Emma: Band 1 [Reprint 2022 ed.]
 9783112626702

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Emma.

Von

August

Lafontaine.

Erster Band.

Berlin, in Sanders Vuchhandlnirg.

ißoq.

E

m

m

Erster Theil.

a.

Alexander an Linden.

Bergenbach. 5lm Ende fjat mein Postillion Recht. Der Teufel! Postillion, sagte ich: das ist ein klägliches Leben, seins; beständig denselben Weg, hin und zurück! „*6e! ” rief der Kerl;

denn, und jeder Mensch

„führen Sie

— Könige und

Kaiser sogar — ein andres?

Vom Mor­

gen bis zum Abend, von der Wiege bis

an den Sarg, das ist die ewige Leier, die wir von Adam an gespielt haben und noch

spielen.” Ich sah meinen Philosophen nachden­

kend an.

Er nahm sein Horn, und blies

die Melodie: Zeiten schwinden, Jahre krei­ sen. Zch sang zuletzt lustig und andächtig mit. Hat er nicht Recht? Der Weg ist von hier bis Paris und Neapel nur läm

4

-

-

Und halte ich sein Le«

ger, anders nicht.

ben gegen das meinige,

und streife die

Fehen, Lumpen und unechten Tressen da­ von, welche Geburt, Zufall, Geld, Rang darauf geheftet haben; so fragt es sich noch, welches das kurzweiligste und das angenehmste ist, meins oder das feinkge. Hat er ausgespannt, so findet er ein jun­ ges, blühendes Weib und zwei Kinder zu

Haufe.

„Und darauf, Herr," sagte er,

— „ thun Sir so vornehm, wie Sie wol­ len — laust am Ende alles hinaus."

Ich frage Dich, Lindenr hat er nicht Recht? Denn kn unfern schönsten, mensch­ lichsten Augenblicken, hatten wie nicht al­ les, alles in der Welt für die Liebe eines

geliebten Mädchens

hingegeben?

Darum

Der Weg zum Glücke, zum menschlichen Glücke, geht so gerade; das also! —

Glück selbst ist so wohlfeil zu haben, daß ein Paar Generationen voll närrischer Teu­ fel dazu gehören und — Verbrechen dazu,

um uns auf den Punkt zu bringen, wo

wir jetzt stehen.

Man will nicht anders

essen, als unter einem Kronleuchter, und

5 von silbernen Tellern; nicht schlafen, als unter einem Baldachin; nicht sitzen, als auf weichen Polstern; nicht gehen, als mlt Hülfe von vier Pferden; nicht lieben, als

eine Erbin von Rang und Gold: — und ehe man alle diefe Teufeleien zusammen

hat, ist des Lebens junger, frischer Strom

verronnen, und wie treiben in den engen, stinkenden Kanälen des Altere. Mein Oheim, der Baron von Nord­ stein , Herr von Grindeln auf Burgleben, zu Wilsen, Burgherr zu Frledburg, ct cae-.

tera etc. .• (Er liebte einen Menschen, wie Er lieben kann, und wollte ihn zu seinem Pfarrer machen; dieser vergaß das letzte etc. auf einem Briefe an ihn, und weg war die Pfarre. Dieses letzte etc., das er immer so abgekürzt schreibt, be­

deutet ein Zinshuhn, das eine Mühle an

ihn zu entrichten hat.

„Es ist unbedeu­

tend, Vetter, darum schreibe ich cs so ab­ gekürzt," sagte er zu mir. „Aber, merken

Sie das, Vetter, von meiner Ehre lasse ich mir nicht eine Abbreviatur nehmen,

6 lieber das Sehern” —

Hier hast Du den

ganzen Mann, Linden!) Nun, dieser Baron also, mein Ohsim, rechnet

mir mit dem freundlichsten Ge­

sichte von der Welt vor, und zahlt dabei seine zehn Finger wenigstens dreimal über,

bei den Dingen, die ein jünger Mensch zu bedenken hat, ehe er sich in ein Mäd­

„Sie lachen,

Ich lache.

chen verliebt.

mein liebster, vortrefflichster Detter,” sagt er;

„wir waren eben so edel, wie die

Dahlberge, wenn unsere Vorfahren so ge­

dacht hatten, wie ich.

Es giebt einzelne

Flecken in unserm Stammbaum, -cm die ich ohne Betrübniß nicht denken kann.

Unser

eigener

ter ....” Liebster,

Aeltervater,

liebster Det­

gnädigster Oheim, hätte der

die Flecken nicht hinein gemacht, so wären

Sie und ich nicht;

und so, dächte ich,*

könnten wir ihm verzeihen. „Mit Nichten, Detter.

Eö ist nicht nö­

thig, daß ich lebe; aber sollte ich nun einmal leben f so ist es nöthig, daß ich

7 .mlt Ehren lebe. Sehen Sie, so edel, so großmüthig denk' ich!" Ich

hatte Mühe,

nicht aufzulachen.

Aber, Linden, wie werde ich es anfangen,

mit diesem Manne zu lebenUnd ich soll mit ihm leben, weil ich — da hast Du

den

Teufel

Anfänge

wieder,

redete! —

von

dem

ich

im

weil ich sein Erbe

seyn soll.

Als ich zum ersten Male zu ihm ins

Zimmer trat, —

sieh Linden, der Bru­

der meines Vaters,

eines Vaters,

den

Diese Vorstellung alle meine Empfindungen gehoben.

ich nicht gekannt habe! hatte

Kurz, ich siel ihm in die Arme, und rief, mit aller Leidenschaft dieses schönen Augen­

blicks : o, meines Vaters theurer Bruder! „Schurke! Schurke! Dummkopf!" rief er völlig erhitzt. Ich sprang voll Schrecken zurück. „Ich meine nicht Sie, liebster Det­ ter Alexander.

Ich meine den Bedienten,

der Sie hereinbringt, ohne mir vorher zu Denn, Detter, auf solche interessante Augenblicke mag ich

sagen, daß Sie es sind.

gern das ganze Gewicht einer guten Rede

6 Ach hätte Sie ganz anders-em-

legen.

pfangen wollen!

Aber nun ist der Augen­

blick dahin, der so selten kommt!" Er trat mir gegenüber, betrachtete mich, und legte bald den Kopf auf Lieft, bald

auf jene Seite.

Ich glaubte, er vergliche

mich mit meinem Baker, dem ich ähnlich

sehen

soll.

Er meinte

aber:

die Farbe

meiner Weste müßte etwas dunkler seyn,

tun

mit dem Rocke in schönem Contraste

zu stehen.

„Aber so seyd ihr, ihr jungen

Herren," — er verbeugte sich sehr tief. —

„Ich bringe oft drei Tage lang mit der Wahl meiner Farben zu.

Das ist nicht

unbedeutend in der Welt.

Bon Karl dem

Zweiten erzählt man,

sekretär,

Mann,

einen

daß er den Staats:

übrigens

abgedankt hat,

verdienstvollen

weil der Mann

immer in grelle Farben gekleidet war." Sieh, da hast Du meinen Empfang; und, Linden, mit diesem Manne soll ich

leben, und dieser Mann, sagt man mir, soll das Glück meines Lebens entscheiden!

„Sie gefallen-mir, BetterAlexander," sagte er heute.

„Ach habe große Dinge

9 mit Ihnen vor»” Dabei wiegte -r den Kopf lächelnd hin und her, als müßte mit durchaus gefallen, was er mit mir vor­ hat. O, lieber Oheim'-er caetera5 ich selbst habe große Dinge mit mir vor, und ich bitte Sie, mich gehen zu lassen; sonst konnte eö mit mir noch schlimmer werden, als mit dem Aeltervater." — Doch dazu gehört mehr, als dieses Blättchen, das mir noch übrig ist»

Derselbe an Denselben. Bergenbach, Mein Vater — Mein Oheim hatte dreist von meinem Aeltervater auf das Schkld meines Bakers übergehen können; — er that es aus Höflichkeit nicht — Mein Va­ ter war arm, — er war der Sohn einer andern Mutter — er zog nur sein Herz zu Rath, als er heirathen sollte, und er that wohl daran; denn ich habe eine vor­ treffliche Mutter gehabt. Er heirathele ein

— Ip — Mädchen, Arm, und au» dem Bürger­ stande, das er unendlich liebte.

Er lebte

mit ihr zwez Jahre, und starb, als ich geboren war. Die Familie hatte natür­

licher Weise mit meinem Vater gebrochen; man that nicht, als wäre meine Mutter da.

Sie lebte mit mir auf einem kleinen

Landsitze,

dessen

Beschaffenheit

vielleicht

eben so viel zu meiner Erziehung beigetra-

gcn hat, als meine Mutter selbst. Auf der höchsten Höhe unseres Gebirge«

liegt das Haus, wie ein Schwalbennest, wie zwischen Felsen und Gestein dahin gehängt; . ringsum stehen einige Häuser,

deren Besitzer vom Holzhauen und Kohlen­ brennen leben. Gegen Norden thürmte sich

der Felsen zackigt

aus dem schönsten Ei­

chenwalde empor, und gab unserm Hause, so hoch eö auch lag, die milde Luft de« südlichen Himmels. Im Morgen zog sich

Gebirge und Wald in großem, mächtigem

Kreise, bald hoch und majestätisch, bald in schöner Abwechselung von Hügel und Thal,

umher, außer da, wo der Fluß sich seine Bahn durch das Gebirge gebrochen hatte; —

II

da war eine Kluft, in

der, hinten, im

Mai die Sonne wie aus der Pforte der Nacht glühend empor stieg, und durch die

zuweilen

der

hereinbrach.

stürmende

Ost

verwüstend

Rechts zog sich das Gebirge

sanfter hinunter in das Thal; tausend fruchtbringende Bache irrten den sanften Ab­ hang hinab', und kehrten in labyrinthischen Thalern' zu den-Quellen zurück; bis sie alle unser Fluß, entfernt von uns, aufnahm. Vor uns hinab erstreckte sich, wie ein blü­

hendes Meer, die weite Landschaft, nur von grünen Buchenhügeln durchschnitten,

in die ungemessene blaue Ferne, hinter der, wie

N« stille

halbsichtbare Ewigkeit

am

Rande des Lebens, die halbsichtbaren blauen

Hochgebirge Böhmens sich erhoben. Das Dörfchen hieß Waldweiler. Einer meiner

Vorfahren hatte hier ein Jagdhaus hingebauet, unser Wohnhaus und zugleich das

ganze Vermögen meines Vaters, — mit

ein Paar Hufen Landes, Holz, so viel wir brauchten, einem Teich, einem Garten am Hause. Das Gut, welches dazu gehört hatte,

war Theilweise an die umliegenden Dörfer

12

Wlr waren die Einzigen von

verkauft,

unserm Stande tm Gebirge.

straße ging durch;

Keine Heer­

kein Wagen konnte zu

uns kommen, als auf sehr großen Umwe­

Die Scheuren lagen tiefer unten in

gen.

einem Thale versteckt.

Wir Hausten oben,

wie Adler, ganz allein; oder meine Mut­

ter, wie die treue Turteltaube im einsa­ men Felsen trauert,

girrt,' und einsam

Ein alter Gedienter meines Va­

stirbt.

ters, eine

alte Jungfer meiner Mutter,

und eine Magd machten unsre ganze Hausgenoffenschast ans. pel

der L)!atur,

Zn diesem Prachttem­ unter diesen Menschen,

welche die Liebe zusammenhielt und

das

Andenken an «in geliebtes Grab, deren ganzes Glück, ganze Hojstmng' da« Wiederfinden in der Ewigkeit war, wurde ich erzogen, oder, vielmehr man ließ

mich

aufwachsen.

Meine Mutter lehrte

mich lesen, dann der alte Bediente, dann Zakobine,

(so hieß die Züngfer).

Zeder

von ihnen unterrichtete mich,, so gut er konnte.

Zch wußte,

daß jenseits unseres

Waldes, und jenseits der blauen Berge,





i3

Menschen lebten, wie wir; daß der Wald

und die gräßlichen Felsenhöhlen voller Ge;

spenster wären, possenhafter, boshafter Gei­ ster; daß aber Engel mich auf meinen Gängen

begleiten

würden,

so

lange

ich ein

reines unentweihetes Herz hätte, auf dem nicht die Last einer Bosheit läge. — „Und

werden

sie

nicht

sichtbar?”



fragte

ich. — Der Bediente war dagegen, meine Mutr ter und Iakobine dafür.

„Wenn es noth

thut," sagte meine Mutter feierlich, --wird dich Gott auch auf den Flügeln seiner sicht­ baren Engel tragen aus Gefahr, und von Abgründen weg." Meine Mutter saß ganze

Tage auf dem Grabe ihres Mannes. Sie fühlte die Schauer seiner Gegenwart, sie

hörte

das

Lispeln» seiner

Stimme.

Zhre Liebe hatte das größte Wunder ge­

than ; sie hatte. dem Herzen meiner Mut­ ter,

Bahn

ihrem Auge,

in

ihrer

die dunkle

Grabes gebrochen.

Phantasie eine

Welt jenseits des

So war meine Mut­

ter eine Prophetin geworden.

Ihre Leute



i4



glaubten ihr, weil sie sie liebten: um wie

viel mehr ich! Mir trat die Geisterwelt und die Ewige

kett noch naher, als ihnen allen! Jenseits meiner Wälder lag sie, und die Kluft ge­ gen Osten schien mir der Eingang dazu. Das Grab hatte gar nichts Schreckliches für mich; der Tod war der schöne Züngr

ling, nicht mit der verlöschenden Fackel, nein, mit der Fackel, die er eben anzün­ det.

Poetischer

und

ungebundener

kein Kind leben, als ich;

kann

meine Schutz­

engel, die unsichtbar um mich schwebten, machten mich kühn zu jedem Wagstück.

Die Feen, die Elfen, die Poltergeister, die im Mondschein ihre Tanze aufführten, wa­ ren mir nicht fürchterlich.

Ich hörte ru­

hig den Zager über mich wegziehen, und schauderte kaum vor dem wüthenden Heer. Zn den Ruinen

eines

alten Klosters

Hausse ich eben so frei, wie Eulen, Adler, und die todten Nonnen und Mönche, die

in weißen lichten Gestalten Abends

Chor besuchten.

das

2(n dem verfallenen- Al­

tare, den ich mit Blumen bepflanzte, be-



i5



teten die Geisterstimmen nicht allein, die Stimme eines Knaben tönte laut mit in

die

leisen

Geistergebete.

Und

ich

wun-

derte mich, daß ich nie deutlicher die Ge­ stalten der Nonnen sah, als höchstens bei Mondschein in vorüberschwebenden Schat­ Aber ich sollte sie sehen!

ten.

Ich war zehn Jahre alt.

Wir hatten

die schönste Zeit des Jahres, da ein wun­ derbares Leben aus der ganzen Natur her-

vordrtngt, da in meiner Pforte der Ewig­

keit, einer besseren Welt, die-Sonne roth­ glühend

Mai.

stand

und verschwand;

es war

Ich hatte mich vor dem Sonnen­

aufgange in die Kluft gemacht, aus wel­

cher der Strom

hervordrang,

und

ging

längs dem Ufer hin, der Sonne entgegen,

die den Himmel vor mir schon

röthete;

aber der Fluß verschloß mir den Weg mit

seinem

Sturze,

füllte.

Da trat die Sonne hervor, und

der

beide

Felsenwande

warf ihr Bild in den rauschenden Strom,

und ich sah tausend Sonnen, anstatt einer. Nachsinnend,

woher sie käme, wohin

sie ginge, diese Feuerkugel, kehrte ich zu-

i6



ruck denke

nach

Dir

dem



Kloster;

tinb,

Linden!

meine Empfindung!

Hinter

dem Altare hervor trat eine schlanke, schn-eweiß gekleidete Gestalt,

schön wie einer

meiner Engel, wie die Königin der Feen­

ven der mir Jakobine erzählte.

Sie trug

auf ihrem Arme ein Kind, das an ihrem Dusen schlummerte.

Mich schauderte, und

ich wollte mich verbergen; aber die Fee hatte mich gesehen. Sie kam lächelnd auf

mich zu, und sagte, als sie den Schleier über ihr Gesicht Herabgelaffen hatte, mit

einer Stimme, die sich wie der Flötenton der Nachtigall in mein Herz stahl: „Wer

bist Du, Knabe?" Mein Muth war hin, Linden!

Auf

eknmal fielen mir alle die schrecklichen Ge­ schichten ein, wie die Elfen Kinder rau­

ben , und sie unter der Erde, tausend Klaf­ ter tief, oder in Grotten unter dem Meere

erziehen. Zch schrie vor Angst laut auf. Alle gute Geister! rief ich, meine Hände

faltend. --Ich bin ein guter Geist," sagte die Fee sanft, so sanft, daß ein Theil meiner Angst ver-

i.7. verschwand.

„ Wohnen hier in der Nahe

Menschen?"

Ich zeigte hinunter auf un­

ser Haus, dessen Dach aus jungen Buchen

hervorblickte., Sie sah dahin. „Gott Lob!" sagte sie.

„Mein Sohn," fuhr sie noch

sanfter fort, „ich habe dieses Kind gefun­

den,

hier im Walde.

anvertrauen? gel seyn?"

Kann ich es Dir

Willst Du des Kindes En­ Sie breitete ein Tuch auf

das Moos, und legte das schlafende Kind darauf. Ich will sein Engel seyn,

freudig. „Wer bist Du?

sagte

ich

Wohnt nicht dort in

dem Hause ...?" Meine Mutter, fiel

ich

sogleich rin,

die Frau von, Nordstein. „ Gütiger Gott! ” sagte die Erscheinung, und hob beide gefaltene Hände dankend

gen Himmel.

„Du bist der Sohn der

Frau von Nordstein?" Ich heiße Alexander von Nordstein. — Hier legte sie ihre Hand auf mein Haupt, schlug den Schleier zurück, und ich er­

staunte vor dieser himmlischen Schönheit. 8« fönt. Emma. I.

3

— Ss

schön

IS

konnte nur

— ein

Engel seyn?

Meine Bewegung war, vor dem Boten

des Himmels zu knteen. Der Engel aber hob mich auf, drückte mich- an das Herz, und sagte, mit zwei Thränen auf den schö­ nen Wangen:

Kindes!

„sey Du der Engel des

Zch muß wieder hinauf?'

zeigte den Berg hinan;

(Sie

ich verstand den

Himmel.- „-Dringe das Kind Deiner Mut­

ter! liebe es! liebe es!" Hier wickelte sie das Kind in das Tuch, küßte es, benetzte

es mit Thränen, legte es dann vorsichtig auf meinen Arm, und belehrte mich, wie

ich es tragen sollte. „Nun geh!" sagte sie.

Zch ging den

Weg nach unserm Hause hinunter, blickte ein paarmal zurück, und sah den himm­ lischen Engel noch immer am Eingänge der

Ruinen stehen.

Doch auf einmal war er

verschwunden.

Zch blickte in die Höhe;

ein weißes Gewölk zog auf dem raschen

Flügel deü Morgenwindes; eine weiße Taube zückte glänzend im Sonnenstrahl, und verschwand. Mir kehrte der Engel wieder in den Himmel zurück.

19

Derselbe an Denselben. Fortsetzung.

dtg!

war so freudig, so beklommen freudie schöne Stimme des Engels, der

mir erschienen war, tönte noch in meiner

Seele. Die Worte: „liebe das Kind'/' wiederholte ich mir unaufhörlich. So, glühend vor Freude, vor Hast, trat ich

in das Zimmer zu meinen Hausgenossen, Und sagte: der Enget laßt Euch grüßen; und hier schickt er Erich das Kind, das Ihr lieben sollt. Dir soll ich eö bringen,

Mutter I — Zch legte es auf den Schooß

meiner Mutter. Denke Dir das Erstaunen,

das

der

Anblick des Kindes, und meine Worte erregten! Alle blieben erstarrt in ihren Stellungen. Nun mußte ich erzählen wahrend meine Mutter und Iakobine das

Kind untersuchten.

Man fand nichts als

einen Zettel: „Das Kind heißt Emmaei­ nen simpeln Goldring mit einem veeschlungeneri Nahmen, dessen Züge aber Niemand 2*

20

entziffern konnte, und eine mäßige Summe

Geldes in einem Beutel, der dem Kinde

an das Kleid geheftet war. „Ein Engel sagst Du?" Za wohl, ein Engel! rief ich, meine

Arme ausbreitend; ich werde ja einen En­ gel von einem Menschen unterscheiden kön­

nen!

Ein Engel, und noch schöner als

ein Engel, schneeweiß; flog alles,

um das Gewand

als wollte er eben wieder gen

Himmel steigen. Zakobkne schüttelte den Kopf.'

Das

mag ein schöner Engel gewesen seyn!

Wo

blieb er denn? Nun, wo blieb er? Erst stand er da an der Klosterthür, und sah mir nach, und auf einmal war er im hellen Himmel;

erst wie eine Wolke, dann wie eine weiße Taube, aber viel glänzender: wie der Teich dort, wenn die Sonne darauf scheint, so glänzend! Hier

schüttelten

sie Alle

die

Köpfe.

„Alerander," sagte meine Mutter, „er­ zähle doch ordentlich. Was sagst Du?

wie fing es an? wie war es?"

21

Zch blieb- bei meiner Aussage, ohne mich

je

zu

verwirren.

Meine Mutter

wußte nicht mehr, was sie denken sollte, da ich von dem Fluge des Engels durch

den Hellen Himmel mit dieser festen Ge­ wißheit erzählte. Zakobine blieb dabei, daß die Welt doch immer befer würde, daß

es eine Schande wäre,

ein solches

Kind aufzunchmen, daß man sich Sünde dadurch theilhaftig machte.

der

Aber jetzt erwachte das Kind, schlug

die schönen blauen Augen auf,

und sah

rings umher, lächelte mir zu, da ich vor

ihm stand, streichelte meine Wange, und sagte freundlich: „Albert, und Hannchen! wo ist die? Und wer bist Du?" fragte sie

jetzt meine Mutter; „bist Du auch meine Mutter?" Nun hörst Du wohl, Zakobine? rief

ich; denn mir war nichts gewisser, als daß hier Zeichen und Wunder waren. Meine Mutter drückte das Kind an

ihre Brust, und so war nicht weiter die Frage davon, ob man es aufnehmen sollte,

oder nicht.

Zakobine uyd der Bediente

22

süßten es Beide; es war öbopllrt.

Zch

aber sollte das Kind lieben, hatte der En­ gel gesagt.

Man ließ mir zuletzt den En­

gel, weil ich ihn mir nicht abstreiten las­

sen wollte, und damit ich Emma desto lieber haben mochte.

„Liebe das Kind!" diese Engelstimme hörte nicht auf in meinem Ohre zu ertönen. Emma war im vierten Zahre, und den­ noch wurde sie meine beständige Spiel­ gefährtin,

vorigen

Sie wußte nichts

Zustande,

als

einige

von ihrem

Nahmen:

Albert, die Tante, die Mutter und Hannchen! Es war unmöglich, aus den Wor­ ten des Kindes etwas zu errathen. Aber das kümmerte uns nicht; wir Hatter; es

um desto lieber, und Emma glaubte, ote sie größer wurde, eben so fest daran, als

ich, baß ein Engel sie mir gebracht hätte,

und daß ich sie lieben sollte.

Wollte ich

nicht thun, was sie wünschte, so warf sie

mir vor:

„weißt Du wohl, Alexander,

was der Engel Dir gesagt hat?" und ich erfüllte mit pochendem Herzen ihren Wunsch.

23 Kein Engel hatte ihr geboten, mich zu

lieben;

aber sie liebte mich unbeschreiblich.

Sie mußte mich lieben. ders seyn wollen!

Wie hatte es an­

Morgens ging sie an

meiner Hand in das Kloster; hier lehrte

ich sie lesen. Dann kletterten wir in die Felsen, oder verloren unö in den Wäldern, wo ich jede Kohlerhütte, jeden Ort, wo gehauen wurde,

zu finden wußte.

kein Engel erschien

unö wieder.

Aber

Keine

Fee, keine Nixe, obwohl wir ganze Stun­ den lang in den dunkelsten Grotten unsre

friedlichen Spiele spielten, worin immer Engel und Geister, Nonnen und Mönche vorkamen. Emma starb tausendmal, oder ich; und dann schmückte ich ihre Leiche, oder sie die meinige, mit Blumen.

Dann

starb ich nach; dann waren wir im Para­ diese. Ein liebliches Nachtigallenthal, mit wilden Rosen umgränzt, hatten wir zu

unserm Elisium gemacht, und die — S Freund, alle Wahrheiten meiner fol­ genden Jahre waren nicht so schön, wie diese Täuschungen unsrer glaubenden Kind­

heit!

Dieses

Thal

war

ein

Paradies,



glaube mir,

und Engel

bewohnten

24



ein Paar unschuldige

es.

Ich war vierzehn

Jahre, sie acht, und wir hatten das Be­ dürfniß noch nie gefühlt, unsre Spiele aufzugeben. Jede neue Idee, die ich aus den Büchern meines Vaters nahm, mußte

sich bequemen, in eine Geistergestalt, umgeformt zu werden.

Wir wurden reicher an

Ideen; - aber der Umfang unsrer Freude, unserer Empfindungen wurde nicht größer.

Das Grab meines Vaters war so gut unser Spielplatz — und ein theurer Spiel­

platz! — so gut, wie das lieblichste Thal

voll Blumen, oder die wildeste Felsenpar­ tie im Gebirge. Iakobinenü Grab sie starb,

die alte-Freundin meiner Mutter,

und zerriß mit ihrem Tode die festeste Le­ bensfaser ihrer Freundin — wurde eine neue Zugabe zärtlicher Empfindungen für

uns.

Dreine Mutter lächelte.

„Ihr wer­

det bald noch an einem andern Grabe spie­ len,"

sagte

sie prophetisch;

„und dann,

dann ..." — setzte sie traurig hinzu — --werdet ihr Euer Paradies verlassen müs­ sen.

Ihr werdet sehen, wie jenseits un-

— serer

25



eingeschlossenen Welt bke Menschen

sind?'

Sie zeigte in die Schluft, woraus der Fluß hervorstürzte. „Und wie werden die Menschen dort

seyn?" fragte mich Emma nachher, und

zeigte eben dahin. Da flog meine Seele zum ersten Male über den Spielplatz mei­ ner Kindheit hinaus. Morgen, Emma, sagte ich, wollen wir sehen, was dahinter ist. Am folgenden Morgen früh wander­ ten wir aus, mit einem kleinen Dorrathe

von Lebensmitteln, was urts juttttfen er* laubt wurde, wenn wir einen ganzen Tag

im Kloster bleiben wollten, wo' wir uns, mit Hülfe des Bedienten, auf dem hohen Chor em enges Zilnmerchen von Steinen erbauet hatten. Wir gingen am Ufer des Flusses, so

weit es sich da gehen ließ; dann erkletter­ ten wir die Felsen, die sich hoch hinauf thürmten. Ein Paar Adler, erschreckt

durch

das

Geräusch

und

die Menschen­

stimmen, welche zum ersten Male ihrem

Sitze nahe -kamen, flogen auf, und zogen

26 still durch das Btau des Himmels in das Unermeßliche.

Wir

gingen nun

wieder

hinunter, erstiegen sanftere Höhen, und er­

endlich die Spitze des Gebirges.

reichten

Vor uns lag die Ebene, eine Stadt mit Thürmen, eine Menge Dörfer, und die reiche Ebene, die eben abgeerntet wurde, mit dem Gewühl von Menschen. Da zog zum ersten Male das Gefühl

fcer Welt

in meine Seele,

und ich sah

mit Sehnsucht hinaus in die Ferne voll Menschen, mit meinem scharfen Falken­ auge, das die reine Luft unserer Höhen so geschärft hatte. Die Stadt und die Thürme, die rothen Dächer und ein See,

gegen den unser Teich ein Tropfen war, lagen vor mir, wie die Pforten der Ehre; ein Postwagen fuhr in der Ebne vorüber

mit

dem

schallenden Posthorn,

und den

tausend Stimmen des Wiederhalls im Ge­ birge. Zch saß stumm da neben dem Mädchen, das fröhlich die Hande darüber

zusammenschlug, daß sie nun eine Stadt, so viele Thürme und alle Menschen gesehen hatte.

„Aber,"

sagte sie, „Alexander!



27



es ist doch-schöner bei uns;' so still, so

fromm, so lieb!

Ich möchte nur Einmal dort hin, sagte

ich; und immer fort, Emma! —

Das

sagte ich, - ohne meinen Blick von der Ge­

gend wegzuwenden, wohin der Postwagen fuhr.

„Dahin? hin!

Nein, Alexander, nicht da­

Siehst Du, wie die 'beiden Adler

wiederkommen zu ihrer kleinen Wohnung

oben auf dem Gebirge?" Ich sah hinauf. Mit stillem Fluge zo­ gen sie eben über meinem- Kvpfe zurück nach dem Felsen.

O, wäre ich ein Adler,

sagte ich feurig: ich käme Nicht wieder!

„Auch wenn sch Dich so sehr bäte?" Du'flögest mit mir, sagte ich aufsprin­

gend, und sie in die Höhe ziehend, als wollte

ich davon.

offnen Arme.

Sie fiel

mir - in die

„Geh nicht! mir zu Liebe

nkcht, Alexander! ", sagte sie fromm. „Laß uns zurückkehren, wie die Adler zu

Neste." Sie zog "mich durch Bitten wie­ der zurück in unsere Wälder. Aber ich

ging schweigend neben ihr, und das Horn

28 des Postillions tönte, wie

Ehre, in meiner Seele. wiederkämesi,"

der Ruf der

„Und wenn Du

unterbrach sie den Strom

meiner Gedanken, „so fändest Du Emma'S

Grab, und alles ausgestorben, und unfern ParadieSgarten voll Unkraut, und alles — todt.

O, bleib hier, mir zu Liebe, Alexan­

der!

Weißt

Du,

daß

der

Engel

sagte, Du solltest mich lieb haben?

Dir

Und

wenn D» von mir weggehst, wie kannst Du mich lieb haben!

ler wieder zurück?

Kam nicht der Ad­

Er kann fliegen; und

doch kam er wieder, und verließ seine Sie nicht!" Ihr liebkosend, und mit dem Versprechen,

daß ich sie nicht verlassen wollte, kam ich

unserm Hause nahe.

Der alte Bediente

stürzte mir entgegen.

Der Oheim ist da.

Deines Vaters Bruder, Alexander; sey ja

geschickt, ja recht gut! Denn es ist von dem Glücke Demes ganzen Lebens die Rede.

Emma zitterte, und auch ich fing an zu zittern.

Wir hielten die Hände recht

— 2A fest tn einander gedrückt, und so gingen wir langsam dem Hause zu.

Derselbe an Denselben. Fortsetzung. 3?och die Hände fest in einander gedrückt, traten wir Beide in das Zimmer, und blie­

ben stumm und erschreckt auf der Schwelle

stehen;

denn neben meiner Mutter stand

ein Mann,

lang,

aufrecht,

ohne Stolz.

Sein Auge sprühete Feuerflammen.

Die

scharf gebogene Adlernase gab dem Gesicht einen

siegenden

Mund,

Herrscherzug;

aber

der schmal und fein war,

sprechend,

der

nicht

sondern nur denkend, milderte

den Eindruck der herrschenden Nase.

Die

Stirn stieg hoch empor; dann bog sie sich in

einer

schönen Krümmung über.

Der

Ausdruck des ganzen Gesichtes war Kälte,

thellnahmlose Kalte, die ganze Figur sprach nichts als Ruhe. Er war mit meiner Mutter in tiefem

3o Gespräch, als wir eintraten.

Sie wendete

sich zu uns, mit mütterlichex Sorge und Freundlichkeit, um ihren Liebling zu empfeh­

len.

Er aber blickte nicht auf uns, ob er

gleich die Bewegung meiner Mutter sah,

sondern hielt seine Augen ruhig auf ihr fest, und redete weiter-

„Da ist er; da ist Alexander!" sagte meine Mutter. Hier sah er mich seitwärts einen Augenblick an.

Das Gesicht drückte

sich in Einem Moment in meine Seele, und auf immer. „Ich empfehle," sagte meine Mutter

sanft und mit Thränen, --meinen Sohn der Liebe seines Oheims, dem Bruder feines

Vaters." Seyn Sie ruhig, Frau Schwester, sagte er, ohne den Ton zu verändern. --Mein seliger Mann," fuhr sie fort,

-»bedauerte von seinem

harten Schicksale

nichts mehr, als den Verlust Ihrer Freund­

schaft."

Die hatte er nicht verloren!

„3^ Nahme war das lehte Wort sei­ ner sterbenden Lippe.

Wende Dich dreist.



sagte

3i



an Bruder Wilhelm.

er zu mir,

Er haßt mich nicht, auch Dich nicht.

Ich

wagte eS nicht."

Lassen Sie, Frau

ist vorbei.

Das

Schwester! „Und nun sind Sie so gütig! Sie wol­ len meines Alexanders Vater seyn!"

Noch mehr als das, liebe Schwester. „Es ist ein gutes Kind, sehr gut, sehr fromm, vielleicht zu fromm für die Welt. Sie

worden

lächeln,

wenn

Sie hören,

was alles Raum hat in feinem Kopfe."

Das wird sich finden! „Ich weiß, Sie lieben es nicht, gnädi­ ger Herr, wenn ein Kind so fromm, im

Glauben an Engel

und Geister,

ausge­

nicht!

lassen

wachsen ist."

Das

weiß

ich

Doch

Sie das, liebe Schwester. „Und wüßten Sie, o wüßten Sie,

alles

wie

kam,

mit

meinem

seligen

Manne..." Ich habe Ihnen

nie einen Vorwurf

und jeht,

da das Grab alles

gemacht;

deckt?

Ruhig, liebe Schwester!

32

„O, meine Siebe und meinen Schmerz bedeckt das Grab nicht!" Einst aber. „Auf dieses Einst freue ich mich; denn es giebt mir ewige Hoffnungen, nicht Hoffnungen, die ich erst wieder durch eine Trennung erkaufen muß." Wie fast alles. Darum eben muß man den Kaufpreis nicht in Anschlag bringen. Wahrend dieser Unterredung standen wir, ich und Emma, noch immer auf der Schwelle. Der Nahme „Oheim Wil­ helm," ten ich gehört hatte, zog meine Aufmerksamkeit noch mehr auf ihn; denn man redete in unserm Hause von diesem Oheim, wie von einem Gotte. Er allein von der Familie hatte mit meinem Bater nicht gebrochen, ob er gleich am meisten von Allen gegen die Heirath gewesen war. Nur hatte er während der drei Jahre, die meines Vaters Ehe dauerte, als Gesandter in Paris, dann in Wien und London zugebracht. Ich sah ihn an. Er trug keinen der vier

33 vielen Orden, die er hatte: sonst nichts, als ein einfaches weißes Kreuz von einer Präbende, die er befaß. Sein Rock war schwarz, ganz' gegen die damalige Sitte; sein Ring ein Solitair von großem Werthe, seine Gürtelschnallen Brillanten. (Das alles sah ich auch nachher immer an ihm.) Meine Mutter zog mich jetzt zu ihm, und, als wären wir Eins, ging Emma an meiner Hand mit. Das ist er, sagte meine Mutter; das Bild seines Vaters. Sehen Sie ihn an, und Sie werden ihn lieben. — Er legte, anstatt etwas zu erwiedern, seine Hand auf meinen Kopf, und nach einer Pause sagte er: „es ist so gut. Madame, hob er dann wieder an. Sie sind so glücklich hier in dieser Italiänisch-Schweizerischen Ge­ gend, mit ihren Hoffnungen und ihrem Glauben, daß ich Sie fast beneiden möchte, wenn ich nicht wüßte, daß der Mensch sich mit allem behilft, selbst mit der Wahrheit. Sie haben sich nicht an mich gewagt; ich hätte Ihnen anbieten sotten, worauf ein Sterbender sie verwies. Wir fehlten Beide, Lafont, Emma. I. 3

-

34

-

wie das fast immer der Fall ist.

Sie ha-

den die rückständige Pension zu fodern, die wir der Wittwe unsers Bruders schuldig

sind.

Ich will dafür sorgen.

habe ich

Nur Zeit

Er sah nach

nicht lange." —

der Uhr. O mein Gott!

Sie wollen doch nicht

schon heute...? „Werden Sie

morgen

den Schmerz

der Trennung weniger fühlen? diesen Augenblick.

Zch muß

Mein Wagen halt un­

ten an den Scheunen." —

Zch will nur erst Wasche und Kleider für das Kind besorgen. „Lassen Sie nur; das ist besorgt. Zch war darauf gefaßt, meine Schwester," (er sah wieder nach derUhr); „und um dem Klei­

nen einen unfruchtbaren Schmerz zu er­ sparen, so lassen Sie uns jeht..." — Er

faßte nach seinem Hute. Nein, gnädiger Herr; mein Sohn soll

Thränen vergießen, wenn er sich von hier

trennt.

Es soll seinem Herzen wehe thun,

wenn er auch nur von einer Blume Ab­ schied nimmt.

Lange soll der Abschied von

35 seiner Mutter in seiner Seele zittern, und

der Abschied von dem Kinde dort, das seine Spielgefährtin, seine Freundin war.

„Sie

wissen.,

dem

Kinde

ist

der

Schmerz ein Spiel." Das sagte er gar nicht spöttisch, sondern ernsthaft, ruhig.

„ Sie sind eine zärtliche Mutter, zärtlicher als das Leben, das dem Menschen oft grör ßere Schmerzen giebt.

Aber, ich versichere

Ihnen, .meine gute Schwester, meine Zeit

ist gemessen.". Alexander, sagte jetzt meine Mutter, sich

stärkend; du mußt mit Deinem Oheim: er will Dein Vater seyn. Ach! hob Emma weinend an; so muß er fevt? Ach, der Adler kehrte zurück,

Httttter^mit der Sie.

fort?

Und er soll allein

Alexander, mir zu Liebe, bleib!

»Der Adler?"

fragte mein Oheim:

„welcher Adler? Was ist das?"

Ich erzählte. Er sagte: „Es ist Wahr­

heit darin! Wahrheit! Doch wir haben nun einmal den sichern Sih auf den schüt­ zenden Felsen verlassen; und so ..." —

Das sagte er ganz ruhig.

„Wie lange

32

36 wirb es bauern, so sollen Sie ihn wieder-

sehen, meine Schwester."

Hanb zum Weggehen.

Er faßte meine

Da umarmte mich

meine Mutter / da schlang Emma die klei­

nen Arme um mich, und

sagte weinend:

Ach, wenn Du wiederkommst, so denke an daö, was ich Dir sagte, so denke daran! Zch weinte; aber des Mannes kalter Blick trieb mich fort. Noch einmal drückte

meine Mutter mich an ihr Herz, noch ein­

mal sah ich mich nach Emma um, und.sie waren verschwunden. Das Haus "ver­ schwand hinter dem Hügel, der unser Pa­ radies einschloß, und bald verschwand auch der Hügel. Unten hielt ein Wagen mit sechs Pferden und prächtig gekleideten Be­

dienten.

Man hob ihn in den Wagen-

mich hinter ihm drein.

Ich setzte mich

auf den sammetnen Sitz, und wir flogen davon, durch Wald und Thal, bis wir die Landstraße erreichten. Zch weinte, und hatte Lust, meinem Oheim zu sagen, wer Emma wäre, warum

ich sie so lieb haben müßte; aber er fragte

nicht nach ihr, oder nach sonst etwas,

Er

3? gab mir ein Tuch, und sagte sanft: „man muß nie Thränen sehen lassen, mein Kind. Man kann über den Schmerz auch lä-

lhein, und das ist eben so gut."

Derselbe an Denselben. Fortsetzung. Das war mein zweiter Oheim, Linden,

aus der dritten Ehe meines Großvaters, und nicht der Oheim et cetera. — Wir kamen am dritten Abend in eine Stadt. In dem Hause, wo wir abtraten, übergab er mich einem Manne, mit den Worten: „Hier ist er! Gerade so wie ich wünschte. Er hat Phantasie genug, um nun auch Geist zu bekommen. Mit einer blühenden

regsamen Phantasie fesselt man die Men­ schen; mit Geist halt man sie fest.

Summen sind Ihnen gezahlt?

Die

Und man

mag sagen, was man will, Sie bleiben auf dem Wege, den wir Beide für den

einzig richtigen erkannt haben.

Du bist

33 gut, Alexander, und hier ist Dein Freund,

der für Dein Glück sorgen will."

Sie verneigten sich Beide gegeneinander,

und nun war mein Oheim bald verschwun­ O, wie verlassen stand ich jetzt da!

den.

Herr Negnard,

ein Schweizer, führte

mich in mein Zimmer, vor dessen Pracht ich Mich fürchtete.

Zch bekam einen Bedien­

ten, und wurde gut gekleidet. Auch erhielt ich eine Summe Geldes,

mehr als ich je bei

meiner Mutter gesehen hatte,

und Herr

Negnard nannte es mein Taschengeld. Zch fing sogleich Tanzen, Reiten, Fechten an. Französisch sprach

yrein Freund mit mir.

Zch hatte die besten Lehrer, in Sprachen sowohl als in Wissenschaften, und machte,

da ich ehrgeitzig war, schritte.

Feinheit,

sehr schnelle Fort­

Man behandelte mich mit aller wie einen Zungling,

und ließ

mir alle mögliche Freiheit; daher betrug

ich mich

denn

auch, wie ein Züngling.

Mein Lehrer, ein Mann von vierzig Zäh­

ren, hatte die feinsten Sitten, und behan­

delte

mich mehr wie seinen Freund, als

wie seinen Schüler.

Zch hatte schon die

39 allertiefste Ehrfurcht für de« Charakter und

den Geist meines Oheims, und er erfüllte mich gegen sich mit eben der Ehrfurcht. Zn seiner Begleitung besuchte ich die

größten Gesellschaften, ein paar Male sogar den Hof des Fürsten, der hier residirte.

„Sie sind für eine Laufbahn bestimmt, Herr von Nordstein, wo Ihnen die Ge­ sellschaften und unsre Hofbesuche minder ein Vergnügen, als eine Schule seyn müs­

sen, wie Sie den Menschen behandeln sol­ len."

Das wiederholte er mir sehr oft.

Mein Oheim kam ein paar Mat.

sah mich, und war zufrieden.

Er

Auf seinem

Befehl mußte ich einige Stunden auf der Rltterakadcmie besuchen, die hier errichtet war.

Zch hatte Geld genug, eö mit eini­

gen jungen Engländern aufzunehmen, die hier studierten. Man gab mir, als ich sechzehn Zahre erreicht hatte, eine größere Wohnung, Equipage, Reitpferde.

Ich war

mein eigner Herr, oder merkte doch die Fesseln nicht, die man mir angelegt hatte.

Aber alles das, ach, alles das war den­ noch kein Ersatz für mein Paradies, für



4o



In den stillen

meine Spiele mit Emma.

Stunden des Alleinseynö dachte immer nach Hause.

ich doch

Meine Mutter schrieb

mir, aber so, daß ich wohl sah, sie wollte

mir

ihr Herz

Zch

nicht offnen.

schrieb

noch weniger an sie; denn meine Briefe gingen durch Hande, von denen ich fürch­ tete, sie mochten meines Herzens, meiner

Träume,

meiner Thränen spotten.

Der

Nahme Emma wurde in den Briefen- mei­

ner

Mutter kaum

noch

genannt.

weniger» das .Herz

Ich

sie

hatte

zu nennen;

aber vergessen batte ich sie nicht. Zn einer schönen Stunde erzählte ich

einmal

Herrn Regnard

meiner Zugend.

Scene',aus

eine

„Das Mährchen," sagte

er, „man mag es hören,

aus welchem

Munde man will, ist doch immer ein lieb­

liches Mahrcben; aber"— und dabei fuhr er mit der Hand schmeichelnd Gesicht — „ Sie erzählen es, versucht werden könnte,

redeten in Ernst davon.

über mein

daß man

zu glauben,

Sie

Jedes Alter hat

seine Mährchen; man thut wohl, sich nicht darin zu vergreifen, lieber Nordstein. Das

-

4i

-

Leben ist ohnehin wie ein Roman, der mit Zaubereien und prächtigen Worten anfangs und am Ende mit der Auflösung schließt.

Die Zaubereien waren

nichts

als Täu-

schungen. ’’ Ich schwieg. — O, diese Täuschungen,

Linden,

find doch mehr werth, ale alles,

was man mir nachher als Wahrheit ge­

boten hat. —

Mein Oheim war mir noch theurer, weit theurer, als Regnard, ob er gleich kälter war. Regnard konnte verspotten,

was »mein Oheim nur - nicht achtete. Dieser hatte das Glück im Leben gesucht, nur ein zu hohes; er hatte dem Leben eine

Tugend abgefodert, die ein Ideal war. So verfolgt von dem Unglück, und betro-

gen von Menschen, denen er trauete, wen­

dete er sich von dem Leben ab, und von

den Menschen, gend.

aber nicht von der Tu­

Er foderte sie noch immer am mei­

sten von sich selbst; und wenn er sie nicht mehr auf die Unsterblichkeit unseres Geistes gründete, so hielt er sie dennoch fest, und gründete sie verzweifelnd, und doch

edel.



42



auf Nothwendigkeit,

auf das Muck des

Menschengeschlechtes.

Bei Regnard war,

fürchte ich, die Tugend nichts, als ein fei­

ner Genuß, bei dem nur das

Gewissen

keine Stimme haben sollte. Je näher ich

an meinen Oheim trat,

mehr mußte ich

desto

schmerzlich

lieben,

lieben,

ihn

aber doch

zwar

lieben.

Er

stand über den Ruinen aller seiner Hoff­ nungen,

über

den Ruinen

Seynö, aufrecht und edel.

des

ewigen

Zn den Men«

schen sah er nichts als die Blüthen eines Baums.

Es lag ihm nichts daran, welche

Tausende fielen, um den Früchten Platz zu

machen; aber die Blüthen sollten doch duf­

ten

und den Baum zieren, obgleich nur

der Daum dauert, wie das

Geschlecht

der Menschen, nicht der einzelne Mensch.

O Linden, je mehr ich ihn kennen lern­ te, desto mehr mußte ich ihn lieben, desto inniger hängte ich mich an sein Herz, ob­

wohl stumm, obwohl nur mit verschlossener

Brust.

Zn Regnard achtete ich den feinen

Weltmann; aber ich liebte ihn nicht. Da kam er, mein Oheim, wieder.

Er

-

43

--

sah- mich ruhig an, legte die Hand zwei Mal auf meine Stirn, und sagte dann

langsam: „Es ist gut, daß der Mensch den

größten Schmer; bezähmen lernt; wie will er sonst den Menschen bezähmen, wenn

nicht sich selbst?

Alexander.

Deine Mutter ist todt,

Ihr langer Gram um Dei­

nen Vater hat den letzten Faden des Le­

bens vor der Zeit abgerieben." Da stürzte ich zu seinen Füßen nieder, mit

dem lauten Geschrei des kindlichen

Herzens: O, meine Mutter, meine Mutter! hatte ich dich nur noch einmal gesehen! Ach, ich fürchte, auch die Trennung von

mir.... „Das

ist zwar kindlich,

aber nicht wahr.

eine lange Leberkrankheit,

mußte.

Alexander,

Ihren Tod verursachte die so enden

Sie war zufrieden mit Dir und

Deinem Zustande. Ich bot ihr an, ob sie dich sehen wollte; sie fürchtete aber Dei­

nen zu großen Schmerz, und schlug es mütterlich aus. Der Sohn ehrt seine Mutter am besten,

nachahmt. ”

wenn er ihr Opfer

Ich ging in ein Nebenzimmer, um dort

meinem

tiefen

Schmerze

nachzuhangen.

Da fiel mir Emma ein, jetzt aber mit un­

endlicher Angst. nem Oheim.

Ich stürzte wieder zu mei­

Wo ist denn der alte Freund der Bediente

meiner Mutter geblieben?

meines Vaters?

„Du hast gewiß nichts dagegen, daß ich ihm das Häuschen und das alles dort

geschenkt habe.

Er war der Freund Dei­

ner Mutter, wahrlich!" Und,

liebster Oheim,

wo ist denn das

Mädchen geblieben das...? — Die Klei­

ne; o, Sie erinnern sich noch. „Nein; aber vermuthlich bei dem Be­ dienten.

War



etwas Besonders

mit

dem Kinde, so rede." Zch glaubte fest, Linden, daß Emma bei dem alten Ludwig in unserm Paradiese geblieben wäre, und so war es gut.

Was

mir den Mund verschloß,

wußte ich selbst

ich schwieg aber,

und nahm mir

nicht;

vor, dem alten Ludwig zu schreiben, daß er

Emma bei sich behalten sollte. Mein Oheim reiste sogleich wieder ab,

-

45

--

und Ich setzte mich noch iu dec-Nacht 'nie­

der,

um an den Bedienten zu

Zch legte die Feder hin,

schreiben.

und schrieb dann

ein paar Worte, mehr an Emma, als an den

Bedienten.

Nach

und

wurde,

nach

meine Kinderzeit so lebendig in mir.

Mir

fiel der Adler ein, wie er wieder zu seinem Neste zucückkehrte; auch dachte ich an Em-

ma's

letzte

Worte:

„wenn Du

wieder

kommst, so findest Du Emma's Grab, und alles

auögestorben."

Zch

sah, wie

das

Kind mit dem frommen Gesichte vor mir

stand.-und mir Dorwürfe machte, .daß ich aufgehort hatte, es zu lieben.

Das alles

überfiel mich so heftig, so auf einmal, daß

ich nicht mehr widerstehen konnte, und mir vornahm, Emma wiederzusehen. Freiheit

genug,

diese Reise

Zch hatte zu

fodern.

Regnard würde nicht Nein gesagt haben;

aber

ich

befürchtete seine Begleitung

das Heiligthum meiner Zugend. schloß allein zu reisen,

in

.Zch be­

was es auch kosten

möchte, und legte mich xuhiger nieder.



46



Derselbe an Denselben. Fortsetzung.

9tegnavb

hatte für den nächsten Morgen

eine Partie.

Ich schlug es ab, dabei zu

seyn; steckte Geld ein, etwas Wasche, und machte mich so üuf den Weg nach

nächsten Dorfe.

Hier miethete

dem

ich einen

Bauerwagen bis zur nächsten Poststation.

Da nahm ich Postpferde, und nun

ging

Den folgen­

meine Reise rasch vorwärts.

den Tag schrieb ich an Regnard: er möch­

te unbesorgt seyn; ich wollte meiner Mut­ ter Grab besuchen, und zwar ohne Zeugen. Nachkommen konnte er nicht; denn er wußte

kaum den Nahmen des Oertchens, wo ineine

Mutter gewohnt hatte.

O,

Linden!

endlich

nächste Städtchen.

erreichte ich

Wagen, und trat sogleich rung zu Fuß an.

meine Wande­

Da lagen

vor mir, die dunkeln Wälder.

die Höhen

Nun konnte

ich die einzelnen Felsen unterscheiden, sah ich von weitem

das

Ich sprang aus dem

schon

nun

das Häuschen

47 meiner Mutter; und das junge Herz pochte

gewaltig. Ich stieg hoher, und immer höher,zwischen den Thälern und Bachen,.dir wohlbekannten Wege hinan. Alles war still, die Ge­

gend wie ausgestorben.

Ich trat in das

Thal, das unser Paradies umschloß.

Da

stand keine Blume mehr, die wir gepflanzt hatten; alles lag begraben unter Nesseln und Disteln. Ich eilte mit Furcht zu dem Häuschen hin. Emma! rief ich: Emma! Keine Stim­

me antwortete mir.

Das Haus war ver­

schlossen, der Garten war verändert; an­ statt unserer Blumen,.- unserer Gebüsche trug er Küchengewächse.

Zch eilte an das

Grab meines Bakers, und fand

daneben

noch itinss, meiner Mutter Grab.

Es war

mit Blumen bepflanzt gewesen; aber nichts war erhalten:

rief ich.

alles

Hand

feindlichen

von

einer

verwahrloste.

fremden Emma!

Der Wiederhall auf den Felsen

antwortete

mir;

aber

nicht

Emma'ü

Stimme.

Endlich zeigte sich ein fremder Mann. O, mein Freund! sagte ich, wo ist Emma

-

-

48

Wer ist der Eigenthümer- die­

geblieben? ses Hauses?

„Dec bin ich^"-antwortete der Mann.

Gott! rief ich; wo ist denn der alte Mann, und ein junges Mädchen ungefähr

von eilf Jahren geblieben, die Hier wdhn-

tCil? „ Der Bediente der Fran von Nord­

stein, und ihre Tochter?

ich nicht.

Ja, das weiß

Ich habe das Haus und alles

dazu gekauft. Der Alte zog mit dem jun­ gen Mädchen von hier weg."

Wohin? — Diese Frage that ich zitternd.

„Das hat er mir nicht gesagt, und

niemand weiß eß. ” La wendete ich mich ab, Linden, fal­ tete die Hände, und sagte weinend: o du härtest Recht, Emma!

Alles finde ich aus

gestorben wieder.. Dieses ParadleS ist un-

tergezangen; du, du bist dahin! Und fände ich doch wenigstens nur dein Grab,

wie du sagtest!

Ich gab mich dem Besitzer des Hau­

ses zu erkennen, und bezahlte ihn reichlich für die Erlaubniß, einige Tage in dem Hause

49 Hause meiner Mutter wohnen zu dürfen.

Finster durchstrich

Zugend.

Ich

ich das Land

meiner

besuchte noch einmal die

Schlust, wo wir zuletzt saßen.

Das Paar

Adler zog fort, und kam nach einer Stunde wieder zurück zu Neste. Und ich, sagte ich, ihrem stillen Zuge durch die Luft nach­

sehend : und ich habe dich auf ewig verlo­

ren, Emma! Noch einmal warf ich mich auf das Grab meiner Mutter, nahm auf ewig von

meinem Paradiese Abschied, und ging stumm

hinunter, den Weg nach der Ebene.

sah mich um.

O!

Zch

du heiliges

rief ich,

Land, nie werde ich dich vergessen, und nie, Emma, dich! du theures Kmd, das der Himmel mir anvertraute, und das ich verlassen habe! Als ich zurückkam, machte mir Negnard, der in großer Unruhe gewesen war, die bittersten Vorwürfe. Warum redeten Sie

nicht? Wir wären zusamnren gereis't.

O, Herr Negnard, wenn ein Sohn auf dem Grabe der Mutter, wenn ein Mensch auf

dem Grabe

Pafoiit Emma. L

seiner

untergegangenen

4

5o Glückseligkeit trauern will, bedarf er kei­

nes Zuschauers.

Der Schmerz um das

verlorne Paradies ist ein Schauspiel, das man keinem Auge, auch nicht eines Freun­

des, Preis geben kann.

Ach, die Nacht

war mir kaum dunkel, still und verschwie­ gen genug zu meinem Schmerze, den Sie

nicht kennen, den Sie nur belächeln. „ Verdient ein Ding, das so vergäng­ lich ist, wie der menschliche Schmerz, eine andere Theilnahme, als ein sanftes Lä­

cheln?" Ist die Freude nicht eben so vergäng­

lich, wie der Schmerz? sagte ich bitter; und Sie nehmen dennoch besseren Antheil

daran.

„Und finden

Sie keinen Unterschied

zwischen Freude und Schmerz, mein jun­ ger Freund?"

Den, daß der Schmerz das menschlicher erhält, als die Freude.

Herz Aber

weiß ich doch, daß Ihnen die Menschlich­ keit nicht mehr ist, als eine fein berechnete

Klugheitöregel; und so lassen Sie das!

--Ich habe Ihrem Oheim Ihre Flucht



5i



geschrieben; denn in der That vermuthete

ich etwas Uebles, ehe ich Ihren Brief bei kam. Ich erwarte ihn heute. Mich dünkt, lieber Nordstein, Sie werden einen Übeln

Stand haben.

Er Liebt dergleichen Excen-

tritaten nicht, eben so wenig wie ich.

Mein Oheim kam. Ich sprang ihm an den Wagen entgegen, und führte ihn in das Zimmer. Negnard sah so listig aus, daß ich ihn fürchtete. Lieber Oheim, fing ich an; ich habe das Grab meiner Mutter Hier drangen wieder heiße Thrä­

besucht.

nen aus meinen Augen. „Es ist gut, Alexander," sagte er ru­ hig. --Die Jugend muß. auf dem einzelnen Grabe trauern, ob wir gleich früh lernen

sollten, daß ganze Menschengeschlechter in einem großen Grabe ruhen; daß die Mi­

nute, wie an Deinem Leben, auch an dem Leben der Welt nagt; daß die dunkle Nacht, die immer auf dich zuschreitet, mit

ihrem Dunkel auch auf die Sonne zuschreitet; daß der Gbttertag der Hindu, mein Sohn, nicht mehr ist, als einer unserer Tage,

oder die Sekunde der Ephemere; daß alles 4a

52 Eins ist.

Wir sollten früh lernen, die Zeit

von hinten zu messen, von jetzt zurück, -wo

hundert Jahre so viel sind, wie eine Mi­ nute; und nicht von jetzt vorwärts, wo un­ sere Hoffnung die Augenblicke zu Götter­

tagen ausdehnt, — um zu handeln, und nicht zu trauern.

Es ist gut!

Du bist

gut” Und fanden Sie den Alten noch, und das Mädchen noch? fragte Regnard listig.

Mein Oheim fuhr fort:

„Es ist gut,

daß das Kind der sterbenden Blume eine Thräne mit in's Grab giebt. Spott dar­ über ist leicht; aber verdient das Spott: — verdient dann alles, was das Herz bewegt, ihn weniger? Es ist gut; und begleitet eine Gestalt aus dem ersten, dem süßesten Traume des Lebens den Menschen lange über die öden Sandwüsten des Alters, so

ist das ein Glück,

wenn er nur nicht ver­

gißt, daß Handeln mehr ist, als Lieben." — Mich dünkt, er sagte das mehr für Re-

gnard, als für mich. Niemand fragte weiter nach Emma; und ich erzählte freiwillig, daß ich sie nicht

53 gefunden hätte.

Das sagte ich in einem

kalten Tone; aber mein Herz war dabei

voll Schmerz. Mein Oheim machte Am statten zu einer andern Lebensart für mich, und reiste wieder ab. Ich durchzog mit Regnard erst Deutsch­ land, dann die Schweiz, dann Italien und

dann Frankreich.

(Holland sollte ich nicht

sehen; denn mein Oheim haßte nichts mehr,

atü das Geldsammeln.) Nun gingen wir nach England, und blieben dort am läng­ sten. Jetzt sah ich, warum Regnard mein Begleiter seyn mußte. §r kannte die Län­

der genau, und hatte überall Verbindun­

gen unter den gebildetsten Menschen. Nach drei Jahren kamen wir nach Deutschland zurück. Regnards Umgang und Kenntnisse

waren mir sehr nützlich; aber ich hatte ihn nicht liebgewonnen, und sagte das meinem

Oheim.

„Mußt Du denn das, Alexander?" fragte er finster. „Kannst Du nicht nüt­ zen, was gut an der Sache ist?

Es

ist

sogar besser, mit Menschen zu leben, die wir nicht lieben, da es Unterhaltung giebt,

54 zu ordnen, was nicht paßt. —

Und was

ist denn lieben, gleichgültig.

fragte er

Alexander?"

O, theurer Oheim, rief ich: Liebe ist das Licht des Lebens, das einzige Wahre, das

Leben im Grabe, der Grund alles Guten und Edeln, der Bürge der Ankunft. „Wer das bedarf, der muß freilich so sagen, und es Ist gilt, wenn er so fühlt;

aber ich könnte sogar sagen, es gebe noch eine erhabnere Ansicht des Lebens, Alexan­ der, wo das alles nicht wäre, wo der Mensch das für ein Mahrchen hielte, was

Du da nanntest, und dennoch das Gute wollte. Das hängt indessen nicht so sehr von diesem Glauben ab, und vom Unglau­

ben, als von Gewohnheit; und so ist die Erziehung das Beste." O, mein theurer, theurer, unglücklicher Oheim! rief ich, meine Arme nm seine Schultern schlagend; wie viel Unglück mußte dazu gehören, eine Seele, wie die Zhrige, so... Er sah mich kalt an. „ Warum Un­ glück? Kein System, Alexander, von allen

55 keine, (off die Fesseln, womit der Mensch an das Leben geheftet ist.

Wir alle tragen

die Last: viele, wie hier zu Lande die Mäd­

chen, auf der Scheitel aufrecht; viele, wie die Thiere gekrümmt, auf dem Rücken.

Warum gerade Unglück?

Eine Art zu

denken, kann eben das bewirken, was Du eben dem Unglück zufchriebst. Es ist alles

Eins,

Alexander;

und Dein Feuer wird

wohl noch minder lodern, und mehr er­ wärmen. ” —

Er brach ab.

Doch, Linden, diese Kalte

meines Oheims war es eben, welche die Flamme in meinem Herzen, die Flamme der Begeisterung, immer lebendig erhielt.

Ich liebte ihn immer mehr, ich liebte die

Tugend mehr; ich gelobte mir selbst, sei­ nen Befehlen unbedingt zu folgen: denn umsonst wurde ich nicht so erzogen.

Vier Wochen nach dieser Unterredung nahm Regnard Abschied von mir.

Er er­

hielt von meinem Oheim eine reiche Pen­ sion auf Lebenszeit. „Ich vertraue die Zü­ gel über dich

dir selbst

an,"

sagte er.

„Du hast es gewünscht, Alexander; und eö

—/ 56

gedeihet nichts im Menschen, als was der eigene Wille pflegt.

Ich reise mit dem

Prinzen von *5* nach Italien. Von dort werde ich Dir schreiben, und ich wünschte,

daß Du uns in Rom trafest.

Der Prinz

ist in Deinem Alter, stolz, sehr stolz.

Du

wirst, denke ich, die Ehrerbietung, die man einem Prinzen erweist, nicht für mehr an­

sehen, als sie bedeutet, nicht für Kriechen. Fasse ein edles Ziel über dem Prinzen in

die Augen, Alexander; und die unteren Stufen seines Färstenstuhls und die Ach­

tung, die Du ihm erweisest, scheinen Dir nichts, gar nichts. Ein verächtlicher Schmeichler ist nur der, der über dem Für­ sten nichts Höheres kennt, und sich vor ihm selbst bückt. Ich bücke mich vor mei­

ner eigenen Idee, die ich ausführen will; was kümmert mich des Prinzen Lächeln! Doch Du wirst mich wohl noch verstehen

lernen.

In Rom werden wir einander

Wiedersehen. Deinen

Laß nur in meinem Hause

Aufenthalt

bekannt

seyn,

Ale­

xander?'

Hier hatte mein Oheim den ersten Vor-

Hang von meinem Leben weggezogen.

Ich

sah, wozu ich bestimmt werden konnte, und zitterte davor.

Mein Oheim lebte als Pri­

vatmann am Hofe des Fürsten *g*. Ohne

sein Günstling zu seyn,

hatte er sich den­

noch eine solche Gewalt über sein Herz er­ worben,

daß

alles vor dem Manne

terte, der immer ruhig und

kalt

zit­

an den

Stufen des Thrones stand, und nie etwas für sich, immer nur für das Land for­ derte.

Zu stürzen war

gar nicht;

der Mann

nicht,

denn Niemand begriff, wie es

zuging: der Günstling des Fürsten oder die Geliebte waren entweder, oder wurden seine

Freunde; und, noch mehr, er bediente sich

der Gewalt, die er über das Herz des Für­ sten in den Zwischenräumen des Wechsels

mit den Günstlingen hatte, niemals, einen Mann zu stürzen, wenn dieser auch seinen Planen im Wege stand,

sondern er fand

Mittel, die bedeutenden Manner im Staat einen nach dem andern an sich zu ziehen.

Ob er gleich sehr strenge für sich selbst

war, und nie ein Geschenk des Fürsten, als höchstens

einen Orden

und Kleinigkeiten,

56 angenommen hatte, so sagten doch Einige,

die ihn genau kennen wollten, er sey so Er könne bei

istrenge nicht gegen Andere. mancher

Ungerechtigkeit

die

Augen

ver-

schließen, um den Ungerechten selbst zu be­

herrschen.

Man hatte schon seit zwanzig

Zähren gehofft, den 'letzten Plan, den er

Haben konnte, zu erblicken; doch endlich mußte man es aufgcben, zu glauben, daß er überall einen Plan habe. Er stand da

auf den fürstlichen Sälen, wie eine fremde, rälhselhafte Geistergestalt,

die jedem mit

ihrem kalten, ruhigen Anblicke zum Erstar­ ren brachte; auch der Fürst liebte ihn nicht, aber er achtete ihn ungemein. Doch war, seitdem er in des Fürsten

Cabinet aus- und einging, das Land so blühend gewesen, wie noch nie, ob er gleich gar nichts

daran zu thun schien.

Die

Schulen waren vortrefflich, und verdiente Männer stiegen wenigstens in den unteren

Posten des Staats.

Er mischte sich in

nichts, war gar oft abwesend, und ließ zu­ weilen einen verdienten Mann fallen, wenn

ein Minister das Opfer durchaus verlangte,

— 59

-

wo er ihn vielleicht hätte retten können. Er ist ein Geisterseher! sagten Einige, und er schwieg dazu. Er ist ein Tropf! sagten Andere, ohne daß er mehr that als schwei­ gen. Einige Minister wollten ihm sogar die Manier adlernen, und nachahmen, wo­ mit er sich dem Fürsten so nothwendig machte; aber sie fielen. Man fürchtete ihn, ob er gleich nie einem Menschen un­ mittelbar geschadet hatte. Zch hatte nie, nie die Residenz besu­ chen dürfen, wo er wohnte. „Wenn es Zeit ist!" sagte er, so ost ich ihn um die Erlaubniß dazu bat; „wenn es Zeit ist!" Er reiste ab, und ich blieb in der Stadt, wo ich lebte, durch sein Ansehen mit dem Hofe in Verbindung. Mein Leben ging angenehm hin.

6o

Derselbe an Denselben. Fortsetzung. O, Linden,

jetzt fühlte ich mit überströ­

mendem Herzen, was es heißt, seine Frei­

heit haben!

Zch streckte meine Arme aus,

dehnte mich, sprang empor, wie ein Mensch,

der lange in Fesseln gesessen hat; wie ein Vogel, der aus dem engen Bauer ent­ wischt ist, den Flügel auödehnt, und, ehe er sich aufschwingt, erst wieder die gelahm­ ten Flügel prüft, ob sie ihn noch in sein

freies Element empor tragen werden. Bis dahin hatte ich nicht gemerkt, wie sehr mich dieser Regnard zu einem Sklaven gemacht hatte; jetzt fühlte ich es an dem feinen

Vergnügen, das durch meine Seele drang, an der Heiterkeit, die mich belebte, und an dem Entschlüsse, auf dem ich immer brü­

tete, so lange Regnard sich bei mir be­ fand, nach Waldweiler zu reisen, .und den

ich jetzt, da ich frei war, bis auf das her­ an nahende Frühjahr verwarf, gleichsam

6c um mit meinem Oheim, der mich nicht be­

schränkte, einen festen Frieden zu schließen.

als die erste Nachtigall schlug,

Doch

da war auch kein Haltens mehr.

Ich be­

schloß, wenigstens vierzehn Tage in meiner glücklichen Unschuldswelt bei den Gräbern

meiner Eltern zu bleiben.

Nur Einen Be­

dienten, von meinem Alter, und der mir

völlig ergeben war, (denn, die anderen hat­ ten, das

wußte ich von diesem,

in Re-

gnard's Solde gestanden) — diesen Einen nur nahm ich mit mir.

Wagen und Pferde ließ ich im letzten Dorfe, und so ging ich hinauf nach Wald­

weiler. ses.

Ich suchte den Besitzer des Hau­

Er, den ich das vorige Mal reichlich

belohnt hatte, nahm mich freundlich in mei­ nem väterlichen Haufe auf. Der alte

Mann war schon das erste Mal erstaunt, als er mich meine Wirthschaft in der Ge­ gend treiben sah. Jetzt lächelte er, und

nickte mit dem Kopfe, als wollte er sagen,

er. wisse nun wohl, wo es mir fehle. Lieber Vater, sagte ich; Er lächelt über meine Liebe für das Häuschen ♦..

62

„itäh nein; nun nicht mehr, seit dem Herbst," antwortete er. Seit dem Herbst? wie so? „Seit die junge Mamsell hier gewesen ist, sehe ich ganz hell." Die junge Mamsell? Um Gottes wil­ len! wer? welche? „3a, wie sie heißt, das vergißt unser einer. Aber sehen Sie doch nur hin, nur dorthin." Er zeigte hinter mich hin. Ich sprang erblassend auf, weil ich dachte, Emma stände hinter mir. „Dort an die Wand sehen Sie doch nur!" rief er. Mit Bleistift war an die Wand ge­ schrieben „So lebe wohl! lebe wohl, mein Paradies, von dem ich mein Herz niemals losreißen werde. Niemals! Hier war ich glücklich, hier allein! O, der Adler kehrt zu seinem Felsen zurück. Auch.ich kehrte zurück; aber allein! ach, allein! Auch Ec allein! Wir sagten nicht zusammen dem lieben Thäte Lebewohl! Eine Welt liegt zwischen uns, ein Leben. O, so lebe wohl.



Du, und Alle?

63



und

laßt

mich einsam-

sterben!" Das las ich, Linden, von Emma's Hand-

geschricben.

Meine Augen blieben fest auf

diese Worte' geheftet, bis ich gefaßt genug

war, dem Manne die Sache abfragen zu können, ohne meinen Schmerz gar zu sehr zu zeigen.

Er erzählte mir, Emma wäre

im Herbste mit dem altert Bedienten hier

gewesen, nur auf einige Tage, und hatte

getrieben, was er mich hatte treiben sehen. Der Alte war fast immer an den beiden

Grabern gewesen; Emma hatte ihre Zeit

oben im Kloster, in unserem Paradiese zu­

gebracht, und die Kluft besucht, die Pfor­ te der aufgehenden Sonne.

„Die großen blauen Augen," sagte der Mann, „standen fast immer voll Thränen,

wenn sie kam und wenn sie ging. Und nie habe ich ein vergnügteres Gesicht ge­

sehen, als da ich ihr erzählte, Sie wären auch hier gewesen.

Da wollte sie wissen,

was Sie gesagt, wo Sie gestanden, wo Sie gesessen und welche Orte Sie besucht O, lieber Herr, blind bin ich nicht.

hätten.

- 64 Zch wollte sagep, es sey eine Schwester ge­ wesen; aber für eine Schwester war eö zu viel. ” Das, Linden, erzählte wir der Mann

mit einer Theilnahme, die ich dem alten Gesichte voll Runzeln nicht zugetrauet Hatte. ich wendete

Aber

mich

wieder

zu

der

Stelle, auf welche Emma'ö Hand geschrie­ ben hatte. Es war mir unmöglich, das

Paradies meinerLugend, und diesen Brief, diesen zärtlichen Brief an mich, in den

Händen eines Fremden zu

lassen.

Zch

handelte mit ihm um das Häuschen, kaufte, es zurück, und gab ihm für eine Kleinig­

keit den Nutzen von Haus und Acker, mit der Bedingung, er sollte das Zimmer, die Wand mit Emma's Worten, das Para­ dies und die Gräber meiner Eltern unan­ getastet lassen.

Mitten in dem Thäte, das unser Pa­ radies gewesen war,

ließ ich einen Altar

mit der Ausschrsst errichten:

nen,

„Dem schö­

versunkenen Paradiese meiner Ju­

gend!"

Drunter schrieb ich, in die Au­

genfallend: „ich kehrte wieder, aber allein! O,

65 O du,

Geschenk der Engel,

warum weiß

ich nicht, wo Du bist!" Emma war nur einige Tage hier ge­

wesen,

und matt hatte dem Manne nicht

gesagt, wo sie lebte, ob in der Nahe, oder in der Ferne.

Zch fragte bei allen mei­

nen alten Bekannten, den Holzhauern, den

Kohlenbrennern.

Emma war bei allen ge­

wesen; sie hatte aber von allen auf immer Abschied genommen.

Noch einmal setzte ich mich an den Al­ tar, den ich erbauet hatte.

Meines Oheims

Plane mit mir sielen mir ein,

und

was

ich selbst wollte

die

heiße

und wünschte:

Sehnsucht nach diesem liebenden Herzen, und die Freude, dieses Leben zu beglücken, das

ohne

mußte.

mich

Aber

dahin

rinnen

zitterte nicht.

Mein

freudenlos

ich

Herz war rein genug, den Himmel an die Erde zu knüpfen,

die Liebe auf den Ehr-

geih zu impfen, in meinem kleinen Para­ diese, das der Altar füllte, und das eben

groß genug war für die Spiele zweier un­

schuldigen Kinder, die Riesenpiramyde des Lebens, das mein Oheim für mich gewählt

Lafont. Emma. I.

5

66 hatte, aufführen zu wollen.

O, Zhr schö­

nen ?tugenbltcke des Lebens, wo dem jun­

gen Herzen keine Tugend zu groß, wo das

Leben, selbst das allmächtige Schicksal, dem Willen des Jünglings Unterthan ist!

Es schien mir, als wüßte sie den Plan

meines Oheims; denn was sollten die Worte

bedeuten, sagte ich zu mir selbst, die sie ge­ schrieben hat?

„Eine Welt liegt zwischen

Nein, Emma! sagte ich

uns, ein Leben." laut;

nein,

nichts

muß mich je von Dir

trennen! nichts! Dich trage ich in meinem Herzen, wie ein Geschenk des

Himmels,

was Du auch bist, thrure Emma.

O, ver­

gesse ich Dich je unter dem thörichten Ge­ räusche des Lebens, unter den jauchzenden

Stimmen des Ruhms, unter dem Geschrei

der Freude, Deine Stimme der Liebe, deine demüthige Gestalt, deine leisen Seufzer; o, so trete der Schmerz mit sei­

ner Geißel

an

meine Seite,

Schande mit ihrem Hohnlachen,

und

die

und die

Neue mit ihrem Diperzahn falle an meine

Seele, daß ich meine Unschuld verlor, und



6?



die himmlische Pracht Meines Lebens, dich,

Emma, dich! Das sagte ich laut; und wäre mein

Oheim zehn Schritte von mir gewesen, ich würde eö dennoch eben, so laut gesagt ha­

ben.

Zch knieete an dem Altare, ich nahm

den Bleistift und, mit einem Blick in die Wolken, sagte ich, ehe ich schrieb: Alle ihr Machte des Himmels, die ihr über Liebe

und Unschuld waltet, seht auf diese Minute, herab, die mein Leben entscheidet!

Dann schrieb ich mit zitternder Hand: „Alles ist entschieden. Keine Welt

trennt unö, kein Leben. Zweifle nicht! Sie kamen in stillem Fluge zurück. O, zweifle nicht k Wo bist du?"

Als ich^dieü geschrieben hatte, stand ich entschlossen auf, entschlossen, voll Muth,

frei von allen Ketten, außer der Einen, die ich mir selbst angelegt hatte, frei von

meinem Oheim; doch entschlossener als je,

ihm zu gehorchen, nur in Einem nicht, wenn er mir das beföhle. Ich verließ das Thal, fuhr zurück.

-be­

machte mich auf die Reise nach Italien, und kam nach Rom.

Derselbe an Denselben. Fortsetzung. Äch zog in das Hotel, das für meinen

Oheim gemiethet war. her.

Er kam bald nach­

Mein Entschluß hatte mir eine Unab­

hängigkeit gegeben, die selbst vor dem durch­

dringend scharfen Blicke meines Oheims rein blieb. Ich war mündig geworden, Linden, wie

der Mann es immer wird,

wenn er einen Entschluß gefaßt hat, der den Menschen, der Gewalt, dem Schicksale die Macht nimmt, den Gang des Lebens zu ändern. Ich konnte alles erfüllen, was

man von mir foderte; ich konnte der Thor­

heit meine Opfer bringen, da sie mich nicht

entehrten. Es war nichts als ein Spiet. Wie ein König waltete ich in einer Welt,

die ganz mir gehörte, mir selbst, meinem Herzen.

Ich war froh, ich war glücklich!



OZ



Mein Oheim ssogar fand mich anders und besser. Er sprach vertrauter mit mir, als sonst, von seinem Plane. „Ich wünsch­

te, Alexander, ” sagte er, „Du könntest das

Vertrauen des Prinzen mit seiner Achtung gewinnen. Er halt von Dir schon recht viel, ohne Dich zu kennen. Mühsam wird es seyn; aber, Alexander, es ist noch müh­

samer, ein gutes Herbarium zu machen,

eine Drille abzuschleifen, eine Uhr zusammen zu setzen. Betrachte das, was sich Dir in seinem Charakter entgegen sträubt, wie ein sprödes Metall,

das man mit

behutsamer Hand bearbeiten muß, bis es

eben ist. Einen Falken zu zähmen, einen Jagdhund abzurichten, kostet mehr Mühe, als einen Menschen an sich zu heften, an

dem ja jede seiner hundert Leidenschaften eine festere Handhabe ist, als das Eine, der Hunger, am Thiere. Es freuet mich, daß Du mit muthigem Lächeln das hörst.

Muth erwirbt nicht nur Weiberliebe und

Weiberherzen, Alexander; er herrscht auch über Männer. Zch habe Dir nichts zu

sagen, als eine gemeine Regel: Fodre We-

70 rüg, und gieb Diel, und scheine zu geben, weil Du liebst und achtest; das Geheimniß des Lebens.

Alles

ist das

kann zur

Tugend werden; es kommt darauf an, wie man die Welt ansieht: aber der edelste

Plan ist doch der, wo man nur giebt, und selbst nie verlangt; wo man, wie die Sonne, erleuchtet, wärmt, Leben giebt, der

Wolke nicht zürnt, die ihren Glanz ver­ hüllt, sondern sie nach und nach auflos't, und dann — nur glänzt, um zu erwär­

men.

Wir wollen schon öfter darüber re­

den.

Zeder Weg führt

fast sicher zum

Ziele, wenn man nur nicht sieht, nicht -zurückkehrt, sondern ruhig fortschreitet, und

vor allem ein Ziel hat, und — Du wirst

einstimmen — ein edles, ein großes." Jedes,

liebster Oheim, sagte ich, ist

edel und groß, wenn es recht ist; denn die

Tugend ist Eins. „Für die Berechnung, ja! für die Der-

yunft, die alles auf einmal faßt, wie Gott, ja! Aber edel heißt da gar nichts, groß Nichts, tugendhaft nichts; nur vernünftig.

Auf dem Studierzimmer ist das wahr;

71 aber, mein Sohn, für das Herz doch

Seiner

anders.

Geliebten

ist

es

Kränze

winden, ist so vernünftig, wie etwas, weil es beglückt, weil es recht ist;

aber diesen

um ein Land glücklich

Kränzen entsagen,

zu machen,, ist größer.

Doch das wird sich

finden, Alexander." Er stellte mich dem Prinzen vor; und

es war so, wie er mir gesagt hatte.

Der

Prinz kam mir weit über den halben Weg entgegen, — mit Begeisterung, würde ich sagen, wenn er nicht diese Begeisterung für jeden neuen Gegenstand gefühlt hätte.

„Für

die Tugend

sogar!"

sagte mein

Oheim, nicht spöttisch, sondern kalt.

Mich dünkt, Linden, ich liebte den Prin­ zen mehr, als mein Oheim ihn liebte; und

der Prinz foderte sehr ernstlich

erst von

meinem Oheim, und dann von seinem Va­

ter, daß sollte.

ich

in

Meines

war nöthig, mich

seinem Gefolge davon

bleiben

ganzes Ansehen

Oheims

los

zu machen.

Wir sahen uns in Neapel wieder, aber nur

auf einige Tage;

ich sollte

nach Sicilien,

und der Prinz ging nach Frankreich. Dort

72

begegneten

wir

uns

noch einige Male.

Seine Liebe für mich war, wie er sagte, eine Leidenschaft geworden. Ich "wünschte in der Td.ar, in der Gesellschaft meines

Oheims zu bleiben, und sagte ihm das. „Nichts," antwortete er, --nützt sich schneller ab, als eine Leidenschaft.

genug,

Es

ist

daß er Dich kennt, und so kennt.

Ihr- werdet einander Wiedersehen." Zch ging nach Deutschland zurück; mein

Oheim auf einem andern Wege ebenfalls.

Nun sollte ich

an den Hof des Prinzen.

Doch vorher wollte ich mein Thal Wieder­

sehen, mein Paradies,

meinen Altar, wo

ich dieAntwort auf mein Schreiben zu

finden hoffte. Ich kam an, stürzte in das Haus, und fragte: ist das Mädchen wieder hier ge­

wesen?

„Stein,”

antwortete mein Pach­

ter. — Zch ging an den Altar, und fand

unter meine Worte von

ihrer Hand ge­

schrieben: „Tine Welt liegt zwischen uns, ein Leben. —

Darum sage ich auf eM'g

Lebewohl, und sterbe treu und einsam."

Sie ist hier gewesen! sie ist ja doch

--

73



hier gewesen ! rief ich dem Manne zu. Er

wußte von nichts.

Zch schloß daraus, daß

Emma nothwendig in der Nahe wohnen müßte. Nun streifte ich umher in der Gegend, in allen Dörfern, allen Städt­ chen, und suchte einen alten Mann, unb ein Mädchen, schon wie eine Göttin. Lange

suchte ich vergebens; dem

alten Bedienten

endlich begegnete ich

auf

einem Wege.

Ich erkannte ihn auf den ersten Blick,

er

mich nur an meiner Stimme, die ihm: „Ludwig! lieber Ludwig!" mit Frohlocken zurief.

Er war wie erstarrt, und schien zu

zweifeln, ob er mir Rede stehen sollte, oder nicht. Was hast Du, Ludwig? sagte ich: bin

ich nicht mehr Dein Alexander?

Komm,

ich muß Emma Wiedersehen.

Er stand, wie fest gewachsen.

Endlich

hob er an: „Gnädiger Herr,...

Gnädiger Herr?

Was ist das!

Lud­

wig, ich bin auf ewig Dein Alexander. „GuterGott! o, wie gnädig sind Sie! Aber — ich gehe keinen Schritt weiter.



74



Zhre selige.Mutter, gnädiger Herr, hat mir und Emma..."

Was? was hat sie? Rede weiter! „Derbsten hat sie uns, Sie wieder zu

sehen.

Der Herr Baron, Ihr Oheim..."

Zch befehle Dir, Ludwig, mich zu Em­ ma zu führen. — Er sah vor sich nieder.

„Liebster junger Herr," hob er aufs neue an: „o Alexander! so will ich Sie nen­ nen; denn auf diesen Nahmen hören Sie

gewiß einen alten treuen Diener. Emma lebt, ja sie lebt bet mir, und ist glücklich. Es

hat Mühe gekostet, das glauben Sie

mir, ehe sie glücklich wurde,

Thränen!

Gram! schwerer Gram! Zch dachte schon, daß ich noch ein Grab würde graben müs­ sen.

Sie mögen Sich auch wohl noch der

guten Emma erinnern, mehr als es für

Sie gut ist.

Aber, liebster junger Herr,

seyn Sie barmherzig. Was Sie vielleicht wünschen, was Emma träumte, ist ja un­ möglich.

Zhr Herr Oheim..."

Du bist ein Thor, Ludwig.

denn noch ein Kind?

Bin ich

Zch will Emma

selbst sehen, selbst von ihr hören, daß das,

-

75

-

was wie Lraumterr, Thorheit ist.

Das

will ich. „So kommen Sie!, so,kommen Sie!

O, warum folgte ich. Emma's Bitten, und

zog wieder hieher in die Nahe von Wald-. Weiler! Gut, Sie sollen sie sehen.

Es ist

grausam; aber Sie sollen sie sehen, die Ih­

nen ein.Engel gab, die selbst ein Engel

ist, und die — starker ist, als Sie, Herr Baron."

Ich

ging, ohne zu antworten, neben

ihm her, ohne weiter auf ein Wort von allem, was er sagte, zu hören; denn ich

näherte mich Emma, dem geliebten Mäd­ chen, wieder. Wir kamen nach dem nächsten Dorfe.

„Darf ich

Sie nicht

erst melden, Ihr

Gnaden?" fragte Ludwig, als wir an der Thür eines kleinen Hauses standen. Ich

stürzte in das Haus, und öffnete eine Thür. Wir schrieen Beide auf, 'als wir uns sa­ hen, und stürzten einander an die Brust. So hielten wir uns lange sprachlos um­ armt, mit einem Entzücken, das Schmerz

--

schien,



?6

der Entzük-

mit einem Schmerz,

ken war. „O Emma!- unglücklicher Tag!"

und

hier Ludwig;

in

sich Emma auö

riß

rief

diesem Augenblicke

meinen 2lrmen,

unl>

stand erblassend da, b(e Augen zu Boden

gekehrt,

zur Halste von

Jetzt, Linden,

mir abgewendet.

sah ' ich sie erst.

im sechzehnten Jahre,

Sie war

in der Blüthe ju­

gendlicher Schönheit, jungfräulich schlank, und doch voll und kräftig, eine hohe Ge­

stalt, wie

eine Göttin, mit einem Profit,

das für ihren sanften Charakter,

für das

weiche, in stillem Frieden aufgelös'te Herz

fast zu stolz,

Haar hing

zu edel war.

in lang

Ihr blondes

herabgercllten Locken

auf die Schulter, auf den Rücken hinab-.

Sie sah den alten Ludwig mit einem lang­ sehr ernsten Blicke

sam

emporsteigendcn,

an.

Dann wendete sie sich zu mir:

„Er­

lauben Sie, daß ich mich von der ersten Freude seit jenem letzten Schmerz erhole." Mit diesen Worten verließ sie das Zimmer.

Zch warf mich auf den Stuhl, auf dem sie gesessen hatte, und sann nach, was

— 11



ich ihr sagen wollte, Hamit sie mir glaubte,

mein Oheim sey nicht so strenge, als sie

denke. Zn dem Augenblicke kam ein jun­ ges Mädchen, und gab mir ein Billet.

Ich las von Emma'S Hand:

„Eine Welt

liegt zwischen uns, Alexander.

Ich weiß,

das Opfer muß gebracht werden. Und so, s) leben die wohl. Ich bin die Glück­

lichere;

denn über mir steht kein Schick­

sal, das mir gebietet.

Leben Sie ewig

wohl!"

Derselbe an Denselben. Fortsetzung.

Ach hoffe, sagte ich zu Ludwig, mit Thrä­

nen

in den Augen,

Ernst, was hier steht.

sie meint nicht in

Wo ist sie?

„Jetzt weiß ich gewiß, Herr Baron, daß Emma an einem Orte ist, den ich nicht kenne.

Aber, was sie da schreibt, ist doch

wahr.

Das Opfer muß gebracht werden,

rmd wird gebracht, Herr Baron! das" —



?6



hier trat der Ältd mit einem finstern' Ge­ sicht, aber stolz und majestätisch, vor mich

hin — „bas, was Ihre Mutter im Tode uns versicherte, und Emma'n befahl, die

nicht

einmal

meinte.

verstehen

konnte, was sie

Sie kennen Ihren Oheim nicht,

o, lieber Alexander; wir kennen ihn. Das Opfer wird gebracht, weil es gebracht wer­

den muß, weil er es will, dieser Mann, der erfüllt hat, was er wollte." Ist denn mein Oheim allmächtig? fragte ich lächelnd, aber doch von dem Tone des alten Bedienten erschüttert.

„3a!" sagte Ihre selige

Mutter zu

mir: „Ja! sollte ich Ihnen auf diese Frage antworten, wenn Sie jemals sie thäten.

Er ist allmächtig, weil er keine Leidenschaft hat.

O, mein Sohn, den meine Arme ge­

tragen haben!

bas Opfer muß gebracht

werden. Wollten Sie es etwa dann brin­ gen, wenn es ein Verbrechen wäre, es zu bringen? Das weiß Emma, das weiß sie aus einem Brief Ihrer seligen Mutter,

dm ich ihr gab, als sie zum zweiten Male



79

Waldweiler besuchte.

— Hier ist er; lesen

Sie ihn."

Ich las ihn still.

Meine Mutter bat

Emma, mich nie anders als ihren Bruder

anzufchen.

„Sein Leben," schrieb sie, „ist

bestimmt, seine Hand ist bestimmt.

Opfer muß gebracht werden,

Das

was

auch

Dein Herz dagegen sagen mag, spät oder früher. Bringe e6 früh, meine geliebte

Tochter, früh, um seiner Ruhe, um sei­ nes Glückes willen, wenn Du auch Dein Glück der Liebe aufopfern wolltest.

Ich

gab ihn mit bangem Herzen in die Hände seines — ach, zu großen Oheims.

Aber

ich mußte nach dem Befehle meines ver­ storbenen Mannes. Alexanders Glück wohnt nicht in Eurem Paradiese, nicht in den engen Wänden eines glücklichen Wohn­ hauses. O, der Himmel gebe, daß er eö doch irgendwo finde! Ich fürchte, es wohnt da nicht, wo ihn fein Oheim fest­

stellen wird." „Mein Sohn, Alexander," —

ich er­

staunte, als ich auf einmal mich angere­ det fand — „muß der alte Ludwig Dir

8o diesen Brief geben, so lies ihn mit Ruhe. Ich beschwöre Dich, taste das Herz Der-

ner Emma nicht an; das Schicksal hat sie

Dir nicht bestimmt.

Store den Frieden

ihres Herzens nicht; denn sie hat nichts als ihr Herz, was sie trösten kann, und

das Opfer wird dennoch gebracht.

Ich

versichre Dir: dennoch gebracht!"

Dieser Brief, Linden, machte mich nicht unruhig; er empörte aber meinen Stolz.

Sollte ich so gebraucht werden, wie ein Rad in einer Uhr, wie eine Taste an ei­

nem klingenden Instrumente?

Und von

wem? Don einem, der nicht mehr war, als ich; nur stolzer, nur hochmüthiger;

nicht einmal ruhiger, nicht einmal freier von Leidenschaft: denn er hatte große, hef­

tige Leidenschaften gehabt.

Ich hielt den Brief hoch empor gen Himmel.

Meine theure Mutter, sagte ich,

wenn Du herabblickst aus Deinem Him­ mel, so sieh Deinen Sohn, seines Vaters würdig, der die Ketten zerriß, die man

ihm anlegen wollte, — um

an Deinem

schönen Herzen die besseren Freuden zu ge­

nießen.



öl



Ich zerreiße sie so - gut, wie er;

nießen.

und dieser Oheim, dieser... —Hier schwieg

ich; der Gedanke an meinen Oheim er­ füllte mich doch mit Ehrerbietung. Aber sagen will ich ihm, fuhr ich noch immer laut

fort, daß ich frei bin, wie er; daß ich nicht ernt' malderSklav der ewigen Güte seyn möchte. Ich will frei seyn. Selbst meine Tugenden Haffe ich, wenn sie nicht, die Frucht nieU

neö Willens sind! — Wo ist Emma? Lud­

wig, wo ist Emma?

„Dennoch? dennoch? — Ich weiß es

nicht. — Junger Mann, ich war von Ju­

gend auf bei Ihrem Vater. Er horte mich; denn ich war redlich und treu. Hö­ ren

Sie

mehr:

mich; denn jetzt bin

ich bin ein Greis,

ich noch

der weiß, was

der Mensch kann, was er darf, was er soll. Sie fragen, wo ist Emma? Wüßte ich es, ich würde dennoch antworten: ich weiß

es nicht.

Aber Sie sollen jetzt nicht so

fragen; jetzt nicht!

Gehen Sie, beweisen

Sie Ihrem Oheim, daß Sie frei sind; dann fragen Sie: wo ist Emma? und ich

will Ihnen

antworten:

jßafpnt, Emma. i.

sie ist hier, die 6

82 Ihrige! O, diese Vorstellung, Alexander, Emma und Sie verbunden, würde wie ein

Engel

an

meinem

Sterbebette

stehen!

Mein theurer Herr, mein geliebter Herr, der Muth, der aus Ihrem Auge bliht, entzückt mich. O Alexander! o, du weißt

nicht, welch ein Glück Dich in Emma's Armen erwartet. Sie ist schon, wie ein En­

gel; das sind Tausende. Emma liebt Sie; das könnte auch eine andere thun. Aber ihre

Seele ist noch schöner,

als

ihr Gesicht.

In den Tiefen

ihres Herzens wallt eine

heiligere Liebe,

als aus ihren Augen her-

vorstrahlt. Ihr Herz ist treu, sanft und weich, ihre Seele glänzend und groß. Um ihre Schwächen, glauben Sie mir, würde die Tugendhafteste ihrer Schwestern sie be­ neiden, und Engel zeichnen die Thränen

ihrer Reue als Tugenden auf. — So ge­ hen Sie denn, und machen Sie sich frei; dann komm zurück, Alexander, und nimm

den Edelgestein, das reichste Geschenk des Lebens, das ein Engel Dir brachte. ” Der Alte hatte sich zu einem Jüng­

ling erneuet: sein Auge funkelte, da er von

- LN



ihr sprach; auf seinen Lippen saß die Ue-

berredung.

Gut! sagte ich; es sey so, wie

Du sagst.

Aber hier sollt ihr bleiben,

hier, damit ich den Weg zuM Himmel wisse, wenn ich würdig bin, ihn zu finden.

Und, Ludwig, Dir, dem Freunde meines Vaters, dem Freunde meiner Mutter, dem

Freunde meiner Emma, bin ich — nicht

Lohn; denn Liebe

bezahlt man nicht —

aber ein sorgenfreies Leben schuldig. „Smma'n sind sie schuldig.

Ich habe

mehr, als ich brauche; aber Emma hat..." Himmel!

sie?

rief ich erschreckt, was hat

O, Du hast Dich nlcht an mich ge­

wendet? Ludwig, hat nur Eine Sorge sie bedrückt, so verzeihe ich Dir nicht. Hier nimm, nimm alles, was ich habe!— Zch öffnete mein Taschenbuch, und gab ihm alle

meine Wechsel, die ich auf diesen Fall bei mir hatte. „Sie dürfen?" fragte er, als er die Summen ansah: „Sie dürfen?

viel, Alexander!

Es ist

Und Sie sollen so wenig

entbehren, als Emma."

-

84



Es ist mein, und ich entbehre nichts. Mein Oheim, ist der freigebigste Mann.

„So sagte Ihre Mutter," antwortete er, mich bedeutend ansehend. „ Er über­ häuft Sie

mit Geld, mit Vergnügen,

erfüllt alle Ihre Wünsche, überläßt Sie

Sich selbst.

-Recht! ganz recht!"

Diese Worte machten kend.

Zch ergriff Ludwigs

mich nachden­ Hand.

Und

böte mir das Schicksal die Regierung, der

Erde um den Preis: so — wäre Em­

ma

doch auf ewig mein!

Er begleitete mich nun den Weg nach meinen Borgen.

terwegeö;

Noch Eins, sagte ich un-

und jetzt

Waldweiler ist mein,

wieder Dein, Ludwig. Hier sind die Pa­ piere. Sobald Du dort bei den Gräbern

meiner Eltern wohnen willst...

telte den Kopf.

Er schüt­

„Gehen Sie," sagte er,

„und kommen Sie einst frei zu uns zu­ rück. Dann — wollen wir dort leben und

sterben, wo wir so glücklich waren.

finden Sie immer Nachricht wenn Sie die bedürfen."

Dort

von uns,

Als ich wieder in meinem Paradiese

85 angekommen war, sann ich über alles nach,

Ich mußte über

was sich ereignet hatte. Ludwigs

cheln.

Furcht vor meinem

Oheim lä­

Freilich sah ich sehr wohl, daß er

mich bestimmt hatte, vielleicht bei dem jun­ gen Fürsten in seinen Posten zu treten;

aber das konnte er ja,

ohne mich zu sei­

nem Sklaven zu machen.

Er überließ mich

mir ganz, so ganz, daß es mir eine Unge­

rechtigkeit schien, ihn nur in dem kleinsten Verdachte einer Tyrannei zu haben.

Ich schwor aufs neue an dem Altare Ettima'n ewige Treue.

Den folgenden Tag

wollte ich abreisen, wie ich es dem alten Ludwig versprochen hatte; ich fühlte mich

aber so übel,'daß ich nicht fort konnte. Ein heftiges Fieber hatte mich ergriffen. Ich fühlte eine entschliche Empfindung in

meinem Innern, die Empfindung des To­ des, und ließ mich von meinem Bedienten und dem Wirthe des Hauses an den Altar mehr tragen, als führen. Hier schrieb ich mit zitternder Hand unter Emma's Lebe­ wohl: „Die Hand des Sterbenden schreibt:

dennoch Dir treu bis zum Tode!"

Do»

66 diesem

Augenblicke

an wußte ich nichts

mehr von mir selbst. Gräßliche Träume, und Träume von einem überirdischen, fremden, aber seligen Leben zogen

meine Seele.

durch

Ich kam wieder zu mir,

linb fand mich in

einem fremden Zimmer

zum ersten Male wieder: in einem fremden

Bette, und an meiner Seite eine unbe­

kannte Wärterin, einen Bedienten, den ich

nie gesehen hatte. Ich

sah erstaunt um mich her, und

fing an mich zu besinnen; doch ich war zu schwach dazu.

Der Arzt kam und ver­

bot mir das Reden, weil ich zu ermattet war.

Aber ich hatte in meinem Phanta­

sieren meinen Oheim gesehen und Emma,

so lebendig, daß es fast keine Phantasie ge­ wesen seyn konnte. Mich dünkte, ich hatte Emma in ihrer jetzigen Schönheit gesehen;

sie war meine Wärterin gewesen, und hatte um mich geweint. Auch Ludwigs Gestalt fing an aus meinen Träumen hervor zu

gehen. Wo ist mein Bedienter? das war mei­

ne erste Frage.

Man.wußte von nichts.

87

Ich war hieher gebracht worden, und man hatte mir einen Arzt gegeben.

Der Ber

diente trug meines Oheims Livree.

Wer

ist Er? fragte ich. „Ich bin in Ihren Diensten, gnädiger

Herr. ” Wo ist mein Johann?

„Der Herr Baron hat ihn mitgenom­ men; ich wußte den Weg nicht."

Mein Oheim — war also hier? „Ja, oben in dem Dinge da, zwischen den Felsen. Vierzehn ganzer Tage, lange Leben und Tod kämpften."

so

Ich zitterte, noch eine Frage zu thun. Wer war denn sonst noch bei mir?

„Eine junge, schöne Dame," antwortete der Mensch sehr ruhig.

Eine Dame? Eine junge Dame? frag­ te ich, als ob ich nicht wüßte, wer sie

wäre.

Wie war sie gekleidet?

Der Bediente fing an, Emma zu be­

schreiben, gerade wie ich sie gesehen hatte. Eü war also keine Phantasie gewesen.

Er

gab ihr Alter, die Farbe ihres Haares an. Er wußte, daß sie mit einem alten Manne

6.8 gekommen wär, den sie Ludwig genannt hatte; mehr aber nicht.

Er selbst hatte

sie nicht tm Krankenzimmer mit meinem Oheim zusammen gesehen, nur Augenblicke

ausgenommen. Und eben davon wollte ich doch etwas

wissen, eben davon.

Ich wohnte nicht weit

von Waldweiler, und ließ den Wirth her-beirufen.

Auch er wußte nicht mehr, als

daß Emma einige Tage nach meiner Krank­

heit gekommen war, — wie er aus ihren Reden geschlossen hatte, um Abschied von

dem stillen Thale

zu

nehmen.

Ludwig

fragt den Wirth: Der junge Herr ist ab­

gereist?

Der Wirth zuckt die Achseln, und

sagt: vielleicht reist er in ein paar Stun­ den aus diesem Leben ab. Er kämpft mit dem Tode. Das hort Emma, und stürzt zu mir in das Zimmer, und wirft sich über mich, da ich in einem todähnlichen»

Schlummer liege.

Mein Bedienter hat

einen Arzt geholt, und einen Courier an meinen Oheim gesandt.

Emma, erzählte

mein Wirch mir, ward meine Kranken­ wärterin. Zn meinen heftigen Phantasiern

8g kann nur ihre Stimme mich beruhigen:'

Mein Oheim kommt mit einem Arzte, und' Emma bleibt meine Krankenwärterin, bis die Todesgefahr vorüber ist, und ich, um

dem Arzte der Gegend näher zu seyn, in das Städtchen getragen werde,

wo

ich

noch war. ... Und wie war Emma? fragte ich bett

Wirth: tbas sagte sie? Der Alte schüttelte mit einer sauern Miene den Kopf.' „Sie war bleich, bleich

wie eine Leiche, und boch so inunter; matt, als wäre sie krank, und doch hat sie kein Ange zugethan. Tag und Nacht war sie da. Der Schmerz wollte ihr Herz brechen, und

doch war sie so geduldig, wie hie Geduld salbst.

Das ist ein Engel, Zhr.Gnaden!

Sie sind ihr mehr, als dasLeben, schuldig."

Wie war mein Oheim gegen sie? Das

wollte ich jetzt wissen.

Er wußte es.nichtr

denn er war. nicht in das Zimmer gekommen; aber gegen Ludwig war mein Oheinr sehr gütig gewesen. Er hatte ihn.für die

Liebe zu seinem jungen Herrn sehr reich­ lich beschenkt.

Und als ich weggcbracht

90 weyde, und Emma nun mit Ludwig geht,

da hat mein Oheim sie freundlich bis an den Fußsteig begleitet. mein Wirth,

Er hat sie, erzählte

„meine gute Tochter" ge­

nannt, und Emma — vor ihm niederknieen

wollen.

Sie knieete nicht? fragte ich. „Der Herr Baron faßte sie auf, und litt es nicht. Er dankte ihr noch einmal

für ihre Sorgfalt, und so ging sie." — Das war alles, was ich nun wußte, Lin­ den.

Der Arzt drang darauf, ich sollte jetzt,

nach dem Befehle meines Oheims, in kurzen

Tagereisen mich zu ihm aufdenWeg machen.

Zch verlangte Aufschub, schrieb an Em­ ma, und schickte meinen Wirth mit dem Billet ab.

zu

Er versprach ganz fest, eö selbst

bestellen;

doch

brachte er es wieder.

am

folgenden

Tage

Emma und Ludwig

waren, auf die Nachricht, daß ich wieder hergestellt wäre, den Tag vorher abgereist. Ist das wahr? trauisch.

fragte ich ihn miß­

Der Mann lächelte.

„Herr Ba­

ron, ich habe von dem alten Manne, der die schöne Mamsell begleitete, ein paar

Qi

Worte gehört, die — Kurz, ich bin Ihnen

treu, Herr Baron.

die Sie ja

Das ist die Wahrheit,,

werden, wenn Sie

erfahren

wiederkommen!" —

Also fort! fort! sagte ich.

So bringt mich,

wurde

Nun denn!

wohin ihr wollt.

Zch

in einen bequemen Wagen gebracht,

der zurückgeschlagen

werden konnte,

und

nach zehn Tagen fuhr ich gesund und ge-

parkt, mit frischem Leben, mit neuen Ent-

schlaffen, mit unendlicher Liebe, in den Pal­

last. meines Oheims ein.

Derselbe an Denselben. Fortsetzung.

Zch hatte aber von dem

Arzte doch

auch gehört, wie besorgt mein Oheim selbst

um mich gewesen war:

seinen Besuch bet

dem

sein langes Blei­

kranken Neffen,

ben an meinem Krankenbette. sogar,

mit Emma

Er hatte

abwechselnd, mich ver-

pflegt. — Zn der That, Linden, ich ging

— 92 — mit einem Herzen voll Liebe zu ihm kn das Zimmer. „Vom Tod' erstanden, Alexander?" fragte er mit einem Blicke, der heiterer war, als gewöhnlich. Wie alles auch stehen mochte in feiner Seele: er hatte doch das Mädchen gütig mit Liebe behandelt. Wie gütig? Das erweist, daß sie hatte vor ihm knieen wol­ len. Er liebte mich doch, — Daß er jetzt üllös wußte, 'wachte mich freimüthiger ge­ gen ihn. Es schien mir, als stände'.man am besten mit ihm, wenn er wüßte, was man wäre. —— So betrachte ich mich jetzt, lieber Oheim, sagte ich: Ä6 .ein vom Tod' Erstan­ dener, der das Leben und das Grab kennt, und weiser geworden ist. „Weiser? Daü wäre viel! Um welche Zdeen bist Du reicher geworden?" Daß ein Gott der Liebe ist, der uns nur die- höchsten Freuden, aber nicht die höchsten Schmerzen gegeben hat, die uns fere Natur schrecklich angreifen könnten-.-~ Er sah mich- all; ich fuhr fort., Gräßliche,

93 verzerrte Bilder des Schreckens erhoben sich

während

des Fiebers

Es liegen in

in

meiner Seele.

unserer Natur

verborgene

Schrecken, die nur eine wilde Krankheit weckt, die kein Gesunder kennt. Ich würde

jetzt mjt Zittern leben, wenn ich nicht an Gott glaubte: so lebendig war die Welt,

die ich im Fieber sah! „Du nimmst zu hoch, Alexander, was Zuckung

jede

der Nerven ist. Du stellst an körperlichen Maschine

Rolle Deiner

einen Geist, und denkst nicht, daß die Un­

ruhe, wie in der Uhr, auch im Menschen

die große Kraft ist, die alles bewegt." Warum aber, lieber Oheim, stillte der bekannte Ton einer Stimme aus der Ju­

gend, Emmaus Stimme, die zuckenden Ner­

ven in mtr, den Sturm des Fiebers, auf dessen Wogen meine Seele schwebte, und

die Schrecken einer verborgenen Welt?

„Muß ich begreifen, wie der Saft in* den Rohren des Pfirsichbaumö den Pfir­ sich bauet; und nicht eine giftige Euphorbia?--------- Das war jenes Mädchen?"

Das war sie, mein Oheim, die Spiel-



94



gefahrtin meiner Jugend, deren leisesten

Ton der Stimme meine fliehende Seele mitten im tobenden Sturme der Zerstör

rung hörte und

befolgte.

Ich

hatte sie

kaum gesehen seit meiner Jugend; nur in

der Krankheit sah ich sie wieder, als mein Auge Maaß und Licht verloren hatte, wo­

mit der Mensch mißt und schauet. Mitten aus den Schreckensbildern zog meine Seele

die himmlische Gestalt hervor, und ich er­ kannte ,das Leben in ihr, mitten unter den Phantornen des Fieberzaubers. Ich könnte

sie mahlen, die rührende Gestalt, die, gleich einer wohlthätigen Fee, die Zauber ver­ jagte, mein verblendetes Auge und meine

verzerrte Seele heilte. Mahlen will ich sie, wie sie über mir hängt mit dem blei­ chen Gesichte, wie die blaffen Lippen sich öffnen und meinen Nahmen bebend aus­

sprechen, damit ich die Arznei nehme, die ihre wohlthätige Hand hält. „Hast Du sie nachher gesprochen?"

Sie hatte ihren Aufenthalt verlassen. Aber, lieber Oheim, entfliehen kann sie die­

sem Herzen nie, selbst diesen Armen nicht.

-

95

-

Und müßte ich, wie ein Büßender, die Erde nach ihr durchirren:

ich muß sie wieder­

finden. „Und warum flieht sie Dich? scheinst Du zu sagen."

So

Ein Befehl meiner Mutter...

„Und den ehrt die Fremde mehr, als der Sohn? — Seltsam genug, daß Du

die Erde durchirren, das Leben ungebraucht aufopfern willst, um am Ende ein Mäd­ chen zu bereden, daß sie nicht so großmü­ thig seyn soll, alö sie zu seyn den Muth hatte. Du scheinst Dich auf das Glück eben so wenig zu verstehen, als auf Dein Herz. Daß Du nicht gehorchst, läßt sich

begreifen

aus Deinem Geschlecht.

Der

Weiber Tugend ist Gehorsam; und diese Tugend ist auch ihr Glück. Doch, was

streite ich mit

Dich hier.

der Leidenschaft!

Erhole

Das wird sich finden, mein

Sohn, und sie wird die Erde nicht ver­ lassen." — Das war

unser

Gespräch,

Linden.

Mochte nun seine Meinung seyn, welche sie wollte, so war er mein. Denn hatte er



96



wohl nur Ein Wort gesagt, das. Verbot

meiner Mutter zu bestätigen?

Er war ru­

higer, heiterer sogar, als jemals.

Bald

nachher bat er mich, noch einige Zeit bek

ihm zu bleiben, um mich nach und nach an den Prinzen fester anzuschließen. Meines Oheims Plan fing an, mir im­

mer deutlicher zu werden; und desto mehr fühlte ich-mich gezwungen, den Mann zu

achten.

Glaube nicht etwa, Linden, er ha­

be mich durch kleinliche Intriguen zu je­ dem Schritte gezwungen, den ich thun sollte. Nein, er fing damit an, daß er mir nach und nach sein Herz enthüllte. Ich stritt mit ihm über seine Grundsätze, wie ein

Mann dem Manne etwas abstreitet.

sagte mir tausendmal, daß nur

Er

ein ganz

freier Mensch,- daß nur ich, wenn ich von allen Andern unbeherrscht bliebe, nur nicht

von der großen Vorstellung, ein Land voll Menschen zu beglücken, seine stolze, schöne

Rolle ausspielen könnte.

Ich that, was er wünschte; doch sehr bald fühlte ich mich von dem allen einge­

engt.

Vater, sagte ich

einmal zu ihm: ich

97 ich bin zu gut zu der Nölle,

dle ich spie­

Ich kann nicht langer dastehen,

len soll.

und meinen Stand

den

an

Stufen des

Thrones mit kleinen Abbeugungen von der Wahrheit erkaufen. —

Er sah mich ruhig

an. — Zch will glücklich

seyn,

fuhr

ich

fort; glücklich, ich! ich selbst! Warum soll

ich das Leben aufopfern für etwas, das so

ungewiß ist!

„Alexander, ein vom Tode Erstandener,

sagt man, lächelt nie wieder; keine Freude darf sich Dem nähern,

den

der Tod ein­

mal an seine freudenlose Brust hat.

gedrückt

Nicht wahr, Du nenntest Dich ein­

Wae ist denn

mal so?

Lebens?

das Glück

des

Was ist denn das Leben selbst,

das Du so schonen willst? verlangen,

daß Du eben

wie ich, mein Sohn.

Zch kann nicht

so denken

sollst,

Genieße des Lebens,

wie Du willst; fasse die Freude fest,

und

kehre Dich nicht an mich, daß ich sie um

mich her tanzen lasse, fen.

Verzeihe mir,

Freude,

ohne sie zu

daß

was Glück ist.

ich

ergrei­

weiß, was

Aber was

das

Leben ist, das solltest Du wissen, um die

Lafont. Emma» L

7

-

98,-

Freude für den wohlfeilsten Preis zu kau­

fen.

Was ist es b?nn, mein Sohn? Bist

Du das Leben? oder ich? oder einer der Lebenden?

0, nein! nein! Wir sind nichts

als Leichname, die der Tod dem Leben lei­

het; als Theaterkleider, die der Tod hergiebt, und die das Leben ausfüllt, um das.

Schauspiel des Lebens aufzuführen.

Was

ist denn das, was Du, was ich, was Ze­

der fein Leben nennt? Nichts, als die Gränze zweier Ewigkeiten: ein Nichts; ein Weniger als nichts! — wie die Lauf­

bahn der Erde ein Punkt ist, gegen die Entfernung des nächsten Fixsterns. Zch könnte das Leben hingeben für das Lächeln

eines Kindes im Schlummer: so wenig ist es!

Aber das wahre Leben, das ich nicht

begreife;

das aufwallt in den Millionen

Formen, und

sie wieder verschlingt; das

unser Welt-System hervorwarf, wie das ewig brausende Meer eine Luftblase, und

nach zwei Augenblicken wieder verschlingt: das Leben allein ist Leben; doch unbegrif-

fen, ewig unbegriffen! Wie verwechseln die aufspringende und glänzende Luftblase

99 unaufhörlich

mit dem Sturm, mit dem

Geiste, der das Leben immer in Bewegung

bringt?' Das sagte er so still, so überzeugt, so unerschüttert, und doch so trostlos, daß ich zitterte,

und — ihn desto inniger liebte.

Aber, mein Vater, die Freude, aber die

Liebe macht das Leben, das Zhrige, das meinige, zu etwas Erhabenem. ich begeistert.)

(Das sagte

Und die Tugend! setzte ich

triumphirend hinzu. „Die Liebe, die Freude, die Tugend?

Nahmen! Worte! Hamlet.

Wo

Worte!

Worte!

sagt

ist die Liebe, die bis zur

Gränze des Lebens dauert? Sie ist ein dünnes Sommerkleid, das wenige Tage,

das der Frühling des Lebens abnuht; und dann tragt der Mensch dgs dunkle, schwere Kleid der Gleichgültigkeit, wenn nicht die

kalte metallene Rüstung des Haffes.

Laß

eine Freude mehrere Stunden dauern, dann wird sie Schmerz!

Und sag, Alexander,

ist eine Tugend so rein, wie die Freude? — die ihr Lohn sey» soll, sagt ihr! O, und ist sie nicht einmal so rein, wie die, welche

100

die Zeit in Schmerz verwandelt; was ist

sie denn?"

Er legte die Hand auf fein Herz, und sah finster vor sich

nieder.

Um

diesen

Preis, gegen den das Leben ist, was die

Ewigkeit gegen das Leben, willst Du Dich

verkaufen? willst den großen Gedanken fah­ ren lassen, freiwillig, ohne Lohn, zu han­ deln für eine Welt, selbst ernst zu seyn,

ruhig, wie man die Weisheit mahlt, und den Keim der Freude für eine künftige Welt in den Schooß des großen Lebens zu senken?"

Er faßte meine Hand. „Ich

liebte, Alexander; und ich stehe hier al­

lein.

Zch glaubte, weil ich liebte; und

ich weiß nicht, warum ich betrogen wurde. Andre können glücklicher fegn; der Traum

der Liebe kann dauern, bis man selbst es stift ist. Aber darum sollte Niemand un­ vergänglich nennen, was an — einem Nichts in Nichts zerfällt." Hier sah er mich an, legte noch einmal

die Hand auf die Brust, und ging dann

schnell in fein Cabinet. Unglücklicher Mann! sagte ich.

Aber,

IOI

bei Gott! Du sollst noch überzeugt wer­

den, daß die Liebe kein Traum ist.

Ich

will Dich lieben, mit dem heißen, noch fortglühenden Herzen, dessen Flammen nur

das Unglück löschte.

Ich will Dich lieben,

wie ich Emma liebe, und Deine Hand soll ihre Hand in die meinige legen; eher will

ich sie nicht berühren. Das schwöre ich dem Unglück des ehrwürdigen Mannes! — Ich ging zufrieden in mein Zimmer, und alle seine Reden waren verschwunden; der warme Strom des Lebens,

der Liebe,

der Freude, der Tugend floß durch meine

offne Seele.

Derselbe an Denselben, Fortsetzung.

Sobald ich völlig hergestellt war, brachte mich mein Oheim zu der Frau von Paradisi. Auf dem Wege dahin, sagte er zu mir: „ich führe Dich in ein Haus, mein

102

guter Alexander, deßgleichen du so leicht

nicht wiederfinden wirst: zu einer Frau, die das Glück des Lebens gefunden hat, wenn es gefunden werden kann; ich möchte sagen, zu

einer Philosophin.

Du wirst

vielleicht nicht so sagen; denn man er­ zählt von ihr, sie sey die Geliebte deü Für­

sten gewesen, und sey es in manchen Au­

genblicken noch.

Aber wäre es

auch nur,

zu wissen, wie eine Frau, welche ihre Rolle auf einem großen Schauplatze mit Glück spielte, das Spiel des Lebens ansieht, so wäre das schon Gewinn." Zn der That,

Linden, mein Ohekm

hatte meine Empfindungen errathen; ich ging mit Widerwillen hin.

Wir kamen an ein großes Gatterthor, das sich in einen Garten öffnete, und hin­ ten im Garten stand ihr Haus.

Zm Gar­

ten gingen eine Menge zahmer Rehe und Hirsche; eine große Voliere von Drath geflochten, die ein ganzes kleines Gebüsch

umschloß, enthielt Hunderte von Singvö­ geln. Fasanen, Pfauen, alle Arten von Hühnern und viele Arten von Wasservögeln

io3 saßen

auf den Bäumen, liefen zwischen

den Rehen und Hirschen, Und schwammen auf ein Paar Kanälen, in hellem, siießendem Wasser.

Man sah ein fröhliches Ge­

wimmel voll Leben, das Jeden für die Be­

sitzerin

des

Gartens ‘ elnnehmen

mußte.

Dor dem Haufe befand sich ein

großer

Rasenplatz, an den Seiten äußerst schone

Blumen-Parterre.

Das Haus war nicht

groß, kein Palast; es schien aber unter dem Kranze von schönen hellen Platanen mit seinen großen Fenstern, und

seinem

Saulengange, der rings umher lief, und auf dessen plattem Dache eine reiche Oran­

gerie stand, ein Aufenthalt der Ruhe und der Freude zu seyn.

„Ah, Nordstein!" rief eine Stimme unter den Orangerie-Bäumen zu uns herab: „willkommen!

willkommen

hier!"

Und

eine weiße Hand bewarf ihn von oben mit Orangen-Blüthen. Wir gingen hinauf, durch einen Saal, worin die-schönsten Gemählde die

einzige

Pracht

waren,

durch etne

große Glaöthür, auf den Balkon, wo uns die Frau von Paradisi erwartete.

Es war



io4



ein Hangender Garten, in welchem sie saß.

Sie kam uns mit dem leichten Anstande

der vertraulichen Freundschaft entgegen, und lächelte meinem Oheim zu; mir machte sie eine Verbeugung voll Reih und Grazie.— Hier ist er, den ich Ihnen schon lange ver­

sprach, sagte mein Oheim kalt. Sie betrachtete mich mit einem ange­ nehmen Lächeln, und ich sie. Die Natur

hatte ihr alles gegeben, was man schön

nennt, und sie gewiß zu etwas Besserem geschaffen, als sie geworden war.

»Herr

von Nordstein!" sagte sie mit einer Stim­ me, die wohl mehr als Schwächen hätte versöhnen können:

»der Nahme ist mir

so lieb, daß ich es schon seinetwegen gern sehen würde, wenn Sie hier etwas fän­ den, das Sie zum Wiederkommen bewöge.

Aber es giebt eine Aehnlichkeit unter uns,

die uns schon verbinden sollte. den Hof nicht, sagt Ihr Oheim.

Sie lieben Hier sol­

len Sie wenigstens Freundschaft und Frei­

heit finden." Das floß über die

schönen Lippen so

leicht und doch so herzlich!

Sie giyg zu

io5 meinem Oheim, und wie sahen, daß er die Tauben fütterte, die sich auf dem Balkon gesammelt hatten. „Sie spielen mit Mei­ nem Spiele," sagte sie, ihm das Körbchen mit Futter abnehmend, setzte sich auf den

Boden, und sireuete das Futter auf ihren Schooß dicht um sich her.

Da flogen die

Tauben auf ihre Schultern,

auf

ihren

Schooß, und fraßen aus ihrer Hand. Sie drückte sie, wenn sie ihr nahe kamen, an ihre Brust, liebkoste ihnen, und sagte dann,

die funkelnden, schwarzen Augen gegen mei­ nen lächelnd dastehenden Oheim aufhebend: „Sie verstehen es nicht, Nordstein!

Liebe

als Wohlthun.

Ich

ist etwas Anderes,

weiß

gewiß,

die

Thierchen lieben mich,

weil ich sie liebe; und ich liebe sie, als ob das meine Bestimmung wäre."

Für die das eines

Herz

und die Talente

Kindes hinreichten — Ihre Be­

stimmung? „Meine! O ja, meine!

Gie werden

mir mit allen ihren Sophismen die Au­ genblicke nicht nehmen, in denen ich fühle,

daß die Unschuld und das Glück eines Kin-

io6



des gerade die menschlichste Bestimmung find. Wie viele Kunst, wie viele Täuschung gehört dazu, mein guter Nordstein, das Le­ ben, das ich führe, das Sie führen, nicht

für eine verfehlte Bestimmung zu halten! Mein Hofstaat hier" — sie zeigte auf die

Tauben umher — „giebt mir Freude, fast

nichts als Freude. Doch, man muß daran nicht denken!" Sie sprang auf, und führte uns in den Saal. Ich bringe Ihnen hier, sagte mein Oheim, einen Schwärmer, den Sie von seiner Schwärmerei heilen sollten, und — mich dünkt, er hätte nicht mehr schwär­

men können, als Sie jetzt auf dem Balkon. Sie sah mich

lächelnd an.

„Schon

wieder eineAehnlichkeit!" sagte sie: „aber nur eine scheinbare. Wir schwärmen mit dem Herzen, der Mann mit dem Kopfe;

und so kalt Ihr Oheim auch seyn mag — er ist dennoch ein ärgerer Schwärmer, als

Sie es seyn können.

So wären wir Drei

die einzigen Schwärmer am Hofe; aber

still! damit sie

es uns nicht

daß wir, wie die Ameisen,

abmerken,

immer zu-



107



sammen scharren und unter dem Boden le­ ben, doch auch zuweilen Flügel haben, um uns über das niedrige Leben empor zu heben. Stlll! still!" Liebe Paradisi, jeder Mensch muß seine Nolle auöspielen, wenn er beklatscht werden soll. „Wer sind denn Die, welche klatschen?" fragte sie spöttisch. „Neulich, sagte Krau­ sen: ich begreife gar nicht, wie ein Fürst abdanken kann. — Wenn ich nur begriffe, wie er eö macht, um nicht abzudanken! O Himmel! bin ich bald weise genug, mei­ ne Stelle nieder zu legen?” Gott behüte! rief mein Oheim. Sie sind nahe am Ziele, wo der Siegeskranz hängt; und Sie wollten stehen bleiben? „Nicht stehen bleiben; umkehren will ich, und thun, was Sie mich thun sehen: lieben, was mich liebt.” Was hat Sie so seltsam bewegt, liebe Paradisi? Sie sann nach. Eben ging die Thür auf; und die Frau von Paradisi zeigte auf ein Mädchen, das herein trat, und



103



sagte leise: Die da! der ich kaum Mutter

seyn darf! Ich erstaunte, Linden; denn eö trat eine Göttin in das Zimmer, nicht eine

Sterbliche. Ich verbeugte mich tief vor dem Madr chen. Linden, dessen Schönheit — wer ger braucht das Wort nicht! und wozu wird es nicht gebraucht! meistens ist eö nur ein wärmerer Nahme für Jugend. Hier soll

das Wort mehr sagen. Ihre Mutter war schön, und in deren Gesichte war, dünkt

mich, mehr Leben, mehr Ausdruck, in den Augen mehr strahlendes Feuer, auf den schönen Lippen mehr Lächeln, mehr Liebe. Aber doch war die Tochter tausendmal schöner, himmlisch schön» Auf dem weißen Oval des Gesichtes lag rrnentweihte Unschuld

und ein sanfter Stelz, der durch die schlanke,

stolze Figur

noch mehr

gehoben wurde.

Als ich ihr genannt wurde, wendete sie das Gesicht zu mir, und verbeugte sich.

Dann

ging sie zu ihrer Mutter. Aber dieser Gang, dieses leise Schweben, als trügen Engel sie

auf ihren Flügeln!

nun die

log

freundliche Verbeugung gegen meinen Ohelm,

dann die kindliche gegen ihre Mutter! und

nun alle ihre zarten Bewegungen, wie sie der Mutter Hand so lercht ergriff, die Lip-

peil einen Moment darauf ruhen ließ, und in diesem Kuffe der Mutter sagte, was sie ihr sagen wollte, und dann mit einer Ver­ beugung gegen uns Alle zurückschwebte!

Za, Linden,. Leh fühlte, was die Frau von Paradisi einige Minuten vorher gesagt

hatte: „Das ist die wahre Schönheit, der, wenn sie erscheint, Aller Augen und Aller Herzen huldigen, und der sich dennoch kein Wunsch, auch nicht der leiseste, nahet. Da überstrahlt die seltene, innere Schönheit die äußere?'

O, sie würde das nicht ge­

sagt haben, wenn sie nicht eine solche Toch­

ter gehabt hatte! Valeria? (so setzte mein Oheim das Gespräch weiter fort); daö wundert mich.

Und wenn ich wieder bedenke, wie Sie Ihre Tochter erzogen haben, so... --Ich meine Tochter erzogen? Ich weiß,

was Sie meinen, Nordstein.

Aber in ih­

rem stillen Herzen konnte nichts gedeihen,

HO

als dle Wahrheit, und eine bessere Hoff-

nung, als dle dieses Lebens.

Bauen Str

in dem finstern, alten Eichenhaine auf der Spitze des Berges dem frohen Leben einen

Altar; und dennoch werden die Menschen umher kniern, und eine größere Gottheit anbeten, als die Freude.

Sie ist so, sie

war so! Anders kann ich von Valerien

nichts sagen. ” Und nichts Besseres, sagte ich hier. Sie blickte mich freundlich an: „Nichts Besseres würde ich sagen, wenn ich an ih­

rem Sarge stände.

Aber nein; ich sage es

auch in jeder Minute, da ich sie sehe. Und wenn sie mir täglich tausend Opfer bringt,

soll ich ihr nicht endlich Eins bringen, das mich zu einer Heiligen machen würde?" Dazu fehlt Ihnen der größere Ehrgeitz,

sagte mein Oheim kalt. „Dann wäre es nichts weiter, als eine neue Kette, mein Herr. Waren alle Ein­ siedler Thoren oder Ehrgeihige? Ich fühle,

daß es eine reine Quelle des Abscheidens aus einer Welt giebt, die nichts als die



III

—t

Eitelkeit — flücht elmnal befriedigt, nur mit Hoffnungen körnt." Wohl denn, meine Freundin! jenes Bessere ist es denn, was mich hier halt. „Eine Eitelkeit, der Zhr Witz, Ihre So« phismen das Bettlerkleid abgestreift und die Sie in den Königsmantel einer seltsamen Tugend gehüllt haben. Weiter nichts! Sie werden es sehen, Nordstein, wenn Ihre Rolle ausgespielt ist." Zch werde es sehen und lächeln, weil ich dann wieder um eine Gewißheit reicher seyn werde. Dann soll mir die Thebaische Wüste mit ihren Todtenkellern wtllkomr men seyn. So lange ich aber noch bin, will ich seyn, nicht hoffen. „Was ist Zhr Ziel anders, als Hoffnung, wie jedes menschliche Ziel! Zch kann es erreichen, ich, ohne Gei­ sterbeschwörungen. Zch kann; denn es ist von Andern erreicht. Sie aber können ein anderes nicht erreichen. „Valeria," — sie sagte das mit einer Art von Hitze — „steht am Ziele."

112 Bls der

Traum

verschwindet; dann

steht das Ziel wieder am Ende des Lebens.

„ Das Ihrige steht nirgends anders, Nordstein; und mich dünkt, der Menschen­ haß steht daneben." Wenn auch! sagte er noch kälter. es meine Schuld? so sey es!

Ich

Ist

gehe,

weil ich muß, und weil ich will.

Hier trat Valeria wieder tn's Zimmer. Das Gespräch zwischen meinem Oheim und der Frau von Paradisi hatte ihr Bild

tn meiner Seele vollendet. Die Ruhe auf dem

weißen Gesicht, auf welchem nur der Wie­ derschein einer glühenden Morgenröthe lag, schien mir jetzt der Glanz einer Heiligen.

Sie brachte ihrer Mutter ein Billet. „Willst Du es wohl für mich beantwor­

ten, Valeria? sagte diese: meine Antwort ist: Nein." Valeria las das Billet.

sie die großen schwarzen

Dann schlug Augen, die so

sanft waren, wie die schönsten blauen, un­ aussprechlich schön zu ihrer Mutter auf,

und

senkte zugleich den Kopf

bittend.

freundlich

„Ich kann nicht anders, Vale­

ria,"

ii3



ria," faqfe die Mutter.

— Valeria ging in

ein Cabinet. Ich konnte sie durch die GlaSthür sehen, wle sie sich setzte, wie sie

auf die sanften Worte sann, roown sie das Netn

wie

ihrer Murrer verhüuen konnte, sie

dann

mit

freundlichen

und

Blicken

schrieb, als sagte sie das, was sie schrei­ ben wollte.

Dann brachte sie der Mutter

das Billet.

„Ich meinte ein bestimm­

tes Nein, Valeria; und du läßt noch Hoff­

nungen.^ Die laßt ja das härteste Schicksal. —

Jetzt hörte

ich

ihre Stimme zum

ersten

Male, sanft und klingend. „Darum eben ist es hart," sagte die

Mutter. Aber meine Mutter ist das nicht.

O,

Mütterchen, was Ihnen jetzt sanft scheint,

kann Ihnen heute

Abend

hart scheinen.

Mir scheint es schon jetzt so. „So sage denn Ja!"

Hier beugte sich Valeria schnell auf die

Hand

der Mutter,

verklärt.

und

ihr Gesicht war

Sie schrieb mit einem wohlthurn-

den Lächeln, und wollte das Billet siegeln. Lafont. Emma. I.

8



n4



Dle Mutter verlangte es erst zu sehen. —

„Nun

gar

als

mehr

Za!"

sagte die

Mutter, die Tochter über die Wange strei­

chelnd. Ich schrieb mit Ihrem Herzen, antwor­

tete die Tochter,

und eilte mit dem Billet

hinaus.

Der Baron von Nordstein an Albert. **g. An

leichten

oder —

Faden

lenkt

daö

Geschick,

ist es nicht einmal das?

Doch

wie müssen einen Nahmen für die Folge der Begebenheiten haben, die wir nicht be­

greifen — An leichten Faden lenkt das Ge­ schick die Schicksale der Länder,

ter,

der Welten,

das

der Dot­

große Schauspiel,

auf dessen Entwickelung

eben

die un­

durchdringliche Nacht ruhet, wie auf dessen Anfänge.

Wir stehen und schauen, und

ächzen und jauchzen, je nachdem für unser

Herz aus dem rollenden Rade ein Schmer;

ii5

oder eine Freude hervorgeschleudert wird.

Unthätig stehen wir da, und bauen so äm-

sig an unserm kleinen Zwergenleben, das die daher schreitende Zeit, in der Gestalt

des Todes, zertritt, so wie wir es bauen. Ich weiß, mit dem Gefühl des Ent­ setzens, daß von uns Allen Keiner, auch ich nicht, etwas vollenden wird; denn ich kenne ja nicht einmal das Ziel, wohin das Leben

die Menschen treibt, ich weiß nicht, was wir sollen! O, ich beneide den Menschen

recht sehr, der vom Morgen bis an dett Abend lebt, als schlöffe dieser Augenblick die Ewigkeit in seine Gränzen, die einander berühren.

Ich verspotte den Prahler, der

die Augenblicke zwischen Wiege und Sarg daS Leben nennt, deren Gränzen eben so enge beisammen liegen.

Ich verspotte ihn,

und beneide ihn dennoch, Albert.

Wehe

mir, daß ich das Angstgeschrei des Todes, die einzige Stimme, die sich im Leben hö­ ren läßt, beständig hören muß!

Sieh doch

hin, Albert! Sieh hin, wie ein kalter Mor­

gen im Mai Millionen Leben vernichtet, der Winter die ganze lebende Welt der Ü2

— Insekten zerstört!



nG Denn,

allein die Lebenden?

wlr

find

Tas Leben

denn

ist

so

kurz! das sagen sie so gleichgültig, als wäre von nichts die Rede; und —

ser Seyn, dem wir so kalt theil sprechen!

was ist un­ das Todeöur-

Zertheile den Augenblick in

tausend Zahre, zerre das Leben aus einan­ der, wie der Hindu die Zahre seiner Got­ ter. ben

Was ist es denn mehr, als das.Le­ einer

Ephemere?

Ewigkeit, so geht es zu,

Zst

nicht

es

daß der Mensch

die

O, wie

ist es gar nichts.

das schwere

Augenlied nicht aufziehen kann,

um zu se
ich zittre vor einer näheren Verbindung mit Zhneu."Lesto besser,

wenn sie glücklich sind!

desto besser!" Sie sehen Gespenster, schöne Frau.

Zch lasse, seinem Herzen den ruhi­

gen Gang.

Ich rechnete nur auf die Na­

tur, nicht auf meine Kraft. 0, eS- weiß Niemand mehr, als ich, wie ohnmächtig ich

bin; wie alles, was ich erbaue, wieder in Staub zerfällt. Zch rechnete auf Valeriens Schönheit, auf ihren Reitz,

auf die reine

Unschuld ihrer einfachen Seele,

Mutter Werk ist. ders Zugend,

dle der

Zch rechnete auf Alexan­

auf die wahre Begeisterung

seines Herzens, das — glauben Sie mir!

— eben so ren>,

eben so einfach ist, wie

2.63 Valeriens Herz.

Sie dürfen einander nur

fe();n, um sich zu lieben;

das Herz müßte

Las Uebrige thun, oder der Zufall, der. im­ mer, mehr oder minder, mit.den Empfindun­ gen unsrer Seele zusammenhängt» Glau­

ben Sie mir, der Zufall könnte nicht zwei­ mal Andern so begegnen, als Valerien und

meinem Neffen. Darauf rechnete ich. Habe ich mich verrechnet?

Si-e nennen Aber­

witz, was nichts ist, als der einfache Gang

des Herzens und der Natur; bloß deshalb, weil ich voraus sage: so ist das Herz! so ist die Natur!

Daß

ich darauf meinen

Plan erbaue? o, wer thut das nicht! da­ mit ewig das Glück des Einzelnen bestehe,

wenn das Möglich ist.

O, liebe Freundin,

Sie wissen nicht, wie dieses Her; brennt, daß

■t— der einzelne Mensch, folglich auch ich! nicht glücklich seyn kann. — Hier verfin­

sterte sich sein Gesicht, und er ging stumm neben ihr her. Ich schwöre Ihnen, sagte er dann leise: bei dem besten Gefühle, dar Mir übrig geblieben ist von allem, dem Ge­ fühl meiner unbefleckten Ehre! mein Neffe weiß von meinem Plane nichts, gar nichts!



254



Die Frau von Paradisi wendete sich jetzt, mit Thränen in den Augen, zu ihm.

„O,

Nordstein! warum waren Sie nicht glück­ lich! warum nicht?"

Warum fallen von den Apfelbäumen

dort die tausend Blüthen,

die alle hätten

Früchte werden können?

Warum tödtet

eine kalte Mainacht

Millionen

lebender

Geschöpfe, die alle erst an der Schwelle des

Lebens stehen?

Warum stirbt die

Hälfte des Menschengeschlechts in den er­ sten drei Jahren ihres Lebens?

Warum?

und wieder warum?

„Aber, Nordstein, was ist denn Ihr

Unglück?" Mein Geheimniß!

antwortete er, mit

einer kalten Verbeugung.

Die Erscheinung. Der Baron hatte Recht.

Valeria

und

Alexander gingen den einfachen Gang der

Natur und des Herzens.

Er hatte wieder

— 255 — Recht, der alte Prophet, als er behauptete, daß das, was wir Zufall nennen, meistens mit den geheimen Empfindungen unsers Herzens zusammenhängt. Valeriens Mutter sah,

daß derselbe Zufall den beiden jungen Leu­ ten oft begegnete, daß sie einander irgend­

wo antrafen, im Wasserhauöchen, zum Bei­ spiel, wo sie ganz allein seyn konnten, weil nur die eine Gondel auf dem Teiche war, und das Wasserhäuschen mitten im Teiche

Nun wurde sogleich ein zweiter Na­

lag.

chen auf den Teich

gebracht, damit der

Neffe des Barons doch nicht gar zu sicher wäre.

Die Frau von Paradisi ließ sich immer freundlicher auf den Plan des Barons ein, den sie freilich nicht ganz kannte.

Sie gab

ihm jetzt die Nachricht, daß Valeria — ihre

kindliche Heiterkeit verloren hatte. sitzt jetzt in ihren Unterrichtsstunden,

„Sie

und

denkt wahrscheinlich an das Wasserhauöchen, anstatt an das,

was ihr Lehrer ihr sagt.

Das Auge hat den heitern Glanz des Bril­ lanten verloren. Eine dunkle Flamme aber schlägt, von Zelt zu Zeit, aus den Augen

2L6 hervor, unb ost bricht eine Thräne, ohne

Ursache, aus dem Auge. Zst das nicht LiebeNordstein? . . .

Ihr Busen hebt sich in

langsamen, sehnsüchtigen Wallen,

sie hott

Seufzer aus der innersten Brust:

ist das

nicht Liebe?"

Nordsiein

lächelte,

und

sagte ruhig:

könnte doch auch wohl keine seyn!

„Nicht? — Nicht? Nun denn, so hör ren Sie!

Sie nimmt ein Buch,

wirft eß wieder hin.

und

Ja demselbenAugen-

blicke springt sie auf, geht an daß Klavier, legt

beide Hände auf die Tasten, unb es kommt nichts hervor, als ein tiefer Seufzer.

Den

Kranz, den Ihr Neffe ihr bet der Wasser­

fahrt geflochten hat, den Kranz hat sie, ohne mein Wissen, heimlich in ihrem Sekretair. Wenn sie allein zu seyn glaubt,

zieht sie

ihn hervor, betrachtet ihn mit tiefen Seuf­ zern, und drückt ihn an ihre Lippen.

ist jeht eine Mystikerm: chen, daß sie liebt.

daß

sichere Zeki

Auch redet sie viel vom

Grabe, von der Unendlichkeit; das that sie sonst nicht.

Zch habe das me zugeben wol­ len ;



257

len; reB wird gar leicht ein eitler, nichtssa­

gender Prunk, der das Herz kalt laßt."

Wie die Blumen, womit man eineLek-

che schmückt.

Sie haben

wohl gethan.

Doch ist Begeisterung etwas Gutes! „Rur nicht die falsche.

Sie sehen alsd, WaS

daß Sie den Sieg gewonnen haben.

macht Ihr Neffe? Dasselbe nicht.

Zch denke dasselbe!" Aus Valeriens offnem

Herzen bricht die Liebe wie ein Lächeln her­ vor;

aus dem Herzen meines Neffen, wie

ein Orkan.

Er geht finster umher, grollt

Mit allen Menschen, mit sich am meisten, sieht auf Eine Stelle, mit verfinsterten An­ gen und krauser Stirn.

„Das wäre Liebe?" fragte die Frau von

Paradisi.

„Daß die glückliche Liebe Sehn­

sucht ist, daß sie seufzt,

weiß ich;

aber grollt, weiß ich nicht.

daß sie

Und eben da­

nach wollte ich Sie fragen; denn Ihr Neffe

grollt." Wissen Sie denn, was in seinem inner­

sten Herzen vorgeht?

Lassen

Sie

ihn!

Die Sonne wird den Nebel durchbrechen. Lafont. Emcka. I»

I?

258

„Welchen Nebel? Danach frage ich gerade, Nordstein! Wie heißt der Nebel?" Vielleicht eine ältere Neigung, die der Leidenschaft nur ungern weicht. „Sie werden räthselhaft. Eine ältere Neigung? Ich stehe Ihnen dafür, Ihr Neffe soll Valerien nicht eher wieder sehen, als bis ich weiß, wie ich mit ihm daran bin." Der Baron lächelte. Valeria und Alexan­ der lieben einander. Ist das richtig, so werden sie sich schon Raum zu machen wis­ sen, trotz der Mutter. Der Nebel, den die Sonne zu durchbrechen hat, kann tausend andre Nahmen tragen. Er liebt die Toch­ ter des Fürsten; und die erste Liebe fände die Geliebte gern in einer Schäfer­ hütte, um ihre eigne Natur ganz rein zu bewahren. „0, wäre es das!" rief sie freudig: „wäre es das! Gutes Glück, das gieb mir noch von deinen Gaben!" Wohl möglich auch etwas Anders, auch wohl gar nichts. Wer kennt die Meteoro­ logie des menschlichen Herzens?



zufrieden.

~

Paradisi hörte das

' Frau von

Sie glaubte,

2.59

was sie wünschte,

„Nun denn,"

kaum.

und war

sagte sie:

„ich

werde Ihrem Wunsche nicht entgegen ste­ hen; und ist eö das, was Ihr Neffe fürch­

tet, so kann er glücklich seyn:

denn Vale­

ria ist des Fürsten Tochter nicht." — Der Baron lächelte.

wußte er aus des

Das

Fürsten Munde besser.

Alexander liebte Valerien.

Wer hätte

diese himmlische Unschuld auch nicht lieben müssen! Aber, als er sich zum ersten Mate

daß sie sein Herz in Bewegung

gestand,

brächte, da trat Emma, die verlassene, treue, liebende Emma, in der rührendsten Gestalt

vor seine Seele: mit dem bleichen Gesichte,

der gebeugten, kummervollen Gestalt, wie er sie zum letzten Male in seinen Fieber^hantasieen gesehen hatte.

Sie warf ihm

seine Untreue vor; und er schwor ihrer Ge­ stalt aufs neue ewige, treue Liebe.

Er

konnte

zu sehen,

und

nicht

oft;

umhin,

Valerien

denn

der Fürst,

der von dem Baron gehört hatte, daß eine

Verbindung seiner Tochter mit Alexander i?a

26u wahrscheinlich wäre,

bat ihn selbst zu dm

Abendpartleen in dem Hause der Frau von Paradisi, die seine schönsten Stunden auömachten.

Ueberdieö lag

lhn der Oheim

an, den Umgang mit diesem Hause nicht zu vernachlässigen. Und was hatte ihm

Valeria

denn gethan?

womit hatte die

unschuldige Seele ihn beleidigt, daß er nicht mehr kommen wollte,

da sie ihm so offen

sagte, daß sie jetzt mit Freude an den Abend­

gesellschaften Theil nähme, bie sie sonst versäumt hätte! — Was hatte ihm dir Frau von Paradisi gethan, die er zu achten sich jetzt so gezwungen fühlte, da sie ihrer ungesetzmäßigen Lage eine Würde zu

geben verstand,

welche oft der Ehe fehlt,

und da sie Valeriens Mutter war!

Doch

er schlug sich an die Brust, ehe er den Wa­

gen vorfahren ließ.

Zch soll,

sagte er,

ohne Ohr, ohne Auge seyn! O, Emma, Emma! tritt mit Deiner rührenden Ge­

stalt vor meine Blicke, tritt an ihre Seite! und wenn sie lächelt mit diesem Zauberlä­

cheln, das alles um sie her mit Wonne er­ füllt, so zeige Du, Emma, mir Deme Thrä-

261

nen, Demen Gram um mich.

Wenn ich

ihre -harmonische Stimme höre, die wie ein

Hauch des Lebens durch meine Seele dringt: dann sey mein Ohr nicht taub gegen Deine

einsamen Seufzer,

meine Einmal

Nein»

eine ungerechte Leidenschaft soll Mlch nicht, wie ein Opferthier, hinreißen. Fürchte nichts,

Emura, zittre nicht!

Ruhig soll- diese-

Herz wieder schlagen; Dein Bild soll wie­ der diese stille Brust erfüllen. —

Mit solchem Vorsätzen, verließ er. da-

und wenn er sie auf dem Balkon

Haus;

stehen sah — da stand sie, bis er kam —: ach, so tobte sein Herz, so drückte ihr Bild sich in seine Seele.

Flammen zuckten durch

sein Wesem Er vergaß Emma, er vergaß ihre Thränen, ihre Seufzer. Die Liebe führte ihn, wie ein Opferthier, zu Valeriens

Nicht, als ob es ihm an Stärke

Füßen.

gefehlt hatte, nein,

Valerien kalt zu behandeln;

er betrug sich recht feindlich kalt gex

gen sie.

Und wurde Valeria nun traurig,

so stieg er die gewöhnliche Leiter der poe­

tischen Figuren hinauf, von dem Triumph über seinen Sieg zum Mitleid, zur Reue,

262 zür Betrübniß, zur Verzweiflung; tmh hotte

d,Daschin ich," rief die Fraa von Para;

W: „das fühle ich an dieser Unentschlossen­ heit, womit ich eine Ungerechtigkeit begehen sehe.

-O, dieser Augenblick, der schreckliche

Augenblick, wird — wird — O, Nordstetn, ich sage mich los von aller Schuld.

denken Sie, Sie verdammen ein Herz hoffnungsloser Liebe!

Be­

zu

O, hast du denn nie

geliebt, Mensch mit dem Marmorherzen?" Hier legte er die Hand an die Stirn.

Zch liebte! rief er bitter; und wu-rde betro­ gen.

Er stürzte aus

Leben Sie wohl!

dem Zimmer, aus dem Hause; langsam, die Hände auf den Nucken gelegt, ging er das

Dorf

hinab,

um

abzukühlen.

sich

Er

ließ sich das Haus zeigen, wo Ludwig und Emma wohnten.

Es

ist

eln Herz, das

rief eine innere Stimme. Liebe?

ich verdamme!

Was

ist denn

sagte er mit einem bittern Lächeln»

Der bunte Traum eines Augenblicks, das

schale Mührchen von gestern.

Er ging ra­

scher und kälter,und er trat zu Ludwig ins

Zimmer, der erblaßte,

-als er den

ron erblickte. ftifont. Emma. I.

IL

Ba­



274



„Wo ist Emma ?" fragte der Baron kalt, mit einem stolzen Gesicht, in einer könig­ lichen Stellung. Ludwig bebte bei dem Anblicke des furchtbaren Mannes» Sie ist oben! sagte er furchtsam. „Hat sie meinen Neffen gesprochen?" fragte er weiter- mit einem drohenden Blicke. Za; aber sie kam fast zu Tode er­ schreckt, nach Hause» „Riegle die Thüre ab. Zch habe Dir etwas zu sagen." Ludwig verschloß die Thür, und stand nun zitternd da. „Sobald," hob der Baron leise, aber In einem schneidenden Tone, an — „du, alter Kuppler, Dich wieder in der Nahe meines Liessen mit dem Mädchen befindest, so ist es um dich geschehen. Zch denke, Du kennst mich. Das Mädchen liebe ich. Es sollte mir nahe gehen, du alter Thor, der Du eine Verbindung unterstützest, die unmög­ lich ist — es sollte mir nahe gehen, wenn ich, um meines Neffen Glück zu sichern,

— s;5



das Mädchen einsperren müßte.

Aber ich

muß, sobald Ihr noch einmal sichtbar werdet." Eü ist ein unglücklicher Zufall, Ihr Gnaden, sagte Ludwig, und hob die Hand auf, zum Schwur.

„Das gilt mir gleich. Ludwig, ich sage

Dir, ich werde Tuch beide verderben, wenn noch einmal

ihr

in meinen Weg tretet.

Noth sollt ihr nicht leiden. Hier! (Der Da-

ron schrieb dem Alten eine Addreffe auf.) ziehen; dorthin!

Dorthin sollt ihr

hast Du Geld zur Reise. wird Euch aufnehmen. Uv des Mädchens;

wig !

Hier

Mein Bruder

Du heißt der Var

merke Dir das Lud­

Fehlst Du, so bist Du und sie ver­

loren.

Jetzt gleich sollt Ihr gehen!

Jetzt

gleich!"

Ludwig nahm die Adresse, das Geld, und versprach, sogleich zu gehen. --Ich schicke Euch in fünf Minuten einen Wagen. At­ ter Ludwige es würde mir nahe gehen, wenn

dein greises Haar nicht mit Ehren in das Grab käme, meines Bruders treuer Freund. Willst du feinen Sohn unglücklich machen?” Da

rollten

Thränen

über

i8a

Ludwigs

— Wangen. horchen.

276



Ach, Zhr Gnaden, Ich will ge­ Aber wenn Sie Emma kennten!

O, warum muß denn das frömmste Ge­ schöpf untergehen! Aber ich will gehörchen.

Arme Emma!

Ach, Ihr Gnaden,

sie ist ein Engel!

Der Baron nickte. ,-Es ist nicht anders," sagte er kalt,

und ging.

Ludwig ging zu Emma. Sie wußte es schon; denn sie hatte den Baron kommen

sehen. Der Alte erzählte ihr. sagte Emma;

Ich will gehen,

aber, bei Gott! in der Ge­

walt dieses Menschen will ich nicht bleiben. Za!

rief Ludwig: ja, Emma!

Du sollst nicht.

Nein,

Wohin fliehen wir?

Am liebsten in die Schweiz;

da giebt

es solche Thaler, wie unsers, ach! unsers,

wo ich ihn noch lieben durfte. Zeige mir den Weg, die

Landkarte.

Emma;

hier ist

Er holte eine zerrissene

Karte von Deutschland herbei. Emma suchte ihr glückticheö Eden. Sie fand es,

sie legte den Finger b rauf,

und Thränen

drangen aus ihren Augen. Hier! sagte sie

277 leise. Ludwig verstand sie nicht. Er um­ armte sie, unfr rief mit Leidenschaft: dahin

laß uns fliehen,

Emma!

Ich folge Dir

bis ins Grab, mein Kind-.

Er ergriff wü­

seinen Hut. Aber in eben diesem Augenblicke hielt der. Wagen vor der Thür. Einer von den Bedienten des thig seinen Stock,

Barons, sein Vertrauter, den er zu Pferde

mit Im Dorfe hatte, begleitete den Wagen.

Ich habe von dem Baron von Nord­

stein Ordre, Sie Beide an den Ort Ihrer Bestimmung zu bringen. — Zn zehn Minu­ ten war eingepackt.

sich zu widersetzen;

Ludwig wagte e» nicht,

denn

der Bediente

hatte ein eben so steinernes Gesicht, wie sein

Herr. Sie setzten sich . ein.

Der Bediente ritt

neben dem Wagen her.

Zm nächsten Dor­

fe fanden sie des Barons Wagen. Die Pferde wurden vorgehängt; und nun ging

es in einem scharfen Trotte immer, weiter über Berg und Thal.

ÄJer Baron saß bei der Frau von Parae disi, und setzte- ihr auseinander, wie doch alles so lercht müßte, wenn es nur verständig angegriffen würde. Sieborte ihn dieses Mal geduldig an; denn sie dachte nur an Valerien. Sie gab ihren Wagen her, zum Wegbringen des Mädchens. Aber, sagte sie doch einmal, wenn nun Valeria Ih­ ren Planen im Wege stände? Sehen Sie, 3)ordstein, Ihr System ist ein Irrthum, aus dem simpeln. Grunde, weil es alles Vertrauen rödtet,. weil Zeder vor Ihnen zittert. Warum zittern Sie denn nicht vor der Vorsehung? Weil die Vorsehung allmächtig ist und ohne Leidenschaft; und Sie? — sind Staub, und Haffen und. lieben so gut wie ich. — Er lächelte. Mich dünkt,, sagte sie mit­ leidig; Sie sind auf dem Wege zur Ver­ zweiflung. Sie sollten zittern z denn Sie sind unter der Hand Gottes herausgetre-

— 279



ten. Sie stehen, wie Faust, mit dem bö­ sen Wesen im Bunde. Sie wollen mehr seyn, als ein Mensch. Sie ging zu Valerien, und fand sie in Thränen-; denn Alexander war bei ihr ge­ wesen: er hatte vor ihr geknleet, er hatte ihre Hande mit wilder Wuth gedrückt, wie ein Rasenher, und dann war er aufge­ sprungen, und, wie wahnsinnig, davon gestürzt.. Habe nur Geduld, Valeria! sagte die Mutter. Dieses rohe Geschlecht der Män­ ner, glaube mir, fodert mehr Geduld von uns, als Liebe; wir geben ihnen beides, und sie achten beides nicht. Gewöhne Dich früh, wie ein Seemann, an den wilden Orkan, dieses ungebändigten Geschlechtes. Dafür gab uns der Himmel Thränen, die sie der harten Brust des Mannes ver­ sagte. „Aber was mag ihm fehlen, liebste Mutter?" Dein Friede, Valeria, Deine Ruhe, deine sanfte Seele, Dein reines Herz. Wir Weiber und Mädchen leben in stillen Tem-

280

peln, unter JHtaren,

in den Wohnungen

des Friedens, der Tugend;

denn das sind

Der Mann ist- draußen im

unsre Hauser.

wilden Sturm der Leidenschaft,

des Ehr-

geitzes, des Ruhms, der Versuchungen, der

Wie ftll er sein Herz rein bu

Verbrechen.

wahren, gleich, der Vestalin, welche nie die Schwelle

des Tempels ihrer reinen

Lin überschreitet?

Laß das!

Du hast ja

süßen,

tröstenden Thränen^

der Mann nur die

wilde Verzweiflung,

Thränen,

die

wenn er trauert. Ach, so hatte Valeria den Manu noch

nicht gekannt! ach, so am wenigsten, glaub­ te sie,

sollte sie

den

sanften,

gütigen,

menschlichen Alexander kennen lernen. Und doch vergab sie ihm jeht schon alles, alles; und liebte ihn desto inniger, desto wärmer.

Sie war desto mehr sein, je mehr er sich

von ihr loöriß. S, du

armeö Geschlecht, wer war so

listig, dich überreden zu können, daß Eitel­ keit ein größerer Triumph sey, Du

giebst

deine Allmacht

Schmeichelei-,

als Liebe.

hin für eine

das Glück, Deines ganzen



28 l



Lebens für einen Moment, der dich mit einer falschen Huldigung bekriegt! Siebe ist Eure Wehr; der Amor, der einen Lö­ wen zähmt. Euer Wahrzeichen. Ihr soll­ tet die wilde Leidenschaft des Mannes mit Liebe zahmen. O, du edle Valeria! Alexander schweifte in der Gegend um­ her. Er hatte auf ewig von Valerien und von seinem Glücke Abschied genommen; Nun wollte er sich die Ruhe erzwingen, Emma zu sprechen, ihr anzukündigen, daß er ihr seine Hand geben werde. Ach! so nahe bei Valerien war es ein großes Op­ fer, das er zu bringen hatte. Aber er war entschlossen, eß mit Muth zu bringen. Emma sollte das Opfer nicht kennen; sie sollte, glauben, er liebe sie noch. Der Abend kam. Alexander schlich sich in das Gebüsch, und beobachtete den einigen Gang, der von hinten hinein führte. Emma kam nicht. Es wurde finster, still; Emma kam nicht. Er horchte mit angehaltenem Athem, er. hörte den leisesten Luftfloß in den Blattern; aber EmWao. Fußtritt horte

2Q2

or einem hülflosen Kinde, das mit Lächeln rnd stummen Flehen seine Hülfe fodert. Der Ton ihrer Stimme, die einfachen. Worte drangen bis in die verschlossensten hegenden seiner Seele, und brachten Saien in Bewegung, die seit Zähren kein Mensch berührt hatte. Er war hart hier-

3i5 her gekommen; ihr Anblick hatte ihn ge­ rührt. Ihre Paar Worte: ich bin nicht unglücklich!

welche

die blaßen Lippen so

matt aussprachen, hatten seine ganze Ju­ gend lebendig gemacht, unb 'er redete nun mit ihr in seinem gütigsten Tone. Sie schwieg, als er ihr sagte, daß er seines Neffen Liebe kennte; nur eine Thrä­

ne stahl sich aus dem betrübten Auge, und rollte sanft die Wange hinunter.

„In der That, ich nehme Theil an Ih­ rem Glücke; glauben Sie mir, einen größern Antheil, als ich selbst je dachte."

Er

wartete auf Antwort; doch sie schwieg. „Liede Emma, was soll ich glauben?

Sie schweigen? doch hier gut?

Man

begegnet

Ihnen

Glauben Sie mir, Sie

haben an allen Orten zu befehlen, wo mein Nahme das geringste gilt.

Hier sind Sie

Königin; denn hier bin ich Herr.

Lassen Sie uns vertraulich Herz gegen Herz öff­

nen, Emma.

Es ist ein Unglück, daß Sie

meinen Neffen lieben. Aber, glauben Sie mir, es ist keine Liebe unüberwindlich. Sie

werden ihn vergessen."



316

--

Was hätte ich dann

noch,

wenn ich

ihn nicht mehr liebte! sagte sie leise,

Blume langsam zerpflückend.

eine

Aber ich ha-

be ihn ja aufgegeben, gnädiger Herr.

Er­

lauben Sie mir nur, daß ich an ihn den­

Das muß ich, scheint es mir, so

ken darf.

gut, als ich sehe, wenn ich die Augen auf­ schlage.

Ach, gnädiger Herr, Sie und Alle

haben vieles Andre.

Ich habe ja nur die

Einsamkeit, meinen Schmerz und den Ge­

danken an Ihn.

O, darf ich

denn das

nicht?

„Das

eben, liebe Emma, das

eben!

Sie sollen auch vieles Andre haben, was Sie glücklich macht, wenn Sie mir fol­ gen wollen.

Sie werden ihn vergessen."

Sie schüttelte schweigend den Kopf.

„So eben sagten Sie mir, Sie waren

nicht unglücklich.

Glauben Sie mir: der

Mensch, der das sagen kann,

ist glücklich.

Wie meinten Sie das?" Ich habe hier die stille, menschenleere

Einsamkeit,

Felsen

wie

und — meinen Schmerz.

in

Waldweiler,

Sie lächeln?

-

3i?

-

Ach, gnädiger Herr, ich würde nicht glück­ lich seyn, wenn ich den mcht hätte.

„Sie schwärmen, gute Emma.

Der

Mensch muß aber mehr als schwärmen, mein Kind, und schwärmte er auch noch so fromm.

Sie — Sie könnten viel!"

Ich? sagte sie eifrig. Ach, was könnte

ich, als leben und — und ♦ . .

Ihn lieben?

Sie könnten mehr! Sie

könnten einer Familie Frieden und Einig­ keit geben, einen edlen Jüngling auf die Bahn der Ehre und des Ruhmes führen,

vor der er jetzt thatenlos, im Gefühl eines vergeblichen Kämpfens gegen eine unglück­ liche Leidenschaft, finster und kummervoll dasteht. Das wäre etwas Besseres, als ein

unfruchtbarer Schmerz, der

Sie hier le­

bendig in die Einsamkeit vergräbt. Wozu nützt dieser Rosenstrauch, hier in der Wild-

niß, wenn er Ihnen nicht seine Blüthen giebt, den Insekten Schutz, dem Boden sogar mit den fallenden Blättern neue

Nahrung?

Emma, sein

Tod

in jedem

Herbst ist etwas Edleres, als Ihr Schmerz,

3i8 ter nur alle Menschen betrübt.

Sle konn­

ten etwas Edleres thun, als trauern." Zch habe thn ja aufgegeben, gnädiger Herr.

O,

gewiß,

ich habe ihn aufgege­

ben., Zch glaube sogar, daß ich mich freuen würde, wenn ich hörte, er wäre — glück­

lich ohne mich, mit einer Andern glücklich, „Aber, liebe

Emma,

Er darf Sie

nicht aufgeben, wenn Sie auch ihn. Auch wenn er eine Andre liebte, so dürfte er Sie nicht aufgeben." Sie schüttelte den Kopf,

und sagte

leise und zögernd: er wird, glaube ich, nie eine Andre lieben.

Diese einfache Antwort, die aus dem tiefen Grunde einer schönen, reinen Seele kam, erschütterte das Herz des Barons.

Er faßte Emma'ö Hand, und drückte sie. „Das sagen wir wohl, Emma!" rief er fin­

ster, weil er an Lidi dachte. Dann setzte er ruhig hinzu:-„Wenn Sie ihn aufgeben, so ist das Großmuth; wenn Er Sie aufgiebt,

so begeht er ein Verbrechen."

Ach! rief sie aufspringend und die Han­

de zusammen schlagend; ach! ich weiß, daß

319 auch ich eins beginge, wenn ich aufhörte ihn zu lieben. O, der Himmel, Gott wür­ de so sagen, und ich -- würde so sagen! „Ich glaube nicht, Emma. Wenn Sie ihn glücklich machten, das wollten Sie ein Verbrechen nennen?" Glücklich? ihn? Was soll ich denn thun? „Er darf Sie nicht eher aufgeben, Emma, als bis Sie — eines andern Mannes Gattin sind." Hier erblaßte sie, schauderte zusammen, und schlug die Hande vor das Gesicht. Nein, sagte sie lebhaft: das kann ich nicht! Zch will ihn aufgeben, will ihn nicht wie­ der sehen: das schwöre ich Ihnen; ja, ich will, wenn es möglich ist, nicht mehr an ihn denken: aber das kann ich nicht. Der Baron gab sich alle mögliche Mü­ he, sie zü überzeugen, zu überreden und endlich sie zu schrecken; doch hier scheiterte seine Deredtsamkeit. Ihr Herz war eben so fest, wie sein Plan. Sie blieb dabei, daß sie alles thun wolle, nur nicht einem andern Manne ihre Hand geben.

320

Der Baron blieb noch einige Tage, und

machte neue Versuche; aber die furchtsame Emma wurde zu einer Heldin, sobald er diesen Punkt berührte, den er auch sogleich aufgeben mußte,

wenn

er ihr Vertrauen

nicht gänzlich verlieren wollte.

endlich

wieder zu

Er kehrte

seinem Bruder zurück,

finster darüber, daß nichts, gar nichts, diese

kindische Liebe zerstören konnte, feste Treue

er in

um deren

mancher Stunde seinen

Neffen freilich beneidete.

Der

Oberkammerherr

verlangte

und der Baron sagte,

Auskunft,

jetzt

daß es

nun gar nichts weiter wäre. Zener lächelte, und sagte mit einer Verbeugung:

Mein

liebster Bruder,

mich dünkt, Du verstehst

Dich vortrefflich

so

im

Großen

auf den

Menschen, so — wie soll ich sagen? — so

auf die Cäsarrr,

auf die Alexander, wenn

sie auf Thronen sitzen

oder Welten ver­

wüsten.

Aber —

übel! —

auf die Menschen so in Küche

und Keller,

nimm

es

mir

nicht

in der Anziehestube etc. ver­

stehst Du Dich nicht.

Mit Buchstaben,

Bruder, konntest Du in der Jugend rech­

nen,

321

nen, und mit Zahlen, woran Thaler oder Pfunde hingen, nicht.

Sieh, Bruder, Du

kannst am Hellen lichten Tage angreifen,

Auge

gegen Auge.

Aber glückt das? frage ich.

So ein Ue-

Stirn gegen

Stirn,

verfall, ehe sich's der Felnd versieht, ehe er den Degen bet der Hand hat — das führt

bester zum Zweck. heit,

Doch dazu gehört Fein­

das will mit spitzen Fingern ange­

griffen seyn.

Ueberlaß Du mir einmal die

Sache; ich komme damit zurecht.

Der Baron überlegte,

und — sagt-

Za; nur mit der Bedingung, daß Emma dabei durchaus nichts, gar nichts, zu leiden

haben sollte.

Das versprach der Kammer­

herr mit dem feierlichsten Versprechen, und

zugleich auch, daß er dem

Baron

Plan vorher mitthellen wollte.

seinen

So reiste

der Baron ab, und ließ setnen Bruder das Steuer auf dieser schwierigen Fahrt.

Der Kammerherr sagte,

als er in sei­

nem Zimmer allein war: Was helfen Wor­ te,

Vorstellungen,

braucht!

die

mein Bruder ge­

Die Liebe ist eine Leidenschaft,

Lafvyt. Emma. I.

21

3^ und, uni sie aus^utreiben, bedarf es Hand­ lungen.

EtN Keil treibt den andern, einen

Teufel bannt man mit dem andern.

Ich

muß doch meinem Neffen ein wenig auf den Zahn fühlen.

Der Kammerherr

fangt

eS listig ge­

nug an. Nachdem er den Neffen auf den Zahn

gefühlt hatte, fand er mit hoher Selbstge­ fälligkeit, daß nichts leichter wäre, als sei­

nen Neffen von dem Mädchen los zu rei­ ßen.

Der junge Mensch hat Ehrgeltz, wie

jeder andre.

Man darf nur die

Geliebte

in seinen Augen verächtlich machen,

die Sache geschehen. Teufel,

so ist

Sein Ehrgeitz ist der

den ich auf den Teufel der Liebe

Hetzen werde; und es müßte seltsam Zuge-

hen — Alle Teufel! ich wollte mein Bru­

der oder sonst Jemand hörte mich -hier re­ den, wie hier Ein Teufel über dm andern

323

herfährt — es müßte seltsam zugehen, wenn eS nicht glücken sollte. Der Kammerherr war gar nicht Erfin­ der seines Plans, wie er sich hier selbst be­ log; sondern in seiner Jugend hatte er ein­ mal — der Himmel mag wissen, in wel­ cher schönen Stunde z denn nie war eine solche Stunde wieder gekommen — in sei­ ner Jugend hatte er ein Mädchen geliebt, von dem man ihn auf die Weise trennte, daß man es dem öffentlichen Spotte aus­ setzte. Er verließ sie; und, um sich ein größeres Ansehen zu geben, belohnte er des Mädchens Zärtlichkeit mit dem bittersten Spotte. Lächelnd ging er nun umher, und über­ sann seinen Plan, doch ohne etwas herauzu sinnen; denn, so wie die Sache in sei­ ner Jugend gegangen war, ließ sich die ge­ genwärtige nicht betreiben. Er hatte für einen Fall dieser Art eine Freundin, die Frau von Wendel, eine Frau von lebhaf­ tem Geiste, aber ohne Verstand, die bestän­ dig von einer Intrigue in die andre fiel. Ihr Haus \w der Sammelplatz aller Dersi-

3'24





lärrmdungen, aller Handel, aller

Gerichte.

Und doch hatte sie imAeußern eine Würde, ein so sanftes, angenehmes, Wesen, daß mau

sie recht genau kennen mußte,

um

sie zu

scheuen.

Dieser Fran von Wendel entdeckte sich

unser Baron er wünschte,

Kaum wußte sie, was so funkelten ihre Augen vor

Freude; denn eine so planmäßige, wirksame

Intrigue hatte sie lange nicht gehabt,

und

eine so unschuldige dazu, durch die ein jun­

ger Cavalier, die Hoffnung, der- Stolz und der Erbe seiner großen und reichen Fami­ lie, von einer ihn entehrenden Liebe losgerissen werden sollte.

Das

erklärte der Baron,

Mädchen,

wäre in seiner Gewalt;

und so wurde be­

schlossen, Emma nach dem Hause der Frau -von Wendel zu bringen.

Kann

sie

als

meine Jungfer hier seyn? fragte die Dame.

Recht gut! £>, vortrefflich, vortrefflich! Ihre Jungfer, gnädige Frau! — Nun be­ schloß man weiter,

schaft,

die aus

eine glänzende Gesell­

dem

ganzen umliegenden

Adel bestehen sollte, zu veranstalten rind^tn



32j



Gegenwart des jrmgen Barons von Nord-

sieln

das Mädchen in den Saal kommen

zu lassen.

„Was dann welker? was welker, meine

Gnädige?

Sie müssen wissen, meln Neffe

ist unter den Handen meines Bruders so

ein soi-dlsant philosophe geworden, dec eine Jungfer gerade so

wie die

ansieht,

Frau vom Hause."

Das thut Ihr Herren alle!

sagte die

Frau von Wendel, laut lachend.

Aber des-

halb wird er keine Jungfer heirathen! — Ich stelle die Sache so an, daß das Mäd­

chen — Hat sie Geist? ist sie rasch, stolz?

Dann haben wir gewonnen!



(Das

wußte der Oberkammerherr nicht).— Dem

sey, wie ihm wolle!

Ich breche die Gele­

genheit vom Zaune, und beschäme sie An­

gesichts der ganzen Gesellschaft.

Wrr be­

stellen einige Herren, die das Mädchen mit

schallendem Gelächter wieder aus dem Saale

treiben.

Glauben Sie, daß seine Liebe da­

gegen aushält?

„Herr Bruder!

Herr Brüher!"

rief

der Kammerherr, sich aufblähend, und stolz

326 (n dem Zimmer umherschreitend. ,,Man sollte den Hof hieher schicken, meine Gnädige.

Das ist vortrefflich ersonnen, und ich

liebe solche Plane, wie diesen, wo ich schon

so lange voraus lachen kann, als ich will, weil die Sache unfehlbar ist.

Mein Bru­

der zielt, zielt, und fehlt unter drei Ma­ len wenigstens zwei. — Ich schicke Ihnen

das Mädchen." Der Oberkammerhcrr fuhr ''nach dem Gütchen, und ließ Emma auf fein Zimmer

rufen. Er redete freundlich mit ihr, und sagte ihr endlich, daß er eine Stelle für sie gefunden hätte, worin sie glücklich seyn würde: bet der Frau von Wendel.

Emma erblaßte.

Sie sagte furchtsam

bittend —doch dieses bittende Gesicht mach-

te ihn dreister und harter —:

der Herr

Baron hatte ihr erlaubt, hier ungestört zu

leben. Ja, so lange es ging!

Antwort.

war seine kalte

Jetzt geht es nicht mehr; und

so, mein Kind,

muß Sie als Jungfer zu

der Frau von Wendet. treffliche Dame.

Es ist eine vor­

Hier empörte sich Emma'S Seele; Theils über das: „muß Sie?" — so hatte sie

noch Niemand genannt;

der Vgron, die­

ser stolze Ata-nn, hatte sie immer wie ein

Frauenzimmer, von guter Erziehung behan­ delt — Theils über den Gedanken: Zungfer bei der Frau von Wendel!

Sie fühlte,

daß ihre Seele sich schnell erhob, folgte ih­ rer Empfindlichkeit, und sagte:

Der Herr

Baron von Nordstein äußerte, als er mich besuchte, ich wäre überall Königin, wo Er

zu befehlen hätte; und hier war das ja der Fall. Bei der Blödigkeit des Mädchens, war

dem Baron diese stolze Antwort ganz un­ erwartet

Zhm fielen die Fragen der Frau

von Wendel wieder ein:

ist sie rasch? ist

sie stolz? Mit einem zweideutigen, boshaf­ ten Lächeln sagte er: es freuet mich, mein Kind, daß Sie Werth auf sich legen; und wer würde einen; hübschen -Mädchen den

Titel einer Königin streitig machen!

Aber,

mein Kind, ein Arrangement mit Meinem Bruder hat.diese Veränderung eben nöthig

gemacht.

Jetzt befehle ich hier.



Er

323



warf hochmüthig den Kopf auf. verlor fast den Muth,

da

Emma

ihr der Baron

noch einmal bestimmt ankündigte,

daß sie

sogleich mit ihm zu der Frau von Wendel

abreisen müßte.

Er schte hinzu: wenn es

ihr dort in dem Hause nicht gefiele, so hätte er den Auftrag, von seinem Bruder sowohl, als von seinem Neffen, für sie zu besorgen.

einen andern Ort

Von Ihrem Neffen? fragte sie erblas­ send.

Don meinem Neffen, antwortete er ru­ hig, und, wie es schien, aufrichtig. Und Ihr Neffe heißt Alexander von

Nordstein? fragte sie mit bebender Stimme. Herr Baron Alexander von Nordstein.— Er lächelte,

als er das Mädchen immer

mehr erblassen sah. Nein, nein! rief sie auf einmal wieder:

es ist nicht! unmöglich! So, so — Das konnte er nicht!

Warum

nicht,

liebes

Kind?

Das

menschliche Leben ist voller Veränderungen, bald traurig, bald fröhlich. — Er näherte sich ihr zutraulich.

Haben Sie je von der

*-

32g



Familie Frangipani gehört? (Emma sah ihn mit großen Augen an.) Nun, mein Neffe ist mit einem Fräulein aus diesem Hause versprochen. Frangipani Paradisi. Hier taumelte' das arme Mädchen zu­ rück; Venn bei dem Worte Paradisi um­ leuchtete sie auf einmal ein schreckliches Licht. Daleria hatte ihr gesagt, daß ihre Mutter eigentlich Paradisi heiße. Jetzt stand auf einmal das idealisch schöne Mädchen, Daleria, vor ihr, die ihr selbst ein Engel ge­ schienen hatte. Sie sah nun auf einmal, wie Alexander mit seinem Oheim zu der Frau von Paradisi gekommen war. Fräu­ lein Valeria von Frangipani heißt seine Braut, sagte er. Sie hielt sich an einem Stuhle; dann sagte sie langsam, demüthig, mit der Stimme eines gebrochenen Her­ zens: Bringen Sie mich, wohin er und Sie wollen. Und hieher, mein gutes Kind, werden -te jungen Leute. ♦. Kommen? hieher? Q, ich beschwöre Sie, bringen Sie mich fort! von hier fort! . Ludwig packte Emma's Sachen, und

330 nach zehn Minuten saß sie mit dem Oheim im Wagen, mit dem Unmenschen, der ihr, ohne Mitleiden mit dem Herzen, aus dem

ein hartes Berhangniß jetzt das Bild des

Geliebten mit tausend Wunden herausriß, eine Stammtafel der Nordsteine

mahlte,

und es bedauerte, daß sie seines Ahnherrn

Rodogars Bild nicht gesehen hätte, als sie

bei ihm gewesen wäre. Sie kamen gegen Abend bei der Frau

von Wendel an.

Emma mußte im Bor­

zimmer stehen bleiben; der Baron ging in

das Zimmer der

gnädigen Frau.

Hier

drängte sich auf die bleichen Wangen der

Verlassenen — ach, verlassen ist, wer im Vorzimmer stehen muß! und wie verlassen

war sie jetzt, die immer, wo sie auch ge­

wesen war, ein Strom reicher Liebe em­ pfangen hatte! — der letzte harte Schmerz stieg, in die dunkle Farbe des Zorns geklei­ det, auf ihre blasse Wange: nicht darüber,

daß Alexander Valeriens Bräutigam wär,

sondern, daß siä mit seiner Bewilligung hier stehen mußte. Die Thür ging auf.

Die Frau, von

331 in das Vorzimmer, wendete

Wendel trat

Smma’n nur Eine Schulter zu, betrachtete sie, über diese Schulter hin, verachtend,

mit hartem, herrischem Blick, und sagte:

das ist Sie?

Emma, heißt Sie?— Die«

fer stolze Ton brach Emma's Stotz.

Sie

verbeugte sich, und die Angst warf sie auf die Kniee.

Stehe Sie auf! sagte Frau von Wendel gebietend.

Ich nehme Sie auf des

Barons Empfehlung.

Sey Sie treu und

fleißig! Sie klingelte, und es kam ein Bedien;

ter.

Das ist die neue Jungfer;

mit euch essen.

sie kann

Emma schwankte mit dem

Bedienten hinaus.

Es war jetzt nicht mehr

das Herz, was sie schmerzte, sondern der Kopf, den diese Behandlung so verwirrte,

daß sie sich

an dem Arm des Bedienten

halten mußte. Baron, sagte die Frau von Wendel; ehe sie ihn nur einmal sieht, soll sie schon

alle Hoffnung aufgeben.

Meine DomestK

ken werden sie wohl ziehen!

332

Emma. Emma aß nicht, und redete nicht.

Als

sie am späten Abend auf ihr Ztmmerchen ging, empfand sie auf einmal das trostlose Gefühl, keinen Menschen mehr anzugehoren, und das noch trostlosere, Den, welchem sie angehörte, verloren zu haben. Zhr Herz bewegte sich so wehmüthig in der wunden Brust, als wollte es eben still stehen. Sie fühlte das, und so — «ahm sie die Feder, die sie fand, ihm ewig Lebewohl zu sagen. Sie schrieb: „0, Alexander, wenn Du mich hier sä­ hest, in dieser Minute, wo der Schmerz mir das Leben abringt: so würde Deine alte Liebe sich zwischen mich und den Schmerz stellen. Gewiß, gewiß! Alexan­ der, frage mich nicht: welch ein Schmerz? Denn ich müßte antworten: Du, Alexan­ der! Du! O, war oe denn nicht genug, Alexander, daß Du ... Mußtest Du denn zu dem Schmerze der ewigen Treue noch Verachtung hinzu fügen? Alexander, ich

333 fsctnb mit brennenden Sohlen vor meiner

Herrschaft! Gott, mußte ich je das Wort nennen? Ich sank ihr zu Füßen, und sie — o, sie sah mich nicht einmal an! Doch

ich will nicht über sie klagen; denn sie lieb-

te mich ja nicht!" „Nein, auch über Dich will ich nicht klagen, obgleich ein dunkles, leeres Leben

vor mir liegt, worin Du nicht bist, mein Alexander. Umsonst trennten uns Felsen und Wälder von der Welt. £>, könnte ich

noch einmal mit Dir an das Grab unse­ rer Mutter zurückkehren! Noch einmal wollt ich Dich anschauen mit treuen Am

gen, dann das Haupt beugen auf das Grab, um

zu

träumen,

die Freude, nicht der

Schmerz, habe mich getödtet."

„Dienstbarkeit! welch ein hartes Wort!

Welch ein drohender,

O, mußte ich, die Du liebtest,

Nahme!

mußte

Zittern erregender

ich

dieses

harte

Wort

kennen

lernen!" „So gehe denn, Alexander! Die Freu-

den, die ein Engel mir bestimmte, als er

mich den Handerr dtr Liebe -ab, die Freu-



334

den mögen Dein seyn!



Und Du — höre

nie wieder den Nahmen Deiner betrübten Emma nennen; keine meiner Thränen falle je auf Dein Herz, nicht einmal in Deine Träume, und vergiß mich ganz» Alexan­ der!

Vergiß alles, den Adler, der wieder

hrimkrhrte! alles, alles!"

Die Kammerjungfer. Die Frau von Wendel hatte sich ein Paar

Tage auegebeten,

ihre neue Jungfer ein

wenig kennen zu lernen, um beurtheilen zu können, wie sie für den Theater-Coup zu be­

handeln wäre.

Endlich kam der große Tag

des Schauspiels.. „Mein lieber Neffe Ale­ xander," sagte der Oberkammerherr; „Du wirst dort bei der Frau von Wendel die Klume des Deutschen Adels antreffen. Zch

bitte Dich, nion neveu, nimm Dich zu­ sammen; man merkt auf Dich." Alexan­ der lächelte; er war schon einige Mal bet der Frau von Wendel gewesen, und die

335 grau hatte ihm mit ihrem lebendigen We­

sen gefallen, so daß er gern mit seinem Oheim dorthin fuhr. Um den Contrast zu verstärken, ließ der Oheim

fernen

Neffen

im Staatswagen

fahren, mit zwei Bedienten in der Staatü-

livrei, mtt Vorreitern und Jägern zu Pfer­ de.

Der Contrast ist zu schreiend, dachte

er; gewiß wird er es nicht wagen, sich des Mädchens anzunehmen.

Sie kamen an. Der ganze Adel der Gegend war in dem prächtigen Salon der Frau von Wendel versammelt.

Bet Tische

sprach man von Mißhttrarhen, und machte

sie lächerlich. Man fand den Mann verLchttich, der das theuerste Gut des Adels, einen

könne.

reinen Stammbaum, beschimpfen Der Oheim sah auf seinen Nest

fen, in einem Spiegel seiner großen gole

denen Dose.

Der Neffe betrug sich gut;

er ließ im Ganzen den Grundsatz

gelten,

ob er gleich zuweilen einen bittern Spott dazwischen warf. Ehedem war es nicht so, sagte ein dicker

Domherr.





336

„Um Bergebung!" erwiederte Alexan­ der: „da war der Nahme Bastard ein

Ehrentitel." Doch das sagte er mehr mit spottendem Lächeln, als in Ernst; und sein Oheim war zufrieden.

9?un ging man in den Saal, um Kaf­ fee zu trinken. Auf einen Wink näherten

sich die Schauspieler; die Flügelthür ging

auf, und Emma, wie eine Kammerjungfer gekleidet,

recht einfache trat,

mit Tas­

sen auf dem Prasentirteller, herein. Rodogar, mein Ahnherr, sagte der Kammerherr leise; gieb unü Glück! — Alexan­ der sah Emma nicht, und hörte kaum, daß

die Frau von Wendel ganz nahe bei ihm

rief: was macht Sie

denn?

schickt! Sieht Sie denn nicht?

Wi^,ttnge-

Wo hat

Sie denn Ihre Augen?

Hier schlug Emma die Augen auf, und erblickte Alexanderen, der in dem gleichgül­

tigsten

Gespräche neben

stand.

Sie wurde bleich

einem Fräulein wie Marmor.

Der Prasentirteller fiel ihr aus den Han­

den, und die Frau von Wendel, die jetzt die schönste Gelegenheit hatte, rief:, unter

Bauern



33?



Bauern gehört Sie, aber nicht unter Leute

von Stande! und

Hier sah Alexander endlich auf,

erblickte Emma, die mitten (in Saale, todtenbleich, mit herabgesunkenen Armen und

taumelnd, dastand. Er stürzte zu ihr hin, und faßte sie ln seine Arme.

Sie sind zu gütig, Herr Ba­

ron! sagte die Frau von Wendel; mein Kammermädchen. ken.

es

ist

Sie ist erschrok-

Geh Sie nur! geh Sie! Alexander hörte garnicht, was die Frau

vom Hause sagte. Er rief mit unbeschreib­ lich rührender Stimme: Emma! Emma!

Zch bin'ö, in dessen Armen Du stehst. O,

sieh mich an! Alexander ist es!

Sind Sie mit der Kammerjungfer der Frau von Wendel so genau bekannt, Herr Baron? fragte Jemand mit einem spöttischen Lachen. Hölle und Teufel! rief der Baron; Kam-

merjungfer? Wie! Wer sagt das! Das sage ich, mein vergeßlicher Herr Baron, erwiederte die Frau von Wendel lachend und mit einem spöttischen Mitlei-

Lasont. Emma. I.



338 den: Sie werden mir doch meine Dome-

siiken nicht streitig

machen?

Gehe Sie,

Ungeschickte! den Augenblick!

Tod und Verderben!

Domestik? wie?

rief Alexander, und seine Augen flammten fürchterlich, und die Gluth des Zorns über­ zog seine drohende Stirn.

ist das wahr?

hteher?



Emma! Emma! Wer brachte Dich

Wie!

Emma lag mit dem matten

Haupte an seiner Schulter,

tete:

und antwor­

„Dein Oheim!"

Das ist erbaulich!

rief die Frau von

Wendel, noch vollkommner entschlossen, den Sieg zu gewinnen:

meine Jungfer nennt

ihn Du!

„Dein Oheimdies Wort verstand Ale­ xander falsch;

was die Frau von Wendel

sagte, hörte er gar nicht.

Er glaubte, es

wäre sein Oheim in der Residenz.

Mein

Oheim? mein Oheim? O, so verdamme ihn Gott! (Hier fuhr der Kammerherr

zusammen.) So verdamme ihn Gott in den tiefsten Abgrund der Hölle! Seine Tugend war Heuchelei! So zerreiße ich die

Bande des Bluts,

die Bande der Dank-



barkelt.

339



Aus dem tiefsten, schwärzesten Ab«

gründe der Hölle holte er diese satanische

Grausamkeit!

Wie! mich so zu verachten?

mich so wenig zu fürchten?

Oheim,

O Himmel!

vergebe ich Dir daü,

so — sehe

mein Auge das Tageslicht nicht mehr,

so

erstarre dieser Arm, eben wenn er Emma retten will!

Jetzt merkte der Oheim, daß Er nicht gemeint war.

Um Gottes willen! sagte er

leis« zum Fenster hinaus: wenn die Gan»

nur schweigt! Aber, Baron, spielen Sie hier eine Tra­ gödie mit der Kammerjungfer? fragte ein Oberst, der im Geheimnisse war, mit einem Faunen - Gelächter. Die Jungfer sekondirt nur schlecht; sie benimmt sich jetzt eben so

ungeschickt, wie vorhin mit dem Kaffee.

Hier riß Alexander Emma gegen di« Gesellschaft vor, und rief: dieses Mädchen

ist meine Braut!

Haben Sie mir etwa»

von meiner Braut zu sagen? —

Zn die­

sem Augenblick erhoben sich ein Paar la­ chende Stimmen. Alexander stürzte wü­

thend auf einen der Lacher los,

22*

der nun



voll Angst rief:



34°

mein Gott!

sehen Sie

denn nicht, Herr Baron, daß das alles an­

gestellt ist?

Zch glaubte. Sie wären mit

tm Geheimniß.

Angestellt? rief Alexander mit verdop­

pelter Wuth und so

drohender Stimme,

Damen sich

eine an die andre

daß die

drängten; und der Kammerherr, der nie­

mals geglaubt hatte, daß ein Mensch so to­ ben könnte, sagte, wieder zum Fenster hin­ aus, mit einer Art von Schreckenssprunge:

wenn sie nur schwelgt! Angesiellt? rief er, und sah die Frau von Wendel an.

Ja, sagte sie lachend;

Sie sind ja «in Türke, ein wahrer Heide»

Verstehen Sie denn keinen Spaß? Gott, Emma! sagte er ermattet: zu die­

ser

Scene konntest Du

Dich hergeben?

Emma, ich bin außer mir. Es geht wieder an!

dachte der Kam­

merherr. „Ach!" sagte Emma, schluchzend, ihre Arme um seine Arme windend,

sie sich in seinen Schuh:

als gäbe

„ich weiß von



gar nichts.

34*



Man hat mich hart behan­

delt!"

Wie! hart? hart? Und Du weißt von nichts?

Frau von Wendel, an Sie wende

ich mich zum letzten Male.

Wenden Sie Sich an Ihren Oheim dort; von dem geht alles aus, sagte die

Frau von Wendel, die endlich anfing, den Murh zu verlieren.

Wie! rief Alexander, erblassend, indem höchsten Grade der Wurh: Sie waren eü

Oheim? Sie? Sie wußten, was mir die­ ses Mädchen ist, und Sie, Sie wagten es — wagten... ? Neffe! Mir hat mein Bruder gesagt. Du liebtest das Fräulein Valeria von Pa­

radifi, aus dem Hause...

O weh! seufzte hier Alexander.

Sein

Zorn sank unter seiner Schuld, und unter dem Unglück, daß Emma den Nahmen Va leria hatte nennen hören. Der Oheim, der seinen Triumph be­

merkte, trat jetzt keck hervor.

Zch bebaute

es, unsers Nahmens wegen, Deinetwegen, mon neveu, daß die edle Gesellschaft hier



342



hat Zeuge von einer solchen Scene werden

ipuffen» — Emma zitterte; denn sie las die

Schuld des Geliebten in seinem bleichen Gesichte.

O, so ist eü doch?

sagte sie so

leise, daß nur Er es hörte. Er wurde noch bleicher, und die Schuld drückte sein Haupt

noch tiefer auf die Brust. Ale sein Oheim das bemerkte,

in einer schönen Stellung vor.

trat er

Den lin­

ken Fuß ließ er einen, großen Schritt vor­

wärts machen, den rechten Arm. streckte er

gebietend aus, und rief: jetzt befehle ich Dir, das Mädchen zu

lassen,

das mein

Bruder meiner Vorsorge anvertrauet hat. Er hob die Hand noch höher, zog den rech­

ten Fuß nach, blies beide Wangen ein we­ nig auf, um sein Gesicht voller zu machen,

und senkte

Augenbraunen,

über die

Augen. Sein Neffe antwortete nicht.

Er fühl­

te nur

den

die

tödtlkchen Schmerz

in

seine

Seele übergehen, aus den erlöschenden Au­ gen seiner Emma, die leise

und

langsam

ihre Hand aus der seinigen los zu machen

suchte.



343



Da schritt sein Oheim mit großen, er­ zürnten, doch anständigen Schritten durch

den Saal, faßte Emma an, und sagte laut: fort, Mädchen! Laß sie, Neffe! laß sie auf ewig! Emma faßte seine Hand sogleich fester; und Alexander, als wenn tausend Leben ihn zuckend durchführen, erhob sich, sah seinen

Oheim mit flammenden Augen rief:

Was! was!-Emma!

an, und

Wagen Sie

es, Oheim, die äußerste Haarfpihe dieses theuren, ach! so unglücklichen Mädchens zu berühren: dann sind Sie — Ich achte

hier nichts, nichts! Fort! sage ich.

Nie­

mand wage es, mich zu reihen; meine Hand

zuckt nach Blut!

Fort!

Sie

ist mein!

ewig mein! Oheim! Sie wagten es, das Mädchen, das ich liebe, hieher als Magd zu verkaufen, um eines Spieles willen?

Hier singen seine Augen wieder so dro­ hend an zu funkeln, daß der Oheim, mit einer

Verbeugung rechts und

links, als

wollte er der Gesellschaft schonen, sehr an­ ständig abtrat.

Endlich ermattet von der Beschimpfung,

-

344

-

von dem Schmerze, sank Emma, an seiner Brust in Ohnmacht. Er drückte den blaffen Mund auf ihre

blaffen Lippen: es war, als küßte ein Ster­ bender eine Todte.

O Emma! sagte er:

war es das, was ich Dir versprach? Sind

das meine Eide? das die Hoffnungen, die ich Dir gab auf dem Grabe meiner Mut­ ter, an Deinem Altare?

O jetzt, da Du

mich nicht kennst, da Deine Seele entflo­ hen ist, jetzt, laß mich die blassen Lippen, die mich mit ihrer Bläffe mehr anklagen, als mit Worten, jetzt laß. mich sie noch einmal küssen! Und nun, Du Heilige,

komm! Du bist dennoch mein! dennoch! Und würfe das Schicksal und die höl­ lische Barbarei dieser Menschen noch ^tau-send Stacheln zwischen unsre Herzen, so

fasse ich Dich dennoch mit sterbender Hand,

und nenne Dich mein!

Hier hob er sie auf, und trug sie aus dem Saale, klagend und seufzend über sei­

ne Untreue.

Ein Bedienter

zeigte ihm

Emma'ö Zimmerchen, und hier erholte sie

345



sich wieder.



Beide saßen

stumm einander

gegenüber, und sahen vor sich hin. Hier kannst Du nicht bleiben, Emma,

sagte er sanft;

nirgends kannst Du blei«

bleiben, als bei mir!

O, bei den

ersten

Tagen unsers Lebens, bei unserer glücklichen,

unschuldsvollen

Jugend!

nie wieder verlassen.

werde Dich

ich

Du bist mein, mei­

ne Emma! — Er lag zu ihren Füßen. „Alexander/'- sagte sie freundlich, und mit dem alten süßen Tone noch aus ihrem

Eden her: „Du glaubst doch, daß ich Dich noch immer liebe?"

Du

glaubst

es

doch von

mir auch,

meine Emma?

„Za, Alexander, ja! O, daß Du mich liebst, daß Du Dein Leben für mich geben würdest, daran, o Himmel!

zweifeln!

laß

mich, nie

Alexander, Du hast auch noch

das alte süße Vertrauen zu

mir.

Nein,

Du willst mich nicht bestiegen.”

Emma!

wenn

das ein Anderer sagte,

als Du — ich erschrecke vor mir selbst,

siehst Du, mein freundlicher Ale­ xander?

So antworte mir recht von Her-



346



Liebst Du Valerien? liebst Du sie?

zen.

O, tausche mich nicht!"

Mit

einem

langen,

tödtlichen, tiefen

Seufzer antwortete er: ja!

„Ja, Alexander, Du liebst mich noch; denn Du willst mich nicht bekriegen."

Wer sagte das, Emma? fragte Alexan­

der leise. „Dein Oheim hier."

der Residenz?

Nicht mein Oheim in

Denn,

Emma,

Ich

vermuthe schreckliche

Dinge. „Dein Oheim in der Residenz? O, der,

der ist ein sehr edler Mann! Er nicht gewollt,

Das hat

was diese grausamen

Menschen mir gethan haben.

O, Er war

immer sanft, er liebte mich, er verschwieg es mir, daß Du jemand

anders liebtest.

O sieh! auf einmal weiß ich alles. Bringe mich zu Deinem Oheim.

Er ist der Ein­

zige, zu dem ich fliehen kann, der mich schützen wird gegen alles, gegen alles — ach, Alexander!

ich will Dich nicht be-

triegen — auch gegen D i ch. eignes Herz."

gegen mein

34?



Beide schwiegen

sagte Emma dann,



„Ack,"

eine Weile.

nachdenkend und sanft

weinend; „Du liebst Valerien:

das war

wohl nicht recht; aber Du hast auch mich

So laß uns denn scheiden,

immer geliebt.

als Bruder und Schwester.

Das werden

wir ewig seyn." Du betriegst mich,

Emma!

jeht ber

trlegst Du mich, und auch Dich!

„Nein, nein!

Zch werde Dich ewig

nicht betriegen, ewig nicht. Oheim.

Dahin muß ich.

edler Mann.

Aber Bruder

Bringe mich zu Deinem

und Schwester.

O, er ist ein

Mein Bruder, dahin bringe

mich!"

Emma! „Willst Du nicht Schwester sagen? Du mußt eö; denn bei diesem Nahmen, diesem schönen Nahmen, schwöre ich Dir, daß ich nie

etwas anders als Deine Schwester seyn wer­

de.

Bringe mich zu Deinem Oheim!" Zch bin unglücklich, sehr unglücklich,

Emma! Zch liebte Valerien ; aber nie habe ich

ihr

meine

Liebe

gestanden.

Dein



348



Schutzgeist hielt mich zurück.

Ich bln Dein,

geliebte, ewig geliebte Emma.

„O, führe mich zu Deinem Oheim, und nenne mich Schwester.

Wlllst Du mich

nicht so nennen?” Schwester! Schwester denn! So höre; und diese Worte sind unwiderruflich,

wie

&e ewigen Gesetze des

Zch

Schicksals.

nenne Dich Schwester; ober nie werde ich

eine Andre Braut nennen, mir treu

bist.

so lange Du

Und diese Treue, Emma,

diese rührende Treue, soll Dich endlich de-

siegen, und Du, ja! endlich sagen:

Du selbst, sollst mir

ich bin Dein, Deine Ge­

liebte!

„Alexander!" erwiederte sie schmerzlich: „das werde ich nie sagen, Dein Gelübde nicht halten.

und Du sollst

Zch spreche

Dich los.”

Der Himmel hat meinen Schwur ge­

hört, und er ist unwiderruflich.

Nun komm!

3$) führe Dich zu meinem Vater, Deinem Vater!,

349



Die Standhaftigkeit. A-

Saale war Unterdessen alles still ge;

worden;

man sah sich unter einander mit

großen Augen an. Endlich eröffnete denn ein altes Fräulein die Reihe der Fragen mit der: was war denn das eigentlich, Herr Baron? Und nun drängten sich die

Damen, wie ein Bienenschwarm,

setzt,

um den Baron her.

der sich

Er nickte ein

Paar Mal listig mit dem Kopfe, wie eln Kind,

das sich entschließt;

dann sagte er

Mit einer artigen Verbeugung: Haben Sie etwa von einem der ältesten Häuser in

Italien, den Frangipani, gehört? oder den Btanciforti, so alt wie die ältesten Vene-

tianischen Häuser,

die sich bekanntlich aus

den Zeiten Attila's herschreiben? Za! erwiederten ein Paar Stimmen. Es hieß einmal, eine Gräfin oder Fräulein Frangipani sey incognito ... Zncogniko, Sehen Sie,

ganz rechtl

ES hieß so.

es hat eine ganz eigene Be-

wandtniß mit dieser Frangipani.

Mein

350 Bruder, den Sie Alle kennen, — hier zog

er einen Brief hervor, und gab- ihn nach­ lässig in der Hand haltend,

seiner Rede

Grazie — schrieb mir selbst, was ich um der Welt willen nicht sagen darf. Dieses Mädchen,

gegen das mein Neffe eine so

chevalereöke Liebe zeigt,

war einmal mit

dem Kammerdiener ihres verstorbenen Va­

ters incognito in meinem Hause.

Kammerdiener? Za, ja! Ach, die Sache liegt noch tie­

fer; viel tiefer.

Es war Anno 1527, als

sich ein gewisser Rodogar —

der Nahme

war sonst eisern in unserm Hause — Ro-

dogar von Nordstein auf dem Nömerzuge mit Sr. Kaiserlichen Majestät in Rom be­

fand. O, ich könnte Zhnen interessante Sachen darüber sagen, wenn es jetzt der rechte Zeitpunkt wäre.

Aber — Sie ken­

meinen Bruder!

setzte er mit einer

nen

Verbeugung hinzu.

Der Thor kannte seine Leute.

Man

glaubte, hinter dem Mädchen der Frau von Wendel stecke ein Geheimniß von Wichtig­ keit,

da

der Bruder des Kammerherrn

35 r



mit km Spiele war. Der Kammerdiener des Mädchens incognito — die Gräfin Frangipanl

phirte.

Kurz, der Baron trium-



Niemand glaubte, daß die Geliebte

des jungen Barons eine Kammerjungfer wäre, auch die Frau von Wendel nicht. Während dessen half Alexander Emma's Sachen mit einpacken.

Er fand den Brief,

den sie ihm geschrieben hatte, las ihn heim­ lich, mit Thränen, und steckte ihn ein. Dann ließ er seinen Wagen vorfahren, gab Em-ma den Arm, und führte sie an den Wa­

gen.

Die Bedienten des Oberkammerherrn

erkannten die Dame wieder,

Schlosse ihres Herrn so delt worden war, Ehrfurcht da. ihr Alexander.

die auf dem

ehrerbietig behan-

und standen mit tiefer

Emma stieg ein, und hinter Der Kammerherr, der es

sah, wurde roth und blaß.

Er ließ sogleich anspannen, fuhr in Gal-

lop hinterher, und sagte alle Minute: der Bursche ist ein solcher Tollkopf, daß er ge,

radeü Weges mit ihr in die Kirche fährt! Er holte endlich seinen Neffen wieder ein,

352

und ließ Ihn durch den Zager bitten,

auf

einen Augenblick zu ihm zu kommen. Alexander kam. Der Baron empfing ihn in der Kutschthür, und ließ ihn ein­

steigen. Neffe, sagte er; ich habe alle Mühe gehabt, Deine fougue von heute zu maökiren. Sag mir nur: was ist Deine Absicht mit dem Mädchen?

„Sie will zu meinem edlen Oheim, in

die Residenz?' Der Teufel,

es steckt

mon neveu!

ein Geheimniß hinter dem Mädchen. Du und mein Bruder, Zhr hättet wohl gethan, mir

das zu sagen: so wäre die heutige Scene vermieden. Denn mit einem Fündling, wofür mir der Bruder sie ausgab,

macht

man solche Umstände nicht.

Hier sah ihn Alexander verachtend an. „Sie geht zu meinem Oheim, mit mir, in

die Residenz." Auf Deine Cavalier-Parole, mon ne­ veu ? „Auf mein simples Wort! Emma, o Himmel!

Denn wollte

wollte sie;

wäre ich

nicht

353 nicht der allerunglücklichste aller Menschen: so — fübrte ich sie heute zum Altare."

Diable!

Mon neveu,

ich heirathete

eigentlich darum nicht, weil ich keine Fami­ lie rein genug fand. Der

unmenschliche Formalist!

Alexander.

Laut sagte er:

dachte

„Das ist ge­

rade auch mein Fall; darum will ich ein Mädchen heirathen, das gar keine Familie

Er bückte sich, und ging. Der Ba­ ron wünschte ihm alles Unglück über den

hat."

Hals. Die beiden Liebenden kamen in der Re­

sidenz an, und fuhren gerade vor des Ba­ rons Haus, der ihnen entgegen kam.

Er

erwartete sie schon; denn der Oberkammer­ herr hatte ihn durch einen reitenden Boten von seinem Plane und dem unglücklichen

Ausgange desselben unterrichtet. Zch fürchte, Dich erbittert zu sehen, Alexander.

Mit diesen Worten empfing

er seinen Neffen. zu gut,

Halt es ihm und Allen

mein Sohn.

Diese armseligen

Menschen haben keine Idee davon, daß es bessere Herzen geben kann,

Lafont. Emma. L

als die ihri23

354



~

gen, die nichts weiter thun, als den Blut-

frrom bewegen. — Alexander, Dein Oheim klagt über die Hitze, womit Du ihn behan­ Zch fühle,

delt hast.

daß ich in deinen

Jahren noch zorniger gewesen seyn würde. Zetzt nicht mehr,

Alexander.

mit Lächeln sehen,

Zch kann

wie ihnen die Tugend

nichts weiter ist, als eine freundliche Mie­

ne, als eine zärtliche Verbeugung, und wie jeder Charakter,

auch der sanfteste,

er nur Charakter ist,

wenn

ihnen die Rohheit

eines Wilden scheint. — Zch danke Dir, mein

Sohn, daß Du mit Emma zu mir gekom­ men bist.

Hier warf

sich Alexander

an seines

Oheims Brust. „Za," sagte er finster, und doch zärtlich; „ich komme zu Zhnen, mein Vater, weil Emma es durchaus so wollte.

Ware es nach

meinem Herzen gegangen,

so hatte ich Zhnen meine Gemahlin ge­

bracht.

Aber ich komme zu Zhnen, mein

Oheim, mein Vater, und lege unser Schick­

sal in Zhre Hände.

unsre Herzen. lerien liebe;

Entscheiden Sie über

Sie weiß -S, daß ich Va­

sie... ”

355

Sie weiß es? fiel der Oheim eln. Wer? Emma? Das ist nicht gut! „Zhr Bruder," sagte Alexander, „hat mit rohen Handen diesen Schmerz auf ihre Seele gelegt." Und was sagt Emma jetzt? fragte der Baron mit sinnender Stirn. „Sie sagte etwas, — o, mein Vater, das allerunheilbringendste meines Lebens. Lassen Sie mich reden, laß mich reden, Emma!—Hier stehe ich, mein Barer/ hier, als stände ich vor dem heiligen, dunkeln Tempel des unerbittlichen Schicksals, als stände ich vor dem ewig ruhigen Auge der Schicksalsgöttin selbst. Zch fordere Emma's Hand von dem Leben, von dem Schicksal, von dem Glücke; nichts weiter. Zch liebte Valerien, ich liebe sie noch, das mag Emma hören; aber diese Hand, Emma's Hand, fasse ich, Emma's Herz ergreife ich, Emma'S Glück theile ich. Sonst will ich nichts vom Leben. Alles Andre ist unheilbringend, und soll es seyn. Alles Andre soll mein Wille in schwarze, finstere Nacht verwan232

356 dein.

Mein Vater,

geben Sie mir und

Emma Ihren Segen! ” Und

Emma sagt nicht»?

Baron. Ich habe

fragte der

gesprochen, gnädiger Herr.

Ich bin seine Schwester.

Er liebt mich,

und ich liebe chn; aber... „Meine Liebe zu Valerien war. ein

Traum, der verschwand, sobald ich Dich

wiedersah.

O, Emma!

kannst Du mir

nicht verzeihen?"

Mußt Du mir denn nicht da» Schwe­ rere verzeihen? Hab' ich Dich nicht auf­ gegeben? Sie, gnädiger Herr, haben mein

theure» Wort.

„Oheim," sagteAlexander jetzt: „sie gab mich auf nach Ihrem Plane.

Ihr Plan

ist es. O, wenn Sie auch an keine Liebe glauben, so gönnen Sie uns doch ein un­ schuldiges Glück, da» die Liebe uns auch nur für einige Tage bereitet.

Sie sehen,

ein böses Schicksal hat unsre Herzen er­

griffen. O, mein Oheim, halten Sie Ih­ ren Plan ja nicht für besser, als den Plan

der Natur!

Geben Sie nach!

Es ist

-

357

-

wahrlich nicht ein Kampf mit meinem Her­ zen, mit Emma'ü Herzen, mit einer ver­ gänglichen Leidenschaft; Sie kämpfen einen Kampf mit allem Unheil,

kunft schwanger ist.

womit die Zu­

Ich fasse Emma'ü

Hand, und Sie legen Ihre Hande segnend auf unsre Stirnen. Wir fliehen in die beglückende Einsamkeit; und wenn Siede­

vergeblichen Spiels in der Welt müde sind, oder die Welt Ihrer Tugenden müde ist,

so fliehen Sie zu uns, mein Vater, und in unsern Herzen soll eine neue Welt für

Sie aufblühen,

eine

zweite

Welt

voll

Liebe." Alexander hatte seines Oheims beide Hande gefaßt, und die Augen voll Thrä­

nen auf dessen Gesicht gerichtet. Das Herz des Barons war erweicht; er wurde im­ mer gerührter. Sein Neffe bemerkte es, und sagte: „o, folgen Sie der Rührung Ih­

res Herzens, die aus Ihren Augen leuchtet! Es giebt keinen sicherern Führer, als die Bewegung eines schönen Herzens; keine andre Tugenden, als die Beglückung des einzelnen Menschen.

O, mein Vater!"

358 Doch in des Oheims Seele erwachten die vieljährigen, erwiesenen Grundsätze, und widersetzten sich

seiner Rührung.

Sein

Blick wurde immer ruhiger, sein Mund

immer

lächelnder.

Alexander, sagte er;

laß mich doch in Ruhe des Schauspiels

von einem Paar so reiner Herzen genie­ ßen, wenn ich auch glaube, daß diese Be­ wegung nicht ewig dauert. den großmüthigen Kinder!

ist denn am großmüthigsten?

O, meine bei­ wer von Euch Er, der sei­

ner Geliebten entsagt, um Dein Herz nicht zu brechen; oder Du, die Du seiner Hand entsagst, um ihn glücklich zu machen? O,

ich möchte alle Menschen in diesem Streite ewig begriffen sehen, den ich hier endigen soll! Und schüttete das Glück seine reichesten Gaben über Euch, und kränzte Euch

die Liebe mit hem Kranze einer unvergäng­

lichen Jugend: was wäre das gegen den

Triumph her Tugend in Eurer Seele! Der Schatten gegen das Seyn, ein Traum ge­ gen das Leben. Alexander, hätte ich den Plan mit Dir noch nicht gehabt: ich wür­

de ihn jetzt fassen, und mein Leben daran



359

sehen, ihn auszuführen.

— Die Großmuth

dieses theuern Mädchens, das entsagt, das Dir und sich die schönste Blüthe laßt, wel­ che die Liebe treiben kann, Vertrauen und

Freundschaft — diese Großmuth

ist doch

edler, als Deine finstre Schwärmerei, die nur verderben kann, Dich, Valerien, sie,

auch sie, auch Emma, und meine langen — läugne es, wenn Du kannst — meine edel­

sten Wünsche! Ich habe geschwiegen, mein Sohn; denn das Herz selbst muß über sich

entscheiden. Aber jeht, Alexander, muß ich Dir, und Dir, Emma, den edlen Nahmen Valeria nennen. Was hat sie verbro­ chen? frage ich. Ihr müßt über sie ent­

scheiden, Ihr großmüthigen Beide!— Mit

diesen Worten ging er schnell in sein Eabinet.

„Ich habe entschieden," sagte Emma,

ihre Arme um Alexander schlagend— „ich habe entschieden, mein Bruder!" Ich habe entschieden, Emma, über Dich

und mich.

Ueber mehr zu entscheiden,

hat das Schicksal mir nicht gegeben.

Ich

nenne Dich Schwester; aber nie werde ich

Z6o eine Andre Braut nennen, so lange Du

mir treu bist.

Wohl denn!

sal hat gesprochen. gesprochen.

Das Schick­

Glaube mir, eö hat

Ich bin fertig.

Der Baron kam wieder.

Emma konn­

te nicht in seinem Hause bleiben, und sie selbst wünschte sich auf des Barons kleines Gut zurück, wo Ludwig noch war.

Der

Baron willigte mit Freuden ein, und auch Alexander ffefj es sich gefallen. Der Ba­

ron versprach, sie dorthin zu bringen, um ihr daselbst die gehörige Unabhängigkeit und eine Lebensweise einzurichten, „rote sie für meine Tochter

anständig

ist, ”

setzte er

freundlich hinzu, — Die Frau von Paradisi lebte noch mit Valerien auf dem Lande, für deren Ge­

sundheit der Arzt die reine Lust angerathen hatte. Alexander erblaßte, als sein Oheim ihm sagte: er könne recht gut in der Re­

sidenz bleiben, da die Frau von Paradisi mit ihrer kranken Tochter auf dem Lande lebe.

Emma nahm Abschied von Alexander,

der noch

einmal

seine Stimme

erhob.

36i Sein Oheim blieb aber unbeweglich bei sei­

nem Plane. Auch Emma fiel ihm um den Hals, und nannte ihn Bruder.

Nun wohl!

sagte er fest; unser Schicksal ist also entr schieden.

Gehe denn! Aber, Emma, dieses

Auge, das Dir einmal nur ungetreu war, soll blind seyn

eine Minute gegen alles

Schone, dieses Öhr taub gegen die schmei­ chelnde Stimme

der Liebe, meine Zugend

kalt wie das Alter, das am Rande des Le­

bens steht.

Nicht eher will ich leben,

als

ich bin Dein! ich

bin

bis Du mir sagst: Dein! lebe!

Der Oheim sah hig vor sich hin.

bei diesen Worten ru­

Er

hob Emma

in den

Wagen, und reifte mit ihr ab nach dem Gütchen, das sie den stillen Wittwen-

sitz ihres ewigen Grames nannte.

Der Baron führt Emma ein. Die wenigen Tage, welche Emma in der Residenz zugebracht hatte, waren nicht un­

nütz verflossen.

Der Baron bat sie, sich

362 gut zu kleiden.

Man soll wissen, sagte er,

daß Sie meine Tochter, daß Sie Alexan­ ders Freundin sind. Er ließ sie sogar präch­

tig kleiden.

Als er zu Wiesen mit ihr an­

kam, empfing eine recht angenehme Frau, eine Prediger-Witwe, sie an der Thüre.

Dee Baron führte

Emma

jeht in

das

Hauptgebäude, da sie vorher in dem Sei­

Er bot ihr den

tengebäude gewohnt hatte.

Arm, und führte sie die hohe breite Treppe

hinauf, und ein Bedienter öffnete die Flü­ gelthüren eines Salons.

Der alte Ludwig

stürzte außer Athem herzu. ich Dir Deine

„Hier bringe

junge Gebieterin zurück,

guter Ludwig. Man hat sie hart behan­ delt, ohne mein Wissen. Zch habe dafür

Sorge getragen, daß das nicht wieder ge­

schehen kann."

„Madame," — hier an die Witwe, und mit einem stolzen Blick

an die Bedienten—„diese junge Dame ist

hier in meinem Gebieterin.

Eigenthum

vollkommene

Sie haben durchaus von Nie­

mand Befehle anzunehmen, als von ihr. Und Du, Ludwig — es freuet mich, daß ich

363

einen ungerechten Verdacht wieder gut ma­ chen kann — Du bist hier Castellan und Aufseher des Gutes.

Dir hat Niemand

zu befehlen, als Deine junge Herrschaft. Sie, Emma, fuhr er liebreich fort, Sie werden hier alles finden, was das Leben bequem macht, vielleicht mehr, als Zhr zu genügsames Herz wünscht. Aber was Sie

nicht wünschten, das war ich mir schul­ dig, und meiner Liebe für Sie, Alexanders

Schwester." Er verbeugte sich gegen sie. Emma wollte dem gütigen Manne zu

Füßen fallen; er hob sie aber auf, und dies Betragen war nicht eine leere Ehrenbezei­

gung. Der mißtrauische Ludwig, der das Gut für nicht viel besser als ein Gefäng­

niß ansah,

fand sich überrascht, als die

Wächter am Eingänge verschwunden wa­ ren. Er hatte jetzt, als Greis, noch das Vergnügen, seine Lieblingsbeschäftigung, den Landbau im Großen, treiben zu tonnen. Es waren ein Paar hübsche Pferde, ein niedlicher Phaeton für Emma und ihre Ge­

sellschafterin da.

Ludwig kam

alle Stun­

den einmal mit brennenden Augen

und



364



glühendem Gesicht, und sagte Emma, was noch alles für sie da wäre.

Ein

Gärtner

und eine sehr hübsche Orangerie kamen drei

Tage nach des Barons Abreise an, einem Zettelchen an Emma,

mit

worin er sie

sehr artig bat, den Garten ganz nach ihrem

Sinne abzuändern, und das Gewächshaus, welches vorher nicht gebraucht worden war, zu nutzen.

So lange er da war, getraute sich Em­ ma nicht, etwas anzusehen.

mit Thränen

Sie ging nur

in den Augen umher — ob

Thränen des Vergnügens oder des Schmer­

zes, das wußte sie selbst nicht. bald

Aber so­

der Baron abgereis't war,

ging sie

doch mit einem behaglichen Vergnügen ihrem

kleinen, Neuen Königreiche

in

umher,

ihre Schätze zu besehen; und in der That kann die Dankbarkeit

gegen einen Men­

schen nicht hoher steigen, als die ihrige ge­ gen den Baron. Der Baron fuhr nun zu seinem Bru­ der, und dieses Mal ganz incognito, ohne

sich anmelden zu lassen.

Der Oberkammer-

Herr erschrak, als er ihn eintreten sah, wie

365 immer,

wenn ec so etwas gemacht hatte,

ob er gleich seit langer Zelt wußte, daß dem

Baron die Vergangenheit vergangen war.

Bruder, sagte er, es war gewiß recht sein

eingeleitet. „Das will ich glauben. — Ihr hattet rin Reh umstellt,

und fandet einen Lö­

wen." Er vergaß alle Sitte,

worin er sich befand,

die Gesellschaft,

die Pflicht,

der Frau von Wendel schuldig war.

die er

Dar­

auf hatte ich nicht gerechnet. „Wie ich vorhin sagte." Ganz recht! Es ist übel mit einem

solchen Menschen umzugehen;

er macht al­

len Calcul zunicht. „Nun, es ist gut so!" Es freuet mich, daß Du mir die Schuld

nicht giebst.

Und kannst Du wohl das

Alle Mädchen sagten: sie wünschten sich einen Glück der jungen Leute begreifen?

solchen Liebhaber. „Freilich!"

Wie steht es denn nun? „So ziemlich auf dem vorigen Punktrr

366 denn solche Charaktere

reißen. die Netze

durch; aber sie fliehen nicht.

Gefährlicher

ist es nun schon;

denn sie haben einan­

der achten gelernt.

Zch habe das Mäd­

chen

nach

Wiesen

und

gebracht,

sie

eingerichtet, wie eine nahe Freundin unsers

Neffen, recht gut.

Nun ersuche ich Dich,

dafür zu sorgen, daß sie sicher ist."

Die Menschen, die sie bewacht haben... ... „habe

ich weggejagt.

Ketten er­

bittern."

Freiheit, Bruder, giebt Muth. „Offenheit auch.

Wer könnte ihn und

sie am Ende zwingen?" Hier starrte der Kammerherr seinen Bru­

der an.

Ein Fündling?

„Lin Mensch!"

Oder ist etwas dahinter? „Nichts als reine Güte des Herzens,

eine ichone Blüthe,

die ich Nicht abreißen

möchte."

Nun? was denkst Du denn jetzt, Bru­ der? „Alexander liebt die Tochter des Für­

sten."



36;

-

Liebt? das ist nicht möglich. Wie könnte

er denn... ? „Wort halten ? und einem Fündlinge?

Ja, das mein' ich eben, wenn er des Fürsten Tochter liebte. „Das Wort: „Fürst," haßt er eben."

So ist er rasend. „(Er sollte höchstens lächeln." Ja, ja, lächeln, Bruder!

Maske, Zorn.

Das ist eine

die auf alle Gesichter paßt: Verlegenheit,

Angst.

auf

Bruder, ich

vergesse an keinem Tage, vor den Spiegel zu treten und das Lächeln zu üben. (Der

Baron lächelte.)

Es ist mir lieb, sehr lieb,

theurer Bruder, daß wir einander so ähnr lich sind. auch nichte

Du hast nicht geheirathet;

ich

Du hast kein Amt; ich auch

nicht. „Und doch haben wir unsre kleinen Ei­

genheiten Ja, daß Du so gern schwarz trägst. Ich nicht.

Eine Helle Farbe zeichnet aus,

Bruder. „Schwarz, dünkt mich, auch."

O, mein Gott, nein! nein! Aber wenn

368

Alexander so rasend ist, das Licht am Hel­ len Tage nicht zu sehen, was dann? „Er liebt das Fraulein Paradisi. Das ist viel, recht viel." Zch wünschte, auch das Mädchen liebte einen Andern. „Dann wäre alles, wie es seyn sollte. Auch ich wünschte das. Und wer weiß, wenn sie nicht so einsam zu leben gewohnt wäre! ” Man müßte ihr Gesellschaft geben, hüb­ sche, junge Manner, die es ehrlich mit ihr meinten. „Freilich, das versieht sich! Eine Lie­ bende verlangt viel; und das Mädchen hat Geist." — Das war das Gespräch der beidew Brü­ der. Der Baron reifte ab, nachdem er seinem Bruder noch einmal recht ernstlich anempfohlen hatte, für Emma's Sicherheit besorgt zu seyn; >,denn von jetzt an," setzte er sehr ernst hinzu, „steht sie unter meinem Schutze. Wer das Mädchen beleidigt, be­ leidigt mich. Ich könnte es gern sehen, wenn



369



wenn sie einen Mann fände, der ihr Herz verdiente." Der Oberkammerherr rieb beide Hände vor Vergnügen, daß er wieder einen Auf­ trag von seinem Bruder hatte. Der erste ist mißrathen, sagte er; aber hier will ich ein wenig leise auftreten. Er lächelte, be­ sah sich im Spiegel seiner Dose, und fand, daß es ihm gut ließ.

£W«f. Emma. I.

37®

Frau von Paradisi an den Baron von Nordstein. ReinSvurs»

Äch

hübe Ihren langen

Briefs Ueber

Nordstein, und danke Ihnen für Ihre Auf­

richtigkeit.

In der That, mein

Freund,

Sie hatten mir alle die Begebenheiten Ih­

res Neffen mit dieser Emma verschweigen können: aber Sie waren darum eben nicht

besser daran

denn,

mein

gewesen,

edler Herr;

was Sie Ihrem närrischen Bruder

sagten, sage ich Ihnen auch:

„Sie hatten

ein Reh umstellt, und finden einen Löwen?' Mich dünkt, Nordstein,

Ihr Neffe sowohl

als diese Emma, die ich zu lieben anfange,

ob

ich

gleich

diesen Brief an dem

meiner kranken Daleria schreibe,

Bette

verdienen

Beide, wenn kein besseres Schicksal — denn

wer verdient das! — so doch eine bessere Behandlung.

Doch

ich vergesse

immer,

daß Sie Sich auf den Stuhl des Schick­ sals gesetzt haben.

Diese Beiden werden,



37*



glaube ich, alle die Netze durchbrechen, wo­ mit sie von Ihnen umstellt sind, auf eine

oder die andere Weise, und leicht auf eine andere, als wir Beide denken können.

Sie haben Tugenden, Nordstein, und schöne, edle Tugenden, — wer will da­ leugnen! Doch Einer von Ihren Grund­ sätzen verderbt alles wieder: der, daß al­

les, ich, Valeria, Ihr Neffe, alles, an dem

Altare Ihrer Tugend anbeten soll. Sie haben es aufgegeben, menschlich glücklich zu seyn; und weil Sie Ihr Herz nicht mehr in der Brust schlagen fühlen, so soll Niemand ein schlagendes Herz,

Wünsche,

Leidenschaften haben, als die Eine, die Ih­

rige.

Welch eine Riesenfoderung,

welch

eine rasende Federung das ist, Nordstein, werden Sie vielleicht noch einmal fühlen, wenn Ihr Herz wieder zu schlagen anfangt. Wer, und was Ihr Herz wieder in Bewe­

gung bringen kann,

weiß ich zwar nicht;

aber die Natur ist tausendmal reicher, al-

unsre Hoffnung, und auch tausendmal ret> cher und mächtiger, als Ihr trotziger Hoch­ muth.

*21 **

Ich gehe noch nicht in die Residenz zur rück, und habe das dem Fürsten auf seinen bestimmten Befehl

geschrieben,

von ihm erpreßt haben.

den Sie

Seltsamer Mann!

Sie zittern nicht vor dem Schicksale, und

können glauben,

daß ich, die Sie doch zu

achten gezwungen sind, zittern weroe!

vor dem Fürsten

Ich habe dem Fürsten ge­

schrieben, daß ich noch nicht kommen wolle,

weil eö mir so beliebe. Ihnen —

damit Sie sehen,

Wahrheit um Wahrheit gebe,

wie ich Liebe um

wie Trotz gegen Befehl — Ihnen schreibe ich, daß ich das Glück meiner 93a*

Liebe, leria

nicht noch einmal

in Ihre harten

Hände geben will.

Daß Ihr Neffe Valerien liebt,

scheint

wohl wahr, und Valeria liebt ihn mit der ganzen Schwärmerei der Jugend, mit der

ganzen Innigkeit ihres

starken,

schönen

Herzens, und mit der Flamme einer furcht­ baren Leidenschaft,

die das Erbtheil aller

edlen, starken Geister ist.

Aber, mein Herr, über diese Liebe triumphiren Sie ja nicht!

Rechnen Sie ja nicht darauf mit Ihrer

373 Gewißheit, die alles an alkes seht! Setzen

Sie ja

auf diesen Wurf nicht das stolze

ZreL Ihres Planes! Sie glauben, nut Ih­

rem Netze ein Reh zu umstellen, und Sie

werden einen Löwen finden, der Ihre Netze, Ihre Rechnungen verachtet, und da durch das Netz bricht, wo Ske es-am wenigsten

erwarten.

Ueberhaupt,

lieber Freund, thun Cie

Unrecht daran, Menschen, wieBalena, wie Ihr Neffe, wie Emma, Rollen

kn Ihrem Schauspiel.

zu geben

Ihr Bruder be­

wegt freilich die Hand, den Fuß, wie Sie es der Marionette vorschreiben;

aber das

kann nie eine fremde Rolle

wahre Herz

spielen, west seine eigene zu schon ist. Baleria

wurde

dem Abschied

niedergeschmettert von

Ihres

Neffen.

Sie

saß

bleich da, mit erloschenen Augen, mit hoch­

schlagender Brust, mit irrender Seele, mit

irren Sinnen, mit glühender, fast wahn­ sinnig umher irrender Phantasie.

Die zu­

rückgestoßene Llebe siel nut einem glftigen Schtangenzahn an die feinsten Lebenöfasern

ihres Seyns.

3?4 Der Arzt gab die Hoffnung auf; sten Leibarzt, den er mir sogleich

sandte.

„Sie wissen nicht,"

sagte

„welche Lebensquellen

ein Geist hat,

Valeria.

doch

Lieber Freund, es war des Für­

ich nicht.

ich

zu

ihm, wie

Ich konnte sie bitten, gesund zu

seyn, und sie würde es werden; eine Um­

armung der Mutter könnte ihren kranken

Geist heilen."

Er lächelte;

gerade wie Ihnen.

es ging

ihm

Kranke Körper hatte

er gehellt, deren Geist nichts war, als das

thierische Leben ; auf den menschlichen Geist mit seiner Allmacht verstand er sich nicht.

Er lächelte.

„Nun denn,"

sagte ich:

.,so ist Valeria ein Opfer des Todes; denn die Milch

Ihrer Eselinnen, und

ländische Moos kann doch

das Is­

unmöglich

ein

Heilmittel für den verzagenden Geist, für das gebrochene Herz werden." Er sagte: eben darum zlttre

ich

für

eln Leb.-n, das mir der Fürst auf die See­

le gelegt hat. „Der Fürst? — Der Künstler sollte

nicht Fürsten, nicht Geld kennen!" sagte ich betrübt.

„O, wäre ich eine Bäuerin:

- 3?5

-

würde ich nicht eben so trostlos an den»

Sarge meiner Tochter stehen?" — Da kam Ihr erster Brief, worin Sie

Mir alles schreiben:

die Liebe Ihres Nef­

fen, seinen festen Willen Emma wiederzu­

finden, und sie dann zu heirathen, trotz sei­ ner Liebe zu Valerien. Briefe in der Hand

kenzimmer.

sie

zu ihr in das Kran­

Der Arzt hatte mir verboten,

zu beunruhigen,

möchte.

Ich ging mit dem

womit es

auch

seyn

Dessen ungeachtet gab ich ihr den

Brief; denn ich mußte dem verstummten

Geiste wieder eine neue Idee zuführen, um ihn aus dem tödtlichen, traumvollen Schlum­ mer zu wecken, der sich von ihm über den Körper verbreitete.

Sie las den Brief. „Ein edler Mensch!" sagte ich; „nicht wahr, Valeria?"

antwortete nicht. werden,

Sie

„Glücklich kann er nicht

auch wenn

denn er liebt Dich.

er

Emma

heirathet;

Aber wenigstens wird

er Emma glücklich machen."

Er wird zuletzt glücklich werden, sagte sie mit kaum geöffneten Lippen, leise, lang­ sam, krank.



— 3?6

„Wie kann er, wenn er hört, daß du,

das Opfer Deiner zu mächtigen Liebe

als

und feiner Unvorsichtig'.'eit, sunken bist!

in's Grab ge­

Er, Valeria, war freilich ein

Mann, und triumpkirte

über eine eben so

mächtige Liede, well sie* ihn ungerecht dünk­

te.

Trcstloö iDirft er seinen Blick auf Va­

lerien, die er zu verlassen

gezwungen

ist,

zu verlassen

als die Beute einer tödklichen

Leidenschaft

und des verzehrenden Grams!

Und dennoch — dennoch hält er die Treue

gegen die erste Geliebte fest!" Hier belebte sich ihr Auge und sah mich wüthiger an.

Ich fuhr fort.

sing an zu funkeln.)

(Ihr Auge

„Hättest Du Much,

den Muth, den Er hatte, Valeria, so könn­

te

er

glücklich

werden,

und

Du

selbst

würdest nicht unglücklich seyn." Hier richtete sie sich auf, und sah mich an.

Zhr Auge strahlte.

Er soll glücklich

seyn; Emma |oU glücklich seyn! stolz, und stand auf.

Tag.

sagte

sie

ES war ein schöner

(?ie ging eine Viertelstunde mit mir

im Garten.

Der Arzt erstaunte.

„Sehen

Sie," sagte ich; „das ist der Geist, den



3?7



Sie nickt, kennen, weil er selten

Sie war gesund.

ist." —

Ich wollte aber nicht in

weg wäre.

die Residenz, bis Ihr Neffe

Auch dann bat mich Valeria, mit ihr hieIch bin ein Kind, sagte sie ein wahres Kind, Mütterchen.

her zu gehen.

lächelnd,

Ich zittre, den Balkon wieder zu sehen mit

den Orange-Bäumen, weil Er so

oft mit

mir da saß, vor dem Duste Italiens; ich zittre, meine Gendel zu besteigen, mein Was­

serhaus zu betreten. allem zittre

ich.

Bor allem, ach! vor Ich

mochte

eine

ganz

neue Welt haben, eine ganz neue Natur, einen ganz neuen Himmel;

und doch liebe

ich alles, was er berührt, was er mit mir

gesehen hat. So, 9lorbflein — so, fürchte ich, wird es Ihnen mit Ihrem Neffen gehen. ihn;

und so

Sie

Er liebt Valerien, Valena

haben Recht.

das

scheint es

Natürlichste,

daß Emma das Opfer bringt, welches ge­ bracht werden

muß.

Natürlich?

So

scheint es! Aber sagen Sie, ist denn das Glück der Maßstab unserer Handlungen? Und, wenn das nicht ist,

so ist es nicht



3?8



natürlich, so — brechen drei Herzen, well

ein Mann auf dem Erdboden ist, der die Liebe nicht für eine Tochter Gottes halten will, sondern nur seinen nackten Begriff der

Tug-nd.

Wie? frage ich Sie ernst, ernst, Nords steinr

ist denn

nicht die Tugend

Leben,

wie alles hier? menschliches Leben? So ist sie Liebe, Mitleids«.

Güte, Vertrauen,

So muß

Großmuth,

die Tugend einen

Leib haben, einen schönen reihenden Leib, wie mein Geist einen Leib hat, um in dem fr$

dischen Leben wirken zu können;

und die

Liebe ist dann der Leib der Tugend,-und so ist Tugend etwas Minderes, als Ihr starrer,

todter, bewegungsloser Begriff.

So muß

die Tugend, wie das Licht, erst in

Strahlen zerlegt werden,

ihre

in die einzelnen

tugendhaften Eigenschaften, um uns der moralischen Welt, als unseres Glückes, freuen zu können?

Nordstein,

ich

ehre

Sie; aber ich fühle in Zhrer Gegenwart

immer eine Art von Scheu, wie in der

Gegenwart eines ganz fremdartigen We­

sens, das nicht fühlt, nicht sieht, nicht liebt,

379

ni$t befrist, nicht bie Welt ordnet wie ich. Ich zittre vor Ihrer Tugend. O, Norlk stein! ich wünsche, daß Sie selbst nicht einst vor Ihrer Tugend erzittern müssen.

Valeria ist nicht wohl, und so,bleiben wir noch hier. Denn» mein Freund, Valeria soll Ihren Neffen nicht eher Wiedersehen, al« In Gesellschaft seiner Frau, oder ihres Mannes. Und hier, eben hier in Reins« bürg, ist ein Mann, nur ein Dorfprediger, aber ein liebenswerther Mann, mit einem schönen, weichen Herzen; und Sie wissen, wie ich über die Grille vom Range.denke. Leben Sie wohl!

Die Frau von Pakadisi an den Baron

von Nordstein.

Steinöbueg. 2>alrria verlangt in die Stadt. Sie Has etwas Großes vor, das sie. unaufhörlich

38o beschäftigt.

Erwaö Großes! sage ich. Sie

werden lächeln, wekn Herr Philosoph, daß

ich ettvaö groß

nenne, gegen (eie, der nur

die Opfer groß nennt, die Er bringt. Was

wäre denn groß, wenn eö nickt der Wille

Ist? Der Flügel eines Käfers verbirgt Ah­ nen die Sonne, wenn Sie ihn nahe vor

dvs Auge halten- und was Ahnen unsre

Welt bedeckt- ist nichts als der Flügel einer noch großem Kleinigkeit. Za, könnterr-Sle Wort halten, wenn Sie prahlerisch sägÄ:

ich will mich nicht um Schmerz und Freude kümmern! Aber thun Sie, was

Sie wollen — Sie werden ZhrOhr nicht taub Machen gegen Seufzer, die Sie er­ pressen, und der Tadel auf dem Gesicht ei­ nes Kindes wird doch Zhe Herz beunruhi­

gen; Welt und Nachwelt können Ihnen den Anblick Zhrer Nachbarschaft nicht verbergen.

Die Natur hat Sie an so stark? Fesseln geschlossen, wie uns. Valeria will in die Stadt. Der Gram

hat ihr Gesicht ein wenig blässer gemacht, zu dem Schmucke, dem Glanze der frohen

Jugend etwas Sehnsüchtiges hinzugemischt;

— 38 l



ihr Entschluß hat einen Zug von Heiligkeit auf das schöne Gesicht gedrückt, etwas Prie­ sterliches,

das durch ihre

Kleidung noch

verstärkt wird. Sie kleidet sich nehmlich auf eine ganz eigene Art, welche ihren Plan bezeichnet:

in eine Art von Nonnengewand, ganz weiß,

mit einem,

aber nichts weniger

zem, Spanischen Kragen.

als

stol­

Ihr schwarzes

Haar ist um die Stirn geflochten, und ei­ ne Reche Perlen halt einen Schleier,

der

die eine Seite des Gesichtes bedeckt, und

den sie, wenn sie will, sogleich vor das Ge­ sicht schlagen kann.

Sie haben nie etwa-

Prlesterllcheres

gesehen, lieber Nordstein; aber auch indem

Kleinsten ist das

wahr,

was ich vorhin

sagte: daß die Natur uns an unzerreißlichen Ketten hält. Dieses priesterliche, jung­ fräuliche Gefühl der Entsagung aller Liebe

für das ganze Leben— denn die Kleidung ist aus dem Costume einer Nonne und einer

Vestalin zusammengesetzt — hängt doch ge­

nau mit der Liebe, mit dem Herzen, unserm Geschlechte zusammen.

mit

Eine feine

382 Buhlerln hätte keine Kleidung erfinden können, die reihender wäre, als eben diese, wo­

mit Valeria der Liebe entsagen will. sieht Ihr Neffe sie

in

Und

dieser klösterlichen

Kleidung: ich weiß gewiß, dann ergreift ei­

ne neue glühendere Leidenschaft fein Herz.

Sie spricht von einem Besuche bei Em­ ma. Machen Sie Sich darauf gefaßt. Die­

ser Besuch muß in Ihren Plan paffen;

denn ich

habe

ihn

Valerien

versprochen.

— Daß Valeriens Nonnenplan

nicht

in

meinem Plane liegt, sehen Sie leicht. Aber

Valeriens Glück ist mein Plan; und wäre

es nicht anders zu erhalten, als durch den Nonnenschleier

und die strenge Klosterre­

gel, — ich würde es so erkaufen. Ihr Neffe ist ein Mann, den ich achte.

Ich würde mit Freuden meine Valeria in seine Arme legen;

doch



wohlgemerkt,

mein Herr! — nur, wrnn es schuldlos ge­ schehen könnte.

Der junge Prediger, von

dem ich Ihnen schrieb, betrachtet Valerien mit verstohlnem

Entzücken; aber

er hat

den Muth nicht, ein Mädchen zu lieben, von dem die Lüge sagt, sie sey des Fürsten

383 Tochter; und dem Muthlosen ist das Glück nicht günstig.

Valeria ist gleichgültig ge­

gen ihn.

Wir kommen in die Residenz. Ich wer­

de alle Besuche abweisen lassen.

0, welch

eine vortreffliche Erfindung, die Karten! Papier für Besuche, für Freundschaft, Liebe,; Papiergeld, und Philosophie, die nicht so lange dauert, wie das Papier, worauf sie gedruckt ist!

Sie sehen also, daß ich Ihren Neffen nicht sprechen werde. Uebrigenö habe ich den Reih deü Land­

lebens und der Einsamkeit zu lange genos­ sen, als daß ich mich wieder in das Joch des Hofes sollte spannen lassen. de meine Idee auöführen

Ich wer­

und eine Ana-

choretin werden; Ihre Zaubersprüche sollen mich nicht länger davon abhalten.

Was

ist denn das Glück, auf das Sie mich im­ mer verweisen? und wo ist

es?

Zeigen

Sie mir es doch! Die Natur hat das Glück, zum guten Glück für die Menschen,

in ein Paar Dinge gelegt, die unabhängig von allen den großen Anstalten sind, durch



364



welche Sie und alle Philosophen den Menschen beglücken wollen.

Könnt Ihr jene

Zauderstunde, das erste zitternde Gestand-

niß der Liebe, könnt ihr die Mutterfreuden hervorbringen? Könnt ihr...

O, Schlaf,

Essen, Trinken, Gesundheit, und für den Geist Freundschaft, Vertrauen, Liebe und

ein Mährchen: da haben Sie das mensch­ liche Glück; und das hangt von dem Men­ schen selbst ab, wenn er das Uebrige ent­ behren will und kann.

Ich

wollte einmal Griechisch lernen,

als es Mode wurde, beständig die Griechen

auf der Zunge zu haben.

Der Fürst schlug

mir den gelehrtesten Griechen der Haupt­ stadt zum Unterrichte vor.

Ich

las

es

recht gut, wie er es nannte, nach der Quan­ tität; nun fing er die Accente mit mir an,

die mir den Ton der Worte geben sollten. Ich hielt sie für überflüßig; er ließ sie sich nicht nehmen, und doch konnte er mir nie

sagen, wie sie gebraucht würden.

Eben so

macht Ihr eö: Ihr habt außer dem Glück

noch eins, das Nieman en glücklich macht. Zch habe mir ein Kleid machen lassen, wie

385 wie Dalerla, und würde, glaube ich, alle Welt darin bezaubern, wenn ich alle Welt sehen wollte: aber ich wkll Niemanden sehen. Sie ausgenommen. Und somit Gott befohlen! Den Dienstag über acht Tage komme ich.

Villet an den Varon.

2-alerta, lieber Baron, hat nun erklärt, daß sie Ihrem Neffen entsagt habe, und zwar mit größer Innigkeit; sie hat mir ihre Gründe so deutlich, so zutraulich, aus ein­ ander gesetzt, daß ich keine Ursache mehr habe, an der Wahrheit ihrer Erklärung zu zweifeln. Du hast ihn lange nicht gesehen, Valeria, sagte ich. „Ich will ihn sehens antwortete sie mft großer Lebhaftigkeit; „ich will ihn recht ost sehen, liebe Mutter, und Sie überzeugen, daß es mein Ernst ist, wenn ich ihm ent­ sage?' Dabei ist sie bis jetzt geblieben, da ich hier angekommen bin. Lafont. Emma. I.

2.5

366 Haben Sie Recht, mein Herr, mit Ih­ rer Behauptung: „die Leidenschaft meiner Valeria und Ihres Neffen sey so groß, daß sie jedes Hinderniß aus dem Wege stürzen werde;" so wird es sich zeigen, wenn die beiden jungen Leute einander sehen. Sie sind also auf heute Abend, und, wie immer, mit Ihrem Neffen zu mir ein­ geladen.

Billet an den Baron von der Frau von

Paradisi.

(§ie sehen, mein Herr, baß man sich ir­

ren kann. Valeria hat Wort gehalten, und noch mehr als das. Ich zweifelte fast selbst daran, als Ihr Neffe in die Thüre trat und erblaßte, sobald er Valerien erblickte, die er in der Gesellschaft wahrscheinlich nicht vermuthete. Sie stand gerade neben mir, und ich hatte ihre Hand gefaßt, die sehr merklich zitterte. Aber nun ging sie

Neue Verlagsbücher DOII

I.

D.

Sanders

Buchhandlung

in Berlin.

Von der Iubilatc-Mcsse 1809. (Die mit einem (♦) bezeichneten waren in der chaellS-Meffe ißoS neu.)

Koch/ C. W./ Gemählde bet* Revolutio­ nen in Europa. Aus dem Franzörnchen übersetzt von I. D. Sander. Drei Theile, gr. 8. 5 Rthlr. Dasselbe auf Delinpap. 8 Rthlr. *) Dessen genealogischen Tabellen,

gr. 8. i2 Gr.

*) Lafontaine/ A./ die beiden Bräute. Er­ ster und zweiter Theil. 8. 4 Rthlr. Dasselbe auf Delinpap. 6 ^thlr.

Desselben Buchs Dritter Theil. 8. i Rthlr. 16 Gr. Dasselbe auf Delinpap. s Rthtr. 12 Gr.

Lafontaine, A., Emma. Erster Theil. 8. 2 Rtblr. Dasselbe auf Vclinpap. 3 Rthlr. •) Weber, F. 93., Handbuch der LandhauShaltungskunst. Erster Theil, ar. 8. 3 Rthlr. iß Gr. Dasselbe auf Velinpap. 5 Rthlr.

— 307 —

auf Ihren Steffen zu, und. redete ihn mit ihrer gewöhnlichen Güte, ihrer sanften Freundlichkeiten. Nichts Gespanntes, kein Zug von Satire auf die Männer, die dem Herzen so nahe liegen mußte, keine über­ mäßige Freundlichkeit. Ich möchte sagen: es war die Freude über das Wiedersehen des alten Freundes. Auch that das sicht­ bare Wirkung auf Ihren Neffen; er fing an ruhiger zu werden. .Dann trat er mit, Valerien an ein Fen­ ster, die mir nachher erzählte, was sie mit ihm gesprochen hatte. Ruhig hat sie ihm ge­ sagt: sie billige sein Benehmen gegen die unschuldige Emma, und sie wolle mich bit­ ten, mich für seine Verbindung mit Emma bei Ihnen zu verwenden. Du erzählst mir, was Du sagtest, liebe Valeria; aber ich möchte gern auch wissen, was Du fühltest! Das sagte ich ihr, als sie mir so erzählte. „Eine recht tiefe Ruhe, liebe Mutter, einen recht eigentlich ungestörten Frieden. Ich liebe ihn noch immer, theure Mutter; aber ich fühle, ich sehe, ich weiß, daß er 252

3(38

nicht mein werden kann; und so ist meine Ruhe der Triumph Ihrer Erziehung, gute

Mutter." — Sie hüt Ihren Neffen noch

gebeten,

seinen Umgang in meinem Hause ohne alle

Aenderung fortzusehen,

und er ist seitdem

mehrere Male bei uns gewesen.

Das erste

Mal kam er zu einer Zeit, da ich mit Va­

lerien ganz allein war, und ich

mußte sie

sogar verlassen, weil ich mit meinem alten Rendanten zu rechnen hatte, der noch un­ ter einer fallenden Welt seine Rechnung

schließen, und mich noch unter dem letzten

Posaunenschall zwingen

würde, zu qutt-

tiren.

Als ich zurückkam, suchte ich die jun­

gen Leute, und sah sie Arm in Arm im Parke gehen.

Bald nachher, als wir wie­

der im Zimmer waren,

ließ Valeria uns

allein.

mich nachdrnkend,

Ihr Neffe sah

mit finsterer Stirne, an; doch nachher schien er ruhiger zu seyn.

Valeria sagte

„er ist ruhig, zufrieden,

und er

mir:

wünscht

nicht» als seines Oheims Einwilligung zu der Verbindung mit Emma."



309



Ich habe gestern Abend mit dem Für­ sten ein Paar Worte von dieser Emma ge­ sprochen, lieber Baron; denn ich weiß, was Ihre Familie gegen das Mädchen ein­ wenden könnte. — Der Fürst freuete sich, daß er Gelegenheit hätte, Ihnen einmal einen "Dienst zu leisten. Sie dürfen nur sagen, in welchem Maße das Ansehen des Fürsten gebraucht werden soll, um alles auszugleichen, was hierbei noch rauh und ungebahnt ist. Ich bedaure, daß Sie krank sind, lieber Baron; doch sagt derArzt, es habe nichts zu bedeuten. Valeria hat indeß ihren Kopf darauf gesetzt, Emma glücklich zu sehen. Ich bitte Sie, lieber Freund, den Wunsch eines lieben Mädchens und Ihres Neffen zu erfüllen. Denn, Baron, der Plan, den Sie auf eine Verbindung mit Valerien baueten, ist ohnehin verloren; Valeria ist die Tochter des Fürsten nicht.

3go

Antwort. Unglückliche Mutter, welch ein Schwindel;

geist verblendet Sie gegen den leuchtenden

Strahl der Wahrheit!

Sehen Sie denn

nicht, daß Valeriens Ruhe, auf die Sie so

stolz sind, der höchste Grad der Leidenschaft ist?

Große. Opfer fetzen große Stärke vor;

aus; und wie stark muß eine Liebe seyn,

die ein solches Opfer bringt! Der from­

me Nonnenschmuck, womit sie sich zu einer Priesterin der Vesta weihet, könnte mich zum Zittern bringen; denn ein Herz, das die Freude des Lebens aufgiebt, hat auch

das Leben aufgegeben. Die rothen Wangen Ihrer Valeria strahlen nicht von Gesund­ heit, sondern von einer verzehrenden Flam­

me. Wenn sie Emma und meinen Nef­ fen zum Altare geleitet hätte, dann würde sie auf einmal, ermattet von dem langen furchtbaren Kampfe, und dann ohne irgend eine andere Kraft für die erschöpfte Seele,

weil nun das ganze heldenmüthige Opfer

-

3gi

-

vollendet wäre, sterbend an dem Altare nie-

versinken.

Und dieses noch

einmal mächtig auf­

strebende Leben, nennt die thörichte Mutter: Das

Gesundheit!

des

Irrereden

Todes

nennt sie: Kraft! Unglückliche Mutter! thö­

richte Mutter!

So

soll Valeria unterge-

hen, so soll mein Neffe untergeben, um ei­

ner Idee willen,

die nicht

einmal

groß­

müthig ist? Mein Neffe ist ruhig, ruhig —

wie Valeria.

Er kommt zu Hause, siht an

meinem Bette, seufzt, und ist kränker als ich. Dann geht er auf sein Zimmer,

sitzt,

die

Stirn in die Hand gelegt, die ganze Nacht, bis der Morgen wieder hervorleuchtet; dann

träumt er auf seinem Lager mehr, als er schlaft, und der lange Kampf, den er nicht

endigen konnte, den seine Freunde für ihn endigen mußten, den ich, den

Emma endi­

gen wollen, zerreißt seine Seele. Sie

opfern

ihn

einer

Grille

Und Sie, auf;

fast

möchte ich sagen: der Nonnenkleidung Ihrer Tochter.

Sie sind für das Leben gemacht, liebe

-Freundin.

Wenn Sie in eine Wüste zic-

3g2

hen, so stehlen Sie dem Leben ein Gut,

das nicht'Ihnen gehört, sondern den Men­ schen.

Ich hoffe, Sie bald wiederzusehen

und dann Sie auch bald

zu

überzeugen,

daß mein Plan das Glück ist, auf welches

Sie, und wir Alle, selbst Emma, allein rech­ nen können.

Leben Sie wohl!

Au den Baron Nordsteiu. Sie sind ein Mensch, Herr Nordstein.

Baron von

Vergessen Sie das nicht! Sie

sind ein Mensch, haben ein

Herz und —

des Schicksals Pfeile sind auf Ihr Herz gerichtet.

Hören Sie auf diese Stimme

eines unbekannten Freundes,

der Sie be-

wundert, aber auch bedauert.

Sie haben

sich losgeriffen von dem Menschengeschlech­

te, und stehen allein: darum glauben Sie, dem Schicksal trohen zu dürfen,

und

ver­

langen eine Tugend, zu der Ihnen des All­ mächtigen Allwissenheit und des Allwissen­ den Allmacht fehlt.

Das Herz scheint Ih-

393 nen nichts, und Sie vergassen, daß Ihr Herz Sie so unglücklich machte. Lidi! Lidi! Da habe ich Zhnen den Nahmen nannt, der Sie erinnern soll, daß das H recht viel ist. Emma! Emma! Diesen Nahmen nenne ich Zhnen, S zu warnen. Sie verfolgen dieses arm theure Mädchen; Sie sind zwischen zw. Herzen getreten, welche die Natur, die Lie­ be, vielleicht die ewige Weisheit, für dm ander bestimmt hatte. Wie, Herr von Nordstein? Als der Haß zwischen Sie und Lidi trat, hielten Sie das für recht? Und Sie treten sogar ohne Haß zwischen zwei Herzen, um eines Planes willen, der vielleicht nicht auögeführt wird! Eide, furchtbare Eide, halten meine Fe­ der, binden meine Zunge. Was ich Zh­ nen sagen darf, will ich Zhnen sagen. Sie trotzen dem Schicksal, weil Sie Sich un­ verwundbar dünken: das sind Sie nicht.

— 394



Sie trotzen dem Schicksal, weil Sie allein zu stehen glauben; — so stehen Sie nicht. Noch einmal warnt Sie die geheime Stimme der Natur, des Schicksals, des Himmels, und ruft Ihnen die Nahmen zu: Lid,! Emma!

Durch diesen Brief wurde der Baron erschüttert. Aber nach einigen Minuten lächelte er, und sagte: ich setze alles an meinen Plan! alles!" — Nun hatte er sein Loos geworfen; dle dunkle Wolke senk­ te sich auf sein Leben.

Snde deS ersten Theils.

Berlin, i8og. Gedruckt bei Karl Friedrich Amelang/ '??cice Tviedrich-ftraße No. 56.