Bürgerproteste in Zeiten der Energiewende: Lokale Konflikte um Windkraft, Stromtrassen und Fracking 9783839438152

Even though there is supposed to be social consensus concerning the energy transition: Whenever it comes to its concrete

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Bürgerproteste in Zeiten der Energiewende: Lokale Konflikte um Windkraft, Stromtrassen und Fracking
 9783839438152

Table of contents :
Inhalt
Teil A: Die deutsche Energiewende als sozialwissenschaftliches Forschungsfeld
1. Einleitung
Teil B: Lokale Konflikte um Energiewendeprojekte – Inspektionen
2. „Das war aber keine Beteiligung.“
3. „Das Maß ist voll!“
4. „Es gibt auch schon Protesttourismus.“
Teil C: Beteiligte und Unbeteiligte – Perzeption und Perspektiven
5. „Eigentlich füllen wir nur ein Verantwortungsvakuum aus.“
6. „Weil die Interessen völlig gleich gelagert sind, nur die Mittel und Methoden sind unterschiedliche.“
7. „Das Ziel ist Beschleunigung und Akzeptanz.“
8. „Also ich trau da überhaupt gar keinem.“
10. „Absolut einseitig orientiert“ oder „Echo der Auseinandersetzung“
11. „Ich kann einfach nicht mehr vertrauen.“
12. Heimat
Teil D: Fazit und Ausblick
13. Bürgerproteste in Zeiten der Energiewende
Teil E: Anhang
Quellen- und Literaturverzeichnis
Dank
Autorinnen und Autoren

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Christoph Hoeft, Sören Messinger-Zimmer, Julia Zilles (Hg.) Bürgerproteste in Zeiten der Energiewende

Studien des Göttinger Instituts für Demokratieforschung zur Geschichte politischer und gesellschaftlicher Kontroversen Herausgegeben von Franz Walter | Band 12

Christoph Hoeft, Sören Messinger-Zimmer, Julia Zilles (Hg.)

Bürgerproteste in Zeiten der Energiewende Lokale Konflikte um Windkraft, Stromtrassen und Fracking

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2017 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat & Satz: Katharina Rahlf & Robert Lorenz Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-3815-8 PDF-ISBN 978-3-8394-3815-2 EPUB-ISBN 978-3-7328-3815-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt TEIL A: Die deutsche Energiewende als sozialwissenschaftliches Forschungsfeld 1 Einleitung

Christoph Hoeft, Sören Messinger-Zimmer, Julia Zilles | 9

TEIL B: Lokale Konflikte um Energiewendeprojekte – Inspektionen 2 „Das war aber keine Beteiligung.“ Proteste gegen Stromtrassen

Julia Kopp, Sören Messinger-Zimmer, Jonas Rugenstein | 43 3 „Das Maß ist voll!“ Proteste gegen Windenergie

Stine Marg, Julia Zilles, Carolin Schwarz | 63 4 „Es gibt auch schon Protesttourismus.“ Proteste gegen Fracking

Klaudia Hanisch, Christoph Hoeft, Hannes Keune | 97

TEIL C: Beteiligte und Unbeteiligte – Perzeption und Perspektiven 5 „Eigentlich füllen wir nur ein Verantwortungsvakuum aus.“ Die Konflikte aus Perspektive der Bürgerinitiativen

Julia Kopp | 123 6 „Weil die Interessen völlig gleich gelagert sind, nur die Mittel und Methoden sind unterschiedliche.“ Die Konflikte aus Perspektive von Politik und Verwaltung

Sören Messinger-Zimmer | 137 7 „Das Ziel ist Beschleunigung und Akzeptanz.“ Die Konflikte aus Perspektive der Unternehmen

Jonas Rugenstein | 153

8

„Also ich trau da überhaupt gar keinem.“ Die Konflikte aus Perspektive der Unbeteiligten

Klaudia Hanisch, Sören Messinger-Zimmer | 169 9

Zwischen „Hoffnungslosen“und „heimlichen AktivistInnen“. Typen der Nicht-Beteiligung

Christoph Hoeft | 181 10 „Absolut einseitig orientiert“ oder „Echo der Auseinandersetzung“. Die Rolle der Medien in lokalen Konflikten

Julia Zilles | 195 11 „Ich kann einfach nicht mehr vertrauen.“ Demokratie- und Legitimitätsvorstellungen

Stine Marg | 207 12 Heimat. Die Reaktivierung eines Kampfbegriffes

Stine Marg | 221

TEIL D: Fazit und Ausblick 13 Bürgerproteste in Zeiten der Energiewende. Ein Fazit in neun Thesen

Christoph Hoeft, Sören Messinger-Zimmer, Julia Zilles | 235

TEIL E: Anhang Quellen- und Literaturverzeichnis | 257 Dank | 277 Autorinnen und Autoren | 279

Teil A: Die deutsche Energiewende als sozialwissenschaftliches Forschungsfeld

1 Einleitung C HRISTOPH H OEFT , S ÖREN M ESSINGER -Z IMMER , J ULIA Z ILLES

Was Angela Merkel zu verkünden hatte, als sie am 9. Juni 2011 vor den Bundestag trat, hätte nur wenige Monate zuvor kaum jemand für möglich gehalten. Unter den dramatischen Eindrücken der nuklearen Katastrophe im japanischen Fukushima hatte das schwarz-gelbe Kabinett überraschend den stufenweisen Ausstieg aus der Atomenergie bis zum Jahr 2022 beschlossen. Bei allem Optimismus, der in Merkels Rede durchschien, skizzierte die Kanzlerin allerdings auch die großen Herausforderungen, die mit der Energiewende verbunden seien: Der Ausstieg aus der Kern- und der Umstieg auf regenerative Energien seien eine „Herkulesaufgabe“1. Diese Einschätzung hatte nicht nur mit den technischen und planerischen Herausforderungen der vielen infrastrukturellen Projekte zu tun, die mit der Energiewende verbunden waren. Sie spiegelte auch eine Debatte wider, die spätestens mit dem Umbau des Stuttgarter Bahnhofs begonnen hatte und seitdem leidenschaftlich geführt worden ist: Sollten gegen Infrastrukturprojekte Protestierende als Gefährdung für die Modernisierung des Landes, als egoistische Wutbürger, die eine unregierbar werdende „Dagegen-Republik“ vorantreiben,2 oder aber als Korrektiv und willkommener Partner für eine Revitalisierung der Demokratie3 gelten?

1

Angela Merkel zitiert nach o. V.: Die Atomkanzlerin erklärt ihren Ausstieg, in: sueddeutsche.de, 09.06.2011, URL: http://www.sueddeutsche.de/politik/regierungs erklaerung-zur-energiewende-merkel-erklaert-den-atomausstieg-zur-herkulesaufgabe1.1106773/ [eingesehen am 24.10.2016].

2

Vgl. Kurbjuweit, Dirk: Der Wutbürger, in: Der Spiegel, H. 41/2010, S. 26–27; vgl. auch von Bartsch, Matthias et al.: Volk der Widerborste, in: Der Spiegel, H. 35/2010, S. 64–72.

3

Vgl. z. B. Supp, Barbara: Die Mutbürger. Die Proteste gegen Stuttgart 21 sind ein Segen für die Demokratie, in: Der Spiegel, H. 42/2010, S. 42–43.

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Erst wenige Monate vor der Verkündung des Atomausstiegs hatte sich die schwarz-gelbe Koalition mit einem düsteren Blick in der Debatte zu Wort gemeldet: „Bundeskanzlerin Angela Merkel und FDP-Chef Guido Westerwelle warnen vor einer Lähmung Deutschlands, wenn sich Großprojekte wie Stuttgart 21 nicht mehr durchsetzen lassen. Angesichts der heftigen Proteste gegen den Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs sei fraglich, ob historisch wichtige Modernisierungsschritte wie die Elektrifizierung Deutschlands und der Bau der Eisenbahn heute überhaupt noch machbar wären.“4 Dieses angeblich völlig neue Phänomen des Widerspruchs war zwar bereits 2010 beileibe nicht mehr neu – schon hundert Jahre zuvor hatten sich in Bayern BürgerInnen gegen den Bau eines Wasserkraftwerkes am Walchensee zur Wehr gesetzt5. Nichtsdestotrotz flammte die Debatte vor dem Hintergrund der infrastrukturellen Herausforderungen im Zuge der Energiewende wieder mit neuer Energie auf. Der Ausstieg aus der Atomenergie macht eine ganze Reihe infrastruktureller Großprojekte erforderlich: von Windparks über Photovoltaikanlagen bis hin zu großen Stromtrassen, die den Norden mit dem Süden und den Osten mit dem Westen verbinden sollen. Doch auch wenn die Energiewende grundsätzlich als gesellschaftlich akzeptiert und gewollt gelten kann – in aktuellen Umfragen sprechen sich zwischen siebzig und achtzig Prozent der Befragten für den Umstieg auf regenerative Energien aus6 –: Die konkrete Umsetzung stieß und stößt immer wieder auf Kritik und Widerstand. 4

Vgl. Rehle, Michaela: Merkel und Westerwelle kritisieren Protest-Kultur, Reuters Agenturmeldung vom 17.10.2010, URL: http://de.reuters.com/article/deutschlandstuttgart-21-we-zf-idDEBEE69G06A20101017/ [eingesehen am 24.10.2016].

5

Rucht, Dieter: Infrastrukturelle Großprojekte als sozio-politischer Sprengstoff? Vortrag auf der Tagung Technik und Protest, 22.10.2014, TU Berlin.

6

Siehe z. B. die Forsa-Umfrage zur Akzeptanz der Energiewende im Auftrag des Clusters Erneuerbare Energien Hamburg vom Februar 2016, URL: http://www.erneuer bare-energien-hamburg.de/de/service/pressemitteilungen/details/norddeutsche-sinddie-staerksten-befuerworter-der-energiewende.html [eingesehen am 20.10.2016]. Die Umfrageergebnisse weichen je nach Studie teils stark voneinander ab; vgl. zu verschiedenen repräsentativen Umfragen, die zu dem Ergebnis kommen, dass mehr als neunzig Prozent der Bundesdeutschen der Energiewende positiv gegenüberstehen: Kress, Michael/Landwehr, Ines: Akzeptanz Erneuerbarer Energien in EE-Regionen. Ergebnisse einer telefonischen Bevölkerungsumfrage in ausgewählten Landkreisen und 70 Gemeinden. Diskussionspapier des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung 2012, URL: http://www.ioew.de/uploads/tx_ukioewdb/IOEW_DP_66_Akzep tanz_Erneuerbarer_Energien.pdf [eingesehen am 22.10.2016]; Agentur für Erneuerba-

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Dabei scheint sich seit den letzten Jahren in der Bundesrepublik ein Bedeutungswandel der Proteste gegen Infrastrukturprojekte zu vollziehen.7 Gegenwärtig werden politische und administrative Entscheidungen nach ihrem verfahrensgemäßen Abschluss zunehmend häufiger von Bürgerinitiativen (BIs), Vereinen oder anderen organisierten AkteurInnen massiv infrage gestellt. BürgerInnen und Verbände misstrauen den klassischen politischen Institutionen und fordern eine enge Kontrolle der Projekte sowie Entscheidungen ein – und derzeit scheint dieser Trend keine Anzeichen einer Abschwächung zu zeigen. Die Energiewende mit ihrem besonders hohen Aufkommen an aktuellen Großprojekten ist damit auch Anlass für vielfältige Proteste gegen diese Vorhaben. In ihrem Kontext bestehen bereits seit Längerem Initiativen, die gegen Stromtrassen, Windkraftanlagen und Solarfelder protestieren und versuchen, auf die Planung und Durchführung von Projekten Einfluss zu nehmen. Diese Proteste sind jedoch bisher, wenn überhaupt, lediglich aus der Perspektive der AktivistInnen beschrieben worden – so auch in der Gesellschaftsstudie „Die neue Macht der Bürger“8 des Göttinger Instituts für Demokratieforschung. In dem Forschungsprojekt „Bürgerproteste in Zeiten der Energiewende“9 haben wir desre Energien: Akzeptanz und Bürgerbeteiligung für Erneuerbare Energien. Studien aus der Akzeptanz- und Partizipationsforschung, in: Renews Spezial. Hintergrundinformation der Agentur für Erneuerbare Energien, H. 60/2012. Andere Studien kommen zu geringeren Zustimmungswerten, wie z. B. die Naturbewusstseinsstudie mit einer Befürwortung der Energiewende in Höhe von 61 Prozent. Diese u. a. vom Sinus-Institut durchgeführte Studie verweist auch auf die starke Abweichung zwischen verschiedenen Milieus; vgl. BMUB/BfN: Naturbewusstsein 2015. Bevölkerungsumfrage zu Natur und biologischer Vielfalt, Berlin 2016, URL: https://www.bfn.de/fileadmin/ BfN/gesellschaft/Dokumente/Naturbewusstsein-2015_barrierefrei.pdf [eingesehen am 22.10.2016], S. 13. 7

Vgl. Böschen, Stefan/Klein, Ansgar: Technik und Protest – zum Wandel von Formen und Medien der Partizipation, in: Forschungsjournal Soziale Bewegungen, Jg. 27 (2014), H. 4, S. 3–7.

8

Walter, Franz/Marg, Stine/Geiges, Lars/Butzlaff, Felix (Hrsg.): Die neue Macht der Bürger. Was motiviert die Protestbewegungen?, Reinbek bei Hamburg 2013. Weiterhin sei an dieser Stelle auf das Projekt „Energiekonflikte“ verwiesen; vgl. ProjektWebsite, URL: http://www.energiekonflikte.de/ [eingesehen am 24.10.2016]; siehe auch Reusswig, Fritz et al.: Against the wind. Local opposition to the German ‚Energiewende‘, in: Utilities Policy, Jg. 40 (2016), S. 214–227.

9

Das Projekt „Bürgerproteste in Zeiten der Energiewende“ wurde 2013–2016 durch das niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur gefördert.

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halb den gesamten Konflikt in den Blick genommen: Nicht nur die Protestierenden sind untersucht und interviewt worden, sondern auch die Unternehmen sowie die beteiligten Verwaltungen und PolitikerInnen. Dabei steht auch die Frage nach den Folgen und Auswirkungen des Protests im Zentrum: Zwar existiert relativ zweifelsfrei eine große Protestbereitschaft; aber gleichzeitig ist noch recht unklar, welche Folgen sie tatsächlich für die jeweiligen Projekte und alle beteiligten AkteurInnen haben könnte. Auch die Frage, wie sich die Handlungsweisen von protestierender und durchführender Seite auf den Konfliktverlauf auswirken, hat uns zu dieser Verbreiterung der Perspektive bewegt.

1.1 E RKENNTNISINTERESSE

UND

F ORSCHUNGSFRAGEN

Die Planung großer Infrastrukturprojekte ruft zumeist eine Vielzahl von Gruppen, Institutionen und wirtschaftlichen AkteurInnen auf den Plan, die unterschiedliche Rollen spielen. Nicht selten erwächst aus einem spezifischen Vorhaben ein polarisierter Konflikt: Es gibt BefürworterInnen und GegnerInnen, die unter Einbeziehung einer interessierten Öffentlichkeit jeweils versuchen, für ihre Position Stimmung zu machen und die gegnerische Haltung zu delegitimieren. Leicht zu erkennen sind dabei vor allem die Protestierenden, die mit einer Vielzahl öffentlichkeitswirksamer Aktionen häufig für eine hohe Sichtbarkeit ihrer Position sorgen. Dabei umfasst ihr Repertoire neben klassischen Aktionsformen wie Unterschriftenaktionen oder Demonstrationen auch andere Mittel und Methoden: So können sie bspw. durch Klagen und massenhafte Einsprüche die öffentlichen Verfahren verlangsamen oder versuchen, inhaltlich auf Parteien und Politiker einzuwirken. Die gute Sichtbarkeit dieser Gruppe erweckt mitunter den Eindruck, als sei sie die prägende und zugleich bestimmende Kraft im Konflikt. Viele Beobachter schreiben starken Protesten daher quasi automatisch eine wichtige und zentrale Rolle in Auseinandersetzungen um Großprojekte zu. Diese Annahme ist sicherlich nicht falsch; jedoch verstellt dieser Fokus oftmals den Blick auf andere AkteurInnen, die ebenfalls entscheidend auf die Entstehung eines Konflikts und dessen Verlauf einwirken. Auf der Hand liegt die Bedeutung von Politik und Verwaltung, die u. a. den rechtlichen Rahmen setzen und den konkreten verfahrensgemäßen Ablauf festlegen; eine zentrale Rolle spielen aber auch die mit der jeweiligen Projektdurchführung betrauten Unternehmen. In diesem Forschungsvorhaben wurden nicht nur die Proteste gegen Infrastrukturprojekte untersucht, sondern auch die Perspektive auf die Konflikte als

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Ganzes erweitert. Dies bedeutet – erstens –, dass wir die AdressatInnen der Proteste in die Betrachtung aufgenommen haben. Denn die Art und Weise, wie sich ein Konflikt entwickelt, hängt nicht nur von den Protestierenden selbst ab; vielmehr entsteht aus dem Zusammen- und Wechselspiel zwischen den Protestgruppen, staatlichen Verwaltungsstellen, BürgermeisterInnen, lokalen Parlamenten, Parteien auf Landes- und Bundesebene und durchführenden Unternehmen eine besondere und komplexe Dynamik, mit der sich Konflikte entwickeln. Die Reaktionen der ProtestadressatInnen zu untersuchen, birgt also enorme Erklärungskraft für die Frage, warum sich ein Konflikt in einer bestimmten Weise entwickelt. Die Bandbreite von Reaktionen auf Protest ist groß: Sie reicht von schlichter Ignoranz über Skepsis und vorsichtige Distanz bis hin zu prinzipieller oder sogar aktiver Zustimmung, kann aber auch Kritik oder sogar offene Feindschaft umfassen. Zugleich entstehen aus den Reaktionen wieder neue Impulse für die Protestbewegungen. Je nachdem, ob ihnen Zustimmung oder Ablehnung entgegenschlägt, werden sie ihr eigenes Handeln verändern, Koalitionen zu festigen, Unentschlossene zu überzeugen, GegnerInnen zu bekämpfen versuchen. Die Entwicklung eines Konflikts ist also der zweite zentrale Bestandteil unseres Erkenntnisinteresses. Schließlich spielt neben den direkt in den Konflikt involvierten AkteurInnen eine weitere Gruppe Menschen eine wichtige Rolle: Drittens sollen auch diejenigen Menschen in den Blick genommen werden, die sich gerade nicht aktiv innerhalb des Konflikts positionieren und engagieren. In den Auseinandersetzungen stellen sie sowohl für die Protestierenden als auch für die ProtestadressatInnen zumeist eine wichtige Bezugsgröße dar. Die Einbeziehung dieser Gruppe relativiert unter Umständen allzu allgemeine Erklärungen für die Gründe des Protests und ermöglicht eine Einordnung der Proteste innerhalb der lokalen Gesellschaft. Anhand der folgenden drei zentralen Fragestellungen haben wir die einzelnen Konflikte untersucht, um sie in ihrer Gesamtheit und Komplexität zu analysieren: a) Wie gehen die AdressatInnen von Protest (also die unterschiedlichen politisch-administrativen Ebenen und die durchführenden Unternehmen) mit Protesten bzw. zunehmenden Partizipationsforderungen um? b) Welche Dynamiken des Protests entstehen aus den Reaktionen? Welche Rückkopplungseffekte auf die Protestseite sind erkennbar? c) Wie werden der Konflikt und die Protestdynamiken zwischen den AkteurInnen von der betroffenen, aber nicht-aktiven Bevölkerung wahrgenommen?

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Das hinter der vorliegenden Studie stehende Forschungsprojekt beschäftigt sich mit drei unterschiedlichen Feldern des Protests im Kontext der Energiewende: Proteste gegen den Ausbau von Stromtrassen, Proteste gegen Windkraft und Proteste gegen Fracking. Der Vergleich zwischen diesen Konfliktfeldern erlaubt, über die Einzelfälle hinausgehende, generalisierende Aussagen über Konflikte und Proteste im Rahmen der Energiewende zu treffen. Die Auswahl der Felder folgte unterschiedlichen Kriterien, die im Folgenden kurz dargelegt werden. Entscheidend war zunächst, dass innerhalb dieser drei Felder ein jeweils weithin beachteter, zum Zeitpunkt der Auswahl wohl gar der lebhafteste Protest stattfand. Alle Felder sind hoch umstritten und werden auf bundesweiter Ebene diskutiert, weisen aber zugleich eine lokale Verankerung auf und bieten dadurch die Möglichkeit, sich einem kontroversen Thema von überregionaler Bedeutung im Kleinen, an einem konkreten Fallbeispiel zu nähern. In allen Fällen geht es um Infrastrukturprojekte, die im Rahmen der Energiewende begonnen, durchgeführt oder zumindest von der einen oder anderen Seite in diesen Kontext gerückt worden sind. Beim Netzausbau und beim Ausbau von Windkraftenergie handelt es sich um zwei zentrale Säulen der Energiewende, wie sie sich die Bundesregierung zum Ziel gesetzt hat. Beim Streit um die Einführung der Gasförderungsmethode Fracking ist die Verbindung zur Energiewende auf den ersten Blick weniger eindeutig – handelt es sich doch bei der Erdgasförderung nicht um eine regenerative Energiequelle. Dennoch wird Fracking bzw. der Protest dagegen immer wieder in Verbindung mit der Energiewende gebracht: BefürworterInnen argumentieren mit der Notwendigkeit fossiler Brückentechnologien, die essenziell für die Sicherstellung der Netzsicherheit seien. Dabei sei Gas im Vergleich zur Braunkohle die umweltfreundlichere Alternative. In dieser Lesart wird also die Bedeutung der Energiewende für den Ausstieg aus der Atomkraft betont, für den zumindest mittelfristig auch ein Ausbau fossiler Brennstoffe notwendig sei. Auch die GegnerInnen von Fracking beziehen sich in ihrer Argumentation zum Teil auf die Energiewende – nur, dass sie mit diesem Schlagwort vor allem den kompletten Umstieg auf erneuerbare Energien betonen. Fracking sei demnach nicht nur eine generelle Gefahrenquelle für Mensch und Umwelt, sondern auch eine rückwärtsgewandte Technologie, die eine konsequent regenerative Gestaltung der Energiewende hinauszögere. Hier ist bereits erkennbar, dass die konkreten Konflikte um diese Infrastrukturprojekte immer auch ein Ringen um die vermeintlich „richtige“ Umsetzung der Energiewende darstellen; denn auch beim Ausbau der Stromnetze und der Windenergie finden sich stets KritikerInnen, die deren Nutzen für eine „echte“ oder „wahre“ Energiewende bezweifeln.

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Mit den unterschiedlichen Konfliktfeldern sollten zudem möglichst verschiedene Motive und Argumentationsmuster der Protestierenden abgebildet werden. So vermuteten wir, im Feld des Frackings auf eine klassische Umweltschutzargumentation zu stoßen, während wir bei Protesten gegen Windkraft andere Argumentationsmuster und möglicherweise sogar die Infragestellung der gesamten Energiewende erwarteten. Tatsächlich zeigte sich aber, dass auch diejenigen Protestierenden, die sich eindeutig gegen die Flaggschiffe der Energiewende richteten, zumindest rhetorisch keineswegs das gesamte Projekt der Energiewende kritisierten. Im Gegenteil stellten sich alle Gruppen als VerteidigerInnen der Energiewende dar. Die Untersuchung unterschiedlicher Felder ist schließlich aber auch deshalb unerlässlich, um sich nicht durch Fallbesonderheiten und Spezifika zu falschen generalisierenden Aussagen über die Dynamiken in Infrastrukturprotesten verleiten zu lassen. Die Fragen, welche Auswirkungen Protest auf die einzelnen Projekte hat und wie die AkteurInnen mit den Protesten umgehen, weisen in diesem Kontext über den Einzelfall hinaus. Implizit und mitunter auch explizit wird bei jedem Protest gegen einzelne Projekte der Energiewende immer auch die aktuelle staatliche Konzeption der Energiewende insgesamt diskutiert und letztlich auch die Frage, wie die Gesellschaft überhaupt zu solch umfassenden Entscheidungen kommt und kommen sollte. Ziel der Untersuchung ist, sich letztlich von den untersuchten Einzelfällen zu lösen und allgemeine Aussagen über die Dynamiken zwischen Bürgerprotesten, staatlichen AkteurInnen und Unternehmen treffen zu können.

1.2 F ORSCHUNGSSTAND UND F ORSCHUNGSLÜCKE Obwohl die Forschung zu sozialen Bewegungen und Protesten auch in Deutschland mittlerweile auf eine gewisse Tradition zurückblicken kann und sich mit einer Vielzahl wichtiger Aspekte von Protesten beschäftigt hat, weist sie in Bezug auf die oben skizzierten Fragen doch einige Leerstellen auf. Die vorliegenden Ausführungen sollen dazu beitragen, diese Forschungslücken zu verkleinern. Für die Analyse von Protest in Form sozialer Bewegungen steht ein großes Repertoire an theoretischen Zugängen und sozialwissenschaftlichen Methoden bereit.10 Dabei sind vor allem die Entstehung von Protestbewegungen und ihr

10 Vgl. Hellmann, Kai-Uwe/Koopmans, Ruud: Paradigmen der Bewegungsforschung. Entstehung und Entwicklung von neuen sozialen Bewegungen und Rechtsextremis-

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Fortdauern über den ursprünglichen Protestanlass hinaus gut konzeptualisiert.11 Die deutungsstärksten Erklärungen, weshalb Protestbewegungen entstehen, sind der Ressourcen-Mobilisierungs-Ansatz12 und die Theorie politischer Gelegenheitsstrukturen.13 Stärker auf der Meso- oder Mikroebene verortet, gibt es zudem eine Reihe von Ansätzen, die sich mit der Verstetigung von sozialen Bewegungen beschäftigen.14 All diese Zugänge verbindet, dass sie überwiegend die Entstehung bzw. das Fortbestehen sozialer Bewegungen erklären wollen und sich deshalb mehr oder weniger auf die Bewegungen und ihre AnhängerInnen konzentrieren. Dieser Fokus der Protest- und Bewegungsforschung hat dazu geführt, dass deutlich wenimus, Wiesbaden 1998; Della Porta, Donatella/Diani, Mario: Social Movements. An Introduction, Oxford/Malden (MA) 2007; Snow, David/Soule, Sarah/Kriesi, Hanspeter (Hrsg.): The Blackwell Companion to Social Movements, Oxford/Malden (MA) 2004; Teune, Simon: „Gibt es so etwas überhaupt noch?“ Forschung zu Protest und sozialen Bewegungen, in: Politische Vierteljahresschrift, Jg. 49 (2008), H. 3, S. 528– 547; Rucht, Dieter: Zum Stand der Forschung zu sozialen Bewegungen, in: Forschungsjournal Soziale Bewegungen, Jg. 24 (2011), H. 3, S. 20–47 und Haunss, Sebastian/Ullrich, Peter: Viel Bewegung – wenig Forschung. Zu- und Gegenstand von sozialwissenschaftlicher Protest- und Bewegungsforschung in der Bundesrepublik, in: Soziologie, Jg. 42 (2013), H. 3, S. 290–304. 11 Vgl. exemplarisch Haunss, Sebastian: Identität in Bewegung. Prozesse kollektiver Identität bei den Autonomen und in der Schwulenbewegung, Wiesbaden 2004. 12 Vgl. Kitschelt, Herbert: Resource Mobilization Theory: A Critique, in: Rucht, Dieter (Hrsg.): Research on Social Movements. The state of the art in Western Europe and the USA, Frankfurt a. M. 1991, S. 323–354. 13 Vgl. McAdam, Doug/Tarrow, Sidney/Tilly, Charles: Dynamics of contention, Cambridge 2001; Tilly, Charles/Tarrow, Sidney G.: Contentious politics, Oxford 2015. 14 Vgl. zu unterschiedlichen Ansätzen auf Diskurs- und AktivistInnenebene Benford, Robert/Snow, David: Framing Processes and Social Movements: An Overview and Assessment, in: Annual Review of Sociology, Jg. 26 (2000), H. 1, S. 611–639; Polletta, Francesca: „It was like a Fever …“. Narrative and Identity in Social Protest, in: Social Problems. The journal of the Society for the Study of Social Problems, Jg. 45 (1998), H. 2, S. 137–159; Fine, Gary Alan: Public Narration and Group Culture: Discerning Discourse in Social Movements, in: Johnston, Hank/Klandermans, Bert (Hrsg.): Social Movements and Culture, London 1995, S. 127–143; Melucci, Alberto: Challenging codes. Collective action in the information age, Cambridge 1996; Melucci, Alberto: Nomads of the present. Social movements and individual needs in contemporary society, London u. a. 1989 und Klandermans, Bert: The Social Psychology of Protest, Oxford 1997.

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ger Literatur zu den Folgen und Auswirkungen von Protest existiert, wodurch wiederum dieses Feld weit weniger theoretisch gesättigt ist. Insgesamt ist die grundlegende Frage, ob Protest und soziale Bewegungen überhaupt eine größere gesellschaftspolitische Relevanz besitzen, sie politische Entscheidungen oder gesellschaftlichen Wandel herbeiführen oder beeinflussen, empirisch immer noch zu wenig erforscht.15 Oftmals konzentriert sich die Literatur ausschließlich auf die Erfolge der Bewegung,16 womit der Fokus auf den intendierten Auswirkungen liegt. Dabei lassen sich in historischen Fallstudien ausreichende Belege für die Annahme finden, dass Proteste und Bewegungen eine Reihe nichtintendierter Folgen zeitigen können, die sogar bis zum genauen Gegenteil des eigentlich Gewollten reichen können.17 Des Weiteren bezieht sich die bestehende Forschung meist auf sehr große und langfristige soziale Bewegungen, wohingegen auf ihrer Grundlage keinerlei Aussagen über die Folgen der gerade im Bereich der öffentlich geplanten Infrastrukturprojekte zwar häufig kleinen und lokalen, jedoch bedeutsamer werdenden Proteste, die nie den Status einer Bewegung erlangen, getroffen werden können. Und eine weitere Leerstelle der Bewegungsforschung besteht in der Ausklammerung derjenigen BürgerInnen, die nicht protestieren.18 Durch die Konzentration auf Proteste wird deren gesamtgesellschaftliche Bedeutung häufig überschätzt und das Begehren als kollektiver Bürgerwillen missverstanden – obwohl sich die Mehrheit nach wie vor nicht an den Protestaktionen beteiligt. 15 Vgl. McAdam, Doug/Schaffer Boudet, Hilary: Putting social movements in their place. Explaining oppositions to energy projects in the United States, 2000–2005, Cambridge 2012, S. 99 f. und vgl. Kolb, Felix: Die politischen Auswirkungen und Erfolge sozialer Bewegungen, in: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen, Jg. 19 (2006), H. 1, S. 12–23. Bezüglich theoretischer Überlegungen zu den Folgen sozialer Bewegungen vgl. Earl, Jennifer: Methods, Movements, and Outcomes: Methodological Difficulties in the Study of Extra-Movement Outcomes, in: Research in Social Movements, Conflicts and Change, H. 22/2000, S. 3–25; Giugni, Marco: Was it worth the Effort? The Outcomes and Consequences of Social Movements, in: Annual Review of Sociology, H. 24/1998, S. 371–393 sowie Giugni, Marco/McAdam, Doug/ Tilly, Charles (Hrsg.): How Social Movements Matter, Minneapolis 1999. 16 Vgl. Kolb: Die politischen Auswirkungen (2006). 17 Vgl. z. B. Deng, Fang: Information Gaps and Unintended Outcomes of Social Movements: The 1989 Chinese Student Movement, in: American Journal of Sociology, Jg. 102 (1997), H. 4, S. 1085–1112; Kriesi, Hanspeter: New social movements in Western Europe. A comparative analysis, London 2003. 18 Vgl. McAdam/Schaffer Boudet: Putting social movements (2012).

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Im Hinblick auf die Auswirkungen von Protest und sozialen Bewegungen unterscheidet die Forschung klassischerweise zwischen drei Wirkungsdimensionen: Erstens gibt es die substanziell politischen Wirkungsdimensionen, die einen Einfluss auf das staatliche Handeln haben – wobei deren Spektrum von der Schaffung öffentlicher Aufmerksamkeit für ein Thema bis hin zur vermeintlichen oder tatsächlichen Umsetzung der Protestziele durch den Staat reicht.19 Zweitens sind die politisch-institutionellen Wirkungsdimensionen zu nennen,20 die eine Veränderung des politischen Institutionengefüges darstellen (erstens z. B. die Modifikation des Verhältnisses zwischen den staatlichen Institutionen und der Protestbewegung, zweitens die Anpassung der internen Strukturen und Regeln staatlicher oder anderer Institutionen an die Herausforderungen durch Protestbewegungen und drittens die grundlegende Veränderung im institutionellen Gefüge eines Staates).21 Auch die Protestierenden selbst verändern sich durch Proteste; mitunter wandelt sich auch die gesamte politische Kultur, womit eine dritte, die politisch-kulturelle Wirkungsdimension, identifiziert ist.22 Diese drei Wirkungsdimensionen des Protests folgen jedoch keinem parallelen chronologischen Prozess. Einschreibungen bestimmter Proteste in die politische Kultur können nur über recht lange Zeiträume hinweg definitiv sichtbar werden. Auch institutionelle Anpassungen dauern meist erheblich länger, während substanzielle Auswirkungen, bspw. die Aufmerksamkeit für ein Thema, mitunter rasch zu verzeichnen und somit zumeist leichter zu untersuchen sind. Auch das vorliegende Projekt hat sich auf diese Dimension konzentriert, da politisch-institutionelle bzw. politisch-kulturelle Auswirkungen nur über eine langfristige Längsschnittstudie zu erfassen wären, die im gegenwärtigen Rahmen jedoch nicht zu leisten war. Soweit allerdings bereits erkennbar, sind Veränderungen im institutionellen Gefüge bzw. bei den Protestierenden selbst ebenfalls beachtet worden. Entscheidend für die Bestimmung von Outcomes sozialer Bewegungen ist aber nicht nur eine Beschreibung möglicher Effekte, sondern die kausale Verknüpfung des Handelns der Bewegung mit den tatsächlichen Veränderungen. Solche Kausalitäten sind äußerst schwierig zu bestimmen; denn es ist kaum möglich, die Auswirkungen aller anderen Faktoren auf eine bestimmte Entscheidung zu erkennen. Unterschiedliche Modelle widmen sich daher der Frage, unter welchen Umständen Bewegungen Einfluss haben. Dem Political Mediation Mo19 Vgl. Roth, Roland/Rucht, Dieter (Hrsg.): Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945. Ein Handbuch, Frankfurt a. M. 2007, hier S. 652. 20 Vgl. Kolb: Die politischen Auswirkungen (2006). 21 Vgl. ebd. 22 Vgl. Roth/Rucht: Die sozialen Bewegungen (2007).

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del23, das im Wesentlichen von Amenta entwickelt worden ist, wird dabei eine hohe Erklärungskraft zugesprochen: Das Modell betont einerseits die Wichtigkeit von Mobilisierungserfolgen und Strategien sowie von Framing, weist aber andererseits auch darauf hin, dass der Einfluss von Bewegungen entscheidend davon abhängt, ob staatliche AkteurInnen und EntscheidungsträgerInnen in der Unterstützung der Forderungen einen Vorteil für sich erkennen. Um weitreichende Effekte zu zeitigen, muss Protest als bedeutsame Störung oder Unterstützung der jeweiligen Ziele der Entscheidungsträger wahrgenommen werden – erst dann wird er eine eindeutige Reaktion provozieren. Wenn man nach den Auswirkungen von Protest fragt und dessen gesamtgesellschaftliche Bedeutung untersuchen will, dann müssen neben der Protestbewegung selbst auch andere, vom Protest betroffene, AkteurInnen in den Blick genommen werden. Der Forschungsfokus muss sowohl auf die nicht aktiv am Protest beteiligte Bevölkerung als auch auf die legislativen, exekutiven, privaten oder zivilgesellschaftlichen AdressatInnen des Protests bzw. auf die anderweitig in das Geschehen involvierten AkteurInnen gelegt werden. Denn erst durch die Analyse der Modulation dieser AkteurInnen, ihres Verhaltens und gegebenenfalls ihrer Lernprozesse können die gesellschaftlichen Auswirkungen der Kontestation verstanden werden. Die Konzentration auf die Protestierenden führt rasch zu einer Verzerrung, im Besonderen zu einer Überschätzung der Bewegung, und lässt weitere relevante Erklärungs- bzw. Bedingungsfaktoren und AkteurInnen unbeachtet.24 Ohne die Einbettung des Protests in eine umfassende Untersuchung des gesamten Konfliktfeldes und prozessualen Konfliktverlaufs werden Veränderungen schnell kausal den Bemühungen der Bewegung zugeschrieben, obwohl sie möglicherweise mit völlig anderen Faktoren zu erklären sind, und werden andersgeartete Reaktionen und Lernprozesse, die der Protest bei weiteren AkteurInnen ausgelöst hat, übersehen. Als Alternative schlagen McAdam und Boudet vor, soziale Bewegungen nur als eine Akteurin unter vielen innerhalb eines großen Konfliktfeldes zu analysieren, um die Bedeutung der Bewegung und des Protests für das Handeln und Lernen anderer gesellschaftlicher AkteurInnen präziser einschätzen zu können. Demnach ist der Staat mit seiner Bürokratie sowie mit seinen konkret beteiligten 23 Siehe Amenta, Edwin/Caren, Neal/Chiarello, Elizabeth/Su, Yang: The Political Consequences of Social Movements, in: Annual Review of Sociology, H. 36 (2010), S. 287–307; Amenta, Edwin/Caren, Neal: The Legislative, Organizational, and Beneficiary Consequences of State-Oriented Challengers, in: Snow, David/Soule, Sarah Anne/Kriesi, Hanspeter (Hrsg.): The Blackwell Companion to Social Movements, Oxford/Malden (MA) 2004, S. 461–488. 24 Vgl. McAdam/Schaffer Boudet: Putting social movements (2012).

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judikativen Instanzen für eine Analyse der aktuellen Proteste gegen staatliche Vorhaben ebenfalls zu untersuchen. Daneben spielen Parteien – ob in Regierungsverantwortung oder Opposition, ob auf lokaler Ebene oder im Bund – eine entscheidende Rolle. Auch Unternehmen als Vorhabenträger sind bei vielen der momentanen Großkonflikte zentrale Akteure, deren Handlungen auf den Verlauf der Konflikte großen Einfluss haben und die daher genauso zu betrachten sind. Desgleichen beeinflussen lokale Medien und Interessenverbände mit ihren Handlungen Konflikte und dürfen daher gleichfalls nicht von der Untersuchung ausgeklammert werden.25 Die beteiligten AkteurInnen müssen in ihrer sich wechselseitig beeinflussenden Handlungsdynamik analysiert werden, um verstehen zu können, wie bestimmte Folgen aus einem solchen politischen Konflikt entstehen. Die Adressaten von Protesten sind in der Forschung noch relativ unterrepräsentiert; hervorzuheben sind neuere quantitative Studien, welche die Wahrnehmung von Protesten und deren Bewertung durch die politische Elite untersucht haben.26 Für Unternehmen argumentieren Luders und King im Sinne des Political Mediation Model, dass Protestadressaten gewillt seien, auf Proteste einzugehen, wenn sie von deren Seite negative ökonomische Effekte befürchteten, bspw. infolge unvorteilhafter Schlagzeilen bzw. allgemeinen Imageverlustes.27 Proteste seien dann erfolgreicher, wenn sie gegen Unternehmen gerichtet seien, die von lokalen Märkten abhingen und im sehr direkten Kontakt mit lokalen Konsumenten stünden.28 Die weitere Forschung zu den Auswirkungen sozialer Bewegungen und Protest auf Unternehmen untersucht überwiegend, inwieweit sich Unternehmen im Zusammenhang mit Protest verändern, ob und wie Konzepte der Corporate Social Responsibility und der Stakeholder-Dialoge in Unternehmen 25 Vgl. ebd., S. 179 ff. 26 Siehe Uba, Katrin: Protest Against School Closures in Sweden. Accepted by Politicians?, in: Bosi, Lorenzo/Giugni, Marco/Uba, Katrin (Hrsg.): The Consequences of Social Movements, Cambridge 2016, S. 159–184; Gilljam, Mikael/Persson, Mikael/ Karlsson, David: Representative’s Attitudes towards Citizen Protest: The Impact of Ideology, Self-interest and Experiences, in: Legislative Studies Quarterly, Jg. 37 (2012), H. 2, S. 251–268; Giugni: Was it worth the effort? (1998). 27 Luders, Joseph: The civil rights movement and the logic of social change, Cambridge (NY) 2010; King, Brayden G.: A Political Mediation Model of Corporate Response to Social Movement Activism, in: Administrative Science Quarterly, Jg. 53 (2008), H. 3, S. 395–421; King, Brayden G.: Reputation, risk and anti-corporate activism. How social movements influence corporate outcomes, in: Bosi, Lorenzo/Giugni, Marco/Uba, Katrin (Hrsg.): The consequences of social movements, Cambridge 2016, S. 215–236. 28 Siehe Luders: The civil rights movement (2010).

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aufgegriffen und umgesetzt werden.29 King unterstreicht, dass bestimmte Interessengruppen wie Bürgerinitiativen erst durch Protest von Managern als Stakeholder wahrgenommen und anerkannt werden und eine Grundlage für zukünftige Einflussnahmen erhalten.30 Betrachtet man die Protestadressaten, trifft sich die Protestforschung mit einer umfassenden Konfliktforschung, die den Blick für Eskalationsdynamiken und Konfliktverläufe schärfen kann.31 In Bezug auf Konflikte um lokale Bauprojekte ist der Einfluss von Bürgerinitiativen noch umstritten. Bomberg und McEwen zeigen einen hohen Einfluss auf planerische Entscheidungen, nehmen aber keine Proteste in den Blick, sondern Initiativen, die sich für die kommunale Energieversorgung einsetzen.32 Haddad beschreibt positive Outcomes lokaler NIMBY-Proteste: Sie verweist auf das hohe technologische, soziale und politische Innovationspotenzial der Protestgrup-

29 Siehe Zald, Mayer N./Berger, Michael A.: Social Movements in Organisations: Coup d’etat, Bureaucratic Insurgency, and Mass Movement, in: American Journal of Sociology, Jg. 83 (1978), S. 823–861; Walker, Edward: Social Movements, Organisations, and Fields: A Decade of Theoretical Integration, in: Contemporary Sociology, Jg. 41 (2012), H. 5, S. 576–587; Soule, Sarah A.: Contention and Corporate Social Responsibility, Cambridge (NY) 2009; Toke, David: Explaining wind power planning outcomes: some findings from a study in England and Wales, in: Energy Policy, Jg. 33 (2005), H. 12, S. 1527–1539 und Hildebrandt, Alexandra/Landhäußer, Werner: CSR und Energiewirtschaft, Berlin/Heidelberg 2016. Zum Begriff Stakeholder siehe Freeman, Edward R./Harrison, Jeffrey S./Wicks, Andrew C.: Stakeholder theory. The state of the art, Cambridge (NY) 2013. 30 King, Brayden G.: A Social Movement Perspective of Stakeholder Collective Action and Influence, in Business & Society, Jg. 47 (2008), H. 1, S. 21–49. 31 Vgl. Collins, Randall: C-Escalation and D-Escalation: A Theory of the TimeDynamics of Conflict, in: American Sociological Review, Jg. 77 (2011), H. 1, S. 1–20 und Saretzki, Thomas: Umwelt- und Technikkonflikte: Theorien, Fragestellungen, Forschungsperspektiven, in: Feindt, Peter H./Saretzki, Thomas (Hrsg.): Umwelt- und Technikkonflikte, Wiesbaden 2010, S. 33–53. 32 Siehe Bomberg, Elizabeth/McEwen, Nicola: Mobilizing community energy, in: Energy Policy, Jg. 51 (2012), S. 435–444. Für den deutschen Kontext sei an dieser Stelle auf die „PROMETHEUS“-Studie verwiesen, die umfassend solche Initiativen und AkteurInnen in den Blick nimmt, die sich für Energiewendeprojekte engagieren; vgl. Walk, Heike/Müller, Melanie/Rucht, Dieter: PROMETHEUS. Menschen in sozialen Transformationen am Beispiel der Energiewende. Eine Literaturstudie im Auftrag der 100 prozent eneuerbar stiftung, Berlin 2015, URL: https://protestinstitut.files. wordpress.com/2016/02/ipb_prometheus-studie.pdf [eingesehen am 15.03.2016].

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pen und betont deren durch die Aneignung von (wissenschaftlichem) Wissen großen Beitrag zu lokalen Diskursen und politischen Entscheidungsprozessen.33 Einige Arbeiten zum Erfolg und Misserfolg von Planungsprozessen um Windräder schreiben lokalen Protestkampagnen34 bzw. der davon als beeinflussbar geltenden öffentlichen Meinung35 große Bedeutung zu – allerdings ohne die konkrete Wirkungsweise zu präzisieren. Aitken et al. stellen zu Protestgruppen gegen Windkraft fest, dass diese zwar Projekte verlangsamen, nicht aber stoppen könnten, ihr Einfluss daher „limited and superficial“36 sei. Ogilivie und Rootes argumentieren in ihrer vergleichenden Studie über Windkraftproteste in England: „Just because the impacts of community mobilisation are often indirect and mediated does not mean that they are insignificant.“37 Ihnen zufolge sei Druck auf gewählte LokalpolitikerInnen für Bürgerinitiativen der zentrale Mechanismus zur Einflussgewinnung. Aus der Forschung zum Bau von Müllverbrennungsanlagen ist bereits bekannt, dass die jeweilige politische Ebene, auf der über die Genehmigung solcher Anlagen entschieden wird, große Bedeutung für die Einflusschancen von lokalem Protest hat. Rootes zeigt zunächst, dass Bürgerinitiativen erfolgreich mobilisieren, wenn sie den Protest als lokale Bedrohungsabwehr und nicht universalistisch framen.38 Gleichzeitig beschränkt dies den möglichen Wirkungsradius des Protests auf den betroffenen Ort. Wenn die Entscheidung über die Genehmigung bei höher angesiedelten Wahlgremien mit einer geografisch sehr großen Wählerbasis liegt, ist lokal fokussierter Widerspruch nicht so effektiv wie gegenüber gewählten Ver-

33 Haddad, Mary Alice: NIMBY is beautiful. How local environmental protests are changing the world, in: Hager, Carol J./Haddad, Mary Alice (Hrsg.): NIMBY is beautiful. Cases of local activism and environmental innovation around the world, New York 2015, S. 200–212, hier S. 206 ff. 34 Siehe Loring, Joyce M.: Wind energy planning in England, Wales and Denmark: Factors influencing project success, in: Energy Policy, Jg. 35 (2007), S. 2648–2660. 35 Siehe Toke: Explaining wind power planning outcomes (2005). 36 Aitken, Mhairi/McDonald, Seonaidh/Strachan, Peter A.: Locating ‚power‘ in wind power planning processes: the (not so) influential role of local objectors, in: Journal of environmental planning and management, Jg. 51 (2008), S. 777–800, hier S. 778. 37 Ogilvie, Matthew/Rootes, Christopher: The impact of local campaigns against wind energy developments, in: Environmental Politics, Jg. 24 (2015), S.874–893, hier S. 889. 38 Siehe Rootes, Christopher: Explaining the outcomes of campaigns against waste incinerators in England: community ecology, political opportunity, policy context, in: Research in Urban Policy, Jg. 10 (2006), S. 183–203, hier S. 191.

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treterInnen der niedrigeren lokalen Ebenen.39 Lokale Proteste gegen Entscheidungen auf höheren Ebenen haben Erfolg, wenn sie nationale Bedeutung erlangen. Dieser scale shift kann ihnen vor allem durch Vernetzung und Anknüpfung an andere gesamtgesellschaftlich virulente Themen gelingen.40 Zur Beantwortung der aufgeworfenen Forschungsfragen haben wir Inspektionen in drei unterschiedliche Konfliktfelder der Energiewende unternommen; im Folgenden wird der jeweilige Forschungsstand dargelegt. 1.2.1 Stromtrassen und Protest Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Konflikten um den Bau von Stromtrassen in Deutschland hat bislang vor allem als Akzeptanzforschung und Evaluation der eingesetzten Beteiligungsverfahren in konkreten Einzelfällen stattgefunden. So existiert über die Thüringer Strombrücke eine Studie, die mit qualitativen Methoden die Beteiligungs- und Entscheidungsprozesse untersucht und herauszuarbeiten versucht hat, welche dieser Instrumente in der Bevölkerung zu höherer Akzeptanz führen.41 Eine ForscherInnengruppe um Petra Schweizer-Ries hat in einer umweltpsychologischen Untersuchung anhand von zwei Gemeinden entlang der Wahle-Mecklar-Leitung, die durch Niedersachsen und Nordhessen verläuft, den Akzeptanzbildungsprozess in der Bevölkerung analysiert:42 Bei der Uckermarkleitung existiert eine Studie über die Konfliktkonstellation, die zur Verbesserung von Planungsverfahren dienen soll.43 39 Rootes, Christopher: More acted upon than acting? Campaigns against waste incinerators in England, in: Environmental Politics, Jg. 18 (2009), H. 6, S. 869–895, hier S. 881. 40 Rootes, Christopher: From local conflict to national issue: when and how environmental campaigns succeed in transcending the local, in: Environmental Politics, Jg. 22 (2013), H. 1, S. 95–114. 41 Siehe Schnelle, Kerstin/Voigt, Matthias: Energiewende und Bürgerbeteiligung: Öffentliche Akzeptanz von Infrastrukturprojekten am Beispiel der „Thüringer Strombrücke“, 2012, URL: http://www.boellthueringen.de/sites/default/files/energiewende_ und_burgerbeteiligung.pdf [eingesehen am 22.02.2016]. 42 Siehe Schweizer-Ries, Petra: Abschlussbericht „Umweltpsychologische Untersuchung der Akzeptanz von Maßnahmen zur Netzintegration Erneuerbarer Energien in der Region WahleMeckar (Niedersachsen und Hessen)“, 2010, URL: http:// www.fg-umwelt.de/assets/files/Akzeptanz%20Netzausbau/Abschlussbericht_Akzep tanz_Netzausbau_Juni2010.pdf [eingesehen am 23.02.2016]. 43 Vgl. Zimmer, René/Kloke, Sarah/Gaedtke, Max: Der Streit um die Uckermarkleitung – Eine Diskursanalyse. Studie im Rahmen des Ufu-Schwerpunktes „Erneuerbare Energien im Konflikt“, UfUPapier, H. 3/2013.

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Neben diesen Einzelfallstudien liegen auch Arbeiten vor, die sich über mehrere Fälle hinweg mit dem Thema auseinandersetzen. Besonders relevant ist eine fallübergreifende Studie44 von Mario Neukirch, der die ProtestakteurInnen im Zusammenhang mit Planung und Bau von Stromtrassen typologisiert. Er weist dabei auf wesentliche Unterschiede in deren Motiven hin. So systematisiert Neukirch seinen Vergleich der verschiedenen Proteste anhand folgender Kriterien: Handlungsressourcen und -orientierung der Protestierenden sowie Ausbreitung, Grad der Radikalität und Homogenität der Proteste. Auch ein Forschungsteam des Instituts für Demokratieforschung um Stine Marg hat sich in einem Beitrag45 in der Studie „Die Neue Macht der Bürger. Was motiviert die Protestbewegungen?“ u. a. mit den Protesten gegen Stromtrassen befasst. Auf der Grundlage von Einzel- und Gruppeninterviews mit AktivistInnen gehen die ForscherInnen darin der Frage nach, wer sich engagiert, was diese AktivistInnen motiviert und wie sich der Protest organisiert. Diese Studien liefern vor allem grundlegende Erkenntnisse über die Motive der Protestierenden. Auslöser für das Engagement gegen den Stromtrassenbau ist demnach in erster Linie die direkte Betroffenheit durch den Bau der Trasse in unmittelbarer Nachbarschaft. Die Wahrscheinlichkeit, sich dem Protest anzuschließen, steigt mit der Nähe zu dem Bauvorhaben. BürgerInnen, die nicht direkt betroffen sind, können sich zudem durch ihre Verbundenheit mit der Landschaftskonstellation, mit der dortigen schützenswerten Natur oder mit ihrer „Heimat“, durch welche die Stromtrassen laufen sollen, beeinträchtigt fühlen und ebenfalls zum Widerstand gegen das Vorhaben aufrufen.46 Bedeutsam für die Frage, ob Protest entsteht oder nicht, kann aber auch die „regionale Biographie“47 einer Region sein. So entsteht Protest eher, wenn es in der Region in der Vergangenheit Protest gegeben hat. Mehrere gleichzeitige Bauvorhaben können das Gefühl auslösen, als Region besonders betroffen und überlastet zu sein.48 Andersherum kann insbesondere eine Region, in der bereits 44 Siehe Neukirch, Mario: Konflikte um den Ausbau der Stromnetze. Status und Entwicklung heterogener Protestkonstellationen. Stuttgarter Beiträge zur Organisationsund Innovationsforschung, in: SOI Discussion Paper, H. 1/2014. 45 Siehe Marg, Stine/Hermann, Christoph/Hambauer, Verena/Becké, Ana Belle: „Wenn man was für die Natur machen will, stellt man da keine Masten hin“. Bürgerproteste gegen Bauprojekte im Zuge der Energiewende, in: Walter, Franz/Marg, Stine/Geiges, Lars/Butzlaff, Felix (Hrsg.): Die Neue Macht der Bürger, Was motiviert die Protestbewegungen?, Reinbek bei Hamburg 2013, S. 94–138. 46 Vgl. ebd., S. 106. 47 Schweizer-Ries: Abschlussbericht (2010), S. 19. 48 Vgl. ebd.

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Strommasten stehen, den Neubau von Strommasten auch als unproblematisch betrachten. Neben der Betroffenheit ist die Wahrnehmung, im Planungsprozess übergangen zu werden, ein weiterer Faktor, der die Protestneigung stärkt und der bei Stromtrassenplanungen aufgrund deren formaler Struktur besonders häufig auftritt. Die von den Unternehmen angebotenen Maßnahmen zur Beteiligung und Information der BürgerInnen können die Akzeptanz nicht steigern. Vielmehr sehen und kritisieren die Bürgerinitiativen ein starkes Ungleichgewicht der Kräfte; gegenüber Unternehmen und Politik fühlen sie sich machtlos49 und charakterisieren solche Verfahren oft als unfair.50 Da Unternehmen nur nach Gewinnmaximierung strebten, seien die Angebote zur Beteiligung zudem nicht ernst gemeint.51 Verstärkt wird diese Wahrnehmung durch die lokalen Medien, die zur Beschreibung des Konflikts immer wieder auf das Bild vom Kampf „David gegen Goliath“ zurückgreifen.52 Ein weiteres wichtiges Motiv der gegen die Stromtrassen Engagierten ist die Angst vor den gesundheitlichen Folgen. Hierbei geht es um das Risiko von Erkrankungen, die in Folge einer erhöhten elektromagnetischen Strahlung auftreten können. Da wissenschaftliche Erkenntnisse zu dieser Frage noch nicht für eine endgültige Bewertung ausreichen, greifen die Protestierenden vermehrt auf eigene Erfahrungen und subjektive Eindrücke zurück.53 Neben Einsichten in die Motive der Bürgerinitiativen finden sich in bisherigen Studien vor allem Aussagen über ihre Rolle und Funktionsweise. Im Konflikt um Stromtrassen stellen sich die Bürgerinitiativen als typische Vertreter ihrer Art dar. Sie versuchen vor allem, Aufmerksamkeit für das Thema in der Öffentlichkeit zu schaffen und weitere MitstreiterInnen zu sammeln.54 Auch für die Medien sind die Bürgerinitiativen eine wichtige Bezugsgröße:55 Durch ihre Berichterstattung wird die lokale Initiative zu einem zentralen Akteur vor Ort.56 Die Bürgerinitiativen avancieren zudem zur kommunikativen „Schnittstelle“57 zwischen den AnwohnerInnen und den Projektverantwortlichen: Sie kontaktieren 49 Vgl. Zimmer et al.: Streit um die Uckermarkleitung (2013), S. 41. 50 Vgl. Schnelle/Voigt: Energiewende und Bürgerbeteiligung (2012), S. 32; SchweizerRies: Abschlussbericht (2010), S. 24. 51 Vgl. Schweizer-Ries: Abschlussbericht (2010), S. 25. 52 Vgl. Zimmer et al.: Streit um die Uckermarkleitung (2013). 53 Vgl. Schweizer-Ries: Abschlussbericht (2010), S. 15. 54 Vgl. Schnelle/Voigt: Energiewende und Bürgerbeteiligung (2012), S. 14 f.; Marg et al.: Bürgerproteste (2013), S. 115. 55 Vgl. Marg et al.: Bürgerproteste (2013), S. 117. 56 Vgl. Zimmer et al.: Streit um die Uckermarkleitung (2013), S. 27. 57 Schweizer-Ries: Abschlussbericht (2010), S. 24.

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zuständige Personen und Institutionen – von kommunalen, Landes- und BundespolitikerInnen aller Parteien58 über die Genehmigungsbehörden bis hin zu den verantwortlichen Unternehmen.59 Eine weitere Erkenntnis lautet, dass die Bürgerinitiativen gegen den Bau von Stromtrassen in den KommunalpolitikerInnen und BürgermeisterInnen zumeist keine GegnerInnen, sondern Verbündete sehen. In allen von den Studien in den Blick genommenen Beispielen arbeiten die protestierenden AnwohnerInnen mit der Kommunalpolitik zusammen. Anders als den staatlichen und privatwirtschaftlichen AkteurInnen (u. U. auch hier mit Ausnahme der kommunalen PolitikerInnen) bringen die AnwohnerInnen den Bürgerinitiativen insgesamt ein hohes Maß an Vertrauen entgegen.60 Gänzlich unbeachtet sind bis dato diejenigen BewohnerInnen eines geplanten Trassenabschnittes geblieben, die sich nicht in die Proteste einbringen. Lediglich die von Schweizer-Ries durchgeführte Erhebung bezog auch diese Personen zumindest im Ansatz ein, da die Befragung unabhängig vom Aktivitätsgrad der einzelnen Personen durchgeführt wurde. Aber auch hier ist weitgehend offengeblieben, warum sich einige Betroffene engagieren und andere nicht. 1.2.2 Windenergie und Protest Die (geplante) Errichtung von Windkraftanlagen führt häufig zu Konflikten. Das Konfliktpotenzial dieses Themas wurde bereits Ende der 1990er Jahre nach bzw. während der Phase des Durchbruchs der Windkraft als zukunftsträchtige Energiequelle analysiert.61 Der Sammelband von Alt et al. bezieht politisch dezidiert Stellung für erneuerbare Energien im Allgemeinen und für Windkraft im Besonderen. Die Autoren versuchen, Gegenargumente zu entkräften, und stellen „[d]em windigen Protest […] das Plädoyer für die Windkraft entgegen […]. Damit uns der Wind nicht verweht und die Zukunft nicht blockiert wird.“62 In den letzten Jahren hat es vermehrt empirische – weniger stark politisch motivierte als jene von Alt, Claus und Scheer – Studien gegeben, die aus dem Ausbau der Windkraftgewinnung resultierende Konflikte in den Blick nehmen. Während die erste Gesellschaftsstudie des Göttinger Instituts für Demokratiefor-

58 Vgl. Zimmer et al.: Streit um die Uckermarkleitung (2013), S. 23. 59 Vgl. Schnelle/Voigt: Energiewende und Bürgerbeteiligung (2012), S. 14. 60 Vgl. Schweizer-Ries: Abschlussbericht (2010), S. 24. 61 Vgl. Alt, Franz/Claus, Jürgen/Scheer, Hermann (Hrsg.): Windiger Protest. Konflikte um das Zukunftspotential der Windkraft, Bochum 1998, S. 9. 62 Ebd.

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schung63 Aufschluss über Motivation, Organisation und Demokratieverständnis von WindkraftgegnerInnen gibt, typologisieren andere Studien auf Grundlage der Überlegungen von Saretzki64 verschiedene Konfliktarten, die beim Ausbau von Windenergie eine Rolle spielen. So identifizieren Ohlhorst und Schön im Prozess der Windenergieentwicklung idealtypisch drei unterschiedliche Konfliktvarianten: erstens Technik- und Strategiekonflikte; zweitens Interessen- und Machtkonflikte und drittens Zielkonflikte, etwa der innerökologische Zielkonflikt zwischen Klimaschutz und lokalem Natur- und Landschaftsschutz.65 Becker et al. beschreiben, ebenfalls idealtypisch, fünf verschiedene Konflikttypen, die sich teilweise mit jenen von Ohlhorst und Schön überschneiden, aber dennoch andere Schwerpunkte setzen. So gebe es in Bezug auf Projekte, die mit der Energiewende im Zusammenhang stehen, Verteilungskonflikte, Verfahrenskonflikte, Standort- bzw. Landnutzungskonflikte, Identitätskonflikte sowie Energieträger- bzw. technologische Konflikte.66 Am Beispiel der (damals lediglich geplanten) Offshore-Windparks in Nordund Ostsee untersuchen Byzio et al. Konfliktformen und -dynamiken67 sowie verschiedene Akteurskonstellationen.68 Zudem diskutieren die Autoren an diesem Beispiel den innerökologischen Zielkonflikt zwischen Natur- und Klimaschutz, der ihrer Ansicht nach hier eine noch größere Rolle spielt als bei Onshore-Anlagen.69 Demnach geraten vor allem die Umweltverbände in ein Dilemma, da sie einerseits die Energiewende und damit den Ausbau erneuerbarer Energieformen befürworten, dies aber andererseits wiederum Auswirkungen auf die Na63 Siehe Marg et al.: Bürgerproteste (2013). 64 Siehe Saretzki: Umwelt- und Technikkonflikte (2010). 65 Siehe Ohlhorst, Dörte/Schön, Susanne: Windenergienutzung in Deutschland im dynamischen Wandel von Konfliktkonstellationen und Konflikttypen, in: Feindt, Peter Henning/Saretzki, Thomas (Hrsg.): Umwelt- und Technikkonflikte, Wiesbaden 2010, S. 198–218, hier S. 201. 66 Siehe Becker, Sören/Bues, Andrea/Naumann, Matthias: Die Analyse lokaler energiepolitischer Konflikte und das Entstehen neuer Organisationsformen. Theoretische Zugänge und aktuelle Herausforderungen. EnerLOG Working Paper. Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung/Local Governments for Sustainability/ Zukunftsagentur Brandenburg, Erkner/Freiburg/Potsdam 2014, URL: https://www. zab-energie.de/de/system/files/media-downloads/EnerLOG%20Working%20Paper% 201-7941.pdf [eingesehen am 08.11.2016], S. 19 f. 67 Siehe Byzio, Andreas/Mautz, Rüdiger/Rosenbaum, Wolf: Energiewende in schwerer See? Konflikte um die Offshore-Windkraftnutzung, München 2005, S. 81 ff. 68 Siehe ebd., S. 91 ff. 69 Siehe ebd., S. 108 ff.

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tur und sensible Lebensräume von Tieren und Pflanzen haben kann.70 Dieses Dilemma führt innerhalb von Organisationen oftmals zu Spannungen, was auch in einem unserer Fallbeispiele deutlich geworden ist: So trat der BUND-Landesvorsitzende von Rheinland-Pfalz im Dezember 2014 zurück, weil er den weiteren Ausbau von Windkraftanlagen, vor allem in Wäldern, ablehnte, die Vorstandsmehrheit des BUND Rheinland-Pfalz Windkraft jedoch weiterhin befürwortete und teilweise selbst in Windkraftverbänden aktiv war.71 Zur Interpretation von Windkraftkonflikten entwickeln Zografos und Martínez-Alier einen Erklärungsansatz aus der politischen Ökologie und zeigen, dass NIMBY72-Argumente hier im Vergleich zur Kritik an Eigentumsfragen – so gilt etwa: „who owns the land, who owns the wind“73 – und Entscheidungsverfahren als untergeordnet betrachtet werden können. Jegen und Audet stellen in ihrer auf dem Konzept des Advocacy Coalition Framework fußenden Fallstudie über die Akzeptanz von Windkraft in der Provinz Quebec einen Zusammenhang her zwischen den gewählten sozioökonomischen Entwicklungspfaden der Region und deren Auswirkung auf die Akzeptanz der Bevölkerung.74 Hübner und Pohl diskutieren in ihrer umweltpsychologischen Vergleichsstudie ebenfalls Akzeptanzfaktoren: Demnach hängt die Akzeptanz von Windkraftanlagen weniger vom

70 Siehe auch Scheer, Hermann: Windiger Protest, in: Alt, Franz/Claus, Jürgen/Scheer, Hermann (Hrsg.): Windiger Protest. Konflikte um das Zukunftspotential der Windkraft, Bochum 1998, S. 11–32, hier S. 25 f. 71 Siehe Boch, Volker: Nach Rücktritt: Wie unabhängig ist der Umweltverband BUND?, in: Rhein-Hunsrück-Zeitung, 11.12.2014, URL: http://www.rhein-zeitung. de/region_artikel,-Nach-Ruecktritt-Wie-unabhaengig-ist-der-Umweltverband-BUND_arid,1245913.html [eingesehen am 22.02.2016]. Mittlerweile hat der ehemalige Vorsitzende Harry Neumann den neuen Umweltschutzverein „Naturschutzinitiative“ mitgegründet; vgl. o. V.: Wenn die Energiewende spaltet, in: Die Tageszeitung, 15.02.2016, URL: http://taz.de/NeuerUmweltschutzverein-gegruendet/!5274323/ [eingesehen am 22.02.2016]. 72 Das Akronym NIMBY steht für „Not in my backyard“ und bezieht sich auf eine Haltung, wonach man zwar Großprojekte o. Ä. grundsätzlich befürwortet, jedoch nicht im direkten persönlichen Wohn- und Lebensumfeld. 73 Zografos, Christos/Martínez-Alier, Joan: The politics of landscape value. A case study of wind farm conflict in rural Catalonia, in: Environment & Planning, Jg. 41 (2009), H. 7, S. 1726–1744, hier S. 1727. 74 Siehe Jegen, Maya/Audet, Gabriel: Advocacy coalitions and wind power development: Insights from Quebec, in: Energy Policy, Jg. 39 (2011), H. 11, S. 7439–7447.

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Abstand zu den Ortschaften ab als vielmehr von Möglichkeiten der finanziellen Beteiligung am Gewinn und der direkten Sichtbarkeit dieser Anlagen.75 Neben der Politikwissenschaft befassen sich auch andere Disziplinen und Forschungstraditionen mit Windkraft, z. B. die Geografie oder die Landschaftsforschung.76 In einer diskursanalytischen Einzelfallstudie über einen Windkraftkonflikt werden drei verschiedene Landschaftskonzeptionen herausgearbeitet: erstens Landschaft als schönes, wertvolles Gebiet; zweitens Landschaft als durch Menschen geprägtes Gebiet; und drittens Landschaft als etwas subjektiv Wahrgenommenes. Diese Konzeptionen werden mit verschiedenen Argumentationsmustern der GegnerInnen und BefürworterInnen verbunden.77 Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung hat Ende 2015 einen ausführlichen Band der Zeitschrift Informationen zur Raumentwicklung über die „Ausbaukontroverse Windenergie“78 vorgelegt; darin dominieren Steuerungsperspektiven. Weitere Studien analysieren konkrete Projekte oder Regionen hinsichtlich deren Tätigkeit in Bezug auf Energiewendeprojekte.79 Bilanziert man den aktuellen Forschungsstand, so wird deutlich, dass es zurzeit auch in der Analyse von Konflikten um Windkraftanlagen kaum Studien gibt (eine Ausnahme stellt jene Fallstudie von Zografos und Marínez-Alier80 75 Siehe Hübner, Gundula/Pohl, Johannes: Mehr Abstand – mehr Akzeptanz? Ein umweltpsychologischer Studienvergleich, hrsg. v. Fachagentur Windenergie an Land, Berlin, URL: http://www.fachagentur-windenergie.de/fileadmin/files/Akzeptanz/FAWind_Abstand-Akzeptanz_Broschuere_2015_web.pdf [eingesehen am 02.02.2016]. 76 Siehe hierzu v. a. den Sammelband von Gailing und Leibenath, der verschiedene disziplinäre Perspektiven verbindet: Gailing, Ludger/Leibenath, Markus (Hrsg.): Neue Energielandschaften – Neue Perspektiven der Landschaftsforschung, Wiesbaden 2013. 77 Siehe Otto, Antje/Leibenath, Markus: Windenergielandschaften als Konfliktfeld: Landschaftskonzepte, Argumentationsmuster und Diskurskoalitionen, in: Gailing, Ludger/Leibenath, Markus (Hrsg.): Neue Energielandschaften – Neue Perspektiven der Landschaftsforschung, Wiesbaden 2013, S. 65–75; siehe auch Leibenath, Markus/ Otto, Antje: Diskursive Konstituierung von Kulturlandschaft am Beispiel politischer Windenergiediskurse in Deutschland, in: Raumforschung und Raumordnung, Jg. 70 (2012), H. 2, S. 119–131. 78 Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) (Hrsg.): Ausbaukontroverse Windenergie, Informationen zur Raumentwicklung, H. 6/2015. 79 Vgl. Kunze, Conrad: Soziologie der Energiewende. Erneuerbare Energien und die Transition des ländlichen Raums, Stuttgart 2012; siehe auch Müller, Kathrin: Regionale Energiewende. Akteure und Prozesse in Erneuerbare-Energie-Regionen, Frankfurt a. M. 2014. 80 Siehe Zografos/Martínez-Alier: The politics of landscape value (2009), S. 1727.

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dar), die alle am Konflikt beteiligten AkteurInnen oder gar die Unbeteiligten mit in den Blick nehmen. 1.2.3 Fracking und Protest Es existiert bereits eine Reihe von Studien, die sich mit der Technologie des Hydraulic Fracturing beschäftigen; oft liegt ihr Fokus auf den Fragen, wie sich öffentliche Meinung zu diesem Thema bildet und wie verschiedene Diskurskoalitionen um die Meinungshoheit kämpfen.81 Die Frage, ob Fracking eine zukunftsweisende Technologie oder ein untragbares Umweltrisiko ist, wurde und wird keineswegs nur im Kontext der Energiewende in Deutschland diskutiert, wo Gas als Brückentechnologie die Abkehr von der Nuklearenergie erleichtern soll. Auch Großbritannien, Polen, Rumänien und Bulgarien, wo Gasförderung mittels Fracking in Zukunft eine wichtige Rolle spielen könnte, rücken in den Mittelpunkt des Interesses.82 Was sich mit Blick auf die Protestforschung insgesamt andeutet, zeigt sich auch in Bezug auf das Thema Fracking: Bisherige Studien über Proteste gegen diese Technologie richten den Blick oftmals lediglich auf die Protestbewegung selbst.83 Vor allem die diskursiven Taktiken der AktivistInnen, bspw. die Fra-

81 Siehe Cotton, Matthew/Rattle, Imogen/Van Alstine, James: Shale gas policy in the United Kingdom: An argumentative discourse analysis, in: Energy Policy, H. 73/ 2014, S. 427–438. 82 Für Großbritannien siehe O’Hara, Sarah/Humphrey, Mathew/Jaspal, Rusi/Nerlich, Brigitte/Knight, Wil: Public Perception of Shale Gas Extraction in the UK: The Impact of the Balcombe Protests in July–August 2013, Nottingham 2013; siehe auch Jaspal, Rusi/Nerlich, Brigitte: Fracking in the UK media: Threat Dynamics in an Unfolding Debate, in: Public understanding of science, Jg. 23 (2014), H. 3, S. 248–263. Für Südosteuropa siehe Vesalona, Lucian/Cretanb, Remus: „We are not the Wild West“: anti-fracking protests in Romania, in: Environmental Politics, Jg. 24 (2015), H. 2, S. 288–307; Goussev, Viktor Nikolaev/Devey, Simon/Schwarzenburg, Bianca/ Althaus, Marco: Shale Gas U-Turns in Bulgaria and Romania: The turbulent Politics of Energy and Protest, in: Journal of European Management & Public Affairs Studies, Bd. 1, H. 2/2014, S. 47–59. 83 Siehe Wood, Jonathan: The Global Anti-Fracking Movement: What it wants, how it operates and what next, London 2012; vgl. auch Kinniburgh, Colin: From Zuccotti Park to Zurawlow: The Global Revolt against Fracking, in: Dissent, Jg. 63 (2015), H. 3, S. 42–52.

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ming-Prozesse der Bewegung, ziehen die Aufmerksamkeit auf sich.84 Auch das Verhältnis der Anti-Fracking-Bewegung zu den Medien wird eingehender betrachtet.85 Dabei zeigt sich z. B., welch großen Einfluss der Dokumentarfilm „Gasland“, insbesondere durch seine Verbreitung und Rezeption im Internet und den sozialen Netzwerken, auf die Mobilisierung zum Thema Fracking in den USA gehabt hat.86 Dass diskursive Auseinandersetzungen nicht nur für die direkte politische Mobilisierung relevant sind, zeigt Mira Schirrmacher: Sie hat den Einfluss bestimmter Zukunfts-Diskurse auf den legislativen Prozess in Deutschland87 untersucht und herausgefunden, dass unterschiedliche Diskurskoalitionen mit ihren Szenarien in Bezug auf Fracking nicht nur die öffentliche Debatte prägen, sondern sogar den legislativen Prozess erkennbar beeinflussen konnten. Auch andere AkteurInnen, die im Konflikt um Fracking auftauchen, werden zum Teil mit in den Blick genommen. Die Rolle von Unternehmen in solchen Konflikten ist z. B. von Thomas Saretzki und Basil Bornemann analysiert worden.88 In ihrem Artikel untersuchen sie eine bestimmte Verfahrensform, auf die Energieunternehmen gesetzt haben: den „InfoDialog Fracking“. Um gesellschaftlichen Widerständen und Protesten zu entgehen, verfolgten die Unternehmen eine umfangreiche und ausgefeilte Kommunikationsstrategie, die ihren Schwerpunkt allerdings auf unabhängige Expertenkommissionen legte und Stakeholder-Gruppen sowie BürgerInnen nur am Rande beteiligte. Wie bei allen privat initiierten Austauschforen spielten Fragen nach der Legitimität des Prozesses im Vergleich zu öffentlichen partizipativen Verfahren nur eine unterge84 Siehe Wright, Marita: Making it personal: How Anti-Fracking Organizations frame their Messages, in: The Journal of Politics and Society, Jg. 24 (2013), H. 2, S. 107–125. 85 Siehe Yang, Mundo: Anti-Fracking Kampagnen und ihre Mediennutzung, in: Speth, Rudolf/Zimmer, Annette (Hrsg.): „Lobby-Work“: Interessensvertretung in der Medien- und Wissensgesellschaft, Wiesbaden 2015, S. 283–299; vgl. auch Jaspal, Rusi/ Turner, Andrew/Nerlich, Brigitte: Fracking on YouTube: Exploring Risks, Benefits and Human Values, in: Environmental Values, Jg. 23 (2014), H. 5, S. 501–527. 86 Vgl. Vasi, Ion Bogdan/Walker, Edward/Johnson, John/Hui Fen, Tan: „No Fracking Way!“ Documentary Films, Discursive Opportunity, and Local Opposition against Hydraulic Fracturing in the United States 2010 to 2013, in: American Sociological Review, Jg. 80 (2015), H. 5, S. 1–26. 87 Vgl. Schirrmeister, Mira: Controversial futures – discourse analysis on utilizing the „fracking“ technology in Germany, in: European Journal of Futures Research, H. 2/2014, S. 1–9. 88 Siehe Saretzki, Thomas/Bornemann, Basil: Die Rolle von Unternehmensdialogen im gesellschaftlichen Diskurs über umstrittene Technikentwicklungen: Der „InfoDialog Fracking“, in: Forschungsjournal Soziale Bewegungen, Jg. 27 (2014), H. 4, S. 70–82.

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ordnete Rolle – weshalb solche von Unternehmen ins Leben gerufene Formen einen offenen gesellschaftlichen Diskurs nicht ersetzen können. Die Schwächen solcher Verfahren liegen darüber hinaus in dem Anspruch, umstrittene Fragen „sachlich und neutral“ lösen zu wollen, ohne dabei normative Positionen zu berücksichtigen – ein Anspruch, dem auch der „Neutrale Expertenkreis“ nicht gerecht werden konnte. Verteilungs-, Werte- und Machtkonflikte im Kontext der Fracking-Technologie müssen daher in anderen öffentlichen Beteiligungsverfahren bearbeitet werden. Weitere Studien analysieren die soziale Zusammensetzung der Protestgruppen; bspw. stellen sie die Frage, ob es sich bei Fracking-Protesten um sogenannte NIMBY-Gruppen handelt.89 In der Auswertung einer repräsentativen Studie in den USA zeigt sich, welche gesellschaftlichen Gruppen am skeptischsten auf die neue Technologie reagieren: Demnach sind die potenziellen GegnerInnen von Fracking häufig Menschen mit egalitärem Weltbild, oftmals weiblich, die häufiger als einmal pro Woche Zeitung lesen und insgesamt einigermaßen vertraut mit der Technologie sind. Für sie ist Fracking insbesondere eine Umwelt-Frage. BefürworterInnen finden sich dagegen insbesondere unter älteren, durchaus hochgebildeten, politisch eher konservativen Menschen. Beim Fracking betonen sie insbesondere die wirtschaftliche Dimension.90

1.3 V ORGEHEN

UND

ANMERKUNGEN

ZUR

M ETHODIK

Zur Beantwortung der skizzierten Fragestellung und vor dem Hintergrund des geschilderten Forschungsbedarfs wurde für diese Studie auf ein breites qualitatives Methodenrepertoire zurückgegriffen. Die Untersuchung sollte sich nicht lediglich auf die Protestierenden, ihre Motive, soziale Herkunft oder Strategie konzentrieren, sondern darüber hinaus die AdressatInnen des Protests in die Analyse integrieren. Aus diesem Grund wurden neben Interviews mit Bürgerinitiativen auch Gespräche mit VertreterInnen der lokalen Politik, der Landespolitik, der zuständigen Verwaltungen und der beauftragten Unternehmen geführt. Außerdem sollte die Rolle der unbeteiligten Bevölkerung eingehende Beachtung finden. Insbesondere diese Gruppe war jedoch schwer zu erreichen, da sie im

89 Cotton, Matthew: NIMBY or not? Integrating social factors into shale gas community engagements, in: Natural Gas & Electricity, Jg. 29 (2013), H. 29, S. 8–12. 90 Vgl. Boudet, Hilary et al.: „Fracking“ controversy and communication: Using national survey data to understand public perceptions of hydraulic fracturing, in: Energy Policy, H. 65/2014, S. 57–67.

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Unterschied zu den anderen Beteiligten zunächst keinen besonderen Bezug zu dem Konflikt aufwies, keine eigene Agenda verfolgte und ihre Motivation, darüber zu sprechen, daher deutlich geringer ausgeprägt war. Aus diesem Grund näherten wir uns den Unbeteiligten über Gruppendiskussionen statt Einzelinterviews vor Ort. Zu den Erhebungsmethoden gehörten leitfadengestützte Einzelinterviews, teilnehmende Beobachtungen, Fokusgruppen und, zur Ergänzung und Einordnung des Konflikts, Medienrecherchen. 1.3.1 Leitfadengestützte Experteninterviews Zur Beantwortung der Forschungsfragen sollten die Aussagen der verschiedenen AkteurInnen über ihre strategischen Überlegungen und über ihre Reaktionen auf unterschiedliche Ereignisse ausgewertet werden. Dazu wurden zunächst in sämtlichen Konfliktfeldern Interviews91 mit VetreterInnen aller am Prozess beteiligten AkteurInnen – der beteiligten Unternehmen, der Lokal- und Landespolitik sowie der Bürgerinitiativen – und teilnehmende Beobachtungen bei Veranstaltungen durchgeführt. Diese Interviews dienten in erster Linie dazu, das spezifische Verhalten jedes Akteurs/jeder Akteurin während des Konflikts zu erklären und einen Einblick in deren eigene Sichtweisen und Begründungen zu erhalten. Zentrale Fragekomplexe in den Interviews bildeten zum einen die jeweilige Perspektive auf den Konflikt, bspw. auf Schlüsselmomente – wobei besonders interessant war, welche Ereignisse überhaupt als die entscheidenden herausgestellt wurden –, und zum anderen die Sicht auf die übrigen am Prozess beteiligten AkteurInnen. Zunächst wurden alle Interviewten gebeten, den Konfliktverlauf aus ihrer Perspektive zu skizzieren, beginnend bei dem Moment, als sie zum ersten Mal mit dem Thema in Berührung gekommen waren. Dabei standen vor allem die Reaktionen auf bestimmte Ereignisse im Mittelpunkt: Welche wichtigen Vorkommnisse nennen die Interviewten? An welchem Punkt wird das Thema für sie zu einem Konflikt? Wie hat sich das eigene Verhalten, nachdem das Vorhaben zu einem Problem geworden war, verändert? Welche Handlungen des Gegenübers nehmen die verschiedenen AkteurInnen überhaupt wahr, wie interpretieren sie das wahrgenommene Verhalten, wie reagieren sie wiederum darauf? In einem zweiten Teil des Leitfadeninterviews ging es präziser um die jeweilige Sicht auf die anderen beteiligten AkteurInnen. Dazu wurden die Interview91 Zum Vorgehen vgl. Klecha, Stephan/Marg, Stine/Butzlaff, Felix: Wie erforscht man Protest? Forschungsdesign und Methodik, in: Walter, Franz/Marg, Stine/Geiges, Lars/Butzlaff, Felix (Hrsg.): Die neue Macht der Bürger. Was motiviert die Protestbewegungen?, Reinbek bei Hamburg 2013, S. 14–47.

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ten gebeten, alle aus ihrer Sicht relevanten AkteurInnen nach dem angenommenen Einfluss auf den weiteren Verlauf des Vorhabens auf einem Schema mit konzentrischen Kreisen zu gruppieren. Anschließend wurde genauer über die genannten Beteiligten gesprochen: Wie werden bspw. die Protestierenden charakterisiert, welche Rolle sprechen die UnternehmensvertreterInnen den staatlichen Stellen zu? Dadurch konnte mithilfe der Interviews ein detaillierter Blick auf die beteiligten AkteurInnen und ihre wechselseitigen Interpretationen geworfen werden. Im letzten Abschnitt ging es generell um Protest und Partizipation: Wie schätzen die Interviewten die Forderung nach mehr Bürgerbeteiligung ein? Wann werden Proteste als legitim angesehen, wann nicht? Insgesamt wurden 45 Interviews geführt, die jeweils etwa zwischen 45 Minuten und zwei Stunden dauerten. Alle Interviews wurden im Anschluss nach einfachen Regeln transkribiert. Die Auswertung orientierte sich grob an 92 der qualitativen Inhaltsanalyse. Die Transkripte wurden mit „MaxQDA“ codiert: Erstens wurden Codes für die Selbstwahrnehmung vergeben – wobei insbesondere auf Ziele, Strategien, Selbstverständnis und Lernprozesse geachtet wurde; zweitens stand die Fremdwahrnehmung aller weiteren beteiligten AkteurInnen im Mittelpunkt. Zusätzlich wurden Aussagen über den Protest und Konflikt codiert – wobei insbesondere der jeweilige Umgang mit Protesten, der wahrgenommene Einfluss auf das Verfahren sowie deren generelle Bewertung von Interesse waren. Die Aussagen einer konkreten Person wurden stellvertretend als Aussage der Akteurin/des Akteurs im Ganzen interpretiert, interne Meinungsverschiedenheiten nur in extremen Fällen näher berücksichtigt. Mittels dieser Interviews und ihrer Analyse konnten genaue und fundierte Aussagen über Wahrnehmungsmuster, Handlungslogiken und die gegenseitige Beeinflussung aller AkteurInnen getroffen werden. 1.3.2 Moderierte Gruppendiskussionen: Die Fokusgruppen Auch wenn die Konflikte, mit denen wir uns beschäftigt haben, insgesamt öffentlich stark wahrgenommen werden und insbesondere in den betroffenen lokalen Zusammenhängen beinahe allgegenwärtig zu sein scheinen, gibt es sie doch: die Unbeteiligten. AnwohnerInnen, die sich nicht für den Konflikt vor ihrer Haustür zu interessieren scheinen, die sich nicht einbringen wollen, die ihre Stimme weder für noch gegen ein Projekt erheben – und die dennoch genau wie

92 Mayring, Philipp: Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken, Weinheim (2015).

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ihre engagierten NachbarInnen von Stromleitungen, Fracking-Türmen oder Windparks mit all ihren prognostizierten Nachteilen betroffen sein würden. Warum aber bleiben die Unbeteiligten trotz polarisierter Diskussionen und vielfältiger Schreckensszenarien auf der einen oder anderen Seite passiv? Weshalb engagieren sie sich nicht? Diese Gruppe der Unbeteiligten ist für den Verlauf und die Dynamik des Konflikts zudem eine entscheidende soziale Größe. Beide Seiten der Konfliktparteien versuchen stets, sie in den Blick zu nehmen, ihre Sorgen und Nöte zu adressieren und sie möglichst auf die eigene Seite zu ziehen. Die Unbeteiligten sind somit eine Art Publikum, das die Auseinandersetzungen der streitenden AkteurInnen begleitet und zumindest potenziell die Mehrheitsverhältnisse kippen könnte – und zwar in die eine wie auch in die andere Richtung. Die Fragen, die sich aus dieser Rolle der Unbeteiligten ergeben, beziehen sich also nicht nur auf deren Passivität bzw. Inaktivität, sondern rücken auch den Konflikt selbst in den Fokus: Was bekommt die unbeteiligte Bevölkerung überhaupt von dem Konflikt in ihrem Ort mit? Wie nimmt sie die beteiligten AkteurInnen wahr, wie reagiert sie auf die jeweiligen Argumente? Und schließlich: Welche Vorstellungen von Demokratie und Politik stehen bei den Unbeteiligten im Vordergrund? Diesen Fragen wollten wir uns mithilfe moderierter Gruppendiskussionen nähern, von denen wir in jedem untersuchten Konfliktfeld jeweils zwei durchgeführt haben. Mit diesen Fokusgruppen sollte vor allem herausgefunden werden, wie das „Publikum“ des Konflikts auf die jeweiligen AkteurInnen und die politischen Auseinandersetzungen reagiert. Stimmt es bspw., dass Bürgerinitiativen mit einer (zumindest unterstellten) emotionalen Argumentationsweise, die häufig Ängste schürt, einen leichteren Zugang zu den AnwohnerInnen haben als Unternehmen oder Politik? Interessieren sich die nicht-engagierten Teile der Bevölkerung überhaupt für den jeweiligen Konflikt, der immerhin direkt vor ihrer Haustür ausgetragen und von beiden Seiten auch in ihrem Namen ausgefochten wird? Oder sind sie im Gegenteil genervt von den Auseinandersetzungen und fühlen sich von keiner Akteurin/keinem Akteur vertreten? Eng damit verbunden sind die Fragen danach, weshalb Menschen sich trotz objektiv vorhandener lokaler Unzufriedenheit nicht engagieren bzw. mit welchen Vorstellungen von Demokratie und Politik die betroffene, aber nicht-aktive Bevölkerung auf aktuelle Proteste blickt. Ein ebenso interessanter, von der gegenwärtigen Konzeption des Projektes jedoch nur schwer zu beantwortender Punkt ist die Frage danach, unter welchen Umständen größere Infrastrukturprojekte bzw. die dagegen gerichteten Proteste von der nicht-aktiven Bevölkerung als legitim oder illegitim angesehen werden. Die Durchführung und die Auswertung der Fokusgruppen folgten der mittlerweile auch in der Protestforschung etablierten Variante von Gruppendiskussio-

36 | CHRISTOPH HOEFT , SÖREN M ESSINGER-ZIMMER, J ULIA ZILLES

nen.93 Sechs bis acht BewohnerInnen der betroffenen Ortschaften, die selbst noch nicht für oder gegen das konkrete Projekt aktiv geworden waren und sich auch nicht aus beruflichen Gründen damit befasst hatten, wurden für die Teilnahme rekrutiert. Die Rekrutierung erfolgte vermittels unterschiedlicher Methoden: In mehreren Fällen wurden Postwurfsendungen an alle Haushalte verschickt, in denen das Thema sehr allgemein genannt (z. B. „Hydraulic Fracturing in Norddeutschland“) und die EmpfängerInnen aufgefordert wurden, sich bei Interesse telefonisch oder per E-Mail zu melden. Teilweise wurden auch Anzeigen in lokalen Zeitungen geschaltet. In zwei Fällen fand die Rekrutierung vor Ort in den Fußgängerzonen statt, indem drei bis vier ForscherInnen über mehrere Stunden hinweg PassantInnen ansprachen. In allen Fällen wurden die Daten aller Interessierten erfasst, um auf dieser Grundlage eine möglichst ausgewogene Auswahl vornehmen zu können. Ein kurzer Fragebogen diente der Vorauswahl; wobei bspw. Mitglieder der Bürgerinitiativen oder Angestellte des durchführenden Unternehmens nicht in die Gruppendiskussionen eingeladen wurden, sondern zum Teil für Einzelinterviews gewonnen werden konnten. Dabei haben wir uns so weit wie möglich um eine diverse Zusammensetzung der Gruppen bemüht, was z. B. Faktoren wie Alter, Geschlecht oder Bildungsgrad der TeilnehmerInnen betrifft. Dennoch sollen an dieser Stelle einige Einschränkungen der Heterogenität unserer Diskussionsgruppen bereits im Vorfeld angesprochen werden: Trotz unterschiedlicher Rekrutierungsverfahren ist es uns nicht gelungen, Menschen zur Teilnahme an unseren Fokusgruppen zu motivieren, die schlichtweg überhaupt kein Interesse an dem Konflikt hatten. Nahezu alle Personen, die sich an unseren Diskussionen beteiligt haben, hatten hinsichtlich des Konflikts einen vergleichsweise guten Kenntnisstand, hatten sich dafür interessiert, was geplant war und wie der Prozess weitergehen würde, und sich zu dem Thema eine mehr oder weniger gefestigte Meinung gebildet. Insofern konnte also eine durchaus naheliegende Hypothese – dass nämlich einfaches Desinteresse an dem Konflikt zur Nicht-Beteiligung führt – von uns nicht überprüft werden.94 Natürlich ist aber bereits dies eine interessante Erkenntnis: Bei den Unbeteiligten handelt es sich offenkundig nicht nur um uninformierte, passive oder gänzlich zurückgezogene EinsiedlerInnen, die kein Interesse an den sie umgebenden Ge93 Vgl. Schulz, Marlen: Quick and Easy!? Fokusgruppen in der angewandten Sozialwissenschaft, in: Dies./Mack, Birgit/Renn, Ortwin (Hrsg.): Fokusgruppen in der empirischen Sozialwissenschaft. Von der Konzeption bis zur Anwendung, Wiesbaden 2012, S. 9–22 und Marg, Stine: Mitte in Deutschland. Zur Vermessung eines politischen Ortes, Bielefeld 2014. 94 Hierfür wäre eine längerfristig angelegte qualitative Panelstudie vonnöten, in der Unbeteiligte im Konfliktverlauf mehrfach befragt werden.

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schehnissen haben. Vielmehr beschäftigten sich beinahe alle von uns befragten Unbeteiligten mehr oder weniger intensiv mit den Konflikten, wurden aber dennoch nicht selbst aktiv. Insgesamt fanden sechs Gruppendiskussionen mit insgesamt 43 TeilnehmerInnen statt. Als zusätzliche Motivation wurde den TeilnehmerInnen nach der Gruppendiskussion eine Aufwandsentschädigung in Höhe von fünfzig Euro ausgezahlt. In den Fokusgruppen überwog der Anteil relativ gut gebildeter Menschen eher fortgeschrittenen Alters, die nicht oder nicht mehr in Vollzeitstellen beschäftigt waren, also insbesondere RentnerInnen (und Hausfrauen). Nichtsdestotrotz sind in unserem Sample aber auch einige VertreterInnen anderer Gruppen zu finden. Unter den insgesamt 43 Personen, die an unseren Gruppendiskussionen teilgenommen haben, befanden sich 17 Frauen. Bei der Durchführung der Fokusgruppen wurde eine selbstläufige Diskussion angestrebt, die etwa zwei bis drei Stunden dauern sollte und von einem zweiköpfigen Moderationsteam immer wieder auf das zentrale Thema gelenkt wurde. In mehreren Blöcken wurde die Sicht der TeilnehmerInnen auf den konkreten Konflikt, die beteiligten AkteurInnen und das allgemeine Thema abgefragt. Zunächst wurden die Diskutanten gebeten, ihre Erfahrungen mit dem Konflikt zu beschreiben: Was bekommt man überhaupt vor Ort mit? Hat man sich bereits mit der einen oder der anderen Seite auseinandergesetzt? Spielt das Thema generell eine relevante Rolle im täglichen Miteinander? Anschließend wurde auch in den Fokusgruppen das Hauptaugenmerk auf die beteiligten AkteurInnen gelegt: In einem ersten Schritt sammelten die TeilnehmerInnen alle aus ihrer Sicht für das Thema wichtigen AkteurInnen; danach wurde über jede(n) genannte(n) AkteurIn ausführlich gesprochen: Wie begegnet dieser Akteur/diese Akteurin den Menschen? Was hat man von ihm/ihr mitbekommen? Welches Verhalten würde man sich von diesem Akteur/dieser Akteurin wünschen? In einem dritten Schritt wurden die TeilnehmerInnen schließlich gebeten, die AkteurInnen nach Vertrauenswürdigkeit und unterstelltem Einfluss auf das Verfahren zu gruppieren: Haben die vertrauenswürdigsten AkteurInnen auch den größten Einfluss? Wie viel Einfluss sollten die Beteiligten idealerweise haben? Und schließlich sollten sich die TeilnehmerInnen selbst verorten: Wie viel Einfluss hat man als „normale(r) BürgerIn“ in einem solchen Konflikt? Wie viel Einfluss wäre wünschenswert? Auf diese Diskussion über die AkteurInnen folgte ein Abschnitt, in dem sich die TeilnehmerInnen inhaltlich mit dem Konflikt auseinandersetzen sollten. Dazu wurden sie mit Argumenten der BefürworterInnen und GegnerInnen des Vorhabens konfrontiert und zur Positionierung aufgefordert: Wie wirken die jeweiligen Argumente auf die BürgerInnen? Was kann überzeugen, was wird als übertrieben

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und fadenscheinig zurückgewiesen? Zum Abschluss der Diskussionsrunde wurden alle TeilnehmerInnen gebeten, eine Wunschschlagzeile zu dem Konflikt zu formulieren, die sie gerne in fünf Jahren in der Zeitung lesen würden. Die Auswertung orientierte sich ebenso wie die Interviewauswertung an 95 der qualitativen Inhaltsanalyse. Auch die Gruppendiskussionen wurden transkribiert und codiert. Wieder wurden Codes für die jeweiligen AkteurInnen vergeben; darüber hinaus wurden Aussagen über den Blick auf den Konflikt und das Verfahren sowie über das Bürgerbild und Demokratieverständnis codiert. Besondere Beachtung sollten die gruppeninternen Dynamiken finden, die möglicherweise Aufschluss darüber geben, wie eine dörfliche oder kleinstädtische Gemeinschaft insgesamt auf ein umkämpftes Thema bzw. ein umstrittenes Projekt, das plötzlich konkrete lokale Bedeutung erlangt, reagiert und wie sich innerhalb dieser Gruppen Meinungen herausbilden und verfestigen.

1.4 AUFBAU

DES

B UCHES

In Teil B werden vier Inspektionen in die drei untersuchten Konfliktfelder der Energiewende unternommen und ausführlicher vorgestellt. Dabei gilt besonderes Augenmerk dem zeitlichen Verlauf der einzelnen lokalen Konfliktfälle und den jeweils beteiligten AkteurInnen sowie ihren zentralen Motiven und Verhaltensweisen. Der daran anschließende Teil C beschäftigt sich mit den einzelnen Akteursgruppen, die in den von uns untersuchten Konfliktfällen eine entscheidende Rolle gespielt haben. Um den engen Fokus der Protestforschung auf die Protestierenden und die damit oft verbundene tendenzielle Überschätzung ihrer Rolle in gesellschaftlichen Konflikten zu erweitern, wird nacheinander der Blick auch auf alle weiteren Konfliktbeteiligten gerichtet. Auf diese Weise können z. B. die Selbstsicht der Bürgerinitiativen und die Rolle, die sie in der eigenen Wahrnehmung spielen, durch die Einschätzungen aus Politik, Wirtschaft und Verwaltung im konkreten Fall ergänzt werden. Auf diese Weise soll ein multiperspektivisches Kaleidoskop der Konflikte entstehen, das insbesondere den Wechselbeziehungen und Dynamiken im Zusammenspiel der verschiedenen AkteurInnen Aufmerksamkeit zollt. Um über den jeweiligen Einzelfall hinausgehende Aussagen treffen zu können, werden in diesem Teil alle drei untersuchten Konfliktfelder gemeinsam analysiert. Auf diese Weise können Gemeinsamkeiten herausgearbeitet werden, oh-

95 Siehe Mayring: Qualitative Inhaltsanalyse (2015).

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ne Redundanzen zu erzeugen. Selbstverständlich werden wichtige Ausnahmen benannt und relevante Fallspezifika dennoch angemessen in die Analyse einbezogen. So können fallunabhängige Voraussetzungen und Einflussfaktoren erkannt werden, die unterschiedliche Konfliktverläufe entscheidend prägen. Beispielsweise lassen sich in mehreren Fällen ähnliche Koalitionsbildungen zwischen Lokalpolitik und Protestbewegungen trotz völlig unterschiedlich konkreter infrastruktureller Pläne erkennen. Erklären lässt sich dieses Phänomen, indem der Blick z. B. auf die formellen und informellen Mitspracheoptionen kommunaler Politik gelenkt wird. Der Teil startet mit einer klassischen Perspektive auf die Konflikte: Zunächst stehen die Bürgerinitiativen im Mittelpunkt des Interesses. Dabei werden ihre Einschätzungen der Konflikte, ihre Selbstsichten, ihre Ziele und Strategien und schließlich ihre Wahrnehmungen der anderen Beteiligten herausgearbeitet. Anschließend geht es um die Perspektiven von Politik, Verwaltungen und Unternehmen: Welche Rolle sprechen sie den Protesten zu? Wie reagieren sie auf Proteste, welche Reaktionen führen zu Ent-, welche zu Verschärfungen der Konflikte? Ergänzend werden auch die gegenseitigen Wahrnehmungen diskutiert: Wo verlaufen die Spannungslinien zwischen den einzelnen AkteurInnen? Wer wird als Verbündete(r) dargestellt? Beruhen diese Einschätzungen auf Gegenseitigkeit? Schließlich werden auch die Einstellungen und Sichtweisen der zwar betroffenen, aber dennoch nicht-aktiven lokalen Bevölkerung in Bezug auf die Konflikte analysiert: Wie werden Proteste vor Ort wahrgenommen? Beeinflussen konkrete Konflikte das Verhältnis von BürgerInnen zur parlamentarischen Demokratie – zeigt sich bspw. in Orten mit polarisierter Konfliktvergangenheit ein vergleichsweise hohes Maß an Politikverdrossenheit oder Parteienkritik? Was bekommen Unbeteiligte überhaupt von den Kämpfen um sie herum mit, wie ist ihr Informationsstand und wie sehr lassen sie sich von den Argumenten der KontrahentInnen beeinflussen? Auch die Frage nach den Gründen für die Zurückhaltung der Unbeteiligten wird gestellt. Anhand einer Typologie der NichtBeteiligung werden relevante Einflussfaktoren für das ausbleibende Engagement diskutiert. Ergänzend wird die Rolle der Medien in den Konflikten analysiert. Hierbei stehen insbesondere die lokalen Medien im Mittelpunkt des Interesses, da sie für die Konfliktdynamik in den jeweils zugrundliegenden Fällen oftmals eine besonders wichtige Rolle gespielt haben. Im darauffolgenden Kapitel werden die Demokratie- und Legitimitätsvorstellungen der AkteurInnen diskutiert. In Teil D werden abschließend in einem Fazit die zentralen Aspekte aus dem Zusammenspiel der unterschiedlichen Perspektiven und Facetten hervorgehoben und in Form von neun Thesen diskutiert.

Teil B: Lokale Konflikte um Energiewendeprojekte – Inspektionen

2 „Das war aber keine Beteiligung.“ Proteste gegen Stromtrassen J ULIA K OPP , S ÖREN M ESSINGER -Z IMMER , J ONAS R UGENSTEIN

2.1 S TROMTRASSENAUSBAU

IN

D EUTSCHLAND

Die Umstellung der Energieversorgung stellt hohe Ansprüche an die Stromverteilung in Deutschland. Die anstehende Abschaltung der Atomkraftwerke und die zunehmende Zahl kleinerer Anlagen im gesamten Bundesgebiet führen zur Notwendigkeit einer neuen Verteilungsinfrastruktur. Aus diesem Grund müssen zahlreiche Hochspannungsleitungen neu und ausgebaut werden. Um diese Vielzahl an Projekten zu bewältigen, ist das Planungsrecht für den Bau von länderübergreifenden Stromleitungen grundlegend reformiert worden. Eine Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG)1 und die Verabschiedung des Netzausbaubeschleunigungsgesetzes (NABEG)2 im Jahr 2011 sollten die Rahmenbedingungen für den Netzausbau in Deutschland verbessern. Konkretes Ziel des Gesetzes war, den Ausbau von bundesländerübergreifenden Stromleitungen zu beschleunigen.3 Im Zuge der Gesetzesänderungen wurde zunächst die Zuständigkeit für länderübergreifende Stromleitungen neu geregelt. Anders als bei vorherigen Leitungen, bei denen das Planfeststellungsverfahren den Behörden der Bundesländer oblag, ist 1 2

Siehe Energiewirtschaftsgesetz vom 7. Juli 2005 (BGBl. I, S. 1970, S. 3621). Siehe Netzausbaubeschleunigungsgesetz Übertragungsnetz vom 28. Juli 2011 (BGBl. I, S. 1690).

3

Vgl. Weingarten, Elke/Peters, Wolfgang/Müller-Pfannenstiel, Klaus: Bürgerbeteiligung in den Planungsverfahren zum Höchstspannungsnetzausbau nach EnWG und NABEG, in: Energiewirtschaftliche Tagesfragen, Jg. 63 (2013), H. 5, S. 74–81, hier S. 75.

44 | J ULIA K OPP, SÖREN M ESSINGER -ZIMMER, J ONAS RUGENSTEIN

nun die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (BNetzA) die zuständige Behörde und für alle Schritte des Verfahrens verantwortlich. Insgesamt haben sich damit im Zuge der Energiewende die Zuständigkeiten beim Ausbau der Stromleitungen von den Ländern auf die Bundesebene verschoben und sind in einer Behörde zusammengeführt worden.4 Ziel war eine Reduktion des Koordinationsaufwands. Beim bundesländerübergreifenden Stromnetzausbau kommt nun ein dreistufiges Planungsverfahren zum Einsatz.5 Die wesentlichen inhaltlichen Vorarbeiten leisten dabei die Netzbetreiber selber; die BNetzA prüft und genehmigt jeden der Schritte. In der ersten Planungsphase wird der Bedarf für den Ausbau des Stromnetzes ermittelt. Dieser mehrstufige Vorgang umfasst die Entwicklung eines Szenariorahmens durch die Netzbetreiber und dessen Prüfung durch die BNetzA sowie einen auf dieser Basis entworfenen Netzentwicklungsplan (NEP) und mündet schließlich im Bundesbedarfsplan, der konkrete Leitungsvorhaben benennt und vom Bundestag als Gesetz verabschiedet wird. Damit ist eine Entscheidung für den Bau der dort benannten Trassen gefallen. An diesem Punkt stehen allerdings nur die Start- und Endpunkte der neuen Leitungsvorhaben fest. Während aller Phasen, beginnend bei der Bedarfsplanung, sind auch formale Beteiligungsmöglichkeiten für die BürgerInnen in Form von Information- und Konsultationsverfahren vorgesehen. So werden bereits zum NEP BürgerInnen und Verbände konsultiert. Der Antrag auf Bundesfachplanung leitet den nächsten Schritt ein, in welchem die Trasse stärker konkretisiert wird. In der Bundesfachplanung wird der Trassenverlauf von der BNetzA geprüft und gegen Alternativen abgewogen. Schließlich wird in der Planfeststellung, dem letzten Schritt, auf Grundlage einer exakten technischen Beschreibung des Projekts der endgültige Verlauf der Trasse inklusive einzelner Standorte der Masten und Anlagen festgelegt. Während der Bundesfachplanung und der Planfeststellung wird die Beteiligung der Öffentlichkeit in Form von sogenannten Antragskonferenzen organisiert.6 Hier können wiederum Verbände und betroffene BürgerInnen Einwände formulieren, zu denen sich dann der Netzbetreiber sowie die BNetzA positionieren müssen. Die Bundesfachplanung wurde in einer Kooperation der Übertragungsnetzbetreiber, der BNetzA und der 4

Vgl. dazu: Wahlhäuser, Jens: Die Bundesnetzagentur als zukünftige Planfeststellungsbehörde für Höchstspannungsleitungen im Bundesbedarfsplangesetz – Sperrwirkung für laufende Planfeststellungsverfahren, in: Natur und Recht, Jg. 35 (2013), H. 8, S. 557–559.

5

Vgl. Weingarten et al.: Bürgerbeteiligung in den Planungsverfahren (2013), hier S. 75 ff.

6

Vgl. ebd.

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Länder entwickelt und ersetzt die bisher auf Landesebene stattfindenden Planfeststellungsverfahren. Das gesamte Planungsverfahren wird mit dem Planfeststellungsbescheid abgeschlossen.7 Von nun an können die Netzbetreiber den Bau beginnen, es sei denn, juristische Auseinandersetzungen zum Planfeststellungsbescheid oder zu dem Verfahren an sich stehen noch aus. Aus Sicht der BefürworterInnen und der PlanerInnen sind die Trassen notwendig, um die Atomkraftwerke, die vornehmlich im Süden Deutschlands bald abgeschaltet werden, durch Windstrom aus dem Norden zu ersetzen. Weil dort zudem die Infrastruktur entsprechend ausgebaut ist, sollen viele dieser Leitungen genau an den Orten Strom in das Netz im Süden einspeisen, an denen momentan noch Atomkraftwerke stehen. Durch die Energiewende und den hohen Anteil an Windenergie im Energiemix haben sich die Produktion und der Verbrauch des Stroms regional auseinanderentwickelt. Während der Süden vor allem mit großen Industrieanlagen weiterhin den Großteil des Stroms verbraucht, produziert der Norden einen immer größeren Anteil. Mithilfe von Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungs-Leitungen (HGÜ-Leitungen) soll dieses Gefälle möglichst verlustfrei ausgeglichen werden. Wird dieses Vorhaben nicht in die Tat umgesetzt, droht den BefürworterInnen zufolge nach Abschaltung der Atomkraftwerke ein Zerfall der Bundesrepublik in zwei sogenannte Preiszonen: Im Süden würde Strom teurer werden, im Norden hingegen günstiger. Für den Extremfall werden auch Stromengpässe und Lieferschwierigkeiten im Süden erwartet. Aus diesem Zusammenhang ergibt sich die besonders für das zentrale Vorhaben SuedLink beliebte Bezeichnung als „Stromschlagader der Energiewende“ und die enge Bindung der Pro-Argumente an Atomausstieg und Energiewende. Aufseiten der GegnerInnen gegen spezifische Trassen und den Ausbau allgemein werden all die Argumente vorgebracht, die aus anderen Protesten gegen Stromtrassen bereits bekannt und im Forschungsstand dargestellt worden sind. Aus der Art des Vorhabens ergeben sich jedoch auch fallspezifische Gegenargumente. Eines dieser Contra-Argumente resultiert aus der beim SuedLink angewandten HGÜ-Technik: Anders als bei konventionellen Wechselstromleitungen kann im Verlauf einer HGÜ-Leitung kein Strom abgezweigt oder zugeführt werden. Das bedeutet, dass die zwischen Start- und Endpunkt liegenden Gebiete zwar die Nachteile einer großen Trasse haben, aber nicht mit dem Hinweis auf direkte Vorteile entschädigt werden können. Fallspezifisch sind ebenfalls solche Argumente, die sich insgesamt gegen das Konzept der Energiewende wenden, für das die Trasse gebraucht wird. Da7

Zu diesem Verfahren siehe die Informationsseite der Bundesnetzagentur, URL: http://www.netzausbau.de/cln_1411/DE/Verfahren/Verfahren-node.html [eingesehen am 22.07.2015].

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runter fallen Argumentationen, die der Konzeption einer dezentralen Energiewende folgen, derzufolge statt des Windstromtransports aus dem Norden in den Süden eine höhere Produktion regenerativer Energie direkt im Süden gefordert wird. Auch der stets mit den großen Trassen verbundene Verdacht, dass es eigentlich um den Transport des Stroms aus Kohlekraftwerken gehe, fällt in diese Kategorie.

2.2 I NSPEKTION : D ER S UED L INK Wir haben in unserer Untersuchung den öffentlichen Konflikt um die Planung des SuedLinks betrachtet, da dieses Vorhaben für einen relativ großen Dissens gesorgt hat. Von Anfang Februar 2014 bis Juli 2015 haben wir diese Auseinandersetzung intensiv begleitet. In diesen knapp anderthalb Jahren haben die Auseinandersetzungen in der Öffentlichkeit ihren Ausgang genommen, sich Stück für Stück zugespitzt und mit der Verabschiedung der „Eckpunkte für eine erfolgreiche Umsetzung der Energiewende“8 durch die Regierungskoalition ein vorläufiges Ende gefunden: Mit diesem Beschluss wurden die bis dato durchgeführten Streckenplanungen hinfällig und müssen neu geplant werden. Von Vorteil für uns als WissenschaftlerInnen war dabei, dass sich das Verhältnis der einzelnen AkteurInnen zueinander in unserer Forschungsphase zum Teil erst herausbildete. Gleichzeitig ist die Entwicklung mit dem Ende unseres Untersuchungszeitraums aber noch nicht abgeschlossen. Aussagen über einzelne AkteurInnen und insbesondere ihr Verhältnis untereinander sind somit vorläufig. Der Konflikt um die Stromtrasse SuedLink ist noch nicht endgültig beigelegt und das gesamte Feld wird sich im Laufe des offiziellen Genehmigungsverfahrens noch einmal verändern. Um den Protest entlang der gesamten Trasse möglichst dicht untersuchbar zu machen, haben wir uns zudem für einen lokalen Schwerpunkt entschieden. Aufgrund der Erwartung eines regen Widerstandes9 und der für uns günstigen Zugänglichkeit fiel unsere Wahl auf den nordhessischen Schwalm-Eder-Kreis.

8

Parteivorsitzende der CDU, CSU und SPD: Eckpunkte für eine erfolgreiche Umsetzung der Energiewende, 01.07.2015, URL: http://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/ PDF/E/eckpunkteenergiewende,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=true. pdf [eingesehen am 18.02.2016].

9

Dass sich die Stadt Fritzlar im Laufe des Jahres 2014 tatsächlich zu einer Hochburg des Widerstandes gegen den SuedLink entwickelt hat, bestätigt unsere vorherige Einschätzung.

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Das Projekt, das seit Februar 2014 als SuedLink in der Öffentlichkeit diskutiert wird, ist im Bundesbedarfsplangesetz von 2013 als Vorhaben Nr. 4 festgelegt.10 Es sieht den Bau einer Hochspannungsgleichstromübertragungsleitung (HGÜ) vom schleswig-holsteinischen Wilster bis zum bayerischen Grafenrheinfeld vor. Mit einer geplanten Länge von etwa 800 Kilometern ist der SuedLink eines der größten Infrastrukturprojekte der Energiewende. Doch nicht nur die reine Länge, auch die für diesen Maßstab bislang kaum genutzte Technologie der HGÜ-Leitung – die eingesetzt wird, um den Energieverlust auf der langen Strecke möglichst gering zu halten – verleiht dem Vorhaben die Aura eines Pilotprojekts. Der SuedLink steht damit beispielhaft für Konflikte, die sich im Zuge der Energiewende um den vermehrten Bau bundeslandübergreifender HGÜStromleitungen entwickeln. 2.2.1 Konfliktchronologie Tabelle 1: Konfliktchronologie SuedLink Datum

Ereignis

Mitte 2011

Szenariorahmen wird durch Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) an BNetzA übergeben.

20. Dez. 2011

Szenariorahmen wird nach Beteiligung der Öffentlichkeit von der BNetzA genehmigt.

29. Mai 2012

ÜNBs legen Entwurf für den Netzentwicklungsplan (NEP) Strom 2012 der BNetzA vor.

– 10. Juli 2012

Möglichkeit zur Stellungnahme der Öffentlichkeit.11

15. Aug. 2012

Einreichung des überarbeiteten NEP-Entwurfs.

10 Siehe Bundesbedarfsplangesetz vom 23.07.2013 (BGBl. I, S. 2543; 2014 I, S. 148, S. 271). 11 Siehe Bundesnetzagentur: Bestätigung. Netzentwicklungsplan 2022, URL: http://data. netzausbau.de/2022/NEP/NEP2022_Bestaetigung.pdf [eingesehen am 21.01.2016], S. 19.

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Datum

Ereignis

– 2. Nov. 2012

Erneute Öffentlichkeitsbeteiligung inkl. sechs Informationsveranstaltungen; dabei gingen 3.313 Stellungnahmen ein.

25. Nov. 2012

Bestätigung des NEP 2012 durch die BNetzA. Darin taucht der SuedLink als „Maßnahme 06 modifiziert Wilster – Grafenrheinfeld“ auf.

25. April 2013

Bundestag verabschiedet den Bundesbedarfsplan, der die Maßnahmen aus dem NEP in Gesetzesform gießt.

Nov. 2013

Informationsveranstaltung in Nürnberg zur Süd-Ost Passage eskaliert. Insgesamt aufgeheizte Stimmung gegen den Leitungsausbau.

Febr. 2014

TenneT und TransnetBW treten mit einer Pressekonferenz und Briefen an betroffene Kommunen mit dem Vorzugskorridor an die Öffentlichkeit. Horst Seehofer zieht öffentliche Unterstützung für den Netzausbau zurück, fordert eine neue Bedarfsprüfung und spricht für Bayern ein Moratorium aus. TenneT und TransnetBW verzögern daraufhin die geplanten Informationsveranstaltungen.

Ab Febr. 2014

Gründung einer Vielzahl von Bürgerinitiativen entlang des Vorzugskorridors.

März bis Juli 2014

Etwa 300 Infomärkte und andere Veranstaltungen im Rahmen des sogenannten Projektdialogs; erst zum Ende auch in Bayern.

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Datum

Ereignis

10. Okt. 2014

Veröffentlichung einer Vorabversion des Antrages auf Bundesfachplanung auf der Website von TenneT.

12. Dez. 2014

Einreichung des Antrages auf Bundesfachplanung und Eröffnung des Verfahrens.

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Verabschiedung der Hamelner Erklärung – einer Protestschrift gegen die Praxis des Planungsverfahrens von 17 betroffenen Landkreisen. 18. Febr. 2015

BNetzA fordert Überarbeitung und bessere Abwägung zwischen den Alternativen.

1. Juli 2015

Koalition in Berlin beschließt „Eckpunkte für eine erfolgreiche Umsetzung der Energiewende“, die einen Vorrang für Erdverkabelung festlegen. Daraufhin beginnen TenneT und TransnetBW mit einer Neuplanung der Trasse.

Im von uns betrachteten Zeitraum von Februar 2014 bis Juli 2015 befand sich das SuedLink-Projekt mehrheitlich nicht in offiziellen Schritten des gesetzlichen Planungs- und Genehmigungsverfahrens für bundesländerübergreifende Höchstspannungsleitungen. Erst mit der Einreichung des Antrags auf Bundesfachplanung war dieses kurzzeitig wieder in Gang gesetzt. Tatsächlich befand sich der SuedLink die meiste Zeit zwischen zwei Planungsschritten. Die Start- und Endpunkte standen mit dem NEP 2012 zwar fest, aber die Bundesfachplanung war im Februar 2014 noch nicht begonnen worden. Der Antrag auf Bundesfachplanung erfolgte erst im Dezember 2014 und leitete somit wieder das offizielle Verfahren ein, welches nun aber zunächst erneut gestoppt ist: Im Juli 2015 einigten sich die Parteivorsitzenden von CDU und SPD in ihrem gemeinsamen Papier, den Erdkabeln beim SuedLink den Vorrang vor Überlandleitungen einzuräumen. Mit diesem Beschluss wurden die alten Streckenplanungen obsolet und der Verlauf der Trasse musste auf Grundlage neuer Kriterien neu geplant werden, da Freiluftleitungen um andere Raumwider-

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stände herum geplant werden müssen als Erdkabel. Der Prozess der Trassenplanung begann dadurch im Juli 2015 quasi von Neuem und verlängert sich um voraussichtlich zwei bis drei Jahre. Mögliche Erdkabelkorridore sind im September 2016 veröffentlicht und ein neues Informations- und Dialogverfahren ist gestartet worden. Der Beschluss, der Erdverkabelung den Vorrang gegenüber einer Freileitung einzuräumen, dürfte die Akzeptanz der Stromleitung signifikant erhöhen, da große Teile des Widerstands gegen die Trasse dies von Beginn an als mögliche Alternative im Gespräch gehalten hatten. 2.2.2 Beteiligte AkteurInnen TenneT Für die Planung, den Bau und den Betrieb von Hochspannungsleitungen und der Aufrechterhaltung des Übertragungsnetzes sind in Deutschland die Übertragungsnetzbetreiber zuständig. Insgesamt gibt es vier Unternehmen in der Bundesrepublik, die jeweils für den Betrieb des Stromnetzes in einer spezifischen Region, einer sogenannten Regelzone, zuständig sind. Dabei verteilen sie den Strom nicht selbst an die VerbraucherInnen, sondern speisen ihn in die Netze der Verteilnetzbetreiber ein, die diese Aufgabe übernehmen. Planung, Bau und Betrieb von Trassen, die im Bundesbedarfsgesetz festgelegt sind, liegen jeweils in den Händen derjenigen Netzbetreiber, durch deren Gebiet die Trasse verläuft. Im Fall des SuedLinks ist dies die TenneT TSO GmbH zusammen mit der TransnetBW GmbH.12 Wir haben uns auf TenneT konzentriert, da diese den deutlich längeren Teil der Trasse zu verantworten hat. Für TenneT ist dieser Prozess eine sehr langfristige Investition. Die geplante Inbetriebnahme war bei der Veröffentlichung des Vorzugskorridors auf das Jahr 2022 datiert – ein Ziel, das nicht mehr zu erreichen sein wird. TenneT verfolgt deshalb als zentrales strategisches Ziel in der Auseinandersetzung um den SuedLink, keine zusätzlichen Verzögerungen entstehen zu lassen. „[Das] Ziel ist Beschleunigung und Akzeptanz. Das sind, sagen wir mal, die Unternehmensziele. Die auch in dieser Gewichtung so von der Geschäftsführung getragen werden. Das sind die beiden wichtigsten Ziele der TenneT.“13

12 Transnet BW ist für den Teil der Stromtrasse zuständig, der durch Baden-Württemberg führt. 13 Dieses Zitat und alle weiteren Zitate, die nicht anders gekennzeichnet sind, stammen aus unseren Interviews und Fokusgruppen.

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Dieses Ziel beinhaltet vor allem die Minimierung juristischer Auseinandersetzungen, die den Bauprozess auch nach vollendeter Planung und Genehmigung durch die BNetzA verzögern könnten. Konflikte sollen möglichst vermieden, zumindest aber entschärft werden. Zudem gilt es, zu einem frühen Zeitpunkt Informationen über mögliche Widerstände zu gewinnen, wofür die ausführliche Beteiligungs- und Informationskampagne TenneTs ein wesentliches Vehikel darstellt. Dabei hat TenneT stets auch andere Planungsprozesse in Deutschland im Auge behalten, um die eigene Strategie anzupassen. Als sich im November 2013, wenige Monate vor dem eigenen Gang an die Öffentlichkeit, der Protest gegen die Süd-Ost-Passage zuspitzte, passte TenneT das geplante Verfahren an: „Das […] war ja ein Vorhaben, das sich in einem ähnlich frühen Planungsstadium [befand] – also das Vorhaben Gleichstrompassage Süd-Ost der Kollegen der Amprion und 50 Hertz – wie unseres. Und die sind damit an die Öffentlichkeit gegangen […] und haben zahlreiche verschiedene Korridore, mögliche Varianten präsentiert mit, oder sagen wir: ohne eine Bewertung dieser Varianten und haben auf drei großen Infoveranstaltungen diese auch präsentiert und die Infoveranstaltung, ich war bei der in Nürnberg, waren desaströs. Also es war eine Stimmung wie bei einem Fußballspiel, ja, da haben dann 200 Leute skandiert: ‚Mörder, Mörder, Mörder‘. Und war also kein Dialog oder ein Austausch in irgendeiner Form möglich bei diesen Veranstaltungen.“

Der öffentliche Konflikt um den SuedLink begann mit einer Pressekonferenz von TenneT und TransnetBW im Februar 2014. Zum Zeitpunkt der Pressekonferenz war geplant, dass TenneT die Einleitung der Bundesfachplanung beantragen und dafür eine Reihe von möglichen Trassenverläufen und deren Abwägung gegeneinander bei der BNetzA einreichen sollte. Das gesamte Vorhaben war bis dahin in der Öffentlichkeit allerdings nahezu unbekannt. Dies änderte sich nun schlagartig: Die Medien bedachten die Pressekonferenz mit großer Aufmerksamkeit und haben die Entwicklung seitdem regelmäßig verfolgt. Die Pläne, die TenneT präsentierte, stellten einen sogenannten Vorzugskorridor dar, dem neben drei weiteren Grobkorridoren, die zuvor geprüft worden waren, die besten Chancen auf Genehmigung durch die BNetzA zugeschrieben wurden. TenneT betrieb zusammen mit Agenturen und dem eigenen Kommunikationsteam zusätzlich zur Pressearbeit auch eine direkte Informationskampagne vor Ort. Dabei setzte TenneT statt auf die ursprünglich geplanten großen Regionalkonferenzen, wie sie auch beim Süd-Ost-Link durchgeführt wurden, auf mehr, kleinere und somit aufwendigere Infomärkte, die vor allem mit der Aufteilung der BesucherInnen in kleine Gruppen ähnliche Vorfälle wie in Nürnberg verhindern sollten. Diese Veranstaltungen begannen Ende März 2014 im schleswig-

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holsteinischen Horst. Dort und auf den darauffolgenden Infomärkten, die in vielen Orten entlang des Grobkorridors stattfanden, wurden BesucherInnen über das gesetzliche Planungs- und Entscheidungsverfahren zum SuedLink informiert, der aktuelle Stand der Planungen vorgestellt und lokale Besonderheiten abgefragt. Schließlich konnten alle BesucherInnen alternative Trassenverläufe vorschlagen und TenneT versprach, sich zu allen Vorschlägen vor Einreichung des Antrags zu äußern. Aufgrund des Widerspruchs aus Bayern, der sich auch hauptsächlich gegen die Süd-Ost-Trasse richtete, aber nun auch den SuedLink betraf, stoppte zwischenzeitlich TenneT das Informationsverfahren. Angesichts der bayerischen Opposition sah sich das Unternehmen in einer schwierigen argumentativen Situation. Eigentlich zielte die Kommunikationsstrategie darauf ab, dass die Politik über die Trasse grundsätzlich bereits entschieden hätte und es nun lediglich noch um das Wie ginge. Mit dem offenen bayerischen Widerspruch aber konnte dieses Argument nicht mehr völlig verfangen, denn offensichtlich war sich die Politik nun doch nicht mehr einig. Die Verzögerung der Informationskampagne führte zu erneuten Irritationen auf kommunaler Ebene, wo bereits die zeitgleiche Informierung kommunaler Funktionsträger und der Öffentlichkeit für Missstimmung gesorgt hatte, und zu negativer Presse, bis TenneT die Pläne zur Durchführung der Infomärkte außerhalb Bayerns wieder aufnahm. In Bayern hingegen wurden diese Veranstaltungen weiterhin verzögert, da TenneT lange darauf setzte, dass zunächst die politischen Konflikte um den Sinn der Trasse beigelegt und Bayern das einseitig verhängte Moratorium aufheben würde. Am Ende der insgesamt 22 Infomärkte waren bei TenneT rund 2.500 Stellungnahmen eingegangen.14 Daraufhin stellte TenneT alternative und detailliertere Trassenverläufe für den Korridor der Vorzugstrasse vor. Hundert neue Varianten wurden im September 2014 der Öffentlichkeit präsentiert – wodurch sich die Zahl der potenziell betroffenen Ortschaften schlagartig erhöhte. TenneT strebte daraufhin bald das offizielle Genehmigungsverfahren an und geriet nun in die Kritik, nicht mehr genug Zeit zur Vorbereitung auf das anstehende gesetzliche Verfahren einzuräumen. Neben diesen selbst organisierten Veranstaltungen nahm TenneT zudem eine Reihe von Einladungen von Bürgerinitiativen, Kommunal- und Landespolitik und Verbänden zu weiteren Gesprächsrunden und Informationsabenden an.

14 Vgl. die Website des Projekts unter URL: http://SuedLink.tennet.eu/SuedLinkimdialog/ SuedLinkbewegt.html [eingesehen am 14.01.2014].

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Bundesnetzagentur Die Bundesnetzagentur als zuständige Genehmigungsbehörde verfolgt das Ziel, ein rechtssicheres, also fehlerfreies und damit nicht erfolgreich beklagbares, Verfahren durchzuführen. Die Aufgaben der Behörde werden dabei auch durch das übergeordnete Wirtschaftsministerium bestimmt. Entsprechend werden die Ziele des Wirtschaftsministeriums, also die Umsetzung des Energiekonzepts der Bundesregierung15 und damit die erfolgreiche Durchführung der Energiewende, implizit auch zu Zielen der Bundesnetzagentur. In der Außendarstellung gibt sich die Behörde als unabhängige und transparente Entscheidungsinstanz, die den Vorschlag der Netzbetreiber kritisch prüft. Die BNetzA nahm während der Informationskampagne von TenneT an einer Reihe der Veranstaltungen mit einem eigenen Stand teil, an dem die MitarbeiterInnen den Besuchern das formale Verfahren aus der Perspektive der Behörde zu erläutern versuchten. Zu der Vorzugstrasse äußerte sich die Behörde allerdings inhaltlich erst nach Einreichung des Antrags. Am 12. Dezember 2015 beantragte TenneT, trotz des immer noch bestehenden bayerischen Moratoriums, für den SuedLink das Bundesfachplanungsverfahren bei der Bundesnetzagentur. Rund zwei Monate später, im Februar 2015, veröffentlichte die Bundesnetzagentur die Ergebnisse ihrer Antragsprüfung, in der TenneT zu einer Überarbeitung des Antrags aufgefordert wurde. Der Hauptkritikpunkt der Bundesnetzagentur lautete, dass die Kriterien für die Auswahl des beantragten Trassenkorridors nicht nachvollziehbar seien. Mögliche alternative Trassenverläufe seien demnach von dritter Seite nicht ausreichend prüfbar, weshalb die Kriterien für den Trassenverlauf noch einmal klarer benannt werden müssten.16 Damit war einem der zentralen Kritikpunkte der kommunalpolitischen AkteurInnen im Prinzip recht gegeben worden. Proteste gegen den SuedLink Nach Veröffentlichung der Pläne für den Bau der Stromtrasse dauerte es nicht lange, bis sich der erste Widerstand formierte. Innerhalb weniger Monate bildeten sich überall entlang der vorgestellten Strecke Bürgerinitiativen, die gegen die 15 Siehe Bundesministerium für Wirtschaft und Technik: Energiekonzept. Für eine umweltschonende, zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung, 28.09.2010, URL: https://www.bundesregierung.de/ContentArchiv/DE/Archiv17/_Anlagen/2012/02/ener giekonzept-final.pdf?__blob=publicationFile&v=5 [eingesehen am 19.02.2016]. 16 Siehe Bundesnetzagentur: Bundesnetzagentur zum Antrag auf Bundesfachplanung für SuedLink, 18.02.2015, URL: http://www.netzausbau.de/SharedDocs/Downloads/ DE/Vorhaben/BBPlG/04/Statement.pdf?__blob=publicationFile 22.02.2016].

[eingesehen

am

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Pläne protestierten. Viele davon waren neu gegründet worden; vereinzelt nahmen sich auch bestehende Bürgerinitiativen des Themas SuedLink an.17 Zusammen mit dem medial viel beachteten Widerstand gegen den Süd-Ost-Link ergab sich für eine Weile der Eindruck einer sehr massiven Protestfront gegen den Ausbau des Übertragungsstromnetzes. Neben den bereits dargestellten Argumenten gegen solche Stromtrassen allgemein wurde im Fall SuedLink von Bürgerinitiativen und kommunalen AkteurInnen auch kritisiert, dass TenneT mit der Selbstfestlegung auf eine Vorzugstrasse die anderen Korridore nicht ausreichend prüfen und vor allem nicht genügend Informationen bereitstellen würde, um diese Vorfestlegung nachzuvollziehen. Das Verfahren sah schließlich explizit die Einreichung mehrerer Alternativen vor. Die Proteste der BürgerInnen entlang der geplanten Stromtrasse begannen zumeist als Widerstand einzelner, oft freundschaftlich oder nachbarschaftlich verbundener Personen. Recht schnell, innerhalb von nur anderthalb Jahren, entwickelten sich aus den losen lokalen Zusammenschlüssen von Einzelpersonen vielerorts gut organisierte Bürgerinitiativen gegen den SuedLink, die sich auch untereinander vernetzten. Zum einen gibt es Landesverbände, in denen sich die lokal agierenden Bürgerinitiativen zusammenschließen;18 und zum anderen existiert eine bundesweite Vereinigung namens Bundesverband der Bürgerinitiativen gegen den SuedLink19, unter dessen Dach sich 37 Bürgerinitiativen aus vier Bundesländern organisiert haben.20 Insgesamt ist dabei der Widerstand gegen die Trasse im Norden der Republik geringer als im Süden. Im Laufe der anderthalb Jahre nach Bekanntgabe des Planungskorridors haben sich lokale Protesthochburgen in Marienmünster, Fritzlar, Fulda und Unterfranken herausgebildet.21

17 Prominentestes Beispiel hierfür ist sicherlich die Bürgerinitiative „Lebenswertes Marienmünster“, die ursprünglich zur Verhinderung eines Chemiekalienlagers gegründet worden ist; vgl.: o. V.: Initiativen verschmelzen, in: Neue Westfälische, 25.04.2014, URL: http://www.nw.de/lokal/kreis_hoexter/marienmuenster/marienmuenster/11009130 _Initiativenverschmelzen.html [eingesehen am 23.02.2016]. 18 Vgl. o. V.: „Suedlink“-Gegner gründen Landesverband, in: NDR.de, 22.02.2015, URL: http://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/hannover_weser-leinegebiet/Suedlink-Geg ner-gruenden-Landesverband,suedlink136.html [eingesehen am 22.02.2016]. 19 Die Homepage des Bundesverbands ist einsehbar unter URL: http://buergerinitiativengegen-suedlink.de/ [eingesehen am 22.02.2016]. 20 Stand: Juli 2015, vgl. eine selbstgeführte Liste des Bundesverbands unter URL: http:// buergerinitiativengegenSuedLink.de/wpcontent/uploads/BI_Liste_2015-Juli.xlsx [eingesEhen am 24.07.2015]. 21 Vgl. Müller, Claus Peter: Die Trasse, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.07.2015.

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Im Schwalm-Eder-Kreis gab es zum Zeitpunkt unserer Erhebung sieben Bürgerinitiativen, die sich mit dem SuedLink auseinandergesetzt haben.22 Diese organisierten sich allesamt mit starkem Bezug auf ihren jeweiligen Ort. Das betrifft ihre Mitgliederrekrutierung, ihren Arbeitsschwerpunkt sowie ihre Namensgebung, die meist den jeweiligen Ortsnamen aufgegriffen hat. Die Initiativen in Fritzlar und Homberg sind die mitgliederstärksten und in der Öffentlichkeit präsentesten Zusammenschlüsse im Kreis; sie hatten eine Vorreiterrolle für den gesamten Kreis inne und waren positiver Bezugspunkt für die Arbeit der anderen Initiativen. Vorzugsweise organisieren sich diese Bürgerinitiativen als eingetragene Vereine oder lehnen ihre Struktur zumindest an diese Organisationsform an. So verfügen die Zusammenschlüsse in der Regel über eine(n) oder mehrere Vorsitzende(n) bzw. SprecherIn(nen) und weitere klassische Vereinsämter wie Kassenwart/-wärtin und SchriftführerIn. Meist ist eine formale Mitgliedschaft möglich. Auch wenn die Initiativen teilweise über mehrere hundert Mitglieder verfügen, trägt ein kleiner Kreis von Aktiven, der sich über regelmäßig stattfindende Treffen organisiert, den Hauptteil der Arbeit. In der Öffentlichkeit präsent sind hauptsächlich die Vorsitzenden der Bürgerinitiativen, die dadurch auch als zentrale AkteurInnen des Protests gegen die Trasse in Erscheinung treten.23 Die strategische Entwicklung der Bürgerinitiativen lässt sich schematisch recht gut an folgendem Zitat aus einem Interview mit einem Aktivisten verdeutlichen: „Gut, [wir haben zunächst] alles besucht, was die [TenneT] veranstaltet haben. Natürlich dann auch schriftlich von uns gegeben, was wir an der Trassenführung für nicht in Ordnung finden. Detailangaben gemacht, wo sie wie weit an Siedlung rankommen, wo sie wirklich Häuser überspannen, wo Wasserschutzgebiete sind. […] Das wissen die alles gar nicht. […] Gut, das haben wir natürlich jetzt breit gestreut und jeder hat da aus seiner Sicht geantwortet, ne. Und wir haben gesagt, hier du Orts-Landwirt, was hast du denn für Probleme. Du Revierförster, was siehst du denn. Du Arzt, was siehst du denn. Du Bewohner da oben, der du jetzt dein Haus renovierst und über die geht die Leitung dann, wie siehst du denn das. Oder die nächsten Orte, […] von denen […] haben wir dann auch eingeladen und haben gesagt, Ihr müsst entweder ins Internet gehen und da beantworten oder aber euch das Formular ausdrucken, draufschreiben und hinschicken. […] Und dann sind wir zusammengekommen und haben gesagt, wir müssen noch mehr tun. […] Plakate, gro22 In Fritzlar, Felsberg, Homberg, Knüllwald, Neukirchen, Neuenstein und Bad Emstal. 23 Vgl. dazu beispielhaft Yüce, Maja: Widerstand gegen geplante Stromtrasse Südlink: Der Protest macht viel Arbeit, in: HNA Online, 11.11.2014, URL: http://www.hna.de/ lokales/fritzlarhomberg/hombergefzeort305309/protest-macht-viel-arbeit-4439321.html [eingesehen am 22.02.2016].

56 | J ULIA K OPP, SÖREN M ESSINGER -ZIMMER, J ONAS RUGENSTEIN ße Plakate an der Einfahrt beziehungsweise Abfahrt Autobahn, die da aufgebaut. Intern in den Ortsteilen die gleichen Plakate in jedes Ortsteil ein Plakat. Jeden, wenn sie hier hochfahren, jeden Ort rein sehen sie immer das gleiche Logo, ein Plakat. Damit die Menschen erstmal hier intern merken und mitkommen. Das haben wir noch lange nicht geschafft, ne.“

Ein prototypischer Verlauf der Anfangsphase einer Bürgerinitiative sieht wie folgt aus: Besuch der Infomärkte der TenneT, zum Teil selbsttätiges Einladen von TenneT und BNetzA, Beteiligung an den angebotenen Beteiligungskanälen durch die Einreichung von Raumwiderständen, schließlich Bildung einer festen Gruppe mit dem Ziel, die eigene Bevölkerung zu informieren und zum Widerstand zu bewegen. Begleitet wird dies meist von einer zunehmend entschiedenen Rhetorik, welche die Planung und die daran beteiligten AkteurInnen immer klarer ablehnt. Im nächsten Schritt folgen die regionale und überregionale Vernetzung sowie der Versuch, größere Aktionen zu organisieren. Die wohl größte Aktion im Schwalm-Eder-Kreis ereignete sich im Oktober 2014: eine Demonstration mit rund 500 TeilnehmerInnen in der Fritzlarer Innenstadt.24 Neben der Organisation eigener Veranstaltungen reagieren die Bürgerinitiativen aber auch weiterhin auf andere Veranstaltungen zum Thema SuedLink. So beteiligen sie sich an Diskussionen und tragen ihren Unmut gegen das Vorhaben auch bei Veranstaltungen von TenneT vor. Einen besonderen Höhepunkt stellten eine Reihe von ironischen Preisverleihungen an die Kommunikationsverantwortlichen von TenneT dar, nachdem diese eine Auszeichnung der International Public Relations Association (IPRA) für ihr Kommunikationskonzept erhalten hatten.25 So überreichten Bürgerinitiativen aus dem Schwalm-Eder-Kreis in Kassel den „goldenen Sargnagel“ an TenneT und erklärten deren Kommunikationskonzept für völlig gescheitert.26 Anhand der Bürgerinitiativen, die wir genauer beobachtet haben, lässt sich ein Prozess der Professionalisierung nachvollziehen. Setzten sich die Argumente gegen den SuedLink anfangs noch aus diffusen Ängsten und vereinzelten Infor24 Vgl. Yüce, Maja: 500 Menschen in Fritzlar gegen Südlink auf der Straße, in: HNA Online, 21.10.2014, URL: http://www.hna.de/lokales/fritzlarhomberg/fritzlarort45393/ menschenprotestiertenfritzlargegenSuedLinksuedlink-4189343.html [eingesehen am 22.02.2016]. 25 Siehe die Liste der vergangene Preisträger unter URL: https://www.ipra.org/goldenworld-awards/past-winners/ [eingesehen am 23.02.2016]. 26 Vgl. Yüce, Maja: Demo der BI gegen Südlink in Kassel, in: HNA Online, 18.02.2015, URL: http://www.hna.de/lokales/fritzlar-homberg/fritzlar-ort45393/demo-gegen-Sued Linksuedlink-kassel-4745756.html [eingesehen am 22.02.2016].

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mationen zusammen, haben sich die Bürgerinitiativen im Laufe der Zeit professionalisiert und dabei ein profundes Know-how zu den technischen Details der Stromtrasse und zu dem Planungsprozess erarbeitet. Dabei haben einzelne Bürgerinitiativen auch ihr Auftreten überarbeitet und bspw. ein eigenes Corporate Design entwickelt, mit dem das Infomaterial, Transparente und der FacebookAuftritt gestaltet sind. Neben der Professionalisierung ist für diese Phase aber auch ein Prozess der Radikalisierung zu verzeichnen. Während die Protestierenden zu Beginn noch aktiv an den Informations- und Beteiligungsprozessen teilnahmen, waren sie sehr schnell davon überzeugt, dass eine Auseinandersetzung mit TenneT keinen Sinn mache und nur öffentlicher bzw. politischer Druck ihre Ziele erreichen könne. Sie warfen TenneT immer stärker Unehrlichkeit und Irreführung vor und verweigerten sich Gesprächsangeboten. Insgesamt zeigen sich die von uns beobachteten Bürgerinitiativen gegen den SuedLink als typische VertreterInnen des Protests gegen Stromtrassen, wie sie auch der Forschungsstand zeichnet. Lokalpolitik Einen starken Verbündeten hatten die Bürgeriniativen in der Lokalpolitik. Sowohl BürgermeisterInnen als auch LandrätInnen haben sich nahezu überall in kürzester Zeit mit den Bürgerinitiativen solidarisiert. Sie haben sowohl logistisch, durch öffentliche Äußerungen, als auch durch Lobbyarbeit den Protest aktiv unterstützt. So organisierten BürgermeisterInnen den lokalen Bürgerinitiativen Räume und Genehmigungen für öffentliche Transparente und versuchten über politische Kontakte, Druck auf örtliche Bundestags- und Landtagsabgeordnete auszuüben. Auch die Landkreise schalteten sich vermehrt ein. Im SchwalmEder-Kreis bspw. wurde die untere Naturschutzbehörde als zuständig für alle Fragen zum SuedLink erklärt. Ihr Leiter trat in dem Zuge auch bei einer Reihe von Veranstaltungen der Bürgerinitiativen auf und versuchte, sie mit fachlichen Informationen zu unterstützen. Einzelne Landkreise schlossen sich mit ihrer Kritik an der Stromleitung zusammen und veranstalteten regelmäßige Vernetzungstreffen. Auch formulierten sie ihre Ablehnung in gemeinsamen Positionspapieren. Das wahrscheinlich wirkmächtigste Positionspapier der KommunalpolitikerInnen ist die Hamelner Erklärung vom 12. Dezember 2014. Darin fordern VertreterInnen von 16 Landkreisen aus der gesamten Bundesrepublik bei grundsätzlicher Anerkennung der Notwendigkeit einer neuen Energieinfrastruktur eine höhere Transparenz bei der Bewertung möglicher Trassenverläufe. Sie fordern die Bundesregierung und die Landesregierungen auf, sich für eine großräumige Prüfung von Alternativen ein-

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zusetzen und mehr Abschnitte des geplanten SuedLinks unter die Erde zu verlegen.27 Entscheidend für die Haltung der kommunalpolitischen AkteurInnen zum Konflikt um die Stromleitung war dreierlei: Erstens wurden die Kreise durch die Reform des Planungsverfahrens quasi entmachtet. Haben sie innerhalb des alten Verfahrens, das auf Landesebene stattfand, je nach Bundesland noch recht intensiv an der Planung und Umsetzung von Vorhaben mitgewirkt, verfügen sie im neuen Verfahren über keinen direkten Einfluss mehr. Zweitens wurden die kommunalen AkteurInnen vom Protest der Bevölkerung unmittelbar angesprochen. Besonders die BürgermeisterInnen erlebten den Protest sehr direkt und wurden dadurch beeinflusst. Neben den sehr aktiven GegnerInnen der Trasse gibt es in den betroffenen Ortschaften keine aktiven BefürworterInnen, da das Projekt direkt vor Ort keinerlei Vorteile erbringen würde. Damit stehen die BürgermeisterInnen, auch wenn sie persönlich keine Aversionen gegen die Trasse haben, unter einem sehr einseitigen Druck. Drittens hatte TenneT zu Beginn einen strategischen Fehler begangen: Die öffentliche Debatte war mit der Pressekonferenz schon eingeleitet worden, als viele lokale FunktionsträgerInnen erst die Briefe erhielten, mit denen sie als Betroffene angesprochen wurden. So wurden vielerorts Beschwerden der LokalpolitikerInnen laut, dass sie kaum Möglichkeiten hätten, sich auf die öffentlichen Reaktionen vorzubereiten, und dass sie sich Fragen und Vorwürfen zu einem Thema ausgesetzt sähen, von dem sie selbst kaum eine Vorstellung besäßen.28 Diese ungünstigen Startbedingungen prägten das Verhältnis von LokalpolitikerInnen und TenneT über den von uns betrachteten Zeitraum nachhaltig. Landespolitik Im Rahmen des bayerischen Kommunalwahlkampfes distanzierte sich Horst Seehofer von den zuvor noch mitgetragenen Plänen zum Netzausbau. Noch im Februar 2014 verkündete der bayerische Ministerpräsident, dass die Stromleitung vom Norden in den Süden überflüssig sei und gegen den Willen Bayerns nicht durchgesetzt werde.29 Stattdessen forderte er ein Planungsmoratorium und schlug mehrere Alternativen vor, etwa den Bau von Gaskraftwerken oder eine 27 Vgl. Hamelner Erklärung, 12.12.2014, URL: http://www.hamelnererklaerung.de/de/ [eingesehen am 23.02.2016]. 28 Vgl. Crolly, Hannelore: Missglückter Start für die Stromtrasse, in: Die Welt, 12.02.2014. Auch in unseren Interviews ließen sich noch Monate später solche Aussagen finden. 29 Vgl. Abspacher, Peter: Seehofer: Trassen sind unnötig, in: Nürnberger Nachrichten, 03.10.2014; Issig, Peter: Seehofer unter Spannung, in: Die Welt, 15.03.2014.

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Verlegung der Trasse nach Baden-Württemberg.30 Mit seiner Kritik an der Stromtrasse geriet Seehofer in Opposition zu dem von Sigmar Gabriel geleiteten Bundeswirtschaftsministerium, das für die erfolgreiche Umsetzung der Energiewende zuständig war. Auf einem Koalitionsgipfel im Oktober 2014, der sich mit dem Konflikt um die Stromtrasse auseinandersetzte, wurde Seehofer schließlich das geforderte Moratorium inklusive Energiedialog zugebilligt.31 Daraufhin initiierte der Ministerpräsident im Herbst 2014 einen eigens auf Bayern bezogenen Energiedialog, im Zuge dessen das Land mit seiner Bevölkerung bis zum Februar 2015 über die geplanten Stromleitungen debattierte.32 Zustimmung erhielt die Stromtrasse dagegen seitens der Landesregierungen von Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hessen und Nordrhein-Westfalen. Bayerns Vorgehen wurde von den Regierungen dieser Bundesländer als Blockadehaltung kritisiert33 und die Bundeskanzlerin zum Einschreiten aufgefordert.34 Hierbei waren es besonders die von den Grünen geführten Länderministerien, die Seehofer für dessen Haltung kritisierten.35 2.2.3 Fazit Das Ziel von TenneT und der BNetzA, als besonders transparent und bürgernah zu erscheinen, muss als weitgehend verfehlt betrachtet werden. Sowohl Bürgerinitiativen als auch kommunale VertreterInnen empfanden den gesamten Beteiligungsprozess als Ablenkung und nicht ernst gemeint. Die Argumente, mit denen das Misstrauen gegenüber dem Beteiligungsprozess begründet wurde, waren einerseits die Unübersichtlichkeit des Verfahrens sowie die Ungewissheit, in welchem Verhältnis diese Beteiligung zum offiziellen Verfahren der BnetzA stand, und andererseits das stete Gefühl, dass die Entscheidung über den Trassenverlauf bereits gefallen war, bevor das Verfahren begann. Dies fasste ein Bürgermeister folgendermaßen zusammen:

30 Vgl. Hecking, Claus: Der Energiewendehals, in: Die Zeit, 05.03.2015. 31 Vgl. Knuf, Thorsten: Koalition streitet über Stromtrassen, in: Berliner Zeitung, 07.10.2014. 32 Vgl. Gaugel, Jochen/Peter, Issig: Den Dialog beendet und alle Fragen offen, in: Die Welt, 03.02.2015. 33 Vgl. Carini, Marco: Gegenwind für die Windstromleitung, in: Die Tageszeitung, 07.02.2014; Bebenburg, Pitt von: Trassenkritiker werden gehört, in: Frankfurter Rundschau, 21.02.2014. 34 Vgl. o. V.: Merkel soll ein Machtwort sprechen, in: Die Tageszeitung, 06.02.2014. 35 Vgl. o. V.: Seehofer gewinnt Streit im Stromnetz-Streit, in: Die Welt, 10.10.2014.

60 | J ULIA K OPP, SÖREN M ESSINGER -ZIMMER, J ONAS RUGENSTEIN „Es haben diese Infomärkte von TenneT stattgefunden, da konnte man irgendwelche Einwendungen erheben, man konnte vortragen, was aus seiner Sicht […] gegen die konkrete Ausgestaltung des Trassenkorridors spricht und ich frag mich so ein bisschen: Was passiert jetzt eigentlich […] mit diesen ganzen Einwendungen und mit den ganzen Anregungen, die da gekommen sind? Variante 1 ist, […] da wird der Antrag eingereicht, und zwar so, wie er von Anfang an geplant war, und dazu gibt es ein ganzes Bündel von Stellungnahmen und Anregungen und Einwendungen […]. Das hätte man dann auch selber bei der Bundesnetzagentur einreichen können. Variante 2, es wird tatsächlich etwas verändert aufgrund dieser Anregungen […]. Was passiert denn dann, wenn jetzt was verändert wurde? Also wenn bei uns die Trasse jetzt nicht mehr so rum um den Berg, sondern da rum um den Berg gehen soll. Dann haben wir für so rum unsere Einwendungen vorgetragen, wir haben für da rum natürlich auch jede Menge Einwendungen, aber die interessieren dann keinen mehr, also, das hat für mich nichts mit Dialog zu tun. […] Dafür reicht die Zeit überhaupt nicht aus.“

Ein Aktivist einer Bürgerinitiative sah sich sogar als Planungshelfer missbraucht: „Und wir haben gerade bei TenneT gemerkt, die haben sowas von oberflächlich ihre erste Planung hinterlassen und setzen darauf, dass die Bürger ihnen die Feinplanung machen und ihnen Argumente liefern und Sachen liefern, die sie hätten eigentlich erarbeiten müssen.“

Unterschiedliche Faktoren verstärkten den Eindruck, dass die Entscheidung über den Verlauf bereits feststehe und die Beteiligung reine Show oder lediglich Detailplanung sei. Erstens war offiziell von mehreren Grobkorridoren durch Deutschland die Rede, in denen die Trasse theoretisch verlaufen könne; aber nur zu einem dieser Korridore, dem Korridor Mitte-West, wurden Infomärkte abgehalten. Von Anfang an stellten daher Bürgerinitiativen und kommunale VertreterInnen an TenneT die Forderung, Transparenz zu schaffen in der Frage, warum die anderen Korridore nicht mehr zur Diskussion standen. Zweitens basierte dieser Eindruck der Scheinpartizipation auf sehr unterschiedlichen Auffassungen, worüber eigentlich zu reden sei. Während TenneT davon ausging, nicht für die Frage des „Ob“ verantwortlich zu sein, war für die direkt betroffenen Städte und Gemeinden das „Wie“ völlig zweitrangig gegenüber der Frage, ob sich das Projekt nicht noch vollständig verhindern ließe. Da TenneT weder eine politische Diskussion über die grundsätzliche Frage nach Ja oder Nein zuließ – und auch kaum zufriedenstellend hätte führen können, da die Trasse längst politisch beschlossen war – noch die Frage nach den anderen Grobkorridoren zufriedenstellend beantworten konnte, verhärtete sich die Ein-

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stellung der Bürgerinitiativen und kommunalen VertreterInnen gegenüber dem Beteiligungsprozess recht schnell. Besonders häufig wurde der Vorwurf laut, im Prozess nur Kommunikationsprofis gegenüberzustehen, die nicht inhaltlich Teil des Projekts seien und allein der Imagepflege und Pflichterfüllung dienen würden. „Und die haben wirklich den Eindruck gemacht absoluter Laien, nur Verkäufer, aber keine fundierte Wissenskraft, die da auftritt, sondern allein, ich muss das irgendwie verkaufen. Das sind irgendwelche Pflichtveranstaltungen, die muss ich nachweisen, ich muss nachher der Bundesnetzagentur sagen können, guck hier, ich hab 20 solche Veranstaltungen gemacht und es waren so viel hundert Leute da, tausend da und so viel schriftliche Eingaben hat sie. Bitteschön, ich hab genau das gemacht, was ihr mir vorgegeben habt, nämlich den Bürger zu beteiligen. Das war aber keine Beteiligung.“

Insgesamt hat sich gerade aufseiten der Bürgerinitiativen nicht das Gefühl verbreitet, dass TenneT einen besonders kommunikativen und betroffenennahen Planungsstil habe – zum Schluss dieser Phase wurde TenneT kaum noch als Gesprächspartner wahrgenommen: „Mit denen [TenneT] brauchen wir uns nicht mehr zu unterhalten.“ Die kommunalpolitischen VertreterInnen sind zwar deutlich zurückhaltender in ihrem Urteil, aber ebenfalls skeptisch, ob TenneT im Falle des SuedLinks ein guter Gesprächspartner ist – und das, obwohl zum Teil recht positive Einschätzungen aus vergangenen Projekten bestehen. Das Chaos zu Beginn des Dialogs über den SuedLink sowie der wahrgenommene Widerspruch zwischen der propagierten Offenheit der Beteiligung und der Unmöglichkeit, das Ja oder Nein zur Leitung überhaupt zu diskutieren, haben zu starken Frustrationen geführt. Die Informalität bei gleichzeitiger Größe der von TenneT betriebenen Informationskampagne vor dem eigentlichen Verfahren hat ebenfalls Unsicherheit entstehen lassen; besonders darüber, welche Einwände nun ins Verwaltungsverfahren übernommen werden und welche nun neu eingereicht werden müssen. Die BürgerInnen und die kommunalen VertreterInnen haben sich mit dem als übergroß und -mächtig wahrgenommenen Unternehmen alleingelassen gefühlt und die BNetzA als verantwortliche neutrale Behörde als zu passiv und schwach erlebt. Diese Wahrnehmung änderte sich mit der ersten Aufforderung zur Überarbeitung des Antrags zwar etwas, konnte aber die Fronten nicht mehr auflösen.

3 „Das Maß ist voll!“ Proteste gegen Windenergie S TINE M ARG , J ULIA Z ILLES , C AROLIN S CHWARZ „Der Protest gegen Windkraft ist so windig, daß er vorbeiziehen wird. Er wird wie einst der Protest gegen die ersten Eisenbahnstrecken zu einer komischen Episode werden.“1

3.1 W INDKRAFT

UND DIE DEUTSCHE

E NERGIEWENDE

Trotz zahlreicher Proteste gilt die deutsche Energiewende – auch unter WindkraftkritikerInnen – als gesellschaftlicher Konsens. Windkraft wird als eine tragende Säule des Umbaus des deutschen Strommarktes betrachtet. Im Jahr 2015 waren die erneuerbaren Energien mit einem Anteil von dreißig Prozent der Bruttostromerzeugung Deutschlands wichtigste Stromquelle. Windkraft (onshore) machte mit zwölf Prozent den größten Anteil der regenerativen Energieformen aus.2 Die Situationen in den einzelnen Bundesländern sind sehr unterschiedlich, was sich nicht zuletzt an den stark voneinander abweichenden Zielsetzungen zeigt. So bezeichnet etwa der Energieminister von Mecklenburg-Vorpommern, Christian Pegel, Windkraftausbau als „eine riesige Reindustrialisierungs-Chance“3 1 2

Scheer: Windiger Protest (1998), S. 28. Vgl. Agora Energiewende: Die Energiewende im Stromsektor: Stand der Dinge 2015. Rückblick auf die wesentlichen Entwicklungen sowie Ausblick auf 2016, Berlin 2016, URL: http://www.agora-energiewende.de/fileadmin/Projekte/2016/Jahresauswertung_ 2016/Agora_Jahresauswertung_2015_web.pdf [eingesehen am 26.10.2016], S. 9.

3

Hahn, Thomas: Gegenwind. Keine Abgase, keine Abfälle, hohe Rendite – es lohnt sich, aus Luftströmungen Strom zu machen, in: Süddeutsche Zeitung, 07.07.2015.

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und Exportmöglichkeit. Mecklenburg-Vorpommern will bis zum Jahr 2025 6,5 Prozent des deutschen Energiebedarfs erzeugen; davon sollen 75 Prozent aus Windkraft produziert werden. Schleswig-Holstein strebt an, bis zum selben Jahr 300 Prozent des eigenen Strombedarfs aus erneuerbaren Energien zu produzieren, einen Großteil davon aus Windkraft.4 Auch im Land Niedersachsen sieht man vielfältige Potenziale sowohl offshore als auch onshore, dort vor allem im Repowering5. Die Landesregierung verfolgt das Ziel, Niedersachsens gegenwärtige Spitzenstellung im regenerativen Energiebereich konsequent auszubauen. Bis 2050 sollen mindestens zwanzig Gigawatt mit Onshore-Anlagen produziert werden.6 Das Land Rheinland-Pfalz will bis zum Jahr 2030 zu hundert Prozent im eigenen Land erzeugte erneuerbare Energien nutzen. Demgegenüber streben die PolitikerInnen Baden-Württembergs für denselben Zielzeitraum lediglich an, zehn Prozent des Energiebedarfs aus Windkraft zu erzeugen.7 Trotz (oder gerade wegen) dieser großen politischen Bedeutung des Windkraftausbaus bestehen vielerorts lokale Konflikte um die Errichtung solcher Anlagen. Windkraft nimmt hier eine interessante Doppelrolle ein, da sie zum einen als „Konfliktlösungsmittel“ in Bezug auf Treibhausgasemissionen und Klimawandel gesehen wird, zum anderen (zunehmend) selbst Gegenstand lokaler Konflikte wird.8 Diese entfachen sich an unterschiedlichen Streitpunkten, die im Zusammenhang mit lokalen Kontextbedingungen stehen. Wendet man sich in der einen Region gegen die als zu hoch empfundene Anzahl von Windrädern, wird in anderen Gegenden vor allem die Errichtung von Windrädern in Wäldern abgelehnt. GegnerInnen kritisieren, dass nur wenige AnwohnerInnen von den Anlagen (finanziell) profitierten und ihre Immobilien an Wert verlören. Für die einen ist die Ästhetik der Landschaft zentral, für die anderen der Naturschutz. In der 4

Vgl. ebd.

5

Unter Repowering versteht man die Ersetzung älterer, kleinerer durch neue, effizientere und meist größere Windkraftanlagen. Dadurch lässt sich vor dem Hintergrund der fortschreitenden technischen Entwicklung bei gleichbleibendem Flächenverbrauch ein Vielfaches der Megawattleistung erzielen.

6

Vgl. Niedersächsisches Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz: Windenergieerlass. Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen an Land in Niedersachsen und Hinweise für die Zielsetzung und Anwendung. Entwurf, 2015, URL: http://www.umwelt.niedersachsen.de/windenergieerlass/windenergieerlass133444.html [eingesehen am 22.02.2016].

7

Vgl. Kelnberger, Josef: „Ich habe unterschätzt, wie viel Zeit das alles kostet“. BadenWürttembergs Umweltminister Franz Untersteller über die Schwierigkeit, mehr Rotoren ins Land zu stellen, in: Süddeutsche Zeitung, 07.07.2015.

8

Vgl. Ohlhorst/Schön: Windenergienutzung in Deutschland (2010), S. 198.

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Diskussion um die Nutzung von Windenergie zeigt sich ein „innerökologischer Zielkonflikt“9 zwischen Umweltschutz und der Befürwortung der Energiewende auf der einen sowie Naturschutz und der Ablehnung von jeglichen Eingriffen in die Natur auf der anderen Seite.

3.2 I NSPEKTION I: W INDKRAFT IM N ATURPARK IN R HEINLAND -P FALZ „Onshore-Vorzeigeprojekt der Multimegawatt-Klasse“10 oder „Sündenfall“ – der Windpark Ellern wird sowohl von Windkraftunternehmen als auch deutschlandweit von Bürgerinitiativen als Beispiel angeführt. Einerseits gilt er als Vorzeigewindpark der E-126-Anlagen der ostfriesischen Herstellerfirma Enercon, mit denen mit 7,5 Megawatt zwei- bis dreimal so viel Strom produziert werden kann wie mit den E-101-, E-72- oder E-82-Anlagen, die bislang vorrangig im Binnenland eingesetzt worden sind. Andererseits wird von WindkraftkritikerInnen auf den Hunsrück und insbesondere auf den Windpark Ellern als abschreckendes Beispiel und Horrorszenario für andere Mittelgebirgsregionen verwiesen.11 Fotos von der Region insgesamt und häufig von den „Monsterwindrädern“ in Ellern zieren zahlreiche Internetseiten – meist mit dem expliziten Verweis, dass es sich hierbei nicht um eine Fotomontage handele. Ellern liegt im rheinland-pfälzischen Rhein-Hunsrück-Kreis am Fuße des Soonwaldes, der in weiten Teilen als Naturpark deklariert ist. „Unberührte Natur ist selten geworden im Hunsrück. Bislang galt der Soonwald als eine der letzten Rückzugsflächen in der Region – vor der Windkraft.“12 Auf dem Gebiet Hochsteinchen im Soonwald, das zur Gemarkung Ellern gehört, sowie im angrenzenden Staatswald (Landesforsten) planten 2012 die Gemeinde Ellern, vorangetrieben

9

Vgl. u. a. Ohlhorst, Dörte/Schön: Windenergienutzung in Deutschland (2010), S. 201; Byzio et al.: Energiewende in schwerer See? (2005).

10 ENERCON GmbH (Hrsg.): Windblatt. ENERCON Magazin für Windenergie, Aurich, H. 1/2013, URL: http://www.enercon.de/fileadmin/Redakteur/Medien-Portal/windblatt/ pdf/WB_1-2013_de_web.pdf [eingesehen am 08.01.2016], S. 14 f. 11 Etwa auf einem Bildaufdruck „In Hohenlohe welch ein Graus, sieht’s bald wie dort im Hunsrück aus!!!“, URL: www.gegenwind-husarenhof.de [eingesehen am 22.02.2016]. 12 Boch, Volker: Windkraft: Juwi rodet vorab – Baugenehmigung ist nicht nötig, in: Rhein-Zeitung, 13.03.2012, URL: http://www.rhein-zeitung.de/region_artikel,-WindkraftJuwi-rodet-vorab-Baugenehmigung-ist-nicht-noetig-_arid,394736.html [eingesehen am 22.02.2016].

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durch den damaligen Bürgermeister, das Land Rheinland-Pfalz sowie das Unternehmen Juwi den Bau von insgesamt acht Windkraftanlagen; bei fünf von ihnen handelte es sich um Enercon E-126-Anlagen – mit einer Narbenhöhe von 135 Metern, einer Gesamthöhe von 198,50 Metern und einer Leistung von 7,5 Megawatt (MW) die bis dato größten und leistungsstärksten Anlagen auf dem Markt –, drei weitere waren kleinere Enercon E-101-Anlagen. Insgesamt soll der Windpark laut Angaben des Projektierers Juwi jährlich 120.000 Kilowattstunden (KW) Strom erzeugen, was dem Verbrauch von 33.000 Haushalten entspreche.13 Das Land Rheinland-Pfalz hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 zu hundert Prozent im Land erzeugte erneuerbare Energien zu nutzen. Die Menge des mit Windenergie erzeugten Stroms soll bis 2020 verfünffacht werden. Man ist stolz auf die Vorreiterrolle im Bereich der erneuerbaren Energien. Um dieses Ziel zu erreichen, sollen mindestens zwei Prozent der Landesfläche insgesamt sowie mindestens zwei Prozent der Fläche des Waldes für Windenergie zur Verfügung gestellt werden;14 denn die benötigte Menge an Windenergie lässt sich nur dann erzeugen, wenn auch Waldflächen genutzt werden. Im Bundesvergleich verfügt Rheinland-Pfalz prozentual über den größten Anteil an Waldflächen. Bis zu Beginn der 2000er Jahre war bundesweit nicht möglich, in Wäldern Windkraftanlagen zu errichten; vor allem da sich der Rotor der damaligen Anlagen aufgrund der niedrigeren Höhe innerhalb der Baumkronen gedreht hätte. Auf Bestreben eines hochrangingen Ministerialbeamten – folgt man der Selbstdarstellung der Person – wurden die gesetzlichen Rahmenbedingungen in Rheinland-Pfalz15 so geändert, dass die neueren, höheren Anlagen nun auch in Wäldern errichtet werden konnten. Diese neue Option hat die Konflikthaftigkeit von Windkraftanlagen in der Region verstärkt, da in den Waldgebieten Aspekte des Naturschutzes eine größere Rolle spielen. Auf Landesebene sind verschiedene Kriterien formuliert worden, die für die Auswahl eines Windkraftstandortes eine Rolle spielen. Eines 13 Siehe Juwi: Neuer HunsrückWindpark vereint Energiewende und Naturschutz, URL: http://de.juwi.com/startseite/projektentwicklung/windenergie/windenergie_im_wald/ hunsrueck_windpark_ellern.html [eingesehen am 22.02.2016]. 14 Vgl. Ministerium für Wirtschaft, Klimaschutz, Energie und Landesplanung (MWKEL)/ Ministerium der Finanzen (FM)/Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Ernährung, Weinbau und Forsten (MULEWF)/Ministerium des Innern, für Sport und Infrastruktur (ISIM): Hinweise für die Beurteilung der Zulässigkeit der Errichtung von Windenergieanlagen in Rheinland-Pfalz (Rundschreiben Windenergie), Mainz 2013, URL: http:// mwkel.rlp.de/de/themen/energie-und-strahlenschutz/erneuerbare-energien/windenergie/ [eingesehen am 11.01.2016]. 15 Nach wie vor ist nicht in allen Bundesländern zulässig, Windräder in Waldgebieten zu errichten.

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davon ist die „Windhöffigkeit“16: Diese wurde durch umfassende Messung und Modellierung für das ganze Bundesland ermittelt und als „Windatlas RheinlandPfalz“ veröffentlicht.17 Weitere Kriterien sind die Vorbelastung durch Infrastrukturtrassen oder nicht standortheimische Baumarten sowie Belange des Naturschutzes, des Immissionsschutzes, des Trinkwasserschutzes, des Bau- und Bodendenkmalschutzes sowie der UNESCO-Welterbestätten im oberen Mittelrheintal. In Rheinland-Pfalz sind seit den 1990er Jahren im Rahmen verschiedener gesetzlicher Maßnahmen (insbesondere durch das Landesentwicklungsprogramm, LEP, IV) erhebliche Investitionen in den Ausbau von Windenergieanalagen und Windkraftparks geflossen. Der von uns betrachtete Rhein-Hunsrück-Kreis produziert bereits mehr Energie aus erneuerbaren Energien als benötigt. Er gilt auf politischer Ebene als Vorzeigeregion für eine gelungene Energiewende. Sichtbarster Kernbestandteil dieser Entwicklung in der (wirtschaftlich) sehr strukturschwachen Region ist der massive Ausbau von Windkraft – die Mittelgebirgslandschaft des Hunsrücks sei ein „Eldorado für Windenergie“18 und gleichzeitig ein „Laboratorium für eine Windkraft-gestützte Energiewende in den ‚Südländern‘“19. Die Region zeichnet sich durch viele Gebirgszüge und Höhenlagen mit guter Windhöffigkeit aus, weshalb dort die Produktion von Strom durch Windkraftanlagen besonders lohnenswert ist. Aktuell sind im Landkreis 259 Windkraftanlagen am Netz, sechs 16 Der Begriff höffig stammt aus der Bergmannssprache und bedeutet ein reiches Vorkommen versprechend. Ob eine Anlage wirtschaftlich betrieben werden kann, hängt von der Windhöffigkeit eines Standorts ab. Die Werte für eine gute Windhöffigkeit unterscheiden sich jedoch innerhalb der Bundesländer (vgl. Zaspel-Heisters, Brigitte: Welcher Raum bleibt für den Ausbau der Windenergie? Analyse des bundesweiten Flächenpotenzials in Deutschland, in: Informationen zur Raumentwicklung, H. 6/ 2015, S. 543–567, hier S. 545). 17 Der aktuelle Windatlas ist einsehbar unter URL: http://www.windatlas.rlp.de/ windatlas/ [eingesehen am 31.10.2016]; siehe auch Ministerium für Wirtschaft, Klimaschutz, Energie und Landesplanung (MWKEL): Windatlas. Energie, die einleuchtet, Mainz 2013, einsehbar unter http://www.windatlas.rlp.de/windatlas/bundles/ rlpwindatlas/RLP_Windatlas_Einzelseiten_130723.pdf [eingesehen am 22.02.2016]. 18 Wendling, Wolfgang: Hunsrück hat den leistungsstärksten Windpark im Südwesten Deutschlands, in Rhein-Zeitung, 14.05.2012, URL: http://www.rhein-zeitung.de/ region/lokales/hunsrueck_artikel,-Hunsrueck-hat-den-leistungsstaerksten-Windparkim-Suedwesten-Deutschlands-_arid,424523.html [eingesehen am 22.02.2016]. 19 Wille, Joachim: Der Hunsrück dreht am Rad, in: Frankfurter Rundschau, 17.06.2016, URL: http://www.fr-online.de/energie/windenergie-der-hunsrueck-dreht-am-rad,1473 634,34382248.html [eingesehen am 26.10.2016].

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Anlagen befinden sind im Bau, 28 weitere sind beantragt sowie drei bereits genehmigt.20 Obwohl bereits seit den 1990er Jahren vereinzelt und dann ab 2007 in stärkerem Umfang in vielen der kleinen Ortsgemeinden kleinere Windparks mit drei bis zehn Anlagen entstanden sind, gab es so gut wie keinen Widerstand gegen diese Veränderung der Landschaft. Erst als die Pläne für den Windpark Ellern im Soonwald – einem bis dahin nahezu von Windkraft unberührten bewaldeten Höhenzug – konkreter wurden, regte sich Widerstand. 3.2.1 Konfliktchronologie Tabelle 1: Konfliktchronologie Windpark Ellern Datum

Ereignis

2008

Beginn der Planungen für das Projekt.

Bis 2011

Mehrere Informationsveranstaltungen in Ellern.

2011

Bürgerbefragung Ellern (Wahlbeteiligung 77 Prozent; 72 Prozent sind für die Errichtung von Windrädern auf Gemeindeflächen); daraufhin beschließt der Gemeinderat das Projekt. Der Projektierer Juwi stellt einen Bauantrag bei der Kreisverwaltung Simmern.

Febr. 2012

Dem Eilantrag von Juwi auf vorzeitige Baugenehmigung wird stattgegeben. Die Flächen im Soonwald werden in einer „Nacht und Nebel-Aktion“ gerodet. Im Soonwald findet eine Protestkundgebung statt.

29. Aug. 2012

Übergabe von 5.000 Unterschriften gegen Windkraft im Soonwald durch BI und andere AktivistInnen.

Nov. 2012

Diskussions- und Informationsveranstaltungen in der Region; Fertigstellung der fünf E-126-Anlagen.

20 Stand: 04.10.2016.

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Datum

Ereignis

6. Jan. 2013

Übergabe eines offenen Briefes der BI an Bundesumweltminister Peter Altmaier.

Frühjahr 2013

BI organisiert mehrmals für Gruppen aus anderen Regionen Deutschlands (z. B. Schwarzwald) Besichtigungsfahrten zum Windpark.

8. Aug. 2013

Organisation einer Bundespressekonferenz „Windkraft versus Mensch und Natur“ in Berlin durch AktivistInnen.21

14. Sept. 2013

Demonstration in der Kreisstadt Simmern mit ca. 300 TeilnehmerInnen – erste Demonstration der Stadt. In diesem Kontext wird der Dachverband „Energiewende für Mensch und Natur“ gegründet.

15. Sept. 2013

Inbetriebnahme Windpark Ellern, Windparkfest, Boykott durch GegnerInnen.

Frühjahr 2014

Bürgerbefragung im benachbarten Ort Tiefenbach durch Bürgerinitiative mit dem Ziel, weitere Windräder im Soonwald zu verhindern.

Mai 2014

BI-Aktion Heimatcheck „Wer noch mehr will, ist nicht wählbar“ im Vorfeld der Kommunalwahl. Alle ListenkandidatInnen wurden von der BI angeschrieben und sollten Fragen zum weiteren Windkraftausbau beantworten; die Ergebnisse sind ausführlich auf der Website dokumentiert.22

21 Die Veranstaltung ist abrufbar unter URL: https://www.youtube.com/watch?v= hpJZ7pFxb7Y [eingesehen am 23.10.2015]. 22 Angeschrieben wurden 1.244 KandidatInnen, von denen 74 die Fragen der BI beantworteten; siehe BI Windkraftfreier Soonwald/Schutzgemeinschaft Hunsrück: Pressemitteilung Heimatcheck, URL: http://www.windkraftfreier-soonwald.de/aktivit%C3% A4ten/heimatcheck/ [eingesehen am 23.02.2016].

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Datum

Ereignis

Sommer 2014

Die Landesregierung weist Kernzonen im Naturpark Soonwald aus. Dadurch sind weitere Planungen für WEAs zumindest vorerst vom Tisch.

Nov./Dez. 2014

Die BI veranstaltet die Dialogreihe „Hunsrück unter Spannung.“ Das Format richtet sich vor allem auch beratend an die Politik, um mögliche Verbündete über den neuen Entwurf des Regionalen Raumordnungsplans aufzuklären.23

20. Juni 2015

Demonstration bei der Landesdelegiertenkonferenz der Grünen in Bingen.

Juni 2015

Neuer Landrat lehnt gemeinsam mit VG-BürgermeisterInnen weitere Ausweisung von Potenzialflächen für zusätzliche 150 WEAs ab: „Es kommt der Punkt, da muss man zusammen aufstehen und den Mund aufmachen und sagen – es reicht!“

Juli 2015

Gemeinsame Postkartenaktion von Bürgerinitiative und Landrat – 10.000 unterschriebene Protestpostkarten werden unterschrieben und an die VG-BürgermeisterInnen und den Landrat übergeben, um den Druck auf die Landesebene zu erhöhen. Die Neuausweisung von Windkraftflächen im Regionalen Raumordnungsplan kann verhindert werden.

23 Siehe auch Bender, Andreas: Windkraft im Hunsrück. Bürgerinitiative sucht Dialog mit der Politik, in: Rhein-Hunsrück Zeitung, 13.11.2014, URL: http://www.rheinzeitung.de/ region/lokales/hunsrueck_artikel,Windkraft-im-Hunsrueck-Buergerinitiative-sucht-Dia log-mit-Politik_arid,1232636.html#.VippyW7akVg [eingesehen am 22.02.2016].

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Datum

Ereignis

10. Okt. 2015

Demonstration in Mainz und Frankfurt, organisiert durch das Bündnis Energiewende für Mensch und Natur e. V. in Kooperation mit Vernunftkraft Landesverband Hessen e. V.

Januar 2016

Gründung des Naturschutzverbandes „Die Naturschutzinitiative e. V.“24, der ehemalige BUND-Landesvorsitzende Harry Neumann wird Vorsitzender. Auch Mitglieder der BI Windkraftfreier Soonwald engagieren sich dort und bewerben die neue Initiative auf ihrer Website.

Unser Erhebungszeitraum erstreckte sich von November 2014 bis Februar 2015. Kurz vor diesem Zeitraum fiel die Entscheidung seitens der Landesregierung, Kernzonen im Soonwald auszuweisen, sodass weitere Bauvorhaben vorerst blockiert sind. Die aktuelle Arbeit der Bürgerinitiative konzentrierte sich auf die Auseinandersetzung mit dem Entwurf eines neuen Regionalen Raumordnungsplanes, der weitere Flächen für die Region vorsah, sowie auf eine Ausweitung ihres Engagements über den Soonwald hinaus auf den gesamten Hunsrück. Diese Entwicklung gipfelte in der Namensergänzung der BI um den Zusatz „Schutzgemeinschaft Hunsrück“ im Sommer 2015.25 3.2.2 Beteiligte AkteurInnen Bürgerinitiativen und Naturschutzverbände gegen Windkraft Nach Erteilung der vorzeitigen Baugenehmigung im Februar 2012 wurde in einer „Nacht-und-Nebel-Aktion“ – wie es die Aktiven in Interviews beschrieben –, mit schwerem Gerät im Naturpark mit den Rodungsarbeiten begonnen. In den Erzählungen der AktivistInnen stellte dies den Auslöser für die Proteste dar. Die Rodungen in dem aus ihrer Sicht sensiblen Gebiet hätten das Fass zum Überlaufen gebracht; den Verantwortlichen wird vorgeworfen, durch den Rodungsbeginn am frühen Morgen bewusst versucht zu haben, die Bevölkerung hinters 24 Siehe URL: http://www.naturschutz-initiative.de/ [eingesehen am 26.10.2016]. 25 Siehe BI Windkraftfreier Soonwald/Schutzgemeinschaft Hunsrück: Wer wir sind, URL: http://www.windkraftfreier-soonwald.de/wer-wir-sind/ [eingesehen am 23.02.2016].

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Licht zu führen und Protestaktionen zu umgehen. Infolgedessen fand eine erste Demonstration auf dem Gelände im Wald statt. Die zügig voranschreitenden Baumaßnahmen wurden von verschiedenen Protestaktionen begleitet. Im Zuge der Rodungen gründete sich die BI Windkraftfreier Soonwald, zunächst mit dem Ziel, den Windpark Ellern noch zu verhindern, dann, als dieser „Dammbruch“ nicht mehr abzuwenden war, um den weiteren Soonwald von Windkraft freizuhalten. Die Rodung des Soonwaldes bedeutete in den Augen der BI „für viele Menschen […] die Verletzung ihrer eigenen Seele“. Die BI vertritt die Ansicht, dass die Region bereits mehr als genug für die Umsetzung der Energiewende geleistet habe, was auch an ihrem Slogan deutlich wird: „Das Maß ist voll!“. Die Initiative entwickelte sich zunächst als Arbeitsgruppe eines großen und seit über zwanzig Jahren etablierten Vereins zum Schutz der Waldflächen in der Region und spaltete sich ab, als die Interessen und Arbeitsschwerpunkte zunehmend auseinanderliefen. Während der Verein Initiative Soonwald für die Förderung von Tourismus und Naherholung eintritt, will die Bürgerinitiative aktiv gegen den Ausbau von Windkraft vorgehen. Dazu entwickelte sie ein Organisationskonzept mit mehreren Aktionssäulen und festgelegten Schwerpunkten; die professionelle Organisationsweise ist u. a. auch mit den Berufsbiografien der Aktiven zu erklären. In der Initiative sind etwa 300 Mitglieder organisiert; darunter findet sich ein festes Kernteam aus ca. zwanzig Personen, die mit verschiedenen Projekten und Aufgaben betraut sind und die Arbeit der BI vorantreiben. Im Gespräch wird betont, dass der Widerstand nicht aus Wut heraus begründet worden sei, sondern aus einer positiven Grundhaltung: „Diese Bewegung, die wir aufgebaut haben, die haben wir nicht aufgebaut aus der Wut heraus, sondern wir haben ein windkraftfreies Soonwald-Fest organisiert. Solange der Soonwald noch windkraftfrei ist, haben wir alle Menschen auf diesen Platz geholt, um mit ihnen zu feiern. Aber auch eine Vernetzung aufzubauen. Das heißt, es waren alles Menschen, denen der Soonwald am Herzen hing, die dann gesagt haben, wir möchten uns auch engagieren. Also die Grundplattform mussten wir erstmal schaffen.“

Bevor die Rodungsarbeiten für den Windpark Ellern begannen, hatte es keine nennenswerten organisierten Protestaktivitäten in der Region gegeben. Bis dahin habe man den PolitikerInnen vertraut, dass diese den Soonwald nicht antasten würden. Ein Mitglied der Bürgerinitiative beschreibt dieses Urvertrauen in die Politik wie folgt: „So, und dann habe ich aber, und ich glaube, das ging vielen Menschen auch so, man hat es in der Zeitung gelesen, dass darüber nachgedacht wird und so, hat es irgendwie nicht

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ernstgenommen, dass es kommt. Ich habe mich irgendwie auch darauf verlassen, das kann nie im Leben sein. Und dann war diese Über-Nacht-Rodung 2012. Und was da passierte und wie viele Menschen da weinten, an dem Tag. Das war wie so ein, man könnte sagen, wir waren zu gutmütig oder zu gutgläubig. Wir haben irgendwie alle nicht daran gedacht, dass man diesen Weg gehen wird. Heute vertraue ich niemandem mehr.“

Am 14. September 2013 fand schließlich in der Kreisstadt Simmern eine Demonstration mit ca. 300 TeilnehmerInnen statt – die erste Straßendemonstration überhaupt in der Geschichte der Stadt. In diesem Kontext gründete sich offiziell der Dachverband „Energiewende für Mensch und Natur“, einen Tag später wurde der gesamte Windpark Ellern mit einem Windparkfest in Betrieb genommen, das die GegnerInnen jedoch boykottierten. Die Aktionen der BI richteten sich nun vor allem darauf, weitere Windkraftanlagen im Soonwald zu verhindern. In den Fokus rückte dabei die Ortsgemeinde Tiefenbach – eine Nachbargemeinde von Ellern, die ebenfalls vor allem aus finanziellen Gründen an der Errichtung von Windrädern auf ihrer Gemarkung interessiert war. Dort führte die Bürgerinitiative eine Bürgerbefragung durch, in der die BewohnerInnen die Windkraftpläne überwiegend ablehnten. Der Gemeinderat erachtete das Ergebnis jedoch als nicht bindend und verfolgte weiterhin die Strategie, den Flächennutzungsplan der Verbandsgemeinde Simmern so zu ändern, dass der Bau von Windkraftanlagen im betreffenden Bereich im Soonwald möglich würde. Da jedoch im Sommer 2014 seitens der Landesregierung windkraftfreie Kernzonen im Naturpark Soonwald ausgewiesen wurden, waren weitere Planungen für Windkraftanlagen zumindest vorerst vom Tisch. Sowohl die Bürgerinitiative selbst als auch einige PolitikerInnen schreiben die Ausweisung der Kernzonen den Protesten als Erfolg zu. Die Vernetzung und die Bündelung von Ressourcen werden von den AktivistInnen als zentral erachtet. Im September 2013 ist der Dachverband „Energiewende für Mensch und Natur e. V.“ gegründet worden, dem ein in der Region prominenter Sprecher vorsitzt und in dem sich mehr als dreißig Bürgerinitiativen aus dem Saarland und Rheinland-Pfalz, die sich gegen den Ausbau von Windkraft engagieren, zusammengeschlossen haben. Die Anzahl der dort vernetzten Mitgliedsinitiativen hat sich bis Mitte 2016 auf 54 erhöht. Damit sind ca. 9.000 Personen über den Dachverband organisiert. Neben den lokalen BIs kooperiert der Dachverband mit dem bundesweiten Dachverband „Vernunftkraft“,26 der European Platform Against Windfarms (EPAW)27 und verschiede26 Das nationale Netzwerk „Vernunftkraft. Bundesinitiative für vernünftige Energiepolitik“ existiert seit 2013. Darin sind zahlreiche Bürgerinitiativen und Dachverbände aus ganz Deutschland Mitglied (eine Landkarte mit den Mitgliedsinitiativen kann einge-

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nen Gruppen aus dem Elsass. Der Dachverband bietet strategisch Hilfestellung, sogenannte Erste-Hilfe-Pakete bzw. „Starthilfe“ für die Gründung neuer Bürgerinitiativen an.28 Zentrale Verbündete für die Verhinderung geplanter Windkraftanlagen sind die Naturschutzverbände (insb. NABU, BUND) – ihnen kommt eine besondere Stellung zu, da sie über konkrete Klagemöglichkeiten verfügen, insbesondere bei Windkraftanlagen in Wäldern oder anderen als sensibel empfundenen Gebieten. Als nicht-staatliche Akteure haben die Naturschutzverbände in RheinlandPfalz die Möglichkeit, mit Blick auf Bedenken beim Natur- und Artenschutz gegen Planungen zum Windkraftausbau Verbandsklagen einzureichen. Die Bürgerinitiativen als solche haben hingegen keine direkte Klagemöglichkeit, da nur direkt Betroffene klagen können; besonders bei Windkraftanlagen in Wäldern sind das allerdings nur wenige Personen. Deshalb bestehen enge Kontakte bis hin zu vielen personellen Verflechtungen, etwa zwischen ehemals BUND, nun der neuen Naturschutzinitiative e. V., die sich eindeutiger gegen Windkraft positioniert, und der Bürgerinitiative. Vor allem in den Naturschutzverbänden zeigt sich der innerökologische Zielkonflikt besonders deutlich: Auf der einen Seite werden erneuerbare Energien, der Ausstieg aus der Atomkraft und die Energiewende befürwortet, auf der anderen Seite die lokalen Eingriffe in die Natur kritisch gesehen. Dieser „Spagat ist […] nicht immer ganz einfach“. Wir haben insgesamt fünf Interviews mit VertreterInnen der Bürgerinitiative, des Dachverbandes, des Kreisverbandes des NABUs sowie unabhängig agierenden AktivistInnen geführt.

sehen werden unter URL: http://www.vernunftkraft.de/Bundesinitiative/ [eingesehen am 23.02.2016]). 27 Auf europäischer Ebene existiert mit EPAW ein Zusammenschluss von 960 Initiativen aus dreißig (nicht nur europäischen) Ländern. Dessen Motto lautet: „Windkraftanlagen: Wir werden kämpfen bis zum Ende, wir werden auf dem Land kämpfen, Wir werden auf der See kämpfen, Wir werden uns nie ergeben.“ (eine Länderübersicht kann eingesehen werden unter URL: http://epaw.org/organisation.php?lang=de [eingesehen am 23.02.2016]). 28 Zu dieser und weiteren Handlungsstrategien der Bürgerinitiativen vgl. Zilles, Julia/ Schwarz, Carolin: Bürgerproteste gegen Windkraft in Deutschland. Organisation und Handlungsstrategien, in: Informationen zur Raumentwicklung, H. 6/2015, S. 669–679, hier S. 674 ff.

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Kommunalpolitik Windkraft ist in diesem Fall eines der vergleichsweise seltenen Machtfelder der Kommunalpolitik, da die Entscheidung, wo Flächen für Windkraft ausgewiesen werden, auf kommunaler Ebene liegt. Zumindest im Rhein-Hunsrück-Kreis werden nahezu ausschließlich kommunale Flächen als Konzentrationsflächen für Windkraft ausgewiesen; so nutzt die Kommunalpolitik die Möglichkeit, finanzielle Einnahmen für die Gemeindehaushalt zu schaffen. Auf der AdressatInnenseite der Proteste steht daher aus Sicht der Bürgerinitiativen an erster Stelle die Kommunalpolitik. In Rheinland-Pfalz unterteilt sich die kommunale Struktur in Landkreise, Verbandsgemeinden und Ortsgemeinden, die in Bezug auf Windkraft allesamt über Entscheidungskompetenzen verfügen. So liegt etwa die Flächennutzungsplanung bei den Verbandsgemeinden, die den jeweiligen Regionalen Raumordnungsplan umsetzen. Wir haben mit insgesamt fünf VertreterInnen aller Ebenen Interviews geführt: zwei Ortsbürgermeistern, einem Verbandsgemeindebürgermeister, dem Landrat sowie dem Klimaschutzmanager des Landkreises. Der ehemalige ehrenamtliche Bürgermeister der Ortsgemeinde Ellern stellt sich selbst als innovativ und fortschrittlich dar. In seinen Augen habe er den entscheidenden Einfluss auf das Projekt ausgeübt: „Also meine Rolle, ich will mich nicht selber loben, aber ohne mich wäre das nicht gegangen.“ Die Umsetzung des Projekts betrachtet er als großen Erfolg und stellt seine Gemeinde und sich selbst als sehr anpackend, meinungs- und durchsetzungsstark sowie zukunftsorientiert dar. „Welche Aufgaben ich hatte. Eigentlich gar keine. Ich hab sie mir gesucht. Kein Mensch hat was verlangt.“ Auf die Frage, in welcher Situation seine Rolle besonders wichtig gewesen sei, antwortet er: „Immer [lacht], es gab keine, wo sie nicht wichtig war.“ Er habe die Chancen der Zeit genutzt, „alles hat seine Zeit“. Diese Wahrnehmung kollidiert jedoch mit der Tatsache, dass die Ortsgemeinden an die Flächennutzungsplanung der Verbandsgemeinden, die wiederum von der regionalen Raumordnungsplanung abhängig ist, gebunden sind. Gerade wenn Ortsgemeinden keine Windräder errichten wollen, auf ihrer Gemarkung aber Flächen ausgewiesen sind, haben Windkraftunternehmen das Recht, dort zu bauen. Dann ist die Genehmigungsbehörde „verpflichtet, das rechtswidrig versagte Einvernehmen von Amtswegen zu ersetzen“, wie uns ein Behördenleiter erläutert hat. Da die Projektierer jedoch an langfristig guten Beziehungen interessiert sind, nehmen sie die Meinung und Haltung der Bevölkerung und der Gemeinden zum Projekt sehr ernst und setzen wohl kaum ein Projekt gegen den Willen der lokalen VerantwortungsträgerInnen durch.

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Die lokalen PolitikerInnen nehmen die Proteste als etwas wahr, das von außen auf sie zukommt. Es handele sich um ältere „Zugezogene“, welche die Proteste organisierten und maßgeblich in Erscheinung träten. Folgendes Zitat eines Bürgermeisters mit Blick auf eine Diskussionsveranstaltung veranschaulicht in deutlichen Worten diese Sichtweise auf die ProtestakteurInnen: „Da sind 300 Leute im Saal. Hab’ ich zum Reporter gesagt: Guck mal, lauter alte Knacker, so wie ich, ja. Keine Jugend, nur alt. So Rentner und meistens gut betuchte Rentner. Und die meisten zugezogen. Mittlerweile kennen wir die Leute ja. [XY], der will hierher und jetzt machen wir ihm seinen Traum kaputt! ‚Das geht doch nit!‘ Was das nutzt, ist ihm völlig scheißegal.“

Die Kommunen haben ein Interesse an einem guten Verhältnis zu den Unternehmen, man versteht sich als Partner. Dies führt so weit, dass die Projektkommunikation gemeinsam organisiert und durchgeführt wird. Die kommunalen PolitikerInnen sehen in der Windkraft zuvorderst eine Einnahmequelle, aber auch eine Möglichkeit, von anderen Energieträgern – in dieser Region insbesondere Heizöl – unabhängiger zu werden. So verfügen mittlerweile einige der Ortsgemeinden, die sehr hohe Einkünfte durch Windkraftanlagen haben, über für die BewohnerInnen günstige Nahwärmenetze, welche die Abhängigkeit vom Heizöl reduzieren.29 Windkraftanlagen erscheinen der kommunalen Politik als alternativlose Bewältigung der Angst um die Zukunftsfähigkeit der Gemeinde (hinsichtlich demografischen Wandels, der Kinderbetreuung vor Ort, des Leerstandes in den Ortskernen) und als einziger Weg, die Attraktivität des Ortes zu erhalten bzw. zu steigern. Da jedoch die Einnahmen zunächst nur derjenigen Ortsgemeinde zur Verfügung stehen, die auch Landflächen besitzt, und aus geografischen (z. B. Tallage) sowie politischen Gründen auf übergeordneten Ebenen nicht alle Ortsgemeinden Windräder bauen können, entstehen Konflikte zwischen benachbarten Gemeinden – die einen sprechen von Neid, die anderen von unfairen Bedingungen. Bevor die einnahmeträchtigen Anlagen in Ellern gebaut worden sind, hatte die Verbandsgemeinde Rheinböllen zur präventiven Befriedung dieser Konflikte 2009 den ersten Solidarpakt in Rheinland-Pfalz abgeschlossen, demgemäß die Einnahmen nach einem festgelegten Schlüssel30 zwischen den Gemeinden aufgeteilt werden. Zudem wur29 Siehe auch Wille: Der Hunsrück dreht am Rad (2016). 30 Ein Grundbetrag in Höhe von 18.000 Euro sowie weitere fünfzig Prozent der darüberhinausgehenden Erlöse je Anlage verbleiben bei der Ortsgemeinde, auf deren Grundstück die Anlagen stehen. Der verbleibende Anteil wird anhand zweier Schlüssel auf die übrigen Gemeinden der Verbandsgemeinde verteilt: Die eine Hälfte wird zu glei-

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den Windparks innerhalb der Verbandsgemeinde konzentriert. Das Land Rheinland-Pfalz empfiehlt eine solche Lösung auch für andere Landkreise; wenngleich die Ausgangslage an solchen Orten sehr viel schwieriger ist, in denen es bereits viele Windkraftanlagen gibt, von denen die einzelnen Orte finanziell stark profitieren. Hier wäre ein Solidarpakt für einige Gemeinden mit finanziellen Einschnitten verbunden. Dennoch ist auch in der benachbarten Verbandsgemeinde Simmern gelungen, einen solchen Solidarpakt zu schließen. Für das Thema Windkraft kommt den Verbandsgemeinden die wichtige Aufgabe der Flächennutzungsplanung zu. Dabei werden sogenannte Konzentrationsflächen ausgewiesen, auf denen Windräder gebaut werden dürfen. Die Landkreise in Rheinland-Pfalz stehen in der Kommunalstruktur oberhalb der Gemeinde- und Verbandsgemeindeebene. Der interviewte Landrat war 26 Jahre lang, bis zur Kommunalwahl 2015, im Amt. Durch seine lange Tätigkeit in dieser Position hat er die gesamte Entwicklung des Ausbaus von erneuerbaren Energien in seiner Region begleitet. Er selbst sieht sich als wichtigen Vermittler zwischen den verschiedenen politischen Ebenen; in seiner Zeit als Landrat habe er versucht, persönlich Einfluss auf die Baupläne zu nehmen. Dabei beschreibt er sich auch als Experten für das Thema Windkraft und betont die Bedeutung für die regionale Wertschöpfung. Nachdem wir unsere Erhebung im RheinHunsrück-Kreis abgeschlossen hatten, trat zum 1. Mai 2015 der neue Landrat sein Amt an. Im Gegensatz zu seinem von uns interviewten Vorgänger ist dessen Nachfolger kein Windkraftbefürworter, sodass sich mittlerweile die Konfliktlinien verschoben haben: Der neue Landrat lehnte gemeinsam mit BürgermeisterInnen der Verbandsgemeinden des Kreises eine weitere Ausweisung von Potenzialflächen für zusätzliche 150 Windkraftanlagen im neuen regionalen Raumordnungsplan ab und teilte öffentlich mit: „Es kommt der Punkt, da muss man zusammen aufstehen und den Mund aufmachen und sagen – es reicht!“31. Im Juli 2015 schließlich organisierte die Bürgerinitiative im Rahmen einer Postkartenaktion 10.000 Unterschriften gegen die Ausweisung weiterer Vorrangflächen mit Platz chen Teilen auf die Orte verteilt, die zweite Hälfte wird nach Einwohnerzahlen gestaffelt ausgezahlt, sodass größere Orte mehr Geld als kleinere erhalten. 31 Hierbei handelt es sich um ein Zitat des Landrats im Rahmen einer Pressekonferenz. Diese ist dokumentiert unter: BI Windkraftfreier Soonwald/Schutzgemeinschaft Hunsrück: Pressemitteilung: 14-tägige Bürger-Postkartenaktion „Es reicht – Keine weiteren Windkraftflächen im Hunsrück“ mit 10.000 unterschriebenen Postkarten erfolgreich beendet, 20.07.2015, URL: http://www.windkraftfreier-soonwald.de/app/download/ 9967796394/2015_07_20+PM+BI+SoonwaldHunsrueck+Protestkarten.pdf?t=143740 9668 [eingesehen am 23.02.2016].

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für ca. 150 Windräder. Diese Aktion wurde explizit sowohl vom neuen Landrat als auch von den VerbandsbürgermeisterInnen unterstützt. Somit hat im Verlauf des lokalen Konflikts eine Verschiebung der Konfliktlinien zwischen den AkteurInnen stattgefunden. Landespolitik Das Land Rheinland-Pfalz sieht sich als Vorreiter der Energiewende; stolz verweisen die interviewten LandesvertreterInnen auf die vorderen Ränge im Vergleich mit anderen Bundesländern, die Rheinland-Pfalz in Statistiken etwa beim Ausbau von Windenergie belegt: „Also wir kommen sehr, sehr gut voran und das sehen wir auch als Ermutigung an“. Seit 2011 ist zum ersten Mal eine rotgrüne Landesregierung an der Macht, zuvor war 16 Jahre lang die SPD, über weite Teile gemeinsam mit der FDP, in Regierungsverantwortung gewesen. Zwei Ministerien sind für das Thema Windkraft von besonderem Interesse: zum einen das Umweltministerium, zum anderen das Wirtschafts- und Energieministerium. Beide Ministerinnen gehören den Grünen an und sind zentrale Projektionsfiguren der Proteste. Die primäre Strategie der Landesregierung lautet Bürgerbeteiligung; explizit wird dabei auf Stuttgart 21 verwiesen. Vor allem verfolgt man eine Vor-Ort-Taktik: Man stellt sich jeder Debatte, man geht überall hin, wo man eingeladen wird. Die Betonung, dass man vor allem auf Einladungen reagiere, zeugt aber eher von einer passiven statt aktiven Ausrichtung. Einerseits schätzt das Land den hohen demokratischen Stellenwert kommunalpolitischer Entscheidungen im Vergleich zu einer zentralisierten Regionalplanung; andererseits dient die Delegation von Entscheidung an die kommunale Ebene aber auch dazu, konkrete Konflikte von der Landesebene fernzuhalten. Zudem behält sich das Land Planungssperren vor, wie etwa im Soonwald durch die Ausweisung von Kernzonen in Naturparks geschehen. So konnten zwar konfliktträchtige Windkraftanlagen verhindert werden; jedoch empfinden dies die betroffenen KommunalpolitikerInnen als Eingriff in ihre kommunale Planungshoheit. Zudem nimmt das Land im Konflikt eine medial kaum kommunizierte Doppelrolle ein: Auf der einen Seite ist es Richtlinien- und Ratgeber und steckt mit der politischen Festlegung, zwei Prozent der Landesfläche für Windkraft zu nutzen, sowie mit den rechtlichen Vorgaben den Rahmen für kommunale Entscheidungen ab; auf der anderen Seite ist es aber auch selbst Grundstückseigentümer (Landesforsten) und Verpächter von Flächen für Windkraftanlagen, was mit entsprechenden Einnahmen verbunden ist. So profitiert das Land auch finanziell, insbesondere von Windkraftanlagen in Wäldern.32 32 Große und damit potenziell ertragreiche Anlagen werden offiziell empfohlen: „Um die begrenzt verfügbaren Standorte optimal für die Erzeugung emissionsfreien Stroms

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Behörden und Verwaltung Die Immissionsschutzbehörden auf Kreisebene sind die zentralen Genehmigungsbehörden für Windkraftprojekte in Rheinland-Pfalz. Als rechtliche Grundlage fungiert bei großen, raumbedeutsamen Anlagen das Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG), bei kleinen Anlagen das Baurecht; Windenergieanlagen im Außenbereich sind nach § 35 BauGB privilegiert.33 Das bedeutet, dass in der Flächennutzungsplanung der Verbandsgemeinden substanziell Raum für die Errichtung von Windkraftanlagen in Form von Konzentrationsflächen zur Verfügung gestellt werden muss; eine reine Verhinderungsplanung ist unzulässig.34 Im Rahmen des Genehmigungsprozesses sind viele verschiedene Rechtsgebiete betroffen (Schall, Wohnbebauung, Naturschutz, „Schutzgut Mensch“, Luftfahrt, Straßenverkehr, Baurecht, Eiswurf35). Die jeweiligen Fachgutachten werden extern erstellt und anschließend von der Behörde geprüft. Das Thema Schall steht zwar im Mittelpunkt, Naturschutz nimmt jedoch einen immer größeren Raum ein.

auszunutzen, gleichzeitig die Anzahl der Anlagen und damit den hierzu erforderlichen Flächenbedarf zu minimieren, sind möglichst leistungsfähige Anlagen vorzusehen.“ MWKEL/FM/MULEWF/ISIM: Windatlas (2013), S. 44. 33 Siehe ausführlich hierzu Fachagentur Windenergie an Land: Steuerung der Windenergie im Außenbereich durch Flächennutzungsplan im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB, Berlin 2015, URL: http://www.fachagenturwindenergie.de/fileadmin/files/ Veroeffentlichungen/FAWind_Hintergrund_Steuerung_Windenergie_Aussenbereich_ 02-2015.pdf [eingesehen am 01.02.2016]. 34 Diese Privilegierung wird von den Bürgerinitiativen scharf kritisiert: „Ein wichtiges Ziel ist übrigens, […] dass wir in Deutschland den Paragraphen 35 BauGB kippen. Der ist ja seinerzeit vor 25 Jahren eingeführt worden um Baumaßnahmen im Außenbereich zu privilegieren. Und damals ging es nämlich darum, dass überall die Landwirte sich in der Feldgemarkung Offenställe anlegen wollten, die man auch mit gemischten Gefühlen betrachten mag, aber denen sollte damit dann halt auch wirtschaftlich unter die Arme gegriffen werden. Und das hat sich dann ja flugs die Windkraftindustrie unter den Nagel gerissen, ja. Deshalb können Windräder dort gebaut werden, als privilegierte Sonderbauwerke, wo nicht mal ein Frittenbüdchen entstehen dürfte. Und deshalb muss dieser Paragraph 35 BauGB gekippt werden. Das ist ein ganz wichtiges Ziel unserer Bürgerinitiativen.“ 35 Unter Eiswurf versteht man die Gefahr, die bei kalten Temperaturen von Windkraftanlagen ausgeht, da Feuchtigkeit an den Rotorblättern gefrieren und dann in einem relativ großen Umkreis um die Anlage herum plötzlich hinabfallen und Menschen verletzen kann.

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Die Kreisverwaltung versteht sich explizit als mittelstandsfreundliche Verwaltung und ist dafür mehrfach ausgezeichnet worden. Sie hat den Anspruch, Verfahren möglichst zügig durchzuführen. Grundsätzlich sind zwei verschiedene Verfahren möglich: Zum einen ein vereinfachtes Genehmigungsverfahren, das einem Baugenehmigungsverfahren gleicht. Dieses findet ohne Öffentlichkeitsbeteiligung statt; betroffene BürgerInnen müssen selbst bemerken, dass sie vom Projekt betroffen sind, und können dann ohne bestimmte Frist Widerspruch äußern. Dies führt bei den Behörden und Unternehmen zu einer Unsicherheit über die Verfahrensdauer hinaus. Daher empfiehlt die Genehmigungsbehörde zumindest bei Standorten, an denen Konflikte erwartet werden, mittlerweile zum anderen das aufwendigere förmliche Genehmigungsverfahren auf Grundlage des Immissionsschutzrechtes (BImschG) mit aktiver Bürgerbeteiligung. Hier werden die BürgerInnen aktiv informiert, die Pläne werden offengelegt, nach einer Einwendungsfrist gibt es einen Erörterungstermin, danach erst fällt die Entscheidung. Lediglich Personen oder Naturschutzverbände, die im Rahmen der Offenlegung Einwände vorgetragen haben, können dann noch Widerspruch einlegen. Der Leiter der Immissionsschutzbehörde stellt den Prozess des Ausbaus von Windkraftanlagen als unpolitischen und reinen Verwaltungsakt dar. Weiterhin relevant ist die Planungsgemeinschaft Mittelrhein-Westerwald; als Körperschaft des öffentlichen Rechts kommt ihr als Aufgabe die Regionalplanung in der Region Mittelrhein-Westerwald zu. Dazu hat die Behörde einen regionalen Raumordnungsplan (RROP) erstellt, der mit der Genehmigung und Veröffentlichung durch das rheinland-pfälzische Ministerium des Innern, für Sport und Infrastruktur in Kraft trat. Durch eine Reform des Landesentwicklungsplans findet seit 2013 eine Anpassung des Regionalen Raumordnungsplans statt, der seit Mitte 2014 zur Auslegung und Anhörung in einem Entwurfsstadium vorliegt.36 Der RROP ist den Flächennutzungsplänen der Verbandsgemeinden übergeordnet und wurde in unserem Untersuchungszeitraum von der Bürgerinitiative scharf kritisiert, da hier weitere Potenzialflächen für den Bau von Windkraftanlagen von 800 Hektar über die vom Land gesetzten Zwei-ProzentZielmarken hinaus ausgewiesen waren und Windräder, die nicht in offiziellen Vorranggebieten standen, nicht mit in die Bilanz eingerechnet wurden. Infolge der jüngsten Protestaktionen in Form von 10.000 Unterschriftenpostkarten aus der Bevölkerung in Zusammenarbeit mit dem neuen Landrat wurden diese Flächen zurückgenommen.

36 Vgl. Planungsgemeinschaft MittelrheinWesterwald: Regionaler Raumordnungsplan 2006, URL: http://www.mittelrhein-westerwald.de/Raumordnungsplan.plg?ActiveID= 1035 [eingesehen am 22.02.2016].

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Das Unternehmen: Juwi In der Region sind verschiedene Windkraftunternehmen aktiv; die meisten Anlagen, vor allem an den besonders windhöffigen Standorten, baute und projektierte aber bislang das rheinhessische Unternehmen Juwi. Seit Mitte der 1990er Jahre plant, projektiert, finanziert und betreibt Juwi Anlagen zur Nutzung regenerativer Energien. Das Unternehmen wurde 1996 gegründet und begann zunächst mit kleineren Projekten in der Region. In den letzten Jahren ist die Firma zu einem weltweit tätigen Konzert mit etwa 1.000 MitarbeiterInnen aufgestiegen und verbuchte 2013 einen Jahresumsatz von rund 700 Millionen Euro. Trotz seiner globalen Dimension betont der Konzern jedoch seine Verwurzelung in der Region und bewirbt intensiv die Vorteile der Energiewende. Nach eigenen Angaben ist Juwi Marktführer beim Thema „Wind im Wald“. Juwi sieht sich als „gutes“ und grünes Unternehmen, das seinen Werten treu bleibe und sich aus Überzeugung für den Umweltschutz und seine „Vision“ der Energiewende mit hundert Prozent erneuerbaren Energien einsetze. BürgerInnen werden als „Energiebürger“37 verstanden; alle sollen, auch finanziell, von der Energiewende profitieren. So hat z. B. einer der Firmengründer, Matthias Willenbacher, eine Streitschrift für die Energiewende vorgelegt.38 Darin unterbreitet er der Kanzlerin ein „unmoralisches Angebot“: Er fordert sie auf, die Gesetze so zu ändern, dass in Deutschland ab 2020 nur noch erneuerbare Energien verbraucht werden. Im Gegenzug bietet er an, „alle meine Anteile an meinem Unternehmen Juwi [zu] verschenken, wenn Bundeskanzlerin Merkel die vollständige Energiewende ohne Wenn und Aber umsetzt. Jetzt und hier“39 – das Buch ist zum Preis von 2,99 Euro erhältlich, alle Einnahmen werden gespendet. Das Unternehmen ist sehr von seinem Handeln überzeugt; umso unverständlicher erscheinen den von uns interviewten MitarbeiterInnen aus den Bereichen Pressekommunikation und Projektleitung die Proteste gegen den Bau von Windkraftanlagen. In der Kommunikationsstrategie des Unternehmens habe es einen Wandel gegeben. Dieser lasse sich nicht an einem bestimmten Ereignis festmachen, sondern wird als gradueller Prozess beschrieben: Früher sei das Unternehmen grundsätzlich idealistisch-positiv wahrgenommen worden – viele Aspekte, etwa der Einsatz für Umweltschutz, hätten als selbstverständlich gegolten und daher nicht explizit betont werden müssen; dies habe sich verändert und auch solche Aspekte müssten nun aktiv in den Vordergrund gestellt werden. Der Windpark Ellern markiert den Einstieg in die aktive Projektkommunikation. 37 Willenbacher, Matthias: Mein unmoralisches Angebot an die Kanzlerin. Denn die Energiewende darf nicht scheitern!, Freiburg i. Br. 2013, S. 9. 38 Siehe ebd. 39 Ebd.

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Das Unternehmen wägt im Vorfeld sehr genau die Chancen eines Projekts ab. Konfliktträchtige Standorte werden, wenn möglich, gemieden. Hier wirkt das Vorgehen sehr professionell; Juwi kann auf große Erfahrung zurückgreifen, die es in neue Projekte einfließen lässt. Man strebt eine möglichst zügige Umsetzung von Projekten an, damit so bald wie möglich Fakten geschaffen sind und Protest sinnlos wird. Bezogen auf ein konkretes Projekt lautet das oberste Ziel: ein rechtssicheres Verfahren und die Vermeidung von Klagen. Zwischenziele auf dem Weg dahin sind der Abbau von Ängsten und Akzeptanzgewinn. Durch Kommunikation und finanzielle Beteiligung der Kommunen versucht man, Akzeptanz für die Projekte zu erreichen – immer bereits mit Blick auf zukünftige Projekte in der Region. Im Kontakt mit den Ortsgemeinden und BürgerInnen vor Ort ist man vor allem an langfristig guten Beziehungen interessiert; auch hier immer mögliche Folgeprojekte mitgedacht: „Und es ist ja auch gut zu wissen, wie die lokalen Leute darüber denken. […] [W]ir wollen da vor Ort ja auch immer wieder hinkommen und nicht als die bösen Juwis beschimpft werden. Das ist, also es wird immer wichtiger.“

Bürgerbeteiligung wird als wichtig beschrieben; dem Unternehmen geht es aber offensichtlich weniger um Partizipation als vielmehr um Akzeptanz. Zwar gilt auch als legitim, wenn manche KritikerInnen sich nicht überzeugen lassen und auch nach dem Austausch von Argumenten weiterhin gegen ein spezifisches Vorhaben sind. Dennoch müssen sich diese Minderheiten Mehrheitsentscheidungen fügen. Minderheiten und Minderheitsmeinungen sollen zwar geschützt werden; solange sie aber nicht die Grundrechte betreffen, müssen Entscheidungen des repräsentativen Systems als bindend betrachtet werden. Insgesamt ist man mit dem bestehenden Verfahren sehr zufrieden und schätzt das repräsentative System sehr.

3.3 I NSPEKTION II: M ECKLENBURG -V ORPOMMERN – W INDPARKPLANUNG ALS AUSNAHMESITUATION Der hier im Zentrum des Konflikts stehende Windpark liegt in MecklenburgVorpommern, genauer: im größten Landkreis Deutschlands, dem Kreis Mecklenburger Seenplatte. Diese Region ist mit knapp 250.000 Einwohnern und durchschnittlich 48 Einwohnern pro Quadratkilometer eines der am dünnsten besiedelten Gebiete der Bundesrepublik – im gesamten Bundesgebiet leben auf

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der gleichen Fläche im Schnitt 226 EinwohnerInnen.40 Da beinahe die Hälfte aller EinwohnerInnen dieses Landkreises in den vier größten Städten beheimatet sind, haben 43 Prozent aller Gemeinden, deren Strukturen durch Überalterung und Arbeitslosigkeit gekennzeichnet sind, weniger als 500 EinwohnerInnen.41 Während im Jahr 2015 für die Beschäftigungsquote in Deutschland ein Höchststand nach dem anderen vermeldet worden ist, beträgt die Arbeitslosenquote im Landkreis Mecklenburger-Seenplatte 14,2 Prozent.42 In diesem strukturschwachen Gebiet, in der Nähe von Altentreptow, zwischen den drei kleinen Gemeinden Pripsleben, Tützpatz und Gültz, wird seit dem Jahr 2013 mit einer Ausdehnung in Nord-Süd-Richtung von ca. 2.500 Metern und in Ost-West-Richtung von ca. 5.500 Metern ein Windpark mit dem Namen „RH2-PTG“ geplant. Dort sollen ungefähr dreißig Windkraftanlagen des Herstellers Enercon mit einer Gesamthöhe von bis zu 208 Metern errichtet werden.43 Rund um die Kleinstadt Altentreptow wurden seit dem Jahr 2000 zahlreiche Windräder gebaut. Mittlerweile sind die ausgewiesenen Flächen derart verdichtet, dass in den unterschiedlichen Gebieten bereits ca. 150 Anlagen stehen, die auf dem platten Gelände aus den verschiedensten Blickachsen auch weithin sichtbar sind. Gebiete, in denen Windkraftanalgen errichtet werden dürfen, werden in dem „Land der tausend Flüsse und Seen“, als welches sich das Bundesland selbst bewirbt, über den Landesraumentwicklungsplan bzw. im konkreten Fall über das Regionale Raumentwicklungsprogramm Mecklenburgische Seenplatte aus der Fassung von 2011 festgelegt.44 Derzeit werden sowohl das Landesals auch das Regionale Raumentwicklungsprogramm fortgeschrieben, was konkret bedeutet, dass u. a. nach möglichen neuen Standorten für Windkraftanlagen 40 Stand: 2012; vgl. Kaufmann, Christoph von: Regionalplanung und Regionalmanagement im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte, 14.06.2014, URL: https://www. hsnb.de/fileadmin/PROJEKTE/lethe/LETHE_KonV_DV_v_Kaufmann_2.pdf [eingesehen am 27.11.2015]. 41 Vgl. Bundesministerium für Verkehr, Bau, und Stadtentwicklung: Regionale Energie Konzepte. Ein MORO-Forschungsfeld, URL: http://www.energiewendeindex.de/Moro InfoErneuerbareEnergie20130527_Final.pdf [eingesehen am 22.02.2016]. 42 Stand: März 2015; die Statistik der Bundesagentur für Arbeit ist einsehbar unter URL: https://statistik.arbeitsagentur.de/Navigation/Statistik/StatistiknachRegionen/Politische Gebietsstruktur/Mecklenburg-Vorpommern-ab-09-2011-Nav.html?year_month=201 503 [eingesehen am 13.01.2016]. 43 Vgl. RH2PTG: Das Vorhaben RH2Pripsleben/Tützpatz/Gültz (RH2PTG), URL: http://www.rh2ptg.de/projekt/ [eingesehen am 13.01.2016]. 44 In diesem besonderen Fall ist die Planungsregion mit dem Landkreis identisch, weshalb die RaumplanerInnen in diesem Fall von „Einräumigkeit“ sprechen.

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gesucht wird. Schließlich strebt Mecklenburg-Vorpommern an, Vorreiter bei der Energiewende zu werden, insbesondere beim Ausbau der Windenergie. Beide Planungsprogramme, die noch nicht abgeschlossen sind, erfordern ein zweistufiges Beteiligungsverfahren unter Einbezug sämtlicher TrägInnen öffentlicher Belange, der Gemeinden, aber auch der BürgerInnen. Derzeit sehen die Planungen vor, dass zu den bestehenden Anlagen im Raum Altentreptow das Eignungsgebiet für Windkraftanlagen „Altentreptow Ost“ mit 318 Hektar hinzukommen soll. Das Besondere an dem hier untersuchten Konfliktfall besteht darin, dass der für den Windpark RH2-PTG beplante Raum weder im alten, derzeit gültigen noch im neuen bzw. fortgeschriebenen Regionalen Raumentwicklungsprogramm als Standort für Windkraftanlagen ausgewiesen ist. Daher strebt der Vorhabenträger – also das Unternehmen, das den Windpark zu errichten und zu betreiben beabsichtigt – ein sogenanntes „Zielabweichungsverfahren mit einem integrierten Raumordnungsverfahren“ an – ein Novum für die Planungsregion.45 Das bedeutet, dass die Landesplanungsbehörde Ende des Jahres 2013 das Amt für Raumordnung und Landesplanung Mecklenburgische Seenplatte mit der Durchführung eines Raumordnungsverfahrens für das Gebiet zwischen Pribsleben, Tützpatz und Gültz beauftragt hat, also mit der Prüfung der sogenannten Raumverträglichkeit der Windkraftanlagen. Das Ergebnis der Raumplanung – an dem sich TrägerInnen der öffentlichen Belange, wie Behörden und Gemeinden, sowie Umweltverbände und BürgerInnen beteiligen – wird dem Energieministerium zur Verfügung gestellt. Hier entscheidet schließlich der Landesminister für Energie, Infrastruktur und Landesentwicklung, Christian Pegel (SPD), ob er ein Zielabweichungsverfahren durchführen will. Ein Zielabweichungsverfahren ist die Ultima Ratio des Ministers, mit der er sich mit Verweis auf Landesentwicklungsziele über die Ziele und Grundsätze der Raumplanung hinwegsetzen kann. Ein wesentliches Ziel des Landesentwick45 So hat es bislang zwar drei erfolgreiche Zielabweichungsverfahren in der Planungsregion gegeben (insgesamt sieben im gesamten Bundesland – wobei bisher neun Verfahren im Land abgelehnt worden sind, davon zwei in der hier betroffenen Planungsregion; zudem befinden sich neben RH2-PTG drei weitere Projekte landesweit im Zielabweichungsverfahren); vgl. Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Mignon Schwenke (Die LINKE): Zielabweichungsverfahren für Windenergieanlagen und Antwort der Landesregierung, Drucksache 6/3406 vom 10.11.2014, URL: http://www. dokumentation.landtamv.de/Parldok/dokument/35283/zielabweichungsverfahren-f% C3%BCr-windenergieanlagen.pdf [eingesehen am 22.02.2016]. Dennoch sind dies „reine“ Zielabweichungsverfahren, wobei ein Zielabweichungsverfahren mit integrierter Raumordnung ein bisher unbekanntes Verfahren ist.

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lungsplanes Mecklenburg-Vorpommern in der aktuellen Fassung von 2005 ist die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen. Dazu heißt es in den Leitlinien: „Aufgrund der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Ausgangslage des Landes wird der Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen bei allen Abwägungsentscheidungen und Ermessensspielräumen Priorität eingeräumt.“46 Für ein Zielabweichungsverfahren hat sich das Ministerium eine Art Checkliste auferlegt.47 So muss geprüft werden, ob veränderte Tatsachen oder Erkenntnisse im Vergleich zur Raumplanung vorliegen, die ein solches Verfahren rechtfertigen; ob das Verfahren im Interesse des Allgemeinwohls ist; ob die Kommunen und Gemeinden wirtschaftlich beteiligt werden; und ob Arbeitsplätze geschaffen bzw. erhalten werden. Überdies sind Informationen und Bürgerbeteiligung durch VorhabenträgerInnen im gesamten Verfahren zwingend. Das Raumordnungsverfahren zu RH2-PTG wurde Ende 2015 abgeschlossen. Aber erst wenn die landesplanerische Beurteilung aus dem Entwurfsstadium tritt – also nach Abschluss des Zielabweichungsverfahrens –, kann sie veröffentlicht werden. Die für das Raumordnungsverfahren erforderlichen Unterlagen des Vorhabenträgers führen als Begründung für das Zielabweichungsverfahren an,48 dass das geplante „Energie-Infrastruktur-Vorhaben“ nicht nur Strom aus Windkraftanalagen erzeugen, sondern zudem die überschüssige Energie für die Gaserzeugung eingesetzt werden soll (power to gas). Mithilfe des Elektrolyseverfahrens soll – im Gegensatz zu ähnlichen Projekten, die derselbe Vorhabenträger in der Region bereits betreibt – reines Wasserstoffgas erzeugt werden. Das geplante Hybridkraftwerk fungiert dann, so zumindest die Pläne des Betreibers, als eine Art Energiespeicher. Gleichzeitig „sollen Möglichkeiten zur Teilhabe für die betreffenden Kommunen entwickelt werden“, damit diese am Vorhaben „partizipieren“ können. In den Planungsunterlagen wird mehrmals betont, dass das Projekt die „Schaffung neuer und Stärkung vorhandener Arbeitsplätze“ beinhalte. Schließlich führen die PlanerInnen aus, dass die Umgebung bereits maßgeblich durch eine Freileitung beeinträchtigt sei, der Windpark hier keine zusätzliche Schädigung anrichte und dass sich die „Vorhabenfläche im ländlichen Raum mit 46 Ministerium für Arbeit, Bau und Landesentwicklung (Hrsg.): Landesraumentwicklungsplan Mecklenburg-Vorpommern, August 2005, URL: http://service.mvnet.de/ _php/download.php?datei_id=1689 [eingesehen am 22.02.2016]. 47 Vgl. Ministerium für Energie, Infrastruktur und Landesentwicklung: Zielabweichungsverfahren für Windenergieanlagen. Checkliste und Ablaufplan, URL: http://www. energiewendenaturvertraeglich.de/fileadmin/Dateien/Dokumente/themen/Windenergie_ Onshore/Erlasse/MV/Checkliste_ZAV_201310.pdf [eingesehen am 12.01.2016]. 48 Vgl. hierzu und im Folgenden die Projektbeschreibung des Vorhabenträgers, URL: http://www.rh2-ptg.de/projekt/ [eingesehen am 31.10.2016].

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strukturellen und demografischen Problemstellungen“ befinde. Weiter heißt es: „Neue Siedlungen waren in den vergangenen Jahren nicht zu verzeichnen, die Einwohnerzahlen sind seit der Wende kontinuierlich zurückgegangen. Einer der Gründe hierfür sind u. a. die finanziellen Möglichkeiten innerhalb der Gemeinden, die nur sehr begrenzt eine strukturelle Weiterentwicklung der Dorflagen mit öffentlichen Einrichtungen, Kindergärten, Alterseinrichtungen u. ä. zulassen.“ Dieser Projektaufriss verdeutlicht bereits, dass diese Konstellation zahlreiche Probleme und Konflikte birgt. Nicht nur die starke Belastung des Raumes und der AnwohnerInnen durch zahlreiche Windkraftanlagen, die eine „Das Maß ist voll“-Mentalität erzeugen, sondern auch die Überschneidung zwischen Zielabweichungsverfahren bei gleichzeitiger Teilfortschreibung des Regionalen Entwicklungsplanes sorgt für Irritationen. Vielen AkteurInnen sind die vielschichtigen Prozesse und Verfahren unklar, nicht wenige zweifeln am innovativen Potenzial des Projektes und an den Arbeitsplatzversprechen – diese sind jedoch notwendige Voraussetzungen für ein erfolgreiches Zielabweichungsverfahren. In der Region herrscht bei nahezu allen beteiligten AkteurInnen grundsätzliches Misstrauen hinsichtlich der Frage, weshalb ein Investor, der bereits ein Zielabweichungsverfahren im Planungsraum mit insgesamt 28 genehmigten Anlagen erfolgreich durchlaufen hat, erneut ein Gebiet beplanen darf, das aus raumordnerischen Gesichtspunkten eigentlich kein Windeignungsgebiet darstellt. 3.3.1 Konfliktchronologie Tabelle 1: Konfliktchronologie RH2-PTG Datum

Ereignis

Herbst 2013

Beginn des Raumordnungsverfahrens für das Zielabweichungsverfahren für RH2-PTG.

11. Dez. 2013

Anlaufberatung/Scooping zum Raumordnungsverfahren.

Januar 2014

Öffentliche Bürgersprechstunde (in Gültz), bei der u. a. der Vorhabenträger das Projekt vorstellt.

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Datum

Ereignis

März 2014

Der Abteilungsleiter des Energieministeriums ist vor Ort und spricht u. a. mit den Bürgermeistern der betroffenen Gemeinden.

Frühjahr 2014

Erste Beteiligungsstufe des Regionalen Raumentwicklungsplanes läuft.

Mai 2014

1.418 Unterschriften auf „open petition“ gegen „unkontrollierten Windkraftausbau“ in der Region.

21. Mai 2015

Erstes gemeinsames Treffen der Bürgerinitiativen gegen Windkraft in der Region; Gründung eines Bündnisses.

22. Mai 2014

Der Vorhabenträger hat die erforderlichen Unterlagen beim Amt für Raumordnung eingereicht.

18. Juni 2014

Zweites gemeinsames Treffen der Bürgerinitiativen.

26. Juni 2014

Das Aktionsbündnis „Freier Horizont“ gegen unkontrollierten Windkraftausbau nimmt Stellung zum Landesentwicklungsplan.

27. Juni 2014

Besuch des Energieministers im Rathaus in Altentreptow; Demonstration von WindkraftbefürworterInnen vor dem Rathaus in Altentreptow mit GegendemonstrantInnen (Bürgerinitiativen, Altentreptower Wählergemeinschaft und AnwohnerInnen).

21. Juli – 29. Aug. 2014

Auslegung der Unterlagen zum Vorhaben und Zeitraum der Beteiligung.

31. Juli 2014

Offener Brief der Altentreptower Wählergemeinschaft gegen weiteren Windkraftausbau in der Region.

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Datum

Ereignis

17. Aug. 2014

Demonstration in Tützpatz gegen das Projekt; Gründung der Bürgerinitiative Windflüchter.

27. Aug. 2014

Zweite Demonstration zwischen Tützpatz, Gültz und Pribsleben gegen RH2-PTG.

8. Sept. 2014

Der Gemeinderat in Gültz berät über das Projekt; der Vorhabenträger stellt sich den AnwohnerInnenfragen; GemeindevertreterInnen stellen sich gegen das Projekt.

3.3.2 Beteiligte AkteurInnen Bürgerinitiative49 Einer der Initiatoren der Bürgerinitiative ist als Vertreter der „Wählergemeinschaft“ Mitglied im Gemeinderat einer der kleineren Ortschaften. Auf einer Gemeindevertretersitzung Anfang 2014 hatte er erstmals von dem Projekt RH2PTG gehört. Im Frühjahr 2014 sollte sich die Gemeinde überdies im Beteiligungsprozess zur Teilfortschreibung der Regionalplanung einbringen. Hierbei müssen „qualifizierte“ Stellungnahmen formuliert werden, die auf die gesetzlichen Regelungen und Anforderungen an den Planungsraum fachkundig eingehen, damit die Einwände im Prozess von der Raumplanungsbehörde berücksichtigt werden können. Mit dieser Aufgabe fühlte sich das Gemeinderatsmitglied überfordert und alleingelassen. Der Mandatsträger suchte in den anderen Ortschaften daher nach engagierten Personen, die zu dem geplanten Windpark eine ähnlich ablehnende Haltung einnahmen wie er selbst. Als Argumente für den Widerstand gegen die Windkraftanlagen wurden vor allem Lärmbelästigung und Flächenverbrauch angeführt. Am Anfang stand für die Beteiligten die Informationsbeschaffung: „Das, was der Investor wissen muss, müssen wir uns im Prinzip auch erarbeiten.“ So haben sie sich nach und nach Wissen angeeignet und Informationen „zusam49 Die folgenden Zitate stammen aus zwei Interviews mit den ProtagonistInnen der Bürgerinitiative bzw. des Bündnisses gegen unkontrollierten Windkraftausbau.

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mengegoogelt“. Im Sommer 2014 gründeten schließlich 23 Personen aus den betroffenen Gemeinden die Bürgerinitiative Windflüchter, weil „wir keine Möglichkeit mehr gesehen haben, koordiniert gegen den geplanten Windpark RH2PTG vorzugehen“. Neben der Informationsbeschaffung organisierten die AnhängerInnen der Bürgerinitiative im August 2014 zwei Demonstrationen gegen RH2-PTG, bereiteten Gemeinderatssitzungen vor, auf denen u. a. auch der Vorhabenträger intensiv befragt wurde. Zudem führten sie eine Podiumsdiskussion zum Thema durch, zu der sowohl der Energieminister als auch der Projektträger eingeladen waren, und im September 2014 sammelten sie Unterschriften gegen den Windpark. Immerhin konnten die „Windflüchter“ hierfür 725 Wahlberechtigte aus Pribsleben, Tützpatz und Gültz gewinnen. Dies ist beachtlich, da in Pribsleben 216, in Tützpatz 490 und in Gültz 467 Personen zur Kommunalwahl im selben Jahr wahlberechtigt waren. Somit sprachen sich 61,9 Prozent der wahlberechtigten AnwohnerInnen gegen die Windkraftanlagen aus, während die Wahlbeteiligung bei der Kommunalwahl lediglich bei knapp 53 Prozent lag.50 Die Bürgerinitiative hat sich zum Ziel gesetzt, „Öffentlichkeitsarbeit“ und „Sacharbeit“ zu betreiben, um das Projekt zu verhindern bzw. – sollte dies nicht gelingen – zumindest hinauszuzögern – „damit es [für den Investor] schön teuer wird“. Gleichzeitig wollen die Mitglieder im Rahmen ihrer Möglichkeiten am Planungsprozess, also an den Beteiligungsmöglichkeiten der Raumplanung, mitwirken und über die Medien auf die Problemkonstellation und ihr Anliegen aufmerksam machen. Auch werden Ideen, Mittel und Argumente gesammelt, um möglicherweise einen Musterprozess gegen den Vorhabenträger oder Standortentscheidungen anzustreben. Im Frühjahr 2014 wandten sich die Hauptorganisatoren der Initiative überdies an erfahrene Personen des Landkreises, die sich bereits seit 15 Jahren gegen Windkraft engagiert hatten. Hier fand ein Informations- und Erfahrungsaustausch statt. Im Zuge dieser Kontakte gründete sich, zunächst auf Landkreisebene, ein Bündnis gegen „unkontrollierten Windkraftausbau“. Dieser Zusammenschluss namens Freier Horizont, der mittlerweile als landesweites Bündnis unterschiedliche Bürgerinitiativen gegen Windkraft unter einem Dach vereint, unterstützt bei Aktionen und Stellungnahmen. Die Arbeit im Aktionsbündnis und in der Initiative wird als produktiv, kooperativ und inspirierend erlebt. Bei allem Konsens im Engagement gegen RH2PTG scheinen jedoch intern die unterschiedlichen Strategien der radikaleren Fraktion einerseits und der zaudernden AktivistInnen andererseits immer wieder 50 Zu den Wahlberechtigten und Wahlbeteiligten in den drei kleinen Kommunen vgl. die Daten des Landeswahlleiters, URL: http://www.statistikmv.de/cms2/STAM_prod/ STAM/de/start/_Landeswahlleiter/Landeswahlleiter/kommunalwahlen/2014/_KW201 4Statistische_Produkte/B731_2014_01.xlsx [eingesehen am 14.01.2016].

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zusammengebracht werden zu müssen. Ähnliche Konflikte scheinen auch im Aktionsbündnis „Freier Horizont – Gegen unkontrollierten Windkraftausbau“ zu bestehen. Hier habe man sich nach langen Diskussionen dezidiert für die Beibehaltung des Adjektivs „unkontrolliert“ entschieden, um anschlussfähig an jene zu bleiben, die der Windenergie an sich zwar positiv gegenüberstehen, jedoch mit bestimmten Standortentscheidungen unzufrieden sind. So werde auch deutlich, dass der Windkraftausbau „vom Bürger unkontrolliert abläuft, dass wir im Grunde genommen per Raumordnung irgendwas vorgeballert kriegen […], [dabei sind wir] die Betroffenen und wir möchten doch bitteschön kontrollieren, was in unserer unmittelbaren Nachbarschaft passiert“. Während man im Bündnis „politischen Druck aufbauen“ wolle, um die „öffentliche Meinung“ für Windkraft „zu kippen“ und damit den „Kolonialismus im eigenen Land“ zu verhindern, arbeitet man auch konkret weiterhin gegen das Zielabweichungsverfahren für RH2-PTG und sammelt dafür Argumente, die u. a. über die sozialen Medien verbreitet werden. So bezweifeln die Mitglieder der Bürgerinitiative grundsätzlich die Innovationsfähigkeit und das Arbeitskräftepotenzial des Projektes. Aus ihrer Perspektive sei ein mögliches Zielabweichungsverfahren für RH2-PTG keineswegs begründbar. Interessant ist der Gründungszeitpunkt der Bürgerinitiative, da die Region bereits seit zehn Jahren zunehmend mit Windkraftanlagen bebaut wird. Die „Windflüchter“ sind nicht die erste Bürgerinitiative im Raum Altentreptow. Jedoch scheiterten frühere AktivistInnen mit ihrem Widerstand und organisierten sich zum Teil in der Freien Wählergemeinschaft, um als LokalpolitikerInnen und GemeindevertreterInnen mehr Einfluss nehmen zu können. Überdies sorgte die gleichzeitige Überschneidung der Teilfortschreibung der Regionalen Raumplanung mit dem Zielabweichungsverfahren für großen Unmut. Somit stellte die ungewöhnliche Konstellation, in der sich das Schweriner Ministerium für Energie, Infrastruktur und Landesentwicklung über die regionale Raumordnung hinwegsetzen und per Dekret einen Windparkstandort freigeben konnte, einen besonderen Mobilisierungsauslöser dar. Und schließlich wirkte sich die Verdichtung des Gebietes mit zusätzlichen und vor allem deutlich höheren Windenergieanlagen, die zunehmend näher an die Wohnbebauung heranrückten, als derart belastend aus, dass den AktivistInnen der Zustand nicht mehr länger hinnehmbar schien. Auch, dass einige Mitglieder der Bürgerinitiativen erst im Laufe der vergangenen Jahre in die Region (zurück-)gezogen sind, vermag im Konfliktfall impulsgebend gewesen zu sein. Kommunale VertreterInnen Die GemeindevertreterInnen und OrtsbürgermeisterInnen verstehen sich als „Sprachrohr der Bürger“. Von deren Seite nehmen sie eine ablehnende Haltung

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gegen RH2-PTG ein und versuchen dies auch in gemeinsamen Stellungnahmen zum Ausdruck zu bringen. Obwohl sie ein geschlossenes Auftreten für zentral halten, fühlen sich einige von ihnen verpflichtet, zumindest die Möglichkeit zu prüfen, ob mit den Windenergieanlagen auf dem Gemeindegebiet Einnahmen erzielt werden könnten. Die vom Vorhabenträger für das Zielabweichungsverfahren angeführten Kriterien halten jedoch alle Befragten dieser Akteursgruppe für fragwürdig. Wie bereits angedeutet, verfügen die kommunalen EntscheidungsträgerInnen in Mecklenburg-Vorpommern bei der Ausweisung von Windeignungsgebieten, die über die grundsätzliche Zulässigkeit gesteuert wird, weder im allgemeinen Fall der Regionalen Raumplanung noch im besonderen Fall von RH2-PTG über große Handlungs- und Entscheidungsspielräume. Überall dort, wo der Abstand zu Wohnsiedlungen hinreichend ist (derzeit 1.000 Meter, 800 Meter bei Einzelgehöften), keine Tourismusschwerpunkte oder Erholungsgebiete bzw. Naturund Landschaftsschutzgebiete dagegensprechen, können Windanlagen errichtet werden. In Mecklenburg-Vorpommern bringt dies den Gemeinden und Städten jedoch in den seltensten Fällen Vorteile. Beispielsweise können Windkraftanlagen durch Pachteinnahmen an den Standorten und (Teil-)Erlöse aus der Gewerbesteuer Geld in den öffentlichen Haushalt spülen. Dies gilt jedoch nur, wenn das bebaute Land in Gemeindehand ist, die Gewerbesteuer zwischen den Wohnsitzen der WindanlageneignerInnen und dem Windanlagenstandort fair verteilt wird und die WindanlagenbetreiberInnen ihren Gewinn nicht kleinrechnen. Die Ackerflächen und somit die bebauten und potenziell bebaubaren Windeignungsgebiete im Raum Altentreptow befinden sich größtenteils in den Händen weniger einzelner Privatpersonen oder Unternehmen. Im Planungsraum sind auch umfangreiche Erfahrungen mit ausländischen EignerInnen gesammelt worden, deren Investition in die mehrere Millionen Euro teuren Anlagen über ein Jahrzehnt mit dem Gewinn gegengerechnet wurde, sodass die Anlagen nicht gewerbesteuerträchtig waren. Der Vorhabenträger von RH2-PTG ist ein Unternehmen aus dem Raum Rostock (über die möglichen zukünftigen Eigner der einzelnen Anlagen ist nichts bekannt). Somit kommen die betroffenen Gemeinden kaum als Nutznießerinnen des Vorhabens infrage. Die ProjektplanerInnen bieten daher in ihrem Antrag ein Zielabweichungsverfahren an, um die Ortschaften mit einem „innovativen“ Verfahren finanziell zu beteiligen. Hierzu wurde durch den Vorhabenträger eine Kommunale Beteiligungsgesellschaft gegründet, die „via notariell festgeschriebenem Angebot“ Gültz, Tützpatz und Pribsleben sowie kommunalen Unternehmen, wie bspw. den Stadtwerken, eine Option zur Übernahme der Gesellschaft anbietet. Den Gemeinden soll dadurch die Möglichkeit gegeben werden, eine Windkraftanlage

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oder Anteile daran zu erwerben. Ob dieses Beteiligungsangebot zum Zeitpunkt der Entscheidung des Zielabweichungsverfahrens noch außerordentlich innovativ ist – wobei dieser Aspekt eine der Voraussetzungen für diese Ausnahmeplanung darstellt –, darf jedoch bezweifelt werden, da die Landesregierung im Oktober 2015 den Entwurf eines „Bürgerbeteiligungsgesetzes“ gebilligt hatte, das im März 2016 vom Landtag verabschiedet werden sollte.51 Der Inhalt dieser Reform sah u. a. vor, dass Windkraftinvestoren den Anliegergemeinden und Privatpersonen Beteiligungen von zwanzig Prozent anbieten oder ihnen Strompreisnachlässe gewähren müssen. Dies sollte die Nachteile, die Windräder an den Standorten bringen, kompensieren.52 Jedoch scheint auch dieses Modell für die Gemeinden Pripsleben, Tützpatz und Gültz wenig attraktiv zu sein, da ihnen in den verschuldeten Haushalten die nötigen finanziellen Mittel fehlen, um sich mit mehreren hunderttausend Euro an den geplanten Windkraftanlagen zu beteiligen. Auch für ihre BürgerInnen sehen sie kaum private Beteiligungsmöglichkeiten, da die privaten Haushalte ebenfalls mit Verschuldungen und niedrigen Löhnen zu kämpfen haben. Überdies beklagen die GemeindevertreterInnen, dass ihnen trotz Gesprächen mit der Kommunalaufsicht und Beratungen durch den Städte- und Gemeindetag nicht klar sei, wie das Beteiligungsangebot des Investors konkret realisiert werden könne. Neben den Fragen nach Nutzen und Kosten des geplanten Windparks treibt die kommunalen VertreterInnen das Zielabweichungsverfahren als Modus Operandi um. Bereits in der regulären Raumordnung fühlen sie sich mit ihren Belangen zu wenig berücksichtigt bzw. überfordert. Als ehrenamtliche(r) BürgermeisterIn müsse man sich, um fundierte Stellungnahmen abgeben zu können, ein enormes Fachwissen aneignen, wohingegen ein Unternehmen sich dieses einkaufen könne. Dies sei ein Kampf mit ungleichen Mitteln. Überdies verändere der Regionale Planungsverband die Kriterien für Windeignungsgebiete aus Sicht der kommunalen AkteurInnen ständig. Abstandsregelungen würden flexibel ausgelegt, Naturschutzgebiete umetikettiert oder Siedlungen zu Einzelgehöften herab51 Zwischenzeitlich ist in Mecklenburg-Vorpommern ein bislang in Deutschland in dieser Form einmaliges „Bürger- und Gemeindenbeteiligungsgesetz“ in Kraft getreten, wonach die Projektträger verpflichtet sind, die unmittelbaren Nachbarn mit Anteilen von mindestens zwanzig Prozent zu beteiligen; siehe ausführlich hierzu URL: http://www.regierungmv.de/Landesregierung/em/Energie/Wind/B%C3%BCrger-und-Gemeindebeteiligungs gesetz/ [eingesehen am 31.10.2016]. 52 Siehe o. V.: Windkraft: Bürgerbeteiligung in MV kommt, in: NDR.de, 06.10.2015, URL: https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburgvorpommern/WindkraftAnteileoderPreis nachlaessevorOrt,windkraft660.html [eingesehen am 22.02.2016].

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gestuft. Dies erlaube keinerlei Planungssicherheit, sondern ermögliche die Ausschreibung immer neuer Windanlagenstandorte. Zusätzlich habe das Zielabweichungsverfahren die kommunalen AkteurInnen „kurzfristig überrollt“, ja „vergewaltigt“. Wenige Wochen nach der Kommunalwahl mussten die Stellungnahmen für das Raumordnungsverfahren, das dem Zielabweichungsverfahren vorgeschaltet war, abgegeben werden. Allem Engagement zum Trotz gebe man sich in diesem Prozess keinerlei Illusionen hin, denn die Gemeinde sei sowieso „ohnmächtig“ und einflusslos, weil der „Minister in Schwerin“ alles alleine entscheide. Diese resignative Haltung wird auch durch den Windpark „Altentreptow West“ bestärkt – auf der ebenfalls als Zielabweichungsverfahren ursprünglich mit ca. 15 Anlagen beplanten Fläche stehen mittlerweile rund sechzig Windkraftanlagen. Die nun anvisierte Ausnahmeplanung ist insbesondere für jene GemeindevertreterInnen ein Schlag ins Gesicht, die mit ihrer Bürgerinitiative gegen einen anderen Windpark im Raum Altentreptow gescheitert sind, sich daher seit einigen Jahren in der Kommunalpolitik engagieren und nicht mehr, wie sie es selbst formulieren, „nur am Zaun stehen und schimpfen, sondern […] sich einbringen in die Prozesse und Verantwortung übernehmen“. Als LokalpolitikerInnen fühlen sie sich jedoch ebenso ohnmächtig wie zuvor als engagierte BürgerInnen. Als Farce empfanden die GesprächspartnerInnen auch, dass ihnen nach Auslegung der Planungsunterlagen in der Sommer- und Urlaubszeit eine Frist von lediglich sechs Wochen zur Verfügung stand, um ihre Stellungnahmen abzugeben. Einige Ortschaften kamen hier kaum mit den Ladungsfristen für die Gemeindeversammlungen hinterher, um über das Projekt abstimmen zu können. Außerdem fühlten sich einige kommunale VertreterInnen vom Vorhabenträger indirekt unter Druck gesetzt: So kursierte das Gerücht, dass der Vorhabenträger von den Gemeinden positive Stellungnahmen zu RH2-PTG erwarte; ansonsten werde – sollte das Zielabweichungsverfahren erfolgreich sein – das Beteiligungsangebot für die Gemeinden denkbar schlecht ausfallen; bspw. würden ihnen nur minderwertige Standorte oder völlig überteuerte Anlagen angeboten werden. Darüber hinaus gewannen die GemeindevertreterInnen den Eindruck, als habe der Vorhabenträger ihre geschlossene Ablehnung durchbrechen wollen, indem er bspw. zu Informationsveranstaltungen nicht alle VertreterInnen aus den betroffenen Ortschaften einlud oder bevorzugt in einem Ort Trikots für den Fußballverein spendete. Doch die kommunalen VertreterInnen fühlen sich nicht nur als Spielball des Investors, sondern sehen sich auch von der Landespolitik bzw. der übergeordneten Verwaltung gegängelt. Vom Landrat fühlen sie sich alleingelassen; sie be-

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klagen, dass sie mit ihren Gesprächsanfragen im Energieministerium monatelang auf taube Ohren gestoßen seien und dann der Minister bzw. der zuständige Abteilungsleiter lediglich einen Termin unter der Woche an einem Vormittag angeboten hätten. Die ehrenamtlich tätigen BürgermeisterInnen, die anderweitig beruflich gebunden sind, fühlten sich dadurch völlig vor den Kopf gestoßen. Offenbar sei man unter dem Druck einer schrumpfenden Bevölkerung und überschuldeter Gemeindekassen zurückgelassen worden, um lediglich den Mangel zu verwalten und Standorte für Windkraftanlagen bereitzuhalten. Der Vorhabenträger Der Antragsteller des Zielabweichungsverfahrens ist eine mittelständische Ingenieurs- und Projektentwicklungsgesellschaft mit Sitz westlich von Rostock, ca. 120 Kilometer vom geplanten Windpark entfernt. Seit der Unternehmensgründung im Jahr 1994 wurden zahlreiche Windenergieanlagen geplant und umgesetzt – wobei sich die Firma auch als Betreiberin und Verwalterin der Anlagen engagiert. Der Firma sei besonders wichtig, „dass die Bevölkerung und die Gemeinden vor Ort so weit wie möglich in die Projekte miteinbezogen werden, um Akzeptanz sicherzustellen“. Interessant ist, dass der Vorhabenträger mit RH2PTG bereits sein zweites Zielabweichungsverfahren in der Region betreibt. Unabhängig davon, dass der Hauptgesellschafter der Planungsfirma in zahlreichen Interviews wahlweise als „windiger Hund“, „eloquenter Mensch“ oder „gerissener Geschäftsmann“ beschrieben worden ist, man ihm unterstellt hat, mit dem Energieminister Golf zu spielen, wenn er nicht gerade auf dessen „Schoß“ sitze, und mehrfach über verwandtschaftliche Verhältnisse zwischen ihm und hochrangigen MitarbeiterInnen im Energieministerium spekuliert worden ist, ist doch beachtenswert, dass er Mitglied im sogenannten Landesenergierat ist und darin als Vorsitzender der Arbeitsgruppe „Bürgerbeteiligung“ fungiert. Der Landesenergierat ist im November 2012 als Expertengremium von dem Energieminister Volker Schlotmann eingesetzt worden und hat der Landesregierung im August 2013 ein „Landesenergiekonzept“ unterbreitet, das „energiepolitische sowie beteiligungspolitische Zielstellungen“ verfolgt.53 Ein Teil der Arbeitsergebnisse aus dem Energierat findet sich wiederum in der Gesetzesvorlage zur Bürgerbeteiligung. Neben dem Vorhabenträger ist vor Ort ein weiteres mittelständisches Unternehmen involviert, dessen Inhaber als Investor bzw. Windanlageneigner fungieren will und gleichzeitig anstrebt, sich mit seinem Elektrounternehmen geschäft53 Vgl. Landesenergierat Mecklenburg-Vorpommern: Vorschlag für ein Landesenergiekonzept, 12.08.2013, URL: http://service.mvnet.de/_php/download.php?datei_id=94297 [eingesehen am 17.11.2014].

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lich am Standort zu beteiligen. Auch diese Person nimmt durch kommunalpolitische Ämter und als einer der größten Arbeitgeber in der Region eine zentrale Rolle ein. Ihr sei die Tatsache, dass das Projekt geplant werde, schon seit mehreren Jahren bekannt – auch, weil der Vorhabenträger sich durch Vorverträge die Flächen als Windanlagenstandorte für RH2-PTG gesichert habe. Trotz dieser langen Vorlaufphase habe der Investor die Gemeinden jedoch erst zwei Wochen vor der Anlaufberatung über das Vorhaben informiert – ein Vorgehen, das der ortsansässige Unternehmer für unseriös halte. Dennoch kritisiert er das ablehnende Verhalten der GemeindevertreterInnen; wobei diese in seinen Augen von der Bürgerinitiative stark bedrängt würden. Insbesondere angesichts der finanziellen Probleme vor Ort sei die Verweigerung keinesfalls zeitgemäß. Auch wenn der Investor den Kommunen ein denkbar schlechtes Angebot unterbreitet habe, biete sich mit dem anstehenden Zielabweichungsverfahren doch die „geniale“ Situation, ordentlich zu verhandeln; denn Windkraft könne auch (monetäre) Vorteile in die Region bringen. Dies müsse man nutzen, statt sich Möglichkeiten zu verbauen, wie es die BürgermeisterInnen und die Verwaltung getan hätten.

4 „Es gibt auch schon Protesttourismus.“ Proteste gegen Fracking K LAUDIA H ANISCH , C HRISTOPH H OEFT , H ANNES K EUNE

4.1 F RACKING IN D EUTSCHLAND Bei der Diskussion um die zukünftige Energieversorgung geht es nicht nur um Sonne, Wind und Wasser; vielmehr richtet sich der Blick auch auf bislang nicht oder nur marginal genutzte fossile Energiequellen. Dazu gehören insbesondere sogenannte unkonventionelle Lagerstätten von Erdgas. Diese Gasvorkommen zeichnen sich dadurch aus, dass sie schwieriger zu erschließen sind als konventionelle Lagerstätten, weil das Gas bspw. im Gestein gebunden ist und nicht frei fließen kann. Eine klare Unterscheidung zwischen konventionellen und unkonventionellen Erdgasvorkommen ist jedoch schwierig; denn faktisch lassen sie sich nicht scharf voneinander trennen, der Übergang ist fließend.1 Je nach Gesteinsformation lassen sich unterschiedliche Formen der unkonventionellen Gasvorkommen unterscheiden: Kohleflözgas, Schiefergas und Gas im Festgestein (Tight Gas). Ein weiterer bedeutsamer Unterschied zwischen diesen Formen ist ihre durchschnittliche Tiefe: So gilt unter GeowissenschaftlerInnen, dass Tight Gas-Vorkommen meist in Tiefen von mehr als 3.500 Metern liegen und vergleichbar mit konventionellen Lagerstätten mit geringer Durchlässigkeit sind. Kohleflözgas und Schiefergas finden sich dagegen in geringeren Tiefen von ca. 700 bis 2.000 Metern.2 1

Vgl. Akademien der Wissenschaften Schweiz: Eine Technik im Fokus: Fracking. Potenziale, Chancen und Risiken. Langfassung, 2013, URL: http://proclimweb.scnat.ch/ portal/ressources/3061.pdf [eingesehen am 19.02.2016].

2

Vgl. Informations- & Dialogprozess der ExxonMobil über die Sicherheit und Umweltverträglichkeit der Fracking-Technologie für die Erdgasgewinnung (Hrsg.): Gut-

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Die Förderung unkonventioneller Gasvorkommen erfordert in der Regel das hydraulische Aufbrechen des Gesteins, um die Durchlässigkeit für das Gas zu erhöhen. Diesen Vorgang bezeichnet man als Fracking. Dabei wird eine FracFlüssigkeit mit hohem Druck in den Untergrund gepumpt, um Risse zu erzeugen, durch die das Gas strömen kann. Diese Frac-Flüssigkeit besteht hauptsächlich aus Wasser, enthält rund fünf Prozent Sand und weniger als ein Prozent chemische Zusätze. Durch die Fracking-Technologie und die Erschließung unkonventioneller Lagerstätten hat sich die Energiewirtschaft vor allem in Nordamerika stark verändert; oft wird sogar von einer „Schiefergasrevolution“ gesprochen.3 Bereits 2009 avancierten die USA zum wichtigsten Förderland von Erdgas (vor Russland und Kanada), und aus wirtschaftlicher Sicht verschaffte die billige Energie US-amerikanischen Unternehmen einen Vorteil. Auch in Europa wurde eine Ausweitung der Förderung unkonventioneller Lagerstätten geprüft. Allerdings gilt es als nicht sehr wahrscheinlich, dass auch hier Erdgas und -öl großflächig gefrackt werden. Deutschland gilt als zu dicht besiedelt und als ökologisch besonders sensibel. „Außerdem lassen sich für die deutschen Energieerzeuger außerhalb des eigenen Landes mit geringerem Aufwand und Widerstand bereits bedeutende Geschäfte generieren“4, so die Einschätzung von BeobachternInnen. Seit 2011 wird Fracking in Deutschland gar nicht mehr angewandt. In Nordrhein-Westfalen ist formal ein Moratorium ausgesprochen worden, in anderen Bundesländern ist die Rede von einem nicht offiziellen, jedoch praktischen Moratorium. 4.1.1 Umweltbedenken und Kritik Umstritten sind bei der Fracking-Technologie insbesondere deren umweltrelevanten Aspekte. Die negativen Auswirkungen auf das Grundwasser werden als Hauptgefahr der Förderung in unkonventionellen Lagerstätten gesehen. Weitere Kritikpunkte sind der Landbedarf für die Bohrfelder, der enorme Wasserbedarf für die hydraulische Frakturierung, der Einsatz chemischer Zusatzstoffe, der

achten des Neutralen Expertenkreises, URL: http://dialog-erdgasundfrac.de/gutachten/ [eingesehen am 19.02.2016]. 3

Während im Jahr 2000 die Förderung von unkonventionellem Gas noch kaum eine Rolle gespielt hat, erreichte die Produktion in den USA im Jahr 2012 einen Anteil von rund sechzig Prozent an der Gesamtproduktion von Erdgas.

4

Habrich-Böcker, Christiane/Kirchner, Beate Charlotte/Weißenberg, Peter: Fracking – Die neue Produktionsgeografie, Wiesbaden 2014, S. 57.

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Umgang mit Lagerstättenwasser (Abwasser, das nach dem Fracking an die Oberfläche gelangt) und das Risiko induzierter Erdbeben.5 Die Dokumentation „Gasland“ von Josh Fox gilt als Meilenstein in der Diskussion um Fracking. Sie war ein großer Kinoerfolg und wurde später gar für einen „Oscar“ nominiert.6 Zum Symbol wurde dabei das Bild eines brennenden Wasserhahns, aufgenommen in Colorado. Dieses steht für derart stark mit Methan versetztes Leitungswasser, dass es hoch entzündlich ist. Aber nicht nur dieses Bild erregte die Öffentlichkeit: Risse in Häusern, Radioaktivität, Krebsfälle, Nasenbluten und Kopfschmerzen bei Kindern, merkwürdige Ausschläge auf der Haut, krankes und tot umfallendes Vieh: All das soll vom Fracking verursacht worden sein; auch wenn der Film äußerst kontrovers diskutiert wurde und teils erhebliche Zweifel daran geäußert worden sind, ob die dargestellten Risiken tatsächlich kausal vom Fracking abhängen. Danach nahm in den USA die Diskussion „Für und Wider Fracking“ eine historische Stellung ein – „wie einst die Abtreibung, heute das Waffengesetz oder der Klimawandel“7. Auch in Deutschland wurde der Film „Gasland“ breit rezipiert, insbesondere von Fracking-GegnerInnen. Bürgerinitiativen, die gegen CO2-Speicherung Politik gemacht haben, begannen, das Thema für sich zu entdecken. Im November 2010 wurde das Internetportal www.gegen-gasbohren.de eröffnet. Bei Recherchen stießen die Fracking-GegnerInnen auf Vorfälle und Unfälle in Deutschland während der letzten zehn Jahre: Rohrleitungen leckten, giftiges Wasser lief aus Tankwagen.8 Ende 2010 begann auch die Politik, sich intensiver und zum Teil kritisch mit dem Thema zu beschäftigen. Das damals noch von der CDU geführte Bundesumweltministerium forderte eine Expertise des Umweltbundesamtes (UBA) an, eine weitere Studie gab das FDP-geführte Wirtschaftsministerium bei der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, kurz BGR, in Auftrag. Die 2012 fertiggestellten Gutachten fielen zwiespältig aus: Während das BGRGutachten vom „beträchtlichen Potential an Schiefergas“ berichtete, riet das UBA vom großflächigen Einsatz dieser Technologie ab. Die BRG kritisierte daraufhin das UBA für fehlende Expertise. Keine der wissenschaftlichen Studien 5

Vgl. ebd.

6

Auch der Film von Matt Damon, „Promised Land“, der die zwielichtigen Machenschaften der Öl- und Gasunternehmen thematisiert, wurde zum Erfolg; auf der Biennale 2013 erhielt er einen Ehrenpreis.

7

Habrich-Böcker et al.: Fracking (2014), S. 104.

8

Diese Vorfälle sind dokumentiert auf der Website von „Gegen Gasbohren“, URL: http://www.gegengasbohren.de/vorfaelle-risiken-und-diskurs/kontaminiertes-grundundoder-trinkwasser/ [eingesehen am 22.02.2016].

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aus Deutschland rät zu einem totalen Fracking-Verbot; auch wenn Regeln zum Umgang mit der Technologie empfohlen werden. Doch unter welchen Umständen es zu welchen Verunreinigungen kommt: Dazu existieren bislang nur wenige Untersuchungen und widersprüchliche Erkenntnisse. Wie in den Studien für das Umweltbundesamt und das Land Nordrhein-Westfalen9 ausführlich dargestellt worden ist, scheint eine abschließende Risikoanalyse zum derzeitigen Zeitpunkt nicht möglich. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch die „Risikostudie Fracking“10 vom April 2012, gesponsert von ExxonMobil im Rahmen des „InfoDialog Fracking“. Allerdings machten mehrere Studien amerikanischer Universitäten auf Risiken aufmerksam und fanden Korrelationen zwischen Hydraulic Fracturing und dem Auftreten von Erdbeben sowie Grundwasserverunreinigungen. 4.1.2 Gesetzlicher Rahmen und politische Initiativen Die Komplexität des Themas wird durch die mangelnde gesetzliche Regelung befördert. Der rechtliche Rahmen für die Aufsuchung und Gewinnung von Erdgas ergibt sich aus dem noch aus der Kaiserzeit stammenden Bundesberggesetz (BBergG). Nach dem Bundesberggesetz ist eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) erst für Fördermengen von mehr als 500.000 Kubikmeter pro Tag und Bohrung verpflichtend. Bei der unkonventionellen Förderung greift diese Vorschrift jedoch nicht, da solche Fördermengen in der Praxis nie erreicht werden. Bereits im Sommer 2012 begannen Union und FDP an einem Gesetz zu arbeiten, um diese Gesetzeslücke zu füllen. Umweltverträglichkeitsprüfungen sollten eingeführt und in Trinkwassergebieten Fracking verboten werden. Die Stimmen in der Koalition zum Gesetzesentwurf waren widersprüchlich: Während die Union das Gesetz als Frackingstopp bewarb, sprach die FDP vom Durchbruch 9

Siehe Umweltbundesamt: Stellungnahme. Einschätzung der Schiefergasförderung in Deutschland, Dezember 2011, URL: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/ files/medien/pdfs/stellungnahme_fracking.pdf [eingesehen am 22.02.2016]; vgl. auch Staatliche Geologische Dienste der Deutschen Bundesländer (SGD)/Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR): Stellungnahme zu den geowissenschaftlichen Aussagen des UBA-Gutachtens, der Studie NRW und der Risikostudie des ExxonMobil InfoDialogprozesses zum Thema Fracking, März 2013, URL: http:// www.infogeo.de/dokumente/download_pool/SN_SGD-Fracking-Studien_V5_0.pdf [eingesehen am 22.02.2016].

10 Informations- & Dialogprozess der ExxonMobil über die Sicherheit und Umweltverträglichkeit der Fracking-Technologie für die Erdgasgewinnung (Hrsg.): Gutachten des Neutralen Expertenkreises.

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für das Fracking. Letztendlich scheiterte das Gesetz an Protesten von Unionspolitikern. Wenige Monate vor der Bundestagswahl wurde die Arbeit an dem Gesetz fallengelassen. Im Bundeswahlkampf 2013 war Fracking in den Wahlprogrammen aller Parteien dennoch ein Thema; die Forderungen reichten vom kompletten Verbot bis hin zu strengeren Auflagen. Auch im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD kommt Fracking zur Sprache. Die großkoalitionäre Regierung strebt einen Mittelweg an: Sie unterscheidet ein „konventionelles“ von einem „unkonventionellen“ Fracking.11 Diese Differenzierung bezieht sich zwar auf die unterschiedlichen Lagerstätten, ist aber nicht deckungsgleich mit der anfangs erwähnten Unterscheidung zwischen konventionellen und unkonventionellen Lagerstätten. Vielmehr spielt hier vorrangig die Tiefe der Vorkommen eine Rolle. Unkonventionelles Fracking, also Fracking in Schiefer-, Ton-, Mergel- und Kohleflözgestein in relativ oberflächennahen Schichten, soll verboten, das konventionelle Fracking in Sandgestein unterhalb von 3.000 Metern hingegen erlaubt werden. Im Jahr 2021 soll das Verbot überprüft werden. Die Bundestagsabstimmung über das vom Wirtschafts- und Umweltministerium vorbereitete Gesetz war zunächst immer wieder verschoben worden;12 im Juni 2016 wurde das Gesetz schließlich vom Bundestag verabschiedet, im Juli stimmte dann auch der Bundesrat zu.13 Somit ist der Gesetzgebungsprozess mittlerweile abgeschlossen.14 11 Genau diese Unterscheidung wird allerdings von GegnerInnen meist infrage gestellt, weil viele ihrer Kritikpunkte auch beim sogenannten Konventionellen Fracking auftreten könnten; vgl. dazu bspw. BUND: Was sind unkonventionelle Lagerstätten?, URL: http://www.bundkonstanz.de/themen/frackingambodensee/unterschied-konventionelloder-unkonventionell/ [eingesehen am 22.02.2016]. 12 Vgl. Die Bundesregierung: Fracking: Mehr Schutz durch strenge Regeln, 08.05.2015, URL: http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2015/04/2015-04-01-frackinggesetz-kabinett.html [eingesehen am 19.02.2016]. 13 Vgl. o. V.: Eines der strengsten Fracking-Gesetze weltweit, 08.07.2016, in: URL: https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2015/04/2015-04-01-frackinggesetz-kabinett.html [eingesehen am 31.10.2016]. 14 Zum Gesetzesentwurf und den damit verbundenen Kontroversen vgl. Deutscher Bundestag: Drucksache 18/4713. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung wasser- und naturschutzrechtlicher Vorschriften zur Untersagung und zur Risikominimierung bei den Verfahren der Fracking-Technologie, URL: http://www.bmub.bund.de/themen/ wasser-abfall-boden/binnengewaesser/wasser-binnengewaesser-download/artikel/ent wurf-eines-gesetzes-zur-aenderung-wasser-und-naturschutzrechtlicher-vorschriftenzur-untersagung-und-zur-risikominimierung-bei-den-verfahren-der-f/?tx_ttnews[back Pid]=3596 [eingesehen am 22.02.2016].

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Während sich die Grünen und die LINKE klar gegen, die FDP vornehmlich für Fracking positionieren, verlaufen die Gräben quer durch die Koalitionsparteien; auf beiden Seiten gibt es GegnerInnen, aber auch BefürworterInnen des Frackings. Zusätzlich verkompliziert wird das Meinungsbild durch die unterschiedlichen Haltungen der Landesverbände: Während Nordrhein-Westfalen bereits 2011 ein Moratorium contra Fracking verabschiedet hat, will die niedersächsische rot-grüne Landesregierung die Gasförderung durch sogenanntes konventionelles Fracking weiterhin erlauben. Immerhin stammen 95 Prozent des deutschen Erdgases aus Niedersachsen. Das Land nimmt von den Energieunternehmen im Jahr etwa 600 Millionen Euro Förderzins ein. 4.1.3 Kontroversen und Konflikte in der Öffentlichkeit Parallel zu den politischen und wissenschaftlichen Kontroversen um Fracking tobt zwischen BefürworterInnen und GegnerInnen ein Kampf um die öffentliche Meinung. Während die Bürgerinitiativen vor allem das Problem des Lagerstättenwassers, Erdbeben, Klimaerwärmung, die energiepolitische Nutzlosigkeit von Erdgas oder die auffallend hohen Krebsraten in Bothel im Landkreis Rotenburg in Niedersachsen anführen, betonen die Unternehmen die wirtschaftliche Bedeutung der Technologie. Auch ist versucht worden, einige Vorwürfe als unbegründet oder übertrieben darzustellen. Umfragen legen dennoch nahe, dass Fracking in der Bevölkerung auf geringe Akzeptanz stößt. So sprachen sich im April 2015 in einer Studie von infratest dimap 61 Prozent der Befragten für ein vollständiges Fracking-Verbot aus.15 Die Tatsache, dass zum Thema Fracking politische Entscheidungen noch getroffen werden müssen, führt zu einer besonderen Aktivität von GegnerInnen und BefürworterInnen auf allen politischen Ebenen. Auch wenn Proteste gegen Fracking im Vergleich zu den anderen hier diskutierten Fällen am stärksten bundesweit und teils sogar international vernetzt sind und ein beachtliches Mobilisierungspotenzial aufweisen, ist bislang noch keine Massenbewegung entstanden, die das Thema langfristig elektrifiziert und auf die Straße bringen würde, vergleichbar etwa mit AtomkraftgegnerInnen in den 1970er Jahren. Prognosen, nach denen das Thema Fracking als das große Nachfolgethema umweltpolitischer Bewegungen nach dem angekündigten Atomaustritt gehandelt wurde, ha-

15 Vgl. o. V.: Umfrage: Anhänger von SPD und Union lehnen Fracking-Pläne ab, in: Spiegel Online, 18.05.2015, URL: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/fra cking-spd-und-unionsanhaenger-laut-umfrage-fuer-verbot-a-1034215.html [eingesehen am 22.02.2016].

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ben sich bislang nicht erfüllt.16 Der Protest gestaltet sich strukturell anders und wird vor allem von kleinen AktivistInnengruppen im Internet organisiert. Neben dem Zusammenschluss gegen-gasbohren.de und dem Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) – dem Dachverband zahlreicher Initiativen für den Umweltschutz, der vor allem Informationen zur Verfügung stellt und öffentlich kritisch tätig ist – brachte die quantitativ bemerkenswertesten Effekte die Kampagne der Organisation „Campact“. Als im Sommer 2014 das Gerücht aufkam, dass im Schatten der Fußball-WM ein neues „Fracking-Gesetz“ durchgebracht werden solle, unterzeichneten innerhalb kurzer Zeit mehr als 300.000 Menschen einen Aufruf der Kampagne. Der Protest wurde also nicht wie früher vornehmlich durch Ortsgruppen von Parteien oder Verbänden organisiert, sondern zunehmend durch eine Online-Plattform. Campact mobilisierte bspw. per Twitter, Facebook und vermittels eines E-Mail-Verteilers mit über 1,5 Millionen Adressen. Viele BobachterInnen vermuten, dass es den GegnerInnen gar nicht um tatsächliche Risiken von Hydraulic Fracturing gehe, sondern dass in der Debatte ideologische Positionen tonangebend seien. Mit der Zeit hat sich die Debatte immer weiter zugespitzt; JournalistInnen und WissenschaftlerInnen, die sich zu dem Thema äußern, werden von der Gegenseite regelmäßig pauschal verurteilt und als inkompetent oder voreingenommen geschmäht.

16 Vgl. Petersdorf, Winand von: Die Angst, die aus der Tiefe kam, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.05.2014; Schmidt-Mattern, Barbara/Budde, Alexander: Zukunftstechnologie oder Risiko?, in: Deutschlandradio Kultur, 17.04.2015, URL: http://www.deutschlandradiokultur.de/geplantes-fracking-gesetz-zukunftstechnologieoder-risiko.1001.de.html?dram:article_id=317355 [eingesehen am 22.02.2016].

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4.2 I NSPEKTION : D AS F RACKING -P ROJEKT „D ÜSTE Z10“ 4.2.1 Konfliktchronologie Tabelle 1: Konfliktchronologie „Düste Z10“ Datum

Ereignis

Juli 2011

Nachdem Wintershall bei Probebohrungen in Barnstorf (Landkreis Diepholz) auf bis zu vierzig Milliarden Kubikmeter Erdgas gestoßen ist, von denen zehn Milliarden förderbar sein könnten, wird ein Rahmenbetriebsplan für die Bohrung beim Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) eingereicht.

13. Jan. 2012

Wintershall kündigt in einer Pressemitteilung an, in Kürze eine Erkundungsbohrung in Barnstorf im Kreis Diepholz durchzuführen.17

23. Febr. 2012

Informationsabend der Firma Wintershall in Barnstorf. Die Kreiszeitung berichtet, dass es kaum Nachfragen gegeben habe.18

Juli 2012

Beantragung einer Genehmigung für Frac- und Freiförderarbeiten beim zuständigen LBEG in Meppen. Geplant ist zunächst ein dreimonatiger Fördertest, der zeigen soll, ob sich das Gas wirtschaftlich fördern lässt.

9. Juli 2012

Der Kreistag stellt Forderungen zur unkonventionellen Förderung von Erdgas durch Frac-Technologie. Zentrale Forderungen: Moratorium, Umweltverträglichkeits-

17 Wintershall: „Wintershall erkundet heimisches Erdgasvorkommen“, URL: http://www. wintershall.com/presse-news/detail/news/wintershall-erkundet-heimisches-erdgasvorkom men.html [eingesehen am 22.02.2016]. 18 Siehe o. V.: Wintershall möchte im Sommer mit Fracs beginnen, in: Kreiszeitung, 23.02.2012, URL: http://www.kreiszeitung.de/lokales/diepholz/diepholz/wintershallmoechte-sommer-fracs-beginnen-1611605.html [eingesehen am 22.02.2016].

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Datum

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Ereignis

prüfung, Ausschluss von Bohrungen in Naturschutzund Wasserschutzgebieten, umfangreiche Beteiligungsverfahren. 25. Okt. 2012

Informationstag von Wintershall, Vorstellung eines Zeitplans – geplanter Beginn der Arbeiten: Anfang 2013.

13. Nov. 2012

Stellungnahme des LBEG; die Maßnahme sei „erlaubnisfähig“.

22. Nov. 2012

Der Landkreis bekräftigt die Forderung nach einem transparenten, öffentlichen Beteiligungsverfahren erneut ausdrücklich in einem Schreiben an das LBEG und das Niedersächsische Wirtschaftsministerium.

26. Febr. 2013

Öffentliche Sitzung des Kreisentwicklungsausschusses. Die Stellungnahme des Landkreises beruht auf fachlichen Stellungnahmen der Unteren Naturschutzbehörde und der Unteren Wasserbehörde, die beide keine grundsätzlichen Bedenken vorbringen, mit denen sich eine Ablehnung des Vorhabens rechtfertigen ließe.

4. März 2013

Der Diepholzer Kreisausschuss lehnt die Durchführung von sieben Probebohrungen in Barnstorf ab, obwohl die Kreisverwaltung vorgeschlagen hat, dem Vorschlag zuzustimmen. Die Initiative „No Moor Fracking“ begrüßt die Entscheidung.

5. März 2013

Stellungnahme des Landkreises Diepholz an das LBEG. Der Landrat legt gegen den Beschluss des Kreisausschusses beim Umweltministerium (als der zuständigen Rechtsaufsicht) Einspruch ein, weil er ihn für rechtswidrig hält. Er beruft sich dabei auf die Einschätzung der LBEG, dass die untere Wasserbehörde aufgrund

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Datum

Ereignis

ausreichender Genehmigungsvoraussetzung zur Genehmigung verpflichtet sei. 26. April 2013

Antwort auf die Anfrage durch Minister Stefan Wenzel im Namen des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie und Klimaschutz, in der allerdings keine endgültigen Anweisungen ausgesprochen werden.

Mai 2015

Die Bundesregierung präsentiert den „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung wasser- und naturschutzrechtlicher Vorschriften zur Untersagung und zur Risikominimierung bei den Verfahren der Fracking-Technologie“.

22. Juni/ 8. Juli 2016

Bundestag und Bundesrat verabschieden das Fracking-Gesetz.

Bei dem Projekt Düste Z10 handelt es sich um ein Tight-Gas-Projekt in Norddeutschland, bei dem durch den Einsatz der Fracking-Technologie langfristig Gas gefördert werden soll. Die ausführende Firma Wintershall hat durch mehrere Probebohrungen große Gasreserven identifiziert, ist aber der Meinung, sie nur mithilfe von Fracking ausbeuten zu können. Diese Probebohrungen werden von Januar bis Mai 2012 durchgeführt; anschließend beantragt das Unternehmen beim zuständigen Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) eine Genehmigung für Frac- und Freiförderarbeiten. Geplant ist zunächst ein dreimonatiger Fördertest, der zeigen soll, ob sich das Gas wirtschaftlich fördern lässt. Zeitgleich beginnt Wintershall mit einer umfangreichen Informationskampagne vor Ort: Mehrere Veranstaltungen werden organisiert, auf denen MitarbeiterInnen und ExpertInnen die geplanten Maßnahmen vorstellen; PolitikerInnen, Verwaltungsbeamte und die interessierte Öffentlichkeit werden regelmäßig über den geplanten Bohrplatz geführt; es gibt Tage der Offenen Tür und eine umfangreiche Dokumentation des Projekts im

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Internet.19 Allerdings formiert sich bereits auch Widerstand und Kritik an den Plänen kommt auf: Einerseits wird die Fracking-kritische Bürgerinitiative „No Moor Fracking“, die sich als Reaktion auf Fracking-Pläne der Firma ExxonMobil in der Nachbargemeinde Wagenfeld gegründet hat, auf das Thema aufmerksam und beginnt, sich auch gegen Düste Z10 zu engagieren. Andererseits wird die lokale Politik aktiv: Beispielsweise erstellt der Kreistag einen Forderungskatalog zur unkonventionellen Förderung von Erdgas durch die FrackingTechnologie.20 Zentrale Elemente der im Juli 2012 verabschiedeten Resolution sind die Forderungen nach einem Moratorium, nach einer verpflichtenden Umweltverträglichkeitsprüfung, nach einem generellen Ausschluss von Bohrungen in Naturschutz- und Wasserschutzgebieten und nach einem umfangreichen Beteiligungsverfahren der Öffentlichkeit. Nachdem das LBEG signalisiert hat, dass das Vorhaben grundsätzlich genehmigungsfähig ist, wird die betroffene Gemeinde im Rahmen des Genehmigungsverfahrens beteiligt. Konkret müssen die Untere Naturschutzbehörde (UNB) und die Untere Wasserbehörde (UWB) eine fachliche Stellungnahme zu den Plänen erarbeiten. Diese Stellungnahmen werden im Februar 2013 in einer öffentlichen Sitzung des Kreisentwicklungsausschusses vorgestellt und diskutiert.21 Sowohl aus Sicht der Naturschutz- als auch aus Sicht der Wasserbehörde sprechen keine grundsätzlichen Bedenken gegen Fracking in der Düste Z10. Zwar formuliert die Wasserbehörde eine Reihe von Handlungsempfehlungen, die vom LBEG zusätzlich geprüft werden sollten; grundsätzlich müsse aber eine Genehmigung erteilt werden. Bei der Sitzung sind ungefähr hundert interessierte BürgerInnen anwesend, darunter einige Fracking-GegnerInnen, aber auch etliche MitarbeiterInnen von Wintershall.22 Anfang März 2013 entscheidet der Kreisausschuss über das Projekt – und lehnt den Antrag trotz positiver Begutachtungen

19 Vgl. Wintershall: Tight-Gas-Projekt Düste Z10. Neue Erdgaslagerstätte mit Potenzial, URL: https://www.wintershall.de/projekte/tight-gas-projekt-dueste-z10.html [eingesehen am 22.02.2016]. 20 Vgl. Landkreis Diepholz: Auszug – Resolution zur unkonventionellen Förderung von regionalen Erdgasvorkommen mit Hilfe der Frac-Technologie, URL: https://www. diepholz.de/allris/to020.asp?TOLFDNR=1002200 [eingesehen am 22.02.2016]. 21 Vgl. Landkreis Diepholz: Auszug – Hydraulic Fracturing Düste Z 10, URL: https:// www.diepholz.de/allris/to020.asp?TOLFDNR=1002884 [eingesehen am 22.02.2016]. 22 Vgl. o. V.: Fracking – Frage noch offen, in: Kreiszeitung, 27.02.2013, URL: http:// www.kreiszeitung.de/lokales/diepholz/frackingfrage-noch-offen-2772184.html gesehen am 22.02.2016].

[ein-

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überraschend ab.23 In der Folge legt der Landrat beim niedersächsischen Umweltministerium als zuständiger Rechtsaufsicht Einspruch gegen den Entscheid ein, da er ihn für rechtswidrig halte. Damit liegt die letztliche Entscheidung über das Projekt auf der Landesebene, die aber bislang keine endgültige Aussage getroffen hat. Wintershall hat sich – ähnlich wie die anderen gasfördernden Unternehmen in Niedersachsen – auf ein stillschweigendes Moratorium für Fracking eingelassen und wartet daher eine gesetzliche Regelung der Thematik ab, ohne den momentan eigentlich vorliegenden Rechtsanspruch auf Fracking juristisch durchzusetzen. Der niedersächsische Anteil am gesamten in Deutschland geförderten Gas beträgt 95 Prozent; das Wirtschaftsministerium spricht außerdem von 25.000 Arbeitsplätzen, die direkt und indirekt an der Gasförderung hingen. Somit genießt auch das Thema Gasförderung durch Fracking eine relativ hohe Priorität auf Landesebene. Daher strebt Niedersachsen eine Bundesratsinitiative an, welche die Förderung mittels Fracking regeln soll. Im März 2014 veröffentlichen die Ministerien für Wirtschaft und Umwelt außerdem eine gemeinsame Erklärung, der zufolge Fracking unter strengen Auflagen grundsätzlich erlaubt werden soll.24 Allerdings wird die Technologie stark eingeschränkt: In unkonventionellen Lagerstätten dürfe genau wie bei Gasvorkommen in Wasser- und Naturschutzgebieten grundsätzlich nicht mittels Fracking gefördert werden. Darüber hinaus sei für jede Frac-Maßnahme eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorgesehen; außerdem dürften nur noch schwach wassergefährdende Chemikalien genutzt werden (Wassergefährdungsklasse WGK1). Zudem solle die Rechtsposition der BürgerInnen im Falle von Beschädigungen durch Erdbeben o. Ä. gestärkt werden, bspw. durch eine Umkehrung der Beweislast. Durch diese Erklärung wäre eine grundsätzliche Nutzung konventioneller Lagerstätten möglich (bei Beteiligung der Öffentlichkeit), bei Gefahr für die Umwelt aber auch eine generelle Untersagung. Die Ministerien weisen nochmals auf die momentane Rechtslage hin: „Zurzeit gibt es einen Rechtsanspruch der Unternehmen auf Erdgasförderung – und damit keine rechtlichen Möglichkeiten, Anträge auf Frac-Vorhaben 23 Vgl. Landkreis Diepholz: Tagesordnung der Sitzung des Kreistages am 04.03.2013, URL: https://www.diepholz.de/allris/to010.asp?SILFDNR=1000711 [eingesehen am 22.02.2016]. 24 Vgl. Niedersächsisches Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr: Gemeinsame Presseinformation zu Erdgasförderung/Fracking, 17.03.2014, URL: http://www.mw. niedersachsen.de/portal/live.php?navigation_id=5459&article_id=123032&_psmand= 18 [eingesehen am 22.02.2016]. Der Erlassentwurf ist einsehbar unter URL: http:// www.umwelt.niedersachsen.de/download/85118sen.de/download/85118/ [eingesehen am 22.02.2016].

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abzulehnen. Vor dem Hintergrund der öffentlichen Diskussion unterwirft sich die Industrie seit etwa zwei Jahren freiwillig einem Moratorium. Jetzt ist es dringend an der Zeit, Rechtssicherheit zu schaffen.“25 Gleichzeitig beschäftigt sich auch die Politik auf Bundesebene mit der Fracking-Thematik, weshalb das Land Niedersachsen immer wieder darauf verweist, zunächst die ausstehende Bundesregelung abwarten zu wollen, bevor man selbst Novellierungen vorantreiben werde. Unter anderem soll das Bundesberggesetz reformiert werden, um bspw. mehr Bürgerbeteiligung oder eine verpflichtende Umweltverträglichkeitsprüfung festzuschreiben. Im Mai 2015 präsentiert die Bundesregierung den „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung wasser- und naturschutzrechtlicher Vorschriften zur Untersagung und zur Risikominimierung bei den Verfahren der Fracking-Technologie“26. Die ausstehenden gesetzlichen Neuregelungen sorgen daher in der Summe dafür, dass sich der Konflikt um die Düste Z10 seit mehreren Jahren in der Schwebe befindet. 4.2.2 Beteiligte AkteurInnen Wintershall Die Firma Wintershall ist seit etlichen Jahrzehnten in der Gemeinde Diepholz ansässig und sehr eng mit der Geschichte des Ortes Barnstorf verbunden. Darüber hinaus ist das Unternehmen ein zentraler Wirtschaftsfaktor in der Umgebung und ein wichtiger Arbeitgeber in einer insgesamt relativ strukturschwachen Region. Dies sind nicht nur wichtige Vorbemerkungen, um das Verhältnis der unterschiedlichen Beteiligten in diesem konkreten Konfliktfall besser nachvollziehen zu können, sondern auch es ist zugleich die Grunderzählung, die sich wie ein roter Faden durch unsere Interviews mit Wintershall und den kommunalen PolitikerInnen zieht und auch von der lokalen Bevölkerung in Barnstorf geteilt wird. Der Pressesprecher des Unternehmens betont in seinem Gespräch mit uns bspw. die langjährige Verwurzelung vor Ort, die auch die Kommunikation miteinander bestimme:

25 Vgl. Niedersächsisches Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr: Gemeinsame Presseinformation zu Erdgasförderung/Fracking, 17.03.2014, URL: http://www. mw.niedersachsen.de/portal/live.php?navigation_id=5459&article_id=123032&_psm and=18 [eingesehen am 22.02.2016]. 26 Deutscher Bundestag: Drucksache 18/4713, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung wasser- und naturschutzrechtlicher Vorschriften zur Untersagung und zur Risikominimierung bei den Verfahren der Fracking-Technologie.

110 | KLAUDIA H ANISCH, CHRISTOPH HOEFT , H ANNES K EUNE „Der Standort Barnstorf, zum Hintergrund, hat gerade 60-jähriges Bestehen gefeiert, 350 Mitarbeiter direkt am Ort und die Bohrung, die wir im Januar 2012 gestartet haben, ist praktisch in Sichtweite, paar hundert Meter von unserem Standort in Barnstorf und sozusagen in Nachbarschaft zu der Gemeinde. Das muss man wissen, auch in Vergleich zu anderen Projekten. Wir sind Teil der Gemeinde und dementsprechend ist auch die Kommunikation bei dem Projekt gelaufen.“

Oberstes Ziel des Unternehmens ist natürlich die weiterhin wirtschaftliche Möglichkeit der Gasförderung in der Region, von der man aber glaubt, sie nur durch den Einsatz von Fracking sichern zu können. Auf diese Weise wird eine Entscheidung pro oder contra Fracking auch immer mit der Zukunft des Unternehmens verbunden: Wäre Fracking dauerhaft verboten, gefährdete dies mindestens den Standort der Firma in Barnstorf. Wintershall hat in der Außenkommunikation äußerst prominent das Label der „Heimischen Förderung“ platziert.27 Damit sollen einerseits die lokale Verankerung und ein fast mittelständisches Selbstbild des Unternehmens betont werden; andererseits grenzt man sich auch bewusst von den Aktivitäten US-amerikanischer Konzerne, vor allem von ExxonMobil, ab. Zudem wird dezidiert Abstand von bestimmten Fracking-Methoden genommen; stattdessen verfolge man ein risikoloses, im Prinzip seit Jahrzehnten geprüftes Fördern, das sich deutlich von den „Wild-West-Methoden“ amerikanischer Energiekonzerne unterscheide. Das Prinzip der „Heimischen Förderung“ wird aber auch auf das generelle Auftreten des Unternehmens an seinem langjährigen Standort in Barnstorf ausgeweitet: Durch die Betonung der gemeinsamen Tradition und des gegenseitigen Vertrauens seit mehreren Generationen, aber auch durch finanzielles und soziales Engagement vor Ort verfolgt Wintershall eine mit Blick auf die kommunale Politik und Bevölkerung vor Ort durchaus erfolgreiche Politik, die das Unternehmen tatsächlich eher wie einen mittelständischen Betrieb als wie einen international agierenden Konzern erscheinen lässt. Schwierigkeiten und Einwände kommen daher aus Sicht von Wintershall auch niemals aus dem Ort selbst, sondern würden immer nur von außen in die Gemeinde hineingetragen: „Denn natürlich haben wir die Zustimmung der Gemeinde für das Projekt gekriegt, weil die uns kennen und weil es auch deren Argumentation ist, die Wintershall ist Teil dieser Gemeinde und wir vertrauen der Wintershall und sie hat uns über 30–40 Jahre nie ent-

27 Vgl. Wintershall: Heimische Förderung. Sicherung der Energieversorgung beginnt vor der Haustür, URL: http://www.wintershall.com/presse-news/heimische-foerderung.html [eingesehen am 22.02.2016].

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täuscht oder noch länger. Aber je mehr Sie sich entfernen sozusagen von dem Wissen des Unternehmens, umso größer spielt das emotionale Thema Fracking da mit rein.“

Insbesondere der organisierte Protest der Bürgerinitiativen wird externalisiert, was sich unter anderem im Bild des „Protesttourismus“ widerspiegelt: „Es gab und gibt keine direkte Bürgerinitiative in Barnstorf oder Umgebung, die gegen dieses Projekt ist. […] Und man könnte auch sagen, es gibt auch schon Protesttourismus, ja? Da kommen Leute aus anderen, ja sogar Bundesländern und demonstrieren gegen Sachen, die gar nicht vor ihrer Haustür ist, ja?“

Zur Strategie des Unternehmens gehört auch eine deutliche Neuausrichtung des eigenen Handelns im Verlauf des Konflikts. Nachdem Wintershall zu Beginn stark darauf gedrängt hat, die Gasförderung mittels Fracking voranzutreiben, agiert man mittlerweile sehr viel abwartender. Dies hängt mit der generellen Unsicherheit der kommunalen, aber vor allem der Landes- und Bundespolitik zusammen. Wintershall setzt nun verstärkt auf Informationspolitik und Lobbyarbeit, um in Hannover und Berlin auf eine im eigenen Sinne positive, grundsätzliche und gesetzlich verbindliche Regelung von Fracking in Deutschland hinzuwirken. Aus diesem Grund verzichtet das Unternehmen also auf seinen prinzipiell durchsetzbaren Rechtsanspruch im konkreten Konfliktfall und verlagert den Schwerpunkt seiner weiteren Arbeit auf die politische Landes- und Bundesebene. Das Ziel dabei ist eine Novellierung des Bergrechts, das momentan die Genehmigung von Gasförderung in Deutschland regelt, ohne dabei bspw. Einspruchsmöglichkeiten oder Beteiligungen von BürgerInnen zu ermöglichen. Deshalb drängt Wintershall auf ein verbindliches Verfahren, in dem Einwände schon früh vorgebracht werden können, um im späteren Projektverlauf verlässliche Planungssicherheit zu haben: „Deswegen sind wir auch froh oder wären froh, wenn wir demnächst dann auch ein Verfahren haben, auch das vielleicht eine Umweltverträglichkeitsprüfung für solche Bohrungen vorschreibt. Aber dass es wirklich Rahmen und Richtlinien gibt, wonach und woran sich alle halten müssen, dass eben sowas nicht mehr vorkommt. Klar ist es auch für uns mehr Anträge stellen, komplizierter irgendwie was ausformulieren, vielleicht Einschränkungen von Wirtschaftlichkeit oder so, klar, ja? Aber wir haben zumindest einen Weg, der dann sagt, es gibt eine Entscheidung und diese Entscheidung ist ja oder nein oder die ist ja mit den und den Kompromissen, ja? Aber dass wir sozusagen auch handlungsfähig werden.“

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Folgerichtig bemüht sich Wintershall um ein gutes Verhältnis zu den politischen AkteurInnen im Konfliktfeld, insbesondere auf der kommunalen und der Landesebene. Lokale PolitikerInnen sind frühzeitig in die Planungen einbezogen und mit umfangreichem Informationsmaterial ausgestattet worden, auf das auch häufig zurückgegriffen wird. Das Verhältnis zwischen Unternehmen und lokaler Politik kann als vertrauensvoll beschrieben werden – beide Seiten betonen ein besonders gutes Miteinander. Auch die Ministerien auf Landesebene werden vom Unternehmen immer wieder adressiert; hier herrscht ebenfalls ein relativ konstruktives Verhältnis – vor allem, weil die Gasförderung in Niedersachsen einen bedeutenden Wirtschaftszweig darstellt. Mit Blick auf die lokale Bevölkerung verfolgt Wintershall zwei miteinander verwobene Strategien: Einerseits hat man in bislang unbekanntem Maße für Informationen gesorgt – mehrere Podiumsveranstaltungen und Diskussionsrunden sowie etliche Besichtigungstouren über das geplante Gasfeld sollten Transparenz herstellen und dadurch Vertrauen schaffen. Dabei kann sich die Firma andererseits auch auf die Unterstützung ihrer regen aktuellen und ehemaligen MitarbeiterInnen verlassen, die sich nicht nur auf einigen kritischen Veranstaltungen für die Pläne des Unternehmens starkgemacht haben, sondern auch im alltäglichen Zusammenleben im Ort die Fracking-Pläne verteidigen und auf diese Weise die Stimmung vor Ort maßgeblich beeinflussen. Da beinahe jede Familie in Barnstorf entweder über ihre Mitglieder oder über FreundInnen und Bekannte eine persönliche Verbindung zu Wintershall hat, bedeutet eine dezidiert kritische Haltung gegenüber Fracking oftmals erhöhten sozialen Druck aus dem direkten Umfeld. Bürgerinitiativen gegen das Fracking Die Bürgerinitiative „No Moor Fracking“ hat sich ursprünglich in der Gemeinde Wagenfeld gegründet, um gegen ein dort geplantes Fracking-Projekt des Unternehmens ExxonMobil zu protestieren. Nach und nach beschäftigte sich die Initiative auch mit anderen geplanten Projekten, sodass sie sich wiederholt auch zur Düste Z10 äußerte. Grundsätzlich bekennt sich No Moor Fracking zur Energiewende – allerdings nur als endgültige Abkehr von fossiler Energie und unter massiver Partizipation der Bürgerinnen und Bürger. Auf ihrer Website bezeichnet sich die Initiative als „ein loser Zusammenschluss vieler interessierter und besorgter Bürger. Wir sind kein ‚Verein‘ im klassischen Sinne und freuen uns über jeden, der mitmachen und aktiv werden möchte in unserem Protest gegen Fracking“28. Trotz diverser Versuche der Kontaktaufnahme ist uns leider nicht gelungen, ein Interview mit VertreterInnen der 28 Vgl. Aktionsbündnis No Moor Fracking: Wer sind wir?, URL: http://www.nomoor fracking.de/index.php/wer-sind-wir.html [eingesehen am 22.02.2016].

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Initiative zu führen; der hauptsächliche Grund dafür dürfte in der kritischen Haltung der Fracking-GegnerInnen gegenüber „der Wissenschaft“ sein, die immer wieder für ihre angeblich unreflektierte Haltung gegenüber Fracking, ihre „Legitimationsforschung“ für die Technologie im Speziellen und ihre Zusammenarbeit mit der Wirtschaft im Allgemeinen angegriffen wird. Zusätzlich dürfte auch die Finanzierung unseres Forschungsprojektes durch das Land Niedersachsen zu einer ablehnenden Haltung geführt haben, da sich die Initiative nach anfänglichen Hoffnungen auf ein generelles Fracking-Verbot nach dem Regierungswechsel von der tatsächlichen Politik der rot-grünen Landesregierung enttäuscht sieht. Trotz dieser Einschränkung kann auf Basis der Selbstbeschreibungen und Pressemitteilungen auf der Website der Initiative ein recht genaues Bild der Argumentationsweise der Gruppe gezeichnet werden, da sie sich zu fast allen wichtigen Schlüsselereignissen öffentlich positioniert hat. Auf ergänzende Aussagen musste aber, wie gesagt, leider verzichtet werden. Die Initiative versucht vor allem, der Darstellung von Fracking als sicherer, umweltverträglicher Form der Energiegewinnung eine kritische Lesart entgegenzuhalten. Hauptsächlich warnt sie vor der Gefahr einer Kontaminierung des Grundwassers durch hochgiftige Chemikalien, die der Frac-Flüssigkeit zugesetzt werden; aber auch vor Erdbeben, Senkungen, dem enormen Flächenverbrauch und anderen negativen Folgen, die mit einer Gasförderung durch Fracking verbunden seien, bspw. steigender Wasserverbrauch.29 Da diese Argumente und Risiken von Fracking-BefürworterInnen häufig als unbegründet zurückgewiesen werden, bemüht sich die Initiative, ihre Kritik auf hohem inhaltlichen Niveau zu äußern und sie auf wissenschaftliche Expertise zu gründen. Nichtsdestotrotz werden ihre Warnungen bspw. von der Wintershall als unbegründeter und übertriebener Versuch der Panikmache zurückgewiesen. Die Initiative wendet sich insbesondere gegen die Differenzierung verschiedener Formen des Frackings in „konventionelle“ und „unkonventionelle“ Förderung, die als künstliche und letztlich willkürliche Trennung nichts anderes als eine Verschleierung der tatsächlichen Risiken und somit eine bewusste Irreführung der Öffentlichkeit sei. Deutlich wird beim Blick auf die Politik der Bürgerinitiative ein allmählicher Radikalisierungsprozess, der sich auf mehreren Ebenen offenbart: Zum einen wird eine Umweltverträglichkeitsprüfung, die von vielen Initiativen als Kompromiss akzeptiert wird, mittlerweile generell zurückgewiesen; Ziel ist nicht, Fracking so verträglich und umweltschonend wie möglich zu gestalten, sondern komplett zu verhindern. Dementsprechend ist die Initiative auch nicht bereit, sich an offiziell initiierten Gesprächs- und Diskussionsrunden 29 Vgl. Aktionsbündnis No Moor Fracking: Worum geht es?, URL: http://www.nomoor fracking.de/index.php/worum-geht-es.html [eingesehen am 22.02.2016].

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zu beteiligen. Die Teilnahme an den Runden Tischen der Landesregierung ab 2013 wurde bspw. öffentlichkeitswirksam abgelehnt; insgesamt sind viele Formen der Bürgerbeteiligung als Farce und Scheinbeteiligung zurückgewiesen worden. Zum anderen findet sich der Radikalisierungsprozess der Gruppe auch im Verhältnis zu Parteien und Politik. Wie bereits angedeutet, ist insbesondere das Verhältnis zu den niedersächsischen Grünen mittlerweile zerrüttet. Im März 2014 nimmt eine Sprecherin der Initiative in einer Pressemitteilung Stellung: „Ausgerechnet ein grüner Umweltminister als Wegbereiter des Frackings. […] Offenbar hat sich die Industrie nicht nur durchsetzen können, sondern erhält obendrein noch Schützenhilfe aus der Landesregierung für ihre umstrittenen Vorhaben. […] Als Feigenblatt stehen die Bürgerinitiativen einem frackfreudigen Umweltminister nicht zur Verfügung.“30

Auch der Dachverband verschiedener Fracking-Kritiker, der „Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz“ (BBU), kritisiert den grünen Umweltminister Stefan Wenzel scharf. Die Sprecherin einer im BBU organisierten Initiative führt aus: „Umweltminister Wenzel hat die Anti-Fracking-Initiativen in den letzten Wochen wiederholt vor vollendete Tatsachen gestellt und brüskiert. […] Offenkundig soll der FrackingUVP-Erlass dazu dienen, die umstrittene Technik salonfähig zu machen, indem eine Sicherheit vorgegaukelt wird, die völlig unbewiesen ist. Damit auch wirklich keine Zweifel aufkommen, wird kurzerhand das Fracking in Tight-Gas-Lagerstätten mit dem beruhigenden Wort ‚konventionell‘ bezeichnet.“31

Kommunalpolitik Auf Ebene der Kommunalpolitik haben wir mit mehreren PolitikerInnen aus unterschiedlichen Parteien, betroffenen BürgermeisterInnen und dem Landrat Interviews geführt. Vor allem das hohe Maß an Vertrauen gegenüber Wintershall, das von allen Interviewten betont wurde, stach dabei ins Auge. Nicht nur fühlt man sich hervorragend mit Informationen zu dem geplanten Projekt versorgt – auch wenn sich der Kenntnisstand teilweise auf recht allgemeinem bzw. einsei30 Vgl. Aktionsbündnis No Moor Fracking: Pressemitteilung „Bürgerinitativen [sic!] weisen Wenzels Fracking-Pläne zurück“, 01.03.2014, URL: http://www.nomoorfracking. de/index.php/aktuelles/pressemitteilungen/80buergerinitativen-weisen-wenzels-frackingplaene-zurueck-2.html [eingesehen am 22.02.2016]. 31 Vgl. Aktionsbündnis No Moor Fracking: Pressemitteilung „Initiativen lassen sich nicht von der Politik vereinnahmen“, 01.04.2014, URL: http://www.nomoorfracking. de/index.php/aktuelles/pressemitteilungen.html [eingesehen am 22.02.2016].

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tigem Niveau bewegt; wobei dennoch immer wieder darauf hingewiesen wird, dass Wintershall sehr neutral informiert habe. Auch die lokale Politik legt gegenüber allen Handlungen des Unternehmens ein großes grundsätzliches Vorschussvertrauen an den Tag. Immer wieder wurde die Verbundenheit der Gemeinde mit Wintershall unterstrichen; somit kann das Fracking auch als allgemeiner BürgerInnenwille dargestellt werden: Ganz Barnstorf (und auf der übergeordneten Ebene: der gesamte Landkreis Diepholz) habe ein Interesse daran, sich mit Wintershall als größter Wirtschaftskraft und größtem Arbeitgeber der Region gutzustellen und dem Unternehmen dadurch auch langfristig Produktionsmöglichkeiten zu sichern. Daneben kristallisierte sich auch die Wahrung des Ortsfriedens als ein weiteres Motiv heraus, sich möglichst nicht kritisch gegen die Fracking-Pläne zu stellen. Aktuelle und ehemalige BürgermeisterInnen aus der Region erzählen immer wieder von einem etliche Jahre zurückliegenden Konflikt im Ort, der sich am geplanten Bau einer Umgehungsstraße entzündet hatte. Eine Bürgermeisterin vergleicht die damalige Dynamik mit der heutigen Situation: „Aber in dieser Zeit dieser Auseinandersetzung war das teilweise schon sehr unschön, dass man eben auch zu Geschäftsleuten sagte, du bist dafür, dann kauf ich bei dir nicht mehr ein, oder auch tatsächlich Menschen, die gemeinsam sonst zu Geburtstagen gingen, die dann sagten, da gehe ich nicht mehr hin, weil der ist dafür oder der ist dagegen, also. Das ist in diesem Fall eben nicht so, und das wäre aber schade, […] das hier würde den Ort, glaube ich, spalten.“

Die Gefahr einer unversöhnlichen Spaltung ist also mit Blick auf die Konflikthistorie des Ortes nicht unwahrscheinlich; zumal, wie bereits erwähnt, eine Kritik an Wintershall zumeist auch den unmittelbaren Bekanntenkreis persönlich betreffen würde. Aus diesem Grund bemühen sich die lokalen PolitikerInnen soweit wie möglich, den Konflikt nicht offen auszutragen und somit eskalieren zu lassen. Beispielsweise wird auch von ihnen die Bürgerinitiative als ausschließlich von außen kommendes Phänomen dargestellt, das vor Ort keinerlei Verankerung habe. Auf der Kreisebene zeigt sich das Bemühen um ein gutes Verhältnis zum Unternehmen ebenfalls deutlich; jedoch ist hier der Abstand zum Konflikt auch ein wenig größer: Zwar wird Wintershall als wichtige Partnerin und bedeutende Wirtschaftskraft hervorgehoben; gleichzeitig wird auf Kreisebene aber auch schärfere Kritik an bzw. stärkere Angst vor Fracking laut, die der Landrat berücksichtigen wolle. Vermutlich ist dies der Hauptgrund für die Verlagerung des Konflikts auf die Landesebene vonseiten des Kreisausschusses. Weder will der

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Landrat eine einfache Rechtsanwendung betreiben, nach der das FrackingProjekt ohne inhaltliche Diskussionen darüber schlicht genehmigt werden müsste, noch will er die langfristigen Produktionsmöglichkeiten der Wintershall gefährden. Durch die Repolitisierung des Konflikts von einer reinen Verwaltungsfrage zu einem landespolitischen Thema erhofft er sich eine sachlichere und rationalere Behandlung des Themas auf der formal zuständigen Ebene – ohne dass „der schwarze Peter“ am Ende an der lokalen Ebene, die nicht einmal echte Entscheidungsspielräume hat, hängen bleibt. Landespolitik Da der Kreisausschuss die Entscheidung über das potenzielle Fracking in der Düste Z10 de facto auf die Landesebene verlagert hat, wird der weitere Verlauf des Konflikts durch die Ministerien für Wirtschaft und für Umwelt bestimmt. Als oberster Wasserbehörde des Landes obliegt es nun dem niedersächsischen Umweltministerium, die Rechtmäßigkeit der Kreisausschussentscheidung zu beurteilen. Das Land verweist insbesondere auf die nach wie vor ausstehende gesetzliche Regelung auf Bundesebene, die man vor etwaigen eigenen Initiativen zunächst abwarten wolle.32 Gleichzeitig wird deutlich, dass Niedersachsen ein erhebliches Interesse daran hat, den gasfördernden Unternehmen im Land dauerhaft gute wirtschaftliche Bedingungen zu schaffen. So wird bspw. stets betont, wie sehr Niedersachsen die deutsche Erdgasförderung dominiere, aber auch, wie viele Arbeitsplätze von diesem Industriezweig abhängen würden. Aus diesem Grund versucht das Land, mit einem Erlass seinen Handlungsspielraum bestmöglich zu nutzen, um das Thema Fracking verlässlicher zu regeln. Weil das Land überdies durch seine exponierte Stellung in der Gasförderung über eine langjährige Expertise verfüge, die auch für die Bundesgesetzgebung wichtig sei, versucht Niedersachsen parallel, zu dem Thema eine Bundesratsinitiative voranzutreiben. Obwohl die niedersächsischen Ministerien bei der Beurteilung der Wichtigkeit der Energiewirtschaft Einigkeit demonstrieren, unterscheidet sich die Akzentuierung der Argumentationen zwischen Umwelt- und Wirtschaftsministerium doch deutlich. Der Vertreter des Umweltministeriums, selbst ein Politiker der Grünen, bemüht sich im Interview stets, die übergeordnete Relevanz von

32 Das im Juni und Juli 2016 von Bundestag und Bundesrat verabschiedete Frackinggesetz stärkt die Entscheidungsmacht der Bundesländer – bspw. indem es den jeweiligen Landesregierungen freistellt, ob sie Probebohrungen zu Forschungszwecken genehmigen wollen. So ermöglicht es Landesregierungen, die Vorbehalte gegen Fracking haben, auf politischer Ebene unkonventionelle Fracking-Vorhaben zu verhindern.

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Umweltbelangen auf der einen und Bürgerbeteiligung auf der anderen Seite herauszustellen: „Wir beklagen also hohe Defizite in dem Bereich, wie fehlende BürgerbeteiligungsVerpflichtung, fehlenden Verbraucherschutz durch die im Bergrecht festgelegten Probleme mit der Beweislast, die eben anders als in anderen Bereichen völlig bei den Einwohnern liegt und den Bergbauunternehmen sehr starke Handlungsmöglichkeiten gibt, wir sind auch seit langem auf dem Weg, zu versuchen, eine UVP, also eine Umweltverträglichkeitsprüfung für all derartige Maßnahmen vorzusehen, darüber hinaus auch diverse Standards zu setzen, wie vor allem der Schutz des Grundwassers, für das wir zuständig sind, und der Ressource Wasser insgesamt, der Reinheit des Wassers insgesamt und der Luft und des Bodens, das sind ja die Medien, für die wir als Umweltministerium verantwortlich sind.“

Fracking wird dabei als Brückentechnologie gesehen, die helfen könne, den Übergang weg von fossilen Brennstoffen reibungsloser und relativ umweltfreundlich zu gestalten. Auf diese Weise wird Fracking in den allgemeinen Diskurs über die Energiewende eingebettet und somit zu einem Thema gemacht, dem auch aus Sicht des Umweltministeriums eine hohe Bedeutung zukommt. Das Wirtschaftsministerium betont hingegen auch die Schwierigkeiten, eine gemeinsame politische Linie zu erarbeiten, die den Interessen beider Häuser gerecht wird: „Das ist ein Entscheidungsprozess von ungefähr fünf bis sechs Monaten gewesen, bis wir diese Linie hatten und im Prinzip immer noch haben mit dem Umweltministerium. Eine, wie soll ich sagen, pragmatische niedersächsische Linie, […] wie wir mit dem Thema hier im Land umgehen wollen. Wichtigster Punkt ist: Wir lehnen Fracking aus unkonventionellen Gesteinsschichten, unkonventionellen Lagerstätten, also aus Schiefergasgestein, ab, wollen aber die Erdgasförderung, die es bisher gab, aus tiefem Sandgestein fortführen, dies aber mit deutlich, deutlich strengeren Umweltauflagen, als es sie bisher gab.“

Dennoch liegt die Priorität hier eindeutig auf den wirtschaftlichen Konsequenzen, die bei einem generellen Verbot von Fracking zu befürchten seien: „Deshalb haben wir ja auch den Umweltminister auf unserer Seite, weil er diese Rolle ganz klar und deutlich auch sieht und eben auch sieht, dass er in Niedersachsen die Erfahrung und Expertise sieht und auch die wirtschaftliche Verantwortung sieht. Also wenn man ’ne Regierungsverantwortung übernimmt, dann verändert sich der Blickwinkel und es verändert sich auch das Verantwortungsgefühl. Das muss man so sehen. Aus der Opposi-

118 | KLAUDIA H ANISCH, CHRISTOPH HOEFT , H ANNES K EUNE tion heraus meckern ist relativ leicht, aber wenn man dann tatsächlich selber die Verantwortung übernimmt und sich alles betrachtet, dann stellt man fest, die Dinge sind eben doch nicht so einfach, wie es sich vielleicht eine Oppositionspartei macht oder auch eine Bürgerinitiative macht, die sagen: kein Fracking, Fracking böse.“

Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) Die für die Gasförderung mittels Fracking zuständige Genehmigungsbehörde ist das Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG). Gesetzliche Grundlage für die gestuften Genehmigungsverfahren ist das Bundesbergrecht. Insgesamt zeichnet das LBEG ein sehr bürokratisches Selbstbild: Man sei in seiner Arbeit an die gesetzlichen Vorgaben gebunden, besitze keine nennenswerten Handlungsspielräume und müsse für eine fundierte Einschätzung des weiteren Verlaufs von Fracking in Deutschland zunächst die Neuregelungen auf Landesund Bundesebene abwarten. Bis dahin wird lediglich auf das momentane Moratorium verwiesen. Von unterschiedlichen Seiten wird dem Landesamt dagegen eine sehr enge Beziehung zur Wirtschaft unterstellt, weshalb in den letzten Jahren immer wieder Kritik aufkam.33 Allerdings muss an dieser Stelle auch darauf hingewiesen werden, dass mit dem Bundesbergrecht die gesetzliche Grundlage der Behörde äußerst wirtschaftsfreundlich formuliert ist, weshalb ein Teil der Kritik eigentlich nicht das LBEG, sondern das zugrundeliegende Gesetz adressieren müsste. Im Interview verweist das LBEG immer wieder darauf, momentan grundsätzlich nicht mit Fracking-Anträgen beschäftigt zu sein, da seit Juli 2011 für Fracking-Arbeiten ein informelles Moratorium gelte: „Hier ist es ein faktisches Moratorium, weil die Landesregierung derzeit keine FracMaßnahmen mehr wünscht […], also bedeutet, seitdem ist kein Frac-Antrag mehr gestellt worden, kein Frac-Antrag mehr vorgelegt worden, und dementsprechend natürlich auch keiner genehmigt worden.“

Auch wenn das Moratorium in Niedersachsen, anders als bspw. in SchleswigHolstein, nicht offiziell ausgesprochen worden ist, handelt es sich doch de facto um einen generellen Stopp dieser Technologie: „Grundsätzlich sind wir im Augenblick an die Aussage unserer Hausspitze, einschließlich des Ministers, daran gebunden, dass zurzeit kein Frac-Antrag in der aktuellen Situation 33 Vgl. z. B. Wein, Martin: Landesbergamt in der Kritik, in: Weser-Kurier, 22.11.2013, URL: http://www.weserkurier.de/region_artikel,-Landesbergamt-in-der-Kritik-_arid,716694.html [eingesehen am 22.02.2016].

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überhaupt vorgelegt wird. Das ist ein Agreement, das wahrscheinlich die Politik mit der Industrie getroffen hat, und es steht auch im Augenblick kein Antrag an, das wüssten wir, weil wir dann ein entsprechendes Vorgespräch führen würden, das bedeutet, dass das auf politischer Ebene wohl kommuniziert worden ist mit den entsprechenden Vorständen, dass kein entsprechender Antrag vorgelegt wird, und selbst wenn aktuell ein entsprechender Antrag vorgelegt würde, würde das bedeuten, dass wir diesen Antrag bis auf Weiteres laut Forderung des Ministeriums zurückzustellen hätten.“

Auch das LBEG verweist auf die ausstehende Neuregelung des Bundesberggesetzes, das in seiner gegenwärtigen Fassung bei Fracking-Arbeiten weder Bürgerbeteiligung noch eine verpflichtende Umweltverträglichkeitsprüfung vorsieht. Dies zu ändern, sei Aufgabe des Gesetzgebers; wie lange dieser Prozess dauern werde, sei aber noch nicht absehbar. Solange aber die Novellierung nicht beschlossen sei und das faktische Moratorium gelte, spiele das LBEG im aktuellen Konflikt keine Rolle. Erst im Anschluss könne man auf Basis der neuen Regelungen wieder Genehmigungsverfahren durchführen – deren genaue Gestaltung sei aber zum jetzigen Zeitpunkt reine Spekulation.

Teil C: Beteiligte und Unbeteiligte – Perzeption und Perspektiven

5 „Eigentlich füllen wir nur ein Verantwortungsvakuum aus.“ Die Konflikte aus Perspektive der Bürgerinitiativen J ULIA K OPP

Bürgerinitiativen im Bereich von Technologisierungsdebatten und Infrastrukturprojekten gelten entweder als „Be- und Verhinderer von technischem Fortschritt“1 oder als „glaubwürdige Anwälte von Bürgerinteressen und unverzichtbare Wegbereiter einer demokratisierten Technologiepolitik“2 – jeweils abhängig von der Perspektive des jeweiligen Akteurs/der jeweiligen Akteurin. So wird ein Unternehmen, das der Adressat von Protest ist, Bürgerinitiativen anders bewerten als ein(e) LokalpolitikerIn, der/die gute Kontakte zu lokalen Bürgerinitiativen pflegt und vielleicht die gleichen Ziele verfolgt. Die Perspektive der BürgerInnen, die sich an dem Aushandlungsprozess von Infrastrukturprojekten beteiligen, vielleicht auch von diesen betroffen sind, auf jene, welche die Interessen der ansässigen Bevölkerung vertreten oder dies zumindest für sich in Anspruch nehmen, hängt wiederum von einer Vielzahl weiterer Aspekte ab, die von persönlichen Kontakten bis hin zu politischen Positionierungen reichen können. Dabei ist zu beachten, dass die Rolle der Bürgerinitiativen innerhalb der skizzierten Konflikte grundlegend verschieden zu den anderen AkteurInnen ist.

1

Saretzki, Thomas: Entstehung, Verlauf und Wirkungen von Technisierungskonflikten: Die Rolle von Bürgerinitiativen, sozialen Bewegungen und politischen Parteien, in: Simonis, Georg/Martinsen, Renate/Saretzki, Thomas: Politische Vierteljahresschrift: Politik und Technik. Analysen zum Verhältnis von technologischem, politischem und staatlichem Wandel am Anfang des 21. Jahrhunderts, Sonderheft 31/2000, Wiesbaden 2001, S. 185–210, hier S. 186.

2

Ebd.

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Denn im Gegensatz zu den politischen RepräsentantInnen, Verwaltungen und Unternehmen ist die Rolle der Bürgerinitiativen kaum durch rechtliche Kompetenzzuweisungen, Verträge oder Aufträge geregelt. Damit haben sie einerseits weniger Verantwortung zu tragen, sind nicht weisungsgebunden und unabhängiger von Fraktions- und Parteizwängen sowie Wirtschafts- und Unternehmenslogiken; andererseits verfügen sie jedoch über keinerlei Entscheidungskompetenzen und befinden sich damit in einer äußerst schwachen Ausgangsposition hinsichtlich ihres Einflusses auf den Verhandlungsverlauf. Ihre Rolle und ihre Einflussmöglichkeiten sind also davon abhängig, ob es überhaupt Beteiligungsverfahren gibt, wenn ja, wie diese beschaffen sind und wie durchlässig die Verfahren oder wie zugänglich die anderen AkteurInnen im Konflikt für die Anliegen der Bürgerinitiativen sind. Dabei sind Bürgerinitiativen hauptsächlich auf die Ressourcen und Kompetenzen – wie Bildung, Zeit, und finanzielle Mittel – sowie den sozioökonomischen und -kulturellen Hintergrund ihrer aktiven Mitglieder angewiesen. Innerhalb der Bürgerinitiativen befördert dies eine hohe Repräsentanz von VetreterInnen ressourcenstarker Gesellschaftsschichten. Aus politikwissenschaftlicher Perspektive wird darüber hinaus diskutiert, ob Bürgerinitiativen einen Mehrwert für das parlamentarische System, insbesondere in demokratietheoretischer Hinsicht, darstellen oder ob sie viel eher gesellschaftliche und soziale Ungleichheiten fördern, indem sie partikulare Interessen einer ressourcenstarken Bevölkerungsgruppe artikulieren und damit gerade nicht das mit ihnen verbundene partizipatorische Versprechen einlösen. So unterschiedlich die Einschätzungen zur Rolle von Bürgerinitiativen auch ausfallen mögen: Es zeigt sich, dass unabhängig von diesen Diskussionen Bürgerproteste wie Stuttgart 21 sowie Bürgerinitiativen seit den 1970er Jahren im Prozess politischer Entscheidungsfindung konstant an Bedeutung gewonnen haben.3 Sie sind zu einem festen Bestandteil politischer Konflikte geworden und als Akteurinnen nicht mehr wegzudenken, wenn es um Aushandlungsprozesse von Infrastrukturprojekten etwa im Bereich der Energiewende geht.4 Damit hängen die Dynamiken solcher Konflikte ganz wesentlich von den Bürgerinitiativen ab; insbesondere auf lokaler Ebene können solche Zusammenschlüsse die Stimmung vor Ort prägen. Die Sicht der Bürgerinitiativen auf die jeweiligen (politischen) Konflikte, in die sie involviert sind, gestaltet sich wiederum äußerst vielschichtig: Ihr Blick auf 3

Vgl. Roth, Roland: Lokale Demokratie „von unten“. Bürgerinitiativen, städtischer Protest, Bürgerbewegungen und neue soziale Bewegungen in der Kommunalpolitik, in: Wollmann, Hellmut/Roth, Roland (Hrsg): Kommunalpolitik. Politisches Handeln in den Gemeinden, Opladen 1990, S. 2–22, hier S. 2.

4

Vgl. Walter et al. (Hrsg.): Die neue Macht der Bürger (2013).

5 D IE K ONFLIKTE AUS P ERSPEKTIVE DER B ÜRGERINITIATIVEN

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die beteiligten AkteurInnen und ihr Verhältnis zu diesen kann ihre Position dabei ebenso prägen wie etwa ihr Selbstverständnis, die von ihnen verfolgten Ziele oder auch ihre Wahrnehmung parlamentarischer Entscheidungsprozesse oder politischer RepräsentantInnen.

5.1 Z IELE

UND

K RITIK

DER

B ÜRGERINITIATIVEN

Alle drei der hier untersuchten Bürgerinitiativen verfolgen jeweils dasselbe Ziel: Sie wollen das Projekt – zumindest in ihrer Region – verhindern. Damit stehen sie in grundsätzlicher Opposition zu denjenigen AkteurInnen, die das Projekt unterstützen; wobei sich die jeweiligen Konstellationen durchaus unterscheiden – je nach ihrer Position zu dem umstrittenen Projekt ist insbesondere die Kommunalpolitik mal Adressatin von Protest, mal „Verbündete“. Auch in der konkreten Ausdifferenzierung ihrer Ziele bestehen strukturelle Differenzen zwischen den Bürgerinitiativen der einzelnen Fallbeispiele: Die Bürgerinitiativen gegen Windparks lehnen zwar das jeweilige Projekt in Gänze ab, betonen aber immer wieder, nicht gegen Windenergie im Allgemeinen zu sein, und beziehen sich zumeist, wie auch im Fall SuedLink, generell positiv auf die Energiewende. Die Bürgerinitiativen gegen SuedLink sind in erster Linie darum bemüht, ihre Region aus den von der Umsetzung betroffenen Gebieten herauszulösen. Argumente gegen die Trasse als Ganzes und gegen das dieser zugrunde liegende Konzept der Energiewende sind weniger Motivation des Protests als Strategie, um die Ziele zu erreichen. Bei Fracking hingegen orientiert sich der Konflikt trotz der regionalen Verortung stärker an allgemeinen energiepolitischen und technologisch-ideologischen Fragen. Hier wird zwar auch konkret das einzelne Projekt kritisiert; eigentlich richtet sich der Protest jedoch grundsätzlich gegen diese Förderungstechnik. In allen drei Konfliktfeldern bieten die Bürgerinitiativen Alternativen an oder verweisen auf solche. Damit wirken sie etwa dem Vorwurf entgegen, aus individuellen Gründen oder gar grundlos gegen das Projekt zu sein; stattdessen können sie sich als AkteurInnen mit sachbezogenem Interesse und dementsprechenden Forderungen präsentieren. Zudem ist dieses Moment der Versachlichung des Konflikts bzw. der Positionsbegründung der Bürgerinitiative auch eine Reaktion auf die den Bürgerinitiativen von anderen AkteurInnen unterstellte Emotionalität, welche Motivation ihres Protests sei und ihr Handeln anleite. Zu den Zielen der Bürgerinitiativen gehört immer auch der Schutz von etwas, das man durch das jeweilige Vorhaben als bedroht oder gefährdet wahrnimmt. Das ist zumeist die Region, die jedoch unterschiedlich konnotiert wird.

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So nehmen WindkraftgegnerInnen eine vornehmlich kulturalistische Perspektive auf die Verbindung von Landschaft, Boden, Bevölkerung und Heimat ein. Ein Eingriff in die Landschaft bedeutet in diesem Verständnis dann eine mögliche Veränderung der Charakteristika von Land und Leuten. Auch bei den Bürgerinitiativen gegen Stromtrassen soll der Status quo aufrechterhalten werden; sie verweisen dabei aber stärker auf die Auswirkungen auf den Tourismus, Verletzungen des Naturschutzes oder Gesundheitsrisiken. Dabei ist das Verhältnis zum Natur- und Landschaftsschutz innerhalb der Bürgerinitiativen durchaus ambivalent: Einigen geht es auch gerade darum, die wahrgenommene Dominanz dieser Ziele in der Planung und den Verfahren zu brechen und den Menschen und seine Bedürfnisse zu einem legitimen Einspruchsgrund zu machen – was oft unter dem Begriff Menschenschutz thematisiert worden ist: „Naturschutz oder Artenschutz ist furchtbar wichtig, aber vergesst den Menschenschutz nicht.“ Neben den Zielen und ihren erklärten Forderungen, die alle Bürgerinitiativen mit ihrem Engagement zu erreichen versuchen, formulieren sie überdies eine Kritik, die trotz der unterschiedlichen Projekte, Akteurskonstellationen, Regionen und politischen Ausrichtungen stets ganz ähnliche Züge trägt: Sie kritisieren, dass wirtschaftliche Interessen und Gesichtspunkte bei der Umsetzung und Planung derartiger Infrastrukturprojekte weitaus größeren Wert hätten als die Orientierung „am Menschen“, um den es aber, so die Proklamation, bei politischen Entscheidungen und Maßnahmen gehen müsse. Diese Kritik ist neben den durchführenden Unternehmen auch an die politischen VertreterInnen gerichtet, die mit dem Protest der Bürgerinitiativen aufgerufen werden sollen, die Interessen ihrer BürgerInnen und WählerInnen zu berücksichtigen. So kritisieren etwa die Bürgerinitiativen gegen den SuedLink die „bürger- und naturschutzfeindliche Planung“5, womit sie sich zwar zuvorderst gegen TenneT als das die Planung durchführende Unternehmen, aber eben auch an die politischen Verantwortlichen, die ihrer Meinung nach deren Kontrollauftrag nicht nachkommen, wenden. Wird diese Kritik jedoch von politischer Seite aufgenommen, wird dieses Bemühen vonseiten der Bürgerinitiativen nur selten goutiert. Gerade die Bürgerinitiativen gegen Windenergie äußern teils scharfe Kritik an politischen VertreterInnen. Diese betrachtet man als die maßgeblich Verantwortlichen, von denen man bitter enttäuscht ist und denen man oft mit starkem Misstrauen begegnet; wobei in den untersuchten Fällen häufig die (mitregiereden) Grünen besonders betroffen sind.

5

So die Bürgerinitiative gegen SuedLink in ihrer Selbstdarstellung; siehe Bürgerinitiative gegen SuedLink: Wir, die Bürgerinitiative gegen SuedLink, URL: http://buerger initiative-stromtrasse.de/?page_id=19 [eingesehen am 22.02.2016].

5 D IE K ONFLIKTE AUS P ERSPEKTIVE DER B ÜRGERINITIATIVEN

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„Der größte Gegenspieler ist die Dummheit! Ja, vertreten in unserem Falle durch die Ministerpräsidentin, die von Tuten und Blasen keine Ahnung hat. Die hat also wirklich Leuten von uns gegenübergesessen, und hat gesagt: ‚Wenn ich das gewusst hätte, hätten wir das nicht gemacht. Aber jetzt haben wir’s gemacht.‘ Ja. So etwas an verantwortlicher Stelle, gell. […] Wobei es schon auffällt, seit die Frauen in Rheinland-Pfalz das Sagen haben, läuft so vieles verkehrt, gell.“

Dieses Misstrauen gegenüber politischen VertreterInnen sowie demokratischen Institutionen oder vermeintlich unabhängigen AkteurInnen wie der Wissenschaft tritt auch in der Kritik und im Handeln der AktivistInnen gegen Fracking deutlich hervor.

5.2 S ELBSTVERSTÄNDNIS

DER

B ÜRGERINITIATIVEN

Die untersuchten Bürgerinitiativen sehen sich selbst als Interessenvertretungen der ansässigen Bevölkerung sowie des jeweiligen Ortes oder der Region. Somit formulieren sie aus ihrer Perspektive nicht nur ein individuelles Anliegen oder das einer abgrenzbaren Gruppe, sondern eine Art objektives Interesse von Region und betroffenen AnwohnerInnen. Denn diese, so die Argumentation, würden im Grunde denselben Standpunkt einnehmen, wären sie auf demselben Wissensstand wie die Aktiven der Bürgerinitiativen. Gegenüber der Bevölkerung nehmen die Engagierten in den Initiativen also eine Art Vorreiterrolle in Anspruch – indem sie konstatieren, mehr zu wissen als die anderen und dadurch bereits einen Schritt weiter zu sein. Im Hinblick auf PolitikerInnen, Parteien und Unternehmen stellen sie ihr Selbstverständnis sicher, auf Augenhöhe mit diesen Eliten zu sein, und erfüllen im Selbstbild die von diesen nicht wahrgenommene Aufgabe der Verantwortung für Region und Menschen: „Wir haben die ganze Zeit hier einen Teil von gesellschaftlicher Verantwortung übernommen, weil sie an anderer Stelle nicht gelebt wird. Eigentlich füllen wir nur ein Verantwortungsvakuum aus.“

So stellt die Bereitstellung von Informationen für die Bevölkerung und für kommunale PolitikerInnen eine zentrale Aufgabe der Bürgerinitiativen dar; das Ziel lautet Aufklärung – über technische Daten des Projekts, seine Vor- und Nachteile, Planungen, Alternativen –, um darüber schließlich vor Ort zu mobilisieren. Verstehen sich die Bürgerinitiativen somit sowohl als Sprachrohr wie auch als eine Art Dienstleisterin, streben sie über diese Aufbereitung von Infor-

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mation und Wissen obendrein eine Kontrolle der mit den Planungs- und Entscheidungsprozessen beauftragten politischen und wirtschaftlichen AkteurInnen an oder wollen zumindest eine Grundlage schaffen, um deren Handeln zu beurteilen. Das entspricht dem Verständnis von Bürgerinitiativen als zivilgesellschaftlichem Kontrollmoment derer, die oberhalb der BürgerInnen in Zusammenarbeit mit wirtschaftlichen Eliten Entscheidungen treffen, und trifft damit durchaus auch eines der Kennzeichen von Zivilgesellschaft, die sich – definitorisch in Abgrenzung zu den Bereichen Politik und Wirtschaft – in ihrer historischen Genese u. a. als bürgerlicher Freiraum gegenüber dem Staat entwickelt hat. Eine oppositionelle Rolle einzunehmen, einen kritischen Blick zu pflegen, Skepsis zu bewahren – die allerdings teilweise bereits in Misstrauen umschlägt –: All das gehört zu diesem Verständnis und wird von den Bürgerinitiativen als Qualitäten bzw. Kompetenzen und Ressourcen angesehen. Dies wiederum steht in engem Zusammenhang mit dem StaatsbürgerInnenBegriff der Bürgerinitiativen: Die aktive Partizipation in der Öffentlichkeit und an öffentlichen Belangen wird nicht nur als Pflicht, sich zu beteiligen – etwa sich zu informieren oder zu wählen –, verstanden, sondern vielmehr auch als Recht in Anspruch genommen, einbezogen zu werden, gestaltend auf das Gemeinwesen Einfluss zu nehmen und die eigenen Interessen berücksichtigt zu wissen – immer auch verbunden mit der Bereitschaft, dies aktiv einzufordern. Dies stellt nicht nur die Voraussetzung für die selbstbewusste Forderung dar, als BürgerIn als gleichberechtigte(r) VerhandlungspartnerIn anerkannt zu werden; sondern dabei besteht auch ein Zusammenhang mit der sozioökonomischen und soziokulturellen Zusammensetzung der Bürgerinitiativen. Denn diese Formen von Selbstverständnis und Selbstbewusstsein resultieren zumeist nicht zuletzt aus vielerlei Erfahrungen gesellschaftlicher Anerkennung, die den AktivistInnen bspw. durch berufliche Tätigkeiten als z. B. JuristInnen und LehrerInnen oder in Parteien und Verbänden vermittelt worden sind. Da es sich bei den Mitgliedern überwiegend um Angehörige solcher Sozialschichten handelt, die über finanzielle und soziale Ressourcen, reichhaltige politische Erfahrung und alternative Zugänge zu Informationen und Wissen verfügen, gut vernetzt und überdurchschnittlich gebildet sind, können die Bürgerinitiativen ihre Organisations-, Mobilisations- sowie ihre Verhandlungsfähigkeit sicherstellen. Information und Wissen spielen aber auch darüber hinaus eine zentrale Rolle innerhalb des Konflikts sowie für das Handeln und Selbstverständnis der Bürgerinitiativen. Wie z. B. bereits der Konflikt um Stuttgart 21 gezeigt hat, werden Auseinandersetzungen um Infrastrukturprojekte immer auch auf der Wissensebene geführt; dabei geht es vornehmlich um solches Wissen, das im Kontext der jeweiligen Planungsverfahren anerkannt ist und als relevant erachtet wird.

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Das gilt auch für die untersuchten Fälle. Zumeist handelt es sich um spezifisches technisches, technologisches, energie- oder umweltpolitisches, naturschutzrechtliches oder auch allgemeines und besonderes juristisches Wissen (Verwaltungsrecht, aber auch spezifische baurechtliche Bestimmungen, im Fracking-Fall etwa das Bergrecht etc.). Statt Partikularmeinungen und Interessen, die den unterschiedlichen Positionen inhärent sind, zu verhandeln, werden – etwa in Form von Gutachten oder fachspezifischen Eliten mit Bildungspatenten – Fachwissen und Expertisen gegeneinander in Stellung gebracht, um die jeweils andere Position als falsch – und zwar in der Sache falsch – zu delegitimieren. Teilweise scheint die Grenze zwischen Faktenwissen und Weltanschauung im Kontext physikalischer Daten allerdings fließend zu sein. Diese Notwendigkeit zur vermeintlichen Objektivierung der eigentlich partikularen Interessen scheint der Logik dieser Verhandlungsform immanent zu sein. Rechtliche Einsprüche gegen Verwaltungsakte etwa erfordern, um ihrem überindividuellen Anspruch gerecht zu werden, sachliche Begründungen, die den rechtlichen Vorgaben entsprechen – und keine interessengeleiteten Positionspapiere. Auch der Übertragungsnetzbetreiber TenneT forderte die Bevölkerung im Rahmen des Bürgerdialogs auf, sich mit ihrem regionalen Wissen in die Planung einzubringen – wobei ausschließlich „sachdienliche“ Hinweise Einfluss auf die Planung nehmen konnten. An solche Vorgaben ist sowohl die Idee von Verfahrensgerechtigkeit und Objektivität von Informationen bzw. eindeutigen „Fakten“ geknüpft – dass also nicht die Interessen einzelner Gruppen bevorzugt behandelt werden – als auch das Ziel, „bestmögliche Lösungen“6 zu erreichen.

5.3 V ORGEHEN UND S TRATEGIEN DER B ÜRGERINITIATIVEN Die Bürgerinitiativen in den untersuchten Fällen verfügen zumeist über ein hohes Maß an Professionalität, das eigentlich bei solchen ehrenamtlichen, sich teilweise noch in der Gründung befindlichen kollektiven AkteurInnen nicht unbedingt vorausgesetzt werden kann. Das Agieren der Bürgerinitiativen zeugt von den Erfahrungen ihrer Mitglieder in rechtlichen Belangen, im Umgang mit Medien, in der Kommunikation mit politischen und wirtschaftlichen PartnerInnen oder auch in der Organisation größerer Veranstaltungen und in der Öffentlichkeitsarbeit. Davon profitiert sodann die jeweilige Bürgerinitiative. Ihr Spektrum

6

TenneT: Im Dialog zum Netzausbau: Transparenz und Vertrauen, URL: http:// SuedLink.TenneT.eu/SuedLink-im-dialog.html [eingesehen am 22.02.2016].

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an Handlungsoptionen und Strategien ist breit, unterscheidet sich von Fall zu Fall,7 reicht aber grundsätzlich von der Mobilisierung auf kommunaler Ebene – durch das Internet, Leserbriefe und Artikel in der lokalen Tagespresse oder Beiträge im regionalen Fernsehen – über Vernetzungen mit anderen Bürgerinitiativen, politischen AkteurInnen oder Verbänden (zumeist Naturschutz- und Umweltschutzverbände), Protesten und Demonstrationen bis hin zur Inanspruchnahme rechtlicher Mittel (wie Klagen auf unterschiedlichen Ebenen oder Einsprüche gegen Verwaltungsakte). Grundsätzlich bestehen im Vorgehen der Bürgerinitiativen einige strukturelle Unterschiede. Während die einen – hier die WindkraftkritikerInnen und die StromtrassengegnerInnen – stärker darauf setzen, in den Verhandlungsprozess einbezogen zu werden und in direkten Kontakt mit anderen AkteurInnen zu treten, lehnt die Bürgerinitiative gegen Fracking den Kontakt nahezu gänzlich ab und orientiert sich stärker daran, außerhalb dieser Prozesse Widerstand zu organisieren. Die jeweilige Strategiewahl ist auch vom Blick auf die anderen AkteurInnen abhängig; zudem finden immer wieder neue Entwicklungen und Lernprozesse statt. Dabei lassen sich mitunter Radikalisierungstendenzen beobachten: Anfangs zeigten die Bürgerinitiativen gegen den SuedLink noch Kooperationsbereitschaft mit TenneT, indem sie etwa die Beteiligungsmöglichkeiten nutzten und sich mit ihrem regionalen Wissen einbrachten. Mit der Auswertung der Informationen durch TenneT, in der die Bürgerinitiativen ihre Informationen nicht ausreichend berücksichtigt sahen, setzte dann zunächst eine starke Unzufriedenheit ein, die sich im weiteren Verlauf kontinuierlich steigerte, bis schließlich die Bürgerinitiativen den Dialog mit TenneT verweigerten und das Beteiligungsverfahren für gescheitert erklärten. Grundsätzlich versuchen die Bürgerinitiativen, Informationen zu bündeln, zu verbreiten und weiterzugeben, um für ihren Standpunkt zu mobilisieren. So organisieren sie Informationsveranstaltungen, zu denen erfahrene AktivistInnen, PolitikerInnen der unterschiedlichen Ebenen, ExpertenInnen aus dem Umweltund Naturschutz oder auch aus dem technischen oder energietechnologischen Bereich eingeladen werden. Daneben treten sie aber auch mit der Unternehmensseite in Verhandlungen und beanspruchen, bei Runden Tischen oder internen Treffen zwischen politischen und wirtschaftlichen Repräsentanten einbezogen zu werden – wozu sie streng genommen über keine Legitimationsgrundlage verfügen. Sie können ihren Anspruch darauf nur mehr kundtun und müssen sich dann mit ihren politischen VertreterInnen sowie den Verwaltungen auseinandersetzen. Auch betreiben die Bürgerinitiativen den strategischen Aufbau von Netzwerken und Bündnissen: kaum eine Bürgerinitiative, die nicht vernetzt ist. Zum Teil 7

Siehe hierzu auch Zilles/Schwarz: Bürgerproteste gegen Windkraft (2015).

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arbeitet man mit Initiativen aus anderen Orten und Regionen zusammen; man versucht aber auch, BündnispartnerInnen aus der Politik auf kommunaler oder Landesebene zu finden. Im Fall der Stromtrassen hat man bspw. geschafft, alle BürgermeisterInnen aus dem Gebiet als UnterstützerInnen zu gewinnen. Die Kommunen greifen den Bürgerinitiativen in diesem Fall auch finanziell unter die Arme, etwa durch die Bereitstellung von Protestutensilien wie Schildern. Gerade die Lokalpolitik kann also, abhängig von ihrer Involviertheit in das jeweilige Projekt, als Kooperationspartnerin dienen. Im Hinblick auf PolitikerInnen vertreten die meisten Bürgerinitiativen eine Position, die über die eines/r selbstbewussten Wählers/Wählerin deutlich hinausgeht und fast schon Züge von Lobbying trägt. So gehört dazu, „Druck“ auf die politischen RepräsentantInnen auszuüben, um diese für die eigenen Ziele zu gewinnen. Im Fall Windenergie hat die BI bspw. eine Dialogreihe mit PolitikerInnen organisiert, in deren Rahmen sie jenen LandespolitikerInnen, die auf ihrer Seite standen, konkrete Schritte empfohlen hat. Damit bietet sie gewissermaßen Politikberatung an: „Also jetzt sind wir ja dabei, sozusagen, die Politiker zu schulen. So kann man es wirklich sagen. […] Die machen jetzt ihre Hausaufgaben.“ Aus strategischer Perspektive ist auch der Umgang mit den Medien für die Bürgerinitiativen wesentlich. Die Berichterstattung über die Bürgerinitiativen sowie ihre Repräsentation in lokalen und, im besten Fall, überregionalen Printund mitunter auch Fernsehmedien ist wichtig im Hinblick auf ihr Image, ihr Mobilisierungspotenzial und damit letztlich auch für ihre Verhandlungsposition. Leserbriefe in den Lokalzeitungen haben mancherorts einen großen Einfluss auf die Diskussion über das Projekt und stellen für die Bürgerinitiativen eine Aushandlungsarena dar. Interviews mit Vorsitzenden der Bürgerinitiativen in überregionalen Zeitungen zeigen ein weiteres Mal, dass die Bürgerinitiativen über vielerlei Ressourcen und Kompetenzen verfügen und diese auch einbringen. Die Bürgerinitiativen unterhalten zudem in der Regel Online-Präsenzen, die oftmals professionell gestaltet sind; sie verfügen über ein eigenes Logo, vertreiben T-Shirts oder Banner mit ihrem „Markenzeichen“. Durch die Begleitung von Demonstrationen, Protesten und anderen Veranstaltungen können die Bürgerinitiativen auch über soziale Medien wie Youtube Verbreitung finden. Der Kampf um die öffentliche Meinung beschränkt sich aber nicht auf die Nutzung von Medien, sondern wird auch auf rhetorischer Ebene geführt: Prominent sind dabei Anleihen an Wording-Strategien: Aus der „Stromautobahn“, wie TenneT die Überlandleitung nennt, werden bei den Bürgerinitiativen die „Monster-Masten“; das „Onshore-Vorzeigeprojekt der Multimegawatt-Klasse“8, als das der Hersteller den Windpark bewirbt, wird aus Sicht der BI mit dem Bau der „Monsterwindrä8

ENERCON GmbH (Hrsg.): Windblatt (2013).

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der“ zum „Sündenfall“; Bilder toter Tiere oder kranker Kinder kommen ebenso zum Einsatz wie harsche, ebenfalls normativ aufgeladene Vorwürfe – etwa wenn das Verhalten von Unternehmen und Politik als „undemokratisch“ bezeichnet wird. Doch die Bürgerinitiativen nutzen auch institutionalisierte Wege für bürgerschaftliche Beteiligung, z. B. Bürgerbegehren, Volksentscheide oder andere direktdemokratische Instrumente, sowie den bereits erwähnten rechtlichen Weg, der zwar meist als letztes Mittel gewählt, oft aber bereits neben der kontinuierlichen Arbeit vorbereitet und geprüft wird.

5.4 D ER B LICK

AUF WIRTSCHAFTLICHE

AKTEUR I NNEN

Der Blick der Bürgerinitiativen auf die Unternehmen, welche die jeweiligen Projekte durchführen, ist äußerst kritisch und überwiegend ablehnend, aber durchaus ambivalent, wenn es darum geht, die Handlungsoptionen und den Einfluss des Gegenübers einzuschätzen. So gelten Unternehmen als handlungsstarke, teils übermächtige Akteure, denen man strukturell unterlegen ist, aber auch als – insbesondere moralisch – diskreditiert. In den Narrativen über die Unternehmen wird zudem der Versuch deutlich, auch die planerischen, technischen und sonstigen Kompetenzen der Unternehmen infrage zu stellen oder sie als unfähig zu zeichnen. Der Vorwurf der Korruption wird meist an prominenter Stelle geäußert. Politik und Wirtschaft „liegen gemeinsam im Bett“, so eine Bürgerinitiative gegen den Windpark im Hunsrück. Diese Bürgerinitiative lehnt den Kontakt zum Unternehmen ab und konzentriert sich darauf, dessen Argumente, z. B. dass Arbeitsplätze in der Region geschaffen würden, zu widerlegen. Im StromtrassenFall gilt TenneT als größter Gegenspieler; was sich zunächst durch TenneTs Präsenz im Konflikt und vor Ort ergibt. Das Unternehmen führt den Bürgerdialog durch, koordiniert das Gros der Kommunikation, von ihm stammen die Pläne für die Route usw. Die Entscheidung liegt jedoch weiterhin bei staatlichen Institutionen wie der Bundesnetzagentur. Diese wiederum wird als Akteurin mit weitaus höherer Neutralität wahrgenommen. Dass Unternehmen wirtschaftliche Interessen verfolgen und an Gewinnmaximierung orientiert sind, wird von den Bürgerinitiativen zwar als deren prinzipielle Eigenschaft anerkannt; gleichzeitig wird ebendies auch zum zentralen Element der Kritik und moralischen Verurteilung und in die eigenen Slogans integriert. „Gier frisst Hirn und Wald“, steht etwa auf einem Banner, das Aktive der Bürgerinitiative Windkraftfreier Soonwald hochhalten.

5 D IE K ONFLIKTE AUS P ERSPEKTIVE DER B ÜRGERINITIATIVEN

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Diese Form von Symbolpolitik, die in besonderer Weise die Unternehmen angreift, wird auch von den SuedLink-Bürgerinitiativen betrieben. War man lange Zeit auf Gesprächsangebote seitens TenneT eingegangen, leitete die Übergabe des „goldenen Sargnagels“, der das aus Sicht der Bürgerinitiative gescheiterte Dialogverfahren besiegeln sollte, das vorläufige Ende der Gesprächsbereitschaft ein. Die Übergabe des „Sargnagels“ wurde als offizieller Akt inszeniert, wofür in den sozialen Medien mobilisiert wurde; die Aktion wurde vom regionalen Fernsehen gefilmt und übertragen. Ein zentraler Begriff, mit dem die Kritik an den Unternehmen und ihrer Rolle in der Politik zusammengezogen wird, ist der Lobbyismus. Dieser vollständig negativ aufgeladene Begriff bezeichnet einen in der Wahrnehmung der Bürgerinitiativen zu hohen Einfluss der Unternehmen auf politische Entscheidungen, der bis zur Verschwörung von Politik und Wirtschaft gehen kann. Eine Sichtweise, nach der die Bürgerinitiativen als Interessengruppen mit den Interessen der Unternehmen in eine faire Konkurrenz treten, findet sich kaum. Die Interessendurchsetzung der Unternehmen wird moralisch verurteilt, die eigene wiederum als demokratisch und richtig angesehen. Die Vorstellung einer Beeinflussung anderer gesellschaftlicher AkteurInnen durch Unternehmen beschränkt sich nicht nur auf die Politik – bspw. geht die Initiative gegen Fracking von Verabredungen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft aus, wodurch die Akteurin Wissenschaft in ihren Augen ebenfalls diskreditiert ist.

5.5 D ER B LICK

AUF POLITISCHE

AKTEUR I NNEN

Der Blick der Bürgerinitiativen auf politische AkteurInnen lässt sich kaum eindeutig charakterisieren. Grundsätzlich gilt: Einerseits differenzieren die Bürgerinitiativen zwischen den unterschiedlichen Dimensionen und Ebenen von Politik und Parteien, sind dabei erfahren und reflektiert. Politikverdrossenheit, im Sinne einer endgültigen Abkehr von Politik, ist hier nicht zu spüren. Andererseits schimpfen sie generell auf PolitikerInnen. Parteien sind regelmäßig Ziel von Kritik und Adressat von Protest. Kurz: Das Verhältnis der Bürgerinitiativen zu politischen AkteurInnen und ihre Sicht auf diese sind ambivalent und widersprüchlich. Im Hinblick auf die parlamentarische Organisation des politischen Systems sehen die Bürgerinitiativen zwar Probleme und Schwachstellen; sie stellen aber das System als solches nicht infrage. Eher sind es bspw. schleppende und intransparente Prozesse, die sie negativ bewerten. Im Kontext der Fallbeispiele kritisieren die Bürgerinitiativen vor allem die Beteiligungsverfahren und die Verwaltung. Die Verwaltungssprache sei sehr schwierig, Entscheidungen und

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Prozesse nachzuvollziehen erfordere daher viel Zeit. Insbesondere Beteiligungsverfahren seien nicht durchlässig genug; überhaupt sei keine „echte“ Beteiligung möglich. Das meint, dass zwar formal Möglichkeiten der Beteiligung bestünden; aber die dabei eingebrachten Bedürfnisse, Wünsche und Interessen würden letztlich nicht in Entscheidungen einfließen. Die politischen Ebenen werden von den Bürgerinitiativen ganz unterschiedlich wahrgenommen; wobei die Landesebene für die eigenen Interessen als eher schlecht zugänglich gilt. Zur Bundesebene nehmen die Bürgerinitiativen zwar die größte Distanz ein; dennoch ist diese Ebene in ihrer Wahrnehmung und in ihrem Handeln äußerst präsent. Vor allem in den Fällen SuedLink und Fracking spielt die Bundesebene im Hinblick auf die getroffenen und noch zu treffenden Entscheidungen auch eine zentrale Rolle. Das Verhältnis zur Kommunalpolitik und zu kommunalen PolitikerInnen hängt wiederum von unterschiedlichen Faktoren ab – wobei dieser Ebene grundsätzlich das höchste Vertrauen zukommt. An erster Stelle steht dabei die Haltung der Kommunalpolitik und der unterschiedlichen Parteien zu dem umstrittenen Projekt. Vertritt die Kommunalpolitik einen ähnlichen Standpunkt wie die Bürgerinitiative, wird sie als potenzielle, in jedem Fall erwünschte Kooperationspartnerin wahrgenommen. Je nach persönlichen Kontakten und der Verflechtung der Mitglieder der Bürgerinitiative in den lokalen Parteistrukturen – viele der Aktiven sind oder waren selbst Mitglieder in Parteien – können darüber Bündnisse entstehen. Positioniert sich die Kommunalpolitik hingegen in Opposition zur Bürgerinitiative, werden die das Projekt initiierenden oder unterstützenden politischen RepräsentantInnen zum Ziel von Angriffen. Das kann vom Austausch von Argumenten bis hin zu Diffamierungen und manifesten Drohungen reichen. „Ich erinnere mich, […] diese eine Bürgerinitiative, die sagte, wir würden Sie am liebsten totschlagen, die haben dem einen Verbandsbürgermeister Morddrohungen ins Haus geschickt, also das ist schon zum Teil sehr abstoßend.“

Das Verhältnis der Bürgerinitiativen zu Parteien ist in besonderer Weise von Widersprüchen geprägt. Oftmals äußern sich Aktive aus den Initiativen abfällig über diesen Akteur: Auf Parteien, insbesondere auf die Grünen, sei kein Verlass, was u. a. Anlass für die Gründung der Initiative gewesen sei. Das wiederum steht durchaus im Zusammenhang mit den Widersprüchen, in denen sich die Bürgerinitiativen selbst befinden: Einerseits setzen sie sich für Natur- und Umweltschutz ein, kooperieren mit AkteurInnen aus diesem Bereich, wie dem BUND, oder nutzen zumindest umwelt- und naturschutzrechtliche Argumente, um ihr Anliegen voranzutreiben; andererseits verfolgen sie das Anliegen, Projekte, wel-

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che die Energiewende befördern sollen, zu verhindern. Daraus entsteht ein Spannungsverhältnis, das sie insbesondere zu denjenigen Parteien, deren Schwerpunkt auf den Bereichen Umwelt- und Naturschutz liegt, in Konflikt stellt. Denn obwohl man gleiche Werte für sich beansprucht und aus ähnlichen Positionen heraus argumentiert, werden unterschiedliche politische Konsequenzen gezogen. Aus dieser ideologischen Nähe folgt eine stärkere Notwendigkeit der Abgrenzung, die schärfere Auseinandersetzungen provoziert, als dies etwa bei Auseinandersetzungen zwischen naturschutzrechtlichen Argumenten und wirtschaftlichen Logiken der Fall ist. Parteien scheinen also bei Bürgerinitiativen geradezu verpönt. Jedoch haben viele der Aktiven teils langjährige Parteierfahrung – nicht nur als schweigende Mitglieder, sondern auch als AmtsinhaberInnen. Dennoch haben sie sich zur Gründung einer Bürgerinitiative entschieden, statt auf vorhandene Parteistrukturen zurückzugreifen. Vor diesem Hintergrund kann die Abwertung der Parteien auch als Versuch betrachtet werden, die eigene Position der Bürgerinitiative als Vertreterin der Bürger und Bürgerinnen aufzuwerten. Dazu wird auch auf die eigene Überparteilichkeit verwiesen. Die Bürgerinitiative ist projekt- oder sachorientiert, entsteht eher aus einer Single-Issue-Logik als aus einer geteilten politischen Weltsicht heraus – wobei letztere bis zu einem gewissen Grad doch notwendig ist, um gemeinsame Standpunkte zu formulieren. Insbesondere ein Aspekt bleibt widersprüchlich: Die neu gegründeten Bürgerinitiativen lehnen Parteien ab – und ähneln ihnen doch in ihrer Struktur und Funktionsweise ganz erheblich. Im Windkraftfall ist es sogar Teil ihrer strategischen Ausrichtung, sich selbst für Parteien oder freie Listen aufstellen zu lassen, um in kommunale Räte gewählt zu werden und dadurch Projekte zu verhindern.

6 „Weil die Interessen völlig gleich gelagert sind, nur die Mittel und Methoden sind unterschiedliche.“ Die Konflikte aus Perspektive von Politik und Verwaltung S ÖREN M ESSINGER -Z IMMER

Gewählte FunktionsträgerInnen und Verwaltungen sind auf allen Ebenen in die von uns untersuchten Konflikte involviert und erfüllen dabei eine hohe Bandbreite an formalen und informalen Aufgaben. Sie geben als Entscheidungsorgane der Politik und der Genehmigungsbehörden das endgültige Veto oder Plazet zu Projekten und deren Rahmenbedingungen. Aber auch informell sind sie wichtige AnsprechpartnerInnen und InformationslieferantInnen sowohl für die Unternehmen als auch für die Bürgerinitiativen und verfolgen ihre eigenen Ziele innerhalb der Konflikte, versuchen, die Projekte entsprechend ihrer Präferenzen durchzusetzen oder abzuwehren. Alle Konflikte weisen durch ihre klare räumliche Verortbarkeit eine lokale Dimension auf, durch die ungeachtet formaler Zuständigkeiten die kommunale Politik und Verwaltung sowie die Kreisebene eine wichtige Rolle spielen. Für die Bürgerinitiativen sind sie entweder die nächst greifbaren VertreterInnen des Staates, gegen den sie sich (neben den Unternehmen) wehren, oder wertvolle Verbündete in der Abwehr von Zumutungen seitens höherer Ebenen. Formal ist die kommunale Politik und Verwaltung in die von uns betrachteten Konflikte sehr unterschiedlich involviert. Im Fall der Stromtrassen und des Frackings haben sie nahezu keinen eigenständigen formalen Einfluss auf die Projekte. Die Genehmigungsbehörden sowie die politischen EntscheidungsträgerInnen sitzen auf Bundes- bzw. Landesebene. Bei der Windkraft im Hunsrück wiederum sieht das ganz anders aus. Dort können die Verbandsgemeinden über die Flächennutzungspläne selbst entscheiden, ob und wo sie auf ihrem Land Windkraftanlagen bauen. Auch die Ge-

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nehmigung der einzelnen Anlagen findet bereits auf Kreisebene statt. Doch nicht nur der formelle Einfluss, sondern auch die inhaltliche Haltung zum Konfliktgegenstand fiel in den von uns betrachteten Fällen sehr unterschiedlich aus. Beim SuedLink sind die kommunalen VertreterInnen bis hoch in die Kreisebenen fast geschlossen gegen die Trassenführung durch ihr Gebiet – was bei einigen sogar zu einer Ablehnung der Trasse insgesamt geführt hat. Im Falle des Frackings vertraut die Lokalpolitik dem ortsansässigen Unternehmen in einem Maße, dass sie nicht nur keinen Widerstand ausüben, sondern sogar eher Unterstützung anbieten. Im Hunsrück wiederum sind es gerade die kommunalen Instanzen, welche die Windräder aufstellen lassen (oder eben nicht), sodass in den Konfliktfällen die Kommunalpolitik und die Verwaltung nicht nur aufseiten der Unternehmen stehen, sondern vielmehr HauptgegnerInnen der Proteste sind. In allen von uns betrachteten Fällen spielt ebenfalls entweder die Bundesoder die Landesebene eine wichtige Rolle. Auch dort, wo die Kompetenzen der Kommunen sehr weitreichend sind – etwa bei den Windrädern im Hunsrück –, sind es doch die Rahmenbedingungen und Förderungsstrukturen der Landesebene, die den gesetzlichen Rahmen für die Planungsprozesse bilden. In den anderen Fällen sind die Genehmigungsbehörden und die gesetzlichen Rahmen auf diesen höheren Ebenen verortet. Inhaltlich positionieren sich diese Ebenen stets eher oder vollständig aufseiten der ProjektbefürworterInnen. Einzig der bayerische Widerstand gegen den SuedLink fällt etwas aus dem Rahmen: Hier ist die letztlich entscheidende Ebene aber ebenfalls die Bundesebene. Unser spezifischer Blick, ausgehend von den Bürgerinitiativen und dem Protest vor Ort, hat dazu geführt, dass wir mehr Material und umfassendere Untersuchungen zur lokalen Ebene produziert haben als zur Bundes- oder Landesebene. In die Analyse zur lokalen Ebene der Politik und Verwaltung fließen sowohl Interviews mit (Ober-)BürgermeisterInnen und LandrätInnenen als auch mit VertreterInnen der jeweils zuständigen Verwaltungen ein. Auf Landes- und Bundesebene sind VertreterInnen der zuständigen Genehmigungsbehörden und MitarbeiterInnen aus Ministerien interviewt worden.

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6.1 R OLLENVERSTÄNDNIS , S TRATEGIEN UND Z IELE IM K ONFLIKT 6.1.1 Lokale Ebene Eine allgemeine Analyse des Rollenverständnisses und der Strategien der gewählten FunktionsträgerInnen und der Verwaltungen, die an den Konflikten beteiligt sind, ist recht schwierig, da sie deutlich heterogenere Ziele verfolgen als die anderen Akteursgruppen. Nicht nur besteht eine deutliche Differenz zwischen den kommunalen AkteurInnen bis zur Kreisebene und der Länder- und Bundesebene; auch finden sich gerade unter den kommunalen AkteurInnen sowohl BefürworterInnen als auch GegnerInnen der Projekte. Trotz der formalen und inhaltlichen Unterschiede ist allen kommunalen staatlichen AkteurInnen die starke lokale Argumentation gemein. Zentral für die eigene inhaltliche Position und die Ziele ist das (zukünftige) Wohlergehen des eigenen Ortes. Damit werden sowohl die Argumentationen für als auch gegen bestimmte Projekte begründet: „Ich sehe mich dafür verantwortlich, Projekte zu lancieren, die den Bestand der Ortsgemeinde nachhaltig sichern. Im Zuge demographischer Entwicklung, im Zuge daraus resultierender Leerstände, die wir bereits jetzt schon haben und von denen wir absehen können, dass die sich auch in Zukunft noch vermehren. […] Das heißt, ganz klar und eindeutig, die Ortsgemeinden stehen untereinander in einem Konkurrenzkampf, […] und, ja, meine Aufgabe ist es, alles zu tun, dass die Ortsgemeinde auch weiterhin diesem Konkurrenzkampf standhält und Bestand hat.“

Der Fokus auf den eigenen Ort geht zum Teil soweit, dass die KommunalpolitikerInnen eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung der lokalen AkteurInnen als sekundär oder irrelevant einordnen: „Die politische Haltung würde ich persönlich so formulieren: Wir sind schlichtweg dagegen, dass diese Trasse hier bei uns vorbeiläuft. Das ist auch der vordergründig einzige Auftrag, den wir als Kommunalpolitiker haben, zu verhindern, dass sie hier entlangläuft. Die Trasse als solche zu verhindern, das mag ein hehres Ziel sein, das ist aber nicht meine Aufgabe, da fehlt es schon an der Zuständigkeit.“

Natürlich nutzen auch die lokalen AkteurInnen Gemeinwohlargumente, wenn sie die eigene Position stärken; keine andere Akteursgruppe hat aber so deutlich ihren eigenen Verantwortungsbereich beschränkt und war so offen damit, recht

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hart die eigenen partikularen Interessen zu vertreten – wobei unter „eigenen Interessen“ im Sinne des Amtes als BürgermeisterIn oder Landrat/-rätin die Interessen in Bezug auf Ökonomie und Lebensqualität von Ort und Kreis verstanden werden können sowie im Sinne der Wiederwählbarkeit eine Vermeidung von allzu viel Empörung. Keine besonders große Rolle spielen in den Interviews Argumentationen, die darauf abzielen, die BürgerInnen zu überzeugen, dass auch sie vor Ort Opfer für die Gesellschaft zu bringen hätten. Einzig im Falle der Windräder wird auch über den Verweis auf Erfordernisse der Energiewende versucht, Zustimmung zu schaffen. Aber auch hier dominiert deutlich der Verweis auf den lokalen finanziellen Nutzen. Von den KommunalpolitikerInnen wird erwartet – und sie nehmen diese Erwartungshaltung auch auf –, dass sie sich für den eigenen Ort einsetzen und nicht, dass sie für die Gesellschaft als Ganzes handeln. Für die inhaltliche Bewertung, was die bessere Lösung für den eigenen Ort ist, müssen die kommunalen FunktionsträgerInnen die Projekte umfassend einschätzen können. Tatsächlich aber sehen sich sie sich oft mit der Beurteilung der Projekte und einer eigenen Gewinnung ausreichender Informationen überfordert. Sie sind stark darauf angewiesen, ihre Informationen in aufgearbeiteter Form überreicht zu bekommen. Das liegt vor allem an der enorm geringen Zahl von VerwaltungsmitarbeiterInnen, auf die sie zurückgreifen können. Besonders dort, wo sie von außen mit Projekten konfrontiert werden und diese nicht selbst anregen, müssen sie sich innerhalb kürzester Zeit die erforderliche Expertise aneignen, um komplexe Vorhaben bewerten zu können. Grundsätzlich stehen ihnen verschiedene Quellen zur Verfügung, die ihnen mehr oder weniger bereitwillig Informationen und Argumente zur Verfügung stellen, um das jeweilige Problem zu bearbeiten. Zentral für die Informationsgewinnung aller lokalen FunktionsträgerInnen war die nächsthöhere Ebene: die Kreisebene. Hier finden sich Verwaltungsstrukturen, die zumindest zum Teil die Chance haben, eine eigenständige Expertise aufzubauen und den Kommunen zur Verfügung zu stellen. Besonders in den Fällen, in denen die Kommunen versuchen, sich gegen ein Projekt zu stellen, ist dies eine wesentliche Hilfe. Die Unternehmen selbst liefern professionell aufgearbeitete Informationen zu ihren Projekten und informieren die KommunalpolitikerInnen auf Veranstaltungen. Bei Projekten, wo die kommunalen FunktionsträgerInnen aufseiten der Unternehmen stehen und sich große Vorteile für den eigenen Ort erhoffen, werden diese häufig dankbar übernommen und kaum hinterfragt. Aus Sicht der Kommunen, die sich gegen ein Vorhaben stellen, z. B. beim SuedLink, galten diese Informationen hingegen naturgemäß als unzureichend und wenig glaubwürdig. Die Offenheit gegenüber dritten AkteurInnen wird generell dort größer, wo die FunktionsträgerInnen nicht bereit sind, die In-

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formationen der Unternehmen zu übernehmen, weil sie das Projekt ablehnen. Gegenexpertisen von WissenschaftlerInnen, Bürgerinitiativen und JournalistInnen aus dem öffentlichen Diskurs liefern hier Argumentationsschablonen. Neben das Ziel, in puncto Lebensqualität und Ökonomie für den eigenen Ort das Bestmögliche zu erreichen, tritt ein weiteres: den Frieden im eigenen Dorf zu erhalten. Durch die relativ geringe Größe der von uns betrachteten Orte sind langanhaltende inhaltliche Konflikte stets mit dem Risiko verbunden, sehr persönliche Konsequenzen im Leben der BewohnerInnen zu zeitigen. Konflikte drohen dadurch, sich auf sämtliche Lebensbereiche auszuwirken: „Aber in dieser Zeit dieser Auseinandersetzung war das teilweise schon sehr unschön, dass man eben auch zu Geschäftsleuten sagte, du bist dafür, dann kauf ich bei dir nicht mehr ein, oder auch tatsächlich Menschen, die gemeinsam sonst zu Geburtstagen gingen, die dann sagten, da gehe ich nicht mehr hin, weil der ist dafür oder der ist dagegen.“

Auch hier sind die KommunalpolitikerInnen, die vom SuedLink betroffen sind, in einer privilegierten Position, da ihr Gegner außerhalb steht. Dadurch sind sie in der Lage, den Konflikt zu führen, ohne dass der Ortsfrieden gefährdet ist; im Zweifel kann daraus sogar ein Zusammengehörigkeitsgefühl entstehen. Aber selbst sie schätzen allzu heftige Emotionen aufseiten der GegnerInnen des Projekts als Risiko ein. Sie befürchten, in einem zu emotionalen Konflikt als staatliche VertreterInnen und PolitikerInnen unter die Räder zu geraten, obwohl sie inhaltlich auf derselben Seite stehen. Ein Grund für die starke symbolische Solidarisierung der vom SuedLink betroffenen kommunalen FunktionsträgerInnen mit dem Protest ist eben auch der Versuch, beruhigend auf die Konfliktparteien einzuwirken, indem man zeigt, dass sich zumindest Teile des Staates und der Politik um die Probleme kümmern. Hier geht es weniger darum, den Protest zu stoppen, als darum, die örtlichen kommunalen Institutionen nicht in den Sog des Misstrauens und der Ablehnung geraten zu lassen. Besondere Relevanz allerdings entwickelt dieses Ziel dort, wo der Konflikt vor Ort ausgetragen werden muss. Dann gilt, ihn möglichst nicht zu befeuern und den Protest als ein von außen kommendes Phänomen darzustellen. Im Falle des Frackings, bei dem die Entscheidung nicht vor Ort gefällt werden kann, führte dies so weit, dass die Kommunalpolitik eine gewisse Scheu zeigte, sich überhaupt zu dem Sachverhalt öffentlich zu äußern: „Schlussendlich verhindern, oder das wirklich vorantreiben können wir hier auf unserer politischen Ebene nicht. Da ist es einfach wichtig, deshalb finde ich es auch schwierig, hier jetzt zum Beispiel auch ’ne große Bürgerbewegung gegen die Düste Z10. Sie könnte

142 | SÖREN M ESSINGER-ZIMMER sie ja nicht verhindern, jedenfalls nicht, wenn es nur hier vor Ort wäre, aber würde ganz viel an Miteinander einfach dann zerstören. Und das ist eben die Frage, was ist es einem wert, ne?“

Alle kommunalen PolitikerInnen sehen sich mit ihrer jeweiligen Position aufseiten der Mehrheit im eigenen Ort. Besonders jene, die sich wie im Fall SuedLink aufseiten der Protestierenden selbst befinden, können sich dieser Position sehr sicher sein, da sie mit keinerlei organisierter abweichender Meinung rechnen müssen: „Es wird sicherlich einige geben, die sagen, wir brauchen den Netzausbau und dann müssen auch wir eben in den sauren Apfel beißen, aber, in concreto glaube ich, dass das ’ne sehr, sehr kleine Gruppe Menschen ist, die das so sehen.“

Für jene, die sich vor Ort durchaus mit einer organisierten Gegenposition auseinandersetzen müssen, ist der Kampf um die Deutungshoheit der Mehrheitsmeinung im Ort zentral. Der Verweis auf die Vertretung der Mehrheit legitimiert dann letztlich auf beiden Seiten des Konflikts die jeweiligen Handlungen. Idealerweise wird der Frieden im Ort aus Sicht der PolitikerInnen erreicht, indem sich die Minderheit der Protestierenden nicht weiter dem Mehrheitswillen widersetzt. Das kann zu einer Disqualifizierung des Protests als eines externen Störfaktors führen. Letztlich – und diesen Aspekt verstärkend – sahen die lokalen PolitikerInnen ihre Aufgabe häufig darin, gerade die Interessen der Menschen, die sich nicht organisieren und die sich nicht intensiv in die Materie einarbeiten, zu vertreten: „Ich bekomme kaum schriftliche Eingaben von Laien, ich bekomme fast nur Eingaben von Profis und von Laien, die echt betroffen sind. Und diejenigen, die betroffen sind, denen müsste man eigentlich das Wort gönnen und mit denen muss ich mich auch beschäftigen, wenn die nicht in der Lage sind, genau zu formulieren, wenn ’ne Straße gebaut wird und die haben Angst vor Lärmschutz, […] dann ist es heute so, dass man ihnen zehn Jahre später sagt, pass auf, damals war die Eingabefrist, und du hast das nicht geschrieben, aber ich habe doch gesagt, das ist zu laut, ja, aber du hast geschrieben, das ist zu laut an deinem Wohnzimmerfenster, jetzt sagst du, das ist dein Schlafzimmerfenster, das war ein Fehler […]. So läuft das ab, und das versteht der einfache Bürger nicht. Die Profis, auch Fracking-Gegner würde ich jetzt dazu zählen, die organisiert sind, die wissen, wie das abläuft, die wissen genau, welche Knöpfe sie drücken müssen, um das Verfahren in die Länge zu ziehen und dergleichen.“

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Die lokalen FunktionsträgerInnen versuchen, gegenüber anderen involvierten Ebenen möglichst großen Einfluss zu gewinnen. Ziel ist, so viel wie möglich lokal zu entscheiden (zumindest solange daraus erwachsende Herausforderungen nicht zu groß werden). Auch zu diesem Zweck werden die von nahezu allen ProtestakteurInnen gestellten Forderungen nach mehr Transparenz und Mitbestimmung sowie insgesamt der Anspruch auf hohe demokratische Standards dort besonders unterstützt, wo die formalen Entscheidungsrechte auf anderen Ebenen liegen. Darüber hinaus ist aber für alle befragten PolitikerInnen und Verwaltungskräfte völlig klar, dass die BürgerInnen selbst mitreden sollen und dass der Trend hin zu mehr Bürgerinformation, -beteiligung und stellenweise –mitbestimmung im Grundsatz richtig sei. Sie halten dies sowohl für demokratisch als auch für strategisch geboten. Konflikte seien nur durch eine umfassende Informierung und Beteiligung zu bearbeiten. Interessanterweise haben viele der kommunalen PolitikerInnen aber auch die Erfahrung gemacht, dass unter einigem Aufwand bereitgestellte Angebote zur Information und stärkeren Einbindung der BürgerInnen von diesen nicht genutzt werden. Insbesondere für Themen, in denen die Emotionen nicht hochkochen, scheinen sich Informationsangebote kaum zu lohnen, da die BürgerInnen diese in solchen Fällen nicht wahrnehmen. Daraus folgt, dass die KommunalpolitikerInnen deutlich stärker als höhere Ebenen zwischen einer grundsätzlichen Forderung nach hoher Bürgerbeteiligung und einem pragmatischem Modus schwanken, wonach dann Beteiligung angeboten werden müsse, wenn sie nachgefragt werde, ansonsten aber klassische Verfahren ausreichten. Das politische Mittel des Protests durch die BürgerInnen wird grundsätzlich anerkannt. Trotz des starken Wunsches nach Frieden im Ort äußerte kein(e) KommunalpolitikerIn grundsätzliche Vorbehalte. Allerdings erfährt der Zeitpunkt des Protests häufig eine implizite Einschränkung: Werden die KommunalpolitikerInnen als EntscheidungsträgerInnen selbst zur Zielscheibe der Kritik, kommt es mehr oder weniger unterschwellig zur Forderung nach einem Ende des Protests, sobald eine demokratisch legitimierte Entscheidung gefallen ist. „Ist die Frage, wie er [der Protest, Anm. d. Verf.] aufkommt, wenn man sich kritisch auseinandersetzt und sagt, ich komm zu einer Entscheidung und dann wird die Entscheidung akzeptiert, dann ist das okay. Wenn aber immer wieder das Ganze, dann auch wenn eine Entscheidung getroffen ist, kritisiert, behindert oder auch persönlich wird, dann ist es natürlich schon hinderlich für die Arbeit, auch für die weitere Arbeit. […] In der Regel kommt da auch ein vernünftiger Kompromiss zustande, der beide Seiten berücksichtigt, den einen nicht weit genug geht, so, und wenn die, denen das nicht weit genug geht, ver-

144 | SÖREN M ESSINGER-ZIMMER suchen, das immer noch zu verhindern, dann habe ich irgendwann auch kein Verständnis mehr dafür.“

Diesem Anspruch beugen sich diese KommunalpolitikerInnen allerdings keineswegs, wenn sie selbst vor der Wahl stehen, eine für sie ungünstige Entscheidung zu akzeptieren oder dagegen zu protestieren. Der Verweis auf die parlamentarische Legitimation einer auf höherer Ebene getroffenen Entscheidung führt bei ihnen nicht notwendigerweise zu Akzeptanz. Sie kritisieren sowohl die Unternehmen als auch die Landes- und Bundespolitik weiterhin stark und organisieren Widerstand. Für eigene Entscheidungen wird in Anspruch genommen, dass man lange und ausgiebig überlegt, das Für und Wider abgewogen und schließlich einen guten Kompromiss gefunden habe. Anderen politischen Ebenen hingegen werden oft vorschnelle und schlecht informierte Entscheidungen vorgeworfen, was Ein- und Widerspruch rechtfertige. 6.1.2 Landes- und Bundesebene Die höheren politischen Ebenen – Land und Bund – unterscheiden sich von lokalen Strukturen vor allem durch eine größere Bedeutung politischer Linien der jeweiligen Koalition und der Parteien in der Positionierung zum Konflikt. Während auf lokaler Ebene relativ klar aus der Kosten-Nutzen-Kalkulation für den Ort die Position der politischen FunktionsträgerInnen abgeleitet werden kann, sind es auf höherer Ebene eher Parteipositionen und grundsätzliche Überlegungen, welche die Positionierung prägen. Daraus folgt auch, dass auf der Landesebene häufiger Gemeinwohlargumentationen vorgebracht werden, die über die eigenen Landesgrenzen hinausweisen. Das gilt z. B. besonders im Fall des SuedLink: „Wir bekennen uns dazu, dass eben ein Netzausbau erforderlich ist, und wenn ein Netzausbau erforderlich ist in dem ungewöhnlichen Maße, dann soll er auch so sein, dass er möglichst effizient ist. Und eine der effizienteren Planungen ist ’ne Gleichstromtrasse, auch wenn sie verhältnismäßig lang ist und SuedLink, die wurde ja auch immer so als die ‚Hauptschlagader

der Energiewende‘ gekennzeichnet, ist dann aus unserer Sicht auch be-

sonders bedeutsam für die bundesrepublikanische Dimension. Und dann tragen wir das mit.“

Dabei zeugt die bayerische Positionierung im Streit um die Stromtrasse auch vom kompletten Gegenteil. Hier nahm man auf Landesebene eine Position ein, die den Trassenverlauf zuungunsten anderer Bundesländer wandeln wollte. Allerdings spielt hier die parteipolitische Verantwortung eine besondere Rolle: Bis

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auf Bayern sind alle anderen Bundesländer entlang der Trasse grün mitregiert. Damit war die Selbstverpflichtung, der bundesweiten Konzeption der Energiewende nicht im Weg zu stehen, dort jeweils höher als bei der CSU. Insgesamt hatten wir es in unseren Fällen auf Landes- oder Bundesebene bis auf diese Ausnahme nur mit BefürworterInnen der Projekte zu tun. Ein weiterer wesentlicher Unterschied zu lokalen Strukturen zeigt sich in dem fachlichen Selbstbewusstsein der Landesstrukturen. Ab der Landesebene traten die Verwaltungsstrukturen und die von ihnen informierten politischen AkteurInnen deutlich selbstsicherer auf. Sie verfügten über eigenständige Expertise, die zwar zum Teil in Zusammenarbeit mit den Unternehmen oder auf Basis von externen Gutachten entstand, aber von eigenen ExpertInnen geprüft und zusammengestellt worden war. Der Verweis auf eine etwaige fachliche und zeitliche Überforderung mit der Situation trat in den Interviews hier deutlich in den Hintergrund. Für die Landesebene verliert auch der einzelne Konflikt vor Ort natürlicherweise an Bedeutung. Die einzelne Auseinandersetzung um einen Windpark oder eine Fracking-Bohrung entscheidet nicht über die grundsätzlichen Ziele der höheren Ebenen. Die Sorge gilt hier verstärkt der Entstehung einer Protest- und Verhinderungskultur in den jeweils betroffenen Themenfeldern. Relevant wird ein einzelner Konflikt erst ab einer gewissen Größe; das überall präsente Beispiel dafür war Stuttgart 21: „Stuttgart 21 war eine entscheidende einschneidende Erfahrung. [Insofern, dass wir an diesem, Anm. d. Verf.] ich sag es noch mal, im Grunde absurden Beispiel – absurd deshalb, weil es nur um einen Bahnhof ging und nicht um den Weltfrieden –, dass wir eben gesehen haben, dass sich aus einer kleinen Gruppe […] von Gegnern dann so eine Bürgerbewegung entwickelt hat, die das ganze Projekt gefährdet hat, die zu einem fürchterlichen Imageschaden geführt hat, die dazu beigetragen hat, eine Landesregierung zu stürzen, die die Bahn an den Rande des Wahnsinns getrieben hat.“

Auch den AkteurInnen auf Landes- und Bundesebene gelten dabei Bürgerbeteiligung und -information als zentrale Mittel, um solche Szenarien zu verhindern. Sie versuchen, diese Verfahren in neuen Gesetzen bereits von Beginn an in das Planungsprozedere zu integrieren, und verpflichten sich zu einer möglichst offenen und transparenten Planung. Das Ziel einer solchen bürgernahen und offenen Planung wird vor allem in Form neuer Regelungen für Genehmigungsverfahren durchgesetzt. Damit sind es die Genehmigungsbehörden, die sich nun in neuen kommunikativen Aufgaben zurechtfinden müssen. Zwar geben die VerwaltungsmitarbeiterInnen an, diese

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Neuerungen als selbstverständlich und demokratisch geboten anzusehen; aber es ist spürbar, dass diese Haltung zur Planung noch für alle ungewohnt ist. Inhaltlich mag Planung mit starker Bürgernähe zwar inzwischen kein völliges Novum mehr sein – alltäglich ist sie aber noch längst nicht. Ebenfalls recht unklar bleibt die Frage, inwiefern etwa diejenigen Abteilungen in Genehmigungsbehörden, die für die Kommunikation mit den BürgerInnen zuständig sind, auf jene Abteilungen, die inhaltlich die Genehmigung betreiben, Einfluss nehmen und haben können. Letztlich ist die Integration von Bürgerbeteiligung für Genehmigungsbehörden nur unter bestimmten Bedingungen möglich. Da ein Genehmigungsverfahren ein rein verwaltungstechnisches Verfahren sein soll, ist es der Behörde im Prinzip unmöglich, politisch auf Wünsche der Bevölkerung einzugehen. Sie kann Anmerkungen, Einwände und Protest nur dann berücksichtigen, wenn diese genehmigungsrelevante Fragen aufwerfen und dafür Informationen liefern. Das führt dazu, dass Verwaltungen die große Last aufgebürdet bekommen, die Bürgerbeteiligung zu stemmen, aber häufig kaum Spielraum haben, tatsächlich auf Wünsche und Einwände inhaltlich einzugehen. Das kann zu beiderseitigen Frustrationen führen, da sich BürgerInnen hintergangen und scheinbeteiligt fühlen, während die Behörde ihre Aufgabe missverstanden sieht. Selbst bei stärkstem Protest muss eine Genehmigungsbehörde ein Projekt bewilligen, wenn die Anforderungen an eine Genehmigung erfüllt sind. In vielen Fällen, etwa beim Bau von Windrädern auf dafür ausgewiesenen Flächen, haben die Unternehmen ein Recht darauf, ihr Projekt durchzuführen. Über tatsächliche politische Gestaltungskraft verfügen im Prinzip nur die gewählten PolitikerInnen, womit die Beteiligungen im Genehmigungsverfahren allein meist zu spät und dysfunktional sind.

6.2 S ICHT

AUF DIE

B ÜRGERINITIATIVEN

Grundsätzlich ist das Verhältnis zu den Bürgerinitiativen natürlich jeweils davon geprägt, ob beide Seiten auf derselben Seite des Konflikts stehen oder nicht. Allerdings waren sich die politischen AkteurInnen und die VerwaltungsvertreterInnen aller Ebenen in einer zentralen Bewertung recht einig: Aus ihrer Sicht sind die Bürgerinitiativen vor allem ein emotionaler Akteur. Die Angst vor Veränderung und negativen Auswirkungen der Projekte wird als deren zentrale Motivation wahrgenommen. Zunächst einmal wird diese Furcht, zumindest rhetorisch, auch von allen grundsätzlich als legitime Reaktion anerkannt. Im Sinne des Ziels eines friedlichen Miteinanders vor Ort sehen LokalpolitikerInnen aber ihre Aufgabe darin, diese Ängste zu bearbeiten, sie nicht überhandnehmen zu lassen und

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den Eindruck zu vermitteln, dass die Bedenken in den politischen Prozess aufgenommen werden: „[Die Veranstaltung der Bürgerinitiative] war auf so einer Schiene, dass gesagt wurde, meine Kinder stehen unter Strom, die Haare stehen zu Berge, und und und. Ich kann das ja verstehen, wenn dann auch Mütter Angst bekommen, aber ich muss doch dann als Bürgermeister und ein Landrat [sagen], Leute passt mal auf, […] also wir werden uns dafür einsetzen, dass selbst wenn die Stromtrasse kommen muss, oder kommen soll, dass sie nicht an ihrem Wohnhaus vorbei geht und nicht über ihren Kindergarten, [und versuchen] diese Ängste zu nehmen. Aber das war schwierig.“

Bei direkter inhaltlicher Gegnerschaft zu den Bürgerinitiativen werden diese allerdings über ihre Zuschreibung als emotional und angstbeladen von den politischen AkteurInnen und VerwaltungsvertreterInnen aller Ebenen auch deutlich abgewertet. Ihre wahrgenommene Emotionalität wird dann als völlige Irrationalität und Verweigerung gegenüber Fakten ausgedeutet; sie sind damit kein ernst zu nehmender Verhandlungspartner mehr. Allerdings sehen auch die verbündeten LokalpolitikerInnen ein Problem in der Emotionalität, mit der die Proteste vorgetragen werden; denn diese schränke durch ihre inhärente Kompromissunfähigkeit die Verhandlungsspielräume gegenüber anderen Ebenen ein. Bürgerinitiativen in klassische politische Verhandlungsprozesse zu integrieren, erscheint schwierig, da die kommunalen FunktionsträgerInnen nicht darauf vertrauen, in den Initiativen einen rationalen Verhandlungspartner zu finden. Alle LokalpolitikerInnen sind sich zudem einig, dass nur ein kleiner Teil der Bevölkerung aktiv in die Proteste involviert sei. Damit liegt die demokratische Repräsentation des Ortes aus Sicht der lokalen FunktionsträgerInnen auch weiterhin in ihren eigenen Händen und ist nicht Sache der Bürgerinitiativen. Diese Einschätzung gilt unabhängig von der inhaltlichen Positionierung; allerdings ergeben sich daraus durchaus unterschiedliche Konsequenzen: Bei Gegnerschaft wird die Minderheitsstellung der Bürgerinitiativen noch häufig durch den Verweis verstärkt, es handele sich bei ihnen um Zugezogene oder gleich um AkteurInnen von außerhalb – ein weiterer Abwertungsmechanismus. Die verbündeten LokalpolitikerInnen hingegen schwanken zwischen dem Wunsch nach mehr Einsatz der Bevölkerung und dem Risiko einer Überhitzung der Situation. Macht und Bedeutung der Bürgerinitiativen werden dennoch von beiden, Verbündeten und GegnerInnen, relativ hoch eingeschätzt. Emotionalität scheint dabei ihre größte Waffe zu sein. So gehen die LokalpolitikerInnen meist davon aus, dass sie in den Medien gegenüber der leidenschaftlichen Darstellungsweise

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der Proteste einen relativ schweren Stand haben; Unterstützung für ihre eigene Position der „abgewogenen Fakten“ zu gewinnen, sei nicht leicht. Die lokalen FunktionsträgerInnen, die in Gegnerschaft zum Protest stehen, versuchen meist zu Beginn des Konflikts, die Situation durch unverbindliche Kommunikation mit den Protestierenden zu entschärfen. Dazu gehören persönliche Gespräche, Informationsveranstaltungen und öffentliche Äußerungen inklusive der Beantwortung von Briefen und E-Mails. Dort, wo diese Kommunikationsakte die Besorgnis nicht mindern können, mangelt es allerdings an weiterführenden Strategien. Sehen sich BürgermeisterInnen und Verwaltung erst einmal einer fest organisierten Bürgerinitiative gegenüber, werden die Auseinandersetzungen zunehmend frustrierender und der Eindruck verschärft sich, dass die Bürgerinitiative einfach aus Unbelehrbaren bestehe. Ab diesem Zeitpunkt wird die Kommunikation zwar nicht eingestellt, aber die Bürgerinitiative ist nicht mehr das Ziel. Vielmehr geht es darum, weiterhin die Deutungshoheit in der Bevölkerung zu behalten. „Dann befanden wir uns endlich von einer emotionalen Ebene auf einer Sachebene, wo wir gesagt haben, […] von den absoluten Gegnern, bekommen wir sowieso Haue, weil dort nicht differenziert wird, das ist ’ne sehr emotionale Argumentation.“

Wenn sich die kommunalen FunktionsträgerInnen über eine Bevölkerungsbefragung oder ähnliche Wege recht sicher sein können, im Namen der Mehrheit vor Ort zu sprechen, beginnen sie, die Bürgerinitiative bis zu einem gewissen Grad zu ignorieren. Tatsächlich werden die Bürgerinitiativen kaum in BargainingStrukturen eingebunden. Das klassische politische Instrumentarium der Deals und Kompromisse scheint in dieser Arena nicht zu funktionieren. Das liegt auch an dem beschriebenen Problem, dass Genehmigungsbehörden kaum mehr Einfluss auf die Gestaltung eines Projekts nehmen können, also auch keine Angebote an die Bürgerinitiativen möglich sind. Dadurch verlagern sich die Konflikte mit den Bürgerinitiativen, die diese Einschränkungen wahrnehmen, auf immer frühere Punkte im Prozess; so werden mittlerweile die Raumordnungsverfahren von WindkraftgegnerInnen ins Visier genommen und weniger stark die Genehmigungsverfahren für einzelne Windräder. Die kommunalen FunktionsträgerInnen, die sich gegen die Bürgerinitiative stellen, bestreiten einen besonders großen Einfluss der Initiative auf ihre eigenen Entscheidungen – zumindest unter der Voraussetzung, dass diese nur eine Minderheit repräsentiert. Zwar werde ihre Arbeit schwieriger und frustrierender, wenn es organisierten Widerstand gibt; aber nach einer gewissen Phase des Meinungsaustauschs mit den BedenkenträgerInnen und der Meinungsbildung beanspruchen sie, sich nicht vom öffentli-

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chen Druck beeindrucken zu lassen. „Wir haben kein Windrad mehr [i. S. v. zusätzlich, Anm. d. Verf.] abgelehnt, keins mehr genehmigt, wegen der Bürgerinitiative.“ Ganz im Gegensatz dazu vermuten lokale FunktionsträgerInnen angesichts der Dominanz der Protestierenden in öffentlichen Diskursen einen enorm hohen Einfluss des öffentlichen Drucks auf die Landes- und Bundesebene, meist sogar schon auf andere Kommunal- und KreispolitikerInnen. Auf Landes- und Bundesebene besteht – obwohl diese stets in Gegnerschaft zu den Bürgerinitiativen gestanden haben – insgesamt eine höhere Bereitschaft, Bürgerinitiativen in Bargaining-Strukturen aufzunehmen und sie wie Verbände zu behandeln. Sie werden von neueren Gesetzesentwürfen zu Planungs- und Genehmigungsverfahren in einem hohen Maße als relevante AkteurInnen antizipiert. Auch über die gesetzlichen Vorgaben hinaus laden Ministerien und Behörden sie zu Gesprächen ein und beraten sich mit VertreterInnen vor allem überregionaler Zusammenschlüsse von Bürgerinitiativen. Dazu müssen diese sich allerdings den Regeln der Verfahren unterwerfen und die Bereitschaft vorweisen, Kompromisse einzugehen. Tun sie das nicht und entziehen sich den angebotenen Verhandlungsstrukturen, werden sie noch stärker als Unbelehrbare markiert, als das die lokalen FunktionsträgerInnen vor Ort tun. Ihre politische Macht wird dann als weitgehend irrelevant eingeschätzt. Dort, wo die lokalen FunktionsträgerInnen wiederum dieselben inhaltlichen Ziele wie die Bürgerinitiativen verfolgen, entwickelt sich oft sehr schnell eine enge Partnerschaft. Schon seit Beginn der Proteste gegen den SuedLink etwa wurden die örtlichen Bürgerinitiativen umfassend unterstützt: neben dem Informationsaustausch auch durch die logistische Unterstützung bei Veranstaltungen und Aktionen. Beispielhaft stellte ein Bürgermeister diese Kooperation wie folgt dar: „Also wir informieren die Bürgerinitiative, über das, was wir als Stadt machen. Die Bürgerinitiative informiert uns darüber, was sie macht. Wir stellen der Bürgerinitiative unsere städtische Infrastruktur für alles zur Verfügung, was eben gebraucht wird, sei es die Stadthalle für Veranstaltungen, seien es aber auch, wenn jetzt Transparente oder sonst was aufgehängt werden müssen, hier unsere Bauhofleistungen; unser Ordnungsamt ist bemüht, Genehmigungen, die da erforderlich sind, in kürzester Zeit zu erstellen. […] Und auf der anderen Seite bin ich halt auch bei allen Veranstaltungen, die die durchführen, oder wenn ich nicht kann, ist unser Bauamtsleiter, der sowieso ganz nah an dem Thema dran ist, immer dabei, […] dass wir da auch nicht irgendwie voneinander das Gefühl haben, dass der andere was tut, was nicht im Sinne des jeweils anderen ist. Weil die Interessen völlig gleich gelagert sind, nur die Mittel und Methoden sind unterschiedliche.“

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Dabei war auch grundsätzlich sichergestellt, dass alle Informationen, welche die Stadt oder die Bürgerinitiative etwa von dem Unternehmen oder der BNetzA erhalten hatten, an den jeweiligen Verbündeten weitergeleitet wurden. Eine dritte Variante der Unterstützung und Zusammenarbeit wurde en passant mitverfolgt: Durch die ständige Präsenz der lokalen FunktionsträgerInnen auf den Veranstaltungen wurde den Bürgerinitiativen ein quasi formeller symbolischer Status verliehen, der ihnen half, im Namen der Bevölkerung zu sprechen, und sie vor der Gefahr schützte, als SpinnerInnen abgetan zu werden. Für die kommunalen FunktionsträgerInnen, die sich gegen Entscheidungen auf einer höheren Ebene wehren, ist eine starke Bürgerinitiative vor Ort besonders wichtig geworden. Sie erfüllt eine wesentliche Rolle in der Argumentation gegenüber höheren Stellen. In Verfahren, in denen die Kommunen selbst keinen offiziellen Einfluss mehr haben, wie etwa im Falle der bundesländerübergreifenden Stromtrassen, sind sie darauf angewiesen, mithilfe von Lobbying und öffentlichen Äußerungen Einfluss zu gewinnen. Dies wird dort einfacher, wo sie auf empörte BürgerInnen vor Ort verweisen können, die parallel genau das Gleiche tun. Hierbei spielt auch die wahrgenommene Medienmacht der Bürgerinitiativen eine wesentliche Rolle. Die Protestierenden bekommen, teilweise ganz konkret, die Aufgabe, die öffentliche Debatte aufzuheizen und überregionale Aufmerksamkeit zu erzeugen.1 Ihr Einfluss auf die PolitikerInnen der höheren Ebenen wird von den BürgermeisterInnen und KreisrätInnen als relativ hoch eingeschätzt. Durch eine aufgeregte öffentliche Debatte sind die Gesetzesvorhaben im Zusammenhang mit Fracking ins Rollen gekommen und über Horst Seehofers Initiativen hat sich im SuedLink die Lage in der Koalition im Bund deutlich gewandelt. Das wird von den Menschen vor Ort wahrgenommen; und diese Möglichkeit der Einflussnahme wird in den eigenen strategischen Überlegungen mitgedacht.

6.3 S ICHT

AUF DIE

U NTERNEHMEN

Der Blick der kommunalen FunktionsträgerInnen auf die durchführenden Unternehmen ist fast vollständig von ihrer Positionierung zum Projekt geprägt. Diejenigen, die sich aufseiten der Unternehmen befinden, zeigen schon aus strategischen Gründen keinerlei Zweifel an deren Ehrlichkeit und Kompetenz:

1

In einem Fall war diese strategische Überlegung zentraler Punkt der Rede eines Bürgermeisters bei einer Bürgerversammlung: Die BürgerInnen sollten öffentlichen und medienwirksamen Druck aufbauen – eine Möglichkeit, die ihm selbst verwehrt bleibe.

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„Die Samtgemeinde hat keine weiteren Stellungnahmen abgegeben und die Mitgliedsgemeinden auch nicht, weil generell gesagt wurde, es bestehen so keinerlei Bedenken, das was die Wintershall hier vorgestellt hat, das ist glaubhaft, und die Firma ist hier seit sechs Jahrzehnten als verlässlicher Partner in der Samtgemeinde bekannt.“

In diesen Fällen lobt man die Informationspolitik als vorbildlich und nimmt das Unternehmen gegen Vorwürfe in Schutz; meist greift man dabei zu einer Rhetorik, die dieses spezifische Unternehmen von anderen abgrenzt und als etwas Besonderes darstellt. Die GegnerInnen wiederum sind sehr skeptisch, was die Unternehmen und deren Ehrlichkeit und Kompromissbereitschaft betrifft. Zwar verstehen sie sich meist relativ gut mit einzelnen Verantwortlichen; aber das überträgt sich nicht in Vertrauen gegenüber dem gesamten Unternehmen. Die kommunalen FunktionsträgerInnen nehmen an, dass sie zwar mit erfahrenen PR-Profis verhandeln, diese aber keinen Einfluss auf die tatsächliche Praxis des Unternehmens hätten. In dem Unternehmen sehen sie daher nur begrenzt einen relevanten Verhandlungspartner und glauben vielmehr, dass sie die höheren politischen Ebenen auf ihre Seite ziehen müssen, damit diese wiederum das Unternehmen an die Kandare nehmen.

7 „Das Ziel ist Beschleunigung und Akzeptanz.“ Die Konflikte aus Perspektive der Unternehmen J ONAS R UGENSTEIN

7.1 S ELBSTVERSTÄNDNIS

DER

U NTERNEHMEN

Die Unternehmen sind in allen Fällen vornehmlich daran interessiert, die jeweiligen Projekte erfolgreich durchzuführen, zumal diese stets unmittelbar ihr Kerngeschäft betreffen. Jeweils unterschiedlich stellt sich jedoch ihr Verhältnis zur Rolle des Staates dar. Wintershall plant in Eigenregie und beantragt anschließend bei staatlichen Stellen eine Genehmigung. Ob an einer Bohrstelle Fracking überhaupt in Betracht gezogen wird, geht also gänzlich auf die Initiative des Unternehmens zurück; der Staat wird hierbei lediglich als regelnde und genehmigende Instanz relevant. Formal gegenteilig ist die Situation bei TenneT und der SuedLink-Planung. Der SuedLink ist ein Auftrag der Bundesebene an TenneT, weshalb sich TenneT stärker als einfacher Dienstleister bzw. Auftragnehmer sieht. Aber auch hier gilt zu beachten, dass TenneT und die anderen Übertragungsnetzbetreiber so früh entscheidenden Einfluss auf die Bedarfsplanung haben, dass es sich letztlich doch nicht um ein reines Dienstleisterverhältnis handelt. Juwi und die Windkraftanlagen befinden sich zwischen einer selbstständigen Projektbearbeitung und der Dienstleistung für staatliche AkteurInnen. Juwi verfolgt aktiv die Akquise möglicher Windradstandorte in den Kommunen, die dann wiederum das Unternehmen offiziell mit der Aufstellung von Windrädern beauftragen. In allen Fällen geht es für die Unternehmen nicht nur darum, jeweils das einzelne Projekt erfolgreich abzuschließen, sondern ebenso um die Prägung der öffentlichen Meinung und der Gesetzgebung, damit auch zukünftig ähnliche Pro-

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jekte möglich sind. Dies gilt besonders im Falle des Frackings, bei dem eine Bundesgesetzgebung noch aussteht und der Konflikt im Prinzip längst von der einzelnen Bohrstelle abstrahiert ist. Damit ergeben sich für die Unternehmen zwei potenziell widerstreitende Ziele: erstens das jeweilige Projekt erfolgreich, schnell, rechtssicher und damit gewinnbringend abzuschließen; und zweitens dabei nicht zu viel verbrannte Erde zu hinterlassen. Dies allerdings schränkt die Möglichkeiten einer konfrontativen Strategie deutlich ein, sodass die Unternehmen zuvorderst auf kooperative Strategieelemente wie Beteiligungsverfahren, Transparenz und Kommunikation setzen. Bereits vor dem bekanntesten Beispiel Stuttgart 21 haben die Unternehmen in eigenen Projekten erfahren, welchen Einfluss Bürgerproteste auf die Umsetzung ihrer Vorhaben ausüben können. Aus unternehmerischer Sicht besteht die größte Gefahr darin, dass sich der Bau ihrer Infrastrukturprojekte durch den Protest verzögern könnte – da in der Regel jeder zeitliche Aufschub Zusatzkosten verursacht. „Und sicher haben Bürgerinitiativen auch einen Einfluss auf die Frage, ob sowas genehmigt wird oder nicht. […] Letztendlich wird nach Recht und Gesetz entscheiden, aber sie können natürlich verzögern, sie können dann auch jemanden mürbe machen, dass eben dann irgendjemand sagt: ‚Ich möcht ja im nächsten Jahr wiedergewählt werden und die machen mir hier so viel Kummer, […] obwohl eine Mehrheit meiner Bürger das will, gibt’s eben eine laute Minderheit und das möcht ich nicht, und dann lassen wir’s eben sein.‘“

Auch den Einfluss der Proteste auf kommunale EntscheidungsträgerInnen betrachten die Unternehmen als nicht zu unterschätzende Machtressource der Protestierenden. Schon eine kleine Gruppe könne die lokale Stimmung beeinflussen; und kommunale PolitikerInnen, die vom lokalen Meinungsklima abhängen, müssten schließlich auf die Proteste reagieren. Im vorangegangenen Zitat wird auch deutlich, dass aus Sicht der UnternehmensvertreterInnen selbst Proteste einer Minderheit die dem Projekt vermeintlich positiv gesinnten Mehrheitsmeinungen überstimmen könnten. Lokal gut organisierte Protestgruppen üben also einen erhöhten Einfluss auf Entscheidungen der Lokalpolitik aus – was besonders gravierend ist, da die kommunalen PolitikerInnen auch für die Unternehmen zentrale AnsprechpartnerInnen bei der Umsetzung ihrer Projekte sind. Insbesondere juristische Auseinandersetzungen, die aus Protesten folgen, sind eine Gefahr für die Unternehmen. Denn ein Rechtsstreit kann die Planungsund Bauphase immens verlängern und dadurch die Kosten für ein Projekt enorm steigern. Entsprechend lautet das erste Ziel der Unternehmen, zu verhindern, dass es überhaupt zu juristischen Auseinandersetzungen kommt. In der unter-

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nehmerischen Kosten-Nutzen-Abwägung spielt der vor Ort zu erwartende Protest daher eine wichtige Rolle. Ist davon auszugehen, dass dieser an einem Ort zu stark wird, werden Projekte unter Umständen auch fallengelassen. Das gilt vor allem dort, wo es tendenziell eine größere Auswahl an Standorten gibt, etwa bei der Windkraft. Potenzieller Protest wird gewissermaßen zu einem Standortfaktor. „Ist natürlich so für uns, wenn wir eine Genehmigung bekommen, ist es dann bei einigen Bürgerinitiativen absehbar, dass von denen dagegen angegangen wird. Und da ist natürlich unsere Aufgabe, da möglichst zeitnah, umgehend ranzugehen, bevor so ein Verfahren eingeleitet wird. […] Kann auch für uns mal einen Verzicht auf einen Standort letztendlich heißen oder eine Reduktion von Windkraftanlagen. Aber so, dass man da einen gemeinsamen Nenner bekommt. Denn es gibt halt nix Schlimmeres für uns, als wenn wir ein beklagtes Verfahren haben.“

7.2 S ICHT

AUF DEN

P ROTEST

Grundsätzlich sind alle Unternehmen, mit denen wir gesprochen haben, der Meinung, dass sich die Protestkultur in Deutschland in den letzten Jahren verändert habe. Der Umgang mit diesen neuartigen Protestformen verlange auch von Unternehmen neue Wege. „Ich glaube, dass man früher auf lokaler Ebene vielen Protest einfach besser regeln konnte. Ist dann mit ihm vielleicht ein Bier trinken gegangen und dann war das Thema vor Ort erledigt. Ja, es ist wirklich so früher gewesen.“

Grund für diese neuen Verhältnisse sei ein grundlegender gesellschaftlicher Mentalitätswandel: „Man kann schon beobachten, dass eine Einstellung, gegen etwas zu sein, sozusagen zunimmt. Speziell wenn es um Veränderung geht. [I]ch kann mich […] noch gut dran erinnern, dass mein Vater immer zu mir gesagt hat: der Junge soll es mal besser haben als wir. Das waren so Kriegserfahrungen, es gab wirtschaftliche Veränderungen, das heißt, man hat die Zukunft und die Veränderung eher als Chance gesehen. Mittlerweile ist bei sehr vielen Menschen so ein Grundgefühl da, dass es eigentlich nicht besser werden kann, als es jetzt ist. Man hat ja alles und man sieht die Gefahr, dass sich etwas verschlechtert.“

Angesichts der allgemeinen Zunahme von Protesten wird der Widerstand der Bevölkerung gegen das eigene Vorhaben nicht mehr als Ausnahme, sondern als

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Normalfall betrachtet. Protest sei dabei immer, so zumindest die Aussage der Unternehmen, legitim – selbst dann, wenn die Irrationalität der Forderung offenkundig sei: „Also, ich würde auch sagen, illegitimen Protest gibt es nicht. Es gibt, ich sag mal, letztlich unbegründeten, der nicht auf Fakten beruht und wo einfach Menschen bestimmte Wahrheiten oder Erkenntnisse nicht akzeptieren wollen, aber deswegen ist es nicht illegitim, trotzdem zu sagen: Nein, ich will das nicht.“

Diese grundsätzliche Anerkennung der Legitimität von Protest erfährt allerdings eine entscheidende Einschränkung. Denn auch wenn Protest als Normalfall und Bestandteil einer Demokratie gilt, ist Protest dabei nicht gleich Protest, wenn es um die Frage geht, welche Einwände beachtet werden müssten und welche nicht. So unterscheiden die Unternehmen zwischen zwei verschiedenen Arten des Aufbegehrens: begründetem und unbegründetem Protest. Begründet und daher für das Unternehmen beachtenswert ist Protest dann, wenn er konstruktiv und sachorientiert artikuliert wird. Protest muss insofern rational sein, als er sich an der technischen Planung orientiert. TrägerInnen dieses von den Unternehmen anerkannten Protests sind zumeist direkt von einem Projekt betroffene Personen, da diese oft für eine konkrete Veränderung vor Ort eintreten und nicht das gesamte Projekt infrage stellen. „Also, da wirklich mit den Leuten in Dialog zu treten und, ja, für sich vor Ort wirklich auch zu versuchen, das Beste rauszuholen. Das ist schon was, was wir als konstruktive Mitarbeit verstehen. Aber wenn wir jetzt ein reines ‚Nein, bei uns nicht‘ und das war’s. Dann ist das halt was, was wir zur Kenntnis nehmen können, aber wo wir halt nicht weiter machen können.“

Direkte Betroffenheit wird dabei grundsätzlich als nachvollziehbarer Protestgrund gewertet. In diesem Sinne lassen die Übertragungsnetzbetreiber und Windkraftunternehmen die direkte optische Beeinträchtigung als verständliches Argument gegen die Projekte zu. Demgegenüber steht ein Protest, den die Unternehmen nicht nachvollziehen. Dieser als irrational, schrill und emotionsgetrieben beschriebene Protest, der sich unsachlicher Argumente bediene, beruhe nach Ansicht der Unternehmen auf Uninformiertheit. Hier sollen Informationen des Unternehmens die Wissenslücken schließen; aufgenommen werden müsse diese Kritik aber kaum. Komplizierter wird es bei einer weiteren Form nicht nachvollziehbaren Protests. Ein beliebter Begriff zur Beschreibung dieses Phänomens ist das Bild des

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„Protesttouristen“. So werden all diejenigen bezeichnet, die durch die räumliche Distanz nicht unmittelbar von dem Projekt betroffen sind, aber zu Demonstrationen in die entsprechenden Orte reisen und sich ganz grundlegend gegen das Vorhaben aussprechen. „Und man könnte auch sagen, es gibt auch schon Protesttourismus, ja? Da kommen Leute aus anderen, ja sogar Bundesländern und demonstrieren gegen Sachen, die gar nicht vor ihrer Haustür sind.“

Die so Protestierenden sind aus Sicht der Unternehmen nicht wirklich Teil des zu klärenden Konflikts vor Ort und haben sich eigentlich für das Vorhaben nicht zu interessieren. Von diesen Protestierenden kommen meist auch die grundlegenderen Kritiken, die Technologien infrage stellen oder völlig andere Konzepte einer Energiewende vertreten. Damit sind sie auch nicht über Kompromisse und Informationen einzubinden. Mit dieser Charakterisierung von ProtestteilnehmerInnen wird die Notwendigkeit, diesen spezifischen Protest anhören zu müssen, gezielt bezweifelt. Spätestens hier wird auch deutlich, dass die Grenze zwischen einem nachvollziehbaren, daher legitimen, und einem nicht-nachvollziehbaren, daher illegitimen Protest sehr dünn und recht rhetorisch ist. Das grundsätzliche Bekenntnis zur Zulässigkeit von Protesten in einer Demokratie wird folglich durch die Unterscheidung zwischen begründetem und somit beachtenswertem und unbegründetem und somit nicht zu beachtendem Protest deutlich relativiert. Als zentrales Gefühl und treibende Kraft hinter den Protesten identifizieren die Unternehmen oft eine Angst der Betroffenen. Dies kann die konkrete Furcht vor gesundheitlichen Schäden sein, wie beim Fracking oder den Stromleitungen, aber ebenso eine diffuse Angst vor einer Veränderung im eigenen Lebensumfeld. Für diese unbestimmte Angst suchen, so nehmen es einige VertreterInnen der Unternehmen wahr, die Protestierenden regelrecht nach konkreten und rational nachvollziehbaren Argumenten. „Und am Ende des Tages ist diese Angst, oder dieser Wunsch, möglichst keine Veränderung miterleben zu müssen, das entscheidende Argument, dass bei […] fast allen Gegnern der Projekte übrig bleibt. Natürlich wird dann über den Rotmilan und über den Schwarzstorch und was auch immer gesprochen. Nur wenn sie mitbekommen, wie also geradezu der Wald durchstöbert wird, nach irgendeinem Horst, und nach irgendetwas, um es zu finden und es als Argument zu bringen, dann spürt man, dass da Ursache und Wirkung verkehrt werden. Und dass es wirklich am Ende des Tages darum geht, dass man diese Landschaft mit den Windrädern aus welchen Gründen auch immer einfach nicht will. Weil man sie ästhetisch oder wie auch immer nicht schön findet.“

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Außerdem fürchten die Unternehmen, dass die Proteste – und hier besonders die aus Sicht der Unternehmen irrationalen Einwände gegen das Projekt – die öffentliche Meinung nachhaltig prägen könnten. Sie nehmen an, dass von den Bürgerinitiativen vorgetragene Argumente aufgrund ihrer vergleichsweise höheren Glaubwürdigkeit in der Öffentlichkeit schneller und besser Eingang in den medialen Diskurs finden als die eigenen. Einmal öffentlich wahrgenommene Informationen über das Projekt aber, seien sie richtig oder auch falsch, würden sich als Grundannahmen dauerhaft in der Auseinandersetzung halten. So berichtete ein TenneT-Angestellter von den Folgen einer mangelnden Kommunikation und Informationsarbeit: „Man hat dann einfach gesehen, was passiert, wenn man Bürger fünf Monate für sich alleine lässt. Der Informationsstand war erschreckend, also da haben sich wirklich Bilder und Vorstellungen etabliert, mit viel Fehlinformationen eben, da war viel Aufräumarbeit inhaltlicher Art zu leisten.“

Aufgrund ihres starken Einflusses auf den Projektverlauf wird den Bürgerinitiativen mittlerweile ein ähnlicher Status wie den regulären Stakeholdern zuerkannt; in dieser Hinsicht werden die Protestgruppen ähnlich wie Verbände oder auch die Politik bewertet. In struktureller Hinsicht unterscheiden sich die Proteste der BürgerInnen jedoch gravierend von klassischen Stakeholdern, mit denen Unternehmen in der Planung von großen Infrastrukturvorhaben sonst zu tun haben. Ein erster Unterschied liegt darin, dass die Projekte von vielen Menschen als ein direkter Eingriff in ihr privates Umfeld empfunden werden. Anders als bei klassischen Stakeholdern können die Unternehmen die Ablehnung daher auch nicht allein mit rationalen Argumenten bearbeiten: „Wir greifen mit dem, was wir tun, mit dem was wir planen, in das Lebensumfeld von Menschen ein. Und deswegen sind das ganz unmittelbare Reaktionen, das ist ganz klar. Also da muss Trauerarbeit geleistet werden, sag ich mal. […] Ich erlebe das wirklich oft, es ist ja auch ein Beziehungsgeschehnis, spielt sich ja nicht bloß im kognitiven Bereich ab. Sowas braucht Zeit und sowas braucht dann eben auch ein Antworten auf der Beziehungsebene und das versuchen wir. Das erreich ich nicht mit Videos, das erreich ich nicht mit Materialien, die ich austeile, weil es ja oft gar kein rationales Thema ist. Wenn sie Angst haben, dass ihnen und ihren Kindern gesundheitliche Gefahren drohen, dann können wir da lange argumentieren über Grenzwerte, das ist überhaupt nicht das Thema.“

Ein weiterer gravierender Unterschied zwischen klassischen Stakeholdern und Bürgerinitiativen besteht darin, dass es bei Protesten nicht den/die eine(n) zentra-

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le(n) AnsprechpartnerIn gibt. Hier kann, anders als bei Stakeholdern sonst die Regel, nicht mit einem/r einzelnen Repräsentanten/in eine Einigung erzielt werden, die dann für alle anderen Protestierenden bindend ist. „Sie können zwar auch mit dem einzelnen Bürger vor Ort […] eins zu eins sprechen, aber die öffentliche Meinung vor Ort, was ja in dem Protest ein wichtiger Punkt ist, das ist ein komplexes Gebilde aus vielen Faktoren und sie können nicht […] sagen, jetzt setzen wir uns zusammen und jetzt reden wir, sondern das kann ich zwar immer mit einem machen, aber damit erreich ich nicht alle Protestler entlang der Vorschlagstrasse.“

7.3 D IE S TRATEGIE : I NFORMATIONEN , B ETEILIGUNGSKAMPAGNEN UND I MAGEPFLEGE Aufgrund des großen Einflusses, den Protest mittlerweile auf die öffentliche Meinung und damit indirekt auch auf die erfolgreiche Umsetzung von Infrastrukturvorhaben ausüben kann, sind Unternehmen gezwungen, eine ausgefeilte Strategie im Umgang mit Protesten zu entwickeln. Während sie im Umgang mit klassischen Stakeholdern auf jahrelange Erfahrung zurückgreifen können, ist dies bei Protesten noch nicht der Fall. Die Unternehmen stehen also vor der Herausforderung, der Fluidität und Diversität der Proteste gerecht zu werden. Wichtigstes strategisches Mittel im Umgang mit den als neuen Stakeholdern verstandenen Protestierenden aus der Bevölkerung ist Kommunikation. Hierzu entwickeln die Unternehmen jeweils eigene Strategien mit spezifischen Informations- und Beteiligungskampagnen – wobei Informationsmaßnahmen dabei generell einen wesentlich größeren Raum in der Gesamtstrategie einnehmen als Beteiligungsverfahren. Letztere, zumal jenseits der rechtlich vorgeschriebenen Beteiligungsmöglichkeiten, finden sich eher selten. Mit diesen spezifischen Informationskampagnen und Beteiligungsverfahren betreten die Unternehmen jedoch oftmals Neuland. Zwar können sie hinsichtlich der Kommunikationsstrategien mitunter auf Erfahrungen aus vorherigen Projekten zurückgreifen; allerdings handelt es sich dabei meist um kleinere Vorhaben. Die von uns untersuchten Projekte haben allerdings einen deutlich größeren Umfang; dementsprechend sind auch die Proteste größer und dies lässt sich daher nur sehr bedingt mit vorangegangenen Projekten vergleichen. Für die Kommunikation mit den BürgerInnen und deren Protestinitiativen sind in den einzelnen Unternehmen jeweils unterschiedliche Stellen zuständig. So verfügt TenneT im Vergleich zu den restlichen Übertragungsnetzbetreibern über eine relativ große Kommunikationsabteilung. Für die Bürgerbeteiligung im

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Projekt SuedLink hat das Unternehmen gleich zwei Referenten angestellt. Bei der Windkraftfirma Juwi existiert dagegen kein spezifischer Posten für die Beteiligung der BürgerInnen; Pressesprecher und Projektleitung teilen sich diese Arbeit je nach Bedarf und Anlass auf. Bei Wintershall wird der Umgang mit Protesten weitestgehend von einer Abteilung für externe Kommunikation übernommen; diese regelt, ähnlich wie bei Juwi, auch und hauptsächlich die Kommunikation mit den Medien. Entsprechend der von den Unternehmen erwarteten Widerstände in der Bevölkerung variiert auch der Umfang der angewendeten Kommunikations- und Beteiligungskonzepte. So verfügt das Windkraftunternehmen Juwi nach eigenen Angaben für Konfliktfälle über keine spezifische Strategie, da es vor dem von uns untersuchten Fall kaum mit größeren Widerständen aus der Bevölkerung konfrontiert gewesen sei. Mit seinem Image als umweltfreundliches, die Energiewende förderndes Unternehmen war Juwi eher Vorzeigeunternehmen als Zielscheibe von Protest. „Ich überlege, Strategie jetzt, also klar war für uns, dass wir […] uns das mal anhören und hinfahren und sie einbinden und gucken, was sind denn deren Belange. Und uns ein Bild gemacht haben wie die darüber denken. Warum denken sie so? Was ist der Grund dafür? Haben wir vielleicht irgendwas vergessen mitzuteilen oder haben wir vielleicht vergessen, die Ängste zu nehmen? Aber Strategie würde ich jetzt nicht unbedingt sagen.“

Bei Wintershall dagegen bereitete man sich schon während der Projektplanung auf eventuelle Proteste vor. Aufgrund von Erfahrungen aus früheren Projekten war man hier, anders als bei Juwi, auf Widerstände eingestellt und analysierte das Konfliktpotenzial genau, um es in der Projektplanung zu berücksichtigen: „Ich glaube, dass es normal ist und es muss auch in jede Projektplanung miteinbezogen werden. Wo gibt es Potenzial für Proteste, wie äußert sich dieser Protest, welche Kompromisse kann man eingehen, was sollen wir im Vorhinein betrachten, wie sollten wir kommunizieren. All das sind Sachen, die meines Erachtens in Projektplanung jetzt schon gleich am Anfang mit rein müssten.“

Der Übertragungsnetzbetreiber TenneT schließlich verfügt entsprechend seiner großen Kommunikationsabteilung über eine ausgefeilte Kommunikationsstrategie. Als einziges der von uns untersuchten Unternehmen wendet TenneT ein spezifisches Beteiligungsverfahren an, das in das Gesamtkonzept des Projektes integriert ist.

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Hinter dem vermehrten Einsatz von Informations- und Beteiligungsverfahren steht die Idee, mit deren Hilfe dem Protest gegen die geplanten Infrastrukturvorhaben angemessen begegnen zu können und mögliche Konflikte so einzuhegen, dass diese nicht auf andere Projekte überschwappen. Durch die Einbeziehung der BürgerInnen soll die Akzeptanz gesteigert und das Projekt insgesamt beschleunigt werden. So antwortet TenneT auf die Frage nach dem Ziel ihrer Beteiligungsverfahren ganz direkt: „Das Ziel ist Beschleunigung und Akzeptanz. Das sind, sagen wir mal, die Unternehmensziele. Die auch in dieser Gewichtung so von der Geschäftsführung getragen werden. Das sind die beiden wichtigsten Ziele der TenneT.“

Demnach geht es nicht um eine Demokratisierung des Planungsverfahrens um der Demokratie willen. Handlungsleitend ist vielmehr die Erkenntnis, dass die erfolgreiche Umsetzung des Projekts nur mit Zustimmung der Bevölkerung möglich ist. Dadurch wird Akzeptanz zu einem der Hauptziele des Unternehmens und bedeutet keineswegs, dass alle das Vorhaben befürworten müssen, da die Unternehmen ohnehin davon ausgehen, dass sie nicht alle BürgerInnen von ihrem Vorhaben werden überzeugen können. Vielmehr geht es darum, dass das Projekt zumindest nicht grundsätzlich infrage gestellt wird. „Also ich mein’, Akzeptanz ist ein Schlagwort, das ist ein Überbegriff. Ich find ihn, wenn man genauer hinschaut, oft nicht so treffend, weil wir nie Akzeptanz in einem positiv bejahenden Sinne erreichen werden. Wenn dann im Wortsinn. Accipere heißt ‚annehmen‘, also ich bin bereit, mich mit einer Situation zu arrangieren, vielleicht Verständnis dafür, für das was wir tun, wenn wir das erreichen, haben wir sehr, sehr viel erreicht.“

Insgesamt rechnen aber alle Unternehmen bei ihrer Strategie zur Akzeptanzsteigerung mit einem kleinen Kern von Personen, die ihre grundsätzliche Ablehnung nicht ablegen werden. Diese Personen seien auch für einen Dialog und rationale Argumente nicht mehr zugänglich und werden deshalb von den Unternehmen als dauerhafte radikale Opposition hingenommen. Für diese Gruppe sind die kommunikativen Anstrengungen der Unternehmen auch nicht gedacht: „Wenn man nämlich dann Kompromisse findet, inhaltlicher Art, dann kann man vieles ja auch schon regeln. Nur Sie haben es mit einer Protestkultur teilweise ja zu tun, die Leute können Sie auch nicht überzeugen. Wer hundertprozentig gegen Fracking ist, der wird auch hundertprozentig gegen Fracking bleiben.“

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In einem ersten Schritt soll einfache Aufklärungsarbeit die Akzeptanz steigern. Konkrete Auskünfte über die Planung, Entwicklung und die bauliche Umsetzung des Vorhabens sollen die BürgerInnen informieren. Dahinter steht der Gedanke, dass sich bereits allein durch die Bereitstellung von Informationen grundlegende Missverständnisse aufklären ließen und die Notwendigkeit des Vorhabens vermittelt werden könne. „Ich glaube, dieser grundsätzliche Weg in der Gesellschaft, den haben wir schon aufgegriffen und haben versucht, was in unserem Möglichkeitsbereich war, so gut wie möglich auch umzusetzen. Aber natürlich ist es nicht vergleichbar mit einer gesetzlichen Regelung oder einem Verfahren dann letztendlich. Aber es ist verständlich für uns und wir agieren auch so, auch sehr proaktiv in allen unseren Projekten, damit eben viele Fragen von Anfang an schon geklärt werden können oder auch Kompromisse gefunden werden können.“

Alle Unternehmen setzen auf eine möglichst frühzeitige Kommunikation mit den BürgerInnen. Oft werden bereits zu Beginn des Projekts, noch bevor sich der erste Widerstand regt, umfangreiche Informationen über das Vorhaben bereitgestellt. Dadurch sollen zum einen in der Bevölkerung kursierende Gerüchte oder Fehlinformationen vermieden werden; und zum anderen sollen frühzeitige Informationen Verständnis für das offizielle Planungs- und Bauverfahren vermitteln, über die offiziellen Beteiligungsmöglichkeiten aufklären und schließlich zu deren Nutzung animieren. Hinter diesem Vorgehen steht die Überlegung, dass durch eine frühe Informations- und Beteiligungskampagne Vorbehalte bearbeitet werden könnten, die sonst zu einem späteren Zeitpunkt des Projekts ohnehin aufkommen würden. Eine frühe Bearbeitung, so das Kalkül der Unternehmen, verbessere grundsätzlich die Chancen auf die Akzeptanz des Vorhabens. „Naja, das ist, sag ich mal, die Entscheidung, die wir bei näherem Betrachten des Phänomens treffen, dass wir der Meinung sind, wir erreichen dieses Verständnis schneller, wenn wir in einem frühen Stadium beginnen, in einen Dialog zu gehen. Das ist jetzt so meine These, weil es sich letztendlich dann entscheidet, ob wir wirklich fristgerecht bauen können. Ob das im Gesamtzusammenhang geklappt hat. Ich bin davon überzeugt, dass es richtig ist, ja.“

Ein zweites, wesentlich weitreichenderes Ziel hinter den Informations- und Beteiligungsverfahren besteht darin, die oftmals grundlegende Kritik der BürgerInnen zu kanalisieren, sprich: in geregelte Bahnen zu leiten. Sobald der oben als fluid charakterisierte Protest durch ein Gerüst, etwa einen koordinierten Austausch, in feste Bahnen gelenkt wird, ist er für das Unternehmen einfacher zu

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bearbeiten. Denn nur wenn sich die Protestierenden auf den Austausch rationaler Argumente einlassen und sich an der technischen Diskussion um die Umsetzung des Vorhabens beteiligen, können die Unternehmen mit den jeweiligen Gruppen überhaupt in einen Austausch treten. Wesentliches Ziel der Unternehmenskommunikation ist also, den Diskurs über das Bauvorhaben Stück für Stück zu rationalisieren. Diese Form des Austauschs setzt allerdings voraus, dass die Protestierenden ihre grundlegende Kritik am Vorhaben fallenlassen. Auseinandersetzungen über den grundlegenden Sinn des Vorhabens und die Frage, ob das Projekt überhaupt durchgeführt werden soll, werden daher von den Unternehmen aus dem Informations- und Beteiligungsprozess bewusst herausgehalten. Davon, dass nur Argumente, die das Wie des Vorhabens betreffen, zugelassen werden, erwarten sich die Unternehmen, dass die Protestierenden im Laufe der Zeit merken, welche Argumente einen Einfluss auf das Projekt haben und welche nicht, sich daher an der Diskussion um die konkrete Umsetzung beteiligen und ihre grundlegende Kritik ad acta legen. Hier findet sich die Teilung zwischen begründetem und unbegründetem Protest wieder, die bereits herausgearbeitet worden ist. Ohne dies jeweils in Form eines strategischen Masterplans vorbereitet zu haben, spalten die Unternehmen mit ihren Beteiligungsangeboten die Front der Protestierenden in Verhandlungsbereite und Nicht-Verhandlungsbereite auf. TenneT geht mit dem beim SuedLink angewendeten Beteiligungsverfahren noch einen Schritt weiter: Ziel dieses Vorgehens1 ist, allmählich ein dauerhaftes positives Verhältnis zu den Bürgerinitiativen aufzubauen. Dahinter steht die Erwartung, dass die Initiativen einen Professionalisierungsprozess durchlaufen, in welchem sie rationaler und pragmatischer werden, bis sie sich schließlich auf den vom Unternehmen angebotenen Kommunikationsprozess einlassen. „Es dauert halt Zeit, wie ich vorhin gesagt hab. Es sind auch psychodynamische Prozesse, die da ablaufen, und dann gruppendynamische, sobald sich Leute zusammentun, und das geht alles nicht so schnell, das braucht Zeit. Da muss man miteinander reden, wir fangen im SuedLink jetzt erst an. Wir haben die erste Runde Kommunikation durch. Die erste Runde. Und in drei Jahren reden die anders über uns.“

Entsprechend dieser Analyse ist es ganz im Sinne von TenneT, dass der Protest feste, vereinsähnliche Strukturen ausbildet. Denn, so merkwürdig und kontraintuitiv dies zunächst klingen mag: Ein gut organisierter Protest in Form von Vereinen mit Vorsitzenden hat für die Unternehmen durchaus einen gewissen Vor1

Zum Beteiligungsverfahren von TenneT siehe ausführlich Teil B, Kapitel 2.2.

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teil. Denn anders als bei einer diffusen Protestbewegung entsteht durch strukturierten Protest eine Gruppe von direkten Ansprech- und VerhandlungspartnerInnen. Die Protestinitiativen werden nicht nur klassischen Stakeholdern immer ähnlicher, sondern avancieren im unternehmerischen Idealfall überdies zu einer fast klassischen Interessenvertretungsstruktur, die den Willen der BürgerInnen aggregiert und somit in den spezifischen Themen Aufgaben übernimmt, die sonst bei Parteien gelegen hätten. Mit diesen BürgervertreterInnen wiederum kann TenneT in einen strukturierten Austausch über das Vorhaben treten und möglicherweise Kompromisse schließen. Ein weiteres strategisches Element, das nicht direkt, aber zumindest mittelbar auf die Proteste in der Bevölkerung abzielt, besteht in der Herstellung eines grünen Images. Zwar produziert keines der Unternehmen Produkte, die auf dem Massenmarkt vermarktet werden müssten; aber durch die Proteste bekommen auch diese Unternehmen Kontakte zur breiten Bevölkerung. Gerade in potenziellen Konfliktsituationen können die Aspekte der Imagepflege und des Aufbaus einer grünen Marke hilfreich sein. So berufen sich TenneT und Juwi bei der Begründung ihrer Vorhaben auf die Energiewende. TenneT betitelt den SuedLink als „Windstromleitung“2; Juwi erklärt den kompletten Umstieg auf erneuerbare Energien zur „Vision“ des Unternehmens und stellt den Bau von Windkraftanlagen als einen wichtigen Bestandteil dieses Vorhabens dar.3 Durch diesen Bezug auf die Energiewende versuchen sich die Unternehmen gleich in mehrfacher Weise zu legitimieren: Erstens argumentieren sie mit dem Umweltschutz und der Umstellung der deutschen Energieversorgung auf ökologisch erzeugten Strom – hierdurch können sich die Unternehmen also neben der Profitmaximierung auf ein quasi selbstloses Ziel berufen; und zweitens bestehe über die Notwendigkeit dieser Umstellung ein gesellschaftlicher Konsens: „Vor allem, es gibt auch ’n ganz klaren gesellschaftlichen Auftrag. Denn die Energiewende ist beschlossen, die Umsetzung der Energiewende ist privilegiert, das heißt […], bei Windkraftprojekten handelt es sich um privilegierte Baumaßnahmen, das heißt, im Prinzip ist das ’n gesellschaftlicher Auftrag, den Unternehmen, wir, Juwi, ein Stück weit auch haben, andere Projektierer natürlich auch, die Energiewende umzusetzen.“

Und schließlich, so argumentieren die Unternehmen weiter, sei dieser gesellschaftliche Mehrheitswille auch von der Politik verabschiedet und den Unter2

So z. B. auf der offiziellen Website des Projekts, URL: http://SuedLink.TenneT.eu/ home.html [eingesehen am 23.02.2016].

3

Vgl. dazu Juwi: Über uns, URL: http://de.juwi.com/ueber_uns.html [eingesehen am 22.02.2016].

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nehmen damit ein Auftrag erteilt worden. Die Unternehmen berufen sich also auf ein mutmaßliches Gemeinwohl, das sie – offiziell von der Politik beauftragt – umsetzen.

7.4 D AS V ERHÄLTNIS

ZUR

P OLITIK

Das Verhältnis der Unternehmen TenneT und Juwi zur Politik wird von den Unternehmen selbst als eine Beziehung zwischen Auftraggeberin und Auftragnehmer beschrieben. Die Unternehmen verstehen sich gleichsam als Dienstleister, die Beschlüsse der Politik umsetzen: „Und wir sind dann in der Funktion des Dienstleisters, wir entwickeln das, was die Kommunen umsetzen möchten. Von daher würd’ ich sagen, das Entscheidende ist, dass es eben einen gesellschaftlichen Konsens gibt, die Energiewende voranzutreiben. Und der ist eben nicht hier vor Ort beschlossen worden. Da auch, aber primär erstmal ganz oben in Berlin.“

Mit dieser Argumentation können sich die Unternehmen gegenüber Dritten immer wieder auf die ihnen übergeordnete Stelle berufen. Die grundlegende Entscheidung über das Projekt wurde von der Politik getroffen; das Unternehmen sei lediglich damit beauftragt, diese Entscheidung konkret auszugestalten: „Also diese klassische Ob-Frage, Warum-Frage muss die Politik beantworten. Wir sind die, die sagen, wie. Wie machen wir das, wie gestalten wir Planungsprozesse, mit welchen Technologien arbeiten wir.“

Diese Klärung der verschiedenen Zuständigkeiten bezüglich des Projekts wollen die Unternehmen aus strategischen Gründen auch in die Öffentlichkeit vermitteln. Durch die Präzisierung, wer in einem Planungs- und Bauprozess für welche Entscheidungen zuständig ist, kann das Unternehmen den Unterschied zwischen sich selbst als ausführendem und der Politik als entscheidendem Akteur darlegen. Konkret schlägt sich dieses Vorgehen bspw. darin nieder, dass TenneT bei Podiumsdiskussionen zum Thema SuedLink Wert darauf legt, einen Vertreter oder eine Vertreterin der Politik an ihrer Seite zu haben. Etwas anders liegt die Sache bei Wintershall. Da das Unternehmen keine Aufträge des Staates ausführt, versteht es sich auch nicht als Dienstleister für die staatlich verabschiedete Energiewende. Gleichwohl betrachtet das Unternehmen die Politik als diejenige Instanz, die grundlegende Entscheidungen trifft und damit den Rahmen für die Handlungsräume des Unternehmens absteckt.

166 | J ONAS R UGENSTEIN „Weil im Laufe dieser Zeit sich schon gezeigt hat, dass die Politik sehr entscheidungsschwach ist, und wenn wir schon seit drei Jahren keine Genehmigung mehr bekommen für Hydraulic Fracturing, weil die Behörde sagt, aus politischen Gründen können wir es im Moment nicht genehmigen, dann wissen Sie schon, da ist Sand im Getriebe, da geht es vielleicht nicht weiter, ja? Und da können Sie so gute Aufklärungsarbeit machen, Transparenz und Bürgerbeteiligung, -information machen, wie Sie wollen, letztendlich die Entscheidung trifft immer noch die Politik bzw. ihre untergeordneten Behörden.“

Aus diesem Verhältnis zur Politik folgt eine besondere Abhängigkeit der Unternehmen von selbiger. Denn ebenso wie durch politische Entscheidungen die Voraussetzungen für Vorhaben geschaffen werden, sind die Projekte auch davon bedroht, dass ihnen durch Gesetzesänderungen bzw. politische Entscheidungen die rechtliche Grundlage wieder entzogen wird. Hier kollidiert die aus Sicht der Unternehmen notwendige Planungssicherheit mit dem demokratischen, auf Wahlen basierenden Prinzip der Ämtervergabe auf Zeit. Die Unternehmen erwarten von der Politik, dass diese sie bei ihren Vorhaben grundsätzlich unterstützt, die demokratische Widerrufbarkeit von Entscheidungen durch Selbstbindung abfängt und dafür auch Überzeugungsarbeit in der Bevölkerung leistet. Dabei zeigen sich Pragmatismus und auch ein gewisser Grad an Resignation. Mit den Planungsproblemen, die sich aus der Kurzfristigkeit politischer Entscheidungen ergeben, scheint man sich weitestgehend abgefunden zu haben: „Natürlich ist es klassischerweise auch Aufgabe der Politik, politische Entscheidungsprozesse zu kommunizieren. In dem Fall würde uns das sehr, sehr helfen. Manchmal ist das auch der Fall, manchmal gar nicht. […] Nun denn ja, so ist Politik. Und damit müssen wir uns dann auseinandersetzen und wir können nicht darauf bauen, dass wir die immer haben, diese Unterstützung.“

Entsprechend nimmt Lobbyarbeit bei der Politik – also der Versuch, Einfluss auf politische EntscheidungsträgerInnen auszuüben – in der Strategie der Unternehmen einen wichtigen Platz ein. So schildert das Unternehmen Wintershall die Bedeutung, die Ansprache der Politik habe: „Na dann werden alle Hebel in Bewegung gesetzt, um auf sämtlichen Ebenen Gespräche zu führen, sei es dann eben mit den Ministern selbst oder mit den untergelagerten Abteilungen, um unsere Sichtweise, im Grunde unsere Sichtweise der Sache darzulegen und versuchen, da Kompromisse zu finden und das machen wir schon seit einiger Zeit.“

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7.5 F AZIT Unternehmen sind bei Großprojekten mit einer neuen planerischen Herausforderung konfrontiert. Denn Protest ist keine Kleinigkeit mehr, die, wie früher noch üblich, bei einem gemeinsamen Feierabendbierchen aus der Welt geschafft werden kann. Vielmehr müssen die Unternehmen, wollen sie ihr Projekt erfolgreich durchführen, auf die kritische, organisierte Öffentlichkeit reagieren. Anstatt auf eine reine Strategie der Abwehr und Konfrontation zu setzen, gehen die von uns untersuchten Unternehmen auf die Proteste ein und öffnen sich gegenüber den BürgerInnen. Dabei wird mitunter ein beachtlicher Kommunikationsaufwand betrieben. Dahinter steht das betriebswirtschaftliche Kalkül, dass die Folgekosten für das Unternehmen wesentlich höher ausfallen, wenn keine Kommunikation mit den Protestierenden stattfindet. Hinter dieser neuen Strategie des Dialogs steht also nicht unbedingt das demokratische Ideal der Mitbestimmung. Und so dient der Bezug auf den Wert der Mitbestimmung eher dem Image des Unternehmens und der Verschleierung der eigentlich handlungsleitenden ökonomischen Kosten-Nutzen-Abwägung. Aber die neue Offenheit der Unternehmen kennt auch Grenzen. Diese verlaufen spätestens dort, wo Protestierende am jeweiligen Projekt grundlegende Zweifel äußern. Während die Detailkritik von AnwohnerInnen zumeist als nachvollziehbar eingestuft wird, werden grundlegende ZweiflerInnen aus dem Diskurs ausgeschlossen. Letztere werden dabei häufig als irrational charakterisiert, wodurch ihrer Kritik die Legitimität abgesprochen wird. Die grundlegende Unterscheidung zwischen gutem und schlechtem Protest erinnert dabei an die uralte Strategie des „Teile und Herrsche“. Während ein Teil der Proteste anerkannt wird, bleibt dem anderen Teil diese Anerkennung verwehrt. Geht der eine Teil der Protestierenden auf das Angebot zur Mitsprache ein, so geht durch diese Teilung der gesamte Einfluss der Protestbewegung zurück. In der vorliegenden Analyse erscheint die Art der Teilung besonders bemerkenswert. Denn die Unternehmen knüpfen nicht an einen in der Öffentlichkeit bereits vorhandenen Diskurs, der AnwohnerInnenproteste als lediglich am Eigeninteresse orientierte Blockadehaltung sieht, an. Vielmehr sprechen sie dem üblicherweise als „NIMBY“ bezeichneten Protestierenden – also dem Protest, der sich gegen direkte Veränderungen im eigenen Umfeld richtet – mehr Berechtigung zu als dem auf übergeordneten Zielen begründeten Protest. Das „NIMBY“-Label ist bislang, vornehmlich im öffentlichen Diskurs, stets in abwertender Form für bloß am Eigeninteresse orientierten Protest in Abgrenzung zu den für das allgemeine Gut kämpfenden BürgerInnen verwendet worden. Bei den

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Unternehmen scheint es dagegen umgekehrt zu sein: Während der Kampf gegen die Stromleitung im eigenen Vorgarten legitim ist, sind abstrakt begründete Zweifel, etwa grundsätzliche Bedenken an der Art des Stromtransfers, unangebracht. Ob die Gesamtstrategie der teilweisen Öffnung aufgeht, ist dabei durchaus fraglich. So ist zu beobachten, wie sich der lokal gegründete Protest im Laufe des Konflikts immer stärker überregional zu organisieren beginnt. Mit diesem Prozess vollzieht sich auch eine Abstraktion der persönlichen Gründe für den Protest – etwa Einschränkungen im unmittelbaren Lebensumfeld – zu allgemeinen und grundsätzlicheren Widersprüchen gegen das Vorhaben. Ein zweites Problem für den Erfolg der Unternehmensstrategie stellt das große Misstrauen der BürgerInnen gegenüber der Ehrlichkeit des Unternehmens dar. Durch die grundlegenden Zweifel an der Korrektheit der von den Unternehmen herausgegebenen Informationen droht jede noch so aufwendig angelegte Informations- und Beteiligungskampagne ins Leere zu laufen. In Kombination mit der Komplexität der Sachverhalte, die das Unternehmen darstellen muss, entsteht hier eine besonders hohe Hürde für den Erfolg dieser Strategie. Am Ende bleibt also eine für Unternehmen eher unbefriedigende Perspektive: Protest entzieht sich der Planbarkeit und lässt sich nur sehr bedingt steuern. Auch wenn Unternehmen, die große Infrastrukturvorhaben umsetzen, Proteste in ihre Rechnung einbeziehen müssen, lässt sich mit dieser Größe nur sehr schwer präzise kalkulieren.

8 „Also ich trau da überhaupt gar keinem.“ Die Konflikte aus Perspektive der Unbeteiligten K LAUDIA H ANISCH , S ÖREN M ESSINGER -Z IMMER

8.1 I NFORMATIONSSTAND

ZUM

K ONFLIKT

Der Stand der Informationen über den Konfliktgegenstand und dessen Präsenz im Alltag der Unbeteiligten fällt fallspezifisch unterschiedlich aus. Während man Stromtrassen und vor allem Windkraft in den betroffenen Gemeinden als Gesprächsthema oft antrifft, wird über Hydraulic Fracturing offenbar weniger häufig gesprochen. Hier wurden Themen wie negative Auswirkungen der Landwirtschaft auf die bedrohte Lebensqualität der Einwohner und der strukturelle Verfall der Region weit vor dem von uns angesteuerten Thema genannt. Die Windräder wiederum hielten sich quasi von selbst im Gespräch: „Also Windkraft ist auf jeden Fall immer Thema, fast täglich, weil man hört sie, man sieht sie, wie gesagt blinken sie und tagsüber sieht man sie auch und dann gibt’s noch den Schlagschatten und ach was. Also, es ist immer wieder Thema und es ist natürlich auch immer wieder, wenn ein neues gestellt wird, wieder Thema.“

Die Regionen, die gegenwärtig mit Windkraft leben, tun dies meist schon seit mehreren Jahren. In diesen Regionen waren der Konflikt und die Konfliktparteien weitgehend bekannt. Man verfügte über vergleichsweise detaillierte Informationen zu den Fallspezifika und der Historie des Konflikts. Beim SuedLink wiederum ließ sich die starke Präsenz des Themas im Gegensatz dazu mit der hohen Aktualität erklären, wohingegen der Informationsstand hier geringer war. Man verfügte vor allem über gerüchteweise verbreitete Teilinformationen. Umso aufgeregter und emotionaler wiederum wurde das Thema behandelt. In dem Kreis, der möglicherweise von Hydraulic Fracturing betroffen sein wird, sind die Teil-

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nehmerInnen vor allem mit dem ausführendem Gas- und Ölunternehmen als wichtigem Arbeitgeber in der Region vertraut. Der Konflikt selbst aber war kein alltägliches Thema. Dementsprechend wurde hier die Protestseite am wenigsten wahrgenommen. Nur manchmal wird man auf Hydraulic Fracturing als bundesweites Thema in überregionalen Medien aufmerksam. Die DiskussionsteilnehmerInnen positionierten sich inhaltlich sehr unterschiedlich zum jeweiligen Konfliktgegenstand. Fallspezifisch lässt sich festhalten, dass es beim SuedLink nahezu keine BefürworterInnen gab, während bei den anderen Projekten sowohl GegnerInnen als auch BefürworterInnen in den Diskussionsrunden anzutreffen waren. Wenig überraschen mag, dass die Unbeteiligten meist deutlich weniger entschiedene Positionen vertraten als die beteiligten AkteurInnen. Sie verwiesen häufig darauf, noch nicht vollständig über Chancen und Risiken informiert zu sein und erst über weitere Fakten verfügen zu müssen, um Klarheit zu gewinnen, ob die Projekte „richtig“ oder „falsch“ seien. Da sämtliche der von uns betrachteten Projekte in eher strukturschwachen Gegenden geplant waren, hing bei der Positionierung zum Projekt viel vom jeweiligen Nutzen für den Ort ab. Dabei wurden mögliche Tourismuseinbußen gegen den direkten Nutzen abgewogen und Projekte ohne Vorteile für den eigenen Ort, wie etwa im Falle des SuedLink, hatten kaum Chancen, in einem positiven Licht gesehen zu werden. Allerdings artikulierten die TeilnehmerInnen auch das Gefühl, damit überfordert zu sein, zu den Themen auf dem neusten und höchst informierten Stand zu bleiben. Im Alltag gebe es zu viele Themen, mit denen sie sich als BürgerInnen ständig beschäftigen müssten. Die direkte Betroffenheit erreicht zwar fast immer eine gewisse Wahrnehmung der Projekte, um die sich die Konflikte drehen; aber häufig ist bereits unklar, welche Position gerade von welchem Akteur vertreten wird. Der Konsum von Massenmedien führe zu keinem ausreichenden Informationsstand hinsichtlich der lokalen Konflikte und müsse durch eigene Recherche mindestens ergänzt werden. Diese Überforderung mit der Informationsgewinnung und -bearbeitung gilt dabei weit über die von uns angesteuerten Themen hinaus. So sich die DiskussionsteilnehmerInnen in bestimmte Themen mit beträchtlichem Zeitaufwand tatsächlich eingearbeitet haben, scheint dies das Problem aber nicht zu lösen, sondern lediglich auf höherer Ebene neu zu formulieren. Selbst wenn ExpertInnenmeinungen recherchiert werden, kann damit die inhaltliche Frage dennoch nicht geklärt werden. Man sieht sich in der Öffentlichkeit mit gegensätzlichen Äußerungen konfrontiert. Sowohl die Protestierenden als auch die durchführende Seite verweisen auf Expertisen von GutachterInnen, WissenschaftlerInnen und Behörden, um ihre jeweiligen Standpunkte zu un-

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termauern. Ähnliches gilt für direkte Informationsangebote der beteiligten AkteurInnen. Die von Unternehmen angebotenen Informationsveranstaltungen zeigten in unseren Fokusgruppen keinen durchschlagenden Effekt. Obwohl bei unserer Erhebung ein Rekrutierungsbias in Richtung eher interessierter BürgerInnen aufgetreten sein dürfte, war die Teilnahmequote an solchen Veranstaltungen verschwindend gering; zudem waren die dort verbreiteten Informationen kaum über andere Kanäle durchgedrungen. Grundsätzlich wurden allerdings ständig Informationskampagnen von Politik und Unternehmen gefordert – und doch oftmals im selben Atemzug mit einem fundamentalen Misstrauen belegt. Infolge der sich mindestens scheinbar ständig widersprechenden Expertisen in Medien und auf direkten Kommunikationswegen der AkteurInnen nimmt die generelle Skepsis gegenüber ExpertInnenwissen und wissenschaftlichen Gutachten zu. Besonders jenen ExpertInnen, die Gutachten mit einem für die Unternehmen positiven Ausgang erstellen, wird großes Misstrauen entgegengebracht. Deren Unabhängigkeit wird bezweifelt, Expertisen werden als käuflich betrachtet: „Aber selbst wenn mir das Fachleute erzählen, […], weil das Leute sagen, ich will Belege, ich will Studien. Aber Studien können auch gefälscht werden. Also ich trau da überhaupt gar keinem. Es geht ums Geld […], ganz klar. Also alles andere ist uninteressant.“

Die vielleicht als Standardreaktion zu bezeichnende Antwort der DiskussionsteilnehmerInnen auf dieses Dilemma war meist die Forderung nach mehr, unabhängiger, letztlich „echter“ Expertise. Nicht nur sollten die beteiligten AkteurInnen „bessere“ und ehrlichere Informationen zu dem Projekt liefern; auch wurden zusätzliche Instanzen eingefordert, die mit wissenschaftlicher Neutralität z. B. Fragen der Schädlichkeit von Technologien klären sollten. Dass dies keine Auflösung des Dilemmas darstellt, sondern mehr oder weniger nur einen normativen Appell an die Beteiligten und jene Instanzen, die diese Aufgabe bereits haben, war den DiskussionsteilnehmerInnen zumeist bis zu einem gewissen Grad bewusst. Bei einigen resultierten diese Überlegungen und Erfahrungen in fundamentalen Zweifeln, ob eine sachliche Informationsbasis über die Chancen und Risiken der Projekte überhaupt möglich sei. Diese Haltung wird häufig von anderen Themen auf das aktuelle Problem übertragen – ohne dass man in diesem konkreten Fall diese Erfahrung bereits gemacht hätte, da man die Recherche ja erst gar nicht begonnen habe. Daraus kann eine zynische Haltung folgen, der zufolge der/die BürgerIn für die ProjektplanerInnen völlig uninteressant und sowieso

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schon alles entschieden sei. Diese Einstellung war besonders unter zwar dezidierten, jedoch unbeteiligten ProjektgegnerInnen verbreitet. Einige ProjektgegnerInnen vertreten die Position, dass es dann doch nicht um die Expertise gehen könne, sondern dass es sich in einem fundamentalen Sinne um eine politische Entscheidung handele, in der Für und Wider nicht durch Fachwissen, sondern durch eine Werthaltung oder eine politische Präferenz reguliert würden. „Man muss einfach sagen, ich entscheide jetzt, ich will es einfach nicht. Punkt. Denn wenn man sich erstmal auf diese Faktenverhandlung einlässt, dann hat man sowieso verloren. Die zaubern irgendwelche Studien aus dem Hut.“

Neutrale oder leicht befürwortende TeilnehmerInnen vertrauten mitunter den bestehenden gesellschaftlichen Regulations- und Entscheidungsmechanismen. Gerade weil der/die Einzelne der Informationsflut und der politischen Spielregeln nicht selbst Herr werden könne, seien schließlich RepräsentantInnen gewählt und Genehmigungsbehörden eingerichtet worden, denen nun die Aufgabe obliege, die Expertise zu ordnen und auf deren Basis Entscheidungen zu treffen. „Ich denke dann schon, genau wie Sie das auch sagen, uns fehlt das Fachwissen, ganz klar, und da vertraue ich einfach darauf, dass die Politiker, die ich wähle, dass die da für mich auch Konzepte entwickeln und […] diese Fachleute haben, und entsprechend sich verhalten. Also da gebe ich einfach natürlich, anders geht es gar nicht, ist eben Arbeitsteilung, das Vertrauen und die Verantwortung schon ein Stück weit ab an die Partei, die ich dann in dem Fall wähle, ne? Und insofern denke ich, das Fachwissen ist natürlich das absolut Wichtige.“

8.2 S ICHT

AUF DIE BETEILIGTEN

AKTEUR I NNEN

Neben der eigenen Positionierung im Konflikt und den Informationen über den Konfliktgegenstand haben uns vor allem folgende Fragen interessiert: Welches Bild haben die Unbeteiligten von den beteiligten AkteurInnenen? Wie beurteilen sie deren Position und Handeln im Streit um das Bauprojekt, und welchen AkteurInnen vertrauen sie? Während der Gruppendiskussion forderten die ModeratorInnen die TeilnehmerInnen auf, alle beteiligten AkteurInnen entsprechend der Stärke ihres Einflusses auf das Projekt und dem ihnen entgegengebrachten Vertrauen auf einem Koordinatensystem einzuordnen. Allgemein war dabei sehr auffällig, dass jenen AkteurInnen, die größeres Vertrauen genossen, deutlich ge-

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ringerer Einfluss zugesprochen wurde und umgekehrt. Aus Sicht der BürgerInnen entscheiden also diejenigen über das Projekt, denen sie am wenigstens vertrauen. Die grundsätzliche Verteilung ähnelte sich fallübergreifend: Den Unternehmen an erster und den höheren Ebenen der Politik an zweiter Stelle wurde der größte Einfluss zugesprochen – gleichzeitig genossen sie jedoch das geringste Vertrauen. Die Bürgerinitiativen stellten das genaue Gegenteil dar: Ihnen vertraute man durchweg, sprach ihnen aber kaum Einfluss zu. Die lokale Ebene der Politik bewegte sich dazwischen – mit der Tendenz zu höherem Vertrauen und geringerem Einfluss. Bei der Erfassung der Positionen und des Handelns der einzelnen AkteurInnen fand sich im Prinzip die gleiche Unklarheit wie in Bezug auf die Informationen zum Projekt. Die BürgerInnen greifen deshalb in ihrer Bewertung der AkteurInnen häufig auf eine Stereotypisierung zurück, die sich nicht am aktuellen Fall orientiert. Das Wissen, welche Ebene nun tatsächlich über welche Kompetenzen verfügt, war gering ausgeprägt. Brachten einzelne DiskussionsteilnehmerInnen solches Wissen ein und verwiesen auf formale Entscheidungsstrukturen, bezweifelten andere wiederum die faktische Gültigkeit solcher formaler Strukturen. Informale Absprachen, welche die Macht wieder bei den Unternehmen und der Bundesebene beließen, wurden als mächtiger angesehen. Bürgerinitiativen Die Bürgerinitiativen sind für fast alle DiskussionsteilnehmerInnen diejenigen Akteurinnen, mit denen sie sich am stärksten identifizieren. Im Gespräch findet ständig eine sprachliche Gleichsetzung von BürgerInnen, inklusive der TeilnehmerInnen selbst, und den Bürgerinitiativen statt. Tatsächlich geschah dies unabhängig davon, ob direkte und persönliche Kontakte bestanden, diese Bürgerinitiative nur durch die Medien bekannt war oder man bisher so gut wie nichts über die Initiative gewusst hatte. Als wesentliche Grundlage für das positive Bürgerinitiativenbild lässt sich die grundsätzliche Wertschätzung des ehrenamtlichen Engagements und Einsatzes der Mitglieder identifizieren. Die DiskutantInnen nehmen wahr, dass die Arbeit in den Bürgerinitiativen eine große und möglicherweise belastende Aufgabe sei. Sie unterstellen den AktivistInnen auch eine große Ernsthaftigkeit, weil das Engagement von den Beteiligten persönliche Opfer fordere und diese daraus keine materiellen Vorteile zögen: „Naja, wenn einer bereit ist, dagegen zu protestieren, dann meint er’s ja auch ernst, dann ist es ja wohl, das ist ja keine Täuschung. Ich lauf da ja nicht mit, oder engagier mich dafür und bin nicht ehrlich. Das wäre ja wohl ’n Hammer oder. [lacht]“

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Bei der Mehrheit der TeilnehmerInnen geht diese positive Einschätzung der Bürgerinitiative sogar noch deutlich darüber hinaus. Man betrachtet sie als die legitimen Interessenvertreterinnen der breiten Bevölkerung. Allein durch die Bürgerinitiativen ließen sich Anliegen authentisch und unverfälscht artikulieren. Die eigene Betroffenheit der AktivistInnen spielt dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle. Auf die Frage, warum man der Bürgerinitiative denn so stark vertraue, lautete eine typische Antwort: „Weil die [AktivistInnen der Bürgerinitiative] in ihrem eigenen Interesse handeln. Die wollen ja für sich selber, Kinder, Familie, wie auch immer, wollen sie ja das Beste und nicht so wie die Politiker und Firmen, das Geld in die eigene Tasche stecken und Profit machen, die kämpfen halt für sich.“

Das in dieser Aussage steckende Paradox, dass den AktivistInnen gerade wegen ihrer Orientierung am Eigeninteresse vertraut wird, den anderen AkteurInnen aber wegen genau dieser Orientierung am Eigeninteresse misstraut wird, ergibt Sinn, weil die Interessen der AktivistInnen als deckungsgleich mit den eigenen wahrgenommen werden. Damit wird dieses Konstrukt der Bürgerinitiative auch immer als Gegensatz zur Politik, die als fern der eigenen Lebenswelt sowie fremdbestimmt und nach anderen Interessen handelnd wahrgenommen wird, gebildet. Diese Identifizierung der BürgerInnen mit der Bürgerinitiative ist natürlicherweise bei denjenigen DiskussionsteilnehmerInnen schwächer, die mit konkreten Bürgerinitiativen inhaltlich nicht übereinstimmen. Dann können die Aufopferungsbereitschaft und die Ernsthaftigkeit in etwas Fanatisches und Aufdringliches umschlagen und von den Bürgerinitiativen wird gefordert, sich auf eine ausgeglichene Debatte einzulassen, statt allzu sehr zu überspitzen. Diese kritischere Haltung findet sich dort etwas häufiger, wo die Konflikte, wie in unseren Windkraftfällen, schon etwas älter und die persönlichen Erfahrungen mit den Bürgerinitiativen umfassender sind. Im Falle des Frackings, bei dem der Widerstand vor Ort durch die hohe lokale Bedeutung des Unternehmens schwächer war, wurde die Bürgerinitiative zudem auch als etwas Externes gesehen, was ebenfalls die Gleichsetzung mit den Interessen der BürgerInnen abschwächte. Aber auch bei TeilnehmerInnen, die den konkreten Bürgerinitiativen gegenüber skeptisch eingestellt sind, lässt sich eine positive Haltung zur Rolle von Bürgerinitiativen im Allgemeinen feststellen: Man weist ihnen die Rolle eines Korrektivs der Politik zu, das imstande sei, auf Missstände und ignorierte Interessen aufmerksam zu machen. Das positive Bild der Bürgerinitiativen als urdemokratische und authentische Kraft in dem Konflikt zerbricht aber für nahezu alle DiskussionsteilnehmerInnen

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an der Frage des Einflusses derselben auf das Projekt. Bei der Frage nach den Chancen des Protests tritt in den Fokusgruppen meist Resignation zutage. Oft sei schlichtweg zwecklos, sich in den Bürgerinitiativen zu engagieren, denn eine politische Wirkung könne man damit nicht erzeugen. „Man spürt auch keinen Einfluss. Es ist jetzt nicht so, dass man der Presse entnimmt, ‚Bürgerinitiative hat Windrad im Soonwald gestoppt‘. Das wär’ jetzt mal so ’ne Schlagzeile, wo man sagt, da hat man den Erfolg oder den Einfluss gespürt. Da fehlt irgendwie so’n Aha-Erlebnis, was die Initiative erreicht hat. Es ist gut, dass es sie gibt, also, subjektive Meinung, aber hat noch keinen spürbaren Einfluss.“

Die TeilnehmerInnen bezweifeln, dass die Meinung der Betroffenen für die EntscheidungsträgerInnen eine relevante Größe darstelle. Meist seien die Entscheidungen ohnehin bereits getroffen und zudem vor allem an Profitinteressen orientiert. In dieser Vorstellung könnte sich Protest nur auf Basis einer Massenbewegung durchsetzen. Nicht der diskursive Austausch von Argumenten, sondern nur die relativ harte Macht aufbegehrender Massen von WählerInnen wird als Einflussmöglichkeit anerkannt. Dabei blicken einige DiskutantInnen neidisch auf andere europäische Länder, in denen dies offensichtlich besser funktioniere: „Wenn ich an Frankreich denke, wenn denen irgendwas nicht passt, die schmeißen tonnenweise Tomaten, oder waren das Spanier, tonnenweise Tomaten oder Gülle auf die Autobahn und dann rappelt es richtig. Hat mal irgendjemand mitbekommen, dass hier ’nen Rathaussturm oder irgendwas in der Form [stattgefunden hätte]?“

Das weist ebenfalls deutlich über den einzelnen diskutierten Fall hinaus und verdichtet sich bei einigen TeilnehmerInnen zur Vorstellung, dass sich die BürgerInnen insgesamt nichts gefallen lassen sollten. Die DiskutantInnen sind sich allerdings uneinig, welche Rolle radikalere Aktionen bei den Bürgerinitiativen spielen sollten. Einigen sind gewisse Überspitzungen gerade zur Aufrüttelung der Bevölkerung mehr als recht; andere fordern den kühlen diskursiven Austausch von Argumenten, dem sie aber wiederum kaum Einfluss zutrauen. Bezogen auf sehr drastisches Informationsmaterial von Bürgerinitiativen, bei dem der Wahrheitsgehalt von einigen in Zweifel gezogen wurde, kam es etwa zu folgendem typischen Austausch: TeilnehmerIn A: „Dazu würde natürlich ein seriöser Umgang mit dem Thema gehören, eine Bürgerinitiative, die derartige Methoden anwendet wie diese Fake-Geschichten, schadet sich selber, das ist völliger Quatsch, sowas kann man nicht machen, völliger Unsinn. […]“

176 | KLAUDIA H ANISCH, S ÖREN M ESSINGER -Z IMMER TeilnehmerIn B: „[Aber] dann setzt man sich damit auseinander und denkt, okay, Fracking hat was mit Methan zu tun, und zack, ist man ein bisschen mehr im Thema drin, weil vorher wusste man überhaupt nicht, was es ist. Und deshalb finde ich es nicht verkehrt, sowas zu machen.“

Obwohl fast alle einen sehr niedrigen Einfluss der Bürgerinitiativen feststellen und beklagen, leitet sich aus einer Umkehrung nicht das Wunschbild der TeilnehmerInnen ab: Nur einige fordern einen sehr hohen Einfluss der Proteste auf die Projekte. Viele fordern nurmehr die Beachtung der Anliegen der Bürgerinitiativen und der im Protest vorgebrachten Argumente, warnen jedoch vor einer Entscheidungsmacht dieser nicht demokratisch legitimierten Gruppierungen. Denn dies könnte dazu führen, dass gerade Prinzipien wie Transparenz und der Ausgleich verschiedener Interessen darunter leiden: „Es geht ja auch um solche Sachen wie, wohnen 100 Leute in dem einen kleinen Dörfchen, 10 tun sich zusammen, weil die jetzt gerade Lust haben, finden den und den doof und wollen den da jetzt aus der Stadt jagen, jetzt mal ein extremes Beispiel, und dann geht er raus, weil die anderen einfach nur keine Lust haben, ihn zu verteidigen, obwohl alle anderen denken, nö, kann ruhig da sein. Und deswegen find ich, so der indirekte Einfluss, dass dann die Leute auch drauf hören sollten, und drauf reagieren sollten und sich da auch Gedanken drum machen sollten, der Einfluss sollte auf jeden Fall viel, viel höher sein, als der bisher ist. Aber der direkte Einfluss, den find ich, der ist okay, weil den sollten sie auch nicht haben. Weil man weiß immer nicht, wie viele dann tatsächlich dahinterstehen. Es sind ja nur die, die es jetzt besonders interessiert.“

Kommunalpolitik Die Kommunalpolitik ist in den Augen der DiskussionsteilnehmerInnen diejenige Ebene der Politik, der sie noch am meisten Vertrauen entgegenbringen. Den KomunalpolitikerInnen wird insgesamt eine den Bürgerinitiativen nicht unähnliche Rolle zugeschrieben: Auch ihnen spricht man eine authentische Vertretung der Interessen der Menschen vor Ort, bloß keinen großen Einfluss zu. Besonders wenn man zudem einzelne LokalpolitikerInnen persönlich kennt, hat man fast immer ein relativ positives Verhältnis zu ihnen, hält sie für vertrauenswürdige und ehrliche Menschen – auch wenn man enttäuscht ist, dass im Trubel der Tagespolitik vieles unter den Tisch falle und die lokale Politik unter enormen Sachzwängen leide. Man erwartet von der Lokalpolitik, sich im Interesse der Gemeinde starkzumachen und diejenige Position zu vertreten, die auch von der Mehrheit der Bevölkerung geteilt wird. Das führt etwa im Fall des Sued-

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Link dazu, dass die DiskussionsteilnehmerInnen von der Lokalpolitik erwarten, dass diese alles in ihrer Macht Stehende tut, um die Stromtrasse zu verhindern: „Ich würde von ’nem Bürgermeister, und von früher kenn ich das halt auch von vielen Dörfern, wo’s so war, da erwart’ ich halt, dass der nicht in erster Linie fragt: Was beschließt denn meine Partei mit, […] sondern die müssten eigentlich in erster Linie fragen: Was wollen die Leute hier drum herum. Und dann, wenn dann so Diskussionen sind, wie jetzt um diese Trasse, da müssten die eigentlich gar nicht lange nachdenken, weil, […] auf den Dörfern, wo die noch näher durchgehen soll, oder auch nur infrage kommt, die sind alle dagegen. […] Müssten sagen: Wir machen das nicht mit. Egal in welcher Partei sie sind.“

Allerdings nahmen die TeilnehmerInnen in den Gruppendiskussionen um den SuedLink nur zum Teil wahr, dass die BürgermeisterInnen der betroffenen Orte in der Region schon einiges in Bewegung gesetzt hatten, um genau dies zu tun: Sie hatten sich z. B. zusammengeschlossen, um gemeinsam mit der Kreisebene politische Maßnahmen zu koordinieren, sie unterstützten die Bürgerinitiativen etc. Im Konflikt um Windkraft in Rheinland-Pfalz ist der Blick auf die Lokalpolitik differenzierter, da diese hier stärker als Konfliktpartei in Erscheinung tritt. Das führt einerseits zu härterer Kritik: So wird hier häufig der Verdacht geäußert, die KommunalpolitikerInnen ließen sich von Geld korrumpieren – wobei damit meist nicht direkte Bestechung gemeint ist, sondern der Vorwurf der Käuflichkeit auch auf das unterstellte ausschließliche Interesse an Pachteinnahmen für die Kommunen ausgedehnt wird. Die weitreichende kommunale Selbstverwaltung in diesem Bereich und die vergleichsweise starke Unabhängigkeit gegenüber höheren Ebenen werden teilweise als Scheinautonomie wahrgenommen, die strategisch umso besser in den Masterplan der Landesebene hineinpasse: „[Fällt ins Wort] Die in Mainz, in Mainz, die sitzen doch und lachen sich kaputt, dass die Hunsrücker sich gegenseitig Konkurrenz machen, wer am schnellsten wieviel Windräder hat, die Mainzer kriegen die Dinger gebaut, die brauchen gar nicht viel machen, die Verantwortung haben die runter gefahren bis auf die Gemeinderäte. […] Und die sitzen und sagen in Mainz dann, das ist Demokratie, Basisdemokratie, dass die kleinsten unten entscheiden können, in Wirklichkeit sieht man, was bei rausgekommen ist.“

Andererseits ist hier aber auch das größte Vertrauen in die lokalen RepräsentantInnen spürbar. Eine Gruppe der DiskussionteilnehmerInnen ist deutlich damit einverstanden, wie die Kommunalpolitik ihre Verantwortung wahrnimmt, und vertraut darauf, dass größere Fehler oder umfangreiches Fehlverhalten an die örtliche Öffentlichkeit gelangen und dadurch kontrolliert werden können.

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Insgesamt wird Aussagen der kommunalen Politik ein gewisses Vertrauen entgegengebracht, jedenfalls ein deutlich größeres als höheren Politikebenen oder Unternehmen: „Vielleicht machen die da jetzt gerade in der Politik nichts direkt, aber die informieren auf jeden Fall, und das ist schon mal was, was sehr hilfreich ist, die machen das auf einer sachlicheren Ebene, als man es so findet, weil oftmals sind im Internet alles nur irgendwelche Hetz-Texte, oder sonstiges, wo man wirklich nur die negativen Sachen findet, oder nur die positiven Sachen, die dann teilweise noch ein bisschen überspitzt sind, und da finde ich, da hat man eine Basis.“

Höhere politische Ebenen Höheren politischen Ebenen wird meist mit deutlich mehr Misstrauen und geringerem Zutrauen in ihre Kompetenz begegnet als der Kommunalpolitik. In den Diskussionen spielten diese Ebenen meist auch eine deutlich untergeordnete Rolle und mussten von den ModeratorInnen stark angesteuert werden. In den Aussagen wurde kaum zwischen Landes- und Bundesebene differenziert; beide Ebenen wurden im Konstrukt „die Politik“ zusammengefasst. Kaum eine Rolle spielten in den Diskussionen parteiliche Differenzierungen – auch hier wurden PolitikerInnen fast immer einheitlich bewertet. Dies könnte auch in der Gruppensituation begründet sein: Da sich die TeilnehmerInnen größtenteils nicht kannten, vermieden sie möglicherweise politische Selbstverortungen. Jedoch sticht die Bewertung der Grünen heraus, die häufig noch heftiger kritisiert wurden als die Politik insgesamt. Ihnen wurde Heuchelei und Inkompetenz vorgeworfen. Dies mag daran liegen, dass in einem Großteil der Fälle die Grünen die zuständigen Landesressorts besetzten, somit stärker im Kreuzfeuer standen und zudem einen klaren Markenkern als Natur- und Umweltschutzpartei besaßen. Beziehen sie in einem Konflikt zwischen diesen beiden Zielen – etwa beim innerökologischen Zielkonflikt zwischen Naturschutz als Argument gegen und Umweltschutz als Argument für Windkraft – Position, wird ihnen dies immer als Verrat an dem einen oder anderen Ziel ausgelegt. Das mangelnde Vertrauen in die höheren politischen Ebenen lässt sich wohl größtenteils mit der empfundenen Distanz erklären. Immer wieder haben DiskussionsteilnehmerInnen betont, sowohl das Land als auch den Bund als weit entfernt von den Auswirkungen der Projekte im Speziellen, aber auch von ihrem Leben im Allgemeinen anzusehen: „Das ist die Distanz, denke ich mal. Ich sag mal, Kommunalpolitiker, der hier vor Ort ist und Idealist ist, der geht an die Sache anders ran als der, [der] aus der Landeshauptstadt

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mal hier rüber herkommt. […] Dass je weiter die Entfernung ist und die Betroffenheit, jemand, der hier wohnt und das Ding nun sieht, der fühlt sich betroffen, der sieht das noch etwas anders, wie jemand, der sagt, ich fahr nur vorbei und drei Kilometer weiter sehe ich die Dinger [Windräder] nicht mehr.“

Diese Form des Vertrauensmangels schlägt sich direkt in der Wahrnehmung der Kompetenz der Landes- oder Bundesebene nieder. Zudem erscheint den DiskutantInnen unklar, welche Positionen diese höheren Ebenen eigentlich zu den jeweiligen Projekten einnehmen. Viele DiskussionsteilnehmerInnen warfen der Politik vor, sich nicht zu den Problemen zu äußern, und hielten im Zweifel auch bei Widerspruch daran fest: TeilnehmerIn A: „Ich denke, das resultiert eher daraus, dass man die Landespolitik lokal fast nicht wahrnimmt in ihrer Wirkung auf das Thema, und daher nicht beurteilen kann.“ TeilnehmerIn B: „Naja doch, die Landesregierung, […] die haben sich recht häufig zu dem Thema Fracken geäußert.“ TeilnehmerIn A: „Aber nicht öffentlich wahrnehmbar, das ist das Problem.“ TeilnehmerIn B: „Ja, wenn man so ein bisschen die Medien verfolgt hätte, hätte man das schon mitkriegen können.“ TeilnehmerIn C: „Nicht laut genug.“

Aber – und auch das ist Teil der Sicht auf die Landes- und Bundesebene –: In fast allen Diskussionsgruppen fanden sich TeilnehmerInnen, die ein deutlich positiveres oder zumindest entspannteres Verhältnis zur Politik hatten. Sie widersprachen allzu einseitigen Darstellungen, forderten wie im zitierten Beispiel auf, sich selbst zu informieren, und besaßen ein gewisses Grundvertrauen. Kaum eine eigenständige Rolle sprachen die DiskussionsteilnehmerInnen hingegen den Verwaltungen auf Landes- und Bundesebene zu. Diese wurden vollständig der Politik untergeordnet und nicht als eigener Akteur diskutiert. Zum Teil wurden sie, auch wenn sie von den ModeratorInnen eingebracht wurden, wieder aus der Debatte herausgenommen. Unternehmen Die Sicht auf die projektdurchführenden Unternehmen ist vom größten Misstrauen gekennzeichnet. Immer wieder wird die Vermutung geäußert, dass Politik

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und BürgerInnen nur Spielball der Unternehmensinteressen seien und sich diese letztlich immer durchsetzen würden. Man spricht von Klüngelei und einer Übermacht des Geldes. Der Begriff Lobbyismus wird als zentrales Reizwort gebraucht, meist ohne genauere Beschreibung, was damit konkret gemeint sei. In etwas weniger verschwörerischer Manier wird auch auf die Standortkonkurrenz hingewiesen, die PolitikerInnen besonders wegen des Erhalts von Arbeitsplätzen in der Region verleite, sich unternehmensfreundlichen Positionen anzuschließen. Immer wieder tritt das Gefühl zutage, von den Unternehmen systematisch belogen zu werden. Auch den evidenten Bemühungen der ausführenden Unternehmen um Transparenz und Bürgerbeteiligung wird mindestens mit starker Skepsis, nicht selten auch mit der festen Überzeugung, dass diese nur der Irreführung dienten, begegnet. Sogar das Unternehmen TenneT, das im Fall von SuedLink eine sehr umfassende Informationskampagne gestartet und in den Orten, in denen wir die Diskussionen durchführten, auch schon Veranstaltungen organisiert hatte, wurde nicht gnädiger betrachtet. „Also Hauptkritikpunkt an TenneT, was man so in der Zeitung liest, bei den Veranstaltungen selbst war ich nicht dabei, ist, dass die also die fertigen Pläne quasi schon in der Schublade haben. Dann so eine Pseudobürgerbeteiligung und aber kaum auf die Bürger auch eingehen, wenn’s um Alternativen auch mal der Trassenführung mal geht, ne.“

Der Grad der moralischen Empörung über diesen als Fakt dargestellten Zustand schwankt allerdings. Einige erregen sich stark über das wahrgenommene Fehlverhalten der Unternehmen und fordern von diesen mehr Ehrlichkeit und echte Beteiligung ein. Andere sehen darin ein quasi natürliches Verhalten gewinnsuchender Unternehmen, zudem Politik und Gesetze in der Verantwortung, dessen negative Folgen einzuhegen. Allein die Rolle eines für die Region unersetzbaren Arbeitgebers lässt ein Unternehmen in einem etwas positiveren Licht dastehen: das Öl- und Gasunternehmen, das in einem der strukturschwächeren Kreise in Niedersachsen Fracking vorantreiben will. Zwar würden grundsätzlich alle Unternehmen rücksichtslos nach Profit gieren; die Firma vor Ort, die Teil der lokalen Identität ist, gilt aber als Ausnahme und wird von dieser Kritik ausgenommen. Dieses Unternehmen sorge sich ernsthaft um die Belange des Ortes. Auch die KritikerInnen des Hydraulic Fracturing in den Fokusgruppen versuchen, positive Seiten des Unternehmens hervorzuheben und es im Vergleich zu einem US-amerikanischen Konkurrenzunternehmen, das in einer Nachbargemeinde tätig ist, als die vertrauenswürdigere Option darzustellen.

9 Zwischen „Hoffnungslosen“ und „heimlichen AktivistInnen“ Typen der Nicht-Beteiligung C HRISTOPH H OEFT

Im Folgenden soll nun anhand von unterschiedlichen Typen der Nicht-Beteiligung versucht werden, sich der bereits aufgeworfenen Frage zu nähern: Warum engagieren sich die Unbeteiligten trotz polarisierter Diskussionen und vielfältiger Schreckensszenarien auf der einen oder anderen Seite nicht in dem Konflikt? Bei den hier diskutierten Typen handelt es sich um Idealtypen – was bedeutet, dass sie keine realen Personen in unserem Untersuchungssample repräsentieren. Nach Max Weber entsteht der Idealtypus „durch einseitige Steigerung eines oder einiger Gesichtspunkte und durch Zusammenschluss einer Fülle von diffus und diskret, hier mehr, dort weniger, stellenweise gar nicht, vorhandenen Einzelerscheinungen, die sich jenen einseitig herausgehobenen Gesichtspunkten fügen, zu einem in sich einheitlichen Gedankenbilde“1. Der Idealtypus stützt sich demnach auf empirisch beobachtete Phänomene, abstrahiert sie aber und erhält dadurch einen eher theoretischen Charakter.2 Auf diese Weise entstehen also keine rein theoretisch abgeleiteten Idealtypen, sondern – angelehnt an McKinney3 – empirisch basierte Constructed Types, „die zwar ‚ideale‘ Züge tragen, weil sie durch eine bewusst geplante Selektion, Abstraktion, Kombination und Akzentu-

1

Weber, Max: Die „Objektivität“ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis, in: ders.: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Hrsg. von Johannes Winckelmann, Tübingen 1988 [1904], S. 146–214, hier S. 191.

2

Vgl. Kluge, Susann: Empirisch begründete Typenbildung. Zur Konstruktion von Typen und Typologien in der qualitativen Sozialforschung, Opladen 1999, S. 60 ff.

3

Siehe McKinney, John: Constructive Typology and Social Theory, New York 1966.

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ierung einer Anzahl von Kriterien gebildet werden, die jedoch ‚empirische Referenten‘ besitzen, also in der sozialen Realität vorhanden sind“4. Auch die im Folgenden diskutierten Typen werden auf Grundlage charakteristischer Einstellungsmuster gebildet, die aber in der empirischen Erhebung durchaus auf verschiedene Personen in unterschiedlichen Diskussionsrunden verteilt sein können. Dabei werden jeweils nur wenige charakteristische Eigenschaften der Unbeteiligten herausgearbeitet und deutlich akzentuiert dargestellt. Die verschiedenen Ausprägungen der Nicht-Beteiligung sollen anhand von vier Dimensionen diskutiert werden. Dabei handelt es sich gewissermaßen um die Umkehrung von Motiven, die in der Forschung zu sozialen Bewegungen und Zivilgesellschaft als Anlass oder Katalysator von Protest und Engagement diskutiert werden. Erstens spielt die generelle Einstellung gegenüber dem politischen System und der parlamentarischen Demokratie eine Rolle: Empfindet man bspw. Parteien als abgehoben, Wahlen lediglich als Entscheidungen für das kleinere Übel, Veränderungsmöglichkeiten als nicht existent oder ist man generell von der Funktionsweise der Demokratie überzeugt? Bei dieser Dimension wären allerdings sowohl eine uneingeschränkt positive Sicht auf Demokratie als auch eine grundlegend negative Perspektive eher hemmende Faktoren für Engagement: Wenn man sehr zufrieden mit dem politischen System ist, sinkt der Anreiz, sich selbst einzubringen; ist man dagegen überzeugt davon, dass das gesamte politische Gefüge korrupt und abgehoben ist, wird man vermutlich auch politischem Engagement keine verändernde Wirkung zusprechen. In dieser Dimension ist daher eine abwägende Haltung engagementförderlich: Bei Personen, die deutlichen Verbesserungsbedarf sehen, zugleich von der generellen Reformierbarkeit des Systems ausgehen, ist die Wahrscheinlichkeit des Engagements am höchsten. Zweitens geht es um das Verhältnis zu Engagement: Werden Proteste überwiegend positiv und als wünschenswerte Ergänzung anderer politischer Prozesse betrachtet oder werden AktivistInnen als NörglerInnen und UnruhestifterInnen charakterisiert? Drittens kommt es darauf an, ob man über grundlegende und für das Engagement notwendige Ressourcen verfügt: Hat man bspw. Zeit, sich intensiver mit politischen Fragen zu beschäftigen, oder fühlt man sich von Beruf und Alltag vollständig ausgelastet? Und viertens wird die inhaltliche Einstellung gegenüber dem Projekt betrachtet: Sieht man in dem Vorhaben überhaupt ein Problem oder blickt man auf die Pläne wohlwollend? Diese Faktoren lassen sich in ihren unterschiedlichen Ausprägungen in tabellarischer Form darstellen; wobei tendenziell Personen, die eine relativ positive Einstellung zum demokratischen System und eine positive Sichtweise auf Engagement haben, die über notwendige Ressourcen verfügen und dem konkret ge4

Kluge: Empirisch begründete Typenbildung (1999), hier S. 70.

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planten Infrastrukturprojekt eher ablehnend gegenüberstehen, mit der höchsten Wahrscheinlichkeit auch selbst politisch aktiv werden. Personen, die von der Dysfunktion des politischen Systems überzeugt sind, Engagement negativ bewerten, über keine wichtigen Ressourcen verfügen und das geplante Projekt eher positiv bewerten, werden sich mit höherer Wahrscheinlichkeit nicht selbst engagieren. Bei den von uns herausgearbeiteten Typen handelt es sich aber nicht um diese Extremfälle, sondern um verschiedene Formen des Zusammenspiels dieser Faktoren. Tabelle 1: Dimensionen des Engagements Einstellung zum demokratischen System

Einstellung zu Engagement

Verfügbarkeit notwendiger Ressourcen

Inhaltliche Einstellung zum konkreten Projekt

Positiv hohes Vertrauen in die Funktionsweise der repräsentativen Demokratie, Zufriedenheit mit Parteien und PolitikerInnen

Positiv BI und Protest als sinnvolles Korrektiv der traditionellen Politik, Aktivismus wird generell als sinnvoll bezeichnet, Engagement hat gute Erfolgsaussichten

Hoch breite persönliche Netzwerke, ausreichend Zeit für Engagement, hohe Selbstwirksamkeit

Negativ starke inhaltliche Kritik am Projekt, Unzufriedenheit mit der Planung und Umsetzung, Kritik an Verfahren

Neutral abwägende Haltung zur Funktionsweise von Demokratie, Parteien und Parlamenten, kriti-

Neutral keine Bezugspunkte zu Engagement, schwankende Haltung zu BI, Lob und Kritik halten

Neutral lediglich einige Ressourcen sind verfügbar, andere nicht

Neutral keine ausgeprägte Meinung zum Projekt, keine vorherige Beschäftigung, kritische Ab-

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Einstellung zum demokratischen System

Einstellung zu Engagement

sche Abwägung von Vor- und Nachteilen

sich die Waage, Zweifel an Erfolgsaussichten von Engagement

Negativ sehr geringes Vertrauen in Demokratie, starke Kritik an Parteien und PolitikerInnen, kein Vertrauen in die Problemlösungskompetenz der Politik, häufig pauschalisierende Vorwürfe an „die da oben“

Negativ sehr kritischer Blick auf Engagierte, Unterstellung von Partikularinteressen und Egoismus, Engagement grundsätzlich ohne Aussicht auf Erfolg

Verfügbarkeit notwendiger Ressourcen

Inhaltliche Einstellung zum konkreten Projekt wägung von Vor- und Nachteilen für die Region

Niedrig keine Einbindung in Netzwerke, keine Zeit, keine Selbstwirksamkeitserfahrungen

Positiv keine Kritik am Projekt, Zufriedenheit mit Verfahren und Beteiligungsmöglichkeiten, Betonung der Vorteile

Das Zusammenspiel dieser vier Faktoren kann also dabei helfen, sich dem Phänomen der Unbeteiligten weiter zu nähern. Da es sich aber bei der vorliegenden Studie um eine explorativ angelegte Untersuchung handelt, wird mit der Bildung von Idealtypen lediglich ein erster Schritt zum Verständnis von nicht-engagierten BürgerInnen gemacht.5 Weder soll also der Anschein erweckt werden, hier5

Vgl. zu diesem Thema auch Hielscher, Hanna/Klink, Dennis/Haß, Rabea: Betroffen, aber nicht aktiv. Das Phänomen der Nicht-Beteiligung in Deutschland. Hrsg. vom Centrum für soziale Investitionen und Innovationen (CSI) und der Hertie School of

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mit das Phänomen der Nicht-Beteiligung in Gänze erklären zu können, noch handelt es sich bei unseren Typen aufgrund der geringen Fallzahl um eine abschließende und empirisch gesättigte Aufstellung von Formen der NichtBeteiligung. Nichtsdestotrotz erlaubt die Bildung von Idealtypen genauere Rückschlüsse auf Motive, Werte und Einstellungen der Unbeteiligten. Eine weitere Vorbemerkung betrifft das Verhältnis der Unbeteiligten zu sozialem oder politischem Engagement: Durch die Forschungssituation, in der in einer von SozialwissenschaftlerInnen moderierten Diskussionsrunde über Proteste und Politik diskutiert wurde, verspürten die TeilnehmerInnen mit hoher Wahrscheinlichkeit einen ungewohnt hohen Rechtfertigungsdruck für ihr eigenes Nicht-Engagement. Die Aussagen über den Aktivismus und die eigene Inaktivität müssen also stets auch vor diesem Hintergrund analysiert werden.

T YP 1: D IE H OFFNUNGSLOSEN („D IE B OTSCHAFT HÖR ’ ICH WOHL , ALLEIN MIR FEHLT DER G LAUBE .“) Dieser Typus zeichnet sich insbesondere durch eine grundlegend pessimistische Sicht auf Engagement aus. Zwar wird politischer Aktivismus mitunter grundsätzlich positiv bewertet, und auch das konkrete Handeln der Bürgerinitiativen im Konflikt vor Ort wird häufig begrüßt und wertgeschätzt. Allerdings fehlt den VertreterInnen dieses Typus die Überzeugung, durch Engagement wirklich etwas verändern zu können. Teilweise wird dieses Gefühl der eigenen Ohnmacht auch auf anderen generellen politischen Ebenen konstatiert, wenn bspw. die Alternativlosigkeit bei Wahlen oder die Entkoppelung „der“ Politik von der Bevölkerung kritisiert wird. Fest steht für diesen Typus nur, dass wirkliche Veränderungen durch politisches Engagement im weitesten Sinne nicht zu erreichen seien. Die Ursachen und Begründungen für diese Einstellungen unterscheiden sich allerdings deutlich voneinander und können am sinnvollsten in mehreren Abstufungen des hoffnungslosen Typus dargestellt werden. Dabei kann zwischen zwei unterschiedlichen Formen der Hoffnungslosigkeit differenziert werden. Die ZynikerInnen speisen ihre negative Einschätzung der Wirkung von Engagement zumeist aus einer generellen Unzufriedenheit mit dem politischen System und der parlamentarischen Demokratie in Deutschland. Hier finden sich teilweise die bekannten Stereotype der sogenannten Politikverdrossenheit: eine

Governance, Heidelberg 2014, URL: http://www.ub.uni-heidelberg.de/archiv/18740/ [eingesehen am 22.02.2016].

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angeblich abgehobene politische Elite, die sich nicht mehr durch die Bevölkerung kontrollieren lasse, sondern ausschließlich eine Politik im Interesse der Wirtschaft verfolge, sowie pauschale Kritik an Parteien und deren Rolle in den Parlamenten. Politisches Engagement habe vor diesem Hintergrund schlicht keine Aussicht auf Erfolg; gleichzeitig wird die Passivität der Bevölkerung aber auch zu einem weiteren Ziel von Kritik und Vorwürfen. Die Leute würden sich ja eh alles gefallen lassen, es gebe heute eh niemanden mehr „mit einem Arsch in der Hose“, in anderen Gesellschaften sei die Bereitschaft zum Widerspruch noch sehr viel ausgeprägter. Dass sie selbst aber ebenfalls Argumente gegen das Engagement vorbringen, wird an dieser Stelle zumeist ausgeblendet. Im Gegenteil wird der Bürgerinitiative aus ihrer geringen Stärke noch ein Vorwurf gemacht: „Da gibt’s ’ne Bürgerinitiative, die sagt, nee, das geht hier nicht, und da muss ich sagen, zum einen sind’s zu wenige, und die, mit Verlaub, nehmt es mir bitte nicht übel, aber ich sag’s nochmal, die haben keinen Arsch in der Hose.“

Zwar sind auch die ZynikerInnen den jeweiligen Projektplänen gegenüber skeptisch bis ablehnend eingestellt; die generelle Unzufriedenheit mit dem politischen System und der negative Blick auf Politik und Demokratie verhindern jedoch effektiv eigenes Engagement. Die Enttäuschten unterscheiden sich von den ZynikerInnen häufig darin, auf eigene zurückliegende Erfahrungen mit Engagement zurückblicken zu können. Somit handelt es sich bei ihrer pessimistischen Einschätzung weniger um ein generelles Urteil und eine allgemeine Abwendung von demokratischen Prozessen als vielmehr um eine erfahrungsgesättigte Resignation. Die Enttäuschten erwecken den Eindruck „alter Hasen“, die genau zu wissen scheinen, „wie es läuft“, die aber gleichzeitig mit eigenen Frustrationserlebnissen und Enttäuschungen umgehen müssen. Sie wissen bspw., wie schwierig es ist, eine Bürgerinitiative dauerhaft zur Aktivität zu motivieren, haben miterlebt, wie manche Gruppenmitglieder nach ersten Rückschlägen enttäuscht das Handtuch warfen und wie frustrierend es sein kann, nach dem Zerfall einer Bewegung mit bloß noch einer Handvoll MitstreiterInnen zur Wirkungslosigkeit verdammt zu sein. Aus diesen Erfahrungen folgt eine grundlegende Skepsis gegenüber der jeweiligen aktiven Initiative. Die Enttäuschten schätzen, aber belächeln den Aktionismus und die Begeisterung der Engagierten, weil sie sich sicher sind, dass es sich auch hier nur um ein Strohfeuer handeln wird. „Das wird sowieso nicht passen. Ich glaube aber, dass solche Menschen, die sich engagieren, irgendwann mal wie Don Quichotte gegen die Windmühlen sich abarbeiten. Und

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dann haben die irgendwann mal die Kraft verloren. Und wenn dann keiner hinter kommt und sagt, jetzt erst recht, jetzt komm, und das, glaub ich, dürfte ein ganz großes Problem sein.“

Denn klar ist für die Enttäuschten, dass nicht bloß die Motivation der MitstreiterInnen nur schwer über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten werden könne. Noch komplizierter sei, die passive Bevölkerung (zu der sie ja mittlerweile auch selbst gehören, was allerdings kaum reflektiert wird) von der eigenen Meinung zu überzeugen, sie auf die eigene Seite zu ziehen, Mehrheiten für die eigene Sache zu rekrutieren. Die Enttäuschten teilen also die Kritik am jeweiligen Projekt und wünschen sich, dass der Protest und das Engagement vor Ort etwas verändern würden. Gleichzeitig prognostizieren sie aber bereits das Scheitern dieser Versuche, wirken selbst ausgebrannt und frustriert und machen sich daher keine großen Hoffnungen auf langfristige Erfolge. Eigenes Engagement ist für die Enttäuschten daher keine Option, obwohl sie sich selbst generell als aktive und politisch interessierte MitbürgerInnen betrachten würden.

T YP 2: D IE ÄNGSTLICHEN / DIE Ü BERFORDERTEN Anders verhält es sich mit den Ängstlichen. Die Ängstlichen verfügen über keinerlei Engagementkarriere, sie trauen sich aus unterschiedlichen Gründen keine Einmischung zu, sondern schrecken vor einem solch lautstarken Schritt in die Öffentlichkeit zurück. Häufig haben sie das Gefühl, dass ihnen die Expertise zu dem verhandelten Thema fehle, sie sich nicht ausreichend genau mit den komplexen Details auskennen würden, um eine klare und prononcierte Stellung zu ergreifen. Die Argumente der Bürgerinitiativen kommen ihnen an sich überzeugend vor, aber sie lassen sich auch von den Argumenten der Gegenseite beeindrucken, werden unsicher, wollen sich nicht auf eine Sichtweise festlegen. Ein eigenes Engagement, das notwendigerweise die Komplexität der Thematik reduzieren muss, die eigene Position und Forderungen zu griffigen Schlagworten und Slogans zuspitzt und häufig durch Simplifizierungen überzeugen will, wird von ihnen vor diesem Hintergrund eher abgelehnt. In anderen Fällen handelt es sich bei den Ängstlichen um Personen, die nicht oder nicht in ausreichendem Maße über die Voraussetzungen für politischen Aktivismus verfügen. Nach wie vor zeigt sich in Untersuchungen zu zivilgesellschaftlichem Engagement, dass sich soziale Exklusion auch auf Engagement

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überträgt.6 Wer über wenig Ressourcen wie Bildung, Zeit oder soziale Netzwerke verfügt, wird sich nur selten eigenes Engagement zutrauen. Dies hängt auch mit der Wichtigkeit der bereits erfahrenen Selbstwirksamkeit zusammen: der Überzeugung, dass das eigene Handeln Relevanz hat und einen Unterschied machen kann. Fehlt ein solches Selbstzutrauen, schrecken die Betroffenen vor einer lauten Einmischung und der öffentlichen Artikulation von Forderungen zurück.

T YP 3: D IE G ESTRESSTEN („I CH

HAB KEINE

Z EIT .“)

Bei den Gestressten handelt es sich häufig um Personen, die zwar grundsätzlich die Fähigkeiten zur Selbstorganisation mitbringen würden: Sie haben ein ausgeprägtes politisches Bewusstsein, verfügen oft über eine relativ gute Bildung und sind sozial ausgesprochen gut vernetzt. Sie bringen der Funktionsfähigkeit des politischen Systems ein generelles Vertrauen entgegen, sehen daher auch für politisches Engagement grundsätzliche Erfolgsaussichten und teilen häufig sogar die inhaltliche Kritik am jeweiligen Projekt. Allerdings sind sie durch ihren Beruf, familiäre oder sonstige soziale Verpflichtungen bereits so stark beansprucht, dass sie zumindest in der Selbstwahrnehmung schlicht keine Zeit für ein aktiveres politisches Engagement finden. Zum Teil wird auch mit anderen Ehrenämtern argumentiert: „Ich hab keine Zeit. Ich hab keine Zeit. Ich habe keine Zeit und kein Interesse, mich da einzuarbeiten. Ich bin, ja, ich mach genug gewerkschaftlich, ich hab ’n Arsch voll Arbeit [ereifert sich], ich arbeite Vollzeit […], ich reiß mir schon den Arsch auf und tu, und sonst was, und hab drei Kinder, hab ’n Haus, irgendwo sind Grenzen, ich hab auch ’n Recht auf Privatleben. Wo ich sag, ich möchte irgendwann mal noch mal zur Ruhe kommen, ich reg mich schon Tag und Nacht auf über den ganzen Mist, der hier so läuft, das können auch mal andere machen.“

Engagement erfordert Zeit – weshalb auch bestimmte Lebensabschnitte einem ausgeprägten politischen Aktivismus förderlicher zu sein scheinen als andere. Insbesondere Jugendliche bzw. jüngere Erwachsene und SeniorInnen haben ge-

6

Vgl. z. B. Munsch, Chantal: Engagement und Ausgrenzung – theoretische Zugänge zur Klärung eines ambivalenten Verhältnisses, in: Forschungsjournal Soziale Bewegungen, Jg. 24 (2011), H. 3, S. 48–55; Hoeft, Christoph/Klatt, Johanna/Kopp, Julia/ Messinger, Sören: Protesting without the Underclass, in: Journal of Civil Society, Jg. 10 (2014), H. 4, S. 393–407.

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nügend Zeit, um sich selbst politisch einzubringen; kommen erstmal die Gründung einer eigenen Familie oder die Anforderungen beruflicher Karrieren hinzu, sinkt jedoch die Bereitschaft, sich neben den übrigen Verpflichtungen auch noch intensiv politisch zu engagieren.

T YP 4: D IE Z UFRIEDENEN Die Zufriedenen unterscheiden sich von den bisher vorgestellten Typen relativ deutlich im Hinblick auf ihr grundsätzliches Vertrauen in das politische System. Sie sehen keinen Grund, sich selbst in den vorliegenden Konflikt einzumischen, da sie der Meinung sind, dass Parteien, PolitikerInnen und zum Teil auch die Bürgerinitiative das Problem in einer angemessenen und richtigen Weise bearbeiten. Die Zufriedenen zeichnen sich auf der einen Seite nach wie vor durch ein großes Vertrauen in die gewählten Organe der Demokratie aus, setzen weiter auf das Repräsentationsprinzip, dem zufolge man sich grundsätzlich darauf verlassen könne, dass eine gewählte Partei auch im Sinne ihrer WählerInnen aktiv werden wird. „Und da denke ich dann schon, genau wie Sie das auch sagen, uns fehlt das Fachwissen ganz klar, und da vertraue ich einfach darauf, dass die Politiker, die ich wähle, dass die da für mich auch Konzepte entwickeln und ganz klar natürlich diese Fachleute haben, und entsprechend sich verhalten. Also da gebe ich einfach natürlich, anders geht es gar nicht, ist eben Arbeitsteilung, das Vertrauen und die Verantwortung schon ein Stück weit ab an die Partei, die ich dann in dem Fall wähle, ne?“

Gleichzeitig wird hier auch mit einer von Laien unerreichbaren Professionalität der PolitikerInnen argumentiert: Die gewählten Parteien hätten einfach mehr Möglichkeiten, sich intensiv mit einem Problem zu beschäftigen, Expertise einzuholen und aufzubauen, das Problem in einen größeren Kontext einzubetten und nicht bloß isoliert zu betrachten. Auf der anderen Seite wird aber auch das Engagement der Bürgerinitiativen oftmals positiv bewertet – nur haben die Zufriedenen dadurch das Gefühl, dass sich somit schon genug Menschen um das Problem kümmern: „Aber ich denke, auf der anderen Seite sind sie aktiv, kümmern sich drum, das ist richtig. Also so gesehen stellvertretend für uns, die wir nichts tun, lieber ein bisschen überspitzt als gar nicht, sag ich jetzt mal (lacht). Oder? Finde ich.“

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Die Initiativen werden daher auch als willkommene Interessenvertretung im eigenen Sinne interpretiert – weil sie sich bereits um die Belange der „normalen“ Bevölkerung kümmern, sei ein eigenes Aktiv-Werden nicht mehr notwendig. Die Zufriedenen erkennen also in der Bürgerinitiative häufig eine als legitim bewertete Vertretung, die zwar insbesondere ihre eigenen Interessen innerhalb der Auseinandersetzungen vertritt, aber damit automatisch auch die Interessen der übrigen Bevölkerung. Das Interesse der Initiativen und das Wohl der Bevölkerung werden somit mehr oder weniger gleichgesetzt, die Bürgerinitiative wird zu einer Lobbygruppe im Sinne der Bevölkerung.

T YP 5: D IE K RITIKER I NNEN VON P ROTEST Die KritikerInnen stehen den Aktivitäten der Bürgerinitiativen in ihren jeweiligen Konfliktfeldern ablehnend gegenüber; eigenes Engagement kommt nicht infrage, weil die Funktionsweise, das Vorgehen oder das Ziel der Protestgruppen massiv kritisiert werden. Verbunden wird diese Haltung häufig mit einer fundamental negativen Haltung gegenüber politischem Aktivismus und Protest insgesamt: AktivistInnen und Protestierende werden als Störfaktoren beschrieben, die häufig von außen einen Konflikt künstlich aufbauschen und das eigentlich konstruktive Miteinander vor Ort aus dem Gleichgewicht bringen würden: „Ja, Bürgerinitiativen sind für mich ähm, ja ich will nicht sagen ein rotes Tuch, aber generell irgendwie ein bisschen engstirnig, radikal, einseitig.“ Nicht selten werden den Initiativen auch inhaltliche Fehler und Schwächen vorgeworfen: Sie seien uninformiert, würden Details verdrehen oder schlichtweg nicht verstehen und seien nicht zu Verhandlungen und Kompromissen bereit. Auch die Einseitigkeit, mit der Bürgerinitiativen mobilisierten, wird kritisch gesehen: „Mir ist das auch ein bisschen zu einseitig, was die Bürgerinitiative da so bringt, dass die da so komplett gegen alles sind, das stört mich ein bisschen.“ Zum Teil verfügen die KritikerInnen selbst über einen politisch aktiven Hintergrund, waren bspw. über lange Jahre in die Lokalpolitik involviert, weshalb sie Ein- oder Widersprüche und Mitbestimmungsforderungen der BürgerInnen häufig als zusätzliche Belastung für ihre ohnehin nicht einfache Arbeit erlebt haben. „Und das waren dann die im Hintergrund, die, ich will nicht sagen rumgeschrien, aber die das Wort ergriffen haben und alles durcheinander gebracht haben, und wenn dann vorne jemand gesagt hat, so ist das nicht, was Sie dort sagen, dann wurde das nicht akzeptiert. Und das verstehe ich nicht bei den ganzen, oder bei vielen Bürgerinitiativen. Wenn man

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DER

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feststellt, ich liege verkehrt, dann soll ich das verflixte Kiste zugeben und dann muss ich das nochmal akzeptieren, wenn etwas anderes gemacht wird, ne?“

Insbesondere kritisieren sie die fundamentale Opposition der Bürgerinitiativen, die zum Teil nicht mit parlamentarischen Kompromissen und Aushandlungsprozessen kompatibel sei. „Was soll man da machen. Vielleicht mal die Schreihälse ranlassen, aber die lassen sich ja gar nicht erst aufstellen, die machen ja nichts. Sie demonstrieren ja nur. Das sind die Berufsdemonstranten in meinen Augen da, wer will sich da noch hinstellen und den Kopf hinhalten dafür, ne?“

Teilweise wird bspw. kritisiert, dass VertreterInnen der Protestgruppen äußerst rabiat vorgehen würden und nicht in der Lage seien, kritische oder abweichende Meinungen zur Thematik zu akzeptieren. „Also bei mir hat einmal jemand geklingelt an der Haustür und hat dann gefragt, was ich von den Windrädern hier im Wald halte, und ich hab gesagt, ich begrüße das, und dann hat sie gesagt, also das wäre ja wohl das letzte und dann bräuchten wir uns auch gar nicht weiter zu unterhalten und ist gegangen.“

Das Klima vor Ort, das auf diese Weise geschaffen werde, wird als sehr bedrückend beschrieben, weil sich KritikerInnen der Bürgerinitiativen nicht trauen würden, öffentlich ihre Meinung zu sagen – eine Einschätzung, die uns auch bei der Rekrutierung von TeilnehmerInnen für die Gruppendiskussionen mehrfach als Grund für Absagen mitgeteilt worden ist. Die KritikerInnen können somit auch durch ein besonderes Idealbild der politischen Aushandlung charakterisiert werden: Sie wünschen sich einen möglichst konfliktarmen und ruhigen Politikmodus. Politischer Streit oder Aufruhr werden von ihnen insgesamt sehr negativ bewertet. In den konkreten Konfliktverläufen trifft ihre Kritik aber insbesondere die Bürgerinitiativen, weil diese ohne formale Mitspracherechte oft einen besonders konfrontativen, polarisierenden und teilweise auch polemisierenden Politikstil verfolgen würden.

T YP 6: D IE P ROJEKT -B EFÜRWORTER I NNEN Ein Sonderfall der KritikerInnen sind die Projekt-BefürworterInnen: Sie lehnen ein politisches Engagement nicht generell ab, sondern sind im Gegenteil häufig

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in diversen Zusammenhängen selbst aktiv. Was sie allerdings vehement ablehnen, sind die konkreten Aktivitäten und die Ziele der Protestgruppen im jeweiligen Konflikt. Dies kann unterschiedliche Gründe haben; in den untersuchten Themenfeldern war aber relativ häufig der Vorwurf zu hören, dass der politische Protest das übergeordnete Ziel der Energiewende gefährde. Die Projekt-BefürworterInnen sind in diesen Fällen am ehesten bereit, für den als positiv und notwendig erachteten Ausstieg aus der Atomenergie auch individuelle Nachteile in Kauf zu nehmen. In ihrer Kritik an den AktivistInnen knüpfen sie an die spätestens mit den Protesten gegen Stuttgart 21 auch in Deutschland entstandene Debatte um die sogenannten NIMBYs (Not In My Backyard) an. Der Vorwurf: Protestierende würden sich aus egoistischen Motiven heraus gegen eigentlich weithin akzeptierte und notwendige Projekte zur Wehr setzen, häufig bspw., weil sie negative Folgen für ihre eigene Lebensqualität befürchteten. „Und ich denke auch, viele Teilnehmer oder Mitglieder in Bürgerinitiativen kochen auch viel ihr eigenes Süppchen, weil denen privat irgendwas nicht gefällt. Ich denke nur hier an unsere Umgehungsstraße, wie viele sind da reingegangen, weil die betroffen waren, weil sie ihr Haus da irgendwo in der Nähe hatten, nicht? Und dann war die Allgemeinheit, die war egal, ne? Nur ich hab ja mein Haus da, und deswegen will ich nicht, dass das Ding hierher kommt. So wird es viel, und das sind eben auch Leute in Bürgerinitiativen.“

Aktivismus erhält auf diese Weise das Image einer reaktionären Verteidigung von Privilegien, was allerdings von den Projekt-BefürworterInnen zumeist nicht intendiert ist. Sie begegnen den Bürgerinitiativen eher auf einer inhaltlichen Ebene; zum Teil spielen aber auch ganz konkrete Erfahrungen mit den Protestgruppen eine Rolle.

T YP 7: D IE

HEIMLICHEN

AKTIVIST I NNEN

Die heimlichen AktivistInnen sind eine etwas rätselhafte Erscheinung: Sie identifizieren sich mit den Zielen der Protestgruppen, teilen ihre Kritik, verteidigen ihr Vorgehen, argumentieren in ihrem Sinne, kennen AktivistInnen häufig persönlich, treten nach außen oft wie VertreterInnen der Gruppen auf – und sind dennoch nicht selbst in den Bürgerinitiativen engagiert. Im Prinzip sind diese heimlichen AktivistInnen also SympathisantInnen der Protestgruppen – jedoch mit dem Unterschied, es zumindest in einigen Fällen nicht bei reinen Sympathiebekundungen zu belassen. Ein heimlicher Aktivist führt seine Rolle bspw. genauer aus:

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„Ja, aktive Rolle, ähm, ich bin zwar nicht in der Bürgerinitiative drinne, also kein Mitglied, aber ich hab die auch schon unterstützt. Weil ich haargenau der ihrer Meinung auch bin.“

Genau genommen handelt es sich bei diesen heimlichen AktivistInnen also um eine Fehlrekrutierung; denn selbst wenn sie offiziell tatsächlich keine Mitglieder der Gruppen sind, so sind sie dennoch in den Auseinandersetzungen eindeutig aktiv geworden, weshalb sie prinzipiell gar nicht mehr zur Gruppe der Unbeteiligten zu zählen sind. In diesen Fällen wäre die Frage also, weshalb sie sich nicht einfach der Initiative anschließen. Leider liegen uns aufgrund unseres Untersuchungsdesigns nur wenig verlässliche Hinweise vor, die eine Antwort auf diese Frage geben können. Möglicherweise handelt es sich bei den lokalen Initiativen um relativ feste, eingespielte und in gewissem Sinne exklusive soziale Zusammenhänge, die es von außen kommenden Interessierten nicht immer leicht machen, sich fest in die Struktur zu integrieren. Möglicherweise schrecken die heimlichen AktivistInnen aber auch aus eigenem Antrieb vor einem offiziellen Eintritt zurück, weil sie auf diese Weise unabhängig bleiben können, sich nicht hundertprozentig mit der Linie identifizieren müssen und sich auch nach außen nicht für jede Entscheidung der Bürgerinitiative rechtfertigen müssen. In einzelnen Fällen könnte es sich auch um verschwiegene Mitgliedschaften handeln: Indem sich die heimlichen AktivistInnen als inaktiv ausgegeben haben, vermeiden sie in polarisierten Diskussionsrunden die generelle Abwehrhaltung von GegnerInnen der Protestierenden und haben damit eine größere Chance, ihre inhaltlichen Punkte vorzutragen. In einzelnen Fällen könnten auch finanzielle Hürden ein Grund sein: Beispielsweise wollte ein heimlicher Aktivist kein offizielles Mitglied der Bürgerinitiative sein, weil diese kein offizieller Verein sei und er seinen Mitgliedsbeitrag daher nicht steuerlich absetzen könne.

10 „Absolut einseitig orientiert“ oder „Echo der Auseinandersetzung“ Die Rolle der Medien in lokalen Konflikten J ULIA Z ILLES

Proteste stehen in einem stark einseitigen Abhängigkeitsverhältnis zur medialen Berichterstattung. Zumindest, um überregionale Bedeutsamkeit zu erlangen, ist die Aufmerksamkeit der Medien für sie unerlässlich. Diese in der Protest- und Bewegungsforschung vergleichsweise alte Feststellung verdichtet sich in der Aussage von Joachim Raschke: „Eine Bewegung, über die nicht berichtet wird, findet nicht statt“1. Auch Rüdiger Schmitt-Beck formuliert diese Beobachtung sehr anschaulich: „Politischer Protest, über den die Massenmedien nicht berichten, das ist wie ein Baum, der, von niemandem bemerkt, irgendwo im Walde umstürzt.“2 Eine unserer Gesprächspartnerinnen beschreibt dieses Abhängigkeitsverhältnis im Interview folgendermaßen: „[A]lso so ein Aktionismus, der muss da sein, damit man medienpräsent ist, wenn man medienpräsent ist, dann kommt das irgendwie bei Politikern an. […] [D]ie einzige Möglichkeit, irgendwie Druck aufzubauen, ist halt über die Medien, und das finde ich ganz schlimm, weil wir haben eine Demokratie, da müsste ich eigentlich meine[n] Bundestagsabgeordneten […] sagen können, also pass mal auf, das und das finde ich also problematisch. [A]lso die sind ja so für uns, eigentlich von uns als Vertreter gewählt und […] müss-

1

Raschke, Joachim: Soziale Bewegungen. Ein historisch-systematischer Grundriss, Frankfurt a. M./New York 1988, S. 343.

2

Schmitt-Beck, Rüdiger: Über die Bedeutung von Massenmedien für Soziale Bewegungen, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, H. 4/1990, S. 642–662, hier S. 642.

196 | J ULIA ZILLES ten eigentlich auf uns auch reagieren, wenn wir uns angemessen verhalten, es geht mir [nicht] darum, jemanden zu beschimpfen oder irgend ’ne Schuldzuwendung dem zu geben, sondern es geht ja darum, wir wollen gemeinsam irgendwas Gutes für das Land.“

Dieses Beispiel zeigt, dass sich die Engagierten zwar einerseits des Abhängigkeitsverhältnisses bewusst sind, andererseits aber den direkteren Weg über politische RepräsentantInnen als sinnvoller und auch demokratisch legitimer erachten. Trotzdem spielen sie das Spiel der Medienlogik mit. Die von uns befragten AktivistInnen empfinden mediale Berichterstattung über die eigenen Aktionen, gerade zu Beginn der Proteste, überwiegend als wichtig. „Wir mussten uns ja erstmal an die Oberfläche spülen, dafür brauchten wir auch die Presse und das Fernsehen.“ Man müsse den Medien interessante und neuartige Informationen und Aktionen anbieten, so ein Mitglied einer Bürgerinitiative: „Wenn die [Anm. d. Verf.: Presse und BIs] miteinander gut können, dann ist das ein ganz starker Faktor. Das ist eigentlich, die alleine ohne die, dass wird nix, ne. […] [D]ie werden’s ja auch leid, wenn sie immer dieselben Bilder haben, ne. Die wollen ja auch mal was Neues und ne, und da muss man sich wirklich Gedanken machen. Das ist unsere Aufgabe. Wirklich nicht die Presse auf Knien zu bitten, sondern, ‚das muss so sein!‘, ‚oh, das wird wieder interessant, wenn die was machen‘, ‚das wird, da müssen wir hin! Da müssen wir hin!‘.“

Dieses Verständnis entspricht der Selektionslogik der Nachrichtenwerttheorie.3 Deren Ansatz nach orientieren sich Medien immer stärker an sogenannten Nachrichtenwertfaktoren4: etwa Spektakel, Konflikt, Drama, Prominenz.5 Nur Ereignisse, die diese Kriterien erfüllen, werden in die Berichterstattung aufgenommen; andere schaffen es dagegen nicht an den Gatekeepern, den Journalisten, 3

Zur Nachrichtenwerttheorie siehe ausführlich Maier, Michaela/Stengel, Karin/Marschall, Joachim: Nachrichtenwerttheorie, Baden-Baden 2010.

4

Maier et al. weisen darauf hin, dass zwischen Nachrichtenfaktoren und Nachrichtenwert zu unterscheiden sei. Unter Nachrichtenfaktoren werden Ereignismerkmale verstanden, „die Journalisten bei ihrer Entscheidung, ob und mit welcher Aufmerksamkeit sie über Ereignisse berichten, maßgeblich beeinflussen“ (Maier et al.: Nachrichtenwerttheorie (2010), S. 18). Der Nachrichtenwert eines Ereignisses ergebe sich hingegen aus der „Kombination und Intensität“ der Nachrichtenfaktoren (vgl. ebd., S. 19).

5

Vgl. Rucht, Dieter: Politische Öffentlichkeit – Alles in Ordnung?, in: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen, Jg. 23 (2010), H. 3, S. 8–17.

10 DIE ROLLE DER M EDIEN

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vorbei. OrganisatorInnen von Protesten reagieren darauf, indem sie sich zunehmend an der sensationalistischen Funktionslogik der Massenmedien ausrichten.6 Proteste liefern zunächst wichtige Rohstoffe für die alltägliche Medienöffentlichkeit, da sie zum einen Neuigkeiten bieten und zum anderen Themen meist spektakulär und somit „mediengerecht“ artikulieren. Wenngleich der lokalen Berichterstattung von den unterschiedlichen AkteurInnen für die jeweiligen Konflikte eine größere Bedeutsamkeit beigemessen wird („[a]m wichtigsten sind die lokalen Medien“), empfinden gerade die AktivistInnen der Bürgerinitiativen es als großen Erfolg, wenn sie es mit ihren Aktionen in die überregionalen Medien „schaffen“. Dieser Aspekt ist bereits in der ersten Gesellschaftsstudie des Göttinger Instituts für Demokratieforschung beschrieben worden.7 Auch für PolitikerInnen ist wichtig, wie sie in der Presse dargestellt werden: „[F]aktisch ist es so, dass jeder Minister und Ministerpräsident guckt, dass, sagen wir mal, was wird da geschrieben über mich und über meine Regierung, mein Ministerium oder so etwas. Also wird man die Presse immer fair behandeln. Die Presse spielt insofern ’ne große Rolle, weil die veröffentlichte Meinung schon im Kern eigentlich auch die öffentliche Meinung repräsentiert.“

Ein Teilnehmer der Fokusgruppen hält zusammenfassend fest: „Wir leben in einer Mediengesellschaft.“ Der Blick auf und die Erwartungen an die lokalen Medien unterschieden sich zwischen unseren GesprächspartnerInnen stark. Im Folgenden werden daher vier verschiedene Medienbilder der AkteurInnen herausgefiltert und vorgestellt sowie die besondere Rolle von Leserbriefen diskutiert.

6

Als „Paradebeispiel“ für den Umgang mit den Medien und die Anpassung an die Selektionsmechanismen der Medien wird in der Literatur immer wieder Greenpeace genannt; vgl. etwa Baringhorst, Sigrid: Politischer Protest im Netz – Möglichkeiten und Grenzen der Mobilisierung transnationaler Öffentlichkeit im Zeichen digitaler Kommunikation, in: Marcinkowski, Frank/Pfetsch, Barbara (Hrsg.): Politik in der Mediendemokratie, Wiesbaden 2009, S. 609–634, hier S. 610; Schmitt-Beck: Bedeutung von Massenmedien (1990), S. 651.

7

Walter, Franz: Bürgerlichkeit und Protest in der Misstrauensgesellschaft. Konklusion und Ausblick, in: ders./Marg, Stine/Geiges, Lars/Butzlaff, Felix (Hrsg.): Die neue Macht der Bürger. Was motiviert die Protestbewegungen?, Reinbek bei Hamburg 2013, S. 301–343, hier S. 322 f.

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10.1 M EDIENBILDER DER AKTEUR I NNEN Das Verhältnis zwischen den einzelnen AkteurInnen und den Medien ist ambivalent. Es erscheint paradox: Auf der einen Seite wird die Lokalpresse als qualitativ schlecht und mit geringer Reichweite beschrieben; andererseits wird ihr eine hohe Bedeutung beigemessen und die Berichterstattung vor Ort als Erfolg gewertet. Einige AktivistInnen verfügen selbst über einen journalistischen Hintergrund. Gleichzeitig sehen sie Medien aber sehr kritisch und begegnen ihnen mit Misstrauen. So betont eine Bürgerinitiative, dass man aufgrund negativer Erfahrungen vor einer Zusammenarbeit genau prüfe und nur für ausgewählte Medienformate zur Verfügung stehe: „Allerdings haben wir uns als Bürgerinitiative, auch da eine Entscheidung getroffen, dass wir unseriöse Fernsehsendungen nicht mehr unterstützen, weil tatsächlich halte ich die für so oberflächlich, teilweise für so tendenziös in ihren Aussagen, dass ich jedes Mal Bauchschmerzen hatte danach und wir uns alle geärgert haben, wie verdreht die Dinge dargestellt wurden, die eigentlich einen sehr sachlichen Hintergrund hatten, aber wie daraus eine völlig tendenziöse Geschichte entwickelt wurde, und meine Haltung zum Fernsehen hat sich sehr verändert. Es gibt nur ganz wenige […] Formate, wo ich bereit wäre, nochmal mich zu zeigen oder wo wir als Bürgerinitiative uns zeigen, und bei der Presse bin ich mittlerweile auch vorsichtig. Deswegen, die kriegen von uns auch Pressemitteilungen.“

Ein Bürgermeister, der den Bau eines Windparks maßgeblich vorangetrieben hat, beschreibt seinen Vertrauensverlust in die Presse: „Die Presse, ich mein, ich kenn die Presse jetzt seit Jahrzehnten. Ich arbeite ja mit denen zusammen, aber die Presse hat bei mir in dem Zusammenhang nicht gewonnen. Von Ukraine und ISIS und dem ganzen Scheiß, nix glauben, stimmt nix.“

An diesem Beispiel stellt sich die Frage, worin dieses Misstrauen eigentlich gründet. Sind die AkteurInnen aufgrund negativer Erfahrungen misstrauisch? Oder trifft die Medien pauschalisierte Kritik und Schelte, die mehr und mehr zum scheinbar guten Ton gehören? Die meisten AkteurInnen, mit denen wir gesprochen haben, weisen ein sehr negatives Medienbild auf. Sie werfen der Berichterstattung Einseitigkeit vor – erstaunlicherweise wird häufig denselben Zeitungen mit Blick auf dasselbe Thema von unterschiedlichen Seiten unterstellt, dass sie parteiisch seien. Trotzdem gehen die AkteurInnen überwiegend davon aus, dass sie die Medien in ihrem Sinne

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für Öffentlichkeitsarbeit nutzen können. Insbesondere die Lokalpresse wird teilweise harsch kritisiert: Sie sei unprofessionell und qualitätsarm. Dennoch sind die Erwartungen an Qualität, Umfang und Intensität der Berichterstattung ausgesprochen hoch. Die Lokalmedien gelten als Ort, an dem der Konflikt ausgetragen wird: „Die Auseinandersetzungen sind in der Regel über die Zeitungen, über die Medien gelaufen.“ Wenngleich pauschal negative Zuschreibungen mit Blick auf die (Lokal-)Medien dominieren, lassen sich doch vier verschiedene Medienbilder erkennen, die nicht einzelnen Akteursgruppen zuzuordnen sind, sondern bei allen AkteurInnen auftreten. A) Das Idealbild – Lokalmedien als neutrale Vermittler Die Lokalmedien sollen in den lokalen Konflikten neutrale Vermittler und Moderatoren sein – so lassen sich zumindest die Idealvorstellung von und der Anspruch an Medien fassen. Medien müssten in den Augen der Befragten ein „Echo“ der Auseinandersetzung sein, sollten informieren und im Konflikt ohne direkte Einflussnahme vermitteln, kurz: Die Presse habe die Aufgabe, „diesen Diskurs darzustellen“ und den „Streit zu moderieren“. Die journalistische Berichterstattung gehöre zur „Transparenz der Maßnahmen“, so ein projektverantwortlicher Politiker im Interview. Die Medien seien ein „Instrument“, das allen AkteurInnen gleichermaßen zur Verfügung stehe. Dieses Medienbild scheint aber mehr eine Idealvorstellung als realistische Einschätzung der Rolle der Presse zu sein, wie die folgende Antwort eines Gesprächspartners auf Landesebene auf die Frage, welche Rolle die Presse spielt, veranschaulicht: „[…] Sie [die Presse, Anm. d. Verf.] darf ja eigentlich kein Einflussfaktor sein, [keine] reelle Rolle spielen, tut sie wahrscheinlich doch in vielen Fällen, aber darf sie ja eigentlich nicht. Aber sie ist das Instrument, mit dem alle Beteiligten ihre Interessen auch öffentlich kundtun können. Also wir, aber auch die BIs, die Verbände, die Bürgerinnen und Bürger, ob mit Leserbriefen oder ähnliches, aber natürlich auch die Regionalplanung. Eigentlich sind die Medien […] in der Rolle, dass sie eben die Darlegung nach außen für alle Beteiligten ermöglichen.“

Die Presse soll, vor allem aus der Perspektive der Unternehmen, die Projekte kleinschrittig begleiten und über die einzelnen Projektetappen und -entscheidungen berichten.

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B) Lokalmedien als Stimmungsmacher Medien wird die Macht zugeschrieben, Einfluss auf die gesellschaftliche Stimmung zu nehmen. Das wird je nach Sichtweise positiv oder negativ beurteilt. Einige GesprächspartnerInnen unterstellen der Bevölkerung, dass sie blind alles glaube, was in den Medien berichtet werde. Der Umgang mit dem Film „Gasland“8 kann hier sicherlich als herausragendes Beispiel betrachtet werden; Bezüge tauchen in vielen Gesprächen auf. Einerseits wird es als positiv betrachtet, dass der Film zu einer Polarisierung des Themas beigetragen habe; andererseits wird kritisiert, dass etwa durch das Bild eines brennenden Wasserhahns Ängste geschürt würden. Aber auch auf lokaler Ebene betreiben die Medien in den Augen einiger unserer GesprächspartnerInnen „öffentliche Meinungsmache, öffentliche Meinungspushe“. Die Medien würden den Konflikt überspitzen und überzeichnen sowie Ängste zusätzlich befeuern. Daneben gebe es die „leidige Tendenz […], die Bürger einfach nur als Wutbürger darzustellen“. Alle AkteurInnen werfen der Presse einseitige und parteiische Berichterstattung vor. So behauptet etwa einer der interviewten Bürgermeister, dass die lokale Presse die Gegner unterstütze („Wiewohl ich sowieso der Überzeugung bin, dass mehr Leute dafür sind als dagegen, man hört nur immer von den Gegnern, weil die sehr gut organisiert sind, und auch die Unterstützung der Presse haben“), während die Gegenseite behauptet, dass die Presse von Windkraftunternehmen unterwandert und gekauft sei. Teilweise wird den Medien eine direkte Abhängigkeit von der Wirtschaft unterstellt – bspw. gebe es einen ehemaligen „Presseonkel“ einer Firma, der nun bei der Regionalzeitung „Journalistenworkshops zum Thema Energiewende“ anbiete. Immer wieder wird ein generelles Misstrauen geäußert, dass sich auch gegen die Presse richtet. Eine Aktivistin einer Bürgerinitiative fasst dieses Unbehagen in Worte: „[I]ch verlasse mich nicht mehr auf die Presse. Ich glaube, da hat sich viel verändert. Ich erlebe das nicht mehr als objektiven Journalismus, sondern er ist auch an dieser Stelle absolut einseitig orientiert.“

Zum selben Sachverhalt kommentiert ein (befürwortender) Bürgermeister: „Auch die Medien sind natürlich hier ganz stark, ja, kontra.“ Und ein anderer sieht in „dieser unfairen Berichterstattung“ den größten Gegner. Ein Ge8

Der Trailer des einflussreichen US-amerikanischen Dokumentarfilms kann abgerufen werden unter URL: https://www.youtube.com/watch?v=YmB0iTfug_g [eingesehen am 19.10.2016].

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sprächspartner verwendet gar den Begriff der „gleichgeschalteten“ Presse. Einige DiskutantInnen vertreten die Auffassung, dass die Proteste „in der Presse häufig komplett überzeichnet“ würden. Bisweilen schreiben sie den Medien einen ebenso großen Einfluss auf die Stimmung vor Ort zu wie den Bürgerinitiativen. Ein Vertreter einer Bürgerinitiative äußert die Erwartung, dass die Presse ihr Anliegen unterstützen müsse: „[D]ie Presse bringt dann auch immer ’nen bisschen was […], aber so richtig positiv verstärken die uns nicht.“ Teilweise wird die Sichtweise der Medienberichterstattung als höchst einflussreicher Faktor aber auch relativiert: „Am Ende wird das aber, sowohl was den Entscheidungsprozess, als auch die Akzeptanz vor Ort angeht, nur ein Bestandteil sein. Es wird auch nicht mal der entscheidende Bestandteil sein. Weil sag ich mal, ausgewiesene und ganz festgezurrte Gegner gegen diese Trassierung, die werden sich durch Berichterstattung in der Zeitung so wenig überzeugen lassen, wie die Bundesnetzagentur plötzlich sagt, also jetzt hab ich die HNA gelesen, jetzt weiß ich, dass das alles falsch ist. Also das wird beides natürlich nicht passieren, ja. Öffentliche Meinung is’ in dem Prozess der Artikulation von kritischen Dingen, spielt ’ne Rolle, aber ich hab ’se, glaub ich, auch erst in dem äußeren Kreis [Anm. d. Verf.: mit geringem Einfluss auf die Entscheidung].“

C) Lokalmedien als manipulierbare und inkompetente Anzeigenblätter Gerade mit Blick auf die in unseren Fällen besonders relevanten lokalen Medien wird kritisiert, dass diese nicht investigativ arbeiten und Stimmungen, insbesondere negative, unkritisch transportieren würden. In den Lokalredaktionen fehle es an der notwendigen Kompetenz, um solch komplexe Themen wie etwa Fracking, den Bau von Stromtrassen oder Windrädern überhaupt sachlich zu verstehen und entsprechend darzustellen: „Es ist halt so, dass bei den Medien durch die Bank eigentlich der naturwissenschaftliche Sachverstand nicht so hoch ist, vor allem bei den Lokalmedien, sind halt Menschen aus dem geisteswissenschaftlichen Bereich, die dort schreiben. Und deswegen holen sie sich in technischen Fragen, wenn sie das vernünftig machen wollen, häufig von uns eben auch die Informationen, Megawatt-sonstirgendwas-Leistung der Anlagen.“

Die UnternehmensvertreterInnen gehen offen damit um, dass sie sich der Presse „als Fachleute einfach auch anbieten“. Damit wolle man vorbeugen, dass „Sachverhalte komplett falsch“ dargestellt würden. Die Redaktionen seien aus

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wirtschaftlichen Gründen „ausgeblutet“, nun hätten „Leute da das Ruder übernommen, die die journalistische Basisausbildung gar nicht haben“. Der Presse wird zudem vorgeworfen, dass sie nicht investigativ und überwiegend im Rückblick berichte: „[I]m Grunde ist es so, dass die Presse eigentlich nur noch nachbereitend … […] Nicht vorinformierend, ja? Das ist ’n typisches Merkmal der [Regionalzeitung], dass eigentlich die meiste Berichterstattung nachbereitend ist, wenn’s Kind schon in den Brunnen gefallen ist, dann wird’s eifrig diskutiert, wie’s dazu kommen konnte.“

Diese Kritik wird noch gesteigert: Die Lokalmedien orientierten sich in ihrer Berichterstattung zuvorderst daran, was ihre lokalen AnzeigenkundInnen und AbonnentInnen lesen wollten; „da schaut man schon nach dem Schinken und nach der Wurst, wie man und wenn man schreibt“. Des Weiteren kritisieren sowohl die AktivistInnen als auch VertreterInnen von Unternehmen sowie die Unbeteiligten die geringe Auflagenstärke und Reichweite der Lokalzeitungen. So sei zum Teil trotz intensiver und kontinuierlicher Berichterstattung über ein Projekt der Informationsstand vor Ort gering. Viele Betroffene interessieren sich gerade in den Augen der UnternehmensvertreterInnen erst für die Thematik, wenn erste Bauschritte sichtbar werden. In den Augen vieler GesprächspartnerInnen erfüllt die Presse ihre Funktion, die BürgerInnen umfassend zu informieren, nur unzureichend. D) Lokalmedien als PR-Werkzeug Einige unserer GesprächspartnerInnen beschreiben die Presse als Plattform für „Lobbyarbeit“. Nicht nur die von uns befragten Unternehmen nutzen die Lokalmedien für ihre PR-Arbeit; auch alle anderen AkteurInnen erwarten und sehen nichts Bedenkliches daran, dass ihre eigenen Pressemitteilungen möglichst wortgetreu veröffentlicht werden. „Ich benutze die Presse immer, wenn es geht. Naja, nee, wir haben natürlich Pressemitteilungen gemacht, die wurden auch in der Regel abgedruckt“, äußerte sich etwa ein Ortsbürgermeister im Interview. Mit Blick auf die gegnerische Seite kritisieren die AkteurInnen aber eben genau dieses unkritische Abdrucken von Statements. Diese paradoxe Argumentation wird nicht hinterfragt. Insbesondere auch die Bürgerinitiativen versuchen, Medienberichterstattung strategisch in ihrem Sinne einzusetzen. Die Presse soll grundsätzlich über die je eigenen Aktionen und Inhalte sehr ausführlich berichten. So beschwerte sich ein Mitglied einer Bürgerinitiative darüber, dass es einen Zeitungsartikel über seinen Vortrag zu

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kurz finde, „so’n kleiner Artikel zu ’ner Viertelstunde Vortrag über die ganze Problematik, also das ist lächerlich. Die [Regionalzeitung] (3) naja, die könnte besser informieren.“ Weil man von der lokalen Presse enttäuscht sei, verfolgte eine von uns untersuchte Bürgerinitiative die Strategie, sich direkter an die überregionale und auch internationale Presse zu wenden. So wurde eine Bundespressekonferenz organisiert, die im Rückblick sehr positiv bewertet wird, da sie, so einer der Organisatoren, zu einem inhaltlichen Umschwung der nationalen und internationalen Berichterstattung zum Thema Windkraft geführt habe. Auch hier wird die Erwartungshaltung, dass die lokalen Medien eigentlich im Sinne der je eigenen Interessen berichten müssten, deutlich: „Das war halt unsere Gegenwehr und wenn die heimischen Medien nicht mitspielen, dann machen wir das eben mit Al Jazeera, ja, dann sollen eben von rund um den Globus, sollen eben mal alle wissen, wo der Soonwald ist und was hier für Verhältnisse sind, ja.“

10.2 L ESERBRIEFE ALS D ISKURSFORUM FÜR LOKALE AUSEINANDERSETZUNGEN Leserbriefe erscheinen als das zentrale Diskursforum für den lokalen Konflikt; in vielen verschiedenen Gesprächen wird auf die Bedeutung dieses Mediums verwiesen.9 Diese hohe Relevanz von Leserbriefen hat sich bislang allerdings kaum in der medienwissenschaftlichen Forschung widergespiegelt.10 Wilke begründet diese Leerstelle mit der in der Kommunikationswissenschaft populären Lasswell-Formel: So habe sich die publizistikwissenschaftliche Forschung „für die Kommunikatoren, die (Medien-)Inhalte und (Medien-)Wirkungen, kaum aber für

9

Die BI Windkraftfreier Soonwald sammelt in einer eigenen Rubrik auf ihrer Website Leserbriefe, die in der Regionalzeitung veröffentlicht worden sind; siehe URL: http:// www.windkraftfreier-soonwald.de/leserbriefe/ [eingesehen am 19.10.2016].

10 Ausnahmen bilden z. B. folgende Arbeiten: Chmielewski, Daniel: Lokale Leser, lokale Nutzer. Informationsinteressen und Ortsbindung im Vergleich. Eine crossmediale Fallstudie, Köln 2011; Heupel, Julia: Der Leserbrief in der deutschen Presse, München 2007; Mlitz, Andrea: Dialogorientierter Journalismus. Leserbriefe in der deutschen Tagespresse, Konstanz 2008; Plaikner, Antje: Lesernähe: Modell und Instrument für regionale Tageszeitungen, Baden-Baden 2013 oder Sehl, Annika: Partizipativer Journalismus in Tageszeitungen. Eine empirische Analyse zur publizistischen Vielfalt im Lokalen, Baden-Baden 2013.

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die Feedbackmöglichkeiten im Prozess der Massenkommunikation interessiert“11. Leserbriefe gelten als „[b]eliebt beim Leser, verhasst in der Redaktion“12. Einerseits werden sie als Forum der GegnerInnen und als Protestmedium beschrieben („Die Gegner machen sich […] lautstark auch mit Leserbriefen bemerkbar, aber das bedeutet nicht, dass das die Mehrheit ist.“); andererseits setzen in den von uns betrachteten Konflikten mitunter auch PolitikerInnen Leserbriefe ein – wenngleich diese als geeignetes Forum zur Konfliktaustragung als wenig zielführend kritisiert werden: „Leserbriefe, viele Leserbriefe aber auch oft von gleichen Personen [sind] dort veröffentlicht worden und ja wir hatten auch mal, ich hab mal sogar selbst auch mal einen Leserbrief erklärend geschrieben, aber ansonsten haben wir uns da jetzt an diesen Auseinandersetzungen weniger beteiligt. Weil das, sag ich mal, es ist jetzt nicht unbedingt das Forum, wo man solche Sachverhalte diskutiert, sondern dann mach ich lieber ’ne Versammlung oder irgendwas und erklär’s direkt, als wenn man halt auf einen Leserbrief wieder einen Gegenbrief schreibt und kriegt dann wieder einen. Das ist, denke ich, nicht so zielführend.“

Auch von den Unbeteiligten werden Leserbriefe ins Gespräch gebracht; einige haben bereits selbst welche verfasst. Leserbriefe werden als Gradmesser für die Intensität der Proteste und der Diskussionen vor Ort betrachtet („Im RheinHunsrück-Kreis ist der Protest durchaus spürbar, er äußert sich vielleicht nicht in Demonstrationen, aber wenn Sie die Zeitung lesen, die Leserbriefe kontra sind, also würd’ ich mal sagen, zu neun Zehnteln überwiegen die. Also, da traut sich auch kaum noch jemand, etwas dafür zu sagen.“) oder aber als Druck- und Protestmittel verstanden („Die haben schon richtig Angst, gell. Also, das seh’ ich daran, wenn bestimmte Leute von uns einen Leserbrief schreiben, dann geht der sofort in den internen Verteiler des Umwelt- und des Wirtschaftsministeriums.“). Bei der Lektüre der Leserbriefe merke man, „dass die Diskussion so langsam hochfährt“. Leserbriefe scheinen in den untersuchten Regionen zudem Funktionen im Diskurs zu übernehmen, die anderenorts und zu anderen Themen vielfach online stattfinden. Auf zum Teil reißerische Kommentare folgen direkte Gegenkommentare. Die Texte werden mit Klarnamen veröffentlicht, viele AutorInnen sind lokal bekannt und äußern sich immer wieder. Vereinzelt wird der

11 Wilke, Jürgen: Vorwort, in: Heupel, Julia: Der Leserbrief in der deutschen Presse, München 2007, S. 7–10, hier S. 7. 12 Mlitz: Dialogorientierter Journalismus (2008), S. 13.

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Vorwurf laut, Leserbriefe würden von den Redaktionen manipuliert, zensiert oder unter Verschluss gehalten und erst auf Nachfrage veröffentlicht. „Ich würd’ gern mal sehen, mal sagen, die Leserbriefe, die so geschrieben werden, ja, wie [die] nachher von der Presse umgeswitcht werden. Das wär manchmal interessant zu sehen, gell?“

Andererseits wird zum Teil auch auf die moderierende Funktion der Presse verwiesen und ein gemäßigtes Diskussionsniveau eingefordert. Ein persönlich in einem Leserbrief angegriffener und als „Verbrecher“ beschimpfter Politiker äußert sich wie folgt: „[D]as hat mich schon … da hab ich schon mit der Presse gesprochen, es kann nicht sein, dass ihr so ’nen Leserbrief veröffentlicht! Das muss eben eine Art, ein Niveau der Diskussion geben, wo es zu viel ist, ne. Meine Mitarbeiter machen ihren Job. So.“

Resümierend lässt sich zur Rolle der Medien festhalten: In unseren lokalen Konfliktfällen spielt mediale Berichterstattung zwar eine Rolle; aber bei Weitem nicht alle Aktivitäten der GegnerInnen sind davon abhängig. Daher trifft in diesen Fällen die Feststellung von Joachim Raschke, dass Protest nur dann stattfinde, wenn darüber berichtet werde, nur bedingt zu. Denn das Handlungsrepertoire lokaler Initiativen ist weit umfassender als typische Protestaktionen wie etwa Demonstrationen (siehe ausführlich hierzu Kapitel 5).13 Gerade Aktionen wie die direkte Beratung von Politikern oder das Verfassen wirksamer rechtlicher Gutachten sind nicht auf die Vermittlungsleistung der Medien angewiesen. Dennoch bieten Medien einen Debattenraum für die Austragung des Konflikts – sowohl durch die eigentliche Berichterstattung als auch durch das vielfach genutzte Format der Leserbriefe.

13 Vgl. auch Zilles/Schwarz: Bürgerproteste gegen Windkraft (2015).

11 „Ich kann einfach nicht mehr vertrauen.“ Demokratie- und Legitimitätsvorstellungen S TINE M ARG

Die Frage, wie die hier von uns untersuchten AkteurInnen die gegenwärtige Ausgestaltung der bundesrepublikanischen Demokratie beurteilen, war im vorliegenden Projekt kein Forschungsschwerpunkt. Wir haben in den Interviews und Fokusgruppen die Beteiligten – anders als bei ähnlich ausgerichteten Forschungsprojekten bisher – auch nicht dezidiert gefragt, was ihnen Demokratie bedeutet oder was sie sich unter diesem voraussetzungsreichen, mehrdeutigen und aufgeladenen Begriff vorstellen. Dennoch: Legt man eine Minimaldefinition des modernen prozeduralen Demokratiebegriffs, dessen zentraler Wesenskern Legitimation und Partizipation umfasst,1 den folgenden Betrachtungen zugrunde, lassen sich aus den von uns erhobenen Daten, also den halbstandardisierten Interviews und leitfadengestützten Fokusgruppen, durchaus zahlreiche Imaginationen, Erwartungen und Beurteilungen der befragten AkteurInnen hinsichtlich Demokratie dechiffrieren. Denn wenn Demokratie einen geteilten Aushandlungsmodus des gesellschaftlichen Zusammenlebens meint, wenn Demokratie als Prozess ergebnisoffen ist und immer wieder neu verhandelt werden muss, können die hier untersuchten Planungs- und Beteiligungsverfahren in den einzelnen Konflikten um Bohrlöcher, Stromtrassen und Windkraftanlagen als exemplarische Methoden und Instrumente praktizierter Demokratie betrachtet werden. Dies gilt umso 1

Vgl. exemplarisch Salzborn, Samuel: Demokratie. Theorien, Formen, Entwicklung, Baden-Baden 2012, S. 20. Hier soll die prozedurale Definition der Demokratie im Vordergrund stehen, also die „Methode zur Entscheidungsfindung und Herrschaft auf Zeit“; Nolte, Paul: Was ist Demokratie? Geschichte und Gegenwart, München 2011, S. 288.

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mehr vor dem Hintergrund, dass die individuelle staatsbürgerliche Orientierung nicht nur durch die Milieuzugehörigkeit, den Lebensstil und die Einflüsse in Kindheit und Jugend, sondern auch durch das Leben und die Erfahrungen in der Kommune, der Gemeinde vor Ort – und eben durch die dort erlebten politische Auseinandersetzungen – geprägt wird.2 Indem hier die Einstellungen und Legitimitätsmuster aller AkteurInnen – also der unbeteiligten Bevölkerung, der ProtestträgerInnen, der Kommunal- und LandespolitikerInnen, der VerwaltungsmitarbeiterInnen und der ausführenden Unternehmen – im Zusammenhang mit dem Prozess vor Ort analysiert werden, lassen sich (in begrenztem Maße) auch Folgerungen über deren Verständnis von Demokratie ziehen. Dabei soll nicht geleugnet werden, dass staatsbürgerliche Orientierungen und Legitimierungsprozesse komplexe Einstellungsmuster sind, die sich in einem langjährigen Prozess unter den verschiedensten Einflussfaktoren herausbilden. Eben diese Muster werden jedoch aufgrund des Engagements im Konflikt herausgefordert und reflektiert, können mithin qualitativ erfasst werden. Dabei wird Legitimität hier nicht einseitig als Vertrauen oder Akzeptanz der Bevölkerung in bzw. von Institutionen und PolitikerInnen begriffen, sondern als wechselseitiges Verhältnis zwischen den BürgerInnen als „Subjekten der Legitimität“ und der „Staatsgewalt als Legitimitätsobjekt“ – also als Relation zwischen den individuellen normativen Standards auf der einen und der politischen Performanz auf der anderen Seite.3 Legitimität als „Anerkennungswürdigkeit“4 gerät seit einigen Jahren verstärkt unter Druck. Das gilt umso mehr für demokratiebezogene Legitimitätsmuster. Nicht nur in der theoretischen Diskussion wurde in den letzten Jahren ein Legitimitäts- bzw. ein Demokratiedefizit, das mit dem von Colin Crouch geprägten Begriff der Postdemokratie vielfach beschrieben worden ist und als „Verschlechterung konventioneller Partizipation und Repräsentation“5 zusammengefasst werden kann. Auch in der empirischen Forschung wird in den Wor2

Zur Prägung durch die Kommunen vgl. Vetter, Angelika: Lokale Politik und die Sozialisation demokratischer Einstellungen in Europa, in: Politische Vierteljahresschrift, Jg. 42 (2002), H. 4, S. 606–623, hier S. 606 f.

3

Patberg, Markus: Zwei Modelle empirischer Legitimitätsforschung – Eine Replik auf Michael Zürns Gastbeitrag in der PVS 4/2011, in: Politische Vierteljahresschrift, Jg. 54 (2013), H. 1, S. 155–172, hier S. 161.

4

Zürn, Michael: Perspektiven des demokratischen Regierens und die Rolle der Politikwissenschaft im 21. Jahrhundert, in: Politische Vierteljahresschrift, Jg. 52 (2011), H. 4, S. 603–635, hier S. 606.

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Merkel, Wolfgang: Nur schöner Schein? Demokratische Innovationen in Theorie und Praxis, OBS Arbeitshefte, Frankfurt a. M. 2015, S. 17.

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ten von Pippa Norris ein „Democratic Deficit“ und damit ein Legitimationsdefizit, also eine Lücke zwischen den Erwartungen der BürgerInnen und ihrer Zufriedenheit mit der Performanz des politischen Systems, konstatiert. Als Ursachen gelten oftmals die steigenden öffentlich formulierten Erwartungen der BürgerInnen, eine negative mediale Berichterstattung über Politik und PolitikerInnen sowie eine vermutete Absenkung der Regierungseffizienz bzw. des Outputs.6 Dabei stellt sich die Frage, was im öffentlichen Raum zwischen den „Autoritätsausübenden“ und den „Autoritätsunterworfenen“7 tatsächlich passiert. Welche normativen Standards legen die Legitimationssubjekte ihrer Bewertung zugrunde, was können Quellen der Legitimität sein bzw. welche Art von Legitimität wird eingefordert? Gilt auch gegenwärtig noch die klassische Unterscheidung zwischen Input- und Output-Legitimation oder finden sich andere Legitimationsmuster? All das soll im Folgenden für die einzelnen Akteursgruppen dargelegt werden. Recht eindeutig lässt sich der Standpunkt der Unternehmen, also der Vorhabenträger, innerhalb des Konfliktfelds beschreiben: Sie verlangen stabile rechtsstaatliche Verfahren und geregelte Rahmenbedingungen. Politische Diskussionen sollten sachlich und unaufgeregt geführt werden, die Wünsche der Bevölkerung durch PolitikerInnen aufgenommen, entschieden oder an nächsthöhere Instanzen weitergegeben werden. Da die Bauvorhaben im Zuge der Energiewende immense Veränderungen der lokalen Räume, also unmittelbare Auswirkungen für AnwohnerInnen, bedeuten, leugnet kein(e) UnternehmensvertreterIn die Notwendigkeit von Bürgerbeteiligung. Dennoch begreifen sie es nicht als ihre Aufgabe, die verschiedenen Meinungen zu bündeln und in einen Kompromiss zu übersetzen. Die Einbeziehung der BürgerInnen müsse der Staat leisten. Sie selbst übernehmen diese Aufgabe nur dann – und dies meist etwas widerwillig –, wenn die Politik dafür keine Strukturen bereitstellt und die BürgerInnen Mitbestimmung einfordern. Das einzige, was sie erreichen wollen, ist Akzeptanz, also eine Beteiligung der BürgerInnen mit dem Ziel der Konfliktbefriedung. Die Bürgerbeteiligung ist ihnen kein Wert an sich; ihnen geht es ausschließlich um das Ergebnis des Prozesses. Auch daher sind für sie Fragen nach direkten oder indirekten, offenen oder fairen Partizipationsverfahren nachrangig. Die befragten UnternehmensvertreterInnen befürworten eine parlamentarische und repräsentative Demokratie. Direktdemokratische Elemente lehnen sie hingegen aufgrund der Möglichkeit per6

Siehe Norris, Pippa: Democratic Deficit. Critical Citizens Revisited, Cambridge 2011, S. 169 f.

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Zürn, Michael: „Critical Citizens“ oder „Critical Decisions“ – Eine Erwiderung, in: Politische Vierteljahresschrift, Jg. 54 (2013), H. 1, S. 173–185, hier S. 177 f.

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manenter Revisionen einmal getroffener Entscheidungen ab. Darin sehen sie lediglich Handlungsunfähigkeit, Planungsunsicherheiten und finanzielle Risiken. Demokratie bedeutet ihnen beinahe ausschließlich eine kalkulierbare Rechtssicherheit, die einen Rahmen für ihr Handeln schaffen soll.8 Sie reduzieren somit die Demokratie einzig auf die Output-Parameter Stabilität und Verlässlichkeit. Obgleich die Unternehmen Legitimitätszweifel an geltenden Verfahren mit großem Unverständnis betrachten, stoßen tatsächlich genau jene Prozesse bei den meisten anderen AkteurInnen auf harte Kritik. Wie die Energiewende als ein von der Mehrheit getragenes politisches Projekt in der Fläche praktisch umgesetzt wird, stößt bei vielen Beteiligten auf Ablehnung oder zumindest Unbehagen. Die Verfahren seien keinesfalls so beschaffen, dass sie umfängliche Berücksichtigung und hinreichende Partizipation aller Betroffenen ermöglichten. Vielmehr seien sie unfair organisiert und drückten Vorgaben von oben nach unten durch, statt die Wünsche von unten nach oben aufzunehmen. Jedoch wird nicht nur der Prozess, sondern auch dessen Ergebnis kritisiert und abgelehnt. Hier ist also ein Defizit sowohl der Input- als auch der Output-Legitimation feststellbar. Die involvierten ProtestakteurInnen und BürgerinitiativlerInnen mag diese Tatsache kaum überraschen. Für sie ist die Energiewende ein in Berlin geplantes Projekt, das ohne Rücksicht auf die Bevölkerung vor Ort umgesetzt, oder, um es mit ihren Worten zu formulieren, den BürgerInnen „übergestülpt“ und „durchgedrückt“ werde. Die Praxis umschreiben sie mit den Begriffen „Planwirtschaft“ und „Ermächtigungsgesetz“. In den von ihrer Ansicht nach unfähigen PolitikerInnen beschlossenen Planungs- und Genehmigungsverfahren zur Errichtung von Windkraftanlagen und Stromtrassen sehen die VertreterInnen der Bürgerinitiativen lediglich Manipulationsversuche, Konzeptionsfehler und Mechanismen, um geltendes Recht auszuhebeln und die BürgerInnen zu umgehen. Diese negative Einstellung sowie Erfahrungen vor Ort bewirken ein generelles Misstrauen gegenüber politischen EntscheiderInnen und staatlichen Institutionen.

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Ganz ähnliche Ergebnisse förderte auch eine Studie über die Politikwahrnehmung deutscher ManagerInnen und UnternehmerInnen zutage. Auch die Wirtschaftselite scheint kaum Wert auf einen inhaltlichen Kernbestand der Demokratie zu legen, solange diese den Rechtsstaat garantiert. Damit lassen sich auch die oftmals anerkennenden Blicke in Länder wie Russland oder China erklären; vgl. Marg, Stine/Walter, Franz (Hrsg.): Sprachlose Elite? Wie Unternehmer Politik und Gesellschaft sehen, Reinbek bei Hamburg 2015, darin insbesondere: Kohlmann, Sebastian: „Es gibt kein besseres System als die Soziale Marktwirtschaft“, S. 197–217.

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Dass individuelles Misstrauen Antrieb für Widerstand und Protest sein kann, ist nicht neu;9 ebenso wenig, dass „ohne den misstrauischen Blick aufgeklärter und aufmerksamer Bürger […] sich politische und ökonomische Macht verselbstständigen und korrumpieren“10 würde. Dennoch: Wenn in der Gesellschaft an allen Orten Misstrauen wuchert, werden die destruktiven Kräfte stärker, erschöpft sich nach und nach das Vertrauen als eine wesentliche Komponente der Legitimation demokratischer Ordnungen. Pierre Rosanvallon sieht seit den 1980er Jahren in heutigen demokratischen Gesellschaften eine sich ausbreitende Atmosphäre des Misstrauens, die zu einer Delegitimierung der administrativen Gewalt führe.11 Die Wurzeln dieses Misstrauens, das nicht nur die AktivistInnen gegen die hier untersuchten Projekte, sondern auch weite Teile der unbeteiligten, aber vom Bauprojekt betroffenen Bevölkerung hegen, sind vielfältig. Zum einen nehmen die BürgerprotestlerInnen, die sich für ihren Protest gegen das jeweilige Bauvorhaben tief in die Materie eingearbeitet und enorm viel Wissen angeeignet haben, die PolitikerInnen, die ihnen in Bürgersprechstunden oder auf Informationsveranstaltungen begegnen, als inkompetent wahr. Der den Wahlkreis vertretende Berliner Abgeordnete, der im Bundestag möglicherweise im Gesundheitsausschuss sitzt, mag vielleicht mit einem Krankenhausdirektor über Gesundheitspolitik debattieren können, verfügt aber kaum über detailliertes Faktenwissen hinsichtlich Windhöffigkeit oder der Grundlagen des Netzentwicklungsplanes. Hier wird der Politiker als Experte erwartet und als Laie erlebt. Diese Diskrepanz dürften die Repräsentierten unter normalen Bedingungen vermutlich kaum erfahren; hoch engagierte und involvierte AktivistInnen, die zum Zweck der Einflussnahme den unmittelbaren Kontakt und fachlichen Dialog mit den RepräsentantInnen suchen, bemerken diese Dissonanz im Zuge ihres Engagements jedoch deutlich. PolitikerInnen ohne „Faktenwissen“ trauen sie nicht zu, kompetent über die Veränderungen in der Region entscheiden zu können. Hier entsteht ein Legitimationsdefizit, weil der/die informierte BürgerIn den direkten Kontakt zu der/ dem PolitikerIn sucht, diese(r) im fachlichen Dialog aber entweder nicht bestehen kann oder auf die falschen Argumente bzw. ExpertInnen vertraut.

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Vgl. Walter: Bürgerlichkeit und Protest in der Misstrauensgesellschaft (2013). Dass Misstrauen auch eine Befähigung zur Selbstbestimmung zur Folge haben kann, bereits bei Lasch, Christopher: Das Zeitalter des Narzißmus, München 1982 [engl. 1979], S. 13.

10 Walter: Bürgerlichkeit und Protest in der Misstrauensgesellschaft (2013), S. 337. 11 Siehe Rosanvallon, Pierre: Demokratische Legitimität. Unparteilichkeit, Reflexivität, Nähe, Hamburg 2010, S. 78.

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Rosanvallon argumentiert, dass in einer Misstrauensgesellschaft die herkömmlichen demokratischen Legitimationsmuster – „Einsetzungslegitimität“ bzw. Legitimität der Wahl sowie prozedurale Legitimität und Identifikationsidentität, also die Gleichsetzung des Gemeinwillens mit dem Mehrheitsentscheid, auch substanzielle Legitimität genannt – durch drei neue Muster – „Legitimität der Unparteilichkeit“, „Legitimität der Reflexivität“ und „Legitimität der Nähe“ – ersetzt werden. Letzteres umfasst die Nähe als Haltung des Staates im Sinne von Berücksichtigung des Einzelfalls und Präsenz in der Fläche.12 Unsere Untersuchung zeigt, dass diese Nähe zwischen BürgerInnen und staatlichen Institutionen, zumindest in konflikthaften Aushandlungssituationen, keine Legitimation herzustellen vermag bzw. die bestehende zusätzlich aushöhlt. Durch den neuen, weil im Konfliktfall erst eingeforderten, direkten Kontakt der BürgerInnen mit „ihren“ PolitikerInnen werden sie in eine enorme Erwartungshaltung hinsichtlich eines responsiven Verhaltens ihrer politischen VertreterInnen versetzt, die diese im Normalfall gar nicht erfüllen können. Die zweite Ursache für das Misstrauen basiert auf der Annahme, dass „die Wirtschaft“, „die Unternehmen“ oder „das Kapital“ einen zu großen Einfluss auf politische Beschlüsse ausüben würden. Die PolitikerInnen – ob kompetent oder nicht – entschieden, so die Lesart, ohnehin nicht nach ihrem Gewissen, sondern würden in ihren Handlungen durch Lobbyisten orchestriert. Hier wird den Lobbygruppen ein erheblich direkterer Zugang zu den PolitikerInnen zugeschrieben, als er den WählerInnen offenstehe, und die PolitikerInnen werden als abhängige Subjekte interpretiert. Die dritte von den BürgerinitiativlerInnen formulierte Quelle ihres misstrauischen Blickes auf die Umsetzung der Energiewende vor Ort sind die Beteiligungsangebote der Politik bzw. Verwaltung einerseits und der Unternehmen andererseits – also jene Formate, mit denen sich die VorhabenträgerInnen rühmen, die BürgerInnen an den Entscheidungen partizipieren zu lassen und ihnen einen größtmöglichen Gestaltungsspielraum einzuräumen. In den Infomärkten und Konsultationsverfahren sehen die befragten AktivistInnen hingegen bloß Alibiveranstaltungen, die einzig deshalb angeboten würden, weil sie vom Gesetzgeber vorgeschrieben seien.13 Insbesondere wenn

12 Vgl. Rosanvallon: Demokratische Legitimität (2010), S. 209 ff. 13 Hier scheint sich ein interessantes Dilemma aufzutun: Der Gesetzgeber zwingt die Unternehmen zu einem Schritt – Bürgerbeteiligung –, der ihnen, wie oben dargestellt, kein Wert an sich ist, sondern elastisch als Methode benutzt wird, um die verfolgten Ziele zu erreichen. Dies ist für die meisten ProjektgegnerInnen jedoch nicht ausreichend. Sie bewerten das Verfahren, auch weil es einem externen Impuls statt einer in-

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die Eröffnungserörterungen für die Bauvorhaben von UnternehmensvertreterInnen und Verwaltungs- bzw. BehördenmitarbeiterInnen gemeinsamen bestritten werden, sind die BürgerInnen nachhaltig irritiert. Dahinter vermuten sie oftmals eine vorbereitete Strategie, während es für Kommunen mitunter vor allem eine finanzielle Frage ist, Beteiligungs- bzw. Informationsveranstaltungen selbst zu organisieren oder sich an den Angeboten der Unternehmen zu beteiligen.14 Gleichzeitig sind die Unternehmen daran interessiert, in solchen Foren PolitikerInnen einzubinden, auf die sie verweisen können, wenn Fragen nach den konstitutiven Entscheidungen aufkommen. So entsteht für die GegnerInnen der Vorhaben eine Dynamik, die eine beschleunigte Rollendiffusion in Gang setzt. Die BürgerInnen vermuten ein „abgekartetes Spiel“ hinter diesem Verfahren. Insgesamt glauben sie nicht an tatsächliche Einflussmöglichkeiten im Sinne der nachhaltigen Berücksichtigung ihrer vorgetragenen Argumente und sprechen demzufolge diesen „Scheinbeteiligungen“ keinerlei Wirkmächtigkeit zu.15 Bürgerbeteiligung als „verdoppelte Legitimation“ – also erst wenn die politische Entscheidung der RepräsentantInnen durch direkte Partizipationsmöglichkeiten, Mediationsverfahren oder Gerichtsverhandlungen gesellschaftlich akzeptabel wird16 – gilt im öffentlichen Diskurs häufig als Lösung polyvalenter Konfliktlagen. Dabei scheint sie konkret vor Ort mitunter mehr Probleme zu schaffen denn zu lösen. Während die Verwaltung unmissverständlich auf die geltenden Gesetze verweist und deutlich artikuliert, dass die BürgerInnen lediglich über die Modalitäten des Vorhabens, jedoch nicht über die Grundsatzfrage der Notwendigkeit an sich mitverhandeln können, wollen die ProtestakteurInnen selbstverständlich zunächst über das „Ob“ und nicht über das „Wie“ entscheiden. Zwar wird die Energiewende per se kaum infrage gestellt; jedoch sind die Entscheidungen über die zukünftigen Formen des Energieverbrauchs bzw. den Umbau trinsischen Motivation folgt, äußerst negativ und moralisieren somit das unternehmerische Tun. 14 Vgl. hierzu ebenso Walk/Müller/Rucht: Prometheus (2015), S. 34–36. 15 Dies steht im Gegensatz zu Forschungen von Jens Newig et al., die durch eine Metastudie zu dem Ergebnis kamen, dass umfassendere Partizipationsmöglichkeiten eine größere Akzeptanz der Prozessergebnisse zur Folge hätten. Für die hier untersuchten AktivistInnen gilt dies zumindest nicht; vgl. Newig, Jens/Jager, Nicolas/Challies, Edward: Führt Bürgerbeteiligung in umweltpolitischen Beteiligungsprozessen zu mehr Effektivität und Legitimität? Erste Ergebnisse einer Metaanalyse von 71 wasserpolitischen Fallstudien, in: Zeitschrift für Politikwissenschaft, Jg. 22 (2012), H. 4, S. 527– 567. 16 Nolte: Was ist Demokratie? (2011), hier S. 421.

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des Energiesystems so weitreichend, dass sie auch Einfluss auf die Frage haben, wie wir in Zukunft leben wollen. Wie die Gesellschaft von morgen aussehen soll: Dieses Szenario sollte eine demokratische Gesellschaft intensiv verhandeln. Und genau in dieser zentralen Frage fühlen sich die Betroffenen übergangen. Viele der hier befragten AkteurInnen vermissen, dass überhaupt darüber diskutiert wird, dass man sie einbezieht und konsultiert. Dieses Problem kann allerdings nicht von Dialogveranstaltungen – die darauf ausgelegt sind, sogenannte Raumwiderstände für das geplante Projekt zu ermitteln und dieses daraufhin womöglich hundert Meter weiter westlich zu planen – gelöst werden, sondern müsste viel breiter und in einem ganz anderen Rahmen debattiert werden. Daher lässt sich konstatieren, dass hier auch ein Legitimationsdefizit im Sinne der gemeinsamen Verständigung über grundsätzliche Normen und Werte erkennbar ist. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass der Begriff Bürgerbeteiligung in den hier untersuchten Konfliktfeldern unterschiedlich konnotiert ist. Während insbesondere im Konflikt um den SuedLink Bürgerbeteiligung immer Mitsprache und Einfluss, also Partizipation, bedeutet, meint derselbe Begriff im untersuchten Konfliktfall in Mecklenburg-Vorpommern finanzielle Beteiligungsmöglichkeiten für die BürgerInnen. Dabei geht es jedoch keinesfalls darum, dass einzelne AnwohnerInnen von den Windkraftanlagen profitieren, sondern – wie es im Soonwald praktiziert wird – dass die Gemeinden durch finanzielle Beteiligungskonzepte die Möglichkeit erhalten, Einnahmen und Gewinne zu erzeugen, von denen man sich wiederum positive Effekte für die gesamte Kommune erhofft. Hier steckt hinter der Forderung nach Beteiligung nicht der Wunsch nach Partizipation, sondern nach finanzieller Entschädigung bzw. nach Profit. Im Zusammenhang mit dem Konzept der Legitimität verschwimmt hier die Bedeutung der Bürgerbeteiligung: Während Partizipation klassischerweise als demokratiebezogene Input-Legitimation gegolten hat,17 geht es im hier untersuchten Konfliktfall, der durchaus auf andere Auseinandersetzungen um Windkraftstandorte übertragbar ist, um einen finanziellen Profit der lokal Involvierten, der im Grunde eine Output-Legitimation darstellt. Diese könnte dann – insofern es nicht um die Entschädigung einzelner Betroffener geht, sondern um eine Steigerung des lokalen Gemeinwohls durch die Erhöhung des finanziellen Spielraums einer vormals klammen Kommune – sogar als demokratische OutputLegitimation gelten. In dieser Lesart wären die GegnerInnen der Stromtrassen, Windkraftanlagen und Gasbohrungen dann eben keine egoistischen NIMBYs (Not In My Backyard) oder BANANAs (Build Absolutely Nothing Anywhere

17 Vgl. exemplarisch Höreth, Marcus: Die Europäische Union im Legitimationstrilemma. Zur Rechtfertigung des Regierens jenseits der Staatlichkeit, Baden-Baden 1999.

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Near Anything), sondern am Wohlergehen ihrer Kommune interessierte AktivbürgerInnen. Daneben wurden in den Interviews zahlreiche andere Probleme mit den derzeit praktizierten Bürgerbeteiligungsverfahren thematisiert, die der Idee im Wege stehen, Legitimität über faire und angemessene Verfahren herstellen zu können. Nicht nur erscheinen die Verfahren derart komplex, dass sich kaum jemand befähigt fühlt, daran teilzunehmen; auch wird der eigentliche Entscheidungsund Abwägungsprozess, also der Umgang mit den Eingaben der GemeindevertreterInnen, Verbände und BürgerInnen, als Blackbox erlebt. Welches Argument mit welcher Gewichtung in die Beurteilung eingeht, bleibt vor allem undurchsichtig, wenn Unternehmen eine (informelle) Beteiligung anbieten. So erzeugt das Verfahren eher Misstrauen als Vertrauen. Eine „Legitimation durch Verfahren“ (Niklas Luhmann) oder auch Throughput-Legitimation scheint aus dieser Perspektive kaum herstellbar zu sein. Während bei den befragten BürgerInnen, die nicht direkt in den Konflikt involviert sind, das Misstrauen geringer zu sein scheint – immerhin war einigen Befragten ein hinreichendes Maß an Vertrauen eine notwendige Voraussetzung für die Wahrnehmung ihres Wahlrechts –, geht der Argwohn der AktivistInnen so weit, dass sie leugnen, überhaupt in einem demokratischen Gemeinwesen zu leben. Hier führten die direkten Kontakte, die sich durch Protest gegen das Vorhaben und Partizipation an den Verfahren ergaben, nicht zu positiven Erfahrungen mit dem politischen Prozess und optimistischen staatsbürgerlichen Einstellungen. Eher bewirkten die wechselseitigen Kontakte sogar eine weitere Entfremdung zwischen den Regierten und deren politischen RepräsentantInnen – eine Erfahrung, die der passiven Bevölkerung, also all jenen, die sich nicht aktiv in das Verfahren eingemischt haben, erspart blieb. Überraschenderweise äußerten die involvierten LokalpolitikerInnen eine gleichfalls harsche Verfahrenskritik, die im engeren Sinn einen Legitimationsmangel und im weiteren Sinn ein Demokratiedefizit offenbart. Das zentrale Problem in der Umsetzung der Bauprojekte im Zuge der Energiewende ist in ihren Augen die Entmachtung der lokalen politischen Ebenen.18 Sie beklagen ihre angebliche Einflusslosigkeit auf Gesetze, Raumordnungsverfahren, die Standortentscheidungen präjudizieren würden, sowie die Verrechtlichung und Einhegung der lokalpolitischen Entscheidungsprozesse. Aus ihrer Perspektive werde durch die von der Bundes- und Landespolitik vorgegebene Zielsetzung hinsichtlich des Ausbaus erneuerbarer Energien eine Zwangsläufigkeit in Gang gesetzt, die ihnen vor Ort jegliche Gestaltungsmacht nehme. So würden große Bauvorhaben ein18 Eine Ausnahme bildet hier unser Fallbeispiel im Soonwald, wo die Windkraftanlagen auf Bestreben der kommunalen VertreterInnen errichtet worden sind, siehe Kapitel 3.

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zelne Kommunen in ihren räumlichen Entwicklungsmöglichkeiten einschränken oder sie für bestimmte Funktionen entwerten, bspw. den Tourismus oder die Naherholung. Die KommunalpolitikerInnen, die quasi auf der untersten Ebene der Selbstregierung tätig sind, fühlen sich fremdbestimmt und übergangen. Überdies sind sie von den Verfahren völlig überfordert. Die Komplexität der Bauvorhaben und die Vielschichtigkeit der notwendigen Prüfinstanzen und Einflussfaktoren ließen sich von (ehrenamtlichen) LokalpolitikerInnen kaum überblicken. Dennoch müssten diese vollständig in die Materie eintauchen, zu juristischen Experten und technischen Fachleuten werden, um innerhalb des vorgegebenen Rahmens mit etwaigen Einwänden gegen vorgelegte Pläne überhaupt Gehör zu finden. Als besonders einschneidend empfinden viele befragte GemeindevertreterInnen die Gesetzgebung im Zuge der Energiewende auch deshalb, weil ihnen hier entscheidende Einflussmöglichkeiten auf gravierende Landschaftsveränderungen innerhalb ihres Kreises genommen worden sind. In ihrer Hilflosigkeit und Überbelastung sehen sich die KommunalpolitikerInnen außerdem unternehmerisch tätigen VorhabenträgerInnen gegenüber, denen sie sich hoffnungslos unterlegen fühlen – auch, weil die vor Ort tätigen Firmen und Konzerne mit völlig anderen Startbedingungen in den Aushandlungsprozess träten: Während KommunalpolitikerInnen zum Teil auf Beteiligung drängen müssten, mit kurzen Einspruchsfristen konfrontiert seien und sich Sachverstand selbst erarbeiten sollten, könnten Unternehmen das Projekt von langer Hand planen, die nötigen Informationen frühzeitig beschaffen bzw. das erforderliche Wissen einkaufen. Die kommunalen VertreterInnen nehmen den Aushandlungsprozess daher als manipuliert sowie asymmetrisch wahr; aus ihrer Perspektive kann er keinerlei Legitimation herstellen. Für die Akteursgruppe der LokalpolitikerInnen ist dies besonders fatal: Einerseits sind sie für die WählerInnen vor Ort bei Problemen die ersten AnsprechpartnerInnen – denen dann allerdings in vielen Verfahren kaum mehr Einflussmöglichkeiten gewährt werden als den direkt Betroffenen –; und andererseits gelten die politisch engagierten und kompromissfähigen LokalmanagerInnen in den Gemeinden vielen als Vorbilder. Wenn diese MultiplikatorInnen jedoch öffentlich die Legitimität und Rechtmäßigkeit der Verfahren infrage stellen, wird sich in solchen Gemeinden das Misstrauen der BürgerInnen gegenüber allen weiteren politischen Institutionen und Instanzen über kurz oder lang weiter ausbreiten. Somit kann der lokale Konflikt eine destruktive Wirkung auf das Legitimitätsniveau übergeordneter politischer Ebenen entfalten. Ähnlich wie die LokalpolitikerInnen, jedoch nicht ganz so zugespitzt, betrachten die VertreterInnen der verfahrensbegleitenden Verwaltung die Umsetzung der Energiewende vor Ort. Insbesondere abgekürzte oder sonderrechtliche

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Verfahren, die derzeit außerhalb der erprobten Aushandlungsformen häufig praktiziert werden, stoßen bei MitarbeiterInnen der Raumplanungs- und Genehmigungsbehörden auf Kritik. Einerseits sind sie selbst durch diese Prozesse von einer gewissen Entmachtung bedroht; und andererseits setzt die Beschleunigung die der Verwaltung eigenen Qualitätsmerkmale – penible Genauigkeit sowie gewissenhafte Sorgfalt – unter Druck. Sind dies eher Kennzeichen einer aktuellen Entwicklung, scheint den VerwaltungsmitarbeiterInnen aber der Gedanke, dass ihrem Tun etwas Demokratisches anhafte, schon immer fremd gewesen zu sein. Die hier Befragten sehen für sich selbst innerhalb der Verfahren keinerlei Handlungsspielraum und interpretieren sich als reine RechtsanwenderInnen. Sie würden auf Vorgaben reagieren, innerhalb der Rahmenbedingungen handeln und ihre Entscheidungen einzig an gesetzgeberische Vorgaben binden. Diese Haltung ist auch deshalb für eine anerkennungswürdige demokratische Praxis problematisch, weil die AkteurInnen der Verwaltung in den Beteiligungsprozessen für die BürgerInnen und LokalpolitikerInnen unmittelbare Kontaktpersonen sind. Gerade diejenigen, die quasi als Gatekeeper für Einflussmöglichkeiten bspw. auf den Standort einer Windkraftanalage oder den Verlauf einer Stromtrasse dargestellt werden, weisen jedoch ihrerseits jegliche Entscheidungskompetenz von sich und proklamieren ausschließlich die Umsetzung der geltenden Normen und Vorschriften.19 In der Konsequenz trifft eine politisierte Bevölkerung – also Menschen, die sich engagieren und partizipieren wollen – auf eine völlig entpolitisierte Verwaltung, die lediglich bestehende Gesetze anwendet. Und genau jene gegenläufigen Tendenzen und damit konflikthaften Aushandlungsprozesse, die eine Delegitimierung der bestehenden Ordnung zur Folge haben können, haben sich in den vergangenen Jahren verschärft. Während einerseits die Gesetze und Vorgaben im Bereich der erneuerbaren Energien zu einem zunehmenden Ausbau in der Fläche führen – verstärkte Ausweisung von Windeignungsgebieten und Planung zusätzlicher Stromtrassen –, fordern andererseits gut ausgebildete und zeitreiche Menschen zunehmend Mitsprachemöglichkeiten ein. Damit gelingt den Planungs- und Genehmigungsbehörden ebenfalls nicht, Legitimation herzustellen. Rosanvallon hoffte, dass die neue Form der „Legitimität der Unparteilichkeit“ traditionelle Legitimation ersetzen könne.20 Hinter dieser Formulierung steht die Idee, dass unabhängige, mit entsprechender Expertise ausgestattete Behörden mit offenen Zugangswegen als unparteiische Institutionen legitim empfundene Entscheidungen herbeiführen könnten. Diese „leis19 Siehe ausführlich hierzu Kapitel 13. 20 Vgl. hierzu und im Folgenden Rosanvallon: Demokratische Legitimität (2010), S. 93 f.

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tungsbezogene Legitimität“ kann somit auch als eine Präzisierung der OutputLegitimität gelten. Unsere Untersuchungen können jedoch Rosanvallons optimistische Annahme nicht stützen. Auch wenn die staatlichen Instanzen mit allerlei fachlicher Expertise ausgestattet werden und wissenschaftlich fundierte Gutachten für den Entscheidungsprozess beschaffen können, werden weder die Verfahren noch die Ergebnisse als legitim betrachtet. Dies mag auch daran liegen, dass sich viele AkteurInnen eigenes Fachwissen aneignen oder Gutachten erstellen (lassen), sodass diese kein exklusives Mittel der staatlichen Institutionen mehr sind. Selbstverständlich gilt diese Feststellung nicht ausnahmslos für alle Akteursgruppen gleichermaßen: Bei den VertreterInnen der Bürgerinitiativen ist hier ein größeres Legitimationsdefizit erkennbar als bei der unbeteiligten Bevölkerung, der Lokalpolitik oder der Verwaltung. Dass die Verfahren jedoch auch von diesen Akteursgruppen derart stark kritisiert werden, sollte hellhörig machen. Diese Ist-Beschreibung der demokratischen Praxis in der Bundesrepublik bzw. die Kritik an den Verfahren wird flankiert von einer Schilderung des SollZustandes. Oder anders formuliert: Die einzelnen befragten Akteursgruppen formulieren durchaus Auswege aus dem Legitimationsdilemma und der Misstrauensgesellschaft. Diese sollte, so die beliebteste Forderung, durch eine „Transparenzgesellschaft“21 ersetzt werden. Die Forderung nach Transparenz bzw. nach Öffentlichkeit und detaillierter Offenlegung der Planungen gehört zu einer der selbstgestellten Kernaufgaben vieler Bürgerinitiativen in diesem Bereich. Die Initiativen wollen auf diesem Weg die BürgerInnen informieren, über Protest „Druck“ aufbauen und „klare Signale“ setzen. Das öffentliche Handeln gegen staatliche Entscheidungen kann somit als zweiter Ausweg gedeutet werden. Auf diese Weise wird vielen (zunächst Unbeteiligten) ihre mögliche Betroffenheit überhaupt deutlich. Die inaktive Bevölkerung erlangt oftmals erst durch den „Lärm“ der Bürgerinitiativen und Protestierenden Kenntnis von dem in ihrem Umfeld geplanten Projekt. Darüber hinaus sollen öffentlicher Protest und Transparenz – als dritter Lösungsvorschlag für die konstatierte Misere – von direktdemokratischen Verfahren begleitet werden. Zumindest unterstützen KommunalvertreterInnen und die unbeteiligte Bevölkerung diese Forderung der AktivistInnen. Offenbar könne nur durch eine unmittelbare Willensäußerung des Demos eine als legitim anerkannte Entscheidung herbeigeführt werden. Dabei stellt sich jedoch die Frage, ob dies für die AktivistInnen auch gilt, wenn sie in einer solchen Befragung mit ihren Argumenten unterliegen. Unsere bisherigen Forschungen22 oder ein Blick auf die 21 Han, Byung-Chul: Transparenzgesellschaft, Berlin 2012. 22 Siehe Walter et al. (Hrsg.): Die neue Macht der Bürger (2013).

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zahlreichen Stuttgarter DemonstrantInnen, die den Volksentscheid zugunsten des Bahnhofsumbaus nicht akzeptiert haben, lassen hieran recht schnell Zweifel aufkommen. Der letzte von den Befragten formulierte Ausweg aus dem Dilemma der als illegitim empfundenen Verfahren, die Energiewende vor Ort umzusetzen, ist das Ausschöpfen der juristischen Möglichkeiten. Viele Bürgerinitiativen sowie KommunalpolitikerInnen planen bereits im laufenden Prozess die juristischen Schritte, um einerseits die Planungsverfahren an sich überprüfen und ändern zu lassen und um andererseits ein Ergebnis in ihrem Sinne herbeizuführen. Die AkteurInnen – und hier insbesondere die Protestierenden und KommunalpolitikerInnen – adressieren dabei ganz selbstverständlich das Bundesverwaltungs- und Bundesverfassungsgericht, um ihre Interessen durchzusetzen. Nur die höchsten Instanzen erscheinen ihnen angemessen und werden anerkannt. In dieser Forderung nach juristischer Entscheidungsfindung, die schließlich als legitim akzeptiert wird, sind sich alle einig: die befragten VertreterInnen der Bürgerinitiativen, die Kommunen und Unternehmen sowie die Verwaltung. Die juristische Instanz, die politische Entscheidungen revidierbar macht und als unabhängige sowie unparteiische Institution den Handlungsspielraum der RepräsentantInnen beschränkt, bezeichnet Rosanvallon als „Legitimität der Reflexivität“23. Diese neue Form der Legitimität scheint die einzige Möglichkeit der Entscheidungsfindung zu sein, der die hier betrachteten AkteurInnen Legitimität zusprechen. Problematisch ist jedoch, dass es in den juristischen Verfahren in der Tat um Entscheidungen und nicht um Aushandlungen geht – also nicht um den Austausch unterschiedlicher Argumente und Präferenzen oder die Suche nach Kompromissen. Vermittlungsorgane und Parteien spielen aus dieser Perspektive eine immer geringere Rolle, können mithin nicht als Legitimitätsbeschaffer gelten. Und in der Tat wurde in unseren Erhebungen den Parteien kaum Bedeutung beigemessen. Für die BürgerInnen vor Ort sind sie nicht ansprechbar, da sie im ländlichen Raum in der Fläche kaum vertreten seien; und selbst die KommunalpolitikerInnen forderten weniger Einfluss der Parteien, weil diese ja mit ihrem Beschluss in Berlin die Malaise erst herbeigeführt hätten. Einige GemeindevertreterInnen gehen sogar so weit, dass sie ihre Interessen und den vermuteten Willen der WählerInnen mithilfe von Bürgerinitiativen und Protest statt mit Parteibindung und kommunalpolitischem Mandat in den politischen Entscheidungsprozess einspeisen. Parteien erscheinen hier kaum einem Akteur als notwendige Institution, um Präferenzen der Bevölkerung aufzunehmen, in Interessen zu übersetzen und als Projekte durchzufechten. 23 Rosanvallon: Demokratische Legitimität (2010), S. 151 ff.

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Damit scheint sich zumindest für die AktivistInnen das Prinzip der Repräsentativität überlebt zu haben. Sie wollen ihre Interessen unmittelbar umsetzen, sich selbst – nicht mehr über den Umweg des Repräsentanten – direkt regieren. José Ortega y Gasset sprach – vor beinahe einhundert Jahren und aus einer völlig anderen Perspektive – in diesem Kontext von einer „Hyperdemokratie“. Was der Kulturphilosoph und Soziologe aus einer aristokratischbürgerlichen Perspektive beschrieb – und nicht das, was mittlerweile antiegalitäre VertreterInnen unter dem Begriff Hyperdemocracy verstehen (nämlich den Zwang zur Gleichheit und die Infragestellung des Rechts, anders bzw. besser als andere zu sein) –, scheint die heutige Situation recht gut auf den Punkt zu bringen: „Es ist falsch, die neue Lage so zu denken, als sei die Masse der Politik überdrüssig und betraue spezielle Personen mit ihrer Ausübung. Das war früher der Fall und das war die Demokratie. Damals war die Masse überzeugt, daß schließlich und letztlich trotz all ihrer Fehler und Mängel die Politiker etwas mehr von den öffentlichen Fragen verstünden als sie. Jetzt dagegen glaubt sie, es sei ihr gutes Recht, ihre Stammtischweisheiten durchzudrücken und mit Gesetzeskraft auszustatten. Ich bezweifle, daß es noch eine geschichtliche Epoche gegeben hat, in der die Masse so umweglos regierte wie in unserer Zeit. Dar24

um spreche ich von einer Hyperdemokratie.“

Den Ausgangspunkt seiner Betrachtungen bildeten für Ortega y Gasset dessen Beobachtungen der Weimarer Republik. Während dieser Zeit trat nicht nur die Masse in der Öffentlichkeit in Erscheinung, sondern driftete die Gesellschaft insgesamt auseinander, konnte von einer vertrauensvollen Beziehung zwischen Regierten und Regierenden keine Rede sein, wichen Ansprüche, Normen und Präferenzen der Bürger deutlich von der Performanz der sich immer schneller abwechselnden Regierungen ab. Von einem ähnlichen Zustand sind wir gegenwärtig zwar noch weit entfernt; doch stimmen die hier zusammengetragenen Befunde mit Blick auf die als legitim anerkannte, gegenwärtige politische Ordnung alles andere als optimistisch.

24 Ortega y Gasset, José: Der Aufstand der Massen, München 2012 [1930], S. 12 f.

12 Heimat Die Reaktivierung eines Kampfbegriffes S TINE M ARG

Innerhalb der hier untersuchten Aushandlungsprozesse und Konflikte tritt immer wieder eine „diskursive Formation“1 dominant hervor: Heimat. Von der Heimat ist als einem qualitativ hochwertigen Wohnort die Rede, von der Natur, von Freiheit, von etwas, das soziale Einbindung biete und gleichzeitig von Windkraftanlagen „verspargelt“, von Stromtrassen „durchschnitten“ und durch Bohrungen „verseucht“ werde. Dabei sind es insbesondere die LokalpolitikerInnen und die engagierten Betroffenen, die verstärkt auf den Kampfbegriff der Heimat zurückgreifen, mit dessen Hilfe die Bauvorhaben wegargumentiert werden sollen, während LandespolitikerInnen sowie die AkteurInnen in den Verwaltungen und Unternehmen sich vor diesem – wie es in jüngster Zeit oftmals heißt2 – Gefühl akribisch hüten. Dennoch ist auch ihnen die Bezugnahme auf die Heimat nicht fremd, sodass sie diesem Argumentationsmuster durchaus mit Verständnis begegnen. Heimat ist ein „‚konnotativ verseuchtes‘ Phänomen“3 und eine historisch äußerst belastete Vokabel, da sie geholfen hat, einer völkisch-nationalsozialistischen Ideologie den Boden zu bereiten.4 Dessen ungeachtet wird Heimat je1

Die Idee, Heimat „im Foucault’schen Sinn […] als diskursive Formation“ zu fassen und als solche auch zu untersuchen, stammt von Waldher, Karin: Wo Heimat ist. Zur Konstruktion und Rekonstruktion von Heimat, Klagenfurt 2012, S. 10.

2

Vgl. hierzu jüngst Ratgeb, Bernhard: Am Anfang war Heimat. Auf den Spuren eines deutschen Gefühls, München 2016.

3 4

Waldher: Wo Heimat ist (2012), S. 223. Vgl. exempl. hierzu Trepl, Ludwig: Die Idee der Landschaft. Eine Kulturgeschichte von der Aufklärung bis zur Ökologiebewegung, Bielefeld 2012, S. 190: „Die Idee der Landschaft war für den Nationalsozialismus von größter ideologischer Relevanz.“

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doch hier von den befragten AkteurInnen selbstverständlich als Projektionsfläche und Kampfbegriff gleichermaßen gebraucht. Doch die Vokabel Heimat ist nicht nur ideologieanfällig, sondern als Konzept in seiner öffentlichen Verhandlung und Sichtbarkeit auch konjunkturabhängig – Heimat ist also zu bestimmten Zeiten für die politische Kultur der Bundesrepublik relevanter als in anderen. Eine erste Heimat-Renaissance, die ihren Ausdruck u. a. in Heimatromanen und -spielfilmen in der Populärkultur fand, lässt sich in den 1950er Jahren beobachten. Ein erneuter Begriffsboom, verbunden mit einer ökologischen Heimatbewegung und der Betonung einer Regionalisierung, ist in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren feststellbar.5 Auch nach der Wiedervereinigung und dem Verlust der gewohnten Heimat für viele bundesrepublikanische Neubürger war der Heimat-Topos in der öffentlichen Diskussion äußerst virulent.6 Während auf dem Höhepunkt der New-Economy-Boom-Phase in den 2000er Jahren kaum einer von Heimat sprach, scheint der Begriff gegenwärtig wieder aufzuleben. Wenngleich diese Erneuerung mit den Dresdner Demonstrationen der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ („PEGIDA“) eine gewisse Popularität in der öffentlichen Diskussion erreicht haben mag, lässt sich bereits seit 2010/11 die Instrumentalisierung der Heimat in politischen Auseinandersetzungen beobachten.7 Die Wiederkehr der Heimat-Begrifflichkeit in den 5

Vgl. hierzu Schlink, Bernhard: Heimat als Utopie, Frankfurt a. M. 2000, S. 20; Waldher, Wo Heimat ist (2012), S. 72; Kiper, Manuel: Lebensräume als Thema ökologisch orientierter Bildungsarbeit, in: Cremer, Will/Klein, Ansgar (Hrsg.): Heimat, Analysen, Themen, Perspektiven, Bonn 1990, S. 549–559; Lippert, Gerhard: Ökologische Gefährdung der Heimat: Boden, Wasser, Luft, in: Cremer, Will/Klein, Ansgar (Hrsg.): Heimat, Analysen, Themen, Perspektiven, Bonn 1990, S. 560–573.

6

Vgl. hierzu Emig, Dieter/Frei, Alfred G.: „… die Freiheit der Dinge und Personen aufheben.“ Über Versuche, Heimat neu zu denken, in: Cremer, Will/Klein, Ansgar (Hrsg.): Heimat, Analysen, Themen, Perspektiven, Bonn 1990, S. 307–328, hier S. 327.

7

Vgl. hierzu unsere Untersuchung über die neuen Bürgerproteste, die bereits funktional auf die Heimatbegrifflichkeit rekurrierte: Marg et al: Bürgerproteste (2013), S. 127– 131. So warben bspw. die bayerischen Grünen zur Landtagswahl 2011 mit dem Slogan „Volle Kanne Heimat!“ und inszenierten sich als „Kern einer neuen Heimatbewegung“; vgl. Schmitz, Walter: Die Zeichen der „Heimat“. Zur Semiotik eines wandelbaren Konzepts in der deutschen Kultur, in: Klose, Joachim (Hrsg.): Heimat. Anthropologische Grundlegung eines Weltverständnisses, Wiesbaden 2013, S. 569–599, hier S. 595. Auch Klose interpretiert die Bürgerbewegungen und -initiativen, die seit den Protesten gegen den Stuttgarter Bahnhof 2010 wieder stärker in den Fokus der Öffentlichkeit und Gesellschaftswissenschaften gerückt sind, als „Ausdruck einer unsicher

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öffentlichen Diskurs alle zwanzig Jahre scheint bestimmte Ursachen zu haben oder zumindest Symptom für Entwicklungen und gesellschaftliche Bedürfnisse zu sein. Daher sollen an dieser Stelle die hinter dem Wort Heimat stehenden Deutungsmuster in einem spezifischen Konfliktfeld versuchsweise umrissen werden. Dabei bleibt Heimat mehr ein „Assoziationsgenerator“8 denn ein abschließend definierbarer Begriff. Auch dies mag sein unregelmäßiges Wiederauftauchen als gesellschaftlich relevante Vokabel erklären – ist sie doch offen für vielfältige Umdeutungen und Recodierungen. Heimat als „Populärmythos“9 scheint jedoch auch eine „Chiffre“10 für ein menschliches (Grund-)Bedürfnis nach Identität zu sein11; auch daher ist der Begriff – trotz seiner jüngeren Vergangenheit und Instrumentalisierung – nicht pauschal als antiquiert und gefährlich zurückzuweisen, sondern auf seine aktuellen Implikationen hin zu betrachten. In der Untersuchung begegnete uns Heimat nicht ausschließlich als Utopie12, sondern ebenso als „Medium und Ziel praktischer Auseinandersetzung“13. In diesem Sinn entfaltet der Begriffscontainer „Heimat“ seine gesellschaftspolitische Relevanz und birgt somit Potenzial für eine zeitdiagnostische Analyse14. gewordenen Heimat“; vgl. Klose, Joachim: Heimatschichten, in: ders. (Hrsg.): Heimatschichten. Anthropologische Grundlegung eines Weltverhältnisses, Wiesbaden 2013, S. 19–44, hier S. 20. 8

Gebhard, Günther/Geisler, Oliver/Schröter, Steffen: Heimatdenken. Konjunkturen und Konturen. Statt einer Einleitung, in: dies. (Hrsg.): Heimat. Konturen und Konjunkturen eines umstrittenen Konzepts, Bielefeld 2007, S. 9–56, hier S. 9.

9

Hüppauf, Bernd: Heimat – Die Wiederkehr eines verpönten Wortes. Ein Populärmythos im Zeitalter der Globalisierung, in: Gebhard, Günther/Geisler, Oliver/Schröter, Steffen (Hrsg.): Heimat. Konturen und Konjunkturen eines umstrittenen Konzepts, Bielefeld 2007, S. 109–140.

10 Cremer, Will/Klein, Ansgar: Heimat in der Moderne, in: dies. (Hrsg.): Heimat. Analysen, Themen, Perspektiven, Bonn 1990, S. 33–55, hier S. 34. 11 Zum Ausdruck von Identität im Zusammenhang mit Heimat vgl. exempl. Buß, Eugen: Regionale Identitätsbildung. Zwischen globaler Dynamik, fortschreitender Europäisierung und regionaler Gegenbewegung, Münster u. a. 2002, S. 8. 12 So wird der Gedanke, dass Heimat als Utopie gedacht werden sollte, in der Literatur immer wieder mit dem Verweis auf „Das Prinzip Hoffnung“ von Ernst Bloch verbunden. 13 Bausinger, Hermann: Heimat in einer offenen Gesellschaft. Begriffsgeschichte als Problemgeschichte, in: Cremer, Will/Klein, Ansgar: Heimat. Analysen, Themen, Perspektiven, Bonn 1990, S. 76–90, hier S. 88. 14 Vgl. hierzu auch: Cremer/Klein: Heimat in der Moderne (1990), S. 34.

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In diesem Kontext liegt das Augenmerk nicht auf den umfassenden Assoziationsräumen, die um den Heimatbegriff rekonstruiert worden sind, sondern darauf, wie Heimat verhandelt wird und welche Spannungen möglicherweise damit zum Ausdruck gebracht werden. Interessanterweise ist die ideologische Belastung des Begriffs, die kein Gesellschaftswissenschaftler in seinen Ausführungen unerwähnt lässt, bei den von uns Befragten kein Thema; ihnen ist Heimat etwas unhinterfragbar Gutes und unbedingt Schützenswertes. Das Reden über Heimat wirkt aus dieser Perspektive völlig harmlos. All die dumpfen Strategien, die im Prozess der Beheimatung stets das Fremde exkludieren und eine imaginäre Gemeinschaft konstruieren, die gegen das Andere abgegrenzt und verteidigt werden müsse, werden von den AkteurInnen zwar nicht bewusst zurückgewiesen, jedoch in keiner Weise thematisiert. In dieser Darstellung erscheint die Heimat, von der sie sprechen, zunächst auch allen anderen offen und zugänglich. Dass Heimat erst in der Auseinandersetzung, im Verlust, erfahrbar wird, ist ein vielbeschriebener Befund.15 Diese Feststellung trifft auch auf die VertreterInnen der Bürgerinitiativen zu. Heimat ist Land und Natur, die ihre Ursprünglichkeit durch den baulichen Eingriff verlieren. Erst im Prozess bzw. bereits mit der Androhung des Vollzugs der landschaftlichen Veränderung wird der Verlust der „unberührten Natur“, der „sauberen Landschaft“, der durch „frische Luft“ und Artenvielfalt sich auszeichnende ländliche Raum „verwundet“ und „zerstört“, mithin als Heimat relevant. Wir wissen leider nicht, inwiefern sie diese thematisiert hatten, bevor Windkraftanlagen, Stromtrassen und Bohrungen virulent geworden sind; doch im gegenwärtigen Diskurs über Heimat wird deutlich, dass diese nur in der Abgrenzung zu und dem Schutz vor den Anlagen der Energiegewinnung sie selbst bleiben könne. Dessen ungeachtet können Heimatkonzeptionen – das zeigen unsere Fokusgruppen mit der unbeteiligten Bevölkerung – sich auch ohne Außendruck und Bedrohung entwickeln und verfestigen. Denn auch diejenigen, für die der beschriebene Konflikt kaum eine bis gar keine Rolle spielt, bezeichnen ihr Wohnumfeld als Heimat. Dabei haben sie eine recht präzise Vorstellung, wie diese Heimat beschaffen ist und was sie ausmacht. Die von den Unbeteiligten verwendete Semantik hinsichtlich des Heimatdiskurses ist – wenig überraschend – deutlich idyllischer und beschreibt weitestgehend ein gutes Leben mit einer intakten sozialen und kulturellen Infrastruktur sowie eine durch Ländlichkeit und Weitläufigkeit geprägte Umgebung. Die Unbeteiligten setzen wie die ProjektgegnerInnen Heimat aus denselben Elementen zusammen, sehen diese hingegen in der Mehrzahl kaum gefährdet. Daher erscheint ihnen die Heimat auch weniger unsi15 Vgl. exemplarisch hierfür Zöller, Renate: Heimat. Annäherung an ein Gefühl, Bonn 2015, S. 9.

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cher. Andersherum formuliert ist die Verteidigung der Heimat ein Antriebsmoment der AktivistInnen, sich gegen die Bauprojekte zu wehren. Ihre Heimat ist, das schien bereits durch, ländlich. Sie wird von den Befragten als Gegenentwurf zur Stadt verhandelt. Die eingeschliffenen Diskursmuster lassen dabei auch eine trotzige Inszenierung der heimatlichen Landschaft als Gegenwelt zur urbanen Metropole erkennen. Möglicherweise hängt diese Erzählung damit zusammen, dass sich ein nicht unbeträchtlicher Teil der Befragten bewusst für ein Leben auf dem Land entschieden hat. Viele, die im Rahmen der hier untersuchten Konflikte ihre Heimat verteidigen, meinen damit nicht die Bindung an den Ort der Kindheit, sondern an einen Raum, den sie sich selbst angeeignet haben.16 Daher sind es oftmals die Zugezogenen, welche die ländliche Region als Heimat bezeichnen und vehement vor den Zumutungen der Energiewende verteidigen. Heimat wird dadurch pluralisiert, temporalisiert und entlokalisiert.17 Mit Anthony Giddens formuliert, sind es die durch die Globalisierung ausgelösten Prozesse des „disembedding“, die zu einer neuerlichen Betonung der lokalen Identitäten führen, also ein „reembedding“ zur Folge haben18 und somit ein Bedürfnis nach Heimat auslösen. Denn während das Land beruhigende Stille und bergende Gemeinschaft verheißt, droht die Stadt mit nervenzehrendem Lärm und beklemmender Anonymität. Ungeachtet der realen Gegebenheiten mit extensiver Landwirtschaft, Massentierhaltung oder Durchgangsverkehr wird die Heimat somit zu einer Zufluchtsstätte vor den durch die hier Befragten aufgebauschten Belastungen in den urbanen Räumen überhöht. Und umso leuchtender die Farben, in denen ein solch idealisierter Schutzraum ausgemalt wird19, desto vehementer fällt oftmals dessen Verteidigung aus. Zugespitzt formuliert sind es diese stereotype Konstruktion der Heimat und die (semantischen) Interpretationen, die dieser Begriff aufgrund seiner vielschichtigen Vergangenheit anbietet, die zu einer Verschärfung der Konflikte geführt haben.

16 Zur Konzeption der Heimat als Aneignung vgl. grundlegend Mitzscherlich, Beate: Heimat ist etwas, was ich mache. Eine psychologische Untersuchung zum individuellen Prozess von Beheimatung, München 2007. 17 Waldher, Karin: Wo Heimat ist (2012), S. 88, als Schlussfolgerung aus der Studie von Beate Mitzerscherlich. 18 Giddens, Anthony: The Consequences of Modernity, Stanford 1990. 19 Die Ausdeutung von Heimat als „Schutzraum“ findet sich auch bei Rehberg, KarlSiegbert: „Heimat mit Haut und Haaren?“ Ein Sehnsuchtsbegriff gegen die Heimatlosigkeit der Moderne, in: Klose, Joachim (Hrsg.): Heimatschichten. Anthropologische Grundlegung eines Weltverhältnisses, Wiesbaden 2013, S. 165–179, hier S. 169.

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Dass Heimat hier stets eine dörfliche, dünn besiedelte, infrastrukturell kaum belastete Region meint, mag möglicherweise dem Umstand geschuldet sein, dass die in der vorliegenden Studie untersuchten Proteste ländliche Konflikte sind. Der Befund schließt jedoch an die in der Literatur diskutierte These an, dass die Konstruktionen der Heimat einerseits und der Landschaft andererseits eng miteinander verbunden sind und oftmals über einen äußerst ähnlichen „semantischen Hof“ verhandelt werden.20 Forscher, die sich um eine umfassende Definition von Heimat bemühen, sprechen von den verschiedenen „Dimensionen“, die Heimat ausmachen. Darunter findet sich prominent auch stets die Dimension der Landschaft.21 Heimat scheint also selbst in dicht besiedelten Industrieregionen und zu Zeiten von Reurbanisierungstrends noch immer an die Vorstellung des Dorfes geknüpft zu sein – wie etwa die platte Ebene, den bewaldeten Mittelgebirgszug oder die sanfte Hügellandschaft –, das jeweils von einem spezifischen, hauptsächlich unbewohnten Gebiet umschlossen ist. Unabhängig davon, dass weite Teile Deutschlands mehr und mehr zu Zwischenstädten mutieren, also aufgrund des zunehmenden industriellen und gewerblichen Flächenverbrauches, einer dichteren Besiedelung sowie der damit einhergehenden Bodenversiegelung Stadt und Land immer weniger als getrennte Räume wahrgenommen werden können,22 ist die gute, im Sinne von qualitativ, hochwertige Heimat noch immer nur als Gegenstück zum urbanen Leben vorstellbar.23 Es sind also eher Imaginationen einer unzerstörten, weiten, unverbau20 Vgl. hierzu grundlegend Hard, Gerhard: Das Wort Landschaft und sein semantischer Hof. Zur Methode und Ergebnis eines linguistischen Tests, in: Wirkendes Wort, H. 19/1969, S. 3–14; die Zitate stammen aus Kühne, Olaf: Landschaftstheorie und Landschaftspraxis. Eine Einführung aus sozialkonstruktivistischer Perspektive, Wiesbaden 2013, S. 55 f. 21 Vgl. exempl. Kühne, Olaf/Spellerberg, Annette: Heimat in Zeiten erhöhter Flexibilisierungsanforderungen. Empirische Studien im Saarland, Wiesbaden 2010, S. 168 f.; Kühne, Olaf/Schönwald, Antje: Identität, Heimat sowie In- und Exklusion: Aspekte der sozialen Konstruktion von Eigenem und Fremdem als Herausforderung des Migrationszeitalters, in: Nienaber, Birte/Roos, Ursula (Hrsg.): Internationalisierung der Gesellschaft und die Auswirkungen auf die Raumentwicklung. Beispiele aus Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland, Arbeitsbericht der ARL 13, Hannover 2015, S. 100–110. 22 Zum Konzept der Zwischenstadt vgl. Hauser, Susanne/Kamleithner, Christa: Ästhetik der Agglomeration, Wuppertal 2006, S. 8. 23 Konkret müsste jedoch durch weitere Untersuchungen in Metropolregionen überprüft werden, ob der Begriff der Heimat eine Umdeutung erfährt oder ggf. durch andere sprachliche Konstruktionen ersetzt wird.

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ten, stillen Landschaft, die als Heimat gelten, denn die reale Situation vor Ort: Der Zauber der Heimat ist nicht, wie Bernhard Schlink formuliert hat, die „Zugänglichkeit und Alltäglichkeit, sondern etwas Unerfülltes, etwas Unerfüllbares“24. Und weiter: „Heimat ist ein Ort nicht als der, der er ist, sondern als der, der er nicht ist.“25 Doch Heimat ist nicht ausschließlich dieser utopische Zustand, sondern kann in der Vorstellung des Lebensumfeldes auch mit Wohlbefinden oder Lebensqualität übersetzt werden. Hier sind es dann einerseits die durch den Raum ermöglichten Freizeitausgestaltungen – wie das unmittelbare Erleben der Natur, die Möglichkeit zur Bewegung und damit zur Gesunderhaltung –, die in den Erzählungen der Befragten Heimat ausmachen; und andererseits das Leben in einer intakten, kleinen sozialen Gemeinschaft. Damit diese Gemeinschaft Heimat sein kann, braucht sie eine entsprechende Infrastruktur mit Ärzten, Schulen, Geschäften, Vereinen und kulturellen Angeboten. Allerdings wird keine bunte Palette erwartet, aus der man wählen kann, sondern ganz im Gegenteil: lediglich eine bescheidene Bedarfsdeckung. Gerade wenn es nur einen Supermarkt, einen Discounter, einen Sportverein oder eine Schule gibt, müssen keine Alternativen abgewogen oder Entscheidungen getroffen werden. Die Suche nach Heimat ist somit auch Ausdruck des Strebens nach Entkomplexisierung und des Umgehens von Kontingenz. Die Heimat, die von den Befragten beschrieben wurde, ist eine klare und eindeutige Heimat. Diese Übersichtlichkeit wird nicht nur von den heimatlichen Institutionen, sondern auch von den sozialen Kontakten erwartet. Bekannte Gesichter auf den Straßen, das Wissen über die Vergangenheit und die Geheimnisse der einzelnen Familien lassen die Individuen einordbar erscheinen. Man weiß, was man von seinen Nachbarn erwarten, wen man um Hilfe fragen kann, auf wen Verlass ist, wem man selbst einen Gefallen schuldet oder zu wem der Jugendliche gehört, der mal wieder mit dem Moped zu schnell durch den Ort gefahren ist; und selbstverständlich auch, wer für und wer gegen das umstrittene Projekt ist oder wem die ganze Angelegenheit gleichgültig ist. Dieses Wissen, diese soziale Kontrolle, diese Überschaubarkeit des Sozialraumes vermitteln Vertrauen und Sicherheit – Werte, die für die hier Befragten essenziell für ihre Konstruktion von Heimat sind. Heimat, Natur und Landschaft, die sich nicht immer trennscharf voneinander abgrenzen lassen, weil die Befragten sie oftmals synonym verwenden, werden darüber hinaus häufig mit dem Begriff der Freiheit in Verbindung gebracht. Zunächst ist es der „freie Horizont“, der nicht durch den geplanten Bau der Anlagen zerstört werden soll; es ist die Freiheit vor Lichtverschmutzung, es ist aber 24 Schlink: Heimat als Utopie (2000), S. 27. 25 Ebd., S. 33.

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auch die Freiheit der Person; es ist ebenso die Freiheit, sich als Grundstückseigentümer und Hausbesitzer zu entfalten, statt sich als abhängiger Mieter in der Stadt mit bedrängender Nachbarschaft auseinanderzusetzen. In einer weitgehend unbewohnten und unerschlossenen Landschaft herrschen kein Leinenzwang für den Hund und kein Anpassungsdruck für den Menschen. Insofern empfinden die befragten VertreterInnen der Bürgerinitiativen den Ausbau der erneuerbaren Energien in ihrem Lebensraum auch als Einschränkung ihrer persönlichen, an die Heimat gebundenen Freiheit. Auch dies erklärt möglicherweise einen Teil der Vehemenz, mit der hier in den Konflikten agiert wird, und begründet die Argumentation eines objektiv nicht nachweisbaren Wertverlusts der eigenen Immobilie. Denn im Grunde geht der Bau von Stromtrassen oder Windkraftanlangen für die Betroffenen mit einer Minderung der Lebensqualität im Wohnumfeld einher. Diese Regression kann jedoch den politischen Entscheidern und Energiewendebefürwortern in den Städten kaum plausibel gemacht und näher gebracht werden, da der Verlust von Dingen beklagt wird, die den Metropolbewohnern ohnehin schon lange fehlen. Daher bleibt ihnen für die öffentliche Debatte oftmals nur das monetäre Argument. Dies ist gleichzeitig auch der juristische Hebel für die Betroffenen. So sind Ausgleichszahlungen durch den Gesetzgeber vorgesehen und werden teilweise auch freiwillig von den Unternehmen in Betracht gezogen. Wertverlust ist jedenfalls – im Gegensatz zur Einschränkung der subjektiv empfundenen Lebensqualität – verhandelbar. Die besondere Tragik an dieser Argumentation ist jedoch, dass ihnen genau dieses Motiv von Teilen der Öffentlichkeit negativ ausgelegt wird: So seien die Gegner von Windkraftanalgen und des für die Energiewende notwendigen Leitungsausbaus nur auf ihren individuellen Vorteil bedacht und würden ausschließlich aus Eigennutz das umweltpolitisch richtige und wichtige Projekt der Forcierung der regenerativen Energien ablehnen. In dieser Logik werden die Engagierten, die ihr „Recht auf Heimat“ wahrnehmen, als NIMBYs verurteilt.26 Heimat wird, das zeigt die bisherige Zusammenstellung, größtenteils über die Landschaft des Wohnortes, über den das Individuum umgebenden Raum wahrgenommen. Der Raum definiert ebenso die Betroffenheit – nur wenn man innerhalb eines bestimmten Gebietes im Verhältnis zu den geplanten Anlagen seinen Wohnsitz hat, ist man einspruchs- und beteiligungsberechtigt. Daher verwundert das Bestreben der Befragten nicht, das durch die Politik als Eignungsraum für Stromtrassen oder Windkraftanlagen definierte Gebiet als Heimat umzudeuten 26 Zur Diskussion über die sogenannten NIMBYs (Not In My Backyard) vgl. exempl. Devine-Wright, Patrick (Hrsg.): Renewable Energy and the Public. From NIMBY to Participation, London 2011.

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bzw. auf vormalige Nutzungskonzepte wie Tourismus-, Naturschutz- oder Naherholungsgebiete zu pochen. Dort, wo seit einigen Jahrzehnten staatlich gefördert Urlauber angelockt werden sollen, könnten doch keine Industrieanlagen errichtet werden. Der heimatliche Raum wird in dieser Beschreibung eindimensional und statisch. Es ist auch der Raum, der durch die Errichtung von Windkraftanlagen, Stromtrassen oder Bohrlöchern umgestaltet werden soll. Diese Veränderung geschieht – so die Sicht der engagierten Betroffenen – jedoch ohne deren Beteiligung. Sie ist ein rücksichtsloser Eingriff in ihre Heimat, der jenseits ihrer Kontrolle und Einflussmöglichkeiten umgesetzt wird. So formuliert auch Bernhard Schlink, dass sich Heimat nicht selbst verändere, sondern von anderen verändert werde, oftmals ohne das Zutun und gegen den Willen der Betroffenen.27 Diese Hilflosigkeit wiederum wird in eine Klage über den Mangel an Autonomie, über den Verlust an Freiheit transformiert. Und noch ein weiterer Aspekt ist in diesem Zusammenhang auffällig: Die in dieser Studie untersuchten Initiativen sind größtenteils erst bei einem erneuten Ausbau der regenerativen Energien bzw. der Stromleitungen aktiv geworden und nicht etwa mit einer unmittelbaren Reaktion auf den erstmaligen Eingriff in den Raum. Oftmals existierten bereits Leitungen und Windkraftanlagen; lediglich eine expansive Erweiterung führte zu einem Engagement vieler ProjektgegnerInnen. Diese bedienten sich dann auch oftmals der Argumentation, dass es durch Repowering oder ähnliche Maßnahmen nicht mehr um die Energiewende, um etwas Gutes, gehe, sondern ausschließlich eine monetäre Wertschöpfung dahinter stehe. Es gehe um Pachteinnahmen, Renditen oder darum, dass der Süden Deutschlands ebenfalls preiswerten Ökostrom bekommen könne. Die Heimat werde folglich rücksichtslos der Ökonomie geopfert. Auch deswegen stelle man sich dem Projekt entgegen. Eine solche Semantik im Zusammenhang mit dem Wort Heimat kann einerseits durchaus als Furcht vor der Zukunft oder Angst vor kommenden Veränderungen, die man weder überblicken noch beeinflussen kann, interpretiert werden. Andererseits haben wir bereits an anderer Stelle deutlich gemacht, dass das romantische Heimaterleben und die Artikulation dieser spezifischen Verlusterfahrung nicht umstandslos als „Leiden an der Moderne“ interpretiert werden können, sondern dass auch die AktivistInnen, die sich gegen die Errichtung von Windkraftanlagen und Stromtrassen sowie gegen Fracking zur Wehr setzen, mit Kennzahlen und Zukunftsszenarien argumentieren, technisches Wissen, fachliche Expertise und professionelle Gutachten in die Diskussion einbringen28. In 27 Siehe Schlink: Heimat als Utopie (2000), S. 7. 28 Vgl. Marg et al.: Bürgerproteste (2013).

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dieser Deutung ist Heimat nicht zwangsläufig mit Traditionalismus, Konservatismus oder Antimodernität gleichzusetzen, sondern in Anlehnung an Beate Mitzscherlich können ihr durch eine jederzeit umsetzbare Aneignung durchaus moderne Züge anhaften. Darüber hinaus haben viele Studien nachgewiesen, dass für ein Engagement vor Ort lokale Identifikation die Voraussetzung ist.29 Nur wenn Menschen sich an einem Ort wohlfühlen, diesen Raum als Heimat begreifen, sind sie auch bereit, Zeit und Kraft zu investieren. Heimatgefühl ist in diesem Sinne ebenso eine Ressource oder möglicherweise Voraussetzung für eine aktive Zivilgesellschaft. Daher ist es kein Zufall, dass nicht wenige der hier untersuchten AktivistInnen nicht nur Projektgegner, sondern ebenso aktive Stützen des örtlichen Vereinslebens und der lokalen Politik sind. Anhand der Aussagen der hier Befragten über Heimat kann geschlussfolgert werden, dass Heimat als eine Verbindung von Person und Raum ein wichtiger Teil der Identitätsbildung ist.30 Durch die subjektive Aneignung der Landschaft findet ein „In-Beziehung-Setzen des Individuums mit seiner Umwelt“31 statt. Heimat hat somit zum einen eine identitätsstiftenden Funktion32 und ist zum anderen Ausdruck des „Bedürfnis’ nach Identität“33. Vermutlich wird das Konzept immer wieder dann relevant, wenn die gesellschaftlichen Zusammenhänge von Vertrauen, Sicherheit und Freiheit durcheinander geraten. Heimat dient als notwendige Stütze, wenn das Vertrauen in die Repräsentanten schwindet, das individuelle Sicherheitsgefühl brüchig wird und der Eindruck entsteht, die persönliche Freiheit werde eingeschränkt. Heimat als diskursive Formation scheint im29 Vgl. hierzu exempl. Kuhn, Sebastian: Lokale Orientierungen, in: van Deth, Jan W./ Tausendpfund, Markus (Hrsg.): Politik im Kontext: Ist alle Politik lokale Politik? Individuelle und kontextuelle Determinanten politischer Orientierungen, Wiesbaden 2013, S. 35–65, hier S. 56. 30 „Landschaft wird als Heimat konstruiert. Gerade ländliche Landschaft gilt als Basis für Heimat.“ Kühne, Landschaftstheorie und Landschaftspraxis (2013), S. 56. Und genau dieses Diktum ließe sich wohl auch anders herum formulieren: dass Heimat als „ländliche Landschaft“ gedacht wird. 31 Michels, Monika: Subjektive Konstruktion von (Kultur-)Landschaft in der Alltagspraxis, in: Leibenath, Markus/Heiland, Stefan/Kilper, Heiderose/Tzschaschel, Sabine (Hrsg.): Wie werden Landschaften gemacht? Sozialwissenschaftliche Perspektiven auf die Konstituierung von Kulturlandschaften, Bielefeld 2013, S. 97–132, hier S. 118. 32 Siehe Bredow, Wilfried von/Folthin, Hans-Friedrich: Zwiespältige Zufluchten. Zur Renaissance des Heimatgefühls, Bonn 1981, S. 19. 33 Klose, Joachim: Vorwort, in: ders. (Hrsg.): Heimatschichten. Anthropologische Grundlegung eines Weltverhältnisses, Wiesbaden 2013, S. 11–15, hier S. 11.

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mer dann massenhaft ansprechbar und reaktivierbar zu sein, wenn reale oder empfundene gesellschaftspolitische Veränderungen persönliche Identitätsbildungsprozesse beeinflussen und kaum andere Identifikationsangebote vorhanden sind, wie bspw. ein Wirtschaftsaufschwung, eine generationelle Auseinandersetzung oder ein politisches Projekt. Heimat als wandlungsfähiger und zeitloser Begriff ist durch seine lange Tradition und offene Konstruktion (im Sinne einer unabgeschlossenen Begriffsbildung) durchaus ein anschlussfähiges Konzept. Speist es sich jedoch ausschließlich aus tradierten Elementen sowie idealisierten Vorstellungen und wird der gegenwärtigen Rede von der Heimat nichts Neues hinzugefügt, können zulasten der beschriebenen positiven Begleiterscheinungen der Heimat die exklusiven und exkludierenden Strategien die Oberhand gewinnen. Dann wird möglicherweise die Verbindung zwischen Individuum und Raum im Rekurs auf die Heimat bedrohlicher und die Verteidigung der Heimat gegen Veränderungen und Veränderer vehementer, als sie uns in dem hier dargelegten Diskursfeld bisher erschienen sind.

Teil D: Fazit und Ausblick

13 Bürgerproteste in Zeiten der Energiewende Ein Fazit in neun Thesen C HRISTOPH H OEFT , S ÖREN M ESSINGER -Z IMMER , J ULIA Z ILLES

13.1 E RGEBNISSE In den vorangegangenen Kapiteln wurden die Proteste aus den jeweiligen Blickwinkeln der wichtigsten beteiligten AkteurInnen beschrieben: Zunächst wurde rekonstruiert, wie die Protestierenden selbst ihr Handeln wahrnehmen und einordnen, um diese Perspektive anschließend mit den Sichtweisen von Politik, Unternehmen und der unbeteiligten Bevölkerung zu kontrastieren. Gezeigt hat sich, dass es keine einheitliche Beurteilung der Rolle gibt, die Proteste innerhalb der infrastrukturellen Projekte der Energiewende spielen oder spielen sollen. Was man sich von Bürgerinitiativen erwartet, welche Funktionen Protest übernehmen soll, welchen Einfluss man ihm zuschreibt und ob es sich dabei um eine Revitalisierung der Demokratie oder den endgültigen Todesstoß für parlamentarische Verfahren und Infrastrukturprojekte handelt: All das variiert von AkteurIn zu AkteurIn und von Fall zu Fall. Dennoch hat unsere Analyse einige grundlegende Aspekte zutage gefördert, welche die einzelnen Beispiele synthetisch verknüpfen – diese fallübergreifenden Erkenntnisse sollen im Folgenden in Form von neun Thesen präsentiert werden. 1. These: Die Bürgerinitiativen werden überwiegend als Interessenvertretung der betroffenen lokalen Bevölkerung wahrgenommen und häufig mit dieser identifiziert. Bürgerinitiativen wird, das zeigten unsere Analysen deutlich, innerhalb der Aushandlungen und Konflikte um Energiewendeprojekte fallübergreifend eine spezifische repräsentative Rolle zugewiesen – auch wenn sich selbstverständlich die

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Beurteilungen dieser Funktion und die mit ihr verknüpften Erwartungen zum Teil drastisch unterscheiden. Nahezu alle AkteurInnen beschrieben die jeweiligen Protestgruppen als eine mehr oder weniger „normale“ Interessenvertretung, die sich bemühe, die Vorstellungen der lokalen Bevölkerung zu aggregieren und in den Aushandlungsprozess einzubringen. Die Protestierenden übernehmen demnach eine Rolle, die einer Partei oder Lobbygruppe nicht unähnlich ist: Sie gelten als legitime Vertretung der Ängste und Sorgen sowie Interessen der übrigen Bevölkerung. Ihre Aufgabe im Konflikt ist gewissermaßen deren politische Vertretung gegenüber den anderen beteiligten AkteurInnen. Interessanterweise beanspruchen diese Zuschreibung nicht nur die Bürgerinitiativen selber, sondern auch die übrigen Gruppen schreiben den Protestierenden eine solche Aufgabe zu. Interessant war dabei insbesondere, welche unterschiedlichen und zum Teil divergierenden Erwartungen und Ziele mit dieser Etikettierung der Bürgerinitiative als Interessenvertretung verknüpft wurden. Für die Protestierenden war dieses Selbstbild quasi konstitutiv: Per definitionem beanspruchten sie für sich die Vertretung der übrigen, (noch) nicht-aktiven Bevölkerung. Man sieht sich als Avantgarde, als diejenigen, die im Gegensatz zu anderen bereits die Wichtigkeit und Dramatik der Situation verstanden haben und bereit sind, auch selbst aktiv zu werden. Dahinter steht eine Legitimationsstrategie: Indem sich die Bürgerinitiativen zu Fürsprechern aller anderen BürgerInnen machen, steigern sie ihre eigene Wichtigkeit und machen sich zu VetospielerInnen, die kaum übergangen werden können. Zusätzlich stärkt ein solches Bild auch den inneren Zusammenhalt: Man steht mit den eigenen Forderungen nicht alleine da, sondern spricht lediglich laut aus, was auch die anderen bewusst oder unterbewusst beschäftigt. Anders verhält es sich mit den Unternehmen: Auch sie sehen in den Bürgerinitiativen eine Interessenvertretung der übrigen BürgerInnen, verbinden damit aber ein eigenes strategisches Ziel: Durch diese Zuschreibung wird der Unmut der Bevölkerung kanalisiert und damit handhabbar. Die Einbindung der Protestierenden in bestimmte Formen der Beteiligung verspricht somit, die gesellschaftliche Missstimmung insgesamt einzuhegen. Gleichzeitig schafft die Integration der organisierten KritikerInnen eine neue Form der Legitimität von Entscheidungen, indem darauf verwiesen werden kann, sich intensiv mit den Einwänden der betroffenen Bevölkerung beschäftigt zu haben. Diese Normalität der Einbindung von Bürgerinitiativen und ihrer Notwendigkeit zur Legitimierung von Projekten führt zu einer Vielzahl politischinstitutioneller Anpassungsleistungen, die als Folgen der diskursiv sehr präsenten vorausgegangen Proteste verstanden werden können.1 Die Behörden und Un1

Vgl. Kolb: Die politischen Auswirkungen (2006).

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ternehmen richten Abteilungen und Ansprechpartner ein, überlegen sich ausführlichste Strategien und die Politik begleitet dies mit einer Vielzahl von beteiligungsfreundlichen Reformen der Planungsverfahren. Die Bürgerinitiativen werden als normaler Bestandteil demokratischer Planungsverfahren gedacht und nicht als bloß ausnahmsweise im entstehenden Konfliktfall als unkonventionell zu betrachtende AkteurInnen. Spätestens an dieser Stelle zeigt sich auch die Schattenseite dieser neuen Rolle von Protestgruppen. Diese Gruppen zeichnet nämlich aus, dass sie streng genommen über keinerlei demokratische Legitimation verfügen: Sie stellen sich nicht zur Wahl, sie übernehmen keine offiziellen Ämter oder Funktionen, sie sind niemandem Rechenschaft schuldig, können also auch nicht durch eine Abwahl von ihrer Aufgabe entbunden werden. Spätestens ab dem Punkt, an dem sie dennoch institutionalisierte Vertretungsaufgaben übernehmen, wird dieses demokratische Vakuum zum Dilemma: Einerseits können diese Gruppen nicht ernsthaft offizielle Aufgaben übernehmen, ohne sich einer demokratischen Kontrollierbarkeit zu unterwerfen; andererseits beziehen sie ihre Legitimität gerade aus ihrer Unabhängigkeit und Authentizität, die durch eine stärkere Formalisierung zunichtegemacht werden würde. Die mangelnde demokratische Legitimation wurde durchaus wiederholt thematisiert. Gleichwohl akzeptieren nicht geringe Teile der unbeteiligten Bevölkerung den Vertretungsanspruch der Bürgerinitiativen, fordern ihn sogar ein. Viele TeilnehmerInnen in den Gruppendiskussionen schrieben den Bürgerinitiativen explizit oder implizit eine repräsentative Aufgabe zu, der zufolge die Protestierenden unverfälscht, ehrlich und authentisch die Interessen der „normalen“ Bevölkerung gegenüber Politik, Verwaltung und Unternehmen vertreten sollten. 2. These: Die von allen AkteurInnen wahrgenommene hohe Emotionalität der Bürgerinitiativen wird von vielen Protestadressaten genutzt, um die vorgebrachten Forderungen zu delegitimieren; aber gerade die Unbeteiligten sprechen den Bürgerinitiativen aufgrund ihrer hohen Emotionalität Authentizität und Glaubwürdigkeit zu. Bürgerinitiativen polarisieren, spitzen zu, kämpfen um öffentliche Aufmerksamkeit und versuchen damit, Meinungen zu bilden und zu beeinflussen. Sie nutzen Proteste, Aktionen und Gegen-Informationen zur Mobilisierung und thematisieren dabei ihre eigenen Sorgen, Ängste und Befürchtungen. Genau hier liegt ihre Stärke, genau hier aber auch ihre Achillesferse. Denn Emotionen und gute Politik werden von beinahe allen interviewten AkteurInnen implizit oder explizit als Gegensätze konzipiert.

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Die GegnerInnen der Bürgerinitiativen nutzen die angeblichen Emotionen, aus denen die Proteste entspringen und die sie schüren würden, als Mittel der Delegitimierung der Bewegung. Die Protestierenden würden keine seriösen Einwände und handfesten Argumente vorbringen, sondern lediglich übertriebene Panikmache betreiben und ihren eigenen unreflektierten Ängsten Ausdruck verleihen. Somit werden eine strenge Dichotomie und Hierarchie der Argumente aufgebaut: auf der einen Seite die rationale Politik und das noch rationalere unternehmerische Handeln, die diskursiv und ruhig versuchen, Positionen auszuhandeln; auf der anderen Seite die panischen Protestierenden, die sich nicht auf einen solchen rationalen Austausch einlassen würden, sondern von Emotionen geleitet seien. Diese Trennung von Politik und Emotion wird auch von den Unbeteiligten aufrechterhalten – sie machen diese aber insbesondere der arrivierten Politik zum Vorwurf. Professionelle Politik sei zwar rationaler, aber dadurch auch abgehobener, langweiliger und wenig empathisch für die Interessen der BürgerInnen. Den Protestierenden wird dagegen eine beachtliche Authentizität zugesprochen, die sich eben gerade aus ihrer Emotionalität ergebe. Allerdings werden auch in dieser Argumentationsweise bestimmte Schwächen der Bürgerinitiativen reproduziert: So gehe der emotionalere Zugang der Protestierenden auf Kosten ihrer Professionalität. Man erwartet von ihnen aber auch keine fachlich bis ins Detail korrekten und ausgewogenen Analysen, sondern wertet die Ehrlichkeit und persönliche Betroffenheit der Engagierten als entscheidendes Argument zu ihren Gunsten. Da die Protestierenden von ihren persönlichen Ängsten und Sorgen angetrieben seien, vermuten die wenigsten Interviewten andere Interessen dahinter – ein Vorwurf, der gegenüber der professionellen Politik dagegen sehr häufig formuliert wurde. 3. These: Ob die Protestadressaten eine offene, kooperative oder eine konfrontative Strategie gegenüber den Bürgerinitiativen verfolgen, wird nicht zuletzt davon geprägt, ob sie die Bürgerinitiativen zumindest partiell als nützlich oder lediglich als destruktiv wahrnehmen. Hier bestätigen unsere Erhebungen die Erwartungen, die das Political Mediation Model formulieren würde: Sobald bestimmte AdressatInnen einen spezifischen Nutzen in den Protesten erkennen, steigen ihre Bereitschaft, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, und damit auch die Einflussmöglichkeiten der Bürgerinitiativen.2 Besonders bei den Unternehmen bestand der sicherste Weg, Zugang und ein gewisses Maß an Einfluss zu gewinnen, in einer von den Unternehmen als rational und konstruktiv wahrgenommenen Beteiligung an den Details der Planung, etwa 2

Vgl. Amenta/Caren/Chiarello/Su: The Political Consequences (2010), S. 298–300.

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durch Hinweise auf bestehende Probleme und Alternativen. Eine solche Beteiligung war den Unternehmen nützlich. Sie weist auf lokale Besonderheiten und technische Probleme sowie auf mögliche Klagegründe hin und kann dadurch die Planung und die taktischen Überlegungen verbessern. Tatsächlich schufen die Unternehmen von Anfang an explizite Möglichkeiten für eine solche Planungsbeteiligung; und eine Umformung der Proteste in Interessenverbände, die sich konstruktiv in die Planungsprozesse einbringen, war erklärtes Ziel der Kommunikationsstrategien. Im Gegensatz dazu wurde in den Interviews uns gegenüber immer wieder betont, dass rein emotionale oder destruktive, radikaloppositionelle Initiativen keine Chance hätten, Einfluss auf die Projekte zu gewinnen. Auch die Lokalpolitik differenziert in nützlichen und schädlichen Protest und richtet ihr Handeln an dieser Differenz aus. Hier lag der Unterschied jedoch weniger in der Form des Protests selbst als vielmehr in der inhaltlichen Übereinstimmung von Zielen und Interessen. Damit kann auch die Frage nach der Kausalitätsrichtung in diesem Fall nicht eindeutig beantwortet werden. Dort, wo die lokale Politik sich ebenfalls gegen die Projekte wandte, war ihre Wahrnehmung der Proteste und Bürgerinitiativen deutlich positiver als dort, wo sie selbst Ziel der Proteste war. Hier wiesen die Proteste aus Sicht der Lokalpolitik auf Fehler im Planungsprozess hin, brachten sehr gute Argumente vor und bereicherten den Diskurs mit Expertise; dort waren es unbelehrbare, oftmals von außerhalb der Orte kommende Einzelne. Diese unterschiedliche Wahrnehmung wiederum wirkt sich ebenfalls auf die Bereitschaft aus, mit den Bürgerinitiativen ins Gespräch zu kommen, deren Argumente überhaupt zu bedenken, und führt so zu positiven respektive negativen Feedback-Schleifen der Kooperation oder Konfrontation. Als nutzlos eingeschätzte Argumente und Formen des Protests wurden systematisch aus den Projekten herausgehalten und stellenweise völlig ignoriert, während rationale, an der Sachfrage orientierte, d. h. für eine Verbesserung der Projekte oder zumindest für die Verbesserung der Durchsetzungschancen nützliche, Kritik Gehör fand und als positive Bürgerbeteiligung sogar eingefordert wurde. 4. These: Die Bürgerinitiativen haben einerseits die Möglichkeit, sich als Protestbewegung zu verstehen und damit auf eine politische Entscheidung Einfluss zu nehmen, oder andererseits über die Arbeit als professionalisierte Interessenvertretung Einfluss auf die konkreten Projekte zu gewinnen. Ziel der Bürgerinitiativen ist, möglichst direkten Einfluss auf jene Projekte zu erlangen, die ihnen ein Dorn im Auge sind. Protest verstehen sie als direktes Einflussmittel. Die Ziele, die sich die BIs setzen, sind meist recht hoch gesteckt: Ih-

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nen geht es (zunächst) um die völlige Verhinderung von konkreten Windparks, Trassenverläufen und Fracking-Bohrstellen. Darüber hinaus setzen sich aber alle AktivistInnen auch für grundlegendere und abstraktere Ziele ein: Im Falle der Stromtrassen wird das „Warum“ infrage gestellt, im Falle von Windkraft wird versucht, bis auf Bundesebene hinauf rechtliche Bedingungen zu verändern, und die Fracking-Gegner wollen dieses gänzlich verboten wissen. Von allen wird auch als Ziel formuliert, dass die jeweiligen Verfahren demokratisiert werden; und die BürgerInnen müssten stärker in die Entscheidungen eingebunden werden. Die Bürgerinitiativen wissen, dass indirekter Einfluss ihre größte Machtressource ist – gelingt ihnen, in den betroffenen Orten und Gemeinden die Stimmung aufzuheizen, geraten lokale Politiker, insbesondere vor anstehenden Wahlen, unter Druck. Gerade deshalb versuchen Bürgerinitiativen, den Konflikt zu politisieren. Für die AktivistInnen der Bürgerinitiative handelt es sich bei den Fragen, ob ein Windpark gebaut wird, welchen Trassenverlauf die Stromleitung nehmen wird oder ob in Deutschland gefrackt werden darf, um politische Entscheidungen, nicht hingegen um Verwaltungsverfahren oder planerische Probleme. Wenngleich sich die Bürgerinitiativen zwar selbst als Protestakteure verstehen, lässt sich der Großteil ihrer Aktivitäten häufig nicht dem klassischen Protestrepertoire zuordnen. Sie bedienen sich ganz unterschiedlicher Strategien, die in verschiedenen Phasen des Engagements virulent werden und von einer strategischen Grundsatzentscheidung abhängen, zu der die Bürgerinitiativen früher oder später gezwungen sind: Entweder sie konzentrieren sich weiter auf das konkrete Projekt und versuchen sich im Rahmen der Beteiligungsverfahren an Änderungen; oder sie treiben die Politisierung voran und versuchen, politische Entscheidungen zum Thema grundsätzlich zu beeinflussen. Von nahezu allen Adressaten wird, wie bereits beschrieben, den Protestierenden vorgeworfen, sie argumentierten ausschließlich emotional, bedienten die Ängste der Bevölkerung und seien deshalb in ihren Argumenten irrational. Die Protestadressaten nehmen die Bürgerinitiativen jedoch nur dann als Gesprächspartner auf Augenhöhe wahr, wenn diese mit sachlichen und unaufgeregten Argumenten versuchen, sich in die Diskussion einzubringen. Die Bürgerinitiativen haben zwei idealtypische Möglichkeiten mit diesem Vorwurf umzugehen; beide wurden in unseren Fällen in unterschiedlichem Maße von den Bürgerinitiativen verfolgt. Erstens können sie mit einer Strategie der Versachlichung reagieren. Dann erarbeiten sie sich durch (eigene) Studien und Gutachten belegtes Expertenwissen und treten mit ihrer Sachkenntnis beratend an die Politik und die Verfahren

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heran. Dies sichert ihnen die Möglichkeit, innerhalb der Verfahren gehört zu werden und dort bestimmte Punkte geltend zu machen und innerhalb der Regeln Projekte zu verändern, bestimmte Standorte zu verhindern und Ähnliches. Dann stehen nur zu Beginn Strategien wie Bürgeraufklärung, Information und Provokation durch Protest im Mittelpunkt, das Handlungsrepertoire verlagert sich später vielfach zu Politikberatung, Beteiligung an Planungsverfahren, dem strategischen Einsatz von Gutachten und Klagen sowie der Vernetzung mit anderen Initiativen und Verbänden. Das strategische Empowerment neuer BIs über „Starthilfen“, „Erste-Hilfe-Pakete“ und den daraus resultierenden „Schneeballeffekt“ wird als Erfolg betrachtet. Gleichzeitig gehen die Bürgerinitiativen dabei aber das Risiko ein, Empörungspotenzial ob der undemokratischen Planungsweise zu verlieren, da sie sich selbst auf diese einlassen. Zweitens können sie die Verfahren darin für gescheitert erklären, den Bürgerwillen einzubeziehen, und sich symbolisch und tatsächlich stärker außerhalb selbiger positionieren. Dann tragen sie ihre Argumente und ihr Wissen in die Öffentlichkeit und versuchen, eben auch durch Emotionalisierung, zu mobilisieren. Dazu gehören symbolische Akte wie das Überreichen ironischer „Preise“ für die Kommunikationsstrategie des jeweiligen Unternehmens. Dort, wo dies in einem großen Maßstab öffentliche Resonanzen auslöst, befürchten Unternehmen und PolitikerInnen den größeren Einfluss von Protesten – nämlich auf Grundsatzentscheidungen zu Technologien und Möglichkeiten von zukünftigen Projekten. Juristisches Vorgehen gegen Verfahren und Entscheidungen bleibt auch hier wesentlich für die Strategie der Bürgerinitiativen. Hier besteht das Risiko, dass die Mobilisierung scheitert und man aus den Verfahren ausgeschlossen wird. Einerseits sind insbesondere Erfolge und Misserfolge entscheidend für die weitere Entwicklung der Bürgerinitiativen: Wo Proteste in einigen Punkten scheitern, wo das Gefühl von Wirkungslosigkeit entsteht, da wachsen auch insgesamt Frustration und Wut, woraus häufig Verbitterung und eine zunehmende Abwendung von Aushandlungsprozessen folgen. Andererseits sind genau diese Entwicklungen oft der Beginn von Spaltungsprozessen. Entweder schrumpfen die Gruppen auf einen harten Kern zusammen, der dann häufig aus ihren kompromisslosesten Teilen besteht, wohingegen andere enttäuscht das Handtuch werfen. Oder die Gruppen spalten sich in verhandlungsbereite Teile, die sich stärker auf eine Kompromissfindung einlassen wollen, und radikalisierte Gruppen. Dies zeigt: Nicht nur sind die beiden gegensätzlichen Entwicklungen grundsätzlich möglich, sondern sie treten auch teilweise sogar bei ein und derselben Protestbewegung mehr oder weniger zeitgleich auf. In diesen Ausdifferenzierungsprozessen spiegeln die Bürgerinitiativen die von Unternehmen und Politik häufig herbeigeredete Unterteilung in „gute“, ver-

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handlungsbereite und „schlechte“, kompromisslose Protestgruppen wider. Auch, wenn so zumindest bestimmten Teilen der Bewegung weiterhin möglich ist, die Pläne zu beeinflussen und schrittweise zu reformieren, werden doch andere Teile aus den Aushandlungsprozessen ausgeschlossen – was die oppositionelle Durchschlagskraft der Protestgruppen insgesamt eher schwächt. 5. These: Auch gewählte PolitikerInnen gehen abhängig von der Entscheidungsebene bisweilen Koalitionen mit den Bürgerinitiativen ein, unterstützen sie finanziell oder ideell und bedienen sich teilweise selbst Protestmitteln. Proteste werden in der Regel als Handlungen nicht-staatlicher AkteurInnen beschrieben, die sich häufig gegen politische Entscheidungen richten, auf welche die Protestierenden formal nicht anders Einfluss ausüben können. Doch nicht in allen hier untersuchten Fällen richteten sich die Aktionen der Protestierenden gegen staatliche RepräsentantInnen, Institutionen und Entscheidungen. In einigen Fällen beteiligten sich sogar offizielle politische Amts- und FunktionsträgerInnen an den Protesten.3 Die Formen und Ausprägungen der vielseitigen Koalitionsbildungen hingen dabei im Wesentlichen von den Ausgangskonstellationen in den jeweiligen Konflikten ab. Dieser Befund entspricht dem Protestverständnis als „Handeln gegen andere“4. So fand in jenen Fällen, in denen politische Grundsatzentscheidungen auf höheren Ebenen getroffen wurden, zum Teil ein sehr weitgehender Schulterschluss zwischen Protestierenden und niedrigeren politischen RepräsentantInnen wie BürgermeisterInnen, LandrätInnen o. Ä. statt. Kommunale PolitikerInnen sahen sich häufig mit Beschlüssen konfrontiert, die vor Ort zwar hoch umstritten waren, auf die sie aber keinen politischen Einfluss mehr ausüben konnten.5 Sie nutzten dann die Möglichkeiten von Protestbewegungen auf drei Ebenen: Erstens nutzten sie den Verweis auf Protest, um gegenüber höheren Ebenen mit einer nicht mehr zu übersehenden lokalen Unzufriedenheit argumentieren zu können; zweitens beteiligten sie sich auch persönlich, um trotz geringer formaler 3

Besonders für Stromtrassenkonflikte waren Zweckbündnisse bereits bekannt, beschrieben etwa in Zimmer et al.: Streit um die Uckermarkleitung (2013). Hier geht es aber über reine Zweckbündnisse zweier getrennter AkteurInnen mit gleichem Interesse hinaus. Unsere Erkenntnisse zeigen eher, dass es in diesen Fällen häufig ein und dieselben AkteurInnen sind, die sich zweier unterschiedlicher Label und Strategien bedienen: einmal als Bürgerinitiativen und einmal als kommunale Strukturen.

4

Geiges, Lars/Marg, Stine/Walter, Franz: Pegida. Die schmutzige Seite der Zivilgesellschaft?, Bielefeld 2016, S. 89.

5

Zum scale shift von Empörung vgl. Rootes: From local conflict to national issue (2013).

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Kompetenzen Handlungsstärke zu beweisen. Solcherart aktive PolitikerInnen können sich – drittens – mit dem Verweis auf die eigene Beteiligung an den Protesten geschickt aus der Schusslinie der unzufriedenen Bürgerinnen und Bürger nehmen. Dabei ging das Verhältnis von Bürgerinitiativen und kommunaler Politik über ein Zweckbündnis hinaus. Dort, wo nicht spontan von BürgerInnen Initiativen gebildet wurden, entstanden diese aus dem Kreis von Stadträten und anderen aktiven KommunalpolitikerInnen. Sie wurden aktiv gebildet, um strategische Funktionen erfüllen zu können. Je mehr die kommunale Politik aus offiziellen Verfahren ausgeschlossen wird, umso mehr nutzt sie selbst Protest, um Handlungsfähigkeit zu demonstrieren und Einfluss zu gewinnen. Im Gegensatz dazu bildete sich in den Fällen, in denen die umstrittenen Entscheidungen direkt vor Ort getroffen wurden, eine klassische Konfliktkonstellation, in der sich eine zivilgesellschaftliche Protestgruppe gegenüber staatlichen VertreterInnen und privatwirtschaftlichen Unternehmen positionierte. BürgermeisterInnen, LandrätInnen und andere kommunale PolitikerInnen waren in diesen Fällen AdressatInnen von Protest und entwickelten als solche auch ein zunehmend antagonistisches Verhältnis zu den Bürgerinitiativen. 6. These: In den Konflikten treffen die Kommunikationslogiken der politischen Entscheidung und der rein rechtlichen Verwaltungsverfahren aufeinander und verfestigen – sofern keine „Übersetzungsleistung“ stattfindet – die Konfliktlinien. Die AkteurInnen, die sich in die von uns betrachteten Konflikte um Energiewendeprojekte einbringen, scheinen in zwei divergierenden Kommunikationslogiken verfangen zu sein. Während die einen – vor allem die Protestgruppen, bisweilen aber auch PolitikerInnen (v. a. auf lokaler Ebene) – die Auseinandersetzungen dezidiert als politischen Prozess begreifen und dementsprechend handeln, verweisen andere – insbesondere Verwaltungen, Unternehmen und PolitikerInnen in Exekutivfunktionen – auf den unpolitischen Charakter des Prozesses. Diese beiden Kommunikationslogiken sind nicht miteinander kompatibel; es kommt zu Missverständnissen, enttäuschten Erwartungen und einer Verfestigung der Konfliktlinien. Einige AkteurInnen versuchen, den Konflikt in der Arena des Politischen zu belassen oder ihn dorthin zurückzuholen. Am eindeutigsten streben die Bürgerinitiativen und AktivistInnen danach, den Planungs-, Entscheidungs- und Genehmigungsprozess zu politisieren. Sie verstehen es als politische Entscheidung, ob in Deutschland gefrackt wird, ob, wo und wie neue Stromtrassen gebaut und

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an welchen Standorten neue Windräder errichtet werden. Von „ihren“ Abgeordneten erwarten sie, politisch deutlich Stellung zu beziehen. So versuchen etwa die WindkraftgegnerInnen in Rheinland-Pfalz, das Thema an die Landesregierung zu adressieren und dadurch die Proteste auf die landespolitische Agenda zu setzen und als Wahlkampfthema zu verankern. Es wurde versucht, „ganz gezielt die Politik der Landesregierung zu konterkarieren und einfach zu zeigen, das, was die Landesregierung hier als angebliches Musterbeispiel, als angeblichen Musterlandkreis verkauft, das hauen wir euch mal um die Ohren“. Vielfach fühlen sich die BürgerInnen überhaupt nicht eingebunden in die Entscheidung über das „Ob“ von Energieinfrastrukturprojekten, sondern allenfalls in das „Wie“. So wird gerade im Konflikt um den SuedLink das Unternehmen TenneT trotz (oder gerade wegen) dessen umfassender und vorgeschalteter Öffentlichkeitsbeteiligung dafür kritisiert, dass man vor Ort nicht auf politischer Ebene darüber diskutiere, ob diese Trasse überhaupt benötigt werde. Aber auch politische AkteurInnen versuchen bisweilen, Prozesse zu repolitisieren. So hat in unserem Konfliktbeispiel Fracking der zuständige Landrat mithilfe eines „politischen Tricks“ versucht, die Entscheidung zurück auf eine politische Ebene zu führen und nicht mehr in der rein rechtlichen Sphäre des Bergbaurechts zu belassen: In einer Kreistagsabstimmung führte er politisch eine Ablehnung herbei, obwohl alle rechtlichen Gutachten positiv ausgefallen waren. Infolgedessen musste sich die Landesebene erneut mit dem Thema befassen, was das konkrete Projekt vorerst auf Eis legte. Insbesondere AkteurInnen in den Verwaltungen sowie PolitikerInnen, die in exekutiver Verantwortung stehen, betonen dagegen den unpolitischen Charakter der Entscheidung für oder gegen Projekte. Dabei handele es sich um ein „reines Verwaltungsverfahren“. Die Verlässlichkeit der Rechtsstaatlichkeit wird in den Mittelpunkt gerückt: „Wir sind hier nicht ’ne Bananenrepublik, wir sind ’nen Rechtsstaat. Das ist genauso, als ob Sie im Neubaugebiet ’nen Haus bauen wollen und jetzt sagt der Gemeinderat: ‚Nein, es gibt schon genug Häuser, aber der Nachbar durfte noch bauen.‘ Na, dann klagen Sie, das ist halt illegal, und Sie kriegen eine Baugenehmigung. Wenn es baurechtlich zu genehmigen ist, ist es zu genehmigen.“

Dieser Logik folgend, geht es nicht um eine Entscheidungsfrage, auf die politisch in irgendeiner Form Einfluss genommen werden könnte. Ob etwa ein Windrad gebaut wird oder nicht, sei demnach keine politische, sondern eine rein rechtliche Entscheidung. Sogar wenn die gewählten VertreterInnen einer Gemeinde ein Projekt ablehnen, sei demnach die Behörde „verpflichtet, das rechts-

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widrig versagte Einvernehmen von Amtswegen zu ersetzen und die Genehmigung trotzdem zu erteilen“. Mit Blick auf die Kreisebene und den Landrat erläutert ein Verbandsbürgermeister: „Ja das ist wohl auch Ausfluss […] dieser Dichte von Windrädern hier im Kreis, dass auch gerade der Landrat und der Rhein-Hunsrück Kreis als Genehmigungsbehörde dort vielfach scharf angegangen worden ist, weil er die Genehmigungen ausspricht. Aber es verkennt, dass er sie aussprechen muss, wenn also die Voraussetzungen erfüllt sind, wir sind ’nen Rechtsstaat und wenn also die Voraussetzungen da sind und dann hat man auch einen Anspruch auf eine entsprechende Genehmigung.“

Und auch der Landrat selbst bezieht sich auf den Rechtsweg: „[S]toppen kann ich nichts, das ist der Rechtsweg“. In der Denk- und Kommunikationslogik von Unternehmen und Verwaltungen ist eine möglichst frühzeitige Rechtssicherheit im Verfahren am wichtigsten. Entscheidungen müssen demnach länger gelten als politische Wahlzyklen, daher vom Rhythmus des politischen Betriebs unabhängig sein und sich den Zwängen des permanenten politischen Aushandelns und Kompromissschließens entziehen. Die unterschiedlichen Kommunikationslogiken treffen nicht nur durch verschiedene Akteursgruppen aufeinander, sondern konfligieren auch zeitlich. Ein Unternehmensvertreter schildert dieses Dilemma im Interview: „Über einen Zeitraum von drei bis vier Jahren ist dieses Projekt mit regelmäßigen Abständen [in der Presse gewesen, Anm. d. Verf.], bestimmt alle drei, vier Wochen ist ein Artikel in der Zeitung zu irgendeinem Projekt [erschienen], und der Protest entlädt sich, wenn der finale Pressetermin ist, wo es dann heißt: BImSchG-Genehmigung erteilt. Und dann plötzlich merken die Leute: Oh, da kommt ja ein Windpark hin. Und, das ist der Moment, wo sie dann aufwachen und vielleicht auch mit aller Vehemenz dann versuchen, […] sich gegen dieses Projekt zu stemmen, weil sie vielleicht auch selbst merken, dass sie sich die vergangenen drei bis vier Jahre, wo man sich vielleicht konstruktiver einbringen hätte können, nicht eingebracht haben.“

Hier liegt sowohl ein Timing- als auch ein Abstraktionsproblem vor: Solange die Projekte noch unkonkret und örtlich noch nicht fest gebunden sind, bestehen durchaus Möglichkeiten der politischen Einflussnahme. Diejenigen, die sich später in Bürgerinitiativen und dergleichen gegen die Projekte engagieren, sind zu diesem frühen Zeitpunkt aber meist noch nicht mobilisiert. Sobald jedoch die Projekte einen konkreten Status erreicht haben, verengt sich das Fenster der poli-

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tischen Einflussnahme massiv und der Prozess geht in einen reinen Verwaltungsakt über. Dieses Dilemma führt zu Misstrauen und Unzufriedenheit aufseiten der BürgerInnen, die sich nicht ausreichend eingebunden und ernst genommen fühlen. Die Entpolitisierung der Konflikte beeinflusst in einigen Fällen auch das strategische Vorgehen der Bürgerinitiativen maßgeblich. Dort lassen sich auch die Protestierenden auf eine entpolitisierte Kommunikation ein: Anstatt weiterhin auf politischer Ebene das grundlegende „Ob“ zu diskutieren, akzeptieren sie die Darstellung des Projektes als rein rechtliche Verfahrensfrage und versuchen daher, das Vorhaben auf dieser Ebene zu verhindern, bspw. indem naturschutzrechtliche Einwände vorgebracht werden, etwa die Gefährdung bestimmter unter Naturschutz stehender Tierarten. Die Tendenz, solche Gelegenheiten zum Teil regelrecht zu suchen, haben auch VertreterInnen der Unternehmen bereits erkannt: „Natürlich wird dann über den Rotmilan und über den Schwarzstorch und was auch immer gesprochen. Nur wenn sie mitbekommen, wie also geradezu der Wald durchstöbert wird, nach irgendeinem Horst, und nach irgendetwas, um es zu finden und es als Argument zu bringen, dann spürt man, dass da Ursache und Wirkung verkehrt werden.“

Die bislang skizzierten Versuche der Lokalpolitik, ihren Einfluss auf die umkämpften Verfahren durch eine Re-Politisierung wieder zu steigern, haben allerdings eine immanente Beschränkung: Sie werden durch die immer wieder beschriebene Überforderung der lokalen Ebene konterkariert. Auf dieser Ebene haben Politik und Verwaltung kaum eine Chance, sich intensiv mit den neuen, immer komplexeren Problemen zu beschäftigen, die im Rahmen der Energiewendeprojekte auf sie zukommen. Dies trifft in verstärktem Maße dort zu, wo wichtige Positionen von ehrenamtlichen PolitikerInnen besetzt werden. Aber auch die lokalen Verwaltungen haben kaum ausreichend Zeit und personelle Ressourcen, um sich tief und unabhängig in jeden Fall einzuarbeiten. 7. These: Im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung wird bisweilen Protest durch sehr frühzeitige und breite Beteiligung seitens Unternehmen und Politik selbst mobilisiert. Immer wieder haben sich in unseren Erhebungen ein auch in der bisherigen Forschung bereits teilweise thematisiertes Beteiligungsdilemma und damit verbunden auch das Problem einer selbsterfüllenden Prophezeiung gezeigt. Angesichts der mittlerweile als Normalfall geltenden und selbstverständlich zu erwartenden Pro-

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teste betonten alle ProjektplanerInnen, bereits frühzeitig auf Information und Beteiligung zu setzen. So erhofft man sich, etwaige Schwierigkeiten schon zu Beginn des Planungsprozesses identifizieren und auf diese Weise besser darauf reagieren zu können. Allerdings hat dieses Vorgehen auch einen gravierenden Nachteil: Durch die noch nicht abgeschlossene Planung werden meistens deutlich mehr potenziell Betroffene in den Planungsprozess einbezogen, als später tatsächlich direkte Auswirkungen zu spüren bekommen werden. Ein anschauliches Beispiel für dieses Phänomen sind die sehr großzügig veranschlagten und mehrere Kilometer breiten Trassenkorridore, die zunächst bei der Planung des SuedLinks festgelegt wurden. Durch den Versuch einer Beteiligung in diesem frühen Stadium wurden deutlich mehr Menschen mobilisiert und in Aufruhr versetzt, als letztlich im Sinne eines minimal-invasiven Verfahrens nötig gewesen wären. Darüber hinaus wird häufig auch gerade die Unbestimmtheit einer frühen Planungsphase zum Anlass für Misstrauen und Konflikte genommen. Viele BürgerInnen vermuten bereits hinter der angeblichen Offenheit der Planungsprozesse einen fertig ausgearbeiteten Plan, der ohnehin schon feststehe und verwirklicht werde – egal, ob und wie man nun versuche, auf den Verlauf Einfluss zu nehmen. Noch nicht festgelegte Details werden daher stets als Verschleierungstaktik interpretiert, was den Aushandlungsprozess insgesamt beinahe unmöglich macht. 8. These: In den lokalen Konflikten kommt es zu sozialen Spaltungen innerhalb von Ortschaften, zwischen Orten innerhalb einer Region und zu einer Reaktivierung der klassischen Konfliktlinie Zentrum vs. Peripherie. Unsere Inspektionen zu den lokalen Konfliktfällen führten uns in den ländlichen Raum. Dort trafen wir auf AkteurInnen, die zumeist nicht die Austragung heftiger Konflikte gewohnt waren. Gerade unsere GesprächspartnerInnen aus der lokalen Politik konnten überwiegend nicht von vorherigen Erfahrungen zum Umgang mit Protesten berichten, da es in der Vergangenheit schlicht keine Proteste gegeben hatte. Gerade wenn innerhalb kleinerer Ortschaften einige wenige etwa durch Verpachtung von Grundstücken für Windkraftanlagen stark finanziell profitieren, führt dies zu sozialen Spannungen. Aber selbst wenn kommunale Flächen wie in unserem Fallbeispiel Hunsrück als Windkraftstandorte genutzt wurden, zogen sich Konfliktlinien durch vormals harmonische Ortsgemeinschaften und teilweise sogar durch Familien. Die Spaltungslinie verläuft zwischen jenen, die in den Windkrafteinnahmen eine „alternativlose“ Chance sehen, um die Gemeinde zukunftsfähig zu machen – sie folgen damit der Intention und Argumentation der Lokalpolitiker; und jenen, für welche negative Folgen wie die optische

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Veränderung der Landschaft, die akustische Beeinträchtigung durch Schall oder die nächtliche Befeuerung der Anlagen überwiegen. In einigen Orten dominierte die Windkraftkontroverse zeitweise so stark, dass sich AnwohnerInnen nicht mehr trauten, sich innerhalb des Ortes mit ihrer Meinung offen zu positionieren. Gerade bei unserer Rekrutierung für die Fokusgruppen sind wir bisweilen auf Personen gestoßen, die uns gegenüber äußerten, dass sie aus Angst vor sozialen Repressionen ihre Meinung nicht vor anderen darstellen wollten. Sowohl in unserem untersuchten Fall in MecklenburgVorpommern als auch beim SuedLink trat die Bevölkerung geschlossener dem Projekt entgegen, da hier schlicht die Argumente für den Bau der Trasse in der unmittelbaren Umgebung bzw. den Bau eines großen Windparks in Händen eines Großinvestors fehlten. Gerade im Rhein-Hunsrück-Kreis konnten aber neben den Konflikten innerhalb von Ortschaften auch Konflikte zwischen Orten beobachtet werden – nämlich solchen, die durch kommunale Windkrafteinnahmen in ihre lokale Daseinsvorsorge und Infrastruktur investieren konnten, und jenen, die aufgrund politischer Setzungen oder geografischer Bedingungen keine Windkraftanlagen errichten konnten. Hier können Solidarpakte, die auf Verbandsgemeindeebene einen finanziellen Ausgleich ermöglichen, zur Beruhigung der Konflikte beitragen (siehe ausführlich hierzu Kapitel 3). Eine weitere diskursive Konfliktlinie verläuft zwischen Stadt und Land bzw. mit Blick auf die Stromtrassen zwischen Anfang- und Endpunkten der Trasse und der Mitte. Die WindkraftgegnerInnen fühlen sich von der Stadtbevölkerung ausgenutzt. Im ländlichen Naturraum müsse nun die Energie produziert werden, die in den Städten und Industriezentren verbraucht werde. Teilweise wird dies eingebettet in ein Narrativ struktureller historischer Benachteiligung: „Da wiederholt sich halt auch Geschichte, weil die Hunsrücker eben schon seit Jahrhunderten unterdrückt wurden, weil man gedacht hat: da oben die Bergvölker, da mit denen können wir’s ja machen.“ Die Energiewende werde von grünen „Ideologen“ in den Städten entschieden, aber auf dem Rücken der „passiven“ Landbevölkerung ausgetragen. Auch die Ablehnung der Stromtrasse wird bisweilen damit begründet, dass man aufgrund der Gleichstromtechnologie selbst nichts davon habe. Lediglich am Anfang profitiere die Region, da hier Strom abgenommen werden könne, und am Ende der Trasse, da der Strom dort mit der Abschaltung der AKWs dringend benötigt werde. Teile der Bevölkerung bewerten die Verwandlung des ländlichen Raums in ein „Industriegebiet“ und damit den gefühlten Verlust ihrer Heimat sehr negativ und lehnen sie ab. Die VertreterInnen der Kommunal- und Landespolitik hingegen erblicken in den Erneuerba-

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ren Energien eine einmalige Chance zur Wertschöpfung für strukturschwache Regionen. 9. These: In den Konflikten wird darüber hinaus die Frage verhandelt, wer legitimer Weise berechtigt ist, das Gemeinwohl zu vertreten. Lokale Konflikte um den Auf- und Ausbau technischer Anlagen im Rahmen der Energiewende werden im öffentlichen Diskurs und in der wissenschaftlichen Betrachtung oftmals als Konflikte zwischen partikularen Eigeninteressen, die auf Verhinderung zielten, und dem Allgemeinwohl, das die Durchführung erfordere, dargestellt. Dabei hat die das Projekt durchführende Seite meist auch die volle formale Legitimation der repräsentativen Demokratie in Form von Gesetzen, Genehmigungsverfahren und Verordnungen hinter sich. Darüber hinaus sind aus Sicht der Projektbefürworter die Projekte auch mit der legitimierenden Kraft von Experten versehen und stellen vernünftige Lösungen zur Bewältigung großer gesellschaftlicher Herausforderungen dar. Die lautstarken Gruppen wiederum, die einen Stopp der Projekte verlangen, sind weder gewählt noch anders formal legitimiert und scheinen sich nur um die eigenen Interessen zu kümmern, ohne Rücksicht auf negative Folgen für die Gesellschaft. Dieser Zugang knüpft an die NIMBY-Debatte an – wobei häufig Protestgruppen, die auf Verhinderung von Projekten abzielen, Egoismus und eine Missachtung der Interessen des Gemeinwohls unterstellt werden.6 In der Feldforschung in den lokalen Konflikten zeigte sich allerdings, dass diese Trennung von den AkteurInnen selbst nicht widerspruchsfrei akzeptiert wird. Die Protestierenden sehen sich nicht als Gruppe mit spezifischem Spezialinteresse, die um Beachtung kämpft, sondern als diejenigen, die besonders den Blick auf die große Verantwortung richten. Der Kampf um die Vertretung des Allgemeinwohls ist selbst eine zentrale Konfliktlinie in den Konflikten geworden. Dies mag zunächst als strategische Position interpretiert werden. Gerade weil die Trennung in „partikular“ und „allgemein“ auch eine Trennung in „weniger wichtig“ und „alles entscheidend“ ist, ist die Selbstdarstellung als allgemeinwohlorientiert wichtiges diskursives Kapital. Die Ablehnung der Protestierenden, sich als Vertreter partikularer Interessen, die gegen das Allgemeine stehen, einordnen zu lassen, geht jedoch darüber hinaus. Letztlich ist es auch der Glaube, dass die politischen Entscheider und die durchführenden Unternehmen eben nicht die Interessen des Allgemeinwohls ver6

Vgl. kritisch hierzu Hager, Carol J./Haddad, Mary Alice (Hrsg.): NIMBY is beautiful. Cases of local activism and environmental innovation around the world, New York 2015.

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folgen und die formale Legitimation damit völlig blutleer geworden ist – ein wesentlicher Katalysator, die eigenen Interessen in Form von Protest zu vertreten.7 Die Protestierenden, so scheint ein Blick in die nicht-aktive Bevölkerung zu zeigen, stehen damit nicht allein. Meist teilen die Bürgerinitiativen die Einschätzung, dass es eigentlich die Aufgabe der gewählten Volksvertreter sei, die Interessen der Bürger zu vertreten. Nur kommt die Politik dieser Aufgabe aus ihrer Sicht nicht hinreichend nach. Dies hat, je nach Gesprächspartner, unterschiedliche Ursachen. Den wichtigsten Grund für die mangelnde Fähigkeit der Politik, die Probleme um die Projekte zur Zufriedenheit der Protestierenden zu lösen, sehen diese in der Uninformiertheit der einzelnen PolitikerInnen. Häufig ist dies kein reines Vorurteil. Im persönlichen Gespräch mit ihren örtlichen VertreterInnen nehmen sie diese als Laien in den zur Debatte stehenden Themen war. Jene, die Verständnis äußern, verweisen darauf, in wie viele Themen sich PolitikerInnen konstant einarbeiten müssten und wie wenig Personal und Zeit ihnen dafür zur Verfügung stünden. Aber unabhängig davon schmälert die Erfahrung, dass die PolitikerInnen über kein vollständiges Faktenwissen verfügen, das Vertrauen in deren Entscheidungen und führt zu der Reaktion, selbst in die Recherche zu den Themen einzusteigen und Fakten zu sammeln. Und tatsächlich finden sich stets ExpertInnenmeinungen, welche die Notwendigkeit der Projekte infrage stellen oder gar deren Schädlichkeit für die Natur oder Ziele der Energiewende belegen. Die Wahrnehmung der eigenen VertreterInnen als uninformiert führt auch zu der Schlussfolgerung, dass diese leichte Beute für die Lobbyarbeit wirtschaftlicher Interessen seien. Da sie offensichtlich selbst die Themen nicht beurteilen könnten, müssten sie zwangsläufig den Darstellungen der Lobbygruppen glauben. Das Votum der VolksvertreterInnen für ein Projekt wird somit für die Protestierenden wertlos. In dieser Logik gerät die Arbeit der Protestierenden zum Dienst an der Demokratie und zum Lückenbüßer. Der Vorwurf, egoistisch zu sein und nur für die eigenen Interessen zu arbeiten, wird somit unverständlich: „Also ich finde das ja immer eine Verdrehung der Dinge. Wir haben die ganze Zeit hier einen Teil von gesellschaftlicher Verantwortung übernommen, weil sie an anderer Stelle 7

Diesen grundlegenden Trend des Verlusts von Vertrauen und Legitimität der klassischen politischen Institutionen der repräsentativen Demokratie haben zuletzt unterschiedliche Autoren thematisiert: vgl. Rosanvallon: Demokratische Legitimität (2010); Michelsen, Danny/Walter, Franz: Unpolitische Demokratie. Zur Krise der Repräsentation, Berlin 2013; und spezifisch auf Proteste bezogen auch Butzlaff, Felix: Die neuen Bürgerproteste in Deutschland. Organisatoren – Erwartungen – Demokratiebilder, Bielefeld 2016.

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nicht gelebt wird. Eigentlich füllen wir nur ein Verantwortungsvakuum aus. Und das ist etwas, was aber immer sichtbarer wird, dass sie [die PolitikerInnen, Anm. d. Verf.] nicht in die Verantwortung gehen.“

Diese Aufgabe nehmen die Protestierenden ernst. Die Bürgerinitiativen bauen Kompetenzen auf, mit denen sie dann ganz ähnlich der Taktiken der von ihnen gescholtenen Lobbygruppen Expertisen für die Politiker erstellen und damit versuchen, sie für ihre Sache zu gewinnen. Je länger bestimmte Bürgerinitiativen auf diese Weise aktiv wurden, umso eher wich der wütende Tonfall der Empörung über die Inkompetenz der PolitikerInnen dem leicht paternalistischen Blick, diese nun mit wertvollen Informationen zu versorgen, die sie sonst nicht bekommen hätten. Bei dieser Einschätzung der PolitikerInnen und der Legitimität ihrer Entscheidungen können sich die Bürgerinitiativen auf die gleichen Beurteilungen der breiten Bevölkerung stützen. Die zwar betroffenen, aber nicht-aktiven BürgerInnen sehen in den Bürgerinitiativen die Vertretung ihrer eigenen Interessen, die sie für nahezu gleichbedeutend mit den Interessen des Volkes allgemein und dem Allgemeinwohl halten und die sie von der Politik und den Unternehmen eben nicht beachtet sehen. Dass auch die Bürgerinitiativen mit Tricks und Verfälschungen von Tatsachen arbeiten könnten, wie es für Politik und Wirtschaft mit manchmal lakonischer Selbstverständlichkeit angenommen wird, kommt kaum vor. Im Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass Bürgerinitiativen keinen Grund zur Lüge haben. Ihnen wird nahezu vorbehaltlos vertraut, Zweifel entstehen einzig an der fachlichen Kompetenz der Initiativen im Detail. Eine Gegenüberstellung von Gemeinwohl und Partikularinteressen bei den von Projekten Betroffenen – egal ob dagegen engagiert oder passiv – kann schon deshalb nicht verfangen, weil den AkteurInnen, welche die Position des Gemeinwohls beanspruchen, nicht ausreichend vertraut wird. Da die Allgemeinwohldefinition des politischen Systems nicht akzeptiert wird, greifen die Protestierenden auf ihre eigenen Wünsche und Vorstellungen zurück, um sich ein Bild vom Willen der Bevölkerung zu machen; über diesen Kurzschluss können sie behaupten, sie wiederum, die ja selbst BürgerInnen sind, verträten damit die allgemeinen Interessen des Volkes. Jeder Widerspruch gegen ihre eigene Position gerät so auch schnell in den Verdacht, eben gerade nicht dem Gemeinwohl zu dienen.

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13.2 K ONFLIKTDYNAMIKEN Die Berücksichtigung aller am Konflikt beteiligten Parteien ermöglichte einen differenzierteren Blick auf die Konfliktdynamiken, die sich aus dem Zusammenspiel und der wechselseitigen Beeinflussung der AkteurInnen ergaben. Insbesondere treten bei den Bürgerinitiativen Rückkopplungseffekte auf, wenn sie ihrerseits mit den Reaktionen von Unternehmen, Politik und Verwaltung konfrontiert sind. An zwei exemplarischen Fällen lassen sich diese Dynamiken verdeutlichen: Einerseits zeigen sich unerwartete Effekte bestimmter Maßnahmen, die nicht das erreichen, was man sich ursprünglich von ihnen versprochen hat, sondern zum Teil zu einem genau gegenteiligen Resultat führen. Beim Stromtrassenausbau reagierte das Unternehmen auf die starke Kritik und setzte – auch basierend auf den Erfahrungen aus früheren Projekten – auf eine intensive Informationspolitik. Dabei betonte es, dass der Plan zum Ausbau der Trasse nicht vom Unternehmen selbst komme, sondern stellte sich lediglich als Auftragnehmer dar, der eine von der Politik beschlossene Maßnahme umsetzen solle. Daher war dem Unternehmen wichtig, die Informationsveranstaltungen gemeinsam mit VertreterInnen der Politik durchzuführen, die das „Warum“ der geplanten Trasse erklären sollten. Dieses Vorgehen mag zunächst einleuchten – resultierte aber in einer weiteren Verschärfung des Konflikts. Denn in der Wahrnehmung der Protestierenden führte gerade dieses gemeinsame Vorgehen von Unternehmen, Politik und Verwaltung zu noch stärkerem Misstrauen und weiterem Protest. Die Protestierenden bekamen den Eindruck, vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden und einer geschlossenen Phalanx aus Projektverantwortlichen gegenüberzustehen, die ohnehin bereits alle wichtigen Entscheidungen abgesprochen hätten und „unter einer Decke stecken“ würden. Die Informationsveranstaltungen, die den Konflikt ursprünglich entschärfen sollten, entfalteten dadurch einen zusätzlichen Moment der Empörung, der die Fronten verhärtete und dem Konflikt einen neuen Impuls gab. Andererseits zeigen sich im Konfliktverlauf auch Dynamiken, die zwar zu weniger eindeutigen Effekten führen, jedoch interessante Fragen aufwerfen. So stehen die Bürgerinitiativen vor der Herausforderung, unterschiedlichen Erwartungen bezüglich ihrer Argumentationsweisen genügen zu müssen. Die Kommunikationsstrategien der Unternehmen befördern zumeist den Verweis auf direkte materielle Folgen für die unmittelbar Betroffenen, bspw. Wertverlust von Immobilien oder Grundstücken. Das sind Einwände, mit denen die Unternehmen umgehen können, denen sie eine Berechtigung zusprechen und mit denen sie sich produktiv auseinanderzusetzen versprechen. Gleichzeitig befördern genau diese

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Argumente aber den Vorwurf, dass es sich bei den Protestierenden gegen Infrastrukturprojekte lediglich um NIMBYs handele, denen es ausschließlich um den eigenen (finanziellen) Vorteil gehe. Die Bürgerinitiativen stehen also vor einer kaum lösbaren Herausforderung: Zwar können sie dem zunehmend lauter werdenden Vorwurf der egoistischen WutbürgerInnen entgehen, indem sie gegen das jeweilige Projekt stärker allgemeinwohlorientierte Argumente vorbringen – also Umweltbedenken, Gesundheitsgefahren, Kritik an der demokratischen Legimitation der Entscheidungsverfahren etc. Genau diese allgemein gehaltenen Punkte werden allerdings von den Unternehmen am stärksten abgelehnt, da sie oft das Projekt grundsätzlich infrage stellen und kaum verhandelbar sind. Wollen die Bürgerinitiativen also realpolitisch das Optimum erreichen, müssen sie genau solche Argumente vorbringen, die sie in der öffentlichen Wahrnehmung als sture EgoistInnen erscheinen lassen, die größere Infrastrukturprojekte in Deutschland insgesamt unmöglich machen würden. Gleichzeitig ist dies ein Vorwurf, der sie nur in der bundesweiten Debatte trifft; denn die BürgerInnen vor Ort begrüßen bei den AktivistInnen insbesondere diese Wahrnehmung der eigenen partikularen Interessen, die auf den höheren Ebenen als NIMBYMentalität verurteilt wird. Die Frage, wie sich die Bürgerinitiativen in Zukunft in diesem Spannungsfeld unterschiedlicher Erwartungen positionieren, ist dabei generell offen und hängt u. a. davon ab, wie stark sie sich auf die Rolle einer Interessenvertretung der lokal betroffenen BürgerInnen einlassen.

13.3 ANSCHLUSSFORSCHUNG Aus unserer Studie ergeben sich eine Reihe von Anschlussfragen, die in weiterer empirischer Forschung bearbeitet werden sollten. Erstens ist zu bedenken, dass alle Aussagen über AkteurInnen in Konflikten und ihr Verhältnis zueinander im Kontext von Konflikten um Energiewendeprojekte gewonnen wurden. Dieser diskursive Hintergrund prägt die Konflikte auf eine bestimmte Weise, da die überwältigende Zustimmung zu dem Grundkonzept allgemein sowie die enge semantische Verbindung mit Umwelt- und Naturschutz den Argumenten der BefürworterInnen und GegnerInnen einen spezifischen Resonanzboden verleihen. Eine Übertragung der Erkenntnisse auf Konflikte mit anderem thematischen Bezug müsste entsprechend empirisch geprüft werden. So ist bspw. im Bereich der Flüchtlingsunterbringung und den darüber ausbrechenden Konflikten nicht zu erwarten, dass der Vertretungsanspruch der Bürgerinitiativen von der unbeteiligten Bevölkerung in gleicher Weise geteilt wird, wie wir dies in unseren Untersuchungen gefunden haben.

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Zweitens ist die Perspektive auf die betroffene, aber nicht-aktive Bevölkerung noch neu und bedarf weiterer Forschung. Die in dieser Studie angewandten qualitativen Methoden sollten durch quantitative Methoden ergänzt werden. Dadurch wäre überprüfbar, inwiefern die Besonderheiten in der Rekrutierung der Fokusgruppen dazu geführt haben, dass wir hier einen speziellen Ausschnitt aus der Grundgesamtheit erfasst haben, und wie sich die von uns identifizierten Motive und Einstellungen der Unbeteiligten auf die Grundgesamtheit verteilen. Um dies zu leisten, müssten Konfliktverläufe von Bevölkerungsbefragungen begleitet werden. Im Kontext der betroffenen, aber nicht-aktiven Bevölkerung ist zudem die Frage nach dem Zusammenhang zwischen einer allgemeinen Unzufriedenheit mit Politik und Unternehmen und den spezifischen Einstellungen zu den einzelnen Konflikten zu untersuchen. Zum einen ist auf Basis unserer hier vorgestellten Ergebnisse davon auszugehen, dass eine allgemeine Unzufriedenheit und ein generelles Misstrauen die Sicht auf den speziellen Konflikt prägen; zum anderen sind in einer längeren Perspektive auch Auswirkungen des Ablaufs bestimmter Konflikte und Beteiligungsverfahren auf die allgemeine Politik, Institutionenund Unternehmenszufriedenheit zu erwarten. Hierzu sollten Forschungen in Längsschnittstudien sowie Befragungen in der Umgebung von abgeschlossenen Konflikten und Verfahren durchgeführt werden. Dies verspricht des Weiteren einen hohen Erkenntnisgewinn, besonders konflikthaft verlaufene, möglicherweise gänzlich gescheiterte Projekte mit solchen zu vergleichen, in denen die beteiligten AkteurInnen mit dem Ergebnis besonders zufrieden sind, um zu schauen, ob und wie sich dies in den Einstellungen und Einschätzungen der Bevölkerung widerspiegelt. Weiterhin bleibt – drittens – spannend, wie sich das Verhältnis von Unternehmen zu Bürgerprotesten und Bürgerinitiativen entwickelt. In diesem Projekt wurden Fälle betrachtet, in denen zwar der Umgang miteinander selbstverständlich, die Praxis der Einbindung der Bürgerinitiativen in die Planungsverfahren durch die Unternehmen aber noch neu gewesen ist. Die Tendenz, ernst zu nehmende Partizipationsverfahren aufzubauen, die Beteiligung ohne oder mit nur geringer Einflussnahme der über Wahlen legitimierten Organe ermöglichen sollen, ist dabei für das demokratische Potenzial solcher Verfahren besonders relevant: Ermöglichen sie tatsächlich eine direktere Beteiligung der BürgerInnen und eine bessere Repräsentanz deren Interessen im Verfahren – oder werden bestimmte Gruppen und Argumente in einem noch stärkeren Maße als bei klassischen Verfahren herausgefiltert und gehen damit völlig verloren? Auch hier gilt: „Wir werden sehen.“8 8

Walter: Bürgerlichkeit und Protest in der Misstrauensgesellschaft (2013), S. 337.

Teil E: Anhang

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274 | B ÜRGERPROTESTE IN Z EITEN DER ENERGIEWENDE

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Q UELLEN -

UND

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Dank

Das vorliegende Buch wäre ohne die Unterstützung zahlreicher Menschen nicht möglich gewesen. Unser tiefster Dank gilt an erster Stelle Prof. Franz Walter, der die diesem Buch zugrunde liegende Studie geleitet hat und ohne dessen Erfahrung und kritisches Hinterfragen von ersten und zweiten Eindrücken die Erkenntnisse nicht zustande gekommen wären. Die offene, produktive und kollegiale Arbeitsatmosphäre innerhalb dieses Projekts und am Göttinger Institut für Demokratieforschung insgesamt haben wir nicht zuletzt seiner Leitung zu verdanken. Dem Kolloquium des Göttinger Instituts für Demokratieforschung verdanken wir ebenfalls wichtige inhaltliche Anregungen. Auch den zahlreichen KollegInnen, die uns in unendlich vielen Gesprächen immer wieder neue Facetten unseres Themas aufgezeigt haben, danken wir sehr herzlich. Einen produktiveren Ort für wissenschaftliche Arbeit als das Institut für Demokratieforschung können wir uns nicht vorstellen. Bei Katharina Rahlf und Robert Lorenz möchten wir uns zudem für das äußerst gewinnbringende Lektorat bedanken.

Autorinnen und Autoren

Klaudia Hanisch, geboren 1984 in Kluczbork (Polen), hat Politikwissenschaft, Rechtswissenschaft, Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Georg-AugustUniversität Göttingen studiert. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Demokratieforschung. Im Forschungsprojekt hat sie sich insbesondere mit den Konflikten um die Fracking-Technologie auseinandergesetzt. Christoph Hoeft, geboren 1984 in Bremerhaven, hat in Göttingen und Uppsala Politikwissenschaft, Soziologie und Geschichte studiert. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Göttinger Institut für Demokratieforschung und Stipendiat der Hans-Böckler-Stiftung. Er promoviert zu sozialen Bewegungen in Hamburg. Im Forschungsprojekt hat er sich insbesondere mit der Perspektive der Unbeteiligten auf die Konflikte beschäftigt. Hannes Keune, geboren 1991 in Salzgitter, studiert Politikwissenschaft und Soziologie in Göttingen. Als studentische Hilfskraft im Projekt hat er sich mit den Konflikten um die Fracking-Technologie beschäftigt. Julia Kopp, geboren 1986 in Recklinghausen, studiert Politikwissenschaft und Geschichte an der Georg-August-Universität Göttingen. Als studentische Hilfskraft hat sie sich im Projekt mit der Selbstsicht der Bürgerinitiativen beschäftigt. Dr. Stine Marg, geboren 1983 in Rostock, ist geschäftsführende Leiterin des Göttinger Instituts für Demokratieforschung. Im Rahmen des Projekts hat sie sich schwerpunktmäßig mit Windkraftkonflikten, Demokratie- und Legitimationsvorstellungen und dem Begriff Heimat befasst. Sören Messinger-Zimmer hat im Rahmen des Projekts „Bürgerproteste in Zeiten der Energiewende“ schwerpunktmäßig zum Protest gegen den Stromtrassen-

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ausbau und zur Rolle der politischen Funktionsträger in den Konflikten gearbeitet. Er ist 1986 geboren und hat in Göttingen Politikwissenschaft, Soziologie und Sozialpolitik studiert. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Göttinger Institut für Demokratieforschung beschäftigt er sich mit zivilgesellschaftlichem Engagement und Protestphänomenen. Jonas Rugenstein, geboren 1985 in Eckernförde, hat in Göttingen Politikwissenschaft, Philosophie und Sozialpolitik studiert. Er war bis November 2015 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Demokratieforschung. Im Forschungsprojekt hat er sich mit der Rolle von Unternehmen als Protestadressaten in den Konflikten beschäftigt. Carolin Schwarz, geboren 1989 in Göttingen, studierte im Bachelor Politikwissenschaft und Wirtschafts- und Sozialgeschichte in Jena und Paris und absolviert in Göttingen ihr Masterstudium der Politikwissenschaft. Als studentische Hilfskraft im Projekt hat sie sich mit Windkraftkonflikten beschäftigt. Julia Zilles, geboren 1987 in Weingarten, hat an der Universität KoblenzLandau Politikwissenschaften, Philosophie und Germanistik studiert und promoviert in Göttingen zu Windkraftkonflikten in Deutschland. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Göttinger Institut für Demokratieforschung und hat sich im Rahmen des Projekts vor allem mit Protesten gegen den Bau von Windkraftanlagen sowie der Rolle der Medien beschäftigt.

Zeitdiagnosen bei transcript Peter Mörtenböck, Helge Mooshammer

Andere Märkte Zur Architektur der informellen Ökonomie

Oktober 2016, 196 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 27,99 E, ISBN 978-3-8376-3597-3, E-Book: 24,99 E Weltweit gesehen gilt die Hälfte aller ökonomischen Aktivitäten als informell. In Zeiten der globalen Unsicherheit wird heute immer mehr darauf gesetzt, die produktive Energie von Informalität zu integrieren, um wirtschaftliches Wachstum und sozialen Zusammenhalt abzusichern. Informelle Marktplätze und die zahlreichen Konflikte rund um deren Räume und Konventionen bilden sowohl Schauplatz als auch Steuerungsmoment dieser Entwicklung. Von Märkten der Überlebensökonomie bis zum inszenierten ökonomischen Anderssein spürt dieses Buch den Diskursen und Akteuren, Widersprüchen und Potenzialen nach, die neue Formen von Informalität vorantreiben.

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Politikwissenschaft Torben Lütjen Partei der Extreme: Die Republikaner Über die Implosion des amerikanischen Konservativismus Oktober 2016, 148 S., kart., 14,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3609-3 E-Book: 12,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3609-7 EPUB: 12,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-3609-3

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