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German Pages 200 [401] Year 2022
Emma.
Von
August
Lafontaine.
Erster Band.
Berlin, in Sanders Vuchhandlnirg.
ißoq.
E
m
m
Erster Theil.
a.
Alexander an Linden.
Bergenbach. 5lm Ende fjat mein Postillion Recht. Der Teufel! Postillion, sagte ich: das ist ein klägliches Leben, seins; beständig denselben Weg, hin und zurück! „*6e! ” rief der Kerl;
denn, und jeder Mensch
„führen Sie
— Könige und
Kaiser sogar — ein andres?
Vom Mor
gen bis zum Abend, von der Wiege bis
an den Sarg, das ist die ewige Leier, die wir von Adam an gespielt haben und noch
spielen.” Ich sah meinen Philosophen nachden
kend an.
Er nahm sein Horn, und blies
die Melodie: Zeiten schwinden, Jahre krei sen. Zch sang zuletzt lustig und andächtig mit. Hat er nicht Recht? Der Weg ist von hier bis Paris und Neapel nur läm
4
-
-
Und halte ich sein Le«
ger, anders nicht.
ben gegen das meinige,
und streife die
Fehen, Lumpen und unechten Tressen da von, welche Geburt, Zufall, Geld, Rang darauf geheftet haben; so fragt es sich noch, welches das kurzweiligste und das angenehmste ist, meins oder das feinkge. Hat er ausgespannt, so findet er ein jun ges, blühendes Weib und zwei Kinder zu
Haufe.
„Und darauf, Herr," sagte er,
— „ thun Sir so vornehm, wie Sie wol len — laust am Ende alles hinaus."
Ich frage Dich, Lindenr hat er nicht Recht? Denn kn unfern schönsten, mensch lichsten Augenblicken, hatten wie nicht al les, alles in der Welt für die Liebe eines
geliebten Mädchens
hingegeben?
Darum
Der Weg zum Glücke, zum menschlichen Glücke, geht so gerade; das also! —
Glück selbst ist so wohlfeil zu haben, daß ein Paar Generationen voll närrischer Teu fel dazu gehören und — Verbrechen dazu,
um uns auf den Punkt zu bringen, wo
wir jetzt stehen.
Man will nicht anders
essen, als unter einem Kronleuchter, und
5 von silbernen Tellern; nicht schlafen, als unter einem Baldachin; nicht sitzen, als auf weichen Polstern; nicht gehen, als mlt Hülfe von vier Pferden; nicht lieben, als
eine Erbin von Rang und Gold: — und ehe man alle diefe Teufeleien zusammen
hat, ist des Lebens junger, frischer Strom
verronnen, und wie treiben in den engen, stinkenden Kanälen des Altere. Mein Oheim, der Baron von Nord stein , Herr von Grindeln auf Burgleben, zu Wilsen, Burgherr zu Frledburg, ct cae-.
tera etc. .• (Er liebte einen Menschen, wie Er lieben kann, und wollte ihn zu seinem Pfarrer machen; dieser vergaß das letzte etc. auf einem Briefe an ihn, und weg war die Pfarre. Dieses letzte etc., das er immer so abgekürzt schreibt, be
deutet ein Zinshuhn, das eine Mühle an
ihn zu entrichten hat.
„Es ist unbedeu
tend, Vetter, darum schreibe ich cs so ab gekürzt," sagte er zu mir. „Aber, merken
Sie das, Vetter, von meiner Ehre lasse ich mir nicht eine Abbreviatur nehmen,
6 lieber das Sehern” —
Hier hast Du den
ganzen Mann, Linden!) Nun, dieser Baron also, mein Ohsim, rechnet
mir mit dem freundlichsten Ge
sichte von der Welt vor, und zahlt dabei seine zehn Finger wenigstens dreimal über,
bei den Dingen, die ein jünger Mensch zu bedenken hat, ehe er sich in ein Mäd
„Sie lachen,
Ich lache.
chen verliebt.
mein liebster, vortrefflichster Detter,” sagt er;
„wir waren eben so edel, wie die
Dahlberge, wenn unsere Vorfahren so ge
dacht hatten, wie ich.
Es giebt einzelne
Flecken in unserm Stammbaum, -cm die ich ohne Betrübniß nicht denken kann.
Unser
eigener
ter ....” Liebster,
Aeltervater,
liebster Det
gnädigster Oheim, hätte der
die Flecken nicht hinein gemacht, so wären
Sie und ich nicht;
und so, dächte ich,*
könnten wir ihm verzeihen. „Mit Nichten, Detter.
Eö ist nicht nö
thig, daß ich lebe; aber sollte ich nun einmal leben f so ist es nöthig, daß ich
7 .mlt Ehren lebe. Sehen Sie, so edel, so großmüthig denk' ich!" Ich
hatte Mühe,
nicht aufzulachen.
Aber, Linden, wie werde ich es anfangen,
mit diesem Manne zu lebenUnd ich soll mit ihm leben, weil ich — da hast Du
den
Teufel
Anfänge
wieder,
redete! —
von
dem
ich
im
weil ich sein Erbe
seyn soll.
Als ich zum ersten Male zu ihm ins
Zimmer trat, —
sieh Linden, der Bru
der meines Vaters,
eines Vaters,
den
Diese Vorstellung alle meine Empfindungen gehoben.
ich nicht gekannt habe! hatte
Kurz, ich siel ihm in die Arme, und rief, mit aller Leidenschaft dieses schönen Augen
blicks : o, meines Vaters theurer Bruder! „Schurke! Schurke! Dummkopf!" rief er völlig erhitzt. Ich sprang voll Schrecken zurück. „Ich meine nicht Sie, liebster Det ter Alexander.
Ich meine den Bedienten,
der Sie hereinbringt, ohne mir vorher zu Denn, Detter, auf solche interessante Augenblicke mag ich
sagen, daß Sie es sind.
gern das ganze Gewicht einer guten Rede
6 Ach hätte Sie ganz anders-em-
legen.
pfangen wollen!
Aber nun ist der Augen
blick dahin, der so selten kommt!" Er trat mir gegenüber, betrachtete mich, und legte bald den Kopf auf Lieft, bald
auf jene Seite.
Ich glaubte, er vergliche
mich mit meinem Baker, dem ich ähnlich
sehen
soll.
Er meinte
aber:
die Farbe
meiner Weste müßte etwas dunkler seyn,
tun
mit dem Rocke in schönem Contraste
zu stehen.
„Aber so seyd ihr, ihr jungen
Herren," — er verbeugte sich sehr tief. —
„Ich bringe oft drei Tage lang mit der Wahl meiner Farben zu.
Das ist nicht
unbedeutend in der Welt.
Bon Karl dem
Zweiten erzählt man,
sekretär,
Mann,
einen
daß er den Staats:
übrigens
abgedankt hat,
verdienstvollen
weil der Mann
immer in grelle Farben gekleidet war." Sieh, da hast Du meinen Empfang; und, Linden, mit diesem Manne soll ich
leben, und dieser Mann, sagt man mir, soll das Glück meines Lebens entscheiden!
„Sie gefallen-mir, BetterAlexander," sagte er heute.
„Ach habe große Dinge
9 mit Ihnen vor»” Dabei wiegte -r den Kopf lächelnd hin und her, als müßte mit durchaus gefallen, was er mit mir vor hat. O, lieber Oheim'-er caetera5 ich selbst habe große Dinge mit mir vor, und ich bitte Sie, mich gehen zu lassen; sonst konnte eö mit mir noch schlimmer werden, als mit dem Aeltervater." — Doch dazu gehört mehr, als dieses Blättchen, das mir noch übrig ist»
Derselbe an Denselben. Bergenbach, Mein Vater — Mein Oheim hatte dreist von meinem Aeltervater auf das Schkld meines Bakers übergehen können; — er that es aus Höflichkeit nicht — Mein Va ter war arm, — er war der Sohn einer andern Mutter — er zog nur sein Herz zu Rath, als er heirathen sollte, und er that wohl daran; denn ich habe eine vor treffliche Mutter gehabt. Er heirathele ein
— Ip — Mädchen, Arm, und au» dem Bürger stande, das er unendlich liebte.
Er lebte
mit ihr zwez Jahre, und starb, als ich geboren war. Die Familie hatte natür
licher Weise mit meinem Vater gebrochen; man that nicht, als wäre meine Mutter da.
Sie lebte mit mir auf einem kleinen
Landsitze,
dessen
Beschaffenheit
vielleicht
eben so viel zu meiner Erziehung beigetra-
gcn hat, als meine Mutter selbst. Auf der höchsten Höhe unseres Gebirge«
liegt das Haus, wie ein Schwalbennest, wie zwischen Felsen und Gestein dahin gehängt; . ringsum stehen einige Häuser,
deren Besitzer vom Holzhauen und Kohlen brennen leben. Gegen Norden thürmte sich
der Felsen zackigt
aus dem schönsten Ei
chenwalde empor, und gab unserm Hause, so hoch eö auch lag, die milde Luft de« südlichen Himmels. Im Morgen zog sich
Gebirge und Wald in großem, mächtigem
Kreise, bald hoch und majestätisch, bald in schöner Abwechselung von Hügel und Thal,
umher, außer da, wo der Fluß sich seine Bahn durch das Gebirge gebrochen hatte; —
II
da war eine Kluft, in
der, hinten, im
Mai die Sonne wie aus der Pforte der Nacht glühend empor stieg, und durch die
zuweilen
der
hereinbrach.
stürmende
Ost
verwüstend
Rechts zog sich das Gebirge
sanfter hinunter in das Thal; tausend fruchtbringende Bache irrten den sanften Ab hang hinab', und kehrten in labyrinthischen Thalern' zu den-Quellen zurück; bis sie alle unser Fluß, entfernt von uns, aufnahm. Vor uns hinab erstreckte sich, wie ein blü
hendes Meer, die weite Landschaft, nur von grünen Buchenhügeln durchschnitten,
in die ungemessene blaue Ferne, hinter der, wie
N« stille
halbsichtbare Ewigkeit
am
Rande des Lebens, die halbsichtbaren blauen
Hochgebirge Böhmens sich erhoben. Das Dörfchen hieß Waldweiler. Einer meiner
Vorfahren hatte hier ein Jagdhaus hingebauet, unser Wohnhaus und zugleich das
ganze Vermögen meines Vaters, — mit
ein Paar Hufen Landes, Holz, so viel wir brauchten, einem Teich, einem Garten am Hause. Das Gut, welches dazu gehört hatte,
war Theilweise an die umliegenden Dörfer
12
Wlr waren die Einzigen von
verkauft,
unserm Stande tm Gebirge.
straße ging durch;
Keine Heer
kein Wagen konnte zu
uns kommen, als auf sehr großen Umwe
Die Scheuren lagen tiefer unten in
gen.
einem Thale versteckt.
Wir Hausten oben,
wie Adler, ganz allein; oder meine Mut
ter, wie die treue Turteltaube im einsa men Felsen trauert,
girrt,' und einsam
Ein alter Gedienter meines Va
stirbt.
ters, eine
alte Jungfer meiner Mutter,
und eine Magd machten unsre ganze Hausgenoffenschast ans. pel
der L)!atur,
Zn diesem Prachttem unter diesen Menschen,
welche die Liebe zusammenhielt und
das
Andenken an «in geliebtes Grab, deren ganzes Glück, ganze Hojstmng' da« Wiederfinden in der Ewigkeit war, wurde ich erzogen, oder, vielmehr man ließ
mich
aufwachsen.
Meine Mutter lehrte
mich lesen, dann der alte Bediente, dann Zakobine,
(so hieß die Züngfer).
Zeder
von ihnen unterrichtete mich,, so gut er konnte.
Zch wußte,
daß jenseits unseres
Waldes, und jenseits der blauen Berge,
—
—
i3
Menschen lebten, wie wir; daß der Wald
und die gräßlichen Felsenhöhlen voller Ge;
spenster wären, possenhafter, boshafter Gei ster; daß aber Engel mich auf meinen Gängen
begleiten
würden,
so
lange
ich ein
reines unentweihetes Herz hätte, auf dem nicht die Last einer Bosheit läge. — „Und
werden
sie
nicht
sichtbar?”
—
fragte
ich. — Der Bediente war dagegen, meine Mutr ter und Iakobine dafür.
„Wenn es noth
thut," sagte meine Mutter feierlich, --wird dich Gott auch auf den Flügeln seiner sicht baren Engel tragen aus Gefahr, und von Abgründen weg." Meine Mutter saß ganze
Tage auf dem Grabe ihres Mannes. Sie fühlte die Schauer seiner Gegenwart, sie
hörte
das
Lispeln» seiner
Stimme.
Zhre Liebe hatte das größte Wunder ge
than ; sie hatte. dem Herzen meiner Mut ter,
Bahn
ihrem Auge,
in
ihrer
die dunkle
Grabes gebrochen.
Phantasie eine
Welt jenseits des
So war meine Mut
ter eine Prophetin geworden.
Ihre Leute
—
i4
—
glaubten ihr, weil sie sie liebten: um wie
viel mehr ich! Mir trat die Geisterwelt und die Ewige
kett noch naher, als ihnen allen! Jenseits meiner Wälder lag sie, und die Kluft ge gen Osten schien mir der Eingang dazu. Das Grab hatte gar nichts Schreckliches für mich; der Tod war der schöne Züngr
ling, nicht mit der verlöschenden Fackel, nein, mit der Fackel, die er eben anzün det.
Poetischer
und
ungebundener
kein Kind leben, als ich;
kann
meine Schutz
engel, die unsichtbar um mich schwebten, machten mich kühn zu jedem Wagstück.
Die Feen, die Elfen, die Poltergeister, die im Mondschein ihre Tanze aufführten, wa ren mir nicht fürchterlich.
Ich hörte ru
hig den Zager über mich wegziehen, und schauderte kaum vor dem wüthenden Heer. Zn den Ruinen
eines
alten Klosters
Hausse ich eben so frei, wie Eulen, Adler, und die todten Nonnen und Mönche, die
in weißen lichten Gestalten Abends
Chor besuchten.
das
2(n dem verfallenen- Al
tare, den ich mit Blumen bepflanzte, be-
—
i5
—
teten die Geisterstimmen nicht allein, die Stimme eines Knaben tönte laut mit in
die
leisen
Geistergebete.
Und
ich
wun-
derte mich, daß ich nie deutlicher die Ge stalten der Nonnen sah, als höchstens bei Mondschein in vorüberschwebenden Schat Aber ich sollte sie sehen!
ten.
Ich war zehn Jahre alt.
Wir hatten
die schönste Zeit des Jahres, da ein wun derbares Leben aus der ganzen Natur her-
vordrtngt, da in meiner Pforte der Ewig
keit, einer besseren Welt, die-Sonne roth glühend
Mai.
stand
und verschwand;
es war
Ich hatte mich vor dem Sonnen
aufgange in die Kluft gemacht, aus wel
cher der Strom
hervordrang,
und
ging
längs dem Ufer hin, der Sonne entgegen,
die den Himmel vor mir schon
röthete;
aber der Fluß verschloß mir den Weg mit
seinem
Sturze,
füllte.
Da trat die Sonne hervor, und
der
beide
Felsenwande
warf ihr Bild in den rauschenden Strom,
und ich sah tausend Sonnen, anstatt einer. Nachsinnend,
woher sie käme, wohin
sie ginge, diese Feuerkugel, kehrte ich zu-
i6
—
ruck denke
nach
Dir
dem
—
Kloster;
tinb,
Linden!
meine Empfindung!
Hinter
dem Altare hervor trat eine schlanke, schn-eweiß gekleidete Gestalt,
schön wie einer
meiner Engel, wie die Königin der Feen
ven der mir Jakobine erzählte.
Sie trug
auf ihrem Arme ein Kind, das an ihrem Dusen schlummerte.
Mich schauderte, und
ich wollte mich verbergen; aber die Fee hatte mich gesehen. Sie kam lächelnd auf
mich zu, und sagte, als sie den Schleier über ihr Gesicht Herabgelaffen hatte, mit
einer Stimme, die sich wie der Flötenton der Nachtigall in mein Herz stahl: „Wer
bist Du, Knabe?" Mein Muth war hin, Linden!
Auf
eknmal fielen mir alle die schrecklichen Ge schichten ein, wie die Elfen Kinder rau
ben , und sie unter der Erde, tausend Klaf ter tief, oder in Grotten unter dem Meere
erziehen. Zch schrie vor Angst laut auf. Alle gute Geister! rief ich, meine Hände
faltend. --Ich bin ein guter Geist," sagte die Fee sanft, so sanft, daß ein Theil meiner Angst ver-
i.7. verschwand.
„ Wohnen hier in der Nahe
Menschen?"
Ich zeigte hinunter auf un
ser Haus, dessen Dach aus jungen Buchen
hervorblickte., Sie sah dahin. „Gott Lob!" sagte sie.
„Mein Sohn," fuhr sie noch
sanfter fort, „ich habe dieses Kind gefun
den,
hier im Walde.
anvertrauen? gel seyn?"
Kann ich es Dir
Willst Du des Kindes En Sie breitete ein Tuch auf
das Moos, und legte das schlafende Kind darauf. Ich will sein Engel seyn,
freudig. „Wer bist Du?
sagte
ich
Wohnt nicht dort in
dem Hause ...?" Meine Mutter, fiel
ich
sogleich rin,
die Frau von, Nordstein. „ Gütiger Gott! ” sagte die Erscheinung, und hob beide gefaltene Hände dankend
gen Himmel.
„Du bist der Sohn der
Frau von Nordstein?" Ich heiße Alexander von Nordstein. — Hier legte sie ihre Hand auf mein Haupt, schlug den Schleier zurück, und ich er
staunte vor dieser himmlischen Schönheit. 8« fönt. Emma. I.
3
— Ss
schön
IS
konnte nur
— ein
Engel seyn?
Meine Bewegung war, vor dem Boten
des Himmels zu knteen. Der Engel aber hob mich auf, drückte mich- an das Herz, und sagte, mit zwei Thränen auf den schö nen Wangen:
Kindes!
„sey Du der Engel des
Zch muß wieder hinauf?'
zeigte den Berg hinan;
(Sie
ich verstand den
Himmel.- „-Dringe das Kind Deiner Mut
ter! liebe es! liebe es!" Hier wickelte sie das Kind in das Tuch, küßte es, benetzte
es mit Thränen, legte es dann vorsichtig auf meinen Arm, und belehrte mich, wie
ich es tragen sollte. „Nun geh!" sagte sie.
Zch ging den
Weg nach unserm Hause hinunter, blickte ein paarmal zurück, und sah den himm lischen Engel noch immer am Eingänge der
Ruinen stehen.
Doch auf einmal war er
verschwunden.
Zch blickte in die Höhe;
ein weißes Gewölk zog auf dem raschen
Flügel deü Morgenwindes; eine weiße Taube zückte glänzend im Sonnenstrahl, und verschwand. Mir kehrte der Engel wieder in den Himmel zurück.
19
Derselbe an Denselben. Fortsetzung.
dtg!
war so freudig, so beklommen freudie schöne Stimme des Engels, der
mir erschienen war, tönte noch in meiner
Seele. Die Worte: „liebe das Kind'/' wiederholte ich mir unaufhörlich. So, glühend vor Freude, vor Hast, trat ich
in das Zimmer zu meinen Hausgenossen, Und sagte: der Enget laßt Euch grüßen; und hier schickt er Erich das Kind, das Ihr lieben sollt. Dir soll ich eö bringen,
Mutter I — Zch legte es auf den Schooß
meiner Mutter. Denke Dir das Erstaunen,
das
der
Anblick des Kindes, und meine Worte erregten! Alle blieben erstarrt in ihren Stellungen. Nun mußte ich erzählen wahrend meine Mutter und Iakobine das
Kind untersuchten.
Man fand nichts als
einen Zettel: „Das Kind heißt Emmaei nen simpeln Goldring mit einem veeschlungeneri Nahmen, dessen Züge aber Niemand 2*
20
entziffern konnte, und eine mäßige Summe
Geldes in einem Beutel, der dem Kinde
an das Kleid geheftet war. „Ein Engel sagst Du?" Za wohl, ein Engel! rief ich, meine
Arme ausbreitend; ich werde ja einen En gel von einem Menschen unterscheiden kön
nen!
Ein Engel, und noch schöner als
ein Engel, schneeweiß; flog alles,
um das Gewand
als wollte er eben wieder gen
Himmel steigen. Zakobkne schüttelte den Kopf.'
Das
mag ein schöner Engel gewesen seyn!
Wo
blieb er denn? Nun, wo blieb er? Erst stand er da an der Klosterthür, und sah mir nach, und auf einmal war er im hellen Himmel;
erst wie eine Wolke, dann wie eine weiße Taube, aber viel glänzender: wie der Teich dort, wenn die Sonne darauf scheint, so glänzend! Hier
schüttelten
sie Alle
die
Köpfe.
„Alerander," sagte meine Mutter, „er zähle doch ordentlich. Was sagst Du?
wie fing es an? wie war es?"
21
Zch blieb- bei meiner Aussage, ohne mich
je
zu
verwirren.
Meine Mutter
wußte nicht mehr, was sie denken sollte, da ich von dem Fluge des Engels durch
den Hellen Himmel mit dieser festen Ge wißheit erzählte. Zakobine blieb dabei, daß die Welt doch immer befer würde, daß
es eine Schande wäre,
ein solches
Kind aufzunchmen, daß man sich Sünde dadurch theilhaftig machte.
der
Aber jetzt erwachte das Kind, schlug
die schönen blauen Augen auf,
und sah
rings umher, lächelte mir zu, da ich vor
ihm stand, streichelte meine Wange, und sagte freundlich: „Albert, und Hannchen! wo ist die? Und wer bist Du?" fragte sie
jetzt meine Mutter; „bist Du auch meine Mutter?" Nun hörst Du wohl, Zakobine? rief
ich; denn mir war nichts gewisser, als daß hier Zeichen und Wunder waren. Meine Mutter drückte das Kind an
ihre Brust, und so war nicht weiter die Frage davon, ob man es aufnehmen sollte,
oder nicht.
Zakobine uyd der Bediente
22
süßten es Beide; es war öbopllrt.
Zch
aber sollte das Kind lieben, hatte der En gel gesagt.
Man ließ mir zuletzt den En
gel, weil ich ihn mir nicht abstreiten las
sen wollte, und damit ich Emma desto lieber haben mochte.
„Liebe das Kind!" diese Engelstimme hörte nicht auf in meinem Ohre zu ertönen. Emma war im vierten Zahre, und den noch wurde sie meine beständige Spiel gefährtin,
vorigen
Sie wußte nichts
Zustande,
als
einige
von ihrem
Nahmen:
Albert, die Tante, die Mutter und Hannchen! Es war unmöglich, aus den Wor ten des Kindes etwas zu errathen. Aber das kümmerte uns nicht; wir Hatter; es
um desto lieber, und Emma glaubte, ote sie größer wurde, eben so fest daran, als
ich, baß ein Engel sie mir gebracht hätte,
und daß ich sie lieben sollte.
Wollte ich
nicht thun, was sie wünschte, so warf sie
mir vor:
„weißt Du wohl, Alexander,
was der Engel Dir gesagt hat?" und ich erfüllte mit pochendem Herzen ihren Wunsch.
23 Kein Engel hatte ihr geboten, mich zu
lieben;
aber sie liebte mich unbeschreiblich.
Sie mußte mich lieben. ders seyn wollen!
Wie hatte es an
Morgens ging sie an
meiner Hand in das Kloster; hier lehrte
ich sie lesen. Dann kletterten wir in die Felsen, oder verloren unö in den Wäldern, wo ich jede Kohlerhütte, jeden Ort, wo gehauen wurde,
zu finden wußte.
kein Engel erschien
unö wieder.
Aber
Keine
Fee, keine Nixe, obwohl wir ganze Stun den lang in den dunkelsten Grotten unsre
friedlichen Spiele spielten, worin immer Engel und Geister, Nonnen und Mönche vorkamen. Emma starb tausendmal, oder ich; und dann schmückte ich ihre Leiche, oder sie die meinige, mit Blumen.
Dann
starb ich nach; dann waren wir im Para diese. Ein liebliches Nachtigallenthal, mit wilden Rosen umgränzt, hatten wir zu
unserm Elisium gemacht, und die — S Freund, alle Wahrheiten meiner fol genden Jahre waren nicht so schön, wie diese Täuschungen unsrer glaubenden Kind
heit!
Dieses
Thal
war
ein
Paradies,
—
glaube mir,
und Engel
bewohnten
24
—
ein Paar unschuldige
es.
Ich war vierzehn
Jahre, sie acht, und wir hatten das Be dürfniß noch nie gefühlt, unsre Spiele aufzugeben. Jede neue Idee, die ich aus den Büchern meines Vaters nahm, mußte
sich bequemen, in eine Geistergestalt, umgeformt zu werden.
Wir wurden reicher an
Ideen; - aber der Umfang unsrer Freude, unserer Empfindungen wurde nicht größer.
Das Grab meines Vaters war so gut unser Spielplatz — und ein theurer Spiel
platz! — so gut, wie das lieblichste Thal
voll Blumen, oder die wildeste Felsenpar tie im Gebirge. Iakobinenü Grab sie starb,
die alte-Freundin meiner Mutter,
und zerriß mit ihrem Tode die festeste Le bensfaser ihrer Freundin — wurde eine neue Zugabe zärtlicher Empfindungen für
uns.
Dreine Mutter lächelte.
„Ihr wer
det bald noch an einem andern Grabe spie len,"
sagte
sie prophetisch;
„und dann,
dann ..." — setzte sie traurig hinzu — --werdet ihr Euer Paradies verlassen müs sen.
Ihr werdet sehen, wie jenseits un-
— serer
25
—
eingeschlossenen Welt bke Menschen
sind?'
Sie zeigte in die Schluft, woraus der Fluß hervorstürzte. „Und wie werden die Menschen dort
seyn?" fragte mich Emma nachher, und
zeigte eben dahin. Da flog meine Seele zum ersten Male über den Spielplatz mei ner Kindheit hinaus. Morgen, Emma, sagte ich, wollen wir sehen, was dahinter ist. Am folgenden Morgen früh wander ten wir aus, mit einem kleinen Dorrathe
von Lebensmitteln, was urts juttttfen er* laubt wurde, wenn wir einen ganzen Tag
im Kloster bleiben wollten, wo' wir uns, mit Hülfe des Bedienten, auf dem hohen Chor em enges Zilnmerchen von Steinen erbauet hatten. Wir gingen am Ufer des Flusses, so
weit es sich da gehen ließ; dann erkletter ten wir die Felsen, die sich hoch hinauf thürmten. Ein Paar Adler, erschreckt
durch
das
Geräusch
und
die Menschen
stimmen, welche zum ersten Male ihrem
Sitze nahe -kamen, flogen auf, und zogen
26 still durch das Btau des Himmels in das Unermeßliche.
Wir
gingen nun
wieder
hinunter, erstiegen sanftere Höhen, und er
endlich die Spitze des Gebirges.
reichten
Vor uns lag die Ebene, eine Stadt mit Thürmen, eine Menge Dörfer, und die reiche Ebene, die eben abgeerntet wurde, mit dem Gewühl von Menschen. Da zog zum ersten Male das Gefühl
fcer Welt
in meine Seele,
und ich sah
mit Sehnsucht hinaus in die Ferne voll Menschen, mit meinem scharfen Falken auge, das die reine Luft unserer Höhen so geschärft hatte. Die Stadt und die Thürme, die rothen Dächer und ein See,
gegen den unser Teich ein Tropfen war, lagen vor mir, wie die Pforten der Ehre; ein Postwagen fuhr in der Ebne vorüber
mit
dem
schallenden Posthorn,
und den
tausend Stimmen des Wiederhalls im Ge birge. Zch saß stumm da neben dem Mädchen, das fröhlich die Hande darüber
zusammenschlug, daß sie nun eine Stadt, so viele Thürme und alle Menschen gesehen hatte.
„Aber,"
sagte sie, „Alexander!
—
27
—
es ist doch-schöner bei uns;' so still, so
fromm, so lieb!
Ich möchte nur Einmal dort hin, sagte
ich; und immer fort, Emma! —
Das
sagte ich, - ohne meinen Blick von der Ge
gend wegzuwenden, wohin der Postwagen fuhr.
„Dahin? hin!
Nein, Alexander, nicht da
Siehst Du, wie die 'beiden Adler
wiederkommen zu ihrer kleinen Wohnung
oben auf dem Gebirge?" Ich sah hinauf. Mit stillem Fluge zo gen sie eben über meinem- Kvpfe zurück nach dem Felsen.
O, wäre ich ein Adler,
sagte ich feurig: ich käme Nicht wieder!
„Auch wenn sch Dich so sehr bäte?" Du'flögest mit mir, sagte ich aufsprin
gend, und sie in die Höhe ziehend, als wollte
ich davon.
offnen Arme.
Sie fiel
mir - in die
„Geh nicht! mir zu Liebe
nkcht, Alexander! ", sagte sie fromm. „Laß uns zurückkehren, wie die Adler zu
Neste." Sie zog "mich durch Bitten wie der zurück in unsere Wälder. Aber ich
ging schweigend neben ihr, und das Horn
28 des Postillions tönte, wie
Ehre, in meiner Seele. wiederkämesi,"
der Ruf der
„Und wenn Du
unterbrach sie den Strom
meiner Gedanken, „so fändest Du Emma'S
Grab, und alles ausgestorben, und unfern ParadieSgarten voll Unkraut, und alles — todt.
O, bleib hier, mir zu Liebe, Alexan
der!
Weißt
Du,
daß
der
Engel
sagte, Du solltest mich lieb haben?
Dir
Und
wenn D» von mir weggehst, wie kannst Du mich lieb haben!
ler wieder zurück?
Kam nicht der Ad
Er kann fliegen; und
doch kam er wieder, und verließ seine Sie nicht!" Ihr liebkosend, und mit dem Versprechen,
daß ich sie nicht verlassen wollte, kam ich
unserm Hause nahe.
Der alte Bediente
stürzte mir entgegen.
Der Oheim ist da.
Deines Vaters Bruder, Alexander; sey ja
geschickt, ja recht gut! Denn es ist von dem Glücke Demes ganzen Lebens die Rede.
Emma zitterte, und auch ich fing an zu zittern.
Wir hielten die Hände recht
— 2A fest tn einander gedrückt, und so gingen wir langsam dem Hause zu.
Derselbe an Denselben. Fortsetzung. 3?och die Hände fest in einander gedrückt, traten wir Beide in das Zimmer, und blie
ben stumm und erschreckt auf der Schwelle
stehen;
denn neben meiner Mutter stand
ein Mann,
lang,
aufrecht,
ohne Stolz.
Sein Auge sprühete Feuerflammen.
Die
scharf gebogene Adlernase gab dem Gesicht einen
siegenden
Mund,
Herrscherzug;
aber
der schmal und fein war,
sprechend,
der
nicht
sondern nur denkend, milderte
den Eindruck der herrschenden Nase.
Die
Stirn stieg hoch empor; dann bog sie sich in
einer
schönen Krümmung über.
Der
Ausdruck des ganzen Gesichtes war Kälte,
thellnahmlose Kalte, die ganze Figur sprach nichts als Ruhe. Er war mit meiner Mutter in tiefem
3o Gespräch, als wir eintraten.
Sie wendete
sich zu uns, mit mütterlichex Sorge und Freundlichkeit, um ihren Liebling zu empfeh
len.
Er aber blickte nicht auf uns, ob er
gleich die Bewegung meiner Mutter sah,
sondern hielt seine Augen ruhig auf ihr fest, und redete weiter-
„Da ist er; da ist Alexander!" sagte meine Mutter. Hier sah er mich seitwärts einen Augenblick an.
Das Gesicht drückte
sich in Einem Moment in meine Seele, und auf immer. „Ich empfehle," sagte meine Mutter
sanft und mit Thränen, --meinen Sohn der Liebe seines Oheims, dem Bruder feines
Vaters." Seyn Sie ruhig, Frau Schwester, sagte er, ohne den Ton zu verändern. --Mein seliger Mann," fuhr sie fort,
-»bedauerte von seinem
harten Schicksale
nichts mehr, als den Verlust Ihrer Freund
schaft."
Die hatte er nicht verloren!
„3^ Nahme war das lehte Wort sei ner sterbenden Lippe.
Wende Dich dreist.
—
sagte
3i
—
an Bruder Wilhelm.
er zu mir,
Er haßt mich nicht, auch Dich nicht.
Ich
wagte eS nicht."
Lassen Sie, Frau
ist vorbei.
Das
Schwester! „Und nun sind Sie so gütig! Sie wol len meines Alexanders Vater seyn!"
Noch mehr als das, liebe Schwester. „Es ist ein gutes Kind, sehr gut, sehr fromm, vielleicht zu fromm für die Welt. Sie
worden
lächeln,
wenn
Sie hören,
was alles Raum hat in feinem Kopfe."
Das wird sich finden! „Ich weiß, Sie lieben es nicht, gnädi ger Herr, wenn ein Kind so fromm, im
Glauben an Engel
und Geister,
ausge
nicht!
lassen
wachsen ist."
Das
weiß
ich
Doch
Sie das, liebe Schwester. „Und wüßten Sie, o wüßten Sie,
alles
wie
kam,
mit
meinem
seligen
Manne..." Ich habe Ihnen
nie einen Vorwurf
und jeht,
da das Grab alles
gemacht;
deckt?
Ruhig, liebe Schwester!
32
„O, meine Siebe und meinen Schmerz bedeckt das Grab nicht!" Einst aber. „Auf dieses Einst freue ich mich; denn es giebt mir ewige Hoffnungen, nicht Hoffnungen, die ich erst wieder durch eine Trennung erkaufen muß." Wie fast alles. Darum eben muß man den Kaufpreis nicht in Anschlag bringen. Wahrend dieser Unterredung standen wir, ich und Emma, noch immer auf der Schwelle. Der Nahme „Oheim Wil helm," ten ich gehört hatte, zog meine Aufmerksamkeit noch mehr auf ihn; denn man redete in unserm Hause von diesem Oheim, wie von einem Gotte. Er allein von der Familie hatte mit meinem Bater nicht gebrochen, ob er gleich am meisten von Allen gegen die Heirath gewesen war. Nur hatte er während der drei Jahre, die meines Vaters Ehe dauerte, als Gesandter in Paris, dann in Wien und London zugebracht. Ich sah ihn an. Er trug keinen der vier
33 vielen Orden, die er hatte: sonst nichts, als ein einfaches weißes Kreuz von einer Präbende, die er befaß. Sein Rock war schwarz, ganz' gegen die damalige Sitte; sein Ring ein Solitair von großem Werthe, seine Gürtelschnallen Brillanten. (Das alles sah ich auch nachher immer an ihm.) Meine Mutter zog mich jetzt zu ihm, und, als wären wir Eins, ging Emma an meiner Hand mit. Das ist er, sagte meine Mutter; das Bild seines Vaters. Sehen Sie ihn an, und Sie werden ihn lieben. — Er legte, anstatt etwas zu erwiedern, seine Hand auf meinen Kopf, und nach einer Pause sagte er: „es ist so gut. Madame, hob er dann wieder an. Sie sind so glücklich hier in dieser Italiänisch-Schweizerischen Ge gend, mit ihren Hoffnungen und ihrem Glauben, daß ich Sie fast beneiden möchte, wenn ich nicht wüßte, daß der Mensch sich mit allem behilft, selbst mit der Wahrheit. Sie haben sich nicht an mich gewagt; ich hätte Ihnen anbieten sotten, worauf ein Sterbender sie verwies. Wir fehlten Beide, Lafont, Emma. I. 3
-
34
-
wie das fast immer der Fall ist.
Sie ha-
den die rückständige Pension zu fodern, die wir der Wittwe unsers Bruders schuldig
sind.
Ich will dafür sorgen.
habe ich
Nur Zeit
Er sah nach
nicht lange." —
der Uhr. O mein Gott!
Sie wollen doch nicht
schon heute...? „Werden Sie
morgen
den Schmerz
der Trennung weniger fühlen? diesen Augenblick.
Zch muß
Mein Wagen halt un
ten an den Scheunen." —
Zch will nur erst Wasche und Kleider für das Kind besorgen. „Lassen Sie nur; das ist besorgt. Zch war darauf gefaßt, meine Schwester," (er sah wieder nach derUhr); „und um dem Klei
nen einen unfruchtbaren Schmerz zu er sparen, so lassen Sie uns jeht..." — Er
faßte nach seinem Hute. Nein, gnädiger Herr; mein Sohn soll
Thränen vergießen, wenn er sich von hier
trennt.
Es soll seinem Herzen wehe thun,
wenn er auch nur von einer Blume Ab schied nimmt.
Lange soll der Abschied von
35 seiner Mutter in seiner Seele zittern, und
der Abschied von dem Kinde dort, das seine Spielgefährtin, seine Freundin war.
„Sie
wissen.,
dem
Kinde
ist
der
Schmerz ein Spiel." Das sagte er gar nicht spöttisch, sondern ernsthaft, ruhig.
„ Sie sind eine zärtliche Mutter, zärtlicher als das Leben, das dem Menschen oft grör ßere Schmerzen giebt.
Aber, ich versichere
Ihnen, .meine gute Schwester, meine Zeit
ist gemessen.". Alexander, sagte jetzt meine Mutter, sich
stärkend; du mußt mit Deinem Oheim: er will Dein Vater seyn. Ach! hob Emma weinend an; so muß er fevt? Ach, der Adler kehrte zurück,
Httttter^mit der Sie.
fort?
Und er soll allein
Alexander, mir zu Liebe, bleib!
»Der Adler?"
fragte mein Oheim:
„welcher Adler? Was ist das?"
Ich erzählte. Er sagte: „Es ist Wahr
heit darin! Wahrheit! Doch wir haben nun einmal den sichern Sih auf den schüt zenden Felsen verlassen; und so ..." —
Das sagte er ganz ruhig.
„Wie lange
32
36 wirb es bauern, so sollen Sie ihn wieder-
sehen, meine Schwester."
Hanb zum Weggehen.
Er faßte meine
Da umarmte mich
meine Mutter / da schlang Emma die klei
nen Arme um mich, und
sagte weinend:
Ach, wenn Du wiederkommst, so denke an daö, was ich Dir sagte, so denke daran! Zch weinte; aber des Mannes kalter Blick trieb mich fort. Noch einmal drückte
meine Mutter mich an ihr Herz, noch ein
mal sah ich mich nach Emma um, und.sie waren verschwunden. Das Haus "ver schwand hinter dem Hügel, der unser Pa radies einschloß, und bald verschwand auch der Hügel. Unten hielt ein Wagen mit sechs Pferden und prächtig gekleideten Be
dienten.
Man hob ihn in den Wagen-
mich hinter ihm drein.
Ich setzte mich
auf den sammetnen Sitz, und wir flogen davon, durch Wald und Thal, bis wir die Landstraße erreichten. Zch weinte, und hatte Lust, meinem Oheim zu sagen, wer Emma wäre, warum
ich sie so lieb haben müßte; aber er fragte
nicht nach ihr, oder nach sonst etwas,
Er
3? gab mir ein Tuch, und sagte sanft: „man muß nie Thränen sehen lassen, mein Kind. Man kann über den Schmerz auch lä-
lhein, und das ist eben so gut."
Derselbe an Denselben. Fortsetzung. Das war mein zweiter Oheim, Linden,
aus der dritten Ehe meines Großvaters, und nicht der Oheim et cetera. — Wir kamen am dritten Abend in eine Stadt. In dem Hause, wo wir abtraten, übergab er mich einem Manne, mit den Worten: „Hier ist er! Gerade so wie ich wünschte. Er hat Phantasie genug, um nun auch Geist zu bekommen. Mit einer blühenden
regsamen Phantasie fesselt man die Men schen; mit Geist halt man sie fest.
Summen sind Ihnen gezahlt?
Die
Und man
mag sagen, was man will, Sie bleiben auf dem Wege, den wir Beide für den
einzig richtigen erkannt haben.
Du bist
33 gut, Alexander, und hier ist Dein Freund,
der für Dein Glück sorgen will."
Sie verneigten sich Beide gegeneinander,
und nun war mein Oheim bald verschwun O, wie verlassen stand ich jetzt da!
den.
Herr Negnard,
ein Schweizer, führte
mich in mein Zimmer, vor dessen Pracht ich Mich fürchtete.
Zch bekam einen Bedien
ten, und wurde gut gekleidet. Auch erhielt ich eine Summe Geldes,
mehr als ich je bei
meiner Mutter gesehen hatte,
und Herr
Negnard nannte es mein Taschengeld. Zch fing sogleich Tanzen, Reiten, Fechten an. Französisch sprach
yrein Freund mit mir.
Zch hatte die besten Lehrer, in Sprachen sowohl als in Wissenschaften, und machte,
da ich ehrgeitzig war, schritte.
Feinheit,
sehr schnelle Fort
Man behandelte mich mit aller wie einen Zungling,
und ließ
mir alle mögliche Freiheit; daher betrug
ich mich
denn
auch, wie ein Züngling.
Mein Lehrer, ein Mann von vierzig Zäh
ren, hatte die feinsten Sitten, und behan
delte
mich mehr wie seinen Freund, als
wie seinen Schüler.
Zch hatte schon die
39 allertiefste Ehrfurcht für de« Charakter und
den Geist meines Oheims, und er erfüllte mich gegen sich mit eben der Ehrfurcht. Zn seiner Begleitung besuchte ich die
größten Gesellschaften, ein paar Male sogar den Hof des Fürsten, der hier residirte.
„Sie sind für eine Laufbahn bestimmt, Herr von Nordstein, wo Ihnen die Ge sellschaften und unsre Hofbesuche minder ein Vergnügen, als eine Schule seyn müs
sen, wie Sie den Menschen behandeln sol len."
Das wiederholte er mir sehr oft.
Mein Oheim kam ein paar Mat.
sah mich, und war zufrieden.
Er
Auf seinem
Befehl mußte ich einige Stunden auf der Rltterakadcmie besuchen, die hier errichtet war.
Zch hatte Geld genug, eö mit eini
gen jungen Engländern aufzunehmen, die hier studierten. Man gab mir, als ich sechzehn Zahre erreicht hatte, eine größere Wohnung, Equipage, Reitpferde.
Ich war
mein eigner Herr, oder merkte doch die Fesseln nicht, die man mir angelegt hatte.
Aber alles das, ach, alles das war den noch kein Ersatz für mein Paradies, für
—
4o
—
In den stillen
meine Spiele mit Emma.
Stunden des Alleinseynö dachte immer nach Hause.
ich doch
Meine Mutter schrieb
mir, aber so, daß ich wohl sah, sie wollte
mir
ihr Herz
Zch
nicht offnen.
schrieb
noch weniger an sie; denn meine Briefe gingen durch Hande, von denen ich fürch tete, sie mochten meines Herzens, meiner
Träume,
meiner Thränen spotten.
Der
Nahme Emma wurde in den Briefen- mei
ner
Mutter kaum
noch
genannt.
weniger» das .Herz
Ich
sie
hatte
zu nennen;
aber vergessen batte ich sie nicht. Zn einer schönen Stunde erzählte ich
einmal
Herrn Regnard
meiner Zugend.
Scene',aus
eine
„Das Mährchen," sagte
er, „man mag es hören,
aus welchem
Munde man will, ist doch immer ein lieb
liches Mahrcben; aber"— und dabei fuhr er mit der Hand schmeichelnd Gesicht — „ Sie erzählen es, versucht werden könnte,
redeten in Ernst davon.
über mein
daß man
zu glauben,
Sie
Jedes Alter hat
seine Mährchen; man thut wohl, sich nicht darin zu vergreifen, lieber Nordstein. Das
-
4i
-
Leben ist ohnehin wie ein Roman, der mit Zaubereien und prächtigen Worten anfangs und am Ende mit der Auflösung schließt.
Die Zaubereien waren
nichts
als Täu-
schungen. ’’ Ich schwieg. — O, diese Täuschungen,
Linden,
find doch mehr werth, ale alles,
was man mir nachher als Wahrheit ge
boten hat. —
Mein Oheim war mir noch theurer, weit theurer, als Regnard, ob er gleich kälter war. Regnard konnte verspotten,
was »mein Oheim nur - nicht achtete. Dieser hatte das Glück im Leben gesucht, nur ein zu hohes; er hatte dem Leben eine
Tugend abgefodert, die ein Ideal war. So verfolgt von dem Unglück, und betro-
gen von Menschen, denen er trauete, wen
dete er sich von dem Leben ab, und von
den Menschen, gend.
aber nicht von der Tu
Er foderte sie noch immer am mei
sten von sich selbst; und wenn er sie nicht mehr auf die Unsterblichkeit unseres Geistes gründete, so hielt er sie dennoch fest, und gründete sie verzweifelnd, und doch
edel.
—
42
—
auf Nothwendigkeit,
auf das Muck des
Menschengeschlechtes.
Bei Regnard war,
fürchte ich, die Tugend nichts, als ein fei
ner Genuß, bei dem nur das
Gewissen
keine Stimme haben sollte. Je näher ich
an meinen Oheim trat,
mehr mußte ich
desto
schmerzlich
lieben,
lieben,
ihn
aber doch
zwar
lieben.
Er
stand über den Ruinen aller seiner Hoff nungen,
über
den Ruinen
Seynö, aufrecht und edel.
des
ewigen
Zn den Men«
schen sah er nichts als die Blüthen eines Baums.
Es lag ihm nichts daran, welche
Tausende fielen, um den Früchten Platz zu
machen; aber die Blüthen sollten doch duf
ten
und den Baum zieren, obgleich nur
der Daum dauert, wie das
Geschlecht
der Menschen, nicht der einzelne Mensch.
O Linden, je mehr ich ihn kennen lern te, desto mehr mußte ich ihn lieben, desto inniger hängte ich mich an sein Herz, ob
wohl stumm, obwohl nur mit verschlossener
Brust.
Zn Regnard achtete ich den feinen
Weltmann; aber ich liebte ihn nicht. Da kam er, mein Oheim, wieder.
Er
-
43
--
sah- mich ruhig an, legte die Hand zwei Mal auf meine Stirn, und sagte dann
langsam: „Es ist gut, daß der Mensch den
größten Schmer; bezähmen lernt; wie will er sonst den Menschen bezähmen, wenn
nicht sich selbst?
Alexander.
Deine Mutter ist todt,
Ihr langer Gram um Dei
nen Vater hat den letzten Faden des Le
bens vor der Zeit abgerieben." Da stürzte ich zu seinen Füßen nieder, mit
dem lauten Geschrei des kindlichen
Herzens: O, meine Mutter, meine Mutter! hatte ich dich nur noch einmal gesehen! Ach, ich fürchte, auch die Trennung von
mir.... „Das
ist zwar kindlich,
aber nicht wahr.
eine lange Leberkrankheit,
mußte.
Alexander,
Ihren Tod verursachte die so enden
Sie war zufrieden mit Dir und
Deinem Zustande. Ich bot ihr an, ob sie dich sehen wollte; sie fürchtete aber Dei
nen zu großen Schmerz, und schlug es mütterlich aus. Der Sohn ehrt seine Mutter am besten,
nachahmt. ”
wenn er ihr Opfer
Ich ging in ein Nebenzimmer, um dort
meinem
tiefen
Schmerze
nachzuhangen.
Da fiel mir Emma ein, jetzt aber mit un
endlicher Angst. nem Oheim.
Ich stürzte wieder zu mei
Wo ist denn der alte Freund der Bediente
meiner Mutter geblieben?
meines Vaters?
„Du hast gewiß nichts dagegen, daß ich ihm das Häuschen und das alles dort
geschenkt habe.
Er war der Freund Dei
ner Mutter, wahrlich!" Und,
liebster Oheim,
wo ist denn das
Mädchen geblieben das...? — Die Klei
ne; o, Sie erinnern sich noch. „Nein; aber vermuthlich bei dem Be dienten.
War
eö
etwas Besonders
mit
dem Kinde, so rede." Zch glaubte fest, Linden, daß Emma bei dem alten Ludwig in unserm Paradiese geblieben wäre, und so war es gut.
Was
mir den Mund verschloß,
wußte ich selbst
ich schwieg aber,
und nahm mir
nicht;
vor, dem alten Ludwig zu schreiben, daß er
Emma bei sich behalten sollte. Mein Oheim reiste sogleich wieder ab,
-
45
--
und Ich setzte mich noch iu dec-Nacht 'nie
der,
um an den Bedienten zu
Zch legte die Feder hin,
schreiben.
und schrieb dann
ein paar Worte, mehr an Emma, als an den
Bedienten.
Nach
und
wurde,
nach
meine Kinderzeit so lebendig in mir.
Mir
fiel der Adler ein, wie er wieder zu seinem Neste zucückkehrte; auch dachte ich an Em-
ma's
letzte
Worte:
„wenn Du
wieder
kommst, so findest Du Emma's Grab, und alles
auögestorben."
Zch
sah, wie
das
Kind mit dem frommen Gesichte vor mir
stand.-und mir Dorwürfe machte, .daß ich aufgehort hatte, es zu lieben.
Das alles
überfiel mich so heftig, so auf einmal, daß
ich nicht mehr widerstehen konnte, und mir vornahm, Emma wiederzusehen. Freiheit
genug,
diese Reise
Zch hatte zu
fodern.
Regnard würde nicht Nein gesagt haben;
aber
ich
befürchtete seine Begleitung
das Heiligthum meiner Zugend. schloß allein zu reisen,
in
.Zch be
was es auch kosten
möchte, und legte mich xuhiger nieder.
—
46
—
Derselbe an Denselben. Fortsetzung.
9tegnavb
hatte für den nächsten Morgen
eine Partie.
Ich schlug es ab, dabei zu
seyn; steckte Geld ein, etwas Wasche, und machte mich so üuf den Weg nach
nächsten Dorfe.
Hier miethete
dem
ich einen
Bauerwagen bis zur nächsten Poststation.
Da nahm ich Postpferde, und nun
ging
Den folgen
meine Reise rasch vorwärts.
den Tag schrieb ich an Regnard: er möch
te unbesorgt seyn; ich wollte meiner Mut ter Grab besuchen, und zwar ohne Zeugen. Nachkommen konnte er nicht; denn er wußte
kaum den Nahmen des Oertchens, wo ineine
Mutter gewohnt hatte.
O,
Linden!
endlich
nächste Städtchen.
erreichte ich
Wagen, und trat sogleich rung zu Fuß an.
meine Wande
Da lagen
vor mir, die dunkeln Wälder.
die Höhen
Nun konnte
ich die einzelnen Felsen unterscheiden, sah ich von weitem
das
Ich sprang aus dem
schon
nun
das Häuschen
47 meiner Mutter; und das junge Herz pochte
gewaltig. Ich stieg hoher, und immer höher,zwischen den Thälern und Bachen,.dir wohlbekannten Wege hinan. Alles war still, die Ge
gend wie ausgestorben.
Ich trat in das
Thal, das unser Paradies umschloß.
Da
stand keine Blume mehr, die wir gepflanzt hatten; alles lag begraben unter Nesseln und Disteln. Ich eilte mit Furcht zu dem Häuschen hin. Emma! rief ich: Emma! Keine Stim
me antwortete mir.
Das Haus war ver
schlossen, der Garten war verändert; an statt unserer Blumen,.- unserer Gebüsche trug er Küchengewächse.
Zch eilte an das
Grab meines Bakers, und fand
daneben
noch itinss, meiner Mutter Grab.
Es war
mit Blumen bepflanzt gewesen; aber nichts war erhalten:
rief ich.
alles
Hand
feindlichen
von
einer
verwahrloste.
fremden Emma!
Der Wiederhall auf den Felsen
antwortete
mir;
aber
nicht
Emma'ü
Stimme.
Endlich zeigte sich ein fremder Mann. O, mein Freund! sagte ich, wo ist Emma
-
-
48
Wer ist der Eigenthümer- die
geblieben? ses Hauses?
„Dec bin ich^"-antwortete der Mann.
Gott! rief ich; wo ist denn der alte Mann, und ein junges Mädchen ungefähr
von eilf Jahren geblieben, die Hier wdhn-
tCil? „ Der Bediente der Fran von Nord
stein, und ihre Tochter?
ich nicht.
Ja, das weiß
Ich habe das Haus und alles
dazu gekauft. Der Alte zog mit dem jun gen Mädchen von hier weg."
Wohin? — Diese Frage that ich zitternd.
„Das hat er mir nicht gesagt, und
niemand weiß eß. ” La wendete ich mich ab, Linden, fal tete die Hände, und sagte weinend: o du härtest Recht, Emma!
Alles finde ich aus
gestorben wieder.. Dieses ParadleS ist un-
tergezangen; du, du bist dahin! Und fände ich doch wenigstens nur dein Grab,
wie du sagtest!
Ich gab mich dem Besitzer des Hau
ses zu erkennen, und bezahlte ihn reichlich für die Erlaubniß, einige Tage in dem Hause
49 Hause meiner Mutter wohnen zu dürfen.
Finster durchstrich
Zugend.
Ich
ich das Land
meiner
besuchte noch einmal die
Schlust, wo wir zuletzt saßen.
Das Paar
Adler zog fort, und kam nach einer Stunde wieder zurück zu Neste. Und ich, sagte ich, ihrem stillen Zuge durch die Luft nach
sehend : und ich habe dich auf ewig verlo
ren, Emma! Noch einmal warf ich mich auf das Grab meiner Mutter, nahm auf ewig von
meinem Paradiese Abschied, und ging stumm
hinunter, den Weg nach der Ebene.
sah mich um.
O!
Zch
du heiliges
rief ich,
Land, nie werde ich dich vergessen, und nie, Emma, dich! du theures Kmd, das der Himmel mir anvertraute, und das ich verlassen habe! Als ich zurückkam, machte mir Negnard, der in großer Unruhe gewesen war, die bittersten Vorwürfe. Warum redeten Sie
nicht? Wir wären zusamnren gereis't.
O, Herr Negnard, wenn ein Sohn auf dem Grabe der Mutter, wenn ein Mensch auf
dem Grabe
Pafoiit Emma. L
seiner
untergegangenen
4
5o Glückseligkeit trauern will, bedarf er kei
nes Zuschauers.
Der Schmerz um das
verlorne Paradies ist ein Schauspiel, das man keinem Auge, auch nicht eines Freun
des, Preis geben kann.
Ach, die Nacht
war mir kaum dunkel, still und verschwie gen genug zu meinem Schmerze, den Sie
nicht kennen, den Sie nur belächeln. „ Verdient ein Ding, das so vergäng lich ist, wie der menschliche Schmerz, eine andere Theilnahme, als ein sanftes Lä
cheln?" Ist die Freude nicht eben so vergäng
lich, wie der Schmerz? sagte ich bitter; und Sie nehmen dennoch besseren Antheil
daran.
„Und finden
Sie keinen Unterschied
zwischen Freude und Schmerz, mein jun ger Freund?"
Den, daß der Schmerz das menschlicher erhält, als die Freude.
Herz Aber
weiß ich doch, daß Ihnen die Menschlich keit nicht mehr ist, als eine fein berechnete
Klugheitöregel; und so lassen Sie das!
--Ich habe Ihrem Oheim Ihre Flucht
—
5i
—
geschrieben; denn in der That vermuthete
ich etwas Uebles, ehe ich Ihren Brief bei kam. Ich erwarte ihn heute. Mich dünkt, lieber Nordstein, Sie werden einen Übeln
Stand haben.
Er Liebt dergleichen Excen-
tritaten nicht, eben so wenig wie ich.
Mein Oheim kam. Ich sprang ihm an den Wagen entgegen, und führte ihn in das Zimmer. Negnard sah so listig aus, daß ich ihn fürchtete. Lieber Oheim, fing ich an; ich habe das Grab meiner Mutter Hier drangen wieder heiße Thrä
besucht.
nen aus meinen Augen. „Es ist gut, Alexander," sagte er ru hig. --Die Jugend muß. auf dem einzelnen Grabe trauern, ob wir gleich früh lernen
sollten, daß ganze Menschengeschlechter in einem großen Grabe ruhen; daß die Mi
nute, wie an Deinem Leben, auch an dem Leben der Welt nagt; daß die dunkle Nacht, die immer auf dich zuschreitet, mit
ihrem Dunkel auch auf die Sonne zuschreitet; daß der Gbttertag der Hindu, mein Sohn, nicht mehr ist, als einer unserer Tage,
oder die Sekunde der Ephemere; daß alles 4a
52 Eins ist.
Wir sollten früh lernen, die Zeit
von hinten zu messen, von jetzt zurück, -wo
hundert Jahre so viel sind, wie eine Mi nute; und nicht von jetzt vorwärts, wo un sere Hoffnung die Augenblicke zu Götter
tagen ausdehnt, — um zu handeln, und nicht zu trauern.
Es ist gut!
Du bist
gut” Und fanden Sie den Alten noch, und das Mädchen noch? fragte Regnard listig.
Mein Oheim fuhr fort:
„Es ist gut,
daß das Kind der sterbenden Blume eine Thräne mit in's Grab giebt. Spott dar über ist leicht; aber verdient das Spott: — verdient dann alles, was das Herz bewegt, ihn weniger? Es ist gut; und begleitet eine Gestalt aus dem ersten, dem süßesten Traume des Lebens den Menschen lange über die öden Sandwüsten des Alters, so
ist das ein Glück,
wenn er nur nicht ver
gißt, daß Handeln mehr ist, als Lieben." — Mich dünkt, er sagte das mehr für Re-
gnard, als für mich. Niemand fragte weiter nach Emma; und ich erzählte freiwillig, daß ich sie nicht
53 gefunden hätte.
Das sagte ich in einem
kalten Tone; aber mein Herz war dabei
voll Schmerz. Mein Oheim machte Am statten zu einer andern Lebensart für mich, und reiste wieder ab. Ich durchzog mit Regnard erst Deutsch land, dann die Schweiz, dann Italien und
dann Frankreich.
(Holland sollte ich nicht
sehen; denn mein Oheim haßte nichts mehr,
atü das Geldsammeln.) Nun gingen wir nach England, und blieben dort am läng sten. Jetzt sah ich, warum Regnard mein Begleiter seyn mußte. §r kannte die Län
der genau, und hatte überall Verbindun
gen unter den gebildetsten Menschen. Nach drei Jahren kamen wir nach Deutschland zurück. Regnards Umgang und Kenntnisse
waren mir sehr nützlich; aber ich hatte ihn nicht liebgewonnen, und sagte das meinem
Oheim.
„Mußt Du denn das, Alexander?" fragte er finster. „Kannst Du nicht nüt zen, was gut an der Sache ist?
Es
ist
sogar besser, mit Menschen zu leben, die wir nicht lieben, da es Unterhaltung giebt,
54 zu ordnen, was nicht paßt. —
Und was
ist denn lieben, gleichgültig.
fragte er
Alexander?"
O, theurer Oheim, rief ich: Liebe ist das Licht des Lebens, das einzige Wahre, das
Leben im Grabe, der Grund alles Guten und Edeln, der Bürge der Ankunft. „Wer das bedarf, der muß freilich so sagen, und es Ist gilt, wenn er so fühlt;
aber ich könnte sogar sagen, es gebe noch eine erhabnere Ansicht des Lebens, Alexan der, wo das alles nicht wäre, wo der Mensch das für ein Mahrchen hielte, was
Du da nanntest, und dennoch das Gute wollte. Das hängt indessen nicht so sehr von diesem Glauben ab, und vom Unglau
ben, als von Gewohnheit; und so ist die Erziehung das Beste." O, mein theurer, theurer, unglücklicher Oheim! rief ich, meine Arme nm seine Schultern schlagend; wie viel Unglück mußte dazu gehören, eine Seele, wie die Zhrige, so... Er sah mich kalt an. „ Warum Un glück? Kein System, Alexander, von allen
55 keine, (off die Fesseln, womit der Mensch an das Leben geheftet ist.
Wir alle tragen
die Last: viele, wie hier zu Lande die Mäd
chen, auf der Scheitel aufrecht; viele, wie die Thiere gekrümmt, auf dem Rücken.
Warum gerade Unglück?
Eine Art zu
denken, kann eben das bewirken, was Du eben dem Unglück zufchriebst. Es ist alles
Eins,
Alexander;
und Dein Feuer wird
wohl noch minder lodern, und mehr er wärmen. ” —
Er brach ab.
Doch, Linden, diese Kalte
meines Oheims war es eben, welche die Flamme in meinem Herzen, die Flamme der Begeisterung, immer lebendig erhielt.
Ich liebte ihn immer mehr, ich liebte die
Tugend mehr; ich gelobte mir selbst, sei nen Befehlen unbedingt zu folgen: denn umsonst wurde ich nicht so erzogen.
Vier Wochen nach dieser Unterredung nahm Regnard Abschied von mir.
Er er
hielt von meinem Oheim eine reiche Pen sion auf Lebenszeit. „Ich vertraue die Zü gel über dich
dir selbst
an,"
sagte er.
„Du hast es gewünscht, Alexander; und eö
—/ 56
gedeihet nichts im Menschen, als was der eigene Wille pflegt.
Ich reise mit dem
Prinzen von *5* nach Italien. Von dort werde ich Dir schreiben, und ich wünschte,
daß Du uns in Rom trafest.
Der Prinz
ist in Deinem Alter, stolz, sehr stolz.
Du
wirst, denke ich, die Ehrerbietung, die man einem Prinzen erweist, nicht für mehr an
sehen, als sie bedeutet, nicht für Kriechen. Fasse ein edles Ziel über dem Prinzen in
die Augen, Alexander; und die unteren Stufen seines Färstenstuhls und die Ach
tung, die Du ihm erweisest, scheinen Dir nichts, gar nichts. Ein verächtlicher Schmeichler ist nur der, der über dem Für sten nichts Höheres kennt, und sich vor ihm selbst bückt. Ich bücke mich vor mei
ner eigenen Idee, die ich ausführen will; was kümmert mich des Prinzen Lächeln! Doch Du wirst mich wohl noch verstehen
lernen.
In Rom werden wir einander
Wiedersehen. Deinen
Laß nur in meinem Hause
Aufenthalt
bekannt
seyn,
Ale
xander?'
Hier hatte mein Oheim den ersten Vor-
Hang von meinem Leben weggezogen.
Ich
sah, wozu ich bestimmt werden konnte, und zitterte davor.
Mein Oheim lebte als Pri
vatmann am Hofe des Fürsten *g*. Ohne
sein Günstling zu seyn,
hatte er sich den
noch eine solche Gewalt über sein Herz er worben,
daß
alles vor dem Manne
terte, der immer ruhig und
kalt
zit
an den
Stufen des Thrones stand, und nie etwas für sich, immer nur für das Land for derte.
Zu stürzen war
gar nicht;
der Mann
nicht,
denn Niemand begriff, wie es
zuging: der Günstling des Fürsten oder die Geliebte waren entweder, oder wurden seine
Freunde; und, noch mehr, er bediente sich
der Gewalt, die er über das Herz des Für sten in den Zwischenräumen des Wechsels
mit den Günstlingen hatte, niemals, einen Mann zu stürzen, wenn dieser auch seinen Planen im Wege stand,
sondern er fand
Mittel, die bedeutenden Manner im Staat einen nach dem andern an sich zu ziehen.
Ob er gleich sehr strenge für sich selbst
war, und nie ein Geschenk des Fürsten, als höchstens
einen Orden
und Kleinigkeiten,
56 angenommen hatte, so sagten doch Einige,
die ihn genau kennen wollten, er sey so Er könne bei
istrenge nicht gegen Andere. mancher
Ungerechtigkeit
die
Augen
ver-
schließen, um den Ungerechten selbst zu be
herrschen.
Man hatte schon seit zwanzig
Zähren gehofft, den 'letzten Plan, den er
Haben konnte, zu erblicken; doch endlich mußte man es aufgcben, zu glauben, daß er überall einen Plan habe. Er stand da
auf den fürstlichen Sälen, wie eine fremde, rälhselhafte Geistergestalt,
die jedem mit
ihrem kalten, ruhigen Anblicke zum Erstar ren brachte; auch der Fürst liebte ihn nicht, aber er achtete ihn ungemein. Doch war, seitdem er in des Fürsten
Cabinet aus- und einging, das Land so blühend gewesen, wie noch nie, ob er gleich gar nichts
daran zu thun schien.
Die
Schulen waren vortrefflich, und verdiente Männer stiegen wenigstens in den unteren
Posten des Staats.
Er mischte sich in
nichts, war gar oft abwesend, und ließ zu weilen einen verdienten Mann fallen, wenn
ein Minister das Opfer durchaus verlangte,
— 59
-
wo er ihn vielleicht hätte retten können. Er ist ein Geisterseher! sagten Einige, und er schwieg dazu. Er ist ein Tropf! sagten Andere, ohne daß er mehr that als schwei gen. Einige Minister wollten ihm sogar die Manier adlernen, und nachahmen, wo mit er sich dem Fürsten so nothwendig machte; aber sie fielen. Man fürchtete ihn, ob er gleich nie einem Menschen un mittelbar geschadet hatte. Zch hatte nie, nie die Residenz besu chen dürfen, wo er wohnte. „Wenn es Zeit ist!" sagte er, so ost ich ihn um die Erlaubniß dazu bat; „wenn es Zeit ist!" Er reiste ab, und ich blieb in der Stadt, wo ich lebte, durch sein Ansehen mit dem Hofe in Verbindung. Mein Leben ging angenehm hin.
6o
Derselbe an Denselben. Fortsetzung. O, Linden,
jetzt fühlte ich mit überströ
mendem Herzen, was es heißt, seine Frei
heit haben!
Zch streckte meine Arme aus,
dehnte mich, sprang empor, wie ein Mensch,
der lange in Fesseln gesessen hat; wie ein Vogel, der aus dem engen Bauer ent wischt ist, den Flügel auödehnt, und, ehe er sich aufschwingt, erst wieder die gelahm ten Flügel prüft, ob sie ihn noch in sein
freies Element empor tragen werden. Bis dahin hatte ich nicht gemerkt, wie sehr mich dieser Regnard zu einem Sklaven gemacht hatte; jetzt fühlte ich es an dem feinen
Vergnügen, das durch meine Seele drang, an der Heiterkeit, die mich belebte, und an dem Entschlüsse, auf dem ich immer brü
tete, so lange Regnard sich bei mir be fand, nach Waldweiler zu reisen, .und den
ich jetzt, da ich frei war, bis auf das her an nahende Frühjahr verwarf, gleichsam
6c um mit meinem Oheim, der mich nicht be
schränkte, einen festen Frieden zu schließen.
als die erste Nachtigall schlug,
Doch
da war auch kein Haltens mehr.
Ich be
schloß, wenigstens vierzehn Tage in meiner glücklichen Unschuldswelt bei den Gräbern
meiner Eltern zu bleiben.
Nur Einen Be
dienten, von meinem Alter, und der mir
völlig ergeben war, (denn, die anderen hat ten, das
wußte ich von diesem,
in Re-
gnard's Solde gestanden) — diesen Einen nur nahm ich mit mir.
Wagen und Pferde ließ ich im letzten Dorfe, und so ging ich hinauf nach Wald
weiler. ses.
Ich suchte den Besitzer des Hau
Er, den ich das vorige Mal reichlich
belohnt hatte, nahm mich freundlich in mei nem väterlichen Haufe auf. Der alte
Mann war schon das erste Mal erstaunt, als er mich meine Wirthschaft in der Ge gend treiben sah. Jetzt lächelte er, und
nickte mit dem Kopfe, als wollte er sagen,
er. wisse nun wohl, wo es mir fehle. Lieber Vater, sagte ich; Er lächelt über meine Liebe für das Häuschen ♦..
62
„itäh nein; nun nicht mehr, seit dem Herbst," antwortete er. Seit dem Herbst? wie so? „Seit die junge Mamsell hier gewesen ist, sehe ich ganz hell." Die junge Mamsell? Um Gottes wil len! wer? welche? „3a, wie sie heißt, das vergißt unser einer. Aber sehen Sie doch nur hin, nur dorthin." Er zeigte hinter mich hin. Ich sprang erblassend auf, weil ich dachte, Emma stände hinter mir. „Dort an die Wand sehen Sie doch nur!" rief er. Mit Bleistift war an die Wand ge schrieben „So lebe wohl! lebe wohl, mein Paradies, von dem ich mein Herz niemals losreißen werde. Niemals! Hier war ich glücklich, hier allein! O, der Adler kehrt zu seinem Felsen zurück. Auch.ich kehrte zurück; aber allein! ach, allein! Auch Ec allein! Wir sagten nicht zusammen dem lieben Thäte Lebewohl! Eine Welt liegt zwischen uns, ein Leben. O, so lebe wohl.
—
Du, und Alle?
63
—
und
laßt
mich einsam-
sterben!" Das las ich, Linden, von Emma's Hand-
geschricben.
Meine Augen blieben fest auf
diese Worte' geheftet, bis ich gefaßt genug
war, dem Manne die Sache abfragen zu können, ohne meinen Schmerz gar zu sehr zu zeigen.
Er erzählte mir, Emma wäre
im Herbste mit dem altert Bedienten hier
gewesen, nur auf einige Tage, und hatte
getrieben, was er mich hatte treiben sehen. Der Alte war fast immer an den beiden
Grabern gewesen; Emma hatte ihre Zeit
oben im Kloster, in unserem Paradiese zu
gebracht, und die Kluft besucht, die Pfor te der aufgehenden Sonne.
„Die großen blauen Augen," sagte der Mann, „standen fast immer voll Thränen,
wenn sie kam und wenn sie ging. Und nie habe ich ein vergnügteres Gesicht ge
sehen, als da ich ihr erzählte, Sie wären auch hier gewesen.
Da wollte sie wissen,
was Sie gesagt, wo Sie gestanden, wo Sie gesessen und welche Orte Sie besucht O, lieber Herr, blind bin ich nicht.
hätten.
- 64 Zch wollte sagep, es sey eine Schwester ge wesen; aber für eine Schwester war eö zu viel. ” Das, Linden, erzählte wir der Mann
mit einer Theilnahme, die ich dem alten Gesichte voll Runzeln nicht zugetrauet Hatte. ich wendete
Aber
mich
wieder
zu
der
Stelle, auf welche Emma'ö Hand geschrie ben hatte. Es war mir unmöglich, das
Paradies meinerLugend, und diesen Brief, diesen zärtlichen Brief an mich, in den
Händen eines Fremden zu
lassen.
Zch
handelte mit ihm um das Häuschen, kaufte, es zurück, und gab ihm für eine Kleinig
keit den Nutzen von Haus und Acker, mit der Bedingung, er sollte das Zimmer, die Wand mit Emma's Worten, das Para dies und die Gräber meiner Eltern unan getastet lassen.
Mitten in dem Thäte, das unser Pa radies gewesen war,
ließ ich einen Altar
mit der Ausschrsst errichten:
nen,
„Dem schö
versunkenen Paradiese meiner Ju
gend!"
Drunter schrieb ich, in die Au
genfallend: „ich kehrte wieder, aber allein! O,
65 O du,
Geschenk der Engel,
warum weiß
ich nicht, wo Du bist!" Emma war nur einige Tage hier ge
wesen,
und matt hatte dem Manne nicht
gesagt, wo sie lebte, ob in der Nahe, oder in der Ferne.
Zch fragte bei allen mei
nen alten Bekannten, den Holzhauern, den
Kohlenbrennern.
Emma war bei allen ge
wesen; sie hatte aber von allen auf immer Abschied genommen.
Noch einmal setzte ich mich an den Al tar, den ich erbauet hatte.
Meines Oheims
Plane mit mir sielen mir ein,
und
was
ich selbst wollte
die
heiße
und wünschte:
Sehnsucht nach diesem liebenden Herzen, und die Freude, dieses Leben zu beglücken, das
ohne
mußte.
mich
Aber
dahin
rinnen
zitterte nicht.
Mein
freudenlos
ich
Herz war rein genug, den Himmel an die Erde zu knüpfen,
die Liebe auf den Ehr-
geih zu impfen, in meinem kleinen Para diese, das der Altar füllte, und das eben
groß genug war für die Spiele zweier un
schuldigen Kinder, die Riesenpiramyde des Lebens, das mein Oheim für mich gewählt
Lafont. Emma. I.
5
66 hatte, aufführen zu wollen.
O, Zhr schö
nen ?tugenbltcke des Lebens, wo dem jun
gen Herzen keine Tugend zu groß, wo das
Leben, selbst das allmächtige Schicksal, dem Willen des Jünglings Unterthan ist!
Es schien mir, als wüßte sie den Plan
meines Oheims; denn was sollten die Worte
bedeuten, sagte ich zu mir selbst, die sie ge schrieben hat?
„Eine Welt liegt zwischen
Nein, Emma! sagte ich
uns, ein Leben." laut;
nein,
nichts
muß mich je von Dir
trennen! nichts! Dich trage ich in meinem Herzen, wie ein Geschenk des
Himmels,
was Du auch bist, thrure Emma.
O, ver
gesse ich Dich je unter dem thörichten Ge räusche des Lebens, unter den jauchzenden
Stimmen des Ruhms, unter dem Geschrei
der Freude, Deine Stimme der Liebe, deine demüthige Gestalt, deine leisen Seufzer; o, so trete der Schmerz mit sei
ner Geißel
an
meine Seite,
Schande mit ihrem Hohnlachen,
und
die
und die
Neue mit ihrem Diperzahn falle an meine
Seele, daß ich meine Unschuld verlor, und
—
6?
—
die himmlische Pracht Meines Lebens, dich,
Emma, dich! Das sagte ich laut; und wäre mein
Oheim zehn Schritte von mir gewesen, ich würde eö dennoch eben, so laut gesagt ha
ben.
Zch knieete an dem Altare, ich nahm
den Bleistift und, mit einem Blick in die Wolken, sagte ich, ehe ich schrieb: Alle ihr Machte des Himmels, die ihr über Liebe
und Unschuld waltet, seht auf diese Minute, herab, die mein Leben entscheidet!
Dann schrieb ich mit zitternder Hand: „Alles ist entschieden. Keine Welt
trennt unö, kein Leben. Zweifle nicht! Sie kamen in stillem Fluge zurück. O, zweifle nicht k Wo bist du?"
Als ich^dieü geschrieben hatte, stand ich entschlossen auf, entschlossen, voll Muth,
frei von allen Ketten, außer der Einen, die ich mir selbst angelegt hatte, frei von
meinem Oheim; doch entschlossener als je,
ihm zu gehorchen, nur in Einem nicht, wenn er mir das beföhle. Ich verließ das Thal, fuhr zurück.
-be
machte mich auf die Reise nach Italien, und kam nach Rom.
Derselbe an Denselben. Fortsetzung. Äch zog in das Hotel, das für meinen
Oheim gemiethet war. her.
Er kam bald nach
Mein Entschluß hatte mir eine Unab
hängigkeit gegeben, die selbst vor dem durch
dringend scharfen Blicke meines Oheims rein blieb. Ich war mündig geworden, Linden, wie
der Mann es immer wird,
wenn er einen Entschluß gefaßt hat, der den Menschen, der Gewalt, dem Schicksale die Macht nimmt, den Gang des Lebens zu ändern. Ich konnte alles erfüllen, was
man von mir foderte; ich konnte der Thor
heit meine Opfer bringen, da sie mich nicht
entehrten. Es war nichts als ein Spiet. Wie ein König waltete ich in einer Welt,
die ganz mir gehörte, mir selbst, meinem Herzen.
Ich war froh, ich war glücklich!
—
OZ
—
Mein Oheim ssogar fand mich anders und besser. Er sprach vertrauter mit mir, als sonst, von seinem Plane. „Ich wünsch
te, Alexander, ” sagte er, „Du könntest das
Vertrauen des Prinzen mit seiner Achtung gewinnen. Er halt von Dir schon recht viel, ohne Dich zu kennen. Mühsam wird es seyn; aber, Alexander, es ist noch müh
samer, ein gutes Herbarium zu machen,
eine Drille abzuschleifen, eine Uhr zusammen zu setzen. Betrachte das, was sich Dir in seinem Charakter entgegen sträubt, wie ein sprödes Metall,
das man mit
behutsamer Hand bearbeiten muß, bis es
eben ist. Einen Falken zu zähmen, einen Jagdhund abzurichten, kostet mehr Mühe, als einen Menschen an sich zu heften, an
dem ja jede seiner hundert Leidenschaften eine festere Handhabe ist, als das Eine, der Hunger, am Thiere. Es freuet mich, daß Du mit muthigem Lächeln das hörst.
Muth erwirbt nicht nur Weiberliebe und
Weiberherzen, Alexander; er herrscht auch über Männer. Zch habe Dir nichts zu
sagen, als eine gemeine Regel: Fodre We-
70 rüg, und gieb Diel, und scheine zu geben, weil Du liebst und achtest; das Geheimniß des Lebens.
Alles
ist das
kann zur
Tugend werden; es kommt darauf an, wie man die Welt ansieht: aber der edelste
Plan ist doch der, wo man nur giebt, und selbst nie verlangt; wo man, wie die Sonne, erleuchtet, wärmt, Leben giebt, der
Wolke nicht zürnt, die ihren Glanz ver hüllt, sondern sie nach und nach auflos't, und dann — nur glänzt, um zu erwär
men.
Wir wollen schon öfter darüber re
den.
Zeder Weg führt
fast sicher zum
Ziele, wenn man nur nicht sieht, nicht -zurückkehrt, sondern ruhig fortschreitet, und
vor allem ein Ziel hat, und — Du wirst
einstimmen — ein edles, ein großes." Jedes,
liebster Oheim, sagte ich, ist
edel und groß, wenn es recht ist; denn die
Tugend ist Eins. „Für die Berechnung, ja! für die Der-
yunft, die alles auf einmal faßt, wie Gott, ja! Aber edel heißt da gar nichts, groß Nichts, tugendhaft nichts; nur vernünftig.
Auf dem Studierzimmer ist das wahr;
71 aber, mein Sohn, für das Herz doch
Seiner
anders.
Geliebten
ist
es
Kränze
winden, ist so vernünftig, wie etwas, weil es beglückt, weil es recht ist;
aber diesen
um ein Land glücklich
Kränzen entsagen,
zu machen,, ist größer.
Doch das wird sich
finden, Alexander." Er stellte mich dem Prinzen vor; und
es war so, wie er mir gesagt hatte.
Der
Prinz kam mir weit über den halben Weg entgegen, — mit Begeisterung, würde ich sagen, wenn er nicht diese Begeisterung für jeden neuen Gegenstand gefühlt hätte.
„Für
die Tugend
sogar!"
sagte mein
Oheim, nicht spöttisch, sondern kalt.
Mich dünkt, Linden, ich liebte den Prin zen mehr, als mein Oheim ihn liebte; und
der Prinz foderte sehr ernstlich
erst von
meinem Oheim, und dann von seinem Va
ter, daß sollte.
ich
in
Meines
war nöthig, mich
seinem Gefolge davon
bleiben
ganzes Ansehen
Oheims
los
zu machen.
Wir sahen uns in Neapel wieder, aber nur
auf einige Tage;
ich sollte
nach Sicilien,
und der Prinz ging nach Frankreich. Dort
72
begegneten
wir
uns
noch einige Male.
Seine Liebe für mich war, wie er sagte, eine Leidenschaft geworden. Ich "wünschte in der Td.ar, in der Gesellschaft meines
Oheims zu bleiben, und sagte ihm das. „Nichts," antwortete er, --nützt sich schneller ab, als eine Leidenschaft.
genug,
Es
ist
daß er Dich kennt, und so kennt.
Ihr- werdet einander Wiedersehen." Zch ging nach Deutschland zurück; mein
Oheim auf einem andern Wege ebenfalls.
Nun sollte ich
an den Hof des Prinzen.
Doch vorher wollte ich mein Thal Wieder
sehen, mein Paradies,
meinen Altar, wo
ich dieAntwort auf mein Schreiben zu
finden hoffte. Ich kam an, stürzte in das Haus, und fragte: ist das Mädchen wieder hier ge
wesen?
„Stein,”
antwortete mein Pach
ter. — Zch ging an den Altar, und fand
unter meine Worte von
ihrer Hand ge
schrieben: „Tine Welt liegt zwischen uns, ein Leben. —
Darum sage ich auf eM'g
Lebewohl, und sterbe treu und einsam."
Sie ist hier gewesen! sie ist ja doch
--
73
—
hier gewesen ! rief ich dem Manne zu. Er
wußte von nichts.
Zch schloß daraus, daß
Emma nothwendig in der Nahe wohnen müßte. Nun streifte ich umher in der Gegend, in allen Dörfern, allen Städt chen, und suchte einen alten Mann, unb ein Mädchen, schon wie eine Göttin. Lange
suchte ich vergebens; dem
alten Bedienten
endlich begegnete ich
auf
einem Wege.
Ich erkannte ihn auf den ersten Blick,
er
mich nur an meiner Stimme, die ihm: „Ludwig! lieber Ludwig!" mit Frohlocken zurief.
Er war wie erstarrt, und schien zu
zweifeln, ob er mir Rede stehen sollte, oder nicht. Was hast Du, Ludwig? sagte ich: bin
ich nicht mehr Dein Alexander?
Komm,
ich muß Emma Wiedersehen.
Er stand, wie fest gewachsen.
Endlich
hob er an: „Gnädiger Herr,...
Gnädiger Herr?
Was ist das!
Lud
wig, ich bin auf ewig Dein Alexander. „GuterGott! o, wie gnädig sind Sie! Aber — ich gehe keinen Schritt weiter.
—
74
—
Zhre selige.Mutter, gnädiger Herr, hat mir und Emma..."
Was? was hat sie? Rede weiter! „Derbsten hat sie uns, Sie wieder zu
sehen.
Der Herr Baron, Ihr Oheim..."
Zch befehle Dir, Ludwig, mich zu Em ma zu führen. — Er sah vor sich nieder.
„Liebster junger Herr," hob er aufs neue an: „o Alexander! so will ich Sie nen nen; denn auf diesen Nahmen hören Sie
gewiß einen alten treuen Diener. Emma lebt, ja sie lebt bet mir, und ist glücklich. Es
hat Mühe gekostet, das glauben Sie
mir, ehe sie glücklich wurde,
Thränen!
Gram! schwerer Gram! Zch dachte schon, daß ich noch ein Grab würde graben müs sen.
Sie mögen Sich auch wohl noch der
guten Emma erinnern, mehr als es für
Sie gut ist.
Aber, liebster junger Herr,
seyn Sie barmherzig. Was Sie vielleicht wünschen, was Emma träumte, ist ja un möglich.
Zhr Herr Oheim..."
Du bist ein Thor, Ludwig.
denn noch ein Kind?
Bin ich
Zch will Emma
selbst sehen, selbst von ihr hören, daß das,
-
75
-
was wie Lraumterr, Thorheit ist.
Das
will ich. „So kommen Sie!, so,kommen Sie!
O, warum folgte ich. Emma's Bitten, und
zog wieder hieher in die Nahe von Wald-. Weiler! Gut, Sie sollen sie sehen.
Es ist
grausam; aber Sie sollen sie sehen, die Ih
nen ein.Engel gab, die selbst ein Engel
ist, und die — starker ist, als Sie, Herr Baron."
Ich
ging, ohne zu antworten, neben
ihm her, ohne weiter auf ein Wort von allem, was er sagte, zu hören; denn ich
näherte mich Emma, dem geliebten Mäd chen, wieder. Wir kamen nach dem nächsten Dorfe.
„Darf ich
Sie nicht
erst melden, Ihr
Gnaden?" fragte Ludwig, als wir an der Thür eines kleinen Hauses standen. Ich
stürzte in das Haus, und öffnete eine Thür. Wir schrieen Beide auf, 'als wir uns sa hen, und stürzten einander an die Brust. So hielten wir uns lange sprachlos um armt, mit einem Entzücken, das Schmerz
--
schien,
—
?6
der Entzük-
mit einem Schmerz,
ken war. „O Emma!- unglücklicher Tag!"
und
hier Ludwig;
in
sich Emma auö
riß
rief
diesem Augenblicke
meinen 2lrmen,
unl>
stand erblassend da, b(e Augen zu Boden
gekehrt,
zur Halste von
Jetzt, Linden,
mir abgewendet.
sah ' ich sie erst.
im sechzehnten Jahre,
Sie war
in der Blüthe ju
gendlicher Schönheit, jungfräulich schlank, und doch voll und kräftig, eine hohe Ge
stalt, wie
eine Göttin, mit einem Profit,
das für ihren sanften Charakter,
für das
weiche, in stillem Frieden aufgelös'te Herz
fast zu stolz,
Haar hing
zu edel war.
in lang
Ihr blondes
herabgercllten Locken
auf die Schulter, auf den Rücken hinab-.
Sie sah den alten Ludwig mit einem lang sehr ernsten Blicke
sam
emporsteigendcn,
an.
Dann wendete sie sich zu mir:
„Er
lauben Sie, daß ich mich von der ersten Freude seit jenem letzten Schmerz erhole." Mit diesen Worten verließ sie das Zimmer.
Zch warf mich auf den Stuhl, auf dem sie gesessen hatte, und sann nach, was
— 11
—
ich ihr sagen wollte, Hamit sie mir glaubte,
mein Oheim sey nicht so strenge, als sie
denke. Zn dem Augenblicke kam ein jun ges Mädchen, und gab mir ein Billet.
Ich las von Emma'S Hand:
„Eine Welt
liegt zwischen uns, Alexander.
Ich weiß,
das Opfer muß gebracht werden. Und so, s) leben die wohl. Ich bin die Glück
lichere;
denn über mir steht kein Schick
sal, das mir gebietet.
Leben Sie ewig
wohl!"
Derselbe an Denselben. Fortsetzung.
Ach hoffe, sagte ich zu Ludwig, mit Thrä
nen
in den Augen,
Ernst, was hier steht.
sie meint nicht in
Wo ist sie?
„Jetzt weiß ich gewiß, Herr Baron, daß Emma an einem Orte ist, den ich nicht kenne.
Aber, was sie da schreibt, ist doch
wahr.
Das Opfer muß gebracht werden,
rmd wird gebracht, Herr Baron! das" —
—
?6
—
hier trat der Ältd mit einem finstern' Ge sicht, aber stolz und majestätisch, vor mich
hin — „bas, was Ihre Mutter im Tode uns versicherte, und Emma'n befahl, die
nicht
einmal
meinte.
verstehen
konnte, was sie
Sie kennen Ihren Oheim nicht,
o, lieber Alexander; wir kennen ihn. Das Opfer wird gebracht, weil es gebracht wer
den muß, weil er es will, dieser Mann, der erfüllt hat, was er wollte." Ist denn mein Oheim allmächtig? fragte ich lächelnd, aber doch von dem Tone des alten Bedienten erschüttert.
„3a!" sagte Ihre selige
Mutter zu
mir: „Ja! sollte ich Ihnen auf diese Frage antworten, wenn Sie jemals sie thäten.
Er ist allmächtig, weil er keine Leidenschaft hat.
O, mein Sohn, den meine Arme ge
tragen haben!
bas Opfer muß gebracht
werden. Wollten Sie es etwa dann brin gen, wenn es ein Verbrechen wäre, es zu bringen? Das weiß Emma, das weiß sie aus einem Brief Ihrer seligen Mutter,
dm ich ihr gab, als sie zum zweiten Male
—
79
Waldweiler besuchte.
— Hier ist er; lesen
Sie ihn."
Ich las ihn still.
Meine Mutter bat
Emma, mich nie anders als ihren Bruder
anzufchen.
„Sein Leben," schrieb sie, „ist
bestimmt, seine Hand ist bestimmt.
Opfer muß gebracht werden,
Das
was
auch
Dein Herz dagegen sagen mag, spät oder früher. Bringe e6 früh, meine geliebte
Tochter, früh, um seiner Ruhe, um sei nes Glückes willen, wenn Du auch Dein Glück der Liebe aufopfern wolltest.
Ich
gab ihn mit bangem Herzen in die Hände seines — ach, zu großen Oheims.
Aber
ich mußte nach dem Befehle meines ver storbenen Mannes. Alexanders Glück wohnt nicht in Eurem Paradiese, nicht in den engen Wänden eines glücklichen Wohn hauses. O, der Himmel gebe, daß er eö doch irgendwo finde! Ich fürchte, es wohnt da nicht, wo ihn fein Oheim fest
stellen wird." „Mein Sohn, Alexander," —
ich er
staunte, als ich auf einmal mich angere det fand — „muß der alte Ludwig Dir
8o diesen Brief geben, so lies ihn mit Ruhe. Ich beschwöre Dich, taste das Herz Der-
ner Emma nicht an; das Schicksal hat sie
Dir nicht bestimmt.
Store den Frieden
ihres Herzens nicht; denn sie hat nichts als ihr Herz, was sie trösten kann, und
das Opfer wird dennoch gebracht.
Ich
versichre Dir: dennoch gebracht!"
Dieser Brief, Linden, machte mich nicht unruhig; er empörte aber meinen Stolz.
Sollte ich so gebraucht werden, wie ein Rad in einer Uhr, wie eine Taste an ei
nem klingenden Instrumente?
Und von
wem? Don einem, der nicht mehr war, als ich; nur stolzer, nur hochmüthiger;
nicht einmal ruhiger, nicht einmal freier von Leidenschaft: denn er hatte große, hef
tige Leidenschaften gehabt.
Ich hielt den Brief hoch empor gen Himmel.
Meine theure Mutter, sagte ich,
wenn Du herabblickst aus Deinem Him mel, so sieh Deinen Sohn, seines Vaters würdig, der die Ketten zerriß, die man
ihm anlegen wollte, — um
an Deinem
schönen Herzen die besseren Freuden zu ge
nießen.
—
öl
—
Ich zerreiße sie so - gut, wie er;
nießen.
und dieser Oheim, dieser... —Hier schwieg
ich; der Gedanke an meinen Oheim er füllte mich doch mit Ehrerbietung. Aber sagen will ich ihm, fuhr ich noch immer laut
fort, daß ich frei bin, wie er; daß ich nicht ernt' malderSklav der ewigen Güte seyn möchte. Ich will frei seyn. Selbst meine Tugenden Haffe ich, wenn sie nicht, die Frucht nieU
neö Willens sind! — Wo ist Emma? Lud
wig, wo ist Emma?
„Dennoch? dennoch? — Ich weiß es
nicht. — Junger Mann, ich war von Ju
gend auf bei Ihrem Vater. Er horte mich; denn ich war redlich und treu. Hö ren
Sie
mehr:
mich; denn jetzt bin
ich bin ein Greis,
ich noch
der weiß, was
der Mensch kann, was er darf, was er soll. Sie fragen, wo ist Emma? Wüßte ich es, ich würde dennoch antworten: ich weiß
es nicht.
Aber Sie sollen jetzt nicht so
fragen; jetzt nicht!
Gehen Sie, beweisen
Sie Ihrem Oheim, daß Sie frei sind; dann fragen Sie: wo ist Emma? und ich
will Ihnen
antworten:
jßafpnt, Emma. i.
sie ist hier, die 6
82 Ihrige! O, diese Vorstellung, Alexander, Emma und Sie verbunden, würde wie ein
Engel
an
meinem
Sterbebette
stehen!
Mein theurer Herr, mein geliebter Herr, der Muth, der aus Ihrem Auge bliht, entzückt mich. O Alexander! o, du weißt
nicht, welch ein Glück Dich in Emma's Armen erwartet. Sie ist schon, wie ein En
gel; das sind Tausende. Emma liebt Sie; das könnte auch eine andere thun. Aber ihre
Seele ist noch schöner,
als
ihr Gesicht.
In den Tiefen
ihres Herzens wallt eine
heiligere Liebe,
als aus ihren Augen her-
vorstrahlt. Ihr Herz ist treu, sanft und weich, ihre Seele glänzend und groß. Um ihre Schwächen, glauben Sie mir, würde die Tugendhafteste ihrer Schwestern sie be neiden, und Engel zeichnen die Thränen
ihrer Reue als Tugenden auf. — So ge hen Sie denn, und machen Sie sich frei; dann komm zurück, Alexander, und nimm
den Edelgestein, das reichste Geschenk des Lebens, das ein Engel Dir brachte. ” Der Alte hatte sich zu einem Jüng
ling erneuet: sein Auge funkelte, da er von
- LN
—
ihr sprach; auf seinen Lippen saß die Ue-
berredung.
Gut! sagte ich; es sey so, wie
Du sagst.
Aber hier sollt ihr bleiben,
hier, damit ich den Weg zuM Himmel wisse, wenn ich würdig bin, ihn zu finden.
Und, Ludwig, Dir, dem Freunde meines Vaters, dem Freunde meiner Mutter, dem
Freunde meiner Emma, bin ich — nicht
Lohn; denn Liebe
bezahlt man nicht —
aber ein sorgenfreies Leben schuldig. „Smma'n sind sie schuldig.
Ich habe
mehr, als ich brauche; aber Emma hat..." Himmel!
sie?
rief ich erschreckt, was hat
O, Du hast Dich nlcht an mich ge
wendet? Ludwig, hat nur Eine Sorge sie bedrückt, so verzeihe ich Dir nicht. Hier nimm, nimm alles, was ich habe!— Zch öffnete mein Taschenbuch, und gab ihm alle
meine Wechsel, die ich auf diesen Fall bei mir hatte. „Sie dürfen?" fragte er, als er die Summen ansah: „Sie dürfen?
viel, Alexander!
Es ist
Und Sie sollen so wenig
entbehren, als Emma."
-
84
—
Es ist mein, und ich entbehre nichts. Mein Oheim, ist der freigebigste Mann.
„So sagte Ihre Mutter," antwortete er, mich bedeutend ansehend. „ Er über häuft Sie
mit Geld, mit Vergnügen,
erfüllt alle Ihre Wünsche, überläßt Sie
Sich selbst.
-Recht! ganz recht!"
Diese Worte machten kend.
Zch ergriff Ludwigs
mich nachden Hand.
Und
böte mir das Schicksal die Regierung, der
Erde um den Preis: so — wäre Em
ma
doch auf ewig mein!
Er begleitete mich nun den Weg nach meinen Borgen.
terwegeö;
Noch Eins, sagte ich un-
und jetzt
Waldweiler ist mein,
wieder Dein, Ludwig. Hier sind die Pa piere. Sobald Du dort bei den Gräbern
meiner Eltern wohnen willst...
telte den Kopf.
Er schüt
„Gehen Sie," sagte er,
„und kommen Sie einst frei zu uns zu rück. Dann — wollen wir dort leben und
sterben, wo wir so glücklich waren.
finden Sie immer Nachricht wenn Sie die bedürfen."
Dort
von uns,
Als ich wieder in meinem Paradiese
85 angekommen war, sann ich über alles nach,
Ich mußte über
was sich ereignet hatte. Ludwigs
cheln.
Furcht vor meinem
Oheim lä
Freilich sah ich sehr wohl, daß er
mich bestimmt hatte, vielleicht bei dem jun gen Fürsten in seinen Posten zu treten;
aber das konnte er ja,
ohne mich zu sei
nem Sklaven zu machen.
Er überließ mich
mir ganz, so ganz, daß es mir eine Unge
rechtigkeit schien, ihn nur in dem kleinsten Verdachte einer Tyrannei zu haben.
Ich schwor aufs neue an dem Altare Ettima'n ewige Treue.
Den folgenden Tag
wollte ich abreisen, wie ich es dem alten Ludwig versprochen hatte; ich fühlte mich
aber so übel,'daß ich nicht fort konnte. Ein heftiges Fieber hatte mich ergriffen. Ich fühlte eine entschliche Empfindung in
meinem Innern, die Empfindung des To des, und ließ mich von meinem Bedienten und dem Wirthe des Hauses an den Altar mehr tragen, als führen. Hier schrieb ich mit zitternder Hand unter Emma's Lebe wohl: „Die Hand des Sterbenden schreibt:
dennoch Dir treu bis zum Tode!"
Do»
66 diesem
Augenblicke
an wußte ich nichts
mehr von mir selbst. Gräßliche Träume, und Träume von einem überirdischen, fremden, aber seligen Leben zogen
meine Seele.
durch
Ich kam wieder zu mir,
linb fand mich in
einem fremden Zimmer
zum ersten Male wieder: in einem fremden
Bette, und an meiner Seite eine unbe
kannte Wärterin, einen Bedienten, den ich
nie gesehen hatte. Ich
sah erstaunt um mich her, und
fing an mich zu besinnen; doch ich war zu schwach dazu.
Der Arzt kam und ver
bot mir das Reden, weil ich zu ermattet war.
Aber ich hatte in meinem Phanta
sieren meinen Oheim gesehen und Emma,
so lebendig, daß es fast keine Phantasie ge wesen seyn konnte. Mich dünkte, ich hatte Emma in ihrer jetzigen Schönheit gesehen;
sie war meine Wärterin gewesen, und hatte um mich geweint. Auch Ludwigs Gestalt fing an aus meinen Träumen hervor zu
gehen. Wo ist mein Bedienter? das war mei
ne erste Frage.
Man.wußte von nichts.
87
Ich war hieher gebracht worden, und man hatte mir einen Arzt gegeben.
Der Ber
diente trug meines Oheims Livree.
Wer
ist Er? fragte ich. „Ich bin in Ihren Diensten, gnädiger
Herr. ” Wo ist mein Johann?
„Der Herr Baron hat ihn mitgenom men; ich wußte den Weg nicht."
Mein Oheim — war also hier? „Ja, oben in dem Dinge da, zwischen den Felsen. Vierzehn ganzer Tage, lange Leben und Tod kämpften."
so
Ich zitterte, noch eine Frage zu thun. Wer war denn sonst noch bei mir?
„Eine junge, schöne Dame," antwortete der Mensch sehr ruhig.
Eine Dame? Eine junge Dame? frag te ich, als ob ich nicht wüßte, wer sie
wäre.
Wie war sie gekleidet?
Der Bediente fing an, Emma zu be
schreiben, gerade wie ich sie gesehen hatte. Eü war also keine Phantasie gewesen.
Er
gab ihr Alter, die Farbe ihres Haares an. Er wußte, daß sie mit einem alten Manne
6.8 gekommen wär, den sie Ludwig genannt hatte; mehr aber nicht.
Er selbst hatte
sie nicht tm Krankenzimmer mit meinem Oheim zusammen gesehen, nur Augenblicke
ausgenommen. Und eben davon wollte ich doch etwas
wissen, eben davon.
Ich wohnte nicht weit
von Waldweiler, und ließ den Wirth her-beirufen.
Auch er wußte nicht mehr, als
daß Emma einige Tage nach meiner Krank
heit gekommen war, — wie er aus ihren Reden geschlossen hatte, um Abschied von
dem stillen Thale
zu
nehmen.
Ludwig
fragt den Wirth: Der junge Herr ist ab
gereist?
Der Wirth zuckt die Achseln, und
sagt: vielleicht reist er in ein paar Stun den aus diesem Leben ab. Er kämpft mit dem Tode. Das hort Emma, und stürzt zu mir in das Zimmer, und wirft sich über mich, da ich in einem todähnlichen»
Schlummer liege.
Mein Bedienter hat
einen Arzt geholt, und einen Courier an meinen Oheim gesandt.
Emma, erzählte
mein Wirch mir, ward meine Kranken wärterin. Zn meinen heftigen Phantasiern
8g kann nur ihre Stimme mich beruhigen:'
Mein Oheim kommt mit einem Arzte, und' Emma bleibt meine Krankenwärterin, bis die Todesgefahr vorüber ist, und ich, um
dem Arzte der Gegend näher zu seyn, in das Städtchen getragen werde,
wo
ich
noch war. ... Und wie war Emma? fragte ich bett
Wirth: tbas sagte sie? Der Alte schüttelte mit einer sauern Miene den Kopf.' „Sie war bleich, bleich
wie eine Leiche, und boch so inunter; matt, als wäre sie krank, und doch hat sie kein Ange zugethan. Tag und Nacht war sie da. Der Schmerz wollte ihr Herz brechen, und
doch war sie so geduldig, wie hie Geduld salbst.
Das ist ein Engel, Zhr.Gnaden!
Sie sind ihr mehr, als dasLeben, schuldig."
Wie war mein Oheim gegen sie? Das
wollte ich jetzt wissen.
Er wußte es.nichtr
denn er war. nicht in das Zimmer gekommen; aber gegen Ludwig war mein Oheinr sehr gütig gewesen. Er hatte ihn.für die
Liebe zu seinem jungen Herrn sehr reich lich beschenkt.
Und als ich weggcbracht
90 weyde, und Emma nun mit Ludwig geht,
da hat mein Oheim sie freundlich bis an den Fußsteig begleitet. mein Wirth,
Er hat sie, erzählte
„meine gute Tochter" ge
nannt, und Emma — vor ihm niederknieen
wollen.
Sie knieete nicht? fragte ich. „Der Herr Baron faßte sie auf, und litt es nicht. Er dankte ihr noch einmal
für ihre Sorgfalt, und so ging sie." — Das war alles, was ich nun wußte, Lin den.
Der Arzt drang darauf, ich sollte jetzt,
nach dem Befehle meines Oheims, in kurzen
Tagereisen mich zu ihm aufdenWeg machen.
Zch verlangte Aufschub, schrieb an Em ma, und schickte meinen Wirth mit dem Billet ab.
zu
Er versprach ganz fest, eö selbst
bestellen;
doch
brachte er es wieder.
am
folgenden
Tage
Emma und Ludwig
waren, auf die Nachricht, daß ich wieder hergestellt wäre, den Tag vorher abgereist. Ist das wahr? trauisch.
fragte ich ihn miß
Der Mann lächelte.
„Herr Ba
ron, ich habe von dem alten Manne, der die schöne Mamsell begleitete, ein paar
Qi
Worte gehört, die — Kurz, ich bin Ihnen
treu, Herr Baron.
die Sie ja
Das ist die Wahrheit,,
werden, wenn Sie
erfahren
wiederkommen!" —
Also fort! fort! sagte ich.
So bringt mich,
wurde
Nun denn!
wohin ihr wollt.
Zch
in einen bequemen Wagen gebracht,
der zurückgeschlagen
werden konnte,
und
nach zehn Tagen fuhr ich gesund und ge-
parkt, mit frischem Leben, mit neuen Ent-
schlaffen, mit unendlicher Liebe, in den Pal
last. meines Oheims ein.
Derselbe an Denselben. Fortsetzung.
Zch hatte aber von dem
Arzte doch
auch gehört, wie besorgt mein Oheim selbst
um mich gewesen war:
seinen Besuch bet
dem
sein langes Blei
kranken Neffen,
ben an meinem Krankenbette. sogar,
mit Emma
Er hatte
abwechselnd, mich ver-
pflegt. — Zn der That, Linden, ich ging
— 92 — mit einem Herzen voll Liebe zu ihm kn das Zimmer. „Vom Tod' erstanden, Alexander?" fragte er mit einem Blicke, der heiterer war, als gewöhnlich. Wie alles auch stehen mochte in feiner Seele: er hatte doch das Mädchen gütig mit Liebe behandelt. Wie gütig? Das erweist, daß sie hatte vor ihm knieen wol len. Er liebte mich doch, — Daß er jetzt üllös wußte, 'wachte mich freimüthiger ge gen ihn. Es schien mir, als stände'.man am besten mit ihm, wenn er wüßte, was man wäre. —— So betrachte ich mich jetzt, lieber Oheim, sagte ich: Ä6 .ein vom Tod' Erstan dener, der das Leben und das Grab kennt, und weiser geworden ist. „Weiser? Daü wäre viel! Um welche Zdeen bist Du reicher geworden?" Daß ein Gott der Liebe ist, der uns nur die- höchsten Freuden, aber nicht die höchsten Schmerzen gegeben hat, die uns fere Natur schrecklich angreifen könnten-.-~ Er sah mich- all; ich fuhr fort., Gräßliche,
93 verzerrte Bilder des Schreckens erhoben sich
während
des Fiebers
Es liegen in
in
meiner Seele.
unserer Natur
verborgene
Schrecken, die nur eine wilde Krankheit weckt, die kein Gesunder kennt. Ich würde
jetzt mjt Zittern leben, wenn ich nicht an Gott glaubte: so lebendig war die Welt,
die ich im Fieber sah! „Du nimmst zu hoch, Alexander, was Zuckung
jede
der Nerven ist. Du stellst an körperlichen Maschine
Rolle Deiner
einen Geist, und denkst nicht, daß die Un
ruhe, wie in der Uhr, auch im Menschen
die große Kraft ist, die alles bewegt." Warum aber, lieber Oheim, stillte der bekannte Ton einer Stimme aus der Ju
gend, Emmaus Stimme, die zuckenden Ner
ven in mtr, den Sturm des Fiebers, auf dessen Wogen meine Seele schwebte, und
die Schrecken einer verborgenen Welt?
„Muß ich begreifen, wie der Saft in* den Rohren des Pfirsichbaumö den Pfir sich bauet; und nicht eine giftige Euphorbia?--------- Das war jenes Mädchen?"
Das war sie, mein Oheim, die Spiel-
—
94
—
gefahrtin meiner Jugend, deren leisesten
Ton der Stimme meine fliehende Seele mitten im tobenden Sturme der Zerstör
rung hörte und
befolgte.
Ich
hatte sie
kaum gesehen seit meiner Jugend; nur in
der Krankheit sah ich sie wieder, als mein Auge Maaß und Licht verloren hatte, wo
mit der Mensch mißt und schauet. Mitten aus den Schreckensbildern zog meine Seele
die himmlische Gestalt hervor, und ich er kannte ,das Leben in ihr, mitten unter den Phantornen des Fieberzaubers. Ich könnte
sie mahlen, die rührende Gestalt, die, gleich einer wohlthätigen Fee, die Zauber ver jagte, mein verblendetes Auge und meine
verzerrte Seele heilte. Mahlen will ich sie, wie sie über mir hängt mit dem blei chen Gesichte, wie die blaffen Lippen sich öffnen und meinen Nahmen bebend aus
sprechen, damit ich die Arznei nehme, die ihre wohlthätige Hand hält. „Hast Du sie nachher gesprochen?"
Sie hatte ihren Aufenthalt verlassen. Aber, lieber Oheim, entfliehen kann sie die
sem Herzen nie, selbst diesen Armen nicht.
-
95
-
Und müßte ich, wie ein Büßender, die Erde nach ihr durchirren:
ich muß sie wieder
finden. „Und warum flieht sie Dich? scheinst Du zu sagen."
So
Ein Befehl meiner Mutter...
„Und den ehrt die Fremde mehr, als der Sohn? — Seltsam genug, daß Du
die Erde durchirren, das Leben ungebraucht aufopfern willst, um am Ende ein Mäd chen zu bereden, daß sie nicht so großmü thig seyn soll, alö sie zu seyn den Muth hatte. Du scheinst Dich auf das Glück eben so wenig zu verstehen, als auf Dein Herz. Daß Du nicht gehorchst, läßt sich
begreifen
aus Deinem Geschlecht.
Der
Weiber Tugend ist Gehorsam; und diese Tugend ist auch ihr Glück. Doch, was
streite ich mit
Dich hier.
der Leidenschaft!
Erhole
Das wird sich finden, mein
Sohn, und sie wird die Erde nicht ver lassen." — Das war
unser
Gespräch,
Linden.
Mochte nun seine Meinung seyn, welche sie wollte, so war er mein. Denn hatte er
—
96
—
wohl nur Ein Wort gesagt, das. Verbot
meiner Mutter zu bestätigen?
Er war ru
higer, heiterer sogar, als jemals.
Bald
nachher bat er mich, noch einige Zeit bek
ihm zu bleiben, um mich nach und nach an den Prinzen fester anzuschließen. Meines Oheims Plan fing an, mir im
mer deutlicher zu werden; und desto mehr fühlte ich-mich gezwungen, den Mann zu
achten.
Glaube nicht etwa, Linden, er ha
be mich durch kleinliche Intriguen zu je dem Schritte gezwungen, den ich thun sollte. Nein, er fing damit an, daß er mir nach und nach sein Herz enthüllte. Ich stritt mit ihm über seine Grundsätze, wie ein
Mann dem Manne etwas abstreitet.
sagte mir tausendmal, daß nur
Er
ein ganz
freier Mensch,- daß nur ich, wenn ich von allen Andern unbeherrscht bliebe, nur nicht
von der großen Vorstellung, ein Land voll Menschen zu beglücken, seine stolze, schöne
Rolle ausspielen könnte.
Ich that, was er wünschte; doch sehr bald fühlte ich mich von dem allen einge
engt.
Vater, sagte ich
einmal zu ihm: ich
97 ich bin zu gut zu der Nölle,
dle ich spie
Ich kann nicht langer dastehen,
len soll.
und meinen Stand
den
an
Stufen des
Thrones mit kleinen Abbeugungen von der Wahrheit erkaufen. —
Er sah mich ruhig
an. — Zch will glücklich
seyn,
fuhr
ich
fort; glücklich, ich! ich selbst! Warum soll
ich das Leben aufopfern für etwas, das so
ungewiß ist!
„Alexander, ein vom Tode Erstandener,
sagt man, lächelt nie wieder; keine Freude darf sich Dem nähern,
den
der Tod ein
mal an seine freudenlose Brust hat.
gedrückt
Nicht wahr, Du nenntest Dich ein
Wae ist denn
mal so?
Lebens?
das Glück
des
Was ist denn das Leben selbst,
das Du so schonen willst? verlangen,
daß Du eben
wie ich, mein Sohn.
Zch kann nicht
so denken
sollst,
Genieße des Lebens,
wie Du willst; fasse die Freude fest,
und
kehre Dich nicht an mich, daß ich sie um
mich her tanzen lasse, fen.
Verzeihe mir,
Freude,
ohne sie zu
daß
was Glück ist.
ich
ergrei
weiß, was
Aber was
das
Leben ist, das solltest Du wissen, um die
Lafont. Emma» L
7
-
98,-
Freude für den wohlfeilsten Preis zu kau
fen.
Was ist es b?nn, mein Sohn? Bist
Du das Leben? oder ich? oder einer der Lebenden?
0, nein! nein! Wir sind nichts
als Leichname, die der Tod dem Leben lei
het; als Theaterkleider, die der Tod hergiebt, und die das Leben ausfüllt, um das.
Schauspiel des Lebens aufzuführen.
Was
ist denn das, was Du, was ich, was Ze
der fein Leben nennt? Nichts, als die Gränze zweier Ewigkeiten: ein Nichts; ein Weniger als nichts! — wie die Lauf
bahn der Erde ein Punkt ist, gegen die Entfernung des nächsten Fixsterns. Zch könnte das Leben hingeben für das Lächeln
eines Kindes im Schlummer: so wenig ist es!
Aber das wahre Leben, das ich nicht
begreife;
das aufwallt in den Millionen
Formen, und
sie wieder verschlingt; das
unser Welt-System hervorwarf, wie das ewig brausende Meer eine Luftblase, und
nach zwei Augenblicken wieder verschlingt: das Leben allein ist Leben; doch unbegrif-
fen, ewig unbegriffen! Wie verwechseln die aufspringende und glänzende Luftblase
99 unaufhörlich
mit dem Sturm, mit dem
Geiste, der das Leben immer in Bewegung
bringt?' Das sagte er so still, so überzeugt, so unerschüttert, und doch so trostlos, daß ich zitterte,
und — ihn desto inniger liebte.
Aber, mein Vater, die Freude, aber die
Liebe macht das Leben, das Zhrige, das meinige, zu etwas Erhabenem. ich begeistert.)
(Das sagte
Und die Tugend! setzte ich
triumphirend hinzu. „Die Liebe, die Freude, die Tugend?
Nahmen! Worte! Hamlet.
Wo
Worte!
Worte!
sagt
ist die Liebe, die bis zur
Gränze des Lebens dauert? Sie ist ein dünnes Sommerkleid, das wenige Tage,
das der Frühling des Lebens abnuht; und dann tragt der Mensch dgs dunkle, schwere Kleid der Gleichgültigkeit, wenn nicht die
kalte metallene Rüstung des Haffes.
Laß
eine Freude mehrere Stunden dauern, dann wird sie Schmerz!
Und sag, Alexander,
ist eine Tugend so rein, wie die Freude? — die ihr Lohn sey» soll, sagt ihr! O, und ist sie nicht einmal so rein, wie die, welche
100
die Zeit in Schmerz verwandelt; was ist
sie denn?"
Er legte die Hand auf fein Herz, und sah finster vor sich
nieder.
Um
diesen
Preis, gegen den das Leben ist, was die
Ewigkeit gegen das Leben, willst Du Dich
verkaufen? willst den großen Gedanken fah ren lassen, freiwillig, ohne Lohn, zu han deln für eine Welt, selbst ernst zu seyn,
ruhig, wie man die Weisheit mahlt, und den Keim der Freude für eine künftige Welt in den Schooß des großen Lebens zu senken?"
Er faßte meine Hand. „Ich
liebte, Alexander; und ich stehe hier al
lein.
Zch glaubte, weil ich liebte; und
ich weiß nicht, warum ich betrogen wurde. Andre können glücklicher fegn; der Traum
der Liebe kann dauern, bis man selbst es stift ist. Aber darum sollte Niemand un vergänglich nennen, was an — einem Nichts in Nichts zerfällt." Hier sah er mich an, legte noch einmal
die Hand auf die Brust, und ging dann
schnell in fein Cabinet. Unglücklicher Mann! sagte ich.
Aber,
IOI
bei Gott! Du sollst noch überzeugt wer
den, daß die Liebe kein Traum ist.
Ich
will Dich lieben, mit dem heißen, noch fortglühenden Herzen, dessen Flammen nur
das Unglück löschte.
Ich will Dich lieben,
wie ich Emma liebe, und Deine Hand soll ihre Hand in die meinige legen; eher will
ich sie nicht berühren. Das schwöre ich dem Unglück des ehrwürdigen Mannes! — Ich ging zufrieden in mein Zimmer, und alle seine Reden waren verschwunden; der warme Strom des Lebens,
der Liebe,
der Freude, der Tugend floß durch meine
offne Seele.
Derselbe an Denselben, Fortsetzung.
Sobald ich völlig hergestellt war, brachte mich mein Oheim zu der Frau von Paradisi. Auf dem Wege dahin, sagte er zu mir: „ich führe Dich in ein Haus, mein
102
guter Alexander, deßgleichen du so leicht
nicht wiederfinden wirst: zu einer Frau, die das Glück des Lebens gefunden hat, wenn es gefunden werden kann; ich möchte sagen, zu
einer Philosophin.
Du wirst
vielleicht nicht so sagen; denn man er zählt von ihr, sie sey die Geliebte deü Für
sten gewesen, und sey es in manchen Au
genblicken noch.
Aber wäre es
auch nur,
zu wissen, wie eine Frau, welche ihre Rolle auf einem großen Schauplatze mit Glück spielte, das Spiel des Lebens ansieht, so wäre das schon Gewinn." Zn der That,
Linden, mein Ohekm
hatte meine Empfindungen errathen; ich ging mit Widerwillen hin.
Wir kamen an ein großes Gatterthor, das sich in einen Garten öffnete, und hin ten im Garten stand ihr Haus.
Zm Gar
ten gingen eine Menge zahmer Rehe und Hirsche; eine große Voliere von Drath geflochten, die ein ganzes kleines Gebüsch
umschloß, enthielt Hunderte von Singvö geln. Fasanen, Pfauen, alle Arten von Hühnern und viele Arten von Wasservögeln
io3 saßen
auf den Bäumen, liefen zwischen
den Rehen und Hirschen, Und schwammen auf ein Paar Kanälen, in hellem, siießendem Wasser.
Man sah ein fröhliches Ge
wimmel voll Leben, das Jeden für die Be
sitzerin
des
Gartens ‘ elnnehmen
mußte.
Dor dem Haufe befand sich ein
großer
Rasenplatz, an den Seiten äußerst schone
Blumen-Parterre.
Das Haus war nicht
groß, kein Palast; es schien aber unter dem Kranze von schönen hellen Platanen mit seinen großen Fenstern, und
seinem
Saulengange, der rings umher lief, und auf dessen plattem Dache eine reiche Oran
gerie stand, ein Aufenthalt der Ruhe und der Freude zu seyn.
„Ah, Nordstein!" rief eine Stimme unter den Orangerie-Bäumen zu uns herab: „willkommen!
willkommen
hier!"
Und
eine weiße Hand bewarf ihn von oben mit Orangen-Blüthen. Wir gingen hinauf, durch einen Saal, worin die-schönsten Gemählde die
einzige
Pracht
waren,
durch etne
große Glaöthür, auf den Balkon, wo uns die Frau von Paradisi erwartete.
Es war
—
io4
—
ein Hangender Garten, in welchem sie saß.
Sie kam uns mit dem leichten Anstande
der vertraulichen Freundschaft entgegen, und lächelte meinem Oheim zu; mir machte sie eine Verbeugung voll Reih und Grazie.— Hier ist er, den ich Ihnen schon lange ver
sprach, sagte mein Oheim kalt. Sie betrachtete mich mit einem ange nehmen Lächeln, und ich sie. Die Natur
hatte ihr alles gegeben, was man schön
nennt, und sie gewiß zu etwas Besserem geschaffen, als sie geworden war.
»Herr
von Nordstein!" sagte sie mit einer Stim me, die wohl mehr als Schwächen hätte versöhnen können:
»der Nahme ist mir
so lieb, daß ich es schon seinetwegen gern sehen würde, wenn Sie hier etwas fän den, das Sie zum Wiederkommen bewöge.
Aber es giebt eine Aehnlichkeit unter uns,
die uns schon verbinden sollte. den Hof nicht, sagt Ihr Oheim.
Sie lieben Hier sol
len Sie wenigstens Freundschaft und Frei
heit finden." Das floß über die
schönen Lippen so
leicht und doch so herzlich!
Sie giyg zu
io5 meinem Oheim, und wie sahen, daß er die Tauben fütterte, die sich auf dem Balkon gesammelt hatten. „Sie spielen mit Mei nem Spiele," sagte sie, ihm das Körbchen mit Futter abnehmend, setzte sich auf den
Boden, und sireuete das Futter auf ihren Schooß dicht um sich her.
Da flogen die
Tauben auf ihre Schultern,
auf
ihren
Schooß, und fraßen aus ihrer Hand. Sie drückte sie, wenn sie ihr nahe kamen, an ihre Brust, liebkoste ihnen, und sagte dann,
die funkelnden, schwarzen Augen gegen mei nen lächelnd dastehenden Oheim aufhebend: „Sie verstehen es nicht, Nordstein!
Liebe
als Wohlthun.
Ich
ist etwas Anderes,
weiß
gewiß,
die
Thierchen lieben mich,
weil ich sie liebe; und ich liebe sie, als ob das meine Bestimmung wäre."
Für die das eines
Herz
und die Talente
Kindes hinreichten — Ihre Be
stimmung? „Meine! O ja, meine!
Gie werden
mir mit allen ihren Sophismen die Au genblicke nicht nehmen, in denen ich fühle,
daß die Unschuld und das Glück eines Kin-
io6
—
des gerade die menschlichste Bestimmung find. Wie viele Kunst, wie viele Täuschung gehört dazu, mein guter Nordstein, das Le ben, das ich führe, das Sie führen, nicht
für eine verfehlte Bestimmung zu halten! Mein Hofstaat hier" — sie zeigte auf die
Tauben umher — „giebt mir Freude, fast
nichts als Freude. Doch, man muß daran nicht denken!" Sie sprang auf, und führte uns in den Saal. Ich bringe Ihnen hier, sagte mein Oheim, einen Schwärmer, den Sie von seiner Schwärmerei heilen sollten, und — mich dünkt, er hätte nicht mehr schwär
men können, als Sie jetzt auf dem Balkon. Sie sah mich
lächelnd an.
„Schon
wieder eineAehnlichkeit!" sagte sie: „aber nur eine scheinbare. Wir schwärmen mit dem Herzen, der Mann mit dem Kopfe;
und so kalt Ihr Oheim auch seyn mag — er ist dennoch ein ärgerer Schwärmer, als
Sie es seyn können.
So wären wir Drei
die einzigen Schwärmer am Hofe; aber
still! damit sie
es uns nicht
daß wir, wie die Ameisen,
abmerken,
immer zu-
—
107
—
sammen scharren und unter dem Boden le ben, doch auch zuweilen Flügel haben, um uns über das niedrige Leben empor zu heben. Stlll! still!" Liebe Paradisi, jeder Mensch muß seine Nolle auöspielen, wenn er beklatscht werden soll. „Wer sind denn Die, welche klatschen?" fragte sie spöttisch. „Neulich, sagte Krau sen: ich begreife gar nicht, wie ein Fürst abdanken kann. — Wenn ich nur begriffe, wie er eö macht, um nicht abzudanken! O Himmel! bin ich bald weise genug, mei ne Stelle nieder zu legen?” Gott behüte! rief mein Oheim. Sie sind nahe am Ziele, wo der Siegeskranz hängt; und Sie wollten stehen bleiben? „Nicht stehen bleiben; umkehren will ich, und thun, was Sie mich thun sehen: lieben, was mich liebt.” Was hat Sie so seltsam bewegt, liebe Paradisi? Sie sann nach. Eben ging die Thür auf; und die Frau von Paradisi zeigte auf ein Mädchen, das herein trat, und
—
103
—
sagte leise: Die da! der ich kaum Mutter
seyn darf! Ich erstaunte, Linden; denn eö trat eine Göttin in das Zimmer, nicht eine
Sterbliche. Ich verbeugte mich tief vor dem Madr chen. Linden, dessen Schönheit — wer ger braucht das Wort nicht! und wozu wird es nicht gebraucht! meistens ist eö nur ein wärmerer Nahme für Jugend. Hier soll
das Wort mehr sagen. Ihre Mutter war schön, und in deren Gesichte war, dünkt
mich, mehr Leben, mehr Ausdruck, in den Augen mehr strahlendes Feuer, auf den schönen Lippen mehr Lächeln, mehr Liebe. Aber doch war die Tochter tausendmal schöner, himmlisch schön» Auf dem weißen Oval des Gesichtes lag rrnentweihte Unschuld
und ein sanfter Stelz, der durch die schlanke,
stolze Figur
noch mehr
gehoben wurde.
Als ich ihr genannt wurde, wendete sie das Gesicht zu mir, und verbeugte sich.
Dann
ging sie zu ihrer Mutter. Aber dieser Gang, dieses leise Schweben, als trügen Engel sie
auf ihren Flügeln!
nun die
log
freundliche Verbeugung gegen meinen Ohelm,
dann die kindliche gegen ihre Mutter! und
nun alle ihre zarten Bewegungen, wie sie der Mutter Hand so lercht ergriff, die Lip-
peil einen Moment darauf ruhen ließ, und in diesem Kuffe der Mutter sagte, was sie ihr sagen wollte, und dann mit einer Ver beugung gegen uns Alle zurückschwebte!
Za, Linden,. Leh fühlte, was die Frau von Paradisi einige Minuten vorher gesagt
hatte: „Das ist die wahre Schönheit, der, wenn sie erscheint, Aller Augen und Aller Herzen huldigen, und der sich dennoch kein Wunsch, auch nicht der leiseste, nahet. Da überstrahlt die seltene, innere Schönheit die äußere?'
O, sie würde das nicht ge
sagt haben, wenn sie nicht eine solche Toch
ter gehabt hatte! Valeria? (so setzte mein Oheim das Gespräch weiter fort); daö wundert mich.
Und wenn ich wieder bedenke, wie Sie Ihre Tochter erzogen haben, so... --Ich meine Tochter erzogen? Ich weiß,
was Sie meinen, Nordstein.
Aber in ih
rem stillen Herzen konnte nichts gedeihen,
HO
als dle Wahrheit, und eine bessere Hoff-
nung, als dle dieses Lebens.
Bauen Str
in dem finstern, alten Eichenhaine auf der Spitze des Berges dem frohen Leben einen
Altar; und dennoch werden die Menschen umher kniern, und eine größere Gottheit anbeten, als die Freude.
Sie ist so, sie
war so! Anders kann ich von Valerien
nichts sagen. ” Und nichts Besseres, sagte ich hier. Sie blickte mich freundlich an: „Nichts Besseres würde ich sagen, wenn ich an ih
rem Sarge stände.
Aber nein; ich sage es
auch in jeder Minute, da ich sie sehe. Und wenn sie mir täglich tausend Opfer bringt,
soll ich ihr nicht endlich Eins bringen, das mich zu einer Heiligen machen würde?" Dazu fehlt Ihnen der größere Ehrgeitz,
sagte mein Oheim kalt. „Dann wäre es nichts weiter, als eine neue Kette, mein Herr. Waren alle Ein siedler Thoren oder Ehrgeihige? Ich fühle,
daß es eine reine Quelle des Abscheidens aus einer Welt giebt, die nichts als die
—
III
—t
Eitelkeit — flücht elmnal befriedigt, nur mit Hoffnungen körnt." Wohl denn, meine Freundin! jenes Bessere ist es denn, was mich hier halt. „Eine Eitelkeit, der Zhr Witz, Ihre So« phismen das Bettlerkleid abgestreift und die Sie in den Königsmantel einer seltsamen Tugend gehüllt haben. Weiter nichts! Sie werden es sehen, Nordstein, wenn Ihre Rolle ausgespielt ist." Zch werde es sehen und lächeln, weil ich dann wieder um eine Gewißheit reicher seyn werde. Dann soll mir die Thebaische Wüste mit ihren Todtenkellern wtllkomr men seyn. So lange ich aber noch bin, will ich seyn, nicht hoffen. „Was ist Zhr Ziel anders, als Hoffnung, wie jedes menschliche Ziel! Zch kann es erreichen, ich, ohne Gei sterbeschwörungen. Zch kann; denn es ist von Andern erreicht. Sie aber können ein anderes nicht erreichen. „Valeria," — sie sagte das mit einer Art von Hitze — „steht am Ziele."
112 Bls der
Traum
verschwindet; dann
steht das Ziel wieder am Ende des Lebens.
„ Das Ihrige steht nirgends anders, Nordstein; und mich dünkt, der Menschen haß steht daneben." Wenn auch! sagte er noch kälter. es meine Schuld? so sey es!
Ich
Ist
gehe,
weil ich muß, und weil ich will.
Hier trat Valeria wieder tn's Zimmer. Das Gespräch zwischen meinem Oheim und der Frau von Paradisi hatte ihr Bild
tn meiner Seele vollendet. Die Ruhe auf dem
weißen Gesicht, auf welchem nur der Wie derschein einer glühenden Morgenröthe lag, schien mir jetzt der Glanz einer Heiligen.
Sie brachte ihrer Mutter ein Billet. „Willst Du es wohl für mich beantwor
ten, Valeria? sagte diese: meine Antwort ist: Nein." Valeria las das Billet.
sie die großen schwarzen
Dann schlug Augen, die so
sanft waren, wie die schönsten blauen, un aussprechlich schön zu ihrer Mutter auf,
und
senkte zugleich den Kopf
bittend.
freundlich
„Ich kann nicht anders, Vale
ria,"
ii3
—
ria," faqfe die Mutter.
— Valeria ging in
ein Cabinet. Ich konnte sie durch die GlaSthür sehen, wle sie sich setzte, wie sie
auf die sanften Worte sann, roown sie das Netn
wie
ihrer Murrer verhüuen konnte, sie
dann
mit
freundlichen
und
Blicken
schrieb, als sagte sie das, was sie schrei ben wollte.
Dann brachte sie der Mutter
das Billet.
„Ich meinte ein bestimm
tes Nein, Valeria; und du läßt noch Hoff
nungen.^ Die laßt ja das härteste Schicksal. —
Jetzt hörte
ich
ihre Stimme zum
ersten
Male, sanft und klingend. „Darum eben ist es hart," sagte die
Mutter. Aber meine Mutter ist das nicht.
O,
Mütterchen, was Ihnen jetzt sanft scheint,
kann Ihnen heute
Abend
hart scheinen.
Mir scheint es schon jetzt so. „So sage denn Ja!"
Hier beugte sich Valeria schnell auf die
Hand
der Mutter,
verklärt.
und
ihr Gesicht war
Sie schrieb mit einem wohlthurn-
den Lächeln, und wollte das Billet siegeln. Lafont. Emma. I.
8
—
n4
—
Dle Mutter verlangte es erst zu sehen. —
„Nun
gar
als
mehr
Za!"
sagte die
Mutter, die Tochter über die Wange strei
chelnd. Ich schrieb mit Ihrem Herzen, antwor
tete die Tochter,
und eilte mit dem Billet
hinaus.
Der Baron von Nordstein an Albert. **g. An
leichten
oder —
Faden
lenkt
daö
Geschick,
ist es nicht einmal das?
Doch
wie müssen einen Nahmen für die Folge der Begebenheiten haben, die wir nicht be
greifen — An leichten Faden lenkt das Ge schick die Schicksale der Länder,
ter,
der Welten,
das
der Dot
große Schauspiel,
auf dessen Entwickelung
eben
die un
durchdringliche Nacht ruhet, wie auf dessen Anfänge.
Wir stehen und schauen, und
ächzen und jauchzen, je nachdem für unser
Herz aus dem rollenden Rade ein Schmer;
ii5
oder eine Freude hervorgeschleudert wird.
Unthätig stehen wir da, und bauen so äm-
sig an unserm kleinen Zwergenleben, das die daher schreitende Zeit, in der Gestalt
des Todes, zertritt, so wie wir es bauen. Ich weiß, mit dem Gefühl des Ent setzens, daß von uns Allen Keiner, auch ich nicht, etwas vollenden wird; denn ich kenne ja nicht einmal das Ziel, wohin das Leben
die Menschen treibt, ich weiß nicht, was wir sollen! O, ich beneide den Menschen
recht sehr, der vom Morgen bis an dett Abend lebt, als schlöffe dieser Augenblick die Ewigkeit in seine Gränzen, die einander berühren.
Ich verspotte den Prahler, der
die Augenblicke zwischen Wiege und Sarg daS Leben nennt, deren Gränzen eben so enge beisammen liegen.
Ich verspotte ihn,
und beneide ihn dennoch, Albert.
Wehe
mir, daß ich das Angstgeschrei des Todes, die einzige Stimme, die sich im Leben hö ren läßt, beständig hören muß!
Sieh doch
hin, Albert! Sieh hin, wie ein kalter Mor
gen im Mai Millionen Leben vernichtet, der Winter die ganze lebende Welt der Ü2
— Insekten zerstört!
—
nG Denn,
allein die Lebenden?
wlr
find
Tas Leben
denn
ist
so
kurz! das sagen sie so gleichgültig, als wäre von nichts die Rede; und —
ser Seyn, dem wir so kalt theil sprechen!
was ist un das Todeöur-
Zertheile den Augenblick in
tausend Zahre, zerre das Leben aus einan der, wie der Hindu die Zahre seiner Got ter. ben
Was ist es denn mehr, als das.Le einer
Ephemere?
Ewigkeit, so geht es zu,
Zst
nicht
es
daß der Mensch
die
O, wie
ist es gar nichts.
das schwere
Augenlied nicht aufziehen kann,
um zu se
ich zittre vor einer näheren Verbindung mit Zhneu."Lesto besser,
wenn sie glücklich sind!
desto besser!" Sie sehen Gespenster, schöne Frau.
Zch lasse, seinem Herzen den ruhi
gen Gang.
Ich rechnete nur auf die Na
tur, nicht auf meine Kraft. 0, eS- weiß Niemand mehr, als ich, wie ohnmächtig ich
bin; wie alles, was ich erbaue, wieder in Staub zerfällt. Zch rechnete auf Valeriens Schönheit, auf ihren Reitz,
auf die reine
Unschuld ihrer einfachen Seele,
Mutter Werk ist. ders Zugend,
dle der
Zch rechnete auf Alexan
auf die wahre Begeisterung
seines Herzens, das — glauben Sie mir!
— eben so ren>,
eben so einfach ist, wie
2.63 Valeriens Herz.
Sie dürfen einander nur
fe();n, um sich zu lieben;
das Herz müßte
Las Uebrige thun, oder der Zufall, der. im mer, mehr oder minder, mit.den Empfindun gen unsrer Seele zusammenhängt» Glau
ben Sie mir, der Zufall könnte nicht zwei mal Andern so begegnen, als Valerien und
meinem Neffen. Darauf rechnete ich. Habe ich mich verrechnet?
Si-e nennen Aber
witz, was nichts ist, als der einfache Gang
des Herzens und der Natur; bloß deshalb, weil ich voraus sage: so ist das Herz! so ist die Natur!
Daß
ich darauf meinen
Plan erbaue? o, wer thut das nicht! da mit ewig das Glück des Einzelnen bestehe,
wenn das Möglich ist.
O, liebe Freundin,
Sie wissen nicht, wie dieses Her; brennt, daß
■t— der einzelne Mensch, folglich auch ich! nicht glücklich seyn kann. — Hier verfin
sterte sich sein Gesicht, und er ging stumm neben ihr her. Ich schwöre Ihnen, sagte er dann leise: bei dem besten Gefühle, dar Mir übrig geblieben ist von allem, dem Ge fühl meiner unbefleckten Ehre! mein Neffe weiß von meinem Plane nichts, gar nichts!
—
254
—
Die Frau von Paradisi wendete sich jetzt, mit Thränen in den Augen, zu ihm.
„O,
Nordstein! warum waren Sie nicht glück lich! warum nicht?"
Warum fallen von den Apfelbäumen
dort die tausend Blüthen,
die alle hätten
Früchte werden können?
Warum tödtet
eine kalte Mainacht
Millionen
lebender
Geschöpfe, die alle erst an der Schwelle des
Lebens stehen?
Warum stirbt die
Hälfte des Menschengeschlechts in den er sten drei Jahren ihres Lebens?
Warum?
und wieder warum?
„Aber, Nordstein, was ist denn Ihr
Unglück?" Mein Geheimniß!
antwortete er, mit
einer kalten Verbeugung.
Die Erscheinung. Der Baron hatte Recht.
Valeria
und
Alexander gingen den einfachen Gang der
Natur und des Herzens.
Er hatte wieder
— 255 — Recht, der alte Prophet, als er behauptete, daß das, was wir Zufall nennen, meistens mit den geheimen Empfindungen unsers Herzens zusammenhängt. Valeriens Mutter sah,
daß derselbe Zufall den beiden jungen Leu ten oft begegnete, daß sie einander irgend
wo antrafen, im Wasserhauöchen, zum Bei spiel, wo sie ganz allein seyn konnten, weil nur die eine Gondel auf dem Teiche war, und das Wasserhäuschen mitten im Teiche
Nun wurde sogleich ein zweiter Na
lag.
chen auf den Teich
gebracht, damit der
Neffe des Barons doch nicht gar zu sicher wäre.
Die Frau von Paradisi ließ sich immer freundlicher auf den Plan des Barons ein, den sie freilich nicht ganz kannte.
Sie gab
ihm jetzt die Nachricht, daß Valeria — ihre
kindliche Heiterkeit verloren hatte. sitzt jetzt in ihren Unterrichtsstunden,
„Sie
und
denkt wahrscheinlich an das Wasserhauöchen, anstatt an das,
was ihr Lehrer ihr sagt.
Das Auge hat den heitern Glanz des Bril lanten verloren. Eine dunkle Flamme aber schlägt, von Zelt zu Zeit, aus den Augen
2L6 hervor, unb ost bricht eine Thräne, ohne
Ursache, aus dem Auge. Zst das nicht LiebeNordstein? . . .
Ihr Busen hebt sich in
langsamen, sehnsüchtigen Wallen,
sie hott
Seufzer aus der innersten Brust:
ist das
nicht Liebe?"
Nordsiein
lächelte,
und
sagte ruhig:
könnte doch auch wohl keine seyn!
„Nicht? — Nicht? Nun denn, so hör ren Sie!
Sie nimmt ein Buch,
wirft eß wieder hin.
und
Ja demselbenAugen-
blicke springt sie auf, geht an daß Klavier, legt
beide Hände auf die Tasten, unb es kommt nichts hervor, als ein tiefer Seufzer.
Den
Kranz, den Ihr Neffe ihr bet der Wasser
fahrt geflochten hat, den Kranz hat sie, ohne mein Wissen, heimlich in ihrem Sekretair. Wenn sie allein zu seyn glaubt,
zieht sie
ihn hervor, betrachtet ihn mit tiefen Seuf zern, und drückt ihn an ihre Lippen.
ist jeht eine Mystikerm: chen, daß sie liebt.
daß
sichere Zeki
Auch redet sie viel vom
Grabe, von der Unendlichkeit; das that sie sonst nicht.
Zch habe das me zugeben wol len ;
—
257
len; reB wird gar leicht ein eitler, nichtssa
gender Prunk, der das Herz kalt laßt."
Wie die Blumen, womit man eineLek-
che schmückt.
Sie haben
wohl gethan.
Doch ist Begeisterung etwas Gutes! „Rur nicht die falsche.
Sie sehen alsd, WaS
daß Sie den Sieg gewonnen haben.
macht Ihr Neffe? Dasselbe nicht.
Zch denke dasselbe!" Aus Valeriens offnem
Herzen bricht die Liebe wie ein Lächeln her vor;
aus dem Herzen meines Neffen, wie
ein Orkan.
Er geht finster umher, grollt
Mit allen Menschen, mit sich am meisten, sieht auf Eine Stelle, mit verfinsterten An gen und krauser Stirn.
„Das wäre Liebe?" fragte die Frau von
Paradisi.
„Daß die glückliche Liebe Sehn
sucht ist, daß sie seufzt,
weiß ich;
aber grollt, weiß ich nicht.
daß sie
Und eben da
nach wollte ich Sie fragen; denn Ihr Neffe
grollt." Wissen Sie denn, was in seinem inner
sten Herzen vorgeht?
Lassen
Sie
ihn!
Die Sonne wird den Nebel durchbrechen. Lafont. Emcka. I»
I?
258
„Welchen Nebel? Danach frage ich gerade, Nordstein! Wie heißt der Nebel?" Vielleicht eine ältere Neigung, die der Leidenschaft nur ungern weicht. „Sie werden räthselhaft. Eine ältere Neigung? Ich stehe Ihnen dafür, Ihr Neffe soll Valerien nicht eher wieder sehen, als bis ich weiß, wie ich mit ihm daran bin." Der Baron lächelte. Valeria und Alexan der lieben einander. Ist das richtig, so werden sie sich schon Raum zu machen wis sen, trotz der Mutter. Der Nebel, den die Sonne zu durchbrechen hat, kann tausend andre Nahmen tragen. Er liebt die Toch ter des Fürsten; und die erste Liebe fände die Geliebte gern in einer Schäfer hütte, um ihre eigne Natur ganz rein zu bewahren. „0, wäre es das!" rief sie freudig: „wäre es das! Gutes Glück, das gieb mir noch von deinen Gaben!" Wohl möglich auch etwas Anders, auch wohl gar nichts. Wer kennt die Meteoro logie des menschlichen Herzens?
—
zufrieden.
~
Paradisi hörte das
' Frau von
Sie glaubte,
2.59
was sie wünschte,
„Nun denn,"
kaum.
und war
sagte sie:
„ich
werde Ihrem Wunsche nicht entgegen ste hen; und ist eö das, was Ihr Neffe fürch
tet, so kann er glücklich seyn:
denn Vale
ria ist des Fürsten Tochter nicht." — Der Baron lächelte.
wußte er aus des
Das
Fürsten Munde besser.
Alexander liebte Valerien.
Wer hätte
diese himmlische Unschuld auch nicht lieben müssen! Aber, als er sich zum ersten Mate
daß sie sein Herz in Bewegung
gestand,
brächte, da trat Emma, die verlassene, treue, liebende Emma, in der rührendsten Gestalt
vor seine Seele: mit dem bleichen Gesichte,
der gebeugten, kummervollen Gestalt, wie er sie zum letzten Male in seinen Fieber^hantasieen gesehen hatte.
Sie warf ihm
seine Untreue vor; und er schwor ihrer Ge stalt aufs neue ewige, treue Liebe.
Er
konnte
zu sehen,
und
nicht
oft;
umhin,
Valerien
denn
der Fürst,
der von dem Baron gehört hatte, daß eine
Verbindung seiner Tochter mit Alexander i?a
26u wahrscheinlich wäre,
bat ihn selbst zu dm
Abendpartleen in dem Hause der Frau von Paradisi, die seine schönsten Stunden auömachten.
Ueberdieö lag
lhn der Oheim
an, den Umgang mit diesem Hause nicht zu vernachlässigen. Und was hatte ihm
Valeria
denn gethan?
womit hatte die
unschuldige Seele ihn beleidigt, daß er nicht mehr kommen wollte,
da sie ihm so offen
sagte, daß sie jetzt mit Freude an den Abend
gesellschaften Theil nähme, bie sie sonst versäumt hätte! — Was hatte ihm dir Frau von Paradisi gethan, die er zu achten sich jetzt so gezwungen fühlte, da sie ihrer ungesetzmäßigen Lage eine Würde zu
geben verstand,
welche oft der Ehe fehlt,
und da sie Valeriens Mutter war!
Doch
er schlug sich an die Brust, ehe er den Wa
gen vorfahren ließ.
Zch soll,
sagte er,
ohne Ohr, ohne Auge seyn! O, Emma, Emma! tritt mit Deiner rührenden Ge
stalt vor meine Blicke, tritt an ihre Seite! und wenn sie lächelt mit diesem Zauberlä
cheln, das alles um sie her mit Wonne er füllt, so zeige Du, Emma, mir Deme Thrä-
261
nen, Demen Gram um mich.
Wenn ich
ihre -harmonische Stimme höre, die wie ein
Hauch des Lebens durch meine Seele dringt: dann sey mein Ohr nicht taub gegen Deine
einsamen Seufzer,
meine Einmal
Nein»
eine ungerechte Leidenschaft soll Mlch nicht, wie ein Opferthier, hinreißen. Fürchte nichts,
Emura, zittre nicht!
Ruhig soll- diese-
Herz wieder schlagen; Dein Bild soll wie der diese stille Brust erfüllen. —
Mit solchem Vorsätzen, verließ er. da-
und wenn er sie auf dem Balkon
Haus;
stehen sah — da stand sie, bis er kam —: ach, so tobte sein Herz, so drückte ihr Bild sich in seine Seele.
Flammen zuckten durch
sein Wesem Er vergaß Emma, er vergaß ihre Thränen, ihre Seufzer. Die Liebe führte ihn, wie ein Opferthier, zu Valeriens
Nicht, als ob es ihm an Stärke
Füßen.
gefehlt hatte, nein,
Valerien kalt zu behandeln;
er betrug sich recht feindlich kalt gex
gen sie.
Und wurde Valeria nun traurig,
so stieg er die gewöhnliche Leiter der poe
tischen Figuren hinauf, von dem Triumph über seinen Sieg zum Mitleid, zur Reue,
262 zür Betrübniß, zur Verzweiflung; tmh hotte
d,Daschin ich," rief die Fraa von Para;
W: „das fühle ich an dieser Unentschlossen heit, womit ich eine Ungerechtigkeit begehen sehe.
-O, dieser Augenblick, der schreckliche
Augenblick, wird — wird — O, Nordstetn, ich sage mich los von aller Schuld.
denken Sie, Sie verdammen ein Herz hoffnungsloser Liebe!
Be
zu
O, hast du denn nie
geliebt, Mensch mit dem Marmorherzen?" Hier legte er die Hand an die Stirn.
Zch liebte! rief er bitter; und wu-rde betro gen.
Er stürzte aus
Leben Sie wohl!
dem Zimmer, aus dem Hause; langsam, die Hände auf den Nucken gelegt, ging er das
Dorf
hinab,
um
abzukühlen.
sich
Er
ließ sich das Haus zeigen, wo Ludwig und Emma wohnten.
Es
ist
eln Herz, das
rief eine innere Stimme. Liebe?
ich verdamme!
Was
ist denn
sagte er mit einem bittern Lächeln»
Der bunte Traum eines Augenblicks, das
schale Mührchen von gestern.
Er ging ra
scher und kälter,und er trat zu Ludwig ins
Zimmer, der erblaßte,
-als er den
ron erblickte. ftifont. Emma. I.
IL
Ba
—
274
—
„Wo ist Emma ?" fragte der Baron kalt, mit einem stolzen Gesicht, in einer könig lichen Stellung. Ludwig bebte bei dem Anblicke des furchtbaren Mannes» Sie ist oben! sagte er furchtsam. „Hat sie meinen Neffen gesprochen?" fragte er weiter- mit einem drohenden Blicke. Za; aber sie kam fast zu Tode er schreckt, nach Hause» „Riegle die Thüre ab. Zch habe Dir etwas zu sagen." Ludwig verschloß die Thür, und stand nun zitternd da. „Sobald," hob der Baron leise, aber In einem schneidenden Tone, an — „du, alter Kuppler, Dich wieder in der Nahe meines Liessen mit dem Mädchen befindest, so ist es um dich geschehen. Zch denke, Du kennst mich. Das Mädchen liebe ich. Es sollte mir nahe gehen, du alter Thor, der Du eine Verbindung unterstützest, die unmög lich ist — es sollte mir nahe gehen, wenn ich, um meines Neffen Glück zu sichern,
— s;5
—
das Mädchen einsperren müßte.
Aber ich
muß, sobald Ihr noch einmal sichtbar werdet." Eü ist ein unglücklicher Zufall, Ihr Gnaden, sagte Ludwig, und hob die Hand auf, zum Schwur.
„Das gilt mir gleich. Ludwig, ich sage
Dir, ich werde Tuch beide verderben, wenn noch einmal
ihr
in meinen Weg tretet.
Noth sollt ihr nicht leiden. Hier! (Der Da-
ron schrieb dem Alten eine Addreffe auf.) ziehen; dorthin!
Dorthin sollt ihr
hast Du Geld zur Reise. wird Euch aufnehmen. Uv des Mädchens;
wig !
Hier
Mein Bruder
Du heißt der Var
merke Dir das Lud
Fehlst Du, so bist Du und sie ver
loren.
Jetzt gleich sollt Ihr gehen!
Jetzt
gleich!"
Ludwig nahm die Adresse, das Geld, und versprach, sogleich zu gehen. --Ich schicke Euch in fünf Minuten einen Wagen. At ter Ludwige es würde mir nahe gehen, wenn
dein greises Haar nicht mit Ehren in das Grab käme, meines Bruders treuer Freund. Willst du feinen Sohn unglücklich machen?” Da
rollten
Thränen
über
i8a
Ludwigs
— Wangen. horchen.
276
—
Ach, Zhr Gnaden, Ich will ge Aber wenn Sie Emma kennten!
O, warum muß denn das frömmste Ge schöpf untergehen! Aber ich will gehörchen.
Arme Emma!
Ach, Ihr Gnaden,
sie ist ein Engel!
Der Baron nickte. ,-Es ist nicht anders," sagte er kalt,
und ging.
Ludwig ging zu Emma. Sie wußte es schon; denn sie hatte den Baron kommen
sehen. Der Alte erzählte ihr. sagte Emma;
Ich will gehen,
aber, bei Gott! in der Ge
walt dieses Menschen will ich nicht bleiben. Za!
rief Ludwig: ja, Emma!
Du sollst nicht.
Nein,
Wohin fliehen wir?
Am liebsten in die Schweiz;
da giebt
es solche Thaler, wie unsers, ach! unsers,
wo ich ihn noch lieben durfte. Zeige mir den Weg, die
Landkarte.
Emma;
hier ist
Er holte eine zerrissene
Karte von Deutschland herbei. Emma suchte ihr glückticheö Eden. Sie fand es,
sie legte den Finger b rauf,
und Thränen
drangen aus ihren Augen. Hier! sagte sie
277 leise. Ludwig verstand sie nicht. Er um armte sie, unfr rief mit Leidenschaft: dahin
laß uns fliehen,
Emma!
Ich folge Dir
bis ins Grab, mein Kind-.
Er ergriff wü
seinen Hut. Aber in eben diesem Augenblicke hielt der. Wagen vor der Thür. Einer von den Bedienten des thig seinen Stock,
Barons, sein Vertrauter, den er zu Pferde
mit Im Dorfe hatte, begleitete den Wagen.
Ich habe von dem Baron von Nord
stein Ordre, Sie Beide an den Ort Ihrer Bestimmung zu bringen. — Zn zehn Minu ten war eingepackt.
sich zu widersetzen;
Ludwig wagte e» nicht,
denn
der Bediente
hatte ein eben so steinernes Gesicht, wie sein
Herr. Sie setzten sich . ein.
Der Bediente ritt
neben dem Wagen her.
Zm nächsten Dor
fe fanden sie des Barons Wagen. Die Pferde wurden vorgehängt; und nun ging
es in einem scharfen Trotte immer, weiter über Berg und Thal.
ÄJer Baron saß bei der Frau von Parae disi, und setzte- ihr auseinander, wie doch alles so lercht müßte, wenn es nur verständig angegriffen würde. Sieborte ihn dieses Mal geduldig an; denn sie dachte nur an Valerien. Sie gab ihren Wagen her, zum Wegbringen des Mädchens. Aber, sagte sie doch einmal, wenn nun Valeria Ih ren Planen im Wege stände? Sehen Sie, 3)ordstein, Ihr System ist ein Irrthum, aus dem simpeln. Grunde, weil es alles Vertrauen rödtet,. weil Zeder vor Ihnen zittert. Warum zittern Sie denn nicht vor der Vorsehung? Weil die Vorsehung allmächtig ist und ohne Leidenschaft; und Sie? — sind Staub, und Haffen und. lieben so gut wie ich. — Er lächelte. Mich dünkt,, sagte sie mit leidig; Sie sind auf dem Wege zur Ver zweiflung. Sie sollten zittern z denn Sie sind unter der Hand Gottes herausgetre-
— 279
—
ten. Sie stehen, wie Faust, mit dem bö sen Wesen im Bunde. Sie wollen mehr seyn, als ein Mensch. Sie ging zu Valerien, und fand sie in Thränen-; denn Alexander war bei ihr ge wesen: er hatte vor ihr geknleet, er hatte ihre Hande mit wilder Wuth gedrückt, wie ein Rasenher, und dann war er aufge sprungen, und, wie wahnsinnig, davon gestürzt.. Habe nur Geduld, Valeria! sagte die Mutter. Dieses rohe Geschlecht der Män ner, glaube mir, fodert mehr Geduld von uns, als Liebe; wir geben ihnen beides, und sie achten beides nicht. Gewöhne Dich früh, wie ein Seemann, an den wilden Orkan, dieses ungebändigten Geschlechtes. Dafür gab uns der Himmel Thränen, die sie der harten Brust des Mannes ver sagte. „Aber was mag ihm fehlen, liebste Mutter?" Dein Friede, Valeria, Deine Ruhe, deine sanfte Seele, Dein reines Herz. Wir Weiber und Mädchen leben in stillen Tem-
280
peln, unter JHtaren,
in den Wohnungen
des Friedens, der Tugend;
denn das sind
Der Mann ist- draußen im
unsre Hauser.
wilden Sturm der Leidenschaft,
des Ehr-
geitzes, des Ruhms, der Versuchungen, der
Wie ftll er sein Herz rein bu
Verbrechen.
wahren, gleich, der Vestalin, welche nie die Schwelle
des Tempels ihrer reinen
Lin überschreitet?
Laß das!
Du hast ja
süßen,
tröstenden Thränen^
der Mann nur die
wilde Verzweiflung,
Thränen,
die
wenn er trauert. Ach, so hatte Valeria den Manu noch
nicht gekannt! ach, so am wenigsten, glaub te sie,
sollte sie
den
sanften,
gütigen,
menschlichen Alexander kennen lernen. Und doch vergab sie ihm jeht schon alles, alles; und liebte ihn desto inniger, desto wärmer.
Sie war desto mehr sein, je mehr er sich
von ihr loöriß. S, du
armeö Geschlecht, wer war so
listig, dich überreden zu können, daß Eitel keit ein größerer Triumph sey, Du
giebst
deine Allmacht
Schmeichelei-,
als Liebe.
hin für eine
das Glück, Deines ganzen
—
28 l
—
Lebens für einen Moment, der dich mit einer falschen Huldigung bekriegt! Siebe ist Eure Wehr; der Amor, der einen Lö wen zähmt. Euer Wahrzeichen. Ihr soll tet die wilde Leidenschaft des Mannes mit Liebe zahmen. O, du edle Valeria! Alexander schweifte in der Gegend um her. Er hatte auf ewig von Valerien und von seinem Glücke Abschied genommen; Nun wollte er sich die Ruhe erzwingen, Emma zu sprechen, ihr anzukündigen, daß er ihr seine Hand geben werde. Ach! so nahe bei Valerien war es ein großes Op fer, das er zu bringen hatte. Aber er war entschlossen, eß mit Muth zu bringen. Emma sollte das Opfer nicht kennen; sie sollte, glauben, er liebe sie noch. Der Abend kam. Alexander schlich sich in das Gebüsch, und beobachtete den einigen Gang, der von hinten hinein führte. Emma kam nicht. Es wurde finster, still; Emma kam nicht. Er horchte mit angehaltenem Athem, er. hörte den leisesten Luftfloß in den Blattern; aber EmWao. Fußtritt horte
2Q2
or einem hülflosen Kinde, das mit Lächeln rnd stummen Flehen seine Hülfe fodert. Der Ton ihrer Stimme, die einfachen. Worte drangen bis in die verschlossensten hegenden seiner Seele, und brachten Saien in Bewegung, die seit Zähren kein Mensch berührt hatte. Er war hart hier-
3i5 her gekommen; ihr Anblick hatte ihn ge rührt. Ihre Paar Worte: ich bin nicht unglücklich!
welche
die blaßen Lippen so
matt aussprachen, hatten seine ganze Ju gend lebendig gemacht, unb 'er redete nun mit ihr in seinem gütigsten Tone. Sie schwieg, als er ihr sagte, daß er seines Neffen Liebe kennte; nur eine Thrä
ne stahl sich aus dem betrübten Auge, und rollte sanft die Wange hinunter.
„In der That, ich nehme Theil an Ih rem Glücke; glauben Sie mir, einen größern Antheil, als ich selbst je dachte."
Er
wartete auf Antwort; doch sie schwieg. „Liede Emma, was soll ich glauben?
Sie schweigen? doch hier gut?
Man
begegnet
Ihnen
Glauben Sie mir, Sie
haben an allen Orten zu befehlen, wo mein Nahme das geringste gilt.
Hier sind Sie
Königin; denn hier bin ich Herr.
Lassen Sie uns vertraulich Herz gegen Herz öff
nen, Emma.
Es ist ein Unglück, daß Sie
meinen Neffen lieben. Aber, glauben Sie mir, es ist keine Liebe unüberwindlich. Sie
werden ihn vergessen."
—
316
--
Was hätte ich dann
noch,
wenn ich
ihn nicht mehr liebte! sagte sie leise,
Blume langsam zerpflückend.
eine
Aber ich ha-
be ihn ja aufgegeben, gnädiger Herr.
Er
lauben Sie mir nur, daß ich an ihn den
Das muß ich, scheint es mir, so
ken darf.
gut, als ich sehe, wenn ich die Augen auf schlage.
Ach, gnädiger Herr, Sie und Alle
haben vieles Andre.
Ich habe ja nur die
Einsamkeit, meinen Schmerz und den Ge
danken an Ihn.
O, darf ich
denn das
nicht?
„Das
eben, liebe Emma, das
eben!
Sie sollen auch vieles Andre haben, was Sie glücklich macht, wenn Sie mir fol gen wollen.
Sie werden ihn vergessen."
Sie schüttelte schweigend den Kopf.
„So eben sagten Sie mir, Sie waren
nicht unglücklich.
Glauben Sie mir: der
Mensch, der das sagen kann,
ist glücklich.
Wie meinten Sie das?" Ich habe hier die stille, menschenleere
Einsamkeit,
Felsen
wie
und — meinen Schmerz.
in
Waldweiler,
Sie lächeln?
-
3i?
-
Ach, gnädiger Herr, ich würde nicht glück lich seyn, wenn ich den mcht hätte.
„Sie schwärmen, gute Emma.
Der
Mensch muß aber mehr als schwärmen, mein Kind, und schwärmte er auch noch so fromm.
Sie — Sie könnten viel!"
Ich? sagte sie eifrig. Ach, was könnte
ich, als leben und — und ♦ . .
Ihn lieben?
Sie könnten mehr! Sie
könnten einer Familie Frieden und Einig keit geben, einen edlen Jüngling auf die Bahn der Ehre und des Ruhmes führen,
vor der er jetzt thatenlos, im Gefühl eines vergeblichen Kämpfens gegen eine unglück liche Leidenschaft, finster und kummervoll dasteht. Das wäre etwas Besseres, als ein
unfruchtbarer Schmerz, der
Sie hier le
bendig in die Einsamkeit vergräbt. Wozu nützt dieser Rosenstrauch, hier in der Wild-
niß, wenn er Ihnen nicht seine Blüthen giebt, den Insekten Schutz, dem Boden sogar mit den fallenden Blättern neue
Nahrung?
Emma, sein
Tod
in jedem
Herbst ist etwas Edleres, als Ihr Schmerz,
3i8 ter nur alle Menschen betrübt.
Sle konn
ten etwas Edleres thun, als trauern." Zch habe thn ja aufgegeben, gnädiger Herr.
O,
gewiß,
ich habe ihn aufgege
ben., Zch glaube sogar, daß ich mich freuen würde, wenn ich hörte, er wäre — glück
lich ohne mich, mit einer Andern glücklich, „Aber, liebe
Emma,
Er darf Sie
nicht aufgeben, wenn Sie auch ihn. Auch wenn er eine Andre liebte, so dürfte er Sie nicht aufgeben." Sie schüttelte den Kopf,
und sagte
leise und zögernd: er wird, glaube ich, nie eine Andre lieben.
Diese einfache Antwort, die aus dem tiefen Grunde einer schönen, reinen Seele kam, erschütterte das Herz des Barons.
Er faßte Emma'ö Hand, und drückte sie. „Das sagen wir wohl, Emma!" rief er fin
ster, weil er an Lidi dachte. Dann setzte er ruhig hinzu:-„Wenn Sie ihn aufgeben, so ist das Großmuth; wenn Er Sie aufgiebt,
so begeht er ein Verbrechen."
Ach! rief sie aufspringend und die Han
de zusammen schlagend; ach! ich weiß, daß
319 auch ich eins beginge, wenn ich aufhörte ihn zu lieben. O, der Himmel, Gott wür de so sagen, und ich -- würde so sagen! „Ich glaube nicht, Emma. Wenn Sie ihn glücklich machten, das wollten Sie ein Verbrechen nennen?" Glücklich? ihn? Was soll ich denn thun? „Er darf Sie nicht eher aufgeben, Emma, als bis Sie — eines andern Mannes Gattin sind." Hier erblaßte sie, schauderte zusammen, und schlug die Hande vor das Gesicht. Nein, sagte sie lebhaft: das kann ich nicht! Zch will ihn aufgeben, will ihn nicht wie der sehen: das schwöre ich Ihnen; ja, ich will, wenn es möglich ist, nicht mehr an ihn denken: aber das kann ich nicht. Der Baron gab sich alle mögliche Mü he, sie zü überzeugen, zu überreden und endlich sie zu schrecken; doch hier scheiterte seine Deredtsamkeit. Ihr Herz war eben so fest, wie sein Plan. Sie blieb dabei, daß sie alles thun wolle, nur nicht einem andern Manne ihre Hand geben.
320
Der Baron blieb noch einige Tage, und
machte neue Versuche; aber die furchtsame Emma wurde zu einer Heldin, sobald er diesen Punkt berührte, den er auch sogleich aufgeben mußte,
wenn
er ihr Vertrauen
nicht gänzlich verlieren wollte.
endlich
wieder zu
Er kehrte
seinem Bruder zurück,
finster darüber, daß nichts, gar nichts, diese
kindische Liebe zerstören konnte, feste Treue
er in
um deren
mancher Stunde seinen
Neffen freilich beneidete.
Der
Oberkammerherr
verlangte
und der Baron sagte,
Auskunft,
jetzt
daß es
nun gar nichts weiter wäre. Zener lächelte, und sagte mit einer Verbeugung:
Mein
liebster Bruder,
mich dünkt, Du verstehst
Dich vortrefflich
so
im
Großen
auf den
Menschen, so — wie soll ich sagen? — so
auf die Cäsarrr,
auf die Alexander, wenn
sie auf Thronen sitzen
oder Welten ver
wüsten.
Aber —
übel! —
auf die Menschen so in Küche
und Keller,
nimm
es
mir
nicht
in der Anziehestube etc. ver
stehst Du Dich nicht.
Mit Buchstaben,
Bruder, konntest Du in der Jugend rech
nen,
321
nen, und mit Zahlen, woran Thaler oder Pfunde hingen, nicht.
Sieh, Bruder, Du
kannst am Hellen lichten Tage angreifen,
Auge
gegen Auge.
Aber glückt das? frage ich.
So ein Ue-
Stirn gegen
Stirn,
verfall, ehe sich's der Felnd versieht, ehe er den Degen bet der Hand hat — das führt
bester zum Zweck. heit,
Doch dazu gehört Fein
das will mit spitzen Fingern ange
griffen seyn.
Ueberlaß Du mir einmal die
Sache; ich komme damit zurecht.
Der Baron überlegte,
und — sagt-
Za; nur mit der Bedingung, daß Emma dabei durchaus nichts, gar nichts, zu leiden
haben sollte.
Das versprach der Kammer
herr mit dem feierlichsten Versprechen, und
zugleich auch, daß er dem
Baron
Plan vorher mitthellen wollte.
seinen
So reiste
der Baron ab, und ließ setnen Bruder das Steuer auf dieser schwierigen Fahrt.
Der Kammerherr sagte,
als er in sei
nem Zimmer allein war: Was helfen Wor te,
Vorstellungen,
braucht!
die
mein Bruder ge
Die Liebe ist eine Leidenschaft,
Lafvyt. Emma. I.
21
3^ und, uni sie aus^utreiben, bedarf es Hand lungen.
EtN Keil treibt den andern, einen
Teufel bannt man mit dem andern.
Ich
muß doch meinem Neffen ein wenig auf den Zahn fühlen.
Der Kammerherr
fangt
eS listig ge
nug an. Nachdem er den Neffen auf den Zahn
gefühlt hatte, fand er mit hoher Selbstge fälligkeit, daß nichts leichter wäre, als sei
nen Neffen von dem Mädchen los zu rei ßen.
Der junge Mensch hat Ehrgeltz, wie
jeder andre.
Man darf nur die
Geliebte
in seinen Augen verächtlich machen,
die Sache geschehen. Teufel,
so ist
Sein Ehrgeitz ist der
den ich auf den Teufel der Liebe
Hetzen werde; und es müßte seltsam Zuge-
hen — Alle Teufel! ich wollte mein Bru
der oder sonst Jemand hörte mich -hier re den, wie hier Ein Teufel über dm andern
323
herfährt — es müßte seltsam zugehen, wenn eS nicht glücken sollte. Der Kammerherr war gar nicht Erfin der seines Plans, wie er sich hier selbst be log; sondern in seiner Jugend hatte er ein mal — der Himmel mag wissen, in wel cher schönen Stunde z denn nie war eine solche Stunde wieder gekommen — in sei ner Jugend hatte er ein Mädchen geliebt, von dem man ihn auf die Weise trennte, daß man es dem öffentlichen Spotte aus setzte. Er verließ sie; und, um sich ein größeres Ansehen zu geben, belohnte er des Mädchens Zärtlichkeit mit dem bittersten Spotte. Lächelnd ging er nun umher, und über sann seinen Plan, doch ohne etwas herauzu sinnen; denn, so wie die Sache in sei ner Jugend gegangen war, ließ sich die ge genwärtige nicht betreiben. Er hatte für einen Fall dieser Art eine Freundin, die Frau von Wendel, eine Frau von lebhaf tem Geiste, aber ohne Verstand, die bestän dig von einer Intrigue in die andre fiel. Ihr Haus \w der Sammelplatz aller Dersi-
3'24
—
—
lärrmdungen, aller Handel, aller
Gerichte.
Und doch hatte sie imAeußern eine Würde, ein so sanftes, angenehmes, Wesen, daß mau
sie recht genau kennen mußte,
um
sie zu
scheuen.
Dieser Fran von Wendel entdeckte sich
unser Baron er wünschte,
Kaum wußte sie, was so funkelten ihre Augen vor
Freude; denn eine so planmäßige, wirksame
Intrigue hatte sie lange nicht gehabt,
und
eine so unschuldige dazu, durch die ein jun
ger Cavalier, die Hoffnung, der- Stolz und der Erbe seiner großen und reichen Fami lie, von einer ihn entehrenden Liebe losgerissen werden sollte.
Das
erklärte der Baron,
Mädchen,
wäre in seiner Gewalt;
und so wurde be
schlossen, Emma nach dem Hause der Frau -von Wendel zu bringen.
Kann
sie
als
meine Jungfer hier seyn? fragte die Dame.
Recht gut! £>, vortrefflich, vortrefflich! Ihre Jungfer, gnädige Frau! — Nun be schloß man weiter,
schaft,
die aus
eine glänzende Gesell
dem
ganzen umliegenden
Adel bestehen sollte, zu veranstalten rind^tn
—
32j
—
Gegenwart des jrmgen Barons von Nord-
sieln
das Mädchen in den Saal kommen
zu lassen.
„Was dann welker? was welker, meine
Gnädige?
Sie müssen wissen, meln Neffe
ist unter den Handen meines Bruders so
ein soi-dlsant philosophe geworden, dec eine Jungfer gerade so
wie die
ansieht,
Frau vom Hause."
Das thut Ihr Herren alle!
sagte die
Frau von Wendel, laut lachend.
Aber des-
halb wird er keine Jungfer heirathen! — Ich stelle die Sache so an, daß das Mäd
chen — Hat sie Geist? ist sie rasch, stolz?
Dann haben wir gewonnen!
—
(Das
wußte der Oberkammerherr nicht).— Dem
sey, wie ihm wolle!
Ich breche die Gele
genheit vom Zaune, und beschäme sie An
gesichts der ganzen Gesellschaft.
Wrr be
stellen einige Herren, die das Mädchen mit
schallendem Gelächter wieder aus dem Saale
treiben.
Glauben Sie, daß seine Liebe da
gegen aushält?
„Herr Bruder!
Herr Brüher!"
rief
der Kammerherr, sich aufblähend, und stolz
326 (n dem Zimmer umherschreitend. ,,Man sollte den Hof hieher schicken, meine Gnädige.
Das ist vortrefflich ersonnen, und ich
liebe solche Plane, wie diesen, wo ich schon
so lange voraus lachen kann, als ich will, weil die Sache unfehlbar ist.
Mein Bru
der zielt, zielt, und fehlt unter drei Ma len wenigstens zwei. — Ich schicke Ihnen
das Mädchen." Der Oberkammerhcrr fuhr ''nach dem Gütchen, und ließ Emma auf fein Zimmer
rufen. Er redete freundlich mit ihr, und sagte ihr endlich, daß er eine Stelle für sie gefunden hätte, worin sie glücklich seyn würde: bet der Frau von Wendel.
Emma erblaßte.
Sie sagte furchtsam
bittend —doch dieses bittende Gesicht mach-
te ihn dreister und harter —:
der Herr
Baron hatte ihr erlaubt, hier ungestört zu
leben. Ja, so lange es ging!
Antwort.
war seine kalte
Jetzt geht es nicht mehr; und
so, mein Kind,
muß Sie als Jungfer zu
der Frau von Wendet. treffliche Dame.
Es ist eine vor
Hier empörte sich Emma'S Seele; Theils über das: „muß Sie?" — so hatte sie
noch Niemand genannt;
der Vgron, die
ser stolze Ata-nn, hatte sie immer wie ein
Frauenzimmer, von guter Erziehung behan delt — Theils über den Gedanken: Zungfer bei der Frau von Wendel!
Sie fühlte,
daß ihre Seele sich schnell erhob, folgte ih rer Empfindlichkeit, und sagte:
Der Herr
Baron von Nordstein äußerte, als er mich besuchte, ich wäre überall Königin, wo Er
zu befehlen hätte; und hier war das ja der Fall. Bei der Blödigkeit des Mädchens, war
dem Baron diese stolze Antwort ganz un erwartet
Zhm fielen die Fragen der Frau
von Wendel wieder ein:
ist sie rasch? ist
sie stolz? Mit einem zweideutigen, boshaf ten Lächeln sagte er: es freuet mich, mein Kind, daß Sie Werth auf sich legen; und wer würde einen; hübschen -Mädchen den
Titel einer Königin streitig machen!
Aber,
mein Kind, ein Arrangement mit Meinem Bruder hat.diese Veränderung eben nöthig
gemacht.
Jetzt befehle ich hier.
—
Er
323
—
warf hochmüthig den Kopf auf. verlor fast den Muth,
da
Emma
ihr der Baron
noch einmal bestimmt ankündigte,
daß sie
sogleich mit ihm zu der Frau von Wendel
abreisen müßte.
Er schte hinzu: wenn es
ihr dort in dem Hause nicht gefiele, so hätte er den Auftrag, von seinem Bruder sowohl, als von seinem Neffen, für sie zu besorgen.
einen andern Ort
Von Ihrem Neffen? fragte sie erblas send.
Don meinem Neffen, antwortete er ru hig, und, wie es schien, aufrichtig. Und Ihr Neffe heißt Alexander von
Nordstein? fragte sie mit bebender Stimme. Herr Baron Alexander von Nordstein.— Er lächelte,
als er das Mädchen immer
mehr erblassen sah. Nein, nein! rief sie auf einmal wieder:
es ist nicht! unmöglich! So, so — Das konnte er nicht!
Warum
nicht,
liebes
Kind?
Das
menschliche Leben ist voller Veränderungen, bald traurig, bald fröhlich. — Er näherte sich ihr zutraulich.
Haben Sie je von der
*-
32g
—
Familie Frangipani gehört? (Emma sah ihn mit großen Augen an.) Nun, mein Neffe ist mit einem Fräulein aus diesem Hause versprochen. Frangipani Paradisi. Hier taumelte' das arme Mädchen zu rück; Venn bei dem Worte Paradisi um leuchtete sie auf einmal ein schreckliches Licht. Daleria hatte ihr gesagt, daß ihre Mutter eigentlich Paradisi heiße. Jetzt stand auf einmal das idealisch schöne Mädchen, Daleria, vor ihr, die ihr selbst ein Engel ge schienen hatte. Sie sah nun auf einmal, wie Alexander mit seinem Oheim zu der Frau von Paradisi gekommen war. Fräu lein Valeria von Frangipani heißt seine Braut, sagte er. Sie hielt sich an einem Stuhle; dann sagte sie langsam, demüthig, mit der Stimme eines gebrochenen Her zens: Bringen Sie mich, wohin er und Sie wollen. Und hieher, mein gutes Kind, werden -te jungen Leute. ♦. Kommen? hieher? Q, ich beschwöre Sie, bringen Sie mich fort! von hier fort! . Ludwig packte Emma's Sachen, und
330 nach zehn Minuten saß sie mit dem Oheim im Wagen, mit dem Unmenschen, der ihr, ohne Mitleiden mit dem Herzen, aus dem
ein hartes Berhangniß jetzt das Bild des
Geliebten mit tausend Wunden herausriß, eine Stammtafel der Nordsteine
mahlte,
und es bedauerte, daß sie seines Ahnherrn
Rodogars Bild nicht gesehen hätte, als sie
bei ihm gewesen wäre. Sie kamen gegen Abend bei der Frau
von Wendel an.
Emma mußte im Bor
zimmer stehen bleiben; der Baron ging in
das Zimmer der
gnädigen Frau.
Hier
drängte sich auf die bleichen Wangen der
Verlassenen — ach, verlassen ist, wer im Vorzimmer stehen muß! und wie verlassen
war sie jetzt, die immer, wo sie auch ge
wesen war, ein Strom reicher Liebe em pfangen hatte! — der letzte harte Schmerz stieg, in die dunkle Farbe des Zorns geklei det, auf ihre blasse Wange: nicht darüber,
daß Alexander Valeriens Bräutigam wär,
sondern, daß siä mit seiner Bewilligung hier stehen mußte. Die Thür ging auf.
Die Frau, von
331 in das Vorzimmer, wendete
Wendel trat
Smma’n nur Eine Schulter zu, betrachtete sie, über diese Schulter hin, verachtend,
mit hartem, herrischem Blick, und sagte:
das ist Sie?
Emma, heißt Sie?— Die«
fer stolze Ton brach Emma's Stotz.
Sie
verbeugte sich, und die Angst warf sie auf die Kniee.
Stehe Sie auf! sagte Frau von Wendel gebietend.
Ich nehme Sie auf des
Barons Empfehlung.
Sey Sie treu und
fleißig! Sie klingelte, und es kam ein Bedien;
ter.
Das ist die neue Jungfer;
mit euch essen.
sie kann
Emma schwankte mit dem
Bedienten hinaus.
Es war jetzt nicht mehr
das Herz, was sie schmerzte, sondern der Kopf, den diese Behandlung so verwirrte,
daß sie sich
an dem Arm des Bedienten
halten mußte. Baron, sagte die Frau von Wendel; ehe sie ihn nur einmal sieht, soll sie schon
alle Hoffnung aufgeben.
Meine DomestK
ken werden sie wohl ziehen!
332
Emma. Emma aß nicht, und redete nicht.
Als
sie am späten Abend auf ihr Ztmmerchen ging, empfand sie auf einmal das trostlose Gefühl, keinen Menschen mehr anzugehoren, und das noch trostlosere, Den, welchem sie angehörte, verloren zu haben. Zhr Herz bewegte sich so wehmüthig in der wunden Brust, als wollte es eben still stehen. Sie fühlte das, und so — «ahm sie die Feder, die sie fand, ihm ewig Lebewohl zu sagen. Sie schrieb: „0, Alexander, wenn Du mich hier sä hest, in dieser Minute, wo der Schmerz mir das Leben abringt: so würde Deine alte Liebe sich zwischen mich und den Schmerz stellen. Gewiß, gewiß! Alexan der, frage mich nicht: welch ein Schmerz? Denn ich müßte antworten: Du, Alexan der! Du! O, war oe denn nicht genug, Alexander, daß Du ... Mußtest Du denn zu dem Schmerze der ewigen Treue noch Verachtung hinzu fügen? Alexander, ich
333 fsctnb mit brennenden Sohlen vor meiner
Herrschaft! Gott, mußte ich je das Wort nennen? Ich sank ihr zu Füßen, und sie — o, sie sah mich nicht einmal an! Doch
ich will nicht über sie klagen; denn sie lieb-
te mich ja nicht!" „Nein, auch über Dich will ich nicht klagen, obgleich ein dunkles, leeres Leben
vor mir liegt, worin Du nicht bist, mein Alexander. Umsonst trennten uns Felsen und Wälder von der Welt. £>, könnte ich
noch einmal mit Dir an das Grab unse rer Mutter zurückkehren! Noch einmal wollt ich Dich anschauen mit treuen Am
gen, dann das Haupt beugen auf das Grab, um
zu
träumen,
die Freude, nicht der
Schmerz, habe mich getödtet."
„Dienstbarkeit! welch ein hartes Wort!
Welch ein drohender,
O, mußte ich, die Du liebtest,
Nahme!
mußte
Zittern erregender
ich
dieses
harte
Wort
kennen
lernen!" „So gehe denn, Alexander! Die Freu-
den, die ein Engel mir bestimmte, als er
mich den Handerr dtr Liebe -ab, die Freu-
—
334
den mögen Dein seyn!
—
Und Du — höre
nie wieder den Nahmen Deiner betrübten Emma nennen; keine meiner Thränen falle je auf Dein Herz, nicht einmal in Deine Träume, und vergiß mich ganz» Alexan der!
Vergiß alles, den Adler, der wieder
hrimkrhrte! alles, alles!"
Die Kammerjungfer. Die Frau von Wendel hatte sich ein Paar
Tage auegebeten,
ihre neue Jungfer ein
wenig kennen zu lernen, um beurtheilen zu können, wie sie für den Theater-Coup zu be
handeln wäre.
Endlich kam der große Tag
des Schauspiels.. „Mein lieber Neffe Ale xander," sagte der Oberkammerherr; „Du wirst dort bei der Frau von Wendel die Klume des Deutschen Adels antreffen. Zch
bitte Dich, nion neveu, nimm Dich zu sammen; man merkt auf Dich." Alexan der lächelte; er war schon einige Mal bet der Frau von Wendel gewesen, und die
335 grau hatte ihm mit ihrem lebendigen We
sen gefallen, so daß er gern mit seinem Oheim dorthin fuhr. Um den Contrast zu verstärken, ließ der Oheim
fernen
Neffen
im Staatswagen
fahren, mit zwei Bedienten in der Staatü-
livrei, mtt Vorreitern und Jägern zu Pfer de.
Der Contrast ist zu schreiend, dachte
er; gewiß wird er es nicht wagen, sich des Mädchens anzunehmen.
Sie kamen an. Der ganze Adel der Gegend war in dem prächtigen Salon der Frau von Wendel versammelt.
Bet Tische
sprach man von Mißhttrarhen, und machte
sie lächerlich. Man fand den Mann verLchttich, der das theuerste Gut des Adels, einen
könne.
reinen Stammbaum, beschimpfen Der Oheim sah auf seinen Nest
fen, in einem Spiegel seiner großen gole
denen Dose.
Der Neffe betrug sich gut;
er ließ im Ganzen den Grundsatz
gelten,
ob er gleich zuweilen einen bittern Spott dazwischen warf. Ehedem war es nicht so, sagte ein dicker
Domherr.
—
—
336
„Um Bergebung!" erwiederte Alexan der: „da war der Nahme Bastard ein
Ehrentitel." Doch das sagte er mehr mit spottendem Lächeln, als in Ernst; und sein Oheim war zufrieden.
9?un ging man in den Saal, um Kaf fee zu trinken. Auf einen Wink näherten
sich die Schauspieler; die Flügelthür ging
auf, und Emma, wie eine Kammerjungfer gekleidet,
recht einfache trat,
mit Tas
sen auf dem Prasentirteller, herein. Rodogar, mein Ahnherr, sagte der Kammerherr leise; gieb unü Glück! — Alexan der sah Emma nicht, und hörte kaum, daß
die Frau von Wendel ganz nahe bei ihm
rief: was macht Sie
denn?
schickt! Sieht Sie denn nicht?
Wi^,ttnge-
Wo hat
Sie denn Ihre Augen?
Hier schlug Emma die Augen auf, und erblickte Alexanderen, der in dem gleichgül
tigsten
Gespräche neben
stand.
Sie wurde bleich
einem Fräulein wie Marmor.
Der Prasentirteller fiel ihr aus den Han
den, und die Frau von Wendel, die jetzt die schönste Gelegenheit hatte, rief:, unter
Bauern
—
33?
—
Bauern gehört Sie, aber nicht unter Leute
von Stande! und
Hier sah Alexander endlich auf,
erblickte Emma, die mitten (in Saale, todtenbleich, mit herabgesunkenen Armen und
taumelnd, dastand. Er stürzte zu ihr hin, und faßte sie ln seine Arme.
Sie sind zu gütig, Herr Ba
ron! sagte die Frau von Wendel; mein Kammermädchen. ken.
es
ist
Sie ist erschrok-
Geh Sie nur! geh Sie! Alexander hörte garnicht, was die Frau
vom Hause sagte. Er rief mit unbeschreib lich rührender Stimme: Emma! Emma!
Zch bin'ö, in dessen Armen Du stehst. O,
sieh mich an! Alexander ist es!
Sind Sie mit der Kammerjungfer der Frau von Wendel so genau bekannt, Herr Baron? fragte Jemand mit einem spöttischen Lachen. Hölle und Teufel! rief der Baron; Kam-
merjungfer? Wie! Wer sagt das! Das sage ich, mein vergeßlicher Herr Baron, erwiederte die Frau von Wendel lachend und mit einem spöttischen Mitlei-
Lasont. Emma. I.
—
338 den: Sie werden mir doch meine Dome-
siiken nicht streitig
machen?
Gehe Sie,
Ungeschickte! den Augenblick!
Tod und Verderben!
Domestik? wie?
rief Alexander, und seine Augen flammten fürchterlich, und die Gluth des Zorns über zog seine drohende Stirn.
ist das wahr?
hteher?
—
Emma! Emma! Wer brachte Dich
Wie!
Emma lag mit dem matten
Haupte an seiner Schulter,
tete:
und antwor
„Dein Oheim!"
Das ist erbaulich!
rief die Frau von
Wendel, noch vollkommner entschlossen, den Sieg zu gewinnen:
meine Jungfer nennt
ihn Du!
„Dein Oheimdies Wort verstand Ale xander falsch;
was die Frau von Wendel
sagte, hörte er gar nicht.
Er glaubte, es
wäre sein Oheim in der Residenz.
Mein
Oheim? mein Oheim? O, so verdamme ihn Gott! (Hier fuhr der Kammerherr
zusammen.) So verdamme ihn Gott in den tiefsten Abgrund der Hölle! Seine Tugend war Heuchelei! So zerreiße ich die
Bande des Bluts,
die Bande der Dank-
—
barkelt.
339
—
Aus dem tiefsten, schwärzesten Ab«
gründe der Hölle holte er diese satanische
Grausamkeit!
Wie! mich so zu verachten?
mich so wenig zu fürchten?
Oheim,
O Himmel!
vergebe ich Dir daü,
so — sehe
mein Auge das Tageslicht nicht mehr,
so
erstarre dieser Arm, eben wenn er Emma retten will!
Jetzt merkte der Oheim, daß Er nicht gemeint war.
Um Gottes willen! sagte er
leis« zum Fenster hinaus: wenn die Gan»
nur schweigt! Aber, Baron, spielen Sie hier eine Tra gödie mit der Kammerjungfer? fragte ein Oberst, der im Geheimnisse war, mit einem Faunen - Gelächter. Die Jungfer sekondirt nur schlecht; sie benimmt sich jetzt eben so
ungeschickt, wie vorhin mit dem Kaffee.
Hier riß Alexander Emma gegen di« Gesellschaft vor, und rief: dieses Mädchen
ist meine Braut!
Haben Sie mir etwa»
von meiner Braut zu sagen? —
Zn die
sem Augenblick erhoben sich ein Paar la chende Stimmen. Alexander stürzte wü
thend auf einen der Lacher los,
22*
der nun
—
voll Angst rief:
—
34°
mein Gott!
sehen Sie
denn nicht, Herr Baron, daß das alles an
gestellt ist?
Zch glaubte. Sie wären mit
tm Geheimniß.
Angestellt? rief Alexander mit verdop
pelter Wuth und so
drohender Stimme,
Damen sich
eine an die andre
daß die
drängten; und der Kammerherr, der nie
mals geglaubt hatte, daß ein Mensch so to ben könnte, sagte, wieder zum Fenster hin aus, mit einer Art von Schreckenssprunge:
wenn sie nur schwelgt! Angesiellt? rief er, und sah die Frau von Wendel an.
Ja, sagte sie lachend;
Sie sind ja «in Türke, ein wahrer Heide»
Verstehen Sie denn keinen Spaß? Gott, Emma! sagte er ermattet: zu die
ser
Scene konntest Du
Dich hergeben?
Emma, ich bin außer mir. Es geht wieder an!
dachte der Kam
merherr. „Ach!" sagte Emma, schluchzend, ihre Arme um seine Arme windend,
sie sich in seinen Schuh:
als gäbe
„ich weiß von
—
gar nichts.
34*
—
Man hat mich hart behan
delt!"
Wie! hart? hart? Und Du weißt von nichts?
Frau von Wendel, an Sie wende
ich mich zum letzten Male.
Wenden Sie Sich an Ihren Oheim dort; von dem geht alles aus, sagte die
Frau von Wendel, die endlich anfing, den Murh zu verlieren.
Wie! rief Alexander, erblassend, indem höchsten Grade der Wurh: Sie waren eü
Oheim? Sie? Sie wußten, was mir die ses Mädchen ist, und Sie, Sie wagten es — wagten... ? Neffe! Mir hat mein Bruder gesagt. Du liebtest das Fräulein Valeria von Pa
radifi, aus dem Hause...
O weh! seufzte hier Alexander.
Sein
Zorn sank unter seiner Schuld, und unter dem Unglück, daß Emma den Nahmen Va leria hatte nennen hören. Der Oheim, der seinen Triumph be
merkte, trat jetzt keck hervor.
Zch bebaute
es, unsers Nahmens wegen, Deinetwegen, mon neveu, daß die edle Gesellschaft hier
—
342
—
hat Zeuge von einer solchen Scene werden
ipuffen» — Emma zitterte; denn sie las die
Schuld des Geliebten in seinem bleichen Gesichte.
O, so ist eü doch?
sagte sie so
leise, daß nur Er es hörte. Er wurde noch bleicher, und die Schuld drückte sein Haupt
noch tiefer auf die Brust. Ale sein Oheim das bemerkte,
in einer schönen Stellung vor.
trat er
Den lin
ken Fuß ließ er einen, großen Schritt vor
wärts machen, den rechten Arm. streckte er
gebietend aus, und rief: jetzt befehle ich Dir, das Mädchen zu
lassen,
das mein
Bruder meiner Vorsorge anvertrauet hat. Er hob die Hand noch höher, zog den rech
ten Fuß nach, blies beide Wangen ein we nig auf, um sein Gesicht voller zu machen,
und senkte
Augenbraunen,
über die
Augen. Sein Neffe antwortete nicht.
Er fühl
te nur
den
die
tödtlkchen Schmerz
in
seine
Seele übergehen, aus den erlöschenden Au gen seiner Emma, die leise
und
langsam
ihre Hand aus der seinigen los zu machen
suchte.
—
343
—
Da schritt sein Oheim mit großen, er zürnten, doch anständigen Schritten durch
den Saal, faßte Emma an, und sagte laut: fort, Mädchen! Laß sie, Neffe! laß sie auf ewig! Emma faßte seine Hand sogleich fester; und Alexander, als wenn tausend Leben ihn zuckend durchführen, erhob sich, sah seinen
Oheim mit flammenden Augen rief:
Was! was!-Emma!
an, und
Wagen Sie
es, Oheim, die äußerste Haarfpihe dieses theuren, ach! so unglücklichen Mädchens zu berühren: dann sind Sie — Ich achte
hier nichts, nichts! Fort! sage ich.
Nie
mand wage es, mich zu reihen; meine Hand
zuckt nach Blut!
Fort!
Sie
ist mein!
ewig mein! Oheim! Sie wagten es, das Mädchen, das ich liebe, hieher als Magd zu verkaufen, um eines Spieles willen?
Hier singen seine Augen wieder so dro hend an zu funkeln, daß der Oheim, mit einer
Verbeugung rechts und
links, als
wollte er der Gesellschaft schonen, sehr an ständig abtrat.
Endlich ermattet von der Beschimpfung,
-
344
-
von dem Schmerze, sank Emma, an seiner Brust in Ohnmacht. Er drückte den blaffen Mund auf ihre
blaffen Lippen: es war, als küßte ein Ster bender eine Todte.
O Emma! sagte er:
war es das, was ich Dir versprach? Sind
das meine Eide? das die Hoffnungen, die ich Dir gab auf dem Grabe meiner Mut ter, an Deinem Altare?
O jetzt, da Du
mich nicht kennst, da Deine Seele entflo hen ist, jetzt, laß mich die blassen Lippen, die mich mit ihrer Bläffe mehr anklagen, als mit Worten, jetzt laß. mich sie noch einmal küssen! Und nun, Du Heilige,
komm! Du bist dennoch mein! dennoch! Und würfe das Schicksal und die höl lische Barbarei dieser Menschen noch ^tau-send Stacheln zwischen unsre Herzen, so
fasse ich Dich dennoch mit sterbender Hand,
und nenne Dich mein!
Hier hob er sie auf, und trug sie aus dem Saale, klagend und seufzend über sei
ne Untreue.
Ein Bedienter
zeigte ihm
Emma'ö Zimmerchen, und hier erholte sie
345
—
sich wieder.
—
Beide saßen
stumm einander
gegenüber, und sahen vor sich hin. Hier kannst Du nicht bleiben, Emma,
sagte er sanft;
nirgends kannst Du blei«
bleiben, als bei mir!
O, bei den
ersten
Tagen unsers Lebens, bei unserer glücklichen,
unschuldsvollen
Jugend!
nie wieder verlassen.
werde Dich
ich
Du bist mein, mei
ne Emma! — Er lag zu ihren Füßen. „Alexander/'- sagte sie freundlich, und mit dem alten süßen Tone noch aus ihrem
Eden her: „Du glaubst doch, daß ich Dich noch immer liebe?"
Du
glaubst
es
doch von
mir auch,
meine Emma?
„Za, Alexander, ja! O, daß Du mich liebst, daß Du Dein Leben für mich geben würdest, daran, o Himmel!
zweifeln!
laß
mich, nie
Alexander, Du hast auch noch
das alte süße Vertrauen zu
mir.
Nein,
Du willst mich nicht bestiegen.”
Emma!
wenn
das ein Anderer sagte,
als Du — ich erschrecke vor mir selbst,
siehst Du, mein freundlicher Ale xander?
So antworte mir recht von Her-
—
346
—
Liebst Du Valerien? liebst Du sie?
zen.
O, tausche mich nicht!"
Mit
einem
langen,
tödtlichen, tiefen
Seufzer antwortete er: ja!
„Ja, Alexander, Du liebst mich noch; denn Du willst mich nicht bekriegen."
Wer sagte das, Emma? fragte Alexan
der leise. „Dein Oheim hier."
der Residenz?
Nicht mein Oheim in
Denn,
Emma,
Ich
vermuthe schreckliche
Dinge. „Dein Oheim in der Residenz? O, der,
der ist ein sehr edler Mann! Er nicht gewollt,
Das hat
was diese grausamen
Menschen mir gethan haben.
O, Er war
immer sanft, er liebte mich, er verschwieg es mir, daß Du jemand
anders liebtest.
O sieh! auf einmal weiß ich alles. Bringe mich zu Deinem Oheim.
Er ist der Ein
zige, zu dem ich fliehen kann, der mich schützen wird gegen alles, gegen alles — ach, Alexander!
ich will Dich nicht be-
triegen — auch gegen D i ch. eignes Herz."
gegen mein
34?
—
Beide schwiegen
sagte Emma dann,
—
„Ack,"
eine Weile.
nachdenkend und sanft
weinend; „Du liebst Valerien:
das war
wohl nicht recht; aber Du hast auch mich
So laß uns denn scheiden,
immer geliebt.
als Bruder und Schwester.
Das werden
wir ewig seyn." Du betriegst mich,
Emma!
jeht ber
trlegst Du mich, und auch Dich!
„Nein, nein!
Zch werde Dich ewig
nicht betriegen, ewig nicht. Oheim.
Dahin muß ich.
edler Mann.
Aber Bruder
Bringe mich zu Deinem
und Schwester.
O, er ist ein
Mein Bruder, dahin bringe
mich!"
Emma! „Willst Du nicht Schwester sagen? Du mußt eö; denn bei diesem Nahmen, diesem schönen Nahmen, schwöre ich Dir, daß ich nie
etwas anders als Deine Schwester seyn wer
de.
Bringe mich zu Deinem Oheim!" Zch bin unglücklich, sehr unglücklich,
Emma! Zch liebte Valerien ; aber nie habe ich
ihr
meine
Liebe
gestanden.
Dein
—
348
—
Schutzgeist hielt mich zurück.
Ich bln Dein,
geliebte, ewig geliebte Emma.
„O, führe mich zu Deinem Oheim, und nenne mich Schwester.
Wlllst Du mich
nicht so nennen?” Schwester! Schwester denn! So höre; und diese Worte sind unwiderruflich,
wie
&e ewigen Gesetze des
Zch
Schicksals.
nenne Dich Schwester; ober nie werde ich
eine Andre Braut nennen, mir treu
bist.
so lange Du
Und diese Treue, Emma,
diese rührende Treue, soll Dich endlich de-
siegen, und Du, ja! endlich sagen:
Du selbst, sollst mir
ich bin Dein, Deine Ge
liebte!
„Alexander!" erwiederte sie schmerzlich: „das werde ich nie sagen, Dein Gelübde nicht halten.
und Du sollst
Zch spreche
Dich los.”
Der Himmel hat meinen Schwur ge
hört, und er ist unwiderruflich.
Nun komm!
3$) führe Dich zu meinem Vater, Deinem Vater!,
349
—
Die Standhaftigkeit. A-
Saale war Unterdessen alles still ge;
worden;
man sah sich unter einander mit
großen Augen an. Endlich eröffnete denn ein altes Fräulein die Reihe der Fragen mit der: was war denn das eigentlich, Herr Baron? Und nun drängten sich die
Damen, wie ein Bienenschwarm,
setzt,
um den Baron her.
der sich
Er nickte ein
Paar Mal listig mit dem Kopfe, wie eln Kind,
das sich entschließt;
dann sagte er
Mit einer artigen Verbeugung: Haben Sie etwa von einem der ältesten Häuser in
Italien, den Frangipani, gehört? oder den Btanciforti, so alt wie die ältesten Vene-
tianischen Häuser,
die sich bekanntlich aus
den Zeiten Attila's herschreiben? Za! erwiederten ein Paar Stimmen. Es hieß einmal, eine Gräfin oder Fräulein Frangipani sey incognito ... Zncogniko, Sehen Sie,
ganz rechtl
ES hieß so.
es hat eine ganz eigene Be-
wandtniß mit dieser Frangipani.
Mein
350 Bruder, den Sie Alle kennen, — hier zog
er einen Brief hervor, und gab- ihn nach lässig in der Hand haltend,
seiner Rede
Grazie — schrieb mir selbst, was ich um der Welt willen nicht sagen darf. Dieses Mädchen,
gegen das mein Neffe eine so
chevalereöke Liebe zeigt,
war einmal mit
dem Kammerdiener ihres verstorbenen Va
ters incognito in meinem Hause.
Kammerdiener? Za, ja! Ach, die Sache liegt noch tie
fer; viel tiefer.
Es war Anno 1527, als
sich ein gewisser Rodogar —
der Nahme
war sonst eisern in unserm Hause — Ro-
dogar von Nordstein auf dem Nömerzuge mit Sr. Kaiserlichen Majestät in Rom be
fand. O, ich könnte Zhnen interessante Sachen darüber sagen, wenn es jetzt der rechte Zeitpunkt wäre.
Aber — Sie ken
meinen Bruder!
setzte er mit einer
nen
Verbeugung hinzu.
Der Thor kannte seine Leute.
Man
glaubte, hinter dem Mädchen der Frau von Wendel stecke ein Geheimniß von Wichtig keit,
da
der Bruder des Kammerherrn
35 r
—
mit km Spiele war. Der Kammerdiener des Mädchens incognito — die Gräfin Frangipanl
phirte.
Kurz, der Baron trium-
—
Niemand glaubte, daß die Geliebte
des jungen Barons eine Kammerjungfer wäre, auch die Frau von Wendel nicht. Während dessen half Alexander Emma's Sachen mit einpacken.
Er fand den Brief,
den sie ihm geschrieben hatte, las ihn heim lich, mit Thränen, und steckte ihn ein. Dann ließ er seinen Wagen vorfahren, gab Em-ma den Arm, und führte sie an den Wa
gen.
Die Bedienten des Oberkammerherrn
erkannten die Dame wieder,
Schlosse ihres Herrn so delt worden war, Ehrfurcht da. ihr Alexander.
die auf dem
ehrerbietig behan-
und standen mit tiefer
Emma stieg ein, und hinter Der Kammerherr, der es
sah, wurde roth und blaß.
Er ließ sogleich anspannen, fuhr in Gal-
lop hinterher, und sagte alle Minute: der Bursche ist ein solcher Tollkopf, daß er ge,
radeü Weges mit ihr in die Kirche fährt! Er holte endlich seinen Neffen wieder ein,
352
und ließ Ihn durch den Zager bitten,
auf
einen Augenblick zu ihm zu kommen. Alexander kam. Der Baron empfing ihn in der Kutschthür, und ließ ihn ein
steigen. Neffe, sagte er; ich habe alle Mühe gehabt, Deine fougue von heute zu maökiren. Sag mir nur: was ist Deine Absicht mit dem Mädchen?
„Sie will zu meinem edlen Oheim, in
die Residenz?' Der Teufel,
es steckt
mon neveu!
ein Geheimniß hinter dem Mädchen. Du und mein Bruder, Zhr hättet wohl gethan, mir
das zu sagen: so wäre die heutige Scene vermieden. Denn mit einem Fündling, wofür mir der Bruder sie ausgab,
macht
man solche Umstände nicht.
Hier sah ihn Alexander verachtend an. „Sie geht zu meinem Oheim, mit mir, in
die Residenz." Auf Deine Cavalier-Parole, mon ne veu ? „Auf mein simples Wort! Emma, o Himmel!
Denn wollte
wollte sie;
wäre ich
nicht
353 nicht der allerunglücklichste aller Menschen: so — fübrte ich sie heute zum Altare."
Diable!
Mon neveu,
ich heirathete
eigentlich darum nicht, weil ich keine Fami lie rein genug fand. Der
unmenschliche Formalist!
Alexander.
Laut sagte er:
dachte
„Das ist ge
rade auch mein Fall; darum will ich ein Mädchen heirathen, das gar keine Familie
Er bückte sich, und ging. Der Ba ron wünschte ihm alles Unglück über den
hat."
Hals. Die beiden Liebenden kamen in der Re
sidenz an, und fuhren gerade vor des Ba rons Haus, der ihnen entgegen kam.
Er
erwartete sie schon; denn der Oberkammer herr hatte ihn durch einen reitenden Boten von seinem Plane und dem unglücklichen
Ausgange desselben unterrichtet. Zch fürchte, Dich erbittert zu sehen, Alexander.
Mit diesen Worten empfing
er seinen Neffen. zu gut,
Halt es ihm und Allen
mein Sohn.
Diese armseligen
Menschen haben keine Idee davon, daß es bessere Herzen geben kann,
Lafont. Emma. L
als die ihri23
354
—
~
gen, die nichts weiter thun, als den Blut-
frrom bewegen. — Alexander, Dein Oheim klagt über die Hitze, womit Du ihn behan Zch fühle,
delt hast.
daß ich in deinen
Jahren noch zorniger gewesen seyn würde. Zetzt nicht mehr,
Alexander.
mit Lächeln sehen,
Zch kann
wie ihnen die Tugend
nichts weiter ist, als eine freundliche Mie
ne, als eine zärtliche Verbeugung, und wie jeder Charakter,
auch der sanfteste,
er nur Charakter ist,
wenn
ihnen die Rohheit
eines Wilden scheint. — Zch danke Dir, mein
Sohn, daß Du mit Emma zu mir gekom men bist.
Hier warf
sich Alexander
an seines
Oheims Brust. „Za," sagte er finster, und doch zärtlich; „ich komme zu Zhnen, mein Vater, weil Emma es durchaus so wollte.
Ware es nach
meinem Herzen gegangen,
so hatte ich Zhnen meine Gemahlin ge
bracht.
Aber ich komme zu Zhnen, mein
Oheim, mein Vater, und lege unser Schick
sal in Zhre Hände.
unsre Herzen. lerien liebe;
Entscheiden Sie über
Sie weiß -S, daß ich Va
sie... ”
355
Sie weiß es? fiel der Oheim eln. Wer? Emma? Das ist nicht gut! „Zhr Bruder," sagte Alexander, „hat mit rohen Handen diesen Schmerz auf ihre Seele gelegt." Und was sagt Emma jetzt? fragte der Baron mit sinnender Stirn. „Sie sagte etwas, — o, mein Vater, das allerunheilbringendste meines Lebens. Lassen Sie mich reden, laß mich reden, Emma!—Hier stehe ich, mein Barer/ hier, als stände ich vor dem heiligen, dunkeln Tempel des unerbittlichen Schicksals, als stände ich vor dem ewig ruhigen Auge der Schicksalsgöttin selbst. Zch fordere Emma's Hand von dem Leben, von dem Schicksal, von dem Glücke; nichts weiter. Zch liebte Valerien, ich liebe sie noch, das mag Emma hören; aber diese Hand, Emma's Hand, fasse ich, Emma's Herz ergreife ich, Emma'S Glück theile ich. Sonst will ich nichts vom Leben. Alles Andre ist unheilbringend, und soll es seyn. Alles Andre soll mein Wille in schwarze, finstere Nacht verwan232
356 dein.
Mein Vater,
geben Sie mir und
Emma Ihren Segen! ” Und
Emma sagt nicht»?
Baron. Ich habe
fragte der
gesprochen, gnädiger Herr.
Ich bin seine Schwester.
Er liebt mich,
und ich liebe chn; aber... „Meine Liebe zu Valerien war. ein
Traum, der verschwand, sobald ich Dich
wiedersah.
O, Emma!
kannst Du mir
nicht verzeihen?"
Mußt Du mir denn nicht da» Schwe rere verzeihen? Hab' ich Dich nicht auf gegeben? Sie, gnädiger Herr, haben mein
theure» Wort.
„Oheim," sagteAlexander jetzt: „sie gab mich auf nach Ihrem Plane.
Ihr Plan
ist es. O, wenn Sie auch an keine Liebe glauben, so gönnen Sie uns doch ein un schuldiges Glück, da» die Liebe uns auch nur für einige Tage bereitet.
Sie sehen,
ein böses Schicksal hat unsre Herzen er
griffen. O, mein Oheim, halten Sie Ih ren Plan ja nicht für besser, als den Plan
der Natur!
Geben Sie nach!
Es ist
-
357
-
wahrlich nicht ein Kampf mit meinem Her zen, mit Emma'ü Herzen, mit einer ver gänglichen Leidenschaft; Sie kämpfen einen Kampf mit allem Unheil,
kunft schwanger ist.
womit die Zu
Ich fasse Emma'ü
Hand, und Sie legen Ihre Hande segnend auf unsre Stirnen. Wir fliehen in die beglückende Einsamkeit; und wenn Siede
vergeblichen Spiels in der Welt müde sind, oder die Welt Ihrer Tugenden müde ist,
so fliehen Sie zu uns, mein Vater, und in unsern Herzen soll eine neue Welt für
Sie aufblühen,
eine
zweite
Welt
voll
Liebe." Alexander hatte seines Oheims beide Hande gefaßt, und die Augen voll Thrä
nen auf dessen Gesicht gerichtet. Das Herz des Barons war erweicht; er wurde im mer gerührter. Sein Neffe bemerkte es, und sagte: „o, folgen Sie der Rührung Ih
res Herzens, die aus Ihren Augen leuchtet! Es giebt keinen sicherern Führer, als die Bewegung eines schönen Herzens; keine andre Tugenden, als die Beglückung des einzelnen Menschen.
O, mein Vater!"
358 Doch in des Oheims Seele erwachten die vieljährigen, erwiesenen Grundsätze, und widersetzten sich
seiner Rührung.
Sein
Blick wurde immer ruhiger, sein Mund
immer
lächelnder.
Alexander, sagte er;
laß mich doch in Ruhe des Schauspiels
von einem Paar so reiner Herzen genie ßen, wenn ich auch glaube, daß diese Be wegung nicht ewig dauert. den großmüthigen Kinder!
ist denn am großmüthigsten?
O, meine bei wer von Euch Er, der sei
ner Geliebten entsagt, um Dein Herz nicht zu brechen; oder Du, die Du seiner Hand entsagst, um ihn glücklich zu machen? O,
ich möchte alle Menschen in diesem Streite ewig begriffen sehen, den ich hier endigen soll! Und schüttete das Glück seine reichesten Gaben über Euch, und kränzte Euch
die Liebe mit hem Kranze einer unvergäng
lichen Jugend: was wäre das gegen den
Triumph her Tugend in Eurer Seele! Der Schatten gegen das Seyn, ein Traum ge gen das Leben. Alexander, hätte ich den Plan mit Dir noch nicht gehabt: ich wür
de ihn jetzt fassen, und mein Leben daran
—
359
sehen, ihn auszuführen.
— Die Großmuth
dieses theuern Mädchens, das entsagt, das Dir und sich die schönste Blüthe laßt, wel che die Liebe treiben kann, Vertrauen und
Freundschaft — diese Großmuth
ist doch
edler, als Deine finstre Schwärmerei, die nur verderben kann, Dich, Valerien, sie,
auch sie, auch Emma, und meine langen — läugne es, wenn Du kannst — meine edel
sten Wünsche! Ich habe geschwiegen, mein Sohn; denn das Herz selbst muß über sich
entscheiden. Aber jeht, Alexander, muß ich Dir, und Dir, Emma, den edlen Nahmen Valeria nennen. Was hat sie verbro chen? frage ich. Ihr müßt über sie ent
scheiden, Ihr großmüthigen Beide!— Mit
diesen Worten ging er schnell in sein Eabinet.
„Ich habe entschieden," sagte Emma,
ihre Arme um Alexander schlagend— „ich habe entschieden, mein Bruder!" Ich habe entschieden, Emma, über Dich
und mich.
Ueber mehr zu entscheiden,
hat das Schicksal mir nicht gegeben.
Ich
nenne Dich Schwester; aber nie werde ich
Z6o eine Andre Braut nennen, so lange Du
mir treu bist.
Wohl denn!
sal hat gesprochen. gesprochen.
Das Schick
Glaube mir, eö hat
Ich bin fertig.
Der Baron kam wieder.
Emma konn
te nicht in seinem Hause bleiben, und sie selbst wünschte sich auf des Barons kleines Gut zurück, wo Ludwig noch war.
Der
Baron willigte mit Freuden ein, und auch Alexander ffefj es sich gefallen. Der Ba
ron versprach, sie dorthin zu bringen, um ihr daselbst die gehörige Unabhängigkeit und eine Lebensweise einzurichten, „rote sie für meine Tochter
anständig
ist, ”
setzte er
freundlich hinzu, — Die Frau von Paradisi lebte noch mit Valerien auf dem Lande, für deren Ge
sundheit der Arzt die reine Lust angerathen hatte. Alexander erblaßte, als sein Oheim ihm sagte: er könne recht gut in der Re
sidenz bleiben, da die Frau von Paradisi mit ihrer kranken Tochter auf dem Lande lebe.
Emma nahm Abschied von Alexander,
der noch
einmal
seine Stimme
erhob.
36i Sein Oheim blieb aber unbeweglich bei sei
nem Plane. Auch Emma fiel ihm um den Hals, und nannte ihn Bruder.
Nun wohl!
sagte er fest; unser Schicksal ist also entr schieden.
Gehe denn! Aber, Emma, dieses
Auge, das Dir einmal nur ungetreu war, soll blind seyn
eine Minute gegen alles
Schone, dieses Öhr taub gegen die schmei chelnde Stimme
der Liebe, meine Zugend
kalt wie das Alter, das am Rande des Le
bens steht.
Nicht eher will ich leben,
als
ich bin Dein! ich
bin
bis Du mir sagst: Dein! lebe!
Der Oheim sah hig vor sich hin.
bei diesen Worten ru
Er
hob Emma
in den
Wagen, und reifte mit ihr ab nach dem Gütchen, das sie den stillen Wittwen-
sitz ihres ewigen Grames nannte.
Der Baron führt Emma ein. Die wenigen Tage, welche Emma in der Residenz zugebracht hatte, waren nicht un
nütz verflossen.
Der Baron bat sie, sich
362 gut zu kleiden.
Man soll wissen, sagte er,
daß Sie meine Tochter, daß Sie Alexan ders Freundin sind. Er ließ sie sogar präch
tig kleiden.
Als er zu Wiesen mit ihr an
kam, empfing eine recht angenehme Frau, eine Prediger-Witwe, sie an der Thüre.
Dee Baron führte
Emma
jeht in
das
Hauptgebäude, da sie vorher in dem Sei
Er bot ihr den
tengebäude gewohnt hatte.
Arm, und führte sie die hohe breite Treppe
hinauf, und ein Bedienter öffnete die Flü gelthüren eines Salons.
Der alte Ludwig
stürzte außer Athem herzu. ich Dir Deine
„Hier bringe
junge Gebieterin zurück,
guter Ludwig. Man hat sie hart behan delt, ohne mein Wissen. Zch habe dafür
Sorge getragen, daß das nicht wieder ge
schehen kann."
„Madame," — hier an die Witwe, und mit einem stolzen Blick
an die Bedienten—„diese junge Dame ist
hier in meinem Gebieterin.
Eigenthum
vollkommene
Sie haben durchaus von Nie
mand Befehle anzunehmen, als von ihr. Und Du, Ludwig — es freuet mich, daß ich
363
einen ungerechten Verdacht wieder gut ma chen kann — Du bist hier Castellan und Aufseher des Gutes.
Dir hat Niemand
zu befehlen, als Deine junge Herrschaft. Sie, Emma, fuhr er liebreich fort, Sie werden hier alles finden, was das Leben bequem macht, vielleicht mehr, als Zhr zu genügsames Herz wünscht. Aber was Sie
nicht wünschten, das war ich mir schul dig, und meiner Liebe für Sie, Alexanders
Schwester." Er verbeugte sich gegen sie. Emma wollte dem gütigen Manne zu
Füßen fallen; er hob sie aber auf, und dies Betragen war nicht eine leere Ehrenbezei
gung. Der mißtrauische Ludwig, der das Gut für nicht viel besser als ein Gefäng
niß ansah,
fand sich überrascht, als die
Wächter am Eingänge verschwunden wa ren. Er hatte jetzt, als Greis, noch das Vergnügen, seine Lieblingsbeschäftigung, den Landbau im Großen, treiben zu tonnen. Es waren ein Paar hübsche Pferde, ein niedlicher Phaeton für Emma und ihre Ge
sellschafterin da.
Ludwig kam
alle Stun
den einmal mit brennenden Augen
und
—
364
—
glühendem Gesicht, und sagte Emma, was noch alles für sie da wäre.
Ein
Gärtner
und eine sehr hübsche Orangerie kamen drei
Tage nach des Barons Abreise an, einem Zettelchen an Emma,
mit
worin er sie
sehr artig bat, den Garten ganz nach ihrem
Sinne abzuändern, und das Gewächshaus, welches vorher nicht gebraucht worden war, zu nutzen.
So lange er da war, getraute sich Em ma nicht, etwas anzusehen.
mit Thränen
Sie ging nur
in den Augen umher — ob
Thränen des Vergnügens oder des Schmer
zes, das wußte sie selbst nicht. bald
Aber so
der Baron abgereis't war,
ging sie
doch mit einem behaglichen Vergnügen ihrem
kleinen, Neuen Königreiche
in
umher,
ihre Schätze zu besehen; und in der That kann die Dankbarkeit
gegen einen Men
schen nicht hoher steigen, als die ihrige ge gen den Baron. Der Baron fuhr nun zu seinem Bru der, und dieses Mal ganz incognito, ohne
sich anmelden zu lassen.
Der Oberkammer-
Herr erschrak, als er ihn eintreten sah, wie
365 immer,
wenn ec so etwas gemacht hatte,
ob er gleich seit langer Zelt wußte, daß dem
Baron die Vergangenheit vergangen war.
Bruder, sagte er, es war gewiß recht sein
eingeleitet. „Das will ich glauben. — Ihr hattet rin Reh umstellt,
und fandet einen Lö
wen." Er vergaß alle Sitte,
worin er sich befand,
die Gesellschaft,
die Pflicht,
der Frau von Wendel schuldig war.
die er
Dar
auf hatte ich nicht gerechnet. „Wie ich vorhin sagte." Ganz recht! Es ist übel mit einem
solchen Menschen umzugehen;
er macht al
len Calcul zunicht. „Nun, es ist gut so!" Es freuet mich, daß Du mir die Schuld
nicht giebst.
Und kannst Du wohl das
Alle Mädchen sagten: sie wünschten sich einen Glück der jungen Leute begreifen?
solchen Liebhaber. „Freilich!"
Wie steht es denn nun? „So ziemlich auf dem vorigen Punktrr
366 denn solche Charaktere
reißen. die Netze
durch; aber sie fliehen nicht.
Gefährlicher
ist es nun schon;
denn sie haben einan
der achten gelernt.
Zch habe das Mäd
chen
nach
Wiesen
und
gebracht,
sie
eingerichtet, wie eine nahe Freundin unsers
Neffen, recht gut.
Nun ersuche ich Dich,
dafür zu sorgen, daß sie sicher ist."
Die Menschen, die sie bewacht haben... ... „habe
ich weggejagt.
Ketten er
bittern."
Freiheit, Bruder, giebt Muth. „Offenheit auch.
Wer könnte ihn und
sie am Ende zwingen?" Hier starrte der Kammerherr seinen Bru
der an.
Ein Fündling?
„Lin Mensch!"
Oder ist etwas dahinter? „Nichts als reine Güte des Herzens,
eine ichone Blüthe,
die ich Nicht abreißen
möchte."
Nun? was denkst Du denn jetzt, Bru der? „Alexander liebt die Tochter des Für
sten."
—
36;
-
Liebt? das ist nicht möglich. Wie könnte
er denn... ? „Wort halten ? und einem Fündlinge?
Ja, das mein' ich eben, wenn er des Fürsten Tochter liebte. „Das Wort: „Fürst," haßt er eben."
So ist er rasend. „(Er sollte höchstens lächeln." Ja, ja, lächeln, Bruder!
Maske, Zorn.
Das ist eine
die auf alle Gesichter paßt: Verlegenheit,
Angst.
auf
Bruder, ich
vergesse an keinem Tage, vor den Spiegel zu treten und das Lächeln zu üben. (Der
Baron lächelte.)
Es ist mir lieb, sehr lieb,
theurer Bruder, daß wir einander so ähnr lich sind. auch nichte
Du hast nicht geheirathet;
ich
Du hast kein Amt; ich auch
nicht. „Und doch haben wir unsre kleinen Ei
genheiten Ja, daß Du so gern schwarz trägst. Ich nicht.
Eine Helle Farbe zeichnet aus,
Bruder. „Schwarz, dünkt mich, auch."
O, mein Gott, nein! nein! Aber wenn
368
Alexander so rasend ist, das Licht am Hel len Tage nicht zu sehen, was dann? „Er liebt das Fraulein Paradisi. Das ist viel, recht viel." Zch wünschte, auch das Mädchen liebte einen Andern. „Dann wäre alles, wie es seyn sollte. Auch ich wünschte das. Und wer weiß, wenn sie nicht so einsam zu leben gewohnt wäre! ” Man müßte ihr Gesellschaft geben, hüb sche, junge Manner, die es ehrlich mit ihr meinten. „Freilich, das versieht sich! Eine Lie bende verlangt viel; und das Mädchen hat Geist." — Das war das Gespräch der beidew Brü der. Der Baron reifte ab, nachdem er seinem Bruder noch einmal recht ernstlich anempfohlen hatte, für Emma's Sicherheit besorgt zu seyn; >,denn von jetzt an," setzte er sehr ernst hinzu, „steht sie unter meinem Schutze. Wer das Mädchen beleidigt, be leidigt mich. Ich könnte es gern sehen, wenn
—
369
—
wenn sie einen Mann fände, der ihr Herz verdiente." Der Oberkammerherr rieb beide Hände vor Vergnügen, daß er wieder einen Auf trag von seinem Bruder hatte. Der erste ist mißrathen, sagte er; aber hier will ich ein wenig leise auftreten. Er lächelte, be sah sich im Spiegel seiner Dose, und fand, daß es ihm gut ließ.
£W«f. Emma. I.
37®
Frau von Paradisi an den Baron von Nordstein. ReinSvurs»
Äch
hübe Ihren langen
Briefs Ueber
Nordstein, und danke Ihnen für Ihre Auf
richtigkeit.
In der That, mein
Freund,
Sie hatten mir alle die Begebenheiten Ih
res Neffen mit dieser Emma verschweigen können: aber Sie waren darum eben nicht
besser daran
denn,
mein
gewesen,
edler Herr;
was Sie Ihrem närrischen Bruder
sagten, sage ich Ihnen auch:
„Sie hatten
ein Reh umstellt, und finden einen Löwen?' Mich dünkt, Nordstein,
Ihr Neffe sowohl
als diese Emma, die ich zu lieben anfange,
ob
ich
gleich
diesen Brief an dem
meiner kranken Daleria schreibe,
Bette
verdienen
Beide, wenn kein besseres Schicksal — denn
wer verdient das! — so doch eine bessere Behandlung.
Doch
ich vergesse
immer,
daß Sie Sich auf den Stuhl des Schick sals gesetzt haben.
Diese Beiden werden,
—
37*
—
glaube ich, alle die Netze durchbrechen, wo mit sie von Ihnen umstellt sind, auf eine
oder die andere Weise, und leicht auf eine andere, als wir Beide denken können.
Sie haben Tugenden, Nordstein, und schöne, edle Tugenden, — wer will da leugnen! Doch Einer von Ihren Grund sätzen verderbt alles wieder: der, daß al
les, ich, Valeria, Ihr Neffe, alles, an dem
Altare Ihrer Tugend anbeten soll. Sie haben es aufgegeben, menschlich glücklich zu seyn; und weil Sie Ihr Herz nicht mehr in der Brust schlagen fühlen, so soll Niemand ein schlagendes Herz,
Wünsche,
Leidenschaften haben, als die Eine, die Ih
rige.
Welch eine Riesenfoderung,
welch
eine rasende Federung das ist, Nordstein, werden Sie vielleicht noch einmal fühlen, wenn Ihr Herz wieder zu schlagen anfangt. Wer, und was Ihr Herz wieder in Bewe
gung bringen kann,
weiß ich zwar nicht;
aber die Natur ist tausendmal reicher, al-
unsre Hoffnung, und auch tausendmal ret> cher und mächtiger, als Ihr trotziger Hoch muth.
*21 **
Ich gehe noch nicht in die Residenz zur rück, und habe das dem Fürsten auf seinen bestimmten Befehl
geschrieben,
von ihm erpreßt haben.
den Sie
Seltsamer Mann!
Sie zittern nicht vor dem Schicksale, und
können glauben,
daß ich, die Sie doch zu
achten gezwungen sind, zittern weroe!
vor dem Fürsten
Ich habe dem Fürsten ge
schrieben, daß ich noch nicht kommen wolle,
weil eö mir so beliebe. Ihnen —
damit Sie sehen,
Wahrheit um Wahrheit gebe,
wie ich Liebe um
wie Trotz gegen Befehl — Ihnen schreibe ich, daß ich das Glück meiner 93a*
Liebe, leria
nicht noch einmal
in Ihre harten
Hände geben will.
Daß Ihr Neffe Valerien liebt,
scheint
wohl wahr, und Valeria liebt ihn mit der ganzen Schwärmerei der Jugend, mit der
ganzen Innigkeit ihres
starken,
schönen
Herzens, und mit der Flamme einer furcht baren Leidenschaft,
die das Erbtheil aller
edlen, starken Geister ist.
Aber, mein Herr, über diese Liebe triumphiren Sie ja nicht!
Rechnen Sie ja nicht darauf mit Ihrer
373 Gewißheit, die alles an alkes seht! Setzen
Sie ja
auf diesen Wurf nicht das stolze
ZreL Ihres Planes! Sie glauben, nut Ih
rem Netze ein Reh zu umstellen, und Sie
werden einen Löwen finden, der Ihre Netze, Ihre Rechnungen verachtet, und da durch das Netz bricht, wo Ske es-am wenigsten
erwarten.
Ueberhaupt,
lieber Freund, thun Cie
Unrecht daran, Menschen, wieBalena, wie Ihr Neffe, wie Emma, Rollen
kn Ihrem Schauspiel.
zu geben
Ihr Bruder be
wegt freilich die Hand, den Fuß, wie Sie es der Marionette vorschreiben;
aber das
kann nie eine fremde Rolle
wahre Herz
spielen, west seine eigene zu schon ist. Baleria
wurde
dem Abschied
niedergeschmettert von
Ihres
Neffen.
Sie
saß
bleich da, mit erloschenen Augen, mit hoch
schlagender Brust, mit irrender Seele, mit
irren Sinnen, mit glühender, fast wahn sinnig umher irrender Phantasie.
Die zu
rückgestoßene Llebe siel nut einem glftigen Schtangenzahn an die feinsten Lebenöfasern
ihres Seyns.
3?4 Der Arzt gab die Hoffnung auf; sten Leibarzt, den er mir sogleich
sandte.
„Sie wissen nicht,"
sagte
„welche Lebensquellen
ein Geist hat,
Valeria.
doch
Lieber Freund, es war des Für
ich nicht.
ich
zu
ihm, wie
Ich konnte sie bitten, gesund zu
seyn, und sie würde es werden; eine Um
armung der Mutter könnte ihren kranken
Geist heilen."
Er lächelte;
gerade wie Ihnen.
es ging
ihm
Kranke Körper hatte
er gehellt, deren Geist nichts war, als das
thierische Leben ; auf den menschlichen Geist mit seiner Allmacht verstand er sich nicht.
Er lächelte.
„Nun denn,"
sagte ich:
.,so ist Valeria ein Opfer des Todes; denn die Milch
Ihrer Eselinnen, und
ländische Moos kann doch
das Is
unmöglich
ein
Heilmittel für den verzagenden Geist, für das gebrochene Herz werden." Er sagte: eben darum zlttre
ich
für
eln Leb.-n, das mir der Fürst auf die See
le gelegt hat. „Der Fürst? — Der Künstler sollte
nicht Fürsten, nicht Geld kennen!" sagte ich betrübt.
„O, wäre ich eine Bäuerin:
- 3?5
-
würde ich nicht eben so trostlos an den»
Sarge meiner Tochter stehen?" — Da kam Ihr erster Brief, worin Sie
Mir alles schreiben:
die Liebe Ihres Nef
fen, seinen festen Willen Emma wiederzu
finden, und sie dann zu heirathen, trotz sei ner Liebe zu Valerien. Briefe in der Hand
kenzimmer.
sie
zu ihr in das Kran
Der Arzt hatte mir verboten,
zu beunruhigen,
möchte.
Ich ging mit dem
womit es
auch
seyn
Dessen ungeachtet gab ich ihr den
Brief; denn ich mußte dem verstummten
Geiste wieder eine neue Idee zuführen, um ihn aus dem tödtlichen, traumvollen Schlum mer zu wecken, der sich von ihm über den Körper verbreitete.
Sie las den Brief. „Ein edler Mensch!" sagte ich; „nicht wahr, Valeria?"
antwortete nicht. werden,
Sie
„Glücklich kann er nicht
auch wenn
denn er liebt Dich.
er
Emma
heirathet;
Aber wenigstens wird
er Emma glücklich machen."
Er wird zuletzt glücklich werden, sagte sie mit kaum geöffneten Lippen, leise, lang sam, krank.
—
— 3?6
„Wie kann er, wenn er hört, daß du,
das Opfer Deiner zu mächtigen Liebe
als
und feiner Unvorsichtig'.'eit, sunken bist!
in's Grab ge
Er, Valeria, war freilich ein
Mann, und triumpkirte
über eine eben so
mächtige Liede, well sie* ihn ungerecht dünk
te.
Trcstloö iDirft er seinen Blick auf Va
lerien, die er zu verlassen
gezwungen
ist,
zu verlassen
als die Beute einer tödklichen
Leidenschaft
und des verzehrenden Grams!
Und dennoch — dennoch hält er die Treue
gegen die erste Geliebte fest!" Hier belebte sich ihr Auge und sah mich wüthiger an.
Ich fuhr fort.
sing an zu funkeln.)
(Ihr Auge
„Hättest Du Much,
den Muth, den Er hatte, Valeria, so könn
te
er
glücklich
werden,
und
Du
selbst
würdest nicht unglücklich seyn." Hier richtete sie sich auf, und sah mich an.
Zhr Auge strahlte.
Er soll glücklich
seyn; Emma |oU glücklich seyn! stolz, und stand auf.
Tag.
sagte
sie
ES war ein schöner
(?ie ging eine Viertelstunde mit mir
im Garten.
Der Arzt erstaunte.
„Sehen
Sie," sagte ich; „das ist der Geist, den
—
3?7
—
Sie nickt, kennen, weil er selten
Sie war gesund.
ist." —
Ich wollte aber nicht in
weg wäre.
die Residenz, bis Ihr Neffe
Auch dann bat mich Valeria, mit ihr hieIch bin ein Kind, sagte sie ein wahres Kind, Mütterchen.
her zu gehen.
lächelnd,
Ich zittre, den Balkon wieder zu sehen mit
den Orange-Bäumen, weil Er so
oft mit
mir da saß, vor dem Duste Italiens; ich zittre, meine Gendel zu besteigen, mein Was
serhaus zu betreten. allem zittre
ich.
Bor allem, ach! vor Ich
mochte
eine
ganz
neue Welt haben, eine ganz neue Natur, einen ganz neuen Himmel;
und doch liebe
ich alles, was er berührt, was er mit mir
gesehen hat. So, 9lorbflein — so, fürchte ich, wird es Ihnen mit Ihrem Neffen gehen. ihn;
und so
Sie
Er liebt Valerien, Valena
haben Recht.
das
scheint es
Natürlichste,
daß Emma das Opfer bringt, welches ge bracht werden
muß.
Natürlich?
So
scheint es! Aber sagen Sie, ist denn das Glück der Maßstab unserer Handlungen? Und, wenn das nicht ist,
so ist es nicht
—
3?8
—
natürlich, so — brechen drei Herzen, well
ein Mann auf dem Erdboden ist, der die Liebe nicht für eine Tochter Gottes halten will, sondern nur seinen nackten Begriff der
Tug-nd.
Wie? frage ich Sie ernst, ernst, Nords steinr
ist denn
nicht die Tugend
Leben,
wie alles hier? menschliches Leben? So ist sie Liebe, Mitleids«.
Güte, Vertrauen,
So muß
Großmuth,
die Tugend einen
Leib haben, einen schönen reihenden Leib, wie mein Geist einen Leib hat, um in dem fr$
dischen Leben wirken zu können;
und die
Liebe ist dann der Leib der Tugend,-und so ist Tugend etwas Minderes, als Ihr starrer,
todter, bewegungsloser Begriff.
So muß
die Tugend, wie das Licht, erst in
Strahlen zerlegt werden,
ihre
in die einzelnen
tugendhaften Eigenschaften, um uns der moralischen Welt, als unseres Glückes, freuen zu können?
Nordstein,
ich
ehre
Sie; aber ich fühle in Zhrer Gegenwart
immer eine Art von Scheu, wie in der
Gegenwart eines ganz fremdartigen We
sens, das nicht fühlt, nicht sieht, nicht liebt,
379
ni$t befrist, nicht bie Welt ordnet wie ich. Ich zittre vor Ihrer Tugend. O, Norlk stein! ich wünsche, daß Sie selbst nicht einst vor Ihrer Tugend erzittern müssen.
Valeria ist nicht wohl, und so,bleiben wir noch hier. Denn» mein Freund, Valeria soll Ihren Neffen nicht eher Wiedersehen, al« In Gesellschaft seiner Frau, oder ihres Mannes. Und hier, eben hier in Reins« bürg, ist ein Mann, nur ein Dorfprediger, aber ein liebenswerther Mann, mit einem schönen, weichen Herzen; und Sie wissen, wie ich über die Grille vom Range.denke. Leben Sie wohl!
Die Frau von Pakadisi an den Baron
von Nordstein.
Steinöbueg. 2>alrria verlangt in die Stadt. Sie Has etwas Großes vor, das sie. unaufhörlich
38o beschäftigt.
Erwaö Großes! sage ich. Sie
werden lächeln, wekn Herr Philosoph, daß
ich ettvaö groß
nenne, gegen (eie, der nur
die Opfer groß nennt, die Er bringt. Was
wäre denn groß, wenn eö nickt der Wille
Ist? Der Flügel eines Käfers verbirgt Ah nen die Sonne, wenn Sie ihn nahe vor
dvs Auge halten- und was Ahnen unsre
Welt bedeckt- ist nichts als der Flügel einer noch großem Kleinigkeit. Za, könnterr-Sle Wort halten, wenn Sie prahlerisch sägÄ:
ich will mich nicht um Schmerz und Freude kümmern! Aber thun Sie, was
Sie wollen — Sie werden ZhrOhr nicht taub Machen gegen Seufzer, die Sie er pressen, und der Tadel auf dem Gesicht ei nes Kindes wird doch Zhe Herz beunruhi
gen; Welt und Nachwelt können Ihnen den Anblick Zhrer Nachbarschaft nicht verbergen.
Die Natur hat Sie an so stark? Fesseln geschlossen, wie uns. Valeria will in die Stadt. Der Gram
hat ihr Gesicht ein wenig blässer gemacht, zu dem Schmucke, dem Glanze der frohen
Jugend etwas Sehnsüchtiges hinzugemischt;
— 38 l
—
ihr Entschluß hat einen Zug von Heiligkeit auf das schöne Gesicht gedrückt, etwas Prie sterliches,
das durch ihre
Kleidung noch
verstärkt wird. Sie kleidet sich nehmlich auf eine ganz eigene Art, welche ihren Plan bezeichnet:
in eine Art von Nonnengewand, ganz weiß,
mit einem,
aber nichts weniger
zem, Spanischen Kragen.
als
stol
Ihr schwarzes
Haar ist um die Stirn geflochten, und ei ne Reche Perlen halt einen Schleier,
der
die eine Seite des Gesichtes bedeckt, und
den sie, wenn sie will, sogleich vor das Ge sicht schlagen kann.
Sie haben nie etwa-
Prlesterllcheres
gesehen, lieber Nordstein; aber auch indem
Kleinsten ist das
wahr,
was ich vorhin
sagte: daß die Natur uns an unzerreißlichen Ketten hält. Dieses priesterliche, jung fräuliche Gefühl der Entsagung aller Liebe
für das ganze Leben— denn die Kleidung ist aus dem Costume einer Nonne und einer
Vestalin zusammengesetzt — hängt doch ge
nau mit der Liebe, mit dem Herzen, unserm Geschlechte zusammen.
mit
Eine feine
382 Buhlerln hätte keine Kleidung erfinden können, die reihender wäre, als eben diese, wo
mit Valeria der Liebe entsagen will. sieht Ihr Neffe sie
in
Und
dieser klösterlichen
Kleidung: ich weiß gewiß, dann ergreift ei
ne neue glühendere Leidenschaft fein Herz.
Sie spricht von einem Besuche bei Em ma. Machen Sie Sich darauf gefaßt. Die
ser Besuch muß in Ihren Plan paffen;
denn ich
habe
ihn
Valerien
versprochen.
— Daß Valeriens Nonnenplan
nicht
in
meinem Plane liegt, sehen Sie leicht. Aber
Valeriens Glück ist mein Plan; und wäre
es nicht anders zu erhalten, als durch den Nonnenschleier
und die strenge Klosterre
gel, — ich würde es so erkaufen. Ihr Neffe ist ein Mann, den ich achte.
Ich würde mit Freuden meine Valeria in seine Arme legen;
doch
—
wohlgemerkt,
mein Herr! — nur, wrnn es schuldlos ge schehen könnte.
Der junge Prediger, von
dem ich Ihnen schrieb, betrachtet Valerien mit verstohlnem
Entzücken; aber
er hat
den Muth nicht, ein Mädchen zu lieben, von dem die Lüge sagt, sie sey des Fürsten
383 Tochter; und dem Muthlosen ist das Glück nicht günstig.
Valeria ist gleichgültig ge
gen ihn.
Wir kommen in die Residenz. Ich wer
de alle Besuche abweisen lassen.
0, welch
eine vortreffliche Erfindung, die Karten! Papier für Besuche, für Freundschaft, Liebe,; Papiergeld, und Philosophie, die nicht so lange dauert, wie das Papier, worauf sie gedruckt ist!
Sie sehen also, daß ich Ihren Neffen nicht sprechen werde. Uebrigenö habe ich den Reih deü Land
lebens und der Einsamkeit zu lange genos sen, als daß ich mich wieder in das Joch des Hofes sollte spannen lassen. de meine Idee auöführen
Ich wer
und eine Ana-
choretin werden; Ihre Zaubersprüche sollen mich nicht länger davon abhalten.
Was
ist denn das Glück, auf das Sie mich im mer verweisen? und wo ist
es?
Zeigen
Sie mir es doch! Die Natur hat das Glück, zum guten Glück für die Menschen,
in ein Paar Dinge gelegt, die unabhängig von allen den großen Anstalten sind, durch
—
364
—
welche Sie und alle Philosophen den Menschen beglücken wollen.
Könnt Ihr jene
Zauderstunde, das erste zitternde Gestand-
niß der Liebe, könnt ihr die Mutterfreuden hervorbringen? Könnt ihr...
O, Schlaf,
Essen, Trinken, Gesundheit, und für den Geist Freundschaft, Vertrauen, Liebe und
ein Mährchen: da haben Sie das mensch liche Glück; und das hangt von dem Men schen selbst ab, wenn er das Uebrige ent behren will und kann.
Ich
wollte einmal Griechisch lernen,
als es Mode wurde, beständig die Griechen
auf der Zunge zu haben.
Der Fürst schlug
mir den gelehrtesten Griechen der Haupt stadt zum Unterrichte vor.
Ich
las
es
recht gut, wie er es nannte, nach der Quan tität; nun fing er die Accente mit mir an,
die mir den Ton der Worte geben sollten. Ich hielt sie für überflüßig; er ließ sie sich nicht nehmen, und doch konnte er mir nie
sagen, wie sie gebraucht würden.
Eben so
macht Ihr eö: Ihr habt außer dem Glück
noch eins, das Nieman en glücklich macht. Zch habe mir ein Kleid machen lassen, wie
385 wie Dalerla, und würde, glaube ich, alle Welt darin bezaubern, wenn ich alle Welt sehen wollte: aber ich wkll Niemanden sehen. Sie ausgenommen. Und somit Gott befohlen! Den Dienstag über acht Tage komme ich.
Villet an den Varon.
2-alerta, lieber Baron, hat nun erklärt, daß sie Ihrem Neffen entsagt habe, und zwar mit größer Innigkeit; sie hat mir ihre Gründe so deutlich, so zutraulich, aus ein ander gesetzt, daß ich keine Ursache mehr habe, an der Wahrheit ihrer Erklärung zu zweifeln. Du hast ihn lange nicht gesehen, Valeria, sagte ich. „Ich will ihn sehens antwortete sie mft großer Lebhaftigkeit; „ich will ihn recht ost sehen, liebe Mutter, und Sie überzeugen, daß es mein Ernst ist, wenn ich ihm ent sage?' Dabei ist sie bis jetzt geblieben, da ich hier angekommen bin. Lafont. Emma. I.
2.5
366 Haben Sie Recht, mein Herr, mit Ih rer Behauptung: „die Leidenschaft meiner Valeria und Ihres Neffen sey so groß, daß sie jedes Hinderniß aus dem Wege stürzen werde;" so wird es sich zeigen, wenn die beiden jungen Leute einander sehen. Sie sind also auf heute Abend, und, wie immer, mit Ihrem Neffen zu mir ein geladen.
Billet an den Baron von der Frau von
Paradisi.
(§ie sehen, mein Herr, baß man sich ir
ren kann. Valeria hat Wort gehalten, und noch mehr als das. Ich zweifelte fast selbst daran, als Ihr Neffe in die Thüre trat und erblaßte, sobald er Valerien erblickte, die er in der Gesellschaft wahrscheinlich nicht vermuthete. Sie stand gerade neben mir, und ich hatte ihre Hand gefaßt, die sehr merklich zitterte. Aber nun ging sie
Neue Verlagsbücher DOII
I.
D.
Sanders
Buchhandlung
in Berlin.
Von der Iubilatc-Mcsse 1809. (Die mit einem (♦) bezeichneten waren in der chaellS-Meffe ißoS neu.)
Koch/ C. W./ Gemählde bet* Revolutio nen in Europa. Aus dem Franzörnchen übersetzt von I. D. Sander. Drei Theile, gr. 8. 5 Rthlr. Dasselbe auf Delinpap. 8 Rthlr. *) Dessen genealogischen Tabellen,
gr. 8. i2 Gr.
*) Lafontaine/ A./ die beiden Bräute. Er ster und zweiter Theil. 8. 4 Rthlr. Dasselbe auf Delinpap. 6 ^thlr.
Desselben Buchs Dritter Theil. 8. i Rthlr. 16 Gr. Dasselbe auf Delinpap. s Rthtr. 12 Gr.
Lafontaine, A., Emma. Erster Theil. 8. 2 Rtblr. Dasselbe auf Vclinpap. 3 Rthlr. •) Weber, F. 93., Handbuch der LandhauShaltungskunst. Erster Theil, ar. 8. 3 Rthlr. iß Gr. Dasselbe auf Velinpap. 5 Rthlr.
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auf Ihren Steffen zu, und. redete ihn mit ihrer gewöhnlichen Güte, ihrer sanften Freundlichkeiten. Nichts Gespanntes, kein Zug von Satire auf die Männer, die dem Herzen so nahe liegen mußte, keine über mäßige Freundlichkeit. Ich möchte sagen: es war die Freude über das Wiedersehen des alten Freundes. Auch that das sicht bare Wirkung auf Ihren Neffen; er fing an ruhiger zu werden. .Dann trat er mit, Valerien an ein Fen ster, die mir nachher erzählte, was sie mit ihm gesprochen hatte. Ruhig hat sie ihm ge sagt: sie billige sein Benehmen gegen die unschuldige Emma, und sie wolle mich bit ten, mich für seine Verbindung mit Emma bei Ihnen zu verwenden. Du erzählst mir, was Du sagtest, liebe Valeria; aber ich möchte gern auch wissen, was Du fühltest! Das sagte ich ihr, als sie mir so erzählte. „Eine recht tiefe Ruhe, liebe Mutter, einen recht eigentlich ungestörten Frieden. Ich liebe ihn noch immer, theure Mutter; aber ich fühle, ich sehe, ich weiß, daß er 252
3(38
nicht mein werden kann; und so ist meine Ruhe der Triumph Ihrer Erziehung, gute
Mutter." — Sie hüt Ihren Neffen noch
gebeten,
seinen Umgang in meinem Hause ohne alle
Aenderung fortzusehen,
und er ist seitdem
mehrere Male bei uns gewesen.
Das erste
Mal kam er zu einer Zeit, da ich mit Va
lerien ganz allein war, und ich
mußte sie
sogar verlassen, weil ich mit meinem alten Rendanten zu rechnen hatte, der noch un ter einer fallenden Welt seine Rechnung
schließen, und mich noch unter dem letzten
Posaunenschall zwingen
würde, zu qutt-
tiren.
Als ich zurückkam, suchte ich die jun
gen Leute, und sah sie Arm in Arm im Parke gehen.
Bald nachher, als wir wie
der im Zimmer waren,
ließ Valeria uns
allein.
mich nachdrnkend,
Ihr Neffe sah
mit finsterer Stirne, an; doch nachher schien er ruhiger zu seyn.
Valeria sagte
„er ist ruhig, zufrieden,
und er
mir:
wünscht
nicht» als seines Oheims Einwilligung zu der Verbindung mit Emma."
—
309
—
Ich habe gestern Abend mit dem Für sten ein Paar Worte von dieser Emma ge sprochen, lieber Baron; denn ich weiß, was Ihre Familie gegen das Mädchen ein wenden könnte. — Der Fürst freuete sich, daß er Gelegenheit hätte, Ihnen einmal einen "Dienst zu leisten. Sie dürfen nur sagen, in welchem Maße das Ansehen des Fürsten gebraucht werden soll, um alles auszugleichen, was hierbei noch rauh und ungebahnt ist. Ich bedaure, daß Sie krank sind, lieber Baron; doch sagt derArzt, es habe nichts zu bedeuten. Valeria hat indeß ihren Kopf darauf gesetzt, Emma glücklich zu sehen. Ich bitte Sie, lieber Freund, den Wunsch eines lieben Mädchens und Ihres Neffen zu erfüllen. Denn, Baron, der Plan, den Sie auf eine Verbindung mit Valerien baueten, ist ohnehin verloren; Valeria ist die Tochter des Fürsten nicht.
3go
Antwort. Unglückliche Mutter, welch ein Schwindel;
geist verblendet Sie gegen den leuchtenden
Strahl der Wahrheit!
Sehen Sie denn
nicht, daß Valeriens Ruhe, auf die Sie so
stolz sind, der höchste Grad der Leidenschaft ist?
Große. Opfer fetzen große Stärke vor;
aus; und wie stark muß eine Liebe seyn,
die ein solches Opfer bringt! Der from
me Nonnenschmuck, womit sie sich zu einer Priesterin der Vesta weihet, könnte mich zum Zittern bringen; denn ein Herz, das die Freude des Lebens aufgiebt, hat auch
das Leben aufgegeben. Die rothen Wangen Ihrer Valeria strahlen nicht von Gesund heit, sondern von einer verzehrenden Flam
me. Wenn sie Emma und meinen Nef fen zum Altare geleitet hätte, dann würde sie auf einmal, ermattet von dem langen furchtbaren Kampfe, und dann ohne irgend eine andere Kraft für die erschöpfte Seele,
weil nun das ganze heldenmüthige Opfer
-
3gi
-
vollendet wäre, sterbend an dem Altare nie-
versinken.
Und dieses noch
einmal mächtig auf
strebende Leben, nennt die thörichte Mutter: Das
Gesundheit!
des
Irrereden
Todes
nennt sie: Kraft! Unglückliche Mutter! thö
richte Mutter!
So
soll Valeria unterge-
hen, so soll mein Neffe untergeben, um ei
ner Idee willen,
die nicht
einmal
groß
müthig ist? Mein Neffe ist ruhig, ruhig —
wie Valeria.
Er kommt zu Hause, siht an
meinem Bette, seufzt, und ist kränker als ich. Dann geht er auf sein Zimmer,
sitzt,
die
Stirn in die Hand gelegt, die ganze Nacht, bis der Morgen wieder hervorleuchtet; dann
träumt er auf seinem Lager mehr, als er schlaft, und der lange Kampf, den er nicht
endigen konnte, den seine Freunde für ihn endigen mußten, den ich, den
Emma endi
gen wollen, zerreißt seine Seele. Sie
opfern
ihn
einer
Grille
Und Sie, auf;
fast
möchte ich sagen: der Nonnenkleidung Ihrer Tochter.
Sie sind für das Leben gemacht, liebe
-Freundin.
Wenn Sie in eine Wüste zic-
3g2
hen, so stehlen Sie dem Leben ein Gut,
das nicht'Ihnen gehört, sondern den Men schen.
Ich hoffe, Sie bald wiederzusehen
und dann Sie auch bald
zu
überzeugen,
daß mein Plan das Glück ist, auf welches
Sie, und wir Alle, selbst Emma, allein rech nen können.
Leben Sie wohl!
Au den Baron Nordsteiu. Sie sind ein Mensch, Herr Nordstein.
Baron von
Vergessen Sie das nicht! Sie
sind ein Mensch, haben ein
Herz und —
des Schicksals Pfeile sind auf Ihr Herz gerichtet.
Hören Sie auf diese Stimme
eines unbekannten Freundes,
der Sie be-
wundert, aber auch bedauert.
Sie haben
sich losgeriffen von dem Menschengeschlech
te, und stehen allein: darum glauben Sie, dem Schicksal trohen zu dürfen,
und
ver
langen eine Tugend, zu der Ihnen des All mächtigen Allwissenheit und des Allwissen den Allmacht fehlt.
Das Herz scheint Ih-
393 nen nichts, und Sie vergassen, daß Ihr Herz Sie so unglücklich machte. Lidi! Lidi! Da habe ich Zhnen den Nahmen nannt, der Sie erinnern soll, daß das H recht viel ist. Emma! Emma! Diesen Nahmen nenne ich Zhnen, S zu warnen. Sie verfolgen dieses arm theure Mädchen; Sie sind zwischen zw. Herzen getreten, welche die Natur, die Lie be, vielleicht die ewige Weisheit, für dm ander bestimmt hatte. Wie, Herr von Nordstein? Als der Haß zwischen Sie und Lidi trat, hielten Sie das für recht? Und Sie treten sogar ohne Haß zwischen zwei Herzen, um eines Planes willen, der vielleicht nicht auögeführt wird! Eide, furchtbare Eide, halten meine Fe der, binden meine Zunge. Was ich Zh nen sagen darf, will ich Zhnen sagen. Sie trotzen dem Schicksal, weil Sie Sich un verwundbar dünken: das sind Sie nicht.
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Sie trotzen dem Schicksal, weil Sie allein zu stehen glauben; — so stehen Sie nicht. Noch einmal warnt Sie die geheime Stimme der Natur, des Schicksals, des Himmels, und ruft Ihnen die Nahmen zu: Lid,! Emma!
Durch diesen Brief wurde der Baron erschüttert. Aber nach einigen Minuten lächelte er, und sagte: ich setze alles an meinen Plan! alles!" — Nun hatte er sein Loos geworfen; dle dunkle Wolke senk te sich auf sein Leben.
Snde deS ersten Theils.
Berlin, i8og. Gedruckt bei Karl Friedrich Amelang/ '??cice Tviedrich-ftraße No. 56.