmäßigen Abständen in gleichen Teilmengen anzubieten waren (§ 21 Abs. 1 S. 3 ZuG 2012) trug noch zusätzlich dazu bei, dass Versteigerungsteilnehmer kontinuierlich Erfahrungen sammeln konnten und möglichen Verzerrungen in einzelnen Versteigerungsterminen weniger ausgeliefert waren.

73  Martini

(Fn. 33), S. 695 ff. (Fn. 33), S. 696. 75  Vgl. Schlüter (Fn. 33), S. 89 ff., die allerdings die Versteigerung von Berechtigungen zur Refinanzierung der DEHSt als einen Verstoß gegen den Parlamentsvorbehalt ansieht, da die Versteigerungsmenge nicht festgelegt war, S. 107, dabei ist jedoch zu beachten, dass die Versteigerungsmenge zur Refinanzierung der DEHSt mittelbar durch den Refinanzierungsbedarf determiniert wurde, der durch Haushaltsgesetz festgelegt und damit parlamentarisch legitimiert wurde. 74  Martini

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IV. Fragen des europäischen Primärrechts 1. Europäische Grundrechte

Für die dritte Handelsperiode ist die Versteigerung wie erwähnt in der Emissionshandels-Richtlinie und der EU-Auktions-Verordnung (Verordnung [EU] Nr. 1031 / 2010) geregelt. Die Versteigerungsmengen werden letztlich in der Richtlinie aus dem Zusammenspiel von Art. 9 Abs. 1, Art. 9a Abs. 1, 2 und 4 (Gesamtmenge), Art. 10 Abs. 1 S. 1 (Grundsatz der Versteigerung) und Art. 10a (kostenlose Zuteilung, die von den Versteigerungsmengen abgezogen wird) bestimmt. Der deutsche Gesetzgeber verweist in § 8 TEHG im Wesentlichen auf die EU-Auktions-Verordnung und trifft in diesem Bereich keine eigenen grundrechtsrelevanten Regelungen. Da der größte Teil der Berechtigungen versteigert wird, fällt die Zuteilung kostenloser Berechtigungen geringer aus. Die Zuteilungsregeln finden sich in dem EU-Zuteilungs-Beschluss 2011 / 278 / EU, der durch die deutsche Zuteilungsverordnung 2020 (ZuV 2020) umgesetzt wird. Hinsichtlich der Zuteilungsmengen ließ der Beschluss keinen Umsetzungsspielraum. Die EU-Kommission hat es in ihrer Entscheidung 2013 / 448 / EU (siehe dort Erwägungsgrund 11) gerade abgelehnt, dass die Bundesrepublik nach § 9 Abs. 5 TEHG Betreibern zur Vermeidung unzumutbarer Härten mehr kostenlose Berechtigungen zuteilte, als in dem EU-Zuteilungs-Beschluss vorgesehen. Die Normen des Unionsrechts und nationales Recht, das zwingend durch Unionsrecht vorgegeben ist, können selbst nicht am Maßstab des deutschen Verfassungsrechts geprüft werden, solange der als unabdingbar gebotene Grundrechtsschutz auf Unionsebene gewährleistet ist.76 Daher wird der Rechtsrahmen für die Versteigerung in der dritten Handelsperiode nicht am deutschen Verfassungsrecht gemessen, sondern an den europäischen Grundrechten.77 Die Versteigerung ist mit den europäischen Grundrechten der Eigentums- und Berufsfreiheit nach Art. 17 bzw. 15 GRCh vereinbar.78 Zwar 76  Grundlegend zu Europarecht BVerfGE 73, 339 (378 ff.) – Solange II; BVerfGE 89, 155 (174 f.) – Maastricht; zur Umsetzung von zwingendem Europarecht am Beispiel des TEHG BVerfG, NVwZ 2007, 937 (938 f.); BVerfG, NVwZ 2007, 942 f. 77  Burgi, in: Hendler / Marburger / Reiff / Schröder (Hrsg.), Energieversorgung und Umweltschutz, Umwelt- und Technikrecht, Band 102, 2010, S. 183 (205 f.); Epiney, ZUR 2010, 236 (240); Greb, Der Emissionshandel ab 2013, 2011, S. 46 ff.; eine Kurzfassung dieser europarechtlichen Ausführungen findet sich bei Hardach, in: Landmann / Rohmer (Fn. 8), § 8 TEHG Rn. 11 f., 15, 19. 78  Greb (Fn. 77), S. 94 ff.; Epiney, ZUR 2010, 236 (240); Ludwigs, Unternehmensbezogene Effizienzanforderungen im Öffentlichen Recht, 2013, S. 447 f.; Frenz, Emissionshandelsrecht – Kommentar zu TEHG und ZuV 2020, 3. Aufl. 2012, § 8 TEHG Rn. 20 ff.; vgl. ferner Küll (Fn. 53) S. 227 f. (Eigentum), 243 ff. (Berufsund Unternehmensfreiheit), die nur eine Vollversteigerung in der dritten Handels­



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wird ein wesentlich geringerer Anteil der Berechtigungen kostenlos zugeteilt als in der zweiten Handelsperiode, jedoch gibt es weiterhin kostenlose Zuteilung für Industrieanlagen, da diese die Kosten des Emissionshandels nicht oder zumindest weniger gut als Stromerzeuger an ihre Kunden weitergeben können. Angesichts der sieben von § 9 Abs. 5 TEHG umfassten Härtefälle79 ist umstritten, ob die kostenlose Zuteilung auf Basis der einheitlichen EUZuteilungsregeln in jedem Fall ausreicht, um unzumutbare Härten abzuwenden. Allerdings räumt der EuGH bei seiner Verhältnismäßigkeitsprüfung dem Richtliniengeber ein weites Ermessen in Bereichen ein, in denen von ihm politische und wirtschaftliche Entscheidungen verlangt werden und in denen er komplexe Beurteilungen vorzunehmen hat.80 Aus diesem Grund hat der EuGH auch Regelungen als verhältnismäßig und mit der Eigentums- und Berufsfreiheit vereinbar angesehen, die – auch wenn der EuGH dies nicht thematisiert hat – durchaus geeignet erscheinen, einzelne Unternehmen in wirtschaftliche Schwierigkeiten zu bringen.81 Vor diesem Hintergrund ist die Ablehnung der Härtefall-Zuteilung durch die Kommission nicht schon deshalb unverhältnismäßig, weil sie die Anlagenbetreiber in wirtschaftliche Schwierigkeiten bringt. Dies könnte erst der Fall sein, wenn diese Schwierigkeiten sich nicht als Resultat der Ineffizienz der betreffenden Anlagen oder der wirtschaftlichen Vorbelastung der betreffenden Unternehmen darstellen, sondern in einem atypischen Sonderfall entstehen, in dem die unionsweiten Zuteilungsregeln das im konkreten Fall hergestellte Produkt nicht sachgerecht behandeln.82 Selbst wenn man die deutschen Härtefall-Zuteilungen zum Schutze der Grundrechte für geboten hält, würde das nicht das System der Versteigerung in der dritten Handelsperiode als solches in Frage stellen. Umstrittener ist, ob es mit dem Gleichheitssatz nach Art. 20 GRCh vereinbar ist, dass die kostenlose Zuteilung für Stromerzeugung im Gegensatz zu anderen Produkten generell ausgeschlossen ist.83 Diese Ungleichbehandperiode für unverhältnismäßig hält, und Burgi, in: Hendler / Marburger / Reiff / Schröder (Fn. 77), S. 183 (206 f.); hinsichtlich der Vollversteigerung für Stromerzeugung Koenig / Ernst / Hasenkamp, RdE 2009, 73 (77 f.); einen Grundrechtsverstoß nimmt hingegen Zimmer, CO2-Emissionsrechtehandel in der EU: Ökonomische Grundlagen und EG-rechtliche Probleme, 2004, S. 221 ff., 236 f., 242 ff. (zum Eigentum), 273 f. (zur Berufsfreiheit) an. 79  Vgl. Erwägungsgrund 11 des Beschlusses 2013 / 448 / EU. 80  EuGH, Rs. C-210 / 03, Slg. 2004, I-11893 Rn. 48 – Swedish Match. 81  EuGH, verb. Rs. C-154 / 04 und C-155 / 04, Slg. 2005, I-6451 Rn. 126 ff. – Alliance for Natural Health, anders die Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed, Rn. 66 ff., 96 ff., der die betreffende Richtlinie über Nahrungsergänzungsmittel als ungültig ansah. 82  Vgl. BT-Drs. 17 / 6124, S. 13 / zu Nr. 5 Buchstabe c). 83  Einen Grundrechtsverstoß sieht Greb (Fn. 77), S. 202 ff.; kritisch auch Burgi, in: Hendler / Marburger / Reiff / Schröder (Fn.  77), S.  183 (208 f.).

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lung ist jedoch wie oben erwähnt dadurch gerechtfertigt, dass Stromerzeuger ihre Versteigerungskosten besser an ihre Kunden weitergeben können als Erzeuger von Industrieprodukten. Zwar ist einzuräumen, dass einerseits die Betreiber von Kraftwerken mit sehr hohen Kohlendioxid-Emissionen ihre Kosten für Emissionsberechtigungen nicht vollständig in die Strompreise einpreisen können und es andererseits auch Industrieunternehmen gibt, die ihre Kosten für Emissionsberechtigungen an ihre Kunden weitergeben können.84 Aufgrund des weiten Typisierungsspielraums des Richtliniengebers kann dieser aber für Stromerzeugung und andere Sektoren Zuteilungsregeln festlegen, die sich an der typischen Wettbewerbssituation von Unternehmen in diesen Sektoren orientieren.85 2. Dürfen Mitgliedstaaten Emissionsberechtigungen löschen?

§ 8 Abs. 1 S. 1 TEHG sieht zwingend vor, dass alle an die Bundesrepublik Deutschland zur Versteigerung zugewiesenen Berechtigungen versteigert werden müssen. Auch auf europäischer Ebene legt der Wortlaut von Art. 10 Abs. 1 S. 1 der Emissionshandels-Richtlinie nahe, dass die Mitgliedstaaten eine Pflicht haben, die zugewiesenen Berechtigungen tatsächlich zu versteigern. Die EU-Auktions-Verordnung, welche die Vorgaben zu den Versteigerungsmengen aus der Emissionshandels-Richtlinie wiederholt, geht in Erwägungsgrund 2 S. 3 sogar ausdrücklich davon aus, dass Mitgliedstaaten die zur Versteigerung zugewiesenen Mengen nicht löschen oder zurückhalten dürfen. Davon unberührt bleibt die Möglichkeit, dass ein Mitgliedstaat auf dem Sekundärmarkt Emissionsberechtigungen kauft und diese löscht.86 Die Löschung von Berechtigungen, die zur Versteigerung vorgesehen sind, soll jedoch durch das europäische Sekundärrecht ausgeschlossen werden. Auf primärrechtlicher Ebene sieht Art. 193 S. 1 AEUV hingegen vor, dass die Schutzmaßnahmen, die aufgrund des Art. 192 AEUV getroffen werden, die einzelnen Mitgliedstaaten nicht daran hindern, verstärkte Schutzmaßnahmen beizubehalten oder zu ergreifen. Die Emissionshandels-Richtlinie wur84  Siehe zu letzterem Punkt de Bruyn / Markowska / de Jong / Bles, Does the energy intensive industry obtain windfall profits through the ETS?, 2010; diese Frage hat BVerwG NVwZ 2013, 587 (591 f.) im Rahmen des deutschen Verfassungsrechts diskutiert. 85  Koenig / Ernst / Hasenkamp, RdE 2009, 73 (78 f.); Ernst, Rechtfertigung sektorspezifisch-regulatorischer Eingriffe auf den Emissionshandelsmärkten in der Energiewirtschaft ab 2013, 2012, S. 227 ff.; Ludwigs (Fn. 78), S. 446 f.; Schlüter (Fn. 33), S.  156 ff. 86  Diskutiert bei Rodi / Sina, Das Klimaschutzrecht des Bundes – Analyse und Vorschläge zu seiner Weiterentwicklung, 2011, S. 317 f., die jedoch skeptisch hinsichtlich der Zweckmäßigkeit sind.



Die Versteigerung im EU-Emissionshandelssystem141

de aufgrund von Art. 175 Abs. 1 EGV erlassen, dessen Nachfolgeregelung Art. 192 AEUV ist. Die EU-Auktions-Verordnung beruht wiederum auf Ermächtigungen aus der Emissionshandels-Richtlinie, ist also mittelbar auch aufgrund des Art. 175 EGV erlassen. Art. 193 AEUV ist auch auf Rechtsakte anzuwenden, die auf Grundlage seiner Vorgängervorschriften erlassen wurden. Es kommt hier darauf an, dass die Regelung heute auf Art. 192 AEUV zu stützen wäre.87 Umstritten ist, ob die Mitgliedstaaten bei einer Schutzverstärkung nach Art. 193 S. 1 AEUV an die Vorgaben des Unionsrechtsaktes, der der Schutzverstärkung zugrunde liegt, in der Weise gebunden sind, dass sie ihn nur „systemimmanent“ übertreffen und keine andersartigen bzw. alternativen Schutzinstrumentarien einführen dürfen.88 Abgesehen davon, dass eine solche Einschränkung in Art. 193 Abs. 1 AEUV nicht angelegt ist89, würde sie hier ohnehin nicht die Schutzverstärkungsklausel ausschließen. Die Verknappung von Berechtigungsmengen ist die Maßnahme, mit der der Klimaschutz im Emissionshandelssystem typischerweise verstärkt wird. Der Richtliniengeber selbst hat die Schutzwirkung des Emissionshandels von der zweiten zur dritten Handelsperiode durch Verknappung der Gesamtmenge verstärkt (Art. 9 Abs. 1 Emissionshandels-Richtlinie) und eine weitere Verknappung der europaweiten Gesamtmenge wurde von EU-Kommissarin Hedegaard selbst vorgeschlagen.90 Der Verzicht auf die Versteigerung wäre also eine schutzverstärkende Maßnahme, die sich grundsätzlich innerhalb des Instrumentariums des Emissionshandels bewegen würde. Der EuGH91 hat entschieden, dass ein Mitgliedstaat sich nicht auf die Schutzverstärkungsklausel (damals Art. 176 EGV) berufen könne, wenn er eine Schutzverstärkung für ein internationales Umweltschutzabkommen vorschlägt, welches die Union bindet. Er begründete dies damit, dass die Union durch das Übereinkommen „gebunden sein (könne), während sie durch eine derartige nationale Maßnahme nicht gebunden“ sei. Art. 193 AEUV gilt also offenbar nur für nationale Umweltschutzmaßnahmen und nicht für solche, die auch für die Union verbindlich sind. Der Verzicht auf 87  Calliess, in: ders. / Ruffert (Hrsg.), EUV / AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 192 AEUV Rn. 6. 88  Giesberts, NVwZ 1996, 949 (950  f.); weniger restriktiv Nettesheim, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Loseblatt-Kommentar, München (Stand 51. Lfg. 09.2013), Art. 193 AEUV Rn. 13: nicht bei „gänzlich andersartigem Schutzinstrumentarium“. 89  Calliess, in: ders. / Ruffert (Hrsg.), EUV / AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 193 AEUV Rn. 9. 90  The Guardian, 11.05.2010, Connie Hedegaard seeks 30 % carbon cuts target for Europe. 91  EuGH, Rs. C-246 / 07, Slg. 2010, I-3317 Rn. 102 – Kommission / Schweden.

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die Versteigerung soll dadurch Auswirkungen auf die gesamte EU haben, dass die Berechtigungen nicht mehr zur Verfügung stehen (so wie verschiedene nationale Maßnahmen Auswirkungen auf das Angebot von Berechtigungen in der gesamten EU haben können), jedoch entfaltet er anders als das internationale Abkommen in der EuGH-Entscheidung keine rechtlichen Bindungen, sondern nur faktische Auswirkungen gegenüber der Union. Daher ist die EuGH-Entscheidung nicht auf den Verzicht auf die Versteigerung übertragbar. Art. 193 S. 2 AEUV stellt klar, dass die nationalen Schutzverstärkungsmaßnahmen mit dem AEUV vereinbar sein müssen. Wenn die Bundesrepublik einseitig die Zuteilungen kostenloser Berechtigungen kürzen würde, wäre daran zu denken, ob dadurch Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten der deutschen Anlagenbetreiber oder der durch die Bundesrepublik verwalteten Luftfahrzeugbetreiber drohen und dies die Grundfreiheiten des AEUV verletzen könnte. Die Versteigerungen stehen jedoch allen Betreibern, die dem Emissionshandelssystem unterworfen sind, gleichermaßen offen. Es soll durch die EU-Auktions-Verordnung gerade verhindert werden, dass Betreiber aus einem bestimmten Mitgliedstaat bevorzugten Zugang zu den Auktionen dieses Mitgliedstaats erhalten. Daher würde die Kürzung der Versteigerungsmengen keine Betreiber eines bestimmten Mitgliedstaats einseitig belasten. Ein Verstoß gegen Vorschriften des AEUV ist daher nicht ersichtlich. Die Bundesrepublik hat also nach Art. 193 S. 1 AEUV das Recht, den Klimaschutz über die Emissionshandels-Richtlinie hinaus zu verstärken. Es ließe sich argumentieren, dass das Emissionshandelssystem auf Harmonisierung angelegt und mit „Alleingängen“ nicht kompatibel sei. Jedoch kann Art. 193 S. 1 AEUV als Vorschrift des europäischen Primärrechts nicht durch den Richtliniengeber oder seinen Willen zur Harmonisierung eingeschränkt werden. V. Recht der Mitgliedstaaten auf Versteigerung Die Versteigerung von Emissionsberechtigungen findet auf Auktionsplattformen statt, bei denen es sich nach Art. 35 Abs. 1 der EU-Auktions-Verordnung um geregelte Märkte handeln muss, die nach Art. 36 der Richtlinie 2004 / 39 / EG über Märkte für Finanzinstrumente zugelassen sind. Die meisten Mitgliedstaaten und die Kommission haben in einem gemeinsamen Vergabeverfahren eine Auktionsplattform bestellt (Art. 26 Abs. 1 und 2 der EU-Auktions-Verordnung). Mitgliedstaaten müssen sich nicht an dieser gemeinsamen Plattform beteiligen, sondern können auch ihre eigene Auktionsplattform beauftragen (Art. 30 Abs. 1 und 2 der EU-Auktions-Verordnung),



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was als „Opt-out“ bezeichnet wird. Sie mussten dies der Kommission innerhalb von drei Monaten nach Inkrafttreten der EU-Auktions-Verordnung mitteilen (Art. 30 Abs. 4 der Verordnung). Von dieser Möglichkeit haben die Bundesrepublik, das Vereinigte Königreich und Polen Gebrauch gemacht.92 Die Frist zur Mitteilung des Opt-out wird von der Kommission als Ausschlussfrist verstanden. Dies widerspricht Art. 3d Abs. 3 S. 1 und Art. 10 Abs. 1 S. 1 der Emissionshandels-Richtlinie, die bestimmen, dass die Mitgliedstaaten die Luftverkehrsberechtigungen bzw. Berechtigungen für stationäre Anlagen versteigern. Dadurch ist zwar nicht ausgeschlossen, dass Mitgliedstaaten freiwillig eine gemeinsame Versteigerungsplattform beauftragen. Voraussetzung dafür ist aber eine Entscheidung der Mitgliedstaaten, so dass diese das Recht zur Beauftragung einer eigenen Plattform, das ihnen durch die Richtlinie eingeräumt wird, nicht dadurch verlieren können, dass sie untätig sind und eine Frist aus einer Verordnung versäumen. Die EUAuktions-Verordnung interpretiert die Versteigerung durch die Mitgliedstaaten allerdings nicht im Sinne der Durchführung der Auktion. Vielmehr sieht sie als „Auktionator“, der die Berechtigungen „versteigert“, die Stelle an, die die Berechtigungen an der Plattform zum Kauf anbietet (Art. 23, siehe auch Art. 3 Nr. 20). Der Sprachgebrauch der Verordnung kann jedoch nicht für die Interpretation der höherrangigen Richtlinie maßgeblich sein. Für die Auslegung der Richtlinie ist vielmehr die allgemein gebräuchliche Wortwahl zugrunde zu legen, nach der „versteigern“ sich auf die Durchführung des Versteigerungsverfahrens bezieht, der Verkauf in einer Versteigerung jedoch als „anbieten“ bezeichnet wird. So wird etwa bei einer Kunstauktion der Mitarbeiter des Auktionshauses, der die Versteigerung leitet, als Auktionator bezeichnet, während die ursprünglichen Eigentümer der Bilder, die diese zur Auktion eingeliefert haben, Verkäufer sind. Auch die Vorschrift der Emissionshandels-Richtlinie, dass die Mitgliedstaaten der Kommission über die ordnungsgemäße Anwendung der Versteigerungsregeln Bericht erstatten (Art. 10 Abs. 4 UAbs. 4 S. 1), ergibt nur Sinn, wenn die Mitgliedstaaten für die Durchführung des Versteigerungsverfahrens zuständig sind.

92  EU-Kommission,

SWD (2012) 234 final, Brüssel 2012, S. 25.

Energieeffizienzrichtlinie: „Papiertiger“ oder Meilenstein für die Entwicklung des Energieumweltrechts? Von Julian Asmus Nebel, Berlin I. Einleitung Nach dem Energiekonzept der Bundesregierung besteht die Energiewende aus drei Säulen, dem Ausbau der Erneuerbaren Energien, dem Netzausbau und der Erhöhung der Energieeffizienz.1 Anders als für die Erneuerbaren Energien und für den Netzausbau existiert für den Bereich der der Energieeffizienz kein zentrales Fachgesetz. Der Unterschied zwischen dem Bereich der Erneuerbaren Energien und dem Netzausbau einerseits und der Energieeffizienz andererseits wird noch deutlicher, wenn man diese drei Säulen im Hinblick auf die gesetzgeberische Tätigkeit betrachtet. Das Erneuerbare-Ener­ gien-Gesetz (EEG) wird in immer kürzeren Zeitabständen novelliert, die Übergangsregelung zur Koordination der aufgrund der zahlreichen Geset­ zesnovellen voneinander abweichenden aber nebeneinander anzuwendenden Regelungen in § 66 EEG umfasst mittlerweile 22 Abschnitte. Das Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG) zur Koordination des beschleunigten Ausbaus der Energieinfrastruktur war das Herzstück des im Juni 2011 beschlossenen Gesetzespaketes „Fukushima“. Die Energieeffizienz ist also nicht nur in der öffentlichen Wahrnehmung hinsichtlich der politischen Agenda das Stiefkind der Energiewende, sondern vor allem auch hinsichtlich der Gesetzeslage. Am 4. Dezember 2012 ist die Energieeffizienzrichtlinie (EnEff-RL) in Kraft getreten. Die Richtlinie hat sich zum Ziel gesetzt, die Mitgliedstaaten zu verpflichten, ihre Anstrengungen zur Erreichung der Energieeffizienzziele der Europäischen Union zu intensivieren. Die Erhöhung der Energieeffizienz ist kein Selbstzweck, über sie soll – wie sich Erwägungsgrund 1 der EnEff-RL entnehmen lässt – eine ganze Reihe von umwelt-, wirtschafts-, sozial- und außenpolitischen Zielen erreicht werden. Die Erhöhung soll die verstärkte Abhängigkeit von Energieimporten verhindern, knappe Energie­ 1  Energiekonzept der Bundesregierung für eine umweltschonende, zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung vom 28.09.2010, S. 11 ff.

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ressourcen sichern, dem Klimawandel Einhalt gebieten und helfen, die Wirtschaftskrise zu überwinden. Gleichzeitig soll sie die Versorgungssicherheit der Union durch die Verringerung des Primärenergieverbrauchs sowie der Energieeinfuhren verbessern. Sie soll dazu beitragen, Treibhausgasemissionen kostenwirksam zu senken und dadurch den Klimawandel abzumildern. Der Umstieg auf eine energieeffizientere Wirtschaft soll auch die Verbreitung innovativer technologischer Lösungen beschleunigen sowie die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie in der Union verbessern und dadurch das Wirtschaftswachstum fördern und hochwertige Arbeitsplätze in einer Reihe von Branchen, die mit Energieeffizienz zusammenhängen, schaffen. Mit dem Erlass der EnEff-RL ist insofern für das Energieeffizienzrecht eine neue Situation entstanden. Das Thema dieses Beitrags heißt „Energieeffizienzrichtlinie: Papiertiger oder Meilenstein für die Entwicklung des Energieumweltrechts“. Es geht also um die Frage, wie diese neue Situation zu bewerten ist. Konkret geht es um die Frage, welche Auswirkungen und Impulse von der EnEff-RL für die weitere Entwicklung des Energieeffizienzrechts im Konkreten und für das Energieumweltrecht im Allgemeinen ausgehen. Die Beantwortung dieser Frage muss beim Status quo und den Charakteristika des gegenwärtigen Energieeffizienzrechts anknüpfen. Denn die Rolle der EnEff-RL für die Entwicklung des deutschen Energieeffizienzrechts hängt entscheidend davon ab, welcher Regelungs- bzw. Umsetzungsbedarf besteht und ob die bestehenden Defizite des gegenwärtigen Energieeffizienzrechts aufgrund der Vorgaben des Unionsrechts behoben werden (müssen). Insofern ist an dieser Stelle auch schon geklärt, dass dieser Beitrag keine Aussage über die Bedeutung der EnEff-RL für die Entwicklung des jeweiligen Energieeffizienzrechts in den sonstigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union treffen kann. Dafür müsste der Stand des Energieeffizienzrechts in jedem einzelnen Mitgliedstaat erarbeitet und mit den Vorgaben der Richtlinie verglichen werden. Nur auf dieser Grundlage ließe sich eine Aussage über die Wirkung der Energieeffizienzrichtlinie im Ganzen treffen. Vielmehr werden die zentralen Charakteristika der EnEff-RL skizziert und bespielhaft an ausgewählten Inhalten der Richtlinie verdeutlicht. Hierbei liegt der Fokus auf dem Energieeffizienz­verpflichtungssystem, das die wesentliche Besonderheit der Richtlinie und einen substanziell neuen Ansatz im Energieeffizienzrecht darstellt. Nachfolgend wird kurz auf Fragen der Umsetzung der EnEff-RL eingegangen. Auf diesen Ergebnissen aufbauend lässt sich dann beantworten, welchen Impuls die Richtlinie für die weitere Entwicklung des Energieeffizienzrechts bzw. des Energieumweltrechts setzt. Als Abschluss wird ein Ausblick über Energieeffizienzrecht als rechtswissenschaftliches Forschungsthema gegeben.

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II. Der Status quo des deutschen Energieeffizienzrechts Wie bereits angesprochen, sind, anders als im Bereich der Erneuerbaren Energien und beim Netzausbau, die Regelungen zur Erhöhung der Energieeffizienz nicht in einem zentralen Fachgesetz zusammengefasst. Vielmehr finden sich Energieeffizienzvorschriften in nahezu allen Rechtsbereichen und in einer Vielzahl von Fachgesetzen mit unterschiedlichen Regelungszielen und -gegenständen, etwa im Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG), im Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz (KWKG), in der Energieeinsparverordnung (EnEV), im Energiedienstleistungsgesetz (EDL-G), im Energieverbrauchsrelevante-Produkte-Gesetz (EVPG), im Baugesetzbuch (BauGB) oder in der Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (VgV). Diese Aufzählung lässt sich beliebig fortsetzen. Insofern existieren zwar keine „weiße Flecken“ oder Lücken im Bereich des Energieeffizienzrechts, als dass einzelne Bereiche, die Energieeffizienz zum Gegenstand haben, (noch) nicht rechtlich determiniert sind. Dies heißt jedoch nicht, dass die Regelungsdichte in den einzelnen Gebieten des Energieeffizienzrechts hoch ist. Vor allem aber fällt eine Systematisierung der Gesetze und damit auch des Regelungsgegenstandes aufgrund der Zersplitterung des Energieeffi­ zienzrechts nicht leicht. Die Verteilung der Energieeffizienzvorschriften in den unterschiedlichen Gesetzen hat zur Folge, dass das Energieeffizienzrecht von einer Vielzahl von unterschiedlichen rechtlichen Steuerungsinstrumenten geprägt ist.2 Bei der Pflicht der Anlagenbetreiber zur sparsamen und effizienten Energieverwendung nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 BImSchG handelt es sich um klassisches Ordnungsrecht. Gleiches gilt für die im Energieeinspargesetz (EnEG) und der Energieeinsparverordnung (EnEV) geregelten Einsparvorgaben für den Gebäudebereich. Das KWKG adressiert wie das BImSchG Anlagenbetreiber und enthält u. a. einen Anspruch auf Anschluss-, Abnahme- und Vergütung von KWK-Anlagen gegenüber den Netzbetreibern, also einen an das EEG angelehnten Förderungsmechanismus. Das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) normiert etwa in den §§ 21 b ff. oder dem § 42 Anforderungen an die Energieeffizienz in der Form von Regulierungsrecht. Das Energieeffizienzrecht ist darüber hinaus Teil des zivilrechtlichen Vertragsrechts, etwa im Bereich der Contracting-Verträge oder in § 556c Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und der Wärmelieferverordnung. Das EDL-G enthält auch Ordnungsrecht setzt aber vornehmlich auf indirekte Verhaltenssteuerung durch Information des Verbrauchers. Gleiches gilt für die Regelungen in Zusam2  Vgl. dazu die ausführlichen Darstellungen bei Jesse, in: Britz / Eifert / Reimers (Hrsg.), Energieeffizienzrecht, 2010, S. 15. ff., und Britz / Eifert / Reimers, in: dies., a. a. O., S.  63 ff.

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menhang mit Energieeffizienz-Anforderungen an energieverbrauchsrelevante Produkte im EVPG. Energieeffizienzanforderungen finden sich auch im Vergaberecht. Nach § 4 Abs. 5 VgV sollen in der Leistungsbeschreibung im Hinblick auf die Energieeffizienz insbesondere als Anforderungen das höchste Leistungsniveau an Energieeffizienz und soweit vorhanden, die höchste Energieeffizienzklasse im Sinne der Energieverbrauchskennzeichnungsverordnung gestellt werden. Mit dem Begriff des „höchsten Leistungsniveaus an Energieeffizienz“ ist gemeint, dass ein öffentlicher Auftraggeber den höchsten auf dem Markt verfügbaren Grad an Energieeffizienz als Mindestanforderung in die Leistungsbeschreibung aufnehmen soll. Nach § 4 Abs. 6 Nr. 1 VgV sollen die öffentlichen Auftraggeber grundsätzlich vom Bieter konkrete Angaben zum Energieverbrauch fordern, es sei denn, die auf dem Markt angebotenen Waren, technischen Geräte oder Ausrüstungen unterscheiden sich im zulässigen Energieverbrauch nur geringfügig. Die Vorgaben zur Energieeffizienz in dem Energiesteuergesetz und dem Stromsteuergesetz sind dem Steuerrecht zuzuordnen, wobei der Gesetzgeber in § 10 Stromsteuergesetz mit einem Selbstverpflichtungssystem arbeitet. Je nach Sektor finden sich insofern unterschiedliche Steuerungsinstrumente. Ein übergreifender Systemansatz zur Erhöhung der Energieeffizienz existiert im deutschen Energieeffizienzrecht nicht. Feststellen lässt sich auch, dass die Regelungen zur Energieeffizienz in den Fachgesetzen oftmals lediglich ein „Nebenprodukt“ sind, das bei der Regelung des jeweiligen Fachbereichs ohne ausgereiften konzeptionellen Hintergrund anfällt. Hinzu kommt, dass die Einzelnormen und -maßnahmen nicht aufeinander abgestimmt sind, unter anderem weil keine spezifische Rechtssetzungskompetenz und damit auch -verantwortlichkeit besteht. Diese Zersplitterung führt dazu, dass keine gesetzlichen fachübergreifenden Regelungsziele und -­ vorgaben existieren, dass weder eine zentrale sektorübergreifende Definition von Energieeffizienz besteht, noch dass sich innerhalb der einzelnen Sektoren einheitliche oder abgestimmte Definitionen von Energieeffizienz finden. Die derzeitigen Definitionen sind stets fachspezifisch und orientieren sich primär an den Anforderungen der einzelnen Gesetze, nicht aber an fach- oder sektorübergreifenden Einsparvorgaben. § 2 Nr. 7 EDL-G definiert den Begriff Energieeffizienz als das Verhältnis von Ertrag an Leistung, Dienstleistungen, Waren oder Energie zum Energieeinsatz. Hierbei handelt es sich um die grundlegende Definition des Begriffes der Energieeffizienz im deutschen Recht. Der deutsche Gesetzgeber hat hier wortwörtlich die Begriffsbestimmung in Art. 3b der Energiedienstleistungsrichtlinie 2006 / 32 / EG übernommen. Hingegen ist nach § 3 Nr. 15 b EnWG eine Energieeffizienzmaßnahme eine Maßnahmen zur Verbesserung des Verhältnisses zwischen Energieaufwand und damit erzieltem Ergebnis

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im Bereich von Energieumwandlung, Energietransport und Energienutzung. Beide Definitionen stimmen also nicht überein, auch wenn die inhaltlichen Unterschiede marginal sind. Das Unionsrecht definiert ebenfalls den Begriff der Energieeffizienzmaßnahme, diese Definition weicht jedoch wiederum von § 3 Nr. 15 b EnWG ab. So ist nach Art. 3 c der Energiedienstleistungsrichtlinie 2006  /  32  /  EG eine Energieeffizienzverbesserung eine Steigerung der Endenergieeffizienz durch technische, wirtschaftliche und / oder Verhaltensänderungen.3 Während der Gesetzgeber beim EDL-G die Begrifflichkeiten des Unionsrechts übernommen hat, arbeitet er beim EnWG mit eigenen Begrifflichkeiten. Allerdings passen die Begriffsverwendungen in §  3 Nr. 15 b EnWG und § 1 Abs. 1 EnWG nicht zueinander. Nach § 1 Abs. 1 EnWG ist der Zweck des Gesetzes eine möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche leitungsgebundene Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas, die zunehmend auf erneuerbaren Energien beruht. Weder im EDL-G noch im EnWG bestehen konkrete Energieeinsparvorgaben. Unter dem Begriff der effizienten Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas i. S. d. § 1 Abs. 1 EnWG wird vielmehr verstanden, dass diese den Zwecken der sicheren sowie preisgünstigen Versorgung dienlich ist.4 Das Immissionsschutzrecht verwendet wiederum ein eigenständiges Begriffsverständnis von Energieeffizienz, ohne dass das BImSchG eine eigene Legaldefinition enthält. Die Betreiberpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 BImSchG, wonach genehmigungsbedürftige Energieerzeugungsanlagen so zu errichten und zu betreiben sind, dass Energie sparsam und effizient verwendet wird, zielt auf eine Reduktion der eingesetzten Energie ab, indem unnötige Aktivitäten mit Energieverbrauch eingeschränkt werden. Die effiziente Energieverwendung besteht vor allem in der Erreichung hoher energetischer Wirkungs- und Nutzungsgrade, in der Einschränkung von Energieverlusten und in der Nutzung der beim Anlagenbetrieb anfallenden Energie. In § 4 d der 9. BImSchV und § 8 der 17. BImSchV ist diese Vorgabe konkretisiert. Voraussetzung für den Anspruch auf Anschluss-, Abnahme- und Vergütung, also die Förderung von KWK-Anlagen, ist der Einsatz von hocheffizienten KWK-Anlagen. Das KWKG versteht unter Energieeffizienz die Primärenergieeinsparungen von KWK-Anlagen im Vergleich zu den Referenzwerten für die getrennte Strom- und Wärmeerzeugung. Nach § 3 Abs. 11 KWKG ist eine KWK-Anlage hocheffizient, sofern sie hocheffizient im Sinne der Richtlinie 2004 / 8 / EG ist. Hocheffiziente KWK werden in der Richtlinie 2004 / 8 / EG als der Umfang der Energieeinsparungen durch die 3  Diese

Definition hat auch Art. 2 Nr. 6 EnEff-RL übernommen. in: Danner / Theobald (Hrsg.), Energierecht, Stand: 78. EL (09 / 13), § 1 EnWG Rn. 27. 4  Theobald,

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kombinierte anstatt der getrennten Produktion von Wärme und Strom definiert. Energieeinsparungen von mehr als 10 % gelten als „hocheffizient“. Eine konkretere Definition findet sich in Art. 3 lit. i Richtlinie 2004 / 8 / EG i. V. m. Anhang II. Die tatsächliche Steuerungswirkung des bestehenden Energieeffizienzrechts lässt sich aufgrund der Vielzahl der unterschiedlichen Regelungen und Instrumente nur schwer erfassen. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass gegenwärtig keine hinreichende Kontrolle der Zielerreichung im Energie­ effizienzrecht stattfindet und Energieeinsparziele und Effizienzvorgaben nur in vereinzelten Bereichen vorgegeben sind. Es fehlt an einem formalisierten Monitoringprozess zur Überprüfung der Steuerungswirkung und der Fortschritte im Bereich der Energieeffizienz insgesamt und in den einzelnen Sektoren. Auffällig ist zudem, dass es nur eine unzureichende Verschränkung und Verzahnung des Energieeffizienzrechts und dem Recht der Erneuerbaren Energien gibt. Es fehlt an einem ganzheitlichen (Entwicklungs-)Konzept zum Verhältnis dieser zwei tragenden Säulen der Energiewende. Eine Ausnahme bildet § 41 Abs. 1 Nr. 2 EEG, wonach sich energieintensive Unternehmen von der EEG-Umlage (begrenzt) befreien lassen können, wenn – neben einer Reihe weiterer Voraussetzungen – für das Unternehmen eine Zertifizierung erfolgt ist, mit der der Energieverbrauch und die Potenziale zur Verminderung des Energieverbrauchs erhoben und bewertet worden sind. III. Inhalte und Charakteristika der Energieeffizienzrechtlinie 1. Einleitung

Die EnEff-RL ist am 4. Dezember 2012 in Kraft getreten. Sie ist in ihren wesentlichen Teilen bis zum 5. Juni 2014 in nationales Recht umzusetzen. Die Energiedienstleistungsrichtlinie 2006 / 32 / EG vom 5. April 2006 wie die KWK-Richtlinie 2004 / 8 / EG vom 11. Februar 2004 werden mit Ablauf der Umsetzungsfrist der Energieeffizienzrichtlinie zum 5. Juni 2014 aufgehoben, allerdings werden Art. 4 Abs. 1 bis 4 und die Anhänge I, III und IV der Energiedienstleistungsrichtlinie erst ab dem 1. Januar 2017 aufgehoben. Die EnEff-RL führt die Regelungsinhalte beider Richtlinien teils unverändert, größtenteils aber mit Modifikationen fort.5 Sie ändert zudem die 5  Der Tabelle in Anhang XV lässt sich entnehmen, welche Artikel der Dienstleistungsrichtlinie bzw. der KWK-Richtlinie in welchen Artikel der EnEff-RL überführt worden sind.

Energieeffizienzrichtlinie151

Ökodesign-Richtlinie 2009 / 125 / EG vom 21. Oktober 2009 sowie die Energieverbrauchskennzeichnungsrichtlinie 2010 / 30 / EU vom 19. Mai 2010. Die EnEff-RL steht darüber hinaus selbstständig neben der Gebäuderichtlinie 2010 / 31 / EG vom 19. Mai 2010 und der Strombinnenmarktrichtlinie 2009 / 72 EG vom 13. Juni 2009, ergänzt und modifiziert aber deren Anwendungsbereich. Die Charakteristika des deutschen Energieeffizienzrechts spiegeln sich insofern auf der Ebene der Europäischen Union wider, obwohl sich beide Rechtsregime weitgehend unabhängig voneinander entwickelt haben. Es existieren eine Vielzahl von Richtlinien und Verordnungen, die Anforderungen an die Energieeffizienz enthalten. Diese Richtlinien und Verordnungen betreffen unterschiedliche Sektoren und adressieren unterschiedliche Akteure. Die Regelungen stehen zumeist nebeneinander und sind nicht miteinander verzahnt. Dies zeigt, dass die Situation des deutschen Energieeffizienzrechts nicht etwa in Unzulänglichkeiten des deutschen Gesetzgeber begründet sind, sondern dem Gegenstand des Energieeffizienzrechts geschuldet sind. Vor dem Hintergrund, dass auch auf der Ebene der Europäischen Union eine Vielzahl von Richtlinien und Verordnungen mit Energieeffizienzregelungen existieren, muss für die Frage nach dem Stellenwert der EnEff-RL für die weitere Entwicklung des Energieeffizienzrechts im Konkreten und für das Energieumweltrecht im Allgemeinen die Genese der EnEff-RL genauer betrachtet werden. Die Entstehungsgeschichte lässt sich den Erwägungsgründen der Richtlinie entnehmen. Sie zeigt, dass die Richtlinie das Ergebnis eines langen Erkenntnisprozesses ist, in dem deutlich geworden ist, dass die bisherigen Mittel und Wege nicht ausreichen, um die festgelegten Ziele zu erreichen. So wurde in den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 8. / 9. März 2007 hervorgehoben, dass die Energieeffizienz in der Union gesteigert werden muss, um das Ziel – nämlich Einsparungen beim Primärenergieverbrauch der Union bis 2020 um 20 % gegenüber den Projektionen – zu erreichen.6 In den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 wurde betont, dass das auf der Tagung des Europäischen Rates vom Juni 2010 vereinbarte, aber derzeit gefährdete Ziel einer Steigerung der Energieeffizienz um 20 % bis 2020 erreicht werden muss.7 In der Mitteilung der Kommission „Energiestrategie 2020“ vom 10. November 2010 wird die Energieeffizienz in den Mittelpunkt der Energiestrategie der Union bis 2020 gestellt und die Erforderlichkeit einer neuen Energieeffizienzstrategie dargelegt, die es allen Mitgliedstaaten ermöglichen soll, die Energienutzung vom Wirtschaftswachs6  Erwägungsgrund 7  Erwägungsgrund

2 S. 1. 2 S. 2.

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tum zu entkoppeln.8 In seiner Entschließung vom 15. Dezember 2010 zur Überarbeitung des Aktionsplans für Energieeffizienz forderte das Europäische Parlament die Kommission auf, in ihren überarbeiteten Aktionsplan für Energieeffizienz Maßnahmen aufzunehmen, mit denen der Rückstand im Hinblick auf das Gesamtenergieeffizienzziel der Union für 2020 aufgeholt werden kann.9 In den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 wurde eingeräumt, dass das Energieeffizienzziel der Union mit dem bisherigen Kurs nicht erreicht werden wird und entschlossenes Handeln erforderlich ist, um das erhebliche Potenzial verstärkter Energieeinsparungen in Gebäuden, im Verkehr, bei Produkten und Prozessen zu nutzen.10 Hierzu legte die Europäische Kommission am 8. März 2011 den rechtlich verbindlichen Energieeffizienzplan 2011 vor, der Maßnahmen für weitere Einsparungen in der Energieversorgung und Energienutzung benennt.11 2. Charakteristika

Die EnEff-RL führt die überkommenen Linien ihrer Vorgängerrichtlinien fort. Sie bricht im Grunde nicht mit den bisherigen Ansätzen, was schon daraus deutlich wird, dass sie die Regelungen der KWK Richtlinie 2004 / 8 / EG und der Energiedienstleistungsrichtlinie 2006 / 32 / EG weitestgehend übernimmt. Interessant ist zunächst, dass die EnEff-RL in Art. 2 Nr. 4 zwar die Definition von Art. 3b der Energiedienstleistungsrichtlinie 2006  /  32  /  EG übernimmt, wonach Energieeffizienz das Verhältnis von Ertrag an Leistung, Dienstleistungen, Waren oder Energie zum Energieeinsatz ist. Allerdings wird in Erwägungsgrund 44 erklärt, dass gerade die Laststeuerung ein wichtiges Instrument zur Verbesserung der Energieeffizienz sei, da sie einen Mechanismus liefere, um den Verbrauch zu verringern oder zu verlagern, was zu Energieeinsparungen sowohl beim Endverbrauch als auch – durch bessere Nutzung der Netze und Erzeugungskapazitäten – bei der Energieerzeugung, -übertragung bzw. -fernleitung und -verteilung führe. Nach Art. 15 Abs. 4 EnEff-RL stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass Anreize in Übertragungs- und Verteilungstarifen, die sich nachteilig auf die Gesamteffizienz (auch die Energieeffizienz) der Stromerzeugung, -übertragung, -verteilung und -lieferung auswirken oder die die Teilnahme an der Laststeuerung (Demand Response) sowie den Zugang zum Markt für Ausgleichsdienste und 8  Erwägungsgrund

4. 5. 10  Erwägungsgrund 7 S. 1. 11  Europäischer Energieeffizienzplan vom 08.03.2011. 9  Erwägungsgrund

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zur Erbringung von Hilfsdiensten verhindern könnten, beseitigt werden. Die intelligente Ver- und Zuteilung der erzeugten Energie aufgrund der Laststeuerung ist eine erhebliche Erweiterung des tradierten Verständnisses von Energieeffizienz als das Verhältnis von Ertrag an Leistung zum Energieeinsatz. Ein Unterschied zur Energiedienstleistungsrichtlinie besteht zudem in der Verpflichtung zur Festlegung von indikativen nationalen Energieeffizienzzielen gemäß Art. 3 Abs. 1 EnEff-RL. Die EnEff-RL gibt den Mitgliedstaaten insofern weder eine absolute Menge vor, gemäß der sie ihren Primärenergieverbrauch senken müssen, noch legt sie eine absolute Menge fest, wie hoch der Primärenergieverbrauch im Jahre 2020 sein darf. Anders hingegen noch die Energiedienstleistungsrichtlinie. Nach Art. 4 Energiedienstleistungsrichtlinie mussten die Mitgliedstaaten für das neunte Jahr der Anwendung der Energiedienstleistungsrichtlinie einen generellen nationalen Energieeinsparrichtwert von 9 % festlegen, der aufgrund von Energiedienstleistungen und anderen Energieeffizienzmaßnahmen zu erreichen war, und dessen Verwirklichung anstreben. Sie unterscheidet sich zudem von ihren Vorgängerrichtlinien dadurch, dass sie einen Rahmen setzen will, um das bestehende Energieeffizienzrecht zusammenzuführen. In diesen Zusammenhang ist auch der Umstand einzuordnen, dass die EnEff-RL – anders als die Gebäuderichtlinie, die Ökodesign-Richtlinie oder die KWK-Richtlinie – keine sektorspezifische Richtlinie ist. Ein zentrales Charakteristikum der EnEff-RL ist vielmehr, dass sie sektorübergreifende Regelungsinhalte etwa zum Gebäudebereich, zum Produktbereich, zu Energieanlagen, zu Energienetzen, Energiedienstleistungen oder zum Vergaberecht umfasst. Die EnEff-RL ist weiterhin dadurch charakterisiert, dass sie den Mitgliedstaaten große Handlungsspielräume belässt. Zum einen dadurch, dass die EnEff-RL viele weiche Klauseln und juristisch mehrdeutige Begriffe enthält. Zum anderen insbesondere dadurch, dass die zwar zunächst verpflichtende Regungsinhalte festsetzt, hiernach aber den Mitgliedstaaten die Möglichkeiten eröffnet, alternative Maßnahmen zu ergreifen, wenn ihnen intelligentere Möglichkeiten einfallen, die vorgegebenen Ziele auf anderen Wegen zu erreichen. Beide Varianten werden im folgenden Abschnitt anhand der Regelungen zum Gebäudebereich veranschaulicht. Die gewährten Handlungsspielräume, gepaart mit der mangelnden Vorgabe absoluter Einsparmengen, offenbart als weiteres Charakteristikum, dass die Richtlinie das Resultat eines politischen Kompromisses ist. Auch insofern bricht die EnEff-RL also nicht mit den überkommenen Traditionen des Energieeffizienzrechts. Dass einzelne Regelungen offensichtlich das Ergebnis von politischen Kompromissen sind, ist vielmehr typisch für das Ener-

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gieeffizienzrecht. Es gehört zu den Charakteristika des Energieeffizienzrechts, dass erstens aufgrund der Komplexität des Regelungsgegenstandes und zweitens aufgrund der (politischen) Uneinigkeit über die richtigen Instrumente und Methoden die normative Steuerung des Energieeffizienzrechts halbherzig bis unterdeterminiert ist. Dies ist auch darin begründet, dass sich die tatsächliche Steuerungswirkung von gesetzlichen Regelungen zur Energieeffizienz nur schwer prognostizieren lässt. Die Gesamtschau der bisher erlassenen Regelungen zeigt, dass bei der Steigerung der Energieeffizienz durch den Erlass von normativen Regelungen oftmals im Wege des Prinzips „Try and Error“ vorgegangen wird. Aus der gesamten Richtlinie wird aber deutlich, dass zwar der feste Wille besteht, die Energieeffizienz zu erhöhen, der Weg dorthin aber – zumindest in der materiellen Programmierung der Normen – offen gelassen wird. 3. Inhalte

Die EnEff-RL enthält u. a. Regelungen zum Gebäudebereich (Art. 4, 5, 18 EnEff-RL), zum Vergaberecht (Art. 6 EnEff-RL), zu Energiedienstleistungen (Art. 18 EnEff-RL), zu Energieaudits und Energiemanagementsystemen (Art. 8 EnEff-RL), zur Verbrauchserfassung und Abrechnung – Smart Metering – (Art. 9 bis 11 EnEff-RL), zur Kraft-Wärme-Kopplung (Art. 14 EnEffRL), zu Energienetzen (Art. 15 EnEff-RL) und für den Produktbereich (Art. 27 EnEff-RL). Die einzelnen Regelungsinhalte sollen hier nicht im Detail referiert werden.12 Für die hier interessierenden Zusammenhänge sind insbesondere der Gebäude- und der Produktbereich von Interesse, weil sich an beiden Regelungsbereichen Charakteristika der EnEff-RL im Konkreten und des Energieeffizienzrechts im Allgemeinen zeigen lassen. Im Mittelpunkt der Ausführungen steht das Energieeffizienzverpflichtungssystem als das eigentliche Herzstück der Richtlinie und das letztendlich substanziell Neue im Energieeffizienzrecht. a) Festlegung eines nationalen Energieeffizienzziels Gemäß Art. 1 Abs. 1 EnEff-RL soll mit der Richtlinie sichergestellt werden, dass das Effizienzziel der Union von 20 % bis 2020 erreicht wird. Nach Art. 3 Abs. 1 lit. a EnEff-RL darf der Energieverbrauch der Union im Jahr 2020 nicht mehr als 1.474 Mio. t Rohöltonnen Primärenergie oder nicht mehr als 1.078 Mio. t Rohöltonnen Endenergie betragen. Nach Art. 3 Abs. 1 EnEff-RL muss jeder Mitgliedstaat ein indikatives nationales Energieeffi­ zienzziel festlegen, das sich entweder auf den Primärenergie- oder den 12  Einen

guten Überblick gibt Klemm, CuR 2012, 148 ff.

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Endenergieverbrauch oder auf die Primärenergie- oder Endenergieeinsparungen oder auf die Energieintensität bezieht. Die Mitgliedstaaten müssen diese Ziele und ihre Berechnung an die Kommission übermitteln. Die EnEff-RL gibt den Mitgliedstaaten insofern weder eine absolute Menge vor, gemäß der sie ihren Primärenergieverbrauch senken müssen, noch legt sie eine absolute Menge fest, wie hoch der Primärenergieverbrauch im Jahre 2020 sein darf. Die Europäische Kommission addiert nach Art. 3 Abs. 2 EnEff-RL die von den Mitgliedstaaten gemeldeten indikativen nationalen Energieeffizienzziele und beurteilt, ob aus den gesamten gemeldeten indikativen nationalen Energieeffizienzzielen das europäische Ziel erreicht werden kann. Charakteristisch für die Richtlinie ist, dass sie sich darüber ausschweigt, was passiert, wenn diese Beurteilung negativ ausfällt. Aus dem Gesamtzusammenhang der Richtlinie folgt jedoch, dass die Kommission in diesem Fall eine neue Energieeffizienzrichtlinie mit verschärften Inhalten erlassen wird. b) Gebäudebereich Weiterer zentraler Regelungsgegenstand der Richtlinie ist der Gebäudesektor. Im Gebäudebereich hatten die einschlägigen Richtlinien 2006 / 32 / EG und 2010 / 31 / EU bisher die Vorbildfunktion der öffentlichen Hand betont und Vorgaben für die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden der öffentlichen Hand gemacht. Art. 5 Abs. 1 EnEff-RL enthält erstmals eine Verpflichtung zur jährlichen, energieeffizienten Renovierung von 3 % des öffentlichen Gebäudebestandes. Die Mitgliedstaaten können nach Art. 5 Abs. 2 EnEff-RL bestimmte Gebäude von der Renovierungspflicht ausnehmen, nämlich Gebäude, die entweder unter Denkmalschutz stehen, sich im Eigentum der Streitkräfte befinden oder die für Gottesdienste und religiöse Zwecke genutzt werden. Charakteristisch für die Richtlinie ist zum einen, dass Adressat dieser Regelungen lediglich die Zentralregierung der Mitgliedstaaten ist. Es sind also weder Immobilien, die sich in Händen der Bundesländer, noch Immobilien, die sich in Händen der Gemeinden befinden, betroffen. Gemäß Art. 5 Abs. 7 EnEff-RL sollen die Mitgliedstaaten die öffentlichen Einrichtungen auf regionaler und lokaler Ebene und die öffentlich-rechtlichen Sozialwohnungsträger „ermutigen“ einen Energieeffizienzplan mit speziellen Energieeinspar- und Energieeffizienzzielen und -maßnahmen einzeln oder als Teil eines umfassenderen Klimaschutz- oder Umweltplans zu verabschieden, um so dem Vorbildcharakter der Gebäude der Zentralregierung nach den Vorgaben der EnEff-RL Rechnung zu tragen. Art. 5 Abs. 7 EnEff-RL ist eine ty-

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pische „weiche Klausel“ der EnEff-RL, welche den Mitgliedstaaten große Handlungsspielräume eröffnet. Charakteristisch für die Richtlinie ist weiterhin, dass die Renovierungsquote für Gebäude, die sich im Eigentum einer Zentralregierung befinden, flexibel ist. Renoviert ein Mitgliedsstaat in einem bestimmten Jahr 3 % der Gesamtnutzfläche seiner Gebäude kann er gemäß Art. 5 Abs. 3 EnEff-RL den erzielten Überschuss auf die jährlichen Renovierungsquoten der drei vorangegangenen und der drei darauf folgenden Jahre anrechnen. Die Mitgliedstaaten können zudem nach Art. 5 Abs. 4 EnEff-RL auf die jährliche Renovierungsquote der Gebäude der Zentralregierung neue Gebäude anrechnen, die in ihr Eigentum übergegangen sind und von ihr genutzt werden und die als Ersatz für bestimmte, in einem der zwei vorangegangenen Jahre abgerissene Gebäude der Zentralregierung dienen. Vor allem aber können die Mitgliedstaaten – entsprechend den alternativen Maßnahmen beim Energieeffizienzverpflichtungssystem – gemäß Art. 5 Abs. 6 EnEff-RL alternativ zu der Renovierungsquote nach Art. 5 Abs. 1 EnEff-RL andere kostenwirksame Maßnahmen einschließlich umfassender Renovierungen und Maßnahmen zur Änderung des Verhaltens der Gebäudenutzer ergreifen, um bis 2020 Energieeinsparungen zu erreichen, die der Renovierungsquote nach Art. 5 Abs. 1 EnEff-RL entsprechen. Auch an dieser Stelle zeigt sich, dass die Richtlinie den Mitgliedstaaten große Spielräume belässt. Zwar wird in Art. 5 Abs. 1 EnEff-RL zunächst eine Verpflichtung zur jährlichen, energieeffizienten Renovierung von 3 % des öffentlichen Gebäudebestandes festgesetzt, hiernach aber in Art. 5 Abs. 6 EnEff-RL den Mitgliedstaaten die Möglichkeiten eröffnet, alternative Maßnahmen zu ergreifen. Die EnEff-RL setzt auch an dieser Stelle auf die Kreativität und vor allem auf das größere Steuerungswissen der Mitgliedstaaten. Beispielhaft wird insofern für den Gebäudebereich deutlich, dass es äußerst schwierig ist, materielle Regelungen für die Energieeffizienz auf hoher Abstraktionsebene festzulegen. Nach Art. 4 Abs. 1 EnEff-RL haben die Mitgliedstaaten eine langfristige Strategie zur Mobilisierung von Investitionen in die Renovierung des nationalen Bestands an sowohl öffentlichen als auch privaten Wohn- und Geschäftsgebäuden festzulegen. Gegenüber privaten Gebäudebesitzern enthält die EnEff-RL jedoch keine verpflichtenden Inhalte. Dies ist darin begründet, dass die energetischen Anforderungen an Private in der Gebäuderichtlinie 2010  /  31  /  EU bereits geregelt werden und beide Richtlinien weitgehend selbstständig nebeneinander stehen. Zusätzlich normiert Art. 6 Abs. 1 EnEff-RL für den Bereich der Beschaffung von Gebäuden durch die Zentralregierungen neue Vorgaben. Die Energieeffizienz ist nun nicht mehr nur wie nach bisheriger Rechtslage bei der

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Beschaffung von dem Vergaberecht unterliegenden Gegenständen (Art. 5 2006 / 32 / EG, Art.  9 2010 / 30 / EU), also dem Kauf von Ausrüstung oder der Vergabe von Dienst- und Bauleistungen zu berücksichtigen. Sie ist nach Art. 6 Abs. 1 i. V. m. Anhang III der neuen Richtlinie nunmehr auch bei dem Abschluss von Mietverträgen und beim Abschluss von Kaufverträgen über Gebäude bzw. Grundstücke durch die Zentralregierungen zu beachten. c) Produkte Sowohl die Ökodesign-Richtlinie 2009 / 125 / EG wie auch die Energieverbrauchskennzeichnungsrichtlinie 2010 / 30 / EU enthalten Energieeffizienzan­ forde­­rungen an Produkte. Bereits aus dem Titel der EnEff-RL – Richtlinie zur Energieeffizienz, zur Änderung der Richtlinien 2009  /  125  /  EG und 2010 / 30 / EU – wird deutlich, dass die EnEff-RL auch Energieeffizienzanforderungen an Produkte normiert. Zu beiden Richtlinien finden sich dann aber nur wenige Zeilen in der EnEff-RL. Nach Art. 27 Abs. 2 EnEff-RL wird Art. 9 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2010 / 30 / EU ab 5. Juni 2014 gestrichen. Nach Art. 27  Abs. 3  Nr. 2  EnEff-RL wird Art. 6 Abs. 1 der ÖkodesignRichtlinie folgender Satz angefügt: „Die von den Mitgliedstaaten nach Art. 4 Abs. 1 und Art. 8 der Richtlinie 2010 / 31 / EU festgelegten Anforderungen an die Gesamtenergieeffizienz und Systemanforderungen bleiben davon unberührt.“ Die Änderungen der Ökodesign-Richtlinie sind von besonderem Interesse, weil sie zeigen, wie komplex das Zusammenspiel der unterschiedlichen Energieeffizienzrichtlinien ist und wie schwierig es ist, die bestehenden Regelungsregime zusammenzuführen und miteinander zu verknüpfen. Diese Erkenntnis gilt – wie der Status quo gezeigt hat – auch für das deutsche Energieeffizienzrecht. Um die Änderungen der Ökodesign-Richtlinie nachvollziehen zu können, gilt es zunächst einen Blick auf den Regelungsgegenstand und die Systematik der Ökodesign-Richtlinie zu werfen. Die Ökodesign-Richtlinie ist eine Rahmenrichtlinie. Die eigentlichen Energieeffizienzanforderungen an Produkte, die sog. verbindlichen Ökodesign-Anforderungen, werden in den Durchführungsverordnungen der Europäischen Kommission geregelt. Ökodesign (umweltgerechte Gestaltung) ist nach Art. 3 Nr. 23 der ÖkodesignRichtlinie die Berücksichtigung von Umwelterfordernissen bei der Produktgestaltung mit dem Ziel, die Umweltverträglichkeit des Produkts während seines gesamten Lebenszyklus zu verbessern. Soweit für Produkte oder eine bestimmte Produktgruppe eine Durchführungsverordnung auf Grundlage der Ökodesign-Richtlinie erlassen worden ist, ist es den Mitgliedstaaten untersagt, nationale Ökodesignanforderungen an diese Produkte zu stellen. Nach

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Art. 6 Abs. 1 S. 1 der Ökodesign-Richtlinie dürfen die Mitgliedstaaten, wenn ein Produkt allen einschlägigen Bestimmungen einer Durchführungsmaßnahme entspricht, das Inverkehrbringen oder die Inbetriebnahme eines Produkts in ihrem Hoheitsgebiet nicht unter Berufung auf Ökodesign-Anforderungen untersagen, beschränken oder behindern. Gleiches gilt nach Art. 6 Abs. 2 der Ökodesign-Richtlinie für ein Produkt, für das die jeweils geltende Durchführungsmaßnahme vorsieht, dass keine Ökodesignanforderung erforderlich ist. Der Begriff „beschränken“ ist im Sinne der Warenverkehrsfreiheit zu verstehen.13 Einer Beschränkung unterfällt somit jede Handelsregelung der Mitgliedstaten, die geeignet ist, das Inverkehrbringen unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern.14 Der Erlass nationaler Ökodesign-Anforderungen stellt eine derartige Beschränkung bzw. Behinderung dar. Es ist daher auf nationaler Ebene grundsätzlich nicht möglich, von den in einer Durchführungsmaßnahme gestellten Ökodesign-Anforderungen abzuweichen. Art. 6 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 der Ökodesign-Richtlinie entfalten diesbezüglich eine Sperrwirkung. Dies gilt sowohl für nationale Anforderungen, die hinter den Anforderungen der Durchführungsverordnung zurückbleiben, als auch für Anforderungen, die ein höheres Maß an Energieeffizienz vorschreiben. Nationale Normen, die zu den Durchführungsverordnungen in Widerspruch stehen, sind auf Grund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts wirkungslos.15 Ziel der Gebäude-Richtlinie 2010 / 31 / EU ist die Verbesserung der Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden in der Union. Art. 4 der GebäudeRichtlinie verlangt die Festsetzung von Anforderungen an die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden, Art. 8 der Gebäude-Richtlinie die Festsetzung von Anforderungen an gebäudetechnische Systeme. Diese Anforderungen können in gewissen Fällen nur erreicht werden, wenn energieverbrauchsrelevante Anlagen mit bestimmten Energieeffizienzanforderungen eingebaut werden. Anforderungen aufgrund der Gebäude-Richtlinie an energieverbrauchsrelevante Anlagen können mit Ökodesign-Anforderungen kollidieren, wenn für die Produkte auch Durchführungsverordnungen zur Ökodesign-Richtlinie erlassen worden sind. In die Ökodesign-Richtlinie wurde durch Art. 27 Abs. 3 der Energieeffizienzrichtlinie für diese Fälle nunmehr in Art. 6 Abs.  1 S.  2 Ökodesign-Richtlinie eine Konfliktregel eingefügt. Nach 13  Vgl. Erwägungsgrund 2 Ökodesign-Richtlinie, wonach durch die Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften primär das Ziel verfolgt wird, der Entstehung von Handelshemmnissen vorzubeugen. 14  EuGH, Rs. 8 / 74, Slg. 1974, 837 Rn. 5 – Dassonville. 15  Ruffert, in: Calliess  /  Ruffert (Hrsg.), EUV  /  AEUV, 4.  Aufl. 2011, Art. 288 AEUV Rn.  16 ff.

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Art. 6 Abs. 1 S. 2 der Ökodesign-Richtlinie n. F. gilt für die von den Mitgliedstaaten nach Art. 4 Abs. 1 der Gebäude-Richtlinie festgelegten Anforderungen an die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden und die in Art. 8 der Gebäude-Richtlinie festgelegten Anforderungen an gebäudetechnische Systeme nicht das Verbot der Ökodesign-Richtlinie, von den Durchführungsverordnungen zur Ökodesign-Richtlinie abweichende Anforderungen im Bereich Ökodesign festzulegen. Zudem wurde in Art. 27 Abs. 3 Nr. 1 EnEff-RL ein neuer Erwägungsgrund 35a in die Ökodesign-Richtlinie eingefügt. In diesem wird erklärt, dass es mit den Zielen der ÖkodesignRichtlinie vereinbar ist, „dass diese Anforderungen unter bestimmten Umständen die Installation von energieverbrauchsrelevanten Produkten, die mit dieser Richtlinie und ihren Durchführungsmaßnahmen in Einklang stehen, einschränken können, sofern durch diese Anforderungen keine ungerechtfertigten Marktbarrieren errichtet werden.“ Von der Energieeffizienzrichtlinie wurde insofern eine Konfliktregel in die Ökodesign-Richtlinie eingefügt. Nach dieser gilt die Sperrwirkung der Ökodesign-Richtlinie nicht für die von den Mitgliedstaaten nach Art. 4 Abs. 1 der Gebäude-Richtlinie festgelegten Anforderungen an die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden und nicht für die nach Art. 8 der GebäudeRichtlinie festgelegten Anforderungen an gebäudetechnische Systeme. Hieraus folgt, dass der deutsche Gesetzgeber Anforderungen an die Energieeffizienz von energieverbrauchsrelevanten Anlagen in Gebäuden festlegen kann, die über die Vorgaben der Ökodesign-Richtlinie hinausgehen. d) Energieeffizienzverpflichtungssystem aa) Systematik Jeder Mitgliedstaat muss nach Art. 7 Abs. 1 UAbs. 1 EnEff-RL ein Energieeffizienzverpflichtungssystem einführen. Auf Grundlage des Energieeffizienzverpflichtungssystems müssen nach Art. 7 Abs. 1 UAbs. 2 EnEff-RL in dem Zeitraum vom 1. Januar 2014 bis zum 31. Dezember 2020 Energieeinsparungen in einer Höhe von mindestens 1,5 % des jährlichen Energieabsatzes aller Energieverteiler oder Energieeinzelhandelsunternehmen an Endkunden jährlich neu erzielt werden. Art. 7 Abs. 1 UAbs. 2 EnEff-RL normiert ein kumuliertes Endenergieeinsparziel. Dieses kumulierte Endenergieeinsparziel ist nicht mit den nach Art. 3 EnEff-RL von den Mitgliedstaaten festzulegenden indikativen nationalen Energieeffizienzziel identisch. Das aufgrund des Energieeffizienzverpflichtungssystems zu erreichende kumulierte Endenergieeinsparziel steht selbständig neben dem nationalen Energieeffizienzziel, kann aber in dieses aufgenommen werden.

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Das Absatzvolumen der im Verkehrswesen genutzten Energie kann nach Art. 7 Abs. 1 UAbs. 2 EnEff-RL ganz oder teilweise aus der Berechnung des kumulierten Endenergieeinsparziels herausgenommen werden. Den Mitgliedstaaten wird von der EnEff-RL die Möglichkeit eröffnet, dieses kumulierte Endenergieeinsparziel zu senken. Die zulässigen Maßnahmen zur Senkung sind in Art. 7 Abs. 2 EnEff-RL abschließend aufgeführt. Wichtig ist, dass gemäß Art. 7 Abs. 3 EnEff-RL der Umfang der Energieeinsparungen durch die Anwendung der in Art. 7 Abs. 2 EnEff-RL aufgeführten Maßnahmen um nicht mehr als 25 % vermindert werden darf. Folgende Maßnahmen dürfen zur Reduzierung des Umfangs der Energieeinsparungen angewendet werden: Nach Art. 7 Abs. 2 lit. a EnEff-RL dürfen Modifikation des Zieles durch eine Reduzierung des Umfangs der Energieeinsparungen auf 1 % für die Jahre 2014 und 2015, auf 1,25 % für die Jahre 2016 und 2017 und 1,5 % für die Jahre 2018, 2019 und 2020 vorgenommen werden. Nach Art. 7 Abs. 2 lit. b EnEff-RL dürfen Tätigkeiten, die dem Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz (TEHG) unterliegen, aus der Be­rechnung des zu erreichenden kumuliertes Endenergieeinsparziel herausgenommen werden. Nach Art. 7 Abs. 2 lit. c EnEff-RL dürfen Energieeinsparungen in den Sektoren Energieumwandlung sowie Energieverteilung und Energieübertragung als Einsparungen angerechnet werden. Nach Art. 7 Abs. 2 lit. d EnEff-RL dürfen Energieeinsparungen aufgrund von Einzelmaßnahmen, die nach dem 31. Dezember 2008 neu eingeführt wurden und bis 2020 weiterhin eine mess- und nachprüfbare Wirkung entfalten, als Energieeinsparungen (early actions) angerechnet werden. bb) Alternative strategische Maßnahmen Auch hinsichtlich des Energieeffizienzverpflichtungssystems ist den Mitgliedstaaten jedoch ein für die EnEff-RL charakteristischer Handlungsspielraum belassen worden. Die Mitgliedstaaten können sich von der Verpflichtung zur Einführung eines Energieeffizienzverpflichtungssystems nach Art. 7 Abs. 1 EnEff-RL befreien. Als Alternative zur Einführung des Energieeffizienzverpflichtungssystems können die Mitgliedstaaten gemäß Art. 7 Abs. 9 UAbs. 1 S. 1 EnEff-RL andere strategische Maßnahmen ergreifen, um (neue) Energieeinsparungen bei Endkunden zu bewirken. Diese Maßnahmen müssen aber dazu führen, dass sie das kumulierte Endenergieeinsparziel erreichen. Eine strategische Maßnahme ist nach Art. 2 Nr. 18 EnEff-RL ein in einem Mitgliedstaat förmlich eingerichtetes und verwirklichtes Regulierungs-, Finanz-, Fiskal-, Fakultativ- oder Informationsinstrument zur Schaffung eines unterstützenden Rahmens oder Auflagen oder Anreize für Marktteilnehmer,

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damit sie Energiedienstleistungen erbringen und kaufen und weitere energieeffizienzverbessernde Maßnahmen ergreifen. Alternative strategische Maßnahmen sind insofern Ersatzmaßnahmen, die an die Stelle des Energieeffizienzverpflichtungssystems treten. Der Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten, anstelle des Energieeffizienzverpflichtungssystems alternative strategische Maßnahmen zu ergreifen, hängt also davon ab, welche Anforderungen die EnEff-RL an die Ersatzmaßnahmen stellt. Art. 2 Nr. 18 EnEff-RL ist in seiner offenen Formulierung diesbezüglich nur wenig aussagekräftig. (1) Z  eitpunkt des Erlasses der alternativen strategischen Maßnahmen Von zentraler Bedeutung für die Reichweite des Handlungsspielraums der Mitgliedstaaten ist die Frage, inwieweit Energieeinsparungen angerechnet werden dürfen, die auf Gesetzen, Fördermaßnahmen oder Einzelmaßnahmen beruhen, die vor dem 1. Januar 2014 eingeführt worden sind. Der 1. Januar 2014 ist das Datum, ab dem die Mitgliedstaaten das Energieeffizienzverpflichtungssystem einführen müssen. Art. 7 Abs. 9 UAbs. 1 S. 2 EnEff-RL verlangt, dass durch alternative strategische Maßnahmen erzielte neue Energieeinsparungen gleichwertig zu der in Art. 7 Abs. 1, 2 und 3 EnEff-RL geforderten neuen Energieeinsparung sein müssen. Diese Formulierung „neue Energieeinsparung“ spricht dafür, dass Einsparungen, die ab dem 1. Januar 2014 aufgrund von bestehenden Gesetzen, Fördermaßnahmen oder Einzelmaßnahmen eintreten werden, nicht auf alternativen strategischen Maßnahmen i. S. v. Art. 7 Abs. 9 EnEffRL beruhen. Denn Energieeinsparungen, die ohnehin zukünftig eintreten, sind nicht gleichwertig zu neuen Energieeinsparungen, die aufgrund der Einführung eines Energieeffizienzverpflichtungssystems zusätzlich eintreten würden. Dieses Ergebnis lässt sich auch auf eine systematische Auslegung stützen. Die Energieeffizienzrichtlinie enthält gegenüber ihren Vorgängerrichtlinien verschärfte Anforderungen an die Erhöhung der Energieeffizienz in verschiedensten Bereichen und für unterschiedliche Akteure. Es stände – so ließe sich argumentieren – im Widerspruch zu den verschärften Anforderungen an die Erhöhung der Energieeffizienz in der Energieeffizienzrichtlinie, wenn aus dem Herzstück der EnEff-RL, dem Energieeffizienzverpflichtungssystem, keine erhöhten Anforderungen an die Energieeffizienz folgen würden, sondern es zulässig wäre, als alternative strategische Maßnahmen zur Einführung eines Energieeffizienzverpflichtungssystems Energieeinsparungen anzugeben, die ohnehin aufgrund bestehender Gesetze, Fördermaß-

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nahmen oder Einzelmaßnahmen – also auch ohne die Einführung eines Energieeffizienzverpflichtungssystems – eintreten würden. Auch Art. 7 Abs. 2 lit. d EnEff-RL spricht dafür, dass Energieeinsparungen aufgrund bestehender Gesetze, Fördermaßnahmen oder Einzelmaßnahmen und ohne die Einführung zusätzlicher Maßnahmen nicht als Energieeinsparungen aufgrund alternativer strategischer Maßnahmen zu werten sind, sondern lediglich im Rahmen der Anrechnung von early actions berücksichtigt werden können. Denn aus Art. 7 Abs. 1, Abs. 2 lit. d und Abs. 3 EnEff-RL folgt, dass die jährlichen Energieeinsparungen in einer Höhe von 1,5 % des jährlichen Energieabsatzes aller Energieverteiler oder Energieeinzelhandelsunternehmen zu mindestens 75 % durch die Einführung eines Energieeffizienzverpflichtungssystems erfolgen muss und höchstens 25 % aufgrund von Einsparungen durch bereits existente Maßnahmen erfolgen dürfte. Dies würde nach Art. 7 Abs. 9 S. 2 EnEff-RL auch für alternative strategische Maßnahmen gelten, da die durch die Einführung von alternativen strategischen Maßnahmen erzielte neue Energieeinsparung gleichwertig zu der in Art. 7 Abs. 1, 2 und 3 EnEff-RL geforderten neuen Energieeinsparung sein muss. Es steht im Widerspruch zu der Regelung des Art. 7 Abs. 1, Abs. 2 lit. d und Abs. 3 EnEff-RL, wenn Energieeinsparungen aufgrund bestehender Gesetze, Fördermaßnahmen oder Einzelmaßnahmen nicht nur als early actions, sondern dann auch als alternative strategische Maßnahmen nach Art. 7 Abs. 9 EnEff-RL angerechnet werden könnten. Auch der Sinn und Zweck der von der Richtlinie geforderten Einführung eines Energieeffizienzverpflichtungssystems spricht dafür, dass alternative strategische Maßnahmen i. S. v. Art. 7 Abs. 9 EnEff-RL keine vor dem 1. Januar 2014 eingeführten Gesetze, Fördermaßnahmen oder Einzelmaßnahmen sein können. Die EnEff-RL wurde erlassen, weil von den zuständigen Gremien der Europäischen Union mehrfach festgestellt und gegenüber den Mitgliedstaaten kritisiert wurde, dass die Union ihr Energieeffizienzziel mit dem bisherigen Kurs und auf Grundlage der bestehenden Rechtsvorschriften nicht erreichen wird. Die EnEff-RL hat vor diesem Hintergrund zum Ziel, zukünftig die Energieeinsparungen in der Europäischen Union erheblich zu steigern, um die gesetzten Energieeffizienzziele doch noch zu erreichen. Die Mitgliedstaaten sollen daher durch die Energieeffizienzrichtlinie verpflichtet werden, Maßnahmen zu ergreifen, mit denen der Rückstand im Hinblick auf das Gesamtenergieeffizienzziel der Union für 2020 aufgeholt werden kann. Aufgrund der bestehenden Maßnahmen und ohne die Einführung zusätz­licher Energieeffizienzmaßnahmen könne – so die Erkenntnis der Europäischen Union – die Verwirklichung des Energieeffizienzziels der Union von 20 % mehr Energieeffizienz bis 2020 von den Mitgliedstaaten nicht erreicht werden.

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Überraschend spricht hingegen der eindeutige Wortlaut des Entwurfs des Arbeitspapiers der EU-Kommission zu Art. 7 der Energieeffizienzrichtlinie gegen ein solches Verständnis. Dort heißt es: „The text takes the second approach, i. e. savings from individual actions carried out within the obligation period (after 1 January 2014 and until 31 December 2020) can be counted, even if the policy measure that gave rise to the actions was introduced before that date. For example, if a Member State established a funding scheme for window replacements in 2005, which continues to be in place in 2014, financing 100 000 window replacements per year, the savings from individual actions – windows replaced – in 2014 and onwards can be counted. If this Member States has decided to use the possibilities of Article 7(2)(d) (see section B4 above), savings from windows replaced from end-2008 until end-2013 can also be counted.“16

Daher können Einsparungen, die aufgrund von strategischen Maßnahmen erzielt werden, die vor dem 1. Januar 2014 erlassen wurden, für die Verwirklichung des Zieles angerechnet werden. Auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der strategischen Maßnahme kommt es nicht an. Dies verringert den legislativen Aufwand in den Mitgliedstaaten erheblich. Bemerkenswert ist, dass dieses Ergebnis ausschließlich aus den Auslegungshinweisen der Kommission folgt, sich aber aus der Auslegung der EnEff-RL nicht ermitteln lässt. Dies zeigt, dass die EnEff-RL selbst in dem Kern ihres Regelungsgegenstandes juristisch mehrdeutige Begriffe enthält. (2) Energieeinsparung beim Endkunden Art. 7 Abs. 9 UAbs. 1 S. 1 EnEff-RL fordert, dass die alternativen strategischen Maßnahmen Energieeinsparungen bei Endkunden bewirken. Auch alle beispielhaft in Art. 7 Abs. 9 UAbs. 2 EnEff-RL aufgeführten Maßnahmen müssen zu einer Verringerung des Endenergieverbrauchs führen. Nach Art. 2 Nr. 3 ist der Endenergieverbrauch die gesamte an die Industrie, den Verkehrssektor, die Haushalte, den Dienstleistungssektor und die Landwirtschaft gelieferte Energie. Nicht eingeschlossen sind Lieferungen an den Energieumwandlungssektor sowie an die Energiewirtschaft selbst. Korrespondierend wird von Art. 9 Abs. 1 UAbs. 2 S. 1 EnEff-RL festgelegt, dass das zu erreichende kumulierte Endenergieeinsparziel Energieeinsparungen in einer Höhe von 1,5 % des jährlichen Energieabsatzes aller Energieverteiler oder Energieeinzelhandelsunternehmen an Endkunden entsprechen muss. Nach Art. 7 Abs. 2 lit. c EnEff-RL dürfen zudem innerhalb des Rahmens von Art. 7 Abs. 3 EnEff-RL Energieeinsparungen, die in den Sektoren Ener16  Vgl. Draft Working Paper on Article 7 of the Energy Efficiency Directive (2012 / 27 / EU), Version of 29 / 10 / 2012 for the meeting of 09.11.2012, S.  12 f.

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gieumwandlung sowie -verteilung und -übertragung aufgrund der Anwendung der Anforderungen nach Art. 14 Abs. 4 und Art. 14 Abs. 5  lit. b sowie Art. 15 Abs. 1 bis 6 und 9 EnEff-RL erzielt werden, nur zur Reduzierung des kumulierten Endenergieziels im Rahmen Art. 7 Abs. 3 EnEff-RL angerechnet werden. Aus Art. 7 Abs. 2 lit. c EnEff-RL folgen insofern zwei Einschränkungen. Einsparungen in den Sektoren Energieumwandlung sowie -verteilung und -übertragung dürfen zum einen nur innerhalb des Rahmens von Art. 7 Abs. 3 EnEff-RL angerechnet werden, das heißt, sie dürfen allein oder zusammen mit den anderen zielmindernden Maßnahmen gem. Art. 7 Abs. 2 lit. a, lit. b und lit. d EnEff-RL nicht mehr als 25 % zur Reduzierung des kumulierten Endenergieziels nach Art. 7 Abs. 1 EnEff-RL beitragen. Vor allem aber dürfen Einsparungen in den Sektoren Energieumwandlung sowie -verteilung und -übertragung nur angerechnet werden, wenn sie aufgrund der Anwendung der Anforderungen nach Art. 14 Abs. 4 und Art. 14 Abs. 5 lit. b sowie Art. 15 Abs. 1 bis 6 und 9 EnEff-RL erzielt werden. Auch an dieser Vorgabe zeigt sich, dass grundsätzlich keine Energieeinsparungen angerecht werden dürfen, die ohnehin eintreten würden, etwa weil sie zwingend durch das Unionsrecht vorgegeben sind. Aus der Vorgabe, dass die alternativen strategischen Maßnahmen i. S. v. Art. 7 Abs. 9 EnEff-RL zu Energieeinsparungen bei Endkunden führen müssen, folgen zwei Konsequenzen: Zum einen können alternative strategische Maßnahmen weder die Vorgaben zur sparsamen und effizienten Verwendung von Energie nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 BImSchG, das KWKG insgesamt oder die Vorgaben über intelligente Messsysteme nach den §§ 21c ff. EnWG sein. Denn diese Vorgaben führen zu Energieeinsparungen bei der Energieumwandlung und bei der Energieverteilung. Zum anderen können gesetzliche Vorgaben oder Förderprogramme, die die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien fördern – etwa KfW-Programme –, keine alternativen strategischen Maßnahmen i. S. v. Art. 7 Abs. 9 EnEff-RL sein. Denn gesetzliche Vorgaben oder Förderprogramme, die die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien fördern, führen nicht zu Energieeinsparungen beim Endkunden. (3) K  eine Einsparungen aufgrund von verpflichtenden europäischen Normen Art. 7 Abs. 9 UAbs. 2 EnEff-RL zählt beispielhaft verschiedene alternative strategische Maßnahmen auf, die anstelle der Einführung eines Energieeffizienzverpflichtungssystems zur Erreichung des kumulierten Endenergieeinsparziels möglich sind. Aus der Formulierung, die „strategischen Maßnahmen können unter anderem folgende strategische Maßnahmen oder Kombinationen daraus einschließen“, wird deutlich, dass auch andere alternative strategische Maßnahmen zulässig sind.

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Wichtig ist insbesondere Art. 7 Abs. 9 UAbs. 2 lit. d EnEff-RL. Hiernach sind Standards und Normen zur Verbesserung der Energieeffizienz von Produkten, Dienstleistungen, Gebäuden und Fahrzeugen nur dann als alternative strategische Maßnahmen zulässig, soweit sie nicht verbindlich vorgeschrieben sind und nach Unionsrecht in den Mitgliedstaaten gelten. Entsprechend sind nach Art. 7 Abs. 9 UAbs. 2 lit. e Energiekennzeichnungssysteme als alternative strategische Maßnahmen zulässig, mit Ausnahme derjenigen, die verbindlich vorgeschrieben sind und nach Unionsrecht in den Mitgliedstaaten gelten. Auch aus diesen Regelungen wird wiederum deutlich, dass solche Maßnahmen nicht als alternative Maßnahmen nach Art. 7 Abs. 9 EnEff-RL anerkannt werden können, die zu keinen neuen Energieeinsparungen führen, sondern die Energieeinsparungen zum Inhalt haben, die ohnehin eintreten werden. Nicht angerecht werden dürfen aus diesem Grund Energieeinsparungen, die aufgrund der Umsetzung von Vorgaben der Ökodesign-Richtlinie bzw. der entsprechenden Durchführungsverordnungen eintreten. Nicht angerecht werden dürfen zudem Energieeinsparungen, die aufgrund der Umsetzung der Gebäuderichtlinie eintreten. Dies bedeutet, dass Energieeinsparungen, die aufgrund der Energieeinsparverordnung (EnEV) erfolgen, nur eingeschränkt angerechnet dürfen, nämlich nur soweit, wie die aufgrund der EnEV erzielten Einsparungen nicht zwingend durch das sekundäre Unionsrecht vorgegeben sind. (4) A  nforderungen an die gesetzlichen Grundlagen alternativer Maßnahmen Die alternativen strategischen Maßnahmen nach Art. 7 Abs. 9 UAbs. 2 EnEff-RL müssen die in Art. 7 Abs. 10 EnEff-RL aufgeführten Kriterien erfüllen: In den gesetzlichen Grundlagen der Ersatzmaßnahmen muss die Verantwortung der beteiligten Parteien und Behörden bestimmt werden. Die zu erzielenden Energieeinsparungen müssen auf transparente Art und Weise festgelegt werden. Ferner müssen die Berechnungen der Energieeinsparungen nach den Vorgaben der EnEff-RL erfolgen. Von den teilnehmenden Parteien muss ein Jahresbericht über die Energieeinsparungen vorgelegt und öffentlich zugänglich gemacht werden, die Ergebnisse der Energieeinsparungen müssen überwacht werden und falls keine zufriedenstellenden Fortschritte erzielt werden, müssen geeignete Maßnahmen in Betracht gezogen werden. Es muss ein Kontrollsystem eingerichtet werden, das auch eine unabhängige Verifizierung eines statistisch signifikanten Anteils der Energieeffizienzverbesserungsmaßnahmen einschließt. Es müssen jährlich Angaben zum Jahrestrend bei den Energieeinsparungen veröffentlicht werden.

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(5) Keine doppelte Anrechnung von Einsparungen Gemäß Art. 7 Abs. 12 EnEff-RL müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass, wenn sich strategische Maßnahmen oder Einzelmaßnahmen in ihrer Wirkung überschneiden, Energieeinsparungen nicht doppelt angerechnet werden. cc) Anforderungen an early actions Wie zu Beginn der Ausführungen über das Energieeffizienzverpflichtungssystem angesprochen, wird den Mitgliedstaaten von der EnEff-RL die Möglichkeit eröffnet, das kumulierte Endenergieeinsparziel zu senken. Dies gilt unabhängig davon, ob der jeweilige Mitgliedstaat ein Energieeffizienzverpflichtungssystem installiert oder das Ziel über alternative Maßnahmen erreichen will. Eine der vier zulässigen Maßnahmen zur Reduzierung des Umfangs der Energieeinsparungen ist nach Art. 7 Abs. 2 lit. d EnEff-RL die Anrechnung von early actions. Dies sind Energieeinsparungen aufgrund von Einzelmaßnahmen, die nach dem 31. Dezember 2008 neu eingeführt wurden und bis 2020 weiterhin eine mess- und nachprüfbare Wirkung entfalten. Wie ebenfalls bereits ausgeführt, kann nach Art. 7 Abs. 3 S. 1 EnEff-RL der Umfang der nach Art. 7 Abs. 1 EnEff-RL zu erreichenden Energieeinsparungen durch die Anwendung aller in Art. 7 Abs. 2 EnEff-RL aufgeführten Maßnahmen insgesamt nur um bis zu 25 % vermindert werden. Wie bereits ausgeführt, ist nach Art. 2 Nr. 18 EnEff-RL eine Einzelmaßnahme eine Maßnahme, die zu überprüfbaren und mess- oder schätzbaren Energieeffizienzverbesserungen führt und infolge einer strategischen Maßnahme ergriffen wird. Eine strategische Maßnahme ist nach Art. 2 Nr. 17 ein in einem Mitgliedstaat förmlich eingerichtetes und verwirklichtes Regulierungs-, Finanz-, Fiskal-, Fakultativ- oder Informationsinstrument zur Schaffung eines unterstützenden Rahmens oder Auflagen oder Anreize für Marktteilnehmer, damit sie Energiedienstleistungen erbringen und kaufen und weitere energieeffizienzverbessernde Maßnahmen ergreifen. Aus der Legaldefinition des Begriffs der Einzelmaßnahme und in Abgrenzung zu dem ebenfalls legal definierten Begriff der strategischen Maßnahme folgt, dass Einzelmaßnahmen nicht die rechtlichen Grundlagen einer Energieeinsparung sein können. Die rechtliche Grundlage einer Einsparmaßnahme bezeichnet die Richtlinie als strategische Maßnahme. Es ist daher ohne Bedeutung, wann die rechtliche Grundlage einer Einzelmaßnahme zur Energieeinsparung in Kraft getreten ist. Insofern dürfen auch Energieeinsparungen als early actions angerechnet werden, die auf Rechtsgrundlagen beruhen, die vor dem 31. Dezember 2008 neu eingeführt wurden.

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Dies folgt auch aus dem Entwurf des Arbeitspapiers der EU-Kommission zu Art. 7 der Energieeffizienzrichtlinie. Dort heißt es unter C3 „When should individual actions take place“: „As ‚new‘ savings are required, not everything that Member States have done at any time in the field of end-use energy efficiency can count for the purposes of Article 7. The Article contains rules to define when actions need to take place in order to be counted towards the energy savings required. Two broad approaches could have been taken: (a)  The requirements of the Article have to be fulfilled by new policy measures. Savings from policy measures that existed before a given cut-off date cannot be taken into account; or (b)  The requirements of the Article have to be fulfilled by new individual actions. Savings from individual actions undertaken after the cut-off date can be counted, even if the policy measure that gave rise to the actions – for example, a funding scheme – was introduced before that date. The text takes the second approach, i. e. savings from individual actions carried out within the obligation period (i. e. after 1 January 2014 and until 31 December 2020) can be counted, even if the policy measure that gave rise to the actions was introduced before that date.“17

Der EnEff-RL selbst lässt sich keine im Übrigen eindeutige Antwort auf die Frage entnehmen, ob Einzelmaßnahme i. S. v. Art. 2 Nr. 18 EnEff-RL konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz (etwa die Dämmung eines Hauses) meint oder ob hierunter Förderprogramme und Förderrichtlinien etc. zu verstehen sind. Wenn unter Einzelmaßnahmen etwa Förderrichtlinien und Kreditprogramme fallen würden, dann könnten Einsparungen, die auf diesen Maßnahmen beruhen, nur angerechnet werden, wenn diese Maßnahmen nach dem 1. Januar 2009 eingeführt worden wären. Wenn unter den Einzelmaßnahmen hingegen konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz zu verstehen wären, könnten alle zwischen dem 1. Januar 2009 und dem 1. Januar 2014 durchgeführten, auf entsprechenden älteren Förderprogrammen und Förderrichtlinien beruhenden Effizienzmaßnahmen angerechnet werden, unabhängig davon, zu welchem Zeitpunkt diese Programme eingeführt worden sind. Dafür, dass unter dem Begriff der Einzelmaßnahmen i. S. v. Art. 2 Nr. 18 EnEff-RL der Erlass von Förderrichtlinien, Kreditprogramme etc. zu verstehen ist, spricht, dass in der Richtlinie zwischen einer Einzelmaßnahme i. S. v. Art. 2 Nr. 18 EnEff-RL und einer Maßnahme zur Energieeffizienzverbesserung unterschieden wird. So ist nach Art. 2 Nr. 5 EnEff-RL eine Energieeinsparung die eingesparte Energiemenge, die durch Messung und / oder 17  Vgl. Draft Working Paper on Article 7 of the Energy Efficiency Directive (2012 / 27 / EU), Version of 29 / 10 / 2012 for the meeting of 09.11.2012, S.  12.

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Schätzung des Verbrauchs vor und nach der „Umsetzung einer Maßnahme zur Energieeffizienzverbesserung“ und bei gleichzeitiger Normalisierung der den Energieverbrauch beeinflussenden äußeren Bedingungen ermittelt wird. Nach Erwägungsgrund 21 EnEff-RL sollte in Anbetracht der zwingenden Erforderlichkeit, die langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen wiederherzustellen und die Staatshaushalte zu konsolidieren, auf der Ebene der Mitgliedstaaten bei der Durchführung der unter diese Richtlinie fallenden Einzelmaßnahmen mithilfe angemessener Analysen und Bewertungen gebührend beachtet werden, dass die Durchführung von Energieeffizienzmaßnahmen kostenwirksam erfolgt. Diese Abgrenzung spricht dafür, dass unter einer Einzelmaßnahme nicht die tatsächlichen Energieeffizienzmaßnahmen wie etwa die Dämmung eines Hauses oder der Einbau einer energieeffizienten Wärmepumpe gemeint ist. Denn wenn der konkrete Vorgang einer Energieeffizienzmaßnahme von der Richtlinie als Maßnahme zur Energieeffizienzverbesserung bezeichnet wird, kann unter einer Einzelmaßnahme i. S. v. Art. 2 Nr. 18 EnEff-RL nicht ebenfalls der konkrete Vorgang einer Energieeffizienzmaßnahme verstanden werden. Nur bei diesem Verständnis haben die Begriffe „Einzelmaßnahme“ und „Maßnahme zur Energieeffizienzverbesserung“ eine eigene Bedeutung. Zudem spricht Art. 7 Abs. 2 lit. d EnEff-RL von Einzelmaßnahmen, die nach dem 31. Dezember 2008 „neu eingeführt“ wurden. Nach Anhang V Nr. 3 lit. d können Einsparungen, die sich aus den Einzelmaßnahmen zwischen dem Datum ihrer Einführung und dem 31. Dezember 2020 ergeben, angerechnet werden. Nach dem deutschen Sprachverständnis werden Rechtsnormen „eingeführt“, konkrete Einsparmaßnahmen hingegen „durchgeführt“. Darüber hinaus müssen nach Art. 7 Abs. 12 EnEff-RL die Mitgliedstaaten für den Fall, dass sich strategische Maßnahmen oder Einzelmaßnahmen in ihrer Wirkung überschneiden, sicherstellen, dass Energieeinsparungen nicht doppelt angerechnet werden. Es ist schwer vorstellbar, dass sich tatsächlich durchgeführte Energieeffizienzmaßnahmen, etwa die Dämmung eines Hauses, in ihrer Wirkung überschneiden könnten. Hingegen heißt es in Anhang V Nr. 3 lit. d EnEff-RL, dass Einsparungen, die sich aus einer Einzelmaßnahme ergeben, von höchstens einer Partei für sich beansprucht werden können. Diese Formulierung spricht hingegen wieder dafür, dass Einzelmaßnahmen i. S. v. Art. 2 Nr. 18 tatsächlich durchgeführte Energieeffizienzmaßnahmen sind, weil Energieeinsparungen, die auf Förderrichtlinien und Kreditprogrammen beruhen, naturgemäß von mehr als einer Partei beansprucht werden können. Aus dem bereits zitierten Entwurf des Arbeitspapiers der EU-Kommission zu Art. 7 der Energieeffizienzrichtlinie folgt jedoch, dass unter Einzelmaß-

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nahme i. S. v. Art. 2 Nr. 18 konkrete Einsparmaßnahmen zu verstehen sind. Diesbezüglich sei auf die bereits zitierten Passagen verwiesen. dd) Anrechnung von early actions bei alternativen strategischen Maßnahmen Early actions dürfen nicht nur angerechnet werden, wenn ein Mitgliedsstaat ein Energieeffizienzverpflichtungssystem errichtet, sondern auch, wenn Energieeinsparungen durch alternative Maßnahmen nach Art.  7 Abs.  9 EnEff-RL erfolgen sollen. Denn die Anrechnung der early actions in Verbindung mit dem Energieeffizienzverpflichtungssystem führt dazu, dass das zu erreichende Einsparziel gemindert wird. Eine solche Minderung muss dann auch für Energieeinsparungen durch alternative Maßnahmen nach Art. 7 Abs. 9 EnEff-RL gelten, ansonsten müsste mit den alternativen Maßnahmen ein höheres Energieeinsparziel erreicht werden als durch die Einführung eines Energieeffizienzverpflichtungssystems. Es bestehen Zweifel, ob – wenn anstelle des Energieeffizienzverpflichtungssystems die Einsparungen durch alternative Maßnahmen erreicht werden sollen – die early actions in diesem Fall auch die Voraussetzungen nach Art. 7 Abs. 9 UAbs. 2 EnEff-RL sowie die Voraussetzungen nach Abs. 10 bis 11 erfüllen müssen. Allerdings verlangt Art. 7 Abs. 9 UAbs. 2 S. 1 EnEff-RL lediglich, dass die alternativen Maßnahmen die Voraussetzungen nach Art. 7 Abs. 9 UAbs. 2 EnEff-RL erfüllen müssen. Hiergegen spricht zudem wiederum, dass die Anrechnung der early actions nur zu einer Minderung des zu erreichenden Einsparziels führt, die Richtlinie stellt über die zeitlichen Anforderungen hinaus keine weiteren Anforderungen an die early actions. Insofern können als early actions auch Einsparungen angerechnet werden, die auf Standards und Normen zur Verbesserung der Energieeffizienz von Gebäuden beruhen, die verbindlich vorgeschrieben sind und nach Unionsrecht in den Mitgliedstaaten gelten. IV. Umsetzung der Richtlinie Ein im Auftrag des damaligen Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie und der Bundesstelle für Energieeffizienz erstelltes Gutachten „Endenergieeinsparziel gem. Art. 7 EED und Abschätzung der durch politische Maßnahmen erreichbaren Energieeinsparungen“ wurde am 5. Februar 2013 von der Prognos AG vorgelegt.18 Das Gutachten kommt letzten En18  Das Gutachten ist auf der offiziellen Internetseite des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie abrufbar.

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des zu dem Schluss, dass Deutschland die als kumuliertes Endenergieeinsparziel nach Art. 7 Abs. 1 UAbs. 2 EnEff-RL geforderten Energieeinsparungen durch bereits bestehende Maßnahmen und Gesetze erfüllt und insofern kein Energieeffizienzverpflichtungssystem eingeführt werden muss. Das Gutachten der Prognos AG behandelt die rechtlichen Fragen der Umsetzung der EnEff-RL nicht. Nach den soeben erfolgten Ausführungen ist aber unter rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen, ob die in dem Gutachten vorgeschlagenen Ersatzmaßnahmen wie die EEG-Umlage, die KWK-Umlage, Netznutzungsentgelte, Konzessionsabgaben, die LWK-Maut oder die Luftverkehrsabgabe rechtlich den Anforderungen an alternative strategische Maßnahmen gemäß Art. 7 Abs. 9 UAbs. 1 S. 1 EnEff-RL genügen. Fraglich ist etwa, ob diese Maßnahmen gezielt zu energieeffizienten Maßnahmen bei Endkunden führen. Eine lediglich mittelbare, zufällige energieeffizienzsteigernde Wirkung dürfte nicht den Vorgaben von Art. 7 Abs. 1 EnEff-RL entsprechen. V. Papiertiger oder Meilenstein Ist die EnEff-RL nun ein Papiertiger oder ein Meilenstein für die Entwicklung des Energieumweltrechts? Zum einen hat sich gezeigt, dass die EnEff-RL keinen grundlegenden Systemwandel will und die grundlegende Richtung ihrer Vorgängerrichtli­ nien fortführt. Die bestehenden Richtlinien werden – abgesehen von dem Energieeffizienzverpflichtungssystem – in ihren Grundzügen nicht verändert, sondern ergänzt und erweitert. Aus den Ausführungen zu den Charakteristika der Richtlinie, zu den Vorgaben im Gebäudebereich und zum Energieeffizienzverpflichtungs­system ist zudem deutlich geworden, dass die EnEff-RL wenig verpflichtend umzusetzende Inhalte – zumindest wenn es sich um wesentliche Regelungen handelt – enthält und den Mitgliedstaaten große Handlungsspielräume belässt. Die EnEff-RL enthält also in großen keine solchen materiellen Vorgaben, dass sie gegenüber der defizitären Rechtssetzung im Bereich der Energieeffizienz einen Schub auslösen würde. Die bestehenden Defizite des gegenwärtigen Energieeffizienzrechts müssen vom deutschen Gesetzgeber aufgrund der Vorgaben der EnEff-RL nicht behoben werden. Hierzu passt auch, dass die Richtlinie keine Sanktionen für den Fall enthält, dass die Mitgliedstaaten sich selber keine solchen indikativen nationalen Energieeffizienzziele geben, die nicht genügen, um das europäische Gesamtziel von einem Energieverbrauch der Union im Jahr 2020 von nicht mehr als 1.474 Mio. t Rohöltonnen Primärenergie oder nicht mehr als 1.078 Mio. t Rohöltonnen Endenergie zu erreichen.

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Die EnEff-RL ist insofern bereits kein Meilenstein für die weitere Entwicklung des Energieeffizienzrechts im Konkreten und für das Energieumweltrecht im Allgemeinen, weil die Mitgliedstaaten nicht zur Umsetzung der zentralen Inhalte der Richtlinie verpflichtet sind. Aber ist die Richtlinie daher ein Papiertiger? Dies wäre letztendlich ein vorschnelles Urteil. Denn auch wenn die EnEff-RL auf den bestehenden Richtlinien aufsetzt, verfolgt sie zumindest in zwei Punkten eine eigene Agenda. Der erste wichtige Impuls der Richtlinie ist ihr Bemühen, einen gemeinsamen Rahmen für die weitere Entwicklung des Energieeffizienzrechts auf europäischer Ebene zu setzen und verschiedene Richtlinien in einen Rechtsakt zu integrieren. Wenn der deutsche Gesetzgeber diesen Ansatz aufnehmen würde und die zentralen Prinzipien und Definitionen des Energieeffizienzrechts einheitlich in einem Rahmengesetz festlegen würde, wäre das sicherlich ein Meilenstein für die weitere Entwicklung des deutschen Energieeffizienzrechts. Für eine Erhöhung der Steuerungswirkung erscheint eine solche Konsolidierung unerlässlich. Die EnEff-RL zwingt den Gesetzgeber aber nicht zu einem solchen Schritt. Der zweite wichtige Impuls der Richtlinie ist das Konzept des Energieeffizienzverpflichtungssystems. Zwar zwingt die EnEff-RL den deutschen Gesetzgeber nicht zur Einführung eines Energieeffizienzverpflichtungssystems nach den Vorgaben von Art. 7 EnEff-RL. Der Gesetzgeber wird wohl auch kein Energieeffizienzverpflichtungssystem erlassen. Wichtig ist aber, dass die EnEff-RL von den Mitgliedstaaten verlangt, ihre bestehenden Regelungen auf ihre Effektivität hin zu überprüfen und ggf. zur Erreichung des kumulierten Energieeinsparziels neue Maßnahmen zu erlassen. Insofern lautet die Antwort auf die Frage Papiertiger oder ein Meilenstein: Es kommt darauf an, was der Gesetzgeber aus den Impulsen der EnEff-RL macht. Die EnEff-RL könnte sich in der Rückschau aber insofern noch als Meilenstein erweisen, als dass sie der Startpunkt für einen eigendynamischen (bürokratischen) Prozess auf der Ebene der Europäischen Union gewesen ist. In der Richtlinie wird an vielen Stellen ausdrücklich und implizit deutlich, dass die Europäische Kommission davon ausgeht, dass für eine Erhöhung der Energieeffizienz mittelfristig weitere Rechtsetzung sowohl auf der Ebene der europäischen Union wie auch auf der Ebene der Mitgliedstaaten notwendig ist. In Art. 1 Abs. 1 heißt es explizit, dass mit der Richtlinie weitere Energieeffizienzverbesserungen für die Zeit nach 2020 vorbereitet werden sollen. Die EnEff-RL ist zudem ausweislich ihrer Erwägungsgründen das Ergebnis eines Erkenntnisprozesses, in dem deutlich geworden ist, dass es mit den bisherigen Anstrengungen nicht reichen und dass es so nicht weitergehen kann. Der Druck auf die Mitgliedstaaten, verpflichtende Regelungen zur Erhöhung der Energieeffizienz zu erlassen, wird daher zunehmen.

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Am deutlichsten wird dies in dem Instrument des Energieeffizienzverpflichtungssystems. Denn dieses kann angesichts seiner Komplexität auch als sanfte Drohung der Europäischen Kommission verstanden werden. Wenn die Mitgliedstaaten nicht die festgelegten Energieeffizienzziele erreichen, werden sie über kurz oder lang von der europäischen Ebene zu diesen Schritten verpflichtet. Insofern muss die Antwort auf die Frage Papiertiger oder ein Meilenstein ergänzend lauten: warten wir ab, welche Schritte die Europäische Kommission ergreifen wird, wenn aufgrund der EnEff-RL die festgelegten Ziele nicht erreicht werden. VI. Energieeffizienzrecht als rechtswissenschaftliches Forschungsthema Die Bewertung Meilenstein oder Papiertiger sollte aber nicht auf die Frage reduziert werden, inwieweit die EnEff-RL den deutschen Gesetzgeber zwingt, die bestehenden Regelungen des Energieeffizienzrechts zu modifizieren oder neue Regelungen zu erlassen. Vielmehr muss in diesem Zusammenhang auch gefragt werden, ob bzw. inwieweit die EnEff-RL Impulse für Energieeffizienzrecht als rechtswissenschaftliches Forschungsthema setzt. Betrachtet man die EnEff-RL und das Energieeffizienzrecht unter diesem Blickwinkel zeigt sich recht schnell, dass hier ein lohnenswertes rechtswissenschaftliches Forschungsthema zu finden ist. Dieses liegt zunächst darin, eine Analyse der in energieeffizienzrelevanten Bereichen bestehenden Gesetze durchzuführen und so das Energieeffizienzrecht systematisch zu erfassen. Ziel entsprechender Untersuchungen sollte es sein, das Energieeffizienzrecht nach übergreifenden und einheitsstiftenden Zusammenhängen und normativen Steuerungsmechanismen zu strukturieren, zu systematisieren und somit das auseinander­driftende Energieeffizienzrecht in einem wissenschaftlichen Ordnungsrahmen zusammen­zuführen. Dazu gehört es auch, das Energieeffizienzrecht nach Akteuren, Handlungsfeldern und rechtlichen Instrumenten zu ordnen und die rechtlichen Hindernisse und Hemmnisse für eine stärkere Entfaltung des Energieeffizienzrechts zu identifizieren sowie die Ausstrahlungseffekte zwischen den verschiedenen Regelungsbereichen des Energieeffizienzrechts zu erfassen. Es wäre sicherlich ein Meilenstein für die Entwicklung des Energieeffizienzrechts, wenn Regelungslücken und somit ungenutzte Steuerungs­ potentiale des Energieeffizienzrechts sichtbar gemacht und herausgearbeitet würden, mit welchen rechtlichen Regelungsinstrumenten ungenutztes Regelungspotential erschlossen werden kann. Auf eine solche Untersuchung könnte dann entweder ein Vergleich mit den Regelungen zur Energieeffizienz in anderen europäischen Ländern auf-

Energieeffizienzrichtlinie173

bauen. Möglich wäre aber auch eine Anbindung an die im deutschen Verwaltungsrecht geführte Steuerungsdiskussion. Schon seit längerer Zeit wird die Verwaltungsrechtswissenschaft verstärkt auch als Steuerungswissenschaft und Recht als Instrument zur Bewirkung von erwünschten und zur Vermeidung von uner­wünschten Wirkungen verstanden.19 Vor diesem Hintergrund ist die Neue Verwaltungsrechtswissenschaft ausgerufen worden.20 Recht soll sich vornehmlich darauf konzentrieren, Ziele zu formulieren, Optionen aufzuzeigen, Anreize zu setzen, Strukturen zur Verfügung zu stellen und Organisationen und Verfahren einzu­richten, um auf diese Weise die endogenen Potenziale der Gesellschaft, ihre Anpassungs-, Reaktions- und Problemlösungskapazität in möglichst großem Umfang zu mobi­lisieren.21 Das Energieeffizienzrecht könnte ein lohnenswertes Fallbeispiel sein, um die auf recht hoher Abstraktionsebene durchgeführten Überlegungen der Neuen Verwaltungsrechtswissenschaft auf konkrete Steuerungsprobleme herunterzubrechen. Die EnEff-RL könnte sich durchaus als Impuls für solche Überlegungen erweisen, weil sie die Steuerungsprobleme des Energieeffizienzrechts nochmals dezidiert zum Ausdruck bringt. Im Kontext der Steuerungs- und Vollzugsprobleme lässt sich das Energieeffizienzrecht auch wieder an das klassische Umweltrecht anbinden, in welchem die im deutschen Verwaltungsrecht geführte Steuerungsdiskussion ihren Ausgangspunkt hat.

19  Vgl. etwa Schuppert, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / ders. (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts – Grundfragen, 1993., S. 65 ff.; HoffmannRiem, in: ders. / Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997, S. 355 ff. 20  Voßkuhle, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / ders. (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd.  I, Methoden, Maßstäbe, Aufgaben, Organisation, 2006, GVwR I, § 1 Rn. 16 ff. 21  Vgl. Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip, 1999, S. 6 m.z.w.N.

Das deutsche und europäische Energieeffizienzrecht – Ein Rechtsgebiet im Werden? Von Markus Ludwigs, Würzburg I. Einführung Das Regelungsziel des Klima- und Umweltschutzes zählt neben Wettbewerbsfähigkeit und Versorgungssicherheit zu den zentralen Bausteinen der deutschen und europäischen Energiepolitik. Als Lehre aus der Atomkatas­ trophe von Fukushima soll die in Deutschland vollzogene Energiewende den Umbau der Energieversorgung in Richtung Erneuerbarer Energien und mehr Energieeffizienz vorantreiben. Auf Unionsebene repräsentiert die „Initiative 20-20-20“ eine auf dynamische Fortentwicklung angelegte Programmatik für eine integrierte Klima- und Energiepolitik. Bis 2020 sollen die Treibhausgasemissionen um 20  % gesenkt, der Anteil erneuerbarer Energieträger auf 20 % erhöht und die Energieeffizienz um 20 % gesteigert werden.1 Zur Erreichung des 20 %-Energieeffizienzziels ist eine kaum noch überschaubare Vielzahl an Rechtsakten erlassen worden, deren Bewertung höchst unterschiedlich ausfällt. Kritiker sprechen von einem „(…) Sammelsurium unterschiedlichster Maßnahmen und Instrumente“, das mangels abgrenzbarem, eigenständigem Rechtsbereich „nicht (…) in einem umfassenden ‚Energieeffizienzgesetz‘ kodifiziert werden könnte“.2 Den diametral entgegengesetzten Standpunkt repräsentiert die von anderen Teilen des Schrifttums vorgenommene Klassifizierung des „Energieeffizienzrechts“ als „Rechtsgebiet im Werden“3 bzw. als „entstehendes Rechtsgebiet in nuce“4. 1  Grundlegend: Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates v. 08. / 09.03.2007, 7224 / 1 / 07 REV 1, Tz. 27 ff. und Anl. I.; zur aktuellen Diskussion über die Fortentwicklung der „20-20-20“-Initiative vgl. die jüngste Mitteilung der Kommission „Ein Rahmen für die Klima- und Energiepolitik im Zeitraum 2020– 2030“ v. 22.01.2014, COM(2014) 15 final sowie die Schlussfolgerungen des Europäi­ schen Rates v. 20. / 21.03.2014, EUCO 7 / 1 / 14 REV 1, Tz. 15 ff. 2  Schomerus, NVwZ 2009, 418 (423). 3  Britz / Eifert / Reimer, in: dies. (Hrsg.), Energieeffizienzrecht, 2010, S. 63 (67). 4  Härtel, in: dies. / Pielow (Hrsg.), Effektiv zu mehr Energieeffizienz?, 2012, S. 19 (49); dies., NuR 2011, 825 (832).

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Dem Bedarf an rechtlicher Orientierung werde gerade durch die Ausdifferenzierung im Rahmen eines eigenständigen Rechtsgebiets entsprochen.5 Im Folgenden soll der kontroversen Frage nach dem Rechtsgebietscharakter des „Energieeffizienzrechts“ in drei Schritten nachgegangen werden. Auf einer ersten Stufe (unter II.) sind zunächst die bisherigen Entwicklungslinien der deutschen und europäischen Energieeffizienzpolitik zu umreißen. Hieran anknüpfend gilt es, die grundlegenden Kriterien für die Entstehung eines neuen Rechtsgebiets herauszuarbeiten (III.). Im dritten Teil des Beitrags (unter IV.) ist schließlich zu klären, ob das vorliegende Konglomerat an Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz diesen Voraussetzungen entspricht. II. Entwicklungslinien der Energieeffizienzpolitik Betrachtet man die Entwicklung der Energieeffizienzpolitik auf nationaler und europäischer Ebene, lassen sich vier Stadien unterscheiden.6 1. Historische Entwicklungsstadien

Den historischen Ausgangspunkt der „Frühphase des Energieeffizienz­ rechts“7 markieren die Ölkrisen der Jahre 1973 und 1979 / 80. Hierdurch wurde den Industriestaaten ihre Abhängigkeit von fossilen Energieträgern und die Notwendigkeit von Maßnahmen zur Energieeinsparung eindringlich vor Augen geführt. Als Reaktion kam es zunächst auf nationaler Ebene im Gebäudesektor8 und kurz darauf auch durch die EWG in den Bereichen Gebäude9 und Produktkennzeichnung10 zu ersten Energieeffizienzmaß­ nahmen.11 5  Härtel,

in: dies. / Pielow (Fn. 4), S. 19 (25). zum Folgenden schon: Ludwigs, Unternehmensbezogene Effizienzanforderung, 2013, S. 422 ff.; ders., in: Ruffert (Hrsg.), Europäisches Sektorales Wirtschaftsrecht, 2013, Kap. 5 Rn. 30 ff.; eingehende Analyse bei Jesse, Instrumentenverbund als Rechtsproblem am Beispiel effizienter Energienutzung, 2014, S. 80 ff. 7  Begriff von Jesse, in: Britz / Eifert / Reimer (Fn. 3), S. 15 (17). 8  Gesetz zur Einsparung von Energie in Gebäuden (Energieeinsparungsgesetz) v. 22.07.1976, BGBl. I S. 1873; neugefasst durch Bekanntmachung v. 01.09.2005, BGBl. I S. 2684. 9  RL 78  / 170 / EWG des Rates v. 13.02.1978 betreffend die Leistung von Wärmeerzeugern zur Raumheizung und Warmwasserbereitung in neuen oder bestehenden nichtindustriellen Gebäuden sowie die Isolierung des Verteilungsnetzes für Wärme und Warmwasser in nichtindustriellen Neubauten, ABl. 1978, Nr. L 52 / 32; aufgehoben durch RL 2005 / 32 / EG des EP und des Rates v. 06.07.2005, ABl. 2005, Nr. L  191 / 29. 6  Näher



Das deutsche und europäische Energieeffizienzrecht177

Die zweite Entwicklungsstufe in den 1990er Jahren zeichnete sich durch eine verstärkte Internationalisierung und Europäisierung der Rechtsmaterie aus.12 Die E(W)G nahm nunmehr eine Schrittmacherfunktion wahr. Inhaltliche Akzente wurden auf den Gebieten der Produktkennzeichnung13 und -gestaltung14, der Energieeffizienz von Gebäuden15 und Anlagen16 sowie erstmals auch im Verkehrssektor17 gesetzt. 1011

Der Beginn des dritten Stadiums der Energieeffizienzpolitik lässt sich auf das „Umbruchjahr“ 2000 datieren.18 Seither ist eine stärker programmatische Ausrichtung der Energieeffizienzpolitik zu verzeichnen. Prägend hierfür war der am 26. April 2000 durch die EU-Kommission unterbreitete „Aktionsplan zur Verbesserung der Energieeffizienz in der EG“. Darin wurde ein Steigerungspotenzial von über 18 % identifiziert.19 In der Folge kam es zur weiteren Verbreiterung und Vertiefung des Regelungsrahmens. Konkret sind vor allem sechs Rechtsakte zu nennen, die – zum Teil no­ velliert – noch heute gelten20: Erstens wurde mit der Ökodesign-RL 10  RL 79 / 530 / EWG des Rates v. 14.05.1979 zur Unterrichtung über den Energieverbrauch von Haushaltsgeräten durch Etikettierung, ABl. 1979, Nr. L 145 / 1; aufgehoben durch RL 92 / 75 / EWG des Rates v. 22.09.1992, ABl. 1992, Nr. L 297 / 16. 11  Jesse, in: Britz / Eifert / Reimer (Fn. 3), S. 15 (17 ff.). 12  Eingehend Jesse, in: Britz / Eifert / Reimer (Fn. 3), S. 15 (23 ff.) m. w. N. 13  RL 92 / 75 / EWG des Rates v. 22.09.1992 über die Angabe des Verbrauchs an Energie und anderen Ressourcen durch Haushaltsgeräte mittels einheitlicher Etiketten und Produktinformationen, ABl. Nr. L 297 / 16; aufgehoben durch RL 2010 / 30 / EU des EP und des Rates v. 19.05.2010, ABl. 2010, Nr. L 153 / 1. 14  Siehe z. B. die RL 96 / 57 / EG des EP und des Rates v. 03.09.1996 über Anforderungen im Hinblick auf die Energieeffizienz von elektrischen Haushaltskühlgeräten und -gefriergeräten und entsprechenden Kombinationen, ABl. 1996, Nr. L 236 / 36; aufgehoben durch VO (EG) 643 / 2009 der Kommission v. 22.09.2009, ABl. 2009, Nr. L  191 / 53. 15  Siehe insb. die RL 93 / 76 / EWG des Rates v. 13.09.1993 zur Begrenzung der Kohlendioxidemissionen durch eine effizientere Energienutzung (SAVE), ABl. 1993, Nr. L 237 / 28; aufgehoben durch RL 2006 / 32 / EG des EP und des Rates v. 05.04.2006, ABl. 2006, Nr. L 114 / 64. 16  RL 96  / 61 / EG des Rates v. 24.09.1996 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung, ABl. 1996, Nr. L 257  /  26; aufgehoben durch RL 2008 / 1 / EG des EP und des Rates v. 15.01.2008, ABl. 2008, Nr. L 24 / 8. 17  RL 1999  / 94 / EG des EP und des Rates v. 13.12.1999 über die Bereitstellung von Verbraucherinformationen über den Kraftstoffverbrauch und CO2-Emissionen beim Marketing für neue Personenkraftwagen, ABl. 2008, Nr. L 311 / 1; zuletzt geändert durch VO (EG) Nr. 1137 / 2008 des EP und des Rates v. 22.10.2008, ABl. 2008, Nr. L  311 / 1. 18  Reimer, in: Schulze-Fielitz  /  Müller (Hrsg.), Europäisches Klimaschutzrecht, 2009, S. 147 (151). 19  KOM(2000) 247 endg., S. 2, 4. 20  Vgl. zum Folgenden bereits Ludwigs (Fn. 6), S. 424 f.

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2005 / 32 / EG21 ein ordnungsrechtlicher Rahmen zum Erlass von Mindesteffizienz- und Höchstverbrauchsstandards für sog. energiebetriebene Produkte etabliert. Zweitens sollten mit der Energiedienstleistungsrichtlinie 2006 / 32 /  EG22 die Voraussetzungen zur Entwicklung und Förderung eines Marktes für Energiedienstleistungen geschaffen werden. Zum Dritten implementierte die Richtlinie 2002 / 91 / EG23 Instrumente zur Erhöhung der Energieeffizienz von Gebäuden. Viertens schreibt die Energiesteuerrichtlinie 2003 / 96 / EG24 eine EU-weit verbindliche Mindestbesteuerung von elektrischem Strom und Energieerzeugnissen vor. Fünftens zielte die Richtlinie 2004 / 8 / EG25 auf eine Steigerung der Energieeffizienz durch Förderung und Entwicklung der Kraft-Wärme-Kopplung. Sechstens ist mit der Richtlinie 2003 / 87 / EG26 ab 1. Januar 2005 ein Emissionshandelssystem für Energie- und Industrieanlagen etabliert worden, das im Jahr 2008 auch auf den Luftverkehr ausgedehnt wurde.27

21  RL 2005 / 32 / EG des EP und des Rates v. 06.07.2005 zur Schaffung eines Rahmens für die Festlegung von Anforderungen an die umweltgerechte Gestaltung energiebetriebener Produkte und zur Änderung der RL 92 / 42 / EWG des Rates sowie der RL 96 / 57 / EG und 2000 / 55 / EG des EP und des Rates, ABl. 2005, Nr. L 191 / 29; aufgehoben durch RL 2009 / 125 / EG des EP und des Rates v. 21.10.2009, ABl. 2009, Nr. L  285 / 10. 22  RL 2006 / 32 / EG des EP und des Rates v. 05.04.2006 über Endenergieeffizienz und Energiedienstleistungen und zur Aufhebung der RL 93 / 76 / EWG des Rates, ABl. 2006, Nr. L 114 / 64; aufgehoben durch RL 2012 / 27 / EU des EP und des Rates v. 25.10.2012, ABl. 2012, Nr. L 315 / 1. 23  RL 2002 / 91 / EG des EP und des Rates v. 16.12.2002 über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden, ABl. 2002, Nr. L 1 / 65; aufgehoben durch RL 2010 / 31 / EG des EP und des Rates v. 19.05.2010, ABl. 2010, Nr. L 153 / 13. 24  RL 2003  / 96 / EG des Rates v. 27.10.2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom, ABl. 2003, Nr. L 283 / 51; zuletzt geändert durch RL 2004 / 75 / EG des Rates v. 29.04.2004, ABl. 2004, Nr. L 195 / 31. 25  RL 2004 / 8 / EG des EP und des Rates v. 11.02.2004 über die Förderung einer am Nutzwärmebedarf orientierten Kraft-Wärme-Kopplung im Energiebinnenmarkt und zur Änderung der RL 92 / 42 / EWG, ABl. 2004, Nr. L 52 / 50; aufgehoben durch RL 2012 / 27 / EU des EP und des Rates v. 25.10.2012, ABl. 2012, Nr. L 315 / 1. 26  RL 2003 / 87 / EG des EP und des Rates v. 13.10.2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft, ABl. 2003, Nr. L 275 / 32; zuletzt geändert durch Beschluss Nr. 1359 / 2013 / EU des EP und des Rates v. 17.12.2013, ABl. 2013, Nr. L 343 / 1. 27  RL 2008  / 101 / EG des EP und des Rates v. 19.11.2008 zur Änderung der RL 2003 / 87 / EG zwecks Einbeziehung des Luftverkehrs in das System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft, ABl. 2009, Nr. L 8 / 3.



Das deutsche und europäische Energieeffizienzrecht179 2. Aktuelles Entwicklungsstadium

a) Unionsebene Das aktuelle vierte Entwicklungsstadium basiert konzeptionell auf der am 8. / 9. März 2007 vom Europäischen Rat angenommenen Energiestrategie und dem daran anknüpfenden Aktionsplan „Eine Energiepolitik für Europa“.28 Die Energieeffizienzpolitik der EU soll hiermit in eine kohärente und umfassende Programmatik für eine integrierte Klima- und Energiepolitik eingepasst werden. Im Zentrum steht die – auch primärrechtlich in Art. 194 Abs. 1 AEUV fundierte – Zieletrias aus Versorgungssicherheit, Umweltverträglichkeit und Wettbewerbsfähigkeit.29 Ihrer Verwirklichung dient die bereits eingangs erwähnte „Initiative 20-20-20“. Nachfolgend kam es zur Annahme verschiedener Rechtsetzungspakete. Mit Blick auf die Steigerung der Energieeffizienz ist vor allem das von der Kommission unterbreitete „Energieeffizienzpaket 2008“ vom 13. November 2008 hervorzuheben.30 Darin war die – dann auch erfolgte – Novellierung der Richtlinien über die Energieeffizienz von Gebäuden und über die Produktetikettierung, die Einführung eines Kennzeichnungssystems für Reifen sowie die intensivierte Umsetzung der Richtlinien über Kraft-Wärme-Kopplung und Ökodesign angelegt. Ungeachtet dieser dynamischen Fortentwicklung des Regelungsrahmens gelangte die Kommission in ihrer Mitteilung vom 8. März 2011 über den „Energieeffizienzplan 2011“ zu dem Befund, dass die EU „derzeit voraussichtlich nur die Hälfte des 20 %-Ziels erreichen wird“.31 Vor diesem Hintergrund wurde erneut ein Aktionsplan mit einer Fülle von Maßnahmen vorgelegt. Diese adressieren sowohl die öffentliche Hand als auch den privaten Gebäudesektor sowie die Energieunternehmen und die Industrie.32 Ein bedeutsamer Schritt zur Umsetzung des Programms wurde mit der Energieeffi28  Europäischer Rat (Brüssel), 08. / 09.03.2007, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Dok. 7224 / 1 / 07 REV 1, Tz. 27 ff. und Anl. I. 29  Vgl. auch die jüngste Mitteilung der Kommission „Ein Rahmen für die Klimaund Energiepolitik im Zeitraum 2020–2030“ v. 22.01.2014, wo sogar eine weitere Ausdifferenzierung („verbesserte Wettbewerbsfähigkeit, Versorgungssicherheit, Nachhaltigkeit und Übergang zu einer CO2-armen Wirtschaft“) erfolgt (COM[2014] 15 final). 30  Mitteilung der Kommission „Energieeffizienz: Erreichung des 20 %-Ziels“ v. 13.11.2008, KOM(2008) 772 endg. 31  Mitteilung der Kommission „Energieeffizienzplan 2011“ v. 08.03.2011, KOM (2011) 109 endg., S. 2. 32  Ausgeklammert blieb der Verkehrssektor, für den von der Kommission am 28.03.2011 ein gesondertes Weißbuch (KOM[2011] 144 endg., S. 3) vorgelegt ­wurde.

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zienzrichtlinie 2012 / 27 / EU vom 25. Oktober 201233 getan.34 Darin werden die Regelungsinhalte der Energiedienstleistungsrichtlinie 2006 / 32 / EG und der KWK-Richtlinie 2004 / 8 / EG zusammengeführt und fortentwickelt. Der dahinter stehende Regelungsgedanke besteht in der Verfolgung eines stärker ganzheitlich ausgerichteten Ansatzes für Energieeinsparungen in der EU.35 Trotz dieses signifikanten Fortschritts musste die Kommission aber in ihrem Grünbuch „Ein Rahmen für die Klima- und Energiepolitik bis 2030“ vom 27. März 2013 erneut feststellen, dass nach vorläufiger Analyse „(…) das Ziel für 2020 mit den derzeitigen politischen Maßnahmen nicht erreicht wird“.36 Die Kommission prüft vor diesem Hintergrund, in welchen Bereichen nachgesteuert werden kann und welche Maßnahmen zu ergreifen sind. In ihrer jüngsten Mitteilung „Ein Rahmen für die Klima- und Energiepolitik im Zeitraum 2020–2030“ vom 22. Januar 2014 weist sie konkret darauf hin, dass „(…) zum Beispiel im Wohnsektor, bei anderen Verkehrsträgern [als Personenkraftwagen] und bei Elektrogeräten das Tempo der aktuellen Anstrengungen deutlich beschleunigt werden muss (…)“.37 b) Nationale Ebene Auch auf nationaler Ebene wurde die Energieeffizienz im Energiekonzept 2010 als „Schlüsselfrage“ erkannt und eine Vielzahl von Aktivitäten zur Ausschöpfung bestehender Effizienzpotenziale angekündigt.38 In Reaktion auf die Atomkatastrophe von Fukushima hat die Bundesregierung am 6. Ju33  RL 2012 / 27 / EU des EP und des Rates v. 25.10.2012 zur Energieeffizienz, zur Änderung der Richtlinien 2009 / 125 / EG und 2010 / 30 / EU und zur Aufhebung der Richtlinien 2004 / 8 / EG und 2006 / 32 / EG, ABl. 2012, Nr. L  315 / 1; zuletzt geändert durch RL 2013 / 12 / EU des Rates v. 13.05.2013, ABl. 2013, Nr. L 141 / 28; vgl. auch die Mitteilung der Kommission „Durchführung der Energieeffizienzrichtlinie – Leitlinien der Kommission“ v. 06.11.2013 (COM[2013] 762 final). 34  Näher zur Genese: Klemm, CuR 2012, 148 (149); Martin, EnWZ 2012, 62 (62 f.); Nebel, in diesem Band, S. 145 (150 ff.). 35  So auch die Bewertung der Kommission in ihrer Mitteilung „Ein Rahmen für die Klima- und Energiepolitik im Zeitraum 2020–2030“ v. 22.01.2014, COM(2014) 15 final, S. 9. 36  COM(2013) 169 final, S. 6. 37  COM(2014) 15 final, S. 9; vgl. daneben noch die gleichfalls auf den 22.01.2014 datierende Mitteilung der Kommission „Energiepreise und -kosten in Europa“, in der sowohl auf die „Vorreiterrolle der europäischen Unternehmen in der Energieeffizienz“ als auch auf die „großen Unterschiede innerhalb und zwischen den Mit­ gliedstaaten“ hingewiesen wird (COM[2014] 21 final, S. 13). 38  BMWi / BMU (Hrsg.), Energiekonzept für eine umweltschonende, zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung, 28.09.2010, S. 11 ff.; abrufbar unter: http: /  / www. bundesregierung.de / Content / DE / StatischeSeiten / Breg / Energiekonzept / dokumente. html (zuletzt abgerufen am: 06.04.2014).



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ni 2011 zudem die „Eckpunkte Energieeffizienz“ vorgelegt.39 Darin werden vor allem Maßnahmen im Gebäudesektor und bei der öffentlichen Beschaffung diskutiert.40 Im Anschluss kam es u. a. zur Novellierung des Energieeinsparungsgesetzes (EnEG)41 und der Energieeinsparverordnung (EnEV)42. Im Koalitionsvertrag vom 27. November 2013 zwischen CDU, CSU und SPD wird die Energieeffizienz nunmehr sogar prägnant als „zweite Säule einer nachhaltigen Energiewende“43 erkannt und die Verabschiedung eines nationalen Aktionsplans angekündigt (S. 37 f.). III. Voraussetzungen der Entstehung eines neuen Rechtsgebiets Die Nachzeichnung der Entwicklungslinien hat die Vielgestaltigkeit und Komplexität der Maßnahmen, Instrumente und Anforderungen des Energieeffizienzrechts bereits in Ansätzen deutlich werden lassen. Hieraus resultiert ein immer drängenderes Klärungs- und Ordnungsbedürfnis für die stetig wachsende Rechtsmaterie.44 Von Teilen des Schrifttums wird die Lösung in einer „Ausdifferenzierung in Form eines eigenständigen Rechtsgebietes“ gesehen.45 Bevor hierauf eine Antwort gegeben werden kann, ist aber zunächst allgemein nach den Voraussetzungen der Entstehung eines neuen Rechtsgebiets zu fragen. Dabei überrascht, dass sich hierzu in der (neueren) Rechtstheorie kaum konkrete Ansätze finden.46 Regelmäßig werden nur „weiche“ Kriterien formuliert. Paradigmatisch hierfür steht die – durchaus 39  Abrufbar unter: http: /  / www.bmwi.de / BMWi / Redaktion / PDF / E / eckpunkte-ener gieeffizienz,property=pdf,bereich=bmwi,sprache=de,rwb=true.pdf (zuletzt abgerufen am: 06.04.2014). 40  Vgl. daneben auch noch den 2. Nationalen Energieeffizienz Aktionsplan (NEEAP) von Juli 2011 (abrufbar unter: http: /  / www.bmwi.de / DE / Mediathek / publi kationen,did=438584.html – zuletzt abgerufen am: 06.04.2014). 41  Viertes Gesetz zur Änderung des Energieeinsparungsgesetzes v. 04.07.2013, BGBl. I S. 2197. 42  Zweite Verordnung zur Änderung der Energieeinsparverordnung v. 18.11.2013, BGBl. I S. 3951. 43  Vgl. auch den Titel des Aufsatzes „Energieeffizienz als Säule der Energiewende“ von S. Kohler et al. in der Zeitschrift et 11 / 2013, 8 ff. 44  Härtel, in: dies. / Pielow (Fn. 4), S. 19 (25). 45  Ibid. 46  Kritisch Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 1 Rn. 62; s. auch Härtel, in: dies. / Pielow (Fn. 4), S. 19 (27), mit Verweis auf die nur vereinzelten Grundsatzaussagen zum Rechtsgebietscharakter des Umweltrechts (bei Kloepfer, Systematisierung des Umweltrechts, 1978, S. 68 ff.), des Wirtschaftsverwaltungsrechts (bei Stolleis, in: Bauer / Czybulka / Kahl / Voßkuhle [Hrsg.], Umwelt, Wirtschaft und Recht, 2002, S. 1 ff.) und des Klimaschutzrechts (bei Müller / Schulze-Fielitz, in: dies. [Fn. 18], S. 9 ff.); vgl. ferner zum Technikrecht: Vec, in: Schulte / Schröder (Hrsg.), Handbuch des Technikrechts, 2. Aufl. 2011, S. 1 (3 ff.).

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treffende – Feststellung von M. Stolleis, wonach „die Entstehung eines ‚Rechtsgebiets‘ (…) ein komplexer Vorgang der Interaktion von Fachleuten und fachnaher öffentlicher Meinung, von Gesetzgebung und wissenschaftlicher Interpretation [ist]“.47 Das Verdienst, ansatzweise subsumtionsfähige Kriterien für die Entstehung eines Rechtsgebiets entwickelt zu haben, kommt H. Schulze-Fielitz zu.48 Er benennt drei konstituierende Bausteine, die auch für die nachfolgende Beantwortung der Frage nach dem Energieeffizienzrecht als „Rechtsgebiet im Werden“ eine schlüssige Richtschnur vorgeben. Erstens knüpfen Rechtsgebiete „zunächst und primär“ an normative Vorstrukturierungen an, die der Verfassungsgeber (z. B. in Form entsprechender Gesetzgebungskompetenzen im Grundgesetz bzw. im EU-Primärrecht49) oder der einfache Gesetzgeber (etwa durch gebietsprägende Rechtsakte) getroffen hat.50 Zweitens schafft nicht jedes parlamentarische Gesetz bereits ein Rechtsgebiet.51 Neben einer signifikanten normativen Verdichtung in einem oder mehreren Gesetz(en) ist vielmehr ein hinreichendes Maß an wechselseitiger dogmatischer und institutioneller Vernetzung des Regelungsrahmens gefordert.52 Eine Klammerfunktion können hier einheitsschaffende Begriffe, Ziele und Regelungstechniken übernehmen.53 In diesem Sinne ist die „Identität der Grundidee“54 fundamental für die Entstehung und Konturierung eines Rechtsgebiets. Drittens kommt neben der normativen Vorstrukturierung und der inneren Verknüpfung des Regelungsrahmens auch der äußeren Profes­ sionalisierung eines Rechtsgebiets zentrale Bedeutung für seine Anerken47  Stolleis, in: Bauer  / Czybulka / Kahl / Voßkuhle (Fn. 46), S. 1 (10), unter ergänzendem Hinweis darauf, dass dabei rechtspolitische und pädagogische Absichten ineinander übergehen; näher zu den Zwecken der Konstituierung von Rechtsgebieten Härtel, in: dies. / Pielow (Fn. 4), S. 19 (27 f.). 48  Schulze-Fielitz, in: Willoweit (Hrsg.), Rechtswissenschaft und Rechtsliteratur im 20. Jahrhundert, 2007, S. 989 (990 ff.). 49  Zum kontrovers diskutierten Verfassungscharakter der europäischen Verträge vgl. z. B. die Beiträge von C. Möllers und P. Kirchhof, in: von Bogdandy / Bast (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2. Aufl. 2009, S. 227 ff., 1009 ff. 50  Schulze-Fielitz, in: Willoweit (Fn. 48), S. 989 (990 f., dort auch das Zitat im Text), der zugleich mit Recht betont, dass auch die Rechtspraxis der Gerichte und / oder der Verwaltung ein Rechtsgebiet begrifflich prägen kann; ähnlich Kloepfer (Fn. 45), § 1 Rn. 62; siehe ferner Müller / Schulze-Fielitz, in: dies. (Fn. 18), S. 9 (10), mit Verweis auf die in die Betrachtung einzubeziehende Folgejudikatur und -literatur. 51  Schulze-Fielitz, in: Willoweit (Fn. 48), S. 989 (991). 52  Vec, in: Schulte / Schröder (Fn. 46), S. 3 (5). 53  Schulze-Fielitz, in: Willoweit (Fn. 48), S. 989 (990 f.), der zentral auf das Vorliegen eines einheitsschaffenden Begriffs abstellt, der ein Gebiet nach rechtssystematischen oder sachbereichsspezifischen Gesichtspunkten plausibel zusammenfasst. 54  Treffend Kloepfer (Fn. 46), S. 68.



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nung zu.55 Zu denken ist beispielsweise an den Aufbau institutioneller Strukturen, das Vorliegen selbständiger Lehrbücher, Monographien und Sammelbände oder die Etablierung einschlägiger Studiengänge, Lehrstuhlbezeichnungen, Zeitschriften etc.56 IV. Energieeffizienzrecht als „Rechtsgebiet im Werden“? 1. Normative Vorstrukturierungen

Wendet man die vorstehenden – auch von Rechtsgebietsbefürwortern in Bezug genommenen57 – Kriterien auf das „Energieeffizienzrecht“ an, so ist in einem ersten Schritt nach dem Ausmaß der normativen Vorstrukturierung zu fragen. Hierzu sind sowohl die Rechtsetzungskompetenzen auf nationaler und europäischer Ebene als auch die prägenden EU-Rechtsakte und nationalen Gesetze in den Blick zu nehmen. a) Rechtssetzungskompetenzen Was zunächst die Rechtsetzungskompetenzen angeht, so ist für die nationale Ebene festzuhalten, dass dem Grundgesetz keine explizite Zuständigkeitszuweisung für das Gebiet der „Energieeffizienz“ zu entnehmen ist. In der Gesetzgebungspraxis wird vielmehr typischerweise die konkurrierende Zuständigkeit des Bundes für „das Recht der Wirtschaft ([…] Energiewirtschaft […])“ aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG herangezogen.58 Mehr als ein (schwaches) Indiz für den fehlenden Rechtsgebietscharakter des Energieeffizienzrechts kann hieraus indes nicht abgeleitet werden. Denn auch andere anerkannte Rechtsgebiete (wie z. B. das Medizinrecht) finden in den Kompetenzkatalogen der Art. 73 und 74 GG keine trennscharfe Hervorhebung. Grundlegend anders stellt sich – zumindest prima facie – die Rechtslage auf Unionsebene dar.59 Mit dem Vertrag von Lissabon wurde in Art. 194 Abs. 1 lit. c AEUV eine explizite Kompetenz zum Erlass von Maßnahmen zur „Förderung der Energieeffizienz (…)“ geschaffen. Im Lichte einer extensiven, zielbezogenen Interpretation wird hiervon neben der „Förderung“ im engeren Sinne auch der Erlass klassisch ordnungsrechtlicher Maßnahmen abge55  Schulze-Fielitz,

in: Willoweit (Fn. 48), S. 989 (992 f.). weitere Elemente vgl. Schulze-Fielitz, in: Willoweit (Fn. 48), S. 989 (992 f.); Müller / Schulze-Fielitz, in: dies. (Fn. 18), S. 9 (10). 57  Härtel, in: dies. / Pielow (Fn. 4), S. 19 (27 ff.). 58  Vgl. exemplarisch den Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Änderung des Energiebetriebene-Produkte-Gesetzes v. 24.06.2011, BT-Drs. 17 / 6278, S. 9. 59  Härtel, in: dies. / Pielow (Fn. 4), S. 19 (46). 56  Für

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deckt.60 Ungeachtet dieses weiten Verständnisses der „Energieeffizienzkompetenz“ ist aber zu beachten, dass diese nur ein Teilelement des umfassenderen Titels XXI „Energie“ bildet. Zudem verdeutlicht der Blick auf Art. 191 Abs. 1 Spstr. 3 AEUV („umsichtige und rationelle Verwendung der natürlichen Ressourcen“) Schnittmengen mit der Umweltkompetenz des Art. 192 AEUV.61 Dies wiederum deutet auf eine Qualifizierung des Energieeffizienzrechts als Teilgebiet sowohl des Energie- als auch des Umweltrechts hin. b) Gebietsprägende EU-Rechtsakte und nationale Gesetze Fragt man weiter nach gebietsprägenden Rechtsakten, ist zunächst nochmals hervorzuheben, dass der Status quo des deutschen und europäischen „Energieeffizienzrechts“ durch ein schwer durchschaubares Konglomerat an Einzelmaßnahmen geprägt wird. Zu Systematisierungszwecken kann zwischen sektorenbezogenen und sektorenübergreifenden Regelungen differenziert werden.62 aa) Sektorenbezogene Regelungen In sektorenbezogener Perspektive sind vor allem die Bereiche Gebäude, Energie- und Industrieanlagen sowie Verkehr von hervorgehobener Bedeutung.63 Im Gebäudesektor, der für ca. 40 % des Gesamtenergieverbrauchs der EU verantwortlich ist64, wurde im Jahr 2010 die novellierte Gebäude-Richtlinie 2010 / 31 / EU erlassen.65 Darin werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, Mindeststandards für die Gesamtenergieeffizienz66 sowohl von Neubauten als 60  Ludwigs, in: Ruffert (Fn. 6), Kap. 5 Rn. 61; für ein engeres, „instrumentelles“ Verständnis des Begriffs der „Förderung“ in Art. 194 Abs. 1 lit. c AEUV dagegen Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 6, 2011, Rn. 4694. 61  Näher zur horizontalen Kompetenzabgrenzung: Ludwigs, in: Ruffert (Fn. 6), Kap. 5 Rn. 81. 62  Instruktive Übersicht bei Härtel, in: dies. / Pielow (Fn. 4), S. 19 (33 f.). 63  Eingehend Jesse (Fn. 6), S. 19 ff.; s. auch schon Ludwigs (Fn. 6), S. 427 ff. 64  KOM(2008) 772 endg., S. 9; für einen umfassenden Überblick zu den Maßnahmen der EU im Gebäudesektor: Jesse (Fn. 6), S. 39 ff.; Wüstemann, Die Vorgaben der EU im Bereich der Energieeffizienz, 2011, S. 128 ff.; vgl. auch Ludwigs (Fn. 6), S.  430 ff. 65  RL 2010 / 31 / EG des EP und des Rates v. 19.05.2010 über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden, ABl. 2010, Nr. L 153 / 13; aus der Lit.: Koch, NVwZ 2011, 641 (644 ff.); Wüstemann (Fn. 64), S. 137 f. 66  Unter der „Gesamtenergieeffizienz eines Gebäudes“ versteht Art. 2 Nr. 4 RL 2010 / 31 /  / EG die „berechnete oder gemessene Energiemenge, die benötigt wird, um



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auch (bei größeren Renovierungen) von Bestandsgebäuden anzuwenden (Art. 4 ff. RL) und ein System für die Erstellung von Energieausweisen zu etablieren (Art. 11 ff. RL). Weitergehend ist zu gewährleisten, dass ab 2021 alle Neubauten Niedrigst­energiegebäude sind (Art. 9 RL).67 Die Richt­linie bleibt freilich weithin auf allgemein gefasste Vorgaben und die Benennung von Optionen beschränkt (s. Erwägungsgrund 10). Hieraus resultiert ein substantieller Ausgestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten.68 Dieser wird in Deutschland durch das Energieeinsparungsgesetz (EnEG)69 und die zugehörige Energieeinsparungsverordnung (EnEV)70 ausgefüllt.71 Für den Industriesektor ist mit der Richtlinie 2010 / 75 / EU über Industrieemissionen72 ein einheitlicher Rechtsrahmen geschaffen worden, der sieben bestehende Richtlinien integriert.73 Erfasst werden neben Industrieanlagen auch Anlagen der Energiewirtschaft.74 Inhaltlich begründet die EU-Indus­ trieemissionsrichtlinie ordnungsrechtliche Energieeffizienz-Vorgaben gegenüber den Anlagenbetreibern. Demnach zählt gem. Art. 11 lit. f RL zu den „[a]llgemeine[n] Prinzipien der Grundpflichten der Betreiber“, dass „Energie (…) effizient verwendet [wird]“.75 Darüber hinaus wird in Art. 11 lit. b RL den Energiebedarf im Rahmen der üblichen Nutzung des Gebäudes (u. a. Heizung, Kühlung, Lüftung, Warmwasser und Beleuchtung) zu decken“. 67  Vgl. insoweit den Bericht der Kommission „Fortschritte der Mitgliedstaaten bei der Erhöhung der Zahl der Niedrigstenergiegebäude“ v. 28.06.2013, COM(2013) 483 final, mit der Feststellung (auf S. 9), „dass die Mitgliedstaaten bei ihren Vorbereitungen zur Erfüllung der Ziele für Niedrigstenergiegebäude bis 2020 bisher zu geringe Fortschritte erzielt haben“. 68  Darauf hinweisend auch Koch, NVwZ 2011, 641 (645); Meßerschmidt, Europäisches Umweltrecht, 2011, § 16 Rn. 17. 69  Gesetz zur Einsparung von Energie in Gebäuden v. 01.09.2005, BGBl.  I S. 2684; zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes v. 04.07.2013, BGBl. I S. 2197. 70  Verordnung über energiesparenden Wärmeschutz und energiesparende Anlagentechnik bei Gebäuden v. 24.07.2007, BGBl. I S. 1519; zuletzt geändert durch Art. 1 der VO v. 18.11.2013, BGBl. I S. 3951; hierzu Nusser, ZUR 2014, 67 (68 ff.). 71  Näher Frenz / Lülsdorf, ZNER 2012, 371; Halstenberg / Nusser, EnWZ 2013, 343 (346 ff.); Pielow, ZUR 2010, 115 (120 f.); Schomerus / Sanden, Rechtliche Konzepte für eine effizientere Energienutzung, 2008, S. 127 ff.; Stock, in: Härtel / Pielow (Fn. 4), S. 137 ff.; Wüstemann (Fn. 64), S. 139 ff. 72  RL 2010 / 75 / EU des EP und des Rates v. 24.11.2010 über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung), ABl. 2010, Nr. L 334  /  17; hierzu näher Diehl, ZUR 2011, 59 ff.; Traulsen, DÖV 2011, 769 (770 f.); zur Umsetzung im deutschen Recht: Jarass, NVwZ 2013, 169 ff. 73  Ausführlich zu den Energieeffizienzmaßnahmen im Industriesektor: Jesse (Fn. 6), S. 59 ff. 74  Vgl. insoweit die Aufstellung in Anh. I RL. 75  Siehe zuvor bereits Art. 3 Abs. 1 lit. d der aufgehobenen (IVU-)RL 2008 / 1 / EG (zuvor RL 96 / 61 / EG) des EP und des Rates v. 15.01.2008 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung, ABl. 2008, Nr. L 24 / 8.

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die Anwendung der „besten verfügbaren Techniken“ vorgegeben. Der Begriff der „beste[n] verfügbare[n] Techniken“ aus Art. 3 Nr. 10 RL erfährt seinerseits eine Präzisierung durch die in Anhang III aufgeführten Einzelkriterien, zu denen wiederum die „(…) Energieeffizienz“ (Nr. 9) zählt. Auf nationaler Ebene werden diese Vorgaben in § 5 Abs. 1 Nr. 4 (Energieeffizienzgebot) bzw. § 5 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 3 Abs. 6 BImSchG i. V. m. Nr. 9 der Anlage zu § 3 Abs. 6 BImSchG (Vorsorgegebot) abgebildet. Im Bereich der Energieanlagen kommt zudem der Förderung von Erzeugungsanlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung zentrale Bedeutung zu. Die in diesem Zusammenhang auf Unionsebene einschlägige Richtlinie 2004 / 8 / EG76 wird zum 5. Juni 2014 durch die neue Energieeffizienzrichtlinie 2012 / 27 / EU77 ersetzt. Hiermit sind auch gewisse inhaltliche Änderungen verbunden.78 Erwähnenswert ist insbesondere die mit Art. 14 Abs. 5 RL eingeführte Pflicht zur vorherigen Durchführung einer Kosten-Nutzen-Analyse bei bestimmten Großprojekten. Im Übrigen werden die Regelungen der KWK Richtlinie 2004 / 8 / EG weitestgehend übernommen.79 Im Zentrum steht weiter die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Schaffung von Herkunftsnachweisen für Strom aus „hocheffizienter KWK“ (Art. 14 Abs. 10 RL). Nach wie vor finden sich in der Richtlinie auch keine konkreten Direktiven zum weiteren Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung mittels staatlicher Förderregelungen.80 Den Mitgliedstaaten verbleibt vielmehr ein weiter Gestaltungsspielraum. Diesen wahrnehmend zielt das zum 19. Juli 2012 – noch unter Geltung der RL 2004 / 8 / EG – umfassend novellierte Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz (KWKG)81 nach seinem § 1 darauf ab, „einen Beitrag zur Erhöhung der Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung (…) auf 25 % (…) zu leisten“. Um dies zu erreichen begründet § 4 insbesondere eine (vorrangige) Anschluss- und Abnahmepflicht sowie eine Vergütungspflicht für KWK-Strom aus „hocheffizienten“ KWK-Anlagen. Für den Verkehrssektor ist schließlich zum einen auf die Richtlinie 1999  /  94  /  EG über die Bereitstellung von Verbraucherinformationen beim Marketing für neue Personenkraftwagen82 hinzuweisen.83 Hierdurch werden 76  Nachweis

in Fn. 25. in Fn. 33. 78  Für einen Überblick vgl. Klemm, CuR 2012, 148 (154). 79  Darauf hinweisend auch Nebel, in diesem Band, S. 145 (152). 80  Keyhanian, Rechtliche Instrumente zur Energieeinsparung, 2008, S. 277. 81  Gesetz für die Erhaltung, die Modernisierung und den Ausbau der KraftWärme-Kopplung v. 19.03.2002, BGBl. I S. 1092; zuletzt geändert durch Art. 4 Abs. 77 des Gesetzes v. 07.08.2013, BGBl. I S. 3154. 82  Nachweis in Fn. 17. 83  Näher zur Energieeffizienz im Verkehrssektor zuletzt Jesse (Fn. 6), S. 65 ff.; Reimer, in: Härtel / Pielow (Fn. 4), S. 91 ff. 77  Nachweis



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den Herstellern / Händlern vielfältige Hinweis- und Kennzeichnungspflichten bezüglich der Kraftstoffverbrauchs- und CO2-Emissionswerte ihrer Fahrzeuge auferlegt. Die Umsetzung der Richtlinie erfolgt in Deutschland durch die PKW-Energieverbrauchskennzeichnungs-Verordnung (PKW-EnVKV)84. Neben die Kennzeichnungspflichten85 sind in jüngerer Zeit zum anderen auch produktbezogene Mindestanforderungen getreten. Zu nennen sind hier vor allem die beiden Verordnungen über CO2-Emissionen von neuen Personenkraftwagen bzw. neuen leichten Nutzfahrzeugen aus den Jahren 2009 und 2011.86 Darin werden EU-weit verbindliche Emissionswerte für die Neuwagenflotten der Hersteller fixiert.87 bb) Sektorenübergreifende Regelungen Zu der Fülle disparater sektorenspezifischer Regelungen treten in zunehmendem Maße auch sektorenübergreifende Rechtsakte. Diese sind aufgrund ihrer breitflächigeren Ausrichtung in besonderer Weise geeignet, prägende Wirkung für die Konturierung eines neuen Rechtsgebiets des Energieeffizienzrechts zu entfalten. Hervorhebung verdienen diesbezüglich die unionsrechtlichen Vorgaben zur Kennzeichnung und zum Ökodesign von energieverbrauchsrelevanten Produkten, das mit der Richtlinie 2003 / 87 / EG etab84  Verordnung über Verbraucherinformationen zu Kraftstoffverbrauch, CO -Emis2 sionen und Stromverbrauch neuer Personenkraftwagen v. 28.05.2004, BGBl. I S. 1037; zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes v. 10.05.2012, BGBl. I S. 1070. 85  Siehe auch noch die VO (EG) Nr. 1222  /  2009 des EP und des Rates v. 25.11.2009 über die Kennzeichnung von Reifen in Bezug auf die Kraftstoffeffizienz und andere wesentliche Parameter, ABl. 2009, Nr. L 342 / 46; zuletzt geändert durch VO (EU) Nr. 1235 / 2011 der Kommission v. 29.11.2011, ABl. 2011, Nr. L 317 / 17. 86  (1) VO (EG) Nr. 443 / 2009 des EP und des Rates v. 23.04.2009 zur Festsetzung von Emissionsnormen für neue Personenkraftwagen im Rahmen des Gesamtkonzepts der Gemeinschaft zur Verringerung der CO2-Emissionen von Personenkraftwagen und leichten Nutzfahrzeugen, ABl. 2009, Nr. L 140 / 1; zuletzt geändert durch VO (EU) Nr. 397 / 2013 der Kommission v. 30.04.2013, ABl. 2013, Nr. L 120 / 4; (2) VO (EU) Nr. 510 / 2011 des EP und des Rates v. 11.05.2011 zur Festsetzung von Emissionsnormen für neue leichte Nutzfahrzeuge im Rahmen des Gesamtkonzepts der Union zur Verringerung der CO2-Emissionen von Personenkraftwagen und leichten Nutzfahrzeugen, ABl. 2011, Nr. L 145 / 1; zuletzt geändert durch Delegierte VO (EU) Nr. 205 / 2012 der Kommission v. 06.01.2012, ABl. 2012, Nr. L 72 / 2; für einen Überblick zu beiden Verordnungen: Reimer, in: Härtel / Pielow (Fn. 4), S. 91 (103 ff.). 87  Vgl. daneben noch die VO (EG) Nr. 661  /  2009 des EP und des Rates v. 13.07.2009 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen, Kraftfahrzeuganhängern und von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge hinsichtlich ihrer allgemeinen Sicherheit, ABl. 2009, Nr. L 200 / 1; zuletzt geändert durch VO (EU) der Kommission Nr. 523 / 2012 v. 20.06.2012, ABl. 2012, Nr. L 160  /  8, die u. a. Regelungen zur Kraftstoffeffizienz von Reifen enthält und durch die Kennzeichnungs-Verordnung Nr. 1222 / 2009 (Fn. 85) ergänzt wird.

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lierte Emissionshandelssystem sowie die neue Energieeffizienzrichtlinie 2012 / 27 / EU.88 (1) Energieverbrauchsrelevante Produkte Was zunächst den Bereich der energieverbrauchsrelevanten Produkte angeht, kann zwischen Vorgaben zur Kennzeichnung des Energieverbrauchs und zur Produktgestaltung unterschieden werden.89 Die rechtliche Grundlage einer verpflichtenden Energieverbrauchskennzeichnung bildet die Energieverbrauchskennzeichnungsrichtlinie 2010 / 30 / EU.90 Konzeptionell handelt es sich um eine Rahmenrichtlinie, die auf den Erlass von Durchführungsmaßnahmen angewiesen ist.91 Diese wurden von der Kommission auch schon für eine Vielzahl von Produkten (u. a. Haushaltsbacköfen, Staubsauger, Fernsehgeräte und Haushalts­ waschmaschinen) in delegierten Verordnungen erlassen.92 Darin werden die Geräte unterschiedlichen Energieeffizienzklassen zugeteilt, die von den Lieferanten / Händlern durch ein einheitliches EU-Etikett zu kennzeichnen sind. Die Richtlinienumsetzung erfolgt auf nationaler Ebene durch das Energieverbrauchskennzeichnungsgesetz (EnVKG)93 und die Energieverbrauchskennzeichnungsverordnung (EnVKV)94. Materielle Effizienzvorgaben für eine umweltgerechte Produktgestaltung („Ökodesign“) werden den Herstellern energieverbrauchsrelevanter Produkte95 auf Basis der 2009 novellierten Ökodesign-Richtlinie 2009 / 125 / EG auf88  Umfassend Jesse (Fn. 6), S. 77 ff., der auch noch auf weitere sektorenübergreifende Rechtsakte wie die Stromsteuer-RL 2003 / 96 / EG und das StromStG eingeht. 89  Für einen Überblick zu den produktbezogenen Energieeffizienz-Maßnahmen auf EU-Ebene: Wüstemann (Fn. 64), S. 153 ff., 167 ff.; jüngst auch Jesse (Fn. 6), S. 20 ff. 90  RL 2010  / 30 / EU des EP und des Rates v. 19.05.2010 über die Angabe des Verbrauchs an Energie und anderen Ressourcen durch energieverbrauchsrelevante Produkte mittels einheitlicher Etiketten und Produktinformationen, ABl. 2010, Nr. L 153 / 1; zuletzt geändert durch RL 2012 / 27 / EU des EP und des Rates v. 25.10.2012, ABl. 2012, Nr. L 315 / 1. 91  Zur Regelungssystematik: Nusser / Reintjes, EuZW 2012, 446 (451 f.). 92  Vgl. die Auflistung bei Bottke et al., in: Britz / Eifert / Reimer (Fn.  3), S.  279 (281 ff.); Jesse (Fn. 6), S. 28 f. mit Fn. 52. 93  Gesetz zur Kennzeichnung von energieverbrauchsrelevanten Produkten, Kraftfahrzeugen und Reifen mit Angaben über den Verbrauch an Energie und an anderen wichtigen Ressourcen v. 10.05.2012, BGBl. I S. 1070. 94  Verordnung zur Kennzeichnung von energieverbrauchsrelevanten Produkten mit Angaben über den Verbrauch an Energie und an anderen wichtigen Ressourcen v. 30.10.1997, BGBl. I S. 2616; zuletzt geändert durch Art. 2 der Verordnung v. 14.08.2013, BGBl. I S. 3221. 95  Näher zur hierin liegenden Erweiterung des Geltungsbereichs gegenüber der auf „energiebetriebene Produkte“ bezogenen Vorgänger-RL 2005 / 32 / EG: Schomerus / Spengler, EurUP 2010, 54 (61).



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erlegt.96 Dabei kommt erneut die Regelungstechnik einer Rahmenrichtlinie mit darauf aufbauenden Durchführungsmaßnahmen zum Einsatz. Die konkreten Mindesteffizienz- bzw. Höchstverbrauchsstandards ergeben sich aus den zahlreichen Durchführungsverordnungen der Kommission (u. a. für Elektromotoren, Computer, Haushaltsgeschirrspüler und Haushaltswaschmaschi­ nen).97 Die Umsetzung der neuen Ökodesign-Richtlinie erfolgt in Deutschland durch das – im Jahr 2011 grundlegend novellierte98 – Energieverbrauchsrelevante-Produkte-Gesetz (EVPG) vom 27. Februar 2008.99 (2) Regelungen zum Emissionshandel Das mit der Richtlinie 2003 / 87 / EG100 und der nationalen Umsetzung im TEHG101 eingeführte Emissionshandelssystem gilt für die Emissionen bestimmter Treibhausgase (insb. CO2) bei im Einzelnen aufgeführten Tätigkeiten im Bereich der Energieumwandlung, verschiedener Industriezweige sowie des Luftverkehrs (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Anhang I und II RL).102 Durch die Mengenbegrenzung der zugeteilten Emissionsberechtigungen und den Zertifikatehandel („Cap and Trade“) soll eine kosteneffiziente und wirtschaftlich effiziente Verringerung von Treibhausgasemissionen bewirkt werden. Die seit dem 1. Januar 2013 laufende dritte Handelsperiode (für Industrie- und Stromunternehmen) zeichnet sich dabei durch drei Kernelemente aus103: Die Etablierung einer EU-einheitlichen Obergrenze der zu vergebenden Zertifikate (Art. 9 RL)104, die Verankerung der Versteigerung 96  RL 2009  / 125 / EG des EP und des Rates v. 21.10.2009 zur Schaffung eines Rahmens für die Festlegung von Anforderungen an die umweltgerechte Gestaltung energieverbrauchsrelevanter Produkte, ABl. 2009, Nr. L 285  /  10; zuletzt geändert durch RL 2012  /  27  /  EU des EP und des Rates v. 25.10.2012, ABl. 2012, Nr. L  315 / 1. 97  Hierzu aus der Lit.: Wüstemann (Fn. 64), S. 158 ff.; s. auch die Auflistungen bei Dietrich / Akkerman, ZUR 2013, 274 (275) und Jesse (Fn. 6), S. 21 f. mit Fn. 11. 98  Vgl. das Gesetz zur Änderung des Energiebetriebene-Produkte-Gesetzes v. 16.11.2011, BGBl. I S. 2224. 99  Gesetz über die umweltgerechte Gestaltung energieverbrauchsrelevanter Produkte v. 27.02.2008, BGBl. I S. 258; zuletzt geändert durch Art. 6 des Gesetzes v. 31.05.2013, BGBl. I 1388; aus der Lit.: Dietrich, NVwZ 2012, 598 (599 ff.). 100  Nachweis in Fn. 26. 101  Gesetz über den Handel mit Berechtigungen zur Emission von Treibhausgasen v. 21.07.2011, BGBl. I S. 1475; zuletzt geändert durch Art. 4 Abs. 28 des Gesetzes v. 07.08.2013, BGBl. I S. 3154. 102  Jesse (Fn. 6), S. 91. 103  Näher Ludwigs (Fn. 6), S. 436 ff. 104  Mit Art. 3 des Beschlusses 2013  /  448  /  EU v. 05.09.2013 (ABl. 2013, Nr. L 240 / 27) hat die EU-Kommission die Gesamtmenge der ab 2013 zu vergebenden

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als Grundprinzip der Zuteilung an ortsfeste Anlagen (Art. 10 RL)105 und die – soweit noch zulässig – kostenlose Zuteilung anhand von Benchmarks nach Maßgabe der besten verfügbaren Techniken (BVT).106 Die Zuordnung der – primär auf das eigenständige Ziel der 20-prozentigen Reduktion von Treibhausgasemissionen ausgerichteten – Emissionshandelsrichtlinie zum Energieeffizienzrecht107 rechtfertigt sich damit, dass aus Sicht der Regelungsadressaten eine Steigerung der Energieeffizienz die zentrale Option zur Emissionsvermeidung darstellt.108 Dies bringt auch Erwägungsgrund 20 der Richtlinie 2003 / 87 / EG zum Ausdruck, der explizit betont, dass „[d]iese Richtlinie (…) den Einsatz energieeffizienter Technologien (…) fördern [wird]“. Die EU-Kommission bezeichnet „Energieeffizienz“ weitergehend sogar explizit als „wirtschaftlichste Art, Emissionen zu senken (…)“.109 (3) Energieeffizienzrichtlinie 2012 / 27 / EG Die bislang erläuterten sektorenspezifischen und sektorenübergreifenden Regelungen decken zwar eine Vielzahl von Bereichen ab und verfolgen auch je für sich betrachtet mehr oder minder ausgereifte Konzepte. Woran es im Energieeffizienzrecht bislang aber fehlt, ist die Entwicklung eines Zertifikate, die jährlich linear um 1,74 % verringert wird, auf 2 084 301 856 Zertifikate festgelegt; s. daneben für den Luftverkehr den Kommissions-Beschluss 2011  /  389  /  EU v. 30.06.2011 (ABl. 2011, Nr. L  173  /  13) und den Beschluss 2011 / 149 / EU (ABl. 2011, Nr. L  61 / 42). 105  Für den Luftverkehr sieht Art. 3d Abs. 2 S. 1 EH-RL seit dem 01.01.2013 die Versteigerung von 15 % der Zertifikate vor. Dieser Prozentsatz kann gem. Art. 3d Abs. 2 S. 2 EH-RL im Rahmen der allgemeinen Überprüfung der Richtlinie erhöht werden. 106  Beschluss 2011  / 278 / EU der Kommission v. 27.04.2011 zur Festlegung EUweiter Übergangsvorschriften zur Harmonisierung der kostenlosen Zuteilung von Emissionszertifikaten gemäß Artikel 10a der Richtlinie 2003 / 87 / EG des EP und des Rates, ABl. 2011, Nr. L 130 / 1; zuletzt geändert durch Beschluss 2014 / 9 / EU der Kommission v. 18.12.2013, ABl. 2014, Nr. L 9 / 9; vgl. daneben für den Luftverkehr den Beschluss 2011 / 638 / EU der Kommission v. 26.11.2011 über Benchmarks für die kostenlose Zuteilung von Treibhausgasemissions­zertifikaten an Luftfahrzeugbetreiber gemäß Art. 3e der RL 2003 / 87 / EG des EP und des Rates, ABl. 2011, Nr. L  252 / 20. 107  Ebenso aus der ökonomischen Literatur: Sturm / Mennel, ZfW 58 (2009), 3 (24 f.); aus dem juristischen Schrifttum: Koch, NVwZ 2011, 641 (647 ff.); s. auch Jesse, in: Britz / Eifert / Reimer (Fn. 3), S. 15 (37 f.); ders. (Fn. 6), S. 91. 108  Eingehend Sturm / Vogt, Umweltökonomik, S. 148 ff.; vgl. auch Höffler, in diesem Band, S. 29 (32). 109  Mitteilung der Kommission v. 15.12.2010, „Energie 2020 – Eine Strategie für wettbewerbsfähige, nachhaltige und sichere Energie“, KOM(2010) 639 endg. / 2, S. 7.



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ganzheitlichen, (rechts-)gebietsprägenden Ansatzes für Energieeinsparungen in der EU. Diese Lücke könnte nunmehr durch die neue, noch nicht in deutsches Recht transformierte (Umsetzungsfrist: 5. Juni 2014)110, Energieeffizienzrichtlinie 2012 / 27 / EG geschlossen werden.111 In inhaltlicher Hinsicht sind dabei vor allem sechs Schwerpunkte hervorzuheben.112 Erstens werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, ein „indikatives nationales Energieeffizienzziel“ für das Jahr 2020 selbst festzulegen und der Kommission zu übermitteln (Art. 3 Abs. 1 RL).113 Zweitens sollen nach Art. 7 Abs. 1 UAbs. 2 RL von 2014–2020 neue jährliche Energieeinsparungen in Höhe von mindestens 1,5 % des jährlichen Energieabsatzes aller Energieverteiler oder Energieeinzelhandelsunternehmen an Endkunden realisiert werden. Um dieses Ziel zu erreichen, haben die Mitgliedstaaten auf Unternehmensebene ein Energieeffizienzverpflichtungssystem einzuführen.114 Alternativ können sie auch „andere strategische Maßnahmen“ ergreifen, um (gleichwertige) Energieeinsparungen beim Endkunden zu bewirken (Art. 7 Abs. 9–11 RL). Drittens hat die öffentliche Hand ab 1. Januar 2014 jährlich 3 % der Gesamtfläche der Gebäude, die sich im Eigentum der Zentralregierung (d. h. des Bundes) befinden und von ihr genutzt werden, zu renovieren (Art. 5 Abs. 1 RL). Auch insoweit sieht die Richtlinie aber eine alternative Vorgehensweise in Form der Ergreifung „andere[r] kostenwirksame[r] Maßnahmen“ vor (Art. 5 Abs. 6 RL). Viertens enthält die Energieeffizienzrichtlinie neue Vorgaben für die Beschaffung von Produkten, Dienstleistungen und Gebäuden durch öffentliche Einrichtungen (Art. 6 Abs. 1 RL). Fünftens statuiert sie in Art. 8 auch erweiterte Vorgaben zur Förderung von Energieaudits für alle Endkunden. Für größere Unternehmen sind diese ab 2015 sogar mindestens alle vier Jahre bindend vorgesehen (Abs. 4). Sechstens liegt ein weiterer Regelungsschwerpunkt auf der informativen Verbrauchserfassung und -abrechnung (Art. 9–12 RL). Hierzu zählen Bestimmungen 110  Zum aktuellen Stand der Diskussionen vgl. insb. die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage v. 31.01.2014, BT-Drs. 18 / 665; s. auch Martin, EnWZ 2012, 62 (65 f.); Nebel, in diesem Band, S. 145 (169 f.). 111  Mitteilung der Kommission „Ein Rahmen für die Klima- und Energiepolitik im Zeitraum 2020–2030“ v. 22.01.2014, COM(2014) 15 final, S. 9. 112  Vgl. zur Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung bereits oben unter S. 179 f.; für eine ausführliche Analyse der Energieeffizienzrichtlinie 2012 / 27 / EG siehe Jesse (Fn. 6), S. 80 ff.; Klemm, CuR 2012, 148 (149 ff.); Martin, EnWZ 2012, 62 (63 ff.); vgl. auch Nebel, in diesem Band, S. 145 (150 ff.). 113  Anders noch der – bis zum 01.01.2017 fortgeltende – Art. 4 der Energiedienstleistungsrichtlinie 2006 / 32 / EG (Fn. 22), wonach die Mitgliedstaaten binnen neun Jahren (2008–2016) die Verwirklichung des „generellen nationalen Energieeinsparrichtwerts“ von 9 % anzustreben hatten. 114  Näher hierzu Schomerus, ER 2013, 184 ff.; ausführlich Nebel, in diesem Band, S.  145 (159 ff.).

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über die Bereitstellung individueller Zähler zu wettbewerbsfähigen Preisen ebenso wie Vorgaben für intelligente Verbrauchserfassungssysteme und Zähler. Der ganzheitliche Ansatz der Energieeffizienzrichtlinie manifestiert sich in der Zielsetzung, einen gemeinsamen Rahmen für die Energieeffizienzförderung in der Union zu setzen (Art. 1 Abs. 1 UAbs. 1 RL). Ein Charakteristikum der Richtlinie besteht gerade darin, dass sie sektorenübergreifende Regelungsinhalte u. a. zum Gebäudebereich, Produktbereich, zu Energieanlagen, zu Energienetzen, Energiedienstleistungen oder zum öffentlichen Beschaffungswesen umfasst.115 Zugleich verbleiben den Mitgliedstaaten aber auch erhebliche Handlungsspielräume. Dies liegt zum einen darin begründet, dass die Energieeffizienzrichtlinie eine Vielzahl offener Klauseln und mehrdeutiger Begriffe enthält. Zum anderen schreibt sie zwar zunächst verpflichtende Regelungsinhalte fest (z. B. bzgl. der Einführung eines Energieeffizienzverpflichtungssystems oder der 3 %-Renovierungsquote), eröffnet den Mitgliedstaaten dann aber Möglichkeiten, um die vorgegebenen Ziele auf alternativen, nicht näher konkretisierten Wegen (etwa durch „andere strategische [bzw. kostenwirksame] Maßnahmen“) zu erreichen. Die derart gewährten, kaum vorstrukturierten, Handlungsspielräume machen im Zusammenspiel mit der mangelnden Vorgabe absoluter Einsparmengen gegenüber den einzelnen Mitgliedstaaten den Kompromisscharakter der Energieeffizienzrichtlinie deutlich. Vor diesem Hintergrund lässt sich auch schwerlich davon sprechen, dass hiermit bereits eine prägende Systematisierung der auf eine Vielzahl von Einzelrechtsakten verstreuten Rechtsmaterie des Energieeffizienzrechts einhergeht. c) Zwischenfazit Als erstes Zwischenfazit ergibt sich, dass die Annahme eines eigenständigen Rechtsgebiets des Energieeffizienzrechts im Lichte der normativen Vorstrukturierungen fragwürdig erscheinen muss. Insoweit ist auf die fehlende Explizierung der Energieeffizienz im Zuständigkeitssystem des Grundgesetzes und die systematische Zuordnung von Energieeffizienzmaßnahmen zur allgemeinen Energiekompetenz des Art. 194 AEUV bzw. zur Umweltkompetenz gem. Art.  192 AEUV hinzuweisen. Darüber hinaus wurde zwar mit der Energieeffizienzrichtlinie 2012 / 27 / EU vom 25. Oktober 2012 erstmals ein Rechtsakt auf Unionsebene erlassen, der den Anspruch verfolgt, einen stärker ganzheitlich ausgerichteten Ansatz für Energieeinsparungen in der EU zu entwickeln. Eine prägende Systematisierung des bestehenden Regelungskonglomerats wird hiermit aber aufgrund des kompro115  Nebel,

in diesem Band, S. 145 (153).



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misshaften und z.  T. stark konkretisierungsbedürftigen Charakters der Richtlinienbestimmungen nicht erreicht. 2. Einheitsschaffende Begriffsbildung, Ziele und Regelungstechniken

Tragen die normativen Vorstrukturierungen die These vom Energieeffizienzrecht als „Rechtsgebiet im Werden“ nicht, bleibt zu fragen, ob sich die Protagonisten dieses Ansatzes zumindest auf einheitsschaffende Begriffe, Ziele und Regelungstechniken stützen können. a) Begriff der Energieeffizienz Mit Blick auf die Begriffsbildung ist immerhin festzuhalten, dass „Energieeffizienz“ sowohl im juristischen wie auch im ökonomischen Schrifttum als Input-Output-Relation, respektive als das Verhältnis der Menge bzw. des Wertes der produzierten Güter oder Dienstleistungen zur eingesetzten Energie, begriffen wird.116 Dieses Grundverständnis spiegelt sich auch im positiven Recht wider: Danach wird „Energieeffizienz“ gleichermaßen in Art. 2 Nr. 4 der EU-Energieeffizienzrichtlinie 2012  /  27  /  EU sowie in § 2 Nr. 7 Energiedienstleistungsgesetz (EDL-G)117 als „das Verhältnis von Ertrag an Leistung, Dienstleistungen, Waren oder Energie zu Energieeinsatz“ definiert. Zwar finden sich auch vereinzelt abweichende Begriffsbildungen; so definiert z.  B. §  20 S.  1 der gebäudebezogenen Energieeinsparverordnung (EnEV) „Energieeffizienz“ unscharf im Sinne „(…) kostengünstige[r] Verbesserungen der energetischen Eigenschaften des Gebäudes (…)“. Ungeachtet dieser kritikwürdigen Divergenzen118 ist aber im Grundsatz anzuerkennen, dass sich ein weitgehend einheitliches Begriffsverständnis nachweisen lässt.119

116  Aus der juristischen Literatur: Britz / Eifert / Reimer, in: dies. (Fn. 3), S. 63 (65); Jesse (Fn. 6), S. 10 f.; Pielow, in: Cremer / Pielow (Hrsg.), Probleme und Perspektiven im Energieumweltrecht, 2010, S. 176 (184 ff.); Wüstemann (Fn. 64), S. 25; Schulte, in: FS für Rengeling, 2008, S. 417 (418); aus dem ökonomischen Schrifttum: Sturm / Mennel, ZfW 58 (2009), 3 (4); ferner Bhattacharyya, Energy Economics, 2011, S. 142 ff.; Herring, Energy 31 (2006), 10 (11); Sturm / Vogt, Umweltökonomik, 2011, S. 101 mit Fn. 40, 149. 117  Gesetz über Energiedienstleistungen und andere Energieeffizienzmaßnahmen (EDL-G) v. 04.11.2010, BGBl. I S. 1483. 118  Pointiert Pielow, ZUR 2010, 115 (118 f.), wonach die positivrechtlichen Verwendungen der Energieeffizienz „den Betrachter einigermaßen ratlos zurück[lassen]“. 119  Kritischer Nebel, in diesem Band, S. 145 (148 f.).

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b) Ziele des Energieeffizienzrechts Im Weiteren stützen sich die Rechtsgebietsbefürworter vor allem auf die These von der „Zielzentrierung als verbindende[m] Merkmal“.120 Das Energieeffizienzrecht finde „seinen sachlichen Gegenstand in allen rechtlichen Regelungen, die auf eine Steigerung der Energieeffizienz zielen (…)“.121 Sollte diese Aussage dahingehend gemeint sein, dass die Energieeffizienz selbst das übergeordnete Regelungsziel der verschiedenen Maßnahmen darstellt, wäre dem allerdings zu widersprechen.122 Zu bedenken ist an dieser Stelle, dass mit hoheitlichen Energieeffizienz­ anforderungen typischerweise Grundrechtseingriffe verbunden sind, die der Rechtfertigung durch einen legitimen Regelungszweck bedürfen. Ein energieeffizientes Handeln der Wirtschaftsteilnehmer kann nicht um seiner selbst Willen abverlangt werden. Es muss vielmehr im Dienste der Verwirklichung übergeordneter Gemeinwohlziele stehen. Hieraus folgt zwingend, dass die Energieeffizienz immer nur ein Instrument oder Mittel (bzw. allenfalls ein Zwischen- oder Teilziel) zur Erreichung eines (Ober-)Ziels sein kann.123 Dies zugrunde gelegt, geht aber die in der „Zielzentrierung“ auf die Steigerung der Energieeffizienz erblickte Klammer der unterschiedlichen Maßnahmen verloren. Bei genauerer Betrachtung ist das „Energieeffizienzrecht“ vielmehr durch die Vielfalt verfolgter Zielsetzungen gekennzeichnet.124 So ergeben sich schon bei flüchtiger Durchsicht der einschlägigen Rechtsakte zumindest drei verschiedene Oberziele, die von der Versorgungssicherheit125 über den Klimaschutz126 bis hin zur Verwirklichung des Binnenmarktes127 reichen.128 Diese (bekannte) Zieletrias wird in Erwägungsgrund 1 der neuen Energieeffizienzrichtlinie 2012 / 27 / EU auch nochmals auf den Punkt gebracht. Fragt 120  Britz / Eifert / Reimer, in: dies. (Fn. 3), S. 63 (67); siehe auch Jesse (Fn. 6), S. 10, 15. 121  Ibid. 122  Vgl. insoweit schon Ludwigs (Fn. 6), S. 466 f. 123  Ludwigs (Fn. 6), S. 466; aus ökonomischer Perspektive Haucap, ZfW 60 (2011), 74 (81). 124  Darauf hinweisend auch Härtel, in: dies.  / Pielow (Fn. 4), S. 19 (44), unter Rekurs auf das Zieldreieck aus Versorgungssicherheit, Umweltverträglichkeit und Wettbewerbsfähigkeit; ähnlich Jesse (Fn. 6), S. 8 mit Fn. 33. 125  Art.  1 KWK-RL 2004 / 8 / EG. 126  Art.  1 Emissionshandels-RL 2003 / 87 / EG. 127  Siehe z. B. Art.  1 Abs.  1 Ökodesign-RL 2009 / 125 / EG. 128  Vgl. zur Multifinalität des Energieeffizienzrechts bereits Ludwigs (Fn. 6), S. 466 f., wo noch ergänzend auf das in Art. 1 der Emissionshandels-RL 2003 / 87 / EG verankerte (Ober-)Ziel der Allokationseffizienz verwiesen ist.



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man nach den Folgerung­en für die systematische Einordnung des Energieeffizienzrechts, ist zwar anzuerkennen, dass die Entstehung eines neuen Rechtsgebiets keineswegs die Ausrichtung auf ein einziges (Ober-)Ziel voraussetzt. Bemerkenswert erscheint aber, dass die Zwecke des Energieeffizienzrechts mit den übergreifenden Hauptzielen der EU-Klima- und Energiepolitik – Versorgungssicherheit, Umweltverträglichkeit und Wettbewerbsfähigkeit – korrespondieren.129 Vor diesem Hintergrund spricht mehr für die Annahme, dass es sich beim Energieeffizienzrecht nicht um ein eigenständiges Rechtsgebiet im Werden, sondern „nur“ um ein Teilgebiet sowohl des Energie- als auch des Umweltrechts handelt. c) Regelungstechniken Ein weiterer möglicher Ansatzpunkt zur Begründung eines eigenständigen Energieeffizienzrechts könnte aus dem einheitsschaffenden Charakter der verwendeten Regelungstechniken resultieren. Insoweit ist indes bereits im Ausgangspunkt festzuhalten, dass die innere Konsistenz der Rechtsmaterie durch die Vielzahl der nebeneinander zum Einsatz kommenden Instrumente – gerade umgekehrt – in besonderer Weise herausgefordert wird.130 Im Schrifttum ist treffend von einem „Instrumentenmix“131 die Rede. Die Gestaltungsmodi reichen von der direkten Verhaltenssteuerung über eine Steuerung durch ökonomische Anreize und eine „regulierte Selbstregulierung“ bis hin zur informationellen Steuerung.132 aa) Direkte Verhaltenssteuerung Maßnahmen der direkten Verhaltenssteuerung stützen sich auf das klassisch-ordnungsrechtliche Instrumentarium der Eingriffs- oder Lenkungsver129  Darauf explizit hinweisend die Kommission in ihrer Mitteilung „Ein Rahmen für die Klima- und Energiepolitik im Zeitraum 2020–2030“ v. 22.01.2014, COM(2014) 15 final, S. 9; zur hier erfolgenden weiteren Ausdifferenzierung der Hauptziele vgl. bereits Fn. 29. 130  Ausführlich zur Vielzahl der rechtlichen Instrumente: Britz / Eifert / Reimer, in: dies. (Fn. 3), S. 63 (69 ff., 101 ff., 103 ff.); Ludwigs (Fn. 6), S. 458 ff.; Reimer, in: Schulze-Fielitz / Müller (Fn. 18), S. 147 (168); Schulte, in: FS für Rengeling, 2008, S. 417 (417). 131  Statt vieler Schulte, in: FS für Rengeling, 2008, S. 417 (417, 434); aus ökonomischer Perspektive Höffler, in diesem Band, S. 29 ff. 132  Systematisierung in Anknüpfung an Sparwasser / Engel / Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 2 Rn. 58, 113, 170, 174, s. auch bereits Ludwigs (Fn. 6), S. 458 ff.; auf die Uneinheitlichkeit der im Schrifttum zugrunde gelegten Entscheidungskriterien hinweisend: Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), 160 (221 mit Fn. 231).

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waltung und umfassen z. B. Verbote und Beschränkungen sowie materielle Umweltpflichten.133 Im Energieeffizienzrecht finden sie vor allem im Bereich der produktbezogenen Regelungen ein breites Anwendungsfeld. Dergestalt begründen etwa die Durchführungsmaßnahmen der EU-Kommission zur Ökodesign-Richtlinie 2009 / 125 / EG verbindliche Mindesteffizienz- und Höchstverbrauchsstandards für die umweltgerechte Gestaltung einer Vielzahl von Produktgruppen (s. hierzu schon oben S. 188 f.). Ein besonders prägnantes (Extrem-)Beispiel bildet das faktische „Glühlampenverbot“ durch die Verordnung (EG) Nr. 244  /  2009.134 Weitere Anwendungsfelder findet das ordnungsrechtliche Instrumentarium in den Sektoren Gebäude und Industrieanlagen (vgl. bereits oben S. 184 ff.). So fordert die Richtlinie 2010 / 31 / EG135 u. a. die Festlegung von Mindestanforderungen an die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden, die in den präzisen Höchstwertvorgaben der Energieeinsparungsverordnung (EnEV) bindend konkretisiert werden. Im Bereich der Industrieanlagen erfolgt eine direkte Verhaltenssteuerung z. B. über das in Art. 11 lit. f der Industrieemissionsrichtlinie 2010 / 75 /  EU136 vorgegebene und durch § 5 Abs. 1 Nr. 4 BImSchG umgesetzte Gebot der effizienten Energieverwendung. bb) Steuerung durch ökonomische Anreize Im Kontrast zur direkten Verhaltenslenkung zeichnet sich eine Steuerung durch ökonomische Anreize dadurch aus, dass die Regelungsadressaten zwischen alternativen Verhaltensstrategien nach Maßgabe ihrer Kosteneffizienz wählen können. Paradigmatisch hierfür steht das zum 1. Januar 2005 auf Unionsebene mit der Richtlinie 2003 / 87 / EG137 eingeführte Emissionshandelssystem. Die betroffenen Anlagen- und Luftfahrzeugbetreiber werden hierdurch vor die Wahl gestellt, entweder ihre Emissionen zu reduzieren oder zusätzliche Verschmutzungsrechte zu erwerben. Dieser Mechanismus wird vor allem im ökonomischen Schrifttum als zielgenaues und marktkonformes Instrument zur Reduktion klimaschädlicher Treibhausgasemissionen bewertet.138 Ähnlich positiv fällt auch die Beurteilung einer Preissteuerung 133  Sparwasser / Engel / Voßkuhle

(Fn. 132), § 2 Rn. 58 ff. (EG) Nr. 244 / 2009 der Kommission v. 18.3.2009, ABl. 2009, Nr. L 76 / 3; zuletzt geändert durch VO (EG) Nr. 859 / 2009 der Kommission v. 18.09.2009, ABl. 2009, Nr. L 247  /  3; pointierte Kritik bei Haucap, ZfW 2011, 74 (82): „ökonomische[r] Unsinn“. 135  Nachweis in Fn. 65. 136  Nachweis in Fn. 72. 137  Nachweis in Fn. 26. 138  Vgl. z. B. Haucap, ZfW 2011, 74 (81 f.); Reichert / Voßwinkel, Europäisiert die Energiepolitik!, S.  8 f. 134  Verordnung



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durch Umweltabgaben aus139, wie sie beispielsweise durch das zur Umsetzung der Energiesteuerrichtlinie 2003 / 96 / EG140 erlassene Energiesteuergesetz (EnergieStG)141 erfolgt. Neben Umweltzertifikaten und Umweltabgaben kommen im geltenden Energieeffizienzrecht noch weitere Formen der Steuerung durch ökonomische Anreize zum Einsatz. Hervorzuheben sind in dieser Hinsicht zum einen die Gewährung von direkten Subventionen (wie etwa im Rahmen des CO2Gebäudesanierungsprogramms des Bundes) und die Förderung von KWKAnlagen durch die Anschluss-, Abnahme- und Vergütungspflicht nach § 4 KWKG. Zum anderen bildet die Setzung ökonomischer Anreize auch den Kern der beiden Verordnungen über CO2-Emissionen von neuen Personenkraftwagen bzw. neuen leichten Nutzfahrzeugen.142 Eine Überschreitung der dort vorgesehenen EU-weit verbindlichen Emissionswerte hat kein Produktverbot zur Folge, sondern führt „nur“ zur Erhebung einer „Abgabe wegen Emissionsüberschreitung“ (Art. 9 VO Nr. 443 / 2009 bzw. Art. 9 VO Nr.  510 / 2011)143. Für die Automobilindustrie ergeben sich hieraus Anreize (aber keine Rechtspflicht) zu Investitionen in neue Technologien und zur Verringerung des Energieverbrauchs.144 cc) Regulierte Selbstregulierung Das Energieeffizienzrecht stellt des Weiteren ein aktuelles Anwendungsfeld für das Steuerungskonzept der regulierten Selbstregulierung dar.145 Sedes materiae ist die Ökodesign-Richtlinie 2009 / 125 / EG.146 Dort wird in Art. 15 Abs. 1 S. 1 und Art. 17 explizit auf „Selbstregulierungsmaßnahme[n]“ als Alternative zu den ordnungsrechtlich geprägten Durchführungsmaßnahmen der Kommission rekurriert. Letztere dominieren in der Praxis zwar 139  Ibid.

140  Nachweis

in Fn. 24.

141  Energiesteuergesetz

v. 15.07.2006, BGBl. I S. 1534; 2008 I S. 660, 1007; zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes v. 05.12.2012, BGBl. I S. 2436, 2725; 2013 I S. 488. 142  Nachweise in Fn. 86. 143  Zu den hiergegen vorgebrachten kompetenzrechtlichen Bedenken: SchmidtKötters / Held, NVwZ 2009, 1390 (1392 ff.); Seiler, EuR 2010, 67 (71 f., 79 ff., 85, 87) m. w. N. 144  Näher Ludwigs (Fn. 6), S. 461. 145  Grundlegend Hoffmann-Riem, in: ders. / Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996, S. 261 (301): „staatlich regulierte Selbstregulierung“; Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), 160 (162 ff., 164): „gesteuerte Selbstregulierung“ (Hervorhebung im Original). 146  Nachweis in Fn. 96.

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weiterhin. Die Kommission hat aber auch in zumindest zwei Fällen freiwillige Vereinbarungen der Industrie anerkannt und angekündigt, derzeit keine verbindlichen Ökodesign-Anforderungen für die hiervon umfassten Produkte (komplexe Set-Top-Boxen147 bzw. bildgebende Geräte148) festzulegen.149 dd) Informationelle Steuerung Nationales Recht und Unionsrecht setzen schließlich in verstärktem Umfang auf das Instrument der informationellen Steuerung. Hiermit sollen die informatorischen Voraussetzungen für die Funktionsfähigkeit des Marktes (hinsichtlich der ökologischen Präferenzen) gewährleistet werden.150 Konkret erfolgt eine informationelle Steuerung im Energieeffizienzrecht zunächst durch den Einsatz freiwilliger Qualitätszeichen, die – wie der Energy Star oder die Europäische Blume – auch Energieeffizienzkriterien berücksichtigen und an das Konsumverhalten der Verbraucher appellieren.151 Darüber hinaus wird eine Vielzahl von Kennzeichnungs- und Ausweispflichten begründet. Exemplarisch zu nennen sind insoweit die produktbezogenen Etikettierungspflichten der Lieferanten und Händler nach der Richtlinie 2010 / 30 / EU152 oder die gemäß der Richtlinie 1999  /  94  /  EG153 beim Marketing für neue Personenkraftwagen vom Hersteller bzw. Händler bereitzustellenden Verbraucherinformationen. In beiden Fällen wird das Ziel verfolgt, den Verbrauchern eine informierte Kaufentscheidung zu ermög­ lichen und damit zugleich Anreize für ein energieeffizientes Handeln der Hersteller zu setzen.154 ee) Kritik Unternimmt man eine kritische Würdigung des vorstehend skizzierten „Instrumentenmixes“155, so ergibt sich, dass ein konsistentes Gesamtsystem bislang nicht ausgemacht werden kann. Es ist „schlichtweg nicht möglich, eine klare Systematik im Bereich der Energieeinsparung und -effizienz zu 147  COM(2012)

684 final, S. 6 f. 23 final, S. 6. 149  Näher Jesse (Fn.  6), S.  23 f. m. w. N. 150  Lübbe-Wolff, NVwZ 2001, 481 (488). 151  Schomerus, NVwZ 2009, 418 (421). 152  Nachweis in Fn. 90. 153  Nachweis in Fn. 17. 154  Vgl. insoweit jeweils den Erwägungsgrund Nr. 5 der RL 2010  / 30 / EU einerseits bzw. der RL 1999 / 94 / EG andererseits. 155  Näher bereits Ludwigs (Fn. 6), S. 464. 148  COM(2013)



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entwickeln“.156 Festzustellen ist vielmehr, dass Instrumente mit allen denkbaren Wirkungen (ordnungsrechtlich, ökonomisch, informationell usw.) nebeneinander und weitgehend unkoordiniert zum Einsatz kommen. Von einer einheitsschaffenden Wirkung der eingesetzten Regelungstechniken kann vor diesem Hintergrund nicht die Rede sein. Aber auch losgelöst hiervon gilt es zu erkennen, dass der festgestellte Instrumentenmix kein Spezifikum des Energieeffizienzrechts ist, sondern ein Phänomen darstellt, das im (Energie-) Umweltrecht bereits seit langer Zeit diskutiert wird.157 d) Zwischenfazit Als zweites Zwischenfazit bleibt festzuhalten, dass sich einheitliche Begriffe, Ziele und Instrumente nicht in hinreichendem Maße nachweisen lassen, um den Rechtsgebietscharakter des Energieeffizienzrechts zu bejahen. Das im Grundsatz übereinstimmende Begriffsverständnis von der Energieeffizienz als Input-Output-Relation kann als alleinige Klammer nicht ausreichen. Keine Überzeugungskraft entfaltet insbesondere die These von der einheitlichen Ausrichtung aller Maßnahmen auf das Ziel der Energieeffizienz. Richtigerweise stellt die Energieeffizienz nur ein Instrument oder Mittel zur Verwirklichung der – im Übrigen die gesamte Klima- und Energiepolitik prägenden – Hauptziele Versorgungssicherheit, Umweltverträglichkeit und Wettbewerbsfähigkeit dar.158 Mit Blick auf die eingesetzten Regelungstechniken entsteht zudem der Eindruck eines inkohärenten Gesamtsystems, das durch den parallelen Einsatz von Instrumenten unterschiedlichster Wirkungen gekennzeichnet ist. Hinzu kommt, dass der festzustellende Instrumentenmix auch kein Spezifikum des Energieeffizienzrechts ist, sondern ein im Umweltrecht bereits seit Längerem diskutiertes Phänomen darstellt. All dies spricht wiederum gegen ein Verständnis vom Energieeffizienzrecht als Rechtgebiet in nuce und für die Qualifizierung als bloßes Teilgebiet des Energie- und des Umweltrechts. 156  Schomerus, NVwZ 2009, 418 (423); kritisch auch Reimer, in: Schulze-Fielitz / Müller (Fn. 18), S. 147 (181): „torsohaft“; Schulte, in: FS für Rengeling, 2008, S. 417 (434): „ziemlich ungeordnet“; zur Kritik im ökonomischen Schrifttum vgl. insb. Haucap, ZfW 60 (2011), 74 (81 ff.), mit einem Plädoyer für die verstärkte Anwendung marktwirtschaftlicher Instrumente. 157  Vgl. z. B. Hermes, in: FS für Rehbinder, 2007, S. 569 ff.; Lee, Umweltrechtlicher Instrumentenmix und kumulative Grundrechtseinwirkungen, 2013, S. 38  ff., 165 ff.; Lübbe-Wolff, NVwZ 2001, 481 ff.; Rodi, ZG 2000, 231 ff.; Schmidt-Preuß, in: Dolde (Hrsg.), Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 309 ff.; siehe auch Engel, in: Rengeling  /  Hof (Hrsg.), Instrumente des Umweltschutzes im Wirkungsverbund, 2001, S. 17 (18 ff.). 158  Vgl. auch die Mitteilung der Kommission „Ein Rahmen für die Klima- und Energiepolitik im Zeitraum 2020–2030“ v. 22.01.2014, S. 9.

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Markus Ludwigs 3. Äußere Professionalisierung

Blick man schließlich auf das feststellbare Maß an äußerer Professionalisierung, ergibt sich auch insoweit kein signifikanter Befund zugunsten der Entstehung eines neuen Rechtsgebiets. Hervorzuheben ist insbesondere, dass bislang noch keine spezifischen Lehrbücher oder Zeitschriften159 zum Energieeffizienzrecht existieren. Die Materie wird vielmehr regelmäßig durch das Schrifttum zum Energie-160 bzw. zum Umweltrecht161 mit abgedeckt. Gleichwohl liegt aber eine Monographie dreier namhafter Rechtsgebietsbefürworter zum „Energieeffizienzrecht“ vor.162 Bemerkenswert erscheint freilich, dass das Werk seinerseits als Band 21 der „Gießener Abhandlungen zum Umweltrecht“ publiziert wurde. Vor diesem Hintergrund überrascht es auch nicht, dass Werke zum Energieeffizienzrecht in der Schlagwortsuche der Bibliothekskataloge typischerweise dem Energie- oder dem Umweltrecht zugeordnet werden. Im Übrigen existieren – soweit ersichtlich – weder Lehrstühle für Energieeffizienzrecht noch entsprechend bezeichnete (Postgraduierten-)Studiengänge. Schließlich steckt auch der Aufbau institutioneller Strukturen noch in den Anfängen. Zwar kann hier die Bundesstelle für Energieeffizienz genannt werden.163 Hierbei handelt es sich aber organisatorisch lediglich um ein Referat der Abteilung 4 des Bundesamts für Ausfuhrkontrolle und Wirtschaft (BAFA). Insgesamt zeigt sich, dass auch die äußere Professionalisierung des Energieeffizienzrechts bislang kein Ausmaß erlangt hat, das es rechtfertigen würde, den Schluss auf ein entstehendes Rechtsgebiet zu ziehen.164 Eine exklusive Befassung mit der Thematik erfolgt nur in Ansätzen. Typischerweise erfolgt vielmehr eine Zuordnung zum Energie- und / oder Umweltrecht.

159  Siehe aber immerhin den Untertitel („Vierteljahresschrift für Energie-Contracting und Energieeffizienz“) der Zeitschrift Contracting und Recht (CuR). 160  Vgl. z. B. Theobald / Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 3. Aufl. 2013, S. 560 ff. 161  Siehe etwa Epiney, Umweltrecht der EU, 3.  Aufl. 2013, S. 498  ff.; Erbguth / Schlacke, Umweltrecht, 5. Aufl. 2014, S. 454 ff.; Kloepfer, Umweltschutzrecht, 2. Aufl. 2011, S. 322 ff.; Meßerschmidt (Fn. 68), S. 804 ff.; Schmidt / Kahl, Umweltrecht, 8. Aufl. 2010, S. 135 ff. 162  Nachweis in Fn. 3. 163  Hierauf rekurrierend z. B. Härtel, in: dies. / Pielow (Fn. 4), S. 19 (47); ausführlich zur „Institutionelle[n] Architektur der Energieeffizienz-Regulierung“: Diehl, in: Britz / Eifert / Reimer (Fn. 3), S. 109 ff., wobei die hier auf nationaler und supranationaler Ebene in Bezug genommenen Einrichtungen (u. a. dena, KfW, ACER, ENTSO-E, ENTSOG) sich allesamt dadurch auszeichnen, dass Fragen der Energieeffizienz nur einen Teilbereich ihrer Aufgaben ausmachen. 164  Anders Härtel, in: dies. / Pielow (Fn. 4), S. 19 (47).



Das deutsche und europäische Energieeffizienzrecht201

V. Resümee Resümierend ergibt sich, dass die These vom „Energieeffizienzrecht“ als „Rechtsgebiet im Werden“ nach gegenwärtigem Stand des Regelungsrahmens nicht überzeugen kann. Keiner der drei konstituierenden Bausteine liegt vor: Es mangelt sowohl an einer hinreichenden normativen Vorstrukturierung als auch an der Existenz spezifischer einheitsschaffender Ziele und Regelungstechniken sowie an der notwendigen äußeren Professionalisierung. Die vorstehende Analyse hat vielmehr für alle drei Voraussetzungen ergeben, dass das Energieeffizienzrecht erhebliche Schnittmengen mit dem Energierecht einerseits und dem Umweltrecht andererseits aufweist. Vor diesem Hintergrund spricht mehr für ein Verständnis des Energieeffizienzrechts als Teilgebiet dieser beiden etablierten Rechtsgebiete. Dies gilt umso mehr, als deren Konturenschärfe und Systematisierungskraft durch die zunehmende Ausfaserung in neuen Rechtsgebieten165 verloren zu gehen droht.

165  Vgl. für die Paralleldiskussion zum Klimaschutzrecht: Sailer, NVwZ 2011, 718 ff.; grundlegend Gärditz, JuS 2008, 324 ff.

Tagungsbericht*

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Von Sabine Weidermann, Würzburg Das Energieumweltrecht dient dem zentralen energiepolitischen Regelungsziel von Klima- und Umweltschutz. Im Lichte des Aktionsplans „Eine Energiepolitik für Europa“ von 2007 und der von der deutschen Politik vollzogenen Energiewende seit 2010, thematisierte die Tagung „Energieumweltrecht in Zeiten von Europäisierung und Energiewende“ an der Universität Würzburg am 18. und 19. Oktober 2013 die Kernmaterien der „20-20-20“-Initiative der EU. Zur kritischen Bestandsaufnahme in rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht konnten die veranstaltenden Professoren Brinktrine und Ludwigs in Zusammenarbeit mit dem Umweltbundesamt (UBA, Deutsche Emissionshandelsstelle) auf die engagierte Mitwirkung und den informellen Austausch sowohl der referierenden Umwelt- und Energieexperten aus Wissenschaft und Praxis als auch des über 130 Teilnehmer zählenden Auditoriums blicken. Die Schwerpunkte der beiden Tage bildeten die Netzintegration Erneuerbarer Energien, der Emissionshandel und die Energieeffizienz.

I. Einleitung Die Eröffnung der Tagung erfolgte durch den Vizepräsidenten der Universität Würzburg, Prof. Dr. Eckhard Pache. In seinem Grußwort ging er auf die rasante Entwicklung der Rechtsmaterie ein und verwies auf die Aktualität der im Rahmen der Veranstaltung zu diskutierenden Probleme des Energieumweltrechts. Den hohen Stellenwert der Tagung brachte der Dekan der Juristischen Fakultät der Universität Würzburg, Prof. Dr. Oliver Remien, zum Ausdruck. Dabei betonte er insbesondere den zukunftsweisenden Charakter der Kooperation von Wissenschaft und Praxis innerhalb der Durchführung der Tagung. In Anknüpfung an die Windkrafttagung vom April 2013 gab Prof. Dr. Ralf Brinktrine eine thematische Vorschau zum jüngsten „Geschwisterkind“, der Energieumweltrechtstagung. Dabei wies er die Zuhörer auf die Schwierigkeit einer Zusammenführung der unterschiedlichen Teilgebiete des Energierechts hin. Eingebettet in den politischen Rahmen auf Unionsebene biete die Veranstaltung mit ihrem Fokus auf dem Klimaund Umweltschutz eine Plattform, um institutionsübergreifend zentrale Fragen zu klären. *  Geringfügig veränderte Fassung des Tagungsberichts aus EWS, Heft 1  / 2014, S. 34–37.

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II. Energie und Umwelt – Aktuelle Entwicklungstendenzen im Zeichen von Europäisierung und Energiewende Den juristischen Auftakt vollzog Prof. Dr. Matthias Schmidt-Preuß (Universität Bonn) mit dem Thema „Energie und Umwelt – Aktuelle Entwicklungstendenzen im Zeichen von Europäisierung und Energiewende“. Auf nationaler Ebene hob der Referent die Vorreiterstellung Deutschlands bei der CO2-Senkung hervor, wies auf die jüngst erneut gestiegene EEG-Umlage hin und lenkte den Blick auf die Koalitionsverhandlungen zur Energiewende. Auf europäischer Ebene stehe vor allem die Idee eines Energiebinnenmarktes mit freiem Wettbewerb durch Öffnung der Netzmonopole im Zentrum. Die normative Fixierung finde sich primärrechtlich in Art. 3 Abs. 3 EUV, Art. 26 Abs. 2 AEUV und im Protokoll Nr. 27 sowie sekundärrechtlich z. B. in Art. 1 der Strom-RL 2009 /  72 / EG. Die wettbewerbsgeprägte Energiewende schlage sich sodann in der deutschen Rechtsordnung im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) nieder. Die damit einhergehende rechtliche und faktische Abschottung des deutschen Marktes stehe gegenwärtig auf der „Brüsseler Anklagebank“. Unter Rekurs auf das EuGH-Urteil in der Rs. Preussen Elektra aus dem Jahr 2001 betonte Schmidt-Preuß zum einen, dass das EEG keine verbotene Beihilfe gem. Art. 107 Abs. 1 AEUV darstelle. Zum anderen verfügten die Mitgliedstaaten hinsichtlich der Warenverkehrsfreiheit solange über Handlungsspielraum, wie der Energie-Binnenmarkt noch nicht vollendet bzw. abschließend harmonisiert sei. Für die deutsche Energiewende stehe der Gesetzgeber daher mit dem EEG „auf der sicheren Seite“. Innerhalb der dennoch bestehenden Friktion aus Abschottung und Marktöffnung böten sich drei Optionen für mögliche Änderungen. Ein erster Weg bestünde in der Beibehaltung des EEG, ein zweiter Ansatz könne in einem Quotenmodell liegen und die dritte Option bilde das Auktionsverfahren. III. Umweltpolitischer Instrumentenmix im Kontext der Energiewende Die Interdisziplinarität des Energieumweltrechts stand sodann im Mittelpunkt des Referats von Prof. Dr. Felix Höffler (Universität zu Köln) zur Materie „Umweltpolitischer Instrumentenmix im Kontext der Energiewende“. Die Grundlage für seine Ausführungen bildete die gegenwärtige Debatte um das Nebeneinander des EU-Emissionshandels (ETS) und der Förderung Erneuerbarer Energien (EE) im deutschen EEG. Zur Erreichung wirtschaftlicher Ziele müsse der Zusammenhang zwischen der Vielfalt an Zielen und Restriktionen betrachtet werden. Ein Instrumentenmix könne danach entweder durch Zielvielfalt oder durch mehrere Marktunvollkom-

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menheiten ökonomisch gerechtfertigt werden. Zielvielfalt liege in der Koexistenz der Reduzierung von CO2 bei gleichzeitigem Kernenergieausstieg. Dieses Nebeneinander von mehreren Intentionen kollidiere wiederum mit den multiplen Restriktionen des Klimawandels (CO2) und den Externalitäten bei der Forschung und Entwicklung (EE). Die Zielerreichung beider Intentionen erfordere einen Instrumentenmix, in Form einer Preis-  /  Mengensteuerung und dem „Ausrollen“ von (neuen) Technologien. Dabei müsse immer auch die Sinnhaftigkeit mehrerer Instrumente, insbesondere bezogen auf die Kosten, hinterfragt werden. CO2-Einsparungen könnten nicht kostengünstig durch den Ausbau von Erneuerbaren Energien realisiert werden. Resümierend gäbe es nach Höffler aufgrund der unüberschaubaren Parameter gegenwärtig zu viele Instrumente, die immer schwieriger zu steuern seien, von denen aber auch nicht einfach wieder Abstand genommen werden könnte. Im Ergebnis bestehe im Grundsatz die Möglichkeit der Rechtfertigung einer Instrumentenvielfalt. Dies sei in Deutschland aufgrund der Disparität der verwendeten Instrumente und der daraus resultierenden Ineffizienz jedoch in Frage gestellt. IV. Netzintegration Erneuerbarer Energien 1. Praktische Erfahrungen mit der Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Netzplanung

Im nachfolgenden Beitrag zum ersten Themenblock: Netzintegration Erneuerbarer Energien gab Dr. Peter Ahmels (Deutsche Umwelthilfe e. V.) einen Einblick in seine „Praktische[n] Erfahrungen mit der Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Netzplanung“. Die zentrale Herausforderung bilde der Transport von Strom aus Erneuerbaren Energien vom Norden in den Süden Deutschlands. Dazu bedürfe es einer weiterreichenden Infrastruktur, die einen beschleunigten Netzausbau erfordere. Das Forum Netzintegration Erneuerbare Energien der Deutschen Umwelthilfe habe sich diesbezüglich das Ziel einer stärkeren Öffentlichkeitsbeteiligung gesetzt. Den Schwerpunkt legte der Referent dabei auf die geplante Westküstenleitung in SchleswigHolstein. Bereits im Planungsstadium wurden hier Info- und Dialog-Veranstaltungen durchgeführt. Das Bewusstsein von den damit einhergehenden Auswirkungen führte bei den Betroffenen zu enormem Wiederstand. Um die Akzeptanz der Bürger für die beabsichtigte Leitung zu erlangen, wurden vom Energiewendeministerium Schleswig Holstein und dem Übertragungsnetzbetreiber Tennet, neben vier Fachdialogen, zehn informelle Bürgerdialoge am „runden Tisch“ nach der Devise „bürgernah, wohnortnah und auf Augenhöhe“ initiiert. Für ein positives Ergebnis sorgten vor allem die umfangreichen Diskussionen, der Einsatz ortsnaher Experten und ein hohes

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Maß an Verfahrenstransparenz. Wenngleich nicht alle „großen Fragen“ abschließend beantwortet werden konnten und obwohl einzelne Gegner die Veranstaltung für eine Generalabrechnung mit der Politik zu nutzten versuchten, brachte Ahmels die, auf den erzielten Akzeptanzgewinn gestützte, Hoffnung zum Ausdruck, dass sich der Info- und Dialogprozess zum Standardmodell entwickeln könnte. 2. Netzintegration erneuerbarer Energien als Baustein der Energiewende

Den Abschluss des ersten Veranstaltungstages gestaltete Prof. Dr. Martin Kment (Universität Augsburg) mit seinem Beitrag zur „Netzintegration erneuerbarer Energien als Baustein der Energiewende“. Im Zuge der Energiewende seien neue Anforderungen an die Netzstrukturen hinzugekommen. Diese resultierten insbesondere aus dem geographischen Auseinanderfallen von Lastzentren und Erzeugungsort. Auch technologische Neuerungen würden nicht darüber hinweghelfen, dass vor allem Mittel- und Niederspannungsnetze ausgebaut werden müssten. Dazu komme die Unterschiedlichkeit und Unübersichtlichkeit des Regelungsrahmens von Energievorhaben On­ shore und Offshore. Auf EU-Ebene stehe insbesondere die neue VO (EU) Nr. 347 / 13 zur transeuropäischen Energieinfrastruktur für den europaweiten Netzausbau im Fokus. Einen thematischen Schwerpunkt bilde die Kooperation mit den nationalen Behörden. Im nationalen Recht werde das Bedarfsfeststellungsverfahren in §§ 12a ff. des Gesetzes über die Elektrizitäts- und Gasversorgung (EnWG) geregelt. Im Rahmen der Realisierung des Netzausbaus Onshore spielten auch die Ziele und Grundsätze der Raumordnung (ROG), das Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG) sowie das Baugesetzbuch (BauGB) eine Rolle. Im Prozess der Vorhabenzulassung könne sodann eine Planfeststellung gemäß § 43 EnWG erfolgen. Schließlich ging Kment auf Energieleitungen in der Ausschließlichen Wirtschaftszone (Offshore) ein. Dabei werde zwischen der Planungsebene nach § 17a und 17b EnWG und der Zulassungsebene gemäß § 2 der Seeanlagenverordnung (SeeAnlV) unterschieden. Resümierend sei die Materie in hohem Maße verzweigt und verschachtelt, was einen zügigen Netzausbau in Frage stelle. Im Fazit zum ersten Abschnitt der Energieumweltrechtstagung unterstrich RDir Dr. Wolfgang Seidel insbesondere die in den Vorträgen vielfach zum Ausdruck gekommene Endlichkeit fossiler Ressourcen und betonte die Notwendigkeit von Effizienz- und Suffizienzmaßnahmen.

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V. Emissionshandel 1. Rechtsfragen des Verwaltungsverbundes im EU-Emissionshandel

Nach einer Einführung zu den Themen des zweiten Tages durch Prof. Dr. Markus Ludwigs, widmete sich RDir Dr. Wolfgang Seidel (UBA, Deutsche Emissionshandelsstelle) „Rechtsfragen des Verwaltungsverbundes im EU-Emissionshandel“. Der EU-Emissionshandel werde in Form eines Verwaltungsverbundes unmittelbar durch die EU und mittelbar durch die Mitgliedstaaten vollzogen. Die Komplexität dieser Verwaltungszusammenarbeit ergäbe sich hauptsächlich durch verfahrensmäßige und administrative Aspekte. In der dritten Handelsperiode von 2013–2020 seien drei Gestaltungsformen des ETS zu nennen. Erstens die politisch veranlasste Feststellung der Gesamtemissionsmenge (cap), zweitens die Allokation der Emissionszertifikate und drittens die Umsetzung der Emissionsüberwachung und -berichterstattung. Innerhalb des Zuteilungsverfahrens bestehe auf EUEbene eine Normenhierarchie von der Emissionshandelsrichtlinie 2003 / 87 /  EG (ETS-RL) über den KOM-Beschluss 2011 / 278 / EU betreffend die kostenlose Zuteilung bis hin zu Guidance-Documents (soft law). Auf nationaler Ebene seien das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz (TEHG) und die Zuteilungsverordnung (ZuV 2020) einschlägig. Bereits an dieser Stelle machte Seidel auf den hohen Weiterentwicklungsbedarf bei der Zusammenarbeit im Verwaltungsverbund, insbesondere innerhalb des Rechtsschutzes, aufmerksam. Neben potentielle Beteiligungsdefizite im gegenwärtigen Verwaltungsverfahren würden außerdem ein hoher Kommunikationsaufwand und die Weisungsgebundenheit der nationalen Behörden treten. In diesem Kontext diskutierte der Referent den Weg hin zu einer zentralen Aufsichtsbehörde. Am Ende könne die partielle Vergemeinschaftung mit Verwaltungskooperation einen gangbaren Mittelweg darstellen. 2. Die Lernkurven beim EU-Emissionshandel

Einen neuen Akzent setzte ORR Dr. Uwe Neuser (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit) in seinem Vortrag „Die Lernkurven beim EU-Emissionshandel“. Ausgangspunkt der „Lernkurve“ des EU-Emissionshandels seien die Verabschiedung der ETS-RL und die bis dahin fehlende Ziel-Mengensteuerung durch das überkommene Ordnungsrechtssystem. Aufgrund der separaten Emissionshandelssysteme in den Mitgliedstaaten bis 2009, kam es zwischen diesen in der ersten Handelsperiode (2005–2007) zu einem klassischen Gefangenendilemma mit struktureller Überallokation und fehlendem „level-playing-field“. Die zweite Han-

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delsperiode (2008–2012) war sodann von dem Wunsch nach Harmonisierung und einer „cap-Kontrolle“ geprägt, sodass es zur Novellierung der ETS-RL durch die Änderungs-RL 2009 / 29 / EG kam. Obwohl der vollständig etablierte und vereinheitlichte Emissionshandel in den Jahren 2008–2012 funktionierte und das cap eingehalten wurde, blieb seine Wirkung aufgrund der Wirtschafts- und Finanzkrise seit 2009 aus. Die Folge war ein ständig anwachsendes Überangebot am Markt. Um den daraus resultierenden Preisverfall zu stoppen, wird in der Korrekturphase seit 2013 (bis 2020) versucht, die bestehenden Überschüsse abzubauen. Das Instrument für dieses Ziel liege – so der Referent – vor allem in der Reduzierung der kostenlosen Zuteilungen. Die von der Kommission vorgeschlagene Möglichkeit des kurzfristigen Zurückhaltens von Emissionszertifikaten („Backloading“) und deren spätere Ausschüttung stelle jedoch nur einen zeitlichen Gewinn dar und beseitige nicht das Überangebot. Die Herausforderung für die Zukunft bestehe in der Reform des ETS. Dazu stellte die Kommission in ihrem Carbon Market Report sechs Optionen vor, zu denen u. a. die Anhebung des Klimaschutzziels und die Ausweitung des Anwendungsbereichs des ETS zählen. Die zentrale Herausforderung sah Neuser insoweit in der Auflösung des Zielkonflikts zwischen Stabilität und Flexibilität. 3. Die Einbeziehung des Luftverkehrs in das EU-Emissionshandelssystem

Im Anschluss befasste sich RR’in Yvonne C. Schmidt (Luftfahrt-Bundesamt) mit der „[…] Einbeziehung des Luftverkehrs in das EU-Emissionshandelssystem“. Aufgrund der steigenden Treibhausgasemissionen werde der Luftverkehr seit dem 1. Januar 2012 in das EU-ETS einbezogen. Nach der Richtlinie 2008 / 101 / EG seien alle Flüge die von und nach EU-Landeplätzen abgehen bzw. ankommen zu berücksichtigen. Während die Zuteilungsliste der betroffenen Luftfahrzeugbetreiber von der Kommission verwaltet wurde, war die Überprüfung der Einhaltung und die Sanktionierung Aufgabe der Mitgliedstaaten. Diese Umsetzungsakte der RL wurden von Drittstaatsunternehmen unter Rekurs auf eine Ungleichbehandlung unter den Luftfahrzeugbetreibern gerügt. Im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens (Rs. C-366 / 10) stellte der EuGH aber keinen Verstoß der von den Klägern gerügten Grundsätze der Territorialität, Hoheit der Drittländer über ihren Luftraum und Freiheit des Fluges über der hohen See fest. Um die Fortschritte innerhalb der Versammlung der International Civil Aviation Organization (ICAO) zu erleichtern und weitere Impulse zu geben, wurde im April 2013 der Beschluss Nr. 377 / 2013 / EU („Stop the Clock“) vom Europäischen Parlament und Rat verabschiedet. Hiermit wurde vorübergehend von der RL, hinsichtlich der Sanktionierung von Luftfahrzeugbetreibern aus Drittstaaten, abgewi-

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chen. Zur Vorbereitung eines globalen marktbasierten Mechanismus innerhalb der Versammlung von ICAO, machte die Kommission am 16. Oktober 2013 einen Kompromissvorschlag. Den Kernpunkt bildete ein „LuftraumAnsatz“, wonach von 2013–2020 keine Emissionshandelspflicht für Emissionen außerhalb des regionalen EU / EWR-Luftraums bestehen soll. Es sei geplant bis März 2014 darüber endgültig zu entschieden. 4. Die Versteigerung im EU-Emissionshandelssystem

Dr. Felix Hardach (UBA, Deutsche Emissionshandelsstelle) informierte in seinem Referat über „Die Versteigerung im EU-Emissionshandelssystem“. Die Entwicklung des ETS war in der ersten und zweiten Handelsperiode von einer überwiegend kostenlosen Zuteilung (bis zu 95 %) auf der Grundlage nationaler Allokationspläne (NAPs) geprägt. Erst seit der dritten Handelsperiode ist ein im Grundsatz europaweit geregeltes Versteigerungssystem vorgesehen. Argumente für das Versteigerungsverfahren sah der Vortragende in einer Verbesserung der Allokationseffizienz des ETS, einer Steigerung der Transparenz und Chancengleichheit sowie in positiven Effekten für das Klimaschutzziel. Die EU-rechtliche Grundlage bilde insbesondere die ETS-RL. Zur Umsetzung diene auf na­tionaler Ebene das TEHG und die ZuV 2020. In Anbetracht des vollständig harmonisierten ETS-Systems sei die verfassungsrechtliche Vereinbarkeit nun nicht mehr am Grundgesetz, sondern am EU-Primärrecht zu messen. Im Weiteren widmete sich Hardach der speziellen Frage, ob die Mitgliedstaaten Emissionsberechtigungen löschen könnten. Im Rahmen einer Analyse der primärrechtlichen (Art. 192 und 193 AEUV) und sekundärrechtlichen (Art. 10 Abs. 1 ETS-RL und Erwägungsgrund 2 S. 3 VO (EU) Nr. 1031 / 2010 [AuktVO]) Regelungen sowie der anschließenden Abwägung bezüglich einer Einstufung als verstärkte Schutzmaßnahme gelangte der Referent zu der theoretischen Zulässigkeit einer Löschung. Schließlich ging er auch auf die EU-weite Auktionsplattform und die Möglichkeit eines opt-out für die Mitgliedstaaten ein. Diese in Art. 30 Abs. 4 AuktVO geregelte Option habe auch Deutschland in Form einer eigenen Plattform in Anspruch genommen. VI. Energieeffizienz 1. Energieeffizienzrichtlinie: „Papiertiger“ oder Meilenstein für die Entwicklung des Energieumweltrechts?

Den dritten Themenblock zur Energieeffizienz leitete RA Dr. Julian Asmus Nebel (GÖRG, Berlin) mit der Fragestellung „Energieeffizienzrichtlinie: „Pa-

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piertiger“ oder Meilenstein für die Entwicklung des Energieumweltrechts?“ ein. Im deutschen Recht handele es sich beim Energieeffizienzrecht, als „Stiefkind“ der „Energiestrategie 2020“, aufgrund der Vielzahl an unterschiedlichen Gesetzen, Instrumenten und Anreizsystemen um eine Querschnittsmaterie. Auch auf europäischer Ebene gäbe es kein gemeinsames „Dach“, sondern vielmehr sektorspezifische Einzelrichtlinien. Um diesem Umstand entgegenzuwirken, sei die Energieeffizienzrichtlinie (EE-RL) als gemeinsamer Rahmen geschaffen worden. Ihr Kernstück bilde das von den Mitgliedstaaten zwingend einzuführende und in Art. 7 EE-RL geregelte Energieeffizienzverpflichtungssystem. Danach müssten Energieversorger über Energieeffizienzmaßnahmen Einsparungen in Höhe von jährlich durchschnittlich 1,5 % bei ihren Endkunden erzielen. Der den Mitgliedstaaten verbleibende große Umsetzungsspielraum werde vor allem durch die Option der Verwendung von alternativen strategischen Maßnahmen deutlich. Im Übrigen bedürfe es keiner absoluten Reduzierung des Energieverbrauchs und sog. „early actions“ könnten angerechnet werden. Zur konkreten Umsetzung in Deutschland plädiere das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie für einen „1 zu 1“-Ansatz, während das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit eine ambitioniertere Umsetzung präferiere. Zur Klärung der Ausgangsfrage ging Nebel vom Vorliegen eines „Meilensteins“ aus, wobei allerdings eine differenzierte Betrachtung angezeigt sei. Dabei wies er darauf hin, dass es die Aufgabe der Juristen sei, das geltende Recht zu strukturieren und zu vernetzen. Der Referent schlug daher die Ausarbeitung eines Energieeffizienzgrundsätzegesetzes als gemeinsame Basis vor. 2. Das deutsche und europäische Energieeffizienzrecht – Ein Rechtsgebiet im Werden?

Zum Abschluss der zweitägigen Vortragsreihe diskutierte Prof. Dr. Markus Ludwigs (Universität Würzburg), ob „Das deutsche und europäische Energieeffizienzrecht – Ein Rechtsgebiet im Werden?“ darstellt. Innerhalb des aktuellen vierten Entwicklungsstadiums der Rechtsmaterie werde das Regelungsgeflecht in der Wissenschaft von den Befürwortern als ein „Rechtsgebiet im Werden“ betrachtet. Demgegenüber klassifizierten die Kritiker es „nur“ als ein „Sammelsurium unterschiedlichster Maßnahmen und Instrumente“. Im Folgenden standen die drei konstituierenden Merkmale für die Entstehung eines neuen Rechtsgebiets im Mittelpunkt. Erstens seien „Normative Vorstrukturierungen“ notwendig. Diese ließen sich für das „Energieeffizienzrecht“ jedoch weder im nationalen Recht, noch auf EUEbene in hinreichendem Maße ausmachen. Trotz der neuen EE-RL und zahlreicher sektorspezifischer und sektorübergreifender Regelungen, fehle

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es an einer ausreichenden Systematisierung und übergreifenden Grundsätzen. Zweitens bedürfe es „einheitsschaffender Begriffsbildung, Ziele und Regelungstechniken“. Zwar bestehe im Schrifttum weitgehende Klarheit über den Begriff der Energieeffizienz. Dieser habe auch u. a. in Art. 2 Nr. 4 EE-RL eine normative Verankerung gefunden. Die Ziele des Energieeffizienzrechts seien aber höchst disparat (Multifinalität) und nicht im Sinne eines übergreifenden Rechtsgebiets ausgestaltet. Innerhalb des Instrumentenmix sei kein konsistentes Gesamtsystem erkennbar. Drittens setze die Schaffung eines eigenen Rechtsgebiets eine „äußere Professionalisierung“ voraus. Bislang ließen sich indes nur Ansätze für eine exklusive bzw. abgrenzende Befassung feststellen. Nach Ludwigs stellt das Energieeffizienzrecht mit Blick auf den gegenwärtigen Entwicklungsstand daher kein im Entstehen begriffenes neues Rechtsgebiet dar. Es handele sich vielmehr um eine dynamische Rechtsmaterie, die als Teilbereich des Energie- und Umweltrechts qualifiziert werden könne. Das Schlusswort des 2-tägigen „Energiemarathons“ gestaltete Prof. Dr. Ralf Brinktrine mit einem Dank an die Referenten für die präzise Aufbereitung der Vorträge zu komplizierten Themen mit vielfältigen Fragenstellungen juristischer und ökonomischer Natur. Dabei wies er auf das Bedürfnis einer weitergehenden wissenschaftlichen Durchdringung und Systematisierung sowie einen erhöhten Forschungsaufwand im Energie- und Umweltrecht hin. Zugleich äußerte Brinktrine die Hoffnung auf eine Fortsetzung des mit der Tagung begonnenen intensiven Dialogs von Wissenschaft und Praxis.

Verzeichnis der Autoren Dr. Peter Ahmels, Bereichsleiter Erneuerbare Energien bei der Deutschen Umwelthilfe e. V., Berlin Dr. Felix Hardach, Regierungsrat und Referent im Fachgebiet E 1.5 „Verfahrenssteuerung, Verifizierung, Finanzierung“ bei der Deutschen Emissionshandelsstelle (DEHSt) im Umweltbundesamt, Berlin Prof. Dr. Felix Höffler, Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftliche Staatswissenschaften an der Universität zu Köln, Direktor für Grundlagenforschung am Energiewirtschaftlichen Institut an der Universität zu Köln (EWI) Prof. Dr. Martin Kment, LL.M., Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Europarecht, Umweltrecht und Planungsrecht an der Universität Augsburg, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Umweltrecht der Universität Augsburg Prof. Dr. Markus Ludwigs, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Europarecht an der Universität Würzburg, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Internationa­les Recht, Europarecht und Europäisches Privatrecht der Universität Würzburg Dr. Julian Asmus Nebel, Rechtsanwalt und Assoziierter Partner, GÖRG Rechts­ anwälte, Berlin Dr. Uwe Neuser, Oberregierungsrat und Referent im Referat E II 3 „Rechtsangele­ genheiten Klimaschutz, Emissionshandel“ beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, Berlin Yvonne C. Schmidt, Regierungsrätin und Leiterin des Referats L 4 „Lizensierung und Rechtsangelegenheiten“ der Abteilung L beim Luftfahrt-Bundesamt, Braunschweig Prof. Dr. Matthias Schmidt-Preuß, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht an der Universität Bonn Dr. Wolfgang Seidel, Regierungsdirektor und Leiter des Fachgebiets E 1.5 „Verfahrenssteuerung, Verifizierung, Finanzierung“ bei der Deutschen Emissionshandelsstelle (DEHSt) im Umweltbundesamt, Berlin Sabine Weidermann, LL.M., Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Europarecht (Prof. Dr. Markus Ludwigs) an der Universität Würzburg