Eliten im Vielvölkerreich: Imperiale Biographien in Russland und Österreich-Ungarn (1850-1918) 9783110416121, 9783110416022

In Russia and Austria-Hungary of the late nineteenth century, one may speak of the “imperial biographies” of elites. The

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Eliten im Vielvölkerreich: Imperiale Biographien in Russland und Österreich-Ungarn (1850-1918)
 9783110416121, 9783110416022

Table of contents :
Inhalt
Editorial
I. Einführung
Eliten und ihre imperialen Biographien
Elites and their Imperial Biographies
II. Staatsbeamte
Groom and Govern
Vom Modernisierer zum Russifizierer? Michail N. Murav’ëv und die Polenpolitik des Russischen Reiches
Der Halbzar von Turkestan Konstantin fon-Kaufman in Zentralasien (1867–1882)
„Gut österreichische Gesinnung“ Imperiale Identitäten und Reichsbilder der letzten österreichischen Statthalter in Triest (1904–1918)
Vom „Kolonialschwein“ zum Konsul Karrierewege eines deutschen Kolonialbeamten
III. Militärische und politische Eliten
The Imperial Career of Gustaf Mannerheim Mobility and Identity of a Non-Russian within the Russian Empire
Reforming the Better to Preserve A k.u.k. General’s Views on Hungarian Politics
Making and Breaking the Russian Empire The Case of Kiev’s Shul’gin Family
Von Russland nach Polen Zum Potential imperialer Erfahrung nach dem Zerfall der Imperien am Beispiel der Biographie von Aleksander Lednicki
IV. Experten und Unternehmer
Polnische Militärärzte im zarischen Imperium Räume und Spannungsfelder zwischen Warschau und Port Artur
Populismus, Profession und Politik Agrarexperten im späten Zarenreich
Zwischen unternehmerischen Interessen, Arbeit für die Nation und Politik für das Reich Zwei imperiale Biographien im Galizien der späten Habsburgermonarchie (1880–1914)
Yorgo Zarifi (1807–1884) Bankier des Sultans Abdülhamid II
V. Intellektuelle und Akademiker
Imperiale go-betweeners Józef Dietl und Tomáš Garrigue Masaryk zwischen Imperium, Wissenschaft und Nationalpolitik
Jan Baudouin de Courtenay The Linguist as Anti-Nationalist and Imperial Citizen
Zwischen Legitimität aus Galizien und Dienst für Habsburg Die Wiener Genealogie Oskar Haleckis
Imperial Heimat Biographies of the “Austrian State Elite” in the Late Habsburg Empire
Anhang
Danksagung
Abbildungsverzeichnis
Autorenverzeichnis
Register

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Tim Buchen, Malte Rolf (Hrsg. / Eds.) Eliten im Vielvölkerreich / Elites and Empire

Elitenwandel in der Moderne Elites and Modernity

Herausgegeben von / Edited by Gabriele B. Clemens, Dietlind Hüchtker, Martin Kohlrausch, Stephan Malinowski und Malte Rolf

Band / Volume 17

Eliten im Vielvölkerreich Elites and Empire Imperiale Biographien in Russland und Österreich-Ungarn (1850–1918) Imperial Biographies in Russia and Austria-Hungary (1850–1918) Herausgegeben von / Edited by Tim Buchen und Malte Rolf

Gedruckt mit Unterstützung der Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung

ISBN 978-3-11-041602-2 e-ISBN (PDF) 978-3-11-041612-1 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-041624-4 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2015 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Abbildungen auf dem Einband: Siehe Abbildungsverzeichnis Seite 397 Satz: Dr. Rainer Ostermann, München Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Inhalt Inhalt Inhalt Editorial 

 IX

I. Einführung Tim Buchen / Malte Rolf Eliten und ihre imperialen Biographien Zur Einführung   3 Elites and their Imperial Biographies Introduction   32

II. Staatsbeamte Michael Khodarkovsky Groom and Govern Nineteenth-Century Native Interlocutors on Russia’s Colonial Frontiers  Jörg Ganzenmüller Vom Modernisierer zum Russifizierer? Michail N. Murav’ëv und die Polenpolitik des Russischen Reiches  Ulrich Hofmeister Der Halbzar von Turkestan Konstantin fon-Kaufman in Zentralasien (1867–1882) 

 39

 49

 65

Marion Wullschleger „Gut österreichische Gesinnung“ Imperiale Identitäten und Reichsbilder der letzten österreichischen Statthalter in Triest (1904–1918)   90 Bettina Brockmeyer Vom „Kolonialschwein“ zum Konsul Karrierewege eines deutschen Kolonialbeamten 

 107

VI 

 Inhalt

III. Militärische und politische Eliten Bradley D. Woodworth The Imperial Career of Gustaf Mannerheim Mobility and Identity of a Non-Russian within the Russian Empire  Irina Marin Reforming the Better to Preserve A k.u.k. General’s Views on Hungarian Politics 

 135

 155

Faith Hillis Making and Breaking the Russian Empire The Case of Kiev’s Shul’gin Family   178 Martin Müller-Butz Von Russland nach Polen Zum Potential imperialer Erfahrung nach dem Zerfall der Imperien am Beispiel der Biographie von Aleksander Lednicki   199

IV. Experten und Unternehmer Ruth Leiserowitz Polnische Militärärzte im zarischen Imperium Räume und Spannungsfelder zwischen Warschau und Port Artur  Katja Bruisch Populismus, Profession und Politik Agrarexperten im späten Zarenreich 

 223

 240

Klemens Kaps Zwischen unternehmerischen Interessen, Arbeit für die Nation und Politik für das Reich Zwei imperiale Biographien im Galizien der späten Habsburgermonarchie (1880–1914)   261 Christoph Herzog Yorgo Zarifi (1807–1884) Bankier des Sultans Abdülhamid II. 

 289



Inhalt 

V. Intellektuelle und Akademiker Jan Surman Imperiale go-betweeners Józef Dietl und Tomáš Garrigue Masaryk zwischen Imperium, Wissenschaft und Nationalpolitik   311 Theodore R. Weeks Jan Baudouin de Courtenay The Linguist as Anti-Nationalist and Imperial Citizen 

 338

Christoph Augustynowicz Zwischen Legitimität aus Galizien und Dienst für Habsburg Die Wiener Genealogie Oskar Haleckis   355 Fredrik Lindström Imperial Heimat Biographies of the “Austrian State Elite” in the Late Habsburg Empire 

Anhang Danksagung 

 395

Abbildungsverzeichnis  Autorenverzeichnis 

 397  400

Register   405 I. Personenregister   405 II. Ortsregister   406 III. Sach- und Gruppenregister IV. Index (English)  410

 408

 368

 VII

Editorial Elitenwandel in der Moderne Die Präsenz des Wortes Elite in ganz unterschiedlichen Kontexten reflektiert die breiten wie diffusen Erwartungen an herausgehobene Gruppen und gleichzeitig die Relevanz des Phänomens. Dies gilt auch für den historischen und wissenschaftlichen Gebrauch des Begriffs. Was Eliten von Nicht-Eliten unterscheidet, wie soziale Gruppen zu Eliten werden, wer zur Elite gehört und welche Privilegien mit der Zugehörigkeit verbunden sind, aber auch, wie über sie geforscht wird, sind wesentliche Fragen, die einem andauernden historischen Wandel unterliegen. Die Reihe „Elitenwandel in der Moderne“ ist von Heinz Reif im Jahr 2000 mit einem Schwerpunkt auf der Adelsforschung begründet worden. Sie widmet sich dem zeitlichen und räumlichen Bedeutungswandel von Eliten und hat den Begriff „Elitenwandel“ analytisch unterfüttert und historisch mit Leben gefüllt. Den oft schematischen Modellen von der Ablösung alter durch neue Eliten hat die Reihe die Wandelbarkeit des Adels entgegengestellt und die Verwobenheit von alten und neu aufsteigenden Eliten demonstriert. Ein komplexes Verständnis vom Elitenwandel hat sie damit zu einer festen Grundannahme des Forschens über die Moderne gemacht. Mit der Weiterführung der Reihe verfolgen die neuen Herausgeber/innen und der Verlag insbesondere drei Ziele: Weiterhin werden herausragende Studien zur Bedeutung des Adels in der europäischen Moderne publiziert. Darüber hinaus wird der These von der Verwobenheit und Wandelbarkeit von Elitenformationen insofern Rechnung getragen, als Publikationen zu Elitengruppen und -milieus jenseits des Adels in stärkerem Maße Berücksichtigung finden sollen. Beispiele hierfür sind imperiale und dynastische Eliten, aber auch genuin moderne Formationen wie technowissenschaftliche Experten oder die Protagonisten des Durchbruchs moderner Massenmedien. Schließlich werden der zeitliche und räumliche Fokus erweitert, indem der Schwerpunkt im 19. Jahrhundert auf das späte 20. Jahrhundert ausgedehnt und der gesamteuropäischen Dimension des Elitenwandels besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Editorial Elites and Modernity The use of the word “elite” in very different contexts reflects the broad and uncertain expectations associated with prominent groups, but also the phenomenon’s relevance. This is equally true for the term’s historical and scholarly application. Key issues in the research, which are however subject to ongoing historical changes, include: What separates elites from non-elites? How do social groups become elite? Who belongs to the elite? What privileges are associated with membership? And, finally, how should research be conducted on them? The book series „Elitenwandel in der Moderne” (The Elites’ Transformation in Modernity) was introduced in 2000 by Heinz Reif with a focus on aristocracy research. Dedicated to tracing the temporal and spatial changes related to the meaning of “elite”, the series both provides the term “Elitenwandel” (transformation of the elites) with its analytical underpinning and elucidates its critical possibilities as a historical concept. In opposition to the often schematic models, in which old elites are replaced by new ones, the series posits the mutability of the aristocracy and demonstrates the interconnectedness between old elites and those who are on the rise. The series thus made a nuanced understanding of the change of the elites an essential point of departure in modernity research. For the continuation of the series, the new editors and the publisher have three main goals. First, outstanding studies will continue to be published on the importance of the aristocracy in European modernity. Second, the thesis of the interconnectedness and changeability of elite formations will be taken into account by giving greater consideration to publications on elite groups and elite milieus outside of the aristocracy. Examples here include imperial and dynastic elites, but also genuinely modern incarnations such as techno-scientific experts or the leading figures behind the breakthrough of modern mass media. Lastly, the temporal and spatial focus will be extended by placing particular emphasis on the period between the 19th and the late 20th century and closer attention will be paid to the transformation of the elites as a European-wide development.

I. Einführung

Tim Buchen / Malte Rolf

Eliten und ihre imperialen Biographien Zur Einführung

Abb. 1: Die politische Ordnung Europas 1881 In Trianon, dem reizenden französischen Schlosse, […] dessen Prunkräume nach Beendigung des grausigen Weltmordens den Schlußszenen der Zertrümmerung des alten Habsburgerreiches Schaubühne waren, findet sich in der Mitte des Parkes eine Sonnenuhr, welche die Inschrift trägt: Horas non numero, nisi serenas, was auf Deutsch lautet: „Ich zähle nur die heiteren Stunden.“1

„Die heiteren Stunden“ des Joseph Samuel Bloch, der mit diesen Zeilen 1920 seine Erinnerungen eröffnet, lagen überwiegend vor dem Ersten Weltkrieg. Das „grausige Weltmorden“ hatte den aus Galizien stammenden Rabbiner staaten- und heimatlos 1 Joseph S. Bloch: Meine Erinnerungen. Band 1. Wien 1922.

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 Tim Buchen / Malte Rolf

gemacht. Bloch erlebte den Zerfall der Monarchie als gewaltsame Zerstörung, als „Zertrümmerung“, die nicht etwa neue Einheiten in Form von Nationalstaaten hervorbrachte, sondern nur Bruchstücke einer einstigen Ordnung hinterließ. Der Verweis auf Trianon zeigt zugleich, dass Bloch nicht nur mit der österreichischen Reichshälfte, sondern ebenso mit dem k.u.k.-Gesamtstaat verbunden war. Diese Identifikation beruhte nicht auf einer Vorliebe für die Monarchie als Staatsform, seine Nostalgie bezog sich auch nicht auf eine Welt von gestern, in der er einen hohen ererbten Status genossen hatte. Vielmehr war das Reich für Bloch ein Ermöglichungsraum autobiographischer Entfaltung gewesen. Es erlaubte dem Bäckersohn aus den Karpaten eine Karriere als Publizist und Politiker, mit der er zugleich sein religiöses Anliegen prominent in den Öffentlichkeiten des gesamten Reiches vorbringen konnte.2 Bloch war einer der vielen Akteure, die von der Ausweitung der politischen Sphären in den Monarchien um 1900 und der rasant wachsenden Nachfrage nach Zeitungen profitierten. Er erlebte – wie viele andere auch – die imperiale Ordnung daher immer auch als Eröffnung von persönlichen Artikulations- und Partizipationsforen und als Erweiterung der eigenen Handlungsspielräume. Aber Bloch war nicht nur passiver Nutznießer des imperialen Strukturwandels im späten 19. Jahrhundert. Vielmehr trug er als politischer und publizistischer Akteur selber dazu bei, dieser Transformation Gestalt zu verleihen. Mit der Formulierung und Verteidigung dezidiert jüdischer Interessen innerhalb des Imperiums hatte Bloch entscheidenden Anteil daran, dass Wien und die Habsburgermonarchie zu festen Identifikationsgrößen für viele Juden des Reichs wurden, die sich explizit als habsburgische Juden verstanden. Bloch und zahlreiche andere Zeitgenossen festigten und formten den Reichszusammenhang gleichermaßen: Publizistisch-politische Vergemeinschaftungen benötigten den Gesamtstaat als Rahmensetzung und waren zugleich beteiligt an den Neuverhandlungen seiner inneren Verfassung. Das Reich war kein statisches Gebilde, das es zu erdulden galt. Es war vielmehr eine äußerst flexible Bezugsgröße, auf deren Mitgestaltung man Anspruch erhob. Die vielschichtigen Bedeutungen des Imperiums für ein Leben wie das von Joseph Samuel Bloch sind Gegenstand dieses Sammelbandes. Es geht um die Auswirkungen imperialer Rahmensetzungen auf Karrieren wie die seine und um individuelle Gestaltungsansprüche und -anteile in den sich wandelnden Groß- und Vielvölkerreichen Ost- und Mitteleuropas. Menschen wie Bloch hatten eine imperiale Biographie, die geprägt war von den Strukturen der Reiche, in denen sie lebten, und die sie gleichzeitig zu Meinungs- und Handlungsträgern in den Transformationsprozessen im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert machten. Anhand von siebzehn Fallstudien stellt dieser Sammelband imperiale Biographien von Reichseliten in Russland

2 Siehe zu Bloch auch ausführlicher Tim Buchen: Religiöse Mobilisierung im Reich. Die imperialen Lebensläufe und politischen Karrieren von Joseph Bloch und Stanisław Stojałowski in der Habsburgermonarchie. In: Geschichte und Gesellschaft 40. Heft 1 (2014). S. 117–141.



Eliten und ihre imperialen Biographien 

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und in Österreich-Ungarn vor und beschreibt deren Karrieremuster, Handlungsfelder und Selbstentwürfe in der Phase beschleunigten Wandels zwischen 1850 und 1917/18. Damit tritt auch das grundlegende Erkenntnispotential dieser Biographien zu Tage. Sie spiegeln die Wechselwirkungen von bestehenden imperialen Ordnungsmustern und deren Ausdeutungen durch die Akteure wider. Sie geben ebenso den Blick frei auf die grundlegenden Reichsstrukturen und rekonstruieren die Imperien zugleich als Erfahrungs-, Vorstellungs- und Erwartungsräume der Zeitgenossen in einem historischen Moment, in dem ihre Zertrümmerung noch weitgehend undenkbar schien. Die imperialen Biographien der in diesem Buch vorgestellten Protagonisten verdeutlichen, wie stark deren Vorstellungswelten durch den imperialen Möglichkeitsrahmen geprägt wurden und inwieweit das Reich den Sinnhorizont bereitstellte, auf den sich ihr Handeln und Denken bezog. Wie aber schreibt man eine solche imperiale Biographie? Was zeichnete sie aus? Und welche Einsichten gewährt eine solche Individualisierung der Imperiumsforschung? Um auf diese Fragen Antworten geben zu können, bedarf es eines neuen Blickes auf das biographische Arbeiten.

Neue Biographik „Die Biographie verhält sich zum Leben wie die Geschichte zur Vergangenheit.“3 Sie ist ein Text, der ausgesuchte Fakten und Ereignisse eines Lebens vorstellt, einordnet und deutet, um dieses erzählbar und verständlich zu machen. Eine Biographie stiftet Sinn. Der Biograph muss sich ebenso auf die Vergangenheit einlassen, in der sein Protagonist lebt, wie auf die Gegenwart, in der er gelesen und verstanden werden will. Biographien begegnen der Erwartung, die der Leser an die Darstellung und Deutung eines Menschen hat. Zu diesen Prämissen gehören auch Annahmen über die Bedeutung des Porträtierten für das „große Ganze“, seine Einflussmöglichkeiten auf den Lauf der Geschichte und die Repräsentativität dieser Existenz für ein Kollektiv. Gerade die Sozialgeschichtsschreibung der 1970er Jahre hegte vor allem im deutschen Sprachraum großen Zweifel an der Aussagekraft von Biographien. Sie wurden mit einer unkritischen und überkommenen „Geschichte großer Männer“ assoziiert, die den Blick auf das Entscheidende, Strukturen und Prozesse, verstelle. In den letzten Jahrzehnten lässt sich jedoch eine Versöhnung der Biographik mit einer theoretisch geleiteten Geschichtswissenschaft beobachten.4 Darin wird 3 So Abdulhamit Kirmizi während der Konferenz Imperiale Biographien. Elitekarrieren in den Vielvölkerreichen der Habsburger, Romanovs und Osmanen 1850–1918, vom 3.–5. Mai 2012 in Berlin. Siehe auch seinen Beitrag Experiencing the Ottoman Empire as a Life Course. In: Geschichte und Gesellschaft 40. Themenheft Imperiale Biographien. Heft 1 (2014). S. 117–141. 4 Zur aktuellen Debatte um die Biographie in der Geschichtswissenschaft siehe: Hans Erich Bödeker: Biographie. Annäherungen an den gegenwärtigen Forschungs- und Diskussionsstand. In: Hans Erich

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 Tim Buchen / Malte Rolf

das (historische) Individuum als in hohem Maße von seiner Umwelt geprägt und abhängig verstanden. Die umgebenden Strukturen rahmen gleichsam sein Denken und Handeln. Sich in diesem Sinn mit dem Leben einer Person zu befassen, heißt zugleich die großen, dahinter stehenden Systeme und Prozesse sichtbar zu machen sowie Strukturwandel und die Dynamik gesellschaftlicher Bedeutungsmuster zu verdeutlichen. Dies kann in Brüchen und neuen Entwicklungen eines Lebens aufscheinen, in denen die Protagonisten als Objekte des Wandels betroffen sind. Umgekehrt können die Akteure durch ihr Handeln jedoch bewusst oder unbewusst auch selbst strukturelle Veränderungen voranbringen und damit zu deren Subjekten werden. Dies bedeutet nicht, dass sie nicht auch weiterhin Gefangene ihrer Zeit, auch nicht, dass sie ihrer Zeit voraus wären. Das Handeln, Sprechen und Denken eines jeden Menschen ist vielmehr ein ständiger Abgleich mit seiner Umwelt, und eben das rechtfertigt die intensive Beschäftigung mit einem einzigen Leben. Eine solche Biographie erfasst die Schnittstelle zwischen dem Individuum und seiner Welt; an dieser werden die Prozesse der Wahrnehmung, der Anpassung und Veränderung sichtbar. Derart reflektiert angelegte biographische Studien verfolgen denn auch weniger das Anliegen, den jeweiligen Protagonisten und seine historische Bedeutung zu würdigen, als ihn vielmehr in den Dienst eines Erkenntnisgewinns über die Kontexte, in denen er wirkte, zu stellen. Die neue Biographik im Sinne einer kulturwissenschaftlich informierten Historiographie fragt aber auch nach der Wahrnehmung, Verarbeitung und Bewertung dieser Kontexte durch den Protagonisten selbst. Sie bezieht auch den Biographen selbst mit in die Analyse ein, um zu vermeiden, dass die für ihn gültigen Prämissen und Kategorien in die Vergangenheit rückverlängert und unhinterfragt als gültige Annahmen des Biographierten gesehen werden. Seine Wahrnehmungen und Reflexionen der eigenen Handlungsmöglichkeiten und ihr Wandel sind ein wichtiger Zugang zum Verständnis historischer Gesellschaften. Die Muster und Mechanismen der Selbstverortung verraten, wie in der jeweiligen Gesellschaft und in verschiedenen Milieus soziale Wirklichkeit, Ordnungen und verbindliche Werte konstruiert und verhandelt werden. Bödeker (Hrsg.): Biographie schreiben. Göttingen 2003. S. 9–63; Volker R. Berghahn: Structuralism and Biography. Some Concluding Thoughts on the Uncertainties of a Historical Genre. In: Volker R. Berghahn und Simone Lässig (Hrsg.): Biography Between Structure and Agency. Central European Lives in International Historiography. New York 2008. S. 234–249; Simone Lässig: Die historische Biographie auf neuen Wegen? In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 60. Heft 10 (2009). S. 540– 553; Wolfram Pyta: Biographisches Arbeiten als Methode. Geschichtswissenschaft. In: Christian Klein (Hrsg.): Handbuch Biographie. Methoden, Theorien, Traditionen. Stuttgart 2009. S. 331–338; Ulrich Raulff: Das Leben – buchstäblich. Über neuere Biographik und Geschichtswissenschaft. In: Christian Klein (Hrsg.): Handbuch Biographie. Methoden, Theorien, Traditionen. Stuttgart 2009. S. 55–68; Malte Rolf: Imperiale Biographien. Lebenswege imperialer Akteure in Groß- und Kolonialreichen (1850–1918) – zur Einleitung. In: Geschichte und Gesellschaft 40. Heft 1 (2014). S. 5–21; sowie die Sammelbände Hans Erich Bödeker (Hrsg.): Biographie schreiben. Göttingen 2003; Bernhard Fetz und Hannes Schweiger (Hrsg.): Die Biographie – Zur Grundlegung ihrer Theorie 2009; Christian Klein (Hrsg.): Handbuch Biographie. Methoden, Theorien, Traditionen. Stuttgart 2009.



Eliten und ihre imperialen Biographien 

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Das auf Eliten angewandte Konzept der imperialen Biographien nimmt diese Erkenntnisse der neuen Biographik auf und macht sie für die Erforschung der großen eurasischen Landimperien nutzbar. Es schließt damit an eine Neuausrichtung der Imperiumsforschung an, in der etwa David Lambert und Alan Lester Karrieren im britischen Empire mit den Ansätzen der post colonial studies in den Blick nahmen.5 Russische und österreichisch-ungarische Biographien stehen im vorliegenden Band im Mittelpunkt und werden durch je ein Beispiel aus dem deutschen und dem osmanischen Reich ergänzt.6

5 Zu dieser neuen Ausrichtung der Imperiumsforschung siehe David Lambert und Alan Lester (Hrsg.): Colonial Lives Across the British Empire: Imperial Careering in the Long Nineteenth Century. Cambridge 2006; Catherine Hall: Civilising Subjects. Metropole and Colony in the English Imagination, 1830–1867. Cambridge 2002; Ann Laura Stoler und Frederick Cooper: Between Metropole and Colony. Rethinking a Research Agenda. In: Ann Laura Stoler und Frederick Cooper (Hrsg.): Tensions of Empire. Colonial Cultures in a Bourgeois World. Berkeley 1997. S. 1–56; Kathleen Wilson: Introduction. Histories, empires, modernities. In: Kathleen Wilson (Hrsg.): A New Imperial History. Culture, Identity, and Modernity in Britain and the Empire, 1660–1840. Cambridge 2004. S. 1–26; Catherine Hall (Hrsg.): Cultures of Empire. Colonizers in Britain and the Empire in the 19th and 20th Centuries. New York 2000; Ann Laura Stoler und Frederick Cooper (Hrsg.): Tensions of Empire. Colonial Cultures in a Bourgeois World. Berkeley 1997; Kathleen Wilson (Hrsg.): A New Imperial History. Culture, Identity, and Modernity in Britain and the Empire, 1660–1840. Cambridge 2004; zu postkolonialen Ansätzen in den Geschichtswissenschaften vgl. Sebastian Conrad und Shalini Randeria (Hrsg.): Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften. Frankfurt/ Main 2002; speziell zur Habsburgermonarchie vgl. Johannes Feichtinger (Hrsg.): Habsburg postcolonial. Machtstrukturen und kollektives Gedächtnis. Innsbruck 2003; Jan Surman und Klemens Kaps: Galicia postcolonial, prospects and possibilities. In: Historyka. Studia Metodologiczne 41 (2012). 6 In jüngster Zeit sind zahlreiche biographische Studien zum russischen und habsburgischen Reich erschienen, vgl. Abraham Ascher: P. A. Stolypin. The Search for Stability in Late Imperial Russia. Stanford 2001; Alexis Hofmeister: Imperiale Selbstbeschreibung? Jüdische Autobiographik aus dem Russischen und Osmanischem Reich. In: Guido Hausmann und Angela Rustemeyer (Hrsg.): Imperienvergleich. Beispiele und Ansätze aus osteuropäischer Perspektive. Festschrift für Andreas Kappeler. Wiesbaden 2009. S. 269–291; Andreas Kappeler: Russland und die Ukraine. Verflochtene Biographien und Geschichten. Wien 2012; Michael Khodarkovsky: Bitter Choices. Loyalty and Betrayal in the Russian Conquest of the North Caucasus. Ithaca 2011; Andreas Oplatka: Graf Stephan Széchenyi. Der Mann, der Ungarn schuf. Wien 2004; Alexander Morrison: Russian Rule in Samarkand 1868–1910. A Comparison with British India. Oxford 2008. S. 126–171; Timothy Snyder: Nationalism, Marxism, and Modern Central Europe. A Biography of Kazimierz Kelles-Krauz (1872–1905). Cambridge/Mass. 1997; Timothy Snyder: Der König der Ukraine. Die geheimen Leben des Wilhelm von Habsburg. Wien 2009; Matthias Stadelmann: Großfürst Konstantin Nikolaevič. Der persönliche Faktor und die Kultur des Wandels in der russischen Autokratie. Wiesbaden 2012; Willard Sunderland: The Baron’s Cloak. A History of the Russian Empire in War and Revolution. Ithaca 2014; Francis W. Wcislo: Tales of Imperial Russia. The Life and Times of Sergei Witte, 1849–1915. Oxford 2011; Anna Veronika Wendland: Am Rande der Imperien. Mychajlo Drahomanov und die Anfänge einer europäischen Verflechtungsgeschichte der Ukraine. In: Guido Hausmann und Angela Rustemeyer (Hrsg.): Imperienvergleich. Beispiele und Ansätze aus osteuropäischer Perspektive. Festschrift für Andreas Kappeler. Wiesbaden 2009. S. 221–224; Alexa von Winning: The Empire as Family Affair. The

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Es wird davon ausgegangen, dass Vielvölkerreiche untrennbar mit Leben und Karriere ihrer Eliten verbunden waren und gleichsam die Matrix bildeten, nach denen diese verliefen. Dadurch prägten die Imperien Erfahrungsraum und Erwartungshorizont der Protagonisten. Zunehmend wurden diese aber auch durch internationale Modernisierungsphänomene beeinflusst. Alle Beiträge des Sammelbands zeigen, wie die in Bewegung befindlichen imperialen und professionellen Strukturen und die dynamischen Prozesse der Modernisierung die Karriere und Leben der Protagonisten bestimmten. Zugleich loten sie die Möglichkeiten der Personen aus, eigene Anliegen und Vorstellungen innerhalb des Reiches umzusetzen und damit selbst Veränderungen anzustoßen. Und schließlich zeigen sie die individuelle Wahrnehmung und Verarbeitung ihres eigenen mit dem Imperium verflochtenen Lebens und geben Auskunft darüber, wie das Reich von handelnden Personen verstanden und gedacht wurde. Somit tragen die imperialen Biographien auch zur Klärung der Frage bei, wie sich die Reiche und ihre Eliten gegenüber den Möglichkeiten und Herausforderungen der Moderne verhielten. Anders gesagt, zeigt eine Sammlung imperialer Biographien in mehreren Ausschnitten, wie die Verwandlung der imperialen Welt im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert vor sich ging.7 Der zeitliche Untersuchungsrahmen beginnt mit der Mitte des 19. Jahrhunderts, da in beiden Großreichen – in Russland wie in Österreich-Ungarn – tief greifende Staatsreformen unternommen wurden. Diese waren gleichermaßen Reaktion auf die enormen Veränderungen der Lebenswelt und Demonstration des staatlichen Gestaltungsanspruchs. Einige Beiträge greifen jedoch zeitlich voraus, andere stellen Biographien vor, die das Reich überlebten, und können so die Prägungen besonders deutlich machen. Die Konzentration auf je eine Person und seine Karriere, die unterschiedliche Kontexte im beruflichen Feld und in verschiedenen Reichsteilen miteinander verbindet und die historischen Figuren sowohl aus heutiger Perspektive, wie auch in ihren eigenen Kategorien erfasst, ermöglicht Aussagen zu drei zentrale Themen der vergleichenden Imperiumsforschung: Erstens zeigen die Biographien den Prozess der Elitenbildung in unterschiedlichen Professionen und liefern in ihrer Gesamtheit Erkenntnisse über den Wandel der Rekrutierung und des Selbstverständnisses von Eliten am Ende des langen 19. Jahrhunderts. Besondere Aufmerksamkeit richtet sich hier auf die Heterogenität der Reiche und ihre adlige Verfasstheit, zwei Aspekte, die in den Reformbemühungen um Fortschritt und Effektivität häufig in Kritik gerieten.8 Mansurovs and Noble Participation in Imperial Russia, 1850–1917. In: Geschichte und Gesellschaft 40. Heft 1 (2014). S. 94–116. 7 Siehe hierzu z.B. die Beiträge im Themenheft Imperiale Biographien. In: Geschichte und Gesellschaft 40. Heft 1 (2014); und zur Habsburgermonarchie: Helmut Rumpler und Peter Urbanitsch: Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Band 9 (Soziale Strukturen). 1. Teil: Von der feudal-agrarischen zur bürgerlich-industriellen Gesellschaft. Teilband 1: Lebens- und Arbeitswelten in der industriellen Revolution. Teilband 2: Von der Stände- zur Klassengesellschaft. Wien 2010. 8 Zur Adelsforschung als Teil der Elitenforschung siehe Heinz Reif: Der Adel im „langen 19. Jahrhundert“: Alte und neue Wege der Adelsforschung. In: Gabriele Clemens [u.a.] (Hrsg.): Hochkultur



Eliten und ihre imperialen Biographien 

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Zweitens werden in der Beschäftigung mit alten und neuen Elitengruppen die fundamentalen Veränderungen greifbar, die in der untersuchten Zeitspanne nahezu alle Lebensbereiche erfassten und von Angehörigen der Elitenkulturen besonders aufmerksam beobachtet, energisch vorangetrieben oder kritisiert wurden. Auf Grund der engen Verflechtung der Karriere mit dem Imperium wird darin zugleich sichtbar, wie sich dem Reich neue Wirkungsfelder und Machtbereiche erschlossen und gegenläufige Entwicklungen zu einem Kontrollverlust beitrugen. Drittens lassen sich aus den Strategien der Selbstverortung der Akteure und ihrem Nachdenken über imperiale Zusammenhänge Aussagen darüber treffen, wie das Reich und der Wandel zusammengedacht wurden, welche Agenden und Visionen aus der beruflichen Tätigkeit und der Erfahrung des eigenen Lebens auf individuelle Weise mit dem Imperium verknüpft wurden. Um diese drei Themenkomplexe soll es im Folgenden gehen.

Elitenbildung und Elitenwandel in den späten Kaiserreichen Als Eliten werden Menschen verstanden, die in einer Gesellschaft relevante, gestaltende Funktionen übernehmen und deren Status und selbst definierte Rolle von der Gesellschaft akzeptiert werden. Ein solches an frühere Elitenforschung anschließende Verständnis sieht Leistung und Funktion nicht als objektive und alleinige Kriterien der Elitenzugehörigkeit, sondern verknüpft sie mit der Bedingung, den eigenen Führungsanspruch auch erfolgreich vermitteln zu können. Eliten kommunizieren ihren Gestaltungswillen als Kollektiv gegenüber der Gesellschaft, als Individuen versichern sie sich der Akzeptanz innerhalb ihrer jeweiligen Kohorte. So dienen etwa die Verleihungen von Titeln und Ehrungen und die Vergabe von Positionen und Aufträgen immer auch der wechselseitigen Bestätigung und Demonstration von Kompetenz und Relevanz. Kulturelle Zuschreibungen und kommunikative Aushandlungen innerhalb der Eliten und „nach außen“ gehen diesen Ereignissen voraus und bestimmen über ihre Interpretation und Wirkung.9 Auf diesen Verständigungsprozess nehmen auch die Medien, über die er erfolgt, erheblichen Einfluss. Mit dem sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts rasant als Herrschaftselement. Italienischer und deutscher Adel im langen 19. Jahrhundert. Berlin 2011. S. 19–37; Heinz Reif: Einleitung. In: Heinz Reif (Hrsg.): Adel und Bürgertum in Deutschland I. Entwicklungslinien und Wendepunkte im 19. Jahrhundert. Berlin 2001. S. 7–27. 9 Zur Erlangung und Verstetigung von Elitenzugehörigkeit siehe: Karsten Holste, Dietlind Hüchtker und Michael G. Müller: Aufsteigen und Obenbleiben in europäischen Gesellschaften des 19. Jahrhunderts. Akteure – Arenen – Aushandlungsprozesse. In: Karsten Holste, Dietlind Hüchtker und Michael G. Müller (Hrsg.): Aufsteigen und Obenbleiben in europäischen Gesellschaften des 19. Jahrhunderts. Akteure – Arenen – Aushandlungsprozesse. Berlin 2009. S. 9–20.

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ausweitenden Zeitungsmarkt, auf dem nun auch unterschiedliche und gegensätzliche Weltdeutungen in Sprache und Bild angeboten wurden, und der enormen kommunikativen Verdichtung durch Eisenbahn und Telegraf veränderte sich auch die Logik der Elitenrepräsentation. Um den Kommunikationsprozess erfolgreich zu gestalten, mussten selbst die traditionellen adeligen Eliten sich auf die neuen Modi von Öffentlichkeit einlassen und Medienpräsenz sowie -kompetenz erwerben.10 Zugleich brachten die angesprochenen technischen Neuerungen einen neuen Elitentypus hervor: Experten aus Wissenschaft, Technik und Wirtschaft. Auch sie sahen sich vor die Herausforderung gestellt, Deutungsmacht und Gestaltungswillen öffentlich zu demonstrieren und die Akzeptanz ihrer herausgehobenen Funktion in der Gesellschaft neben den traditionellen Vertretern zu erwerben.11 Neue Entwicklungen des 19. Jahrhunderts veränderten damit sowohl die Zusammensetzung von Eliten als auch die Aushandlung und Vermittlung ihrer Rolle in der Gesellschaft.12 Der biographische Ansatz ermöglicht es, sowohl die Mechanismen der individuellen Selbstverortung innerhalb der Elite, als auch die kollektiven Strategien und Anpassungen des Expertenmilieus gegenüber Staat und Gesellschaft sowie zwischen konkurrierenden Gruppen unter den Bedingungen des Öffentlichkeitswandels freizulegen. Wo es gelingt, einer Person nahezukommen, die durch Nutzung ihres kulturellen Kapitals als Teil einer Elite anerkannt wird, sich innerhalb dieser Elitenkultur halten und behaupten kann und dazu beiträgt, dass der gesellschaftliche Ein10 Zum Einfluss des „Strukturwandels der Öffentlichkeit“ auf die Herrschaftsrepräsentation von Dynastien siehe Martin Kohlrausch: Der Monarch im Skandal. Die Logik der Massenmedien und die Transformation der wilhelminischen Monarchie. Berlin 2003; Johannes Paulmann: Pomp und Politik: Monarchenbegegnungen in Europa zwischen Ancien Régime und Erstem Weltkrieg. Paderborn 2000; Daniel L. Unowsky: The Pomp and Politics of Patriotism. Imperial Celebrations in Habsburg Austria, 1848–1916. West Lafayette 2005. 11 Zu Experten als neue Elite siehe Martin Kohlrausch, Katrin Steffen und Stefan Wiederkehr: Expert Cultures in Central Eastern Europe – Introduction. In: Martin Kohlrausch, Katrin Steffen und Stefan Wiederkehr (Hrsg.): Expert Cultures in Central Eastern Europe. The Internationalization of Knowledge and the Transformation of Nation States since World War I. Osnabrück 2010. S. 9–30; Eric Engstrom [u.a.] (Hrsg.): Figurationen des Experten. Ambivalenzen der wissenschaftlichen Expertise im ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert. Frankfurt/Main 2005; Gabrielle Goettle: Experten. Frankfurt/ Main 2004; Stan J. Knapp: Analyzing Narratives of Expertise. Toward the Development of a Burkeian Pentadic Scheme. In: The Sociological Quarterly 40. Heft 4 (1999). S. 587–612. 12 Siehe Victor Karady: Elitenbildung im multiethnischen und multikonfessionellen Nationalstaat: Ungarn in der Doppelmonarchie 1867–1918. In: Holste, Hüchtker u. Müller, Aufsteigen und Obenbleiben (wie Anm. 9), S. 63–82; Dominic Lieven: Russia’s Rulers Under the Old Regime. New Haven 1989; Lukáš Fasora: Deutschliberale Politik und Elitenvergesellschaftung in der Gemeindeselbstverwaltung in Mähren 1850–191. In: Holste, Hüchtker u. Müller, Aufsteigen und Obenbleiben (wie Anm. 9), S. 177– 192; Stefano Petrungaro: Die Verteidiger der Eliten. Das Gericht als Arena der Elitenvergesellschaftung in Kroatien-Slavonien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In: Holste, Hüchtker u. Müller, Aufsteigen und Obenbleiben (wie Anm. 9), S. 83–98; Richard G. Robbins: The Tsar’s Viceroys. Russian Provincial Governors in the Last Years of the Empire. Ithaca 1987; Malte Rolf: Imperiale Herrschaft im Weichselland. Das Königreich Polen und das Russische Imperium (1864–1915). München 2014.



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fluss der eigenen Gruppe akzeptiert und gewahrt wird, werden die spezifischen historischen Bedingungen der Elitenbildung deutlich. Diese gelten aber nicht nur für das untersuchte Individuum, sondern sind Teil der in ständiger Bewegung befindlichen übergreifenden Strukturen, von denen eingangs die Rede war. Die Betrachtung der personalen Dimension des Prozesses der Elitenbildung und -konsolidierung erfasst also gleichermaßen Kontinuitäten der Vergemeinschaftung von Eliten wie auch den Wandel in ihrer Zusammensetzung und in der Erwartung des Staates und der imperialen Gesellschaft an sie. Die Elitenbildung in Österreich-Ungarn und Russland in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war strukturiert durch die Staatsform der Monarchie und die heterogene Komposition der Imperien. Die bisher staatstragende Funktion des Reichsadels konnte mit dem Machtanspruch neuer Expertenkulturen und mit aufkommenden demokratischen Forderungen leicht unter Rechtfertigungsdruck geraten. Der multiethnische Zuschnitt wiederum brachte einen mehrsprachigen Zeitungsmarkt und damit ein komplexes Gewebe kommunikativer Strukturen hervor, das nun die Rollengestaltung der Eliten mitbestimmte. Das Zusammenwirken dieser Faktoren soll im Folgenden kurz dargelegt werden.

Österreich-Ungarn und Russland als Monarchie Im Habsburgischen und im Zarenreich – wie auch im Deutschen und Osmanischen Reich – hatte der Adel bis zuletzt sowohl formalrechtlich wie auch informell eine herausragende Stellung in Politik, Verwaltung, Militär und Gesellschaft inne. Hochund Kleinadel stellten ein wichtiges Reservoir der Elitenbildung bereit. Traditionell waren staatsnahe Betätigungsfelder in der Verwaltung, in der Diplomatie und im Militär Domänen des Adels. Diese Bereiche erforderten besondere Loyalität gegenüber Dynastie und Reich, die sich beim Adel gleichsam selbstverständlich einstellte, war ihre herausgehobene Stellung doch untrennbar verbunden mit dem monarchischen Prinzip.13

13 Zur Frage der Loyalität in den hier im Mittelpunkt stehenden Imperien bzw. ihren Nachfolgestaaten siehe Laurence Cole und Daniel L. Unowsky (Hrsg.): The Limits of Loyalty. Imperial Symbolism, Popular Allegiances, and State Patriotism in the Late Habsburg Monarchy. Oxford 2009, hier v.a. Laurence Cole und Daniel L. Unowsky: Introduction. In: Laurence Cole und Daniel L. Unowsky (Hrsg.): The Limits of Loyalty. Imperial Symbolism, Popular Allegiances, and State Patriotism in the Late Habsburg Monarchy. Oxford 2009. S. 1–10; Hannes Grandits: Herrschaft und Loyalität in der spätosmanischen Gesellschaft. Das Beispiel der multikonfessionellen Herzegowina. Wien 2008; Khodarkovsky, Bitter Choices (wie Anm. 6); Martin Schulze Wessel: „Loyalität“ als geschichtlicher Grundbegriff und Forschungskonzept: Zur Einleitung. In: Martin Schulze Wessel (Hrsg.): Loyalitäten in der Tschechoslowakischen Republik. Politische, nationale und kulturelle Zugehörigkeiten. Mün­ chen 2004. S. 1–22.

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Abb. 2: Die Habsburgermonarchie 1872

Wie in anderen europäischen Gesellschaften auch, ging im Laufe des 19. Jahrhunderts die Selbstverständlichkeit, mit der Adlige die Elite bildeten, allmählich verloren. Mit der technischen und wissenschaftlichen Revolution und dem Vordringen staatlicher Strukturen entstanden in nahezu allen Lebensbereichen ganz neue Expertengruppen, die von bürgerlichen Kreisen getragen wurden. Diese Konkurrenz brachte neue Mechanismen der Vergemeinschaftung, aber auch der Abgrenzung und Beharrung zwischen Adel und Bürgertum hervor. So wuchs die Zahl der Erhebungen in den Adelsstand, was weiterhin einen Zugewinn an Sozialprestige bedeutete. Diese Nobilitierungspraxis perpetuierte zugleich den Staatsbezug weiter Teile der gesellschaftlichen Elite. Sie sind ein gutes Beispiel dafür, wie sich die Prinzipien von der „Gnade der Geburt“ mit der Honorierung von Leistung, mithin wie sich adlige mit bürgerlichen Kategorien der Elitenbildung verbinden ließen. Das bedeutete aber auch, dass sich der Adel nicht nur auf die neuen Logiken von Öffentlichkeit einlassen, sondern sich auch zunehmend zu liberalen und demokratischen Legitimationskategorien verhalten musste.



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Abb. 3: Das Russische Reich 1901

Die Imperien als multinationale Räume Eine besondere Herausforderung der Imperien bedeutete die „nationale Frage“.14 Das nationale Denken stellte nicht nur die Legitimität imperialer Herrschaft über nichtrussische beziehungsweise nichtdeutsche und nichtungarische Gebiete in Frage. 14 Siehe dazu u.a. Jörg Baberowski: Auf der Suche nach Eindeutigkeit. Kolonialismus und zivilisatorische Mission im Zarenreich und der Sowjetunion. In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 47. Heft 3 (1999). S. 482–503; Dietrich Geyer: Nation und Nationalismus in Rußland. In: Manfred Hettling und Paul Nolte (Hrsg.): Nation und Gesellschaft in Deutschland. München 1996. S. 100–113; Andreas Kappeler: Nationsbildung und Nationalbewegungen im Russländischen Reich. In: Archiv für Sozialgeschichte 40 (2000). S. 67–90; Andreas Kappeler: Rußland als Vielvölkerreich. Entstehung, Geschichte, Zerfall. München 1992; Alexei Miller: The Romanov empire and nationalism. Essays in the methodology of historical research. Budapest 2008; Pieter M. Judson (Hrsg.): Constructing nationalities in East Central Europe. New York 2006; Pieter M. Judson: Guardians of the nation. Activists on the language frontiers of imperial Austria. Cambridge 2006; Jonathan Kwan: Review Article: Nationalism and all that: Reassessing the Habsburg Monarchy and its legacy. In: European History Quarterly 41 (2011). S. 88–108; Malte Rolf: Die Revolution von 1905 und der Wandel der Nationsbilder im Russischen Reich. In: Ewald Frie, Friedrich Lenger und Ute Planert (Hrsg.): Revolution, Krieg und die Geburt von Staat und Nation. Europa in der Welt des langen 19. Jahrhunderts. Tübingen 2015, im Druck.

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Nationale Kategorien erhielten zunehmende Bedeutung für die Bewertung von Politik und Verwaltung im Reich insgesamt und betrafen auch die sichtbaren Vertreter der Macht.15 Sich über nationale Zugehörigkeit zu definieren, zu einer Nationalsprache zu bekennen und diese Verbundenheit glaubwürdig zu demonstrieren, war dem übernationalen europäischen Adel zunächst fremd. Besonders schwierig war diese Zuordnung in den multinationalen Imperien für die Angehörigen des pluriethnischen Reichsadels. Dieser spiegelte die Genese der Imperien wider, d.h. die Inkorporation bestehender Einheiten samt ihrer Eliten sowie Rechts- und Sozialordnungen in den Reichsverband. Über Jahrhunderte hatten sich durch die Ausrichtung auf den Hof im Zentrum, die ausgeprägte Mobilität im Reich sowie den Stellenwert der Militärlaufbahn adlige Vergemeinschaftungsformen herausgebildet, die sich einer klaren nationalen Zuordnung entzogen.16 Die imperialen Biographien zeigen, welche Bedeutung die Sozialisation im Reichsadel für die Identifikation seiner Angehörigen mit dem Imperium hatte und wie diese mit den widerstreitenden Forderungen nach nationaler Solidarität umgingen. Der biographische Ansatz im oben skizzierten Zuschnitt kann aufdecken, inwieweit Angehörige des Adels nationale Deutungen annahmen und verstanden. Es kann auch nachgezeichnet werden, in welchem Maß in den nicht-adligen, neuen Expertenkohorten eine reichsweite, übernationale Vergemeinschaftung stattfand und die Selbstverortung ihrer Angehörigen bestimmte.17 Das Konzept der imperialen Biographien geht ganz im Sinne der neuen Biographie davon aus, dass Menschen sich multipel und situativ unterschiedlich identifizieren und in wechselnden Loyalitätsgefügen bewegen.18 Innerhalb des familiären und privaten Raums konnten andere Normen und Übereinkünfte gelten als in dem beruflichen, der sich nicht selten von jenem sozial und geographisch unterschied. Zwischen beiden Räumen aber mussten die Protagonisten pendeln bzw. einen Ausgleich finden. Nationale Deutungsangebote schränkten eine multinationale Elite zwar 15 Vgl. Benno Gammerl: Untertanen, Staatsbürger und Andere. Der Umgang mit ethnischer Hete­ro­ genität im Britischen Weltreich und im Habsburgerreich 1867–1918. Göttingen 2010; Jörn Leonhard und Ulrike von Hirschhausen: Empires und Nationalstaaten im 19. Jahrhundert. Göttingen 2009; Dominic Lieven: Empires, Russian and Other. In: Marco Buttino (Hrsg.): In a Collapsing Empire. Underdevelopment, Ethnic Conflicts, and Nationalisms in the Soviet Union. Mailand 1992. S. 89–103; Rolf, Imperiale Herrschaft im Weichselland (wie Anm. 12), Kap. 5 und Kap. 14. 16 Vgl. u.a. Seymour Becker: Nobility and Privilege in Late Imperial Russia. DeKalb 1985; Istvan Deák: Der K.(u.)K. Offizier. 1848–1918. Wien² 1995; Geyer, Nation und Nationalismus (wie Anm. 14), S. 100–113; Dominic Lieven: Russia’s Rulers Under the Old Regime. New Haven 1989. 17 Siehe hierzu Peter Stachel: Übernationales Gesamtstaatsbewusstsein in der Habsburgermonarchie. Zwei Fallbeispiele. In: Endre Kiss und Justin Stagl (Hrsg.): Nation und Nationenbildung in ÖsterreichUngarn 1848–1938. Prinzipien und Methoden. Wien 2006. S. 97–113. 18 Zu multiplen Identitätsentwürfen in den komplexen kulturellen Gemengelagen der Imperien vgl. grundsätzlich Moritz Csáky: Paradigma Zentraleuropa: Pluralitäten, Religionen und kulturelle Codes. Religion – Mythos – Nation. Einführende Überlegungen. In: Moritz Csáky und Klaus Zeyringer (Hrsg.): Pluralitäten, Religionen und kulturelle Codes. Innsbruck 2001. S. 9–17.



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häufig ein, konnten jedoch dem Einzelnen auch neue Potenziale eröffnen, um den eigenen Gestaltungsanspruch durchzusetzen. Voraussetzung hierzu waren Sprachkompetenz und Zugang zu den in einer mehrsprachigen Medienlandschaft sich nun breit ausfächernden Öffentlichkeiten.19 Mit der Sprachvielfalt entstanden mediale Kanäle, über die sich nationale, religiöse, politische und soziale Milieus verständigten und konsolidierten und die ihre eigenen Führungspersonen hervorbrachten. Ebenso schufen politische Mandate auf kommunaler, regionaler und reichsweiter Ebene Angebote an Partizipation, die auch traditionelle Eliten nachfragen und ausgestalten konnten. Die Beteiligung an mehreren, gleichzeitig erfolgenden Kommunikationsprozessen mit jeweils eigenen Vorzeichen, die sich dennoch im imperialen Raum aufeinander bezogen, erforderten eine Kompetenz, die kennzeichnend für die imperialen Eliten war. Wenn auch für viele von ihnen die Beherrschung verschiedener Sprachen und Codes selbstverständlich war, so konnte doch die Gebundenheit in den unterschiedlichen Kontexten auch Widersprüche und schwere Konflikte nach sich ziehen.20 Es liegt daher nahe, Eliten, die zu Vordenkern von Kritik an strukturellen Widersprüchen im Reich und zum Sprachrohr für innere Reformen wurden, an die Erfahrungen in einem Lebenslauf zurückzubinden, der mit diesen Strukturen selbst verwoben war. So wird verständlich, wie, wann, weshalb und vom wem der Staat auch anders als ein übernationales monarchisches Gebilde gedacht wurde. Die Arsenale der Selbstverortung, mit denen Menschen auf die sich in den Modernisierungsprozessen verändernden Expertenkulturen sowie auf die sich wandelnden Mechanismen der Elitenrekrutierung reagierten, sind ein wichtiger Untersuchungsgegenstand der imperialen Biographien. Greift man die Idee der Elitenbiographie als Schnittstelle auf, so können die imperialen Lebensläufe zugleich dazu genutzt werden, den sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts rasant vollziehenden Wandel in einer Vielzahl von Bereichen – wie Technik, Wirtschaft, Politik, Medien, Religion, Militär, Bildung oder Wissenschaft – qualitativ zu erfassen. Die Neuerungen betrafen die Eliten schließlich nicht nur als veränderte Bedingungen ihrer Rekrutierung und Etablierung. Sie mussten sich in ihrer Arbeit und ihrem täglichen Leben mit diesen Veränderungen permanent auseinandersetzen. Der Wandel darf jedoch nicht als Naturereignis verstanden werden, das über die Gesellschaft hereinbrach, neue Eliten nach oben spülte und andere verbannte. Viele Akteure ließen sich auf die neuen Möglichkeiten ein, machten sie sich zunutze, investierten in mehr oder weniger verheißungsvolle Beschäftigungsfelder und konnten sich, wo sie erfolgreich waren, als neue Eliten etablieren. Die Biogra19 Siehe hierzu Peter Stachel: Ein Staat, der an einem Sprachfehler zugrunde ging. Die „Viel­spra­ chig­keit“ des Habsburgerreiches und ihre Auswirkungen. In: Johannes Feichtinger und Peter Stachel (Hrsg.): Das Gewebe der Kultur. Kulturwissenschaftliche Analysen zur Geschichte und Iden­tität Österreichs in der Moderne. Innsbruck 2001. S. 11–45. 20 Moritz Csáky: Das Gedächtnis der Städte. Kulturelle Verflechtungen – Wien und die urbanen Milieus in Zentraleuropa. Wien 2010.

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phien von Menschen, die in neuen Bereichen so erfolgreich wurden, dass sie für die Herausbildung einer Reichselite relevant wurden, können sowohl die Bedeutung des Wandels für die Elitenkultur als auch den Einfluss von Eliten auf die Umbrüche aufzeigen. Einzelstudien können die Schauplätze, an denen die als Modernisierung verstandenen Veränderungen stattfanden, genauer beleuchten. Dabei bleibt aber immer auch im Blick, wie das Reich den Wandel steuerte und beförderte und wie es sich in diesem Prozess selbst veränderte. Die imperialen Biographien liefern damit einen neuen Zugang zu einem zentralen Thema der Imperiumsforschung, zur Frage nach Innovationsfähigkeit und Wandelbarkeit der europäischen Kaiserreiche seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Das Imperium, der Wandel der Lebenswelten und die Rolle der Eliten Die unter dem Schlagwort der Modernisierung zusammengefassten Prozesse und globalen Entwicklungen wurden von der Forschung zur Russischen und der Habsburgermonarchie lange Zeit als verspätet beschrieben. Vor der als Norm gesetzten Folie westeuropäischer Staaten erschienen die Kaiserreiche auf Grund „fehlender“ oder nicht entwickelter bürgerlicher Schichten und agrarisch geprägter Wirtschaftsform als rückständig und strukturell defizitär. Der greise und reformresistente Kaiser Franz Joseph und der reaktionäre, die Wirklichkeit ignorierende Nikolaus II. dienten der Forschung als Sinnbilder einer am Ende des 19. Jahrhunderts anachronistischen Staatlichkeit. Die nationalen Historiographien der Nachfolgestaaten sahen in den Imperien zudem vor allem illegitime Unterdrückungsregime, die die jeweiligen Nationen an einer freien und modernen Entfaltung hinderten. Demgegenüber hat die jüngere Forschung gerade zur Habsburgermonarchie, aber auch zum Zarenreich nach 1905 die Flexibilität und Reformbereitschaft der Staatsmacht betont und die Gestaltungs- und Partizipationsmöglichkeiten der Untertanen in den sich entwickelnden neuen Bereichen von Politik, Gesellschaft, Kultur, Technik und Wirtschaft hervorgehoben. Auf den unterschiedlichen Ebenen des Staatsapparates wurde versucht, die sich rasch wandelnden Bedürfnisse der Gesellschaft mit dem Herrschaftsanspruch der Dynastie in Einklang zu bringen. Durch die Verdichtung und Ausweitung der Kommunikation konnten zunehmend öffentliche Anliegen artikuliert werden, während der Staatsapparat an der Berücksichtigung dieser Anliegen gemessen wurde. Die Beziehungen zwischen Regierung und zunehmend organisierter Bevölkerung waren also durchaus flexibel, wenn auch nicht frei von teils erheblichen Konflikten. Für das Verständnis dieser Aushandlungsprozesse darf man sich das Verhältnis von Gesellschaft und Staat nicht als dichotomisch vorstellen. Denn das Imperium stellte den Kommunikationsraum, die Infrastruktur, den rechtlichen Rahmen und



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in den Parlamenten und öffentlichen Räumen auch die Tribünen und Arenen bereit, über die politischer Wille artikuliert wurde. Indem es die Foren der Artikulation kollektiver Bedürfnisse strukturierte, sich zugleich auf diese einstellte, schrieb sich das Reich in gesellschaftliche Vergemeinschaftungsprozesse ein. Anders formuliert: Die Sinnangebote waren von den Bedingungen geprägt, unter denen sie formuliert und verbreitet wurden. Diese grundlegende Beobachtung kann auf die Elitenbildung übertragen werden und zwar nicht nur, wie oben dargestellt, auf den Prozess der Konsolidierung der herausgehobenen Position und der Gestaltung der eigenen Rolle. Auch auf der Ebene des individuellen Lebenslaufs lässt sich zeigen, wie das Reich die Bedingungen für eine Karriere vorgab sowie als Möglichkeitsraum wirkte und damit zwangsläufig auch die Wahrnehmung eines jeden Mitglieds der Elite prägte. Dieses nahm wiederum in der Ausübung der Profession und in der Beteiligung am öffentlichen Diskurs über den Zustand und die Zukunft des Reiches Einfluss auf soziale Wirklichkeiten im Imperium. Indem staatliche Institutionen zunehmend in alle Bereiche des Lebens vordrangen, sie zu regulieren und zu steuern versuchten, erschlossen sie neue Betätigungsfelder für Experten und banden immer mehr Menschen in ihre Handlungslogik ein.21 Das Paradigma der Rückständigkeit bedarf also nicht nur für die Sphäre der politischen Öffentlichkeit einer Revision, sondern auch für alle anderen Felder, die im 19. Jahrhundert in Bewegung gerieten und von neuen und alten Eliten gestaltet wurden.22 Das Imperium war dabei nicht nur wichtigster Auftrag- und Arbeitgeber für viele Berufsfelder, es bildete zugleich einen riesigen Rechts- und Wirtschaftsraum, der durch wachsende bürokratische und kommunikative Infrastruktur verdichtet wurde. Immer mehr Menschen gerieten in Bewegung. Der technische Aufbruch war für viele Eliten zugleich ein räumlicher und Mobilität wurde zu einer häufigen Erfahrung. Die infrastrukturelle Einbindung der Reichsteile in einen Großraum eröffnete zum Beispiel beruflichen Aufsteigern aus der Provinz zahlreiche Handlungsräume und Möglichkeiten. So ergaben sich, gerade für Funktionseliten, immer häufiger Überschneidungen zwischen staatlicher, beruflicher und sozialer Betätigung und Identifikation. Das Engagement des Staates auf den erwähnten neuen Feldern technischer Innovation trug aber auch dazu bei, dass er selbst an den neuen Maßstäben gemessen und mit den neuen Erwartungen konfrontiert wurde. Die vorliegenden imperialen Biographien von Eliten sind dazu geeignet, die Auswirkungen dieses Wandels auf die Lebenswelt im Reich und auf die Wahrnehmung des Imperiums sichtbar zu machen. Denn einerseits repräsentierten die Experten an 21 Vgl. u.a. den Sammelband Jörg Ganzenmüller und Tatjana Tönsmeyer (Hrsg.): Das Vorrücken des Staates in die Fläche im Langen 19. Jahrhundert. Köln 2015, im Druck. 22 Ulrike von Hirschhausen und Jörn Leonhard: Beyond Rise, Decline and Fall. Comparing MultiEthnic Empires in the long Nineteenth Century. In: Jörn Leonhard und Ulrike von Hirschhausen (Hrsg.) Comparing Empires. Encounters and Transfers in the Long Nineteenth Century. Göttingen 2011. S. 9–33.

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den unterschiedlichen Orten, an denen sie tätig waren, immer auch das Imperium. Die durch sie angestoßenen Veränderungen und Eingriffe wurden von der Umwelt mit dem Gesamtstaat in Verbindung gebracht. Auf der anderen Seite versuchten die Eliten ihre berufliche Agenda im bestehenden Rahmen des Reiches umzusetzen. Hierzu mussten sie ihre imperialen Prägungen durch Sozialisation, Bildungs- und Berufslaufbahn mit den spezifischen Erwartungen und Maßstäben ihrer Profession in Einklang bringen. Diese aber orientierte sich zunehmend an internationalen Standards und Vergleichen. Die Eliten verhielten sich gegenüber ihrem Reich immer auch entsprechend den Möglichkeiten, die dieses ihnen ließ, ihre berufliche Mission zu verwirklichen, um im Gegenzug hierfür als relevante Gruppe der imperialen Gesellschaft sowie ihrer internationalen Gemeinschaft anerkannt zu werden. Der internationale Horizont, den die Adelseliten mit den neuen Experten teilten, bedeutete jedoch keinesfalls, dass die Grenzen des Reiches oder der Staat für sie insgesamt weniger bedeutsam wurden. Denn internationale Verbände und Organisationen waren in nationale Sektionen aufgeteilt, die sich an der bestehenden Staatenwelt orientierten. Internationale Partizipation war für Untertanen des Imperiums nur als Teil einer imperialen Delegation möglich.23 Durch die schiere Größe der Reiche war zwar die Konkurrenz erheblich; doch hatten die Delegationen durch ihren größeren Umfang bessere Einflussmöglichkeiten. In diesem internationalen Wettstreit konnte sich die Identifikation mit dem Gesamtstaat selbst unter Eliten staatsferner Professionen festigen. Zugleich wurden häufig Reflexionen angestoßen, wie sich Nation und Imperium zueinander verhielten. Die imperialen Biographien können daher auch als Schnittstelle verstanden werden, an der das Verhältnis zwischen sozial- bzw. national-kulturellem Milieu und dem der Elitenkohorte mit ihren reichsweiten Bezügen ausgehandelt wurde. Indem die Akteure Einfluss auf die Umsetzung der imperialen Vorhaben nahmen, berührten sie immer auch die Zuschreibungen zur Bedeutung des Imperiums sowohl in Bezug auf seine Interessen in den Reichsteilen wie auch auf seine internationalen Ambitionen und Missionen. Charakteristisch für den Internationalismus des 19. Jahrhunderts und das Selbstverständnis von Experten waren Ideen der Zivilisierung und der Philanthropie, die nicht nur für fortschrittsgläubige Vertreter des Liberalismus, sondern auch unter wertkonservativen religiösen Akteuren handlungsleitend

23 Zum Einfluss internationaler Strukturen auf soziale und kulturelle Bewegungen siehe Martin Geyer und Johannes Paulmann (Hrsg.): The mechanics of internationalism. Culture, society, and politics from the 1840s to the First World War. Oxford 2001; Susan Zimmermann: Reich, Nation, und Internationalismus. Konflikte und Kooperationen der Frauenbewegungen der Habsburgermonarchie. In: Waltraud Heindl (Hrsg.): Frauenbilder, feministische Praxis und nationales Bewusstsein in Österreich-Ungarn 1867–1918. Basel; 2006. S. 119–167; Susan Zimmermann: The Challenge of multinational empire for the international women’s movement: The Habsburg Monarchy and the Development of Feminist Inter/National Politics. In: Journal of Women’s History 17. Heft 2 (2005). S. 87–117.



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wurden.24 Die hier versammelten biographischen Fallstudien zeigen, wie Eliten neue Ideen mit dem Reich verknüpften, indem sie in dessen Auftrag und in seinen Strukturen operierten. Wo sich die beruflichen Ziele mit der imperialen Wirklichkeit vereinbaren ließen, fiel auch das persönliche Bilanzieren und Reflektieren über das Reich affirmativ aus. Wo dieses nicht gelang, taten sich entsprechende Verwerfungen auf. Die Vorstellungen von Gegenwart und Zukunft der Kaiserreiche, von möglichen Reformen und Entwicklungen bilden den dritten analytischen Themenkomplex der imperialen Biographien.

Reichsbilder und Reformideen Wie oben ausgeführt, waren die Lebensentwürfe der Eliten mit imperialer Biographie eng mit der Verfasstheit des jeweiligen Reiches verflochten. Karriereverlauf und Ausgestaltung der Elitenrolle erfolgten in den komplexen Strukturen und Kommunikationsräumen des heterogenen und mehrsprachigen Reiches mit seiner lebendigen Adelstradition. Die Größe des Imperiums eröffnete vielen, die sich auf einen mobilen Lebenslauf, die Reichsinstitutionen und die technischen, ökonomischen, kulturellen und sozio-politischen Neuerungen des 19. Jahrhunderts einließen, eine Expertenkarriere, die selbst wiederum zum Wandel der imperialen Lebenswelt beitrug. Die Vergemeinschaftung innerhalb der Reichselite und die Ausrichtung des eigenen Lebens an den Möglichkeiten des Imperiums ließen vielfache Formen der Zugehörigkeit zum Reich entstehen. So ist es nicht verwunderlich, dass mit der Selbstverortung innerhalb der Elite auch die individuellen Lebensentwürfe und die subjektive Sinngebung der Akteure auf das Engste mit dem Reich verknüpft waren. Soziale und räumliche Mobilität und Heterogenität der imperialen Kontexte sorgten jedoch dafür, dass die Reichsstrukturen nicht immer widerspruchsfrei internalisiert wurden, sondern in ihrer Vielschichtig- und oftmals Konflikthaftigkeit zum Gegenstand von Diskussionen und Reflexionen wurden. Im vorliegenden Band werden die Mechanismen der beruflichen und privaten Selbstverortung im Imperium nutzbar gemacht, um Einblicke in die sich wandelnden Reichsvorstellungen und -bilder alter und neuer Eliten zu gewähren.

24 Siehe hierzu Abigail Green: ,The British Empire and the Jews: an imperialism of human rights?ʻ. In: Past & Present 199 (2008). S. 175–205; Abigail Green: Rethinking Sir Moses Montefiore: Religion, Nationhood, and International Philanthropy in the Nineteenth Century. In: American Historical Review 110. Heft 3 (2005). S. 631–658.

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Karrieremuster: Professionen und imperiale Perspektiven Die Form, die eine imperiale Biographie annahm, hing stark davon ab, wie eng die jeweilige Person mit dem Staat und der Dynastie verbunden war. Es ist wenig überraschend, dass Staatsbeamte andere Reichsvorstellungen entwickelten als Politiker, Intellektuelle oder Unternehmer. Die Art und Weise, in der die individuellen Karrieren und Lebensläufe mit den übergeordneten imperialen Strukturen verwoben waren, prägten das Selbstbild ebenso wie die Sichtweisen auf den Reformbedarf der Reichsverfassungen. Im Folgenden werden daher einige der professionsspezifischen Grundmuster imperialer Einbettung skizziert, wie sie in den Fallbeispielen dieses Sammelbands für verschiedene Tätigkeitsfelder sichtbar werden.

Staatsbeamte Die denkbar größte Nähe zu Staat und Herrscherhaus bestand zweifellos bei hohen Beamten. Und dennoch bedeutete sie keinesfalls, dass in diesem Milieu allein statische Reichsbilder mit rein affirmativem Blick auf die bestehende Ordnung vorherrschten. Es ist im Gegenteil überraschend, wie individuell ausdifferenziert sich die Vorstellungen einer adäquaten Reichsverfassung noch bei der obersten Schicht der Staatsvertreter gestalteten und wie sehr es diesen Akteuren gelang, Spielräume für eine praktische Umsetzung ihrer politischen und administrativen Agenda zu nutzen. Generalgouverneure oder Statthalter wie Michail N. Murav’ëv, Konstantin fonKaufman, Alfred Freiherr von Fries-Skene oder Conrad Prinz zu Hohenlohe repräsentieren im jeweiligen lokalen Kontext den Herrschaftsanspruch der Monarchien. Aber ihre Persönlichkeiten und imperialen Lebensläufe standen zugleich stellvertretend für den Charakter des jeweiligen Staatsgefüges; sie visualisierten, wer als repräsentationswürdig für Kaiser und Reich gelten durfte. Die Monopolstellung des (Hoch) Adels zementierte hier zweifellos den ständischen Grundzug der Monarchien, die multiethnische Vielfalt der Staatselite verwies aber zugleich auf den supra-nationalen Wesenszug der Imperien. So wie diese Machthierarchien und Karrieremöglichkeiten sich in den Vorstellungen widerspiegelten, die sich die Menschen in den Provinzen von Reich und Zentrum machten, so beeinflussten diese auch die Selbstbilder der Staatsrepräsentanten. Ein ständisch begründeter Herrschaftsanspruch, die Herausforderung, diesen gegenüber neu aufstrebenden Eliten zu behaupten, und die nationsübergreifende Standesloyalität strukturierten als Fixpunkte das Koordinatensystem dieser Akteure. Ein solches Selbstverständnis stattete die Protagonisten aber zugleich mit erheblichem Gestaltungswillen aus, sahen sie sich doch als direkte Gesandte des Kaisers, die in dessen Auftrag die Verwaltung der Provinzen aktiv und selbstbestimmt zu formen hatten.



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Sie waren entsprechend bemüht, die erheblichen Spielräume, die ihnen die Herrschaftsstruktur der jeweiligen Monarchien bereitstellte, auszufüllen und auszubauen – zumal dann, wenn sie sich – wie Murav’ëv oder fon-Kaufman – in den Grenzräumen des Imperiums bewegten. Die hohe, reichsumspannende Mobilität, die viele Karriereverläufe dieser Be­amten kennzeichnete, verstärkte dabei den Selbstentwurf als administrative Generalisten und damit verbunden auch eine tendenziell generalisierende Sichtweise auf die jeweiligen Verwaltungseinheiten, in denen sich die Protagonisten gerade befanden. Das Rotationsprinzip im Staatsapparat, das in besonderem Maße für das Russische Reich charakteristisch war, führte folglich zu einer Verknüpfung der verschiedenen Reichsregionen und bewirkte Transferleistungen, die die Beamten von Provinz zu Provinz vollzogen. Die Vorstellungen, die die Beamten von einer adäquaten Reichspolitik in einer Region entwickelt hatten, wirkten sich dann, wie die Beispiele Murav’ëvs oder fon-Kaufmans eindringlich zeigen, erheblich auf ihre Verwaltungspraxis am nächsten Tätigkeitsort und bei späteren Einsätzen aus. Die räumlich hoch mobilen Lebensläufe trugen damit zu einer sowohl mentalen wie auch administrativ-praktischen Integration der Randgebiete in das imperiale Gesamtgefüge bei und beförderten vielfach eine Homologisierung der Verwaltungspolitiken sowie indirekt auch der lokalen Problemlagen. Oftmals verdichtete sich dies zu einer Wahrnehmung von besonderen Gefahrenlagen an den Reichsrändern insgesamt.25 Wie das Beispiel des Kolonialbeamten Rudolf Asmis im Deutschen Kaiserreich verdeutlicht, konnten so koloniale Räume in ganz ähnlicher Weise verstärkt zusammengedacht werden.26 Diese biographischen Erfahrungen an den imperialen Rändern prägten ebenso die Vorstellungen von der Gesamtkomposition des Reichs. Die erfahrene Vielfalt und die damit verbundene administrativ-rechtliche Heterogenität stellten hier zentrale 25 Das gilt z. B. für die Wahrnehmung der nichtdeutschen Reichsränder durch Fries-Skene und Hohenlohe. Allerdings nahm, wie Marion Wullschleger in ihrem Beitrag ausführt, die Zirkulation der Beamten in der Habsburger Monarchie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts deutlich ab. Dennoch gab es – wie bei Fries-Skene und Hohenlohe – auch hier weiterhin die Karriere des hochmobilen Staatsrepräsentanten. Vgl. zum Russischen Reich ausführlicher Marc Raeff: Origins of the Russian Intelligentsia. The Eighteenth-Century Nobility. New York 1966. S. 45–46; Malte Rolf: Beamte in Bewegung. Zu Strukturen und Akteuren imperialer Herrschaft im ausgehenden Zarenreich. In: Carl Bethke (Hrsg.): Migrationen im späten Habsburger-Imperium. Tübingen 2015. S. 56–86; zum osmanischen Reich siehe Abdulhamit Kirmizi: Experiencing the Ottoman Empire as a Life Course. Ferid Pasha, Governor and Grandvizier (1851 –1914). In: Geschichte und Gesellschaft 40. Heft 1 (2014). S. 42–66; oder zum britischen Empire David Gilmour: The Ruling Caste. Imperial Lives in the Victorian Raj. New York 2006; David Gilmour: Curzon. Imperial Statesman. New York 2006; David Lambert: Reflections on the Concept of Imperial Biographies. The British Case. In: Geschichte und Gesellschaft 40. Heft 1 (2014). S. 22–41; David Lambert und Alan Lester (Hrsg.): Colonial Lives Across the British Empire. Imperial Careering in the Long Nineteenth Century. Cambridge 2006. 26 Siehe hierzu auch Christoph Kamissek: „Ich kenne genug Stämme in Afrika.“ Lothar von Trotha – eine imperiale Biographie im Offizierkorps des deutschen Kaiserreiches. In: Geschichte und Ge­sell­ schaft 40. Heft 1 (2014). S. 67–93.

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Herausforderungen dar – und wurden höchst unterschiedlich als zu überwindender Anachronismus oder als zu bewahrender Grundzug des Imperiums gedeutet. Letzteres war oft mit Blick auf die eigene Machtfülle in gesonderten peripheren Räumen von großem Interesse für die jeweiligen Protagonisten. In beiden Fällen jedoch trugen die Strukturmuster der imperialen Karriere dazu bei, das Reich von der Peripherie her zu denken und Praktiken, die sich in den Randregionen scheinbar „bewährt“ hatten, auf die zentrale Politik zu übertragen. Die hohen Staatsbeamten mit imperialer Biographie leisteten so einen eigenen Beitrag zur „Provinzialisierung des Zentrums“27, da sie die Metropolen mit einer Reichsrandperspektive konfrontierten und Korrekturen der Gesamtverfassung einforderten, die mit ihren Erfahrungen in den Provinzen korrespondierten. Dazu gehört, dass sie versuchten, einen gesonderten Expertenstatus für die Administrierung der Peripherie für sich in Anspruch zu nehmen. Die von hoher Mobilität gekennzeichnete imperiale Biographie wirkte so zugleich als individueller Erfahrungsschatz, auf den die Akteure bei ihrer Bewegung im Raum rekurrieren konnten, wie auch als Argument, um einen eigenen Deutungsanspruch innerhalb der Bürokratie oder gegenüber der Öffentlichkeit zu begründen. Im Vergleich der beiden Monarchien treten hier allerdings erhebliche Unterschiede zu Tage, die den jeweiligen Strukturen der imperialen Karrieren und dem divergierenden Grad an räumlicher Mobilität geschuldet waren. Die Fallbeispiele Murav’ëvs, fon-Kaufman, von Fries-Skenes und Prinz zu Hohenlohe machen das exemplarisch deutlich. Generell ist aber zu betonen, dass die Nähe zu Staat und Dynastie, die die Lebensläufe der hohen Beamten kennzeichnete, keinesfalls zu statischen Bildern der Reichsverfassungen führte. In ihrem Selbstverständnis als Akteure beteiligten sie sich aktiv an der Ausgestaltung von Staatspolitiken vor Ort und trugen mit ihren Reform­ anliegen dazu bei, den Diskurs über den richtigen inneren Zuschnitt des Imperiums in Bewegung zu halten. Sie waren deshalb ein starker Motor des Wandels, mochten sie sich selber oft auch als konservative Bewahrer bewährter Ordnungsmuster verstehen.28 Ihre imperialen Biographien verdeutlichen, auf welchen Erfahrungen ihre Forderungen fußten und zu welchem Grad sich die daraus abgeleiteten Projekte in den lokalen Kontexten tatsächlich umsetzen ließen.

27 Vgl. zur Dynamik der „Provinzialisierung“ metropoler Räume ausführlicher Dipesh Chakrabarty: Provincializing Europe. Postcolonial Thought and Historical Difference. Princeton 2000. Zur Rückwirkung der (kolonialen) Peripherien auf die europäischen Zentren siehe auch Andreas Eckert: Kolonialismus, Moderne und koloniale Moderne in Afrika. In: Jörg Baberowski, Hartmut Kaelble und Jürgen Schriewer (Hrsg.): Selbstbilder und Fremdbilder. Repräsentationen sozialer Ordnungen im Wandel. Frankfurt/Main 2008. S. 53–66; Timo Heiler: Laboratorien für die Moderne? Die deutschen Kolonien als Versuchsfeld einer urbanen und gesellschaftlichen Neugestaltung. In: Journal of New Frontiers in Spatial Concepts. Heft 2 (2010). S. 57–68, v.a. S. 59–68; Dirk van Laak: Kolonien als „Laboratorien der Moderne“? In: Sebastian Conrad und Jürgen Osterhammel (Hrsg.): Das Kaiserreich transnational. Deutschland in der Welt 1871–1914. Göttingen 2004. S. 257–279. 28 Siehe auch den Beitrag von Fredrik Lindström zur österreichischen Staatselite in diesem Band.



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Militärische und politische Eliten Die militärischen Lebensläufe in der Habsburger und der Romanov-Monarchie unterschieden sich mit Blick auf ihren Mobilitätsgrad erheblich. Karrieren wie die von Carl Gustaf Emil Mannerheim waren von einer Vielzahl an Ausbildungs- und Stationierungsorten gekennzeichnet, die die Offiziere mit sehr verschiedenen Landesteilen des Russischen Reichs konfrontierte.29 Die russische Strategie der heimatfernen Dislozierung der Mannschaften wurde hier ergänzt durch das Zirkulationsprinzip der Truppenführung. Auch in Friedenszeiten hielt sie deren räumliche Beweglichkeit hoch und beförderte damit gesamtimperiale Perspektiven auf lokale Fragen. Die Multi­ ethnizität des Reichs wurde damit zur alltäglichen Erfahrung: einerseits durch die Bevölkerung am jeweiligen Stationierungsort, andererseits durch die ethnische Hetero­genität der Mannschaften und des Offizierskorps.30 Auch in der Habsburger Doppelmonarchie war die Multiethnizität der Truppenteile ein zentraler Aspekt, was sich unter anderem in der Anforderung an die Offiziere niederschlug, die Sprachen ihrer Soldaten zu beherrschen. Gelegentlich konnte diese Bestimmung zu einer Parallelität von vier Regimentssprachen führen. Die nationale Heterogenität des Reichs spiegelte sich in vielen Truppenverbänden wider und doch war der Dienst im kaiserlich-königlichen Heer viel weniger von raumübergreifender Mobilität charakterisiert als der im Zarenreich. Entsprechend anders verlief die imperiale Biographie der österreichisch-ungarischen Offiziere.31 29 Vgl. Ebenso Woodworth, Carl Gustaf Emil Mannerheim (wie Anm. 6), S. 221–232. Vgl. auch die militärische Karriere von Roman Ungern-Sternberg: Sunderland, The Baron’s Cloak (wie Anm. 6); sowie allg. Willard Sunderland: The Emperor’s Men at the Empire’s Edges. In: Kritika: Explorations in Russian and Eurasian History 5. Heft 3 (2004). S. 515–525. 30 Zur Dislozierungspolitik siehe Werner Benecke: Militär, Reform und Gesellschaft im Zarenreich. Die Wehrpflicht in Russland 1874 –1914. Paderborn 2006. S. 62–74. Vgl. allg. auch Dietrich Beyrau: Militär und Gesellschaft im vorrevolutionären Rußland. Köln 1984; John Bushnell: The Tsarist Officer Corps, 1881–1914. Customs, Duties, Ineffiency. In: American Historical Review 86. Heft 4 (1981). S. 753– 780; Jan Kusber: Die russische Armee als innenpolitischer Ordnungsfaktor in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In: Michael Epkenhans und Gerhard P. Groß (Hrsg.): Das Militär und der Aufbruch in die Moderne 1860 bis 1890. Armeen, Marinen und der Wandel von Politik, Gesellschaft und Wirtschaft in Europa, den USA sowie Japan. München 2003. S. 151–166. 31 Siehe dazu ausführlicher Johann Christoph Allmayer-Beck: Die Führung vielsprachiger Streitkräfte. Die k. und k. Armee als Beispiel. In: Hans-Adolf Jacobsen und Heinz-Georg Lemm (Hrsg.): Heere international. Militärpolitik – Strategie – Technologie – Wehrgeschichte. Herford 1981. S. 235– 248; Johann Christoph Allmayer-Beck: Die bewaffnete Macht in Staat und Gesellschaft. In: Adam Wandruszka und Peter Urbanitsch (Hrsg.): Die Habsburgermonarchie, 1848–1918. Im Auftrag der Kommission für die Geschichte der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, 1848–1918. Wien 1987. S. 1–141; István Deák: Der K. (u.) K. Offizier 1848–1918. Wien 1991; Josef Ernst: Die Institutionalisierung der Sprachausbildung im österreichischen Militär von der Zeit Maria Theresias bis zum Wiener Kongress. In: Helmut Glück und Mark Häberlein (Hrsg.): Militär und Mehrsprachigkeit im neuzeitlichen Europa. Wiesbaden 2014. S. 113–134; Christa Hämmerle: Die K.(u.)K. Armee als „Schule des Volkes“? Zur Geschichte der allgemeinen Wehrpflicht in der multinationalen Habsburgermonarchie

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In beiden Monarchien waren nicht nur die Grenzen zwischen Militär- und Verwaltungslaufbahn fließend, in manchen Fällen – wie dem des k.u.k. Generals Trajan Doda – widersprachen sich auch Armeedienst und politisches Engagement nicht.32 Die sich um die Jahrhundertwende neu eröffnenden Foren politischer Artikulation wurden von Armeeangehörigen ebenso wie von Vertretern zahlreicher weiterer Professionen genutzt. Das relativ junge politische Feld wurde zu einer Bühne für Offiziere, Akademiker, Juristen, Geistliche und Unternehmer gleichermaßen.33 Auch für die politisch engagierten Akteure war eine imperiale Biographie prägend und handlungsleitend. Nicht selten förderten die Erfahrungen von Heterogenität und Konfliktlagen an den Reichsrändern die Bereitschaft, sich in politischen Sphären zu artikulieren. Oft wurde dabei – in vergleichbarer Weise wie bei den Staatsbeamten – eine Provinzialisierung des Reichs vorangetrieben, da die vermeintlichen Lösungen der spezifischen Problemlagen an der Peripherie zu Generalkonzepten für die imperiale Ordnung verallgemeinert wurden.34 (1866–1914) In: Christian Jansen (Hrsg.): Der Bürger als Soldat. Die Militarisierung europäischer Gesellschaften im langen 19. Jahrhundert : ein internationaler Vergleich. Essen 2004. S. 175–213; Erwin A. Schmidl: Die k. u. k. Armee: integrierendes Element eines zerfallenden Staates? In: Michael Epkenhans und Gerhard Paul Gross (Hrsg.): Das Militär und der Aufbruch in die Moderne, 1860 bis 1890. Armeen, Marinen und der Wandel von Politik, Gesellschaft und Wirtschaft in Europa, den USA sowie Japan. München 2003. S. 143–150; Tamara Scheer: Garnisonswechsel. Arbeitsmigration und deren Auswirkungen auf das österreichisch-ungarische Offizierskorps (1868–1914). In: Carl Bethke (Hrsg.): Migrationen im späten Habsburger-Imperium. Tübingen 2015. 32 Zur anhaltend hohen Präsenz von Beamten mit Militärlaufbahn in der zarischen Administration vgl. u.a. Richard G. Robbins: The Tsar’s Viceroys. Russian Provincial Governors in the Last Years of the Empire. Ithaca 1987. S. 20–42; zum Beispiel der zarischen Verwaltung im Königreich Polen siehe u.a. Łukasz Chimiak: Gubernatorzy rosyjscy w Królestwie Polskim 1863–1915. Szkic do portretu zbiorowego. Wrocław 1999; Rolf, Imperiale Herrschaft im Weichselland (wie Anm. 12), Kap. 5. 33 Vgl. die Fallbeispiele der Šul’gin-Familie oder die von Aleksander Lednicki, Stanisław Szcze­ panowski, Józef Dietl, Tomáš Garrigue Masaryk, Jan Baudouin de Courtenay sowie Yorgo Zarifi in diesem Band. Siehe ebenso Andrew Kier Wise: Aleksander Lednicki. A Pole among Russians, a Russian among Poles. Polish-Russian Reconciliation in the Revolution of 1905. New York 2003. Zu politisch aktiven Geistlichen siehe auch Tim Buchen: Religiöse Mobilisierung im Reich. Die imperialen Lebensläufe und politischen Karrieren von Joseph Bloch und Stanisław Stojałowski in der Habsburgermonarchie. In: Geschichte und Gesellschaft 40. Heft 1 (2014). S. 117–141; Theodore R. Weeks: Nation and State in Late Imperial Russia. Nationalism and Russification on the Western Frontier, 1863–1914. DeKalb 1996. V.a. S. 180–192. Zur herausragenden Rolle der Juristen bei der Formierung einer politischen Öffentlichkeit in der vor-konstitutionellen Periode siehe u.a. Jörg Baberowski: Autokratie und Justiz. Zum Verhältnis von Rechtsstaatlichkeit und Rückständigkeit im ausgehenden Zarenreich 1864–1914. Frankfurt/Main 1996. V.a. S. 533–546 und S. 643–678; Jörg Baberowski: Law, the judicial system and the legal profession. In: Dominic Lieven (Hrsg.): The Cambridge History of Russia. Cambridge 2006. S. 344–368. 34 Das gilt beispielsweise in besonders eindringlicher Form für die in der III. und IV. Duma stark vertretenen russisch-nationalistischen Gruppierungen. Der Anteil der Abgeordneten aus den (v.a. westlichen) Reichsrandgebieten war in der „gemäßigt rechten“ Fraktion der Duma mit 43% (1907) sowie 63% (1912) enorm hoch. Vgl. Manfred Hagen: Die Entfaltung politischer Öffentlichkeit in Rußland



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Stärker noch als im Staatsdienst konnte die mit der imperialen Biographie verbundene räumliche Mobilität als Legitimation für Deutungsansprüche genutzt werden. Auf der einen Seite ließen es die biographischen Berührungspunkte mit Konfliktkonstellationen in verschiedenen Bereichen des Imperiums plausibel erscheinen, eine besondere Reichsrandexpertise für sich zu behaupten. Der individuelle Lebenslauf wurde so zum Ausweis für Expertentum, da man auf die Verbindung von biographischer Erfahrung und den räumlichen Ausmaßen des Imperiums verweisen konnte. Auf der anderen Seite konnten Zentrumsbegegnungen und -aufenthalte sowie die eigene Einbettung in eine reichsweite Elite ebenso eine gesteigerte Autorität für die politische Repräsentation der Provinz bedeuten, da man jenen Männern zutraute, die Interessen in der Hauptstadt vertreten zu können.35 Zweifellos stellten diese Formen der Verknüpfung von Lebensweg und Reichsstruktur weitaus mehr als ein schlagkräftiges Argument im Kampf um Wählergunst dar. Sie waren gleichsam prägend für die Selbstbilder und die Vorstellungen von der Reformbedürftigkeit der Großreiche. Das Denken in imperialen Zusammenhängen bewirkte, dass das Reichsgefüge als Rahmensetzung lange Zeit nicht in Frage gestellt wurde, mochten die Forderungen nach einer inneren Neuausrichtung der politischen und gesellschaftlichen Strukturen auch noch so weitgehend sein.36 Es war hier weniger die affirmative Haltung zu der bestehenden Staatsverfassung, der Dynastie oder gar der Herrscherperson, sondern die eigene Biographie, die den imperialen Horizont zur erfahrungsgesättigten Selbstverständlichkeit werden ließ. Der Glaube 1906–1914. Wiesbaden 1982. S. 88 und S. 227–234; Rolf, Imperiale Herrschaft im Weichselland (wie Anm. 12), S. 437–459; Ronald Grigor Suny und Terry Martin: The Empire Strikes Out. Imperial Russia, „National“ Identity, and Theories of Empire. In: Ronald G. Suny und Terry Martin (Hrsg.): A State of Nations. Empire and Nation-Making in the Age of Lenin and Stalin. Oxford 2001. S. 23–66, S. 54. Vgl. zur herausragenden Bedeutung von imperialen Randzonen aber auch die Beiträge in den Sammelbänden von Omer Bartov und Eric Weitz (Hrsg.): Shatterzone of Empires: Coexistence and Violence in the German, Habsburg, Russian, and Ottoman Borderlands. Bloomington 2013; oder Peter Haslinger und Daniel Mollenhauer (Hrsg.): „Arbeit am nationalen Raum“. Deutsche und polnische Rand- und Grenzregionen im Nationalisierungsprozess. Leipzig 2005. 35 Siehe Tim Buchen: Antisemitismus in Galizien. Agitation, Gewalt und Politik gegen Juden in der Habsburgermonarchie um 1900. Berlin 2012. S. 248–254. Zum Beispiel des Versuchs einer Interessenvertretung der polnischen Diaspora in St. Petersburg vgl. Erazm I. Pil’c: Russkaja politika v Pol’še. Očerk. Warschau 1909; Vladimir D. Spasovič und Erazm I. Pil’c: Očerednye voprosyv Carstve pol’skom. Etjudy i issledovanija. Band 1. St. Petersburg 1902. Siehe dazu auch L. E. Gorizontov: Paradoksy imperskoj politiki. Poljaki v Rossii i russkie v Pol’še (XIX – načalo XX v.). Moskau 1999; Zygmunt Łukawski: Koło Polskie w Rosyjskiej Dumie Państwowej w latach 1906–1909. Wrocław 1967; Peter Salden: Puškin und Polen 1899. Die Petersburger Feier der polnischen Zeitung „Kraj“ zu Puškins 100. Geburtstag. In: Zeitschrift für Slawistik 53. Heft 3 (2008). S. 281–304; Andrzej Szwarc: Od Wielopolskiego do stronnictwa polityki realnej. Zwolennicy ugody z Rosją, ich poglądy i próby działalności politycznej (1864–1905). Warschau 1996. 36 Vgl. dazu auch demnächst Peter Haslinger und Malte Rolf (Hrsg.): Untergangsszenarien und Zukunftsvisionen in den Imperien des östlichen Europa. Themenheft. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaften (2015).

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an die grundsätzliche Reformfähigkeit der Vielvölkerreiche war dementsprechend lange ein weitgehend akzeptierter Konsens der politischen Eliten.37 Noch in der post-imperialen Phase konnte sich, wie die weiteren Lebensläufe von Aleksander Lednicki und Jan Baudouin de Courtenay zeigen, das Imperium als Denkfigur und Referenzrahmen aber auch als biographische Zuschreibung, wenn nicht gar Stigma als erstaunlich nachhaltig erweisen.

Experten und Unternehmer Stellte das Reich in seiner Gesamtheit schon für Akteure des politischen Felds den Möglichkeitsraum für Partizipation bereit, so galt dies in noch stärkerem Maße für neue aufstrebende Elitenschichten und Unternehmer. Wie die in diesem Band präsentierten Fallbeispiele eindringlich zeigen, hing der Erfolg von Expertengruppen und Entrepreneur stark davon ab, wie weit es ihnen gelang, sich im imperialen Raum zu vernetzen. Damit ging nicht nur eine erhebliche Mobilität der Personen und Berufsstationen einher, es galt ebenso, die sich verdichtenden reichsumspannenden Kommunikationsmedien zum Aufbau von Netzwerken zu nutzen. Ob polnische Militärärzte, russische Agronomen, galizische Unternehmer oder auch griechische Finanziers im osmanischen Reich – ihre Lebensläufe und Karrierewege fußten auf der Einbettung in translokale Austausch- bzw. Geschäftsbeziehungen. Das Reich stellte somit den Möglichkeitsraum für ihre berufliche Entfaltung; nicht selten spielten auch grenzüberschreitende internationale Kontakte eine erhebliche Rolle.38 37 Vgl. zu Russland demnächst Benjamin Beuerle: Russlands Westen. Westorientierung und Re­form­ gesetzgebung im ausgehenden Zarenreich 1905–1917. Wiesbaden. Auch in der Forschungs­lite­ra­tur wird inzwischen die grundsätzliche Reformfähigkeit der Monarchien wieder stärker betont und das Urteil einer Unregierbarkeit der heterogenen Gebilde in Frage gestellt. Vgl. zum Zarenreich Walter Sperling: Jenseits von „Autokratie“ und „Gesellschaft“ – Zur Einleitung. In: Walter Sperling (Hrsg.): Jenseits der Zarenmacht. Dimensionen des Politischen im Russischen Reich 1800–1917. Frankfurt/ Main 2008. S. 7–40; wie auch schon Marc Szeftel: The Russian Constitution of April 23, 1906: Political Institutions of the Duma Monarchy. Brüssel 1976. Zur Habsburgermonarchie siehe Gary B. Cohen: Nationalist Politics and the Dynamics of State and Civil Society in the Habsburg Monarchy 1867–1914. In: Central European History 40 (2007). S. 241–278; Kwan Jonathan: Review Article: Nationalism and all that: Reassessing the Habsburg Monarchy and its legacy. In: European History Quarterly 41 (2011). S. 88–108; Fredrik Lindström: Ernest von Koerber and the Austrian State Idea: A Reinterpretation of the Koerber Plan (1900–1904). In: Austrian History Yearbook 35 (2004). S. 143–184; Helmut Rumpler: Einleitung. In: Helmut Rumpler und Peter Urbanitsch (Hrsg.): Die Habsburger Monarchie 1849–1918. Politische Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft. 1. Teilband: Vereine, Parteien und Interessenverbände als Träger politischer Partizipation. Wien 2006. S.1–14; Peter Stachel, Ein Staat, der an einem Sprachfehler zugrunde ging (wie Anm. 19), S. 11–46. 38 Zum Aufstieg des Expertentums seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert und seiner zunehmenden Internationalisierung siehe grundsätzlich Kohlrausch, Steffen und Wiederkehr, Expert Cultures in Central Eastern Europe – Introduction (wie Anm. 11), S. 9–30; Martin Kohlrausch und Helmuth



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Gerade für die sich neu konstituierenden Experteneliten war der Hintergrund einer imperialen Biographie gleichsam bedeutend für ihren Anspruch auf Deutungshoheit. Denn ähnlich wie bei den politischen Akteuren konnte der Verweis auf die biographisch gesättigte Reichsexpertise als Legitimationsausweis herangezogen werden, mit dem der eigene Gestaltungswille plausibilisiert wurde. Das Reich als Gesamtgefüge mit seiner unmittelbaren Konsequenz für das jeweilige curriculum vitae wurde auch hier zum bestimmenden mentalen Referenzhorizont, der dennoch bei vielen Zeitgenossen – vor allem im Fall der russischen Autokratie – mit einer expliziten Gegnerschaft zur herrschenden politischen Ordnung einhergehen konnte. Das Beispiel der Agrarexperten verdeutlicht, wie sehr auch eine Gegenöffentlichkeit, die eine grundlegende Revision der politischen und gesellschaftlichen Strukturen anstrebte, sich innerhalb der mentalen Rahmensetzung des Imperiums bewegte.39 Dieser Reichsbezug ließ sich oftmals sogar mit dem expliziten Anspruch harmonisieren, „Arbeit für die Nation“ zu leisten. Die imperialen Biographien mussten nämlich, wie die Lebensentwürfe der polnischen Militärärzte oder auch der galizischen Unternehmer zeigen, keinesfalls eine individuelle „Denationalisierung“ bedeuten, in der das eigene nationale Selbstverständnis verloren ging.40 Im Gegenteil: Auch eine jahrzehntelange Tätigkeit in der imperialen Metropole oder in den

Trischler: Building Europe on Expertise. Innovators, Organizers, Networkers. London 2014. V.a. S. 1–18. Exemplarisch zu derartigen unternehmerischen Netzwerken Verena Dohrn: Chaim N. Kahan. A Jewish Oil Entrepreneur in the Russian Empire. In: Nobel Brothers’ 1st International ResearchInnovative Conference. Conference Proceedings. Baku 2013. S. 33–52; Ryszard Kołodziejczyk: Jan Bloch (1836–1902). Szkic do portretu „króla polskich kolei“. Warschau 1983. Gleiches trifft für die neuen städteplanerischen Expertengruppen und ihren internationalen Austausch zu. Vgl. zu solchen Akteuren der urbanen Transformation Jan C. Behrends und Martin Kohlrausch: Races to Modernity. Metropolitan Aspirations in Eastern Europe, 1890–1940. An Introduction. In: Jan C. Behrends und Martin Kohlrausch (Hrsg.): Races to Modernity. Metropolitan Aspirations in Eastern Europe, 1890– 1940. Budapest 2014. S. 1–20. Der hohe Stellenwert reichsweiter, sogar trans-imperialer Vernetzung gilt natürlich auch mit Blick auf andere Elitenmilieus – wie dem Adel oder den Akademikern. Zu Letzteren siehe den Beitrag zu Jan Baudouin de Courtenay in diesem Band. Zum Adel vgl. z.B. Alexa von Winning: The Empire as Family Affair. The Mansurovs and Noble Participation in Imperial Russia, 1850–1917. In: Geschichte und Gesellschaft 40. Heft 1 (2014). S. 94–116. 39 Siehe den Beitrag von Katja Bruisch in diesem Band. Es lassen sich diesbezüglich viele andere Beispiele anführen. Exemplarisch erwähnt seien die Aktivisten der polnischen Selbstverwaltungsund Stadtreformbewegung, die, wie Adolf Suligowski oder auch Aleksander Świętochowski, bei ihrer Kritik an den diskriminierenden Gesetzen im Königreich Polen gerade auf eine einheitliche Durchsetzung reichsweiter Rechtsstandards pochten. Vgl. Krzystof Pol: Adw. Adolf Suligowski (1849– 1932). In: Palestra. Pismo Adwokatury Polskiej 45. Heft 9/10 (2001). S. 87–93; Rolf, Imperiale Herrschaft im Weichselland (wie Anm. 12), Teil III, v.a. S. 183–196 und S. 227–244; Tadeusz Stegner: Przyczynek do ewolucji ideowo-politycznej Aleksandra Świętochowskiego. In: Dzieje Najnowsze 17 (1985). S. 27–40; Weeks, Nation and State (wie Anm. 33), Kap. 8, S. 152–171. 40 So lautete nicht nur das zeitgenössische Stigma, auch die klassische Nationalgeschichtsschreibung hat diesen Vorwurf fortgeschrieben. Siehe dazu ausführlicher den Beitrag von Ruth Leiserowitz in diesem Band.

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Weiten des Imperiums irritierte die nationalen Selbstbilder kaum, sondern eröffnete sogar Möglichkeiten, sich durch wissenschaftliches oder auch unternehmerisches Handeln in das Narrativ der Aufbauarbeit der Nation einzuschreiben.41 Doch wurden Imperium und Nation hier keinesfalls als Gegensätze verstanden, vielmehr wurde das Reichsgefüge als Notwendig- und Möglichkeit begriffen, um die „nationalen Grundlagen“ „organisch“ weiterzuentwickeln.42 Mehr noch: Nicht selten bedurfte es selbst der imperialen Staatlichkeit als intervenierender Kraft, um das Modernisierungsanliegen von Expertengruppen voranzubringen.43 Dass dabei die imperialen Öffentlich41 Vgl. hier z.B. Maria Rhode: Zivilisierungsmission und Wissenschaft. Polen kolonial? In: Geschichte und Gesellschaft. Heft 39 (2013). S. 5–34. Oder man denke an die Tätigkeit eines polnischen Anwalts wie Włodzimierz Spasowicz, der im ausgehenden Zarenreich im Zentrum und in zahlreichen Peripherien gleichermaßen agierte, ohne je seine eigene nationale Zugehörigkeit in Frage zu stellen. Siehe V. D. Spasovič: Za mnogo let (1859–1871). Stat’i, otryvki, istorija, kritika, polemika, sudebnye reči i proč. St. Petersburg 1872; V. D. Spasovič: Zastol’nye reči (1873–1901). Leipzig 1903. 42 Vor allem der Positivismus, v.a. in seiner polnischen Rezeption als „Warschauer Positivismus“, ermöglichte solche Denkfiguren der „organischen Arbeit“ an den „Grundlagen der Nation“ im Rahmen der existierenden imperialen Ordnung. Vgl. dazu ausführlicher Stanislaus A. Blejwas: Warsaw Positivism – Patriotism Misunderstood. In: The Polish Review 27. Heft 1–2 (1982). S. 47–54; Stanislaus A. Blejwas: Realism in Polish Politics. Warsaw Positivism and National Survival in Nineteenth Century Poland. New Haven 1984; Malte Rolf: Imperiale Herrschaft im städtischen Raum. Zarische Beamte und urbane Öffentlichkeit in Warschau (1870–1914). In: Bianka Pietrow-Ennker (Hrsg.): Russlands imperiale Macht. Integrationsstrategien und ihre Reichweite in transnationaler Perspektive. Köln 2012. S. 123–153; Denis Sdvižkov: Das Zeitalter der Intelligenz. Zur vergleichenden Geschichte der Gebildeten in Europa bis zum Ersten Weltkrieg. Göttingen 2006. S. 120–123. 43 Vgl. für Felder einer zunehmend interventionistischen Staats- und Stadtverwaltung z.B. Alfons Labisch: Experimentelle Hygiene, Bakteriologie, soziale Hygiene. Konzeptionen, Interventionen, soziale Träger – eine idealtypische Übersicht. In: Jürgen Reulecke und Adelheid Gräfin zu Castell Rüdenhausen (Hrsg.): Stadt und Gesundheit. Zum Wandel von „Volksgesundheit“ und Kommunaler Gesundheitspolitik im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Stuttgart 1991. S. 37–48; Andrew Lees und Lynn Hollen Lees: Cities and the Making of Modern Europe, 1750–1914. Cambridge 2007. S. 244–280; Rolf, Imperiale Herrschaft im städtischen Raum (wie Anm. 42); Adelheid von Saldern: Wohnen in der europäischen Großstadt 1900–1939. Eine Einführung. In: Alena Janatková und Hanna KozińskaWitt (Hrsg.): Wohnen in der Großstadt 1900–1939. Wohnsituation und Modernisierung im europäischen Vergleich. Stuttgart 2006. S. 11–38; Anna Veronika Wendland: „Europa“ zivilisiert den „Osten“. Stadthygienische Interventionen, Wohnen und Konsum in Wilna und Lemberg 1900–1930. In: Alena Janatková und Hanna Kozińska-Witt (Hrsg.): Wohnen in der Großstadt 1900–1939. Wohnsituation und Modernisierung im europäischen Vergleich. Stuttgart 2006. S. 271–296, S. 271–273. Und speziell zu Russland Ilya Gerasimov: Redefining the Empire. Social Engineering in Late Imperial Russia. In: Ilya Gerasimov, Jan Kusber und Alexander Semyonov (Hrsg.): Empire Speaks Out. Languages of Rationalization and Self-Description in the Russian Empire. Leiden 2009. S. 229–271; Ilya Gerasimov: Modernism and Public Reform in Late Imperial Russia. Rural Professionals and Self-Organization, 1905–1930. Houndmills 2009. Eine ausgeprägte Fixierung auf staatliche Interventionen als entscheidendem Modernisierungs­ faktor findet sich nicht zuletzt im kolonialen Kontext sowie in seiner Rezeption in den Metropolen der europäischen Großreiche. Vgl. dazu u.a. Eckert, Kolonialismus, Moderne und koloniale Moderne (wie Anm. 27); Birthe Kundrus: Moderne Imperialisten. Das Kaiserreich im Spiegel seiner Kolonien.



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keits- und Wirtschaftsstrukturen zugleich den individuellen Berufserfolg erleichterten, wenn nicht gar ermöglichten, hat eine solche Harmonisierung von Bezugsebenen sicherlich erleichtert.

Intellektuelle und Akademiker Das galt schließlich auch für jene Bildungsschichten, die sich in akademischen oder literarischen Feldern zur Geltung zu bringen versuchten. Was diese jedoch deutlich von den zuvor skizzierten Kohorten absetzte, war die Intensität und Öffentlichkeit, mit der sie über imperiale Zusammenhänge reflektierten. Das Meinungsspektrum gestaltete sich hier zweifellos äußerst heterogen und umfasste weitgehend affirmative Haltungen zur bestehenden politischen und gesellschaftlichen Ordnung ebenso wie sehr grundsätzliche Kritiken an deren Missständen. Mochten im Zarenreich ein liberales Selbstverständnis und eine kritische Haltung zur Autokratie ein weit verbreitetes Phänomen in der Intelligencija gewesen sein, so zeigt doch gerade das Fallbeispiel eines Jan Baudouin de Courtenay, wie schnell in Russland liberale Positionen an Akzeptanzgrenzen auch in diesem Umfeld stießen. In der Habsburgermonarchie hatten es, wie die Karriere Hans Kelsens exemplarisch vorführt, selbst radikal rechtsstaatlich argumentierende Ansätze sehr viel leichter, Gehör und Resonanz zu finden.44 Kennzeichnend für diese intellektuellen und akademischen Kreise beider Großreiche ist aber sicherlich, dass deren multiethnische Komposition primär als Selbstverständlichkeit und als Bereicherung erlebt wurde, während eine nationale Selbstabschließung lange Zeit eher als wenig erstrebenswerte Verengung des geistigen Horizontes erschien. Selbst wenn es nie an Stimmen mangelte, die auf eine stärkere Nationalisierung der jeweiligen Reichskultur drängten,45 so blieb doch der Topos der imperialen Heimat als multiethnischer Referenz- und KommunikationsKöln 2003; Birthe Kundrus: Von der Peripherie ins Zentrum. Zur Bedeutung des Kolonialismus für das Deutsche Kaiserreich. In: Sven Oliver Müller und Cornelius Torp (Hrsg.): Das Deutsche Kaiserreich in der Kontroverse. Göttingen 2009. S. 359–373; Dirk van Laak: Imperiale Infrastruktur. Deutsche Planungen für die Erschließung Afrikas 1880 bis 1960. Paderborn 2001; Laak, Kolonien als „Laboratorien der Moderne“? (wie Anm. 27); Paul Rabinow: French Modern. Norms and Forms of the Social Environment. Cambridge/Mass. 1989. 44 Siehe die Beiträge von Theodore R. Weeks und Fredrik Lindström in diesem Band. Vgl. auch Joachim Mugdan: Jan Baudouin de Courtenay (1845–1929). Leben und Werk. München 1984. 45 Vgl. z.B. die Versuche mancher Akademiker im Zarenreich, ihre Stellung in der Bildungsverwaltung zu nutzen, um die Russifizierung der Randgebiete voranzutreiben. Siehe zu solchen Akteuren wie beispielsweise Anton S. Budilovič oder Nikolaj A. Lavrovskij: Michael H. Haltzel: Der Abbau der deutschen ständischen Selbstverwaltung in den Ostseeprovinzen Russlands. Ein Beitrag zur Geschichte der russischen Unifizierungspolitik 1855–1905. Marburg 1977. S. 130–131; Malte Rolf: Bureaucracy and Mobility in Late Imperial Russia. Reflections on Elite Careering and Imperial Biographies in a Multiethnic Empire. In: Moskauer Vorträge zum 18. und 19. Jahrhundert 16 (2013). S. 1–17; Edward C.

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raum bis zum Zusammenbruch der Imperien im Ersten Weltkrieg eine bedeutsame Denkfigur. In den Vielvölkerreichen gehörten Mehrsprachigkeit und Multiethnizität zur alltäglichen Erfahrung eines intellektuellen oder akademischen curriculum vitae – ein Umstand, der letztlich ein kosmopolitisches Selbst- und Berufsbild bestärkte, in dem das Imperium als supra-nationaler Rahmen gedacht und geschätzt wurde. Entsprechend zielten die aus diesem Milieu erwachsenden Reformbemühungen lange Zeit eher auf die Neujustierung des imperialen Gefüges, als dass sie dessen Überwindung angestrebt hätten. Aller Krisenhaftigkeit und Endzeitstimmung zum Trotz hielten zahlreiche Zeitgenossen bis zum Ende an der Option eines Erhalts des Vielvölkerreichs fest – wenn auch in einer zum Rechtsstaat gewandelten Form oder unter Durchsetzung neuer Spielarten des „Ausgleich“-Gedankens. Ein solches Festhalten an gesamtstaatlichen Zukunftsvorstellungen resultierte nicht nur aus einem politischen Pragmatismus, in dem die Auflösung der Großreiche als unrealistisch erschien. Vielmehr stellte in Zeiten der wachsenden Aggression nationalistischer Chauvinismen allein die Idee des supra-nationalen Imperiums ein integratives Staatsmodell bereit – eines, das den Bürgerkrieg in den ethno-konfessionellen Gemengelagen Ost- und Mitteleuropas würde verhindern können. Für diese von einer imperialen Biographie geprägten Menschen stellte der Reichszusammenhang – bei allen Mängeln seiner inneren Verfasstheit – dennoch das Gefühl von Zugehörigkeit her. Das Imperium war die Heimat, in der man sich noch verortete, als seine Existenz schon gar nicht mehr gesichert schien. Die Perspektive auf seine Zerschlagung entlang nationaler Grenzziehung versprach dabei nicht nur Blutvergießen und Chaos. Sie verhieß ebenso eine wenig attraktive nationalistische Engführung der eigenen Lebens- und Geisteswelten. Die Auswirkungen von imperialen Biographien auf Reichsvorstellungen, Selbstentwürfe und mentalen Kartierungen von Zugehörigkeit werden so auch in diesem Kontext offenbar. Das Reich konstituierte jenen Zusammenhang, über den die Zeitgenossen reflektierten, den sie teils zu modifizieren, teils zu konservieren trachteten. Das Imperium war der Sinnhorizont, auf den sie ihre Lebensläufe ausrichteten. Entsprechend wirkte eine Zertrümmerung dieser komplexen und konfliktreichen Reichsverfassungen in den Jahren 1917–1919 nicht unbedingt wie ein Befreiungsschlag. Manche, wie etwa Joseph Samuel Bloch, warfen selbst retrospektiv noch einen eher nostalgischen Blick auf die untergegangene Ordnung. Vieles davon war autobiographische Stilisierung und Reflex auf eine Entfremdung von der tristen, unübersichtlichen und zugleich krisengeschüttelten post-imperialen Welt. Die beschönigende Erinnerung an die „heiteren Stunden“ des fin-de-Siècle-Zeitalters ist aber zugleich auch Ausdruck der lang anhaltenden Prägekraft einer imperialen Biographie. Mit dem Untergang der Reiche waren Teile der eigenen Lebenserfahrung und der Entfaltungsmöglichkeiten im vielschichtigen imperialen Gefüge und nicht selten auch die Thaden: The Russian Government. In: Edward C. Thaden (Hrsg.): Russification in the Baltic Provinces and Finland, 1855–1914. Princeton 1981. S. 15–110, hier S. 71–75.



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Zugehörigkeit zu einer Elite mit Gestaltungsdrang und Handlungsspielräumen verloren gegangen. Die vielschichtigen imperialen Lebensläufe und Karrierewege in diesem Sammelband werfen ein Licht auf jene Zeit, in der die imperiale Ordnung für die meisten Menschen noch eine unhinterfragte Selbstverständlichkeit war. Ihre Erfahrungen und Erwartungshaltungen treten uns hier entgegen. Wir können ihren Blick auf die Reichsgebilde nachvollziehen, als deren Zerfall noch keine historische Gewissheit war. Wir erfahren mehr über die Referenzpunkte ihrer Vorstellungswelten und die Koordinaten ihrer mentalen Raum- und Zeitbilder. Und wir werden sehen, wie sie sich im Alltag von krisengeschüttelten Imperien einrichteten und zugleich versuchten, auf deren innere Transformation Einfluss zu nehmen. Die ebenso facetten- wie spannungsreichen Lebensläufe offenbaren ein breites Spektrum an imperialen Horizonten, deren Vermessung sich lohnt.

Tim Buchen / Malte Rolf

Elites and their Imperial Biographies Introduction The concept of imperial biographies assumes that multiethnic empires were inextricably entangled with the life and career of elites. Empires, which were increasingly influenced by processes of international modernization, shaped their experiences and expectations. All chapters of this edited volume show how changing imperial and professional structures and the dynamism of modernization determined both careers and everyday lives of the protagonists. At the same time, these essays explore the elites’ ability to implement their own concerns and ideas within the empire itself and thus to initiate change. Finally, this research demonstrates ways in which individuals perceived and came to terms with their own career in the context of empire. In this way, the essays collected here can tell us much about how empire was understood and conceptualized in times of tremendous change. These imperial biographies contribute to the understanding of the behavior of both the empires as such and their elites, in particular as regards the possibilities and challenges of modernity. The temporal framework for analysis begins in mid-nineteenth century, since in both empires profound state reforms had started by that time. These reforms were both a reaction to the enormous changes in the everyday life and proof of the state´s claim to master them. However, some contributions do consider previous decades, while others follow biographies that survived the empire, and, in doing so, the impacts of reform and the imperial conditioning of life become clearer. By focusing on a single individual and his career, taking in different professional contexts and covering various parts of the empire, we receive new findings in three crucial areas in the study of empires. On the one hand each biography shows the process of elite formation in different professions. Taken as a whole, these biographies provide insights into changing ways of elite recruitment, maintenance of their privileged position, and their selfperception as a milieu during the long nineteenth century. This volume pays special attention to the heterogeneity of the empires and their aristocratic constitution, two characteristics often critically revisited during the reformist efforts toward progress and greater state efficiency. Second, the study of old and new elite groups throws into relief the fundamental changes that occurred in nearly every sphere of everyday life. The elites studied here closely observed these new phenomena, and oftentimes fomented or criticized them. Due to the close entanglement between career and empire, the analyses of elite biographies can tell us how the empires gained new arenas of influence and power and which developments resulted in a loss of control.



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Third, the strategies of self-positioning of the protagonists and their reflections on imperial contexts offer new insights on the nexus between empire and modernity, and reveals the link between empire on the one hand and personal agendas and visions, professional activities, and individual experience of these elite actors on the other.

Patterns of Career: Professions and Imperial Perspectives The proximity of a career to state institutions had a deep impact on a person’s view of the empire and the monarchy. Higher state officials shared a profound loyalty to the emperor and the dynasty and they tended to subscribe to a generalist perspective on the empire and its many urgent questions. Since service in the imperial administration was characterized by the circulation of bureaucrats and their geographic displacement within the empire, officials were often foreign to the local context. Especially in the Russian case, bureaucrats were outsiders appointed by the central institutions and sent to the imperial outposts in the provinces. They hardly ever had closer ties to the local population and either showed little interest or ability to overcome this outsider status during their short tenure in one place. In addition, this circulation of officials established closer links between the various provinces. It was less the institutionalized forms of trans-local exchange that led to an increasing interrelatedness of the peripheries; rather, the constant transfer of staff played a much more significant role. Those officials who moved from one region to another carried along with them notions of governance to their new service posting. Also, the conflicts they had witnessed in one province shaped their perception of antagonisms in the succeeding administrative unit. These various clashes were understood to be quite homologous – regardless of all of their local peculiarities. In the long run, this homogenizing perception contributed to a process in which the local conflicts indeed did become more alike – since the imperial bureaucrats increasingly favored the same set of policies in originally quite distinct regions. The career patterns of service in the imperial army differed greatly in the two monarchies. Still, the multiethnic dimension of the military units and the surrounding population constituted a common ground of experience for most of the imperial officers in Russia and Austria-Hungary. In contrast, the new political elites were shaped differently by their imperial biographies. Such biographies served as a starting point of self-entitlement for many of those who entered the widening political stage around the turn of the century. Political leaders from the peripheries were highly visible during the last decades of the empires. They claimed political authority, stressing their own background from such provinces or years of service there and thus could highlight their own knowledge of the pressing needs of the peripheries.

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Not only politicians, but also new expert groups, were quite active to publicly employ their own status as experts on the imperial peripheries. Some of these new experts pointed to their own empire-expertise when it came to promoting their careers, while others facilitated empire-wide networks to increase their visibility and influence. Not unlike experts, numerous entrepreneurs interpreted the empire as a framework of possibilities and opportunities. Thus they shared a mental horizon in which the territories of the empire were seen as interconnected. Imperial knowledge, networks, business-connections, and biographies juxtaposed the fragmentation of this imagined community. When proposing further reforms and measures of modernization, these business and expert groups were thinking in imperial terms: they understood themselves as part of an empire-wide operating elite of modernizers or social engineers. This holds also true for many of the intellectuals and academics during the imperial period. This study presents protagonists who operated in the spheres of academic, publishing, and political activities. Many of them could draw on years of work in the vastness of the empire and – referring to their own biographies – staged themselves as experts on the monarchies’ heterogeneity and complexity. An imperial biography was, however, far more than a good argument for claims of self-entitlement. It worked as a form of imperial agenda-setting that pre-structured active participation in intellectual debates. Borrowing from one’s own experience and referring to empirewide knowledge and expertise fostered a pattern of thinking in which the empire as a whole represented the most vital focus point. For many contemporaries even in times of nationalized worldviews, the empire’s integrity remained unquestioned and the imperial Heimat promised a place of belonging. One’s own engagement in the multifaceted reform debates of these times and the struggle for reshaping the political and social order of the ancient regime did not fundamentally question this framework. Intellectuals with an imperial biography and their inherent polyglot and cosmopolitan dimensions tended to opt for a reformed empire instead of breaking it up into fragmented and isolated sub-units of a post-imperial order. In summary, many members of the elites in Russia and the Habsburg Monarchy of the late nineteenth century looked back on an imperial biography. Their lives, careers, and self-perceptions were inextricably connected with empire. This volume investigates the influence of these mobile elites on the fundamental changes that took place in both empires during the long nineteenth century. Seventeen case studies reveal striking patterns in their mobility and career trajectories. The articles describe the nexus between imperial experiences, professional advancement, and individual selfconceptions. Finally, they examine the extent to which individual biographies were shaped by mutual perceptions and processes of transfer between these two major multinational empires in Central and Eastern Europe. The authors hope to stimulate a debate that will shed more light on the nature and change of these empires and their mutual relations and influence on each other. We want to deal with imperial biographies as a point of venture that allows a new



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understanding of how historical subjects made sense of the imperial framework as a part of their personal biographical experiences and how these expressions of subjectivity related to the underlying structural patterns of mobility, career and life-course. Examining imperial biographies will thus open new ways for research on the history and nature of multinational empires in the long nineteenth century.

II. Staatsbeamte

Michael Khodarkovsky

Groom and Govern Nineteenth-Century Native Interlocutors on Russia’s Colonial Frontiers

Fig. 4: Russian General and Ottoman Pasha, Musa Kundukh (1818–1889), in the Ottoman uniform and with the Ottoman and Russian decorations

This essay focuses on one particular aspect of the imperial conquest and colonization–a group of the indispensable intermediaries, who provided the first crucial link between the imperial government and indigenous societies in Asiatic Russia. Whether they served as interpreters, government officials, or military officers, they shared a similar background. They were the native sons who, for various but mostly coercive reasons, found themselves in Russia, where they were schooled in Russian and sent back to the regions of their origin. They were a focal point of contact between the Russian authorities and different cultures and societies that Russia encountered during its ceaseless expansion. The native interlocutors became a critical conduit for information that flowed between the Russian authorities and native societies. Such

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individuals existed in the history of all empires, and without them the imperial conquest and rule would have been impossible. Below I will discuss the lives of a few such individuals. I will show how these new imperial subjects became agents of the empire among their own kin, how their own vision of their place in the empire collided with the vision of St. Petersburg, and how they became the embryonic carriers of the new ethno-national consciousness among their own peoples. I will also offer a brief comparison of the role played by the indigenous elite in the Russian empire and in British India.

Grooming the Colonial Elite Throughout the centuries of Russia’s colonial expansion, the Russian government’s paramount concern was how best to achieve the loyalty of the indigenous non-Russian elite. In the initial stages of conquest and annexation, the native elites usually enjoyed their traditional independence, but their ultimate integration into the empire eventually implied their Russification and conversion to the Orthodox Christianity. For this reason, in the late eighteenth century, the Russian administrators increasingly called for founding the schools for the sons of the local elite. In the 1770s, the Astrakhan’ governor Petr Krechetnikov suggested that this was the best way to introduce the natives to the Russian way of life and “then no longer there will be a need to take hostages and the natives will convert to Christianity.”1 In 1838 the commander of the Special Caucasus Corps, General E. A. Golovin recommended to the War Minister A. I. Chernyshev “to create as many Muslim schools as possible to be able to influence the [native] people,” and thus to weaken the hold of Islam.2 Yet the opening of the regional schools was painfully slow. In 1841 Shora Nogma, a Kabardin scholar and at the time the Secretary of the Kabardin Provisional Court, petitioned the Russian military authorities in the Caucasus to open a school for children of the Kabardin nobles in Nalchik. The petition was circulated, and–with the exception of recommending that the teaching of Turkish and Arabic languages be excluded from the curriculum–had been quickly approved by various relevant military authorities including the War Minister Chernyshev. The petition only needed the approval of Nicholas I, but when it reached his desk, the emperor chose to kill the project. His argument was simple: the assimilation of the native youth is best achieved by placing them among the Russian school children and not by creating a special school for the natives. The native youth, Nicholas pointed out, should be 1 Michael Khodarkovsky: Russia’s Steppe Frontier: The Making of a Colonial Empire. Bloomington 2002, p. 60. In the Ottoman empire, a similar attempt was made through the Mekteb-i Ashiret-i Hümayun (The imperial Tribal School), which was founded in Istanbul in 1892 and closed its doors in 1907. 2 S Sh. Gadzhieva: Kumyki. Moscow 1961, p. 142.



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recruited into the Russian military and educated there just as the cantonists were, or sent to the schools founded at the Cossack regiments stationed along the frontier.3 While the pace of educational activity was slow, hampered by the usual lack of resources and shortage of teachers, the number of the native children enrolled in the Russian schools continued to grow steadily. In the years of 1850–1887, out of 7,181 graduates of the Stavropol gymnasium, nearly a quarter or 1,739 students were from among the indigenous population.4 By the late nineteenth and early twentieth century, the regional schools were producing the new educated class from among the natives. But in the early nineteenth century, the acculturated indigenous elite was forged in the imperial capital. While constituting different degrees of Russification, acculturation was not always synonymous with assimilation. After all, a fully assimilated native–typically a young convert to Christianity, educated in Russian who also looked and acted like one–could have commanded little authority in his native society. While the assimilation was always preferred, in the beginning of the nineteenth century the Russian authorities became increasingly interested in a different type of an acculturated native–the one who could represent Russian interests and remained influential in his own society. He might have worn a Russian military uniform or a civilian dress of a Russian administrator but he would remain a part of his native society, speaking the local language and practicing Islam. In other words, the Russian empire needed a greater number of the cultural interlocutors, who could serve as the conduit for transferring the Russian legal, political, and cultural idioms into the indigenous environment. Let us have a look at several such individuals in the North Caucasus. Shora BekMirza Nogma (Nogmov) was born in 1794 at a small Kabardin aul near Piatigorsk (Beshtau). Shora was prepared to be a mullah, and after studying at a local mekteb (an Islamic primary school), he was sent to pursue the religious learning at the prestigious medrese at Enderi in Central Daghestan. After graduating from the medrese in 1813, he returned to his native aul to work as a mullah. Several years later, the Russian military authorities appointed him an official interpreter stationed with the first Volga Cossack regiment.5 At this time, he already had a good command of five languages apart from his native Kabardin: Arabic, Kumyk, Abaza, Persian, and Russian, and was working to create an alphabet for the Kabardin language. Eager to reach the imperial capital where he could expand his interests in languages and history, in 1828 Nogma petitioned to join the newly formed Circassian Guard in the capital. As a new member of the Circassian Guard, Shora Nogma found himself under the command of a prominent Adyge prince, Khan-Giray. Some time in the early 1800s, 3 Sufian Zhemukhov: Zhizn Shory Nogma. Nalchik 2002, pp. 137–143. 4 I. Kh. Kalmykov: Cherkesy. Cherkessk 1974, pp. 243–248. 5 Sh. B. Nogmov: Istoriia Adygeiskogo naroda. Nalchik 1958, pp. 11–12; S. N. Zhemukhov: Zhizn’ Shora Nogmy. Nalchik 2002, pp. 103–108.

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Khan-Giray’s father, Muhammed-Giray, attracted by the offers from the Russian authorities, decided to cross the Kuban River, which separated the Ottoman from the Russian borderlands, and settle on the Russian side. Following the established practice among the native peoples of the North Caucasus, Khan-Giray was sent to his father’s native village to spend his adolescent years there. In January 1830, Khan-Giray joined the Circassian Guard as a highly decorated lieutenant of the Russian army who had already distinguished himself in Russia’s wars against the Persians and Ottomans 1826–1829. An impeccable officer and well-educated charming socialite, Khan-Giray was welcomed in the literary salons of the capital where he became personally acquainted with many Russian men of letters, including Alexander Pushkin. Shora Nogma too had vigorously pursued his intellectual interests: establishing close ties with several professors at the St. Petersburg University, studying languages, and devoting much of his time to the writing of the first Kabardin grammar. Upon his return to Kabarda in 1838, he was appointed the Secretary (defterdar) of the Kabardin Provisional Court and was in a position to choose the native candidates for studies at the military institutions in the imperial capital, the Stavropol gymnasium, and the Circassian Guards. Throughout this time Nogma continued to work on the Kabardin grammar and alphabet based on the Cyrillic as well as collecting and translating the Adyge legends and tales. While his grammar remained incomplete, his collection of Adyge tales was published in Russian in 1861 under the title “A History of the Adyge People.”6 In the late 1830s Khan-Giray completed his treatise “The Notes on the Circassia,” compiled the Circassian alphabet on the basis of the Cyrillic script, and began to write down the Adyge folklore, stories, and history. Nicholas I called Khan-Giray “the Karamzin of Circassia” which later did not prevent him from banning “The Notes on the Circassia” from publication. Shortly after Khan-Giray’s premature death at the age of 34, his collection of historical tales appeared in publication under the title “The Circassian Legends and Tales.”7 In the late imperial and the early Soviet period in particular, when the Soviet government was engaged in the ethnicity and nation building projects within the former Russian empire, Khan-Giray was construed as a founder of the historical and literary tradition of the Western Adyge, the Circassians, while Shora Nogma of that of the Eastern Adyge, the Kabardins. It is not as if other options in constructing local traditions and identities did not exist. For instance, the first attempts to compile the Adyge alphabet and to translate the Quran into the Adyge were made in the early 1820s by the Efendi Muhammed Shapsugov and Notauk Sheretluk. But any such efforts were firmly opposed by the ulema–Muslim legal scholars–, for whom the only written lan-

6 Sh. B. Nogmov: Istoriia Adykheiskogo naroda, sostavlennaia Ad. Berzhe. Tiflis 1861. 7 Khan Girei: Cherkesskie predaniia. Nalchik 1989.



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guage was Arabic–the sacred language of the sacred book.8 Likewise, in the late eighteenth and early nineteenth centuries, several prominent Muslim jurists in northern Daghestan made important contributions to the study of the Sharia and Islamic discourse, but made no attempt to create alphabets for local languages or to consider the issues of local history and culture.9 The task of constructing ethnic identities fell on the Russified local elite and Russian scholarly and government officials. After all, ethnicity was a Western concept brought through and from Russia. The authors of the first historiography or philological studies were the members of the non-Christian elite, who later became critical in constructing the new ethnic identities among the empire’s non-Christian peoples. This new colonial elite, consisting of men raised in their indigenous societies and then educated in St. Petersburg and other Russian towns, became a conduit for the modern ideas of ethnicity and nationalism. At different time, various representatives of this elite created the alphabets for the indigenous languages, collected and wrote down the local folk tales, compiled the codes of the customary law, and authored the embryonic history of their people. Among those who created the historiographic and literary tradition for their own peoples were Shora Nogma and Khan Giray for the Adyges of the North Caucasus, Mirza Fath Ali Akhundov for the Azeris, Dorzhi Banzarov for the Buriats, Chokan Valikhanov for the Kazakhs, and Mirza Kazem Bek, Russia’s first professor of the Oriental studies. Their accounts of the non-Christian peoples in time developed into a separate field of study and eventually laid the foundation for Russia’s Orientalism.10 The ironies of the empire were often inescapable, as in a case of Shora Nogma, who was greatly influenced by A. J. Sjögren, an ethnic Finn educated at a Swedish gymnasium at the time when his homeland was part of Sweden and who later continued to write in Swedish. Shortly after Finland became annexed to the Russian empire in 1809, Sjögren became a conduit of the Western ideas in the Russian imperial periphery and was bestowed with the membership in the Russian Academy of Sciences. It was a Russified Swedish Finn who brought the modern ideas of ethnicity, philology, and historiography to the North Caucasus! In other words, modernity arrived in a form of ethnicity nurtured within the Russian colonial empire. It seems 8 Istoriia Narodov Severnogo Kavkaza, konets 18go veka-1917g. Moscow 1988, pp. 236–237; Zhemu­ khov, Zhizn Shory Nogma (see footnote 5), pp. 33–37. For a brief discussion of the Russian efforts to study and transcribe the local languages in the second half of the nineteenth century, see Austen Jersild: Orientalism and Empire: North Caucasus Mountain Peoples and the Georgian Frontier, 1845– 1917. Montreal 2002, pp. 80–84. 9 V. S. Bobrovnikov: Musulmane Severnogo Kavkaza: obychai, pravo, nasilie. Moscow 2002, p. 111; Michael Kemper: Herrschaft, Recht und Islam in Daghestan. Von den Khanaten und Gemeindebünden zum gihad-Staat. Wiesbaden 2005, pp. 359–366, pp. 382–392. 10 Cf. Vera Tolz: Russia’s Own Orient: The Politics of Identity and Oriental Studies in the late Imperial and Early Soviet Periods. Oxford 2011. For a general discussion of Russia’s elites see Andreas Kappeler: Russland als Vielvölkerreich. Entstehung, Geschichte, Zerfall. Munich 1992.

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that the affirmative-action empire had been born long before the Soviet policies of indigenization were put into practice.

The British Experience At different times the government officials suggested to consider the Russian imperial experience in comparison with those of the British in India and French in Algeria. In 1842, the supreme commander of the Russian troop in the Caucasus, E. A. Golovin, and the War Minister A. I. Chernyshev were both suggesting to the emperor that the British and French experiences in India and Algeria might be usefully applied in the Caucasus. They were not! The British in particular had different concerns and priorities in India. The British East India Co. was content to rely on the British residents at the courts of the largely autonomous maharajas, use wealthy Indian agents as intermediaries, and rely on the local courts in order to retain its control over commerce and taxes. There were simply too few British in India to do anything else. Unlike the Russians, the British early on set out to collect knowledge, to create laws, to found local schools and colleges, to translate from Sanskrit into the local vernaculars and English, and to develop local expertise among the British. After all, when in 1888, Gandhi arrived to study at the University College in London, he came to study the Indian law. Sanskrit Colleges in Delhi, Benares, and other places were employing local pundits on government payroll who were translating scientific texts from English, while the British were studying Sanskrit and Hindu laws at Oxbridge. In 1834, the British politician and historian Thomas Babington Macaulay suggested a new approach to promote the British interests in India: “It is impossible for us, with our limited means, to educate the body of the people. We must at present do our best to form a class who may be interpreters between us and the millions whom we govern; a class of persons, Indian in blood and colour, but English in taste, in opinions, in morals, and in intellect.”11 Indeed, as a result of the new policies articulated by Macaulay between 1830s–1850s, a new type of the munshi–a title of a native secretary, clerk–had emerged in India. They were well educated and spoke and read English. Many of them were educated at the English department of the Delhi College and were fluent in Persian, Hindi, Sanskrit, and English.

11 T. B. Macaulay: Minute of 2 February 1835 on Indian Education. In: G. M. Young (Ed.): T. B. Macaulay: Prose and Poetry. Boston 1952, pp. 721–729.



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Governing through the Colonial Elite But if Russia was far behind in collecting knowledge, developing expertise, and training its own Slavic Orientalists, it was ahead of Britain in specific policies and tools of governing. By the time Macaulay was calling upon a greater reliance on the British-educated Indian elite to govern India, the Russians had already a long experience on integrating and using the local elite to promote the imperial agenda. Above were mentioned two of them, Shora Nogma and Khan-Giray in the North Caucasus. But there were hundreds of similar acculturated natives in the service of the Russian empire. Among the more visible figures was a Kazakh noble, Chokan Valikhanov (Muhammed Khanafi Vali Khan (Chokan Chingissovich Valikhanov). His father Chingis was educated at the school of the Siberian Frontier Cossack Host, reached the rank of a major, and became an indispensable aid to the Russian scholars interested in Kazakh folklore and customary laws. At the age of 12 Chokan was sent to study at the Omsk Cadet corps. After his graduation in 1853 at the age of 18, Chokan became an expert on Central Asia serving in Russia’s Asiatic Department in St. Petersburg as well as collecting information about the region and its peoples.12 Another example was Katti Giray, a Circassian descendent of the royal Crimean lineage, who grew up at the Scottish Mission in the North Caucasus, traveled to Scotland to study theology, married an English woman, and returned to Russia to become an active Presbyterian missionary and educator in the Crimea.13 Muhammed Ali Kazem-Bek, later known as Aleksandr Kasimovich Kazem-Bek, was another such neophyte. An offspring of the noble and learned Azeri family from Derbend, an erudite and a brilliant scholar, Kazem-Bek became the pride of the Scottish Mission in Astrakhan. But much to their chagrin, the Russian government was determined to extricate him from the influence of the Scottish missionaries. He was banned from traveling to Scotland and was inducted into the Russian service. In 1825, Kazem-Bek was sent to Siberia to become a teacher at the Omsk Asiatic School. In the end, Kazem-Bek’s enormous talents proved to be so obvious that instead of becoming another exile in Siberia, he went on to become a professor at Kazan and St. Petersburg Universities and Russia’s first and foremost Orientalist.14 One striking example was Musa Kundukh (Kundukhov). Born to a family of the Ossetin nobles, he joined the Russian army as an officer and rose through the ranks to become a highly decorated major general. After Shamil had been defeated, however, 12 Ch. Ch. Valikhanov: Sobranie sochinenii v piati tomakh. Vol. 1. Alma-Aty 1984. 13 Hakan Kirimli: Crimean Tatars, Nogays, and Scottish Missionaries. In: Cahiers du Monde Russe 45 (2004), pp. 62–107. 14 K. Rzaev, Muhammed Ali Mirza Kazem-Bek. Baku 1965, pp. 22–44. The Russian writer, Leo Tolstoy studied Arabic and Turkish languages with Kazem-Bek at Kazan University in the early 1840s. Ibid., p. 39.

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Kundukh’s disgust with Russia’s policies toward the local population led him to organize a massive immigration to the Ottoman empire. In 1865, his ship with hundreds of fellow highlanders docked at an Ottoman port on the Black Sea. Later, Musa Kundukh was given the Ottoman title of pasha–general, and served with distinction in the Ottoman wars against the Russians.15

The Colonial Empire The Russian empire in Asia included a vast expanse of land populated by very different peoples and societies, inevitably resulting in different regional dynamics of the imperial rule. Despite the differences between the regions of Asiatic Russia, what Russia’s Asian territories had in common was a lack of sovereign monarchies and states with defined boundaries. The reality was somewhat more complex than Moscow assumed, but this was how Moscow perceived the world east and south of its capital, and the perceptions, of course, are known to create a reality of their own. If the lack of sovereign states and monarchs in Asiatic Russia helped to articulate Russia’s civilizing mission, it did not explain how to rule different regions, peoples, and religions. The Russian authorities refused to concede that theirs too was a colonial empire. Instead, the imperial sub-consciousness continued to revolve around the ideas of a universal monarch and civilization, and a belief that some day the non-Russians would become Russian. The myth and reality could not be easily reconciled, however, and resulted in that particular Russian hybrid of the hyper accentuated empire and underemphasized colonialism.16 Throughout the eighteenth and nineteenth centuries, the grand imperial ambition demanded an ultimate integration of the empire’s diverse human landscape into the Russian Christian imperial identity. But the reality on the ground defied this long-term vision, requiring instead the tactics and policies that could be adapted to the specific circumstances. The imperial authorities preferred to rely on the local secular elite, and, when necessary, religious as well. Economic and political carrots and sticks were intended to ensure the cooperation and loyalty of the elite, while the courts, administration, schools, and missionary work were meant to pave the road towards a broader integration of the non-Russians into the empire. Among the variety of the specific policy tools used in ruling Russia’s non-Russian subjects, one remained constant throughout the time: to govern the multitudes of the empire’s peoples, tongues, and religions, Russia depended on the individuals who possessed an intimate knowledge of both Russian and their own society and were

15 Memuary generala Musa-pashi Kundukhova (1837–1865). In: Zvezda 8 (2001), pp. 100–123. 16 Michael Khodarkovsky: Bitter Choices: Loyalty and Betrayal in the Russian Conquest of the North Caucasus. Ithaca 2011, pp. 164–171.



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thus able to serve as intermediaries between the imperial authorities and the native peoples. In the Muscovite empire, such go-betweens were usually employed as the interpreters. Some of them were the new converts, but most were former Slavic captives who claimed to have learned the native language and mores during their long captivity. But because almost all of them were illiterate, they knew little of the language and culture in which they claimed the expertise. As Russia’s involvement with the various non-Russian peoples deepened, the authorities increasingly relied on the natives who, for various reasons, became exposed to the Russian way of life. Only in the middle of the nineteenth century, a slowly modernizing Russia began to train its own small groups of Slavic experts, who studied the native languages, societies, and religions. Russia never had an equivalent of the British Colonial Service, but the Russian universities offered limited courses in the non-Russian languages of the empire for the benefit of scholars and future government officials alike. Throughout the entire period of Russia’s imperial past, the great majority of the empire’s cultural interlocutors came from the native societies. From the late eighteenth century onward, the Russian authorities began to demand that the members of the native elite send their sons to the imperial capital to be educated at the emperor’s court and later at Russia’s prestigious military schools. The government’s goal was to educate and acculturate the young men from the distinguished indigenous families who could become a conduit of the Russian influences after returning to their kin. In other words, the former hostages were to become a colonial elite. Hundreds of them would come from the different parts of the empire and return to their own people different men: in Russian officer’s uniform, with a strange accent in their native tongue, with the outlandish ideas in their heads, and often, with a tiny cross on their necklaces. They followed an uneasy path in negotiating the space of the indigenous societies within the Russian empire and by extension searching for their own place and identity. All of them remained liminal personalities, who remained torn between two different cultures and identities, the traditional society into which they were born and the modern society in which they were schooled. In time, they came to realize that the empire they served left little room for them to reconcile their multiple identities. If they thought of themselves as being the intermediaries between the empire and their own peoples, they were bitterly disappointed. The imperial authorities were only interested in using them as a tool of the government policies. If they hoped to make the Russians more aware of the needs and practices of their own peoples, they quickly discovered that the information flow was a one-way street, from the center to the periphery. Khan-Giray’s treatise on the Circassians was banned, Shora Nogma’s recommendations ignored, and Chokan Valikhanov’s calls for justice for the Kazakhs dismissed. The native elite had either to succumb to the imperial needs or get out of the way by retiring into anonymity or leaving the empire, as Musa Kundukh did.

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These were the paths charted by these native interlocutors, who in different ways tried to bridge the space between the world of their homelands and that of imperial Russia. The push and pull between the two was a tormenting experience in all empires, but in contrast to British India, the Russian policies and expectations exerted far more pressure on the native intermediaries to take sides and left little room for a compromise. Russia’s newly formed indigenous elites were typical marginal social groups searching for their identity between the old and new, traditional and modern, Asia and Europe. Perhaps, in the end, they were not so different from the Russian elites, who uncertain of their own identity, had searched for centuries to locate Russia’s own place between the modern and traditional, the nation-state and colonial empire.

Jörg Ganzenmüller

Vom Modernisierer zum Russifizierer? Michail N. Murav’ëv und die Polenpolitik des Russischen Reiches

Abb. 5: Michail Nikolaevič Murav’ëv (1796–1866)

Michail Nikolaevič Murav’ëv war schon bei seinen Zeitgenossen umstritten. Den einen galt er als nationalistischer Polenfresser und intriganter Reformgegner, den anderen als Wahrer des Imperiums und Beschützer der Autokratie.1 Von den zahlreichen anderen Murav’ëvs in der Geschichte Russlands unterscheidet man ihn durch einen wenig schmeichelhaften Beinamen, den er selbst nicht ohne Stolz trug. Nachdem er 1831 zum Gouverneur von Grodno ernannt worden war, fragte ihn ein Einheimischer, ob er denn mit dem hingerichteten Dekabristen Murav’ëv verwandt sei. Daraufhin antwortete er entrüstet, dass er nicht von jenen Murav’ëvs abstamme, die gehenkt würden, sondern von jenen, die andere aufhängen. Seitdem hieß er Murav’ëv „der Hän­ger“ [vešatel‘ – dt. auch „der Henker“].2 Bei der Niederschlagung des Januaraufstandes 1 Vgl. Anna A. Komzolova: Politika samoderžavie i sudebnaja reforma 1864 goda v Rossii. Voronež 1989. 2 Vgl. Matthias Stadelmann: Großfürst Konstantin Nikolaevič. Der persönliche Faktor und die Kul­tur des Wandels in der russischen Autokratie. Wiesbaden 2012. S. 145.

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von 1863 wurde er diesem Beinamen vollauf gerecht und erwarb mit „Diktator von Wilna“ gleich einen zweiten hinzu. Er ließ als Generalgouverneur für die Nordwestregion ca. 130 Personen hinrichten, weitere 1.000 wurden zur Zwangsarbeit verurteilt und etwa 8.000 nach Sibirien deportiert. Anschließend trat er für eine Besiedlung des Landes durch russische Grundbesitzer, für eine russische Beamtenschaft sowie für eine Dominanz der russischen Sprache und Kultur ein.3 In den Jahren vor dem Januaraufstand hatte er sich als Minister für die Staatsvermögen vehement der Bauernbefreiung widersetzt und galt bei den Reformkräften als Inkarnation des fintenreichen Gegenspielers. Der Innenminister, Pëtr A. Valuev, verspottete ihn als „Staatschamäleon“, und der Großfürst Konstantin Nikolaevič nannte Murav’ëv in seinem Tagebuch nur noch „die Kanaille“.4 Es gab am Zarenhof allerdings auch Kräfte, die Murav’ëv unterstützten. Andernfalls hätte er dort keine politische Karriere machen können. Es waren vor allem konservative Kreise, die ihn im Vorfeld der Bauernbefreiung an die Spitze des für die Staatsvermögen zuständigen Ministeriums hievten, und Murav’ëv dankte es ihnen, indem er die Arbeit des Komitees zur Bauernbefreiung nach Kräften sabotierte. Als er 1863 in den nordwestlichen Provinzen des Zarenreiches hart durchgriff, avancierte Murav‘ëv zum Liebling der nationalistischen Presse, und sogar liberale Kreise erkannten sein entschlossenes Vorgehen als angemessen und wirkungsvoll an.5 Murav’ëv prägte die russische Polenpolitik des 19. Jahrhunderts an zwei entscheidenden Wegmarken: Während des Novemberaufstandes von 1830 und während des Januaraufstandes von 1863 war er damit beauftragt, die Ordnung in den Westgouvernements wiederherzustellen und für eine dauerhafte Befriedung der einst polnischen Gebiete zu sorgen. Als Gouverneur von Mogilëv (1827–1831), von Grodno (1831–1835) und als Generalgouverneur der Nordwestregion (1863–1864) repräsentierte er das Zarenreich an seiner westlichen Peripherie zu einer Zeit, in der wichtige Weichen in der russischen Polenpolitik gestellt wurden. In beiden Fällen verhalfen politische Krisen in den Westgouvernements Murav’ëv zu einem Karrieresprung: Nach dem Novemberaufstand vertraute Nikolaus I. ihm das Gouvernement Grodno an, das als Unruheherd galt und eine größere politische Herausforderung darstellte als das weiter östlich gelegene Gouvernement Mogilëv. Und Alexander II. besann sich 1863 auf die Expertise Murav’ëvs, holte ihn vom politischen Abstellgleis, auf dem er sich nach seinem gescheiterten Widerstand gegen die Bauernbefreiung befunden hatte, 3 Vgl. Jörg K. Hoensch: Geschichte Polens. Stuttgart 1990. S. 218; Robert F. Leslie: Reform and Insurrection in Russian Poland 1856–1865. London 1963. S. 224f; Darius Staliūnas: Making Russians. Meaning and Practice of Russification in Lithuania and Belarus after 1863. Amsterdam 2007. S. 71–129. 4 Vgl. Stadelmann, Großfürst Konstantin Nikolaevič (wie Anm. 2), S. 212 und S. 217. 5 Vgl. Stadelmann, Großfürst Konstantin Nikolaevič (wie Anm. 2), S. 143–231 und S. 376–395; Anna A. Komzolova: Zapadnyj komitet (1862–1864) i vilenskij general-gubernator M. N. Murav’ëv. In: Modest A. Kolerov (Hrsg.): Rossija i reformy. Sbornik statej. Band 5. Moskau 2002. S. 9–34. Zur nationalistischen Stimmung in der russischen Öffentlichkeit im Zuge des Januaraufstandes vgl. Andreas Renner: Russischer Nationalismus und Öffentlichkeit im Zarenreich 1855–1875. Köln 2000. S. 196–273.



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und schickte ihn als Generalgouverneur erneut in die Region, in der er dreißig Jahre zuvor als Gouverneur gedient hatte. Murav’ëvs Leben und Karriere war eng mit der westlichen Peripherie des Reiches und der polnischen Frage verbunden. Die imperiale Dimension seiner Biographie ergibt sich somit sowohl aus deren strukturellen Verflechtung mit dem imperialen Beziehungsgefüge als auch aus seiner Selbstpositionierung als imperialer Akteur.6 Er betrachtete die polnische Frage von einem imperialen Standpunkt aus und agierte innerhalb der zarischen Elite als selbst erklärter Experte für die westliche Peripherie des Reiches. Im Folgenden soll das Verhältnis von Imperium, Nation und Autokratie in Murav’ëvs Denken näher bestimmt und dessen Selbstinszenierung als Experten des Imperialen beleuchtet werden.

Schwacher Staat und illoyaler Adel: Murav’ëvs Kritik an Autokratie und Imperium um 1830 Michail Murav’ëv war nicht immer ein konservativer Verfechter der Autokratie gewesen. Als 16-Jähriger wurde er in der Schlacht bei Borodino verwundet und ausgezeichnet. Nach dem „Vaterländischen Krieg“ schloss er sich einem Kreis junger Reformer an, die 1816 die erste Geheimgesellschaft im Zarenreich gründeten. 1820 wurde er aufgrund revolutionärer Unruhen in seinem Regiment verhaftet und musste den Dienst quittieren. Seine Nähe zu revolutionären Kreisen führte nach dem Dekabristenaufstand zur erneuten Festnahme. Da er seine Unschuld beweisen konnte, kam er bald wieder frei und trat in den Staatsdienst ein. 1826 wurde er zum Vizegouverneur von Vitebsk ernannt. Murav’ëv war ehrgeizig und wollte sich für höhere Aufgaben empfehlen. Im Januar 1827 verfasste er eine Denkschrift für den Zaren, in der er seine Vorstellungen zur lokalen Verwaltung und zum Gerichtswesen darlegte. Darin prangerte er die Nachkommen des mittellosen Adels und die nichtadligen Beamten an, Träger der weit verbreiteten Korruption zu sein. Da sie bereits als Jugendliche in den Staatsdienst einträten, fügten sie sich in das korrupte Verwaltungssystem ein und verinnerlichten es schließlich. Aus diesem Grund hätten Personen, die selbst in einfachen Besitzverhältnissen lebten, übergroßen Einfluss auf politische Entscheidungen der Kreis- oder Gouvernementsebene. Nikolaus I. scheint Gefallen an dieser Analyse gefunden zu haben, denn ein Jahr später ernannte er Murav’ëv zum Gouverneur von Mogilëv.7 6 Zur imperialen Dimension von Biographien vgl. Malte Rolf: Einführung: Imperiale Biographien. Lebenswege imperialer Akteure in Groß- und Kolonialreichen (1850–1918). In: Themenheft Geschichte und Gesellschaft 40 (2014). S. 1–16, hier S. 6. 7 Vgl. D. A. Kropotov: Žizn’ grafa M. N. Muravëva v svjazi s sobytijami ego vremeni i do naznačenija ego gubernatorom v Grodno. Biografičeskij očerk. St. Petersburg 1874; Der Dictator von Wilna. Me­ moiren des Grafen M. N. Murawjew. Leipzig 1883.

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In den folgenden Jahren baute Murav’ëv seinen Ruf als Verwaltungsexperten und Kenner der polnischen Provinzen weiter aus. Nach dem Ausbruch des Novemberaufstandes 1830 verfasste er zwei weitere Denkschriften und wurde Mitglied im neu gegründeten Komitee für die Westgouvernements, das die bisherige Politik in den polnischen Provinzen überprüfen und Maßnahmen zur Integration der Region in das Imperium vorschlagen sollte. Nikolaus I. ernannte Murav’ëv zudem zum Gouverneur von Grodno und erklärte dessen Denkschriften zur Arbeitsgrundlage des Komitees. Dieser Wechsel von einem Westgouvernement in ein anderes kann durchaus als ein Vertrauensbeweis verstanden werden. In Grodno stand Murav’ëv nun einer ganz im Westen des Reiches gelegenen Provinz vor, in denen der Einfluss des polnischen Adels als besonders stark galt. Als Vizegouverneur von Vitebsk hatte Murav’ëv in seiner Denkschrift von 1827 bereits eine dezidierte Meinung zur lokalen Verwaltung in den Westgouvernements geäußert: Zum einen seien die staatlichen Institutionen zu schwach, zum anderen missbrauche der besitzlose Kleinadel seine Ämter zur Selbstbereicherung und sei deshalb für die Etablierung der Staatsgewalt auf lokaler Ebene ungeeignet. Der Novemberaufstand hatte Murav’ëv in seinen Ansichten zusätzlich bestätigt. Er unterstellte den polnischen Amtsträgern, sie hätten die Anordnungen der Regierung sabotiert oder sich sogar den Aufständischen angeschlossen. Sie trügen deshalb die Hauptschuld am raschen Zusammenbruch der staatlichen Ordnung.8 Tatsächlich sind nur wenige und zudem widersprüchliche Berichte über das Verhalten der adligen Wahlbeamten während des Aufstandes überliefert. So lässt sich bis heute über deren Loyalität keine eindeutige Aussage machen. Die Analyse Murav’ëvs prägte jedoch – unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt – die Wahrnehmung der zarischen Regierung. Noch wenige Monate vor dem Novemberaufstand hatte der neu eingesetzte Generalgouverneur von Kiew, Podolien und Wolhynien, Boris Knjažnin, einen sehr positiven Bericht über die adligen Wahlbeamten verfasst. Sie würden ihre Aufgaben zuverlässig und zielgerichtet ausführen. Probleme bereiteten hingegen die staatlichen Amtsträger. Die Polizei befände sich in einem bedauernswerten Zustand und allgemein seien zahlreiche Stellen unbesetzt.9 Nach dem Novemberaufstand zeichneten die zarischen Amtsträger vor Ort hingegen ein negatives Bild vom polnischen Adel und bestätigten damit jene Vorbehalte, die in der Regierung gegenüber der Szlachta bereits vorhanden waren. So meldete die von Nikolaus I. eingerichtete Staatspolizei, die berüchtigte „Dritte Abteilung“, regelmäßig Formen der Zusammenarbeit zwischen polnischen Wahlbeamten und revolu-

8 M. N. Murav’ëv: Zapiska o chode mjateža v gubernijach ot Pol’ši vozvraščënnych i zaključenija o pričinach stol’ bystrago razvitija onago, izvlečënnyja iz svedenij, počerpnutych na meste proisšestvija i podlinnych doprosov. In: Kropotov, Žizn’ grafa M. A. Murav’ëva (wie Anm. 7), S. 504–519, hier S. 511. 9 Vgl. Schreiben des Kiewer Generalgouverneurs Knjažnin an Benckendorff vom 18.3.1830, Staats­ archiv der Russländischen Föderation (GARF) f.109, op.5, d.131, l.1-1ob.



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tionären Adligen, etwa beim Verteilen von aufrührerischen Flugblättern.10 Murav’ëv zog aus derartigen Berichten die Schlussfolgerung, dass die Szlachta ein „Hort des Aufruhrs“ sei, und prophezeite, der polnische Adel werde ohne grundlegende Umgestaltung stets ein Instrument des Aufstandes bleiben.11 Allerdings verurteilte Murav’ëv den polnischen Adel nicht pauschal. Er blieb seiner ersten Denkschrift aus dem Jahr 1827 treu und brandmarkte den besitzlosen Kleinadel als den Kern des Problems. Die Kleinadeligen würden in den Klerus sowie in die Ärzte- und Anwaltschaft hineinstreben und dort ihren Freigeist, ihren Unglauben und ihre Unzucht verbreiten. Murav’ëv hielt es deshalb für geboten, gegen die besitzlosen Adligen vorzugehen, „die zu Tausenden in den verschiedenen Gouvernements herumvagabundieren, keinerlei Perspektiven haben und sich ununterbrochen vermehren.“12 In seiner Denkschrift an den Zaren von 1831 stigmatisierte er sie als notorische Unruhestifter: Dieser Stand der Müßiggänger, der zum größten Teil kein Land besitzt und ans Nichtstun gewöhnt ist, mit einer ungestümen Seele und einem ebensolchen Charakter, wird so lange nicht ruhig sein, wie die Regierung keine entsprechende Sortierung vornimmt und diejenigen als Wehrbauern in entfernte Grenzgebiete umsiedelt, die keinen festen Wohnort und keinen Adelsnachweis haben, jedoch davon träumen, [adlige, J. G.] Rechte und Privilegien mit dem Mittel des Aufruhrs oder politischer Umwälzungen zu erhalten.13

Murav’ëv verknüpfte in seiner Analyse den imperialen Herrschaftsanspruch des Zarenreiches mit dessen autokratischer Staatsform. Er sah im polnischen Kleinadel nicht den Vorreiter einer Nationalbewegung, sondern Freigeister und Ungläubige, die nach politischen Umwälzungen strebten und dabei auch vor einem Aufstand nicht zurückschreckten. Auf die polnische Frage gab er eine imperiale Antwort: Die Unruhestifter sollten als Wehrbauern in eine andere Grenzregion umgesiedelt werden. Auch dem Bild vom kleinadligen Müßiggänger lagen keine nationalen Vorurteile, sondern eine spezifische Adelsvorstellung zugrunde. Der Adel sollte aus Landbesitzern bestehen, die einen vornehmen Lebensstil pflegten. Dieses Leitbild war nicht neu. Es entsprach vielmehr den Vorstellungen Katharinas II. vom Adel als einer lokalen Elite von Gutsbesitzern. Die soziale Abhängigkeit des polnischen Kleinadels von den Magnaten hatte bereits dem Adelsverständnis der Zarin widersprochen. Doch Murav’ëv ging noch einen Schritt weiter. Indem er die besitzlosen Adligen als Vaga10 Vgl. z.B. den Brief des Stabsoffiziers des Gendarmeriekorps in Minsk an Benckendorff vom 21.7.1831, GARF f.109, op.6, d.469, l.1-2ob. 11 Četyre političeskija zapiski grafa Michaila Nikolaeviča Murav’ëva Vilenskago (Denkschrift vom 29.8.1831). In: Russkij archiv 6 (1885). S. 161–199, hier S. 184. 12 Aufzeichnungen des Gouverneurs von Grodno, Michail N. Murav’ëv, anlässlich von Ergänzungen und Änderungen in der Anordnung des Komitees zur Umgestaltung der Szlachta vom Oktober 1831, o. D. [Oktober 1831], GARF f.109 s/a, op.2, d.252, l.1-4ob., hier 2ob. 13 Četyre političeskija zapiski grafa Michaila Nikolaeviča Murav’ëva Vilenskago (Denkschrift vom 29.8.1831) (wie Anm. 11), S. 184.

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bunden diffamierte, schloss er sie rhetorisch nicht nur aus dem Adel, sondern aus der zarischen Gesellschaft aus. Diese Exklusion unterschied sich grundlegend von der bisherigen Adelspolitik. Zwar strebte die zarische Regierung seit den Teilungen Polens eine Deklassierung des besitzlosen Kleinadels an, doch war damit zugleich deren Integration als Einhöfer oder Stadtbewohner in die zarische Gesellschaftsordnung verbunden gewesen. Nicht nur Murav’ëv machte die Beobachtung, dass der Staat in der Provinz schwach war. Insbesondere die Gendarmerie informierte ihren Vorgesetzten, Alexander Benckendorff, in zahlreichen Schreiben über die mangelnde Durchsetzungsfähigkeit der russischen Staatsgewalt in den polnischen Teilungsgebieten.14 Und Murav‘ëv war auch nicht der einzige, der dem polnischen Adel eine illoyale Haltung unterstellte und im verarmten Kleinadel den Träger eines revolutionären Gedankengutes sah.15 Der Beitrag Murav’ëvs in der Debatte um die „polnische Frage“ bestand vielmehr in der argumentativen Verknüpfung dieser beiden Vorstellungen. Er hielt die staatlichen Institutionen in den Westgouvernements gerade deshalb für ungefestigt, weil sie zu einem erheblichen Teil von polnischen Kleinadligen getragen wurden. Eine Problemanalyse, welche die Schwäche der Staatsgewalt vor Ort und die mangelnde Loyalität des polnischen Adels als wesentliche Ursachen für den Novemberaufstand ausmachte, ließ nur eine logische Schlussfolgerung zu: Die staatlichen Institutionen mussten gestärkt und der Einfluss des polnischen Adels in der lokalen Verwaltung zurückgedrängt werden. Vier Maßnahmen hielt Murav‘ëv in der gegebenen Situation für notwendig: die Zentralisierung der Verwaltung, die Vereinheitlichung von Recht und Institutionen, die „Russifizierung“ des Beamtenkorps und die Exklusion des Kleinadels aus dem Adelsstand. In seiner Denkschrift forderte er eine „Annäherung“ (sbliženie) der polnischen an die russischen Provinzen. Die Orthodoxie wollte er durch den Ausbau von kirchlichen Institutionen stärken und den „schädlichen Einfluss“ der katholischen Geistlichkeit eindämmen. Darüber hinaus sollte das Rechtswesen vereinheitlicht, Russisch als alleinige Amtssprache eingeführt, der Kleinadel aus dem Staatsdienst ausgeschlossen und der Anteil der russischen Beamten erhöht werden. Die letzte Forderung lag Murav‘ëv besonders am Herzen. Um die Macht in den Westgouvernements in staatlicher Hand zu konzentrieren, sollten künftig ausschließlich russische Beamte – von der Polizei bis zum Postbeamten – und Richter eingesetzt werden. Polen sollten nicht grundsätzlich vom Dienst in den Westgouvernements ausgeschlossen werden, mussten sich aber zuerst in einem mehrjährigen Dienst in

14 Vgl. z.B. den Brief Vlasovs an Benckendorff vom 14.12.1831, GARF f.109 s/a, op.2, d.287, l.20-29ob. Schriftliche Notiz „Über die Stimmung der Einwohner in den von Polen zurückgekehrten Gebieten, ohne Unterschrift, ohne Datum [1836], GARF f.109 s/a, op.2, d.257, l.1-4ob. 15 Vgl. z.B. den Bericht des Generalgouverneurs von Kiew, Podolien und Wolhynien an Nikolaus I. über den Zustand der Gouvernements Kiew, Podolien und Wolhynien im Jahr 1839, vom 22.3.1840, CDIAK f.442, op.1, d.2788, l.1-107, hier l.46.



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Russland bewähren.16 Der Staatsausbau sollte somit von einer russischen Beamtenschaft, von russischen Institutionen und von der orthodoxen Kirche getragen werden. Damit trat Murav’ëv zwar nicht für eine Russifizierung der Westgouvernements durch eine kulturelle Assimilation ihrer Einwohner ein.17 Allerdings sah er in der zarischen Autokratie ein russisches Staatswesen und im Imperium eine russische Herrschaft über fremdländische Untertanen. Autokratie, Imperium und russische Nation waren in Murav’ëvs Denken zu einem Konglomerat verschmolzen, in dem alle Bestandteile sich gegenseitig bedingten und einander ergänzten.18

Vereinheitlichung der Verwaltung und Deklassierung des Kleinadels: Murav’ëvs Einfluss auf die zarische Regierungspolitik Murav’ëvs Vorschläge zur Vereinheitlichung des Rechtswesens und zur Stärkung staatlicher Herrschaft fanden zahlreiche Befürworter in der Regierungsbürokratie. Welcher Argumente bediente er sich zur Durchsetzung seiner Positionen? Und inwieweit inszenierte er sich hierbei als ein Experte des Imperiums? Die Etablierung der zarischen Staatsgewalt in den polnischen Provinzen erfolgte zunächst durch eine indirekte Herrschaft. Katharina II. hatte nach den Teilungen Polens die administrative sowie rechtliche Ordnung, die Landbesitzverhältnisse und die bestehenden Wertsysteme respektiert und weitgehend bestehen lassen. Die Zarin 16 Četyre političeskija zapiski grafa Michaila Nikolaeviča Murav’ëva Vilenskago (wie Anm. 11), S. 162– 178. 17 Die Forschung deutet die Maßnahmen der zarischen Regierung nach dem Novemberaufstand gemeinhin als Beginn einer Russifizierungspolitik in den polnischen Provinzen des Reiches. Vgl. u.a. Hans Roos: Die polnische Nationalgesellschaft und die Staatsgewalt der Teilungsmächte in der euro­päischen Geschichte (1795–1863). In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 14 (1966). S. 388–399, hier S. 395; Edward Thaden: Russia’s Western Borderlands, 1710–1870. Princeton 1984. S. 124; Daniel Beauvois: The Noble, the Serf and the Revizor. The Polish Nobility between Tsarist Imperialism and the Ukrainian Masses (1831–1863). Chur 1991. S. 220f; Leonid E. Gorizontov: Paradoksy imperskoj politiki. Poljaki v Rossii i russkie v Pol’še (XIX – načalo XX v.). Moskau 1999. S. 40–44. Zur Unschärfe des Begriffs „Russifizierung“ und seine zahlreichen Bedeutungen vgl. Edward C. Thaden: Russification in Tsarist Russia. In: Edward C. Thaden (Hrsg.): Interpreting History. Collective Essays on Russia’s Relations with Europe. New York 1990. S. 211–220; Theodore R. Weeks: Russification: Word and Practice 1863–1914. In: Proceedings of the American Philosophical Society 148 (2004). S. 471–489; Alexey Miller: „Russifications“? In Search for Adequate Analytical Categories. In: Guido Hausmann u. Angela Rustemeyer (Hrsg.): Imperienvergleich. Beispiele und Ansätze aus osteuropäischer Per­spek­ tive. Wiesbaden 2009. S. 123–143. 18 Damit befand sich Murav’ëv ganz auf der Linie eines Nationalismus, wie er von der zarischen Regierung seit Katharina II. vertreten wurde. Vgl. Raphael Utz: Rußlands unbrauchbare Vergangenheit. Nationalismus und Außenpolitik im Zarenreich. Wiesbaden 2008. S. 254–260.

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setzte auf eine Kooperation mit dem polnischen Adel und bestätigte dessen Privilegien. Diese Politik stand ganz in der imperialen Tradition des Zarenreiches. Auch Alexander I. hielt an diesen Prinzipien fest. Allerdings trat während seiner Herrschaft der inhärente Widerspruch zwischen fortschreitendem Staatsausbau und indirekter Herrschaft durch indigene Eliten immer deutlicher zu Tage. Nach seinem Tod galt Alexanders Politik deshalb vielen als Fehlentwicklung. Murav’ëv charakterisierte ihn als einen milden und barmherzigen Zaren, dessen politisches Entgegenkommen von polnischer Seite schamlos ausgenutzt worden sei. Die Regierung hätte viel zu viel Geduld aufgebracht und im Gegenzug hätte die Szlachta den Aufstand geprobt. Da die Polen die Milde und Nachsicht des Zaren stets nur zu ihrem Vorteil ausnutzen würden, müsse die Regierung ihnen mit Unerbittlichkeit und Strenge begegnen. Ein kompromissbereiter Kurs münde hingegen zwangsläufig in einen blutigen Aufstand.19 Diese Deutung gewann nach dem Novemberaufstand zahlreiche Befürworter, so dass Murav’ëvs Forderungen ihren Niederschlag in der zarischen Gesetzgebung fanden. Am 1. Januar 1831 wurde in den Gouvernements Mogilëv und Vitebsk das Litauische Statut für ungültig erklärt. An dessen Stelle traten ein russisches Verwaltungssystem und Gerichtswesen.20 Die zarische Regierung war damit einem Vorschlag des Komitees für die Westgouvernements gefolgt. Unter dem Einfluss Michail Murav’ëvs war das Komitee zu der Überzeugung gelangt, dass die unterschiedlichen Gebiete der Westgouvernements weder mit den gleichen Mitteln noch mit der gleichen Geschwindigkeit den zentralrussischen Verhältnissen angepasst werden könnten. In den Gebieten der ersten Teilung Polens, in denen die Orthodoxie stärker in der Bevölkerung verankert sei, könne bereits jetzt das russische Recht eingeführt werden, in den weiter westlich gelegenen Gouvernements Wilna, Grodno und Minsk sollte dies hingegen schrittweise erfolgen. Tatsächlich löste in Kiew 1835 das russische Munizipalrecht das Magdeburger Recht ab, und in den übrigen Westgouvernements verlor das Litauische Statut 1840 seine Gültigkeit. Sämtliche noch bis dahin bestehenden Institutionen, die aus der Adelsrepublik übernommen worden waren, wurden aufgelöst. In allen Einrichtungen war fortan Russisch alleinige Amtssprache, und nur den Adelsdeputiertenversammlungen sowie den Adelsmarschällen war es noch erlaubt, ihre Akten auf Polnisch zu führen.21 19 Vgl. Četyre političeskija zapiski grafa Michaila Nikolaeviča Murav’ëva Vilenskago (wie Anm. 11), S. 184; Bericht des Generalgouverneurs von Kiew, Podolien und Wolhynien an Nikolaus I. über den Zustand der Gouvernements Kiew, Podolien und Wolhynien im Jahr 1839, vom 22.3.1840, CDIAK f.442, op.1, d.2788, l.1-107, hier l.25-33ob., hier 28; Schriftliche Notiz „Über die Stimmung der Einwohner in den von Polen zurückgewonnenen Gebieten, ohne Unterschrift, ohne Datum [1836], GARF f.109 s/a, op.2, d.257, l.1-4ob. Siehe auch die Darstellung des Gouverneurs von Grodno, Nikolaj A. Dolgorukov: Ego Imperatorskomu Veličestvu general-ad-jutanta knjazja Dolgorukova. Vsepoddannejšee donesenie. In: Čtenija v obščestve istorii i drevnostej rossijskich. Heft 1 (1864). S. 175–197. 20 Namentlicher Ukaz Nikolaus’ I. vom 1.1.1831. In: Polnoe sobranie zakonov Rossijskoj Imperii s 1649 goda, Reihe II (PSZ II). 55 Bände. St. Petersburg 1830–1885. Band 6,1, Nr. 4.233, S. 1. 21 Namentlicher Ukaz Nikolaus’ I. vom 26.6.1840. In: PSZ II, Bd. 15,1, Nr. 13.591, S. 443–445.



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In der Frage des Austauschs polnischer durch russische Beamte setzte sich Murav’ëv hingegen nur teilweise durch. Murav’ëv hatte in dieser Frage einen besonders radikalen Standpunkt vertreten und den sofortigen Austausch aller polnischer Amtsträger gefordert. Diese seien sämtlich illoyal und durch russische Staatsdiener zu ersetzen.22 Auch wenn dieser Vorschlag nicht verwirklicht wurde, so waren die Gouverneure fortan dazu angehalten, offenen Stellen mit Personen zu besetzen, die nicht aus den Westgouvernements stammten.23 Damit sollten polnische Amtsträger schrittweise ausgetauscht und durch Ortsfremde, jedoch nicht zwangsläufig Russen, ersetzt werden. Dennoch blieb das Ziel, die Zahl der russischen Beamten zu erhöhen. Schnell kam man im Komitee für die Westgouvernements darin überein, dass dazu materielle Anreize geboten werden müssten.24 Murav’ëvs Einfluss auf die russische Polenpolitik lässt sich nicht zuletzt daran ablesen, dass der Zar selbst sich seiner Argumente bediente. Murav’ëv hatte die polnischen Wahlbeamten als ausschlaggebend für das Versagen der staatlichen Institutionen während des Novemberaufstandes bezeichnet. Nikolaus I. benutzte in seinem Namentlichen Ukaz vom 30.  Oktober 1831 genau dieses Argument, um die örtliche Polizei nicht länger vom Adel wählen, sondern von der Gouvernementsregierung einsetzen zu lassen: Um eine Unordnung, wie sie in den Westgouvernements im Zuge des Aufruhrs im ehemaligen Königreich Polen aufkam, zu verhindern, sind entschiedene und strenge Maßnahmen erforderlich, die von der gewöhnlichen Verwaltungsordnung in einigen Punkten abweichen. Hätte man diese Maßnahmen rechtzeitig ergriffen, hätte man den allgemeinen Aufruhr eindämmen können. Wir müssen zugeben, dass unter den jetzigen Bedingungen in diesen Gouvernements eine endgültige Ordnung nur dann errichtet und für Ruhe gesorgt werden kann, wenn wir auf der einen Seite einige dauerhafte Veränderungen in der zivilen Verwaltung vornehmen und auf der anderen Seite der örtlichen Regierung zeitweilig die besondere Befugnis zubilligen, die Beamten der Polizei zu ernennen, und ihr damit die Möglichkeit geben, mit jener Geschlossenheit und Strenge zu handeln, die in der momentanen Situation notwendig ist.25

Das vom Generalgouverneur Knjažnin unmittelbar vor dem Novemberaufstand gezeichnete Bild von einer schwachen staatlichen Verwaltung und einem funktionierenden Wahlbeamtentum fand hingegen keinen Widerhall mehr in den Debatten der zentralen Regierungsbürokratie. Murav’ëv hatte in seinen Denkschriften darüber hinaus auch die Exklusion des verarmten Kleinadels aus dem Adelsstand gefordert. Um diese Frage wurde in der zarischen Regierungsbürokratie hart gerungen. Der Ukaz vom 19. Oktober 1831 stellte 22 Četyre političeskija zapiski grafa Michaila Nikolaeviča Murav’ëva Vilenskago (wie Anm. 11), S. 175– 181. 23 Vgl. Thaden, Russia’s Western Borderlands (wie Anm. 17), S. 124. 24 Vgl. das Protokoll des Komitees für die Westgouvernements vom 21.2.1832, RGIA f.1266, op.1, d.10, l.54-54ob. 25 Namentlicher Ukaz Nikolaus’ I. vom 30.10.1831. In: PSZ II, Bd. 6,1, Nr. 4.894, S. 159–160, hier S. 159.

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letztlich ein Kompromiss der unterschiedlichen Ansichten dar. Auf der einen Seite hatte eine Sonderkommission, die 1829 als Vorläufer des Komitees für die Westgouvernements gegründet worden war, vorgeschlagen, die Szlachta nicht vollständig im russischen Adel aufgehen zu lassen. Ihr Konzept erkannte die Eigenheiten des polnischen Adels an und schuf für ihn soziale Sonderkategorien, um dessen Weiterbestehen im russischen Vielvölkerreich zu ermöglichen.26 Auf der anderen Seite standen die Vorstellungen Michail Murav’ëvs. Er plädierte für eine möglichst rasche und umfassende Exklusion der Szlachta aus dem Adelsstand. Den polnischen Adligen sollte eine Frist von einem Jahr gewährt werden, innerhalb derer sie ihre Adelsnachweise beibringen könnten.27 In Nikolaus’ Oktoberukaz fanden die maßvollen Vorstellungen des Sonderkomitees einen deutlicheren Niederschlag als die radikalen Positionen Muarv’ëvs. Der Gouverneur von Grodno hatte sich im Komitee für die Westgouvernements nicht durchsetzen können, da einem endgültigen Ausschluss von Personen aus dem Adel die rechtliche Grundlage fehlte. Auch die Frist von neun Monaten, innerhalb derer sich die Szlachta ohne Adelsnachweis in einen der nichtadligen Stände einzuschreiben hätte, stand nach Ansicht des Komitees nicht im Einklang mit dem geltenden Recht. Niemand könne ohne die Zustimmung der jeweiligen Gemeinschaft in einen städtischen oder ländlichen Stand aufgenommen werden. Diese Vorschrift bestehe aus fiskalischen Gründen, da die Gemeinschaft auch für das kollektive Steueraufkommen verantwortlich sei. Viele würden sich jedoch gegen die Aufnahme von verarmten Kleinadligen sträuben, denn diese neuen Standesgenossen erhöhten die Summe der abzuführenden Steuern, ohne dass von ihnen ein substanzieller Beitrag zu erwarten sei.28 Michail Murav’ëvs Vorstellungen waren deutlich weiter gegangen und hatten auch vor Zwangsmaßnahmen nicht zurückgeschreckt. Er hatte sogar ernsthaft vorgeschlagen, diejenigen Adligen, die keinen Adelsnachweis hatten und sich dennoch weigerten, sich in eine der anderen Stände des Zarenreiches einzuschreiben, an die südöstliche Peripherie des Reiches umzusiedeln. Diese Idee war eine radikalisierte Variante eines älteren Umsiedlungsprojektes aus dem Jahr 1796.29 Die Umsiedlungspläne aus den Zeiten Katharinas II. waren ein Angebot an verarmte polnische Adlige gewesen, das zudem die Überlassung eines Stück Landes beinhaltete. Murav’ëv strebte hingegen eine Strafmaßnahme an, die einer Verbannung an die Reichsgrenze gleichkam. Das Komitee für die Westgouvernements wies Murav’ëvs Projekt deshalb zurück. Eine Umsiedlung von rund 200.000 Menschen sei nicht durchführbar. Weder 26 Journal des Komitees für die Westgouvernements, Eintrag vom 22. und 28.9.1831, RGIA f.1266, op.1, d.8, l. 11-46ob., hier l. 29-31ob. 27 Ebd., l.31ob.-33. 28 Ebd., l.33-35ob. 29 Vgl. Jörg Ganzenmüller: Russische Staatsgewalt und polnischer Adel. Elitenintegration und Staatsausbau im Westen des Zarenreiches (1772–1850). Köln 2013. S. 49–51.



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könne der Staat die anfallenden Kosten aufbringen, noch einer solch gewaltigen Zahl von Neusiedlern ausreichend Grund und Boden zur Verfügung stellen.30 Murav’ëv brachte das Komitee in seiner Sitzung am 5. Oktober 1831 jedoch noch dazu, einer freiwilligen Umsiedlung zuzustimmen. Als potentielle Kandidaten nahm man in erster Linie Aufstandsteilnehmer und allgemein verdächtige Personen in den Blick.31 Auch wenn das Komitee den ursprünglichen Vorschlag in einigen Punkten abgemildert hatte, so zeigte sich Murav’ëv mit dieser Regelung zufrieden, da die Gouverneure nun ein Mittel in der Hand hatten, um gegen die Szlachta ohne festen Wohnsitz vorgehen zu können. Ausdrücklich begrüßte er, dass die Auswahl der Umsiedler den örtlichen Instanzen überlassen wurde. Damit konnten letztlich die Gouverneure entscheiden, inwieweit die Teilnehmer des Novemberaufstandes oder – wie Murav’ëv in seinen Aufzeichnungen ankündigte – die landlose Szlachta umgesiedelt wurde. Darüber hinaus regte Murav’ëv an, die besitzlose Szlachta zunächst für den Militärdienst zu rekrutieren und nur die Untauglichen nach Sibirien zu schicken.32 Die zarische Gesetzgebung trug nach dem Novemberaufstand mitunter ganz deutlich die Handschrift Murav’ëvs. Doch auf welche Weise konnte er seinen radikalen Ansichten Geltung verschaffen? Murav’ëv argumentierte stets von der Position des Experten der westlichen Peripherie, dessen Vorstellungen auf eigener Anschauung beruhten. So betonte er, dass seine Ansichten „auf einer aufmerksamen mehr als zweijährigen Verwaltungstätigkeit im Gouvernement Mogilëv“ basierten.33 Und regelmäßig argumentierte er mit seinen vor Ort erworbenen Kenntnissen, die er als Gouverneur seinen politischen Gegnern in St. Petersburg voraushatte. Er behauptete zum Beispiel, die Einführung des Russischen als Amtssprache würde auf keinerlei Widerstand stoßen, da viele Adelsversammlungen in seinem Gouvernement bereits auf Russisch verhandeln würden – ein sehr unwahrscheinlicher Umstand, für den kein einziges Beispiel belegt ist.34 Auch erklärte Murav’ëv, die Abschaffung des Litauischen Statuts habe sich in Mogilëv bewährt und könne deshalb ebenso in den anderen Westgouvernements durchgeführt werden. Die Menschen in Mogilëv seien froh gewesen, dass mit dem russischen Recht endlich Ordnung einziehe.35 Auch diese Behauptung erscheint wenig glaubwürdig, doch ließ sie sich ohne nähere Kenntnis der Verhältnisse kaum entkräften. Murav’ëv argumentierte also nicht mit einem spezifischen Wissen, das er seinen Kontrahenten in St. Petersburg voraushatte. Vielmehr stellte er 30 Journal des Komitees für die Westgouvernements, Eintrag vom 22. und 28.9.1831, Russländisches Historisches Staatsarchiv (RGIA) f.1266, op.1, d.8, l. 11-46ob., hier 33-35ob.. 31 Journal des Komitees für die Westgouvernements, Eintrag vom 5.10.1831, RGIA f.1266, op.1, d.8, l.52-58, hier 54-55ob. 32 Aufzeichnungen des Gouverneurs von Grodno, Murav’ëv, aus Anlass von Ergänzungen und Änderungen in der Anordnung des Komitees zur Umgestaltung der Szlachta aus dem Oktober 1931, o. D. [Oktober 1831], GARF f.109 s/a, op.2, d.252, l.1-4ob., hier l.2. 33 Četyre političeskija zapiski grafa Michaila Nikolaeviča Murav’ëva Vilenskago (wie Anm. 11), S. 162. 34 Ebd., S. 170. 35 Ebd., S. 171.

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die Verhältnisse in den polnischen Provinzen so dar, dass seine Lösungsvorschläge als die einzig sinnvollen erschienen. Weniger war er ein Experte der Peripherie, als dass er sich als ein solcher ausgab. Seine Position gewann durch diese Inszenierung als Experte für die Westgouvernements an Gewicht. Sein Erfolg beruhte allerdings auch darauf, dass er als Realität in den polnischen Provinzen ausgab, was sich mancher in St. Petersburg als solche vorstellte. Und er war nicht der einzige sachkundige Gewährsmann, der für eine Angleichung der polnischen Strukturen an die Verhältnisse im Zarenreich plädierte. So trat Dmitrij Bibikov, Generalgouverneur von Kiew, für die Abschaffung des Litau­ ischen Statuts ein und begründete diesen Vorschlag mit seiner Kenntnis der regionalen Verhältnisse. Nur ein einheitliches Recht und Gerichtswesen könne das Imperium einen, Sondergesetze würden den separatistischen Geist in der polnischen Bevölkerung aufrechterhalten und ein Rechtssystem bewahren, das der Mehrheit der orthodoxen Einwohner fremd sei.36 Murav’ëv hatte sich erfolgreich als Experte für die Westgouvernements inszeniert und großen Einfluss auf den russischen Polendiskurs genommen. Nach dem Novemberaufstand galten die Polen weithin als unzuverlässige Untertanen, der polnische Adel als schwer integrierbar und die besitzlosen Adligen als Landstreicher.37 Dennoch sah Murav’ëv den polnischen Adel vor dem Januaraufstand 1863 noch nicht als eine nationale Herausforderung, sondern nach wie vor durch die Brille der regulierenden Staatsgewalt. Noch immer beherrschten die von Katharina II. formulierten Leitbilder den Diskurs: In den Provinzen sollte Ruhe und Ordnung herrschen, die lokale Elite sollte sich aus dem grundbesitzenden Adel zusammensetzen und die Untertanen hatten sich dem Zaren gegenüber loyal zu verhalten.38 Allerdings formte und verfestigte sich ein Bild von der Szlachta, das dem Gegenentwurf dieser politischen Ordnungsvorstellungen gleichkam.

36 Vgl. A. Ė. Nol’de: Očerki po istorii kodifikacii mestnych graždanskich zakonov pri Grafe Speranskom. Band 1 (Popytka kodifikacii litovsko-pol’skago prava). St. Petersburg 1906. S. 86–104 und S. 244–250. 37 Vgl. V. A. Chorev: Rol’ pol’skogo vosstanija 1830 g. v utverždenii negativnogo obraza Pol’ši v russkoj literature. In: A. V. Lipatov u. I. O. Šajtanov (Hrsg.): Poljaki i Russkie. Vzaimoponimanie i vzaimoneponimanie. Moskau 2000. S. 100–109. 38 Vgl. Jörg Ganzenmüller: Ordnung als Repräsentation von Staatsgewalt. Das Zarenreich in der litauisch-weißrussischen Provinz (1772–1832). In: Jörg Baberowski [u.a.] (Hrsg.): Imperiale Herrschaft in der Provinz. Repräsentationen politischer Macht im späten Zarenreich. Frankfurt a. M. 2008. S. 59–80.



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Gegen Adel, katholische Kirche und „das polnische Element“: Brüche und Kontinuitäten in Murav’ëvs politischem Denken von 1830 und 1863 Murav’ëv blieb bis 1835 Gouverneur in Grodno. Anschließend verließ er die Westgouvernements und setzte seine Karriere zunächst als Militärgouverneur in Kursk sowie in verschiedenen Funktionen in St. Petersburg fort. 1850 wurde er Mitglied im Staatsrat, 1857 ernannte ihn Alexander II. zum Minister für die Staatsvermögen. Nach seinem vergeblichen Widerstand gegen die Bauernbefreiung war Murav’ëv in der Gunst Alexanders II. gefallen und weitgehend isoliert, intrigierte aber weiterhin gegen seinen politischen Hauptrivalen, den Großfürsten Konstantin Nikolaevič. Am 1. Januar 1862 wurde er schließlich von seinem Ministeramt entlassen.39 Murav’ëvs Ruf als Verwaltungsexperte und Fachmann für die polnischen Provinzen brachte ihn ein Jahr später überraschenderweise noch einmal zurück in die Politik. Nach dem Januaraufstand von 1863 vertraute Alexander II. ihm das Amt des Generalgouverneurs für die Nordwestregion mit Sitz in Wilna an, wo er den Aufstand niederschlagen ließ und die zarische Herrschaft festigte.40 Wie argumentierte Murav’ëv 30 Jahre später in der polnischen Frage? Inwieweit und in welcher Weise hatten sich seine Problemanalyse und seine Lösungsvorschläge verändert? In den Denkschriften Murv’ëvs aus dem Jahr 1863 finden sich viele Forderungen wieder, die er bereits 1830 aufgestellt hatte, damals jedoch nicht hatte durchsetzen können. Abermals forderte er den umgehenden Austausch aller polnischen Amtsträger und die Einführung des Russischen als alleinige Amtssprache. Auch das Bildungswesen wähnte er noch immer in der Hand der katholischen Kirche. Die Schüler hätten jedoch die russische Sprache und die Grundlagen des orthodoxen Glaubens zu lernen. Deshalb sollten sie in einem staatlichen Schulwesen durch russische Lehrer unterrichtet werden. Und auch die finanzielle und institutionelle Stärkung des orthodoxen Klerus hatte sich Murav’ëv erneut auf seine Fahne geschrieben. Dazu sollte nicht zuletzt die Gründung einer höheren kirchlichen Bildungseinrichtung in Wilna beitragen.41 Nach wie vor sah er also in russischen Strukturen und russischem Personal die Gewährleistung der autokratischen Herrschaft an den Rändern des Imperiums. Murav’ëvs Denkschriften von 1863 enthalten allerdings auch wesentliche Änderungen im Vergleich zu seinen Vorschlägen von 1830. Hatte er sich nach dem Novemberaufstand mit dem katholischen Klerus und dem polnischen Kleinadel ausein39 Vgl. Stadelmann, Großfürst Konstantin Nikolaevič (wie Anm. 2), S. 307f. 40 Vgl. Anna A. Komzolova: Politika samoderžavija v Severo-Zapadnom krae v ėpochu Velikich reform. Moskau 2005. S. 40–110. 41 Četyre političeskija zapiski grafa Michaila Nikolaeviča Murav’ëva Vilenskago (wie Anm. 11), S. 186– 197.

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andergesetzt, so spricht er 1863 fast durchgehend vom „polnischen Element“. Er wirft „den Polen“ Überheblichkeit, Anmaßung und Unvernunft vor. Und er hebt den polnischen Adel und den katholischen Klerus nur insofern vom „polnischen Element“ ab, indem er diese als ausgemachte Feinde des Imperiums bezeichnet, die mit ihrer antirussischen Propaganda gegen die Regierung hetzten.42 Auch in den Maßnahmen, die Murav’ëv 1863 vorschlägt, lässt sich im Vergleich zu 1830 eine Radikalisierung erkennen. War er nach dem Novemberaufstand noch für eine Einschränkung der politischen Partizipation eingetreten, so spricht er dreißig Jahre später von einer Niederwerfung des „polnischen Elements“. Nachdem man diesem die Maske der Untertänigkeit vom Gesicht gerissen habe, könne man nicht wieder zu einem Verwaltungssystem zurückkehren, das auf Entgegenkommen beruhe. Die Regierung solle endlich ihre früheren Fehler bei der Verwaltung der nordwestlichen Region einsehen. Diese alten russischen Gebiete müssten nun endgültig Bestandteil des Imperiums werden. Dazu sei das „polnische Element“ zurückzudrängen und im Gegenzug müsse das russische Volkstum gestärkt werden. Konkret sei dies durch zwei Maßnahmen zu erreichen: Alle politisch unzuverlässigen Einwohner polnischer Herkunft seien aus den Westgouvernements umzusiedeln, am besten hinter den Ural. Auf den konfiszierten Gütern seien dann ausschließlich russische Bauern anzusiedeln, um die Orthodoxie und das russische Volkstum in diesen Gebieten zu stärken. Hier knüpfte Murav’ëv an sein gescheitertes Siedlungsprojekt von 1831 an, doch diente es diesmal nicht zur Dezimierung des Kleinadels, sondern zur Russifizierung von Grund und Boden.43 War Murav’ëv nach 1830 also für eine Stärkung der russischen Staatsgewalt gegenüber dem polnischen Adel und der katholischen Kirche eingetreten, so vertrat er 30 Jahre später eine nationalistische Position.44 Nicht den Kleinadel galt es niederzuhalten, sondern das „polnische Element“. Und nicht nur polnische Beamte wollte er aus der lokalen Verwaltung entfernen, sondern die polnische Bevölkerung aus den Westgouvernements verdrängen und durch russische Bauern ersetzen. Es ging ihm 1863 also nicht allein um eine Russifizierung der Verwaltung, sondern um eine Russifizierung des Raumes. Und schließlich trat Murav’ëv auch für eine Russifizierung der indigenen Bevölkerung ein, wenn er das Erlernen der russischen Sprache und des orthodoxen Glaubens zum Kerninhalt des Schulunterrichts erklärte. Seine Vorstellung vom Imperium als Herrschaft der Russen über andere Völker war der Vorstellung eines imperialen russischen Nationalstaates gewichen. Sein Verständnis von Russifizierung entsprang allerdings keiner modernen Nationsvorstellung, sondern griff vielmehr auf eine traditionelle Auffassung russischer Identität zurück, die darunter 42 Ebd. 43 Vgl. Michail Dolbilov u. Aleksej Miller: Zapadnye okrainy Rossijskoj Imperii. Moskau 2006. S. 211– 220. 44 Vgl. auch Theodore R. Weeks: Nation and State in Late Imperial Russia. Nationalism and Russi­ fication on the Western Frontier, 1863–1914. DeKalb 1996. S. 96–98.



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die Orthodoxie, das kyrillische Alphabet und die Autokratie des Zaren verstand. Eine solche Russifizierungspolitik entsprang nicht zuletzt dem bürokratischen Bedürfnis, Ruhe und Ordnung in einer schwer beherrschbaren Region herzustellen.45 Murav’ëv selbst nannte seine politische Zielsetzung auch nie „Russifizierung“. In seinem Verständnis war es eine De-Polonisierung, da die Region ein historischer Bestandteil des Russischen Reiches sei, das vom polnischen Adel und dem katholischen Klerus zu Zeiten der Adelsrepublik polonisiert worden sei. In diesem Sinne ging es Murav’ëv und anderen Verfechtern einer Russifizierungspolitik darum, einen imaginierten „Naturzustand“ wiederherzustellen.46 Murav’ëvs Vorstellungen vom Russischen Imperium hatten sich zwischen seinem Amtsantritt als Vizegouverneur in Grodno 1827 und seiner Tätigkeit als Generalgouverneur für die Nordwestregion 1863 also grundsätzlich gewandelt. Verstand er das Imperium im Westen zu Beginn seiner Karriere noch als russische Herrschaft über die polnischen Provinzen, so erblickte er 30 Jahre später darin die autokratische Herrschaft des Zaren in einer russischen Provinz. Die Konsequenz dieser Nationalisierung von Autokratie und Imperium war eine Russifzierungspolitik, die nicht länger danach trachtete, fremdstämmige Bewohnern des Imperiums zu treuen Untertanen des Zaren zu machen, sondern vielmehr zu Angehörigen der russischen Nation.

Fazit Michail Murav’ëv war zwischen 1816 und 1863 einen weiten Weg gegangen. Und es waren seine Vorstellungen vom Imperium, die aus dem jungen Modernisierer einen unnachgiebigen Russifizierer werden ließen. Am Beginn seiner politischen Tätigkeit war er noch vehement für eine stärkere Partizipation der Gesellschaft an der staatlichen Politik eingetreten. Nach dem Dekabristenaufstand verstand er Modernisierung nicht mehr als Ausweitung der Partizipation, sondern als Ausbau der zentralen Staatsgewalt. Kleinadlige und nichtadlige Elemente wollte er aus der staatlichen Verwaltung fernhalten und die Regierung in St. Petersburg sollte einen wirkungsvollen Zugriff auf die Provinzen ihres Reiches bekommen. Seine Vorstellungen vom Staatsausbau veränderten sich wiederum während seiner Amtszeit als Gouverneur in den Westgouvernements. Die dort vorgefundene Realität widersprach seinen politischen Absichten fundamental. So nahm er die Vielfalt des Imperiums zuvorderst als ein Herrschaftsproblem wahr. Der Novemberaufstand festigte seine Überzeugung, dass die zarische Staatsgewalt in den polnischen Provinzen schwach sei, weil der Kleinadel dort stark war. Fortan versuchte er, die regionalen politischen Gestaltungs45 Vgl. Mikhail Dolbilov: Russification and the Bureaucratic Mind in the Russian Empire’s North­ western Region in the 1860ss. In: Kritika: Explorations in Russian and Eurasian History 5. Heft 2 (2004). S. 245–271. 46 Vgl. Staliūnas, Making Russians (wie Anm. 3), S. 65.

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möglichkeiten des polnischen Adels zurückzudrängen. Als er 30 Jahre später in die Westgouvernements zurückkehrte, hatten sich seine sozialen Vorbehalte gegenüber dem polnischen Kleinadel in nationale Vorurteile gewandelt. „Die Polen“ waren zu einem Feindbild geworden, und die beste Lösung der „polnischen Frage“ sah er im Verschwinden der Polen: sei es durch Umsiedlung oder durch Assimilation. Murav’ëv hatte sich in seiner Karriere zweimal erfolgreich als Experte für die westliche Peripherie des Zarenreiches ins Spiel gebracht und konnte daraufhin die zarische Polenpolitik in zwei entscheidenden Krisensituationen mitgestalten. Er galt zwar als kompromisslos, und seine Position war auch innerhalb der Regierungselite umstritten, doch gerade infolge der beiden Aufstände konnte er sich mit seiner unnachgiebigen Haltung durchsetzen. Indem er sich als Experte der westlichen Peripherie inszenierte, spielte er bewusst mit seinem vermeintlichen Wissen um die Verhältnisse vor Ort. Tatsächlich lassen sich jedoch in seinem Denken weder Korrekturen noch Differenzierungen von vorgefassten Meinungen im Zuge seiner Tätigkeit in den polnischen Provinzen feststellen. Vielmehr entsteht der Eindruck, die Konfrontation mit einer komplexen und schwer zu regulierenden Realität habe Murav’ëv in seiner Forderung nach einfachen und rigorosen Maßnahmen noch bestärkt. Eine imperiale Biographie geht somit nicht zwangsläufig mit einem besseren Verständnis von der Heterogenität und der Komplexität des Imperiums einher. Murav’ëv sah die autokratische Herrschaft des Zaren vielmehr durch die strukturelle Vielfalt des Imperiums bedroht. So wurde er aufgrund seiner imperialen Erfahrungen zu einer treibenden Kraft für Unifizierung und Zentralisierung, die er als Voraussetzungen für den angestrebten Staatsausbau betrachtete. Das Imperium war für Murav’ëv somit eine doppelte Projektionsfläche. Es stand gleichermaßen für Russlands Größe und für eine Bedrohung der Autokratie.

Ulrich Hofmeister

Der Halbzar von Turkestan Konstantin fon-Kaufman in Zentralasien (1867–1882)

Abb. 6: Konstantin Petrovič fon-Kaufman (1818–1882)

„Weißt Du, Kaufman, ich habe beschlossen, Dich aus Wilna abzuberufen.“ Mit diesen lakonischen Worten verkündete Zar Alexander II. im Oktober 1866 dem völlig überraschten Konstantin fon-Kaufman seine Entlassung vom prestigeträchtigen Amt als Generalgouverneur der Nordwestgebiete, das dieser nur eineinhalb Jahre innegehabt hatte. Kaufman berichtete später, er sei von dieser niederschmetternden Nachricht so betroffen gewesen, dass er den Helm seiner Uniform im Audienzzimmer des Zaren vergessen habe.1

1 Dieser Artikel entstand im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierten Projektes „Imperiale Herrschaftsausübung im osmanischen und russländischen Reich – die Umsetzung der Modernisierungs- und Integrationspolitik in Südosteuropa und Zentralasien im 19. Jahrhundert“. Der Autor bedankt sich für die Unterstützung der DFG. A.A. Semënov: Pokoritel’ i ustroitel’ Turkestanskogo Kraja, general-ad’’jutant K.P. fon-Kaufman I-j. Materialy dlja biografičeskogo očerka. In: Kaufmanskij sbornik, izdannyj v pamjat’ 25 let, istekšich so dnja smerti pokoritelja i ustroitelja Turkestanskogo kraja general-ad’’jutanta K.P. fon-Kaufmana I-go. Moskau 1910. S. III–LXXXIV, hier S. VIIf. Eine hiervon deutlich abweichende Schilderung von

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 Ulrich Hofmeister

Als Konstantin Petrovič fon-Kaufman im Frühling 1865 zum Generalgouverneur von Wilna ernannt worden war, war dies der strahlende Höhepunkt einer bisher mustergültigen Karriere gewesen, und seine plötzliche Entlassung wurde als umso schwerere Demütigung angesehen.2 Seine Absetzung war auf Betreiben des Innenministers P.A. Valuev und des Chefs der Geheimpolizei P.A. Šuvalov geschehen, mit denen sich Kaufman zuvor einen erbitterten Kleinkrieg geliefert hatte.3 Kaufman verlor die Gunst des Zaren allerdings nicht ganz, und bereits einige Monate später wurde er zum Generalgouverneur der neu eroberten zentralasiatischen Provinz Turkestan ernannt. Doch im Vergleich zu Wilna war auch diese Position ein Abstieg: In den Nordwestgebieten war Kaufman als Nachfolger des energischen M.N. Murav’ëv für eine strategisch bedeutsame Region verantwortlich gewesen, in der der polnische Aufstand von 1863 gerade erst niedergeschlagen worden war.4 Nahe der Hauptstadt St. Petersburg gelegen und trotz seiner gemischten Bevölkerung als „russisches Kernland“ beansprucht, hatte diese Region für das Imperium höchste Priorität. Die Versetzung in die zentralasiatische Wüsten- und Steppenprovinz, weitab vom politischen und gesellschaftlichen Leben der Hauptstadt, war daher schwerlich ein Ersatz für den Verlust des Postens in Wilna. Kaufman bedauerte seine Versetzung an die zentralasiatische Peripherie auch selbst,5 doch letztlich erwies sich diese für ihn als einzigartige Chance zur persönlichen Profilierung. Obwohl sich im hochzentralisierten Zarenreich das gesamte politische, kulturelle, wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben auf die beiden Hauptstädte St. Petersburg und Moskau konzentrierte, konnte Kaufman gerade auch durch den Dienst in der Peripherie an politischem Gewicht gewinnen. In den vierzehn Jahren seiner Amtszeit bis zu seinem Tod 1882 erarbeitete er sich abseits vom Getümmel und den Intrigen des Hofes und der Ministerien und außerhalb des Blickfeldes der Öffentlichkeit den Ruf als einer der fähigsten russischen Staatsmänner des 19. Jahrhunderts, so dass ihm die russische Geschichtsschreibung noch heute als „Errichter Turkestans“ huldigt.6 Kaufmans Entlassung bietet E.M. Tolbuchov: V bor’be za russkoe delo. Ėpizod iz godusarstvennoj dejatel’nosti K.P. fon-Kaufmana. In: Istoričeskij Vestnik 116 (1909). S. 91–131, hier S. 125–128. 2 Eine (frei ausgeschmückte) Schilderung aus dem Jahr 1913 bringt deutlich zum Ausdruck, wie sehr Kaufmans Entlassung aus Wilna als Demütigung wahrgenommen wurde: G.P. Fëdorov: Moja služba v Turkestanskom krae. In: Istoričeskij vestnik 133 (1913). S. 786–812; 134 (1913). S. 33–55, S. 437–467, S. 860–893; hier 133 (1913). S. 804. Ähnlich auch Tolbuchov, V bor’be (wie Anm. 1), S. 128. 3 M.D. Dolbilov: Russkij kraj, čužaja vera. Ėtnokonfessional′naja politika imperii v Litve i Belorussii pri Aleksandre II. Moskau 2010. S. 412–422. 4 Siehe zu Murav’ëv den Beitrag von Jörg Ganzenmüller in diesem Band. 5 Tolbuchov, V bor’be (wie Anm. 1), S. 130f. 6 So etwa D.V. Vasil’ev: Ustroitel’ Turkestanskogo Kraja. K biografii K.P. fon-Kaufmana. In: Sbornik Russkogo istoričeskogo obščestva 5 (2002). S. 45–57. Ein sehr positives Bild von Kaufman vermittelt auch David MacKenzie: Kaufman of Turkestan. An Assessment of His Administration 1867–1881. In: Slavic Review 26 (1967). S. 265–285, hier S. 285; ebenso V.V. Korneev: Upravlenie Turkestanskim kraem. Real’nost’ i „pravovye mečtanija”. 60-e goda XIX v. – fevral’ 1917 goda. In: Voprosy istorii 7



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Dieser Nachruhm steht in deutlichem Gegensatz zu der schlechten Presse, die Kaufman zu Lebzeiten in Russland hatte, da er immer wieder in Konflikt mit verschiedenen St. Petersburger und Moskauer Blättern stand. Doch bereits wenige Jahre nach seinem Tod drehte sich der Wind, und das öffentliche Kaufman-Bild wurde immer positiver, bis ein regelrechter Kult um den ersten Generalgouverneur von Turkestan entstand. Diese Verehrung wurde auch von einigen seiner Nachfolger im Amt des Generalgouverneurs befördert, die hofften, durch Huldigungen an Kaufman auch ihrer eigenen Position wieder mehr Autorität zu verschaffen.7 Ehemalige Mitarbeiter gaben nun zahlreiche Erinnerungsbände heraus, in denen sie Kaufmans Tätigkeit in möglichst positivem Licht darstellten.8 Trotz ihrer Voreingenommenheit zugunsten Kaufmans sind diese Bücher und Aufsätze heute wichtige Quellen zum Leben Kaufmans. Private Dokumente von Kaufman sind nur in geringer Anzahl überliefert, doch auch sein offizieller Schriftverkehr mit seinen Vorgesetzten und anderen Institutionen des Imperiums und seine Reden an die Bevölkerung Turkestans können zu seinem Leben und seinen Ansichten Auskunft geben. Anhand dieser Quellen wird im vorliegenden Beitrag gezeigt, wie es Kaufman in Turkestan gelang, die Gegebenheiten des Imperiums zu nutzen, um persönlich und politisch an Format zu gewinnen. Für eine Analyse des Lebens Konstantin fon-Kaufmans ist der Blickwinkel der „imperialen Biographie“ aus mehreren Gründen sehr ergiebig:9 Kaufmans Karriere ist ein geradezu exemplarisches Beispiel für die Elitenzirkulation im Zarenreich, in deren Rahmen eine Schicht von hohen Beamten und Militärs nacheinander in unterschiedlichen Randgebieten des Reiches ihren Dienst versah, und die so maßgeblich zur Ausgestaltung des Imperiums beitrug. Zudem war Kaufman als höchster Vertreter (2001). S. 56–70. Eine von jeder Kritik ungetrübte Bewunderung Kaufmans vermittelt schließlich E.A. Gluščenko: Geroi Imperii. Portrety rossijskich kolonial’nych dejatelej. Moskau 2001. 7 Zum Kaufman-Gedenken in Turkestan siehe auch Jeff Sahadeo: Empire of Memories. Conquest and Civilization in Imperial Russian Tashkent. In: Canadian Slavonic Papers 46 (2004). S. 395–417. 8 Zum vorrevolutionären Schrifttum über Kaufman gehören u. a. Semënov, Pokoritel’ (wie Anm. 1); Tolbuchov, V bor’be (wie Anm. 1); Fëdorov, Moja služba (wie Anm. 2); D.G. Kolokol’cev: Vospo­ minanija general-lejtenanta Kolokol’ceva 1887 goda. O Konstantine Petroviče Kaufmane. Moskau 1887; A.V. Eval’d: Vospominanija o K.P. fon-Kaufmane. In: Istoričeskij Vestnik 70 (1897). S. 184–199; N.P. Ostroumov: K istorii narodnogo obrazovanija v Turkestanskom krae. Konstantin Petrovič fonKaufman – ustroitel’ Turkestanskogo kraja. Ličnye vospominanija N. Ostroumova 1877–1881 g.g. Taš­kent 1899; Kaufmanskij sbornik, izdannyj v pamjat’ 25 let, istekšich so dnja smerti pokoritelja i ustroitelja Turkestanskogo kraja general-ad’’jutanta K.P. fon-Kaufmana I-go. Moskau 1910; E.M. Tolbuchov: Ustroitel’ Turkestanskogo Kraja. In: Istoričeskij vestnik 132 (1913). S. 891–909; I. Poljanskij: Pamjati Konstantina Petroviča fon-Kaufmana. St. Petersburg 1913; A.G. Propaščin: General-Ad’’jutant Konstantin Petrovič fon-Kaufman kak ustroitel’ Turkestanskogo kraja 1867–1882. Taškent 1913; V.I. Čižov: General-Ad’’jutant inžener-general Konstantin Petrovič fon-Kaufman 1818–1882. Biografičeskij očerk. Petrograd 1915. 9 Dieser Aufsatz orientiert sich am Konzept der imperialen Biographie, wie es als Analysewerkzeug von Malte Rolf vorgeschlagen wurde, siehe Malte Rolf: Imperiale Biographien. Lebenswege imperialer Akteure in Groß- und Kolonialreichen (1850–1918) – zur Einleitung. In: Malte Rolf (Hrsg.): Imperiale Biographien. Themenheft Geschichte und Gesellschaft 40. Heft 1 (2014). S. 1–16.

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des Zaren in Zentralasien das „Gesicht“ des Imperiums, dessen Machtanspruch er verkörperte, und dessen gesellschaftliche und politische Grundprinzipien er auch in Turkestan verankern wollte. Und schließlich war das Imperium für Kaufman auch der Rahmen, in dem er seine persönlichen Ambitionen verwirklichte: Trotz seines deutschen Familiennamens gelang es ihm hier, nicht nur als bedeutender Staatsmann, sondern auch als „echter Russe“ anerkannt zu werden. Eine wichtige Ressource für Kaufmans Karriere war zweifellos seine Herkunft aus bestem Hause. Er entstammte einem alten Tiroler Adelsgeschlecht, dessen Zweige sich seit dem 17. Jahrhundert in ganz Europa zerstreut hatten. Sein Großvater trat in den 1770er Jahren in die Dienste des Zaren und nahm den orthodoxen Glauben an. Sowohl Kaufmans Großvater als auch sein Vater dienten in der Armee des Zarenreichs und wurden dafür ausgezeichnet; Kaufmans Vater brachte es bis zum General. Konstantin fon-Kaufman selbst, geboren 1818 im Gebiet Kongresspolens, besuchte die elitäre Militärische Nikolaevskij-Lehranstalt in St. Petersburg. Er diente dreizehn Jahre lang im Kaukasus, nahm am Krimkrieg teil und wurde schließlich 1861 Kanzleidirektor unter Kriegsminister D.A. Miljutin. In den Jahren 1865 und 1866 folgte das Zwischenspiel als Generalgouverneur der Nordwestgebiete, bevor er 1867 zum Generalgouverneur von Turkestan berufen wurde. Kaufman hatte zu diesem Zeitpunkt also bereits sowohl in der Armee als auch im Verwaltungsdienst Erfahrung gesammelt und dabei die wichtigsten Krisenherde des Reiches aus eigener Anschauung kennengelernt.10 Kaufmans Karriere kann als Musterbeispiel einer imperialen Biographie gelten. Sie ist in vielerlei Hinsicht typisch für die hohen Funktionäre, die das Zarenreich im 19. Jahrhundert in seinen nichtrussischen Randregionen repräsentierten. Diese oft hochmobilen Vertreter des Staates wurden nacheinander in den unterschiedlichsten Gebieten eingesetzt, so dass sie im Laufe ihres Dienstes im ganzen Zarenreich ihre Spuren hinterließen. Auch wenn es kein festes Muster für die imperiale Beamtenzirkulation gab, war für eine führende Position im neu eroberten Zentralasien offenbar die Erfahrung im Kaukasus eine Voraussetzung. So hatten Kaufmans Vorgänger, die Gouverneure M.G. Černjaev und D.I. Romanovskij, ebenfalls zuvor im Kaukasus gedient.11 Doch auch der Wechsel von den Nordwestgebieten nach Zentralasien war keine Ausnahme: Neben Kaufman war N.A. Kryžanovskij das prominenteste Beispiel für hohe Staatsmänner, die nacheinander in diesen beiden Regionen dienten. Kryžanovskij hatte hohe Posten in Warschau und Wilna inne, bevor er 1865 zum Generalgouverneur von Orenburg ernannt wurde. Für kurze Zeit fiel damit auch Turkestan in seine Kompetenz, bevor dieses zu einem eigenen Generalgouvernement erhoben wurde. Erst um die Jahrhundertwende, als Turkestan bereits mehrere Jahrzehnte unter russischer 10 Zur Biographie Kaufmans noch immer maßgeblich: Semënov, Pokoritel’ (wie Anm. 1). 11 David MacKenzie: Lion of Tashkent: The Career of General M. G. Cherniaev. Athens, GA 1974. S. 26– 28; D.V. Vasil’ev: Russkij Turkestan. Sud’ba i vlast’. Turkestanskie general-gubernatory v 1865–1886 gg. In: N.G. Suvorova (Hrsg.): Aziatskaja Rossija. Ljudi i struktury imperii. Omsk 2005. S. 351–392, hier S. 354f, S. 360.



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Herrschaft stand, wurde mit N.A. Ivanov erstmals ein Generalgouverneur ernannt, der praktisch seine ganze Karriere hindurch in Zentralasien selbst eingesetzt worden war. Doch insgesamt dominierten in Turkestan auch weiterhin mobile „Spezialisten für die Peripherie“, die wie Kaufman dazu beitrugen, das Zentrum des Reichs und die unterschiedlichen Peripherieregionen miteinander zu vernetzen.

Militärischer Ruhm Als Kaufman im Herbst 1867 seinen Dienst in Taschkent antrat, der Hauptstadt des neugegründeten Generalgouvernements Turkestan, war die Eroberung Zentralasiens noch in vollem Gange. Das jahrhundertelange schrittweise Vordringen des Zarenreichs in die Steppe hatte in den Jahrzehnten zuvor immer mehr an Fahrt gewonnen, so dass die russischen Generäle seit den 1860er Jahren nun auch die fruchtbaren, dicht besiedelten Flussoasen im südlichen Zentralasien ins Visier nahmen. Im Februar 1865 wurden Teile dieser Region dem Zarenreich angegliedert und als „Gebiet Turkestan“ dem Generalgouvernement Orenburg unterstellt. Zum ersten Gouverneur von Turkestan wurde M.G. Černjaev ernannt, der kurz darauf auf eigene Initiative hin Taschkent eroberte – ein wirtschaftliches Zentrum der Region. Doch Černjaev wurde aufgrund seiner Unberechenbarkeit schon bald wieder abgesetzt, und im Sommer 1867 wurde schließlich der Entschluss gefasst, ein eigenes Generalgouvernement Turkestan zu errichten, an dessen Spitze Konstantin fon-Kaufman berufen wurde. Dieses neue Generalgouvernement wurde nicht in die regulären Strukturen des Imperiums eingegliedert, sondern unter militärische Sonderverwaltung gestellt. Dies lag zum einen an der großen Entfernung, die Turkestan vom Zentrum des Reiches trennte: Zu Kaufmans Zeiten war eine beschwerliche Reise von über einem Monat notwendig, um von St. Petersburg nach Taschkent zu kommen,12 doch auch um die Jahrhundertwende, als bereits eine Eisenbahnlinie gebaut worden war, brauchte man noch knapp zwei Wochen für die Fahrt.13 Dazu kam, dass sich die einheimische Bevölkerung deutlich von den neuen russischen Herren des Landes unterschied: Die turk- und persischsprachigen Bewohner der Flussoasen galten in Russland als Inbegriff des Exotischen. Städte wie Buchara und Samarkand waren alte Zentren islamischer Kultur und Gelehrsamkeit; auf Reisende aus dem Zarenreich wirkten sie wie Bilder aus Tausendundeiner Nacht.14 In den kargen Steppen- und Gebirgsregionen lebten hingegen nomadische Viehhirten, deren Lebensweise an die harschen klimatischen Gegebenheiten der Region angepasst war. In den Augen gebildeter Russen repräsentierte das Nomadentum aber eine ferne Stufe der prähistorischen Vergangen-

12 MacKenzie, Kaufman (wie Anm. 6), S. 268. 13 V.F. Duchovskaja: Turkestanskie Vospominanija. St. Petersburg 1913. S. 5–16. 14 Duchovskaja, Vospominanija (wie Anm. 13), S. 17–23.

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heit. Dass Zentralasien aus russischer Sicht so fremd war, lag schließlich auch daran, dass seine Bewohner – Sesshafte wie Nomaden – überwiegend Muslime waren. Für Kaufman war die Versetzung nach Turkestan eine Möglichkeit, seinen guten Ruf wieder herzustellen, der durch das Scheitern in Wilna empfindlich gelitten hatte. Da er als Generalgouverneur auch den Oberbefehl im Militärbezirk Turkestan innehatte, bot sich ihm hier eine einzigartige Gelegenheit, sich militärisch zu profilieren. Die Unterwerfung des Kaukasus war zu diesem Zeitpunkt weitgehend abgeschlossen, und auch in der Amur-Region war die Expansion mit dem Frieden von Peking vorläufig beendet. Daher war Zentralasien bis zum Ende der 1870er Jahre die wichtigste Bühne, auf der ein ehrgeiziger General militärischen Glanz erwerben konnte. Für Kaufman bot ein schwelender Konflikt mit dem Emirat Buchara die Gelegenheit dazu.15 Nach kurzem Zögern setzte er die offensive Strategie seiner Vorgänger fort und eroberte im Frühjahr 1868 mit minimalen Verlusten große Gebiete von Buchara – darunter auch die Stadt Samarkand, die ehemalige Hauptstadt des legendären Tamerlan. Kaufman wurde dafür mit den Georgsorden 3. Klasse ausgezeichnet. Nach weiteren kleineren Feldzügen wandte sich Kaufman 1873 dem Khanat von Chiva zu. Diese Oasensiedlung galt als besonders schwer zu erobern, da sie von allen Seiten von Wüsten umgeben war. Zudem waren bereits 1717 und 1839 zwei russische Expeditionen gegen Chiva gescheitert. Entsprechend groß waren nun die Erwartungen der russischen Öffentlichkeit. Im März 1873 erfolgte unter Kaufmans Oberkommando ein konzentrierter Vorstoß auf Chiva: Aus vier Richtungen drangen russische Truppen auf die Oasenstadt vor. Als die von Kaufman persönlich geführte Einheit aus Taschkent Chiva erreichte, hatten die anderen russischen Truppen Chiva bereits sturmreif geschossen, auf Kaufmans ausdrücklichen Befehl hin mit dem Einmarsch in die Stadt aber noch nicht begonnen. So konnte Kaufman nach seinem Eintreffen triumphal in die Stadt einziehen. Für die Unterwerfung dieses alten Gegners des Zarenreichs bekam Kaufman nun auch den Georgsorden 2. Klasse verliehen – eine Auszeichnung, die bis zum Ende des Zarenreichs lediglich 125 Personen zugesprochen wurde, und die Kaufman auch in privaten Gesprächen mit Stolz erwähnte.16 In diesen und weiteren Feldzügen in Zentralasien erwarb sich Kaufman den Namen eines erfolgreichen Feldherrn. Allerdings schloss ihn die Abgelegenheit Turkestans von der Teilnahme an den europäischen Kriegen aus, denen noch deutlich größeres Prestige zugemessen wurde. In einem Brief an Kriegsminister Miljutin aus dem Jahr 1876 bat Kaufman daher darum, auch in einem erwarteten Krieg mit dem Osmanischen Reich oder gar Großbritannien eingesetzt zu werden: „Sie werden verstehen, Dmitrij Alekseevič, wie es mir geht, wenn ich hier sitze und keine andere 15 Zu den Feldzügen Kaufmans siehe Semënov, Pokoritel’ (wie Anm. 1); David MacKenzie: The Conquest and Administration of Turkestan 1860–1885. In: Michael Rywkin (Hrsg.): Russian Colonial Expansion to 1917. London [u.a.] 1988. S. 208–234; sowie mehrere Beiträge in Alexander Morrison (Hrsg.): The Russian Conquest of Central Asia. Themenheft Central Asian Survey 33. Heft 2 (2014). 16 Eval’d, Vospominanija (wie Anm. 8), S. 195.



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Beschäftigung habe, als Emire zu beobachten, während sich andere auf den türkischen und übrigen europäischen Schlachtfeldern schlagen“.17 Kaufmans Bitte wurde jedoch nicht erhört, auch am Russisch-Türkischen Krieg von 1877/78 durfte Kaufman nicht teilnehmen. Dennoch war er sich vermutlich durchaus auch der Vorteile der peripheren Lage Turkestans bewusst: Nur hier hatte er die Möglichkeit, sich mit einer Reihe von relativ schnellen Siegen als Feldherr ersten Ranges zu positionieren.

Turkestan und das Imperium Obwohl Turkestan in das imperiale Beamten-Karussell eingebunden war, nahm es unter den Randgebieten des Zarenreichs eine Sonderstellung ein. So verfügte die zentralasiatische Provinz zunächst über praktisch keine russischsprachige Bevölkerung. Die ersten Einwanderer kamen erst mit der Eroberung durch das Zarenreich, und zu Kaufmans Zeiten waren es fast nur Soldaten, Beamte und einige Kaufleute, die sich in Turkestan niederließen. Erst seit den 1890er Jahren stieg die Zahl der bäuerlichen Siedler langsam an, doch auch 1897, dreißig Jahre nach der Gründung des Generalgouvernements, machten die Einwanderer erst zwei Prozent der Gesamtbevölkerung Turkestans aus.18 Zwischen den Zuwanderern aus dem Zarenreich und den Einheimischen gab es nur wenig Vermischung: Die Einwanderer errichteten neben den alten zentralasiatischen Städten eigene Stadtteile, in denen sie weitgehend unter sich blieben.19 Aufgrund der religiösen Schranke zwischen den überwiegend christlichen Zuwanderern und den muslimischen Zentralasiaten blieben Mischehen die absolute Ausnahme. Zu dieser sozialen Trennung kam die rechtliche: Die Einheimischen wurden nicht in das 17 K.P. fon-Kaufman: Brief an D.A. Miljutin vom 2. November 1876. Veröffentlicht unter: „Vojska naši takaja prelest’, čto nel’zja predstavit’ ničego lučšego“. Pervyj turkestanskij general-gubernator. 12 let perepiski. In: Istočnik. Dokumenty russkoj istorii Heft 1 (2003). S. 5–21; Heft 2 (2003). S. 8–23, hier Heft 2 (2003). S. 19. 18 Angaben laut der Volkszählung von 1897 für das damalige Gebiet des Generalgouvernements Turkestan. Zur Berechnung der Anzahl der Siedler wurden die Angaben zu den Angehörigen christlicher Konfessionen herangezogen. Wenn man das Gebiet Semireč’e dazurechnet, in dem der Anteil der Siedler am größten war, das aber seit 1882 nicht mehr zum Generalgouvernement Turkestan gehörte, ergibt sich ein Siedleranteil von knapp über drei Prozent. Siehe: Institut demografii Nacional’nogo issledovatel’skogo universiteta „Vysšaja škola ėkonomiki“: Pervaja vseobščaja perepis’ naselenija Ros­ sijskoj Imperii 1897 g., Raspredelenie naselenija po veroispovedanijam i regionam. http://demoscope. ru/weekly/ssp/rus_rel_97.php?reg=0 (12.03.2014). 19 Peter Weisensel: Russian-Muslim Inter-Ethnic Relations in Russian Turkestan in the Last Years of Empire. In: John Morison (Hrsg.): Ethnic and National Issues in Russian and East European History. Selected papers from the Fifth World Congress of Central and East European Studies. Basingstoke 2000. S. 47–60. Jeff Sahadeo zeigt am Beispiel der Hauptstadt Taschkent in einer detaillierten Studie die Dynamik des kolonialen Zusammenlebens in Turkestan auf, siehe Jeff Sahadeo: Russian Colonial Society in Tashkent, 1865–1923. Bloomington 2007.

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Ständesystem des Zarenreichs integriert, sondern in einen neu geschaffenen Sonderstand der tuzemcy („Einheimische“) zusammengefasst, der ihnen gewisse Sonderrechte zusprach. Manche zeitgenössischen Beobachter forderten daher, Zentralasien als Kolonie des Zarenreichs zu betrachten, während andere Turkestan als integralen Bestandteil des Reiches ansahen.20 Diese Ambivalenz blieb auch in den folgenden Jahrzehnten bestehen. Auch wenn Turkestan schrittweise enger an das Imperium angebunden wurde, stand es bis 1917 unter quasi-kolonialer militärischer Sonderverwaltung. Kaufman setzte sich massiv dafür ein, Turkestan innerhalb des Imperiums eine Sonderstellung einzuräumen. Mit dem Argument, dass die große Entfernung zur Hauptstadt die Kommunikation mit der Regierung erschwerte und autonomes Handeln der lokalen Führung erforderlich machte, bekam Kaufman von Zar Alexander II. außergewöhnlich große Kompetenzen zugesprochen. Er konzentrierte die oberste zivile und militärische Gewalt in seiner Person und war nur dem Kriegsminister und dem Zaren persönlich verantwortlich, als dessen direkter Vertreter in Turkestan er fungierte.21 Die Versuche der zivilen Ministerien in St. Petersburg, mehr Einfluss in Turkestan zu gewinnen, konnte Kaufman in den folgenden Jahren weitgehend abwehren – unter anderem mit dem Argument, dass Turkestan als Kolonie zu betrachten sei und daher nicht mit den übrigen Gebieten des Zarenreichs zu vergleichen sei.22 Kaufman bemühte sich, Turkestan auch unter den unterschiedlichen Peripherieregionen des Imperiums eine Sonderstellung zuzusprechen. Ein Grund dafür war sicherlich auch, dass ihm dies ermöglichte, sich in Zentralasien sein eigenes kleines Reich zu schaffen, in dem er weitgehend ungestört schalten und walten konnte. Er bemühte sich erfolgreich darum, vor allem seine beiden großen Widersacher aus seiner Wilnaer Zeit aus Turkestan fernzuhalten – das Innenministerium und die Geheimpolizei.23 Kaufman betrachtete das Zentrum des Reiches in erster Linie als eine Quelle unerwünschter Einmischungen. In den Bereichen, in denen die zivilen Ministerien in Turkestan bereits tätig waren, beklagte er immer wieder Schikanen und bürokratische Hürden, die seine Selbständigkeit einschränken würden.24 Doch zugleich bot ihm das Zentrum des Reiches auch den notwendigen politischen Rückhalt. Vor allem Kriegsminister Miljutin und Zar Alexander II. hielten ihm stets den Rücken frei und nahmen ihn vor den Begehrlichkeiten der anderen Ministerien in Schutz. In Kaufmans Vorstellung sollte Turkestan eine wirtschaftlich prosperierende Region werden, die sich selbst erhalten konnte und nicht auf Subventionen des Zen-

20 Daniel Brower: Turkestan and the Fate of the Russian Empire. London 2003. S. 9–25. 21 MacKenzie, Kaufman (wie Anm. 6), S. 268. 22 Zitiert nach Brower, Turkestan (wie Anm. 20), S. 22, S. 37. 23 Brower, Turkestan (wie Anm. 20), S. 32; S.N. Abašin, D.Ju. Arapov, B.M. Babadžanov u. a.: Rossija – Srednjaja Azija. Band 1 (Politika i islam v konce XVIII – načale XX vv.). Moskau 2011. S. 127; Poljanskij, Pamjati (wie Anm. 8), S. 9f; Tolbuchov, V bor’be (wie Anm. 1), S. 130. 24 MacKenzie, Kaufman (wie Anm. 6), S. 273–276; Semënov, Pokoritel’ (wie Anm. 1), S. LXXVf.



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trums angewiesen war.25 Im Geiste der Großen Reformen setzte er auf staatliche Initiativen, um die Ressourcen des Landes nutzbar zu machen. Für die Modernisierung der Landwirtschaft ließ Kaufman mehrere Versuchsstationen einrichten, die unter anderem der Pferdezucht, der Seidenproduktion und dem Baumwollanbau dienten. Zudem investierte Kaufmans Verwaltung viel in die wissenschaftliche Erforschung der Region. Sie rüstete mehrere Expeditionen aus, die Kenntnisse über die Geographie, die Bevölkerung, mögliche Bodenschätze und die landwirtschaftliche Nutzung der Region sammeln sollten. Darin ähnelte Kaufmans Vorgehen der Politik der westeuropäischen Kolonialmächte, die zur selben Zeit ähnliche Unternehmung in den Kolonien Asiens und Afrikas förderten. Auch Kaufman selbst betrachtete seine Herrschaft in Turkestan im Kontext der Kolonialherrschaft der Briten und der Franzosen. Er verglich die Bedeutung Zentralasiens für das Zarenreich mit der Indiens für Großbritannien oder Algeriens und Indochinas für Frankreich und orientierte sich auch in seiner Herrschaftspraxis an den Erfahrungen der europäischen Mächte in ihren Kolonien.26 Kaufmans Ziel war es jedoch, Turkestan langfristig in das Imperium zu integrieren. Daher bemühte er sich auch darum, die Verbindungen zwischen seiner Provinz und dem russischen Zentrum zu stärken. In den ersten Jahren seiner Amtszeit wurden Telegraphenverbindungen eingerichtet sowie ein regelmäßiger Verkehr von Postkutschen. Kaufmans Traum, Turkestan an das russische Eisenbahnnetz anzuschließen, wurde jedoch erst nach seinem Tod verwirklicht. Der Annäherung an das Imperium diente auch das Netz von Schulen, das unter Kaufman in Turkestan errichtet wurde. In der Vorstellung des Generalgouverneurs sollte es dazu beitragen, die gerade erst unterworfenen Bewohner Zentralasiens zu loyalen Untertanen des Zaren zu machen. Da die russischen Schulen allerdings auf die besonderen Bedürfnisse der Muslime keine Rücksicht nahmen, wurden sie in den ersten Jahrzehnten nur vereinzelt von Kindern aus der einheimischen Bevölkerung besucht. Die Schlagwörter, mit denen die Ziele der Schulen umschrieben wurden, waren die „Zivilisierung“ und die „Russifizierung“ der Einheimischen Zentralasiens, sowie ihre „Annäherung“ und „Verschmelzung“ mit der übrigen Bevölkerung des Imperiums. Doch auch wenn häufig 25 Für einen Überblick über die wirtschaftlichen Modernisierungsprojekte unter Kaufman siehe Richard Pierce: Russian Central Asia 1867–1917. A Study in Colonial Rule. Berkeley 1960. Kapitel 10–12. 26 K.P. fon-Kaufman: Položenie del v Srednej Azii. In: Turkestanskie Vedomosti 1 (1870). S. 1; Protokol soveščanija Komiteta železnych dorog po obsuždenija proekta F. Lessepsa o stroitel’stve železnoj dorogi iz Rossii v Indiju čerez Srednjuju Aziju. In: A.A. Vigasin u. T.N. Zagorodnikova (Hrsg.): Russkoindijskie otnošenija v XIX v. Moskau 1997. S. 159–164, hier S. 161; K.P. fon-Kaufman: Brief an D.A. Miljutin vom 12. September 1875. Veröffentlicht unter: „Vojska naši takaja prelest’, čto nel’zja predstavit’ ničego lučšego“. Pervyj turkestanskij general-gubernator. 12 let perepiski. In: Istočnik. Dokumenty russkoj istorii Heft 1 (2003). S. 5–21; Heft 2 (2003). S. 8–23, hier Heft 2 (2003). S. 16; K.P. fon-Kaufman: Brief an D.A. Miljutin vom 12. Oktober 1879. Veröffentlicht unter: „Vojska naši takaja prelest’, čto nel’zja predstavit’ ničego lučšego“. Pervyj turkestanskij general-gubernator. 12 let perepiski. In: Istočnik. Dokumenty russkoj istorii Heft 1 (2003). S. 5–21; Heft 2 (2003). S. 8–23, hier Heft 2 (2003). S. 22f.

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davon die Rede war, dass die Zentralasiaten „russifiziert“ oder „assimiliert“ werden sollten, meinte Kaufman damit wohl keine vollständige Umwandlung der Einheimischen in ethnokulturelle Russen. Seine persönlichen Äußerungen zu dieser Frage sind widersprüchlich, doch bereits die Tatsache, dass er während seiner Amtszeit jede Mission unter den Muslimen Turkestans verhinderte, deutet darauf hin, dass Kaufman nicht im Sinn hatte, die Identität der Zentralasiaten radikal zu ändern, sondern dass er lediglich ihren Lebensstil an den der europäischen Bevölkerung des Zarenreichs angleichen wollte.27

Imperialer Erfahrungstransfer Da Kaufman nacheinander in unterschiedlichen Randgebieten des Imperiums eingesetzt war, stellt sich die Frage, in welchem Ausmaß seine Tätigkeit in Turkestan von den Erfahrungen geprägt war, die er zuvor in anderen Peripherien des Zarenreichs gemacht hatte. Exemplarisch soll dies anhand von Kaufmans Religionspolitik sowie an seinem Umgang mit dem Beamtenapparat der jeweiligen Provinz untersucht werden. In diesen beiden Bereichen liegt die Annahme eines Lernprozesses und eines Erfahrungstransfers aus anderen Regionen besonders nahe. Das Verhältnis des Staates zum Islam und seinen Vertretern war ein zentrales Problem der Verwaltung Turkestans. Aus den langen Kriegen im Kaukasus hatte die russländische Führung die Lehre gezogen, dass der Islam in der Lage war, nachhaltigen und erbitterten Widerstand gegen die fremden Eroberer zu mobilisieren. Daher bestand das Ziel der Verwaltung in Turkestan nun darin, den Einfluss der Religion und ihrer Vertreter auf die Bevölkerung zu schwächen, dabei aber eine gewaltsame religiöse Konfrontation wie im Kaukasus zu vermeiden. Als Lösung schlug Generalgouverneur Kaufman vor, den Islam zu ignorieren, wie er es selbst ausdrückte. Das bedeutete auf der einen Seite, dass in Turkestan keine offiziellen, staatlich anerkannten islamischen Strukturen geschaffen wurden, wie sie in anderen Regionen des Imperiums existierten. Diese Gremien wie etwa die „Orenburger Versammlung“ sollten es dem Staat ermöglichen, die islamischen Institutionen zu kontrollieren und mit loyalen Funktionsträgern zu besetzen. In Turkestan hingegen verhinderte Kaufman eine derartige Institutionalisierung des Islam. Er argumentierte, dass es die religiösen Funktionsträger nur stärken würde, wenn die Verwaltung mit ihnen kooperiere und ihnen einen offiziellen Status verleihe. Auf der anderen Seite sprach sich Kaufman aber auch dagegen aus, offensiv gegen den Islam vorzugehen – denn dies, so erklärte er, würde die Bedeutung der religiösen Würdenträger in den Augen der Bevölkerung ebenfalls erhöhen. Man dürfe den Muslimen Zentralasiens keiner27 Ulrich Hofmeister: Russische Erde in Taschkent? Koloniale Identitäten in Zentralasien 1867–1881. In: Saeculum 61 (2011). S. 263–282.



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lei Anlass zur religiösen Unzufriedenheit geben, da ansonsten die Gefahr bestünde, dass unter dem Banner der Religion Widerstand gegen die neuen Herren mobilisiert würde. Die Politik des Ignorierens hingegen, so erklärte Kaufman immer wieder, lasse den Islam und seine Institutionen langfristig in der Bedeutungslosigkeit versinken. Kaufman war wie viele seiner Zeitgenossen davon überzeugt, dass der Islam nicht in der Lage sei, sich an die neuen Lebensumstände anzupassen, die die russische Herrschaft in Zentralasien gebracht hatte. Da die religiösen Schulen und Gerichte den neuen Bedürfnissen nicht mehr entsprächen, würden sie mit der Zeit ihre Bedeutung verlieren. Früher oder später, so erklärte Kaufman mehrfach, werde die einheimische Bevölkerung von selbst die entsprechenden russischen Institutionen bevorzugen. Die muslimischen Geistlichen würden so ihren gesellschaftlichen Einfluss verlieren, und die russische Verwaltung brauche nur mehr zusehen, wie der Islam an Missachtung zugrunde gehe.28 Diese Theorie schien es Kaufman zu ermöglichen, die Ansprüche aller Seiten zu befriedigen. Kaufman konnte sich so in seinen Berichten nach St. Petersburg als erbitterter Gegner des Islam positionieren,29 ohne dies aber in der Praxis beweisen zu müssen. Zugleich war es ihm möglich, sich vor Ort um ein gutes Auskommen mit muslimischen Würdenträgern zu bemühen30 und sich darüber hinaus zu einem aufgeklärten Vertreter religiöser Toleranz zu stilisieren. Gegenüber dem Turkestaner Schulfunktionär und ausgebildeten Missionar N.P. Ostroumov rühmte sich Kaufman, religiösen Unterschieden keine Bedeutung zuzumessen. Er erklärte, es sei ausreichend, ein gutes und ehrliches Leben zu führen, um ins Paradies zu kommen, egal ob man nun Russe, Jude oder Sarte31 sei. Daher sei er nicht nur aus pragmatischen Gründen gegen die Missionierung der Einheimischen, gab Kaufman an, vielmehr entspreche diese Toleranz seinen Prinzipien, an die er sich sein Leben lang halte.32 Bis zu seinem Lebensende blieb Kaufman davon überzeugt, dass die Politik des Ignorierens der richtige Weg sei, mit dem Islam umzugehen. Obwohl es keinerlei Evidenz für die Gültigkeit seiner Überzeugung gab, reichte Kaufmans persönliche Autorität aus, um seinen Prinzipien Durchsetzungskraft zu verschaffen. Erst nach Kaufmans Tod wurde immer deutlicher, dass der Islam keinesfalls im Niedergang war. Die Zahl der einheimischen Schüler an den russischen Schulen blieb verschwindend 28 K.P. fon-Kaufman: Proekt Vsepoddannejšego otčeta Gen.-Ad’’jutanta K.P. fon-Kaufmana I po graždanskomu upravleniju i ustrojstvu v oblastjach Turkestanskogo General-Gubernatorstva. 7 Nojabrja 1867 – 25 Marta 1881. St. Petersburg 1885. S. 207f, S. 438–440; K.P. fon-Kaufman: Ob’’jas­ni­ tel’naja zapiska. Taškent 1871. S. 105–108. 29 Fon-Kaufman, Proekt (wie Anm. 28), S. 50, S. 208; K.P. fon-Kaufman: Vsepoddannejšij otčët Turkestanskogo general-gubernatora za 1867–1869 gg. (1870). In: Central’nyj gosudarstvennyj archiv Respubliki Uzbekistan (CGARUz), fond (f.) I-1008, opis’ (op.) 1, delo (d.) 1, list (l.) 17. 30 Siehe dazu Robert D. Crews: For Prophet and Tsar. Islam and Empire in Russia and Central Asia. Cambridge [u.a.] 2006. S. 256. 31 „Sarten“ war bis 1917 die gängige Bezeichnung für die Stadtbevölkerung Zentralasiens. 32 Ostroumov, K istorii (wie Anm. 8), S. 43f.

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gering, und auch die staatlichen Gerichte erwiesen sich keineswegs als so attraktiv, wie Kaufman gehofft hatte. In den 1890er Jahren wurden auch in Turkestan die ersten reformislamischen Schulen eingerichtet – ein Beleg dafür, dass der Islam durchaus in der Lage war, sich an die neuen Verhältnisse anzupassen.33 Schließlich kam es 1898 zu einem kleinräumigen Aufstand, bei dem mehrere russische Soldaten getötet wurden, nachdem ein Sufi-Führer zu einem heiligen Krieg gegen die russische Herrschaft aufgerufen hatte.34 Obwohl der Aufstand innerhalb kürzester Zeit niedergeschlagen werden konnte, verbreitete sich nun in der Verwaltung die Überzeugung, dass der Islam keineswegs am Absterben war, und dass ein massives staatliches Eingreifen erforderlich sei, um der angeblichen islamischen Bedrohung Herr zu werden.35 Die Politik des Ignorierens konnte die Erwartungen nicht erfüllen, die Kaufman geweckt hatte – dies änderte aber nichts an der Verehrung, die dem ersten Generalgouverneur in seiner Provinz entgegengebracht wurde. Doch während Kaufman in Turkestan als Verfechter religiöser Toleranz in Erinnerung blieb, hatte er in den Nordwestgebieten ein ganz anderes Erbe hinterlassen. Dort hatte seine Verwaltung mit unsanftem Druck versucht, Katholiken zum Übertritt zur Orthodoxie zu bewegen. Kritiker dieser Methoden hatten sich von Kaufman vorwerfen lassen müssen, gegenüber dem orthodoxen Glauben gleichgültig zu sein.36 Wie Kaufman einem Mitarbeiter später schilderte, hatte er es in Wilna als sein Ziel angesehen, in den Nordwestgebieten auch „die letzten Überreste des Polonismus auszumerzen“, der bis dahin „alles Russische und Orthodoxe erstickt“ habe. Kaufman behauptete, dass nur die Vereinigung der Unierten Kirche mit der Orthodoxie „dieses unglückliche Randgebiet Russlands“ vor der vollständigen Polonisierung gerettet habe. Es sei sogar notwendig gewesen, dass er persönlich orthodoxe Klöster inspizierte, um mögliche Spuren katholischen Einflusses zu entlarven.37 Kaufmans Wandel vom erbitterten Kämpfer gegen den polnischen Katholizismus zum Vertreter religiöser Toleranz in Turkestan hat in der Geschichtsschreibung Erstaunen geweckt.38 In der Regel wurde dies als eine Art inter-peripherer Lernprozess interpretiert: Nachdem Kaufman in den Nordwestgebieten gesehen hatte, wie viel Widerstand die Einmischung des Staates in konfessionelle Angelegenheiten hervorrief, habe er sich in Turkestan dazu entschlossen, die religiöse Toleranz zur 33 Zur reformislamischen Bewegung in Zentralasien siehe Adeeb Khalid: The Politics of Muslim Cultural Reform. Jadidism in Central Asia. Berkeley 1998. 34 Bachtijar Babadžanov: Andižanskoe vosstanie 1898 goda i „musul’manskij vopros“ v Turkestane. Vzgljady „kolonizatorov“ i „kolonizirovannych“. In: Ab Imperio Heft 2 (2009). S. 155–200. 35 Alexander Morrison: Sufism, Panislamism and Information Panic. Nil Sergeevich Lykoshin and the Aftermath of the Andijan Uprising. In: Past & Present 214 (2012). S. 255–304. 36 Dolbilov, Russkij kraj (wie Anm. 3), S. 419. 37 Ostroumov, K istorii (wie Anm. 8), S. 54f. 38 Svetlana Lur’e: Russkie v Srednej Azii i Angličane v Indii. Dominanty imperskogo soznanija i sposoby ich realizacii. In: Civilizacii i kul’tury. Band 2 (Rossija i vostok. Civilizacionnye otnošenija). Moskau 1995. S. 252–273, hier S. 269f.



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Leitlinie seiner Politik zu machen.39 Doch so plausibel diese Deutung zunächst auch klingen mag – einer näheren Betrachtung hält sie nicht stand. Zum einen gibt es keine Belege dafür, dass Kaufman sein Handeln im Nordwesten im Nachhinein kritisch gesehen haben könnte. Seine späteren Äußerungen über diese Zeit lassen keinerlei Bedauern über sein Vorgehen erkennen.40 Zum anderen zeigt sich, dass Kaufmans Strategiewechsel zwischen den Nordwestgebieten und Zentralasien keineswegs so radikal war, wie es scheinen mag. So lassen sich in seiner Einschätzung des zentralasiatischen Islam und des polnischen Katholizismus erstaunliche Parallelen feststellen. Dies betrifft vor allem das Verhältnis der beiden Religionen zum Staat. Kaufman warf sowohl dem Islam als auch dem Katholizismus vor, eine unzulässige politische Bedeutung zu beanspruchen: Der Islam, so erklärte Kaufman mehrfach, unterscheide nicht zwischen dem Reich Gottes und dem des Kaisers, sondern vermische Religion und Politik;41 und ebenso stellte Kaufman in Bezug auf den polnischen Katholizismus fest, dass Politik und Religion hier auf das engste verbunden seien.42 Ganz besonders kritisierte Kaufman dabei die jeweilige Geistlichkeit, der er vorwarf, die Bevölkerung aus Eigennutz gegen den russischen Staat aufzuhetzen. Während seiner Wilnaer Amtszeit erklärte er einem ehemaligen Untergebenen, dass die polnischen Priester die Feindschaft zu Russland schürten, um sich auf diese Weise persönliche Macht zu verschaffen – obwohl es für die Polen vorteilhafter sei, sich mit Russland zu versöhnen.43 Ganz ähnlich schilderte Kaufman aber auch die Situation im islamischen Turkestan. In einem Bericht an den Zaren erklärte er, dass es vor allem die „schädliche Klasse“ der muslimischen Geistlichkeit sei, die sich nicht mit der neuen staatlichen Ordnung abfinden könne, und die den Verlust von Einfluss und Einkommen nicht verwinden könne. Die große Mehrheit der Bevölkerung hingegen würde sich auf die Seite Russlands stellen, wenn sie von der neuen Herrschaft profitieren könnte.44 Dass Kaufman trotz aller Unterschiede zwischen Katholizismus und Islam in den Nordwestgebieten und in Zentralasien das gleiche Problem diagnostizierte, deutet darauf hin, dass er sich von schablonenartigen Vorstellungen über die nichtorthodoxen Religionen des Zarenreichs leiten ließ, und dass seine Amtsführung in Taschkent von den gleichen (Vor-)Urteilen geprägt war wie in Wilna. Das System der imperialen Beamtenzirkulation führte also nicht automatisch zu einem förderlichen interperipheren Lernprozess. Vielmehr konnte es auch zur Folge haben, dass Erfahrungen ohne ausreichende Reflexion in andere Gebiete übertragen wurden, und dass auch Vorurteile und Missverständnisse von einer Region in die andere transferiert wurden. 39 Babadžanov, Andižanskoe vosstanie (wie Anm. 34), S. 188; Sahadeo, Russian Colonial Society (wie Anm. 19), S. 33. 40 Ostroumov, K istorii (wie Anm. 8), S. 54f, S. 88f, S. 103; Tolbuchov, V bor’be (wie Anm. 1), S. 124f. 41 Fon-Kaufman, Ob’’jasnitel’naja zapiska (wie Anm. 28), S. 105. Ähnlich auch bei fon-Kaufman, Proekt (wie Anm. 28), S. 437. 42 Eval’d, Vospominanija (wie Anm. 8), S. 189. 43 Eval’d, Vospominanija (wie Anm. 8), S. 189. 44 Fon-Kaufman, Proekt (wie Anm. 28), S. 39f, S. 208.

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Dennoch stellt sich die Frage, warum Kaufman in Wilna und in Taschkent so unterschiedliche Strategien in der Religionspolitik wählte. Eine plausible Erklärung dafür ist, dass Kaufman die jeweiligen Provinzen unterschiedlich einschätzte und ihnen unterschiedliche Rollen innerhalb des Imperiums zuschrieb: Wie in mehreren Erinnerungsbänden berichtet wird, betrachtete Kaufman Litauen als angestammten Besitz des Zarenreichs, und Weißrussland überhaupt als russisches Kernland. Diese Gebiete seien über die Jahrhunderte durch den fremden Einfluss der polnischen Gutsbesitzer und der katholischen Geistlichkeit von Russland entfremdet worden, so dass es nun notwendig sei, dieses „russische Land“ vom polnischen Einfluss zu „säubern“.45 Kaufman deutete hier das Bekenntnis zum Katholizismus als Zeichen für eine Abkehr vom Russentum. Daher hatte das Vorgehen gegen den Katholizismus in den Nordwestgebieten für Kaufman nicht nur eine religiöse Bedeutung, sondern vor allem eine nationale: Diese angeblich „urrussische und orthodoxe Region“, die von der polnischen Geistlichkeit „gewaltsam polonisiert“ worden sei, müsse für die russische Nation zurückgewonnen werden.46 Turkestan betrachtete Kaufman hingegen als eine Art Kolonie, die eine Sonderrolle unter all den Randgebieten des Zarenreichs einnahm. Kaufman war sich dessen bewusst, dass das Zarenreich hier keinerlei historischen Anspruch auf das Land stellen konnte, und dass hier nicht der Islam, sondern vielmehr die Orthodoxie die fremde Religion war. Angesichts dieser unterschiedlichen Voraussetzungen wies Kaufman auch der orthodoxen Kirche unterschiedliche Rollen in den beiden Gebieten zu: Während die Orthodoxie in den Nordwestgebieten in ihren Bekehrungsbemühungen massiv unterstützt wurde, marginalisierte Kaufman sie in Turkestan weitgehend.47 Doch auch wenn Kaufmans Islampolitik nicht aus seinem Scheitern in Wilna abgeleitet werden kann, so war sie möglicherweise dennoch das Ergebnis seiner Erfahrungen in einer anderen Provinz des Zarenreichs: Daniel Brower hat darauf hingewiesen, dass Kaufmans Dienstzeit im Kaukasus von 1843 bis 1856 mit der Regierungszeit von Fürst M.S. Voroncov als Vizekönig des Kaukasus zusammenfiel, und dass auch dieser – neben seinem brutalen militärischen Vorgehen gegen die muslimischen Aufständischen – eine relativ tolerante Religionspolitik verfolgte. Voroncov verzichtete auf größere Eingriffe in die Lebensweise der Einheimischen, da er erwartete, dass diese die Vorzüge der russischen Kultur von selbst erkennen würden. Möglicherweise diente der Zugang Voroncovs also als Vorbild für Kaufmans Politik in Zentralasien.48 Konkrete Aussagen Kaufmans, die diese Übertragung von Erfahrungen belegen, sind nicht überliefert, doch war eine Gleichsetzung von Kaukasus und Zentralasien unter 45 Poljanskij, Pamjati (wie Anm. 1), S. 8; ähnlich auch Tolbuchov, V bor’be (wie Anm. 1), S. 99–101, S. 108f. 46 Tolbuchov, V bor’be (wie Anm. 1), S. 92, S. 101f. 47 Zu Kaufmans Verhältnis zur Russisch-orthodoxen Kirche in Turkestan siehe Sahadeo, Russian Colonial Society (wie Anm. 19), S. 49. 48 Brower, Turkestan (wie Anm. 20), S. 31f.



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der russischen Elite durchaus gängig. So hatte Kriegsminister Miljutin bereits 1865 Černjaev ausdrücklich dazu aufgefordert, beim Umgang mit den islamischen Eliten in Zentralasien die Erfahrungen zu berücksichtigen, die das Zarenreich im Kaukasus gemacht hatte.49 Die Vermutung liegt nahe, dass sich auch Kaufman bemühte, aus Erfahrungen im Kaukasus Lehren für Zentralasien abzuleiten. Ein anderes Beispiel für inter-peripheren Erfahrungstransfer in Kaufmans Karriere ist sein Umgang mit dem Beamtenapparat – hier bemühte sich Kaufman offenbar, aus Fehlern während seiner Wilnaer Zeit zu lernen. In den Nordwestgebieten hatte sich Kaufman noch in vielen Bereichen auf die Expertise der Beamtenschaft verlassen. Da er sich offenbar selbst nicht kompetent genug fühlte, richtete er mehrere Beamtenkommissionen ein, die ihn in Hinblick auf die komplexe ethnische und konfessionelle Lage in der Region beraten sollten. Auch bei den Entscheidungen ließ Kaufman der mittleren und unteren Beamtenschaft in Wilna relativ große Freiheit. Doch da in der Beamtenschaft nationalistische Russen immer mehr an Einfluss gewannen, führte dieser eigentlich liberale Ansatz im Endeffekt zu einer „fast schon kolonialen Willkürherrschaft der Russifizierer“, wie es Michail Dolbilov ausdrückte.50 In Turkestan hingegen schlug Kaufman eine völlig entgegengesetzte Strategie ein. Obwohl er bei seiner Ankunft in Taschkent über keinerlei Erfahrung in Zentralasien verfügte, konzentrierte er von Anfang an alle Entscheidungen in seiner Person. So hieß es in einem Erinnerungsband an Kaufman aus dem Jahr 1910, in Turkestan sei Kaufman „der oberste, fast unumschränkte Verantwortliche“ gewesen, „der alles wusste und alles selber machte, und der die geeinte und starke Macht verkörperte“.51 Tatsächlich intervenierte Kaufman in den unterschiedlichsten Bereichen in die Tätigkeit seiner Mitarbeiter. Der Schulfunktionär Ostroumov musste Kaufman nicht nur die Lehrpläne im Detail vorlegen, sondern auch die Farbe der Bettwäsche in den Schülerheimen genehmigen lassen. Falls jemand in der Taschkenter öffentlichen Bibliothek ein Buch lesen wollte, das von der Zensur eigentlich verboten worden war, so entschied der Generalgouverneur persönlich über eine Sondergenehmigung.52 Auch die offizielle Zeitung der Verwaltung, die Turkestanskie Vedomosti, wurde in den ersten Jahren ihres Bestehens praktisch von Kaufman selbst herausgegeben, da dieser darauf bestand, alle Ausgaben vor dem Erscheinen zur Kontrolle vorgelegt zu bekommen.53 Die Zentralisierung der Provinzverwaltung und ihre alleinige Ausrichtung auf die Person Kaufmans erwiesen sich als nachteilig für die Herausbildung von selbständig handlungsfähigen Verwaltungsstrukturen. Der mächtige Generalgouverneur verfügte

49 D.A. Miljutin u. A.I. Verigin: Gen.-kvartirmejster Voennomu gubernatoru Turkestanskoj obl., 26 fevralja 1865 g. № 1373. In: A.G. Serebrennikov (Hrsg.): Turkestanskij kraj. Sbornik materialov dlja isto­rii ego zavoevanija. Band 19,1 (1865). Taškent 1914. S. 89–92, hier S. 90. 50 Dolbilov, Russkij kraj (wie Anm. 3), S. 271–273. 51 Semënov, Pokoritel’ (wie Anm. 1), S. LXXIVf. 52 Ostroumov, K istorii (wie Anm. 8), S. 23–27, S. 48f, S. 172. 53 Sahadeo, Russian Colonial Society (wie Anm. 19), S. 43.

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über die letzte Entscheidungsgewalt und konnte nach eigenem Ermessen Personen seines Vertrauens damit beauftragen, seine Entscheidungen umzusetzen. Die höheren Beamten kamen aus der Armee und waren kaum auf die Aufgaben in der Kolonialverwaltung vorbereitet.54 Es gab in Turkestan kein standardisiertes Rekrutierungs- und Ausbildungssystem für Kolonialbeamte, das etwa dem Indian Civil Service entsprochen hätte, der in Britisch-Indien für die Verwaltung zuständig war. Entscheidend für die Karriere in der Militärverwaltung war vielmehr das persönliche Vertrauen des Generalgouverneurs, und Kaufman bewies keineswegs immer eine glückliche Hand bei der Auswahl seiner Mitarbeiter. Er gab einigen reformorientierten Intellektuellen, die nach Zentralasien verbannt worden waren, in Turkestan eine zweite Chance, wo sie wichtige Posten in der Verwaltung einnehmen konnten,55 doch häufig wählte Kaufman auch die falschen Personen aus, wie eine ganze Reihe an Skandalen belegt, die Turkestan während Kaufmans Herrschaft erschütterten. Die Affären reichten von grober Misswirtschaft bis hin zur Veruntreuung öffentlicher Gelder und fügten der Verwaltung Turkestans sowie dem öffentlichen Bild der ganzen Provinz schweren Schaden zu.56 Im Jahre 1873 erschien der satirische Roman „Die Herren Taschkenter“ des Schriftstellers M.E. Saltykov-Ščedrin. Darin wird beschrieben, wie geldgierige Glücksritter in die Peripherie des Reiches gehen, um dort – fernab von jeder Kontrolle – als korrupte Beamte und Unternehmer hemmungslos den Staat und seine Bevölkerung auszurauben. Auch wenn Saltykov-Ščedrin versicherte, dass sein literarisches Taschkent an keinen konkreten Ort gebunden sei, und dass es überall solche „Taschkenter“ gebe, war es wohl kein Zufall, dass er ausgerechnet die Hauptstadt Turkestans als Synonym für Beamtenwillkür, Korruption und Gier auswählte. Auch wenn Kaufman persönlich keine Beteiligung an den Machenschaften seiner Mitarbeiter nachgesagt wurde, so war er diesen gegenüber offenbar zumindest zu nachsichtig. Wie der Orientalist V.V. Bartol’d im Jahr 1927 in den Raum stellte, lag es möglicherweise auch an Kaufmans Eitelkeit, dass er sich nur mit Ja-Sagern umgab, während er zu fähigen Beamten kein gutes Verhältnis pflegte.57 Der Vorwurf der Ja-Sagerei wurde zudem der dünnen Schicht von einheimischen Mediatoren gemacht, die bereits unmittelbar nach der Eroberung für die Verwaltung unersetzbar wurden. Kaufman kommunizierte mit der einheimischen Bevölkerung in erster Linie über die Vermittlung durch sogenannte „einflussreiche Personen“, denen dann aufgetragen wurde, Kaufmans Anweisungen in ihrer Umgebung zu verbreiten.58 54 Alexander Morrison: Russian Rule in Samarkand, 1868–1910. A Comparison with British India. Oxford 2008. Kapitel 4. 55 Sahadeo, Russian Colonial Society (wie Anm. 19), S. 59f. 56 A.N. Kuropatkin: 70 let moej žizni. Iz vospominanij Generala A.N. Kuropatkina, 1867–1882 gg. In: Istoričeskij archiv Heft 4 (1994). S. 185–195, hier S. 190f. 57 V.V. Bartol’d: Istorija kul’turnoj žizni Turkestana. Leningrad 1927. S. 201. 58 Siehe etwa K.P. fon-Kaufman: Slova, skazannye g. turkestanskim general gubernatorom, 22 Jan­var­ ja 1868 goda, imenitym ljudjam goroda Taškenta, v prisutstvii Voennago Gubernatora SyrDar’inskoj Oblasti, Pravitelja Kanceljarii, Načal’nika Okružnago Štaba, Uezdnych Načal’nikov Syr-



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Der Generalgouverneur schuf auf diese Weise eine Klasse an Nutznießern der imperialen Herrschaft, denen häufig vorgeworfen wurde, dass sie ihren direkten Kontakt zu den Kolonialherren zur persönlichen Bereicherung nutzten.59 Kaufman war die Gefahr des Machtmissbrauchs durch diese Mediatoren durchaus bewusst, doch er war zu sehr von den Vermittlerdiensten abhängig, als dass er auf sie hätte verzichten können.60 So trug er dazu bei, sowohl unter der kolonialen Beamtenschaft als auch in der einheimischen Lokalverwaltung ein System der Günstlingswirtschaft zu etablieren, das seine Amtszeit überdauern sollte. Das System der Beamtenzirkulation sollte die Anbindung der peripheren Regionen an das Zentrum des Zarenreichs verstärken und zur Vereinheitlichung des Imperiums beitragen. Das Beispiel Kaufmans zeigt, dass gemeinsam mit den Gouverneuren oft auch Missverständnisse und Vorurteile von einer Region in die nächste übertragen wurden, dass dieses System zugleich aber auch den durchaus erfolgreichen Transfer von Erfahrungen ermöglichen konnte. Dass sich das Ignorieren des Islam in Turkestan so schnell als Leitprinzip der Verwaltung etablieren konnte, lag zu einem Gutteil an den Erfahrungen, die Kaufman und die anderen Angehörigen der Verwaltung Turkestans zuvor im Kaukasus gemacht hatten, wo der Islam als treibende Kraft des Widerstands gegen die Eroberer identifiziert worden war. Zwar ging Kaufmans Hoffnung, dass das Ignorieren des Islam zu dessen Aussterben in Zentralasien führen würde, nicht in Erfüllung, doch immerhin bewährte sich seine Strategie insofern, als auf diese Weise größere religiös motivierte Aufstände verhindert werden konnten.

Hybride Inszenierungen der Macht Bei Kaufmans Amtsantritt in Wilna waren noch Zweifel geäußert worden, ob der relativ junge Kanzleichef aus dem Kriegsministerium das Format habe, das Erbe des übermächtigen M.N. Murav’ëv anzutreten. Manche erwarteten gar, dass Kaufman nur eine Marionette seines Vorgängers sein würde.61 In Turkestan hingegen ließ Kaufman von Anfang an keinen Zweifel daran, dass er alleine der starke Mann in der Region sein würde. Bereits die Anreise nach Taschkent im Herbst 1867 sollte diesen Anspruch Dar’inskoj Oblasti i členov komissii po ustrojstvu goroda Taškenta. Taškent 1868; K.P. fon-Kaufman: Vozzvanie K.P. fon-Kaufmana žiteljam Samarkanda i okrestnych kišlakov s ob’’javleniem ‚ich prav i objazjannostej v svjazi s prisoedineniem ich k Rossii‘ (1868). In: Rossijskij gosudarstvennyj istoričeskij archiv (RGIA), f. 954, op. 1, d. 113; K.P. fon-Kaufman: Vozzvanie Turkestanskogo General-Gubernatora K.P. fon-Kaufmana žiteljam Urguta i okrestnych selenij s priglašeniem vernut’sja v pokinutye žilišča i podčinit’sja russkoj vlasti (1868). In: RGIA, f. 954, op. 1, d. 113. 59 M.A. Terent’ev: Turkestan i Turkestancy. In: Vestnik Evropy 10 (1875). Nr. 9 (Sept.), S. 65–112; Nr. 10 (Okt.), S. 499–529; Nr. 11 (Nov.), S. 142–172, hier Nr. 9 (Sept.), S. 85f. 60 Fon-Kaufman, Proekt (wie Anm. 28), S. 87. 61 Siehe Dolbilov, Russkij kraj (wie Anm. 3), S. 271. Zu Murav’ëv siehe den Beitrag von Jörg Gan­zen­ müller in diesem Band.

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deutlich machen. Anstatt die direkte Route über Orenburg zu nehmen, wählte Kaufman den Umweg über Semipalatinsk und Vernyj (heute Semei bzw. Almaty, Kasachstan), um so sein neues Territorium auch symbolisch in Besitz zu nehmen. Zwei Monate lang war Kaufman unterwegs, und in den einzelnen Orten inszenierte er seinen Einzug in der Art eines Triumphzuges. Ein Zeuge seiner Ankunft in Vernyj schilderte Kaufmans Einzug in der Stadt: Der neue Generalgouverneur ritt ein prächtiges Pferd, und mit einigem Respektsabstand folgte ihm ein „gewaltiges Gefolge“, das aus russischen Beamten und hohen Militärs sowie aus einheimischen Würdenträgern bestand, die alle in Paradetracht gekleidet waren, und denen schließlich ein beeindruckender Kosaken-Konvoi folgte. 62 Äußerst feierlich ließ sich Kaufman auch in den folgenden Jahren empfangen, wenn er nach längerer Abwesenheit nach Taschkent zurückkehrte. Eine Ehrengarde und Versammlungen hoher Beamter erwarteten ihn, wenn er mit einem Gefolge von mehreren hundert Kosaken in die Stadt einritt, Musik und Kanonenschüsse rundeten das Bild ab.63 Mit seinem pompösen Auftreten inszenierte sich Kaufman in Turkestan als politische und symbolische Mittlerfigur zwischen der neu eroberten Bevölkerung und dem Zaren.64 In Reden an die einheimische Bevölkerung stellte er sich als persönlicher Vertreter und Vertrauter des Zaren dar, der über außergewöhnlich große Vollmachten verfügte, um den Willen des Zaren umzusetzen.65 Die Nähe zum Zaren unterstrich Kaufman auch, indem er sich selbst eine monarchische Aura zulegte: Von den Einheimischen ließ er sich als jarym padišach bezeichnen, was als „Halbzar“ (polucar’) ins Russische übersetzt wurde. Ganz in der Art eines Monarchen bezeichnete sich Kaufman auch selbst als „K.P. fon-Kaufman der Erste“.66 Die triumphale Hofhaltung des Generalgouverneurs sollte die Einheimischen beeindrucken und von der Größe und Macht des Zarenreichs überzeugen. Ein Untergebener Kaufmans stellte in seinen Erinnerungen fest, dass die Militärparaden, die Ehrbezeugungen von verschiedenen Amtsträgern und die glänzenden Empfänge auf „das asiatische Volk, dem die europäische Bildung fremd ist“, großen Eindruck gemacht hätten. Durch seine Inszenierung als „Gesandter des großen Herrschers“ habe Kaufman „wie kein anderer die Macht der Russen in den Augen der einheimischen

62 Kolokol’cev, Vospominanija (wie Anm. 8), S. 20f. 63 Ostroumov, K istorii (wie Anm. 8), S. 157. Zu den Begrüßungszeremonien für Kaufman und seine Nachfolger siehe auch Sahadeo, Russian Colonial Society (wie Anm. 19), S. 26–28. 64 D.V. Vasil’ev u. N.A. Nefljaševa: Konstruiruja imperiju. Islamskie periferii Rossii. Vyzovy, praktiki, učastniki. In: Naučnye trudy Instituta biznesa i politiki. Band 1 (Vostok. Istorija, politika, kul’tura). Moskau 2006. S. 8–51. Zur Bedeutung von Zeremonien für die Zarenmacht siehe Richard S. Wortman: Scenarios of power. Myth and Ceremony in Russian Monarchy. Band 2 (From Alexander II to the Abdication of Nicolas II.). Princeton 2000. 65 Fon-Kaufman, Slova (wie Anm. 58), S. 3f. 66 Čižov, General-Ad’’jutant (wie Anm. 8), S. 16.



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Bevölkerung erhöht.“67 Kaufman bemühte sich also einerseits, die Institutionen des Zentrums aus Turkestan fernzuhalten, während er andererseits den Glanz der Monarchie ganz bewusst nach Turkestan brachte, um dort die russische Macht – und damit seine eigene – zu stärken. Er positionierte sich selbst als Kristallisationspunkt imperialer Macht in Zentralasien und stellte den Anspruch, in seiner Person die höchste militärische, zivile und juristische Instanz Turkestans zu vereinen. So demonstrierte er seine Stellung als oberste Autorität, indem er immer wieder von seinem Recht Gebrauch machte, in laufende Gerichtsverfahren einzugreifen, oder indem er auf Reisen durch das Generalgouvernement verurteilte Straftäter begnadigte.68 Diese spontanen und willkürlichen Entscheidungen, so urteilte ein Mitarbeiter Kaufmans später, erhöhten Kaufmans Autorität unter den Einheimischen. Dies sei in Turkestan ganz besonders wichtig, da die Einheimischen nur eine starke Macht achteten, die das Gesetz verkörpere. Zudem seien die Einheimischen an eine despotische Herrschaft gewöhnt und verstünden die russischen Gerichtsprozeduren nicht.69 Dieser Verweis auf die Vergangenheit Zentralasiens zeigt, dass Kaufman sich in Turkestan nicht nur als Stellvertreter des Zaren präsentierte, sondern auch suggerierte, dass er das Erbe der Khane und Emire angetreten habe. Besucher stellten fest, dass Kaufmans Hofzeremoniell nicht nur strenger sei als das in St. Petersburg, sondern auch an die Hofhaltung orientalischer Herrscher erinnere.70 Wie aus einem Bericht Kaufmans an den Zaren hervorgeht, waren diese Reminiszenzen an lokale Traditionen durchaus beabsichtigt: Kaufman argumentierte, dass die Einheimischen ein bescheideneres Auftreten nicht verstünden. In einem so „abgelegenen […] Gebiet [wie Turkestan], das sich unter der Regierung der Khane an den Pomp gewöhnt hat“, sei seine aufwändige Hofhaltung unbedingt erforderlich.71 Eine Reminiszenz an einheimische Herrschaftstraditionen war auch das „zentralasiatische Zimmer“, das sich Kaufman in seiner Residenz einrichten ließ: Die Tapeten waren mit bunten Mustern „nach dem Geschmack der Sarten“ verziert, und in Nischen wurde „einheimisches Geschirr“ ausgestellt.72 In seiner Inszenierung der Macht kombinierte Kaufman also geschickt zwei unterschiedliche Traditionen: Er importierte den Glanz des Petersburger Zaren nach Turkestan und vermischte diesen mit Anleihen von einheimischen Herrschaftsformen. In anderen Gebieten des Imperiums wäre eine derart pompöse Hofhaltung eines Gouverneurs kaum möglich gewesen. Das koloniale Umfeld Turke67 Kolokol’cev, Vospominanija (wie Anm. 8), S. 20, S. 32. Ähnlich auch N.I. Veselovskij: Dnevnik naučnoj poezdki v Turkestan (1885). In: Rossijskij gosudarstvennyj archiv literatury i iskusstva (RGALI), f. 118, op. 1, d. 1205, l. 90ob. 68 Ostroumov, K istorii (wie Anm. 8), S. 205, S. 209; Kolokol’cev, Vospominanija (wie Anm. 8), S. 32– 35. 69 Ostroumov, K istorii (wie Anm. 8), S. 205. 70 Eugene Schuyler: Turkistan. Notes of a Journey in Russian Turkistan, Khokand, Bukhara, and Kuldja. Band 1. New York 1876. S. 81f. 71 Fon-Kaufman, Proekt (wie Anm. 28), S. 126. 72 Ostroumov, K istorii (wie Anm. 8), S. 35; Duchovskaja, Vospominanija (wie Anm. 13), S. 23.

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stans erlaubte es jedoch auch einer Person, die nicht Mitglied der Zarenfamilie war, sich mit monarchischem Flair zu umgeben. Wie in keiner anderen Region des Zarenreichs konnte sich Kaufman in Turkestan als fast unumschränkter Herrscher positionieren, ohne dabei auf Konkurrenten zu stoßen, und auch ohne dabei dem autokratischen Anspruch des Zaren zu nahe zu treten. Im Gegenteil: Das pompöse Auftreten Kaufmans wurde gerade dadurch gerechtfertigt, dass so das Prestige des Staates und damit auch das des Zaren gehoben würde.73 Allerdings waren Kaufmans aufwändige Empfänge auch in Turkestan nicht unumstritten. Nicht nur die hohen Kosten wurden ins Spiel gebracht, sondern auch die Tatsache, dass gewisse militärische Ehren eigentlich nur „allerhöchsten Personen“ vorbehalten waren, also der Zarenfamilie. Ausländische Besucher äußerten leisen Spott darüber, dass in den ersten Jahren nach Kaufmans Amtsantritt selbst seine Frau und seine Kinder stets von einer Eskorte von Kosaken begleitet wurden. Diese Regelung sei erst abgeschafft worden, als sich ein neu angekommener Offizier arglos erkundigt habe, wer denn die Dame sei, die da von den Kosaken abgeführt werde.74 Auch General Černjaev, Kaufmans ewiger Gegenspieler in Turkestan, wandte sich gegen die Ansicht, dass die Verwaltung möglichst pompös sein müsse, um die einheimische Bevölkerung zu beeindrucken. Während seiner eigenen Amtszeit als Gouverneur in Turkestan habe die russische Staatsmacht trotz ihrer ärmlichen Ausstattung sicher kein geringeres Prestige unter den Einheimischen gehabt als jetzt unter Kaufman, wo sie „im Luxus ertrinke“, behauptete Černjaev 1872.75 V.P. Nalivkin, ein langjähriger Kenner Turkestans und ein äußerst kritischer Geist, schrieb schließlich 1913, dass sich die Russen nur selbst eingeredet hätten, sie müssten den Pomp der orientalischen Herrscher übernehmen. Dass man die wilden Asiaten nur durch ein großes Gefolge beeindrucken könne, sei ein Märchen gewesen, dem die Russen nur zu gerne Glauben geschenkt hätten, um ihre eigenen „niedrigen Instinkte“ zu befriedigen.76 Und auch Kaufmans Vorgesetzter, Kriegsminister Miljutin, hielt das Repräsentationsbedürfnis des Generalgouverneurs für eine persönliche Schwäche: In seinem Tagebuch notierte er mild-spöttisch, dass es Kaufman geliebt habe, stets „den kleinen Zaren zu spielen“.77

73 Auch für andere Kolonialgebiete wie etwa Britisch-Indien galt es, dass auch untergeordnete Beamte in der Peripherie eine prunkvolle Hofhaltung pflegen konnten, die gleichrangigen Beamten im Zentrum des Imperiums verwehrt blieb. Siehe David Cannadine: Ornamentalism. How the British Saw Their Empire. London 2001. S. 128. 74 Schuyler, Turkistan (wie Anm. 70), S. 81f; Kolokol’cev, Vospominanija (wie Anm. 8), S. 23. 75 M.G. Černjaev: Turkestanskie pis’ma II (1872). In: Gosudarstvennyj istoričeskij muzej, Otdel pismennych istočnikov (GIM OPI), f. 208, op. 1, d. 8, ll. 86–96, hier l. 90ob. 76 V.P. Nalivkin: Tuzemcy ran’še i teper’. In: D. Ju. Arapov (Hrsg.): Musul’manskaja Srednjaja Azija. Tradicionalizm i XX vek. Moskau 2004. S. 21–115, hier S. 64. 77 D.A. Miljutin: Dnevnik 1882–1890. Moskau 2010. S. 34.



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Imperiale Selbstbilder und Loyalitäten: Vom doppelt Fremden zum Experten für Zentralasien Bei seiner Ankunft in Turkestan war Kaufman in Zentralasien gewissermaßen doppelt fremd: Zum einen gehörte er der russischen Kolonialmacht an und verfügte über keinerlei Erfahrung in der Region, und zum anderen konnte angesichts seines deutschen Familiennamens auch sein „Russentum“ in Frage gestellt werden. Bereits in seiner Wilnaer Zeit ist ein diesbezügliches Rechtfertigungsbedürfnis zu erkennen, doch mit dem wachsenden Nationalismus der 1880er Jahre musste immer neu betont werden, dass Kaufman ein „echter Russe“ war. Dabei war Kaufman nicht der einzige hohe Funktionär mit deutschem Familiennamen in Turkestan. Sein Nach-Nachfolger Nikolaj Ottonovič Rozenbach (Generalgouverneur von 1884 bis 1889) war ein baltendeutscher Lutheraner, und die große Revision von 1908 wurde von Konstantin Graf von der Pahlen [Konstantin Konstantinovič Palen] durchgeführt, einem Angehörigen eines alten baltendeutschen Adelsgeschlechts. Dazu kamen zahlreiche niedrigere deutsche Funktionäre, die in unterschiedlichen Positionen in Turkestan dienten.78 Vor allem baltendeutsche Adelige waren auch in anderen Gebieten des Zarenreichs in der Verwaltung überproportional vertreten. Ihr hoher Anteil im Staatsdienst wird dadurch erklärt, dass sie zu den loyalsten Bevölkerungsgruppen des Zarenreichs gehörten. Nationale Bewegungen waren für sie am wenigsten attraktiv, da sie überall in einer Minderheitenposition waren, und auch ihr lutherischer Glaube mit der Betonung von Rechtschaffenheit und Staatstreue machte sie für den Staat attraktiv. Zudem waren viele von ihnen gut ausgebildet und hatten etwa an deutschen Universitäten studiert.79 Kaufman kann jedoch nicht als Teil eines baltendeutschen Netzwerks gesehen werden. Er hatte zwar in eine alte baltendeutsche Familie eingeheiratet, gehörte aber selbst nicht dem baltendeutschen Adel an und war von Geburt an russisch-orthodox. Er distanzierte sich immer wieder von deutschen Kreisen, die er als „noch gefährlicher“ als die Polen bezeichnete.80 Auch wenn Kaufman fallweise selbst ironisch auf seine deutsche Herkunft anspielte, deuten seine überlieferten Äußerungen insgesamt darauf hin, dass er nicht als Deutscher gesehen werden wollte.81 Viel lieber stellte er seine Loyalität zum Russischen und seine Treue zum Zaren in den Vordergrund. So 78 Š. Muchammedov: Rol’ turkestanskich nemcev v ėkonomičeskom i kul’turnom razvitii kraja. Vtoraja polovina XIX veka. In: V.A. Ivonin (Hrsg.): Diaspora nemcev Uzbekistana v dialoge kul’tur. Taškent 2010. S. 46–55. 79 Geoffrey Hosking: Russland: Nation und Imperium 1552–1917. Berlin 2000. S. 67–69. 80 Zitiert bei Darius Staliūnas: Russländische „Kollaborationsangebote“ an nationale Gruppen nach dem Januaraufstand von 1863 im so genannten Nordwestgebiet. In: Joachim Tauber (Hrsg.): „Kol­ la­boration“ in Nordosteuropa. Erscheinungsformen und Deutungen im 20. Jahrhundert. Wiesbaden 2006. S. 88–100, hier S. 92f. 81 Ostroumov, K istorii (wie Anm. 8), S. 17, S. 34, S. 51, S. 57.

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erklärte er einmal, dass all sein Ehrgeiz nur darauf ausgerichtet sei, dass der Zar mit ihm zufrieden sei. Er strebe nur danach, dass Turkestan aufblühe, ohne dem Reich zur Last zu fallen.82 Kaufmans Patriotismus wird in den Erinnerungsschriften seiner Mitarbeiter immer wieder betont und mit Anekdoten ausführlich illustriert.83 Doch gerade diese ständigen Hinweise auf Kaufmans Treue zu Russland lassen auf ein gewisses Rechtfertigungsbedürfnis schließen. Charakteristisch dafür ist eine Beschreibung, die seit Kaufmans Wilnaer Zeit zu einer Art Standardfloskel wurde: „Obwohl er einen deutschen Familiennamen trug, war Kaufman ein wahrer Russe orthodoxer Konfession. Er liebte sein Vaterland heiß und war Russland von ganzer Seele ergeben.“84 Offenbar waren Kaufmans Biographen darum bemüht, keinen Zweifel an seiner Loyalität zu Russland aufkommen zu lassen. Dass solche Zweifel durchaus existierten, zeigt aber eine Bemerkung des erfolgreichen Schriftstellers E.L. Markov, der 1901 in seinem Bericht über eine Reise nach Zentralasien andeutete, dass die schwache Stellung der russisch-orthodoxen Kirche in Turkestan mit der langen Herrschaft von Generalgouverneuren mit deutschen Familiennamen zusammenhängen könne, da diese möglicherweise auch den „deutschen Glauben“ gehabt hätten.85 Diese – in Bezug auf Kaufman völlig haltlose – Behauptung Markovs macht deutlich, dass in russischnationalistischen Kreisen Kaufmans deutscher Familienname sein „Russentum“ durchaus in Zweifel ziehen konnte. Doch insgesamt dürfte Turkestan in dieser Hinsicht für Kaufman ein sichereres Terrain gewesen sein als die Nordwestgebiete. Dort war Kaufman in seiner politischen Arbeit mit den Ansprüchen nicht nur von Deutschbalten konfrontiert, sondern auch mit denen der Polen, mit denen er über die mütterliche Linie ebenfalls verwandt war.86 In Turkestan hingegen wurde seiner nichtrussischen Herkunft weniger Bedeutung zugemessen. Angesichts der Polarisierung zwischen Einheimischen und Kolonialherren traten in Zentralasien die ethnischen Unterschiede innerhalb der Elite des Zarenreichs in den Hintergrund. In offiziellen Dokumenten stellte Kaufman „Russen“ und „Einheimische“ stets als konkurrierende Gruppen dar und suggerierte damit interne Homogenität von Kolonialherren und Kolonisierten.87 Unter diesen Umständen war es für Kaufman leichter möglich, auch selbst als Russe anerkannt zu werden. Die Vorteile, die der Dienst deutscher Beamter in den Randgebieten des Zarenreiches bot, waren also durchaus wechselseitig: Einerseits profitierte das Imperium vom Einsatz 82 Zitiert bei Semënov, Pokoritel’ (wie Anm. 1), S. LXXVI. 83 Ostroumov, K istorii (wie Anm. 8), S. 102f; Tolbuchov, V bor’be (wie Anm. 1). 84 Kolokol’cev, Vospominanija (wie Anm. 8), S. 3f. Fast wortgleiche Formulierungen finden sich auch bei Fëdorov, Moja služba (wie Anm. 2), Nr. 133, S. 805, sowie als Zitat bei Dolbilov, Russkij kraj (wie Anm. 3), S. 270. 85 E.L. Markov: Rossija v Srednej Azii. Band 2. St. Petersburg 1901. S. 21. 86 Poljanskij, Pamjati (wie Anm. 8), S. 7. 87 Fon-Kaufman, Ob’’jasnitel’naja zapiska (wie Anm. 28), S. 35f. Siehe dazu auch Hofmeister, Russische Erde (wie Anm. 27), S. 267f.



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loyaler Staatsdiener, während diese andererseits hier die Möglichkeit vorfanden, dass ihrer Fremdheit weniger Bedeutung zugemessen wurde. Auch die andere Dimension seiner Fremdheit in Turkestan scheint Kaufman im Laufe seiner vierzehnjährigen Amtszeit überwunden zu haben. Seine zahlreichen und ausgedehnten Reisen nach St. Petersburg legen nahe, dass er sich in den ersten Jahren in Taschkent noch nicht besonders wohlfühlte. Bereits ein Dreivierteljahr nach seiner ersten Ankunft in Taschkent machte sich Kaufman wieder nach St. Petersburg auf, wo er fast ein Jahr lang blieb, bevor er nach Taschkent zurückkehrte.88 Insgesamt, so rechnete Černjaevs Zeitung Russkij Mir vor, hatte Kaufman von den ersten sieben Jahren seiner Amtszeit zweieinhalb Jahre in St. Petersburg verbracht.89 Kaufman wurde vorgeworfen, dass diese Reisen nicht notwendig seien und dass sie Kaufman vor allem dazu dienten, seine Familie zu besuchen, während die Verwaltung Turkestans unter der häufigen Abwesenheit des Generalgouverneurs gelitten habe.90 Später jedoch freundete sich Kaufman mit seiner Provinz zunehmend an. So erklärte er 1877 einem neu in Taschkent angekommenen Mitarbeiter, dass Neuankömmlinge in Turkestan immer drei Jahre lang unter den neuen Umständen litten, sich dann aber kaum mehr von der neuen Heimat trennen wollten.91 Kaufman sprach hier aus eigener Erfahrung. Denn mit den Jahren ist eine immer stärkere Identifikation Kaufmans mit Turkestan zu beobachten. Als er sein Amt in Turkestan antrat, war er noch keine fünfzig Jahre alt – es war also keineswegs zwingend, dass Taschkent seine letzte Karrierestation sein würde. Noch 1875 erwähnte Kaufman auch die Möglichkeit, den Zaren zu bitten, ihn von seinem Posten in Taschkent abzulösen.92 Doch später rechnete Kaufman offenbar nicht mehr damit, aus Turkestan abberufen zu werden. Ein Hinweis darauf ist, dass er selbst Vorkehrungen dafür traf, in Taschkent begraben zu werden.93 Kaufman betrachtete seine Position in Taschkent keinesfalls als Sprungbrett für eine höhere Position in der Hauptstadt – dafür investierte er zu wenig in die Beziehungspflege mit St. Petersburg. Sein Verhältnis zu den zivilen Ministerien war nicht das Beste, und mit der Zeit kühlte sich auch seine Beziehung zu Kriegsminister Miljutin ab, wie dieser in seinem Tagebuch notierte.94 Doch auch eine Position in einer anderen Provinz dürfte Kaufman nicht angestrebt haben. Ein Amt in einer anderen Region wäre für Kaufman wohl kaum attraktiver gewesen als der Posten in Taschkent: In Turkestan war er der fast unumschränkte Herrscher, der weitgehend nach eigenem Gutdünken schalten und walten konnte, und nur hier konnte er seine persönliche

88 Semënov, Pokoritel’ (wie Anm. 1), S. XXVIII. 89 Zitiert nach MacKenzie, Kaufman (wie Anm. 6), S. 277. 90 M.A. Terent’ev: Istorija zavoevanija srednej Azii. Band 1. Sankt Peterburg 1906. S. 405. 91 Ostroumov, K istorii (wie Anm. 8), S. 16. 92 Fon-Kaufman, Vojska (wie Anm. 17), Nr. 2, S. 16. 93 Čižov, General-Ad’’jutant (wie Anm. 8), S. 19. 94 Miljutin, Dnevnik (wie Anm. 77), S. 34.

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Eitelkeit in diesem Maße befriedigen. Insofern war die Abgelegenheit Zentralasiens für Kaufman durchaus ein Vorteil, den er geschickt zu nutzen wusste. In Kaufmans Berichten nach St. Petersburg finden sich lange Abhandlungen zum Islam sowie zum Leben der Nomaden, mit denen Kaufman offenbar belegen wollte, dass er mit dem Leben, der Religion und der Kultur der zentralasiatischen Bevölkerung besser vertraut war als jeder andere Staatsmann des Reiches. Trotz seiner vielfältigen Erfahrungen in unterschiedlichen Randgebieten des Imperiums präsentierte sich Kaufman mit den Jahren kaum noch als Experte für die Peripherie allgemein. Stattdessen strich er seine Beziehung zu Turkestan immer mehr hervor: In St. Petersburg trat er als Experte für Zentralasien auf, und in Taschkent selbst stilisierte er sich zum Erben der einheimischen Herrscher. Seine Autorität als Kenner Turkestans hielt trotz aller Pannen und Skandale und trotz seiner völlig falschen Einschätzung des Islam auch nach seinem Tod an. Noch in den letzten Jahren vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges galt es innerhalb der Verwaltung Turkestans bereits als überzeugendes Argument, dass eine bestimmte Meinung auch von Kaufman vertreten worden sei.95 Im Jahr 1914 schließlich – mehr als dreißig Jahre nach dem Tod des Generalgouverneurs – wurde seiner Familie das Recht zugestanden, dem Familiennamen „fonKaufman“ den Zusatz „Turkestanskij“ anzufügen. So wurde Kaufman posthum nun ganz mit seinem letzten Dienstort identifiziert. Dies sollte aber nicht vergessen lassen, dass Kaufman den Großteil seiner Laufbahn als Angehöriger einer hochmobilen Elite verbracht hatte, für die Versetzungen über tausende Kilometer hinweg keine Besonderheit waren. Kaufmans Laufbahn kann in jeder Hinsicht als eine imperiale Biographie verstanden werden. Bei seinem Amtsantritt in Taschkent hatte er bereits das halbe Imperium durchmessen, und das multinationale Reich bildete für ihn sein ganzes Berufsleben hindurch den Rahmen seiner Tätigkeit. Kaufmans Blick auf Turkestan war durch seinen Dienst im Kaukasus sowie in den Nordwestgebieten geprägt, und er bemühte sich, seine Erfahrungen aus diesen Regionen auch in Zentralasien einzusetzen. Er prägte die Kolonialverwaltung in Turkestan wie keiner seiner Nachfolger und trug damit auch selbst zur Ausgestaltung des Imperiums bei. Auch wenn er sich für große Sonderrechte für seine Provinz einsetzte, sah er seine Tätigkeit in Turkestan als Beitrag zur strukturellen Homogenisierung des Imperiums. Zugleich ermöglichte ihm der Dienst in der Peripherie, seine persönlichen Ambitionen und Eitelkeiten zu befriedigen und in Taschkent als Monarch im Kleinformat Hof zu halten. Kaufmans Residenz in Taschkent war von einem prächtigen Garten umgeben. Man konnte Alleen entlang spazieren oder verwinkelten Pfaden folgen, es gab Blumenbeete, die das ganze Jahr blühten, dazwischen Bäche und Wasserfälle. Kaufman betrachtete diesen Garten als seine eigene Schöpfung, wie er einem Besucher nicht ohne Stolz erklärte: Niemand habe sich für diesen Flecken Land interessiert, so 95 Protokol Nr. 5 komissii po voprosu o razvedke vne i vnutri Turkestanskogo kraja (1908). In: CGARUz, f. I-1, op. 31, d. 540, l. 61.



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Kaufman, und nur er selbst habe erkannt, was sich daraus machen ließe. Mit viel Mühe sei ihm hier schließlich etwas gelungen, was keiner erwartet hatte.96 Man kann davon ausgehen, dass Kaufman seine Bilanz in Turkestan ähnlich einschätzte wie die in seinem Garten.

96 Ostroumov, K istorii (wie Anm. 8), S. 100. Eine ausführliche Beschreibung des Gartens aus späterer Zeit findet sich bei Duchovskaja, Vospominanija (wie Anm. 13), S. 24.

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„Gut österreichische Gesinnung“ Imperiale Identitäten und Reichsbilder der letzten österreichischen Statthalter in Triest (1904–1918)

Abb. 7: Konrad Prinz zu Hohenlohe-WaldenburgSchillingsfürst (1863–1918), Statthalter in Triest 1904–1915, Aufnahme von 1915

Abb. 8: Alfred Freiherr von Fries-Skene (1870– 1947), Statthalter in Triest 1915–1918, Aufnahme von 1913

Wehmütig dachte Alfred Freiherr von Fries-Skene im Sommer 1919, ein halbes Jahr nach dem Zusammenbruch der alten Ordnung, an die untergegangene Habsburgermonarchie zurück: Wenn ich auch als Bürger des deutschösterreichischen Staates aufrichtig und loyal auf dem Boden des Neugeschaffenen stehe, so will mich dies nicht hindern, in pietätsvollem Gedenken einen Kranz auf die Bahre des alten Österreich zu legen, das ich innig geliebt habe und das – ein Staat würdig in seiner Art, in seinen Vorzügen, wie in seinen Fehlern – dieser Liebe auch wert war.1 1 Österreichisches Staatsarchiv (ÖStA), Allgemeines Verwaltungsarchiv (AVA), Nachlass (NL) FriesSkene, K. 3, Manuskript, Alfred Freiherr von Fries-Skene: „Österreichs Schicksalstage an der Adria. Erinnerungen des letzten kais.[erlichen] St.[atthalters] in T.[riest]“. Wien, Juni 1919. S. 3.



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Fries-Skene, der letzte österreichische Statthalter in Triest, hatte während des Ersten Weltkrieges vier Jahre lang als höchster Repräsentant des Kaisers im Adriahafen amtiert. Nachdem Triest seit 1382 zum habsburgischen Einflussgebiet gehört hatte, musste der österreichische Statthalter jedoch seinen Posten im November 1918 in Folge des Vorrückens der italienischen Truppen räumen. Fries-Skene war wohl nicht der einzige Beamte, der sich mit dem österreichischen Staat identifiziert hatte und nun dem Habsburgerreich nachtrauerte. Besonders die englischsprachige Forschung zur späten Habsburgermonarchie hat sich in den letzten Jahren des Themas der Beharrungskraft solcher imperialer Loyalitäten, also des Gefühls der Zugehörigkeit zum österreichischen Staat und der Dynastie Habsburg angenommen, und hat darauf hingewiesen, dass die Nationalisierung der Gesellschaft durchaus nicht zwangsläufig zur Unterminierung der Legitimation des Habsburgerreichs führte.2 Im Zentrum dieses Beitrages stehen die Biographien zweier Persönlichkeiten aus der hohen zivilen Staatsbeamtenschaft Cisleithaniens: Konrad Prinz zu Hohenlohe (1863–1918)3 und Alfred Freiherr von Fries-Skene (1870–1947)4. Ihre steile Karriere in der inneren Staatsverwaltung führte beide hier untersuchten Männer immer wieder in unterschiedliche Provinzen der cisleithanischen Reichshälfte, so auch in die adriatische Hafenstadt Triest, wo sie direkt nacheinander den Posten eines kaiserlichen Statthalters, des höchsten Repräsentanten des Reichs im Land, bekleideten. Sie gehörten einer administrativen Elite an, die bereits die Zeitgenossen zu den wichtigsten Säulen des habsburgischen Herrschaftsapparats zählten. Ihre berufliche Laufbahn zeichnete sich durch einen besonders hohen Grad an Mobilität aus. Anknüpfend an das diesem Sammelband zugrunde liegende Konzept der imperialen Biographie geht es im Folgenden darum, paradigmatisch aufzuzeigen, wie die Reichsstrukturen der späten Habsburgermonarchie die Karriere von zivilen Staatsbeamten prägten. Es wird danach gefragt, welchen Loyalitäten zur Dynastie, zum Staat und zur Nation sich hohe Beamte verpflichtet fühlten und welche Vorstellungen von inneren Hierarchien im Reich, vom Reichszusammenhang und dessen Bedrohung sie besaßen. Zum anderen wird am Beispiel der Amtstätigkeit der beiden oben genannten Beamten als kaiserliche Statthalter in Triest der Frage nachgegangen, wie das Handeln von imperialen Akteuren selbst wiederum Veränderungen im Reich hervorrief. Mit welchen Strategien versuchten die Statthalter in Triest, dem in ihren Augen

2 Zum Nebeneinander verschiedener Loyalitäten vgl. Fredrik Lindström: Empire and Identity. Bio­ gra­phies of the Austrian State Problem in the Late Habsburg Empire. West Lafayette 2008; Laurence Cole u. Daniel L. Unowsky: Introduction. In: Laurence Cole u. Daniel L. Unowsky (Hrsg.): The Limits of Loyalty. Imperial Symbolism, Popular Allegiances, and State Patriotism in the Late Habsburg Monarchy. New York 2007. S. 1–11; Pieter M. Judson: Introduction. In: Pieter M. Judson u. Marsha L. Rozenblit (Hrsg.): Constructing Nationalities in East Central Europe. New York 2004. S. 1–18. 3 Vgl. Österreichisches Biographisches Lexikon (ÖBL) 1815–1950. Band 2 (Lfg. 10, 1959). S. 392f. 4 ÖBL (wie Anm. 3), Bd. 1 (Lfg. 4, 1956), S. 367.

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bedrohten Bestand des Reichs zu begegnen und wie beeinflussten ihre Reichsbilder und Loyalitäten ihre Amtstätigkeit an der Spitze der Staatsbehörden in der Provinz?5

Soziale und berufliche Mobilität Beide hier untersuchten Männer gehörten sowohl durch ihre Herkunft als auch durch ihre berufliche Laufbahn zur gesellschaftlichen und politischen Elite der Habsburgermonarchie, allerdings gilt es hier wichtige Binnendifferenzen zu beachten. Fries-Skene (1870–1947) kann in den sozialen Hierarchien der späten Habsburgermonarchie der sogenannten Zweiten Gesellschaft zugeordnet werden, die sich aus dem niederen Adel, dem Bildungs- und Besitzbürgertum zusammensetzte.6 Seinem Vater, der als Generalstabsoffizier der k.u.k. Armee immer wieder in unterschiedlichen Regionen des Habsburgerreichs stationiert war, hatte Kaiser Franz Joseph den Adelstitel eines Ritters von Fries verliehen, was für die Familie einen gewissen sozialen Aufstieg darstellte. Dem 1870 geborenen Sohn Alfred gelang durch die Eheschließung mit der Tochter eines politisch sehr aktiven Großgrund- und Fabrikbesitzers aus Mähren nochmals ein weiterer Schritt auf der gesellschaftlichen Leiter. Einerseits verbesserte sich durch die Eheschließung seine finanzielle Situation merklich, andererseits wurde ihm über Vermittlung seines Schwiegervaters, Alfred Freiherr von Skene7 (1849–1917), der Titel eines Freiherrn verliehen, wofür er im Gegenzug den Namen seines Schwiegervaters annahm und sich seit 1910 Fries-Skene nannte.8 Im Unterschied dazu war bei Konrad Prinz zu Hohenlohe-Waldenburg-Schillingsfürst (1863–1918) ein weiterer sozialer Aufstieg praktisch ausgeschlossen. Als Angehöriger eines 1806 mediatisierten süddeutschen Fürstenhauses und als Sohn des langjährigen Ersten Obersthofmeisters9 Kaiser Franz Josephs gehörte Hohenlohe klar zur Hofgesellschaft, zur Ersten Gesellschaft. Dass Aristokraten wie Hohenlohe in der zivilen Staatsbeamtenschaft dienten, war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht mehr so verbreitet wie in früheren Zeiten. Zwar war der diplomatische Dienst immer noch von Hochadeligen dominiert, 5 Sehr interessant erscheint auch die Frage nach dem Erfahrungstransfer von einer Karrierestation zur nächsten. Da im vorliegenden Beitrag der Schwerpunkt allerdings auf der Karrierestation Triest liegt, kann ein solcher Wissenstransfer nicht nachgezeichnet werden. 6 Zur Trennung zwischen „Erster“ und „Zweiter Gesellschaft“ vgl. Hannes Stekl: Der erbländische Adel. In: Helmut Rumpler u. Peter Urbanitsch (Hrsg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Bd. IX (Soziale Strukturen). 1. Teilband. Wien 2010. S. 951–1013, hier S. 953. 7 Vgl. ÖBL (wie Anm. 3), Bd. 12 (Lfg. 57, 2004), S. 320f. 8 Vgl. ÖStA, AVA, Adelsarchiv, Hofadelsakten, Nr. 2363, Fries, Dr. Alfred Ritter von. 9 Zu Hohenlohes Vater, Prinz Konstantin (1828–1896), vgl. ÖBL (wie Anm. 3), Bd. 2 (Lfg. 10, 1959), S. 393f; Martina Winkelhofer: Der Alltag des Kaisers. Franz Joseph und sein Hof. Wien 20102. S. 21. Eine Tochter Konrad Hohenlohes heiratete 1917 ins Kaiserhaus ein, indem sie den Bruder Kaiser Karls, Erzherzog Maximilian Eugen, ehelichte.



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doch in der inneren Verwaltung, die Hohenlohe gewählt hatte, dominierte längst die Zweite Gesellschaft.10 Zudem war seit der Mitte des 19. Jahrhunderts auch für Angehörige des Hochadels ein Universitätsstudium unabdingbare Voraussetzung für eine Karriere im höheren Dienst. Sowohl Hohenlohe als auch Fries-Skene waren universitär ausgebildete Juristen mit Schwerpunkt in Staats- und Verwaltungsrecht. Beide Männer hatten sich für eine Laufbahn in der inneren Verwaltung entschieden. Zu diesem Dienstzweig gehörten das Innenministerium, die staatlichen Landesbehörden auf Stufe der Kronländer sowie die Bezirksbehörden auf Stufe der Bezirke jedes Kronlandes. Ihre Laufbahn führte beide Beamte in eine Vielzahl von Kronländern der cisleithanischen Reichshälfte, aber auch immer wieder in die Wiener Zentralstellen. Sie waren also sowohl Experten für das imperiale Zentrum als auch für Randgebiete und Reichsprovinzen mit unterschiedlichen sozialen und sprachlichen Bevölkerungszusammensetzungen. Hohenlohe diente in Salzburg, mehrmals in Böhmen, dann in der Bukowina und im Küstenland, Fries-Skene in Kärnten, im Küstenland, wieder in Kärnten und wieder im Küstenland.11 Dieses Mobilitätsmuster war für die damalige innere Verwaltung jedoch nicht mehr ganz so typisch wie noch in der ersten Jahrhunderthälfte. Immer häufiger blieben Beamte ihr Leben lang in demjenigen Kronland, wo sie ihre berufliche Laufbahn begonnen hatten, oder wechselten schon in einer frühen Phase ihrer Karriere nach Wien, ohne je wieder auf eine Landesstelle zurückzukehren. Fries-Skene und Hohenlohe konnten im Vergleich zu den meisten anderen hohen Beamten also auf eine ausgesprochen mobile Karriere verweisen.12 Bis zur Position des Statthalters in Triest, die zuerst Hohenlohe von 1904 bis 1915 und danach Fries-Skene von 1915 bis 1918 inne hatte, verliefen die Karrieren der beiden Beamten in sehr ähnlichem Tempo. Beide kletterten schnell die Karriereleiter hoch und waren in ihren Rangklassen jeweils unter den Jüngsten. Beide Männer verfügten über juristisches Fachwissen, über Führungsqualitäten gegenüber Untergebenen und Fingerspitzengefühl im Umgang mit Politikern und Wirtschaftsvertretern. Beide besaßen ein sicheres und gewandtes Auftreten und beherrschten neben Deutsch mehrere weitere moderne Sprachen. Neben Englisch und Französisch waren vor allem die tschechische Sprache bei Fries-Skene und die italienische Sprache bei Hohenlohe für ihre Tätigkeit in den Reichsprovinzen wichtig. Hohenlohe stieg die Karriereleiter noch höher. Im Jahr 1906 war er für kurze Zeit cisleithanischer Ministerpräsident, kehrte aber schon nach vier Wochen auf seinen

10 Vgl. Peter Urbanitsch: The High Civil Service Corps in the Last Period of the Multi-Ethnic Empire between National and Imperial Loyalties. In: Historical Social Research 2 (2008). S. 193–213, hier S. 205. 11 Die Karrierestationen können am besten anhand des jährlich in Wien erschienenen Hof- und Staatshandbuchs der österreichisch-ungarischen Monarchie nachvollzogen werden. 12 Urbanitsch zieht Fries-Skenes Laufbahn als ein Beispiel für eine überdurchschnittlich mobile Karriere heran, vgl. Urbanitsch, High Civil Service Corps (wie Anm. 10), S. 203.

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Posten in Triest zurück.13 1916 amtierte er für ein halbes Jahr als cisleithanischer Innenminister, später dann als österreichisch-ungarischer gemeinsamer Finanzminister und wurde schließlich von Kaiser Karl zum Ersten Obersthofmeister ernannt. Vermutlich ist es einer Kombination aus Hohenlohes hoher sozialer Stellung und seinem ausgedehnten Beziehungsnetz in der Ersten und Zweiten Gesellschaft zu verdanken, dass seine Karriere schließlich doch weiter führte als diejenige von FriesSkene.

Identitäten und Loyalitäten Wie die Analyse der hinterlassenen Selbstzeugnisse zeigt, fühlten sich beide Beamte einer Reihe von sich überlappenden Loyalitäten verpflichtet. Während sich beide mit dem österreichischen Staat, dem Haus Habsburg und der römisch-katholischen Kirche identifizierten, lässt sich zudem bei Fries-Skene ein Zugehörigkeitsgefühl zu einer Nation, nämlich zur deutschen, feststellen. Sowohl Fries-Skene als auch Hohenlohe identifizierten sich sehr stark mit der Habsburgermonarchie, wobei sich hier Loyalität zur Dynastie Habsburg und Loyalität zum Staat miteinander verbanden. Ihre imperiale Identität bestand also aus mehreren Komponenten, die zusammen – in der damaligen Diktion – eine „gut österreichische Gesinnung“14 ausmachten. Bei aller „Kaisertreue“ der beiden Beamten war ihre Haltung doch nicht völlig frei von Kritik am Herrscherhaus, und dies nicht erst im Rückblick nach 1918.15 Durch ihre hohen beruflichen Positionen hatten sie wiederholt direkten Kontakt zu Mitgliedern des Kaiserhauses, auch zu den regierenden Kaisern Franz Joseph und Karl, so dass sie sich ihre ganz persönlichen Meinungen über deren Charaktere bilden konnten. Besonders Hohenlohe missbilligte die Erstarrung des politischen Systems unter Franz

13 Der Kaiser hatte Hohenlohe damit beauftragt, als Ministerpräsident die anstehende Wahlreform zur Ausweitung des Wahlrechts so schnell wie möglich voranzutreiben. Hohenlohe trat schon nach kurzer Zeit aus Protest gegen einen Entscheid des Kronrates (und des Kaisers) im Zusammenhang mit dem periodisch neu auszuhandelnden Ausgleich zwischen der österreichischen und ungarischen Reichshälfte zurück, vgl. den Artikel „Konrad Prinz zu Hohenlohe-Schillingsfürst“ in Neue Freie Presse, 23.12.1918, Nachmittagsblatt, Nr. 19516, S. 3–4; sowie Alois Czedik: Zur Geschichte der k. k. österreichischen Ministerien 1861–1916. Band 3. Teschen 1917–1920. S. 63. 14 Der Ausdruck „gut österreichische Gesinnung“ oder ähnliche Formulierungen finden sich immer wieder in den Schreiben der Triester Statthalter an das Innenministerium, u.a. in Archivio di Stato di Trieste (ASTS), Imperial regia Luogotenenza del Litorale 1906–1918 atti presidiali (IRLLAP), K. 371, 1913, Zl. 1937: Statthalter in Triest Hohenlohe an Minister des Innern Karl Heinold von Udynski, Triest 16.09.1913. 15 Zum Thema „Kaisertreue“ vgl. auch Peter Urbanitsch: Pluralist Myth and Nationalist Realities. The Dynastic Myth of the Habsburg Monarchy – a Futile Exercise in the Creation of Identity? In: Austrian History Yearbook 35 (2004). S. 101–141.



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Joseph und dessen Politik des konstanten „Fortwurstelns“.16 Nach dem Tod Franz Josephs transferierten beide Beamte ihre Loyalität zwar auf den neuen Kaiser, dem sie jedoch, vielleicht noch verstärkt durch den Altersunterschied zum deutlich jüngeren Karl, weniger Ehrfurcht und Verehrung entgegenbrachten als Franz Joseph. Beide hatten den Eindruck, dass Kaiser Karl zwar ausnehmend bescheiden und liebenswürdig sei, doch eben auch zu gutmütig und zu wenig konsequent in der Ausführung einmal getroffener Entscheidungen.17 Eine besonders starke Verbundenheit zeigten Hohenlohe und Fries-Skene zum österreichischen Staat. Immer wieder findet sich in ihren Schriften die Betonung „staatlichen Bewusstseins“, „staatlicher Treue“ oder „Staatsgefühls“.18 Während in der breiten Bevölkerung, wie neuere Forschungen nahelegen, das Staatsbewusstsein nicht so weit entwickelt war wie die dynastische Loyalität,19 lässt die Analyse der Loyalitäten Hohenlohes und Fries-Skenes hingegen vermuten, dass bei Beamten das Staatsbewusstsein stärker ausgeprägt war. Das Bild der Beamten als Staatsdiener und zugleich Fürstendiener, das in der josephinischen Zeit geprägt worden war, hatte auch noch am Ende des 19. Jahrhunderts Gültigkeit.20 Der österreichische Staat war in den Augen beider hier untersuchter Beamter mehr als nur das Herrschaftsgebiet der Familie Habsburg. In ihrer Vorstellung existierte eine sogenannte „österreichische Staatsidee“21, die über die Dynastie hinauswies. Während Hohenlohe den Reichs­ zusammenhang vor allem in der Notwendigkeit der wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeit kleiner Völker begründet sah, die sonst von den großen Völkern ein16 Familienarchiv Hohenlohe (FAH), Hubert Hohenlohe: „Erinnerungen an Vater“, Typoskript, Inns­ bruck, Mai 1944, S. 23. Einer der Söhne Konrad Hohenlohes, Hubert Hohenlohe (1893–1969), fasste darin seine persönlichen Erinnerungen an den Vater zusammen, da dieser nur wenige Selbstzeugnisse hinterlassen hatte. 17 Vgl. Hohenlohe, Erinnerungen an Vater (wie Anm. 16), S. 82. Zu Fries-Skenes Verhältnis zu Kaiser Karl vgl. Fries-Skene, Österreichs Schicksalstage (wie Anm. 1), S. 56. Zum Verhältnis zwischen Be­ amten und Kaiser vgl. auch Waltraud Heindl: Josephinische Mandarine. Bürokratie und Beamte in Österreich. Wien [u.a.] 2013. S. 94–97. 18 So beispielsweise in Hohenlohe, Erinnerungen an Vater (wie Anm. 16), S. 54 oder in ÖStA, AVA, NL Fries-Skene, K. 1, Typoskript, Alfred Freiherr von Fries-Skene: Rede des Landespräsidenten in Kärnten vor dem Landtag [ohne Datum, zwischen 1912 und 1915]. 19 Vgl. Ewald Hiebl: German, Austrian, or ‚Salzburger‘? National Identities in Salzburg c. 1830–1870. In: Laurence Cole (Hrsg.): Different Paths to the Nation. Regional and National Identities in Central Europe and Italy, 1830–1870. Basingstoke 2007. S. 100–121, hier S. 108. 20 Zum Selbstverständnis der Beamtenschaft vgl. Waltraud Heindl: Zum cisleithanischen Beamten­ tum: Staatsdiener und Fürstendiener. In: Urbanitsch, Die Habsburgermonarchie (wie Anm. 6), S. 1157– 1209. Vgl. zur Verbundenheit mit der Idee des Rechtstaats auch den Beitrag von Fredrik Lindström in diesem Band. 21 Fries-Skene verwendete den Begriff „österreichischer Staatsgedanke“, vgl. ÖStA, AVA, Ministerium des Innern (MdI), Präsidiale (Präs.) 22, Irredenta in genere, K. 2083, Zl. 11045/1916, Statthalter in Triest Fries-Skene an das k.u.k. Kommando der Südwestfront, Triest 7.5.1916. Zum Begriff „österreichische Staatsidee“ vgl. Fredrik Lindström: Ernest von Koerber and the Austrian State Idea: A Reinterpretation of the Koerber Plan (1900–1904). In: Austrian History Yearbook 35 (2004). S. 143–184.

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verleibt würden, sah Fries-Skene das Reich als Träger einer Kulturmission, die den Völkern im Osten die europäische Zivilisation und die deutsche Kultur vermitteln sollte – eine elitäre Zivilisierungsvorstellung, wie sie damals gerade in deutschnationalen Kreisen häufig anzutreffen war.22 In den letzten Jahrzehnten des Bestehens der Habsburgermonarchie schritt der Nationalisierungsprozess nicht nur in der Zivilgesellschaft, sondern auch unter der Beamtenschaft immer mehr voran. Immer häufiger identifizierten sich Beamte mit einer bestimmten Nation, mit der deutschen, tschechischen, polnischen etc.23 Dieser neue Typ der Selbstidentifikation ließ sich problemlos mit einer bereits bestehenden imperialen Loyalität kombinieren, da dieser ältere Typ der Selbstidentifikation offen genug war, um nationales Bewusstsein zu integrieren. Wie bereits andere Studien nachgewiesen haben, bestand kein permanenter Konflikt oder inhärenter Widerspruch zwischen Nationalbewusstsein und Reichsbewusstsein – so lange national bewusste Menschen nicht die politische Zukunft ihrer Nation außerhalb des Rahmens der Habsburgermonarchie suchten. Das Beispiel Fries-Skenes zeigt, dass Loyalitäten zum Reich und zu einer Nation überlappen konnten. Er bezeichnete sich selbst als „nach Familie und Gesinnung Deutscher“ und als „deutschen Bureaukraten“ und sympathisierte mit den deutschnationalen Parteien im Parlament, verurteilte jedoch diejenigen radikalen Strömungen, die den Anschluss der deutschsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie an das Deutsche Reich forderten.24 Die Reichsdeutschen bewunderte er ganz generell als „kraftvolle Tatmenschen“ voll „Gesundheit und strotzender Kraft“, ohne jeden „müden, dekadenten Zug“.25 Auch den Hohenzollern-Kaiser Wilhelm II., der im Weltkrieg in Triest auf Staatsbesuch kam, bewunderte er als „gewaltige, kraftvolle Persönlichkeit“ und „Verkörperung des Gedankens nationaler Kraft, sozusagen der Macht an sich“.26 Der Familie Habsburg war also eine starke Konkurrenz aus dem Deutschen Reich erwachsen. Wenn sich auch in der cisleithanischen Beamtenschaft das Ausbreiten nationaler Ideen feststellen lässt, so hatte der Nationalisierungsprozess doch längst nicht die gesamte Beamtenschaft erfasst. Vermutlich gab es immer noch viele Beamte, gerade solche in hohen Positionen oder mit hochadeligem Hintergrund, die sich gegen natio­ nale Ideen immun zeigten.27 Die verfügbaren Quellen lassen den Schluss zu, dass 22 Fries-Skenes Haltung weist einige Parallelen auf mit derjenigen des Historikers Heinrich Friedjung, wie sie von Lindström herausgearbeitet wurde, vgl. Lindström, Empire and Identity (wie Anm. 2), S. 30–42. 23 Zur Nationalisierung der Beamtenschaft vgl. Heindl, Zum cisleithanischen Beamtentum (wie Anm. 20), S. 1184. 24 Vgl. ÖStA, AVA, NL Fries-Skene, K. 1, Nr. 1.17, Alfred Freiherr von Fries-Skene: Politische Theorie, Typoskript [vermutlich 29.10.1914], S. 1f. 25 Fries-Skene, Österreichs Schicksalstage (wie Anm. 1), S. 36. 26 Fries-Skene, Österreichs Schicksalstage (wie Anm. 1), S. 39. 27 Vgl. Heindl, Josephinische Mandarine (wie Anm. 17), S. 120.



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auch Hohenlohe kein Zugehörigkeitsgefühl zu einer bestimmten Nation empfand. Zwar besaß er familiäre Beziehungen zum Deutschen Reich (der Reichskanzler Chlodwig Hohenlohe28 war ein direkter Onkel) und war sich der Herkunft seiner Familie aus dem süddeutschen Raum29 sehr bewusst, doch all dies sagt noch nichts über das Vorhandensein eines nationalen Bewusstseins aus. Nach Einschätzung eines seiner Söhne war Hohenlohe national indifferent.30

Reichsbilder und Bedrohungsszenarien Wie bereits erwähnt, identifizierten sich Hohenlohe und Fries-Skene sehr stark mit dem österreichischen Staat. Dabei galt ihre Loyalität primär der Gesamtmonarchie, dem ganzen Reich, und erst sekundär der „westlichen“ Reichshälfte – und dies obwohl Cisleithanien seit 1867 eigene staatliche Institutionen wie Regierung und Parlament besaß und obwohl beide Beamte ihre berufliche Laufbahn nur in den cisleithanischen Reichsprovinzen zurückgelegt hatten. Während im öffentlichen Sprachgebrauch der Begriff Österreich immer häufiger nur noch im Sinne der cisleithanischen Reichshälfte verwendet wurde, setzte sich im Reichsbild der beiden Beamten die imperiale Tradition des Kaisertums Österreich fort. Wenn sie von Österreich als ihrem Vaterland sprachen, dann meinten sie damit immer das ganze Reich, nicht nur eine Reichshälfte.31 Die Frage, welche Hierarchien zwischen den Nationalitäten in der Gedankenwelt der beiden hohen Beamten existierten, ist nicht leicht zu beantworten. Hohenlohe äußerte sich dazu nicht explizit, doch unterstützte auch er Pläne, Deutsch als „staatliche Verkehrssprache“ in Cisleithanien festzuschreiben, was primär deutschspra-

28 Vgl. Günter Richter: Chlodwig Fürst zu Hohenlohe-Schillingsfürst. In: Neue deutsche Biographie. Bd. 9. Berlin 1972. S. 487–489. 29 Hohenlohe sei sich seiner „Abstammung als süddeutscher Standesherr“ durchaus bewusst gewesen, schrieb sein Sohn Hubert nach seinem Tod, vgl. Hohenlohe, Erinnerungen an Vater (wie Anm. 16), S. 8. 30 Sein Sohn Hubert schrieb über Hohenlohe, dass er über solchen Dingen wie Nation gestanden und stattdessen den „österreichischen Gedanken im Grossen“ verfochten habe, vgl. Hohenlohe, Er­ innerungen an Vater (wie Anm. 16), S. 3. Die Zeitschrift Austrian History Yearbook widmete ihren Bd. 43 (2012) dem Thema nationale Indifferenz. Vgl. dazu auch Tara Zahra: Kidknapped Souls: Natio­nal Indifference and the Battle for Children in the Bohemian Lands 1900–1948. Ithaca 2008; Pieter M. Judson: Guardians of the Nation. Activists on the Language Frontiers of Imperial Austria. Cambridge [u.a.] 2006; Jeremy King: The Nationalization of East Central Europe. Ethnicism, Ethnicity, and Beyond. In: Maria Bucur u. Nancy M. Wingfield (Hrsg.): Staging the Past. The Politics of Commemoration in Habsburg Central Europe, 1848 to the Present. West Lafayette 2001. S. 112–152. Hohenlohes Loyalitäten zu Staat und Kaiserhaus sind vergleichbar mit denjenigen des Beamten und Politikers Ernest von Koerber. Zum Selbstverständnis Koerbers vgl. Lindström, Empire and Identity (wie Anm. 2), S. 39–59. 31 Vgl. u.a. Hohenlohe, Erinnerungen an Vater (wie Anm. 16), S. 15, S. 54; Fries-Skene, Österreichs Schicksalstage (wie Anm. 1), S. 27.

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chigen Beamten und Angestellten Vorteile gebracht hätte. 32 Fries-Skene hingegen schrieb im Oktober 1914 ausdrücklich davon, dass die Deutschen in der Habsburgermonarchie das „eigentliche Staatsvolk“ seien, dessen „dauernde Hegemonie [...] über die anderen Völker“ angestrebt werden solle, was angesichts der kulturellen Überlegenheit der Deutschen durchaus gerechtfertigt sei.33 Was die Zukunftsaussichten des Reichs anging, waren beide Männer eher pessimistisch, jedenfalls in langfristiger Perspektive. Im Ersten Weltkrieg fürchteten beide eine militärische Niederlage, doch mehr noch als die Gefahr von außen fürchteten beide Beamte, und zwar schon vor dem Krieg, den Zerfall von innen. In ihren Bedrohungsszenarien waren es primär die nationalen Konflikte, die den Staatserhalt bedrohten – soziale Konflikte hielten sie für viel weniger gefährlich. Als besonders bedrohlich für die Reichseinheit stuften sie die Unabhängigkeitsbestrebungen der Magyaren ein. Doch auch einigen anderen Nationalitäten warfen sie vor, ihren „nationalen Egoismus“ vor das Gemeinwohl zu stellen.34 Zu den staatserhaltenden Nationalitäten Cisleithaniens zählten sie hingegen die Deutschen, Kroaten und Polen, deren für das Reich „freundliche Stimmung“ sie systematisch pflegen und stärken wollten. Beide unterstützten aus diesem Grund auch die Umgestaltung der dualistischen in eine trialistische Reichsstruktur durch die Errichtung eines südslawischen Teilstaates. Dadurch sollte einerseits der ungarische Einfluss im Reich zurückgebunden und andererseits die Stellung des Reichs auf dem Balkan gestärkt werden.35 Wie sollte nun nach Meinung der beiden Zivilstaatsbeamten der nationalen Bedrohung des Reichs entgegengewirkt und zugleich die Integrationskraft des Reichs erhöht werden? Zum einen versuchten sie, durch staatliches Handeln den Reichspatriotismus bei der Bevölkerung zu fördern. Wie sie dieses Ziel konkret umzusetzen versuchten, wird weiter unten am Beispiel Triest gezeigt. Zum anderen setzten sie – ganz in der Tradition des österreichischen Beamtentums – auf eine verstärkte Zentralisierung Cisleithaniens. Die Verschiebung einer Reihe von Kompetenzen von der Landesebene auf die Ebene der Wiener Regierung sollte den Einfluss der politischen Parteien in den Kronländern eindämmen und zugleich die Position der Beamtenschaft (insbesondere auch der Statthalter als Vertreter der Regierung in der Provinz) stärken. 32 Zu diesen Reformplänen Hohenlohes vgl. Max Hussarek Heinlein (Hrsg.): Erinnerungen des Eras­ mus Freiherrn von Handel. Wien 1930. S. 79. 33 Vgl. u.a. Fries-Skene, Politische Theorie (wie Anm. 24), S. 2. 34 Diesen Vorwurf erhoben sie immer wieder pauschal gegen die Tschechen und Italiener, obwohl sie sich durchaus bewusst waren, dass innerhalb einer Nationalität ganz verschiedene politische Parteien agierten. Zur Haltung Hohenlohes gegenüber der magyarischen politischen Elite vgl. Hohenlohe, Erinnerungen an Vater (wie Anm. 16), S. 15. Zur Einstellung Fries-Skenes vgl. Fries-Skene, Österreichs Schicksalstage (wie Anm. 1), S. 54. 35 Hohenlohe, Erinnerungen an Vater (wie Anm. 16), S. 28. Fries-Skene, Österreichs Schicksalstage (wie Anm. 1), S. 54. Auch der Thronfolger Franz Ferdinand beschäftigte sich mit solchen Reformplänen, vgl. Alina Teslaru-Born: Ideen und Projekte zur Föderalisierung des Habsburgischen Reiches mit besonderer Berücksichtigung Siebenbürgens 1848–1918. Dissertation. Frankfurt/Main 2005.



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Gerade für Triest, aber auch für die böhmischen Länder versprachen sich Hohenlohe und Fries-Skene davon eine Beruhigung des Nationalitätenkonflikts. Autoritäre und teilweise antiparlamentarische Tendenzen lassen sich bei beiden Beamten nicht erst im Weltkrieg feststellen, doch gelang ihre tatsächliche Umsetzung nur teilweise.36

Karrierestation Triest In der Forschungsliteratur zur späten Habsburgermonarchie dominieren immer noch Studien, die sich mit den verschiedenen Gruppen von nationalen Aktivisten beschäftigen, deren Bemühungen auf die Gewinnung breiterer Bevölkerungsschichten für ihre jeweilige nationale Sache abzielten. Erst in neuester Zeit interessiert sich die Geschichtsschreibung vermehrt für die Erforschung staatlicher Programme zur Förderung der Loyalität der Staatsbürger gegenüber dem Reich. Dass es solche staatlichen Bemühungen gab, belegen unter anderem Studien zur cisleithanischen Schulpolitik37, zur gemeinschaftsbildenden Funktion des Militärdienstes38 und zum gezielten Einsatz politischer Rituale und öffentlicher Feierlichkeiten im Zusammenhang mit dem Kaiserhaus.39 Wie die Untersuchung der inneren Verwaltungsbehörden 36 Während seiner Amtstätigkeit in Triest versuchte Hohenlohe wiederholt, die Kompetenzen des Triester Gemeinderats und anderer Gemeinden zurückzubinden, was ihm aber nur teilweise gelang, da die Regierung die von der Verfassung gesetzten Grenzen nicht überschreiten und den Bündnispartner Italien nicht verärgern wollte, vgl. Angelo Ara: Gli italiani nella monarchia asburgica (1850–1918). In: Rassegna storica del Risorgimento 4 (1998). S. 435–450, hier S. 446. Im Ersten Weltkrieg arbeitete Hohenlohe in Wien an Reformplänen für Cisleithanien, die die Kompetenzen der Zentrale ausgeweitet hätten, doch auch hier unterblieb die Umsetzung, vgl. Heinlein, Erinnerungen (wie Anm. 32), S. 95. Fries-Skene arbeitete seit 1915 an einem Gesetzesentwurf, der die Kompetenzen der Repräsentativkörperschaften in Triest stark eingeschränkt hätte. Auch hier kam es bis zum Zu­ sammenbruch des Reiches nicht zur Implementierung, einerseits aus Rücksicht auf rechtsstaatliche Prinzipien, andererseits aus Mangel am nötigen politischen Willen der Staatsführung, vgl. ÖStA, AVA, MdI, Präs. 11, Küstenland/Niederösterreich (1900–1918), K. 1564, Zl. 474/1917, Statthalter in Triest Fries-Skene an Minister des Innern Konrad Prinz Hohenlohe, Triest 22.1.1916. 37 Vgl. Ernst Bruckmüller: Patriotic and National Myths: National Consciousness and Elementary School Education in Imperial Austria. In: Cole, The Limits of Loyalty (wie Anm. 2), S. 11–33. 38 Vgl. beispielsweise Laurence Cole: Military Veterans and Popular Patriotism in Imperial Austria, 1870–1914. In: Cole, The Limits of Loyalty (wie Anm. 2), S. 36–61. Zur Selbstverständlichkeit der Multinationalität der k.u.k. Armee und der Toleranz zwischen Mannschaftssoldaten unterschiedlicher Loyalitäten vgl. Christa Hämmerle: Den Militärdienst erinnern – eine Einleitung. In: Christa Hämmerle (Hrsg.): Des Kaisers Knechte. Erinnerungen an die Rekrutenzeit im k. (u.) k. Heer 1868 bis 1914. Wien [u.a] 2012. S. 7–22. 39 Zu den imperialen Feierlichkeiten in der späten Habsburgermonarchie vgl. Daniel L. Unowsky: The Pomp and Politics of Patriotism. Imperial Celebrations in Habsburg Austria, 1848–1916. West Lafayette 2005; Daniel L. Unowsky: Reasserting Empire. Habsburg Imperial Celebrations after the Revolutions of 1848–1849. In: Cole, The Limits of Loyalty (wie Anm. 2), S. 13–45. Steven Beller: Kraus’s Firework. State Consciousness Raising in the 1908 Jubilee Parade in Vienna and the Problem

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im Küstenland zeigt, gab es darüber hinaus weitere staatliche Projekte, die sich die Förderung des Österreichbewusstseins unter der breiten Bevölkerung in den Reichsprovinzen zum Ziel gesetzt hatten. In der Wahrnehmung der beiden Statthalter, die zwischen 1904 und 1918 als höchste Repräsentanten der Staatsmacht in Triest amtierten, war das Küstenland ein exponiertes Grenzland, dessen Zugehörigkeit zur Habsburgermonarchie vielfach bedroht schien. Schon vor dem Krieg gab es unter der bürgerlichen, italienischsprechenden Elite des Küstenlandes irredentistische Tendenzen, die die Provinz aus dem Habsburgerreich herauslösen und dem Königreich Italien anschließen wollten.40 Mit dem Kriegseintritt Italiens im Frühling 1915 wurde die Eroberung Triests zu einem erklärten Kriegsziel des italienischen Staates. Zudem machten sich auch unter südslawischen Nationalisten vor und im Krieg vereinzelt Ansprüche auf Einverleibung von Teilen des Küstenlandes in einen neu zu schaffenden südslawischen Staat außerhalb der Habsburgermonarchie bemerkbar.41 In den Augen der Staatsbehörden war aber gerade das Küstenland mit seinem Zugang zum Meer, mit Triest als wichtigstem Handelshafen und Pola als größtem Kriegshafen des Reichs geopolitisch von größter Bedeutung. Auf diese Bedrohungen von außen und innen reagierten die Staatsbehörden nach der Jahrhundertwende mit einer Verstärkung ihrer Anstrengungen, um in der breiten Bevölkerung die Zustimmung zu und die Identifikation mit Staat und Dynastie zu erhöhen und so die Legitimität der österreichischen Herrschaft in den Adriaprovinzen zu stärken. Fries-Skene setzte es sich explizit zum politischen Ziel, weite Kreise, „die bis jetzt nur mehr oder minder gleichgiltige [sic] Zuschauer waren“ nach und nach „in den Interessenbereich des österreichischen Staates“ hinüberzuziehen und „für den Staat“ zu gewinnen und so das Küstenland „fest mit dem österreichischen Gesamtstaat zu verknüpfen“.42 Die Förderung „gut österreichischer Gesinnung“ war zwar nur eine unter vielen Aufgaben, die die Statthalter im Küstenland zu erfüllen suchten,43 doch gehörte sie in of Austrian Identity. In: Cole, The Limits of Loyalty (wie Anm. 2), S. 46–71. Laurence Cole: Patriotic Celebrations in Late-Nineteenth- and Early-Twentieth-Century Tirol. In: Cole, The Limits of Loyalty (wie Anm. 2), S. 75–111. 40 Zum Nebeneinander von italienischem Irredentismus und Zugehörigkeitsgefühl zur Habsburger­ monarchie verschiedener Bevölkerungsgruppen in Triest vgl. beispielsweise Anna Millo: Trieste, 1830– 1870: From Cosmopolitanism to the Nation. In: Cole, Different Paths (wie Anm. 19), S. 60–81. 41 Vgl. Janko Pleterski: The Southern Slav Question. In: Mark Cornwall (Hrsg.): The Last Years of Austria-Hungary. A Multi-National Experiment in Early Twentieth-Century Europe. Exeter 1990. S. 119– 148. 42 ASTS, IRLLAP, K. 396, 1915, [ohne Zahl oder Faszikelnummer]: Statthalter in Triest Fries-Skene an militärische Stelle [unklar welche], Triest 26.7.1915. 43 Zur Rolle der Landeschefs (Statthalter und Landespräsidenten) in den cisleithanischen Kron­ ländern der späten Habsburgermonarchie vgl. Peter Urbanitsch: Die Statthalter zwischen ‚Wien‘ und ‚Brünn‘. In: Lukáš Fasora [u.a.] (Hrsg.): Brünn – Wien, Wien – Brünn. Landesmetropolen und Zentrum des Reiches im 19. Jahrhundert. Brünn 2008. S. 103–126.



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ihrem eigenen Amtsverständnis und in den Augen der Regierung zu den wichtigsten. Dabei war die Stärkung des Österreichpatriotismus Teil einer ganzen Reihe von Strategien des Staatserhalts, die die Statthalter als Repräsentanten der Regierung in dieser Randzone des Imperiums verfolgten. Dazu gehörte unter anderem auch die verstärkte wirtschaftliche Integration des Küstenlandes mit dem Handels- und Finanzzentrum Wien oder die Bekämpfung von politischen Bewegungen, die als staatsgefährlich eingestuft wurden. Die Mittel, mit denen die beiden Statthalter versuchten, eine solche „aktive Staatspropaganda“ – wie Fries-Skene es nannte – zu betreiben, waren verschiedenster Art und konnten je nach Vorlieben des Statthalters oder nach aktueller politischer Situation variieren. Es zeigt sich, dass während der Kriegszeit im Großen und Ganzen dieselben Propagandainstrumente eingesetzt wurden wie vor dem Krieg, allerdings nahm die staatliche Repression gegen Einzelpersonen und Gruppen, die als „politisch unzuverlässig“ und „staatsfeindlich“ eingestuft wurden, im Krieg stark zu. Im Folgenden soll auf einige der eingesetzten Propagandamittel kurz eingegangen werden. Beide Statthalter versuchten, bereits bestehende österreichisch-patriotische Vereine und Gesellschaften im Küstenland zu fördern, die dann durch ihre privaten Vereinsaktivitäten möglichst viele Menschen aus unterschiedlichsten Schichten und Altersklassen erreichen sollten. Die staatliche Förderung von Vereinen reichte dabei von finanziellen Subventionen aus der Staatskasse (und aus dem Privatvermögen des Statthalters Hohenlohe44) bis hin zu öffentlichen Auftritten und Reden des Statthalters an Vereinsanlässen, beispielsweise bei den Vereinen „Austria“ oder „Lega patriottica della gioventù triestina“.45 Ein weiteres probates Mittel waren finanzielle Zuwendungen an Zeitungen und Zeitschriften, um so Einfluss auf deren redaktionelle Linie zu nehmen. Fries-Skene hielt diese Methode geradezu für eine „unentbehrliche Technik“, die in der Habsburgermonarchie bisher vernachlässigt werde. Besonders Fries-Skene versuchte die Zeitungsleser mit ökonomischen Argumenten von den Vorteilen eines Verbleibs des Küstenlandes im Rahmen der Habsburgermonarchie zu überzeugen, wobei er vor allem die wirtschaftlichen Vorteile hervorhob, die Triest als wichtigster Handelshafen eines riesigen Hinterlandes genoss.46 Neben dieser Art der Pressepolitik versuchten beide Statthalter auch wiederholt eine neue, österreichloyale Tageszeitung in italienischer Sprache auf die Beine zu 44 Hohenlohe hielt die von der Regierung gewährten Subventionen für patriotische Vereinigungen im Küstenland generell für zu niedrig und schoss deshalb Geld nach, vgl. ASTS, Imperial regia Luogotenenza del Litorale, atti presidiali riservati (künftig: IRLLAPR), K. 5, fasc. 31, 1905, Zl. 23: Statthalter in Triest Hohenlohe an Minister des Innern Artur Graf Bylandt-Rheidt, Triest 30.10.1905. 45 Die Subventionen für Vereine mussten vom Statthalter jährlich beim Innenminister beantragt werden, vgl. u.a. ASTS, IRLLAPR, K. 6, fasc. 34, 1910, Zl. 24: Statthalter in Triest Hohenlohe an Mi­ nisterpräsident Richard Freiherr von Bienerth, Triest 16.12.1910. 46 Vgl. ASTS, IRLLAP, K. 396, 1915, [ohne Zahl oder Faszikelnummer]: Statthalter in Triest FriesSkene an militärische Stelle [unklar welche], Triest 26.7.1915.

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stellen, die den auflagenstarken Produkten der „ultra-nationalen“ und „irredentistischen“ Richtung Konkurrenz machen sollte – doch diesen Zeitungsgründungen blieb der erhoffte Erfolg versagt.47 Beide Statthalter versuchten also nach Kräften, die Möglichkeiten der Presse als Massenmedium zu nützen, um die Menschen in der Provinz in ihrem Sinne zu beeinflussen und die Politik im Land mitzugestalten – mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Auch von der Inszenierung öffentlicher Rituale versprachen sich die Staatsbehörden eine integrative Wirkung. Die Funktion des Statthalters, bei feierlichen Gelegenheiten den Landesfürsten (also den Kaiser) zu repräsentieren, war seit 1868 gesetzlich festgelegt48 und kam auch in der politischen Praxis vor Ort, besonders im öffentlichen Leben der Stadt Triest immer wieder zum Ausdruck. Bei hohen Feiertagen wie Geburtstag und Namenstag des Kaisers, an Fronleichnam oder beim Stapellauf von Kriegsschiffen veranstalteten die Staatsbehörden jeweils politische Zeremonien, die die Verbundenheit des Küstenlandes zur Gesamtmonarchie symbolisch zum Ausdruck bringen und verstärken sollten. Inszeniert wurden römisch-katholische Gottesdienste in der Triester Kathedrale, Umzüge durch die Stadt oder sonstige öffentliche Feiern mit Reden und Ansprachen. Gemäß dem immer gleichen Protokoll stand jeweils der Statthalter als höchster Repräsentant des Reichs vor Ort an der symbolischen Spitze der lokalen Ordnung. Ihm folgten zum einen die ihm untergeordneten Beamten, zum anderen die Honoratioren der Stadt Triest als Vertreter der Zivilgesellschaft, darunter der Bürgermeister und sonstige Lokalpolitiker.49 Des Weiteren versuchten die Statthalter gezielt Personalpolitik innerhalb der ihnen unterstellten Beamtenschaft im Küstenland zu betreiben, um die Beamten sozusagen zu aktiven Propagandisten des Reichs zu machen. Besonders Fries-Skene forderte von „seinen Beamten“ nicht bloß ein äußerlich „korrektes Verhalten“, sondern darüber hinaus eine „positive Förderung der Staatszwecke und des österreichischen Staatsgedankens“ im Kontakt mit der Bevölkerung.50 Solches Verhalten belohnten die Statthalter damit, dass sie sich im Innenministerium für eine Rangerhöhung oder eine Auszeichnung für besonders aktive Beamte einsetzten – was praktisch automatisch bewilligt wurde. Dieses Mittel der staatlichen Belohnung setzten die Statthalter auch bei Privatpersonen ein, die sich um den Staatserhalt besonders verdient gemacht hatten. 47 Vgl. dazu beispielsweise die Korrespondenz zwischen Statthalter Hohenlohe und Ministerpräsident Richard Freiherr von Bienerth in ASTS, IRLLAPR, K. 6, fasc. 34, 1910, Zl.4. Wien und Triest, Februar 1910. 48 Vgl. Gesetz vom 19. Mai 1868 über die Einrichtung der politischen Verwaltungsbehörden in den im Reichsrathe vertretenen Königreichen und Ländern, Reichs-Gesetz-Blatt für das Kaiserthum Oesterreich, Wien 1868, XVII. Stück, 44. Gesetz, S. 76–81, § 2. 49 Vgl. dazu beispielsweise ASTS, IRLLAP, K. 427, 1916, Zl. 1477: Statthalter in Triest Fries-Skene an sämtliche k. k. Behörden, Ämter und Staatslehranstalten in Triest, Triest 17.6.1916. 50 ASTS, IRLLAP, K. 403, 1915, Zl. 1989: Statthalter in Triest Fries-Skene an das k.u.k. Kommando der Südwestfront, Triest 29.10.1915.



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Schließlich verfolgten die Staatsbehörden die Strategie, systematisch diejenigen politischen Parteien in der Provinz zu bevorzugen, deren Politik die Zugehörigkeit des Küstenlandes zum Reich betonte.51 Den Statthaltern waren hier durch den Rechtsstaat relativ enge Grenzen gesetzt, doch machten sie immerhin ihren Einfluss dahingehend geltend, dass neue Wahlkreiseinteilungen bei Landes- oder Gemeindewahlen zum Vorteil solcher Parteien vorgenommen wurden oder dass Zensus- und Kurienbestimmungen in neuen Wahlgesetzen diese Parteien begünstigten.52 In der Frage, welche Parteien denn nun besonders förderungswürdig seien, machten sich nun aber Unterschiede zwischen den beiden Statthaltern Hohenlohe und Fries-Skene bemerkbar. Während Hohenlohe vor allem auf die Sozialdemokratie setzte, die sich im Küstenland betont anational-internationalistisch gab,53 machte sich bei Fries-Skene eine gewisse Abneigung gegen diese Partei bemerkbar. Hohenlohe hatte schon an früheren Stationen seiner Beamtenkarriere Verständnis für sozialpolitische Forderungen der Arbeiterschaft gezeigt, was ihm den Spitznamen „der rote Prinz“ eingetragen hatte. Vermutlich erschien ihm die übernational-internationalistische Ausrichtung der Partei auch persönlich sympathisch.54 Einig waren sich hingegen die Statthalter, dass auch solche Parteien staatliche Unterstützung erhalten sollten, die in ihren Programmen ein gewisses Maß an Nationalismus – sei es italienischer, slowenischer oder kroatischer Richtung – verfolgten. In den Augen beider Statthalter war es nämlich sehr wohl möglich, Nationalbewusstsein und „gut österreichische Gesinnung“ miteinander zu verbinden. Beide machten 51 Vgl. dazu Ugo Cova: Der Landtag der reichsunmittelbaren Stadt Triest und ihres Gebietes. In: Helmut Rumpler u. Peter Urbanitsch (Hrsg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Bd. VII (Verfassung und Parlamentarismus). 2. Teilband. Wien 2000. S. 1919–1949, hier S. 1943. 52 Zur Praxis der Ziehung der Wahlkreise im Küstenland vgl. Vasilij Melik: Zusammensetzung und Wahlrecht der cisleithanischen Landtage. In: Urbanitsch, Die Habsburgermonarchie (wie Anm. 51), S. 1311–1352, hier S. 1331–1342. Zur Parteienlandschaft vgl. Branko Marušić: Die Vereinstätigkeit im österreichischen Küstenland (Triest, Görz-Gradisca, Istrien). In: Helmut Rumpler u. Peter Urbanitsch (Hrsg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Bd. VIII (Politische Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft). 1. Teilband. Wien 2006. S. 541–585. 53 Zur Sozialdemokratie im Küstenland vgl. Marina Cattaruzza: Socialismo adriatico. La socialdemocrazia di lingua italiana nei territori costieri della Monarchia asburgica 1888–1915. Manduria 1998. Eine deutsche Übersetzung erschien 2011 in Berlin unter dem Titel „Sozialisten an der Adria. Plurinationale Arbeiterbewegung in der Habsburgermonarchie“. Vgl. auch Sabine Rutar: Kultur – Nation – Milieu. Sozialdemokratie in Triest vor dem Ersten Weltkrieg. Essen 2004. Sabine Rutar: „Le costruzioni dell’io e dell’altro nella Trieste asburgica: i lavoratori e le nazionalità“. In: Marina Cattaruzza (Hrsg.): Nazionalismi di frontiera. Identità contrapposte sull’Adriatico nord-orientale 1850–1950. Soveria Mannelli 2003. S. 23–46. 54 Vgl. dazu auch den Nachruf auf Hohenlohe, der Ende 1918 in der in Wien publizierten ArbeiterZeitung erschien (Arbeiter-Zeitung, 23.12.1918, Nr. 350, XXX, S. 3–4). Hohenlohe war 1894 als Be­zirks­ hauptmann in Teplitz (Teplice) den Forderungen der Bergarbeiter im Bezirk stärker entgegengekommen, als dies sonst üblich war, weshalb er als „roter Prinz“ bezeichnet wurde. Zur „österreichischen Internationalen“ innerhalb der Sozialdemokratie in der späten Habsburgermonarchie vgl. Ernst Hanisch: Der große Illusionist. Otto Bauer (1881–1938). Wien 2011. S. 126f.

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durchaus einen Unterschied zwischen in ihren Augen ungefährlichen Formen von Nationalismus (beispielsweise ausgedrückt durch die Betonung der „italianità“ der Stadt Triest) und staatsgefährlichen Formen (beispielsweise der italienische Irredentismus, der den Anschluss Triests an das Königreich Italien bezweckte).55 In der Praxis förderten die Statthalter vor allem die christlichsoziale italienische Volkspartei, die national gemäßigten Slowenen und die Sozialdemokraten, während sie alles daran setzten, um den Einfluss der italienischen liberalnationalen Partei im Küstenland einzudämmen.56 Die deutschsprachige Bevölkerung im Küstenland war hingegen zahlenmäßig zu gering, um in der Lokalpolitik (mit Ausnahme des Kriegshafens Pola) eine große Rolle zu spielen. Doch auch hier wurden Unterschiede in der Politik der beiden Statthalter sichtbar, die sich zum größten Teil auf ihre persönlichen Präferenzen (und nur teilweise auf Druck des Militärs) zurückführen lassen. Während Hohenlohe angesichts der zahlenmäßigen Übermacht der italienisch- und slowenischsprachigen Bevölkerung im Küstenland voll auf die Förderung des Österreichpatriotismus ebendieser Bevölkerung setzte, lassen sich bei Fries-Skene „Germanisierungsversuche“ erkennen. So versuchte Fries-Skene zu Beginn des Krieges gegen Italien 1915, das in Triest laut seiner statistischen Grundlagen nur sechs Prozent der Bevölkerung betragende „deutsche Element“ durch eine gezielte Germanisierungspolitik zu erhöhen. Zum einen regte er bei den Zivil- und Militärbehörden an, deutschsprachige Offiziere, die im Krieg zu Invaliden geworden waren, als Beamte nach Triest zu versetzen. Zum anderen setzte er sich selbst bei der Leitung größerer Industrie- und Verkehrsbetriebe dafür ein, vermehrt deutschsprachige Österreicher als Angestellte und Arbeiter nach Triest zu holen.57 Ob diese Anstrengungen überhaupt eine Wirkung zeigten, lässt sich Mangels einschlägiger statistischer Daten jedoch nicht belegen. Die wenigen verfügbaren Informationen über die Stimmung der Bevölkerung im Küstenland während der Kriegszeit lassen vermuten, dass das Habsburgerreich im Wettbewerb mit anderen Identifikationsangeboten gar nicht so schlecht abschnitt, wie es die nationalistisch aufgeladene Literatur der Nachfolgestaaten nach dem Zusammenbruch behauptete. Zumindest bis in die ersten Kriegsjahre hinein sah nur eine kleine Minderheit der österreichischen Staatsbürger im Küstenland ihre politische Zukunft außerhalb des Rahmens der Habsburgermonarchie. Allerdings scheint das Reich in den letzten Kriegsjahren immer mehr an Zustimmung verloren zu haben. Die Verhaftungswellen unter den meist zur Lokalelite gehörenden mutmaß-

55 Für Hohenlohe vgl. beispielsweise ASTS, IRLLAP 1906–1918, K. 396, fasc. 2-b/2, Zl. 63/1915, Hohenlohe an Ministerium des Innern, Triest, 6.1.1915. Zur Haltung Fries-Skenes in dieser An­gele­gen­ heit vgl. Fries-Skene, Österreichs Schicksalstage (wie Anm. 1), S. 9. 56 Zur Parteienlandschaft in Triest und im Küstenland vgl. Eduard Winkler: Wahlrechtsreformen und Wahlen in Triest 1905–1909. München 2000. S. 65–88. 57 Vgl. ASTS, IRLLAP 1906–1918, K. 396, [ohne Zahl], Statthalter in Triest Fries-Skene an k.u.k. Ar­ mee­oberkommando, Triest, 7.5.1916.



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lichen „Irredentisten“ und „Serbophilen“58 sowie die weitgehende Ausschaltung der Gemeinde- und Landesautonomie im Küstenland konnte Fries-Skene zwar vordergründig als Erfolge im Kampf gegen staatsfeindliche Strömungen verbuchen, doch die Repressionen schossen vielfach über das Ziel hinaus und trafen auch Personen, die sich zu Unrecht verfolgt fühlten. Die Verbitterung über die Verletzung der rechtsstaatlichen Prinzipien durch das Militär und auch durch den Statthalter machte sich in den letzten Kriegsjahren vor allem in der lokalen bürgerlichen Elite, egal welcher Parteizugehörigkeit oder nationalen Richtung, bemerkbar. Die Legitimität des Habsburgerreichs schwand zusätzlich durch das Versagen der Staatsbehörden, die Bevölkerung im Krieg ausreichend mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Vermutlich war der ab 1917 verheerende Hunger für viele Menschen im Küstenland Grund genug, um dem Habsburgerreich innerlich den Rücken zu kehren.59 Da Hohenlohe im Dezember 1918 im Alter von 55 Jahren an einem Herzleiden starb, blieb es ihm erspart, sein Leben in einer Welt ohne habsburgisches Imperium neu ordnen zu müssen. Bei Fries-Skene, der damals 48 Jahre alt war, führte der Zusammenbruch der Habsburgermonarchie zu einer persönlichen Krise und einer psychischen Erkrankung, die er erst Mitte der 1920er Jahre überwand. Durch Familienbeziehungen gelang ihm der Wechsel in die Privatwirtschaft, wo er bis in die 1930er Jahre als Verwaltungsratspräsident eines Zuckerunternehmens arbeitete. Fries-Skene verstarb 1947 in Wien.60

Zwei imperiale Karrieren – ein Fazit Die hier ausgewerteten Selbstzeugnisse und amtlichen Akten der beiden letzten Statthalter in Triest zeigen, dass die Lebenswege von Hohenlohe und Fries-Skene

58 Zu den Internierungen österreichischer Staatsbürger, die unter dem Verdacht standen, für die gegnerischen Staaten Italien oder Serbien zu arbeiten, vgl. Frank Wiggermann: K.u.k. Kriegsmarine und Politik. Ein Beitrag zur Geschichte der italienischen Nationalbewegung in Istrien. Wien 2004. S. 333–347. Franco Cecotti: Internamenti di civili durante la prima guerra mondiale. In: Franco Cecotti (Hrsg.): „Un esilio che non ha pari.“ Profughi, internati ed emigrati di Trieste, dell’Isontino e dell’Istria. Gorizia 2001. S. 71–97. 59 Zur Stimmung unter der Bevölkerung in Triest im Verlauf des Krieges vgl. Lucio Fabi: Trieste 1914–1918. Una città in guerra. Triest 1996. Angelo Ara: Gli austro-italiani e la Grande Guerra: appunti per una ricerca. In: Andreas Gottsmann (Hrsg.): Karl I. (IV.), der Erste Weltkrieg und das Ende der Donaumonarchie. Wien 2007. S. 119–145. Seit dem Zusammenbruch der Donaumonarchie gab es in Triest immer wieder Wellen von Habsburgermonarchie-Nostalgie, vgl. Marion Wullschleger: Nostalgie asburgiche a Trieste dopo la Grande Guerra. In: Rolf Petri (Hrsg.): Nostalgia. Memoria e passaggi tra le sponde dell’Adriatico. Rom 2009. S. 213–236. 60 Zu Fries-Skenes Leben nach dem Zusammenbruch der Habsburgermonarchie vgl. ÖStA, AVA, NL Fries-Skene, K. 5, Josef Wirth: Alfred von Fries-Skene. Ein Lebensbild aus dem alten Österreich. Ge­ druckte Broschüre [ohne Ort oder Datum, vor 1947].

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 Marion Wullschleger

in mehrfacher Hinsicht als imperiale Biographien verstanden werden können. Zum einen strukturierte das Reich ihre beruflichen Karrierestationen als Staatsbeamte und eröffnete ihnen Karrierechancen, die sich in einem in Nationalstaaten fragmentierten Donau- und Adriaraum nicht geboten hätten. Zum anderen empfanden beide Männer ein Gefühl der Zugehörigkeit zum Reich, zur „österreichischen Staatsidee“ und zum habsburgischen Kaiserhaus. Schließlich beeinflusste ihre Vorstellung, das Reich sei durch nationale Konflikte bedroht, auch die Ziele, die sie als kaiserliche Statthalter in Triest zu erreichen suchten, wobei sich diese Ziele weitestgehend mit denjenigen deckten, die die Wiener Regierung ihren höchsten Beamten an der Adria vorgab. An erster Stelle stand dabei die Absicht, durch staatliches Handeln das Zugehörigkeitsgefühl zur Habsburgermonarchie unter der lokalen Bevölkerung im Küstenland zu stärken und dadurch die Kohäsionskraft des Reichs zu steigern. Zudem sollten die ultra-nationalen und deshalb als staatsgefährlich eingestuften politischen Parteien im Land geschwächt, während die österreichpatriotischen (oder doch zumindest nicht offen separatistischen) Parteien gefördert werden sollten. Dass sich diese Ziele nur begrenzt in die Tat umsetzen ließen, dass das Handeln der Statthalter in Triest wohl die Adriaprovinzen nur minimal veränderte, hatte viele Gründe – innenpolitische und außenpolitische. Die Untersuchung von Lebenswegen, Gedankenwelten und Handeln von lediglich zwei Beamten der habsburgischen Hochbürokratie kann natürlich keinerlei Anspruch auf Repräsentativität in Bezug auf die Beamtenschaft Cisleithaniens beanspruchen. Aber das Erkenntnispotential einer biographischen Herangehensweise liegt gerade in der Möglichkeit, tiefer in das Denken und die Erfahrungen der Zeitgenossen einzudringen. Weitere Forschungen zu größeren Personengruppen und weiteren Kronländern werden zeigen, inwiefern sich die hier gewonnenen Ergebnisse zur Rolle von Akteuren mit imperialen Biographien in der späten Habsburgermonarchie verallgemeinern lassen.

Bettina Brockmeyer

Vom „Kolonialschwein“ zum Konsul Karrierewege eines deutschen Kolonialbeamten1

Abb. 9: Rudolf Asmis (1879–1945). Das Foto ist auf der Rückseite beschriftet mit: „Landwirtschaftsausstellung in Palime (Togo), 27.I.1907“. Das Bild arrangiert die Herrschaftsverhältnisse, in der Mitte hinter dem Stuhl stehend befindet sich Rudolf Asmis.

Im Jahre 1942 schwärmte der ehemalige kaiserliche Kolonialbeamte Rudolf Asmis, dass die „koloniale Tätigkeit“ immer „das Beste der Eingeborenen im Auge hatte“.2 Sie sei „von jener heiligen Begeisterung für dienstliche Aufgaben“ und von „jener pflichtmäßigen Einsatzbereitschaft getragen [worden, B.B.], die von jeher die höchsten Tugenden des preußisch-deutschen Beamten gewesen sind“. So sei es „eine Freude“ gewesen, „deutscher Kolonialbeamter zu sein“. Dieser rückwärts gewandte Kolonialenthusiasmus, der Teil nationalsozialistischer Kolonialpropaganda war, traf weder zur Zeit seines Erscheinens noch zur Zeit deutscher Kolonialherrschaft auf ungeteilte Zustimmung. Die deutsche Kolonialbeamtenschaft und die Kolonialoffiziere erfreuten sich in der Öffentlichkeit des deutschen Kaiserreiches keines besonders hohen Ansehens. Das koloniale Projekt war in der Metropole umstritten, Kolonialskandale und Kriege taten im frühen 20. Jahr­ hundert ein Übriges, um das Unterfangen der Kolonisierung besonders Afrikas in 1 Für wie immer sehr hilfreiche Kritik danke ich Kirsten Bönker, Felix Brahm und Ulrike Lindner. Den Herausgebern danke ich ebenfalls für die kritische Lektüre und Anregungen. 2 Zitate bis zur nächsten Fußnote aus Rudolf Asmis: Kalamba Na M’Putu. Koloniale Erfahrungen und Beobachtungen. Berlin 1942. S. 162f.

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Frage zu stellen. Die Koloniallaufbahn galt demzufolge als wenig erstrebenswert.3 In Selbstzeugnissen von Kolonialoffizieren kann man wiederum verfolgen, dass die Motive, nach Afrika zu gehen, mitunter weniger von imperialistischen Eroberungsund Zivilisierungsgedanken als von pragmatischen oder anderen Überlegungen, z.B. finanzieller Art, getragen waren.4 Gleichzeitig sahen gerade Militärs in den Kolonien einmalige Gelegenheiten, sich in kriegerischen Auseinandersetzungen Meriten zu erwerben.5 Sie gingen davon aus, dass sowohl Auszeichnungen als auch Aufstieg auf dem kolonialen Schlachtfeld leichter zu erreichen seien.6 Existierte diese Bewährungs- und Aufstiegsoption jedoch auch für die zivilen Beamten, die in den Kolonien arbeiteten – zumal sie zumeist Hauptakteure der Kolonialskandale waren und somit eher zur öffentlichen Skepsis beitrugen?7 Für die zivile Koloniallaufbahn gilt, dass sie zumindest keinen Karrierenimbus hatte. Das mag damit zusammenhängen, dass sie im Deutschen Reich als in „dreifacher Weise minoritär“ galt, wie Andreas Eckert und Michael Pesek betont haben, und zwar gegenüber der Metropole, den Afrikanern und Afrikanerinnen sowie auch gegenüber der eigenen Berufs- und Herkunftsgruppe.8 So verwundert es auch nicht weiter, dass sich manch überzeugter Kolonialist auf seinem Posten in der Kolonie von seinem Arbeitgeber nicht wertgeschätzt fühlte. Als der erwähnte Kolonialbeamte 3 Der Vater des letzten deutschostafrikanischen Gouverneurs Heinrich Schnee war z.B. betrübt, dass sein Sohn in die Kolonien wollte und sich so die Karriere verderben würde. Vgl. Trutz von Trotha: Koloniale Herrschaft. Zur soziologischen Theorie der Staatsentstehung am Beispiel des „Schutz­ gebietes Togo“. Tübingen 1994. S. 97. 4 Vgl. die Briefe des Kolonialoffiziers Rudolf von Hirsch in Thomas Morlang: „Ich habe die Sache satt hier, herzlich satt.“ Briefe des Kolonialoffiziers Rudolf von Hirsch aus Deutsch-Ostafrika 1905–1907. In: Militärgeschichtliche Zeitschrift 61 (2002). S. 489–521. Dieser schlechte Ruf des Kolonialdienstes gilt v.a. für die frühen Jahre und betrifft auch noch die Zeit, in der Rudolf Asmis in den Kolonialdienst eintrat. Eine gezieltere Kolonialausbildung im Reich und das Kolonialbeamtengesetz von 1910, das die Beamten in den Kolonien in die Hierarchien im Reich einband, besserten die Sicht auf die Koloniallaufbahn. Vgl. Bettina Zurstrassen: „Ein Stück deutscher Erde schaffen“. Koloniale Beamte in Togo 1884–1914. Frankfurt 2008. S. 252f. 5 Vgl. Christoph Kamissek: „Ich kenne genug Stämme in Afrika“. Lothar von Trotha – eine imperiale Biographie im Offizierkorps des deutschen Kaiserreiches. In: Malte Rolf (Hrsg.): Imperiale Bio­gra­ phien. Themenheft. Geschichte und Gesellschaft 40. Heft 1 (2014). S. 7. 6 Vgl. auch zum Beispiel Tom Prince, der aus seinem Regiment ausschied, um als Privatmann nach Deutsch-Ostafrika zu reisen und dort bei Wissmann anzuheuern. Diese Episode beschreibt Herbert Patera in seiner Heldenbiographie, vgl. Herbert A. Patera: Bwana Sakkarani. Deutsch-Ostafrika 1888– 1914. Leben und Taten des Hauptmannes Tom von Prince. Wien 1933. S. 19–27. Der Austritt wird auch im Artikel zu Prince im Koloniallexikon erwähnt: Heinrich Schnee (Hrsg.): Deutsches Koloniallexikon. Band III. Leipzig 1920. S. 102. 7 Vgl. z.B. den Skandal in Atakpame, den der Kolonialbeamte Geo Schmidt mit seinem Vergehen an einer minderjährigen Afrikanerin ausgelöst hatte. Rebekka Habermas: Der Kolonialskandal Atakpame – eine Mikrogeschichte des Globalen. In: Historische Anthropologie 17. Heft 2 (2009). S. 295–319. 8 Andreas Eckert u. Michael Pesek: Bürokratische Ordnung und koloniale Praxis. Herrschaft und Verwaltung in Preußen und Afrika. In: Sebastian Conrad u. Jürgen Osterhammel (Hrsg.): Das Kai­ser­ reich transnational. Deutschland in der Welt 1871–1914. Göttingen 2006. S. 87–106, hier S. 91.



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Rudolf Asmis im Jahre 1908 in Togo mit seinen Vorgesetzten Probleme bekam, weil er den Vorsitz einer Landkommission zu ernst genommen hatte, überlegte er in einem Brief an einen Kollegen in Kamerun, was er beruflich machen könnte, wenn er aufgefordert würde, den Kolonialdienst zu quittieren. Angesprochener Kollege dachte nun über Alternativen für Asmis nach und schrieb: „Ich soll Ihnen einen Rat für den Fall geben, daß Sie ausscheiden, was hoffentlich nicht nötig sein wird. Zurück in die Justiz? Nein! Das kann ich nachfühlen. Das feine A.A. nimmt keine Kolonialschweine unter annehmbaren Bedingungen auf.“9 Warum ging ein junger Jurist also überhaupt in die Kolonien? Welche Vorstellungen vom Deutschen Reich und seinen Zusammenhängen stehen dahinter? Stellte Afrika die Endstation einer zivilen Karriere im Kaiserreich dar, wenn das „feine“ Auswärtige Amt einen Rückkehrer angeblich nicht mehr beschäftigte? Und allgemeiner: Wie wurde die koloniale Erfahrung in nachkoloniale berufliche Kontexte transferiert? Im Folgenden werde ich den genannten Fragen anhand der Biographie von Rudolf Asmis nachgehen, der von heute betrachtet einen beachtlichen Aufstieg vom Hilfsarbeiter in den Kolonien zum Konsul erlebte, in seiner Selbstwahrnehmung jedoch an einer größeren Karriere scheiterte. Asmis, geboren 1879, gestorben/verschollen in sowjetischer Haft 1945, lässt sich als imperiale Biographie lesen, denn seine Lebensstationen waren immer wieder mit dem deutschen Imperialismus und Kolonialismus verbunden: Nach dem Studium der Rechtswissenschaften und einer doppelten Promotion trat er 1906 der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes bei, ging im selben Jahr bis 1912 nach Togo und Kamerun, wechselte 1912 in den Auswärtigen Dienst und war als Konsul zur kommissarischen Verwendung von 1912–1914 im Belgischen Kongo. Den Krieg verbrachte er in Brüssel in der Verwaltung des Generalgouvernements Belgien. Nach dem Krieg arbeitete er zunächst für das Reichsamt, dann Reichsministerium des Innern, ab 1920 wieder für das Auswärtige Amt, er war von 1922–1924 der Diplomatischen Vertretung in Moskau zugeteilt, 1924 war er in Peking, von 1925–1932 arbeitete er als Gesandtschaftsrat in Bangkok, von 1932–1939 war er Konsul in Sydney und nach einem zeitweiligen Ruhestand schließlich bis 1945 für kolonialpolitische Fragen im Auswärtigen Amt in Berlin zuständig. An dieser Auflistung springen zwei Merkmale ins Auge: Der Biographie mangelt es weder an Orten, noch an Ämtern. Für den methodischen Zugriff auf die Biographie sind hier deswegen zwei Arbeiten zentral. Catherine Hall führt in ihrer englischen Kolonialgeschichte „Civilizing Subjects“ paradigmatisch die Biographie eines britischen Kolonisatoren, Edward John Eyre (1816–1901), aus. Dabei zeigt sie überspitzt zusammengefasst die Entwicklung Eyres von einem Zivilisator zum Rassisten, gegliedert anhand der verschiedenen Orte, die nach und nach seine Lebensstationen

9 Brief Schürmann an Asmis, 21.1.09, Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes (PA AA), Nachlass (NL) Asmis, Bd. 49. Bettina Zurstrassen zitiert eine andere ,deftig‘ formulierte Stelle aus diesem Brief. Schürmann mangelte es nicht an Kraftausdrücken. Zurstrassen, Koloniale Beamte (wie Anm. 4), S. 20.

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bildeten.10 Neben den Orten ist bei Hall die diskursive Entwicklung wichtig, die im 19. Jahrhundert nicht nur in Großbritannien zu beobachten ist: von einer „paternalistic rhetoric“ noch in den 1930ern hin zu einem „harsher racial vocabulary of fixed differences“11 in den 1960ern. David Lambert und Alan Lester stellen in ihrer Einleitung zu „Colonial Lives“ den Begriff der „career“ ins Zentrum und meinen damit nicht nur den beruflichen Aufstieg einer Person, sondern auch die ältere Bedeutung des „careering“, des „kopfüber“ Rasens und Rennens.12 Letztere Bedeutung stehe für die „mobile and spatially distributed qualities of life“13. Der jeweilige Fokus auf Orte und Karriere vereint also, dass sie beide das Geradlinige und Intentionale aus einem Lebenslauf herausnehmen. Sie speisen eine Subjektivität in Netzwerke, Geschichten und Orte ein. Gleichzeitig machen sie auf Transfers aufmerksam, die zwischen Stationen stattfinden können. Insgesamt kann also die Perspektive auf Orte und Karrieren das Bild einer imperialen Biographie zeichnen, bei dem erstens deutlich wird, wie bestimmte Erfahrungen übernommen und vermittelt werden und zweitens, wie diese Erfahrungen dazu beitragen, einen politisch-geographischen Raum mit zu konstituieren. Für Asmis’ Biographie kann man sowohl von „kolonial“ als auch von „imperial“ sprechen. Die Literatur zur Frage, ob das deutsche Kaiserreich ein Imperium war, ist in den letzten Jahren stark angewachsen. Dabei wird zum einen argumentiert, dass mit den ersten kolonialen Eroberungen von einem überseeischen Imperium die Rede sein könne, zum anderen gilt das Deutsche Reich aber auch als ein kontinentales Imperium, wenn man auf Preußen und Polen, Schleswig-Holstein und Elsass-Lothringen blicke.14 Beiden Argumentationssträngen ist gemein, dass sie die Bedeutung imperialer Bestrebungen für das Kaiserreich hervorheben. Überwiegend 10 Catherine Hall: Civilising Subjects. Metropole and Colony in the English Imagination, 1830–1867. Cambridge 2002. Bes. S. 23–65. Dabei verstehe ich mit Doreen Massey „Ort“, vergleichbar dem Begriff der Identität, als etwas Relationales, das in Beziehungen und Bezugnahmen entsteht, ebenso wie der scheinbar abstraktere Begriff des Raumes. Das bedeutet nicht, dass es nicht um ,reale‘, konkrete Orte geht, sondern das bedeutet, dass auch Orte ,gemacht‘ werden und dass Orte als „Knotenpunkte für Beziehungen und variierende Positionen in den Globalisierungsrelationen“ verstanden werden. Doreen Massey: Keine Entlastung für das Lokale. In: Helmuth Berking (Hrsg.): Die Macht des Lokalen in einer Welt ohne Grenzen. Frankfurt 2006. S. 25–31, hier S. 30. 11 Hall, Civilising Subjects (wie Anm. 10), S. 440. 12 David Lambert u. Alan Lester: Introduction. Imperial spaces, imperial subjects. In: David Lambert u. Alan Lester (Hrsg.): Colonial Lives across the British Empire: Imperial Careering in the Long Nineteenth Century. Cambridge 2006. S. 1–31, hier S. 22f. 13 Ebd., S. 23. 14 Vgl. als Literaturüberblick bis 2008, der die zwei Stränge zusammenfasst, Edward Ross Dickinson: The German Empire: an Empire? In: History Workshop Journal 66 (2008). S. 129–162; zur Frage, ob das Deutsche Reich im 19. Jahrhundert ein Imperium war s. auch Jürgen Osterhammel: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts. München 2009. Bes. S. 623. Vgl. allgemein zu Imperien, „characterized by huge size, ethnic diversity, a multitude of composite territories“ Jörn Leonhard u. Ulrike von Hirschhausen: Beyond Rise, Decline, and Fall. Comparing Multi-Ethnic Empires in the Long Nineteenth Century. In: Jörn Leonhard u. Ulrike von Hirschhausen (Hrsg.): Comparing Empires. Encounters and Transfers in the Long Nineteenth Century. Göttingen 2011. S. 9–34, hier S. 12; zum



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einig ist sich die Forschung darüber hinaus inzwischen, dass die relativ kurze Zeitspanne der deutschen Kolonialherrschaft nicht als Beleg für die Bedeutungslosigkeit des Kolonialismus für die deutsche Geschichte gewertet werden könne. Auch werden bei einer weniger eng gefassten Definition von Kolonialismus, die nicht eine weite Entfernung zwischen Metropole und Kolonie als konstitutiv nimmt, „quasi-koloniale Beziehungen“15 innerhalb Europas sichtbar. Für das Kaiserreich arbeitet Sebastian Conrad z.B. einen „kolonialisierende[n] Blick auf Polen“16 heraus. Zusammengefasst liegt der Analyse von Asmis’ Lebenslauf die These der jüngeren Forschung zu Grunde, dass die Kolonialherrschaft als eine Spielart des Imperialismus eine zentrale Bedeutung für die deutsche Geschichte seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert hatte. Trotz dieser Bedeutung befasst sich die deutschsprachige, biographisch orientierte Forschung bis heute noch überwiegend ausschließlich mit prominenteren Akteuren und auch Akteurinnen der deutschen Kolonialzeit.17 So gibt es Studien zu Offizieren, die als ,Kriegshelden‘ erinnert werden, wie Paul von Lettow-Vorbeck,18 zu Kolonialisten, die durch besondere Grausamkeit auffielen, wie Carl Peters,19 oder zu bekannteren Kolonialromanautorinnen, wie Frieda von Bülow.20 Vermehrt werden Imperialismus im Kaiserreich Dirk van Laak: Über alles in der Welt. Deutscher Imperialismus im 19. und 20. Jahrhundert. München 2005. 15 Sebastian Conrad: Globalisierung und Nation im Deutschen Kaiserreich. München 2006. S. 141. 16 Ebd., S. 143. 17 Zur Geschichte der jüngeren, deutschsprachigen biographischen Historiographie vgl. v.a. Simone Lässig: Introduction. Biography in Modern History – Modern Historiography in Biography. In: Volker R. Berghahn u. Simone Lässig (Hrsg.): Biography between Structure and Agency. Central European Lives in International Historiography. New York 2008. S. 1–26. Zur neueren Aufmerksamkeit gegenüber dem „Personal transnationaler Beziehungen“, wie Sebastian Conrad u. Jürgen Osterhammel: Ein­leitung. In: Conrad, Kaiserreich (wie Anm. 8), S. 7–27, hier S. 16 schreiben, vgl. Rebekka Habermas u. Richard Hölzl (Hrsg.): Mission global. Eine Verflechtungsgeschichte seit dem 19. Jahrhundert. Köln 2014 oder nicht zuletzt diesen Band. Vgl. auch die Arbeiten, die im Zusammenhang mit der For­ schergruppe an der FU unter der Leitung von Sebastian Conrad entstehen. http://www.geschkult. fu-berlin.de/e/fmi/forschung/kultglobe1900/index.html. 18 Vgl. v.a. Klaus Helbig: Legende und Wahrheit. Der Erste Weltkrieg in Ostafrika und die Rolle des Generals von Lettow-Vorbeck. Leipzig 1968; Eckard Michels: „Der Held von Deutsch-Ostafrika“. Paul von Lettow-Vorbeck. Ein preußischer Kolonialoffizier. Paderborn 2008; Uwe Schulte-Varendorff: Kolonialheld für Kaiser und Führer. General Lettow-Vorbeck. Mythos und Wirklichkeit. Berlin 2006; John Stratis: A Case study in leadership. Colonel Paul Emil von Lettow-Vorbeck. Springfield 2002. 19 Vgl. v.a. Hermann Krätschell: Carl Peters 1856–1918. Ein Beitrag zur Publizistik des imperialis­ tischen Nationalismus in Deutschland. Berlin 1959; Christian Geulen: „The final frontier ...“: Hei­mat, Nation und Kolonie um 1900. Carl Peters. In: Birthe Kundrus (Hrsg.): Phantasiereiche. Zur Kulturgeschichte des deutschen Kolonialismus. Frankfurt/M. 2003. S. 35–55; Constant Kpao Sare: Carl Peters et l’Afrique. Un mythe dans l’opinion publique, la littérature et la propagande politique en Allemagne. Hamburg 2006; Arne Perras: Carl Peters and German imperialism 1856–1918. A political biography. Oxford 2004; Uwe Wieben: Carl Peters. Das Leben eines deutschen Kolonialisten. Rostock 2000. 20 Vgl. Marianne Bechhaus-Gerst: Die Kolonialschriftstellerin Frieda von Bülow. In: Marianne Bech­ haus-Gerst (Hrsg.): Frauen in den deutschen Kolonien. Berlin 2009. S. 66–69; Friederike Eigler: En­

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inzwischen auch Afrikaner und Afrikanerinnen in Deutschland zur Zeit des Kolonialismus in den Blick genommen.21 Untersuchungen zu weniger prominenten Männern und Frauen aus dem Deutschen Reich, die in den überseeischen Kolonien arbeiteten, sind nach wie vor rar. Rudolf Asmis ist eine solche Person.22 Er schaffte es nie in die erste Reihe deutscher Kolonialherren und hat trotzdem an zahlreichen kolonialen Projekten maßgeblich mitgewirkt. Von den beruflichen Stationen und Orten (verstanden eher als Räume denn als Ortschaften), die Asmis durchlief, werden hier vor allem drei näher beleuchtet, die einen Einblick in eine koloniale Karriere im deutschen Kaiserreich bieten. Es handelt sich um die Orte, die Asmis noch im „langen 19. Jahrhundert“23, vor dem Ersten Weltkrieg erlebte und mitgestaltete: den preußischen Teil Vorpommerns und die deutschen Kolonien Kamerun und Togo. Damit steht im hier Ausgeführten der Anfang einer imperialen Biographie im Zentrum gendering German nationalism. Gender and race in Frieda von Bülow’s colonial writings. In: Sara Friedrichsmeyer (Hrsg.): The imperialist imagination. German colonialism and its legacy. Ann Arbor 1998. S. 69–85; Katharina von Hammerstein: ,Raceʻ, gender, nation. Colonial(ist) constructions of alterity and identity in Frieda von Bülow’s autobiographical writings from German East Africa. In: Helen Fronius (Hrsg.): German women’s writing of the eighteenth and nineteenth centuries. Future directions in feminist criticism. London 2011. S. 155–168; Maria Helene von Hatzfeld: Zwei Blüten an einem Zweig. Beiträge zu Leben und Wirken der Schriftstellerinnen Frieda und Margarethe von Bülow. Ingersleben 2000; Lora Wildenthal: ,When men are weakʻ. The imperial feminism of Frieda von Bülow. In: Gender & History 10. Heft 1 (1998). S. 53–77. 21 Vgl. z.B. Ulrich van der Heyden (Hrsg.): Unbekannte Biographien. Afrikaner im deutschsprachigen Europa vom 18. Jahrhundert bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. Berlin 2008. 22 Zu Asmis gibt es bereits einige Artikel, die sich auf einzelne Stationen seines Lebens bzw. seiner Arbeit beziehen. S. v.a. Eintrag zu Rudolf Asmis, in: Auswärtiges Amt (Hrsg.): Biographisches Handbuch des Auswärtigen Dienstes: 1871–1945. Paderborn 2000. S. 52–54; Arthur J. Knoll: An indigenous law code for the Togolese. The work of Dr. Rudolf Asmis. In: Peter Sack u. Rüdiger Voigt (Hrsg.): Kolonialisierung des Rechts. Zur kolonialen Rechts- und Verwaltungsordnung. Baden-Baden 2001. S. 247–269; Peter Sebald: Recht und Politik im kolonialen Westafrika. In: Peter Sack u. Rüdiger Voigt (Hrsg.): Kolonialisierung des Rechts. Zur kolonialen Rechts- und Verwaltungsordnung. Baden-Baden 2001. S. 157–166; John Perkins: Dr Rudolf Asmis and the ,Rescue of Deutschtumʻ in Australia in the 1930s. In: Journal of the Royal Australian Historical Society 73. Heft 4 (1988). S. 296–312; John Perkins: An old-style imperialist as national socialist. Consul-General Dr. Rudolf Asmis (1879–1945?). In: John Milfull: The attractions of fascism. Social psychology and aesthetics of the „triumph of the right“. New York 1990. S.291–306. Außerdem wird er in Monographien zu bestimmten Ländern genannt. Vgl. zu Togo: Trotha, Koloniale Herrschaft (wie Anm. 3); Peter Sebald: Togo 1884–1914. Eine Geschichte der deutschen „Musterkolonie“ auf der Grundlage amtlicher Quellen. Berlin 1988; Arthur J. Knoll: Togo under Imperial Germany. A Case Study in Colonial Rule. Stanford 1978; Zurstrassen, Koloniale Beamte (wie Anm. 4); Ralph Erbar: Ein „Platz an der Sonne“? Die Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte der deutschen Kolonie Togo 1884–1914. Stuttgart 1991. Oder zu „Turkestan“: Franziska Torma: TurkestanExpeditionen. Zur Kulturgeschichte deutscher Forschungsreisen nach Mittelasien (1890–1930). Bielefeld 2011. Jüngst ist auch eine an der Bundeswehruniversität entstandene Doktorarbeit erschienen: Apegnoyou Afanvi: Rudolf Asmis (1879–1945). Kolonialrecht und wissenschaftliche Betätigung als präventive Alternativen für die deutsche Kolonialpolitik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Frankfurt/M. 2013. 23 Zum „langen“ Jahrhundert: Osterhammel, Verwandlung (wie Anm. 14), S. 87–89.



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des Interesses, mithin die Prägung durch den kolonialen Dienst und die damit verbundene Mobilität. Dafür soll an Kamerun und Togo erörtert werden, wie Asmis an der Vermittlung von Aufgaben und Problemen in den Kolonien mitwirkte und wie er die deutschen Kolonien im Vergleich zu Kolonien anderer Mächte sah. Schließlich frage ich in einem ausblickenden Abschnitt, ob sich Asmis’ Haltung zu den Kolonien und zum Reich durch den Kolonialdienst änderte und wie der ehemalige Kolonialbeamte zum Transfer kolonialer Praktiken oder kolonialen Wissens beitrug. Hierfür konzentriere ich mich im Hinblick auf Transferinhalte vor allem auf die Entwicklung seiner Sichtweise auf lokale Bevölkerungsgruppen. Zum Schluss werden noch einmal das Koloniale und das eventuell Spezifische an diesem Lebenslauf herausgestellt.

Vorpommern: Die Karriere in den Kolonialdienst Der 1879 in dem vorpommerschen, nahe Greifswald gelegenen Mesekenhagen geborene Rudolf Asmis studierte Rechtswissenschaften an der dortigen Universität. Greifswald war um 1900 protestantisch und ländlich geprägt, das Universitätspersonal war preußisch protestantisch und eher konservativ orientiert.24 Asmis, Sohn des preußischen Oberamtmanns Adolf Asmis, erwähnte in einem handschriftlichen Lebenslauf, vermutlich für das Auswärtige Amt, sein kulturelles Kapital.25 Er betonte zunächst, dass er evangelisch sei und die preußische Staatsbürgerschaft besitze. Dann zählte er seine Universitätslehrer auf, denen er zur Dankbarkeit verpflichtet sei. Darunter findet sich u.a. der Name Stampe. Ernst Stampe hatte vor seiner Professur Prinzen der Hohenzollern erzogen und steht für die Verbundenheit der Professoren mit dem preußischen Königshaus.26 Asmis verwies damit indirekt auf seine preußisch-monarchische Prägung und Überzeugung. Doch nicht nur die dankbare Erwähnung seiner Hochschullehrer gibt einen Hinweis auf Asmis’ eigene Einstellung zum Kaiserreich. Auch sein Studentenleben liefert Anhaltspunkte. So hatte Rudolf Asmis eine „Ortsgruppe für Kolonial- und Marine-Interessen des Deutschen Reichs“ gegründet, wie sein Hochschullehrer, der Staats- und Völkerrechtler Felix Stoerk, in einem Empfehlungsschreiben an das Auswärtige Amt betonte.27 Die Greifswalder Studenten, anzunehmen, dass Asmis darun24 Helge Matthiesen: Greifswald in Vorpommern. Konservatives Milieu im Kaiserreich, in Demokratie und Diktatur 1900–1990. Düsseldorf 2000. S. 35–55. 25 Lebenslauf Rudolf Asmis, PA AA, NL Asmis (wie Anm. 9), Bd. 1. 26 Matthiesen, Greifswald (wie Anm. 24), S. 56f. 27 Brief vom 13.3.1906, gez. Felix Stoerk, PA AA, NL Asmis (wie Anm. 9), Bd. 1. Diese Gruppen oder Kolonialverbände bildeten sich – auch wenn Stoerk in eben diesem Schreiben auf die Vorreiterrolle Greifswalds hinwies – etwa zeitgleich an vielen deutschen Universitäten. In Halle beispielsweise versuchte man über mehrere Jahre, aus dem kolonialinteressierten Hochschullehrerkreis heraus eine Kolonialakademie zu gründen, d.h. die vielen unterschiedlichen Interessengebiete, die sich auch in

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ter war, feierten ausgiebig die imperialen Ambitionen Bismarcks anlässlich der Installierung einer Bismarcksäule. 1905 wurde dann auch eine Ortsgruppe der deutschen Kolonialgesellschaft an der Universität gegründet. 28Asmis studierte also offenbar in einem imperial, konservativ und preußisch orientierten Umfeld, laut Stoerck war er sogar Mitinitiator der organisierten kolonialen Begeisterung. Im Jahr 1900 bestand Asmis sein Referendarexamen und promovierte in den Rechtswissenschaften. 1905 wurde er zum Gerichtsassessor ernannt und vom Oberlandesgerichtspräsidenten in Stettin mit einem ausreichenden Examen an ein Amtsgericht zur unentgeltlichen Beschäftigung überwiesen.29 Im selben Jahr verfasste er eine Studie, mit der er zum Dr. phil. promovierte, die den Titel trug: „Britisch-Afrika in dem geplanten Britischen Reichszollverein“.30 Diese Arbeit gibt einen erneuten Hinweis auf die imperiale Vorstellungswelt von Rudolf Asmis, und zwar zunächst über die Themenwahl: Der Autor wählte Großbritannien und fokussierte auf ein wirtschaftliches Thema. Beide Schwerpunkte sollten in seinen Schriften erhalten bleiben: Er blickte auf den afrikanischen Kontinent erstens stets aus einer Perspektive, die von westeuropäischen Interessen geleitet war, als koloniale Hauptakteure neben seinem Heimatland galten ihm vor allem Frankreich und Großbritannien. Er argumentierte zweitens im Hinblick auf imperiale Bestrebungen in der Regel vom ökonomischen Standpunkt aus.31 Auch inhaltlich ist die Arbeit ein Wegweiser zu Asmis‘ Vorstellungen. In der Doktorarbeit stellte der Verfasser Pläne Chamberlains, einer Rede von 1903 entnommen, zu einem geplanten Zollverein vor und ,prüfte‘ deren Durchführbarkeit und Folgen in den jeweiligen britischen Kolonien. Die Kolonien teilte er in Süden, Mitte, Norden auf, wobei Südafrika für ihn die wichtigste Kolonie war. Er versuchte nachzuweisen, dass die geplanten Zölle den Kolonialgebieten schaden würden und nur Großbritannien davon Nutzen hätte. Für Mittelafrika stellte er fest, dass sich hier eventuell auch Industrie und damit auch eine wirtschaftliche Unabhängigkeit vom Mutterland entwickeln könnte, vergleichbar den Tendenzen, die er in Indien wahrnahm. Aber er sah das skeptisch, denn: „Der Unterschied zwischen der eingeborenen Bevölkerung Indiens und Afrikas ist zu groß. Dort brauchten nur die im Indier dank einer Jahrtausende alten, einst hochentwickelten Kultur ruhenden industriellen Talente und

Veranstaltungen ausdrückten, zu verstetigen. S. z.B. Schreiben des Ministers der geistlichen, Unter­ richts- und Medizinal-Angelegenheiten, Berlin, den 2. Jan. 1909, in dem die Gründung einer KolonialAkademie als uniinterne Angelegenheit abgelehnt wird. ULB Halle. 28 Markus Dittmann: Die Universität Greifswald am Vorabend des ersten Weltkrieges. Studien zur institutionellen, sozialen und politischen Struktur. Dissertation. Greifswald 1992. S. 132 u. S. 136. 29 Der Justizminister Berlin 16.10.1905, PA AA, NL Asmis (wie Anm. 9), Bd. 1. 30 Rudolf Asmis: Britisch-Afrika in dem geplanten Britischen Reichszollverein. Greifswald 1906. 31 Vgl. z.B. die Argumentationsweisen in Asmis, Kalamba (wie Anm. 2) und Rudolf Asmis: Als Wirt­ schafts­pionier in Russisch-Asien. Tagebuchblätter. Berlin 1924.



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Fähigkeiten von neuem geweckt zu werden. Hier wird es noch Jahrhunderte dauern, bis der Neger zu ähnlicher kultureller Stufe erzogen ist.“32 Der im Deutschen Reich – und durch Hegel bereits weit davor – übliche Topos der Geschichtslosigkeit Afrikas kommt hier zum Ausdruck. Der vorpommersche Gerichtsassessor Asmis kam zu diesem ferndiagnostischen Urteil mit Hilfe einer „volkswirtschaftspolitischen“ Publikation zur „Kehrseite des Industriestaats“, verfasst vom Berliner Ökonomieprofessor Adolph Wagner.33 Asmis‘ Ausführungen zu Britisch-Afrika waren zum einen ein Abschluss seiner imperialen, kolonialpolitischen Interessen während der Studienjahre, sie dienten ihm zugleich jedoch auch als Empfehlungsschreiben für sein weiteres Fortkommen. Er verschickte sie zahlreich – und seine inhaltliche Konzentration auf Großbritannien war durchaus im Hinblick auf eine mögliche Karriere gewählt: Ein im Nachlass erhaltener Brief an Asmis aus Montreux aus dem Jahr 1908 zeigt, dass sich Rudolf Asmis eine Anstellung in der ostindischen Regierung wünschte, für kürzer oder länger, mit, aber auch ohne Bezahlung. Asmis hatte den in der Schweiz lebenden Adressaten offensichtlich um eine Hilfe bei der Bewerbung beim Civil Service gebeten. Hier erhielt er jedoch eine deutliche Abfuhr: Für den Indian Civil Service müsse man in England geboren sein und ein schweres Examnen vor dem 21. Lebensjahr bestanden haben, nach dem man dann wiederum noch nach Cambridge oder Oxford geschickt würde, kurz: Der Indian Civil Service sei eine elitäre Institution und Asmis habe dort keine Chancen.34 Im Auswärtigen Amt war Rudolf Asmis angenommen worden: Nachdem er sich im November 1905 beworben hatte, erhielt er im April 1906 ein Schreiben von Legationsrat Bose, dem Stellvertreter des Personalreferenten, in dem sich dieser für die Schrift zu Britisch-Afrika bedankte. Bose schrieb, dass man Asmis sein großes Interesse für den Kolonialdienst anmerken würde und versprach, dass „die Ihnen in Aussicht gestellte Einberufung zur informatorischen Beschäftigung in der KolonialAbteilung tunlichst bald erfolgt.“35 Am 20.4.1906 wurde Asmis zum außeretatsmäßigen Assessor in der Kolonialabteilung berufen.36 Absagen und Vertröstungen von anderen staatlichen Einrichtungen, wie z.B. dem Kaiserlichen Patentamt, sind ein Beleg dafür, dass die Kolonialabteilung des Deutschen Reiches keineswegs die erste Adresse für einen ehrgeizigen jungen Juristen darstellte.37 Der spätere Brief aus Montreux zeigt, dass Asmis in seiner Berufs32 Asmis, Britisch-Afrika (wie Anm. 30), S. 42. 33 Adolph Wagner: Agrar- und Industriestaat. Die Kehrseite des Industriestaats und die Recht­fer­ti­ gung agrarischen Zollschutzes mit besonderer Rücksicht auf die Bevölkerungsfrage. Jena² 1902. Zitate aus Titel und Vorwort. 34 Brief vom 2.12.1908 aus Montreux, PA AA, NL Asmis (wie Anm. 9), Bd. 1. 35 Schreiben von Legationswart Bose an Asmis vom 7.4.1906, PA AA, NL Asmis (wie Anm. 9), Bd. 1. 36 PA AA NL Asmis (wie Anm. 9), Bd. 1. 37 Vgl. Antworten vom Statistischen Amt und Kaiserlichen Patentamt in PA AA NL Asmis (wie Anm. 9), Bd. 1.

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wahl offensichtlich auch nicht national festgelegt war. Der Einstieg in die Karriere des Kolonialbeamten stellt sich damit als geplant ebenso wie zufällig dar, als konsequente Fortführung im Studium ausgebildeter Interessen sowie als einzige reale Option nach diversen gescheiterten Bewerbungen andernorts. Berlin als neuer Wirkungsort blieb 1906 nur eine flüchtige Episode. Zwar sollte Rudolf Asmis sich in der Kolonialabteilung erst einmal in Ruhe auf seinen Einsatz in den Kolonien vorbereiten. Dazu wäre ihm in Berlin das „Seminar für Orientalische Sprachen“ offen gestanden, das, allerdings nicht verpflichtend, Sprachkurse und Landeskunde für Angehörige des Militärs und der Beamtenschaft, die einen Aufenthalt in Asien oder Afrika planten, anbot.38 Jedoch wurde Asmis bereits im August desselben Jahres aufgefordert, sich der Kolonialverwaltung in Togo zur Verfügung zu stellen, sich davor jedoch zunächst nach Viktoria (heutiges Limbe) in Kamerun zu begeben.39 Im Gepäck hatte Asmis, wie seine Studienzeit und seine Doktorarbeit belegen, ein ausgeprägtes koloniales Interesse, das sich vor allem aus wirtschaftlichen Argumenten speiste. An einem späteren Vortrag, gegen Ende des Ersten Weltkrieges, lässt sich die Reichsvorstellung Asmis‘, wie sie sich hier ankündigt und für Kolonialbefürworter üblich war, noch einmal präzisieren:40 Deutschland sah Rudolf Asmis demnach als eine Industrienation innerhalb Europas an. Europa wiederum brauche sowohl Rohstofflieferanten als auch Absatzmärkte, weshalb der europäische Kolonialismus in Afrika notwendig sei. Die „ungehobenen Schätze“ in Afrika stünden dabei allen Europäern zu, die sich verpflichteten, „den Afrikanern die Segnungen der Zivilisation zu bringen.“ Der Kolonialbesitz müsse „neu verteilt werden“, Richtschnur für die Verteilung seien die „wirtschaftlichen und kolonisatorischen Fähigkeiten der Natio38 Zum Seminar vgl. Holger Stoecker: Das Seminar für Orientalische Sprachen. In: Ulrich van der Heyden u. Joachim Zeller (Hrsg.): Kolonialmetropole Berlin. Eine Spurensuche. Berlin 2002. S. 115– 122. Neuere Forschungen betonen, dass seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert Tendenzen der Globalisierung auch insofern zu verzeichnen sind, als Institutionen geschaffen wurden, die bestimmte Personengruppen auf eine Arbeit im Ausland vorbereiteten. Vgl. hierzu Felix Brahm: Wissenschaft und Dekolonisation. Paradigmenwechsel und institutioneller Wandel in der akademischen Beschäf­ ti­gung mit Afrika in Deutschland und Frankreich, 1930–1970. Stuttgart 2010; Holger Stoecker: Afri­ka­ wissenschaften in Berlin von 1919 bis 1945: Zur Geschichte und Topographie eines wissenschaftlichen Netzwerkes. Stuttgart 2008; Birgit Schäbler: Area Studies und die Welt. Weltregionen und neuere Globalgeschichte. Wien 2007; Matthias Middell: Weltgeschichtsschreibung im Zeitalter der Verfachlichung und Professionalisierung. Das Leipziger Institut für Kultur- und Universalgeschichte 1890–1990. Band 1–3. Leipzig 2005; Sabine Mangold: Eine „weltbürgerliche Wissenschaft” – Die deutsche Orientalistik im 19. Jahrhundert. Stuttgart 2004. 39 AA, Schreiben vom 10.8.1906, gez. Bose, PA AA, NL Asmis (wie Anm. 9), Bd.1. 40 Undatierter Vortrag, NL Asmis, Bd. 20. Der Inhalt lässt deutlich auf Asmis als Verfasser und den Ersten Weltkrieg als Entstehungszeit schließen. Alle Zitate beziehen sich bis zur nächsten Fußnote hierauf. Für die Argumente der Kolonialbefürworter vgl. die bekannte, die Kolonialbewegung mitbegründende Schrift des Inspektors der Rheinischen Mission, Friedrick Fabri (1824–1892): „Bedarf Deutschland der Kolonien? Eine politisch–ökonomische Betrachtung. Gotha 1879.



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nalstaaten.“ Diese ökonomisch argumentierende imperialistische Sicht, die sich in den frühen Arbeiten bereits andeutet, zieht sich wie ein roter Faden durch Asmis‘ Schriften und Vorträge.

Kamerun: Erste koloniale Erfahrungen In der deutschen Kolonie Kamerun blieb Rudolf Asmis ungefähr drei Monate.41 In dieser Zeit traf er als Sonderrichter ein Urteil gegen Afrikaner der Bevölkerungsgruppe der Duala, die bereits seit einigen Jahren im Konflikt mit der Kolonialverwaltung standen und sich in Petitionen an den Reichstag in Berlin gewandt hatten, wofür sie wiederum von den beschuldigten Kolonialherren, u.a. dem Gouverneur Jesco von Puttkamer, wegen Beleidigung verklagt worden waren.42 Diese Petitionen und die Gerichtsverfahren in Kamerun, die zahlreiche Verfehlungen der Kolonialherren zu Tage förderten, führten in Berlin zu heftigen parlamentarischen Diskussionen und zur Aufhebung des als zu hart erachteten Urteils gegen die Beschwerdeführer. Asmis formulierte zum Abschluss des letzten, von ihm geleiteten Verfahrens, das zu einer erneuten Verurteilung, aber zu geringeren Strafen für die Duala führte, mit einem Kollegen zusammen eine Denkschrift für den Reichstag. In dieser versuchte er, die angeblich vom Reich so verschiedenen Rechtsverhältnisse in Afrika für ein deutsches Lesepublikum zu übersetzen. Beispielsweise erklärte er die Strafen, die er verhängt hatte, mit dem von ihm als anders postulierten Ehrempfinden in Afrika.43 Die Denkschrift dokumentiert also einerseits die Rolle des Parlamentes bei Fragen der Kolonialisierung – immerhin kam es zu einer Aufhebung des Urteils und einem erneuten Verfahren –, andererseits steht sie aber auch für dessen Grenzen, denn letztlich hatte der Reichstag nur über Budgetfragen einen Einfluss auf das koloniale Geschehen.44 So war den Duala der Transfer einer Öffentlichkeit für koloniales Unrecht von der Kolonie in die Metropole gelungen, und es kam zu einer Revision des Verfahrens. 41 Zu Kamerun als deutscher Kolonie vgl. v.a. Karin Hausen: Deutsche Kolonialherrschaft in Afrika. Wirtschaftsinteressen und Kolonialverwaltung in Kamerun vor 1914. Freiburg/Br. 1970; Helmuth Stoecker (Hrsg.): Kamerun unter deutscher Kolonialherrschaft. Studien. Band 1–2. Berlin 1960–1968; Ulrike Schaper: Koloniale Verhandlungen. Gerichtsbarkeit, Verwaltung und Herrschaft in Kamerun 1884–1916. Frankfurt 2012. 42 Zu diesem Rechtsstreit in Kamerun gibt es bereits einige Untersuchungen. Vgl. jüngst Schaper, Koloniale Verhandlungen (wie Anm. 41), bes. S. 207–218. Zur Rolle von Asmis in diesem Verfahren s. auch Bettina Brockmeyer: Der Kolonialbeamte Rudolf Asmis. In: Rebekka Habermas u. Alexandra Przyrembel (Hrsg.): Von Käfern, Märkten und Menschen. Kolonialismus und Wissen in der Moderne. Göttingen 2013. S. 84–94. 43 Denkschrift, S. 2, PA AA, NL Asmis (wie Anm. 9), Bd. 62, bes. S. 65–72. 44 Marc Grohmann beschreibt in seiner rechtsgeschichtlichen Untersuchung die „kraftlosen Parla­ men­­tarisierungsforderungen“ eines in seiner kolonialen Haltung uneindeutigen Reichstages und be­tont, dass Einfluss nur „informell“ über die Budgetfrage erfolgte. Marc Grohmann: Exotische

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Zugleich änderte sich in der Kolonie nichts am Urteil gegen die Angeklagten, lediglich das Strafmaß wurde verringert. Die von den Duala Beschuldigten wurden nicht weiter belangt, allerdings gab es in der Folge durchaus personelle Konsequenzen, so wurde von Puttkamer seines Amtes enthoben.45 Mit seinem Auftakt in Kamerun hatte Asmis unter Beweis gestellt, dass er sich in den Alltag der Kolonialherrschaft einzufügen wusste. Außerdem zeigte er, dass er die verschiedenen Öffentlichkeiten des kolonialen Projektes in der Kolonie und im Reich kannte und bedienen konnte. Er hatte ein Urteil getroffen, das zwar milder war als die zuvor verkündeten, im Kern jedoch Fragen willkürlicher Herrschaft und kolonialen Unrechts unberührt ließ. Eine weitere Arbeit verdeutlicht diesen Eindruck des Ankommens: Wie bei jeder seiner beruflichen Stationen nutzte Asmis auch die Kamerunerfahrung für Publikationen. In den Mitteilungen aus den deutschen Schutzgebieten veröffentlichte er 1907 einen Artikel zum Thema „Der Handel der Duala“.46 Hier stellte Asmis, auf der angeblichen Grundlage von eigenen Gesprächen mit unterschiedlichen Bewohnern Kameruns, dem Publikum eine Bevölkerung vor, die zwar einst vom Handel gelebt habe, nun aber selbstverschuldet nicht mehr dazu in der Lage sei. Die „Vernichtung des Zwischenhandelsmonopols der Duala“ sei eine „notwendige Folge der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse“ gewesen. An der nun grassierenden Armut sei diese Bevölkerungsgruppe selbst schuld, denn „Verarmung“ sei „die Folge der Indolenz und Schwerfälligkeit des mit verhältnismäßig wenigen Ausnahmen zu ernster, zielbewußter Arbeit unfähigen Volkes.“ Historische Zusammenhänge werden durch anthropologische Deutungen ersetzt und die Begebenheiten damit den Reichsinteressen, die Asmis in seinen Schriften immer wieder als ebensolche erklärte, nämlich dem Handel, angepasst. Ähnlich wie in seiner Doktorarbeit argumentierte Asmis hier zum einen wirtschaftlich und zum anderen zivilisatorisch. An seiner Perspektive auf Reichszusammenhänge scheint sich nach diesen ersten Monaten in Westafrika nicht viel geändert zu haben, hinzu kommt nun jedoch eine neue Argumentationsweise: die Legitimierung des Gesagten mit der eigenen Erfahrung und Recherche in der Kolonie. Der entscheidende Ort kolonialen Wirkens bildete für Rudolf Asmis die Kolonie, für die er eigentlich vorgesehen war und in die er nach dem Urteil weiterzog: Togo. Hier blieb er insgesamt sechs Jahre.

Verfassung. Die Kompetenzen des Reichstags für die deutschen Kolonien in Gesetzgebung und Staatsrechtswissenschaft des Kaiserreichs (1884–1914). Tübingen 2001. S. 277. 45 Vgl. Schaper, Verhandlungen (wie Anm. 41), S. 218. Ulrike Schaper schreibt hier, dass der „Widerspruch“ der hauptsächliche Erfolg der Petitionen gewesen sei. Im Hinblick auf die Debatten in Berlin kann man zudem die Schaffung einer Öffentlichkeit hinzufügen. 46 Rudolf Asmis: Der Handel der Duala. In: Mitteilungen a.d. Schutzgebieten, XX. Band II, PA AA NL Asmis (wie Anm. 9), Bd. 17. Alle Zitate bis zur nächsten Fußnote beziehen sich hierauf.



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Togo: Herrschaft und Öffentlichkeit Togo wurde im Deutschen Reich als „Musterkolonie“ propagiert, sie galt als Legitimation für das deutsche Weltmachtstreben, als Beispiel gelungenen Imperialismus‘.47 An diesem Bild wurde eifrig gearbeitet. Bettina Zurstrassen betont in ihrer Arbeit über Togo, dass die Kolonialbeamten sowohl in Berlin als auch in Togo vielfältige Kontrollund Vertuschungsmaßnahmen entwickelten, um den Ruf einer „Musterkolonie“ zu halten.48 Für den Hilfsarbeiter und im Jahr 1911 zum Bezirksamtmann beförderten Asmis bildete Togo, das er im Nachhinein wie viele seiner Kollegen als „urdeutsch“49 bezeichnete, die längste koloniale Erfahrung für das Deutsche Reich. In Togo waren die Beamten im Durchschnitt zu anderen deutschen Kolonien lange auf ihren jeweiligen Posten, zum Teil bis zu 22 Jahre. Hauptsächlich bestand die Beamtenschaft aus Juristen und Militärs, der Altersdurchschnitt lag Anfang des 20. Jahrhunderts bei 30 Jahren.50 Die verhältnismäßig lange Aufenthaltsdauer von Asmis in der Kolonie (von Ende 1906 bis 1912, mit längeren Unterbrechungen im Reich) kann also als typisch für diese Karriere angesehen werden. Auch mit seiner juristischen Ausbildung und seinem Eintrittsalter von 27 Jahren gehörte er zum Durchschnitt. Asmis war während seiner Zeit in Togo u. a. mit drei Projekten betraut. Diese Projekte kann man in der Art ihrer Ausführung bzw. Umsetzung als Tätigkeiten des Kontrollierens und Vertuschens interpretieren, zugleich werden sie jedoch auch, z.B. von Horst Gründer, als Zeichen der „Liberalisierung der Herrschaft“ in Togo gewertet.51 An dieser Stelle sind die Projekte jedoch vor allem deshalb wichtig, weil sie Aufschluss geben über die Art des Engagements und die koloniale Arbeit des Juristen Rudolf Asmis. Anfang 1907 wurde Asmis erstens von Gouverneur Julius Graf von Zech auf Neuhofen beauftragt, eine Rechtskodifikation der kolonialen Rechtsverhältnisse vorzubereiten. Zweitens war er Vorsitzender einer Landkommission und drittens führte er Schulrevisionen in Togo durch. Bis auf letzteres waren sämtliche Projekte von zweifelhaftem Erfolg. Zunächst soll hier auf die Rechtskodifikationen eingegangen werden. Im Rahmen eines umfänglich angelegten, in Berlin zunächst unterstützten Versuchs, einheitliche Rechtsverhältnisse in den Kolonien herzustellen, sammelte Asmis 1907 in einer mehrmonatigen Interview- und Reisezeit die sog. „Bezirksleiter- und Stam-

47 Zur Verwendung des Begriffs „Musterkolonie“ seit 1894 vgl. z.B. Adjaї Paulin Oloukpona-Yinnon: Unter deutschen Palmen. Die „Musterkolonie“ Togo im Spiegel deutscher Kolonialliteratur (1884– 1944). Frankfurt/M. 1998. S. 59–66. 48 Zurstrassen, Koloniale Beamte (wie Anm. 4), bes. S. 183–188. Zu Togo s. auch v.a. Sebald, Togo (wie Anm. 22); Trotha, Koloniale Herrschaft (wie Anm. 3); Erbar, Togo (wie Anm. 22). 49 Rudolf Asmis: Erfahrungen aus meinen kolonialen Wanderjahren. München 1941. S. 8. 50 Vgl. zur Beamtenschaft v.a. Zurstrassen, Koloniale Beamte (wie Anm. 4), S. 36–45. 51 Horst Gründer: Geschichte der deutschen Kolonien. 4. Aufl. Paderborn 2000. S. 135.

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mesrechte“ der verschiedenen Stationen.52 Außerdem besuchte er die angrenzenden Kolonien unter französischer bzw. englischer Herrschaft und verglich das dortige Recht mit dem deutschkolonialen. Heraus kamen im Hinblick auf die „Stammesrechte“ hunderte von Seiten ethnografisch anmutenden Materials. Als Legitimation jeder Schilderung nannte Asmis zu Beginn lokale Informanten für seine Ausführungen, besonders häufig erwähnte er „Häuptlinge“, übersetzt wurden die Gespräche von ein bis zwei mitreisenden, vom Gouvernement angestellten Dolmetschern.53 Rudolf Asmis ließ sich über den „Fetisch“, über Arbeits- und Familienstrukturen, die Situation der Frauen, den Umgang mit Eigentum, den Toten und dem Erbe sowie über das Handels- und Straf-System und die finanziellen Strukturen der „Stämme“ aus.54 In einer veröffentlichten Darstellung finden sich im Gegensatz zu den unveröffentlichten Beschreibungen vermehrt Wertungen, wie z.B., dass sich „eine etwas geordnete Rechtspflege […] erst zu entwickeln begonnen [hat], nachdem die Landschaft unter die deutsche Herrschaft gekommen ist.“55 Insgesamt sind die Ausführungen zu den Rechtstraditionen verschiedener Bevölkerungsgruppen weniger systematisch als deskriptiv und detailliert, der Kolonialamts-Staatssekretär Bernhard Dernburg bemerkte „feuilletonistische Wendungen“.56 Den zeitgenössisch renommierten Juristen Josef Kohler, der vom Reich mit der Erstellung eines Fragebogens zur Erfassung der Rechte beauftragt worden war, veranlassten die Abhandlungen wohl nicht nur aus gekränkter Eitelkeit zu der Kritik, dass manche Aussagen in den „Berichten“ fehlen würden, „weil der Verfasser eben nicht nach einem Fragebogen untersucht hat.“57 Von der Kolonialabteilung in Berlin wurden die Asmis’schen Ergebnisse als zu brisant bewertet. Abgesehen von wenigen Ausnahmen wurde ihm, sehr zu seinem Ärger,58 die Veröffentlichung seiner Ergebnisse verweigert. Zwar sah man einen Sinn 52 Vgl. zu Asmis’ Sammlungen der unterschiedlichen Rechtsverhältnisse v.a. Knoll, law code (wie Anm. 22). Zum größeren Projekt, das von Berlin aus gesteuert wurde vgl. Rebekka Habermas: Die deutschen Großforschungsprojekte zum „Eingeborenenrecht“ um 1900 und ihre Folgen. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 129 (2012). S. 150–182. 53 PA AA, NL Asmis (wie Anm. 9), Bd. 40. 54 S. z.B. Asmis’ 101-seitigen Bericht: Grundlagen für die Codifizierung des Eingeborenenstrafrechts in Togo. Teil II. Die Stammesrechte. Bd. II. Die Stammesrechte der Bezirke Atakpame und KreteKratschi, PA AA, NL Asmis (wie Anm. 9), Bd. 38. 55 [Rudolf] Asmis: Die Stammesrechte des Bezirkes Sansane-Mangu (Schutzgebiet Togo). In: Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft (Sonderabdruck) XXVII. Heft 1–2. S. 71–128, hier S. 101. 56 Schreiben von Bernburg an Zech vom 17. November 1908, Bundesarchiv, Berlin Lichterfelde (BArch), Reichskolonialamt (R 1001) / 5006, Bl. 60. 57 Josef Kohler: Bemerkungen zu den Stammesrechten von Sansane-Mangu. In: Zeitschrift für ver­ gleichende Rechtswissenschaft (Sonderabdruck) XXVII. Heft 1–2. S. 128–134, hier S. 130. Zu Kohler s. Bernhard Grossfeld u. Margitta Wilde: Josef Kohler und das Recht der deutschen Schutzgebiete. In: Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 58 (1994). S. 59–75. 58 Vgl. z.B. den Brief, den Asmis seinem Bruder schrieb und in dem er sich über das Vorgehen in Berlin beschwerte. Zurstrassen, Koloniale Beamte (wie Anm. 4), S. 186f. Zu den Veröffentlichungsstreitigkeiten zwischen Asmis und der Kolonialabteilung s. PA AA, NL Asmis (wie Anm. 9), Bd. 2



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darin, für die Bezirksleiter und Gouverneure der Kolonien eine Rechtssammlung, auch zur besseren Kontrolle der Herren, zusammenzustellen, veröffentlicht wollte man diese Rechte jedoch nicht sehen, da „das Material vieles enthält, was zu Missverständnissen und zu Angriffen gegen die Verwaltung Anlass geben könnte.“59 Diese Sorge bezog sich vor allem auf die Bezirksleiterrechte, da deutlich wurde, dass die herrschende Praxis an vielen Stellen gegen das Reichsstrafgesetz verstieß.60 Aber auch die Ausführungen von Rudolf Asmis über die verschiedenen Rechtstraditionen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen durften nicht weiter veröffentlicht werden. Eine Deutung hierzu wäre, dass diese Darstellungen ungewollt Pluralität und Heterogenität offenlegten. Sie vermittelten den Eindruck von bestehenden Rechtstraditionen auf dem afrikanischen Kontinent. In dem seitenstarken Material verschwimmt allein ob der Fülle an Details die klare Unterteilung in Kolonialisierende und Kolonialisierte, in Kolonialherren auf der einen und die einheitliche Masse an ,unzivilisierten‘ Afrikanern und Afrikanerinnen auf der anderen Seite. In einem internen Schreiben von Dernburg an von Zech klingen die Bedenken gegen eine Veröffentlichung folgendermaßen: „Die Aufgabe der kolonisierenden Nation besteht darin, nach und nach bei den Eingeborenen diejenige Rechtsauffassung und dasjenige Rechtsempfinden zu wecken, welches der europäischen civilisierten Auffassung entspricht. [...] Eine Festlegung und damit die Sanktionierung der EingeborenenGebräuche ist deshalb nicht zweckmässig.“61 Ziel sei es, europäisches Recht zu installieren, bestehende Rechtstraditionen müsse man deshalb nicht unnötig fixieren. Wie viel unnötiger war es dann erst, diese Darstellungen auch noch zu veröffentlichen. Eine Publikation konnte deshalb, da war Dernburg sehr deutlich, „nicht gestattet werden“.62 Weniger Anlass zu Ärger boten Asmis’ Ausführungen zum „Eingeborenenrecht Französisch-Westafrikas“,63 zumindest erschienen diese 1910 in der Zeitschrift der Deutschen Kolonialgesellschaft. Deutlich entwarf der Kolonialbeamte hier – und darin ging er konform mit englischen Kollegen und reihte sich in die Praxis europäischen Vergleichens ein64 – einen Gegensatz französischer und deutscher Rechtsvorstellungen: Die Franzosen würden aus ihren egalitären Vorstellungen nicht herauskommen, 59 Schreiben Friedrich von Lindequists vom 3.3.1911, PA AA, NL Asmis (wie Anm. 9), Bd.2. 60 Vgl. Zurstrassen, Koloniale Beamte (wie Anm. 4), S. 185f. 61 Schreiben von Bernburg an Zech vom 17. November 1908, BArch, R 1001 / 5006 (wie Anm. 56), Bl. 59. 62 Ebd., Bl. 60. Vgl zu diesem Argument gegen eine Veröffentlichung auch Sebald, Recht und Politik (wie Anm. 22), S. 164f. 63 Aus einem Schreiben von Lindequist vom 19.12. 1910 wird deutlich, dass Asmis die Arbeit vorgelegt hatte, Streichungen vorgenommen worden waren, die Zensur sich in der Veröffentlichung jedoch nicht wiederfand, wofür Lindequist aber die Schuld beim Verleger sah. PA AA, NL Asmis (wie Anm. 9), Bd. 2. 64 Vgl. z.B. Ann Laura Stoler u. Frederick Cooper: Between Metropole and Colony. Rethinking a Research Agenda. In: Ann Laura Stoler u. Frederick Cooper (Hrsg.): Tensions of Empire. Colonial Cultures in a Bourgeois World. Berkeley 1997. S. 1–56, hier S. 7.

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was sie in der Zukunft zu diversen Problemen führen werde. Sie würden zwischen „Eingeborenen“ und Europäern auf Grund von Staatsbürgerschaft unterscheiden, während die Deutschen ihr Recht auf dem erfolgreicheren Differenzierungsmerkmal des „Rassengegensatzes“ basieren lassen würden.65 Die Absetzung von der Nachbarkolonie über einen vermeintlichen Gegensatz schärfte die Worte zur Beschreibung der deutschen kolonialen Ordnung. Nach Asmis war ein auf klaren rassistischen Differenzierungen basierendes koloniales Recht für eine funktionierende Verwaltung von Nöten. Des Weiteren waren die Afrikaner und Afrikanerinnen in seiner Wahrnehmung nur in Maßen zu ‚zivilisieren’, damit keine sozialen Unruhen aus zu viel Bildung und zu wenig Arbeit entstünden, oder sich in Asmis‘ Worten „aus den Beschäftigungslosen ein halbgebildetes arbeitsscheues Proletariat herausbilden wird, das mit Ablauf jeden Jahres aus den Schülern der Dorfschule neuen Zulauf erhält und sehr bald auch politisch unbequem werden kann.“66 Die „Ideologie der Dissimilation“67 prägte während der Phase der deutschen Kolonialherrschaft zwar einen Großteil der Kolonialbeamtenschaft, doch das Bedrohungsszenario politisch sozialer Unruhen, das Asmis aus einer ,Zivilisierungsmission‘ entwarf, findet sich bei ihm im Jahr 1910 vergleichsweise früh.68 Deutlich werden an diesem Projekt mehrere Punkte: Die Kolonie war eine zu beherrschende Peripherie, um deren Herrschaftsregeln Zeit ihres Bestehens gerungen wurde. Zu einer Vereinheitlichung des Rechts kam es nicht, woran die Kolonialbeamtenschaft vor Ort auch kein Interesse zu haben schien. So stieß Asmis mit seinen ehrgeizigen Kodifikationsausführungen unter seinen Kollegen auf massiven Widerspruch.69 Im Reich hingegen fürchtete man die Unvermittelbarkeit der Handlungsweisen deutscher Kolonialbeamter in der Kolonie für das Publikum daheim. Gleichzeitig werden die Vertuschungsmaßnahmen ihren Teil zum schlechten Ruf der Kolonialisten beigetragen haben. Die Vermeidung von Öffentlichkeit erzeugte eine neue Öffentlichkeit und trug vermutlich dazu bei, dass die Kolonialbeamtenlaufbahn als nicht karriereförderlich galt. Das zweite Projekt, die Landkommission, war im Hinblick auf Asmis’ eigene Zielvorgaben nicht minder erfolglos. Bei der Landkommission ging es, zusammen-

65 [Rudolf] Asmis: Das Eingeborenenrecht Französisch-Westafrikas. In: Zeitschrift für Kolonialpolitik, Kolonialrecht und Kolonialwirtschaft 12 (1910). S. 745–795, hier S. 751. 66 Ebd., S. 757. 67 Ulrike Lindner: Koloniale Begegnungen. Deutschland und Großbritannien als Imperialmächte in Afrika 1880–1914. Frankfurt/M. 2011. S. 312. 68 In den 1930er und 1940er Jahren wurden vermehrt – auch vor dem Hintergrund von sozialen Un­ruhen und dekolonialen Bestrebungen – wissenschaftliche Untersuchungen zum gesellschaftlichen Wandel afrikanischer Gesellschaften mit Bedrohungsszenario entworfen. Vgl. z.B. die Arbeiten von Richard Thurnwald und seiner Frau. Richard Thurnwald: Black and White in East Africa. With a Special Chapter on Women by Hilde Thurnwald. London 1935; Hilde Thurnwald: Die Schwarze Frau im Wandel Afrikas. Stuttgart 1935. Felix Brahm hat diese Forschungsrichtung für die Berliner Ethnologie untersucht in Brahm, Wissenschaft und Dekolonisation (wie Anm. 38), S. 170–185. 69 Vgl. Zurstrassen, Koloniale Beamte (wie Anm. 4), S. 186.



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gefasst, um das Eigentumsrecht von Afrikanern und Afrikanerinnen. Nachdem 1903 ein kaiserlicher Erlass die Enteignung von Grundbesitz mit Entschädigung verkündet hatte, der wiederum Ausschlüsse (zur Sicherung des Grundeinkommens von Afrikanern und Afrikanerinnen) vorsah, ordnete der Reichskanzler im selben Jahr an, dass das von diesem Ausschluss ausgeschlossene (da selbst benötigte) Land angegeben werden müsse. Die in Togo einflussreichste private Kapitalgesellschaft, die Deutsche Togogesellschaft, wollte nun für ihren Grundbesitz dieses Ausschlussrecht erwerben.70 Asmis jedoch resümierte nach seinen Ermittlungen, dass die Deutsche Togogesellschaft ohnehin Fehler bei der ‚Erwerbung’ des Landes gemacht hätte und stellte weite Teile des Landbesitzes in Frage. Damit kollidierte er nachhaltig mit den Interessen der Gesellschaft; die Einstellung des Verfahrens sowie ein Publikationsverbot für seine Ergebnisse waren die Folge.71 Offensichtlich ernstlich besorgt um seine Stellung, fragte Asmis den bereits eingangs erwähnten Kollegen in Kamerun um Rat. Dieser Kollege Schürmann sprach Asmis in seinem Antwortschreiben sein „Beileid“ aus und fragte, wie er denn „auch nur eine so undankbare Sache“ habe „übernehmen u. noch dazu sich dabei [habe] abschinden“ können.72 So etwas mache man doch nicht, und wenn, dann nur mit „allerhöchst[er]“ Absprache. „Sie sind aber stets der Mann des eigenen Gedankens, der selbständigen Arbeit gewesen, stecken voller Anregungen und Initiation, wollen ihre zweifellos guten Ideen in die Praxis umsetzen.“ Das sei als Assessor jedoch nicht angebracht. Hier gibt Schürmann einen Eindruck wieder, der zeigt, wie Rudolf Asmis offensichtlich versuchte, sich selbst sichtbar zu machen innerhalb einer hierarchisch differenzierten Beamtenschaft, in der, im Gegensatz zur großen Gruppe der unteren und mittleren, in der Regel nur die oberen Beamten überhaupt Aufstiegschancen hatten.73 Im Kolonialamt wurde denn auch sein Ehrgeiz kritisch diskutiert und genau das negiert, was Asmis in seinen Publikationen seit seiner Ankunft in den westafrikanischen Kolonien für sich in Anspruch nahm: die „Kolonial-Erfahrung“.74 Der Versuch, eine Rechtskodifikation zusammenzustellen und einer Landkommission erfolgreich vorzusitzen, wird heute in der Forschung mitunter auch als Hinweis darauf interpretiert, dass es Asmis am Anfang seiner Karriere um das Recht der Afrikanerinnen und Afrikaner gegangen sei.75 Dagegen lässt sich jedoch zum einen mit Gründer argumentieren, dass das Gouvernement unter Zech insgesamt 70 Zur Geschichte der DTG und der Plantagenwirtschaft vgl. Sebald, Togo (wie Anm. 22), S. 363–376. 71 PA AA NL Asmis (wie Anm. 9), Bd. 35. 1910 kam es schließlich zu einer Landreform, die den Konflikt löste. Vgl. Gründer, Kolonien (wie Anm. 51), S. 135. 72 Zitate bis zur nächsten Anmerkung aus Brief Schürmann an Asmis, 21.1.09, PA AA, NL Asmis (wie Anm. 9), Bd. 49. 73 Vgl. Zurstrassen, Koloniale Beamte (wie Anm. 4), S. 43. 74 Schreiben von Zech vom 22. April 1908, BArch, R 1001 / 5006 (wie Anm. 56), Bl. 37. 75 Yawovi A. Ahadji: Rudolf Asmis et Johann Karl Vietor: deux défenseurs des Noirs au Togo? In: Ulrich van der Heyden (Hrsg.): Studien zur Geschichte des deutschen Kolonialismus in Afrika. Festschrift zum 60. Geburtstag von Peter Sebald. Pfaffenweiler 1995. S. 43–58.

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,liberaler‘ als zuvor war und Asmis lediglich die Pläne des Vorgesetzten ausführte. Liest man zum anderen Asmis’ unveröffentlichten Entwurf einer Rechtfertigung seiner Landkommissionsergebnisse für das Gouvernement, so wird deutlich, dass der Verfasser nicht müde wurde, immer wieder auf seine Arbeiten zu den Rechtskodifikationen zu verweisen.76 Denn nach dem „Stammesrecht“, das Asmis für die Region, um die es der Togogesellschaft ging, beschrieben, bzw. entworfen, hatte, war das Land nicht rechtens erworben worden. Es ging Asmis also auch um seine Reputation, seine eigene Arbeit, wenn er den Landbesitz der Togogesellschaft für widerrechtlich erklärte. Er war – so das Bild, das er von sich entwarf und das man im Brief des Kameruner Kollegen gespiegelt sieht – kein Verwalter des praktizierten Rechts der Vorgesetzten, sondern stellte Recht als „Mann des eigenen Gedankens“ her. Mit seiner Arbeit an den Rechtsverhältnissen war er letztlich jedoch ein beispielhafter Vertreter des (deutschen) Kolonialismus: Zwar verliefen die Rechtskodifikationen im Sande, das hieß jedoch nicht, dass nicht ständig am Recht gearbeitet wurde. Insgesamt gab es zahlreiche Projekte, Maßnahmen oder Ausarbeitungen zum kolonialen Recht, die zum Pluralismus der Rechtsverhältnisse beitrugen.77 Asmis war als Jurist einer von vielen Akteuren innerhalb dieser permanenten Rechtsproduktion. Auch das Bild des eigensinnigen, charakterlich starken und mutigen Mannes galt nicht nur für Asmis. Es entsprach der Selbsteinschätzung vieler Kolonialbeamten, die ihr mitunter wenig beamtenkonformes und reichsöffentlich schwer vermittelbares Verhalten in der überseeischen Kolonie als männliches Heldentum umdeuteten. Dieses proklamierte Heldentum war vergleichbar mit der Selbstdeutung des Militärs, wie Pesek und Eckert betonen.78 Das dritte Projekt schließlich, das Asmis betreute, war erfolgreicher im Sinne einer wahrnehmbaren Umsetzung und Anerkennung. Es handelt sich um die Schulrevisionen in Togo. Hier sind diese Revisionen von Interesse, da man an ihnen Transferprozesse nachvollziehen kann. Als Ziel wurde 1906 formuliert, dass die Pflichten gegenüber der Obrigkeit in den Lehrplan aufgenommen und diese Pflichten in Form von Fragen und Antworten eingeübt werden müssten. Die Fragen lauteten u.a., in welchem Land die Schüler leben würden und warum Togo „Schutzgebiet“ heiße. Außerdem gab es praktische Hinweise wie z.B., dass die Schirmherrschaft des Kaisers mit einem Regenschirm erklärt werden solle.79 Rudolf Asmis arbeitete an einem Fragebogen für Schüler, der eine Umsetzung des von ihm vielfach propagierten Gedankens war, dass die kolonisierte Bevölkerung zwar ein Grundverständnis über das Land und die Herrschaft der Kolonisatoren haben sollte, mehr jedoch nicht. Noch in seinen späteren kolonialrevisionistischen Erinnerungen hob Asmis genau diesen, bereits 1910 formulierten Gedanken hervor: Im Gegen76 Brief vom 12.8.1908, PA AA NL Asmis (wie Anm. 9), Bd 40. 77 Habermas, Großforschungsprojekte (wie Anm. 52), S. 181f. 78 Eckert u. Pesek, Bürokratische Ordnung (wie Anm. 8), S. 102f. 79 Zur Schulrevision in Togo s. PA AA, NL Asmis (wie Anm. 9), Bd. 33.



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satz zu Frankreich, das in seinen Kolonien eine Bildung hin zur Gleichberechtigung betrieben und Afrikaner auch in Frankreich an Universitäten zugelassen habe, habe Deutschland versucht, die Afrikaner in Afrika zu halten. In einer kurzen Publikation mit dem Titel „Deutsche Eingeborenenpolitik“80 von 1941 z.B. forderte Asmis – und zwar explizit mit der Autorität eigener Erfahrungen in Kamerun und Togo – für künftige deutsche Kolonien, dass die Machthaber weder deutsches Recht anwenden sollten noch europäischen Zivilisierungseifer: „Die Europäisierung der Eingeborenen ist nicht zu fördern.“ Abschreckendes Beispiel seien die Assimilationsversuche in den französischen Kolonien gewesen. Vielmehr sollten die Deutschen darauf hinwirken, dass sich die „Eingeborenen“ den „Stolz auf ihre alte Art erhalten“. Auch der Gesundheit wegen solle man sie so lassen, wie sie seien, und im Gegenteil bereits europäisierte „Eingeborene“ wieder an ihre alten Sitten und Gebräuche zurückführen. Hier propagierte Asmis im Duktus eines ,fürsorglichen‘ Paternalismus deutlich die sog. „colour bar“81. An der Schulrevision zur Frage nach der Bildung afrikanischer Schüler im europäischen Sinne wird deutlich, dass Asmis diese Forderungen in seiner aktiven Zeit als Kolonialbeamter entwickelt hatte. Im Jahr 1940 formulierte Asmis den Entwurf für ein „Kolonialblutschutzgesetz“, in dem er die „Nürnberger Gesetze“ und seine Vorstellungen vom „Rassengegensatz“ zusammenbrachte. In diesem Gesetzentwurf wurden jegliche Ehen zwischen „Deutschen“ und Menschen mit einem „Eingeborenenbluteinschlag“ verboten.82 Man kann an derartigen Formulierungen nicht nur Kontinuitäten von modifizierten Inhalten sehen, sondern auch, wie sich Rudolf Asmis als publikationserfahrener Autor den jeweiligen hegemonialen Sprachkontexten anpasste. Neben Inhalten transferierte er von Station zu Station v.a. Wissen um Praktiken des Transfers selbst.

Die Laufbahn nach dem Kolonialdienst: Afrika als Karriereknick? Im Jahr 1912 wechselte Rudolf Asmis in den konsularischen Dienst. Sein Eintritt in die Konsularlaufbahn war zunächst nur kommissarisch und erfolgte unter der Bedingung, dass er nach Beendigung des Amtes wieder in den Kolonialdienst zurückkehren solle.83 80 Rudolf Asmis: Deutsche Eingeborenenpolitik. München (Zentralverlag der NSDAP) 1941. S. 16, PA AA NL Asmis (wie Anm. 9), Bd. 25. Alle Zitate bis zur nächsten Fußnote hieraus. 81 Asmis, Erfahrungen aus meinen kolonialen Wanderjahren (wie Anm. 49), S. 20. 82 Zu diesem Gesetzesentwurf s. Birthe Kundrus: Von Windhoek nach Nürnberg? Koloniale „Misch­ ehenverbote“ und die nationalsozialistische Rassengesetzgebung. In: Birthe Kundrus (Hrsg.): Phan­ ta­siereiche. Zur Kulturgeschichte des deutschen Kolonialismus. Frankfurt/M. 2003. S. 122–125, Zitat S. 122. 83 Zur Ernennung zum Bezirksamtmann s. Bestallungsurkunde vom 31.1.1911 und zur Aufnahme in den Konsulatsdienst s. das Schreiben des AA vom 28. Februar 1912 in PA AA, NL Asmis (wie Anm. 9), Bd. 2.

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Negativ beantwortete Bewerbungen bei der Eisenbahnverwaltung in Berlin und in der Kolonialverwaltung Deutsch-Ostafrikas verstärken den Eindruck, dass Asmis wiederholt versuchte, aus Togo herauszukommen und andere Posten zu erhalten.84 Die Schwierigkeiten im Hinblick auf Karriereoptionen, die mit der neuen Laufbahn verbunden waren, zeigen sich am vermehrt öffentlich geäußerten Unmut über die soziale Undurchlässigkeit des diplomatischen und mitunter auch konsularischen Dienstes. 1906 war die Adelsbevorzugung im Hinblick auf Diplomaten besonders im süddeutschen Raum ausgiebig in der Presse beklagt worden. In Bayern hatte es, Presseberichten zufolge, den Fall gegeben, dass sich ein Adeliger das Examen erkauft hatte, und in diesem Zusammenhang wurde die schlechte Qualität der Diplomprüfungen zum diplomatischen Dienst angeprangert.85 Im Reichstag wurde noch während des Krieges über die Verbesserung der sozialen Durchlässigkeit und der Ausbildung diskutiert. Die Diplomatenprüfung wurde z.B. bis zum Ende des Kaiserreiches als reformbedürftig angesehen.86 Wenn überhaupt, dann bildete also die konsularische Laufbahn die bürgerliche Karriereleiter. Auf ihr kletterte Asmis bis zum Konsul. Nach Kriegsausbruch kehrte Asmis ins Deutsche Reich zurück und wurde von dort aus nach Belgien geschickt. Den Ersten Weltkrieg verbrachte er in Brüssel in der Verwaltung des Generalgouvernements Belgien. Von seinem Aufgabenbereich her war er hauptsächlich für Belgisch-Kongo und die Flamenpolitik zuständig, an seiner Korrespondenz kann man darüber hinaus sehen, dass er viel Zeit darauf verwendet haben muss, den Kontakt zu seinen ehemaligen Kollegen in den Kolonien zu suchen und zu pflegen.87 An nur einem kurzen Beispiel, wiederum zur Frage nach seinem Blick auf die Bevölkerung vor Ort, soll hier aufgezeigt werden, wie Asmis seine Erfahrungen in sein neues Wirkungsfeld einbrachte. In einer Denkschrift über die “Nutzbarmachung belgischer Arbeitskräfte für die deutsche Volkswirtschaft nach dem Krieg“88 setzte sich Asmis mit angeblichen Vor- und Nachteilen der Zwangsarbeit auseinander und brachte seine Vorstellungen vom „Rassengegensatz“ zum Ausdruck: Er argumentierte für Flamen als Arbeitskräfte in Deutschland mit der Begründung, dass die Flamen von „germanischem Stamme“ seien und „jedenfalls keinen Fremdkörper in unserem Volke bilden [würden, B.B.] wie die Polen“. Jens Thiel merkt in seiner Arbeit zu Belgien im Ersten Weltkrieg an, dass die deutsche Besatzungsmacht auf Wissen

84 Vgl. das Schreiben vom 22.2.1910 vom Minister für öffentliche Arbeiten und das Schreiben von Schnee vom Sept. 1912 in PA AA, NL Asmis (wie Anm. 9), Bd. 2. 85 Entsprechende Zeitungsausschnitte finden sich in den Dokumenten des Auswärtigen Amtes. PA AA R 139291, Acten betreffend Vorschriften über die diplomatische Prüfung, 1897–1918. 86 Vgl. ebd. 87 Vgl. Deutsches Generalgouvernement Brüssel, Privatbriefe, PA AA, NL Asmis (wie Anm. 9), Bd. 98. 88 PA AA, NL Asmis (wie Anm. 9), Bd. 105. Bis zur nächsten Fußnote sind alle Zitate hieraus ent­ nommen.



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und Praxis aus der Kolonialisierung Afrikas zurückgegriffen habe.89 Für diesen Transfer standen Männer wie Rudolf Asmis, der seine differenzierende Festschreibung und Hierarchisierung von außereuropäischen Bevölkerungsgruppen, die er bereits in der Studienzeit entwickelt und in der Kolonie verfestigt hatte, auf europäische Verhältnisse übertrug. Nach dem Krieg arbeitete Rudolf Asmis zunächst für das Reichsamt, dann Reichsministerium des Innern. In einer rückblickenden Selbstwahrnehmung, zu lesen in einem Lebenslauf aus den 1940er Jahren, scheiterte eine größere Karriere v.a. an seiner angeblichen kollegialen Haltung nach 1918. Er habe sich dagegen ausgesprochen, die sog. „Kriegsverbrecher“ an Belgien auszuliefern und habe deshalb innerhalb der Ministerialbürokratie nicht mehr aufsteigen können. Sein Vorgesetzter habe ihm diese Loyalität plus Antisemitismus vorgeworfen, wie er zur Zeit des Nationalsozialismus betonte.90 Im autobiographischen Blick Asmis‘ wirkte sich demnach nicht die Koloniallaufbahn problematisch auf seine Karriere aus, sondern seine im beruflichen Nachkriegsalltag angeblich nonkonformistische, den ehemaligen Kollegen in Belgien gegenüber von Loyalität geprägte Haltung. Publikationen und Schriftwechsel weisen darauf hin, dass sich Asmis in der frühen Weimarer Republik besonders damit befasste, an der Rückerwerbung von Kolonien in Afrika mitzuwirken. Er betrieb aktive Kolonialpolitik über Publikationen und den Kontakt zur Presse. Das belegen erstens seine Entwürfe für ein mögliches Kolonialreich in Afrika und zweitens seine Versuche, mit seinen Ansichten auf dem publizistischen englischsprachigen Markt Gehör zu finden.91 So veröffentlichte er 1922 einen Artikel im New Yorker Magazin The Living Age mit dem Titel „Africa as a World Problem“,92 in dem er versuchte, vor allem über eine tendenziöse Schilderung französischer versus englischer Kolonialpolitik Deutschland implizit wieder ins Spiel zu bringen. Auch wenn die Laufbahn der deutschen Kolonialverwaltung nicht seine erste und einzige Berufswahl dargestellt hatte, blieb er doch in seinen Veröffentlichung durchgehend ein Kolonialpropagandist. In der kolonialrevisionistischen Rückschau „Kalamba Na M‘Putu“ vereinte Asmis diese Laufbahn und seine kolonialpolitischen Ziele, indem er seinen ehemaligen Beruf, wie eingangs zitiert, verklärte. 89 Jens Thiel: „Menschenbassin Belgien“. Anwerbung, Deportation und Zwangsarbeit im Ersten Welt­krieg. Essen 2007. S. 29. 90 S. z.B. PA AA, NL Asmis (wie Anm. 9), Bd. 11; zu diesem Vorfall auch Bd. 10. 91 Vgl. PA AA, NL Asmis (wie Anm. 9), Bd. 24. Und siehe auch die deutsche Version seines in der nächsten Fußnote genannten Aufsatzes, die eine kurze Einleitung für das deutsche Lesepublikum enthält, in der Asmis die Wichtigkeit der „Machtverteilung“ in Afrika betonte. Damit meinte er die französische und englische Macht und wollte auf einen angeblich notwendigen deutschen Einfluss hinaus. Rudolf Asmis: Afrikanische Weltprobleme. In: Preußische Jahrbücher 186 (1921). S. 289–308, bes. S. 289. 92 Rudolf Asmis: Africa as a World Problem. In: The Living age, 4. Februar 1922, S. 255–262. Zu Asmis Bemühungen, den Artikel in der englischsprachigen Presse unterzubringen und seine Überlegungen zu einer aktiven Kolonialpolitik via Publikationen s. auch PA AA, NL Asmis (wie Anm. 9), Bd. 24.

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Ab 1920 war Rudolf Asmis wieder für das Auswärtige Amt tätig und wurde von 1922 bis 1924 der Diplomatischen Vertretung in Moskau zugeteilt, wo er seine Frau kennenlernte, mit der er zwei Söhne hatte. Nach Stationen in Asien und Australien beschloss Asmis seine Karriere im „Dritten Reich“ in Berlin. Von 1929 bis 1932 war Asmis Mitglied der DVP, ab 1938 der NSDAP. Der Hauptmann der Reserve, der trotz angeblich mehrfacher Bemühungen nicht als Soldat in den Ersten Weltkrieg ziehen durfte, der Anträge auf den Majorsstand sowie auf ein Ehrenkreuz für Kriegsteilnehmer stellte, war in diversen Vereinen Mitglied, u.a. in der Kolonialgesellschaft.93 In Australien war Asmis im „Verein für das Deutschtum im Ausland“ aktiv.94 Auch in seinen erwähnten kolonialrevisionistischen Veröffentlichungen aus den 1940er Jahren wird deutlich, dass er sich in seinen Ämtern immer als Repräsentant des deutschen Staates verstand und sich in dieser Position, wie er betonte, besonders wohl fühlte. Dass dieser Staat zunächst eine Monarchie, dann eine Republik und schließlich eine Diktatur war, scheint ihn in seiner Mission nicht maßgeblich beeinträchtigt zu haben.

Zusammenfassung In der Selbstdarstellung präsentierte sich Rudolf Asmis vor allem als ein Mann, der etwas erreichen und ändern wollte und damit mitunter bei Kollegen und Vorgesetzten aneckte. In seinen kolonialrevisionistischen Veröffentlichungen betonte er außerdem seinen Arbeitsethos. In der Tat scheint er die Devise des Kolonialbeamten und Offiziers Hermann von Wissmann (1853–1905), sich neben der eigenen Arbeit doch stets noch einiger Studien über Afrika zu widmen,95 für sein gesamtes Leben sehr ernst genommen zu haben, wie eine fast unüberschaubare Publikationsliste zeigt. Kein Ort, keine Station, über die er nicht veröffentlicht hätte. Wenn man sich diese Publikationen anschaut, sind es vielfach Palimpseste eines europäischen Schreibens über ,das Andere‘;96 sie zeugen aber auch von einer intensiven, freilich von der eigenen Perspektive und der erwünschten Wirkung geprägten Beschäftigung mit den Begebenheiten vor Ort.97 93 Vgl. PA AA, NL Asmis (wie Anm. 9), Bd. 6, Bd. 8, Bd. 9 und Bd. 98. 94 PA AA, NL Asmis (wie Anm. 9), Bd. 9. 95 Vgl. Michael Pesek: Koloniale Herrschaft in Deutsch-Ostafrika. Expeditionen, Militär und Verwaltung seit 1880. Frankfurt/M. 2005. S. 296. 96 Einige Aussagen z.B. zu Maoris sind unmittelbar vergleichbar mit Aussagen des englischen Reise­ schriftstellers Anthony Trollope. Zu Trollope s. Catherine Hall: Going a-Trolloping: Imperial Man Travels the Empire. In: Clare Midgley (Hrsg.): Gender and Imperialism. Manchester 1998. S. 180–199. 97 S. z.B. Rudolf Asmis: Belgische Außenhandelsförderung vor dem Kriege. In: Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im deutschen Reiche 43. Heft 2 (1919). S. 227–288; Rudolf Asmis: Der Belgische Kongo nach dem Weltkriege. Leipzig 1920; Rudolf Asmis: Die politische Lage in Russisch-Mittel-Asien Ende Juli 1923. o.O. 1924; Asmis, Wirtschaftspionier (wie Anm. 31);



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Über die Selbstdarstellung hinaus möchte ich weitere Ergebnisse im Hinblick auf den kolonialen Lebenslauf von Rudolf Asmis zusammenfassen: Asmis war erstens Kolonialbeamter, Konsul, (Reise-)Schriftsteller, ab den 1920er Jahren auch Ehemann und Vater – aber in erster Linie war er Publizist. In seinen Schriften und in einer ebenso umfangreichen Vortragstätigkeit nahm Asmis zu jedem Ort seiner Karriere Stellung. Sein inhaltlicher Zugriff gestaltete sich meistens über wirtschaftliche Fragen, er analysierte die bereisten Länder im Hinblick auf ihren ökonomischen Nutzen für Deutschland – so verfuhr er sowohl mit den Kolonien als auch mit Russland und Asien. Der zentrale Ort seines Wirkens waren die Medien. Damit trug er u.a. zur Verbreitung und zur Langlebigkeit des kolonialen Gedankens in Deutschland bei. Zweitens vertrat Asmis anthropologische Ansichten, die auf der Herstellung von Differenzen und Hierarchien basierten und die er bei jeder Karrierestation auf die jeweiligen Bevölkerungsgruppen vor Ort anwandte und bis in den Nationalsozialismus hinein trug und dort in eine antisemitisch-rassistische Bevölkerungspolitik transferierte. Im Gegensatz zum von Catherine Hall portraitierten Eyre scheinen bei Asmis die eigenen Erfahrungen in Kamerun, Togo, dem Belgischen Kongo, Belgien, Russland, Siam und Australien die Sichtweise nicht maßgeblich verändert oder auffallend radikalisiert zu haben. In seinen frühen wie späten Arbeiten orientierte er sich an einer westlichen Vorstellung von Geschichtsfähigkeit und ,Zivilisation‘ und an einer „colour bar“98. Bei ihm bildete das „harsher racial vocabulary of fixed differences“, wie Hall es formuliert, bereits den hegemonialen Diskurs, den er mit gestaltete und verfestigte. Dabei strukturierte Asmis seine Rechts- und Reichsvorstellungen anhand eines propagierten „Rassengegensatzes“. Er unterschied verschiedene Bevölkerungsgruppen und klassifizierte sie hierarchisch. Während er, verkürzt gefasst, im Kolonialismus nach „Rasse“ und „Stamm“ differenzierte, bildeten im Nationalsozialismus „Rasse“ und „Blut“ seine Unterscheidungskategorien. Asmis ist damit nicht nur ein Beispiel für personelle Verbindungen zwischen Kolonialismus und Nationalsozialismus, sondern in den verschiedenen Ausformulierungen hierarchischer Differenzierungen deutet sich auch die Transferierung von Konzepten an.99 Asmis lieferte drittens Mengen an Material und trug zu einer Bürokratisierung des Kolonialismus qua Schriftlichkeit bei. Seine Versuche, zur Kodifizierung des kolonialen Rechts beizutragen oder Eigentumsverhältnisse zu klären und auch seine hier Rudolf Asmis: Das Ende eines Paradieses. Wandel und Werden in der Südsee. Berlin 1942; Rudolf Asmis: Bindungen und Spannungen im Südseeraum. In: Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft in Hamburg 48 (1944). S. 99–114. 98 Asmis, Erfahrungen aus meinen kolonialen Wanderjahren (wie Anm. 49), S. 20. 99 Mit dieser einen Person können und sollen hier keine Aussagen zur Kontinuitätsthese getroffen werden. S. zu der These z.B. Jürgen Zimmerer: Von Windhuk nach Auschwitz? Beiträge zum Verhältnis von Kolonialismus und Holocaust. Berlin 2011. Vgl. auch die differenzierte Diskussion zum Thema von Birthe Kundrus u.a. in Birthe Kundrus: German Colonialism. Some Reflections on Reasessments, Specifities, and Constellations. In: Volker Langbehn u. Mohammad Salama (Hrsg.): German Colo­nia­ lism. Race, the Holocauste, and Postwar Germany. New York 2011. S. 29–43.

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nicht behandelten Untersuchungen zum Strafrecht zeigen die Begrenztheiten und Widersprüchlichkeiten kolonialer Rechtsverhältnisse und das Scheitern, das der Produktion von Recht inhärent war. Asmis ist als Akteur zugleich ein Beispiel für das „doing“100 Kolonialismus als auch für dessen Selbstreferentialität. Er konstituierte einen von der Metropole abgegrenzten, nicht ohne Vermittlung verständlichen Raum mit, der in einem dauerhaften Entstehungsprozess blieb. Rudolf Asmis arbeitete für eine Monarchie, eine Republik und eine Diktatur. Seine Laufbahn führte ihn durch Europa und nach Afrika, Asien und Australien. Der australische Historiker John Perkins hat Asmis‘ politische Haltung als Konsul in Sydney untersucht. Er kommt zu der Deutung, dass Asmis „at heart“ ein „monarchist“ gewesen sei.101 Die Aussage zeigt den Wunsch, eine abschließende Interpretation zu dieser Biographie zu finden, einen roten Faden durch ihr Leben zu legen. Durch die Konzentration auf Orte und auf Wege der Karriere wollte ich zeigen, wie diese Laufbahn sich entwickelte, ohne dabei die Person Asmis zu zentral zu setzen. Denn viele Stationen waren nicht selbst gewählt, viele Entscheidungen und Veröffentlichungen lassen sich aus dem räumlichen und zeitlichen Kontext heraus eher verstehen als aus dem gleichwohl vermutlich großen persönlichen Ehrgeiz des späteren Konsuls. Zwei Schwerpunkte scheint man viertens nichtsdestotrotz in Asmis‘ Biographie sehen zu können, wenn man Biographie mit Bernhard Fetz als geschriebene, und nicht mit dem Tode des Protagonisten endende Deutung eines Lebens versteht:102 zum einen die Mitwirkung an einer durch Kolonialbesitz wirtschaftlich und politisch machtvollen deutschen Nation sowie deren Repräsentation. So schrieb Rudolf Asmis im Oktober 1920 an den Staatssekretär des Reichsministeriums des Innern, Theodor Lewald, dass er aus dem Ministerium ausscheiden wolle, um wieder ins Ausland zu gehen. Denn wer schon mal erlebt habe, das Land im Ausland zu vertreten (wovon er bei Lewald ausgehen konnte), der würde nichts anderes mehr tun wollen.103 Zum anderen bildet die Publikationstätigkeit einen Schwerpunkt. Rudolf Asmis liefert ein Beispiel für einen modernen Zugriff auf Öffentlichkeiten: Er suchte und nutzte sie, er versuchte, sie zu beeinflussen, und er agierte in ihnen. An seiner Biographie zeigt sich, dass die Herstellung von bzw. der Umgang mit Öffentlichkeiten für den Kolonialismus konstitutiv war. Vertuschungsmaßnahmen gehörten ebenso dazu wie das gezielte Platzieren von Artikeln in der Presse oder die Erläuterung von Rechtsprechungen gegen Afrikaner für den Reichstag.

100 „Doing“ hier im Sinne von Herstellung und Praktik. Vgl. Candace West u. Don Zimmerman: Doing gender. In: Judith Lorber u. Susan A. Farrell. (Hrsg.): The social construction of gender. Newbury Park 1991. S. 13–37. 101 Perkins, Dr Rudolf Asmis (wie Anm. 22), S. 297. 102 Bernhard Fetz: Die vielen Leben einer Biographie. Interdisziplinäre Aspekte einer Theorie der Biographie. In: Bernhard Fetz (Hrsg.): Die Biographie – Zur Grundlegung ihrer Theorie. Berlin 2009. S. 3–66, hier S. 52f. 103 Schreiben an Dr. Lewald vom 8.10.1920, PA AA, NL Asmis (wie Anm. 9), Bd. 6.



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Asmis‘ Reichsbild war, wie seine frühen wie späten Schriften belegen, fünftens deutlich hierarchisch und abgrenzend geprägt: Die Kolonien sollten als wirtschaftliches Hinterland des Reiches dienen, die kolonialisierten Afrikaner und Afrikanerinnen sollten in Maßen „zivilisiert“ werden, um in Afrika ihre Funktionen für das Reich erfüllen zu können. Loyal blieb Asmis dabei einer Vorstellung von Deutschland, die offensichtlich unabhängig war von der jeweiligen dort herrschenden Regierung. Loyal blieb er ferner dem imperialen, kolonialen Projekt gegenüber. Als Kolonialbeamter in der Verwaltung konnte Asmis es sechstens nicht zu Ruhm bringen. Das war dem Militär und wenigen hohen, zumeist adeligen Kolonialbeamten vorbehalten. Einzelne Männer konnten sich in Kolonialkriegen Anerkennung im Reich verschaffen. So wurde Tom Prince z.B. für seinen Einsatz in Deutsch-Ostafrika geadelt.104 Die wilhelminische Männlichkeit in den Kolonien war an diesem militärischen Heldentum orientiert, wie die Selbststilisierungen einzelner Beamten als charakterfeste, mutige Individualisten zeigen. So stilisierte sich auch Asmis, dessen Affinität zum Militär an seinen Ehrungsgesuchen deutlich wurde. Aus heutiger Perspektive legte Rudolf Asmis eine beachtliche Karriere bis zum Konsul hin. Es handelt sich um eine koloniale Biographie, deren beruflicher Weg sehr viel weniger zufällig im Kolonialamt endete als begann: Das „Dritte Reich“, dem er diente, hatte den „Rassengegensatz“ zu einem Hauptaugenmerk der Politik gemacht.

104 Zur eigenen Version seines Kampfes s. Tom von Prince: Gegen Araber und Wahehe. Erinnerungen aus meiner ostafrikanischen Leutnantszeit 1890–1895. Berlin 1914. Zum Vorgehen der „Schutztruppe“ aus heutiger Perspektive vgl. Tanja Bührer: Die Kaiserliche Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika. Kolo­ niale Sicherheitspolitik und transkulturelle Kriegführung, 1885 bis 1918. München 2011.

III. Militärische und politische Eliten

Bradley D. Woodworth

The Imperial Career of Gustaf Mannerheim Mobility and Identity of a Non-Russian within the Russian Empire

Fig 10: Carl Gustaf Emil Mannerheim (1867–1951) as commander of the Thirteenth Wladimir Uhlan Regiment of the Life Guards at Novominsk

The career in the Russian tsarist army of Swedish-speaking Finn Baron Carl Gustaf Emil Mannerheim (1867–1951) highlights the significant role that non-Russians, particularly elites, played in operations of the tsarist state.1 From 1887, when he entered 1 Portions of this chapter appeared in Bradley D. Woodworth: Carl Gustaf Emil Mannerheim. In: Stephen M. Norris and Willard Sunderland (Eds.): Russia’s People of Empire: Life Stories from

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the Nikolai Cavalry School in St. Petersburg, until the February Revolution in 1917, when he was 49 years old, Mannerheim served the Russian emperor and the imperial Russian state. He is more famous for his subsequent career as Finland’s first de facto head of state after World War I and, in particular, commander-in-chief of Finland’s armed forces during World War II. For Mannerheim, this monumental turn in his life posed no contradiction. He was a man who disdained the exclusionist nature of ethnic nationalism and felt comfortable in a world in which fidelity to the land of his birth – Finland – and to his own aristocratic cultural background as a Swedish-speaking Finn – did not preclude loyalty to imperial Russia. Mannerheim’s imperial career was fostered by his social status as an aristocrat, albeit an impecunious one. Thus, it has greater parallels with the life paths of Baltic Germans in imperial Russian service than it does those of non-elites from Finland and the Baltic region, who pursued careers within the Russian state apparatus.2 The case of Mannerheim is all the more interesting in that he built his career precisely when the Grand Duchy of Finland was seeking greater autonomy within the Russian Empire. The tsarist half of his long career bears out the staying power that mobility patterns and the circulation of elites held for some non-Russians in the last two decades of the empire, despite the centripetal forces of nationalism that gathered strength in those years. Mannerheim’s life prior to the Civil War in Finland in 1918 was centered on the dynamic relationship between one imperial periphery – the Grand Duchy of Finland – and the wide possibilities provided by the larger tsarist empire. Indeed, when his life is examined in its entirety, the relationship between Finland and Russia – and later the Soviet Union – was the cornerstone upon which his entire biography is constructed. In this respect Mannerheim’s biography is not unique among educated Finns. This essay, which examines Mannerheim’s life until the end of the tsarist regime in 1917 and the Civil War in Finland in 1918, emphasizes three aspects and influences of Eurasia, 1500 to the Present. Bloomington 2012, pp. 221–231. This material appears courtesy of Indiana University Press. 2 On Baltic Germans see John A. Armstrong: Mobilized Diaspora in Tsarist Russia: The Case of the Baltic Germans. In: Jeremy R. Azrael (Ed.): Soviet Nationality Policy and Practices. New York 1978, pp. 63–104; Ingeborg Fleischhauer: Die Deutschen im Zarenreich. Zwei Jahrhunderte deutsch-russi­ sche Kulturgemeinschaft. Stuttgart 1986, pp. 196–205, pp. 241–261. On Finns see Max Engman: Suu­ reen itään: Suomalaiset Venäjällä ja Aasiassa. Turku 2005, pp. 63–93; on Latvians see Evgeniya L. Nazarova: Latvians in the Service Class of the Russian Empire. In: Karsten Brüggemann and Bradley D. Woodworth (Eds.): Russland an der Ostsee. Imperiale Strategien der Macht und kulturelle Wahr­ nehmungsmuster (16. bis 20. Jahrhundert). Vienna 2012, pp. 331–343. On Estonian officers see Mati Kröönström: Eesti rahvusest kaadriohvitserid Vene armees aastail 1870–1917. In: Tõnu Tannberg (Ed.): Vene aeg Eestis. Uurimusi 16. sajandi keskpaigast kuni 20. sajandi alguseni. Tartu 2006 (Eesti Aja­ looar­hiivi Toimetised 14 [21]), pp. 317–342; on Latvian officers see Eriks Ekabsons [Jekabsons]: Ofitserylatyshi v Rossiiskoi armii. Vtoraia polovina XIX v.—1917 g. In: Aleksandr V. Gavrilin and Aleksei A. Ko­­ma­rov (Eds.): Intelligentsiia v mnogonatsional’noi imperii: russkie, latyshi, nemtsy. XIX – nachalo XX v. Moscow 2009, pp. 67–127.



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empire in Mannerheim’s life. Social networks based on ties to both family and homeland (Finland) were of signal importance in his career, particularly in its earlier years, functioning like a pendulum with its anchor in Finland, but which allowed his career to trace ever wider arcs in the space of empire. Second, Mannerheim’s life was marked by overlapping loyalties – to Finland, to the Romanov dynasty, and to the Russian state itself. Only when revolution in 1917 destroyed the possibility for these loyalties to coexist was Mannerheim forced to choose between them. Third, as the tsarist army was the context of Mannerheim’s imperial career, mobility required by imperial service marked his entire career. At times, such as when serving as an officer in tsarist Poland and as a spy in China, Mannerheim’s non-Russianness informed his service, though in differing ways, showing that “being imperial” in the tsarist empire did not solely mean “being Russian.”

Nationality and Service in an Imperial Army Swedish-speaking Finns made up just under 15 percent of Finland’s population throughout the nineteenth century and comprised the bulk of the country’s social and economic elite and virtually all of its aristocracy. The Finnish patriotism of both Swedish Finns and ethnic Finns did not prevent them from volunteering for service in the imperial Russian state as officers in the Russian military (or in the tiny army attached to the Finnish Grand Duchy) and also working as civil servants and professionals in Russia proper, especially in St. Petersburg.3 After Finland’s 1809 departure from Sweden and inclusion in the Russian Empire, leading figures in Finland had advocated for Finns to enter tsarist service as a means for bringing Finland closer into the Russian orbit. Finland itself, they argued, would ultimately benefit by this show of loyalty to the empire. Alexander Armfelt, a Finn who served in both the office of the Governor General in Helsinki and in Finland’s State Secretariat in St. Petersburg, becoming Minister State Secretary in 1842, thus made this case in the mid-1830s: The surest means of achieving this goal is for the largest number of Finns to enter Russian service, especially to allow them to grow there as far as their abilities will take them and then to return to their own country when their political education has ended and they have, so to say, merged with the great imperial state.4

3 See J. E. O. Screen: Finnish Officers in the Russian Army and Navy During the Autonomy Period (1809–1917). In: Siirtolaisuus-Migration 4 (1981), pp. 1–7. 4 Cited in Engman, Suureen itään (see footnote 2), p. 8. For additional analysis of the attitudes and mindset of Finns toward Russian state service, see Max Engman: Pitkät jäähyväiset: Suomi Ruotsin ja Venäjän välissä vuoden 1809 jälkeen. Helsinki 2009, pp. 208–210.

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By the mid-nineteenth century over a fifth of all adult Finnish noblemen served in the tsarist armed forces.5 There were advantages to Finland’s status within the empire. As one Finnish historian has put it, “Finns had actually got the best of two worlds: their own autonomous grand duchy and the tremendous opportunities offered within a world power.”6 Finland was now part of this world power, one that, in the expression of Finnish journalist Zachris Topelius, extended from Åland to Alaska.7 Mannerheim would certainly fulfill Armfelt’s entreaty, if not with the purposeful forethought he had in mind, nor with the clear intention of returning to continue his career in Finland. A tradition of ethnic diversity within the officers’ corps of the tsarist army also facilitated Mannerheim’s career. While “ethnicity” or “nationality” were not categories employed in tsarist record keeping until the twentieth century, the religious confession of officers was. In the 1860s, the decade of Mannerheim’s birth, the percentage of officers who were Orthodox Christians never reached 78 percent (and in 1862 was only 69.4 percent).8 As Russians were overwhelmingly Orthodox, as were most Ukrainians and Belorussians, while non-Russians in the empire often were not (Georgians were an exception), it is clear that a fairly high percentage of officers were non-Russian – between 15 and 21 percent in the last two decades of the nineteenth century.9 Germans were well-represented, particularly Baltic Germans, who had a strong tradition of serving the imperial Russian state. Even with efforts by the state beginning in the late nineteenth century to limit their numbers, non-Russian officers represented over 12 percent of the officer corps in the years immediately before the outbreak of World War I.10 Officers from the Baltic provinces, Finland, and the Caucasus enjoyed the same status as their Russian counterparts.11 5 J. E. O. Screen: The Entry of Finnish Officers into Russian Military Service, 1809–1917. Ph.D. dis­ sertation. University of London 1976, p. 288. 6 Max Engman: Pietarinsuomalaiset. Helsinki 2004, p. 159. 7 Engman, Pietarinsuomalaiset (see footnote 6), p. 30. 8 S. V. Volkov: Russkii ofitserskii korpus. Moscow 1993, p. 275. 9 P. A. Zaionchkovskii: Samoderzhavie i russkaia armiia na rubezhe XIX–XX stoletii 1881–1903. Moscow 1973, p. 199. 10 See the table for the years 1910, 1911 and 1912 in Volkov, Russkii ofitserskii korpus (see footnote 8), p. 354. Beginning in 1888 the Russian General Staff placed limits on the percentage of non-Orthodox officers permitted within all military units. The new policy, clearly intended to favor Russians, was intended to help ensure the reliability of units that might be deployed to put down domestic unrest. As a result of the policy, Finns whose native language was Finnish could serve as officers only within Finnish units stationed in the Finnish Grand Duchy; the ban did not apply to Swedish-speaking Finns, who comprised the large majority of potential officers from Finland. See Screen, The Entry of Finnish Officers into Russian Military Service (see footnote 5), pp. 264–265. 11 Mark von Hagen: The Limits of Reform: The Multiethnic Imperial Army Confronts Nationalism, 1874–1917. In: David Schimmelpenninck van der Oye and Bruce W. Menning (Eds.): Reforming the Tsar’s Army: Military Innovation in Imperial Russia from Peter the Great to the Revolution. Cambridge 2004, p. 44.



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Eventually Gustaf Mannerheim would make the most of his opportunities, both in Finland and in Russia, using his social background as an asset in each case. Though not from a wealthy family, he still was an aristocrat from an advanced, Westernized part of the empire. Mannerheim’s family had connections in several places within the empire – including both Swedish Finns and Russians. This was made possible not only by the tradition of mobility among the tsarist service elite but also by the willingness of elites – particularly women – to relocate to other parts of the empire upon marriage. These connections also helped Mannerheim make his way in among the cosmopolitan Petersburg aristocracy.12

Imperial Networks: Mannerheim’s Youth and Early Years in Russia As a boy, Gustaf was willful and often reckless. Expelled from school for breaking windows, he gained admittance to Finland’s only military school, the Corps of Cadets in 1882. He was a gifted student, excelling at French and horse riding, but he disliked the confined and isolated life of the school and chafed at its rules and regimentation. In early 1884 he wrote his sister: “I await with joy the moment when I can turn my back on Finland forever and leave – God knows where, but in any case be my own master.”13 Gustaf’s father squandered his inherited estate through gambling, after which he abandoned the family for Paris, and in 1881 his mother died of a heart attack. Gustaf felt there was little keeping him in Finland. In the fall of 1884 he wrote his brother Carl of his intentions to continue his military training at the aristocratic School of Pages in Petersburg. At this point Gustaf was not intending on a career solely in Russia, though it is clear that the opportunities offered by the “great imperial state” were attractive to the young man: I will end up, of course, experiencing many difficulties over language, but what kind of man would I be, damn it, if I let myself be frightened by that? As far as possible alienation [from Finland] goes and that I might russify, I’m certain that I will still be greatly interested in my country and will better understand its situation after feeling a longing for it and when I will have been able to see things from afar. It’s just as in the field of battle, where it’s difficult to follow the course of events when you yourself are in the midst of the fight, but can easily observe them from a distance.14

12 On the cosmopolitanism of the Petersburg elite see Dominic Lieven: Russia’s Rulers under the Old Regime. New Haven/London 1989, pp. 167–169. 13 Cited in Stig Jägerskiöld: Nuori Mannerheim. Helsinki 1964, p. 77. 14 Letter to Carl Mannerheim, October 21, 1884. In: Eleonora Ioffe: Linii Mannergeima. Pis’ma i dokumenty. Tainy i otkrytiia. St. Petersburg 2005, p. 21.

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Mannerheim was attracted to the possibility of continuing his military training at the School of Pages in Petersburg, but his record at the Corps of Cadets prevented this. Now almost without means, his future became even more clouded when in 1886 he left the Cadet Corps premises one evening without leave, which resulted in his expulsion. Over the next two years, though, Mannerheim made several trips to Russia – trips made possible through the help of his family members – and there built upon ties that then would serve him well in becoming an officer in the imperial army. Crucial to Gustaf’s eventual success was the support he received from his extended relations both in Finland and in Russia proper. The negative views toward the Russian state held by Mannerheim’s relatives and friends in Finland made them in general opposed to his becoming an officer of the tsar’s army. They were, however, willing to aid him in his search for an occupation in Russia. The network of Finnish connections that furthered the early career of Mannerheim in Russia followed a tradition of such help offered to young soldiers entering Russian service that went back to the early nineteenth century when Finland first entered the Russian Empire.15 Of no less importance for Mannerheim’s career were family connections in Russia proper. He spent the summer and part of the autumn of 1886 in Kharkov, in what is now Ukraine, where a relative on his mother’s side of the family worked as an engineer in charge of a factory. The trip was arranged through his uncle, Albert von Julin (1846–1904), who was the managing director of the Finnish firm Fiskars. With his nephew essentially an orphan, von Julin took financial responsibility of the boy. Later, von Julin would finance Mannerheim’s studies in St. Petersburg to become an officer. A Finnish family whose members – direct by marriage, and through their acquain­ tances – proved important for the young Mannerheim was that of Louise and Alfhild Cedercreutz. The Cedercreutz family had left Sweden after the 1809 war between Sweden and Russia and were friends of the Mannerheim family. Both Cedercreutz sisters were godmothers to Gustaf. Alfhild was married to a high-ranking Russian nobleman, Mikhail Petrovich Skalon [Scalon de Cologny].16 After he completed his studies at the Helsinki Lyceum in 1887 – return to the Cadet Corps was impossible – Mannerheim spent a month at Skalon’s estate in Kursk province. In addition, Louise Aminoff’s husband, the Finnish officer Johan Fredrik Gustaf (Gösta) Aminoff, was a friend of the head of the Nikolai Cavalry School in St. Petersburg, a Baltic German nobleman from a Courland family named Baron Aleksandr Aleksandrovich von Bilderling; the two men shared relatives in the Grand Duchy of

15 Engman, Suureen itään (see footnote 2), p. 66. 16 The Russian branch of the Scalon family traces its origins to the Languedoc; Georg de Scalon fled France for Sweden after the revocation of the Edict of Nantes in the eighteenth century. Two sons left for service in Russia in 1710.



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Finland. Through Bilderling, Aminoff secured for Mannerheim a place into the prestigious school, though the young man still had to pass the entrance exam.17 Now in the imperial capital, Mannerheim spent time in the homes of several other prominent Finns in imperial Russian service there. These included Baron Axel Ramsay, who held high rank in the palace of Grand Duke Konstantin Nikolaevich. Von Julin’s brother-in-law Edvard Bergenheim also was solicitous and introduced him to yet more important Finns in St. Petersburg. Von Julin paid for Gustaf’s studies at the cavalry school though he in fact was opposed to a military career for his nephew and told Gustaf his financial support could not be indefinite.18 Their relationship was far from tense or distant, though, and the two exchanged letters regularly. Mannerheim certainly received assistance in getting his career started in Russia, but it would be a mistake to assume that his subsequent career was a result of such ties. He had decided to begin his military career upon graduation rather than to continue in a higher military academy. Mannerheim was aiming high, wanting to enter an Imperial Guards’ regiment upon graduation from the cavalry school rather than a far less prestigious regiment of the line. He wrote to his uncle asking for continued financial support enabling him to serve in a Guards’ regiment – he preferred the Chevalier Guards: Because entrance to the academy is completely random in Russia, where no one can count on fairness, I must further my possibilities in every possible way. And since I have neither a highly placed guardian nor property, I need the recommendations I would receive through service in a fine regiment, for in Russia the uniform means more than you can imagine.19

His uncle acquiesced, promising his own continued support and arranging for additional help from Mannerheim’s maternal step-mother, Louise Jägerskiöld. Later, in 1891 when Mannerheim was an officer in St. Petersburg, his sister Eva gave him her share of their grandmother’s bequest – a significant sum that eased his to that point still quite penurious state. Financial support from von Julin continued until 1892, when Mannerheim married Anastasiia Arapova, who had considerable wealth from her parents.

From the Periphery to the Center: The Young Officer After an initial stint from 1889 to 1891 as a cavalry officer stationed near the border with Germany in Russian-held Poland, where he had to wait for a position as a Guards officer to open, Mannerheim served in the Guards’ headquarters in St. Petersburg. 17 Jägerskiöld, Nuori Mannerheim (see footnote 13), p. 118. Bilderling would later command two armies in Manchuria during the Russo-Japanese War. 18 See von Julin’s letter to Mannerheim of May 5, 1889, cited in Jägerskiöld, Nuori Mannerheim (see foot­note 13), pp. 141–142. 19 Cited in Jägerskiöld, Nuori Mannerheim (see footnote 13), p. 143.

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Although scions of the most storied Russian aristocratic families served in the Guards, all the men were held as equals, regardless of background. Mannerheim was first stationed in the town of Kalisz, a provincial center in the Kingdom of Poland. It was clear Mannerheim longed for the more brilliant life of an officer in one of the Russian capitals – preferably St. Petersburg. He wrote his uncle: “The officer corps [here] is abysmal – nearly all of them drunkards, up to their ears in debt and to top it all off fight like cats and dogs. The constant gossiping, and the subsequent intrigues and unpleasant scenes make life here intolerable.”20 Mannerheim was a loyal servant of Russian Empire, but this did not mean he was blind to its weaknesses. In the fall of 1889 he and several fellow officers made a visit across the border to the town of Ostrowo in German-held Poland. He wrote home: “In Prussia there is excellent order; as soon as you cross the border it seems you have come to a completely different region, so great the difference between the two in their buildings, agriculture, etc.”21 Mannerheim relied on his family connections in Russia to help him leave this unpromising posting on the far western outskirts of the empire. Early on during his stay in Poland he wrote to his godmother Alfhild Scalon asking whether she might use her own connections in the imperial court to help him: In this position of difficulty of mine I appeal to Godmother’s goodness and generosity. It is important that an appeal be made to Minister of War Obruchev22, or to the Tsaritsa23 – the honorary commander of the Chevalier Guards – for a vacancy for me in the Chevalier Guards. If Godmother could arrange this for me with the help of her St. Petersburg acquaintances, she would be providing me a service that would affect decisively my entire future.24

Mannerheim also turned to connections of his father’s in St. Petersburg; he requested his father write his acquaintance Paul von Etter to see if help could be secured of this retired Guards general from a Finnish family with several generations of service in the Guards. In the event, it was through Alfhild Scalon’s intercession that Mannerheim received orders in December 1890 to enter the Chevalier Guards. In July 1891 his transfer was finalized, and he received the rank of junior officer in the First Squadron of the Chevalier Guards. Networks based on familial relations and the ties to his Finnish homeland were central to Mannerheim’s success. Mannerheim began arguably as an outsider – yes, 20 Stig Jägerskiöld (Ed.): Carl Gustaf Emil Mannerheim, Kirjeitä seitsemän vuosikymmenen ajalta. Keu­ruu 1983, pp. 59–60. 21 Cited in Jägerskiöld, Nuori Mannerheim (see footnote 13), p. 158. 22 Mannerheim was referring to Nikolai Nikolaevich Obruchev (1830–1904), who in 1889 was Head of the General Staff. The Minister of War in 1889 was Petr Semenovich Vannovskii (1822–1904). 23 Empress Maria Fedorovna (Danish-born spouse of Emperor Alexander III) was believed to be sympathetic towards Finland. 24 Letter to Alfhild Scalon de Coligny, June 27, 1889, cited in Jägerskiöld, Nuori Mannerheim (see footnote 13), pp. 169–171.



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a member of an aristocratic family, but one with no immediate, direct connections to the halls of power in St. Petersburg, with little money, and from a non-Russian periphery. For him to rise to become a Guards officer with connections at the Imperial court he had to rely on these networks – as well as a great deal of patience and good fortune.

A (Swedish) Finn in the Imperial Army: Contested Loyalties and Identities For a Finn like Mannerheim, who sought a broader field of activity than Finland offered, tsarist service was on the whole not a peculiar career choice. Indeed, there is a long line of Finns who served in the tsarist military between 1809 and 1917.25 However, some Finnish liberals began to take a dim view of tsarist service in the second half of the century. These feelings intensified in the later decades of the century among those who saw themselves as patriots of Finland, when, spurred by Russian nationalists and Pan-Slavists, Alexander III began infringing upon Finland’s special status, limiting the purview of the elected Finnish Diet.26 In the late nineteenth century several views prevailed in Finland toward Finns serving the tsarist state. For some, including Mannerheim’s family, it meant for a serious break with the home environment and was seen as even verging on serving the wrong side. In 1885, Johannes Gripenberg, a Finn who worked in Finland’s State Secretariat in St. Petersburg, described Carl Enckell (1839–1921), who worked on Finnish affairs in the Russian Ministry of War and had served in the Izmailovsky Guards Regiment in St. Petersburg from 1896 to 1899, as belonging to that “miserable sort known as ‘Finns in Russian service,’ whose representatives have no fatherland – at least not on this earth.”27 When the Russian-French relationship warmed beginning in the early 1890s, Mannerheim’s father described Russia in a letter to his father-in-law as an essentially unfriendly foreign power: “France has been struck blind; it will now allow itself to be crushed together with Europe’s most dangerous enemy. It is sad that in the battle between darkness and light France is on the side of darkness.”28 Mannerheim’s most significant Finnish biographer Stig Jägerskiöld explains the dissonance that Mannerheim’s choice to serve in the imperial army caused among his family and peers: 25 See “Suomalaiset kenraalit ja amiraalit Venäjän sotavoimissa 1809–1917 [“Finnish generals and admirals in the Russian armed forces, 1800–1917”], which includes nearly 500 individuals. Available at http://www.kansallisbiografia.fi/kenraalit/ (accessed 31 January, 2015). 26 For a history of these tensions see the contribution on Finland by C. Leonard Lundin: Russification in the Baltic Provinces and Finland, 1855–1917. Princeton 1981, pp. 357–457. 27 Quoted in Engman, Suureen itään (see footnote 2), p. 83. 28 Letter from Carl Robert Mannerheim to Nils Adolf Erik Nordenskiöld, July 12, 1891, cited in Jäger­ skiöld, Nuori Mannerheim (see footnote 13), p. 186.

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[E]ntering Russian military service was seen in some circles as a deviation from the right path. This was the view of those in the landowning and industrial circles of western Nyland [southwestern costal region of Finland] to which Mannerheim’s closest relatives and friends belonged, and of those with university education and civil servants – that is, the circles to which his siblings and their friends belonged. When in spite of everything Gustaf made his choice, it meant that he would have to defeat the instinctive opposition of his closest milieu.29

These views were centered on the cultural change that inevitably took place within individuals who spent long years in Russia. Marriage with Russians could follow, and thus acculturation into Russian identity for following generations. As Mannerheim’s uncle Albert von Julin put it, when Gustaf entered the Nikolai Academy, he became a “Russian soldier.” Mannerheim himself was aware of these feelings among his family members. In a letter he had sent his family in September 1887 upon entering the Nikolai Academy he adopted a nearly funerel tone, giving instructions for disposal of his personal effects. He signed the letter “Gustaf, apostate.”30 Another view toward tsarist service was centered not on culture, but on politics. The Mannerheim family, as described above, had close family friends who were in Russian state service and lived in Russia. Mannerheim’s leading English-language biographer, J. E. O. Screen writes: It was not thought strange that [Finns] should go to Russia. The Emperor was their sovereign as Grand Duke of Finland and relations between the two realms were excellent for the greater part of the nineteenth century. In Russia they were challenged by a world entirely different from the provincial Finnish scene, in which the opportunities for an ambitious man were incomparably greater than in Finland, but where the struggle to succeed was correspondingly keener. Many who stayed at homed even held it to be of the utmost importance that there should be Finns wellknown to Russia who had retained their loyalty to their native country and whom the emperor should appoint to high posts in the Finnish administration. Finns who were acquainted with Russian conditions and the Russian language acted as necessary intermediaries between the two countries in civil, military and economic affairs, and prevented the development of a group of immigrant Russians to perform the same task.31

Mannerheim saw himself in this second interpretation – he could serve the Russian Empire but also be loyal to Finland at the same time. In the fall of 1887 before a group of graduates of the Helsinki Lyceum, Mannerheim reportedly promised that he would never forget Finland.32 Like the rest of his family, Mannerheim was a constitutionalist with regard to Finland’s position within the empire; he gave his highest attention to Finland’s interests and to Finnish-Russian relations. On several occasions in later years he sent to family members upset at Russian actions limiting Finland’s autonomy advice 29 Jägerskiöld, Nuori Mannerheim (see footnote 13), p. 121. 30 Jägerskiöld, Nuori Mannerheim (see footnote 13), pp. 121–122. 31 J. E. O. Screen: Mannerheim: The Years of Preparation. London 1970, pp. 24–25. 32 Jägerskiöld, Nuori Mannerheim (see footnote 13), p. 122.



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on how most effectively to act. Well apprised of tsarist high politics as he became –, Mannerheim did not see Finland’s future as deeply threatened as did many in Finland.33 An imperial career at the center of power meant for Mannerheim nevertheless a certain degree of acculturation, if not assimilation, to life in Russia. His marriage in 1892 to Anastasiia (Nata) Arapova (1872–1936) is the most obvious example of this. Jägerskiöld presents what appear to be family stories that the marriage was arranged between Alfhild Scalon and an aunt of Anastasiia, who was an orphan. The marriage was for Mannerheim advantageous as both sides of Anastasiia’s family were from the higher service elite. Anastasiia’s father, Nikolai Ustinovich Arapov (1825–1884), who himself served in several Imperial Guards units, including the Chevalier Guards, attained the rank of Lieutenant General, and from 1865 to 1876 was Moscow chief of police. Her mother, Vera Aleksandrovna Kazakova (? –1890), was likewise from a distinguished family which had intermarried with Baltic German nobility. One of her sisters was married to Ivan Aleksandrovich Zvegintsev (1840–1913), a colonel in the Chevalier Guards and Governor of Kursk Province from 1881 to 1885. Moreover, the Arapov family was wealthy, and Anastasiia had a large inheritance; for Mannerheim this was a huge boon as he had constantly been short of funds to run in the social and professional circles his ambition and interests drew him toward. Mannerheim’s marriage to Anastasiia Arapova put his ties with his family to the test. Initially siblings either were opposed to the marriage or unenthusiastic about it because of Anastasiia’s Russian nationality. But there were examples of Finns in tsarist service who married Russians and remained unassimilated, maintaining close ties with Finland. After the marriage (both Orthodox and Lutheran ceremonies were held) and Mannerheim’s father and siblings met Nata’s, negative feelings among his family abated. Several months after the wedding Mannerheim wrote to his sister Sophie: … I am very happy and get along with my wife better than I could have ever hoped to imagine. With that anything for me but pleasant issue of religion now resolved, I note with satisfaction how little she [Anastasiia] is actually attached to Russia and anything Russian. During our engagement I was bothered primarily by the fear that she was too Russian; now, thank God, I am quite calm.34

Mannerheim had achieved what can be seen as a supra-national approach to both his professional and personal life. He avoided the totalizing effect that either complete Russification or rejection of all things Russian would have for him. Divisions within his marriage soon arose, though, apparently because of personality differences between him and Nata. In 1901, after nine years of marriage, Nata left to work

33 Jägerskiöld, Nuori Mannerheim (see footnote 13), p. 272, pp. 274–275, p. 286. 34 Jägerskiöld, Carl Gustaf Emil Mannerheim. Kirjeitä seitsemän vuosikymmenen ajalta (see foot­ note 20), p. 61.

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as a nurse in Russia’s Far East. She returned later that year, but one year after that left for good with the couple’s daughters. Mannerheim did not Russify. He maintained close ties with his siblings and other family members in Finland and visited them often.35 In his marriage he spoke with Nata in French, the language she used with other members of her husband’s family. With those who did not speak French, or not well, she spoke English. Mannerheim’s biographer, J. E. O. Screen, writes that years later an aide-de-camp to now General Mannerheim was told by a former Chevalier Guards officer that Mannerheim was seen by some as “limited” because of his relatively poor – likely simply heavily accented – Russian. One of his World War I aides would write that he had a “terrible Swedish accent.”36 While there undoubtedly were some officers who disliked serving with non-Russians, the officer corps remained multiethnic. Officers who were Baltic German, Finnish, or from Transcaucasia were not discriminated against – at least by the state and the military – even if their skills in Russian left something to be desired.37 As Mannerheim was a Swedish-speaking Finn, his abilities in Finnish have often been given particular attention, in particular given the fact that in the twentieth century his homeland became an independent state dominated demographically by ethnic Finns. Mannerheim always had difficulties with Finnish. His leaving exams from the Helsinki Lyceum in the spring of 1887 showed that his abilities in Russian and French outpaced those in Finnish, and this after he spent time in private instruction in Finnish.38

A Career in an Multiethnic Army: Serving in the Imperial Capital The primary function of the Chevalier Guards was to protect the capital of St. Petersburg, though many of its officers used their glittery position to pursue other ends. Unlike many of his fellow aristocratic guardsmen, for whom a position in the Chevalier Guards was little more than a way to spend time when not indulging in the brilliant social life of the capital, Mannerheim took his duties very seriously. Some of the ostentatious pastimes of many guardsmen, such as fine dining, were beyond his means in any case. Although he found life in the city fascinating, much more so than that of provincial Finland, Mannerheim was never happier than when out riding or caring for horses. Indeed, much of his time in the 1890s was spent on horses – pur35 Jägerskiöld, Nuori Mannerheim (see footnote 13), pp. 226–230. 36 Screen, Mannerheim: The Years of Preparation (see footnote 31), p. 32, p. 106. 37 See von Hagen, The Limits of Reform (see footnote 11), pp. 44–46. Discrimination against officers who were Poles was overt, and Jews could not be come officers unless they converted to Orthodoxy. 38 Jägerskiöld, Nuori Mannerheim (see footnote 13), pp. 108–110.



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chasing them in European stud farms and markets for the Russian imperial stables, as well as racing them and playing polo. In 1903 he was selected to a leading position at the officers’ equestrian school, for which he likely was favored by Grand Prince Nikolai Nikolaevich.39 Early on in his time as a Guards officer in Petersburg, Mannerheim was forced to live with friends – the high cost of living of a Guards officer was beyond his means; this situation changed by the late 1890s as a result of Mannerheim’s marriage and also the advantages he received while working in a position attached to the Imperial Court. Mannerheim left the impression of an ambitious, resolute soldier. Among his fellow officers of aristocratic background was Count Aleksei Alekseevich Ignat’ev, who later was an officer in the Red Army. In his memoirs – clearly influenced by several decades of Soviet ideology – Ignat’ev described Mannerheim: A Swede by origin, a Finn by upbringing, this model mercenary looked on the service as a profession and not as an idle way of passing the time. He could do everything in exemplary fashion, and even drank in such a way that he stayed sober. Deep down, certainly, Mannerheim despised our civilians in regimentals, but he contrived to express his attitude in so jovial a fashion that the majority actually took it all as teasing on the part of the “well-meaning but limited” Baron. His attitude toward me also was shrewd, and he constantly demonstrated to me that, beyond mediocre riding, and also, maybe, a bit of gymnastics, everything else was utterly beyond my ken.40

Yet by other indications Mannerheim maintained a highly respected position within the Chevalier Guards. He was well-liked by the commander of the Chevalier Guards, Artur Aleksandrovich fon Grinwal’d (von Grünwald) (1847–1922), a Baltic German whose parents were from the most elite of families in Estland.41 Mannerheim described him as a “tremendously tall Cuirassier with enormous moustaches. He left a rather good impression with us, though he came off a bit too German.” The Chevalier Guards also instructed new recruits into the Russian Army. Mannerheim wrote in the late fall of 1891 that “I work with them quite a lot. Among them are many Estonians and Lat­vians, who do not understand a word of Russian, and it is completely impossible to get them to understand commands.”42 Thus, the environment of the Chevalier Guards was not uniformly an ethnic Russian one. From Mannerheim’s descriptions, the multi-ethnicity of the Russian Empire was simply a matter of fact and did not carry any deeper significance – certainly no political one. Von Grünwald likely did not know Mannerheim thought he was “too German”; when Grünwald was promoted to the position of stables at the Imperial court, he brought Mannerheim with him. As a Chevalier Guard Mannerheim and other guardsmen were highly visible at court, 39 Jägerskiöld, Nuori Mannerheim (see footnote 13), p. 210. 40 A. A. Ignat’ev: A Subaltern in Old Russia. London 1944, p. 74. 41 Wilhelm Lenz: Deutsch-Baltisches biographisches Lexikon, 1710–1960. Cologne 1970, p. 271. 42 Letters to Albert von Julin 15/27 March, 1892, and 15 November, 1891, cited in Jägerskiöld, Nuori Mannerheim (see footnote 13), pp. 180–181.

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guarding the Winter Palace, attending court dances, providing military accompaniment at state funerals. The high point for Mannerheim was the royal investiture ceremony in Moscow for Nicholas II on 26 May 1896. The ceremonies began several days earlier and included 50,000 troops and 300 mounted horsemen. In the Kremlin procession to Uspenskii Sobor, walking immediately before the new emperor were two non-Russian barons: Mannerheim to his right, and to his left, Andrei Romanovich von Knorring.43 Gustaf Mannerheim – from an impoverished noble family from the Grand Duchy of Finland – had achieved success as an officer in imperial Russian service.

Esprit de corps and Nationality: A Non-Russian Officer in the Russian Empire Mannerheim’s non-Russianness never seems to have hindered his career within the imperial army, even after the 1905 Revolution, when national tensions rose as minority peoples in a number of places in the empire rebelled against the tsarist order. Carl Enckell wrote in his memoirs that while occasionally an ethnic Russian officer would point out the number of non-Russians at the officers’ breakfast table, no sense of Russian nationalism existed to divide the officers. “The spirit of comradeship among the officers’ corps was irreproachable,” he added. “In the distribution of tasks of high responsibility, the nationality of the individual was not taken into account, nor was praise from senior commanders the cause for envy.”44 After 1905, debates took place within the military administration over quotas for non-Russians, particularly within the officer corps. District commanders reacted negatively to a draft project for restrictions produced by the Main Staff of the War Ministry in 1907. Their comments on the proposed limitations (which were not implemented) highlighted the importance of honor and duty in the outlook and behavior of non-Russian officers. Such a “patrimonial paradigm of service” was certainly characteristic of Mannerheim.45 Mannerheim fits rather well the stereotype held by Russian officers towards officers from Finland who served in their midst—ambitious, conscientious, and hard-

43 Von Knorring (1862–1918) may have been significantly more Russified than Mannerheim. He was the son of a highly decorated career tsarist officer, Robert (Roman) Alexander von Knorring (whose own father and grandfather also were also tsarist officers) and a Russian mother, Julija Andreevna Rezanova. 44 Carl Enckell: Poliittiset muistelmani. Vol. 1. Porvoo 1956, p. 14 (translation of Swedish-language original). 45 On the issue of non-Russians serving as officers in the Russian military in the early twentieth century, see Gregory Vitarbo: Nationality Policy and the Russian Imperial Officer Corps. In: Slavic Review 66. No. 4 (2007), pp. 682–701. The quoted phrase is from page 697.



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working. One military historian of the mid-century campaigns in the Caucasus wrote of a general staff officer, Bernhard Indrenius (1812–1884): He belonged to that category of officers whom we Russians refer to as being “honorable as a Swede”. All of these officers from Finland were distinguished by their puritanical sense of honor, their conscientious attitude to their duties, a certain pedantry, a poor knowledge of Russian, various unremarkable abilities that set a man apart from the general mass, and a modest way of life. They were of the greatest help as workers and assistants in every branch of military service.46

For Mannerheim, service to the Russian state did not mean a shift in his core identity. Even though the world of politics and cultural and linguistic identities was changing around him, his personal worldview did not change. Two indicators of this is that he remained a citizen of Finland and a Lutheran. Finns had a special passport system that made them subjects of the Grand Duchy, and non-Russian tsarist servitors who fully assimilated to Russian culture and language tended to convert to Orthodoxy. He did not stand out for his non-Russianness in an already diverse officer corps. Like other young men of various nationalities from throughout the empire, the young nobleman from the Grand Duchy of Finland had made a deep, personal commitment to the tsarist state, one that only ended when the state itself collapsed in 1917.

Trans-imperial Mobility: Mission to China Loyal to the army and state he was sworn to serve, Mannerheim did not hesitate to volunteer for a field assignment when war erupted in 1904 between Russia and Japan. The decision also reflected his ambition, as he sought to become a commander of men in the field. Only a squadron commander when he arrived in Manchuria, he rose rapidly in rank, ending the war as a colonel. Mannerheim’s next assignment was a covert fact-finding mission in Xinjiang (Chinese Turkestan) and northern China, from 1906 to 1908, undertaken at the request of the army’s chief of staff. While this extended gathering of geographic, ethnographic, and various kinds of statistical information and observation of nascent Chinese military reforms took him again far from Petersburg and Finland, Mannerheim was attracted to the idea of exploring the East. As a child he knew of the exploits of an uncle by marriage, the Swedish (though Helsinki-born) scientist and explorer Adolf Erik Nordenskiöld (1832–1901), who in the 1870s was the first to navigate the entire northern coast of Eurasia, following the Northeast Passage from Scandinavia to the Bering Strait. Though often during the expedition Mannerheim underwent considerable physical hardships, the extensive diary he kept 46 Translation of passage in A. L. Zisserman: Dvatsat’ piat’ let na Kavkaze (1842–1867) II. St. Pe­ters­ burg 1879, pp. 5–6, reprinted in J. E. O. Screen: “Våra landsman”: Finnish officers in Russian ser­vice, 1809–1917. A selection of documents. Åbo 1983, p. 143. My translation of the Russian-language ori­ginal is adapted from Screen’s, which appears on pp. 184–185 of Våra landsman.

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of his activities – which included an audience with the Dalai Lama – reflects the deep satisfaction he experienced, as well as his inquisitive, perceptive mind.47 Of greatest interest, surely, to his superiors were his recommendations on how to proceed with a Russian invasion of Xinjiang, should Russia and China go to war and his thoughts on the political utility of Russia’s holding the region after an eventual Russian-Chinese peace settlement. Whether these were the sort of details Mannerheim dwelt upon during his audience with Nicholas II upon his return is not known. However, the report planned for just 20 minutes stretched before the impressed emperor to four times that length of time.

Making a Career – Returning to the Peripheries: Mannerheim’s Years in Poland (1909–1914) Mannerheim received a new position in 1909 as an Uhlan regimental commander in a small town in Poland. He had great success in raising the capabilities of the men under him, and in 1911 he was given a highly-prized new command – that of His Majesty’s Life Guard Uhlan Regiment in Warsaw – and was promoted to the rank of Major-General. He frequently socialized with Polish aristocrats, and though he did not discuss politics with them, he privately felt that Russia had mistreated Poland and the Poles. Mannerheim later recorded in his memoirs that as a native of a land which, like Poland, had been subjected to Russification, with Poles he had a “tacit understanding, which was a kind of freemasonry without vows.”48 One day Poland and Finland both would have greater autonomy, he believed, though within the ambit of a tsarist empire.

47 These were published in English translation as C. G. Mannerheim, Across Asia from West to East in 1906–1908. Helsinki 1940. 2 Vols. Mannerheim’s diary, consisting of volume I, runs to 730 printed pages. The second volume contains the annotated maps Mannerheim compiled of his route, descriptions and photographs of objects of anthropological interest, and historical manuscripts and documents that he collected, as well as anthropological measurements and linguistic notes from the peoples he came into contact with while in China. A new, revised edition of the memoirs, edited by Harry Halén and under the same title, were published in Helsinki in 2008. 48 Carl Gustaf Emil Mannerheim, The Memoirs of Marshal Mannerheim, translated by Count Eric Lewenhaupt, London 1953, p. 76. On Russian-held Poland after 1905 see e.g. Robert E. Blo­ baum: Rewoljucja. Russian Poland, 1904–1907. Ithaca 1995; Malte Rolf: Imperiale Herrschaft im Weichselland. Das Königreich Polen und das Russische Imperium (1864–1915). Munich 2014; Malte Rolf: A Continuum of Crisis? The Kingdom of Poland in the Shadow of Revolution (1905–1915). In: Felicitas Fischer v. Weikersthal, Frank Grüner, Susanne Hohler, Franziska Schedewie and Raphael Utz (Eds.): The Russian Revolution of 1905 in Transcultural Perspective. Identities, Peripheries, and the Flow of Ideas. Bloomington 2013, pp. 159–174; Pascal Trees: Wahlen im Weichselland. Die Nationaldemokraten in Russisch-Polen und die Dumawahlen 1905–1912. Stuttgart 2007.



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The question arises: what did Mannerheim’s mobility throughout the empire mean for his own understanding of the interrelated contexts of Russian imperial rule and power? What does his empire-wide curriculum vitae tell us about the relationship between periphery and center, and how approaches to issues and problems in one region were handled in others? It is unclear whether Mannerheim saw his career as fundamentally focused solely on the needs of the Russian Empire. Certainly from the point of view of the empire, individuals like Mannerheim who could move from place to place and be effective in whatever task they were given were of utmost value. It was perhaps fortunate for Mannerheim that after returning to Manchuria he was given an assignment in Poland rather than in St. Petersburg – both he and his family were relieved that he would not be placed in a situation in which he could be expected to carry out Russificatory policies directed against Finland.49 It is perhaps important to bear in mind that Mannerheim, especially after 1909, was an officer of the line – he commanded soldiers. He did not seek to become a general staff officer and build a shining career in the army bureaucracy.50 If Mannerheim was experiencing a sort of imperial learning process, he sought to apply what he had learned in being a soldier. It is difficult not to conclude, however, that Mannerheim was learning precisely what was needed for a multiethnic, widely-flung empire to succeed.51 A loyal servant of the tsar, Mannerheim’s star continued to rise. In 1912 Nicholas II made him a Major-General à la suite (“in the suite of His Majesty”). In January 1914 he received yet another advancement, becoming commander of the Independent Guards Cavalry Brigade, which included his Uhlan regiment. The years Mannerheim spent in Poland (1909–1914) were not only the apex of his career as a tsarist officer but also one of the happiest periods in his life. The hardships of his journey through China notwithstanding, Mannerheim was known to appreciate luxury (he loved fine clothes, fine dining and, especially, fine horses). More importantly, as J. E. O. Screen points out, Mannerheim was “more than a conscientious officer with a devotion to horses and sport.” The future grand marshal of Finland possessed not only a sharp intellect and analytical skills, but also he had a keen understanding of how political concerns impact the pursuit of state interests.52 49 Stig Jägerskiöld: Gustaf Mannerheim 1906–1917. Helsinki 1965, pp. 132–133. 50 For a discussion of the importance of the distinction between line officers and general staff officers see Peter Kenez: A Profile of the Prerevolutionary Officer Corps. In California Slavic Studies VII (1973), pp. 133–134. 51 Jägerskiöld believes that in 1912 Mannerheim was approached by Finnish leaders and asked to become Finland’s Minister State Secretary – that is, Finland’s highest political representative in St. Petersburg. If he was, he rejected the offer. Jägerskiöld thus imagines Mannerheim’s thinking: “Russian politics cannot become favorable enough to Finland – even if [Finnish affairs in Russia] were being run be a person who was well regarded at the very highest level.” Jägerskiöld, Gustaf Man­ nerheim 1906–1917 (see footnote 49), pp. 166–169, quotation from 169. 52 Screen, Mannerheim: The Years of Preparation (see footnote 31), p. 81, p. 85, p. 90.

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Regarding the Russian Empire, Mannerheim hoped that wide-ranging political reform would eventually take place. Such reform certainly did not include a dismantling of the empire. Non-Russian peoples – he thought most about Finland and Poland – would do best by maintaining good relations with Russia, contributing to the well-being of the empire and displaying loyalty.53 Due to his years in Poland prior to the outbreak of World War I he thought deeply about that land and sympathized with its people. Though the Polish experience in the Russian Empire had been a difficult one, Mannerheim felt that the Russian-Polish relationship was of central importance and that Poland could prosper only when a solid relationship with Russia was established. He wrote his father in August 1914: “As far as I understand, the crux of the entire Slavic problem is in Poland, and until Russia can happily solve the question of Poland it will always have millions of opponents among the Slavs.”54 Until 1914, the Russian Empire remained for Mannerheim the uncontested framework for all future political development. The empire needed to be reformed, but its territorial integrity was beyond questioning.

Becoming Finnish? World War I, Civil War, and Mannerheim’s Post-imperial Biography Within a week of Austria’s delivery of its ultimatum to Serbia in late July 1914, Mannerheim and his men were mobilized and ordered to the Austrian front. A bold tactician, Mannerheim in October was awarded the Order of St. George (4th class) and in March of 1915 was given command of an entire cavalry division, which was sent the following year to fight in Romania. “From day to day regard for Mannerheim increased, as did his authority,” recorded an aide.55 In 1917, shortly before the February Revolution, Mannerheim was the commander of 40,000 Russian and Romanian soldiers. When the revolution broke out Mannerheim was in Petrograd and, conspicuous in his officer’s uniform, only narrowly escaped arrest by street demonstrators. Disgusted by the lack of discipline in the Russian army after February, and a convinced monarchist, he requested and was granted a transfer to the reserves in September, and shortly thereafter left for Finland. Finland had not had its own military units since 1901, and in the polarizing chaos in Finland in 1917, separate armed White and Red forces formed. When civil war broke out in January of 1918, the Finnish government, led by conservatives who in the previous month had obtained recognition for Finland’s independence from Russia’s Bolsheviks, named Mannerheim commander-in-chief of the Finnish Whites. For 53 Jägerskiöld, Gustaf Mannerheim 1906–1917 (see footnote 49), p. 327, p. 329 54 Cited in Jägerskiöld, Gustaf Mannerheim 1906–1917 (see footnote 49), p. 328. 55 Screen, Mannerheim: The Years of Preparation (see footnote 31), p. 110.



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Mannerheim, there was little difference between Finnish Reds or Russian Reds; both were cancers that needed to be eliminated. Early in the war, tensions arose between some White Guard volunteers, whose native language was Finnish, and Mannerheim’s headquarters, where Swedish was the primary language. A number of Mannerheim’s Swedish-Finnish officers had, like him, served in the Russian army; for some Finnish Whites, who saw these officers as “Russians,” this was a source of suspicion. Mannerheim managed to quell dissatisfaction by creating a representative council – an act he surely would have preferred to avoid – where rank and file soldiers’ views could be heard.56 When the Whites, who received significant assistance from the Germans, finally broke the resistance of Finnish Reds and allied Bolshevik troops in May, some 4,000 Finnish Whites and over 20,000 Finnish Reds lay dead. Both sides engaged in terrorism and reprisals. Proportionally far more Reds died, including over 10,000 who perished from malnutrition and disease in White prison camps. Emerging from the civil war as Finland’s de facto head of state, Mannerheim believed that security for Finland could come only with defeat and removal of power of the Bolsheviks in Russia – an act he thought most Russians would be grateful for – and he was prepared to lead an interventionist army of nearly any composition (one of Western Allies or Russian Whites) to capture Petrograd. The support Russian peasants gave the Bolsheviks in the Russian Civil War caught him entirely by surprise. Mannerheim mourned the Bolsheviks’ rise to power in the Russian Revolution and for the rest of his life despised and hated the radical left, whether Russian or Finnish. He was convinced that the interests of Finland and Russia were deeply linked, and as late as the end of 1919 still sought a way to organize an army to attack St. Petersburg and oust the Bolsheviks. Mannerheim made peace with the idea of representative government, though he perhaps never truly understood it. If Finland was to be a democracy, he wanted it to have a strong and confident government, preferably with himself as president. But his political career for now came to an end in the presidential elections of 1919 in which he lost overwhelmingly to the center-left candidate Kaarlo Juho Ståhlberg. Mannerheim was despised by Finnish socialists (and would be for decades), and many Finns were suspicious of both his Finnish-Swedish background and his experience as a tsarist Russian officer. Mannerheim at this point in his life did not yet speak Finnish, though later, in the 1930s, he worked on it diligently. He also rejected the idea of becoming head of Finland’s armed forces as he found civilian control over the military unacceptable. He wrote to a Polish friend: I am again free, and am happy to no longer have any office of responsibility. I only regret that I did not finish off the Bolsheviks on our borders before returning to private life. The entire world

56 Stig Jägerskiöld: Mannerheim 1918. Helsinki 1967, pp. 80–82; Anthony F. Upton: The Finnish Revolution 1917–1918. Minneapolis 1980, pp. 309–310.

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would sleep much more calmly at night if at least in Petersburg this center of Bolshevism were destroyed.57

In the 1920s Mannerheim avoided becoming identified with any political party; the party strongest among Finnish Swedes – the Swedish People’s Party – unsuccessfully courted him. Beyond his unwillingness to be associated with any interest group, party politics simply did not interest him. By the mid-1930s Mannerheim had given up his dreams of overthrowing the Bolsheviks; his sought-after alignment with Sweden indicated he thought it best for Finland not to get embroiled in conflicts between Europe’s major powers. He also relinquished his vision of a White Finland and came to accept that the socialists were also part of the Finnish nation. “If I could now make a gift to our people,” he said in a speech in 1937, “it would be unity, mutual trust, and contentment.”58 He was now becoming a pan-Finnish figure. In the crucial years between 1939 and 1945, Mannerheim’s importance went far beyond the sum total of his personal accomplishments – his very person was important for the stability and success of Finland and its people. Though forever deaf to the siren call of ethnic nationalism, he was a loyal son of Finland. Yet it seems limiting to label Mannerheim as the most significant figure in all twentieth-century Finnish history – which he undoubtedly was – and also overly confining for any evaluation of Mannerheim as an individual. He was an exemplar of an era and a mindset for which there was no place in the twentieth century after the Great War – a man who needed the political and cultural expansiveness of empire to flourish. He was “one of the last great aristocrats in European politics,” in the words of one historian.59 Mannerheim provides an example of an individual with an imperial biography. In Imperial Russia Mannerheim found his first career and his life’s calling. Here were formed his basic political views, his realism, his suspicion of ideologies, and his cosmopolitan outlook. Despite the shortcomings and failings of imperial rule, it is the imperial context that provides the feeling of imperial belonging. The empire was the homeland within which individuals such as Mannerheim could orient themselves. From this point of view Mannerheim had two homelands, one nesting inside the other, and for him this arrangement – both a political and a personal one – was more attractive than a drawing of borders and boundaries between the two, which could only mean a narrowing of his life, of his horizons. With the loss of this homeland after 1917, people such as Mannerheim felt ill at ease in the new post-imperial realities – their imperial biographies had come to an end.60 It is a great irony that it was revolution in Imperial Russia that propelled him at the age of 50 on to his second career, and in many ways his second life, this time as a Finn. 57 Letter to Marie Lubomirska, September 12, 1919. Ioffe, Linii Mannergeima (see footnote 14), p. 181. 58 Cited in J. E. O. Screen: Mannerheim: The Finnish Years. London 2000, p. 117. 59 Marvin Rintala: Four Finns. Berkeley 1969, p. 35. 60 See also the contributions of Martin Müller-Butz and Theodore R. Weeks in this volume.

Irina Marin

Reforming the Better to Preserve A k.u.k. General’s Views on Hungarian Politics1

Fig. 11: Generalmajor Trajan Doda (1822–1895)

This chapter is an examination of the imperial biography of a Habsburg k. u. k. officer, Brigadier General Trajan Doda (1822–1895). Doda originated from the Romanian-inhabited segment of the Austrian Military Border, namely the Romanian Banat Border Regiment no. 13 in southeastern Hungary. There are several reasons why his life, military career, and political activity are important for a discussion of imperial elites in the Habsburg Empire. Doda’s career and political views throw unexpected light on the way imperial loyalty and ethnic identity could not only coexist in a k. u. k. general but also thrive and feed on one another. They show how imperial and military knowledge and prestige could transfer and serve civilian political purposes. Doda’s views run against the grain of clichés circulating about the k. u. k. officer corps: that they 1 I would like to thank Dr Michael Hochedlinger (War Archives, Vienna) for the invaluable help and advice offered in locating this material as well as Dr Antonio Schmidt-Brentano for his much appreciated help and the information provided. Particular thanks are also due to Trevor Thomas, who provided generous feedback and most useful comments and suggestions on this article.

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were beyond nationalism, they were apolitical or looked upon politics as “dirty business”. As Doda was an imperial general as well as a regional personality and, by the end of his life, a symbolic figure of Romanian national politics in the Hungarian half of the monarchy, his biography provides an X-ray of Hungarian parliamentary politics and shows how military and civilian elites collaborated with a view to reforming the Hungarian political system.

Who Was Doda? Trajan Doda was one of the high-ranking officers who originated from the Banat segment of the Austrian Military Border and rose to higher rank by virtue of the military tradition which the Military Border system created over more than a hundred years.2 Doda was a Catholic and ethnic Romanian and came from a part of the militarized Banat which was predominantly inhabited by Orthodox Romanians, that is, from southeast Hungary between Karánsebes and Orsova. He fought in Italy and Hungary during 1848–1849, in Italy again in 1866, he was decorated with the prestigious MVK (Militärverdienstkreuz) and received his general’s rank in 1870. By virtue of his military career, Doda led a peripatetic life, which enabled him to travel widely within the empire as well as occasioned him several trips abroad. He was thus well acquainted with the Austrian lands below the Enns, Moravia, Styria, Carniola, the best part of Croatia, Slavonia, and the Military Border; he was familiar with a considerable part of Hungary through marches and journeys, the Banat, the Veneto region, Vojvodina, and Transylvania through garrison duty and reconnaissance. He was in Wallachia and southern Moldavia during the occupation of the two Principalities by the Habsburg troops in 1852; he also travelled to parts of Bulgaria and Serbia. Towards the end of his military career he served in Krakow as General Major und Truppen Brigadier. In addition to this, he had a gift for foreign languages: he spoke Italian and French, as well as German and his native Romanian, and had some knowledge of Serbo-Croat and English.3 After his retirement Doda was elected to the Hungarian parliament as a representative of the Karánsebes district in all electoral cycles between 1872 and 1887 (that is, in 1872, 1875, 1878, 1881, 1884, and 1887).4

2 According to Marchescu, 15 generals of Romanian nationality (Brigadier Generals and Major Generals) came from the Banat Military Border from its setting up in 1768 until its dissolution in 1871 and, by virtue of the military tradition of this territory, until 1918. Antoniu Marchescu: Grănicerii bănăţeni şi Comunitatea de Avere [Die banatischen Grenzer und die Vermögensgemeinde]. Caransebeş 1941, pp. 295–296. 3 Trajan Doda, Qualificationsliste, Österreichisches Staatsarchiv, Kriegsarchiv (in subsequent notes: OeStA, KA), Qualificationslisten 471 (Dobrzensky-Doell). 4 Vlad Popovici and Ovidiu Iudean: The Elective Representation of the Romanians in the Hungarian Parliament. In: Studia Universitatis Petru Maior, Historia 11, Editura Universității Petru Maior, Târgu Mureș 2011, pp. 125–128.



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How did his contemporaries remember him? The earliest image of Doda comes from Feldzeugmeister B. Diettrich, a former director of the Wiener Neustadt Academy, who was reminiscing around the year 1864 about his Romanian students from the Military Border. He particularly recalled one incident involving a young Romanian corporal, who, although serious and conscientious, could also be very restless: One day through his vivacity and mobility he incurred the wrath of the commanding Director of the Institution, who rebuked him in a harsh tone of voice: ‘You unruly and savage Croat!’ On this, the small corporal stood to attention before his superior and, looking him straight in the eyes, replied: “I am neither savage, nor a Croat!” Such audacity gave pause to the commander, who, before finding something to say, saw the midget salute and withdraw in regular step with all gravity.5

The corporal that B. Diettrich remembered was Trajan Doda, who, by the time this story was recounted to Vincenţiu Babeş in 1864, had become a Colonel and a local Commander in Venice. Doda’s military record, which describes him as short and stocky (hence the midget epithet given by the irate commander), also mentions his earnest character and strong temperament: he was an excellent graduate of the Wiener Neustadt Academy, full of determination, perseverant and prudent as well as stubborn. He constantly sought to improve his technical knowledge and linguistic skills and he matured into a reliable troop commander, very good at shaping up a disorganized troop and having a beneficial influence on his men, who did not fear but respected and admired him for his efficiency.6

The Importance of Doda’s Imperial Biography Doda’s biography affords unprecedented insights into the life of the empire. It exemplifies the relationship between officers and the monarch and the new uses to which it could be put in the context of officers’ participation in parliamentary politics. As a representative of the Romanian community in the Karánsebes electoral district, and by 1887, the only Romanian national representative in the Hungarian parliament, the political use to which his relationship to the Kaiser was put throws light on the loyalty dynamics between a politically disenfranchised national group and the monarch. Doda’s political career eminently shows how his military background not only was not an impediment, but rather it was considered by his political allies as a major trump card. His status as an imperial general was central to the admiration he commanded within the Romanian community, to his credibility as a candidate, to the

5 Romanian National Archives, Bucharest, Fond personal Vincenţiu Babeş, Nr. inv. 1519, Nr. actului 4, folio 1, verso. 6 Doda: Qualificationslisten 471 (see footnote 3).

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image of rectitude and impartiality he projected. His military background, in other words, became a major asset in more than one way: symbolically, functionally, from the point of view of contacts and networking possibilities. Although Doda’s political career did not bring about major changes to the status of the nationalities in Hungary, his political participation is emblematic of the transfer of leadership from the military to the civilian sphere and of the negotiations of a national community with new political structures and practices (parties, parliamentary elections, partially representative government). His political program, even if it never became reality, envisaged however solutions and available possibilities for change in the empire: it explored alternatives to the political passivism frequently embraced by the non-Magyar nationalities in the Hungarian half of the monarchy. Doda’s reformist view of politics and nationality rights was vitally influenced by his military background and by his Military Border mentality. His attitude was thus informed by an imperial ethos and a pragmatic, nationality-friendly rationale that ensured the smooth running of overarching imperial institutions. The fact that Doda entered Hungarian politics meant that he thus exposed himself to the specifically Hungarian legislation that regulated press matters. Doda’s statements in the Hungarian press illustrate the possibilities of the new medium as well as its pitfalls: the press afforded the general great visibility but also brought with it great risks, especially in the Hungarian legal context, where a much misused press law criminalized incitement to hatred against the Hungarian nation.

Bibliographical Challenges The historiography on the Habsburg officer corps consists of mostly German- and English-language studies. In addition to these there is a wealth of local historical studies from regional historians of the successor states, written in the respective languages and as such, more often than not, mutually unintelligible. From German- and English-language sources one can learn almost everything about military organization, recruitment, educational facilities, military academies and their students, about examinations and promotions, the financial circumstances and lifestyle of imperial officers. When it comes to outlook and mentalities, however, one learns from this bibliography that the officer corps was marked by a strong sense of community (Standes­ gefühl) and was formed and educated as a supra-national entity, whose only political outlook was a professionally induced imperial patriotism. Individual memoirs such as those of Ritter von Zeynek reinforce this view, that although the professional officer was socially very popular, politically speaking he was a complete outsider.7 7 Peter Broucek (Ed.): Theodor Ritter von Zeynek. Ein Offizier im Generalstabskorps erinnert sich. Vienna 2009, p. 174.



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As regards the postulate of an a-political attitude of professional officers, there are at least two theoretical reasons why it should be called into question. Firstly, one wonders how an educated, well-informed elite such as the Habsburg officer corps was not able to form political opinions and express them, if not during their active time in service, at least once they retired. This marks a stark contrast with sociological analyses such as Linda Colley’s, for instance, who pointed out that military service inevitably provided people with “political education in the widest sense of the word”.8 Other studies similarly stress the horizon-widening, educative effect of military experience. Karl Renner once insisted that, in any people who have a modicum of reason, military service must of necessity awaken political thought.9 Secondly, one cannot reconcile oneself to the thought that, whilst national claims and projects for the reorganization of the empire were milling around everywhere, Austro-Hungarian officers lived in an ivory tower, knew nothing and had no opinion, however private, about them. Although historians such as Johann Christoph Allmayer-Beck noted that the image of the a-political officer is to a great extent a piece of fiction,10 the commonplace of historical literature on the Habsburg officer corps remains, however, the view that Austro-Hungarian military looked upon politics as “dirty business” and they were “beyond nationalism”. Antonio Schmidt-Brentano warns us of the trap of generalizations and points out that testimonies from military circles about political questions are too scant to justify such broad generalizations. As pointed out by Antonio Schmidt-Brentano in his 1975 study Die Armee in Österreich. Militär, Staat und Gesellschaft 1848–1867, there are few contemporary testimonies about the views of Austro-Hungarian military regarding constitutionalism and parliamentarianism in the Austrian half of the monarchy.11 In many cases, these bibliographical blanks reflect a problem with sources as access to such testimonies depends, for both halves of the monarchy, on a linguistically fragmented historical literature. Various historical studies and conference papers build on extant memoirs of Austro-Hungarian officers. However, many of the testimonies used – unless they happen to be those of famous generals such as Beck, Fejérváry or Conrad – refer to purely military or personal matters and seldom do they convey political views. The present chapter aims to demonstrate that, although scanty, such testimonies do exist and are accessible when one starts one’s search from national (in this case, Romanian) sources. A couple of remarks on the state of the sources available on the Doda case are in order here. Just as with many other officers, no memoirs, diaries or personal notes have survived to this day, so that the only information we have on Doda’s intentions and actions comes 8 Linda Colley: Britons. Forging the Nation 1707–1837. London 1996, p. 333. 9 Johann Christoph Allmayer-Beck: Die bewaffnete Macht in Staat und Gesellschaft. In: Adam Wandruszka and Peter Urbanitsch (Eds.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Vienna 1987, p. 118. 10 Peter Broucek and Erwin A. Schmidl (Eds.): Johann Christoph Allmayer-Beck: Militär, Geschichte und politische Bildung aus Anlass des 85. Geburtstages des Autors. Vienna 2003, p. 375. 11 Antonio Schmidt-Brentano: Die Armee in Österreich. Militär, Staat und Gesellschaft, Boppard 1975

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from a handful of Romanian historical studies, a few of his letters scattered among his friends as well as the information available in his military records in the War Archives in Vienna, which is perhaps the most reliable of sources.

Nationalism and Kaisertreue Umbrella terms such as Nationalism are both polysemous and lack consensus to such an extent that, unless their exact meaning is spelled out, they are hardly useful for historical analysis. What exactly does nationalism mean? National consciousness? Striving for political recognition and representation? Irredentism, that is, the intention to break up the monarchy into nationally homogenous states? For the purposes of this contribution, I am going to use as little as possible this “ism” and instead use more manageable and meaningful concepts such as loyalty and allegiance. As the journalist Friedrich Funder once put it, the army was “ein Kitt, der das bunte Konglomerat des Habsburgerstaates zusammenhielt, von keiner anderen organisatorischen Bildung an Stärke übertroffen.”12 It was also the only imperial institution with which all the population of the monarchy came into direct contact. Other imperial institutions, such as the delegations, although important for the life of the monarchy, remained remote and little known by the bulk of the population. Imperial loyalty was the cornerstone of the army and in particular of the officer corps ethos. From a military point of view, all other political and social relationships were of lesser importance than loyalty to the emperor. As pointed out by various authors, the army as an institution was nationality-blind. For instance, one can only with difficulty ascertain the ethnic origin of an officer exclusively on the basis of the personal data in his military records. For the only personal data available there are confined to birth place, religion, and linguistic skills.13 What welded together the multinational officer corps was a strong sense of community, i.e. the sense of belonging to an educated, noble-spirited, chosen military elite, who had a close, one can even say personal, relationship with the emperor and who were in peace as in wartime in duty bound to behave with honor and courage.14 However, the fact that the army as an institution took no notice of ethnic background does not mean that there was no ethnic or national awareness among imperial officers. Such awareness was, if not actively promoted, certainly not discouraged: 12 Friedrich Funder: Gestern ins Heute: Aus dem Kaiserreich in die Republik. Vienna 1952, p. 545. 13 István Deák: Education, Training, and Ideology of the Habsburg Army Officers’ Corps, 1848–1914. Paper given at the Conference on Society in Change, Baden / Vienna, Austria, June 15–17, 1985. OeStA, KA, Manuscripte / Allgemeine Reihe 304, p. 11. 14 István Deák: Beyond Nationalism, A Social and Political History of the Habsburg Officer Corps, 1848–1918. New York 1990, p. 4; Broucek, Militär, Geschichte und politische Bildung (see footnote 10), p. 417.



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for instance, every regiment had a national priest, who served the spiritual needs of the troop; also, multilingualism represented an asset for an officer’s military career. So it is necessary to distinguish between the professional and private life of an officer. As will be shown later in this chapter, loyalty to the emperor and military ethos were not necessarily opposed to national consciousness; quite the contrary, they repeatedly reinforced one another throughout Habsburg history.

Constitutionalism and Parliamentarism in AustriaHungary and in the Territory of the Former Austrian Military Border Although the Ausgleich of 1867 created the first modern constitutional system in Hungary as it did in Austria, constitutionalism and parliamentarism were introduced only after 1872 in the territories of the former Military Border, that is, after the dissolution of the Border and its gradual integration into Hungary. For almost 300 years, that is, since the sixteenth century, the Austrian Military Border was administered directly from Vienna through the Hofkriegsrat and later the War Ministry. Its territory, which extended all the way from the Adriatic to northern Transylvania, had been militarized progressively as new inroads were made into Ottoman territory in the seventeenth and eighteenth centuries to create a defensive belt against the Ottoman menace as well as a cordon sanitaire against epidemics.15 By the nineteenth century the Military Border system had become an anachronistic institution, predicated as it was on feudal loyalty of the border guards to the emperor, that is, land in exchange for military service. At the same time, the territory was also paradoxically a culturally progressive place, where the education system was better than in the civilian provinces of the empire, and military schools functioned as a springboard to higher professional and social positions. The restructuring of the monarchy in 1867 inevitably spelled the end of the Military Border, its retrocession to Hungary and integration in the Hungarian administrative and constitutional system. In the former Banat Military Border the first elections to the Hungarian parliament took place in 1872. Two years later a new Hungarian electoral law was passed, which the newspaper Pester Lloyd described at the time as an instance of “Babylonian confusion made into law”16 and this not without reason: the law stipulated highly complicated criteria for franchise – a combination of pro15 Die K. K. Militärgrenze. Beiträge zu ihrer Geschichte. Schriften des Heeresgeschichtlichen Museums in Wien. Vol. 6, Österreichischer Bundesverlag für Unterricht, Wissenschaft und Kunst Wien, 1973; Gunther Rothenberg: The Military Border in Croatia, 1740–1881: A Study of An Imperial Institution. Chicago 1966. 16 Eugen Brote: Die rumänische Frage in Siebenbürgen und Ungarn. Berlin 1895, p. 72.

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perty, taxation, education, and historical right – which ensured that only a small number of people, around 6%, had the right to vote and even those numbers could be easily manipulated.17 Admittedly, the situation was not much different in most other European countries of the time, but whereas in other countries the franchise expanded gradually, in the Hungarian half of the monarchy it remained unchanged until 1918. Additionally, most of the nominally enfranchised population were further disempowered by means of chronic gerrymandering. László Péter pointed out that “despite the introduction of Western constitutional forms based on the principle of legal equality, Hungary’s new political system turned out to be a parliamentary oligarchy of noble landowners.”18 Lothar Höbelt’s assessment expresses best the fundamental difference between Hungary and its political model, England: “Ungarn mit seiner Selbstverwaltungstradition berief sich gerne auf England. Das war kein schlechter Vergleich – allerdings mit dem England Walpoles im achtzehnten Jahrhundert.“19 Most affected by this political context were the non-Hungarian nationalities, who found themselves disenfranchised during the elections to the Hungarian parliament. The “rotten boroughs” controlled by the government monotonously churned out governmental candidates.20 This system was moreover favored by the public style of voting, which lent itself to bribery and intimidation.21 Because the non-Hungarian nationalities were thus systemically debarred from the Budapest parliament and they were not able to push through their political desiderata, a political triangle was revived whereby the disgruntled nationalities turned to the emperor as to an umpire. This triangle became evident in 1848–1849, when Serbs, Croats, Romanians, and Slovaks chose to fight against the Hungarians on the side of the Habsburgs in the name of the Kaiser as well as that of their liberated nations. Thus, on a discursive level, national claims came to be intertwined with imperial loyalty. Long after the Ausgleich, petitions continued to be sent to the emperor to put an end to Hungarian political chicanery through imperial Fiat. The most notorious case in this respect was the ill-fated memorandum, which the Transylvanian leaders of the Romanian National Party sent to the emperor in 1892: the emperor sent the petition unopened to the Budapest government, who proceeded to sentence its signatories to prison for state treason. In the former Banat Military Border the newly demarcated electoral circle of Karánsebes contributed to the Hungarian electoral process a homogenous, imperially loyal population, who, after the Military Border reforms of 1850, were owners of their 17 R. W. Seton-Watson: Corruption and Reform in Hungary: a study of electoral practice. London 1911, p. 4. 18 László Péter: The Aristocracy, the gentry and their parliamentary tradition in 19th-century Hungary. In: Slavonic and East European Review 70, No. 1 (1992), p. 88. 19 Lothar Höbelt: Franz Joseph I. Der Kaiser und sein Reich. Eine politische Geschichte. Cologne 2009, p. 122. 20 Andrew Janos: The Politics of Backwardness in Hungary: 1825–1945. Princeton 1982, p. 97. 21 Péter, Aristocracy (see footnote 17), p. 88.



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own land and as such entitled to vote. This was despite the fact that, as one of the largest electoral circles in Hungary, it lent itself to easy disenfranchisement. By 1894 Karánsebes was the only electoral circle in Hungary in which Romanians could not be prevented to elect their own representative to the Hungarian parliament.22 Anton Freiherr v. Mollinary depicts in his memoirs a similar configuration for the Croatian segment of the former Military Border: there, shortly after de-militarization, was “das Grenzvolk noch nicht in politische Parteien gespaltet. Standesunterschiede bestanden dort keine anderen, als jene zwischen Landleuten, Beamten, Geistlichen und den wenigen Kaufleuten und Industriellen, alles Schichten, die, aus dem Volke hervorgegangen, mit diesem in Ansichten, Wünschen und Strebungen übereinstimmten.“23 Thus I would attribute the continued and successful parliamentary representation of former Military Border districts, such as Karánsebes, to a Military-Border-specific social and economic legacy. The Military Border legacy was decisive in other respects as well: it functioned as a public-policy model, as an example of how languages could be used to best effect in administration. Doda’s nationality program is, as will be shown further on, indebted equally to the new nationality-rights ideology typical of the nineteenth century and to this specific Grenzer experience and mentality.

Generalmajor Trajan Doda Enters Hungarian Politics Brigadier General Trajan Doda retired in 1872 and was then appointed President of the Regimental Representation of the former territories of the Banat Military Border and, after 1879, as President of the Banat Border Commonwealth (Comunitatea de Avere). This was an institution patterned on the Croatian-Slavonian Commonwealth, which administered the forests, meadows, and highlands that had belonged to the Military Border. The new administrative structure was subordinated to the Hungarian authorities inasmuch as the decisions of its leaders needed approval from the Hungarian Ministry of the Interior.24 Doda’s presidency of the Border Commonwealth was no honorary position. After the dissolution of the Border and its integration into Hungary, it was common to recruit the new civil servants from among pensioned Border officers. This was also the case in the Croatian segment of the Military Border.25 In Doda’s case, this was an acknowledgment of his administrative abilities and experience, which his military record corroborates. Thus his appointment as Commonwealth President represented a continuation of his military activity in the civilian sphere as well as the social recognition of his expertise in Border administration. This transfer of mili22 Eugene Brote: La Question des Roumains de Transylvanie. Academia Română Juni 1894, p. 6. 23 Anton Freiherr V. Mollinary: Sechsundvierzig Jahre im österreichisch-ungarischen Heere, 1833– 1879. Vol. 2. Zürich 1905, p. 276. 24 Marchescu, Grănicerii bănăţeni (see footnote 2), p. 313. 25 Mollinary, Sechsundvierzig Jahre (see footnote 22), p. 229.

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tary abilities into civilian life was not uncommon among retired military.26 In the case of Military Border officers, this transfer mirrored, moreover, the broader structural change undergone by the Military Border during the almost ten-year-long process of demilitarization, which saw the transition from a militarized territory to one subordinated to civilian authorities and administered accordingly. Trajan Doda’s involvement not only in the administration of the former Military Border district but also in its politics shows how military skill and expertise could be transferred into civilian life and how they could be put to new use in a political career. Such skill transfer was facilitated by the particular social and ethnic configuration of the Banat Military Border, its practices and traditional relationship to the emperor. In 1873 in the newly set up electoral district of Karánsebes, the MP seat was disputed by the Hungarian governmental party and the Romanian National Party. Both parties tried to win over the electorate by recruiting a popular candidate. This was one of the first attempts by the governmental party “to use governmental Romanian candidates in colleges with a Romanian majority”, where representatives of the Romanian National Party also ran for parliament.27 The Romanian National Party chose Doda because of his high military rank, his Romanian origin and his connections with the Romanian intelligentsia in the empire and, thereby, with some of the most prominent members of the Romanian National Party in Hungary. Thanks to a military hierarchy which was increasingly meritocratic in character, officers of non-noble birth like Doda constituted a secular elite, which rose from a low peasant background to a middle-class position and later in the nineteenth century to service nobility status. In the Banat as well as in Transylvania, the officers of the Romanian Border Regiments were among the subscribers to Romanian journals and those who “financially supported the publication of Romanian-language textbooks for the national schools”.28 On the whole, these officers represented the first secular Romanian Intelligentsia.29 Imperial officers of Romanian nationality represented, moreover, a trump card for Romanian political leaders in the struggle for national recognition in Hungary. This was a strategy initiated by the Transylvanian Romanian Uniate clergy at the end of the eighteenth century: in 1792 they sent a petition to Emperor Leopold II in which they requested that the Romanians be recognized as a political nation. Several officers of the Transylvanian border regiments signed the petition, which emphasized 26 For instance, after his retirement, Major General Nikolaus Cena (1844–1925), one of the imperial officers who originated from the Banat Military Border, turned his hand to archeological diggings exploring the Roman ruins in his native region and to this end he used his special sapper skills acquired during his active military career. 27 Popovici, Elective Representation (see footnote 4), p.135. 28 Ladislau Gyémant: Die rumänische Grenzbevölkerung aus Siebenbürgen. Stellung und Streben. In: Liviu Maior and Nicolae Bocşan (Eds.): The Austrian Military Border. Its Political and Cultural Impact. Iaşi 1994, p. 33. 29 László Péter: Historians and the History of Transylvania. Boulder New York: East European Monographs Columbia University Press 1992, pp. 20–21.



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the loyalty and in particular the military contribution of Romanians in the Habsburg Monarchy.30 Almost a hundred years later this rhetorical conflation of national claims and military values had still not lost its validity. It was still being used in 1868 as a strong argument for national recognition during the Romanian voters’ assembly which took place in Hermannstadt, Transylvania.31 Therefore it is not surprising to find in 1873 the Romanian National Party in Hungary capitalizing on the prestige and public position of a k. u. k. officer as part of their struggle for political representation. From extant correspondence we know Doda had close personal and political contacts among the leaders of the Romanian National Party in Hungary, in particular Alexandru Mocsony and Vincenţiu Babeş. These personal contacts together with his successful military career situated him at the very interface between state structures and national community, thus converting him into something of a Hermes-like figure, constantly shuttling between the two dimensions of state life and negotiating between them. Various letters and notes from Alexandru Mocsony and Vincenţiu Babeş show that, together with Doda, they tried to find a legal solution in order to circumvent the corrupt Hungarian electoral system and to secure political representation in the Hungarian parliament commensurate with the number of Romanian population. Most of this information refers to the years 1886–1889, during which a plan was devised to obstruct the workings of the Budapest parliament in a legal way and thus attract the emperor’s attention.32 From Kriegsarchiv documents we find out about Doda’s political debut and his program. His public stances, particularly the controversial ones, were brought to the acquaintance of the military command in Temesvár, which in turn notified the War Ministry in Vienna. A report written by Doda in January 1874 and addressed to the military command in Temesvár discusses the reasons why the Hungarian governmental party in Karánsebes wanted to recruit a retired imperial general. As no other sources, archival or secondary, provide any insight into this episode of Doda’s political career, one has to fall back on Doda’s version of the story. The report describes the context in which members of the Hungarian governmental party approached Doda in autumn 1873 and offered him to run for them. They initially had another candidate, Ladislaus Szende, who had made public his program in November 1873.33 According to Doda, the governmental party sought to recruit him “[um] zwischen der Regierungspartei und der nationalen oder Volkspartei eine Vereinigung in [s]einer Person als dem gemeinschaftlichen Candidaten herbeizuführen.”34 30 Zenovie Pâclişanu: Luptele politice ale românilor ardeleni din anii 1790–1792. Bucureşti 1923 ( Aca­ demia Română, Memoriile secţiunii istorice, Seria III, Tomul I), pp. 48–49. 31 Teodor Păcăţian: Cartea de aur sau luptele politice-naţionale ale românilor de sub Coroana ungară. Vol. 6. Sibiu 1910, p. 646. 32 Mihail P. Dan and George Cipăianu (Eds.): Corespondenţa lui Vincenţiu Babeş: Scrisori trimise. Cluj-Napoca 1983, p. 222. 33 OeStA, KA, Kriegsministerium Präsidium, 1874, Document number 9 – 2/2, GM Trajan Dodas Be­ richt an das k.k. Militär-Commando Temesvár, Caransebes, 26.1.1874, p. 2 (front page). 34 Oesta, KA, Kriegsministerium Präsidium, 1874, Document number 9 – 2/2, p. 7 (front page).

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This was their strategy to solve the problem they encountered and gain ground in the Karánsebes electoral district. Doda explains this as follows: “als die Leiter der Regierungspartei – die Regierungsorgane nämlich – zur Erkenntniß gelangten, daß sie mit ihrem Candidaten glänzend durchfallen werden – (denn von 6672 eingeschriebenen Wählern waren über 6000 unbedingt für mich) – nehmen sie ihre Zuflucht zur Diplomatie.”35 The governmental party had a very weak power base in Karánsebes, which consisted mainly of “Staatsbeamten [...] und einigen Bewohnern, die mehr aus Mode als aus Überzeugung zu dieser Partei zählten [...] im Ganzen kaum einigen Hunderten”, which was in marked contrast to the total number of voters, which exceeded 6,000.36 Doda provided these explanations to the military command in Temesvár after a series of defamatory articles were published in Neue Temesvarer Zeitung which called into question Doda’s honorable character. The anonymous authors claimed that Doda had promised to run for the governmental party and to present a program for them. They also alleged that Doda’s printed program did not correspond to the one he made public during the voters’ assembly of 8 December 1873. Doda took offence at these allegations and defended his honor before his peers by submitting the said report, in which he described his version of the story. The printed program reveals Doda’s political outlook and view of political representation as well as his beliefs regarding the meaning of constitutionalism. It comes across as a combination of contractarian ideas, insights from his experience of Military Border administration, a rational-pragmatic attitude to the language question typical of the military ethos, and, not least, human psychology. Nach meiner Überzeugung und nach meinem constitutionellen Grundsätzen, finde ich es nicht für recht, dass auch die Regierung ihre Candidaten aufstelle. Die Regierung kann durch ihren Einfluss und durch Mittel, die ihr zu Verfügung stehen, leicht ihren Candidaten zum Siege verhelfen und hiedurch die Stimme des Volkes fälschen; da ein durch den Einfluss und die Mittel der Regierung gewählter Deputirter nicht der Vertreter des Volkes, sondern der Vertreter der Regierung ist. Das System des wahren Constitutionalismus fordert, dass das Volk an der Gesetzgebung durch seine aus freien Wahlen hervorgegangenen Vertreter Theil nehme, welche sonach den wahren Ausdruck des Volkswillens sein sollen. Da ich mich an den wahren, ungefälschten Constitutionalismus halte, so erkläre ich hiemit: dass ich eine officielle Candidatur oder jene der Regierungsparthei nicht annehme.37

Doda’s stance towards political representation and constitutionalism was that of an independent politician. He believed in a direct relationship between the people and their political representatives. The government’s function in society was, in his view, that of securing the wellbeing of the people. Doda promised to support it only when 35 Oesta, KA, Kriegsministerium Präsidium, 1874, Document number 9 – 2/2, S. 13 (front page). 36 Oesta, KA, Kriegsministerium Präsidium, 1874, Document number 9 – 2/2, S. 12 (back page). 37 OeStA, KA, Kriegsministerium Präsidium, 1874, Document number 9 – 2/2, „Rede, gehalten am 26. November, 8. Dezember 1873 in einer Versammlung von Wählern des Wahlkreises Caransebes“.



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this government worked in the interest of the people. “I will oppose it,” Doda pointed out, “if the government works against the people.”38 This political view comes close to contractarianism, the political philosophy which places the contract between the people and their representatives at the core of the entire system of social and political relations and also as the mark of genuine constitutionalism. It is from this theoretical standpoint that Doda criticizes the Hungarian brand of constitutionalism for corruption and breach of this political contract. This did not mean that he thought all politics was corrupt and deleterious and as such to be avoided; what he criticized was the derailment of genuine people-friendly political values and urged for a return to such basic sound principles. He did not reject politics as a whole, only that part of it which led to the falsification of the will of the people. Doda’s political outlook developed within the framework of dynastic loyalty and legality. In order to deflect any accusations of irredentism, he headed his political program with the following three statements of principle: Ich bin treu Seiner Majestät dem Kaiser und König; ich erlaube Niemanden daran zu zweifeln. Ich habe die Integrität des Gesammtvaterlandes vertheidigt39 – und werde sie auch künftighin nach meinen Kräften vertheidigen; [...] Den zwischen Oesterreich und Ungarn im Jahre 1867 geschlossenen Ausgleichspact erkenne ich an, gerade so wie ich auch alle in Geltung befindlichen, von Seiner Majestät sanctionirten Gesetze anerkenne.40

The central point of his program was the nationality law, which he considered “insufficient” and “unjust” as well as in need of reform: “Es ist Ihnen bekannt, dass die nichtmagyarischen Völker mit ihrem jetzigen Lose nicht zufrieden sind. Ich bin überzeugt, dass die Hauptursache ihrer Unzufriedenheit aus der Missachtung ihrer Sprache, aus dem Mangel eines gerechten, auf dem gleichen Rechte fassenden Nationalitäten-Gesetzes entspringt.”41 The nationality law, which was passed in 1868, remained a dead letter and its stipulations, although fairly liberal on paper, were never fully put into effect. Moreover, the law postulated a single political nation, the Hungarian, which engulfed all ethnic groups in the Hungarian half of the monarchy and which eventually lent itself to a policy of Magyarization.42 38 Ibid. 39 According to his Qualificationslisten, Doda fought in the following battles: “den Feldzug 1848 in Italien, und die Cernirung Venedigs, – dann 1848 und 1849 in Banat und Siebenbürgen”, “den Feld­zug 1859 und [...] die Blocade Dalmatiens” als Chef der Generalstabsabteilung in Dalmatien, den “1866 Feldzug in Italien als Platz Commandant und Generalstabschef in Venedig”“. Cf. OeStA, KA, Qualificationslisten 471 (Dobrzensky-Doell), Trajan Doda (see footnote 3). 40 OeStA, KA, Kriegsministerium Präsidium, 1874, Document number 9 – 2/2, “Rede, gehalten am 26. November, 8. Dezember 1873 in einer Versammlung von Wählern des Wahlkreises Caransebes”. 41 Ibid. 42 R. W. Seton-Watson: Racial Problems in Hungary. London 1908, p. 148; László Péter: Verfas­sungs­ entwicklung in Ungarn. In: Urbanitsch et al (Eds.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Vol. 7, 1st

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Doda insisted that his explicit support for nationalities rights was not an attempt to destroy the unity of the country, but rather it was aimed at improving the cohabitation of all ethnic groups in Hungary. As he reiterated towards the end of his political career in 1887, he had, throughout his parliamentary activity, acted with a view to ameliorating the political and social life in Hungary. He was not out to destroy the monarchy, on the contrary he wished to provide a solution to internal dissensions and thus strengthen the monarchy. Doda’s electoral principles mirrored in part the rights of the nationalities stipulated by the 1868 law. He went beyond these stipulations in that he demanded not only cultural but also administrative and juridical emancipation: Jede Nationalität hat das Recht ihre Jugend in ihrer Muttersprache zu unterrichten und auszubilden. Demgemäss müssen die Deutschen deutsche, die Romanen romanische, die Serben serbische, die Slovaken slovakische Schulen haben, mit einem Worte: alle Nationalitäten in ihrer Sprache. Aber der nationale Unterricht und die nationale Bildung haben sich nicht auf die sogenannten Volks- und Bürgerschulen zu beschränken; sondern sie müssen sich auch auf die höheren Anstalten, die Universitäten inbegriffen, ausdehnen. Mit einem Worte alle Schulen müssen nationale Schulen sein.43

Doda considered that it was not enough to cultivate the language of a people in national schools and it should also be used in public life: all public institutions with which the people came into contact at a local level, at county level, in courts of law and ministries. These political desiderata derived from a view of the monarchy as a sort of welfare state avant la lettre: “Wenn eine Nationalität nicht die Mittel zur Erhaltung dieser Schulen besitzt; dann ist der Staat verpflichtet die hiezu nöthigen Mittel aus der Staatskasse zu geben. Denn, wenn wir gut sind, unser Hab’ und Gut, unser Leben zur Erhaltung des Staates zu geben; so ist auch der Staat verpflichtet, uns, die zur Entwicklung unserer nationalen Kultur nothwendigen Mittel zu geben.”44 Where did Doda get these ideas from? How does an imperial general come to espouse such views? For lack of an explicit personal statement on this topic, one can assume that this political outlook was the result of his friendship and close collaboration with Romanian political leaders in the monarchy, his military background, as well as his experience of Military Border administration. Doda’s political demands put one in mind of the comparatively advantageous relationship between the frontiersmen (as opposed to the civilian population) to state and emperor, a relationship which was predicated on military service and loyalty and rewarded through numerous privileges. The duties that Doda ascribes to the state in Part, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien, 2000, p. 362. 43 OeStA, KA, Kriegsministerium Präsidium, 1874, Document number 9 – 2/2, “Rede, gehalten am 26. November, 8. Dezember 1873 in einer Versammlung von Wählern des Wahlkreises Caransebes”. 44 OeStA, KA, Kriegsministerium Präsidium, 1874, Document number 9 – 2/2, “Rede, gehalten am 26. No­vember, 8. Dezember 1873 in einer Versammlung von Wählern des Wahlkreises Caransebes”.



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his program (protection and cultivation of national culture) are to be traced back to a Military Border mental framework. For instance, the Military Border administration in the Banat offered as early as 1829 a progressive, trilingual education system (German, Serbian, and Romanian) at primary school level. Moreover, all administrative and legal authorities in the Military Border had the obligation, according to the 1850 Military Border Constitution, to use all local languages in their day-to-day business.45 Doda had been involved for years with Military Border administration and, after 1871, with its dissolution and integration into Hungary. He therefore had a long experience of liaising with higher authorities, petitioning, sorting out local problems, and he continued to do so after his retirement. His political outlook reflects an imperial ethos, which he had internalized as both a native of the Military Border and as a professional military. As he came from two pragmatically administered imperial institutions (the k. u. k. army and the Military Border), his involvement in politics reveals the pro-activeness and confidence that things could be changed for the better that someone evinces who lived under a comparatively fair system (or at least a system where the dynamics of complaint-and-redress actually functioned). The transfer of this attitude and expectations into the new political context led to strong political differentiation between the electoral district thus represented and other Romanianinhabited electoral districts in the Hungarian half of the monarchy. This furthermore fed into the regional cleavage between the political activism of the Banateers and the preponderant passivism of the Transylvanian Romanians. The language question in the Hungarian administration was not unlike that which increasingly plagued the Austro-Hungarian military system at the end of the nineteenth and beginning of the twentieth centuries. Doda’s suggestions aimed to solve the problem in military fashion. Just as in the army, the Hungarian half of the monarchy needed a command language and this, in Doda’s view, should be Hungarian: “Durch Vorbesagtes will ich durchaus nicht das Recht der führenden, d. i. der magyarischen Nation verletzen: sondern bin ich dafür, dass die magyarische Sprache die Regierungs- und die Gesetzgebungs-Sprache bleibe.”46 But Doda also recognized the necessity that public servants should learn the language of the people in the midst of whom they worked, just like imperial officers were in duty bound, for the sake of efficiency, to master the language of their regiment within three years. One can extrapolate the military comparison even further and point out that Doda’s public statements contained military references and were explicitly or implicitly made in his capacity as imperial general. This comes across in his report to the Temesvár military authorities and in his later public stances. His criticism of the nationalities law as unjust is couched in military terms: “Die gedruckte Rede ist identisch mit der gesprochenen. Ich nannte das Nationalitäten-Gesetz ein ungerechtes schon deshalb, weil ich es als solches halte 45 Marchescu, Grănicerii bănăţeni (see footnote 2), p. 270. 46 OeStA, KA, Kriegsministerium Präsidium, 1874, Document number 9 – 2/2: „Rede gehalten am 26. No­vember, 8. Dezember 1873 in einer Versammlung von Wählern des Wahlkreises Caransebes“.

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und auch den Muth habe, es als das zu bezeichnen, was es nach meiner Überzeugung ist. – Wären alle Gesetze gut und gerecht; so würde bald ewiger Fried statt des ewigen Kampfes herrschen.”47 This is the stance of a soldier who does not make compromises and has the courage and spine to voice his opinion, to uphold and fight for what he considers just and important: “Ja wohl behaupte ich, daß das Gedruckte wirklich gesprochen worden ist, und zwar behaupte ich dieß als Ehrenmann, als Soldat, dem die Ehre das theureste Gut ist und welcher selbst um Millionen nicht feil ist.”48 Doda thus started his political career with a powerful statement on behalf of the nationalities in Hungary, invoking his military status and his desire to continue defending the monarchy just as he had done as an officer in active military service. His involvement in parliamentary politics was from the very beginning controversial and the end of his political career was even more so. By 1887 Doda and his friends from the Romanian National Party in Hungary had started planning a political coup de théâtre, using his status as an imperial general to put before the emperor’s eyes complaints and grievances that would otherwise never have reached him. Thus, in the context of the 1887 elections for the Hungarian parliament, Doda secured a parliamentary seat as the national representative of the Karánsebes electoral district. According to Antoniu Marchescu, the seven other Romanians elected to the Hungarian parliament that year were governmental candidates.49 Consequently, Doda emerged as the sole Romanian national representative and, in protest, withheld his credentials and refused to participate in the parliamentary proceedings, at the same time refusing to give up his parliamentary seat. This strategy, known in political science as abstentionism, was not a novelty in nineteenth-century politics (the Irish used it, for instance, in Northern Ireland) and was considered a more effective political move than passivism. Doda justified his attitude in a letter of 10 October 1887 to the Speaker of the Chamber of Deputies, Tamás Péchy, as a form of protest against the fraudulent way in which the government had handled the elections. The validation of only one national representative of the Romanians in Hungary in the 1887 elections constituted the nadir of political under-representation of Romanians in Hungarian politics since the setting up of the modern constitutional system in 1848.50 Doda also addressed a public letter to his voters explaining his action to them and reiterating his allegiance to Throne and nation: In the unbelievable case, which I am not even going to consider, that you should not approve of my action, I would like to state from the very beginning that a possible reproach from you would not move me in my conviction that I am, thus, faithfully and honourably fulfilling my duty to the 47 Oesta, KA, Kriegsministerium Präsidium, 1874, Document number 9 – 2/2, GM Trajan Dodas Be­ richt an das k.k. Militär-Commando Temesvár, Caransebes, 26.1.1874, p. 8 (back page). 48 Oesta, KA, Kriegsministerium Präsidium, 1874, Document number 9 – 2/2, GM Trajan Dodas Be­ richt an das k.k. Militär-Commando Temesvár, Caransebes, 26.1.1874, p. 10 (front page). 49 Marchescu, Grănicerii bănăţeni (see footnote 2), p. 362. 50 Ibid.



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Throne and to my nation; you would only prove to your nation that you are not its worthy sons, your electoral district being now called upon to defend the national honour. If you approve of my step, and I am fully persuaded that you do, then remember that a long and difficult battle lies ahead of you; today we are no longer talking about a seat or a vote in the Hungarian Parliament or about some minor national linguistic or political concessions – for these are mere trifles today given the critical situation we are in; today the cause of the entire Romanian nation and, indeed, the honour itself of the Romanian people are at stake, a people who was ousted from the constitutional fight through machinations and violence and who found one last refuge in your electoral district.51

By his double refusal (to hand in his credentials and to give up his parliamentary seat) Doda boycotted not so much the elections to parliament as their result. His stance combined the two lines of action which polarized Romanian national politics in the empire: passivism (the refusal to take part in elections) and activism (the conviction that, however corrupt the electoral system may have been, participation was a must). Doda entered the electoral process and emerged a winner and only then did he withdraw from further political participation. His obstruction to the system was, therefore, more efficient than the complete passivism of his Transylvanian co-nationals and more conspicuous too. As an elected MP he placed himself in a position where he made himself heard in that his abstention became a procedural issue, which had to be dealt with by the Speaker. In other words, he became a thorn in the side of parliament. In his capacity as a retired imperial general, his action was doubly conspicuous as his involvement in this parliamentary boycott was meant to underline the gravity of the situation. My purpose was to wake the Romanians up and also to get our complaints to reach the highest places, so that His Majesty can see that our discontent is great indeed and our suffering has increased so that we cannot bear it any more, for if I, as a general who has bled for Throne and Fatherland, am forced to do this, then something must be rotten in our empire and measures must be taken to mend the ill.52

This stance was not a quixotic initiative, but part and parcel of a carefully devised plan which was meant to solve the problem of political under-representation in a more effective way than the hitherto applied policy of passivity and dead-end petitionarism. A letter from Vincenţiu Babeş to Ioan Slavici dated 3/15 October 1887 provides more details on this plan: The Doda combination was mentioned as early as last autumn, when I was already predicting that the grand vizier [i.e. Tisza – editor’s note] would go to any lengths to exclude me and even Truţă from the Diet. Last summer that combination was effectively planned out at Herculane by Doda and Mr Ales. Mocioni. I thought of this during the Sibiu Conference and I would have been pained indeed if a decision in favor of passivity had rendered impossible this brilliant action. Entre nous, the action will 51 Marchescu, Grănicerii bănăţeni (see footnote 2), p. 366. 52 Păcăţian quoted in Marchescu, Grănicerii bănăţeni (see footnote 2), pp. 371–372.

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not be over with the letters to the Diet and the message to the voters; there will also be an attempt to put these documents before the monarch’s eyes via His Majesty’s military chancellery through Baron Popp.53 Should this succeed, then there will be no more need for protracted memoranda on the part of the Sibiu Committee.54

In a draft letter to, presumably, the above-mentioned Baron Popp, Doda presented his stance not as a political action but rather as his military duty: Zwar nehme ich die volle Verantwortung für diesen meinen Schritt vor der ganzen Welt auf mich, dennoch halte ich es, als der stets treu ergebene Soldat Sr. M., für meine militärischen Pflicht diesen meinen Act zur allerhöchßten Kenntniß zu bringen. Ich bitte dich daher, lieber Freund, meine in deutscher Übersetzung hier angebogene Declaration, welche ich an den ungr. Reichstag gerichtet habe u. welche die bestimmenden Motive dieses meines Schrittes enthaltet, Sr. M. in meinen Namen behufs allergnädigster Einsichtsnahme vorzulegen.55

For this carefully orchestrated political action, Doda made use of all possible channels and connections. His statement in the press, in particular, gave him public visibility but also got him in trouble with the Hungarian authorities. The outcome of the protest was the eventual cancellation of Doda’s mandate and the organization of new elections for the Karánsebes district. The letter of 12 October 1887 addressed by Doda to his voters came to constitute the grounds for his impeachment under the charge of incitement against the Hungarian nation.56 This was consequent upon a new addition to the Penal Code of 1878 (§ 172 Strafgesetz 1878), which criminalized incitement through the press against class, nationality, and religion, and rendered it punishable by up to two years’ imprisonment.57 A stroke prevented Doda from showing up in court and the sentence was passed in contumaciam without allowing his defence lawyer to plead his case.58 The sentence (two years imprisonment and 1,000 Florins

53 Feldzeugmeister Freiherr Leonidas von Popp (1831–1908) was a k.u.k general of Romanian nationality who originated from the Transylvanian Military Border (Naszód Border Regiment no. 2). Between 1881 and 1889 he was Generaladjutant and head of Emperor Franz Joseph’s Military Chancellery. For more details see Ilja Skidelsky, Peter Steiner, Dorel Alexandru Coc: Leonidas Popp (1831–1908). Generaladjutant und Vorstand der Militärkanzlei Kaiser Franz Joseph I. Adjutant General şi Şeful Cancelariei Militare a Împăratului Franz Joseph I. Cluj-Napoca 2013. Many thanks to Dr. Adrian Onofreiu, archivist at the Bistrița Năsăud National Archives (Romania), for kindly pointing out this publication to me. 54 Mihail P. Dan and George Cipăianu (Eds.): Corespondenţa lui Vincenţiu Babeş: Scrisori trimise. Cluj-Napoca 1983, p. 222. 55 Romanian National Archives, Bucharest, Fondul Familiei Mocsonyi, II/4, folio 55. 56 Marchescu, Grănicerii bănăţeni (see footnote 2), p. 373. 57 Janos, The Politics of Backwardness in Hungary (see footnote 19), p. 103; Thomas Olechowski: Das Preßrecht in der Habsburgermonarchie. In: Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Volume VIII, Second Part, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 2006, p. 1523. 58 In his monograph on Ioan Slavici, D. Vatamaniuc quotes a letter from Patriciu Dragalina to Tri­ buna, in which Dragalina put down Doda’s stroke to the news that Slavici had been condemned to one



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fine) was annulled following medical investigation of Doda’s condition by a forensic doctor but the trial remained open. On 11 July 1889 Doda sent a petition to the emperor asking for intercession and pleading his innocence of the charges brought against him. His expressed incredulity regarding the accusation of hate mongering rests on the same type of rhetoric mentioned earlier: Ein kaiserlicher General soll zum Hasse gegen eine Nationalität reizen? Ich, der ich den Glaubensatz festhalte, dass nur das einträchtige Zusammenhalten und Wirken aller Österreich-Ungarn bildenden Völker diese Monarchie erhalten können! Die genannte Behauptung wäre zum Lachen, wenn der Gegenstand nicht so furchtbar traurige Folge hätte!59

Extant documents do not record the emperor’s view on the matter. The minutes of a meeting of the Imperial Military Chancellery dated 26 December 1887 show that the legal action against Doda was brought to the emperor’s attention as early as 1887, if only as a cursory note on the military agenda to be discussed by the monarch and his Field Marshals.60 A report of the Hungarian Minister of Justice, Desider Szilágyi, dated 27 October 1889, acknowledges receipt of Doda’s petition to the emperor bearing the latter’s signature (“das A[ller] h[öchsten] signirte Gesuch”, “das der A.h. Signa­ tur gewürdigte Majestäts-Gesuch”) but makes a point of showing that the Hungarian Ministry had already made the decision to discontinue the trial against Doda by the time the said petition reached them: In Anbetracht dessen, daß Euer Kaiserliche und Apostolische Königliche Majestät, allerunterthänigstest ungarisches Ministerium noch vor Überreichung des gedachten Gnadengesuches bereits am 14ten Juli l. Jahres aus den unterzuführenden Gründen nach eindringlicher Berathung beschlußmäßig ausgesprochen hat, es seien die geeigneten Schritte zur Einstellung des gegen Gesuchsteller anhängig gemachten Strafverfahrens zu veranlassen, sah ich die Nothwendigkeit der bei den Gnadengesuchen ansonst üblichen Verhandlung durch die unterstehenden Justizorgane im vorliegenden Falle nicht vorhanden, und erlaube mir demzufolge auf Grund der unter 2./. ehrfurchtvoll beigeschloßenen Strafacten nachstehenden allerunterthänigsten Vortrag zu erstatten.61

The reasons given by the Hungarian Ministry of the Interior for not pursuing the Doda case further were pragmatic rather than an admission that the trial against Doda was unsubstantiated. The Hungarian Minister of the Interior did not want to turn

year’s imprisonment for his support for Doda’s electoral stance: D. Vatamaniuc: Ioan Slavici şi lumea prin care a trecut. Bucharest 1968 (Editura Academiei Republicii Socialiste România), p. 323. 59 Tribuna, Nr. 286 (15/27 Dezember 1887), p. 1141; Marchescu, Grănicerii bănăţeni (see footnote 2), p. 378. 60 OeStA, KA, Militär Kanzlei Seiner Majestät des Kaisers (henceforth MKSM), Signatur 562, Titel 15–29, 1887, Document number 20 – 1/ 13 – 1. 61 OeStA, HHStA, Kabinettskanzlei, Karton 20 K.Z., 1889, No. 4261/ 1889, Ad 4261 . 889, Folio 1.

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the elderly Doda, who since his stroke had been in poor health, into a martyr, at the same time assessing that, as two years had passed since the incident and Doda’s letter turned out to have had no negative effects, there was no point in stirring things up again.62 The end of Doda’s political career exemplified the advantages as well as perils which accompanied publication in the Hungarian press. Once it appeared in print, his outspoken criticism of Hungarian elections made him an easy prey of the Hungarian Press Law. Paradoxically, however, (and this comes out of the position of the Hungarian Ministry of the Interior as well), this controversial appearance in the press also worked towards enhancing the heroic status of the general, whose sacrificial stance was hailed by Romanians within and without the frontiers of the monarchy.

Conclusion The life and political career of Brigadier General Trajan Doda show the great potential that imperial biographies have in providing pathways and invaluable insights into the complexities of imperial systems and into how imperial institutions and legacies lived through prominent actors. Doda was one such key figure given his twofold elite status (military and civilian) and the explicit role of mediator between a politically disenfranchised community and royal and imperial authorities. His trials and tribulations are emblematic not just for the political tug-of-war that characterized the monarchy at the time, but also for the process of modernization that the empire was going through at the time (parliamentary elections, expansion of the press and of education) and the way old institutional structures and loyalties underwent this upheaval. Trajan Doda remained an imperial general even after his retirement and he projected his military values and views on to the social and constitutional processes of Hungary. Elections represented just another type of battle for him and he behaved accordingly: honor, courage and outspokenness played a central role. Doda strongly believed he fought for justice and equality in Hungarian social and political life and, in so doing, he was persuaded that he was doing none other than defending his Fatherland, just as he had done during his active military career. What he was fighting now was internal antagonisms, which could trigger political disenchantment and social unrest. It was his military duty to prevent this as well as to notify the emperor of the state of things. In 1861 the Austrian War Minister Graf Degenfeld pleaded with the emperor for the participation of retired military to elections, as “durch ihr Fernhalten das konservative Element unnötig geschwächt würde.” Towards the end of the nineteenth century, the emperor himself deplored “die lückenhafte politische Erziehung der 62 OeStA, HHStA, Kabinettskanzlei, Karton 20 K.Z., 1889, No. 4261/ 1889, Ad 4261 . 889, Folio 1.



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Generale”, which made it impossible for them to be appointed as ministers and governors.63 Doda’s political views show, however, that political knowledge was not entirely missing among imperial generals, nor would an imperial general automatically espouse a conservative program. Although Doda was a retired general, he only espoused a conservative outlook insofar as he explicitly acted for the preservation of the monarchy. In all other respects, and in particular as regards the nationality question, he upheld reformist views. Doda was by no means “beyond nationalism”: he was fully aware of his ethnic origin, of the nationality debate in Hungary and the political demands of the nationalities in an increasingly nationally-aware age. Only if we equate nationalism with irredentism and the attempt to dismantle the monarchy and on its ruins to create nation-states, can we assess Doda’s political outlook as “beyond nationalism”. As Doda’s political stance shows, it would be fundamentally erroneous to postulate an opposition between national awareness and imperial loyalty because the two did not exclude one another, but were symbiotically interconnected. Doda’s political discourse moreover showcases a particular trait of transitional societies: the intertwining of old and new ideas. His views on constitutionalism and political representation, inspired by his wide readings as well as by his friendship with leading figures of the Romanian national movement in Hungary, were grafted onto older loyalties: to the emperor primarily and to the Fatherland. In his electoral speech Doda made constant reference to state and government, and their obligations to the people, but he never once touched upon the monarchical prerogative. In Doda’s view, the source of legality was the monarch and he, as His Majesty’s loyal general, obeyed current laws because they had been sanctioned by the monarch. Thus for all the contractarian overtones of his electoral discourse, for Doda the emperor remained the highest, uncontested authority. He may fight against the Hungarian government but never against the emperor. Doda’s high military rank was of crucial importance in his post-retirement political career. The persistent attempts at enlisting Doda’s electoral support by the governmental party as well as his successful courting by the Romanian National Party are evidence to the general’s great popularity and electoral appeal in the region. He was a native of the former Military Border, with whom the common Grenzer could identify; he was also a decorated imperial general and, as such, part of a cultured, meritocratic elite, who had connections among the intelligentsia of the empire; by virtue of his military status, he was perceived as a figure of authority who had a direct link to the emperor. This was the symbolical capital with which the general was invested. Evidence suggests that, for all his reputation, his effective political influence was limited. Thus, in 1882 he headed a committee commissioned by the Banat ex-Border communes to set up a Romanian high school in Karánsebes, which was to be sponsored with funds that the community was entitled to after the dissolution of the Border. Ten years 63 Antonio Schmidt-Brentano: Die Armee in Österreich. Militär, Staat und Gesellschaft, Boppard 1975, p. 320; Edmund Glaise-Horstenau: Franz Josephs Weggefährte. Vienna 1930, p. 400.

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later, the application for approval to the Hungarian Minister of Public Instruction was still without an answer.64 The great electoral master plan in which Doda was involved in 1887 did not attain its goal: the emperor, although aware of it and of the court case brought against Doda, did not intervene as was hoped. The eventual discontinuation of the trial in 1889 came about after a petition for grace from Doda was received by the emperor, who signed and forwarded it to Budapest. But it was the Hungarian Ministry of the Interior that ultimately ordered that the trial be put to an end. In Doda’s life and career several strands of social and political development converged as well as the legacy of the Austrian Military Border. Doda endorsed and acted on a nationality-friendly political discourse which was in consonance with dynastic loyalty. This conflation of proud national awareness and imperial allegiance was typical of the Military Border. Doda used the public sphere as a forum for airing political discontent and his military status to facilitate access to the emperor. This was both old and new: this act of reaching out to the emperor with long unsatisfied grievances was yet another episode in a historical triangle that locked together emperor, Hungarian authorities and non-Hungarian nationalities. The novelty was the emergence of a public sphere and print culture which allowed for effective dissemination of political messages but was also full of pitfalls. By entering Hungarian politics and issuing public statements Doda placed himself under the incidence of the Hungarian Press Law. His military status helped him insofar as he could notify higher authorities of his situation and eventually ask for grace from the emperor, but the actual decisions seem to have been made in Budapest. To a certain extent, Doda’s career tells us something about the wishful thinking that characterized relations between the nationalities and the emperor, in particular the belief that, if only the emperor knew what was happening on the ground, he would immediately act and put things right. In the specific case of Doda’s prosecution, the amount of imperial intercession exercised with a view to putting an end to the trial is uncertain, given the Hungarian authorities’ claim that their decision preceded the receipt of the imperially signed petition for grace. Was Doda an agent of change? He was definitely one of the most pro-active and well-connected leaders of the Romanian community in the empire. He explored all legal avenues, military and civilian, and attempted everything legal and moral. He may not have succeeded in changing the system (which remained to the very end unreformed and, arguably, unreformable) but he certainly explored all its possibilities of reformability. The fact that the emperor did sign his petition for grace before sending it on to Budapest indicates that Doda had indeed accomplished his mission of bringing the nationality question to the emperor’s attention (by contrast, in 1892 a petition to the emperor from the leaders of the Romanian National Party was sent uno­ pened to Budapest). While it lasted, Doda’s political career did make a change in regi64 The Romanian Question in Transylvania and in Hungary. Reply of the Romanian Students of Transylvania and Hungary. Vienna 1892, p. 53. See also Marchescu, Grănicerii bănăţeni (see foot­ note 2), pp. 380–386.



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onal politics and contributed to the activism that set apart Romanian Banateers from their passivist Transylvanian co-nationals. In Doda’s outlook, old and new ideologies fused and military knowledge and common sense were brought to bear on civilian politics. His political program was informed by an imperial ethos and showed how insights from old imperial institutions (such as the Military Border) could be recycled and made relevant to the new political realities brought about by the introduction of parliamentarism and constitutionalism in the monarchy.

Faith Hillis

Making and Breaking the Russian Empire The Case of Kiev’s Shul’gin Family

Fig. 12: Dmitrii Ivanovich Pikhno (1853–1913), c. 1910

Fig. 13: Vasilii Vital’evich Shul’gin (1878–1976), 1910

Over the last two decades, historians of tsarist Russia have increasingly turned their attention to the theme of empire, exploring how Russia’s ethnic, religious, and cultural diversity informed its politics and society. The practitioners of this “imperial turn” have traced the evolution of imperial policies and identities, producing a bird’seye view of the empire at work.1 This essay examines the inner workings of the empire from a more personal vantage point, tracing the experiences and contributions of 1 The pathbreaking work here was Andreas Kappeler: Rußland als Vielvölkerreich: Entstehung – Geschichte – Zerfall. Munich 1992. See also Theodore R. Weeks: Nation and State in Late Imperial Russia: Nationalism and Russification on the Western Frontier, 1863–1914. DeKalb 1996; M. Dolbilov and A. Miller: Zapadnye okrainy rossiiskoi imperii. Moscow 2006; Robert Geraci: Window on the East: National and Imperial Identities in Late Imperial Russia. Ithaca 2001; Michael Khodarkovsky: Russia’s Steppe Frontier: The Making of a Colonial Empire, 1500–1800. Bloomington 2002; Jeff Sahadeo: Russian Colonial Society in Tashkent, 1865–1923. Bloomington 2007.



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several generations of Kiev’s Shul’gin and Pikhno family. It argues that recapturing the complexities of individual lives not only provides a richer and more variegated portrait of how the empire functioned on the ground, but also reveals the role that personal trajectories and local communities played in shaping all-imperial norms and practices.2 The Shul’gins and Pikhnos lived in Russia’s southwestern borderlands, which in the nineteenth century became a major focus of the imperial campaign to diminish the influence of the region’s powerful Polish-Catholic nobility (or szlachta), who had organized rebellions against tsarist rule in 1830–1831 and 1863. The official de-polonization campaign ultimately gave way to a broader effort to enhance the status of the Russian language and the Orthodox Church on the empire’s western frontier and to police the cultural expression of the borderlands’ Poles, Jews, Estonians, Latvians, Lithuanians, Belarusians, and Ukrainians—an effort that some have described as “russification.” 3 Imperial attempts to manage the diverse population of the borderlands are generally viewed from the vantage point of St. Petersburg—a perspective that foregrounds the imperial authorities’ centralizing and standardizing ambitions and their attempts to discipline the non-Russian cultures of the imperial periphery. The case of the Shul’gin-Pikhno family, however, suggests that the dynamics of “russification” on the ground were substantially more complex. The family patriarch, Vitalii Iakovlevich Shul’gin, self-identified as “Little Russian”—a term then commonly used to describe the Ukrainian-speaking population of the southwest. Although Shul’gin acknowledged the distinctiveness of Little Russian culture from that of the Great Russian center, he insisted that the former could nevertheless serve as a powerful weapon in the officially-sponsored campaign to undermine Polish-Catholic civilization in the western borderlands and to unify the East Slavs. Shul’gin managed to establish himself as mass media pioneer and to cultivate a cooperative relationship with local officials. Both accomplishments ultimately permitted this provincial activist who lacked an official bureaucratic position to become an influential political figure in a contested and strategically sensitive zone. If Vitalii Shul’gin sought to marshal Little Russian culture in defense of the empire, his successors viewed local traditions as a foundation on which a Russian (by which

2 On the analytic potential of imperial biographies, see Malte Rolf: Einführung: Imperiale Bio­gra­ phien. Lebenswege imperialer Akteure in Groß- und Kolonialreichen (1850–1918). In: Geschichte und Gesellschaft 40 (2014), pp. 1–16. 3 On state ambitions in the region: Weeks, Nation and State (see footnote 1); Witold Rodkiewicz: Russian Nationality Policy in the Western Provinces of the Empire, 1863–1905. Lublin 1998; Malte Rolf: Imperiale Herrschaft im Weichselland: Das Königreich Polen im Russischen Imperium (1864–1914). Munich 2014; Alexei Miller: The Ukrainian Question: The Russian Empire and Nationalism in the Nineteenth Century. New York 2003; Darius Staliunas: Making Russians: Meaning and Practice of Russification in Lithuania and Belarus after 1863. New York 2007.

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they meant East Slavic) nation-state could be built.4 In the late nineteenth and early twentieth centuries, Shul’gin’s protégé, Dmitrii Ivanovich Pikhno (who would go on to marry his mentor’s widow), and son, Vasilii Vital’evich Shul’gin, presided over the emergence of a powerful, mass-oriented Russian nationalist movement in the southwestern borderlands. This movement ultimately became the dominant force in local politics and expanded its influence across the empire; the militant and well-organized Russian nationalism that flourished in the Russian empire in its last years owed much to activists who hailed from Kiev and its outskirts. The story of the Shul’gin-Pikhno clan demonstrates how much one family could shape politics, identities, and ideas across the tsar’s vast domains, in spite of the persistence of the autocracy. It also sheds new light on the life cycles of the empire. It reveals the allure of the imperial idea, showing how upwardly mobile individuals came to identify their own life experiences with the political structures and cultures of the state. It highlights the efforts of the family and its associates to strengthen the tsarist system through their creative attempts to reconcile the interests of the bureaucracy and society, the borderlands and the heartland, the autocracy and mass politics. However, the story of the Shul’gin-Pikhno clan also lays bare the fatal weaknesses of the old regime. As we shall see, the family’s activities unwittingly created conflicts that tested the bonds of kinship, the unity of the movement that it spearheaded, and the integrity of the empire at large.

Little Russian Culture, the Imperial State, and the Career of Vitalii Iakovlevich Shul’gin The story of Russian imperial expansion is embedded in the very genealogy of the Shul’gin family. The Shul’gins traced their origins to the military elite of the Cossack Hetmanate—a polity of Orthodox warriors founded on the left bank (east side) of the Dnieper River in the seventeenth century.5 By the eighteenth century, the Hetmanate had been absorbed by the Russian empire, and its elites were ennobled, constituting a distinctive “Little Russian gentry.” The Little Russian nobles of the late eighteenth and early nineteenth centuries no longer enjoyed the political autonomy of their fore4 Many scholars have argued that the Little Russian identity, which celebrated the peculiarities of local culture while remaining loyal to the empire at large, had become untenable by the mid-nineteenth century. For example, Olga Andriewsky: The Russian-Ukrainian Discourse and the Failure of the ‘Little Russian Solution,’ 1782–1917. In: Andreas Kappeler and Zenon E. Kohut (Eds.): Culture, Nation, and Identity: The Ukrainian-Russian Encounter (1600–1945). Edmonton 2003, pp. 182–214. By contrast, my analysis reveals that the Little Russian identity survived well into the twentieth century, contributing to the articulation of a modern Russian national project. 5 Oleksander Ohloblyn: Predky Oleksandra Iakovycha Shul’hyna. In: Volodymyr Ianev (Ed.): Zbir­nyk na poshanu Oleksandra Shul’hyna. Paris 1969, pp. 67–70.



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fathers. They did, however, maintain their ancestors’ unique cultural traditions and historical memory. They thought of the Ukrainian lands as the cradle of East Slavic civilization, their Cossack ancestors as the direct descendants of the Rus’ princes, and they celebrated the role that their forebears had played in defending all Orthodox believers from alleged incursions by the Polish-Catholics and Jews who also resided in their homeland.6 Henceforth, I will call this constellation of beliefs that drove the political and cultural activities of the left-bank gentry the Little Russian idea.7 In the wake of the Polish revolt of 1830–1831, many Little Russian nobles from the left bank moved across the Dnieper River to settle in Kiev, the administrative center of the Russian empire’s southwestern borderlands. Although Kiev had been incorporated into the Russian empire in the late seventeenth century, the rural lands that stretched west of the city to the Austrian border had been claimed by the tsar only as a result of the partitions of Poland in the late eighteenth century. Dominated socially, politically, and culturally by the szlachta, the region became a major focus of imperial efforts to diminish Polish influences and to reimagine it as a “primordially Orthodox” locale.8 What instigated the mass migration of left bank nobles to the right bank? Although Little Russian nobles lamented imperial infringements on the rights that their ancestors had enjoyed, many sympathized with the official de-polonization campaign, which purported to defend the Orthodox believers of the right bank from “foreign” threats. Indeed, Little Russian notables played a crucial role in imperial efforts to claim the right bank. M. A. Maksimovich, a Poltava noble, accepted a position as the first rector of Kiev’s newly founded university; already acclaimed for his collection of Little Russian folk songs, he used his official capacity to encourage research on regional folk traditions that supposedly pre-dated Polish rule. In 1840, he launched Kiev­ lianin, an historical almanac that chronicled the efforts of local Orthodox leaders and Cossacks to preserve the values and faith of the Kievan princes over the centuries.9 Maksimovich was a founding member of the Kiev Commission for the Analysis of Historical Documents, convened by the Governor-General of the southwestern borderlands in 1843. Directed to consolidate church registers and court documents under the imperial state in order to prevent Poles from claiming historical privileges, the Commission provided an official forum in which Little Russian patriots could continue their local historical and ethnographic research. Uniting elite clergy, bureaucrats, and left-bank notables with younger and more radical local patriots 6 The classic formulation of this worldview is the “Istoriia Rusov”, widely circulated among the Little Russian gentry in the early nineteenth century and published as: Istoriia rusov, ili Maloi Rossii. Moscow 1846. For more on the political activities and historical memory of the left-bank gentry, see Serhii Plokhy: The Cossack Myth: History and Nationhood in the Age of Empires. New York 2012. 7 For a fuller elaboration of this ideology, see Faith Hillis: Children of Rus’: Right-Bank Ukraine and the Invention of a Russian Nation. Ithaca 2013, pp. 30–35. 8 Hillis, Children of Rus’ (see footnote 7), pp. 35–39. 9 See M. A. Maksimovich: Kievlianin. Kiev 1840.

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such as T. G. Shevchenko, P. A. Kulish, and N. I. Kostomarov, the Commission published Ukrainian-language Cossack chronicles and historical accounts that bemoaned the supposed exploitation of the right-bank’s Orthodox peasantry by Poles and Jews.10 In the southwest, at least, the Russification campaign was not merely an imposition of the imperial center; it was also shaped by local activists who viewed it as an opportunity to promote the culture of the Ukrainian peasant masses. A mid-ranking bureaucrat named Iakov Shul’gin was among the Little Russian nobles who resettled in Kiev and joined the de-polonization campaign in the 1830s. Little is known about Shul’gin’s bureaucratic career or family life, other than that he had two sons. Both came of age in the semi-official Little Russian milieu that flourished in post-revolt Kiev. One, Nikolai, married the daughter of a Ukrainian-language author and followed in his father’s footsteps, finding employment in the governorgeneral’s chancery.11 Another, Vitalii (1822–1878), found his calling in the world of ideas. Reserved and hunchbacked, he had struggled to navigate the social obligations of the urban beau monde in his youth; once he enrolled in the history department of Kiev University, however, he discovered his talents as a writer and researcher. After earning his degree, he served as inspector of the Kiev gymnasium for noble girls and a part-time lecturer in history at the university. Aggravated by the Polish student protests that regularly shuttered establishments of higher education, he soon became an active member of the city’s local history groups (including the Kiev Commission) and gained a reputation as an eloquent supporter of the “Orthodox cause.”12 By the early 1860s, it became clear that the collaborative efforts of imperial officials and Little Russian elites to undermine Polish claims on the southwest had not entirely succeeded, and that a second Polish insurrection was imminent. Impatient with the slow pace of de-polonization, a new generation of youth initiated more radical efforts to promote the interests of the Orthodox masses [narod] and to diminish the influence of the borderlands’ non-Orthodox populations. M. P. Dragomanov, an impoverished left-bank noble and Kiev University student, and Iakov Shul’gin (1851– 1911), Vitalii’s nephew, organized Ukrainian-language Sunday schools. Both men also joined the Kiev Hromada, a group that sought to raise awareness of the value of local folk culture, to enlighten the peasant masses, and to “liberate” orthodox believers from the feudal yoke supposedly imposed on them by the szlachta.13 10 On the activities and membership of the Commission, see: O. I. Levitskii: Piatidesiatiletie Kievskoi Kommissii dlia razbora drevnikh aktov, 1843–1893. Istoricheskaia zapiska o eia deiatel’nosti. Kiev 1893. On Ukrainian-language chronicles, consult O. I. Levitskii (Ed.): Pamiatniki, izdannye vremennoiu kommisieiu dlia razbora drevnikh aktov. Kiev 1898. 11 V. Sherbyna: Pamiaty Iakova Shul’hyna. In: Zapysky Ukrains’koho Naukovoho Tovarystva v Kyivi 9 (1912), p. 11. 12 “Vitalii Iakovlevich Shul’gin.” In: Kievlianin. Kiev 1880. 13 M. P. Dragomanov: Avtobiograficheskaia zametka. In: Literaturno-publitsystychni pratsi. Kiev 1970. Vol, 1, pp. 43–46; Ihnat Zhytets’kyi: Kyivs’ka Hromada za 60-tykh rokiv. In: Ukraina 1 (1928), pp. 91–125.



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The second Polish revolt, which began in 1863, outraged Kiev’s large and influential Little Russian intelligentsia. Interestingly enough, the empire’s political crisis coincided with a series of unsettling developments in Vitalii Shul’gin’s personal life. In the spring of 1863, in the midst of the insurrection, Kiev University refused to hire Shul’gin on a full-time basis, a decision that the historian attributed to the ongoing political influence of Poles at the top levels of the institution. Around the same time, an infectious disease swept through his family, claiming the lives of his brother, sister-in-law, and parents. Left to care for his orphaned nieces and nephews—including Iakov, the Hromada member—Shul’gin fell into a deep depression and became incapacitated by migraine attacks that paralyzed him for days at a time.14 By late 1863, Shul’gin began to emerge from his depression. As he recovered, he more clearly than ever connected his life experience to the fate of the empire at large. Shul’gin presented his own suffering as part and parcel of the misfortunes that had befallen the entire Little Russian people, whom he saw as victims of “the triple yoke of Catholic clergy, Poles (landlords, rentiers, and estate managers) and Jews.”15 This realization led him to believe that the Orthodox believers of the right bank needed a force that could unify them in support of the imperial state and mobilize them against their putative oppressors. Enlisting the help of fellow Kiev Commission members as well as radical young Hromada activists such as Dragomanov, Shul’gin established Kiev’s first daily newspaper, Kievlianin, in June 1864. He secured an official subsidy for the organ shortly thereafter. “Our region isn’t the Kingdom of Poland and it isn’t even Lithuania,” thundered the paper’s first issue. “Our region is Russian, Russian, Russian.”16 Yet Shul’gin’s insistence on the “Russianness” of the southwest did not mean that he was a Great Russian chauvinist or a proponent of administrative centralization, as some have claimed.17 Rather, Kievlianin—whose debt to Maksimovich’s earlier publication of the same name was substantial—continued to celebrate Little Russian folk culture, which it presented as the purest manifestation of East Slavic traditions. Described by Dragomanov himself as “radically democratic” in spirit, the paper overtly praised the Hromada’s cultural and political activities and its efforts to defend the welfare of the

14 Vitalii Iakovlevich Shul’gin (see footnote 12), pp. 8–11; “Shul’gin, Vitalii Iakovlevich.” In: V. S. Ikonnikov (Ed.): Biograficheskii slovar’ professor i prepodavatelei imperatorskogo universiteta Sv. Vla­dimira (1834–1884). Kiev 1884, p. 770. I have been able to locate very few sources that speak to the family’s private life or to the ideas and activities of the Shul’gin women. 15 The quote is from V. Ia. Shul’gin: Iugo-zapadnyi krai pod upravleniem D. G. Bibikova. In: Drevnaia i novaia Rossiia 6 (1879), p. 89, which is a reprint of an 1864 essay. 16 “Ob’’iavlenie.” In: Kievlianin, 1 July 1864, p. 1. 17 For claims of Kievlianin’s “reactionary” character, see John D. Klier: Kievlianin and the Jews: A Decade of Disillusionment, 1864–1873. In: Harvard Ukrainian Studies 5, No.1 (1981), pp. 83–101; Iuliia Polovynchak: Hazeta “Kievlianin” i Ukrainstvo: Dosvid natsional’noi samoidentyfikatsii. Kiev 2008.

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toiling masses.18 Railing against “illegal encroachments” by Polish nobles and Jewish capitalists on peasant communities, it demanded that the government promote the welfare and enhance the political power of local Orthodox believers.19 Kievlianin, which would remain the most widely read periodical in the southwestern borderlands until the 1917 revolution, was more than a private intellectual outlet for Shul’gin. It quickly became the centerpiece of a lively public sphere uniting other self-professed Little Russians who shared the editor’s background as well as his respect for local culture and imperial authority. The Little Russian activists who surrounded Shul’gin and his newspaper sought to introduce their ideas in other settings as well. Populist papers promoting the Little Russian idea proliferated across the southwest, some openly crediting Kievlianin as their inspiration.20 Kiev-based Little Russian activists drew up blueprints for a monument to the seventeenth-century Cossack leader Bohdan Khmelnytsky, which celebrated the brotherhood between the Great Russian and Little Russian people as well as the victory of both over their Polish and Jewish “enemies.”21 Shul’gin, Maksimovich, Dragomanov, and other Little Russian intellectuals participated in ethnographic research projects organized by the Imperial Geographic Society that delineated the features and cultures of the Little Russian people; on the heels of this effort, they convinced the authorities to allow them to open a Kiev branch of the Geographic Society in 1872.22 Like Kievlianin, each of these ventures presented the empire as the guardian of local culture, insisted on the unbreakable unity of the East Slavs, and denounced the region’s non-Orthodox residents as interlopers. By the early ‘70s, however, internecine conflicts had begun to emerge within Kiev’s powerful Little Russian lobby. Many of these disputes centered on the legacy of the edict issued by Minister of Interior P. A. Valuev in 1863, which banned the distribution of mass-oriented publications in the Ukrainian language. (Unlike many imperial officials, who eagerly cooperated with the Little Russian lobby, Valuev feared that Polish nationalists might use Little Russian activism for their own purposes.)23 In 18 Dragomanov, Avtobiograficheskaia zametka (see footnote 13), p. 47; “Zapiski ob universitetskoi zhizhi (1860–64).” In: Kievlianin, 13 August 1864 and 25 August 1864, p. 1. 19 For example, Ob’’iavlenie (see footnote 16), p. 1; “Narod i narodnye shkoly.” In: Kievlianin, 4 August 1864, p. 4; “Kiev.” In: Kievlianin, 1 August 1864, p. 1; Zhdat’ ili iskazhat’?” In: Kievlianin, 8 April 1871, pp. 1–2; Kievlianin, 9 January 1875, p. 1. 20 These titles included Drug naroda and Trud. Hillis, Children of Rus’ (see footnote 7), p. 81, p. 100. 21 On these developments, see Faith Hillis: Ukrainophile Activism and Imperial Governance in Russia’s Southwestern Borderlands. In: Kritika 13, No.2 (2012), pp. 303–328. On officials’ relationship with southwestern activists, see also Miller, Ukrainian Question (see footnote 3), pp. 61–246. 22 Research on the southwest resulted in: P. P. Chubinskii (Ed.): Trudy etnografichesko-statisticheskoi ekspeditsii v Zapadno-Russkii krai. 6 vols. St. Petersburg 1872–1876. On the founding of the Kiev branch of the Geographic Society, see Fedir Savchenko: Zaborona ukrainstva 1876 r. Munich 1970, pp. 14–17. 23 David Saunders: Russia and Ukraine under Alexander II: The Valuev Edict of 1863. In: The International History Review 17, No.1 (1995), pp. 23–50.



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1873, the younger generation of Little Russian activists, including Dragomanov, publicly denounced Vitalii Shul’gin for having passively accepted Valuev’s limitations.24 Meanwhile, Dragomanov and his young associates challenged Shul’gin’s dominance in the cultural institutions of the Little Russian lobby, excluding the senior scholar from the census that the Kiev branch of the Geographic Society carried out in 1874.25 Outraged at these slights, Shul’gin initiated a campaign against those who had wronged him. In an 1874 editorial in Kievlianin, Shul’gin accused the Geographic Society of promoting a threatening brand of Ukrainian national separatism instead of the salutary Little Russian patriotism that had for so long defended the empire on its embattled western frontier.26 A fellow elder founder of the Society, who had also been demoted in its ranks, took Shul’gin’s allegations even further, claiming before the imperial authorities that the group served Polish revanchist interests and hoped to see Ukraine secede from the empire and join a free Poland.27 The St. Petersburg authorities, who had relied so heavily on Little Russian activists to claim the southwest for the empire, took these allegations very seriously, convening a commission on the “Ukrainophile” threat. Having reviewed the Commission’s final report, Tsar Alexander II issued the Ems Decree, which disbanded the southwestern branch of the Geographic Society, removed Dragomanov from his position at Kiev University and placed new limits on the public use of Ukrainian.28 Choosing to live in European exile for the rest of his life, Dragomanov would begin to formulate an alternative to the Little Russian idea: a vision that presented local folk culture not as the purest expression of East Slavic values, but rather, as the foundation of a distinct Ukrainian national culture. Dragomanov’s vision of a Ukrainian nation would win the support of some who had once supported the Little Russian lobby—including Vitalii Shul’gin’s nephew Iakov, who, in the wake of the scandal within the Geographic Society, disowned the uncle who had raised him. Iakov Shul’gin followed Dragomanov into exile in 1876 and donated his inheritance to the scholar; by the turn of the century, he would resettle in Odessa and join that city’s Hromada, which by then called for Ukrainian national autonomy.29 Vitalii Shul’gin had helped to define a political program that effectively reconciled local traditions with imperial rule and cultivated a provincial intelligentsia that 24 M. P. Drahomanov: Antrakt z istorii Ukrainofil’stva (1863–1872). In: M. P. Drahomanov (Ed.): Vybrane. Kiev 1991, pp. 204–233; Dragomanov, Avtobiografiia (see footnote 13), p. 59. 25 F. Volkov: P. P. Chubinskii. In: Ukrainskaia zhizn’ 1 (1914), p. 47; Miller, Ukrainian Question (see foot­note 3), pp. 162–163. 26 Kievlianin, 3 October 1874, p. 1. 27 “O tak nazyvaemym ukrainofil’skom dvizhenii,” c. 1875, Tsentral’nyi Derzhavnyi Istorychnyi Arkhiv Ukrainy, m. Kyiv (hereafter TsDIAUK), KMF-22, op. 1, d. 21. 28 The findings of the commission are contained in Rossiiskii Gosudarstvennyi Istoricheskii Arkhiv (hereafter RGIA), f. 1282, op. 1, d. 374. 29 M. Hrushevs’kyi (Ed.): Z pochyniv ukrains’koho sotsiialistychnoho rukhu. Mykh. Drahomanov i zhenevs’kyi sotsiialistychnyi hrutok. Vienna 1922, p. 53.

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was loyal to the empire. In the end, however, Shul’gin’s provocation of a crisis within the Geographic Society had not only produced a schism between Little Russian activists who remained loyal to the imperial state and a new group who embraced a Ukrainian nationalist and separatist program; it also created a division within his own family that would last for generations. The discord that rocked Shul’gin’s professional networks and family late in his life foreshadowed the ways in which his ideas would unwittingly destabilize the empire that he hoped to save.

D. I. Pikhno, the Little Russian Idea, and Mass Politics By the time that Ukrainian nationalists began to distinguish themselves from the Little Russian lobby, Vitalii Shul’gin lay on his deathbed. It would fall to Dmitrii Ivanovich Pikhno (1853–1913)—a professor of economics at Kiev University and the man to whom Shul’gin turned over control of Kievlianin in 1878—to determine the future of the newspaper and the Little Russian idea. The succession was overshadowed by controversies: Pikhno quickly married Shul’gin’s widow Mariia, and was rumored to be the father of Vasilii, the infant to whom Mariia had given birth just before her late husband’s death. Following Mariia’s death several years later, Pikhno eloped with his own step-daughter (Vitalii Shul’gin’s biological daughter)—a union that Ober Procurator K. P. Pobedonostsev himself later intervened to annul.30 Although these scandals impugned Pikhno’s reputation, the influence of Kievlianin continued to grow under his direction. The paper became not only the premier media outlet in the southwest but also an influential voice in imperial politics whose circulation would surpass five million by the early twentieth century.31 If Vitalii Shul’gin regarded himself as the defender of the Little Russian peasantry, Pikhno could claim to be a man of the people himself. The son of a poor petty trader from the right bank and a pupil at one of the earliest schools run by Hromada activists, Pikhno was open about and proud of his humble beginnings.32 He was determined to lift his Little Russian comrades out of poverty and suffering, but he insisted that the capitalist take-off then transforming the southwest complicated rather than facilitated this task. In his academic publications, Pikhno traced how the state’s economic

30 Sidney Harcave (Ed.): The Memoirs of Count Witte. Armonk 1990, pp. 82–83. 31 “Spisok povremennym izdaniiam, vypushchennye v svet v g. Kieve v 1906 g.”, TsDIAUK, f. 295, op. 1, d. 139, l. 3. 32 O. Levits’kyi: “Storinka z zhyttia Volodymyra Antonovycha.” Instytut rukopysu, Natsional’na biblioteka Ukrainy im. V. I. Vernads’koho (hereafter IR NBUV) I. 8076; V. S. Ikonnikov (Ed.): Biogra­ fi­cheskii slovar’ professor i prepodavatelei imperatorskogo universiteta Sv. Vladimira (1834–1884). Kiev 1884, p. 553.



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policies had enriched bankers, sugar magnates, and railroad industrialists while forsaking the toiling masses.33 Translating his ideas to a lay audience in the pages of Kievlianin, Pikhno fused his critique of the capitalist system with Shul’gin’s earlier narratives of Little Russian suffering under “foreign exploitation.” But in contrast to Shul’gin, who had presented the feudal system allegedly supported by Polish landed interests as the primary threat to the welfare of the masses, Pikhno now denounced Jews engaged in the capitalist marketplace as the new oppressors of the narod—in his words, a “kulak nation that is strong by virtue of its unity, solidarity, single faith, beliefs, and views and has mastered the art of exploiting all non-Jews for more than ten decades.”34 Yet alongside these harsh denunciations of the “enemies” of the Little Russian people, the populist and liberationist rhetoric expressed in earlier manifestations of the Little Russian idea survived. Pikhno’s Kievlianin took a hard line against “Ukrainian separatists” such as Dragomanov, whom the paper excoriated as servants of “foreign” plots.35 Nevertheless, Kievlianin remained a reliable voice of Little Russian patriotism, praising the “unique features of the southern Russian people”—which it presented as the purest expression of East Slavic traditions and a source of inspiration for local peasants struggling to resist foreign incursions.36 Pikhno and his paper called for political reforms, including the introduction of zemstva in the southwest and new initiatives to expand peasants’ access to land, cheap credit, and education. However, he insisted that these reforms should be carried out in a “national” spirit that would benefit only the “native” residents of the region—and not the Poles and Jews who allegedly had exploited the East Slavs for centuries.37 Pikhno had begun to build a movement that was at once reformist, populist, anti-liberal, and nationalist on the foundations of Shul’gin’s efforts to marshal Little Russian culture in the service of the de-polonizing state. In the last years of the nineteenth century, the southwest’s industrialists, liberal intellectuals, and supporters of the Jewish, Polish, and Ukrainian national causes began to join together to contest the claims made by prominent Little Russian acti-

33 D. I. Pikhno: Kommercheskie operatsii Gosudarstvennogo Banka. Kiev 1876; D. I. Pikhno: O svobode mezhdunarodnoi torgovli i protektsionizme. Kiev 1889; D.I. Pikhno: Po povodu polemiki o deshevom khlebe. Kiev 1897. 34 The quote is from: “Evrei i trudiashchaiasia massa v nashem krae.” In: Kievlianin, 20 March 1881, p, 1. See also Kievlianin, 18 February 1883, p. 2; “Sakharnoe proizvodstvo i normirovka.” In: Kievlianin, 21 January 1894, p. 1; “Zasedanie sakharozavodchikov.” In: Kievlianin, 11 January 1894, p. 3. 35 “Narodnaia shkola na iuge rossii.” In: Kievlianin, 14 February 1881, p. 1; Andrei Ivanov, “Po povodu khokhlomanii.” In: Kievlianin, 20 March 1881, p. 2. 36 The quote is from N. Petrov: “O stepeni samobytnosti ukrainskoi literatury.” In: Kievlianin, 20 March 1881, p. 1. 37 For example, Kievlianin, 26 April 1881, p. 1; “Kredit i sel’skoe khoziastvo.” In: Kievlianin, 24 February 1883, p. 1; Kievlianin, 18 February 1883, p. 1; “Eshche raz o volostnykh sudakh.” In: Kievlianin, 27 April 1882, p. 1; “Obkhod novago zakona o evreiiakh.” In: Kievlianin, 5 May 1882, p. 1.

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vists. By 1905, this local coalition had become part of the all-imperial “Liberation Movement,” which spearheaded a revolution demanding basic civil rights for all imperial subjects. Amidst the political turmoil, Kievlianin became an important gathering place for the opponents of the Liberation Movement. The paper’s contributors, who continued to present themselves as the defenders of the narod, pressed for major political, social, and economic reforms. They insisted, however, that the equal rights platform endorsed by the liberationists would enslave the Orthodox masses; only anti-liberal reforms that undermined the privileges enjoyed by Poles, Jews, and other minorities, benefiting the East Slavs alone, could be considered legitimate.38 In the disputes between Kiev’s Little Russian activists and their liberationist opponents, defenses of local particularism and imperial patriotism were increasingly articulated in the language of Russian nationalism. Many Kievlianin contributors proclaimed themselves “true Russians”—a term that signaled their devotion to tsarist traditions, their opposition to the Liberation Movement, and their resistance to “foreign” influence.39 Indeed, the turmoil of the revolution seems to have expanded Kievlianin’s readership and profile dramatically. The newspaper’s archive contains hundreds of letters and cartoons sent to the paper’s editors by residents of the southwest, some of whom were barely literate.40 Many of these correspondents praised the paper for presiding over the creation of a vibrant, anti-liberal public sphere in the southwest; one woman who claimed that she had previously been apolitical celebrated the publication’s role in teaching her what it meant to be a “truly Russian citizen.”41 Readers of Kievlianin from many walks of life now entered the orbit of the Shul’gin-Pikhno family, coming to share the clan’s political views as well as its pride in defending the empire. However, the paper and its readers also deepened the divides that had emerged in southwestern society. Contributors to the organ defined themselves against a variety of others—Poles, Armenians, revolutionaries, and socialists—but they reserved special vitriol for Jews, whom they branded as both capitalist oppressors and dangerous revolutionaries bent on destroying the empire.42 During the three-day pogrom that ravaged Kiev in the aftermath of the October manifesto, rioters momentarily halted their violent acts to gather in front of Kievlianin’s headquarters. There, they waved portraits of the tsar, sang patriotic hymns, and cheered Pikhno prior to resu38 For more on the anti-liberal concept of liberation that developed in Kiev, see Hillis, Children of Rus’ (see footnote 7), pp. 146–169. 39 See, for example, D. I. Pikhno: V Osade: Politicheskie stat’i. Kiev 1905; Kievlianin, 25 November 1905, p. 4; Kievlianin, 26 November 1905, p. 4; Kievlianin, 27 November 1905, p. 3; “Iz pisem v redaktsiiu,” In: Kievlianin, 8 November 1905, p. 2. 40 Many of these letters are contained in TsDIAUK, f. 296, op. 1, d. 2 and d. 27. 41 Ol’ga Chubina to D. I. Pikhno, 20 December 1905, TsDIAUK, f. 296, op. 1, d. 27, l. 149. There are dozens of letters in this file that express similar sentiments. 42 For example, Kievlianin, 1 October 1905, p. 3; “Sborishche v universitete.” In: Kievlianin, 9 October 1905, p. 3.



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ming their attacks on Jewish homes and businesses.43 Far from distancing himself from the violence, Pikhno celebrated the pogrom as the rightful revenge of a people whose “national sensibility” had been insulted by “foreign” domination.44

Pikhno, Vasilii Shul’gin, and Russian Nationalism Pikhno’s role in mobilizing self-professed “true Russians” amidst the unrest of 1905 endowed him with more influence than ever. In the winter of 1905–1906, as elections to the newly convened imperial Duma approached, he now worked to maintain the unity of his followers. He began to hold mass meetings that attracted hundreds of city residents at a time; these meetings, which convened in the impoverished urban periphery as well as in the city center, ultimately evolved into a formal political coalition that agreed to support a common slate of “truly Russian” candidates.45 The anti-liberationist coalition that emerged from Kiev revealed Kievlianin’s intellectual influence: it railed against any equalization in the rights of minorities and denounced Ukrainian nationalists, even as it called for the democratization of politics, enhanced local self-governance, comprehensive land reform, and improved access to education and credit for Orthodox peasants.46 Pikhno’s stepson, Vasilii Vital’evich Shul’gin (1878–1976), played a key role in post-1905 efforts to advance the “truly Russian cause.” A recent graduate of Kiev University law school and a frequent contributor to Kievlianin, Vasilii took pride in his family’s political legacy, claiming to be the inheritor of the mission formulated by the dual father figures in his life—Vitalii Shul’gin and Dmitrii Pikhno. Yet Vasilii Shul’gin was not only devoted to the past; he was also a consummately modern man—a brilliant political strategist who understood how to mobilize the curious mixture of imperial loyalism and local patriotism that had defined the Little Russian idea of the nineteenth century in defense of a Russian nationalist project suited for the twentieth.47 The “truly Russian” bloc performed poorly in the elections to the first Duma, soundly defeated by a coalition of liberals and progressive Jewish, Polish, and Ukrainian parties, who elected a Kadet to the city’s Duma seat.48 In response to this setback, Kiev’s “truly Russian” activists redoubled their mobilizing efforts. Kievlianin contri43 Report of Police Chief Tsikhotskii to Civil Governor Savvich, 26 October 1905, TsDIAUK, f. 442, op. 855, d. 391, ch. 1, ll. 121-123ob. 44 Editorial of 19 October 1905, reprinted in Pikhno, V Osade (see footnote 39), pp. 48–49. 45 On one such meeting that attracted hundreds in late 1905, see Kievlianin, 2 January 1906, p. 4. 46 On party meetings and platforms, see Hillis, Children of Rus’ (see footnote 7), pp. 181–210. 47 On Vasilii Shul’gin’s self-styling: “Avtobiografiia Vasiliia Vitaliavicha Shul’gina,” 1932–1933, Hoover Archives [hereafter HA] Mariia Vrangel’ Collection, Box 19, Folder 37. On his early years, see D. O. Zaslavskii: Rytsar’ chernoi sotni: V. V. Shul’gin. Leningrad 1925. 48 “Izbiratel’naia kampaniia v Kieve.” In: Kievskaia zaria, 26 March 1906, p. 3.

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butors organized a network of “Russian nationalist” workers’ unions, women’s clubs, voluntary associations, and penny papers aimed at Kiev’s urban masses.49 Shul’gin and Pikhno convened the Kiev Club of Russian Nationalists, which boasted nearly a thousand members (ranging from gentry to clergy, urban intellectuals, workers, and women from all walks of life) within a few years of its founding.50 By the fall of 1906, Kiev’s “truly Russian” coalition had amassed 10,000 active supporters, a victory that encouraged its leaders to expand their sights beyond the city.51 Shul’gin and Pikhno organized all-regional conferences to unite their sympathizers and held voter mobilization drives across the southwestern borderlands.52 They forged close contacts with monks at Volyniia’s rural Pochaev monastery, who created extensive networks of antiliberationist unions and parties and published pamphlets imploring Little Russian peasants to save the empire from foreign domination.53 In the wake of these new mobilizing efforts, self-professed “Russian nationalist” activists began to secure electoral victories. In the elections to the second Duma, Kiev city chose as its representative an Orthodox bishop who had been a reliable supporter of the anti-liberationist coalition. The “truly Russian” movement performed well in Volyniia, too. Twelve of the 13 peasants, priests, and landowners elected by that province’s overwhelmingly rural voters declared themselves “true Russians”; the most prominent was V. V. Shul’gin, who had acquired a small estate there.54 The southwest’s Russian nationalists performed better still in the elections to the third Duma; 36 of the region’s 41 Duma representatives aligned themselves with the Russian nationalist cause.55 By 1907, right-bank Ukraine had become one of the most staun-

49 “Sobranie chlenov ‘kassy zhertv dolga.’” In: Kievlianin, 23 October 1906, p. 3; “Strakhovanie monarkhistov ot revoliutsionerov.” In: Zakon i Pravda, 11 October 1906, p. 3; “Zibrannia robitnikiv.” In: Rada, 25 September 1906, p. 3. 50 Sbornik kluba russkikh natsionalistov. Vol. 3. Kiev 1911, p. 59; Robert Edelman: Gentry Politics on the Eve of the Russian Revolution: The Nationalist Party, 1907–1917. New Brunswick 1980, p. 113. 51 The statistic is from: I. V. Omel’ianchuk: Chernosotennoe dvizhenie na territorii Ukrainy (1904– 1914 gg.). Kiev 2000, p. 63. 52 “Oblasnyi z’izd ‘russkykh’ vybortsiv pivdenno-zakhidnoho kraiu.” In: Rada, 22 November 1906, p. 3; “Oblastnoi s’’ezd Russkikh izbiratelei v Kieve.” In: Kievlianin, 21 November, 1906, p. 3. 53 Archbishop Vitalii: Chto ia pomniu o sebe. In: Archbishop Vitalii (Ed.): Motivy moey zhizni. Jordanville 1955, p. 180. See also N. D. Talberg: The Life’s Journey of Archbishop Vitaly. In: Pravo­slav­ naya Rus’ No.3 (1959), p. 4. 54 Information culled from M. M. Boiovich: Chleny Gosudarstvennoi Dumy. Portrety i biografii. 2-oi sozyv. 1907–1912 g. Moscow 1907. 55 Electoral manipulation played a role in these successes. Counter-reforms that enhanced the power of the empire’s wealthy (and mostly conservative) landowners were implemented in many parts of the borderlands in 1907. In some corners of the southwest, Russian nationalists successfully lobbied St. Petersburg to organize the electorate on a national basis, offering expanded electoral rights to Orthodox East Slavs from all walks of life and diminishing the power of Poles and Jews. (More will be said about this campaign below.) But it was precisely the growing influence exercised by nationalist activists that permitted them to promote this change in the first place.



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chly anti-liberationist and Russian nationalist regions in the entire Russian empire.56 “Truly Russian” activists across the southwest celebrated this accomplishment, claiming that “ancient Kiev” again had intervened to save Orthodoxy, East Slavic civilization, and the imperial state from “foreign” threats.57 Mass media, grassroots political agitation, and effective lobbying had allowed several generations of the Shul’gin family to reconcile imperial rule with local customs, and ultimately, to mobilize local residents behind a mass-oriented Russian nationalist movement created on the foundations of the Little Russian idea. Eventually, the Russian nationalism peddled by Dmitrii Pikhno and Vasilii Shul’gin itself began to create new forms of sociability, forging connections between priests, urban intellectuals, and rural peasants. Having established themselves as the dominant political force in the southwest by 1907, Pikhno and Shul’gin would increasingly turn their attention beyond the borderlands, hoping to spread the national ideas that had coalesced on the empire’s periphery to the rest of the empire.

Little Russian Patriotism, Russian Nationalism, and the Provincialization of the Center In the aftermath of their electoral victories in the southwest, Shul’gin and Pikhno focused their efforts on expanding the unique brand of Russian nationalism that had coalesced in the right bank across the empire. Because both men had by then assumed prominent positions in the imperial government—the former had become one of the Duma’s most flamboyant orators, while the latter was appointed to the State Council in 1906—they were well placed to do so. Pikhno and Shul’gin used their influence to spur the creation of new Russian nationalist lobbying organizations. In 1909 they helped to found a formal political party, the All-Russian National Union. The party’s agenda was informed by the curious mixture of populism, imperial loyalism, and anti-liberalism that had guided the Little Russian lobby since the days of Vitalii Shul’gin. Demanding progressive reforms that would benefit the Orthodox East Slavs—including a national parliament elected by a broad franchise, enhanced local self-government, universal elementary education, 56 Data culled from 3-ii sozyv Gosudarstvennoi Dumy. Portrety. Biografii. Avtografii. St Petersburg 1910. Several decades ago, Robert Edelman noted the strength of the Russian nationalist movement in the southwest, but he described this party’s base as conservative nobles. See Edelman, Gentry Politics (see footnote 50). As I have argued here and elsewhere, the southwest’s Russian nationalist movement (and the party that later developed out of it) was directed by urban professionals and aimed at the masses; it was relatively late in the movement’s history—between 1906–1908—that a conservative noble contingent joined its ranks. 57 The quote is from: “Provody chlena Gosudarstvennoi Dumy ot Kieva, preosviashchennogo Pla­to­na, episkopa Chigirinskogo.” In: Kievskie eparkhial’nye vedomosti 7 (1907), p. 157.

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and increased support for workers and peasants—it also insisted that the influence of the empire’s non-Orthodox minorities must be reduced.58 Although the southwest remained the center of Russian nationalist agitation, the ideas that the region produced managed to attain all-imperial prominence. The Kiev Club of Russian Nationalists established several local chapters beyond the borderlands; within a year of its founding, the All-Russian National Union had become the second-largest party in the Duma and Prime Minister P. A. Stolypin’s main partner in government.59 As the lobbying organizations that they had built expanded their influence, Pikhno and Shul’gin launched a campaign to reorganize imperial governance structures on a national rather than an estate basis. In 1909, Pikhno sponsored a bill in the State Council that would limit the electoral power of Poles in the western borderlands.60 Meanwhile, Shul’gin called for the introduction of nationalized zemstva in nine western provinces, which would dramatically expand the franchise of Orthodox East Slavs while limiting the role that Poles and Jews could play in the institution.61 The Kiev Club of Russian Nationalists and the All-Russian National Union vociferously supported both measures, urging politicians as well as the general public to support the bills.62 Stolypin himself soon introduced an only slightly modified version of Shul’gin’s plans on the floor of the Duma, touting their potential to save the “Russian-Slavic” people and the empire they had created from the clutches of Jewish and “Polish-Latin” civilization.63 Dmitrii Pikhno and Vasilii Shul’gin fervently believed that they were continuing the family tradition of reconciling the interests of their native southwest region with that of the empire. Yet multiple critics representing a range of viewpoints suggested otherwise, insisting that their plans to nationalize the empire would encourage ethnic strife between the diverse residents of the borderlands, deprive whole segments of the population of fundamental political rights, and permit illiterate peasants to exercise political power that they were not yet prepared to handle.64 Although Stolypin agreed to some slight modifications to placate his critics, he continued to support the basic premises of the zemstvo bill first advocated by Shul’gin. The bill, which in final 58 “Proekt platformy, ob’’ediniaiushchei russkikh narodnykh natsionalistov,” (1911 pamphlet with no further publication information), pp. 1–4; “Russkaia natsional’naia fraktsiia.” In: Rossiia. 27 Oc­tober 1909, p. 1; “Otkrytie Vserossiiskogo natsional’nogo kluba.” In: Kievlianin, 3 December 1909, pp. 2–3. 59 Of the State Duma delegates who affiliated themselves with the National Union, 37 self-identified as Great Russians, 35 as Little Russians, and 15 as Belarusians. See Natsionalisty v 3-ei Gosudarstvennoi Dume. St. Petersburg 1912, p. 141. 60 “K voprosu ob izmenii zakona o vybore chlenov Gosudarstvennogo Soveta v Severo-Zapadnom krae.” In: Okrainy Rossii, 11 April 1909, pp. 209–211. 61 V. Shul’gin: Vybornoe zemstvo v Iugo-zapadnom krae. Kiev 1909. 62 Sbornik kluba russkikh natsionalistov. Vol. 1. Kiev 1909, pp. 55–57. 63 RGIA, f. 1276, op. 5, d. 73, ll. 774–775; 778–786. 64 E. S.: Istoricheskoe znachenie “Kievskogo Zapadno-Russkogo S’’ezda” 4, 5, i 6 oktiabria 1909 g. Kiev 1909; “Prozorlivtsy iz ‘Dziennik’a Kijowsk’ago [sic].” In: Kievlianin, 1 November 1909, p. 2.



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form established nationalized zemstva in six western provinces and set the economic thresholds that qualified Orthodox East Slavs to vote at half the level of other provinces, easily passed through the Duma. However, an unusual coalition that united Kadets, Polish deputies, and more traditional conservatives defeated the bill in the State Council.65 Kievlianin printed furious protests (many from members of the Kiev Club of Russian Nationalists and the All-Russian National Union) complaining that the bill’s defeat guaranteed that “Western Rus’” would become “Polish property.”66 Bowing to this ongoing pressure from his allies in the southwest, a week later, Stolypin promulgated the bill through extra-legislative means. The implementation of the western zemstvo reform was the Russian nationalists’ greatest success to date. Having built an all-imperial nationalist project on the basis of much older efforts to marshal Little Russian culture in defense of the empire, Pikhno and Shul’gin had provincialized the empire, projecting the concerns of the periphery onto the imperial body politic at large. However, this victory also laid bare the challenges that faced the two men. Opponents on the left as well as the right continued to complain that the southwest’s Russian nationalists destabilized the foundations of the empire rather than reinforced them. Meanwhile, tensions had begun to emerge within the nationalist movement, reducing Pikhno and Shul’gin’s influence within it. The most extreme nationalists (including the Pochaev monks) now claimed that the government and even Pikhno had not done enough to protect East Slavs from the racial threats supposedly posed by Poles and Jews.67 Peasants and workers, who had been an important constituency in the nationalist movement since 1905, expressed similar frustrations, challenging the mostly bourgeois, urban professionals who ran the Kiev Club of Russian Nationalists for control of the movement.68 The final challenge that faced Pikhno and Shul’gin harkened back to the family drama of the 1870s, when Iakov Shul’gin had disowned his uncle and reinterpreted the Little Russian idea in a Ukrainian nationalist vein. In the years after the 1905 revolution, Iakov’s son (and Vasilii Shul’gin’s cousin), who preferred to go by the Ukrainian version of his name, Oleksandr Shul’hyn (1889–1960), emerged as an eloquent spokesman for the Ukrainian nationalist project. Although the influence of Russian nationalism far overshadowed that of Ukrainian nationalism in the right bank, Oleksandr and his compatriots doggedly worked to promote the Ukrainian language and to create the political and cultural foundations on which a Ukrainian nation could eventually be built. Oleksandr thus continued the long family tradi65 Stenograficheskii otchet. Gosudarstvennyi sovet. Sessiia VI (St. Petersburg 1911), pp. 155–157, pp. 1998–1239. 66 Quote from Kievlianin, 8 March 1911, p. 2. See also Weeks, Nation and State (see footnote 1), pp. 139– 151. 67 For example, Dvuglavyi orel, 20 March 1911, p. 1; clipping from Volynskaia zemlia, 8 August 1912, in TsDIAUK, f. 442, op. 665, d. 101b, ch. III, l. 57. 68 On these tensions, see F. Postnyi to Chief of Kiev Okhrana, August 1911, TsDIAUK, f. 275, op. 1, d. 2534, l. 2; Savenko to Chernov, 20 July 1911, IR NBUV, f. 167, no. 99, 1ob-3.

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tion of highlighting the unique cultural traditions of the Ukrainian lands, while actively combating the claims of his cousin Vasilii that the right bank was “truly Russian” in spirit.69 A week after Stolypin implemented the western zemstvo bill, children playing in a working-class district of Kiev found the corpse of a young boy covered with multiple shallow wounds. The most radical segments of the southwest’s Russian nationalists immediately seized on this discovery, charging that murder had been perpetrated by Jews as part of a blood ritual. Although the local authorities initially expressed skepticism about these claims, they eventually relented in the face of vociferous protests by mobilized nationalists, who repeatedly threatened to incite a pogrom.70 By summer, the local authorities charged Mendel Beilis, a Jewish employee of an enterprise adjacent to the land where the boy’s body was found, with the murder.71 Pikhno and Shul’gin had served as the major theoreticians of a Russian nationalist movement whose members had justified attacks on Jews as acts of patriotic resistance. Now, however, they distanced themselves from the movement’s ever more radical and violent impulses, dismissing the blood ritual allegations as mere “legends.”72 Yet in spite of their interventions, the nationalist movement continued to spin out of control. The Pochaev monks and extremist Duma deputies declared Jews the “enemies of Russia and its state structure.”73 Peasants who aligned themselves with the nationalist movement gathered to denounce their Jewish neighbors.74 Radical Russian nationalist organizations rapidly proliferated in the southwest; many established their own publishing houses and trade schools and even organized strikes against Polish landlords and Jewish long-term leaseholders.75 By 1911, the ultra-nationalist Union of Russian People operated 117 chapters with more than 20,000 active members in Kiev province alone.76 In 1913, when the Beilis case finally went to trial, Vasilii Shul’gin again attempted to reclaim control of the nationalist movement. Having become the editor of Kievlia­ 69 On Oleksandr Shul’gin’s youth and political awakening, see Volodymyr Ianev: “Uryvky iz spohadiv Oleksandra Iakovycha Shul’hyna.” In: Ianev, Zbirnyk (see footnote 5), pp. 199–308. 70 Kiev Governor A. F. Girs to Governor-General F. F. Trepov, 31 March 1911, TsDIAUK, f. 442, op. 641, d. 2, ch. 1, ll. 180-180ob; Presentation of G. G. Chaplinskii to Kiev District Court, 16 April 1911, in TsDIAUK, f. 317, op. 1. d. 5482, l. 6ob. 71 Chaplinskii to Kiev district court, 16 April 1911, TsDIAUK, f. 317, op. 1. d. 5482, ll. 6–8. 72 See the clippings in Ibid., l. 9. 73 Quote is from Gosudarstvennaia duma. Stenograficheskie otchety. 1911 goda. Sessiia piataia chast’ 1. Zasedaniia 1-41. St Petersburg 1911, p. 27. On the monks, see “Pered Vyborami.” In: Rech’, 3 July 1912, TsDIAUK, f. 442, op. 665, d. 101b, ch. III, l. 46. 74 Petition of residents of Iablonovetskii district of Kiev province, RGIA, f. 786, op. 1, d. 1192, d. 26. 75 Office of Kiev Province Direction to Girs, 2 August 1911, TsDIAUK, f. 442, op. 861, d. 102, ll. 5-11ob; Memorandum of the Chief of the Kiev Province Gendarme Direction, 6 October 1911, in Ibid., l. 20; “S Kievshchiny,” clipping from Russkoe znamia, 2 August 1912, in Ibid., l. 119. 76 Undated letter of Metropolitan Flavian, TsDIAUK, f. 127, op. 789, d. 743, l. 2.



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nin following Pikhno’s July 1913 death, Shul’gin used the paper to denounce his fellow nationalists for promoting mass violence and persecuting an innocent man.77 Shul’gin explained that he was no defender of Jews, who he claimed had seized control of the “press, liberal professions, trade, and capital,” and had “Yiddified” Russian culture by replacing traditional Orthodox values with capitalist exploitation and revolutionary violence. As much as he deplored “Jewish psychology” and “Jewish ethics,” however, he insisted that implicating “Yids” in absurd medieval legends detracted from efforts to build a “healthy and sensible anti-Semitism” and to forge a Russian nation strong enough to resist alleged Jewish onslaughts.78 The ultimate acquittal of Beilis partially vindicated Shul’gin, but he became more isolated than ever in the trial’s aftermath. His one-time comrades denounced him as a crypto-Judeophile and a traitor to the narod; he even served time in prison for his critique of imperial officials’ conduct during the Beilis affair.79 In the months following the verdict, the Kiev Club of Russian Nationalists and the Nationalist Party were rent by crisis, as radical intellectuals, workers, and peasants defected from the organizations that Shul’gin had built.80 These dissidents began to create new political organizations and press organs that presented Jews as racial enemies of the East Slavic simple folk—adversaries whose deleterious influence could only be overcome by their complete exclusion from public life.81 On the eve of the First World War, Vasilii Shul’gin could no longer claim to control the nationalist movement that his family had helped to define.

The Shul’gin Family and the End of the Empire In spite of the high price that he paid for his public opposition to the prosecution of Beilis, the beginning of World War I renewed Shul’gin’s hopes that the Russian national project developing within the empire could still be saved. Like many Russian patriots, he volunteered for military service and was sent to the Eastern Front. Within several months, however, he was injured, which forced him to leave the war zone. Fol77 Kievlianin, 27 September 1913, p. 1. 78 “Antisemitizm.” In: Kievlianin, 15 October 1913, p. 2. 79 “Otkrytoe pis’mo redaktoru ‘Kievlianina’.” In: Dvuglavyi orel, 4 October 1913, p. 3; “Otkrytoe pis’mo redaktoru gazety ‘Kievlianin’ V. Shul’ginu.” In: Dvuglavyi orel, 5 October 1913, p. 2. “Prigovor po delu V. V. Shul’gin.” In: Kievskaia mysl’, 5 February 1914, p. 2. 80 “V klube russkikh natsionalistov. ” In: Kievlianin, 15 December 1913, p. 6; “V Klube russkikh natsionalistov,” In: Kievlianin, 19 December 1913, p. 4. 81 A. Tregubov to Flavian, 24 October 1913, RGIA, f. 796, op. 205, d. 739, l. 1; Dvuglavyi orel, 1 December 1913, p. 1. I. A. Sikorskii, the Kiev Club of Russian Nationalists member who conducted the autopsy on the body of the boy killed in Kiev, played an influential role in popularizing the language of scientific racism among the southwest’s Russian nationalists. For more on his views and influence, see Marina Mogil’ner: Homo imperii. Moscow 2008, pp. 237–278.

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lowing his recovery, he returned to St. Petersburg to continue his work in the Duma. However, he soon grew dismayed by the ineffective leadership that he believed had compromised the government’s war effort. In 1915, he joined the Progressive Bloc, a newly formed coalition of politicians from the left and the right that demanded key military and political reforms from the government.82 Vasilii Shul’gin, whose family had attempted to unify and strengthen the tsarist empire by mobilizing the Russian nation, had by 1915 become one of the most perceptive critics of the regime’s weaknesses. Appropriately enough, Shul’gin was present at the moment of the empire’s demise: he was one of the two Duma delegates dispatched to a railroad car on the Eastern Front to convince Tsar Nicholas II to abdicate the throne in February 1917. Ever the intellectual entrepreneur, Vasilii Shul’gin continued his efforts to build a Russian nation on the ruins of the old regime. He returned to Kiev in mid-1917 to organize Russian nationalist parties, which scored major victories in the city’s free and fair elections to the Constituent Assembly.83 In 1918, he joined the White Army and helped to organize its intelligence bureau. In this capacity, he and his associates continued to draw up plans for a post-war national order that would guarantee equality and prosperity for ordinary East Slavs—and minimize the influence of their putative national enemies.84 But Vasilii Shul’gin now faced competition not only from the liberals, anarchists, socialists, Zionists, and Bolsheviks vying for control of the Ukrainian lands, but also from his cousin, Oleksandr, who became a prominent politician in the independent Ukrainian state that emerged from the revolution. Much to Vasilii’s dismay, Oleksandr continued to insist that Ukraine was a separate nation that deserved independence from its larger neighbors. Although Oleksandr Shul’hyn primarily associated this nation with its ethnic Ukrainian majority, he also supported the rights of Poles, Jews, and other minorities to participate in its political life.85 Forced to flee the Bolshevik regime for European exile in the early ‘20s, the cousins would continue their polemics against each other for decades. Oleksandr, who settled first in Prague and later in Paris, continued to conduct research on Ukrainian history and remained active in attempts to restore Ukraine’s independence.86 After short stays in Bulgaria, Germany, and France, Vasilii Shul’gin settled in Bel82 On the collapse of the Nationalist Party and the participation of its more moderate members in the Progressive Bloc, see Edelman, Gentry Politics (see footnote 50), pp. 181–217. 83 Steven L. Guthier: The Popular Base of Ukrainian Nationalism in 1917. In: Slavic Review 38, No.1 (1979), p. 43. For more on Shul’gin’s views and activities in this period, see the journal Malaia Rus’, which he edited in 1918. 84 HA, Vrangel’ Collection, Box 29, folders 4, 14, 15, 18, 20. See also Peter Kenez: Civil War in South Russia, 1918–1919: The Defeat of the Whites. Berkeley 1977, pp. 65–71; Victor Bortnevskii: White Intelligence and Counter-Intelligence during the Civil War. In: The Carl Beck Papers 108 (1995). 85 Alexandre Choulguine: Les problèmes de l’Ukraine. Paris 1919. 86 Alexandre Choulguine: L’Ukraine contre Moscou, 1917. Paris 1935; Oleksandr Shul’hyn (Ed.): Cours d’histoire de l’Ukraine. Paris 1959.



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grade. Radicalized by the trauma of war and revolution, he now saw Bolshevism as a Jewish plot that endeavored to destroy the Slavic race. Increasingly, he looked to the fascist parties coalescing across the continent as the force best suited to deliver Russia from this threat.87 Although Shul’gin had become as ideologically extreme as the nationalist activists whom he had denounced in 1913, the traces of the Little Russian idea remained evident in his thinking. Indeed, on the occasion of Hitler’s annexation of Austria, Shul’gin insisted that the Cossacks of his beloved “Little Russia” had invented fascism in the seventeenth century, citing their efforts to unify the Orthodox East Slavs and to expel foreign elements from “truly Russian” land.88 The Little Russian idea and the anti-liberal, mass-oriented Russian nationalism to which it had given rise were creations of the tsarist old regime—and unwitting agents in its demise. But they also proved remarkably adaptable to the violent new world that took shape in the twentieth century. *** In the end, the story of the Shul’gin-Pikhno family might be read as a biography of the empire itself—a means of tracing its political trajectory over the long nineteenth century, ascertaining the causes of its collapse, and tracing its lasting influences after its implosion. The experience of the first several generations of the family reveals that the empire did not only rely on administrative centralization and brute force to consolidate its territorial acquisitions; it also effectively built consensus on the local level. Through the mid-nineteenth century, Vitalii Shul’gin and other residents of the southwest successfully managed to reconcile their local traditions with imperial rule—and even came to see the imperial state as the protector of regional customs. Although the regime’s efforts to centralize and standardize its governance practices intensified in the late nineteenth century, opportunities for individuals to reconcile local, national, and imperial interests—and even to shape the values and practices of St. Petersburg in consequential ways—did not disappear. Indeed, it was in the early twentieth century that the nationalist public sphere forged by Dmitrii Pikhno and Vasilii Shul’gin acquired its maximum influence and achieved its greatest successes. However, the story of the Pikhno-Shul’gin family also reveals the limits of innovation within the Russian empire. In the end, its attempts to unify the population of the southwest under the auspices of an East Slavic nation that supported the tsar unwittingly produced centrifugal forces that undermined imperial stability and created political and personal discord within the family. The demise of the empire proved catastrophic for the Russian as well as the Ukrainian branches of the clan, creating an irresolvable rift between the two sides and forcing both to flee their homeland. Alt87 On racial rhetoric: V. V. Shul’gin: Chto nam v nikh ne nravit’sia: ob antisemitizme v Rossii. Paris 1929. Peter Kenez characterizes Shul’gin’s views as “proto-fascist” as early as 1919. See Kenez, Civil War (see footnote 84), p. 66. On Shul’gin’s admiration for Mussolini, see O. V. Budnitskii (Ed.): Spor o Rossii. Moscow 2012, p. 211. 88 V. V. Shul’gin: Anshluss i my. Belgrade 1938.

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hough the simultaneous dissolution of the tsarist empire and the Shul’gin/Shul’hyn family marked an end to this story in many respects, it also created opportunities for new beginnings. Traveling with southwestern activists who fled the ruins of the old regime, the by-products of the Little Russian idea and the Russian national idea to which it gave rise would help shape a new era of extremism and ideological polarization in the interwar years.

Martin Müller-Butz

Von Russland nach Polen Zum Potential imperialer Erfahrung nach dem Zerfall der Imperien am Beispiel der Biographie von Aleksander Lednicki

Abb. 14: Aleksander Lednicki (1866–1934) mit französischen Abgeordneten anlässlich der Ehrung von Aristide Briand in Warschau 1932

Am 1. Juni 1916 – im zweiten Jahr des Ersten Weltkriegs – wandte sich das russische Innenministerium mit einem Schreiben an den Moskauer Anwalt Aleksander Lednicki. Darin betonte man Lednickis „Sachkenntnisse“ in polnischen Angelegenheiten und bat ihn, Informationen dazu dem Innenministerium „nicht vorzuenthalten“ 1. Aus dem Schreiben geht hervor, welch herausgehobene Stellung Lednicki im Russischen Zarenreich während des Ersten Weltkriegs sowohl in der russisch-imperialen Gesellschaft, als auch in polnischen Kreisen besaß. Jedoch deutet die Korrespondenz auch auf Schwierigkeiten der Zusammenarbeit zwischen Lednicki und der russischen 1 Archiwum Polskiej Akademii Nauk: Materiały Aleksandra Lednickiego [Materialien zu Aleksander Lednicki]. III–123, j. 18, Bl. 84.

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Autokratie hin. Bereits vor Ausbruch und in den ersten Jahren des Ersten Weltkriegs hatte sich dieser in der russischen Öffentlichkeit als Experte zur polnischen Frage – genauer: zur Frage der Autonomie der Gebiete der alten polnischen Adelsrepublik – einen Namen gemacht und mit Beiträgen, etwa in den liberalen russischsprachigen Zeitschriften Russkaja Mysl‘ und Novoe Vremja, wiederholt dazu Stellung genommen.2 Unter dem Eindruck des Krieges und einer zunehmend nationalistischen Politik der russischen Regierung stieg auch das Misstrauen der russischen Administration gegenüber führenden Personen nicht-russischer Minderheiten, wie das Schreiben zeigt.3 Die Nähe Lednickis zur russischen Politik und zur russischen Gesellschaft ist es schließlich auch, für die er in der wiedergegründeten Polnischen Republik nach 1918 immer wieder kritisiert wurde – der Vorwurf vonseiten führender Nationaldemokraten, Lednicki habe sich im russischen Zarenreich „entnationalisiert“, wurde wiederholt bis zu seinem Tod 1934 erhoben.4 Der Konflikt kulminierte schließlich in einem von 1920 bis 1926 geführten Rechtsstreit zwischen ihm und Zygmunt Wasilewski, als Lednicki versuchte, sich der Vorwürfe des Landesverrats zu erwehren.5 Sein Werdegang in der Zweiten Polnischen Republik wird in der Literatur gemeinhin als eine Geschichte der Entfremdung und des Scheiterns im polnischen Nationalstaat skizziert – Andrew K. Wise hat diese Annahme mit folgendem Titel seiner Studie zu Aleksander Lednicki zugespitzt: „A Pole among Russians, a Russian among Poles“.6 Jedoch hat sich keine der zu Lednicki entstandenen Arbeiten einer intensiven Betrachtung seiner gesellschaftlichen und beruflichen Tätigkeit sowie seiner Tätigkeit als Memoirenschreiber in der Zwischenkriegszeit gewidmet.7 2 Vgl. etwa Aleksander Lednicki: Mowy polityczne. Przed zwołaniem Dumy [Politische Reden. Vor der Einberufung der Duma]. Krakau 1906. Bereits 1921 veröffentlichte Lednicki eine Auswahl seiner Berichte und Zeitungsbeiträge zur polnischen Frage während des Krieges; vgl. Aleksander Lednicki: Z lat wojny: Artikuły, listy, przemówienia (1915–1918) [Aus den Kriegsjahren: Beiträge, Briefe, Ansprachen (1915–1918)]. Warschau 1921. 3 Vgl. dazu auch Eric Lohr: Russian Citizenship: From Empire to Soviet Union. Cambridge, Mass. 2012. S. 115–130. 4 Zygmunt Wasilewski (Hrsg.): Proces Lednickiego. Fragment z dziejów odbudowy Polski, 1915–1924 [Der Lednicki-Prozess. Fragment zur Geschichte des Wiederaufbaus Polens 1915–1924]. Warschau 1924. S. 4. 5 Ausführlich zum Prozessverlauf und dem Urteil vgl. die Urteilsbegründung des Gerichts ebd., S. 481– 500. 6 Wise führt als Begründung für das Scheitern der politischen Karriere Lednickis in der Zwischen­ kriegs­zeit dessen ideologischen Spagat an, mit denen er sowohl polnische Sozialisten als auch Nationalisten und konservative Politiker für seine Ideen einzunehmen versuchte. Vgl. Andrew K. Wise: Aleksander Lednicki: A Pole among Russians, a Russian among Poles. Polish-Russian Reconciliation in the Revolution of 1905. New York 2003. S. 197. 7 Bisher wurden – neben Memoiren und Streitschriften – zwei historiographische Portraits zu Alek­ sander Lednicki in der Zeit in Russland publiziert. Wise untersucht v.a. die Tätigkeit Lednickis in der Konstitutionell-Demokratischen Partei vor und während der russischen Revolution 1905–1907, während Zenowiusz Ponarskis zeitgleich entstandene Publikation eine Auseinandersetzung mit der ge-



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Eine Betrachtung des Lebenslaufs Lednickis, wie sie hier vorgenommen wird, will zur Klärung der generellen Frage beitragen, worin das Potential imperialer Biographien für den weiteren Lebensweg von Personen in den neu entstandenen Natio­ nalstaaten in der Zwischenkriegszeit bestand. Konkret bedeutet dies, zu untersuchen, inwiefern die imperiale Prägung nützlich oder aber auch ein Hindernis war, sich in die neu manifestierenden Verhältnisse nationalstaatlicher Ordnung einzufügen. Dabei sind soziale und berufliche Praktiken, aber auch die Arbeit an der eigenen Biographie in Ego-Dokumenten hinsichtlich ihrer Brüche und Kontinuitäten zu untersuchen – sei es etwa bei Kontakten und Bekanntschaften, Lebensstilen, Ideen und Konzepten politischer wie gesellschaftlicher Art oder bei beruflichen Tätigkeiten. Indem die Untersuchung von Biographien über die Epochenschwelle des Ersten Weltkriegs hinaus nach dem Umgang der Protagonisten mit dem Zusammenbruch der alten imperialen Ordnungen fragt, wird die Zäsurerfahrung von 1917/18 bei der Erforschung imperialer Biographien berücksichtigt. Am Beispiel der Biographie von Aleksander Lednicki nimmt der Beitrag somit die Integration von Personen mit imperialen Erfahrungen in die nationalstaatliche Gesellschaft der Zwischenkriegszeit in den Blick und stellt dabei Fragen nach der gesellschaftlichen Wahrnehmung und den Selbstbildern dieser Protagonisten. Die Untersuchung der Lebensgeschichte Lednickis kann zugleich Anstöße für eine weitere gruppenbiographische Beschäftigung mit imperialen Erfahrungen und ihrer (Be-)Deutung im postimperialen Zeitalter geben. Letztlich geht es hier ebenfalls um die Frage des Potentials eines solchen Ansatzes für die Imperiumsforschung. Inwiefern vermag diese Betrachtung, Schichten imperialen Selbstverständnisses in Biographien freizulegen, die sich nicht zuletzt aus dem Wegfall von Loyalitäten ergaben?

Imperiale Erfahrungen und ihre Bedeutung nach dem Ende der Imperien: Überlegungen zum Untersuchungsgegenstand Jüngere Forschungen zu Vielvölkerreichen und ihrem historischen Wandel haben, Einsichten der postcolonial studies aufgreifend, die Bedeutung der Wechselwirkungen von Kolonisierenden und Kolonisierten betont.8 Biographien imperialer Akteure stellen dabei einen wichtigen Zugang dar, um derartige Begegnungskontexte heraussamten Tätigkeit Lednickis in Russland bis zu dessen Ankunft in Polen 1919 darstellt. Vgl. Zenowiusz Ponarski: Wokół sprawy polskiej na Wschodzie [Zur polnischen Frage im Osten]. Toruń 2003. 8 Vgl. Malte Rolf: Imperiale Biographien. Lebenswege imperialer Akteure in Groß- und Kolonialreichen (1850–1918) – zur Einleitung. In: Malte Rolf (Hrsg.): Imperiale Biographien. Themenheft Geschichte und Gesellschaft 40. Heft 1 (2014). S. 1–16, hier S. 1.

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zuarbeiten.9 Für die Untersuchung imperialer Biographien sind einerseits imperiale und herrschaftliche Selbstzuschreibungen in Memoiren, Erinnerungen sowie in Korrespondenzen und Streitschriften wesentliche Komponenten. Andererseits gilt es, die Kontexte des Imperialen als strukturierende Merkmale imperialer Biographien zu begreifen und nach der Prägung imperialer Akteure durch diese zu fragen sowie den Beitrag der Akteure zur Gestaltung und zum Wandel von Imperien in den Fokus zu nehmen.10 Worin besteht jedoch der Mehrwert, imperial geprägte Biographien auf ihr Potential im postimperialen Zeitalter zu untersuchen? Nach dem Zerfall des Deutschen Reiches, des zarischen Russlands und der k.u.k. Monarchie formierten sich in Ostmitteleuropa ab 1918 Nationalstaaten, die sich mit einer multiimperialen Vergangenheit, verschiedensten institutionellen und gesellschaftlichen Strukturen der zerfallenen Imperien und nicht zuletzt mit multiethnischen Bevölkerungen konfrontiert sahen. Karen Barkey hat das Phänomen des imperialen Nachlasses dieser Staaten in dem Band After Empires folgendermaßen beschrieben: The collapse of an empire leaves several legacies for the political entities that develop in its aftermath. Among these are social and economic structures, state institutions of a certain nature and strength, a particular set of elites, demographics, and an overall political cultural legacy. Unless an empire is destroyed through revolution, much of its social structure is reproduced in the post-imperial context.11

In dieser Periode spielten insbesondere Funktionseliten der Reiche, also Personen mit technischer, administrativer und politischer Erfahrung, eine wichtige Rolle im Aufbau der jungen Staaten. Ihr vergangenes Engagement in den jeweiligen Reichsverwaltungen vor 1917/18 wurde von der Gesellschaft nur bedingt hinterfragt. So hält Andrzej Chwalba für die Zweite Polnische Republik fest: „[E]s war schwierig, sich die massenhafte Entlassung von polnischen Staatsbeamten, Richtern, Polizisten, Lehrern in einer Situation vorzustellen, als sich eine Republik formierte, die administratives Fachpersonal benötigte.“12 Will man nun imperial geprägte Biographien postimperial lesen, gilt es zu berücksichtigen, dass die Protagonisten – seien sie Gegner oder Verfechter des Imperiums, seien sie Repräsentanten sozialistischer oder der Nationalbewegungen – die Periode der Imperien seit der Jahrhundertwende als eine Zeit der Krisen wahrnahmen. Es waren nicht zuletzt die sich seit 1900 intensivierenden Konflikte, die bereits vor dem

9 Vgl. dazu auch Jürgen Osterhammel: Imperien. In: Gunilla-Friederike Budde [u.a.] (Hrsg.): Trans­ nationale Geschichte. Themen, Tendenzen und Theorien. Göttingen 2006. S. 56–67, hier S. 61f. 10 Vgl. Rolf, Imperiale Biographien (wie Anm. 8), S. 4. 11 Karen Barkey: Thinking about Consequences of Empire. In: Karen Barkey u. Mark von Hagen (Hrsg.): After Empire. Multiethnic Societies and Nation-building: The Soviet Union and the Russian, Ottoman, and Habsburg Empires. Boulder 1997. S. 99–114, hier S. 101. 12 Andrzej Chwalba: Polacy w służbie Moskali [Polen im Dienst der Moskali]. Warschau 1999. S. 244.



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Ersten Weltkrieg zum Nachdenken über alternative politische Konzepte jenseits von Autokratie und Imperium führten und Ideen von Nationalstaaten, der Föderationen oder Bundesstaaten diskursfähig machten. Veronika Wendland hat denn auch die intellektuellen Eliten und Institutionen sowie kaiserlich-königliche Gesellschaften als Übersetzer in die Zeit nach dem Zerfall der Imperien ausgemacht: An diesen Knotenpunkten wurden nicht nur imperiale Identitäten und Selbstverpflichtungen gegenüber universalen Werten wie wissenschaftlichem Ethos, medizinischem oder sozialem Fortschritt geprägt, sondern auch Ersatzforen – so im Russischen Reich für die fehlenden Parteien und Vereine – geschaffen und Konzepte verhandelt, die dann in die ideologische Ausstattung der späteren Nationsgesellschaften eingingen und oft verkannte Querverbindungen und Beziehungen dieser Gesellschaften untereinander begründeten.13

Am Beispiel Aleksander Lednickis gilt es, dem eben Skizzierten folgend, aufzuzeigen, inwiefern sich seine Biographie als eine imperiale lesen lässt, um anschließend zu fragen, inwieweit sich die makrohistorischen Überlegungen zu Imperien, ihrem Zerfall und Nachleben in den Nationalstaaten der Zwischenkriegszeit im Mikrokosmos eines individuellen Lebenslaufs widerspiegeln. Zuvor sollen kurz die hier verwendeten Quellen und die biographische Literatur zu Aleksander Lednicki vorgestellt werden. Ein Großteil der biographischen und autobiographischen Schriften zu Aleksander Lednicki besitzt nämlich einen postimperialen Entstehungskontext. Mehr noch: Viele Beiträge zu Lednicki und dessen autobiographische Schriften selbst tragen mitunter mehrere unterschiedliche Erfahrungsschichten des Ersten Weltkrieges, des Zerfalls des Zarenreichs, der Zwischenkriegszeit in Polen und – im Falle der Memoiren des Sohnes Wacław über den Vater – die eigene Erfahrung des Zweiten Weltkrieges sowie des Exils in den Vereinigten Staaten in sich. Hinzu kommt, dass aufgrund der Flucht Aleksanders und seiner Familie nach dem Ersten Weltkrieg aus Russland nach Polen sowie infolge der komplexen Migrationsgeschichte von Lednickis Kindern etliche zeitgenössische Dokumente verschollen sind bzw. die verbliebenen bis heute an verschiedensten Orten aufbewahrt werden.14 Als „die besten und meist auch die einzigen Wissensquellen“ dienen Zbigniew Koziński zufolge die Erinnerungen Wacławs, und selbst die aktuellsten wissenschaftlichen Beiträge von Zenowiusz Ponarski und Aleksander Wise stützen sich in großem Maße auf diese und andere Memoiren von Zeitgenossen Lednickis, ohne den Umstand 13 Anna Veronika Wendland: Am Rande der Imperien: Mychajlo Drahomanov und die Anfänge einer europäischen Verflechtungsgeschichte der Ukraine. In: Guido Hausmann u. Angela Rustemeyer (Hrsg.): Imperienvergleich. Beispiele und Ansätze aus osteuropäischer Perspektive. Wiesbaden 2009. S. 221–246, hier S. 223. 14 Materialien von und über Aleksander Lednicki liegen zu großen Teilen verstreut in den Archiven der Bibliothek der Jagiellonen-Universität in Krakau (BJ, Handschriftenabteilung,, Przyb. 65–84/88), der Akademie der Wissenschaften in Warschau (APAN, III–123), in Moskau sowie im Archiv des Polish Institute of Arts and Sciences in New York in den Vereinigten Staaten (PIASA, Aleksander Lednicki Papers, zp. 6).

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der verschiedenen zeitlichen und somit entstehungskontextuellen Schichten kritisch zu betrachten.15 Dieser Umstand soll im vorliegenden Beitrag jedoch berücksichtigt und reflektiert werden.

Anwalt, Politiker und russisch-polnischer Makler in der Romanov-Monarchie: Lednicki als Gestalter imperialen Wandels Der Lebensweg Lednickis bis 1914 steht in engem Zusammenhang mit den Krisen des russischen Imperiums und verdeutlicht die imperiale Prägung seiner Biographie.16 Am Vorabend des Ersten Weltkriegs genoss Aleksander Lednicki in autokratischen, vor allem aber in liberalen Kreisen der russischen Öffentlichkeit sowie in der russischen Polonia ein überaus hohes Ansehen. Zum einen lässt sich dies auf die Position Lednickis als Anwalt und Leiter einer der angesehensten Kanzleien Russlands mit Sitz in Moskau zurückführen. Ponarski schreibt: Lednicki baute schnell eine große Kanzlei auf, die Interessen, Prozesse und Streitigkeiten in ganz Russland vertrat. Ein großer Kreis von bekannten und unbekannten Personen: Magnaten, Großgrundbesitzer, Unternehmer und Händler betrauten ihn mit umfangreichen zivilrechtlichen Kampagnen. (…) Keiner der Anwälte in Russland besaß eine solch große Anwaltskanzlei.17

Zum anderen hatte sich Lednicki neben seiner beruflichen Tätigkeit einen Ruf als gesellschaftlich und politisch engagierter Akteur in der russischen Öffentlichkeit erarbeitet. Regelmäßig publizierte er in der liberalen Zeitung Russkaja Mysl‘18, von 1905 bis 1908 hatte er als Abgeordneter des Minsker Wahlkreises und als Mitglied der Konstitutionellen Demokraten der Duma angehört, jedoch ohne ein Mitglied der 15 Zbigniew Koziński: Aleksander Lednicki: Pamiętniki [Aleksander Lednicki: Memoiren]. In: Biuletyn Biblioteki Jagiellońskiej 1. Heft 2 (1991). S. 147–189, hier S. 148. Koziński referiert auf folgende Werke Wacław Lednickis: Wacław Lednicki: Aleksander Lednicki. Oszczerstwa i prawda [Verleumdung und Wahrheit]. In: Zeszyty Historyczne 73 (1962). S. 67–93; Wacław Lednicki: Pamiętniki [Erinnerungen]. 2 Bände. London 1962–1967; Wacław Lednicki: 20 lat w wolnej Polsce [20 Jahre im freien Polen]. London 1973. 16 Wege polnischer Eliten in die Herrschaftssphären des russischen Zarenreichs waren bei weitem nicht ungewöhnlich. Im 19. Jahrhundert gibt es eine Reihe von Beispielen für den Aufstieg von Polen in die Herrschaftsmilieus des Zaren. Vgl. bspw. die eindrucksvolle Beschreibung der Biographie Adam Czarnockis alias Zorian Dołęga-Chodakowski von Yvonne Kleinmann: Wissenschaft imperial – Wissenschaft national. Entwurf einer Geschichte der Ethnographie im Russländischen Reich. In: Hausmann, Imperienvergleich (wie Anm. 13), S. 77–103. 17 Ponarski, Wokół sprawy polskiej (wie Anm. 7), S. 16. 18 Lednicki hatte in den 1890er Jahren gar versucht, den Vorsitz der Zeitung zu übernehmen, war jedoch am Widerstand des russischen Innenministeriums gescheitert.



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von den Nationaldemokraten dominierten Gruppe polnischer Abgeordneter im Parlament, dem Koło Polskie, zu werden.19 Die revolutionären Ereignisse von 1905 sah Lednicki als Möglichkeit zur Veränderung der politischen Verhältnisse im Allgemeinen, sowie der russisch-polnischen Beziehungen im Besonderen, und organisierte in Moskau einen polnisch-russischen Kongress, zu dem neben russischen Teilnehmern auch polnische Nationaldemokraten wie Roman Dmowski und Zygmunt Balicki geladen waren.20 Zum Zeitpunkt des Kriegsausbruchs 1914 war er Mitglied des Zentralkomitees der Kadetten. Als Repräsentant der Polonia in Russland versuchte Lednicki zugleich, zwischen den politischen Kräften Kongresspolens und den russischen Liberalen zu vermitteln – seit 1896 stand er der Polnischen Wohltätigkeitsgesellschaft in Moskau vor, er begründete informelle wie formelle Zusammenkünfte von russischen Liberalen und unterschiedlichen Vertretern aus den polnischen Provinzen. Die polnischsprachige Zeitung Dziennik Petersburski unterstützte er finanziell.21 Aus diesem Abriss wird ersichtlich, dass Lednicki – wenngleich er kein Repräsentant der imperialen Staatsmacht war – als Beispiel einer multikulturellen, politisch und gesellschaftlich ausdifferenzierten und gut vernetzten Elite in Russland angeführt werden kann, die sowohl erweiterte Formen der gesellschaftlichen Partizipation einforderte und schuf, als auch die neuen Medien und Mechanismen spätimperialer Öffentlichkeit für die Bekanntmachung eigener politischer Anschauungen zu nutzen verstand. Der 1866 bei Minsk in eine polnische Landadeligenfamilie geborene Aleksander Lednicki erlebte eine Kindheit, die durch den frühen Tod seines Vaters 1870 geprägt war, infolge dessen anscheinend der vom Warschauer Positivismus inspirierte Großvater Franciszek Karczewski eine aktive Rolle in der Erziehung Lednickis einnahm.22 Desweiteren wurde Lednicki im Geiste romantisiertem Aufstandsdenkens erzogen – beide Elternteile hatten an dem Polnischen Aufstand 1863/1864 teilgenommen. Wichtig indes scheint ebenfalls die Tatsache, dass Lednicki in einer Umgebung aufwuchs, wie sie typisch für die östlichen Gebiete der alten polnischen Adelsrepublik schien. Dort unterlag zwar die traditionelle Rolle des polnischen vermögenden Landadels als lokale Verwaltungselite in den 1870er und 1880er Jahren einer vonseiten der russischen Obrigkeit forcierten Erosion. Dennoch behielt dieser seine herausragende Stellung als lokale Elite in der Region und prägte die lokale Öffentlichkeit etwa durch landwirtschaftliche Vereinigungen auch weiterhin.23 19 Vgl. Ponarski, Wokół sprawy polskiej (wie Anm. 7), S. 73. 20 Vgl. dazu ausführlicher Wojciech Bułat: Zjazd polsko-rosyjski w Moskwie 21–22 kwietnia 1905 r. [Der polnisch-russische Kongress in Moskau vom 21.–22. April 1905]. In: Studia z najnowszych dziejów powszechnych II (1962). S. 187–208, hier S. 191f. 21 Vgl. Ponarski, Wokół sprawy polskiej (wie Anm. 7), S. 26, S. 48. 22 Vgl. Wise, Aleksander Lednicki (wie Anm. 6), S. 10. 23 Vgl. Dariusz Szpoper: Sukcesorzy Wielkiego Księstwa. Myśl polityczna i działalność konserwatystów polskich na ziemiach litewsko-białoruskich w latach 1904–1939 [Nachfahren des Großen Fürstentums. Das politische Denken und die Tätigkeit polnischer Konservativer in den weißrussischlitauischen Gebieten 1904–1939]. Danzig 1999, S. 7f. Zur Russifizierungspolitik in den westlichen Ge-

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Nach seiner Schulzeit am russischen Gymnasium in Minsk begann Lednicki ab 1885 mit einem naturwissenschaftlichen Studium an der Moskauer Universität, um sich sogleich für einen Wechsel zum Jurastudium zu entscheiden. Wise betont, dass damalige Jurastudenten zwar das Rechtsstudium als „easy way to obtain a lucrative degree” betrachteten, dennoch sei Lednicki in dieser Entscheidung durch sein Interesse an gesellschaftlichem und politischem Engagement motiviert worden.24 Als Vorbilder des politischen Denkens Lednickis zu diesem Zeitpunkt benennt Wise den liberalen Rechtsanwalts Włodzimierz Spasowicz, Begründer der wichtigsten polnischen Zeitung im Zarenreich Kraj und den liberal-konservativen Publizisten Aleksander Świętochowski.25 Lednicki beendete sein Studium schließlich infolge der wiederholten Moskauer Studentenunruhen im November 1887 in Jaroslavl‘. Dass Lednicki nach der Schule den Weg nach Moskau ging, war besonders für Angehörige des polnischen Landadels in den westlichen Gouvernements zu dieser Zeit nicht ungewöhnlich. Man entschied sich für ein Studium an den Universitäten in Kiev, Charkov, Dorpat und Riga, etwas seltener in St. Petersburg und in Moskau. Räumlich waren diese Städte ähnlich erreichbar wie Warschau, die beruflichen Ausbildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten und vor allem die Chancen, Kontakte zu knüpfen, schienen jedoch außerhalb Kongresspolens größer zu sein – zumal die Kaiserliche Universität in Warschau einer rigiden Russifizierung des Lehrkorpus unterlag.26 Nach seinem Studium entschied sich Lednicki, dauerhaft in Moskau zu bleiben. Hier übernahm er nach dem Tod von Nikolaj Trostianskij dessen Anwaltskanzlei, die er im Folgenden weiter ausbaute.27 1888 heiratete er Maria Poczobutt-Odlanicka, Tochter einer russisch-polnischen Verbindung und orthodoxen Glaubens. Aus der Beziehung sollten zwei Kinder, der 1891 geborene Wacław und die 1893 geborene Maryla, hervorgehen. Als selbstständiger Jurist brachte es Lednicki in den folgenden Jahren zu einem beträchtlichen Vermögen von mehreren Millionen Rubel und war Besitzer zahlreicher Anwesen bei Smolensk, Minsk, in Moskau und in Warschau.28 Neben einer beeindruckenden juristischen Karriere als Anwalt mit eigener Kanzlei und russlandweiter Strahlkraft begann Lednicki in den 1890er Jahren damit, sowohl seine Position innerhalb der polnischen Gemeinschaft in Moskau zu stärken und Kontakte zu Parteien in Kongresspolen zu knüpfen, als auch sich zunehmend in russischen Kreisen politisch und publizistisch zu engagieren. So kam es, dass sich bieten Russlands vgl. Theodore R. Weeks: Russification: Word and Practise 1863–1914. In: Proceed­ings of the American Philosophical Society 148. Heft 4 (2004). S. 471–489, hier S. 474. 24 Wise, Aleksander Lednicki (wie Anm. 6), S. 15. 25 Vgl. Wise, Aleksander Lednicki (wie Anm. 6), S. 12. 26 Vgl. Artur Patek: Polska diaspora w Rosji do 1917 roku [Die polnische Diaspora in Russland bis 1917]. In: Adam Walaszek (Hrsg.): Polska diaspora [Die polnische Diaspora]. Krakau 2001. S. 275–292, hier S. 276. 27 Vgl. Ponarski, Wokół sprawy polskiej (wie Anm. 7), S. 15. 28 Vgl. Wise, Aleksander Lednicki (wie Anm. 6), S. 37.



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Lednicki bereits zur Jahrhundertwende geschickt in verschiedenen Milieus bewegte – als Anwalt und Mitglied der zemstvo-Bewegung sowie der von Petr Struve gegründeten Befreiungsbewegung stand er liberalen Personen wie Pavel Miljukov, Sergej Trubeckoj, Vladimir Nabokov oder dem sozialrevolutionären Aleksandr Kerenskij nahe29, und in Kongresspolen suchte er Kontakte zu nahezu allen wesentlichen politischen oppositionellen Strömungen, sei es zu Zygmunt Balicki und Roman Dmowski von den Nationaldemokraten, Vertretern der Polnischen Sozialistischen Partei (PPS) wie Wacław Sieroszewski oder mit liberal-konservativen Vertretern wie Stanisław Kempner, Rafał Radziwiłłowicz und Marian Zdziechowski.30 Darüber hinaus pflegte Lednicki intensive Beziehungen zu Vertretern der Petersburger Polonia und in den baltischen Provinzen wie Aleksander Babiański, Aleksander Więckowski, Tadeusz Wróblewski und Jan Jacyna. Vor der Revolution nahm Lednicki eine Brückenfunktion zwischen den russischen oppositionellen Liberalen und den führenden oppositionellen Kräften Kongresspolens – den Nationaldemokraten – ein. Beide Bewegungen befürworteten Reformen des politischen Systems und standen Vorstellungen eines revolutionären Umsturzes skeptisch gegenüber, programmatisch jedoch gab es nur wenige Schnittmengen.31 Bereits 1905 zeigte sich, dass ein Bruch zwischen beiden Lagern über die Frage der Autonomie Polens im russischen Imperium unvermeidlich war. Zu weiteren Spannungen kam es auch über den Status der ziemie zabrane – der alten östlichen Gebiete der frühneuzeitlichen Rzeczpospolita – und die Frage der Anerkennung der dort lebenden Nationalitäten, insbesondere der jüdischen.32 Nicht zuletzt deshalb und um sich in Kongresspolen stärker zu positionieren, gründete Lednicki gemeinsam mit liberalen, konservativen und einigen sozialistischen Kräften in Kongresspolen die Fortschrittlich-Demokratische Union (ZPD).33 Aufgrund der personellen Schwäche des ZPD blieb jedoch die Partei der Kadetten und die Moskauer Polonia Schwerpunkt des politischen und gesellschaftlichen Handelns Lednickis. Wegen seiner Unterschrift zum Vyborger Manifest wurde Lednicki 1908 aus dem Parlament ausgeschlossen und anschließend zu dreimonatiger Haft verurteilt. Dies machte ein weiteres parlamentarisches Engagement für ihn unmöglich und so blieb Lednicki bis zum Kriegsausbruch 1914 vor allem mit öffentlichkeitswirksamen Prozessen, mit publizistischen Kommentaren in der Presse und mit einem zunehmenden Engagement in den polnischen Kreisen sowie in intellektuellen Zirkeln aktiv.34

29 Vgl. Bułat, Zjazd polsko-rosyjski (wie Anm. 20), S. 191. 30 Vgl. Wise, Aleksander Lednicki (wie Anm. 6), S. 70f. 31 Vgl. Wise, Aleksander Lednicki (wie Anm. 6), S. 46. 32 Vgl. Alexander Semyonov: “The Real Empire and Live Ethnographic Map of Russia“: The Russian Empire in the Mirror of the State Duma. In: Ilya Gerasimov [u.a.] (Hrsg.): Empire Speaks out. Languages of Rationalization and Self-Description in the Russian Empire. Leiden 2009. S. 192–228, hier S. 218. 33 Vgl. Semyonov, The Russian Empire (wie Anm. 32), S. 46. 34 Vgl. Ponarski, Wokół sprawy polskiej (wie Anm. 7), S. 81.

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Die polnische Frage war für Lednicki, zumindest bis zur Errichtung des Königreichs Polen durch die deutsche Besatzung 1916, eine innerrussische Frage und damit eng verknüpft mit der zukünftigen Gestalt des russischen Staates. In Foren wie dem Bund der Autonomisten-Föderalisten, der Duma und der Gesellschaft der Freunde des Frie­ dens stärkte er Ideen neo-panslawischer Prägung und trat für eine Gleichbehandlung der westlichen Gebiete und eine Autonomie Kongresspolens innerhalb des Zarenreichs ein.35 Die Haltung Lednickis in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg verdeutlicht folgendes Zitat aus der Rede anlässlich des polnisch-russischen Kongresses im April 1905: Man muss vor allem hervorheben, dass, so einhellig der Wunsch nach einer autonomen Regierung im Polnischen Königreich ist, so eindeutig ist auch das Bewusstsein über die Notwendigkeit, die staatliche Einheit mit Russland zu bewahren, und so eindeutig ist man für die Ziehung der Grenzen des Polnischen Königreichs innerhalb des jetzt existierenden Territoriums mit seinen zehn Gouvernements [also Kongresspolen, M.-B.], die fast überall von einer großen Masse der polnischen Bevölkerung bewohnt werden.36

Lednickis Idee einer russisch-polnischen Einheit sollte sich in der AutonomistenBewegung und in Organisationen wie der Gesellschaft slawischer Kultur und der Gesellschaft der Freunde des Friedens ausbilden. Zunehmend begriff er sich dabei nicht nur als Repräsentant der polnischen Minderheit in Russland, sondern auch als Repräsentant anderer nicht-russischer Nationalitäten. Der Ausbruch des Krieges wirkte diesem Denken nicht entgegen, vielmehr schlug Lednicki nach 1914 schrillere Töne an, indem er etwa an die slawische Einheit der Polen und Russen appellierte.37 Anlässlich der herannahenden deutschen Truppen kam es 1915 zur Zwangsevakuierung von etwa 600.000 Bewohnern Kongresspolens, sowie von administrativen und wirtschaftlichen Einrichtungen ins Innere Russlands.38 Lednicki repräsentierte als Vorsitzender des Rates der Polnischen Hilfsverbände für Kriegsopfer nun neben der alten Polonia auch die polnischen Kriegsflüchtlinge in Russland.39 Er nutzte die neue Lage auch für politische Ziele. Lednicki gründete zusammen mit liberalen und linken Kreisen sowie Vertretern der russischen Polonia wie Aleksander Babiański, Stefan Grostern, Aleksander Więckowski und Józef Ziabicki das Polnische Komitee 35 Im Gegensatz zu anderen Mitgliedern des Bunds der Autonomisten-Föderalisten wie Jan Baudouin de Courtenay sprach sich Lednicki gegen die Föderation von Nationen als zukünftiges Staatsgebilde aus. Vgl. Semyonov, The Russian Empire (wie Anm. 32), S. 218. 36 Lednicki, Mowy polityczne (wie Anm. 2), S. 19. 37 Vgl. Wise, Aleksander Lednicki (wie Anm. 6), S. 110. Lednicki fordert 1916 in einem Memorandum zur Polnischen Frage zum Zusammenhalt der „slawischen Welt [słowiańszczyzna]“ angesichts der Bedrohung des „Faust-Polen“ durch den „Mephistopheles-Deutschen“ auf und plädiert für die Lösung der russisch-polnischen Frage „im Einklang mit den Sympathien beider Völker füreinander“. Ar­chi­­wum Polskiej Akademii Nauk: Materiały Aleksandra Lednickiego [Materialien zu Aleksander Lednicki]. III–123, j. 18, Bl. 108. 38 Vgl. Patek, Polska diaspora (wie Anm. 26), S. 288. 39 Vgl. Patek, Polska diaspora (wie Anm. 26), S. 288f.



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in Moskau. Die Initiative grenzte sich klar von den evakuierten politischen Verbänden aus Kongresspolen, die den Nationaldemokraten nahestanden, ab und warb um Unterstützung für den eigenen Verband.40 Die Kriegssituation und die Folgen der Zwangsevakuierung waren es Ponarski zufolge, die Lednicki zu einer „offiziellen polnischen Persönlichkeit“ in Russland machten.41 Betrachtet man Aleksander Lednickis imperiale Biographie bis zum Kriegsausbruch, kann man ergänzen, dass Lednicki aufgrund seines publizistischen Engagements sowohl als Autor, als auch als Verleger bereits vor dem Krieg nicht nur in polnischen Kreisen, sondern vor allem in der russisch-imperialen Öffentlichkeit eine wichtige Rolle einnahm. Als Parlamentsabgeordneter der liberalen Konstitutionellen Demokraten hatte Lednicki auch auf politischem Wege versucht, auf bestehende Verhältnisse in Russland Einfluss zu nehmen. Nach der Verurteilung für die Unterzeichnung des Vyborger Manifests beschränkte sich Lednicki auf die Tätigkeit als Verteidiger in besonders prominenten und strittigen Prozessen und blieb auf diesem Weg eine Figur des öffentlichen Lebens.42 Somit kann Lednicki durchaus als imperialer Akteur im zarischen Russland bezeichnet werden, der Spielräume beruflichen und gesellschaftlichen Engagements in Russland klug für sich zu nutzen wusste, sich aber dabei nicht nur darauf beschränkte, Strukturverhältnisse des Zarenreiches zu reproduzieren, sondern diese durchaus zu transformieren suchte.43

Lednicki als Teil der russischen und der polnischen Übergangselite 1917 bis 1919 Die Februarrevolution 1917 änderte nicht nur die politischen Machtverhältnisse in Russland, sondern stellte auch die bisherige gesellschaftliche Ordnung in Frage. Dies eröffnete neue Spielräume der Meinungsäußerung und der politischen wie gesellschaftlichen Partizipation – so auch für die alte (Vorkriegs-)Polonia und die polnischen Kriegsflüchtlinge aus Kongresspolen, für die bis dahin die Regeln einer imperialen Öffentlichkeit mit Zensur und informellen Publikationsregelungen gegolten hatten.44 Die polnische Gemeinschaft bildete sich nun in verschiedenen politischen 40 Vgl. Ludwik Hass: Ambicje, rachuby, rzeczywistość. Wolnomularstwo w Europie Środkowo-Wschod­ niej 1905–1928 [Ambitionen, Pläne und die Wirklichkeit. Das Freimaurertum in Ostmitteleuropa 1905– 1928]. Warschau 1984. S. 226. 41 Ponarski, Wokół sprawy polskiej (wie Anm. 7), S. 90. 42 Lednicki wurde auch als Verteidiger im bekannten Prozess gegen Menahem Beilis angefragt, lehnte jedoch ab. Vgl. Wise, Aleksander Lednicki (wie Anm. 6), S. 23. 43 Vgl. Rolf, Imperiale Biographien (wie Anm. 8), S. 5. 44 Vgl. etwa Joseph Bradleys Studie zu Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft im ausgehenden Zaren­ reich: Joseph Bradley: Voluntary Associations in Tsarist Russia. Science, Patriotism and Civil Society. Cambridge, Mass. 2009.

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und gesellschaftlichen Institutionen ab, wie bspw. polnischen Arbeiter-, Verwaltungs- oder Eisenbahnerverbänden, Selbstverwaltungseinrichtungen, Schulen sowie etliche weitere Vereinigungen entlang des gesamten politischen Spektrums.45 Machtpolitisch führte die Revolution dazu, dass in der gebildeten Provisorischen Regierung überwiegend Angehörige der oppositionellen Kadetten und der Sozialrevolutionäre, wie Kerenskij, Miljukov oder Michail Tereščenko, vertreten waren – also Personen, mit denen Lednicki sowohl persönliche, als auch berufliche Verbindungen unterhielt. Dagegen besaß Lednicki keine Verbindungen zum Petrograder Sowjet. In der Folge positionierte sich die Provisorische Regierung wohlwollend zur polnischen Frage, indem sie den polnischen Vertretern in Russland die Anerkennung eines zukünftigen polnischen Staates zusicherte.46 Diese Zusicherung hatte aufgrund der Besetzung polnischer Gebiete durch deutsche und österreichische Truppen lediglich Symbolwert. In diesem Zusammenhang ist auch die Berufung Lednickis zum Vorsitzenden der Liquidationskommission für Angelegenheiten des Polnischen Königreichs zu sehen – im Grunde war dies der Posten eines Ministers für polnische Angelegenheiten der russischen Übergangsregierung. Zur Arbeit der Kommission und den Zielen Lednickis hält Artur Patek fest: Die Kommission sollte sich u.a. mit der Beseitigung aus dem Königreich evakuierter und noch funktionierender alter Verwaltungen und zarischer Institutionen beschäftigen sowie mit der Übergabe von Immobilien der russischen Regierung in Polen und mit der Rückgabe von in verschiedenen Perioden aus dem Königreich ausgeführten Gütern. (...) Kurz danach zeigte sich jedoch, dass sich die Realisierung dieser Ziele in der Praxis als schwierig erwies. Die Versuche Lednickis führten nicht zur Umwandlung der Kommission in eine offizielle nationale Repräsentation. Ihre Entstehung traf sich zudem mit der skeptischen Annahme eines Teils der Polen, die sie [die Kommission, M.-B.] letztendlich als eine Behörde verdächtigten, die von der Regierung eines fremden Staates ernannt wurde.47

Gestärkt wurde Lednickis Position in Russland vor allem durch seine Beziehungen zu führenden Personen der Übergangsregierung. Die Revolution bot ihm gleichfalls die Gelegenheit, sich politisch frei zu engagieren. So gründete er im März 1917 in Moskau den Polnischen Demokratischen Klub, der Teil des Polnischen Demokratischen Komitees in Petrograd war. Damit reagierte er wohl auf die bestehenden Organisationen der polnischen Nationaldemokraten wie das Zentrale Bürgerkomitee und das Nationalkomitee, die für sich ebenfalls die Rolle einer national-repräsentativen Institution in Anspruch nahmen.48 Aus dem Urteilsspruch des Warschauer Bezirksge45 Vgl. Alicja Głaz: Repatriacja ludności polskiej z terenu byłego imperium rosyjskiego w latach 1917–1924 [Die Repatriierung der polnischen Bevölkerung aus dem Gebiet des ehemaligen russischen Imperiums 1917–1924]. Lublin 2001. S. 50f. 46 Vgl. Ponarski, Wokół sprawy polskiej (wie Anm. 7), S. 115. 47 Vgl. Patek, Polska diaspora (wie Anm. 26), S. 290. 48 Vgl. Ponarski, Wokół sprawy polskiej (wie Anm. 7), S. 114. Das von Roman Dmowski geführte Nationalkomitee in Paris versuchte denn auch mithilfe der Gründung des Polnischen Rats der über­



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richts zur Angelegenheit Aleksander Lednicki vs. Zygmunt Wasilewski von 1926 geht hervor, dass Lednicki mit der Position des Kommissionsvorsitzenden und seinen Beziehungen zur Provisorischen Regierung einen entscheidenden Vorteil gegenüber dem Nationalkomitee errungen hatte, den eigenen Machtgewinn aber zuungunsten einer Einigung der polnischen politischen Bewegungen für sich verbuchte: „Zu einem Einverständnis zwischen diesen Lagern [dem Nationalkomitee und dem Polnischen Demokratischen Komitee, M.-B.] kam es nicht und jedes der beiden führte eine Politik auf eigene Rechnung“.49 Die instabile Lage an der Front wirkte sich auch auf die Politik der Provisorischen Regierung aus und erzeugte Unmut in der Bevölkerung, den der Petrograder Arbeiter und Soldatenrat nach der Kornilov-Affäre schließlich beim Sturz der Provisorischen Regierung zu kanalisieren wusste. Mit dem erneuten Machtwechsel nach der Oktoberrevolution ging auch die Machtbasis Lednickis und der Liquidationskommission verloren. In der Folge löste der Rat der Volkskommissare die Kommission auf. Lednicki führte während des Kriegs noch eine Vertretung des von den Mittelmächten in Warschau eingesetzten Regentschaftsrats an und versuchte auf diese Weise, Schritte zur möglichen Abwicklung der polnisch-russischen Institutionen in Nachkriegspolen einzuleiten. Die Handlungskompetenzen des Regentschaftsrats wurden jedoch von bolschewistischer Seite mit der Einführung eines Kommissariats für polnische Angelegenheiten unter Leitung von Julian Marchlewski weiter eingeschränkt. Wenngleich Lednicki sich einzig vom Regentschaftsrat weisungsbefugt sah, beendete ausgerechnet die Niederlage der Mittelmächte, die er selbst herbeigesehnt hatte, die politische Tätigkeit Lednickis in Russland. In den folgenden Jahren wurden Lednickis Erfahrung und politisches Geschick schlicht nicht benötigt, denn Józef Piłsudski schien an der Errichtung eines ‚weißen‘ Russlands, das sämtliche westliche Gebiete des ehemaligen Zarenreichs für sich beanspruchte, mindestens ebenso wenig interessiert wie am Erstarken der russischen Räterepublik.� So entließ er Lednicki bereits im März 1919, wenige Monate nachdem sich der polnische Staat zu formieren begonnen hatte, aus der „Position eines Vertreters der Republik in Russland“.50 Diesem blieb daraufhin nicht mehr, als aus der Russischen Sowjetrepublik nach Warschau zu flüchten.

parteilichen Einheit, eine breitere Basis gegen das von Lednicki geführte Demokratische Komitee in Position zu bringen; vgl. Wasilewski, Proces Lednickiego (wie Anm. 4), S. 492f. 49 Vgl. Wasilewski, Proces Lednickiego (wie Anm. 4), S. 493. 50 Vgl. Gennadij F. Matwiejew: Stosunki polsko-sowieckie w latach 1917–1921 [Polnisch-russische Beziehungen in den Jahren 1917–1921]. In: Adam D. Rotfeld u. Anatolij W. Torkunow (Hrsg.): Białe plamy – czarne plamy. Sprawy trudne w polsko-rosyjskich stosunkach (1918–2008) [Weiße Flecken – schwarze Flecken. Schwierige Fragen in den polnisch-russischen Beziehungen (1918–2008)]. War­ schau 2010. S. 45–84, hier S. 67.

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Lebensweg und Wahrnehmung Lednickis in der Zwischenkriegszeit In der Zweiten Republik verbrachte Lednicki den letzten Lebensabschnitt, den er 1934 wohl selbst beendete. Nicht zuletzt sein spektakulärer Tod– mutmaßlich beging Lednicki mit einem Sprung aus dem Fenster seiner Wohnung Selbstmord – feuerte die Debatte um die Wahrnehmung Lednickis in der polnischen Gesellschaft noch einmal an.51 Die Angriffe der Nationaldemokraten rechtlicher wie publizistischer Art gegen ihn sind es auch, die die Memoiren und Erinnerungen insbesondere seines Sohnes Wacław überschatten und in ihnen das Bild einer gescheiterten Existenz Lednickis in der Polnischen Republik entstehen ließen. Lednicki sei ein Opfer der Konflikte zwischen dem machthabenden und Piłsudski-nahen Sanacja-Regime auf der einen Seite und den überaus populären, aber oppositionellen Nationaldemokraten andererseits geworden.52 Zunächst jedoch gelang es Lednicki in den Jahren nach dem Krieg durchaus, seine gesellschaftliche Stellung in Polen als Herausgeber der liberalen Tydzień Polski zu festigen. Er vertrat etwa die Interessen der aus Russland vertriebenen polnischen Großgrundbesitzer im Verband zur Verteidigung des Besitzes der in Russland geschädigten Polen, führte die Polnisch-Skandinavische Handelskammer an und saß dem polnischen Handelsverband Italia vor. Politisch besaß Lednicki durchaus auch nach der Entlassung aus dem diplomatischen Dienst Ambitionen für eine Karriere in der polnischen Politik. So kandidierte er 1922 im Alter von 56 Jahren im Wahlkreis Białystok für das polnische Parlament – wenngleich erfolglos. Ponarski sieht die Gründe des politischen Scheiterns Lednickis vor allem in dem 1920 bis 1926 andauernden Gerichtsstreit zwischen Zygmunt Wasilewski und Lednicki um die Frage des Landesverrats Lednickis in dessen Funktion als Vorsitzender der Liquidationskommission 1917.53 Dennoch erhielt Lednicki ausgerechnet nach dem Coup d’etat Piłsudski-getreuer Truppen in Warschau 1926 und der Errichtung des autoritären Sanacja-Regimes erneut Aufstiegsmöglichkeiten. So wurde er als Sejm-Abgeordneter des Sanacja-freundlichen Parteilosen Blocks für die Zusammenarbeit mit der Regierung (BBWR) Mitglied des Staatstribunals – einer Art polnischem Verfassungsgericht. In dieser Zeit wurde ihm ebenfalls der Posten des Stadtpräsidenten von Wilno angeboten, den er jedoch ablehnte.54 Auffällig ist neben der politischen Tätigkeit Lednickis in Polen auch dessen Tätigkeit in internationalen Organisationen wie der internationalen Friedensbewegung und – bezüglich der politischen Konzepte Lednickis von größerer Bedeutung – als 51 Ponarski, Wokół sprawy polskiej (wie Anm. 7), S. 206. 52 Vgl. Zmarli: Aleksander Lednicki [Verstorben: Aleksander Lednicki]. In: Myśl Narodowa 35 (19.08. 1934). 53 Vgl. Lednicki, Pamiętniki (wie Anm. 15), S. 624f. Wacław Lednicki widmete seinem Vater in seinen Memoiren mehrere Kapitel. 54 Vgl. Ponarski, Wokół sprawy polskiej (wie Anm. 7), S. 224.



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Mitbegründer der polnischen Sektion der Paneuropäischen Union. Anhand seiner Tätigkeit in dieser und anderen supranationalen Organisationen lässt sich durchaus eine Kontinuität im föderalistischen Denken Lednickis jenseits nationalstaatlich verengter Muster aus der Zeit des russischen Zarenreichs feststellen. So hält er in seinem Kommentar zur Gründung der polnischen Sektion in der Wochenzeitung Świat fest: Die Idee [der Paneuropäischen Union, M.-B.] ist eine Synthese der tiefen Tendenzen in den Ge­sellschaften Europas zur Annäherung und graduellen Vereinigung in den Gebieten des Rechts, der ökonomischen Verhältnisse und der Regeln des intellektuellen Zusammenlebens seit dem Ende des Großen Krieges.55

Lednickis politisches Denken in der frühen Zwischenkriegszeit wies durchaus Kontinuitäten aus der Zeit bis 1917 auf. So plädierte er 1922 noch im Band Unsere Ostpolitik für eine Orientierung Polens an der Sowjetunion und eine konzertierte internationale Isolation Deutschlands56. In seinem beruflichen Engagement jedoch zeigte er sich bis Ende der 1920er Jahre erstaunlich flexibel. So bekleidete er führende Stellungen in der Amerikanischen Bank oder war als Rechtsberater französischer und schwedischer Firmen tätig, die in Polen investierten. Eine leitende Tätigkeit in einer Anwaltskanzlei kam für ihn in Polen nicht mehr in Frage.57 Neben der beruflichen Umorientierung Lednickis blieben Kontakte aus der Zeit des Zarenreichs weiterhin Konstanten im Leben Lednickis. Dieser Faktor scheint für die Integration Lednickis in der Polnischen Republik sogar entscheidend zu sein, wenn man seinen politischen Aufstieg nach 1926 betrachtet. Ludwik Hass vermutet, dass Lednicki bereits im Zarenreich Mitglied der Freimaurer war – von diesen Kontakten machte er wohl auch in der Zwischenkriegszeit Gebrauch, denn unter den polnischen Freimaurern fanden sich Bekannte und Freunde Lednickis aus seiner Zeit in Russland, wie etwa die Unternehmer Aleksander Babiański und Stefan Grostern, die Diplomaten Lucjan Altberg, Aleksander Więckowski und Józef Ziabicki.58 Neben den Freimaurern unterhielt Lednicki über die Zeit des Ersten Weltkriegs hinaus ausführliche Korrespondenzen mit dem PPS-Abgeordneten Wacław Sieroszewski oder dem Literaten und Historiker Marian Zdziechowski und war ebenso in der Ostgesellschaft in Krakau mit verschiedensten politischen Kreisen assoziiert.59 Dass sich Lednicki auch nach dem Ersten Weltkrieg in früheren imperialen Milieus bewegte, wurde im bereits angesprochenen Gerichtsprozess zwischen Zygmunt 55 Vgl. Ponarski, Wokół sprawy polskiej (wie Anm. 7), S. 224. 56 Stanisław Thugutt [u.a.]: Unja państw europajskich? [Eine Union der Europäischen Staaten?]. In: Świat, 24 (14.06.1930). Am Beitrag beteiligten sich neben Lednicki und Thugutt auch Zdzisław Lubo­ mirski, Wacław Makowski, Stanisław Kozicki, Aleksander Lednicki, Stanisław Stroński, Zygmunt Cybi­chowski, Wacław Łypacewicz, Bohdan Koskowski und Kazimierz Ehrenberg. 57 Vgl. Aleksander Lednicki: Nasza polityka wschodnia [Unsere Ostpolitik]. Warschau 1922. S. 9. 58 Vgl. Ponarski, Wokół sprawy polskiej (wie Anm. 7), S. 225. 59 Vgl. Hass, Ambicje, rachuby, rzeczywistość (wie Anm. 40), S. 226f.

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Wasilewski und Lednicki sichtbar, in dem etliche Freunde und Bekannte als Zeugen auftraten.60 Dieser Prozess liefert zum einen Anhaltspunkte für die in der Zwischenkriegszeit weiter bestehenden Kontakte und gegenseitigen Loyalitäten früherer Milieus. Zum anderen repräsentiert der Prozess eine frühe Form der gesellschaftlichrechtlichen Lustration von bzw. Auseinandersetzung mit imperial geprägten Biographien in Zwischenkriegspolen. Denn wenngleich vor allem der Vorwurf „des Hauptverrats gegen den polnischen Staat und der Flucht vor der zu tragenden Strafe aus dem Land“ gegen Lednicki nach dem Ersten Weltkrieg behandelt wurde, stand die Rolle Lednickis im Krieg – also dessen Position als Leiter der Liquidationskommission und der Vertretung des Regentschaftsrats in Moskau sowie dessen enge Beziehungen zu Vertretern der russischen Provisorischen Regierung – zur Diskussion61. So schreibt Zygmunt Wasilewski anklagend im Vorwort des Sammelbandes: Dieser Prozess, von ihm [Aleksander Lednicki, M.-B.] eingeleitet und von mir ausgelöst, findet nicht zufällig statt. (...) Er ist eine Reaktion der öffentlichen Moral der polnischen Gesellschaft, die sich um eine Reinigung [sic!] angesichts der Aufgaben, die sie vor sich hat, bemüht. (...) Vor uns haben wir ein persönliches und ein historisches Drama. Die polnische Seele siegt über die Sünde, die aus dem Unglauben an die Sache der menschlichen Zivilisation rührt – die Sünde der politischen Sittenlosigkeit. In der Person des freiwilligen Emigranten, der sich entnationalisiert und keine Demut gegenüber dem Volk empfindet, möchte er dieses den eigenen Ambitionen auf Gedeih und Verderb ausliefern, der Leser erblickt wie durch ein Brennglas das Geheimnis der Schwäche eines Volkes, sei es von Individuen oder von Gruppen, die sich für die Politik zerreißen, die eben keine Seele haben, die solch historischen Aufgaben gewachsen ist.62

Die große öffentliche Aufmerksamkeit, die Lednicki nun mit dem Prozess zuteilwurde, veranlasste etliche Zeitgenossen wie auch ihn selbst, am Diskurs über seine Person in zunehmendem Maße mitzuwirken. Über eine Begegnung mit Lednicki 1925 in Krakau schreibt bspw. Wacław Zbyszewski anlässlich des Todes von Wacław Lednicki 1968: Lednicki schien mir – einem Sohn der Ukraine, aber schon mit dem Krakauer Auftreten ausgestattet – die Personifizierung des Ostens, des Russlands, über das in Krakau nicht anders geredet wurde, als mit Abscheu und Abneigung, wie eine Personifizierung der Barbarei. (...) Und seit dieser Zeit bin ich zutiefst überzeugt, dass es das war, was Lednicki die Karriere in Polen verwehrte, es war sein Lack und seine russische Firnis: sein Akzent schien mir nicht aus Wilna, wie bei Piłsudski, Mackiewicz oder Meysztowicz, sondern aus Moskau oder Petersburg, und seine Mentalität schien mir als Pole völlig fremd. Diese Russizismen, seine Rechtsbegriffe, die Wortwahl, der Akzent, sein Auftreten, alles das stieß mich von Lednicki ab, und niemals konnte ich über diese Reaktion auf dessen Erscheinung hinwegkommen.63 60 Vgl. Ponarski, Wokół sprawy polskiej (wie Anm. 7), S. 224. 61 Vgl. etwa die Zeugenaussagen von Józef Ziabicki, Juliusz Łukaszewicz, Stefan Grostern, Aleksander Babiański, Józef Evert, Edward Ropp, Jan Jacyna, Aleksander Prystor, Lucjan Żeligowski etc. in: Wasi­ lewski, Proces Lednickiego (wie Anm. 4). 62 Wasilewski, Proces Lednickiego (wie Anm. 4), S. 481. 63 Wacław A. Zbyszewski: Dwaj Ledniccy [Zwei Lednickis]. In: Kultura 22. Heft 8/9 (1968). S. 153– 160, hier S. 155f.



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Lednicki wurde also nicht nur in Kreisen der Nationaldemokratie kritisch wahrgenommen. Seine Sprache, sein Umgang und sein Habitus schienen durchaus ein russisches Erbe nicht zu verbergen. Dies machte ihn auch für eine breitere Öffentlichkeit zur Reizfigur. Zbyszewski beschreibt Lednicki als eine zeitlich entrückte, fremde, weil östliche Person. Mit der Gleichsetzung Lednickis mit dem russischen Beamten erhält er Eigenschaften des negativ konnotierten Russifizierers, vor dem man sich in Acht zu nehmen habe: Er schien mir breitschultrig und sehr dick, er trug eine Art Gehrock und einen Frack [tuzurka], der damals bei den älteren Herren noch modern war: Der Schnitt dieser Kleidung erinnerte mich lebendig an Naumienka, den Gründer und Direktor meines russischen Gymnasiums. (...) [D]as Gesicht, der Blick Lednickis hatten etwas scharfes, räuberisches.64

Lednickis Deutung der imperialen Vergangenheit Angesichts seiner öffentlichen Präsenz in Russland und später in Polen und der Diskussion um seine Person verwundert es nicht, dass Lednicki autobiographische Schriften und Memoiren hinterließ.65 In seinen Schriften ging es Lednicki anscheinend angesichts seiner umstrittenen Wahrnehmung in der polnischen Öffentlichkeit darum, den Diskurs um seine Person positiv zu beeinflussen. Dazu publizierte er bspw. 1933 in der dem Sanacja-Regime nahestehenden Zeitschrift Niedpodległość Auszüge aus seinen Aufzeichnungen. Im Kern seiner Schriften stand der Versuch, sein Leben im russischen Imperium als Leben in der russischen „Emigration“ zu deuten.66 Interessanterweise ordnete sich Lednicki damit in die im damaligen Polen weitverbreitete Deutung von der Tätigkeit und vom Leben außerhalb der Gebiete des historischen Polens als zeitlich beschränkte sowie freiwillig gewählte oder erzwungene Lebensphase außerhalb Polens ein.67 Der Kontext imperialer und transnationaler Lebenswelten wurde so retrospektiv aus einer nationalstaatlichen Perspektive umgedeutet und verengt. Im Diskurs der Zwischenkriegszeit um die Vergangenheit Lednickis wurde demnach nur die Frage verhandelt, inwiefern es sich bei der russi-

64 Zbyszewski, Dwaj Ledniccy (wie Anm. 64), S. 155. 65 Der vorzeitige Tod Lednickis beendete seine autobiographischen Publikationsbemühungen frühzeitig. Zu Lebzeiten veröffentlichte er lediglich Erinnerungen zur Revolution 1905–1907 – bemerkenswerterweise im Journal Niepodległość (Unabhängigkeit) des Piłsudski-Instituts für Neuere Geschichte: Aleksander Lednicki: Z Pamiętnika [Aus den Memoiren]. In: Niepodległość 7 (1933). S. 29–41. Anfang der 1990er Jahre publizierte Zbigniew Koziński im Krakauer Archiv der Bibliothek der JagiellonenUniversität überlieferte Fragmente aus dem Nachlass Lednickis: Zbigniew Koziński: Aleksander Led­ nicki. Pamiętnik 1914–1918 [Memoiren 1914–1918]. Krakau 1994. 66 Lednicki, Z Pamiętnika (wie Anm. 66), S. 31. 67 Vgl. oben stehendes Zitat aus Wasilewski, Proces Lednickiego (wie Anm. 4), S. 3f.

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schen Vergangenheit Lednickis um eine erzwungene oder um eine freiwillige Emigration handelte und welche Motive dieser zugrunde gelegen hatten. Erste Bezüge von Lednicki auf ein Leben in der „Emigration“ finden sich bereits in der frühen Zwischenkriegszeit in einem 1921 publizierten Band mit Schriften und Reden Lednickis aus der Zeit des Ersten Weltkriegs. Diesen eröffnet er mit einem Poem aus Adam Mickiewiczs Bücher des polnischen Volkes und der polnischen Pilgerschaft von 183268 unter der Überschrift „Unsere Wallfahrt“.69 Lednicki entwickelt also ein Gleichnis von der erzwungenen Emigration Mickiewiczs im frühen 19. Jahrhundert hin zur eigenen im russischen Zarenreich. Eine derart umgedeutete Biographie wirkte sich auch auf Lednickis Russlandbild in den Memoiren aus. In den bereits erwähnten Erinnerungen in Niepodległość beschreibt er das russische Herrschaftsregime als „Despotismus“ und betont demgegenüber die „nationale Solidarität der Polen“ im Weltkrieg.70 „Heimat“ steht in den Erinnerungen als Synonym für das historische Polen und eine Sehnsucht danach.71 Die politische Tätigkeit vor und während des Krieges wird also vom patriotischen und national-zentrierten Grundtenor bestimmt und dient der retrospektiven Berufung auf das Erreichen der Unabhängigkeit Polens. Die imperiale Erfahrung Lednickis wird zu einer Erfahrung der zwangsweisen und keineswegs selbstgewählten Emigration, wie folgendes Zitat aus seinen posthum publizierten Erinnerungen zeigt: Sobald die Sonne länger schien, sobald die Knospen sich auf den Akazien zu zeigen begannen, erfasste mich mit unerhörter Kraft die Sehnsucht nach der Heimat, die nur allzu bekannte Sehnsucht der gebrochenen Emigrantenseele, die, wie beim Reisenden in der Wüste, Visionen und Wunschbilder formte, die die Winkel der verschwundenen Jugend aufriss – die heimatlichen Ländereien, Minsk und das ganze Minsker Land, Wilno, Warschau, und die fern hochragende Marienkirche in Krakau.72

Deutlich ist in Lednickis Memoiren erkennbar, wie er die eigene Erfahrung im gesellschaftlichen Diskurs der Zwischenkriegszeit umdeutet und dahingehend aktualisiert. Eine solche Umdeutung schließt nostalgische Erinnerungselemente keineswegs aus, beispielsweise wenn Lednicki den Komfort der russischen Eisenbahnen lobt oder die Wirtschaftskraft des Vorkriegsrussland idealisiert.73

68 Vgl. Adam Mickiewicz: Księgi narodu polskiego i pielgrzymstwa polskiego [Bücher des polnischen Volkes und der polnischen Pilgerschaft]. Paris 1832. 69 Vgl. Aleksander Lednicki: Z lat wojny: Artikuły, listy, przemówienia (1915–1918) [Aus den Kriegs­ jahren: Beiträge, Briefe, Ansprachen (1915–1918)]. Warschau 1921. S. 5. 70 Lednicki, Z Pamiętnika (wie Anm. 66), S. 31. 71 Lednicki, Z Pamiętnika (wie Anm. 66), S.31. 72 Koziński, Aleksander Lednicki (wie Anm. 66), S. 164. 73 Vgl. Koziński, Aleksander Lednicki (wie Anm. 66), S. 159.



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Letztlich lassen sich Lednickis Schriften als Versuch deuten, sich in den Gründungsmythos der noch jungen Republik einzuschreiben – ohne die Position des Me­diators zwischen russischer und polnischer Gesellschaft zu verlassen: Ich ging Hand in Hand mit der russischen Demokratie. Auf ihre Siege stützte ich meine Erwartungen bei der Lösung der polnischen Angelegenheit. Zu allen Problemstellungen verhielt ich mich jedoch aus der Sicht des Verhältnisses des polnischen Volkes zu Russland.74

Der Makel des Imperiums? Lednicki postimperial Die Biographie Lednickis erscheint dem Leser in einer Komplexität, die sich nur schwerlich in den Kategorien imperial/postimperial fassen lässt. In Lednickis Lebensverlauf im Zarenreich zeigen sich Muster einer imperialen Biographie. Als Student, als Anwalt, aber auch als Politiker und Aktivist war Lednickis Handeln geprägt durch die institutionellen Strukturen des russischen Imperiums – sei es die Universitätslandschaft, die ihn in Moskau studieren ließ und nicht in Warschau, sei es die Integration polnischer wie russischer Lebensumgebungen und -räume, in denen sich Lednicki privat, beruflich und politisch bewegte, oder seien es die Hindernisse bei der politischen Betätigung, die sich spätestens nach der Revolution von 1905 auch in die Biographie Lednickis einprägten und zum Überdenken eigener politischer Konzeptionen führten. Lednickis Erfahrung des Imperiums als Mitglied der Duma und als Publizist in polnischen und russischsprachigen Zeitungen war geprägt vom krisenhaften Wandel, den er in zunehmendem Maße intellektuell und politisch mitzugestalten versuchte. Die Erfahrung der Krisen des Imperiums, die Kontakte und das erlernte Wissen dienten als Potentiale der eigenen Karriere während des Ersten Weltkriegs und danach. Außerdem ermöglichte die besondere Konstellation der Evakuierung von Polen in das Innere Russlands Lednicki den Aufstieg in den ersten Kriegsjahren auch innerhalb der polnischen Gemeinschaft. Wenngleich er den Zusammenbruch des Zarenreiches in seinen Memoiren als unsicheren Moment erinnert75, gelang es ihm aufgrund seiner Sonderstellung in der russischen Gesellschaft und seiner Kontakte innerhalb der russischen Opposition, den Umbruch 1917 mitzugestalten und als ein zentraler Akteur zu begleiten. Will man diesen Vorgang aus der Perspektive der Elitenzirkulation beschreiben, böte sich hier der Begriff der Transmissionselite an, an der Lednicki als Leiter der Liquidationskommission und Vertreter des Regentschaftsrats einen großen Anteil hatte. 74 Lednicki, Z Pamiętnika (wie Anm. 66), S. 60. 75 „Ich bekenne offen, dass ich in den ersten Tagen des Umbruchs keinen Enthusiasmus spürte, trotz­ dem ich blendend die außerordentliche Tragweite der Vorfälle verstand.“ Lednicki, Z Pamiętnika (wie Anm. 66), S. 59.

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Die Bewertung des Potentials des Lebensabschnitts Lednickis im russischen Imperium für die Zwischenkriegszeit fällt weniger eindeutig aus. Zunächst scheint es, dass vor allem die Vergangenheit Lednickis als russisch-polnischer Mediator und die Wahrnehmung in der polnischen Öffentlichkeit als Teil einer alten, als östlich und russisch-imperial wahrgenommenen Elite ihm die diplomatische und spätere politische Tätigkeit in der Polnischen Republik verwehrten. Es fand eine intensive öffentliche Auseinandersetzung mit Lednickis Tätigkeit im Zarenreich und im Ersten Weltkrieg statt, und die imperiale Vergangenheit erschien zunehmend als Makel in Lednickis Biographie. Beruflich und finanziell jedoch schien sich Lednicki schnell von der Flucht nach Polen und dem Verlust wirtschaftlicher Stärke zu erholen. Dabei stützte er sich – wie das Beispiel der Freimaurer zeigt – vor allem auf Kontakte aus der Zeit des Zarenreichs. Ebenso spielte Lednickis imperiale Erfahrung als Anwalt und als Fürsprecher judikativer Kontrolle in der Zwischenkriegszeit eine Rolle – sei es in seiner Position als Mitglied des Staatstribunals oder als Rechtsberater. Im Falle Lednickis ist also Andrzej Chwalbas These von der nahezu vollständigen Integration alter imperialer Eliten Österreich-Ungarns, Russlands oder Preußens in Zwischenkriegspolen und der fehlenden gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit ihnen nur bedingt zuzustimmen. Mit Lednickis Vergangenheit als imperialer Akteur fand durchaus eine gesellschaftliche, wenngleich höchst politisierte und national verengte Auseinandersetzung statt. An dieser Stelle gälte es, mit gruppenbiographischen Forschungen zu den nationalstaatlichen Gesellschaften der Zwischenkriegszeit die in diesem Beitrag erarbeiteten Befunde empirisch zu prüfen. Die Analyse der Memoiren Lednickis weist ein zentrales Problem bei der Erforschung von Selbstzeugnissen imperialer Eliten nach dem Ende der Imperien auf. Seine Memoiren sind geprägt vom zeitgenössischen gesellschaftlichen Diskurs – die Erfindung einer patriotischen Narration der eigenen imperialen Erfahrung ist bei Lednicki deutlich nachweisbar, und so bestätigt sich die These von Frank Hadler und Mathias Mesenhöller in ihren Überlegungen zu den Repräsentationen imperialer Erfahrung in Ostmitteleuropa vom „Akkord Nationalität – Entwicklung – Europäizität“, auf den die nationalen Erzählungen imperialer Erfahrungen „gestimmt wurden“.76 Dennoch: Lednicki verhehlt keineswegs und idealisiert geradezu die Vorzüge seines Lebens im russischen Zarenreich, die Atmosphäre kulturellen Austauschs und betont seine Versuche, selbst zum Wandel der Gesellschaftsordnung beizutragen. Spuren imperial geformten Selbstverständnisses finden sich sowohl in seinen Schriften, in der öffentlichen Wahrnehmung seiner Person, als auch in seinen Aktivitäten wie in der Paneuropäischen Union und in seinen Kontakten. 76 Frank Hadler u. Mathias Mesenhöller: Repräsentationen imperialer Erfahrung in Ostmitteleuropa: Einleitende Thesen zu Konzept, Befunden und einer transnationalen Perspektive. In: Frank Hadler u. Mathias Mesenhöller (Hrsg.): Vergangene Größe und Ohnmacht in Ostmitteleuropa. Repräsentationen imperialer Erfahrung in der Historiographie seit 1918. Leipzig 2007. S. 11–28, hier S. 20.



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In Biographien wie der Lednickis stellt sich den Forschenden letztendlich die Frage, ob Zuschreibungen des Ersten Weltkriegs, etwa als Ende des langen 19. Jahrhunderts, als Epochenschwelle oder Wendepunkt zur Moderne, hinsichtlich der Biographieforschung nicht überdacht werden sollten. Zumindest die imperialen Nachlässe in den Nationalstaaten Ostmitteleuropas wie auch die periodische Sonderstellung des Ersten Weltkriegs bedürfen bei der Erforschung der Bildung von Nationalstaaten in der Zwischenkriegszeit einer gründlicheren historiographischen Revision.

IV. Experten und Unternehmer

Ruth Leiserowitz

Polnische Militärärzte im zarischen Imperium Räume und Spannungsfelder zwischen Warschau und Port Artur

Abb. 15: Julian Talko-Hryncewicz (1850–1936)

Nach der Niederschlagung des polnischen Novemberaufstandes griff die Zarenmacht auch im Bildungssystem der westlichen Reichsprovinzen hart durch. Die Universitäten von Warschau und Wilna wurden geschlossen und Polen waren fortan gezwungen, an russischen Hochschulen zu studieren. Zudem wurden zahlreiche Absolventen nach ihrem Abschluss außerhalb der polnischen Gebiete zu Dienstpflichten im Imperium eingesetzt. Ein wesentliches Betätigungsfeld für Ärzte stellte das Militär dar. Wer innerhalb dieser reichsweiten Strukturen arbeitete, war in der Regel ein Experte mit hoher Mobilität. In dem nachfolgenden Beitrag werden besonders Ärzte in den Blick genommen, die sich in den Weiten des Imperiums einsetzen ließen, aber sich auch während dieser Zeit als Polen verstanden. Zwischen den 1840er Jahren und dem Beginn des Ersten Weltkriegs arbeitete eine überdurchschnittlich hohe Zahl medizinischer Experten polnischer Provenienz im zarischen Imperium. Auf den ersten Blick erscheint dieser Ausgangspunkt der Untersuchung paradox, war doch der polnischlitauische Staat Ende des 18. Jahrhunderts mehrfach geteilt und mit tatkräftiger Hilfe

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auch des russischen Imperiums zerschlagen worden. Die Vertreter des Imperiums, Russen und ihre Armee, hatten in den Augen der meisten Polen den Status einer Besatzermacht. Was konnte Angehörige der besetzten Regionen veranlassen, in der Armee der Besatzer zu dienen und Karrieren anzustreben?1 Im Nachfolgenden werden die Existenzbedingungen dieser Gruppe für den oben genannten Untersuchungszeitraum beschrieben. Daher gilt es, Ausgangspunkte für eine Karriere als mobiler Experte darzulegen und gleichzeitig auf Quellenprobleme und historiographische Fragen hinzuweisen. Anschließend werden Mobilitäts- und Karrieremuster präsentiert und Motive und Leistungen von Protagonisten dargestellt; es wird erörtert, inwiefern die beschriebenen Akteure eine imperiale Öffentlichkeit erreichten, und die Frage nach Loyalität und Identität verfolgt. Am Anfang der Ausführungen steht die These, dass es bei den dargestellten Lebensläufen um Entwürfe von Biographien geht, die zwar häufig hochattraktiv waren, aber im Sinne der polnischen Gesellschaft der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als politisch nicht korrekt galten und daher nur in Ausnahmefällen tradiert wurden. Ziel des Beitrages ist es, aufzuzeigen, inwiefern der imperiale Raum als Chance polnischer Ärzte wahrgenommen und in welcher Art diese Möglichkeiten umgesetzt wurden. Es soll untersucht werden, inwieweit es sich hier tatsächlich um imperiale Biographien handelt, um Lebenswege also, die sowohl durch Erfahrungs- als auch Handlungsräume im zarischen Reich geprägt wurden.2 Tim Buchen und Malte Rolf haben in ihrem Ansatz sehr prägnant formuliert, dass „Biographien, die sich als imperial bezeichnen lassen, […] auf vielfältige Weise in enger Wechselwirkung mit den grundlegenden Ordnungsmustern jener Imperien“3 stehen, in denen sie verliefen. Dadurch sind individuelle Existenz und imperiale Strukturen stark ineinander verschränkt. Die Entscheidungswege dieser Akteure, so nimmt Malte Rolf darüber hinaus an, sind in die vielfachen imperialen Kontexte eingebettet und wohl weniger aus autonomer Konsequenz getroffen.4 Die polnischen Militärärzte stellen ein interessantes Beispiel für eine imperiale Kollektivbiographie dar. Zweifelsohne wurden hier Handlungsräume aufgrund möglicher Vorgaben genutzt. Allerdings stellt sich einerseits die Frage, ob sich bei

1 Der nachfolgende Beitrag, in dem dieses Paradoxon aufgelöst werden soll, gehört im weiteren Sinne zu dem derzeit verfolgten Forschungsprojekt „Studium im Europa des 19. Jahrhunderts. Wech­ selwirkungen zwischen transnationaler Verflechtung und nationaler Identität“ innerhalb des For­ schungs­bereichs III „Nationale Identität und transnationale Verflechtung“ am Deutschen Historischen Institut Warschau. Näheres dazu siehe: http://www.dhi.waw.pl/de/forschung/forschungsprogramm/ nationale-identitaet-und-transnationale-verflechtung.html. An dieser Stelle geht mein besonderer Dank an meinen wissenschaftlichen Assistenten Marcin Siadkowski, M. A., der wesentlich zu der Re­ cherche der Daten beigetragen hat. 2 Malte Rolf: Imperiale Biographien. Lebenswege imperialer Akteure in Groß- und Kolonialreichen (1850–1918) – zur Einleitung. In: Malte Rolf (Hrsg.): Imperiale Biographien. Themenheft Geschichte und Gesellschaft 40. Heft 1 (2014). S. 1–16, hier S. 1. 3 Vgl. Rolf, Imperiale Biographien (wie Anm. 2), S. 4. 4 Vgl. Rolf, Imperiale Biographien (wie Anm. 2), S. 2.



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dieser Berufsgruppe individuelle Existenz und imperiale Strukturen wirklich so stark ineinander verschränkten. Wirkten diese Verflechtungen auch über den Zeitraum der lokalen Verhaftung im imperialen Raum fort? Andererseits lässt sich auch vermuten, dass ausgehend von der damaligen wirtschaftlichen, politischen und wissenschaftspolitischen Lage in den polnischen Gebieten auch persönliche Bedingungen und individuelle Entscheidungen zu der Konsequenz einer Einwilligung in den imperialen Kontext führten und das Imperium eher als „Ermöglichungsraum“ bewusst genutzt wurde.

Die Situation der polnischen Ärzte im russischen Imperium 1830–1914 Nach der Schließung der Warschauer und der Wilnaer Universität 1831 beziehungsweise 1832 waren in Litauen und im Königreich Polen die, die studieren wollten, für mehrere Jahrzehnte mehrheitlich auf die Ausbildung an den imperialen Universitäten in Dorpat, Moskau, Kiew und St. Petersburg angewiesen. Erst ab 1857 konnte in Warschau wieder Medizin studiert werden. Übereinstimmend wird in der Forschung jedoch festgestellt, dass sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Königreich Polen eine überproportional große Menge von Vertretern freier Berufe herausbildete, darunter auch von Ärzten.5 Hatten sich Mediziner in der Mitte des 19. Jahrhunderts noch eines hohen Prestiges erfreut, schlug sich nach 1880 die spürbar angestiegene Zahl an Ärzten auf die Verschlechterung ihrer materiellen Situation nieder.6 Die polnische Historikerin Magdalena Micińska etwa zitiert Beschreibungen der Perspektivlosigkeit polnischer Ärzte am Anfang des 20. Jahrhunderts, die sogar in einem Aufruf der Ärztezeitung Głos Lekarski gipfelte, nicht mehr Medizin zu studieren.7 Viele ausgebildete Ärzte gingen in die russischsprachigen Gebiete des Reiches oder nahmen eine Tätigkeit in anderen imperialen Randgebieten auf. Im Imperium der Romanovs gab es trotz aller politischen, sozialen und kulturellen Hierarchien zahlreiche Möglichkeiten für persönliche Entfaltung und individuelle Karrieren. Die Zugehörigkeit zur professionellen Elite bewirkte einen sozialen und kulturellen Aufstieg unabhängig davon, ob der Betreffende dem orthodoxen Glauben angehörte oder russischer Muttersprachler war. In jeder Gouvernementsstadt konnte man Polen antreffen, die sich vor Ort ein Auskommen gesucht hatten.8 Wer in den Kaukasus, 5 Vgl. Magdalena Micińska: Inteligencja na rozdrożach. Warschau 2008. S.  23; Andrzej Chwalba: Polacy w służbie Moskali. Warschau 1999. S. 45. 6 Vgl. Micińska, Inteligencja (wie Anm. 5), S. 23. 7 Vgl. Micińska, Inteligencja (wie Anm. 5), S. 24. 8 Vgl. Chwalba, Polacy (wie Anm. 5), S. 445.

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nach Sibirien oder an den Baikal kam, dem begegneten dort zudem zahlreiche Polen, die nach den Aufständen 1830/31 beziehungsweise 1863 verbannt worden waren.9 Einem kleinen Teil der Mediziner gelang eine wissenschaftliche Laufbahn. Sie wurden Hochschulprofessoren an imperialen Universitäten oder übernahmen leitende Funktionen an wichtigen Kliniken und Krankenhäusern. Andere machten Karriere als Militärmediziner. Ärzte, die leitende Stellungen im Heer hatten, wie beispielweise Ordinarien an Militärkrankenhäusern oder leitende Ärzte von militärischen Einheiten sowie Amtsärzte, die vom Innenministerium bestellt worden waren, gehörten zweifellos zur imperialen Elite. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts gab es dann auch den sehr begehrten Posten als Arzt bei einer Eisenbahndirektion.10 Im Mittelpunkt dieser Untersuchung sollen jedoch jene Ärzte aus dem polnischen Königreich stehen, die sich im 19. Jahrhundert für den Dienst in der zarischen Armee entschieden und dort einen Teil ihrer Berufszeit oder ihre gesamte berufliche Laufbahn verbrachten. Ihre Lebensläufe bilden die Grundlage der folgenden Darstellung. Flankiert werden sie von Medizinern, die sich für eine Amtsarztstelle in Russland verpflichtet hatten. Ausdrücklich ausgeschlossen bleiben in dieser Untersuchung jene polnischen Ärzte, die als Verbannte des Regimes nach 1831 beziehungsweise nach 1863 nach Sibirien kamen, auch wenn viele von ihnen ihrer beruflichen Tätigkeit am Verbannungsort nachgehen und dort auch forschen konnten.11

Ausgangspunkte für eine Karriere als mobiler Experte Circa je ein Viertel der Gruppe der Ärzte, deren Lebensläufe recherchiert wurden, studierte an den Universitäten in Dorpat oder Warschau sowie an der Petersburger Medizinisch-Chirurgischen Akademie.12 Weitere absolvierten ihre Ausbildung in Moskau, Kiew und Charkow. Die Finanzierung des Studiums stellte für die meisten der Studenten ein Problem dar. Es war aber auch möglich, ein kaiserliches Staatsstipendium zu erhalten. Im Gegenzug musste der Staatsstipendiat nach dem Abschluss seiner 9 Vgl. Franciszek Nowinski: Polacy na Syberii Wschodniej. Zeslancy polityczni w okresie mi ędzypowstaniowym. Danzig 1995. S. 168–170. 10 Vgl. Chwalba, Polacy (wie Anm. 5), S. 45. 11 Polnische Ärzte, die ausschließlich in Kriegszeiten mobilisiert wurden, so im Russisch-Türkischen Krieg 1877–1878, im Russisch-Chinesischen Krieg 1898 und im Russisch-Japanischen Krieg 1904–1905, spielen in dieser Untersuchung keine Rolle, da sie einer anderen Mobilisierungsstruktur unterlagen. Zu polnischen Wissenschaftlern, die nach Sibirien kamen und später im imperialen Auftrag forschten, verfolgt Maria Rhode an der Universität Göttingen das Forschungsprojekt „Wissenschaftler in der Verbannung: Sibirien als Wissensort: Transnationale Netzwerke 1860–1915.“ 12 Diese wurde 1881 in Militärmedizinische Akademie umbenannt. Vgl. Franciszek Nowiński: Po­lacy na Uniwersytecie Petersburskim w latach 1832–1884. Breslau [u.a.] 1986.



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Ausbildung sechs Jahre Dienst in der Zivilverwaltung oder im Heer leisten.13 Gerade an der Kaiserlichen Akademie für Militärmedizin in St. Petersburg studierten viele Stipendiaten. Diejenigen, die auf eine Vollfinanzierung durch ihre Eltern zählen durften, gingen zumeist an ausländische, d.h. an mittel- und westeuropäische Universitäten. Studienaufenthalte polnischer Studenten im Ausland und ihre dortigen Erfahrungen führten entweder zu einer starken Nationalisierung oder einer ausdrücklichen Vertiefung in einen Wissenschaftszweig und somit zu einer hochgradigen Spezialisierung. Häufig gab es die Motivation, den Fortschritt der jeweiligen Disziplin in Polen zu befördern.14 Der Studienaufenthalt war in gewisser Weise eine „Rite de Passage“.15 Analog dazu kann vermutet werden, dass die Studienzeit an imperialen Universitäten und die Perspektive des abzuleistenden Staatsstipendiums bereits zur Herausbildung konkreter Vorstellungen über den Karriereweg führten und eventuelle Varianten bereits im Kreis der Kommilitonen debattiert wurden. Nur vereinzelte Mediziner aus der Gruppe, deren Lebensläufe in Augenschein genommen wurden, schlugen nach der Ableistung ihrer Dienstverpflichtung eine Karriere in der Wissenschaft ein oder quittierten den Dienst. Die Mehrzahl blieb dem Heer als Arbeitgeber treu.

Quellenprobleme und historiographische Fragen Für diese Untersuchung wurden Lebensläufe von 112 polnischen Ärzten aus dem Königreich Polen und Litauen ausgewertet, die im Laufe des 19. Jahrhunderts nach einem Studium eine Stelle im zarischen Heer antraten. Zur Zusammenstellung dieser Biographien wurden vor allem Nachschlagewerke herangezogen.16 Über 70% der Protagonisten wurden zwischen 1830 und 1860 geboren. Das durchschnittlich ermittelte 13 Artur Kijas: Polacy w Rosji od XVII wieku do 1917 roku. Słownik biograficzny. Warschau 2000. Stipendienempfänger erhielten im ersten Jahr monatlich 30 Rubel, im 2. und in den folgenden Jahren 35 Rubel; sie waren vom Schulgeld befreit und erhielten außerdem Beihilfe zum Bücherkauf. Vgl. Cz. Wolanski: Ze wspomnien wychowanka Cesarskiej Akademii Wojskowo-Lekarskiej w Petersburgu, In: Archiwum Historii Medycyny 26. Heft 1–2 (1963). S. 114. Leider sind bisher keine Listen zur Vergabe von Staatsstipendien an polnische Studenten für das 19. Jh. bekannt, die ausgewertet hätten werden können. 14 Vgl. Ruth Leiserowitz: „Das unsichtbare Gepäck“. Warschauer Studenten und Wissenschaftler des 19. Jahrhunderts als Akteure des Wissenschaftstransfers. In: Ruth Leiserowitz [u.a.] (Hrsg.): Lese­ stunde. Lekcja czytania. Warschau 2013. S. 27–36, hier S. 32. 15 Vgl. Ruth Leiserowitz: Studenci z Warszawy i Królestwa Polskiego na uczelniach zagranicznych (1770/1869–1899) – konteksty imperialne i transnarodowe. Instytut Historii Nauki im. L. i A. Birkenmajerów, PAN Warschau 24. April 2014. S. 2. 16 Konrad Millak: Słownik polskich lekarzy weterynaryjnych. Lublin [u.a.] 1960; Piotr Szarejko: Słow­nik lekarzy polskich XIX wieku. Band 1–5. Warschau 1991–2000; Polska Akademia Nauk. Instytut Historii (Hrsg.) Polski słownik biograficzny. Krakau [u.a.] 1989–1993; Andrzej Śródka u. Paweł Szcza­wiński (Hrsg.): Biogramy uczonych polskich: materiały o życiu i działalności członków AU w Krakowie, TNW, PAU, PAN. Breslau 1991; Syberia w historii i kulturze narodu polskiego. Breslau 1998.

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Lebensalter betrug 57 Jahre. Die Mehrzahl von ihnen starb vor dem ersten Weltkrieg, nur ca. 7% erlebten noch die Wiederbegründung des polnischen Staates. Es handelt sich also im Großen und Ganzen um eine Kohorte, deren gesamtes Leben zur Zeit der zarischen Herrschaft in Polen verlief und die keine der großen politischen Umbrüche erlebten. Unter Polen werden in diesem Zusammenhang diejenigen Personen verstanden, die sich unabhängig von ihrem Wohnort und der Situation der Besatzung und Fremdverwaltung als Polen begriffen und Polen insgesamt als „vorgestellte Gemeinschaft“ verstanden. In der polnischen Historiographie wird das Imperium als Vorstellungs- und Erfahrungsraum für Polen im 19. Jahrhundert zum großen Teil bisher nicht berücksichtigt, auch der Traum von einer „Moskauer Uniform“ gehört zu den Fragen, die noch unerforscht sind.17 Die Weite des Imperiums bestimmte jedoch vielfach private und berufliche Vorstellungen und Hoffnungen. Absolventen der Universitäten sahen das Imperium als Machtraum. Aber auch als Möglichkeit und als persönliche Chance. Sie befanden sich hier in einem Kräftefeld, in dem es einerseits um die Festigung des imperialen Anspruches und andererseits um die Förderung von Mobilität in Form von Kaderpolitik ging. Offensichtlich sollten besonders für das Heer zahlreiche Fachkräfte bereitgestellt werden. Dieser gezielten imperialen Politik konnten sich die wenigsten Polen entziehen. Nur in seltenen Fällen konnten Familien die Mobilität gen Osten durch karriereunterstützende Finanzierungshilfen Richtung Westen verhindern. Es wurden auch russische Staatsstipendien für wissenschaftliche Aufenthalte im Ausland verliehen, von denen auch Polen profitierten, allerdings in geringer Zahl. Theodore Weeks schildert in seinem Beitrag die imperiale Karriere des Jan Baudouin de Courtenay, der als Pole eine derartige Finanzierung erhielt. Darüber hinaus blieb ihnen nur stille Duldung. Ein Militärarzt trug zweifelsohne eine „Moskauer Uniform“. Natürlich stieß sie auf Ablehnung bei erklärten polnischen Patrioten, andererseits symbolisierte sie in gewisser Weise einen beruflichen Erfolg.18 Polnische Funktionäre mit Orden auf der Brust nahmen sogar bisweilen an katholischen Gottesdiensten teil.19 Inwiefern und in welchem Maße das Tragen einer zarischen Uniform durch einen Polen von der polnischen Gesellschaft akzeptiert wurde, ist bisher noch Desiderat der Forschung.20 Nach 1864 galt jedenfalls vielfach die Devise: „Wo mich die Karriere hinführt, dort liegt das Vaterland“.21 Es kam im Königreich zu vielen Diskussionen, ob man den Begriff der Verpflichtung des Polen zu eng sehe oder ob man nicht als Wissenschaftler und Experte die wenigen Möglichkeiten nutzen müsse, zur Verbreitung polnischen Ruhms in der Welt beizu-

17 Vgl. Chwalba, Polacy (wie Anm. 5), S. 47. 18 Chwalba, Polacy (wie Anm. 5), S. 244. 19 Chwalba, Polacy (wie Anm. 5), S. 51. 20 Chwalba, Polacy (wie Anm. 5), S. 52. 21 Chwalba, Polacy (wie Anm. 5), S. 54f.



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tragen.22 Hier spielten auch die Überlegungen der Warschauer Positivisten eine Rolle, die davon überzeugt waren, dass „organische Arbeit“ und konstruktiver Patriotismus die Schlüssel zur Überwindung der Fremdherrschaft darstellten. Dieses Gedankengut hatte für polnische Verhältnisse einen innovativen Charakter. 23 Die Intelligenz hatte innerhalb dieser Überlegungen die wichtige Aufgabe, der „Emanzipation“ des Volkes zu dienen. 24 Es gab insofern zahlreiche Vorbehalte gegen Arbeitsaufenthalte in den Weiten des Imperiums. Es herrschte die Ansicht vor, dass man im Osten leichter „seine Seele verliere“25; der Warschauer Tygodnik Ilustrowany äußerte sich mehrfach negativ über gemischte Ehen polnischer Arbeitsmigranten in Sibirien.26 In einer Roman Dmowski zugeschriebenen Äußerung von 1894 ist sogar die Rede von „ganzen Legionen unserer Jugend, die eine höhere Ausbildung abgeschlossen haben“ und „soweit nach Osten [gehen – RL], dass sich viele am Ufer des Stillen Ozeans wiederfinden oder in Mittelasien, […] um dort für eine fremde und uns feindliche Gesellschaft zu arbeiten.“27 In diesem Zusammenhang verwundert es wenig, dass dieser Personenkreis, sofern er nicht nach 1918 nach Polen zurückkehrte und dann vor allem im polnischen Heer aktiv wurde, in Vergessenheit geriet. Einige dieser Lebensläufe werden hier ausführlicher vorgestellt, um Entscheidungswege sowie Handlungsspielräume nachzuzeichnen und so die Herausbildung eines Milieus polnischer Militärärzte im Imperium zu beleuchten. Dabei wird auch nach dem jeweiligen Grad der Verschränkung von individueller Existenz und imperia­ len Strukturen gefragt.

Mobilitäts- und Karrieremuster Grundsätzlich muss angemerkt werden, dass Studierte bei den Berufsoffizieren in der zarischen Armee nicht sehr wohl gelitten waren, so dass die Heeresmediziner innerhalb des Offizierskorps eher eine eigene kleine Gruppe bildeten.28 Nach der ersten Entsendung bestand die Möglichkeit, aufgrund hervorragender Leistungen für einen Zeitraum von drei Jahren an die Militärmedizinische Akademie nach St. Petersburg delegiert zu werden und dort ein Promotionsstudium zu absolvieren.29 Wie mit der Herausforderung am Einsatzort umgegangen wurde, war vor allem eine persönliche 22 Vgl. Micińska, Inteligencja (wie Anm. 5), S. 77. 23 Vgl. Tomasz Kizwalter: Über die Modernität der Nation. Der Fall Polen. Osnabrück 2013. S. 325. 24 Kizwalter, Modernität (wie Anm. 23), S. 345. 25 Kizwalter, Modernität (wie Anm. 23), S. 345. 26 Sabine Dumschat: Ausländische Mediziner im Moskauer Rußland. Stuttgart 2006. 27 Zitiert nach: vgl. Micińska, Inteligencja (wie Anm. 5), S. 77. 28 Wincenty Tomaszewicz: Ze wspomnień lekarza. Warschau 1965. S. 167. 29 So u.a. Jan Wróblewski, Szarejko, Słownik (wie Anm. 16), S. 318.

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Entscheidung. Natürlich trafen die engagierten und ehrgeizigen Mediziner auch auf Kollegen, die sich neben der Ausübung ihres Berufes vorwiegend dem Alkohol oder dem Kartenspiel widmeten.30 Häufig erfüllten junge Ärzte ihre Dienstverpflichtung nach der Gewährung des Staatsstipendiums am Studienort. Ebenfalls finden sich zahlreiche Belege, dass Ärzte nach dem Studium in Warschau in dortigen Militärhospitälern eingesetzt wurden31 oder nach einem Studium in Russland in militärmedizinischen Einrichtungen in Polen tätig waren.32 In diesen Fällen wurde die Phase als Militärarzt in Russland also eher als notwendiger Übergang betrachtet, den die ehemaligen Staatsstipendiaten rasch hinter sich bringen wollten. Gleiches gilt für viele Absolventen, die nach Studienende an einen fernen Einsatzort entsandt wurden. Ein Beispiel dafür ist Jan Minkiewicz (1826–1897). Er leistete nach dem Studium in Moskau 1848–1849 in der Festung Temir-Chan-Szura in Dagestan seine Pflichtzeit ab. Bereits 1850 legte er seine Dissertation vor.33 Augenscheinlich hatte ihm der Dienst am Einsatzort relativ viel Freiraum für die persönliche Weiterbildung gelassen, aber auch die Vorlage für ein Dissertationsthema geliefert.34 Zu dieser Gruppe von Ärzten zählen ebenfalls Kazimierz Bentkowski (1849–1890), der 1875 sein Arztdiplom in Warschau ablegte und dann Militärarzt in Mittelasien wurde, sowie der Gynäkologe und Balneologe Piotr Alfons Ambrożewicz (1855–1923), der ab 1883 in Brjansk stationiert war. Eine weitere Gruppe von Ärzten diente längere Zeit freiwillig im zarischen Herr. Kazimierz Kardaszewicz steht als Beispiel eines promovierten Militärarztes, dessen berufliches Leben von häufigen Versetzungen gekennzeichnet war.35 Nach seiner Promotion in Moskau 1879 wurde er Berufsoffizier im russischen Gesundheitswesen. Zuerst diente er als Arzt in der Infanterie in Kamenec-Podol’skij, 1884 erhielt er eine zweijährige Weiterbildung an der Militärmedizinischen Akademie in St. Petersburg. 1895 kam er als leitender Arzt zur Kavallerie an den Ussuryj, dann nach Port Artur und Talenvan, 1899 übernahm er die Leitung des Militärhospitals in Chabarovsk. 1907 ließ er sich aus dem Fernen Osten nach Bender in Bessarabien versetzen, wo er 10 Jahre das Militärhospital leitete. Zuletzt diente er im Rang eines Generalmajors.36 Eine dritte Gruppe ließ sich erst zu einem späteren Zeitpunkt dienstverpflichten, um Pflicht und Neigung miteinander zu verbinden und die Möglichkeiten des Imperiums für sich zu nutzen. Julian Talko-Hryncewicz (1850–1936), der zuerst in der Ukraine 30 Julijan Talko-Hryncewicz: Z przeżytych dni, 1850–1908. Warschau 1930. S. 221. 31 Teodor Heman, Edward Korniłowicz, Jan Kanty Przybulski. 32 Teofil Rewoliński (1821–1917) war von 1847 bis1859 in den Militärhospitälern in Ujazdow und Łowicz tätig. 33 Piotr Szarejko: Słownik lekarzy polskich XIX wieku. Band 4. Warschau 1997. S. 193–196. 34 Jan Minkiewicz: De febre intermittente eiusque exibitus, in Caucaso praecipue Dagestano. Mos­ kau 1850. 35 Antoni Bialecki: Rękopisma Dlugosza w petersburskich bibliotekach pod wzgledem paleografianym i biliografianyon rozpatrzy. Petersburg 1860; Kijas, Polacy (wie Anm. 13), S. 146–147. 36 Tomaszewicz, Ze wspomnień lekarza (wie Anm. 28), S. 167.



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tätig war, arbeitete zwischen 1892 und 1908 an der mongolischen Grenze als Amtsarzt und betrieb hier anthropologische Forschungen zu den Burjaten. Der Veterinär Piotr Boczkowski war seit 1900 Veterinärinspektor in Port Artur, wo er seiner Sammelleidenschaft nachging.37 Tomasz Augustynowicz (1809–1891) kehrte mehrfach in den Militärdienst zurück, um seine botanischen Studien fortzusetzen.38 Bereits anhand dieser wenigen Beispiele lässt sich erkennen, dass hauptsächlich zwei Muster verwirklicht wurden. Das eine zeigt die Entdeckung einer Neigung zur vertieften wissenschaftlichen Tätigkeit im Kontext des zugewiesenen Einsatzortes. Das andere Muster besteht darin, in den Staatsdienst zu gehen und sich an einen fernen Ort versetzen zu lassen, um die eigenen Forschungen voranzutreiben.

Motive und Leistungen der Experten Die Mehrzahl der ehemaligen Staatsstipendiaten war länger als dringend vorgeschrieben in militärischen Strukturen tätig. Verschiedene Motive waren für diese Entscheidung ausschlaggebend. In erster Linie dürfen die finanziellen Aspekte auf keinen Fall unterschätzt werden. Die Arbeit im Dienst des Staates wurde gut bezahlt und war wesentlich attraktiver als der aufreibende und wenig ertragreiche Arbeitsalltag eines Landarztes.39 Hinzu kam die Möglichkeit, eine provinzielle Umgebung verlassen zu können. Vermutlich haben auch Abenteuerlust und Fernweh eine Rolle gespielt, denn das Heer bot auch sehr exotische Einsatzorte an. Für einzelne Personen lässt sich auch ausgesprochenes Forschungsinteresse als Beweggrund ausmachen. Doch kam dieses eher selten vor. Der Dienst im Heer war attraktiv: Jeder, der sich zum Dienst in den Osten begab, wurde für mindestens drei Jahre verpflichtet. Alle fünf Jahre wurde dem Beamten ein Viertel der erworbenen Pensionsansprüche als sibirische Zulage berechnet. Man konnte bis zu vier dieser Zulagen erzielen. Alle drei Jahre erhielt man ein halbes Jahr Urlaub. Im Übrigen wurden drei abgeleistete Jahre als vier bis zur Emeritierung gezählt. Als Verheirateter erhielt man als Ausreisegeld 2.000 Rubel.40 Das war für die damalige Zeit eine bedeutende Summe, wenn man bedenkt, dass ein Arzt in Warschau Anfang des 20. Jahrhunderts (1904) ca. 4.100 Rubel pro Jahr verdiente.41 Inwiefern Entscheidungen für ferne Einsatzorte mit familiären Gründen verkoppelt waren, lässt sich schwer beurteilen, da Angaben über Ehefrauen in der Regel nicht überliefert wurden. Einzig die Existenz von Kindern lässt bisweilen den Rück37 Kijas, Polacy (wie Anm. 13), S. 26. 38 Kazimierz Karaffa-Korbutt, In: Archiwum Historii Medycyny 48. Heft 1 (1985). S. 10–11. 39 Vgl. Chwalba, Polacy (wie Anm. 5), S. 140. 40 Talko-Hryncewicz, Z przeżytych dni (wie Anm. 30), S. 221. 41 Anna Kreft: Rosyjskie pismo „Akuszerka” w latach 1890–1913 i jego polski wydawca. In: Medycyna Nowożytna: studia nad historią medycyny 11. Heft 1 (2004). S. 77–112, S. 88.

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schluss auf eine gegründete Familie zu. Aus den Memoiren von Talko-Hryncewicz ist zu erfahren, dass der bereits verwitwete Arzt vor seinem Aufbruch nach Sibirien erneut heiratete, da er ganz bewusst eine Gefährtin für dieses Abenteuer bei sich haben wollte.42 Er konnte sich einen Wohnort wählen, der seiner Meinung nach ein wenig europäische Kultur besaß. Er hoffte, seiner Frau dadurch den Aufenthalt in der Ferne etwas zu erleichtern.43 Seine Frau sprach anfangs kein Russisch, wurde dann jedoch sehr selbstständig und reiste beispielsweise später auch alleine von dem Einsatzort ihres Mannes an der mongolischen Grenze bis nach Europa, um ihre Angehörigen zu besuchen. 44 Die berufliche Laufbahn, der soziale Aufstieg, die materielle Befriedigung beziehungsweise die finanziellen Vorteile sowie eine abwechslungsreiche Lebensgestaltung waren starke Gründe für die Entscheidung zu dieser Karriere. Aber zweifellos spielten auch weitere Verlockungen des Imperiums eine Rolle. Die Neugier auf ferne Länder, andere Kulturen, abwechslungsreiche Landschaften und ein allgemeiner Forschungsdrang können hier genannt werden. Verstärkend kam hinzu, dass sich Russland gerade im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts mental nach Osten wandte45 und Sibirien im Fokus des staatlichen Interesses stand, was auch wesentlich durch finanzielle Anreize untermauert wurde. Ein Beispiel für die wesentliche Rolle finanzieller Anreize ist die Entscheidung von Julian Talko-Hryncewicz, noch im fortgeschrittenen Alter nach Sibirien zu gehen: Er war auf die hohen Zulagen beim Arbeitseinsatz im Fernen Osten angewiesen.46 Talko-Hryncewicz hatte über all dem seinen Besitz eingebüßt und war bereits vierzig Jahre alt, als er einen Neuanfang beschloss. Er suchte eine Stelle, die nicht nur seiner Qualifikation, sondern auch seinen Neigungen entsprach.47 Der Arzt und Anthropologe verheimlichte keinesfalls seine Motive. Er hatte 1876–1877 zwischen Studium und Arbeitsantritt eine längere Studienreise nach Frankreich, Deutschland und Österreich unternommen und in Paris auch Vorlesungen des Anthropologen Brock gehört, die sein Forschungsinteresse in besonderem Maße beeinflussten.48 Er hatte bereits einige anthropologische Arbeiten veröffentlicht und diese wissenschaftliche Beschäftigung verschaffte ihm eine gewisse Genugtuung. Er hatte ebenfalls Verbindungen zu zahlreichen russischen Wissenschaftlern in Petersburg und Moskau geknüpft, aber auch zu deutschen. Insbesondere stand er mit Izydor Kopernicki in Krakau in Kontakt, der nach seiner Karriere als Militärarzt im 42 Talko-Hryncewicz, Z przeżytych dni (wie Anm. 30), S. 221. 43 Talko-Hryncewicz, Z przeżytych dni (wie Anm. 30), S. 213–214. 44 Talko-Hryncewicz, Z przeżytych dni (wie Anm. 30), S. 305. 45 Antoni Białecki: Przedmowa. In: Robert Mohl (Hrsg.): Encyklopedia umiejętności 3 politycznych. Warschau 1864–1865. 46 Jerzy Supady: Julian Talko-Hryncewicz – lekarz, antropolog i badacz Syberii, In: Polskie Archiwum Medycyny wewnętrznej 117 (11–12) (2007). http://pamw.pl/sites/default/files/pamw_11-12_supady_ talko-hryncewicz_hist.pdf (29.07.2014). 47 Vgl. Talko-Hryncewicz, Z przeżytych dni (wie Anm. 30), S. 197. 48 Talko-Hryncewicz, Z przeżytych dni (wie Anm. 30), S. 122, S. 128–130.



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zarischen Heer erst als Dozent und später als Professor für Anthropologie an der Krakauer Universität lehrte.49 Kopernicki versuchte, Talko-Hryncewicz brieflich davon zu überzeugen, sein russisches Diplom in Krakau nostrifizieren zu lassen und sich dort im Fach Anthropologie zu habilitieren. Talko-Hryncewicz lehnte ab, in seiner misslichen materiellen Lage kam das nicht in Betracht.50 Auch den Vorschlag eines Freundes, nach Amerika auszuwandern und dort dessen Apotheke zu übernehmen, nahm er nicht an. Stattdessen beschloss er, sich um eine Stelle als Arzt in Sibirien zu bemühen, um seine Schulden bezahlen und mit der wissenschaftlichen Arbeit fortfahren zu können.51 Rückblickend notierte er in seinen Erinnerungen, dass er den Weggang nach Sibirien bewusst gewählt habe. Er fügte hinzu, dass er Sibirien auch als das Land kennenlernen wolle, durch das ganze Generationen polnischer Vertriebener gewandert seien und dort deutliche Spuren hinterlassen hätten.52 Ob das zweite Argument um 1891, im Moment seiner Entschlussfindung eine derart wichtige Rolle gespielt hat oder ob es sich erst zur Zeit der Niederschrift stärker herauskristallisierte, lässt sich im Nachhinein nicht beurteilen. Nachdem er seinen Entschluss gefasst hatte, ging er überaus strategisch vor. Er suchte Kontakte zum Innenministerium in Petersburg herzustellen.53 Schließlich bekam er über eine neu geknüpfte Bekanntschaft den Hinweis, dass eine Stelle in Troickosawosk, direkt an der mongolischen Grenze, zu vergeben sei. Er bewarb sich umgehend und erhielt wenig später die Entsendung. Talko-Hryncewicz zeigte sich begeistert von dieser Nachricht, da er meinte, dass dieser Ort, an dem verschiedene ostasiatische Völker lebten, einer der interessantesten Beobachtungspunkte für einen Anthropologen sei.54 Er glaubte, dass ihm die Position eines Kreisarztes aufgrund der ausgedehnten Reisetätigkeit die Forschungstätigkeit erleichtern würde. Seine amtlichen Pflichten begrenzten sich ausschließlich auf die gerichtsmedizinischen Angele­genheiten im Kreis.55 Welche Leistungen vollbrachten diese Experten über ihre normalen Berufsverpflichtungen hinaus? Talko-Hryncewicz wurde 1899 in die mongolische Haupstadt Urgi entsandt, um die sich dort ausbreitende Pest zu bekämpfen. Während seines dortigen Aufenthaltes fand er heraus, dass die Pest in dem betroffenen Gebiet hauptsächlich von Murmeltieren übertragen wurde. 56 Kazimierz Bentkowski, der Militär49 Vgl. Kopernicki, Isidor. In: Julius Leopold Pagel (Hrsg.): Biographisches Lexikon hervorragender Ärzte des neunzehnten Jahrhunderts. Wien 1901, Spalte 898. 50 Talko-Hryncewicz, Z przeżytych dni (wie Anm. 30), S. 197. 51 Talko-Hryncewicz, Z przeżytych dni (wie Anm. 30), S. 197. 52 Talko-Hryncewicz, Z przeżytych dni (wie Anm. 30), S. 198. 53 Talko-Hryncewicz, Z przeżytych dni (wie Anm. 30), S. 212. 54 Talko-Hryncewicz, Z przeżytych dni (wie Anm. 30), S. 213f. 55 Talko-Hryncewicz, Z przeżytych dni (wie Anm. 30), S. 221. 56 Jerzy Supady: Julian Talko-Hryncewicz – lekarz, antropolog i badacz Syberii, In: Polskie Archiwum Medycyny wewnętrznej 117. (11–12) (2007). http://pamw.pl/sites/default/files/pamw_11-12_supady_

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arzt in Mittelasien war, gründete 1888 eine erste Klinik in Taschkent.57 Piotr Alfons Ambrożewicz gab über einen längeren Zeitraum eine medizinische Zeitschrift unter dem Titel Akušerka heraus und begründete in Odessa eine Hebammenschule. Der Tierarzt Piotr Boczkowski, der ebenfalls im Fernen Osten tätig war, verfasste ein Handbuch für Veterinärmediziner und schrieb zudem etliche Fachartikel. Auch sein Fachkollege Waclaw Kalikst Bienkiewicz (1863–1928), der von 1891–1907 in Kasachstan und Sibirien diente, verfasste zahlreiche Aufsätze.58 Diese Beispiele für die Verbreitung medizinischen Wissens durch polnische Ärzte im zarischen Dienst lassen sich weiter fortsetzen. Derartige Leistungen im Bereich des wissenschaftlichen Transfers von West nach Ost wurden in der Forschung bisher eher unzureichend dokumentiert. Als einer der wichtigen Vertreter gilt hier der bereits erwähnte Jan Minkiewicz. Er gehörte zu der kleinen Gruppe von Militärärzten, denen ein imperiales Reisestipendium gewährt wurde. Er hielt sich drei Jahre lang (1859–1862) zur Weiterbildung in deutschen, französischen und britischen Kliniken auf, um u.a. neue Operationstechniken zu studieren. Er war einer der Mitbegründer der „Gesellschaft der Ärzte des Kaukasus“, lange Jahre auch deren Vorsitzender. Er verfasste und veröffentlichte über 150 medizinische Aufsätze in polnischer, russischer und deutscher Sprache.59 Vor allem wurden polnische Militärärzte aber durch geographische und ethnographische Forschungen bekannt, die sie neben ihrer Tätigkeit betrieben. Dazu zählen Polarforscher wie Jozef Trzemeski (1879–1923), der nach dem Studium als Marinearzt an mehreren großen Expeditionen teilnahm und ausführlich darüber in den Zeitschriften Morskoj Vrač und Zapiskach po Gidrografii berichtete.60 Der Mediziner Julian Talko-Hryncewicz forschte zwischen 1892–1908 zu den Burjaten und publizierte seine Forschungsergebnisse.61 Darüber hinaus begründete er die Sektion „Amurgebiet“ der „Russischen Geographischen Gesellschaft“ und arbeitete damit für eine Gesellschaft, die im Russischen Reich ein hohes Prestige besaß.62 Er organisierte im Zeitraum von 14 Jahren ca. 200 Veranstaltungen dieser Gesellschaft,63 richtete ein Museum sowie eine Bibliothek ein, die 5.000 Bände umfasste und veröffentlichte ein Dutzend Bände mit Beiträgen aus der sibirischen, russischen und europäischen Forschung.64 Der Veterinär Piotr Boczkowski war seit 1900 Veterinärinspektor in Port Artur, wo er für die Region typische Pflanzen sowie Gegenstände sammelte und dazu eine Ausstellung organisierte. Der von ihm bearbeitete Katalog mit 776 gelisteten Exponaten

talko-hryncewicz_hist.pdf (29.07.2014). 57 Kijas, Polacy (wie Anm. 13), S. 23–24. 58 Kijas, Polacy (wie Anm. 13), S. 26. 59 Szarejko, Słownik (wie Anm. 33), S. 193–196. 60 Kijas, Polacy (wie Anm. 13), S. 361. 61 Talko-Hryncewicz, Z przeżytych dni (wie Anm. 30), S. 308. 62 Kijas, Polacy (wie Anm. 13), S. 246. 63 Talko-Hryncewicz, Z przeżytych dni (wie Anm. 30), S. 313. 64 Talko-Hryncewicz, Z przeżytych dni (wie Anm. 30), S. 314.



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wurde später auch in St. Petersburg und in Warschau gezeigt.65 Tomasz Augustynowicz verbrachte sechs Jahre zu botanischen Studien in Ostsibirien, u.a. auf der Insel Sachalin und schrieb darüber das Buch „Rayon Kolyma“.66 Diese gewissermaßen als „exotisch“ geltenden Leistungen wurden auch in der zeitgenössischen polnischen Öffentlichkeit anerkannt. Ohne Hinweis darauf, dass sie von Männern in „Moskauer Uniformen“ erbracht worden waren, galten sie als polnische zivilisatorische Leistungen.67 In diesem Zusammenhang wurde die zarische Zugehörigkeit eher verschwiegen, denn die Vereinbarkeit von staatlicher Zugehörigkeit und polnischen Leistungen war nicht ausgehandelt. Hier ließe sich die Frage anschließen, inwiefern ethnographische und anthropologische Erkenntnisse für polnische Forscher relevant waren. Anscheinend spielten diese Wissenschaftszweige für die Imagination des Nationalen und Imperialen eine wichtige Rolle. Sie konnten sich im Zeitalter der Professionalisierung der ethnographischen Forschung profilieren. Darüber hinaus wollten die polnischen Wissenschaftler im Gegensatz zu den westlichen Anthropologen, die inspiriert vom Darwinismus die Wiege der Menschheit erforschten, ihre eigene Kultur und deren Ursprünge analysieren, definieren und auf diese Art auch bewahren.68 Auch Talko-Hryncewicz begründete in diese Richtung sein Forschungsinteresse, indem er deutlich formulierte, dass er „der finnischen und der mongolischen Rasse große Bedeutung für Osteuropa und für die Herausbildung unseres Typs“ zuschrieb.69 Maria Rhode zufolge haben polnische Forscher, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Sibirien forschten, sich in einem Dreieck zwischen dem Eigenen (Polnischen), dem Fremden (Russischen) und den Fremden (den nichtchristlichen Völkern Sibiriens) positioniert.70 Obwohl diese Wissenschaftler keinen Nationalstaat hinter sich hatten, wiesen sie eine sehr spezifische Haltung auf. Einerseits integrierten sie ihre eigenen Erfahrungen als Objekt imperialer Herrschaft. Andererseits konstruierten sie durch die Betonung ihrer Ebenbürtigkeit auf den Gebieten der (kolonialen) Wissenschaft und durch die Partizipation an und Organisation von (kolonialen) Expeditionen eine vorgestellte und praktizierte Gemeinschaft von Europäern.71

65 Kijas, Polacy (wie Anm. 13), S. 26. 66 О tuzemnych plemenach Kolymskogo kraja. Moskau 1878. Vgl. Kijas, Polacy (wie Anm. 13), S. 10– 12. 67 Vgl. Micińska, Inteligencja (wie Anm. 5), S. 77. 68 Piotr Sztompka (Hrsg.): Masters of Polish sociology. Breslau [u.a.] 1984. 69 Talko-Hryncewicz, Z przeżytych dni (wie Anm. 30), S. 198. 70 Vgl. Maria Rhode: Zivilisierungsmissionen und Wissenschaft. Polen kolonial? In: Geschichte und Gesellschaft 39 (2013). S. 5–34, hier: S. 19. 71 Rhode, Zivilisierungsmissionen (wie Anm. 70), S. 7.

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Imperiale Öffentlichkeit Die Reiseberichte von Talko-Hryncewicz schildern zugleich, wie sich die Infrastruktur im zarischen Imperium Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte und welche Verdichtungen daraus erfolgten. Vor allem der Eisenbahnbau, der gerade in Richtung Sibirien große Fortschritte machte, ermöglichte einen schnelleren Postweg, wodurch auch die Verbreitung der Presse auf einem ganz neuen Niveau möglich wurde. Diese neue Situation führte zur Ausbreitung und Professionalisierung der Fachpresse, wozu die bereits erwähnten Experten beitrugen. Die bereits oben genannte Zeitschrift Akušerka wurde von Piotr Alfons Ambrożewicz über einen Zeitraum von 13 Jahren (1890–1913) herausgegeben. Sie richtete sich an Hebammen und Feldscher. Der Herausgeber machte es sich zum Ziel, Hebammen auch nach ihrer Ausbildung über die Weiterentwicklungen ihrer Tätigkeit zu informieren. Sie sollten durch die regelmäßige Lektüre der Zeitschrift in der Lage sein, ihren Beruf nach neuesten Erkenntnissen auszuüben.72 Die Zeitschrift hatte ein hohes Niveau, sie war die einzige dieser Art in Russland und erfreute sich einer große Popularität. Die meisten Artikel wurden von St. Petersburger und Moskauer Fachärzten verfasst, aber es gab auch zahlreiche Übersetzungen von Fachaufsätzen aus dem Deutschen, dem Englischen und dem Polnischen. In der polnischen Fachpresse gab es regelmäßig Hinweise auf die Bezugsmöglichkeiten.73 Die Zeitschrift vertiefte nicht nur das Wissen der Hebammen und der Feldscher, sondern stellte auch die Möglichkeit bereit, Nachrichten zu verbreiten. Piotr Ambrożewicz trug Sorge, dass in der Zeitung über Dinge informiert wurde, die die Adressaten der Zeitung unmittelbar betraf, etwa Bekanntmachungen über freie Arbeitsstellen, Möglichkeiten der Weiterbildung, Informationen über die Gründung von Hebammenvereinen. Er ermutigte zudem zur direkten Korrespondenz sowie zur allgemeinen Diskussion von Problemen und Ansichten mit anderen Berufskollegen.74 Bezüglich der Wirkung in der imperialen Öffentlichkeit spielten auch die wissenschaftlichen Gesellschaften eine wesentliche Rolle. So stellte die 1845 gegründete „Russische Geographische Gesellschaft“ ein besonders prestigereiches Projekt dar.75 Deren Ethnographische Abteilung förderte in gewissem Umfang Forschungsreisen von Spezialisten.76 Julian Talko-Hryncewicz fand in diesem Rahmen vor allem ein Forum für die Veröffentlichung seiner Forschungsergebnisse. So hielt er in Petersburg und Moskau mehrere Vorträge, veröffentlichte vielfach in den Publikationsreihen der Gesellschaft und schrieb sich somit als polnischer Wissenschaftler in die imperiale 72 Kreft, Rosyjskie pismo (wie Anm. 41), S. 83. 73 Kreft, Rosyjskie pismo (wie Anm. 41), S. 78. 74 Kreft, Rosyjskie pismo (wie Anm. 41), S. 110. Um noch ein weiteres Beispiel zu nennen: Auch der Tierarzt Waclaw Kalikst Bienkiewicz veröffentlichte zahlreiche Aufsätze, besonders zu Fragen der Viehzucht und deren Schutz in der Steppe, vor allem im Vestnik Obscestvennoj Veterinarii, einem Fachorgan das im gesamten Imperium bezogen wurde. Vgl. Kijas, Polacy (wie Anm. 13), S. 26. 75 Heinrich Higier: Ueber unilaterale Hallucinationen. Wien 1894. S. 89. 76 Higier, Hallucinationen (wie Anm. 75), S. 91.



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Öffentlichkeit ein.77 Zweifellos darf die imperiale Öffentlichkeit, die die genannten polnischen Experten erfuhren, nicht überschätzt werden. Aber sie wurde durchaus auch innerhalb der polnischen Öffentlichkeit mit Genugtuung registriert.

Polen im russischen Imperium: Identität und Loyalität Insgesamt lässt sich feststellen, dass es in dieser Expertengruppe zu keinem ausgeprägten Antagonismus von Imperialität und Nationalität kam. Es traten Mischformen von loyalem Verhalten einerseits dem Arbeitgeber, andererseits der eigenen Nation gegenüber auf und häufig bildeten sich multiple Identitäten heraus. Jede Persönlichkeit wies ihre eigenen Facetten auf. Talko-Hryncewicz verortete sich eindeutig als polnisch. So berichtete er in seiner zu Zeiten der Zweiten Polnischen Republik erschienenen Biographie, dass er 1902 als Beamter in den fernen Gebieten des zarischen Imperiums nur unter gewissen Schwierigkeiten einen Auslandspass erhalten habe, um Galizien, das er in diesem Zusammenhang als „damaliges Piemont Polens“ bezeichnet, besuchen zu können. Er schildert weiter, dass sich dort Wissenschaft, Literatur, Kunst und polnisches politisches Gedankengut zu dieser Zeit frei entfalten und entwickeln konnten. Er wollte dort „freie Luft atmen und Mut und frische Kräfte schöpfen für die weitere Arbeit unter den Fremden.“78 Für ihn war Sibirien augenscheinlich nur das gut bezahlte Forschungsfeld, mit dem ihn darüber hinaus nichts verband. Den Verzicht auf das Angebot, nach Amerika zu gehen, begründete er rückblickend damit, dass ihm das amerikanische Leben nicht entspräche. Er sei zur Überzeugung gekommen, dass „der Weggang nach Amerika einem Bruch mit Europa gleichgekommen wäre und was noch schlechter gewesen wäre – einem Bruch mit dem Land [gemeint ist das polnische Vaterland – RL].“79 Auch hier bekennt er sich klar zu seiner polnischen Identität. Er publizierte in polnischen Fachzeitschriften,80 veröffentlichte polnisch-sprachige Monographien81 und wurde 1908 auf eine Professur für Anthropologie an der Jagiellonen-Universität in Krakau berufen, die er bis 1931 wahrnahm. Andere Kollegen hingegen nahmen Rufe an polnischsprachige Uni77 Talko-Hryncewicz, Z przeżytych dni (wie Anm. 30), S. 308. 78 Talko-Hryncewicz, Z przeżytych dni (wie Anm. 30), S. 306. 79 Talko-Hryncewicz, Z przeżytych dni (wie Anm. 30), S. 198. 80 Julian Talko-Hryncewicz: Spostrzeżenia objawów fizjologicznych życia płciowego u mieszkanek powiatu zwinogródzkiego i okolic do niego przyległych guberni kijowskiej. In: Zbiór Wiadomości do Antropologii Krajowej 10 (1886). S. 20–34; Julian Talko-Hryncewicz: Trwanie życia ludzkiego w powiecie zwinogródzkim guberni kijowskiej,obliczone na zasadzie wykazu zmarłych w 26 latach (1860–1885). In: Zbiór Wiadomości do Antropologii Krajowej 12 (1888). S. 1–19. Siehe ebenso: Karol J. T. Estreicher: Bibliografia polska: XIX. stulecia: lata 1881–1900. Band 4 (R-Z). Krakau 1916. S. 367–368. 81 Julian Talko-Hryncewicz: Zarysy lecznictwa ludowego na Rusi Południowej. Krakau 1893.

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 Ruth Leiserowitz

versitäten nicht an und verwiesen auf ihre guten Arbeitsbedingungen in Russland. Jan Surman schildert in seinem Aufsatz ein Gegenbeispiel, in dem er die Karriere des Medizinprofessors Józef Dietls beschreibt. Bisweilen richteten sich Ärzte nach der Entlassung aus dem Militärdienst auch innerhalb des Imperiums anscheinend recht komfortabel ein. So gründete Ambrozewicz 1897 sein eigenes Sanatorium in der Nähe von Odessa, das rasch große Popularität erlangte und auch von Polen frequentiert wurde.82 Und Juliusz Cezary Wieckowski (1850–1932) widmete sich nach zahlreichen Einsätzen im Heer schließlich seiner Mandarinenplantage und Bienenzucht in der Nähe von Batumi.83 Ähnliches gilt auch für den bereits erwähnten Minkowski. Dieser schrieb ebenfalls wissenschaftliche Artikel auf Polnisch und veröffentlichte u.a. in polnischen Fachblättern, wie etwa im Pamiętnik Towarzystwa Lekarskiego Warszawskiego und im Przegląd Lekarski.84 Er wurde darüber hinaus von der Warschauer Ärztegesellschaft 1857 wie auch von der Wilnaer Ärztegesellschaft 1859 zum korrespondierenden Mitglied berufen. Minkowski zeigte also deutliches Interesse an Kontakten zur „Fachszene“ in Polen. Zugleich aber war er auch eine wichtige Persönlichkeit in der medizinischen Verwaltung im Kaukasus, was wohl ein Beweis seiner Loyalität gegenüber Arbeitgeber und Arbeitsort gewertet werden kann. Ebenso lassen sich einige wenige, aber doch bezeichnende Indizien für polnischnationale Identitätsbezüge feststellen. So vermachte der Militärarzt Franciszek Czajczynski (?–1894), der seit 1842 für lange Zeit in Taganrog am Asowschen Meer gedient hatte, in seinem Testament der polnischen Wissenschaftsstiftung „Kasa Mianowskiego“ 10.000 Rubel.85 Der bereits erwähnte Kazimierz Bentkowski, der Militärarzt in Mittelasien war, stiftete Gelder für die Mickiewicz-Akademie in Bologna und für ein Denkmal in Krakau.86 Die Aufzählung ließe sich fortsetzen. Natürlich hinterließen diese Aufenthalten in den Weiten des Imperiums nicht nur bei den Akteuren selbst, sondern auch bei ihren Familienangehörigen Spuren. Das äußerte sich häufig zuerst im Sprachgebrauch. Talko-Hryncewicz erwähnt mehre polnische Arztkollegen, die er in Sibirien traf. Über den Arzt Płaskowicki berichtet er, dass dieser, seinen Überzeugungen nach Sozialist und Kosmopolit, in der Familie nur Russisch gesprochen habe, da er seinen Kindern nicht seine eigene Nationalität aufzwingen wollte. 87 Von dem Arzt Piotr Marcinkiewicz aus Białystok, den er ebenfalls in Sibirien traf, berichtete er, dass dessen Kinder als „Sibirier“ aufgewachsen seien und man zu Hause auf Russisch kommuniziert habe, obwohl er selbst das Polnische gut beherrschte.88

82 Vgl. Szarejko, Słownik (wie Anm. 33), S. 30f. 83 Szarejko, Słownik (wie Anm. 16), S. 315. 84 Szarejko, Słownik (wie Anm. 33), S. 193–196. 85 Kijas, Polacy (wie Anm. 13), S. 31. 86 Kijas, Polacy (wie Anm. 13), S. 23–24. 87 Vgl. Talko-Hryncewicz, Z przeżytych dni (wie Anm. 30), S. 271. 88 Talko-Hryncewicz, Z przeżytych dni (wie Anm. 30), S. 272–273.



Polnische Militärärzte im zarischen Imperium 

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Es fällt nicht leicht, das politische Bewusstsein oder gar das Identitätsprofil dieser Gruppe zu vereinheitlichen. Formal war bei allen eine Loyalität gegenüber dem Imperium vorhanden, und die aufgetragene Arbeit wurde in der Regel ernst genommen. Natürlich verschränkten sich dabei individuelle Existenz und imperiale Strukturen miteinander. Um darüber jedoch ausgiebig Auskunft geben zu können, müsste man aber auch die subjektive Bewertung der jeweiligen Arbeitsverpflichtungen und -verrichtungen auswerten. Ebenso lässt sich aber auch Sympathie für Polen nachweisen. So kam es zur Herausbildung von Ärzten mit multiplen Identitäten, bei denen neben ihrem Polentum eine imperiale Prägung deutlich wird, mochte diese auch unterschiedlich stark ausgeprägt sein oder im Lebenslauf variieren. Bei den Medizinern, die wieder nach Polen zurückkehrten, haben sich vermutlich die Verhältnisse von individueller Existenz und imperialen Strukturen von neuem verschoben. Inwiefern die imperiale Erfahrung nachhaltig war, lässt sich heute wohl nur vermuten, aber nicht mehr stichhaltig nachweisen.

Resümee Gab es tatsächlich so viele Chancen im imperialen Raum, die wahrgenommen werden konnten? Zum einen dienten die beruflichen Aufenthalte in den verschiedenen, oft entlegenen Provinzen des russischen Imperiums der Erweiterung des geographischen, ethnographischen und kulturellen Horizonts der Expertengruppe und somit der Befruchtung verschiedener Diskurse. Zum zweiten konnten die Ärzte an ihren Einsatzorten oft das medizinische Niveau heben, sowie einen Beitrag zur medizinischen Wissensorganisation und -verbreitung leisten. Natürlich wurde ein Lebenslauf durch die Entscheidung, imperialer Militärarzt zu werden, massiv beeinflusst. Allerdings weiß man bis heute detailliert nur etwas über diejenigen, die entweder nach Polen zurückkehrten und denen dezidierte Verdienste für polnische Belange zugeschrieben wurden oder die herausragende Forschungsleistungen erbrachten. Über andere, die sich an neuen Orten integrierten und keine Neigung verspürten, in das Heimatland zurückzukehren, ist nichts bekannt. Erst weitere Untersuchungen des „Ermöglichungsraumes“ werden ein differenzierteres Bild erbringen. Allgemein lässt sich jedoch schon vorab sagen, dass die reichsweiten Erfahrungen und die damit verbundenen Abschnitte einer imperialen Biographie die Protagonisten in vielfacher Weise prägten und ihre anthropologischen Studien beeinflussten. Sie wurden so zu Experten des Fremden und imperialer Heterogenität, trugen aber auch gerade durch ihre Publikationen zur mentalen Verdichtung des imperialen Raums zwischen Warschau und Port Artur bei.

Katja Bruisch

Populismus, Profession und Politik Agrarexperten im späten Zarenreich

Abb. 16: Nikolaj Pavlovič Makarov (1886–1980) während seiner Studienjahre an der Moskauer Universität um 1910

Abb. 17: Nikolaj P. Makarov am Beginn der 1920er Jahre

Als Zar Nikolaj II. im Frühjahr 1917 abdankte und eine Provisorische Regierung an die Spitze des Russischen Reichs trat, waren sich Vertreter aller gesellschaftlichen Schichten darüber einig, dass der Untergang des Ancien Régime nicht nur die Herrschaftsstruktur, sondern auch die Agrarordnung Russlands von Grund auf verändern würde. Für Nikolaj Pavlovič Makarov (1886–1980), einem Spezialisten auf dem Gebiet der landwirtschaftlichen Mikroökonomie und des Genossenschaftswesens, stand fest, dass die Vertreter landwirtschaftsbezogener wissenschaftlicher Disziplinen dazu berufen waren, eine Führungsrolle bei der Neuordnung des ländlichen Raums zu übernehmen. In einem Zeitschriftenartikel sprach er wenige Wochen nach dem Sturz des Zaren davon, dass die Agronomen als „gesellschaftliche und berufliche Gruppe“ nun vor der Aufgabe stünden, die ländliche Bevölkerung bei der Durchsetzung ihrer agrarpolitischen Interessen zu unterstützen und den Bauern eine Stimme auf der Ebene des Gesamtstaates zu verschaffen. Allein sie, so die Implikation von Makarovs Worten, könnten sicherstellen, dass bei der anstehenden Agrarreform wissenschaft-



Populismus, Profession und Politik 

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liche Maßstäbe und das Ideal der Volkssouveränität, das Vertreter aller Parteien zur Legitimation ihrer politischen Ambitionen beanspruchten, miteinander verbunden werden würden.1 Populismus, Profession und Politik waren im ausgehenden Zarenreich auf das Engste miteinander verwoben. Die Überzeugung, nach dem Ende der Monarchie habe die Stunde der Agrarexperten geschlagen, war daher beileibe keine Ausnahmeerscheinung. Makarov zählte zu einer Gruppe von gut miteinander vernetzten Statistikern, Ökonomen und Agrarwissenschaftlern, die sich seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts für die Modernisierung der bäuerlichen Landwirtschaft eingesetzt und als eine gesellschaftliche Gegenelite die Vision einer alternativen Reichsordnung entworfen hatten. Nach der Februarrevolution stiegen sie in die agrarpolitischen Entscheidungsgremien der Provisorischen Regierung auf. Dezidiert nahmen die Experten dabei für sich in Anspruch, als Vertreter einer bislang vermeintlich am öffentlichen Sprechen gehinderten Bevölkerungsgruppe aufzutreten – den Bauern.2 Die folgenden Ausführungen widmen sich den gesellschaftlichen und politischen Visionen der Agrarexperten, ihren Karriereverläufen sowie den Mustern ihrer Selbstverortung im politischen und gesellschaftlichen Gefüge des Russischen Reichs. Im Rahmen einer kollektiven Biographie wird dabei zum einen untersucht, wie die Strukturen des Imperiums in den Lebensläufen der Experten sichtbar wurden, wie politischer und gesellschaftlicher Wandel individuelle und kollektive Handlungsspielräume beeinflusste und welche Versuche die Experten unternahmen, das Reich nach ihren Vorstellungen zu gestalten oder umzuordnen. Zum anderen geht es um die Beantwortung der Frage, wie die Landwirtschaftsexperten das Russische Reich mental konstruierten, indem sie etwa die wissenschaftlichen Kategorien zu seiner Beschreibung entwickelten3 oder aber sich selbst zum Imperium als einem vorgestellten gesellschaftlichen und politischen Zusammenhang in Bezug setzten.4 Auf 1 N. P. Makarov: Obščestvennaja agronomija i agrarnaja problema. In: Vestnik sel’skogo chozjajstva 17 (1917). S. 4. 2 Für weiterführende Darstellungen zu dieser Elite siehe Katja Bruisch: Als das Dorf noch Zukunft war. Agrarismus und Expertise zwischen Zarenreich und Sowjetunion. Köln 2014; Ilya V. Gerasimov: Modernism and Public Reform in Late Imperial Russia. Rural Professionals and Self-Organization, 1905–1930. London 2009. 3 Zur mentalen Konstruktion des Russischen Reichs in der historischen Imperienforschung siehe Jane Burbank [u.a.] (Hrsg.): Russian Empire. Space, People, Power, 1700–1930. Indianapolis 2007. Der Klassifizierung von Gesellschaften und Räumen als imperialer Herrschaftspraxis und Anlass zur Aushandlung von Partikularinteressen widmet sich aus vergleichender Perspektive Ulrike von Hirschhausen: People that Count. The Imperial Census in Nineteenth and Early Twentieth-Century Europe and India. In: Jörn Leonhard u. Ulrike von Hirschhausen (Hrsg.): Comparing Empires. En­ counters and Transfers in the Long Nineteenth Century. Göttingen 2011. S. 145–170. 4 Modi der Selbstbeschreibung sind inzwischen ein etablierter Forschungsgegenstand der Imperial­ geschichte. Vgl. Ilya Gerasimov [u.a.]: New Imperial History and the Challenges of Empire. In: Ilya Gerasimov [u.a.] (Hrsg.): Empire Speaks Out. Languages of Rationalization and Self-Description in the Russian Empire. Boston [u.a.] 2009. S. 3–32; Malte Rolf: Imperiale Biographien. Lebenswege

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diese Weise soll das späte Zarenreich am Beispiel einer konkreten gesellschaftlichen Gruppe als zeitgenössischer Erfahrungsraum und Sinnhorizont konturiert und die Rolle wissenschaftlicher Eliten im Hinblick auf die Integration und den Untergang des Imperiums untersucht werden.

Visionen: Expertise als politisches Programm Dass Makarov nach dem Sturz des Zaren ausgerechnet den Agrarexperten eine führende Rolle bei der Umgestaltung des Landes zudachte, war symptomatisch für die politische und gesellschaftliche Konjunktur der Agrarfrage im ausgehenden Russischen Reich. Die Entwicklung der ländlichen Regionen galt als Schlüssel für die Modernisierung des Imperiums insgesamt. Den imperialen Eliten diente das Reden über die ländliche Bevölkerung zur Vergewisserung der eigenen kulturellen Identität. Waren die Bauern seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert Gegenstand romantischer Nationsentwürfe oder revolutionärer Programme gewesen, standen sie spätestens seit der Hungersnot von 1891/92 im Ruf, nichts von ihrem eigentlichen Handwerk, der Landwirtschaft, zu verstehen.5 Ohne Zweifel bildete das Paradigma der bäuerlichen Rückständigkeit den Rahmen für die Überlegungen Makarovs. Sein Wunsch, die Bauern bei der Artikulation ihrer Anliegen in den verschiedenen Arenen der Politik zu unterstützen, beinhaltete jedoch auch eine Kritik an der von zahlreichen Zeitgenossen vertretenen Auffassung, die Bauern könnten nichts zur Modernisierung des Imperiums beitragen. Makarov und seine Kollegen sahen in den Bauern die entscheidenden Akteure ländlicher Entwicklung. So bezeichnete der Kiewer Professor für Politische Ökonomie Vladimir A. Kosinskij die Bauernwirtschaft im Jahr 1906 als eine „lebensfähige, starke und zur Entwicklung fähige Unternehmensform“6, die unter Umständen sogar erfolgreicher wirtschaften könne, als ein vollständig in den Markt integrierter Agrarbetrieb. Für Makarovs Kollegen und engen Freund Aleksandr V. Čajanov stellte das wirtschaftliche Potential der Bauern am Beginn des Ersten Weltkriegs bereits eine Gewissheit dar: „Das bäuerliche Russland hat sich vom toten Punkt des jahrhundertelangen Stillstands, der Hungersnöte und der allgemeinen Finsternis fortbewegt und macht erste Schritte zum gesamtgesellschaftlichen Gedeihen.“7 Aus Sicht des Agrarökonomen war die bäuerliche Agrarstruktur folglich kein Hindernis für wirtschaftliche Entwicklung. Sie bildete vielmehr den Rahmen für die Modernisierung des Russischen Reichs. imperialer Akteure in Groß- und Kolonialreichen (1850–1918) – zur Einleitung. In: Malte Rolf (Hrsg.): Imperiale Biographien. Themenheft Geschichte und Gesellschaft 40. Heft 1 (2014). S. 1–16. 5 Yanni Kotsonis: Making Peasants Backward. Agricultural Cooperatives and the Agrarian Question in Russia, 1861–1914. Basingstoke [u.a.] 1999. 6 V. A. Kosinskij: K agrarnomu voprosu. Bd. 1. Odessa 1906. S. 478. 7 A. V. Čajanov: Vojna i krest’janskoe chozjajstvo. Moskau 1914. S. 3f



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Vorausgegangen war dieser Überzeugung ein Paradigmenwechsel in der intellektuellen Auseinandersetzung mit der Ökonomie des Dorfes. Mit dem Aufschwung der Zemstvo-Statistik und der Rezeption der deutschen Historischen Schule8 wandelte sich die Beschäftigung mit der Landwirtschaft im späten 19. Jahrhundert zu einer Debatte über die Bedeutung der bäuerlichen Bevölkerung für die weitere Entwicklung des Imperiums. Hatten sich die Vertreter des akademischen Agrardiskurses bislang vorrangig den natürlichen und technischen Dimensionen der Landwirtschaft gewidmet oder das ländliche Wirtschaften lediglich aus mikroökonomischer Perspektive untersucht,9 machten sie die Agrarwissenschaft nun zu einer Sozialwissenschaft. Dies zeigte sich an der Etablierung von Agrarstatistik und Agrarökonomie als selbstständigen wissenschaftlichen Disziplinen und ihrer Verankerung in den Lehrplänen landwirtschaftlicher Hochschulen und Fakultäten.10 Zeitgleich zog der Aufschwung empirischer Methoden in der Politischen Ökonomie eine Hinwendung zu landwirtschaftsbezogenen Themen nach sich, so dass sich Wirtschaftswissenschaftler am Beginn des 20. Jahrhunderts mit der Bodenpacht, dem ländlichen Kreditwesen oder dem Bevölkerungswachstum auf dem Dorf auseinandersetzten.11 Die Landwirtschaft wurde so als ein soziales Unterfangen konzeptualisiert. Agrarischer und sozialer Wandel galten fortan als zwei Seiten einer Medaille. Mit der sozialwissenschaftlichen Wende im akademischen Agrardiskurs veränderten sich nicht nur die Koordinaten zur intellektuellen Vermessung des ländlichen Russlands, sondern auch die Karrierestationen angehender Landwirtschaftsspezialisten. Für die meisten von ihnen wurde die Begegnung mit den Bauern nun ein regulärer Bestandteil ihrer professionellen Biographie. Aleksej F. Fortunatov, einer der einflussreichsten Agrarwissenschaftler des ausgehenden Zarenreichs, begann seinen Berufsweg in den 1880er Jahren als Zemstvo-Statistiker. Das Gleiche gilt für den Mos8 Siehe hierzu David W. Darrow: From Commune to Household. Statistics and the Social Construction of Chaianov’s Theory of Peasant Economy. In: Comparative Studies in Society and History 43. Heft 4 (2001). S. 788–818; Robert E. Johnson: Liberal Professionals and Professional Liberals. The Zemstvo Statisticians and Their Work. In: Terence Emmons u. Wayne S. Vucinich (Hrsg.): The Zemstvo in Russia. An Experiment in Local Self-Government. Cambridge [u.a.] 1982. S. 343–363; Esther KingstonMann: In Search of the True West. Culture, Economics, and Problems of Russian Development. Princeton 1999. Kapitel 5; Vincent Barnett: Historical Political Economy in Russia, 1870–1913. In: European Journal of the History of Economic Thought 11. Heft 2 (2004). S. 231–253. 9 1837 beschrieb der Moskauer Professor für Mineralogie, Physik und Landwirtschaft M. G. Pavlov die Agrarwissenschaft als „Anwendung der Naturwissenschaften zur Zucht für das Gemeinleben nütz­licher Pflanzen und Tiere.“ Zitiert nach Ol’ga Elina: Ot carskich sadov do sovetskich polej. Istorija sel’skochozjajstvennych opytnych učreždenij XVIII – 20-e gody XX veka. Bd. 1. Moskau 2008. S. 16. 10 1884 wurde der Statistiker und Agronom A. F. Fortunatov Dozent für Agrarstatistik an der Mos­ kauer Landwirtschaftlichen Petrovka-Akademie. Die Agrarstatistik war seither ein eigenständiges Fach. Moskovskaja SChA im. K. A. Timirjazeva (Hrsg.): Flagman agroėkonomičeskogo obrazovanija. Moskau 2002. S. 10, S. 74. 11 A. A. Manuilov: Pozemel’nyj vopros v Rossii. Malozemel’e, dopolnitel’nyj nadel i arenda. Moskau 1905; A. I. Čuprov: Rossija včera i zavtra. Stat’i. Reči. Vospominanija. Moskau 2009.

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 Katja Bruisch

kauer Professor für Politische Ökonomie Nikolaj A. Kablukov, der Nikolaj P. Makarov zu Beginn des 20. Jahrhunderts an die Agrarökonomie heranführte.12 Für Makarov gehörte das Dorf bereits während seines Studiums an der Moskauer Universität zur persönlichen Erfahrungswelt. Im Sommer 1907 meldete er sich als Freiwilliger zu einer von Lev Tolstoj initiierten Hilfsaktion im Gouvernement Ufa, das von Missernten betroffen war. Im Jahr darauf verbrachte er die Sommermonate mit statistischen Erhebungen über die Wirtschaftsführung von Bauernfamilien im Gebiet Kostroma. Nachhaltig beeindruckt von den volksfrommen Praktiken auf dem Dorf deutete der Ökonom seine Begegnung mit den Bauern retrospektiv als eine Erfahrung kultureller Differenz: „Finster, sehr finster war Russland damals, und das war klar und gleichzeitig traurig anzusehen.“ 13 Trotzdem war dem Ökonomen die Vorstellung fremd, eine fortschrittliche Agrarordnung lasse sich am universitären Reißbrett entwerfen. Wie viele seiner Kollegen betonte Makarov stattdessen die Bedeutung landwirtschaftlichen Erfahrungswissens: „Wir sind aufrichtig davon überzeugt, dass man in der Tiefe des Volkes viel Weisheit findet. Anstatt das Volk mit schablonenhaften Programmen zu konfrontieren, muss man ihm vielmehr dabei helfen, diese Weisheit an den Tag zu bringen.“14 Die Modernisierung des Russischen Reichs setzte folglich eine Annäherung von Landwirtschaftsspezialisten und Bauern voraus. In ihrer Beschäftigung mit der bäuerlichen Ökonomie stellten die Agrarexperten die innere Verfasstheit des Russischen Reichs in Frage und entwickelten eine Agenda zu seiner gesellschaftlichen und politischen Transformation. Diese verband die Traditionen des populistischen Antiurbanismus15 mit einem modernen Glauben an die transformative Kraft von Wissen und Vernunft, der im ausgehenden Zarenreich an Prominenz gewann.16 Während Fortschritt für viele ihrer Zeitgenossen gleichlautend war mit einer rückläufigen Bedeutung der Landwirtschaft zugunsten der Industrie, sahen die Vertreter des wissenschaftlichen Agrardiskurses in der urbanen Industriemoderne keinen Fluchtpunkt gesellschaftlicher Entwicklung. Stattdessen glaubten sie an die Möglichkeit einer alternativen, einer ländlichen Moderne. Dieser Glaube war eine Variante des Agrarismus – einer Ideologie, deren Anhänger die zentrale Rolle der Landwirtschaft für die nationale Ökonomie und die Höher- bzw. Gleichwertigkeit ländlicher gegenüber städtischen Lebensformen betonten.17 12 Siehe die autobiographischen Texte N. A. Kablukovs und A. F. Fortunatovs in V. A. Golgofskij [u.a.] (Hrsg.): Pamjati Nikolaja Alekseeviča Kablukova. Sbornik statej po statistike. Moskau 1925. 13 Rossijskij gosudarstvennyj archiv ėkonomiki (RGAĖ) f. 766, op. 1, d. 32a, l. 52. 14 Makarov, Obščestvennaja agronomija (wie Anm. 1), S. 3. 15 Richard Stites: Revolutionary Dreams. Utopian Vision and Experimental Life in the Russia Revolution. New York [u.a.] 1989. S. 26–30. 16 Vgl. David L. Hoffmann: Cultivating the Masses. Modern State Practices and Soviet Socialism, 1914– 1939. Ithaca [u.a.] 2011. S. 4–8, S. 19–34. 17 Der Agrarismus war kein spezifisch russisches Phänomen. Er war eine Antwort auf die In­dust­ ria­lisierung und die mit ihr verbunden Prozesse ökonomischen und gesellschaftlichen Wan­dels, formuliert von Politikern, Wissenschaftlern, intellektuellen Eliten, Bauernverbänden, Genossen­schafts­



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Im ausgehenden Zarenreich trat der Agrarismus als Begleiterscheinung der von professionellen Eliten maßgeblich angetriebenen Suche nach einer alternativen Ordnung des Imperiums auf. Zwar mied die Mehrheit der Agrarexperten die Räume der großen Politik und präsentierte ihre Anliegen als ein apolitisches Programm.18 Wissenschaft und politischer Gestaltungswille gingen jedoch Hand in Hand. Makarov und seine Kollegen traten als Vertreter des „Volkes“ bzw. der „Bauernschaft“ auf und brachten sich so in Opposition zu den bestehenden Hierarchien des Zarenreichs, in denen Bauern einem eigenen Stand angehörten und rechtlich und politisch marginalisiert waren. Anders als die etatistische Modernisierungsagenda, die zeitgleich von Vertretern der zentralstaatlichen Bürokratie verfolgt wurde,19 implizierte die Vision der ländlichen Moderne, wie sie Wissenschaftler und Intellektuelle im Umfeld Makarovs entwarfen, den Ausbau und die Stärkung nichtstaatlicher Strukturen. Die Bauern sollten in Genossenschaften, landwirtschaftlichen Gesellschaften und Vereinen und mit der Unterstützung durch die Organe der lokalen Selbstverwaltung befähigt werden, die Ökonomie des Dorfes nach wissenschaftlichen Kriterien zu organisieren. Diese Strategie war eine Antwort auf die Heterogenität der naturräumlichen, ökonomischen und sozialen Bedingungen der Landwirtschaft im Russischen Reich.20 Durch regional angepasste Maßnahmen zur Förderung ländlicher Entwicklung wollten die Experten die gesellschaftliche und kulturelle Segmentierung, die Makarovs Begegnung mit den Bauern zu einer imperialen Situation gemacht hatten, überwinden21 und die Bauern in die imagined community gleichberechtigter Reichsbürger integrieren: Hinter ihrer Expertise stand folglich ein klares politisches Anliegen.

vertretern und Schriftstellern in vielen Teilen der Welt. Vgl. Tom Brass: Peasants, Populism and Postmodernism. The Return of the Agrarian Myth. London 2000; Gunther Mai: Agrarische Transition und industrielle Krise. Anti-Modernismus in Europa in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In: Journal of Modern European History 4. Heft 1 (2006). S. 5–38. Zum ostmitteleuropäischen Agrarismus siehe jüngst Eduard Kubů [u.a.] (Hrsg.): Agrarismus und Agrareliten in Ostmitteleuropa. Berlin [u.a.] 2013. 18 Ilya Gerasimov spricht in diesem Zusammenhang von der „apolitischen Politik der obščestvennost‘“. Gerasimov, Modernism and Public Reform (wie Anm. 2), S. 17. 19 Peter Holquist: “In Accord with State Interests and the People’s Wishes“. The Technocratic Ideology of Imperial Russia’s Resettlement Administration. In: Slavic Review 69. Heft 1 (2010). S. 151–179. 20 So mahnte etwa A. V. Čajanov an, die praktische Genossenschaftstätigkeit immer genau auf die lokalen Gegebenheiten abzustimmen. A. V. Čajanov: Neobchodimost̕ kooperativnogo izučenija ryn­ kov. In: Zemskij Agronom 1 (1915). S. 12–17. 21 Zum Konzept der imperialen Situation siehe Gerasimov [u.a.], New Imperial History (wie Anm. 4), S. 23f.

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Karrieren: Agrarexperten zwischen Wissenschaft, Öffentlichkeit und Politik Der politische Kurs der zarischen Regierung setzte den Rahmen für die beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten und das öffentliche Ansehen von Vertretern landwirtschaftsbezogener wissenschaftlicher Disziplinen. Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert zeigte die Reichsleitung ein wachsendes Interesse an der Integration der ländlichen Regionen in die staatlichen Herrschafts- und Verwaltungsstrukturen und weitete die Regulierung des Wirtschafts- und Soziallebens auf dem Lande stetig aus.22 Für Absolventen agrarwissenschaftlicher oder verwandter Fachrichtungen entstanden nun die strukturellen Voraussetzungen sozialer Mobilität. Die Etablierung der Landwirtschaft als Feld der staatlichen Intervention und der Ausbau entsprechender Behörden erhöhten den Bedarf an landwirtschaftlich und ökonomisch geschultem Fachpersonal.23 Als der Staat und die lokalen Selbstverwaltungsorgane im Zuge der sogenannten Stolypinschen Reformen, die auf eine Neuordnung der ländlichen Eigentumsstrukturen und die Rationalisierung der Landwirtschaft zielten, umfangreiche agronomische Beratungsprogramme auflegten, boten sich den Anhängern der Idee einer Modernisierung „von unten“ zahlreiche Karriereoptionen. In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg fanden tausende Spezialisten Anstellungen in Zemstvos, den Organen der expandierenden Genossenschaftsbewegung und in landwirtschaftlichen Bildungseinrichtungen.24 Die politische Konjunktur der Agrarfrage machte die Agrarexperten als gesellschaftliche Akteursgruppe sichtbar und führte zur Entstehung eines imperialen Wissens- und Kommunikationsraums auf dem Gebiet der Agrarwissenschaft und ihrer Nachbardisziplinen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die Auffassung, dass die Modernisierung des ländlichen Russlands ein tiefergehendes Verständnis der bäuerlichen Landwirtschaft und die gleichberechtigte Einbindung der Bauern in die ökonomischen, gesellschaftlichen und politischen Entscheidungsinstanzen des Reichs voraussetzte, zunehmend konsensfähig. Entscheidenden Anteil an der Multiplikation dieser Sicht hatten die akademischen Schüler Aleksej F. Fortunatovs und Nikolaj A. Kablukovs, die in unterschiedlichen Regionen des Russischen Reichs

22 Genauer hierzu George L. Yaney: Some Aspects of the Imperial Russian Government on the Eve of the First World War. In: The Slavonic and East European Review 43. Heft 100 (1964). S. 68–90; David A. J. Macey: Government and Peasant in Russia, 1861–1906. The Prehistory of the Stolypin Reforms. Illinois 1987. 23 Die Bürokratisierung der zarischen Politik führte auch in anderen Bereichen der Politik zu einer Aufwertung wissenschaftlicher Expertise. Don K. Rowney: Transition to Technocracy. The Structural Origins of the Soviet Administrative State. Ithaca [u.a.] 1989. Kapitel 2. 24 Gerasimov, Modernism and Public Reform (wie Anm. 2), Kapitel 5; Kimitaka Matsuzato: The Fate of Agronomists in Russia. Their Quantitative Dynamics from 1911–1916. In: Russian Review 55. Heft 2 (1996). S. 172–200.



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Lehrstühle an landwirtschaftlichen Hochschulen und Fakultäten übernahmen. Boris D. Bruckus lehrte seit 1908 Agrarökonomie, -geschichte und -politik am Petersburger Land- und Forstwirtschaftlichen Institut.25 Aleksandr V. Čajanov, der in Moskau bei Fortunatov studiert hatte, zählte seit 1913 zu den planmäßigen Dozenten des Moskauer Landwirtschaftlichen Instituts.26 Dank der von der Regierung geförderten Ausweitung der landwirtschaftlichen Bildung fand die Auseinandersetzung mit der bäuerlichen Landwirtschaft auch jenseits der gesellschaftlichen und politischen Zentren des Reichs Eingang in die Hochschullehre. Aleksandr N. Čelincev wurde 1908 Dozent und 1913 Professor für Ökonomie und landwirtschaftliche Organisation am traditionsreichen Novo-Aleksandrijsker Landwirtschaftlichen Institut, wo er zuvor bei Fortunatov studiert hatte.27 Nikolaj P. Makarov war seit 1914 Dozent für Politische Ökonomie und Statistik am gerade eingerichteten Landwirtschaftlichen Institut in Voronež.28 Sein Freund Aleksandr A. Rybnikov, wie Makarov ein Schüler Kablukovs, wurde 1914 Dozent für Agrarökonomie an den 1913 eröffneten Höheren Landwirtschaftlichen Kursen in Saratov.29 Wie ihre Kollegen in Moskau und Sankt Petersburg sollten Makarov, Čelincev und Rybnikov binnen weniger Jahre zu den führenden Vertretern der russischen Agrarökonomie aufsteigen. Ihre Karrierewege waren daher nicht nur auf der Ebene der Individualbiographien von Bedeutung: Indem die Wissenschaftler die Agenda einer bäuerlichen Agrarmodernisierung in die studentischen Curricula verankerten, machten sie den Agrarismus zu einem wissenschaftlichen Paradigma und öffentlichen Anliegen gleichermaßen. Die regionale Mobilität der Experten verstärkte die Zirkulation von Wissen innerhalb des Russischen Reichs und trug zur Verdichtung der überregionalen und ständeübergreifenden Kommunikation bei. Dass Makarov die Agronomen in seinem Zeitungsartikel von 1917 nicht nur eine Berufsgruppe, sondern auch eine „gesellschaftliche Gruppe“ nannte, war eine Folge ihrer stetigen Vernetzung vor dem Ersten Weltkrieg. Die Anhänger des Agrarismus waren überaus erfolgreich darin, durch kollektives Handeln die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und so den Resonanzraum ihrer Ideen auch jenseits des akademischen Milieus auszuweiten. Die führenden Vertreter des Agrarismus hatten maßgeblichen Anteil an der Regionalisierung des Agrardiskurses im ausgehenden Zarenreich. Sie gründeten Zeitschriften, die nicht nur anerkannten Akademikern, sondern auch Agronomen, Genossenschaftsvertretern, Landvermessern und Ökonomen in der Provinz als Informations- und

25 RGAĖ f. 9593, op. 3, d. 28, l. 47. 26 Otčet o sostojanii Moskovskogo Sel’skochozjajstvennogo Instituta za 1912 god. Moskau 1913; Otčet o sostojanii Moskovskogo Sel’skochozjajstvennogo Instituta za 1913 god. Moskau 1914. 27 RGAĖ f. 771, op.1, d. 249, ll. 3-6. 28 RGAĖ f. 766, op. 1, d. 57, ll. 1-4. 29 RGAĖ f. 766, op. 1, d. 14, l. 2.

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Kommunikationsplattform dienten und somit zu Kanälen eines überregionalen Wissensaustauschs wurden.30 Darüber hinaus waren zahlreiche Agrarexperten in landwirtschaftlichen Gesellschaften tätig31 und engagierten sich für die Popularisierung landwirtschaftlich relevanter akademischer Wissensbestände. An der Moskauer Städtischen Volkshochschule, deren Lehrprogramm sich wie ein „Who is who“ des vorrevolutionären wissenschaftlichen Agrardiskurses liest, hielten sie mehrwöchige Kurse für Mitarbeiter lokaler Selbstverwaltungsorgane, Dorflehrer und Agronomen aus der Provinz ab.32 Die anerkanntesten Vertreter der Elite hatten außerdem leitende Funktionen in überregionalen Genossenschaftsverbänden inne und traten als Organisatoren landesweiter Kongresse von Agronomen und Genossenschaftsvertretern auf.33 Die Anhänger des Agrarismus wurden damit zu Sprechern einer gesellschaftlichen Bewegung, deren Ausstrahlungskraft über die Zentren des Reichs hinausreichte und die Vision einer ländlichen Moderne in dessen Regionen trug. Als die zarische Regierung während des Ersten Weltkriegs im ökonomischen und statistischen Wissen über die Landwirtschaft eine herrschaftsrelevante Ressource erkannte, erlebten Vertreter der entsprechenden Disziplinen eine Aufwertung ihres Status. In zahlreichen Regionen übernahmen die Organe der ländlichen und städtischen Selbstverwaltung, Wohltätigkeitsorganisationen oder Genossenschaften die Versorgung von Verwundeten und Kriegsflüchtlingen sowie die Beschaffung und Ver-

30 Besondere Bedeutung hatten der von der Moskauer Landwirtschaftlichen Gesellschaft herausgegebene „Landwirtschaftsbote“ (Vestnik sel’skogo chozjajstva) und die „Agronomische Zeitschrift“ (Agronomičeskij žurnal), die unter der Schirmherrschaft der Char’kover Landwirtschaftlichen Ge­sell­ schaft stand. An der Herausgabe beteiligten sich u. a. A. F. Fortunatov, N. P. Makarov, A. V. Čajanov, B. D. Bruckus und A. N. Čelincev. Zur Dynamik des Agrojournalismus im ausgehenden Zarenreich siehe auch Gerasimov, Modernism and Public Reform (wie Anm. 2), S. 11–17. 31 So zum Beispiel in der „Moskauer Landwirtschaftlichen Gesellschaft“ (Moskovskoe obščestvo sel’skogo chozjajstva), der „Gesellschaft zur gegenseitigen Hilfe russischer Agronomen“ (Obščestvo vzaimopomošči russkich agronomov) und der „Gesellschaft zur Verbreitung landwirtschaftlicher Kennt­nisse im Volke“ (Obščestvo rasprostranenija sel’skochozjajstvennych znanij v narode). 32 Zur Šanjavskij-Universität siehe David Wartenweiler: Civil society and academic debate in Russia, 1905–1914. Oxford 1999. Kapitel 5. Unter den Dozenten befanden sich die Ökonomen und Agrarwissenschaftler A. A. Manujlov, N. A. Kablukov, A. F. Fortunatov, V. G. Bažaev, M. I. TuganBaranovskij, S. N. Prokopovič sowie eine größere Gruppe jüngerer Wissenschaftler, darunter viele Schü­ler der bereits genannten Personen: B. D. Bruckus, A. V. Čajanov, N. P. Makarov, A. A. Minin, K. A. Maceevič, Z. S. Kacenelenbaum, L. B. Kafengauz. Otčet Moskovskogo Gorodskogo Narodnogo Uni­ver­ si­teta imeni A. L. Šanjavskogo za 1910–1911 akademičeskij god. Moskau 1911–12. 33 Trudy Moskovskogo oblastnogo s-ezda dejatelej agronomičeskoj pomošči naseleniju 21–28 fevr. 1911g. Moskau 1911; Trudy Pervogo Vserossijskogo S-ezda dejatelej po melkomy kreditu i sel’sko­ cho­zjajstvennoj kooperacii v S.-Peterburge 11–16 marta 1912g. Izdanie SPb. Otdelenija Komiteta o sel’skich ssudo-sberegatel’nych i promyšlennych tovariščestvach. Sankt-Petersburg 1912; Trudy 1-go Vserossijskogo sel’skochozjajstvennogo s-ezda v Kieve 1–10 sentjabrja 1913g. Vypusk 1: Postanovlenija s-ezda. Kiew 1913.



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teilung von Lebensmitteln für Armee und Zivilbevölkerung.34 Anhänger des Agrarismus, von denen viele in Genossenschaften und den unterschiedlichen Selbstverwaltungsorganen oder deren nationsweiten Zusammenschlüssen tätig waren, wurden nun in die Erstellung von Versorgungsplänen eingebunden.35 In der ökonomischen Abteilung der Allrussischen Zemstvo-Union erarbeiteten die Agrarwissenschaftler Aleksandr N. Čelincev und Pantelejmon A. Vichljaev während des Ersten Weltkriegs Vorschläge, wie die Fleischversorgung einzelner Bevölkerungsgruppen in Abhängigkeit von ihrer Bedeutung für die Kriegsführung reguliert werden könne.36Aleksandr V. Čajanov stellte zeitgleich Berechnungen zum Lebensmittelkonsum der ländlichen Bevölkerung an, um den allgemeinen Bedarf kalkulierbar zu machen.37 Die Tätigkeit in den Versorgungsgremien sensibilisierte die Experten für die konkreten Belange der staatlichen Administration und veränderte zugleich ihre Position im gesellschaftlichen Gefüge des Zarenreichs: Hatten sie bislang vornehmlich in den Foren der akademischen und regierungskritischen Öffentlichkeit agiert, befanden sie sich nach dem Beginn des Ersten Weltkriegs in der Rolle von Experten, deren Wissen bei der Lösung der drängendsten Probleme des Landes nachgefragt wurde. Die Festigung ihres Expertenstatus während des Krieges öffnete führenden Landwirtschaftsspezialisten nach dem Sturz der Monarchie Anfang 1917 den Weg in die staatliche Politik. Mit der Gründung des Rats der Allrussischen Genossenschaftskongresse (Sovet Vserossijskich Kooperativnych S-ezdov), der als Zentralorgan der Genossenschaftsbewegung fungieren sollte, und der Liga für Agrarreformen (Liga agrarnych reform), einem agrarpolitischen Beratungsgremium der Provisorischen Regierung, institutionalisierten die Anhänger des Agrarismus im März 1917 das personelle Netzwerk, das im Vorfeld in Vereinen, Genossenschaftsverbänden, Bildungseinrichtungen und Selbstverwaltungen entstanden war.38 Zugleich stiegen führende Vertreter der Elite in die Schaltstellen der Agrarpolitik auf. Der Ökonom Viktor I. Anisimov wurde zum versorgungspolitischen Regierungsberater ernannt. Der ZemstvoStatistiker und Publizist Aleksej V. Pešechonov übernahm die Leitung des neugegründeten Versorgungsministeriums.39 Aleksandr N. Čelincev trat an die Spitze der

34 Peter Holquist: Making War, Forging Revolution. Russia’s Continuum of Crisis, 1914–1921. Cam­ bridge [u.a.] 2002. S. 16–36; Thomas Fallows: Politics and War Effort in Russia. The Union of Zemstvos and the Organization of the Food Supply, 1914–1916. In: Slavic Review 37. Heft 1 (1978). S. 70–90. 35 Vgl. Alessandro Stanziani: L’économie en révolution. Le cas russe, 1870–1930. Paris 1998. S. 151– 182; Gerasimov, Modernism and Public Reform (wie Anm. 2), S. 148–155. 36 Glavnyj Komitet Vserossijskogo Zemskogo Sojuza: Ėkonomičeskie soveščanija pri Glavnom Komi­ tete Vserossijskogo Zemskogo Sojuza, 28 – 30 aprelja i 21–22 ijulja 1916 goda. Moskau 1916. S. 199–206. 37 Vserossijskij Sojuz Gorodov: Materialy po voprosam razrabotki obščego plana prodovol’stvija naselenija. Vypusk I: Normy prodovol’stvija sel’skogo naselenija Rossii po dannym bjudžetnych issledovanij. Sostavleno pod rukovodstvom i redakciej A. V. Čajanova. Moskau 1916. 38 Otdely Soveta Vserossijskich Kooperativnych S-ezdov. In: Izvestija Soveta Vserossijskich Ko­ope­ra­ tivnych S-ezdov 1 (1917). S. 11; Liga agrarnych reform: Organy zemel’noj reformy. Zemel’nye komitety i Liga agrarnych reform. Moskau 1917. 39 O. L. Protasova: A. V. Pešechonov. Čelovek i ėpocha. Moskau 2004. S. 117.

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Abteilung für Agrarökonomie und -statistik des Agrarministeriums.40 Im Zentralen Landkomitee (Glavnyj Zemel’nyj Komitet), das die Regierung zur Vorbereitung einer umfassenden Agrarreform ins Leben rief, versammelten sich zahlreiche Agrarwissenschaftler, Statistiker und Ökonomen, die in den vorangegangenen Jahren als Sprecher des Agrarismus aufgetreten waren.41 Der sozialrevolutionäre Politiker und Genossenschaftsaktivist Semen L. Maslov wurde im Oktober 1917 Agrarminister im letzten Kabinett der Provisorischen Regierung. Zu seinen Stellvertretern ernannte er die Agrar­ ökonomen Čajanov und Čelincev.42 Die Konjunktur landwirtschaftlicher Expertise war zum einen durch die anhaltende Lebensmittelknappheit bedingt, die die Provisorische Regierung mit dem Problem konfrontierte, die Versorgung des Landes sicher zu stellen. Zum anderen hatte sich die Übergangsregierung kurz nach ihrer Konstituierung zur Vorbereitung einer Agrarreform im Interesse der bäuerlichen Bevölkerung verpflichtet.43 Für die Interimsregierung waren die Vertreter des Agrarismus, die ihre Tätigkeit immer als Dienst am „werktätigen Volk“ präsentiert hatten, daher auch eine Quelle politischer Legitimität. Nach der Machtübernahme der Bolschewiki verschwanden die medialen und sozialen Räume, in denen sich der Agrarismus als gesellschaftliche Bewegung konstituiert hatte. Die Genossenschaftsbewegung, eine der sichtbarsten Manifestationen des Agrarismus, wurde zur Zielscheibe sowjetischer Behörden und schließlich zu einem verlängerten Arm des bolschewistischen Versorgungsapparats.44 Die Einschränkung der Hochschulautonomie und die Inkorporierung nichtstaatlicher Bildungseinrichtungen in die Hierarchien des staatlichen Hochschulwesens leisteten der 40 Gosudarstvennyj archiv Rossijskoj Federacii (GARF) f. 1797, op. 1, d. 27. 41 Den Ratsvorsitz des Zentralen Landkomitees übernahm der neopoulistische Ökonom A. S. Pos­ nikov, seine Stellvertreter wurden der Ökonom V. I. Anisimov und der sozialrevolutionäre Politiker S. L. Maslov. Zu den Mitgliedern des Komitees zählten außerdem P. A. Vichljaev, die Agronomen A. P. Levickij und K. A. Maceevič, die Statistiker N. P. Oganovskij, A. V. Pešechonov, N. N. Černenkov, die Ökonomen N. P. Makarov, P. P. Maslov, A. N. Čelincev, N. A. Kablukov, L. N. Litošenko, A. V. Čajanov, B. D. Bruckus, A. A. Kaufman, N. D. Kondrat’ev, A. N. Minin und A. A. Rybnikov. Vgl. Sostav Vremennogo Soveta Glavnogo Zemel’nogo Komiteta. In: Izvestija Glavnogo Zemel’nogo Komiteta 1 (15. Juli 1917 g.). S. 19; Vtoraja Sessija Glavnogo Zemel’nogo Komiteta. In: Izvestija Glavnogo Zemel’nogo Komiteta 2–3 (1. –15. August 1917). S. 10–11; Sovet Glavnogo Zemel’nogo Komiteta. In: Izvestija Glavnogo Zemel’nogo Komiteta 2–3 (1. –15. August 1917). S. 16. 42 Stanziani, L’économie en révolution (wie Anm. 35), S. 183. 43 The Government Declaration of March 19. In: Robert Paul Browder u. Alexander F. Kerensky (Hrsg.): The Russian Provisional Government 1917. Documents. Bd. 2. Stanford 1961. S. 524f. 44 Die Genossenschaftspresse berichtete regelmäßig über die Übergriffe von Behörden und Staatsvertretern in den Genossenschaftsalltag. Siehe etwa Presledovanija kooperacii i rasporjaženie ob ich prekraščenii. In: Izvestija Soveta Vserossijskich Kooperativnych S-ezdov 4 (1918). S. 27–28. An­fang 1920 beschloss der Rat der Volkskommissare die Abschaffung der Kreditgenossenschaften und die Einbindung von Agrar- und Handwerksgenossenschaften in den staatlichen Verband der Kon­sum­ genossenschaften. Dekret Soveta Narodnych Komissarov ob ob-edinenii vsech vidov kooperativnych organizacij. In: Kooperativnaja žizn’ 1–2 (1920). S. 2.



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Desintegration des Agrarismus weiteren Vorschub.45 Doch während seine Anhänger ihre öffentliche Sichtbarkeit und kollektiven Handlungsräume einbüßten, blieb ihr Expertenstatus vielfach unberührt. Führende Vertreter der Elite übernahmen bereits während des Bürgerkriegs Funktionen in Institutionen unter bolschewistischer Leitung.46 Die Ökonomen Nikolaj D. Kondrat’ev und Aleksandr V. Čajanov konnten sich in den 1920er Jahren als international anerkannte Autoritäten ihrer Disziplinen profilieren. Wie viele andere Vertreter des vorrevolutionären Expertennetzwerks waren sie als Mitarbeiter des Volkskommissariats für Landwirtschaft (Narkomzem) zudem an der Implementierung der Neuen Ökonomischen Politik beteiligt.47 Auf Einladung des Narkomzem kehrten Nikolaj P. Makarov und Aleksander N. Čelincev in der Mitte der 1920er Jahre sogar aus der Emigration zurück und wurden in der Planungsabteilung der Behörde tätig.48 Die Einbindung vorrevolutionärer Experten in die Strukturen des Volkskommissariats ist symptomatisch für die personellen und konzeptionellen Kontinuitäten in der zeitgenössischen Auseinandersetzung mit der Agrarfrage. Zwar bemühten sich die Bolschewiki, ihre Agrarpolitik als genuin sowjetisch zu präsentieren. Zumindest in den Jahren der NĖP war diese jedoch in weiten Teilen eine verstaatliche Version der Modernisierungsagenda, die die Anhänger des Agrarismus seit dem Beginn des Jahrhunderts verfolgt hatten.

Loyalitäten: Populismus und Elitarismus Dank ihrer zunehmenden Vernetzung und der wachsenden öffentlichen Resonanz des Agrarismus entwickelten die Vertreter landwirtschaftsbezogener wissenschaftlicher Disziplinen in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg ein kollektives Zusammengehörigkeitsgefühl. Dies zeigte sich an der Gründung eigener Interessenverbände oder der Erstellung von Materialien über den beruflichen Verbleib von Agronomen.49 45 Exemplarisch für diese Entwicklungen stand die durch das Volkskommissariat für Bildung 1922 veranlasste Umstrukturierung der Moskauer Landwirtschaftlichen Akademie, der nun mehrere auf private Initiative gegründete und bislang unabhängige Bildungseinrichtungen angegliedert wurden. Central’nyj archiv goroda Moskvy (CAGM f. r-691), op. 1, d. 1, ll. 90–104. 46 So z. B. der langjährige Vorsitzende der Moskauer Landwirtschaftlichen Gesellschaft A. I. Ugrimov, der zu den ersten Mitgliedern der staatlichen Elektrifizierungskommission im sowjetischen Russland zählte. A. I. Ugrimov: Moj put’ i rabota v GOĖLRO. In: Sdelaem Rossiju ėlektričeskoj. Sbornik vospominanij učastnikov Komissii GOĖLRO i stroitelej pervych ėlektrostancij. Moskau [u.a.] 1961. S. 83–89. 47 Vgl. Markus Wehner: Bauernpolitik im proletarischen Staat. Die Bauernfrage als zentrales Problem der sowjetischen Innenpolitik 1921 – 1928. Köln [u.a.] 1998. S. 94–110; James W. Heinzen: Inventing a Soviet Countryside. State Power and the Transformation of Rural Russia, 1917 – 1929. Pittsburgh 2004. S. 65–69. 48 Heinzen, Soviet Countryside (wie Anm. 47), S. 115–117. 49 So zum Beispiel die 1894 unter Beteiligung der Agrarwissenschaftler I. A. Stebut und A. F. Fortunatov gegründete „Gesellschaft zur gegenseitigen Hilfe russischer Agronomen“ (Obščestvo

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Ein Spiegel für das aufkommende Selbstbewusstsein als Gruppe ist auch die Hymne des Moskauer Landwirtschaftlichen Instituts, deren Text aus der Feder Aleksej F. Fortunatovs stammte und von dessen Kollegen, dem Bodenkundler Aleksej G. Dojarenko, vertont wurde. Die Worte illustrieren nicht nur die für den Agrarismus typische Wertschätzung der Landwirtschaft. Sie zeugen auch vom Sendungsbewusstsein einer aufsteigenden Elite, die angesichts ihres Zugangs zu landwirtschaftlich relevantem wissenschaftlichen Wissen für sich in Anspruch nahm, die Zukunft des ländlichen Russlands zu entwerfen: Der Natur mit Bedacht gegenüber stehen, die Landwirtschaft hoch schätzen, bis zum Tode stetig lernen, und Erbauung in der Erkenntnis suchen. Das ist unser Auftrag, auch wenn der Sturm des Lebens donnert, soll er doch donnern; in uns lebt ein Glaube, und dieser Glaube ist unsere Stärke, dass die Zukunft uns gehört.50

Zentraler Bestandteil des elitären Selbstbewusstseins war die erklärte Abwehrhaltung gegenüber der Politik des Zentralstaats. Auch wenn sich den Vertretern des Agrarismus dank der staatlichen Hinwendung zur Landwirtschaft Perspektiven sozialer Mobilität boten und ihr gesellschaftliches Ansehen in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg stetig zunahm, präsentierten sie die eigene Agenda kategorisch als Alternative zur Politik der zarischen Regierung. Diese Haltung war weniger inhaltlich begründet; in einigen Punkten, etwa in Hinblick auf den Ausbau des ländlichen Kreditangebots oder des Genossenschaftswesens, wiesen das Modernisierungsprogramm der Reichsleitung und die Agenda der jenseits der Strukturen des Zentralstaats agierenden Experten klare Überschneidungen auf. Die Ablehnung richtete sich vielmehr gegen die Formen staatlicher Modernisierungspolitik. Bürokratischer Dirigismus und staatlicher Interventionismus standen für viele Agrarexperten einer ökonomischen Entwicklung des Landes im Wege.51

vzaimopomošči russkich agronomov). Die Redaktion des von A. G. Dojarenko herausgegebenen „Landwirtschaftsboten“ richtete am Beginn des 20. Jahrhunderts eine ständige Rubrik über die personellen und strukturellen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt für Agronomen ein. A. G. Dojarenko: Iz agronomičeskogo prošlogo. Moskau 1958. S. 125–131. 50 RGAĖ f. 9474, op. 1, d. 195, l. 5. 51 Zu den verschiedenen Formen des social engineering und ihrer Inanspruchnahme für die Modernisierung von ländlicher Wirtschaft und Gesellschaft im späten Zarenreich siehe Ilya Gera­si­ mov: Redefining Empire: Social Engineering in Late Imperial Russia. In: Gerasimov, Empire Speaks Out (wie Anm. 4), S. 229–272.



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Die Sorge vor der Bevormundung durch den Staat bestand nicht ohne Grund. Der Traum einer bäuerlichen Agrarmodernisierung stellte die sozialen Hierarchien des Imperiums und den von der Regierung artikulierten Anspruch auf die politische Hegemonie in Frage. Obwohl die Regierung nach der Revolution von 1905 Zugeständnisse an die gesellschaftliche Öffentlichkeit machte, verfolgten Vertreter der Ministerialbürokratie die öffentliche Manifestation und Institutionalisierung des Agrarismus mit Argwohn. Zum Leidwesen vieler Agronomen waren sie der ständigen Kontrolle durch die staatlichen Behörden ausgesetzt.52 Diese behielten es sich mitunter vor, den Landwirtschaftsspezialisten die Ausübung ihres Berufs zu untersagen.53 Auch die Genossenschaften standen regelmäßig vor bürokratischen Hürden. Anhänger der Genossenschaftsbewegung dokumentierten zahlreiche Fälle, in denen die Gründung von Kooperativen oder deren Alltagsgeschäfte durch Vertreter der zuständigen Ministerien behindert wurden.54 Die Politik der zarischen Regierung richtete sich dabei nicht gegen die Genossenschaften an sich, sondern gegen die Konstituierung einer nicht durch den Staat kontrollierten Öffentlichkeit. So wurde die Einberufung eines Allrussischen Genossenschaftskongresses mehrfach aufgeschoben, weil die zuständigen Stellen des Innenministeriums die nötige Genehmigung verweigerten. Als der Kongress dann 1908 in Moskau zusammentrat, mussten die Veranstalter das Verbot einiger Redner und ganzer Sektionen durch Polizeibeamte hinnehmen.55 Im Anschluss an den Allrussischen Genossenschaftskongress, der 1913 in Kiew stattfand, verbot die Regierung, Abbildungen des Demonstrationszugs der Genossenschaftler durch die Stadt zu veröffentlichen.56 Wenngleich die staatliche Politik den Landwirtschaftsspezialisten Perspektiven des gesellschaftlichen und beruflichen Aufstiegs eröffnete, waren ihren Möglichkeiten zum kollektiven öffentlichen Handeln weiterhin deutliche Grenzen gesetzt. Zwar veränderten sich mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs die Rahmenbedingungen für die Kooperation von Regierung und Experten. Ihr Verhältnis blieb jedoch weiterhin gespannt. Die Anhänger des Agrarismus, die ihre Expertise in den Dienst der Kriegsführung stellten, bemühten sich um die Vermeidung des Eindrucks, sie hätten ihren Frieden mit den politischen Eliten des Reichs gemacht. Darauf bedacht, ihr Engagement im parastaatlichen Komplex nicht als Loyalitätsbekundung gegenüber der zarischen Regierung erscheinen zu lassen, verbanden viele Agrarex52 Dojarenko, Iz agronomičeskogo prošlogo (wie Anm. 49), S. 63f. 53 1907 erteilte die Kanzlei des Innenministeriums im Gouvernement Moskau den Agronomen A. G. Dojarenko, I. S. Šupov, D. L. Rudzinskij, N. M. Tulajkov, V. I. Lemus, G. I. Gurin, A. M. Gedda und M. E. Šaternikov die Genehmigung für die Durchführung von landwirtschaftlichen Kursen und Gesprächsrunden auf dem Dorf. A. A. Zubrilin, einem bekannten Moskauer Agronomen, wurde die Teil­nahme hingegen untersagt. RGAĖ f. 9474, op. 1, d. 220, l. 1. 54 S. N. Prokopovič: Kooperativnoe dviženie v Rossii. Ego teorija i praktika. Moskau 1913. S. 370–388. 55 Pervyj Vserossijskij Kooperativnyj S-ezd 16 –21 aprelja 1908 g. Trudy izdannye Bjuro Moskovskogo Sojuza Potrebitel’nych Obščestv. Moskau 1908. S. I-VII. 56 Vnutrennoe obozrenie. In: Agronomičeskij žurnal 7 (1913). S. 107–108.

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perten ihre neue Tätigkeit mit Forderungen nach einer Demokratisierung des Reichs. Auf einer Sitzung des Allrussischen Städtebundes nannte der Ökonom Aleksandr A. Manujlov die Beseitigung der „ungerechtfertigten Hindernisse für die gesellschaftliche Selbsttätigkeit und Initiative“57 eine Voraussetzung dafür, dass die „Gesellschaft“ die Regierung bei der Versorgung des Landes unterstützte. Ihre Zusammenarbeit mit den Behörden des Zentralstaats legitimierten die Agrarexperten durch den Verweis auf ihre moralische Verantwortung gegenüber der breiten Bevölkerung. Sie bezogen sich auf die weit verbreitete Wahrnehmung des Krieges als eines „Volkskrieges“, der die gesamte Bevölkerung des Russischen Reichs betreffe, und beschworen die „Bürgerpflicht“ (graždanskij dolg)58 all jener, die sich als Staatsbürger dem Imperium verbunden fühlten. Auf diese Weise markierten sie ihre Tätigkeit in staatlichen oder staatsnahen Institutionen als ein Bekenntnis zum Russischen Reich im Sinne einer politischen und gesellschaftlichen Entität, nicht jedoch als Bekenntnis zur zarischen Regierung.59 Im August 1915 gründete eine Gruppe einflussreicher Genossenschaftsaktivisten, unter ihnen der spätere Agrarminister der Provisorischen Regierung Semen L. Maslov sowie die Ökonomen Sergej N. Prokopovič und Viktor I. Anisimov, das Zentrale Genossenschaftskomitee. Dieses sollte die kriegsrelevanten Tätigkeiten der Genossenschaften bei der Belieferung der Armee, der Stabilisierung der Lebensmittelpreise und der Versorgung von Kriegsopfern koordinieren und als Interessenvertretung gegenüber dem Zentralstaat fungieren. Obwohl die Genossenschaftsbewegung durch diesen Schritt von dem in genossenschaftlichen Kreisen traditionell beschworenen Prinzip der Neutralität abwich, löste die Gründung des neuen Organs weitgehend Zustimmung aus. So kritisierte der Agrarwissenschaftler Konstantin A. Maceevič zwar die Staatsnähe (gosudarstvennost’) des Komitees, rief die Genossenschaften jedoch im gleichen Zuge dazu auf, alles zu tun, um „den Krieg und alle mit ihm zusammenhängenden Herausforderungen zu einer Angelegenheit des Volkes zu machen, das ganze Volk zu einer einzigen Kraft zu verbinden, die durch einen gemeinsamen Gedanken zusammengehalten wird: den Wunsch zum Sieg [...].“60 Von offizieller Seite erhielt die Initiative der Experten jedoch keine Unterstützung. Ungeachtet aller patriotischen Erklärungen sahen die Behörden in dem neuen Organ eine Gefährdung der zentralstaatlichen Autorität. Anfang November 1915 veranlasste der Moskauer Stadthauptmann die Auflösung des Zentralen Genossenschaftskomitees und die strafrechtliche Verfolgung seiner Mitglieder. Erst die Februarrevolution 1917 sollte den Weg für die Neugründung des Komitees eröffnen.61 57 Glavnyj Komitet Vserossijskogo Sojuza Gorodov: Trudy Soveščanija po ėkonomičeskim voprosam, svjazannym s dorogoviznoj i snabženiem armii, Moskva 11–13 ijulja 1915 goda. Moskau 1915. S. 28. 58 Glavnyj Komitet Vserossijskogo Zemskogo Sojuza: Trudy soveščanija po organizacii posevnoj ploščadi v 1917g., 22–24 nojabrja 1916 goda. Moskau 1917. S. 59. 59 Gerasimov, Modernism and Public Reform (wie Anm. 2), S. 153–155. 60 K. A. Maceevič: Ob-edinennaja kooperacija i ee glavnye zadači. In: Agronomičeskij žurnal 5 (1915). S. 6. 61 A. P. Korelin: Kooperacija i kooperativnoe dviženie v Rossii 1860–1917gg. Moskau 2009. S. 293f.



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Nach dem Sturz der zarischen Regierung, als landwirtschaftliche Expertise und politischer Gestaltungsanspruch auf staatlicher Ebene miteinander vereinbar schienen, änderten die Anhänger des Agrarismus den Modus ihrer öffentlichen Inszenierung. Das berufliche Engagement für den Staat stand nun nicht mehr im Widerspruch zu ihrem politischen Selbstverständnis. Aus der Sicht des Agrarökonomen Aleksandr A. Rybnikov eröffnete der Umsturz die Möglichkeit, die lang gehegte Vision einer Agrarordnung, die den Interessen der bäuerlichen Bevölkerung gerecht wurde, zu verwirklichen: „Wir sind vom Schicksal dazu aufgerufen, die Testamente der Vergangenheit umzusetzen […]. Auf der Schwelle zum neuen Leben steht – als Pfand einer besseren Zukunft, als Fundament des stabilen Wohlstands der Volksmassen – die Agrarfrage.“62 Angesichts des demokratischen Credos der Interimsregierung ließ sich die Kooperation mit dem Zentralstaat harmonisch in den Selbstentwurf der Agrarexperten integrieren, die in der Tradition des narodničestvo als Vertreter der breiten Bevölkerung auftraten. Entsprechend verbanden sie ihre Mitarbeit in den agrar- und versorgungspolitischen Behörden mit Loyalitätsbekundungen an die neue Regierung. Im März 1917 verständigten sich die Mitglieder der Liga für Agrarreformen darauf, dass die Neuordnung der Agrarbeziehungen Aufgabe des Gesetzgebers sei.63 Die Agrarspezialisten präsentierten sich jedoch nicht nur als loyale Anhänger der Provisorischen Regierung, sondern auch als Experten, die dank ihres Wissens und ihrer praktischen Erfahrung dazu berufen waren, die Maßstäbe einer wissenschaftlichen Agrarpolitik zu definieren. Ihr Optimismus speiste sich aus der auch von Regierungsvertretern geteilten Überzeugung, dass die ländliche Bevölkerung ihre Bodenansprüche bis zur gesetzlichen Verabschiedung einer Reform zurückstellen werde. Im Mai 1917 zeigte sich der stellvertretende Agrarminister A. G. Chruščev überzeugt, dass die von der Provisorischen Regierung geschaffenen Organe die Interessen der Bauern verkörperten: „Im Bewusstsein des Volkes existiert der ausdrückliche Wunsch, sich den Boden nicht durch eigenmächtige Aneignungen und Gewalt, sondern ‚durch Gewissen und Gesetz’ zu sichern.“64 Der Agrarstatistiker Nikolaj P. Oganovskij warnte noch kurz vor dem Oktoberumsturz vor einer übereilten Bodenreform.65 Mit der Zuspitzung der politischen Krise im Sommer 1917 traten die Angehörigen der Expertenelite in wachsendem Maße als Vertreter der breiten Bevölkerung auf. Nur sie, so die häufig geäußerte Überzeugung, könnten die Integrität des Reichs garantieren. Bei der Zusammenkunft der Staatsversammlung im August, die einen politischen Dialog zwischen Vertretern aller bedeutenden gesellschaftlichen Gruppen herstellen sollte, erklärte der Sprecher der Genossenschaftsbewegung A. M. Berkengejm, als 62 RGAĖ f. 9470, op.1, d. 47, l. 2. 63 Liga agrarnych reform, Organy zemel’noj reformy (wie Anm. 38), S. 25f. 64 Pervaja Sessija Glavnogo Zemel’nogo Komiteta (19–20 maja 1917g.). In: Izvestija Glavnogo Ze­ mel’nogo Komiteta 1 (15. Juli 1917). S. 15. 65 N. Oganovskij: Kak sleduet obsudit’ krest’janam zemel’nyj vopros. In: Izvestija Glavnogo Ze­ mel’nogo Komiteta 4–5 (1.–15. September 1917). S. 18.

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„Träger der Zivilgesellschaft“ (nositel’ obščestvennosti) hätten die Genossenschaften entscheidend zum Sturz der zarischen Regierung beigetragen.66 Mit diesem Selbstverständnis einher ging der Wunsch, den Agrarismus fest in der politischen Landschaft zu etablieren. Im Glauben, die Genossenschaftsbewegung stelle aufgrund der großen Zahl von genossenschaftlich organisierten Bauern ein Identifikationsangebot für die breite Bevölkerung bereit, beteiligten sich führende Agrarexperten im Oktober an der Gründung der „Genossenschaftlichen Gruppe“ (Kooperativnaja gruppa), die als eigenständige politische Fraktion an den Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung teilnehmen sollte. Zu ihren Kandidaten zählten u. a. die Ökonomen Sergej N. Prokopovič und Aleksandr V. Čajanov.67 Im Anschluss an den Oktoberumsturz, der die „Genossenschaftliche Gruppe“ mitten im Wahlkampf überraschte, nahmen deren Vertreter ihren vermeintlichen Beitrag zum Sturz der zarischen Regierung erneut zur Legitimierung eigener politischer Ambitionen in Anspruch: „Wir haben doch nicht den Zarismus gestürzt, damit eine Gruppe von Gewalttätern und Verrätern uns erneut Fesseln anlegt und den Deutschen ausliefert. Nein, Genossen Bauern und Arbeiter. Erhebt die Stimme des Protests. Wir, Eure Stellvertreter im Rat der Republik, welchen die dunklen Leninschen Soldaten am ersten Tag des Aufstandes aufgelöst haben, wir, verdiente Revolutionäre, die wir über Jahre gegen den Zaren für Boden und Freiheit gekämpft haben, rufen Euch zum Kampf gegen Gewalttäter, Okkupanten und Kriminelle auf.“68 Einzig die Genossenschaftsbewegung, so lautete die Botschaft dieses Aufrufs, konnte die Ideale der Februarrevolution am Leben erhalten. Der Glaube, die Bauern würden geduldig auf eine Reform warten, erwies sich jedoch als ebenso verfehlt wie die Idee von den Genossenschaften als basisdemokratischen Institutionen, die die Einheit des Landes „von unten“ garantierten. Allen Februarhoffnungen zum Trotz scheiterte der Versuch, den Agrarismus als politische Kraft zu etablieren und eine demokratisch legitimierte Bodenreform durchzuführen. Nicht einmal in Moskau, wo der Rückhalt für die Genossenschaften am größten war, konnten diese einen Kandidaten in die Verfassunggebende Versammlung bringen.69 Zugleich versanken die ländlichen Regionen in Willkür und Gewalt.70 Mit dem Sturz der Provisorischen Regierung schwanden daher die Hoffnungen auf eine baldige Einbindung breiter Bevölkerungsschichten in eine landesweite obščestvennost’. Viele 66 GARF f. 3529, op. 1, d. 4, l. 180. Vgl. auch die zeitgenössische Berichterstattung: Gosudarstvennoe soveščanie. Zasedanie 15 avgusta. In: Vlast’ Naroda 95 (18. August 1917). S. 3. 67 L. M. Chejsin: Vystuplenie kooperacii na političeskuju arenu. Črezvyčajnyj Vserossijskij s-ezd v Moskve. In: Vestnik kooperacii 9–10 (1917). S. 56–66. 68 Vozzvanie kooperativnoj gruppy Vremennogo Soveta Respubliki. In: Vlast’ Naroda 155 (07. November 1917). S. 2. 69 V. V. Chižnjakov: Istorija i organizacija Soveta Vserossijskich Kooperativnych S-ezdov. Moskau 1919. S. 36f; Učastie kooperacii v političeskoj žizni i vystuplenie pri vyborach v Učreditel’noe Sobranie. In: Izvestija Soveta Vserossijskich Kooperativnych S-ezdov 1 (1918). S. 17–20. 70 Zusammenfassend hierzu Graeme J. Gill: Peasants and Government in the Russian Revolution. London [u.a.] 1979.



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Agrarexperten waren enttäuscht, dass die ländliche Bevölkerung keinen Widerstand gegen die Bolschewiki leistete.71 1918 beklagte der Ökonom A. N. Minin die „allgemeine Kultur der Massen und ihre fehlende Fertigkeit zur Realisierung eines großen gesellschaftlichen Anliegens“ als eines der entscheidenden Hindernisse, das einer Fortführung der vorrevolutionären Agenda im Wege stand.72 Die Anhänger des Agrarismus zogen sich nun auf die Rolle von apolitischen Experten zurück, die ihren „Dienst am Volk“ auch unter den veränderten Bedingungen fortführten. Dabei galt die Kooperation mit den neuen Machthabern nicht nur als Frage der beruflichen Ehre, sondern auch als Beweis des ungebrochenen Verantwortungsgefühls der gebildeten Eliten gegenüber dem Russischen Reich. Aleksej V. Pešechonov, der seit 1920 als Statistiker im Staatsdienst tätig war, erklärte rückblickend: „[...] ich habe meinen Beruf als ziemlich neutral empfunden. Im besten Fall [...], dachte ich, gelingt es mir, durch meine Mitarbeit im sowjetischen Dienst Einfluss auf das russische Leben zu nehmen und nach meinen Kräften seiner Wiedergeburt zu dienen. Anders gesagt: Indem ich im sowjetischen Dienst blieb, hoffte ich, Russland zu dienen.“73 Nicht anders argumentierte Aleksandr V. Čajanov 1923 in einem Brief an die Publizistin und Genossenschaftsaktivistin Ekaterina D. Kuskova, die kurz zuvor aus Sowjetrussland ausgewiesen worden war: „Man muss beharrlich und genau zwischen Russland und der Sowjetunion unterscheiden. Man muss die lebendigen Prozesse in der Volkswirtschaft anerkennen und diese und die Intelligenz, die mit der Sowjetmacht zusammenarbeitet, unterstützen.“74 Für führende Agrarexperten bildete das Russische Reich also noch nach dem Sturz des Zaren und der Machtübernahme der Bolschewiki das entscheidende Referenzsystem.

Agrarexperten im ausgehenden Zarenreich: Eine imperiale Kollektivbiographie zwischen Integration und Zerfall Die imperiale Kollektivbiographie der Agrarexperten illustriert die Verschränkung zwischen dem Imperium als einem Kontext für individuelles und kollektives Handeln und der beruflichen, gesellschaftlichen und räumlichen Mobilität neuer Akteursgruppen, die die Strukturen des Reichs für sich nutzten oder an ihre eigenen Interessen 71 Gerasimov, Modernism and Public Reform (wie Anm. 2), S. 182–184. Ähnlich argumentiert Peter Holquist: Violent Russia, Deadly Marxism? Russia in the Epoch of Violence, 1905–1921. In: Kritika 4. Heft 3 (2003). S. 642f. 72 A. N. Minin: Perspektivy kooperativnoj agronomii. In: Vestnik sel’skogo chozjajstva 35–38 (1918). S. 9. 73 A. V. Pešechonov: Počemu ja ne ėmigriroval? Berlin 1923. S. 42. 74 V. A. Čajanov: A. V. Čajanov. Čelovek, učenyj, graždanin. Moskau 2000 (2. Auflage). S. 137.

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anzupassen suchten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts führten die „Verwissenschaftlichung des Sozialen“75 auf dem Gebiet der Agrarpolitik und die zeitgleiche Etablierung des Agrarismus als gesellschaftliche Bewegung zur Konstituierung einer Expertenelite, deren Angehörige eine grundlegende Sympathie für die bäuerliche Bevölkerung mit dem modernen Glauben an die Gestaltungskraft von Wissen und Vernunft verbanden und eine aktive Rolle bei der politischen, ökonomischen und sozialen Neuordnung des Russischen Reichs einforderten. Für die Agrarexperten war das Reich folglich Handlungsrahmen und Ermöglichungsraum zugleich. In der kollektiven Biographie der Agrarexperten spiegelten sich zwei eng miteinander verflochtene Prozesse: ein Paradigmenwechsel in der intellektuellen Aneignung des Imperiums sowie der Wandel seiner sozialen und politischen Verfasstheit. Die Angehörigen dieser Elite hatten entscheidenden Anteil an der mentalen Kartierung des ländlichen Russlands und der Konstruktion des Imperiums als einen gesellschaftlichen Zusammenhang, der auch die ländliche Bevölkerung umfasste. Als eine Folge ihrer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Landwirtschaft waren die Bauern am Beginn des 20. Jahrhunderts als ein ernstzunehmender ökonomischer Akteur auf dem Lande in der Wahrnehmung der Reichseliten präsent. Zugleich hatten die Experten selbst Anteil an der Herstellung eines Reichszusammenhangs jenseits seiner offiziellen Hierarchien und Instanzen. Ihre Führungsrolle auf „allrussischen“ Zusammenkünften von Agronomen und Genossenschaftlern, ihr Einfluss in der landwirtschaftlichen Bildungslandschaft und ihre Mitarbeit in den Redaktionen regionaler Agrarzeitschriften und den Zemstvos erlaubte es ihnen, ihre Zukunftsvision in verschiedene Regionen des Russischen Reichs und über die Grenzen ihres eigenen sozialen Milieus hinaus zu vermitteln. Die Agrarexperten trugen somit zur Verdichtung von Kommunikation zwischen unterschiedlichen Regionen und gesellschaftlichen Gruppen des Russischen Reichs bei. Dass sie sich als eine öffentlich wahrnehmbare Akteursgruppe konstituierten, ist folglich nicht nur symptomatisch für den politischen und gesellschaftlichen Wandel des ausgehenden Zarenreichs, sondern zeugt auch von der Bedeutung intellektueller und technischer Eliten bei der gesellschaftlichen und räumlichen Integration des Imperiums am Vorabend des Ersten Weltkriegs.76 Das Beispiel der Agrarexperten illustriert zugleich, welch geringe Integrationskraft die von der zarischen Regierung vermittelte Idee vom Imperium besaß. Obwohl 75 Hier folge ich Lutz Raphael: Die Verwissenschaftlichung des Sozialen als methodische und kon­ zep­tionelle Herausforderung für eine Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts. In: Geschichte und Ge­ sellschaft 22. Heft 2 (1996). S. 165–193. 76 Zur Bedeutung von Kommunikation für die Integration des Reichs und die gleichzeitige Desta­ bi­lisierung imperialer Herrschaft durch die Entstehung neuer öffentlicher Räume siehe Frithjof Benjamin Schenk: Mastering Imperial Space? The Ambivalent Impact of Railway Building in Tsarist Russia. In: von Hirschhausen, Comparing Empires (wie Anm. 3), S. 60–77 sowie Marsha Siefert: „Chingis-Khan with the Telegraph“ – Communications in the Russian and Ottoman Empires. In: von Hirschhausen, Comparing Empires (wie Anm. 3), S. 78–108.



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die Ökonomen, Agronomen und Statistiker über das Wissen verfügten, das der Zentralstaat angesichts der politischen Konjunktur der Landwirtschaft so dringend benötigte, wurden sie in ihrem Handeln regelmäßig beschränkt. Zwar präsentierten sich die Agrarexperten als apolitische Modernisierer. Tatsächlich agierten sie jedoch als eine gesellschaftliche Gegenelite, die durch die Schaffung neuer öffentlicher Räume politische Teilhabe einforderte und der zarischen Regierung Konkurrenz machte. Hinter den wiederkehrenden Spannungen zwischen Experten und Staatsvertretern standen diametrale Reichsbilder. Während die Bürokraten der Idee einer Reichsbildung „von oben“ anhingen, träumten die Vertreter des Agrarismus davon, das Reich „von unten“ zu integrieren. Sie verwiesen auf ihre vermeintliche Nähe zur ländlichen Bevölkerung und präsentierten ihre Tätigkeit als einen Beitrag zur demokratischen Erneuerung des Imperiums. Ihre Vision einer ländlichen Moderne sah vor, dass die Reichsleitung einen Teil der von ihr beanspruchten Macht abgab und die Kontrolle über den öffentlichen Raum verringerte. Die zarische Regierung setzte der Zusammenarbeit mit den Landwirtschaftsspezialisten jedoch enge Grenzen. Auch die Intensivierung ihrer Kooperation während des Ersten Weltkriegs hat an diesem grundlegenden Zusammenhang wenig geändert. Auf diese Weise verhinderte die Reichsleitung die Identifikation der Experten mit der bestehenden Ordnung und trug zur politischen Fragmentierung des Imperiums bei. Auch wenn sich die Agrarexperten jenseits der Strukturen des Zentralstaats um die Herstellung eines Reichszusammenhangs bemühten, hatten sie dem Zerfall des Imperiums nichts entgegenzusetzen. Die Monate nach der Februarrevolution waren ein tragischer Wendepunkt in der kollektiven Biographie der Experten. Als sie die Möglichkeit erhielten, die Agrarfrage nach ihren Vorstellungen zu lösen, erwiesen sich der Glaube an die Existenz objektiver agrarpolitischer Kriterien und die Funktionalität demokratischer Institutionen als Illusion. Die Ungeduld der Bauern belehrte die Agrarexperten, dass eine schrittweise Transformation des ländlichen Russlands im Kontext von Krieg und Revolution politisch nicht vermittelbar war: Die Bauern handelten in Eigenregie und eigneten sich den Boden, den die Experten auf der Grundlage komplexer Berechnungen neu verteilen wollten, selbst an. Die Hoffnung auf ein Bündnis mit den Bauern, deren Unterstützung sich die Landwirtschaftsspezialisten bislang so gewiss gewesen waren, hatte sich am Ende des Jahres 1917 erübrigt. Paradoxerweise gelang es ausgerechnet den Bolschewiki, die Agrarexperten an sich zu binden. Obwohl der Herrschaftsanspruch der neuen Machthaber nicht weniger hegemonial war als der des Ancien Régime und ihre politische Kultur den Landwirtschaftsspezialisten mindestens ebenso fremd blieb wie der Habitus der zarischen Beamten, strömten die Angehörigen der vormaligen Gegenelite nach dem Oktoberumsturz in den Staatsdienst. Dabei stilisierten sie die Übernahme von Funktionen im bolschewistischen Staatsapparat zu einem Akt der Pflichterfüllung, dessen moralischer Wert durch die Ideologie und die Gewalt der neuen Machthaber nicht beeinträchtigt wurde. Die Strategie der Bolschewiki wiederum war so einfach wie erfolgreich: Sie verstaatlichten das Modernisierungsprogramm der vorrevolutionä-

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ren Agrarexperten und schafften die sozialen Räume ab, in denen diese als kollektiver Akteur aufgetreten waren. Indem die neuen Machthaber den Experten attraktive Karrieremöglichkeiten eröffneten und umfangreiche finanzielle und institutionelle Ressourcen zugestanden, gelang es ihnen, die Agrarexperten als politische Kraft und Sprecher einer gesellschaftlichen Bewegung zu neutralisieren und in die staatlichen Funktionseliten zu integrieren.

Klemens Kaps

Zwischen unternehmerischen Interessen, Arbeit für die Nation und Politik für das Reich Zwei imperiale Biographien im Galizien der späten Habsburgermonarchie (1880–1914)

Abb. 18: Stanisław Szczepanowski (1846–1900)

Abb. 19: Edmund Zieleniewski (1855–1919)

Die ethnisch-kulturell und territorial heterogene Elite der späten Habsburgermonarchie mit reichsweitem Führungsanspruch wurde und wird vorwiegend mit traditionellen Milieus wie Adel, Kirche und Militär in Verbindung gebracht, die das 1867 als Doppelmonarchie neu konfigurierte Reich bis zum Zusammenbruch nach dem Ersten Weltkrieg dominierten. Als wesentliches Moment in der Kohäsionsfähigkeit dieser Gruppen für die von vielfältigen Bruchlinien gekennzeichnete späte Habsburgermonarchie gilt gerade das Bewahren einer übernationalen Identität, die stark auf das Reich und insbesondere die Dynastie ausgerichtet war. Diese monarchietreue Haltung strahlte dieser Deutung gemäß bis in das in der Reichsmetropole Wien konzentrierte deutschsprachige Bürgertum aus, dem trotz seiner liberalen Grundhaltung und seines unternehmerischen Selbstverständnisses eine ausgeprägte Nähe zu „feudalen Werthaltungen“ attestiert wird. Insgesamt wird die späte Habsburgermonarchie mit einer traditionellen, vormodernen Ordnung identifiziert und eine Polarisierung zwischen monarchietreuen Milieus und Eliten einerseits sowie modernen, sich natio-

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nalisierenden Führungsschichten andererseits geortet, die den Rahmen des Reichs infrage stellten.1 Diese schematische, stark modernisierungstheoretisch geprägte Perspektive wird in diesem Beitrag mittels der Biographien von zwei Industriellen, Stanisław Szczepanowski (1846–1900) und Edmund Zieleniewski (1855–1919), kontrastiert, in welchen die komplexen Verschränkungen und Überlappungen zwischen Imperium, Nation und Modernität zum Ausdruck kommen.2 Trotz beachtlicher zeitlicher und räumlicher Divergenzen zwischen beiden Lebensläufen erlaubt der Fokus auf den sich zeitlich überschneidenden Höhepunkt des Wirkens beider Unternehmer im habsburgischen Galizien während einer breit verstandenen Jahrhundertwende zwischen 1880 und 1900 einen biographischen Vergleich von zwei unternehmerischen Schlüsselfiguren. Im Unterschied zu der üblicherweise dominanten nationalhistorischen Deutung werden beide Lebensläufe in diesem Beitrag als imperiale Biographien verstanden und explizit unter den Bezügen zu reichsweiten Handlungsmustern, Denkvorstellungen und Interaktionsräumen betrachtet. Anhand beider Fallstudien wird den Verflechtungen zwischen Wirtschaft und Politik, dem Ineinandergreifen von nationaler Emanzipation und reichsweiter Loyalität, innerer Mobilität und Transfers innerhalb der späten Habsburgermonarchie nachgegangen. Damit soll schlussendlich die Frage geklärt werden, inwieweit die beiden Protagonisten sowohl hinsichtlich ihres beruflichen Verständnisses als Unternehmer als auch ihrer nationalen Identifikation als Polen Teil einer reichsweit denkenden und handelnden Führungsschicht waren. Anders gefragt: Lässt sich wirtschaftliches Handeln und die Ökonomie, verstanden als gesellschaftliches Subsystem, als Arena mit dem Reich verbundener Führungsschichten begreifen, oder aber beschränkte sich der Charakter imperialer Biographien auf die direkt mit dem politischen Rahmen verbundenen Institutionen wie Parlament oder Ministerien. Die Biographien der beiden Akteure zeichnen sich dabei durch einige Elemente aus, die für die Beantwortung dieser Fragen ergiebig erscheinen: Einerseits waren sie als Abgeordnete zum Reichsrat in eine der zentralen Institutionen des cisleithanischen Teils des Imperiums eingebunden. Andererseits stehen sie in ihrem unternehmerischen Handeln für einen dynamischen Typus von Großindustriellen, die in Branchen wie der Erdölförderung (Szczepanowski) und dem Maschinenbau (Zieleniewski) tätig waren, die mit der sogenannten „zweiten Industrialisierung“ nach der Weltwirtschaftskrise von 1873 erst aufkamen oder stark an Bedeutung gewannen.3

1 Ernst Bruckmüller: Sozialgeschichte Österreichs. Wien 2001. S. 287. 2 Leszek Kuberski: Stanisław Szczepanowski 1846–1900. Przemysłowiec, Polityk, Publicysta. Opole 1997. S.184. Feliks Kiryk u. Henryk Żaliński: Zieleniewscy. Z dziejów kształtowania się burżuazji krakowskiej. In: Ryszard Kołodziejczyk (Hrsg.): Dzieje burżuazji w Polsce. Studia i Materiały. Band III. Wrocław 1983. S. 267–292, hier S. 291. 3 Karl Bachinger u. Herbert Matis: „Österreichs industrielle Entwicklung“. In: Alois Brusatti (Hrsg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Band I (Die wirtschaftliche Entwicklung). Wien 1973. S. 105–



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Die Rolle als Innovatoren innerhalb des österreichisch-ungarischen Unternehmertums tritt in ihrem unmittelbaren Lebens- und Wirkungsgravitationszentrum, dem nordöstlichen Kronland Galizien, noch stärker hervor. Die großindustrielle Tätigkeit von Szczepanowski und Zieleniewski kontrastierte mit der nachhaltigen agrarischen Prägung der hauptsächlich von Polen, Ruthenen und Juden bewohnten Region. Noch im Jahr 1910 waren 74 Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft beschäftigt, wohingegen Industriearbeiter mit 304.827 eine verschwindende Minderheit der 8 Millionen Einwohner darstellten.4 Dies hatte auch Auswirkung auf die Zusammensetzung der Elite des Kronlands, die sich durch eine markante Vorherrschaft adeliger Großgrundbesitzer kennzeichnete. Daneben nahmen Industrielle in mehrfacher Hinsicht eine Außenseiterposition ein, die auf ihre Genese als sozialer Schicht selbst zurückreicht. Aufstieg aus dem Handwerkerstand und Zuwanderung kapitalkräftiger und initiativreicher Akteure zählten dabei zu den häufigsten Mustern,5 die auch vom Krakauer Schmiedsohn Zieleniewski und dem aus London immigrierten Szczepanowski verkörpert werden. Die Biographien von Szczepanowski und Zieleniewski ermöglichen danach zu fragen, auf welche Art Österreich-Ungarn für zwei bürgerliche Industrielle aus einem der am prekärsten entwickelten Räumen der Monarchie einen erfahrbaren Bezugsrahmen darstellte und ihre unternehmerische als auch politische Aktivität prägte und umgekehrt durch sie beeinflusst wurde.

Stanisław Szczepanowski: Kolonialbeamter, Erdölpionier, Wirtschaftspolitiker Jenseits dieser typologischen Ähnlichkeiten standen nichtsdestotrotz zwei individuelle Biographien, die auch hinsichtlich der sozialen Herkunft, des beruflichen Werdegangs und des karrieretechnischen bzw. unternehmerischen Erfolgs stark voneinander abwichen. Dass Stanisław Szczepanowski am 12. Dezember 1846 im nahe von Posen gelegenen Kościan geboren wurde, verdankte sich den zahlreichen Wohn232. Herbert Matis: Österreichs Wirtschaft 1848–1913. Konjunkturelle Dynamik und gesellschaftlicher Wandel im Zeitalter Franz Joseph I. Berlin 1972, S. 420. 4 Roman Sandgruber: Österreichische Agrarstatistik 1750–1918 (= Wirtschafts- und Sozialstatistik Österreich-Ungarns, Teil 2). Wien 1978. S. 222; Andrzej Burzyński: Informator statystyczny do dziejów przemysłu w Galicji. Górnictwo, Hutnictwo i przemysł rafineryjny (struktura zatrudnienia na tle wartości i wielkości produkcji). Krakau 1982. S. 222f. 5 Stanisław Grodziski: Uwagi o elicie społecznej Galicji 1772–1848 r. In: Janina Leszkiewiczowa (Hrsg.): Społeczeństwo polskie XVIII i XIX wieku. Band 7 (Studia o grupach elitarnych). Warszawa 1982. S. 145–177. Tomasz Kargol: Zieleniewscy, Baczewscy, Grossowie….Galicyjscy przedsiębiorcy w drugiej połowie XIX wieku (do 1914 r.) – kierunki badań i postulaty badawcze. In: Kwartalnik His­to­ ryczny CXVI (2009). S. 197–217.

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ortwechseln seines Vaters Jan Władysław zwischen den drei polnischen Teilungsgebieten, Frankreich, Belgien und Großbritannien, wo er als Eisenbahningenieur tätig war. 1845 zog er nach Kościan, um für das dortige Meliorationsbüro zu arbeiten. Der Arbeitsort von Szczepanowski Senior wechselte auch in der folgenden Zeit und mit ihm der Wohnort der Familie – Skubarczewo, Tuszyń bei Bydgoszcz, Chełmno, wo Stanisław zwischen 1854 und 1857 die Grundschule besuchte, lauteten die Stationen, bevor 1858 – nach einer missglückten Immobilienspekulation, bei der Jan Władysław sein gesamtes Vermögen verlor – der Umzug nach Wien erfolgte. Dort absolvierte Stanisław die Realschule, nach deren Abschluss er mit seinem Vater zwei Jahre lang beim Eisenbahnbau im Banat arbeitete.6 Räumliche Mobilität blieb auch in den folgenden Jahren eine Konstante in Stanisław Szczepanowskis Leben, der mit Galizien in seiner Jugend überhaupt keine Berührungspunkte hatte. Auch in Wien hielt es ihn nach seiner Rückkehr nur wenige Jahre. Ab dem akademischen Jahr 1863/64 studierte er an der Technischen Abteilung des Wiener Polytechnischen Instituts Chemie und knüpfte Kontakte mit polnischen Studenten aus Galizien wie Ignacy Skrochowski und Alfred Zgórski, mit denen er die Studentenorganisation Ognisko ins Leben rief. Eine enge Freundschaft verband ihn mit Robert Biedermann, dem Sohn eines Wiener Bankiers.7 Bereits unmittelbar nach Studienabschluss im Jahr 1867 ging der 21-jährige Ingenieur trotz guter beruflicher Perspektiven in der boomenden Wirtschaft der Gründerzeit nach Paris, um seine technischen Kenntnisse durch praktische Erfahrung in den innovativen Industriebetrieben des Kontinents zu erweitern. Von Paris aus reiste er nach Mailand und Venedig, begeisterte sich für das risorgimiento und die liberale Wirtschaftspolitik Sardiniens, bevor er sich im März 1869 in England niederließ. Durch familiäre Kontakte erhielt er zunächst eine Stelle in London, dann in einer Baumwollmanufaktur in Manchester. Schon im Jahr darauf kehrte er in die Metropole des britischen Empires zurück, wo ihm mit der Bestellung zum Sekretär von John Forbes Watson, dem Leiter der Abteilung für Handel und Industrie des India Office, ein erster beachtlicher Karrieresprung gelang. Bis zu seiner Entlassung im Jahr 1879, nachdem er sich geweigert hatte, den Prinz von Wales auf einer Forschungsreise nach Indien zu begleiten, verfasste Szczepanowski sozial-ökonomische Studien über Indien, entwarf Projekte für Eisenbahnbau und die Landwirtschaft. 1873 besuchte er seinen im Sterben liegenden Vater

6 Kuberski, Szczepanowski (wie Anm. 2), S. 15–25. Halina Kozłowska-Sabatowska: Wokół Nędzy Stanisława Szczepanowskiego. In: Zeszyty Naukowe Uniwersytetu Jagiellońskiego, Prace Historyczne 77 (1985). S. 107–132, hier S. 110. 7 Stefan Kieniewicz: Dramat trzeźwych entuzjastów. O ludziach pracy organicznej. Warszawa 1964. S. 181f. Alison Fleig Frank: Oil Empire. Visions of Prosperity in Austrian Galicia. Cambridge 2007. S. 82. Stanisław Szczepanowski: Nędza Galicyi w cyfrach i program energicznego rozwoju gospodarstwa kra­jowego. Lemberg 1888. S. XIX.



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in Lemberg, wo seine Eltern nun lebten, aber die missliche soziale und wirtschaftliche Lage vor Ort schreckte ihn ab.8 Auch nach dem Tod seines Vaters zwei Jahre später wies Szczepanowski die Bitten seiner Mutter zurück, nach Lemberg umzuziehen. Szczepanowski übernahm begeistert den britischen Lebensstil, schrieb an und ab für die Wirtschaftszeitschrift The Economist, und knüpfte auch in London Kontakte mit polnischen Emigranten: So lernte er Franciszek Zima kennen, einen Teilnehmer des Januaraufstands von 1863, der in London als Bankangestellter tätig war, sich jedoch schon bald nach ihrer Bekanntschaft in Galizien niederließ. Im Jahr 1877, nur zwei Jahre vor seinem Rückzug aus dem India Office und dem tatsächlichen Umzug nach Galizien, erhielt Szczepanowski die britische Staatsbürgerschaft.9 Mit der Verlegung seines Lebensmittelpunkts in das nordöstliche Kronland Österreich-Ungarns schlug Szczepanowski einen für ihn komplett neuen Weg ein, der jedoch für Angehörige der polnischen Mittelschicht nicht untypisch war: Diese wanderten zu dieser Zeit allerdings fast ausschließlich aus dem Königreich Polen nach Galizien zu und machten die Region mit der Landeshauptstadt Lemberg an der Spitze zu einem wichtigen Gravitationszentrum der polnischen Nationalbewegung.10 Szczepanowski, der zunächst in Lemberg lebte, musste sich in einer neuen Umgebung erneut ein soziales Umfeld aufbauen. In Lemberg lernte er Helena Wolska kennen, die er dort am 16. Juni 1881 heiratete.11 Zu diesem Zeitpunkt lebte Szczepanowski bereits abseits der galizischen Landeshauptstadt: 1880 hatte er die Erdölförderung im ostgalizischen Sloboda bei Kolomea aufgenommen.12 Die Erdölförderung auf Grundlage moderner Produktions- und Managementmethoden wurde zu diesem Zeitpunkt innerhalb Galiziens federführend von dem Pionier der Branche, Ignacy Łukasiewicz, im Gebiet von Gorlice und Jasło in Westgalizien betrieben.13 In der Umgebung von Kolomea war sie hingegen zu diesem Zeitpunkt nur vereinzelt und vornehmlich auf heimgewerblicher Basis anzutreffen. Szczepanowskis Unternehmen, das innerhalb kurzer Zeit nach Inbetriebnahme der Förderschächte 8 Kozłowska-Sabatowska, Wokół Nędzy (wie Anm. 6), S. 112. 9 Kuberski, Szczepanowski (wie Anm. 2), S. 30–33, 36; Frank, Oil Empire (wie Anm. 7), S. 84. Ta­deusz Kowalik: Stanisław Szczepanowski – ekspert rozwoju gospodarczego. In: Kwartalnik Historii Nauki i Techniki 13. Heft 2 (1968). S. 349–367, hier S. 350f. Kieniewicz, Dramat (wie Anm. 7), S. 182–184. 10 Jerzy Jedlicki: A Suburb of Europe: Nineteenth Century Polish Approaches to Western Civilization. Budapest 1999, S. 184; Ralph Schattkowsky: Identitätenwandel und nationale Mobilisierung in Westpreußen und Galizien. Ein Vergleich. In: Ralph Schattkowsky (Hrsg.): Identitätenwandel und nationale Mobilisierung in Regionen ethnischer Diversität. Ein regionaler Vergleich zwischen Westpreußen und Galizien am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. Marburg 2004. S. 29–62, hier S. 33f. 11 Kuberski, Szczepanowski (wie Anm. 2), S. 67f. 12 Kieniewicz, Dramat (wie Anm. 7), S. 185. 13 Piotr Franaszek: Die Voraussetzungen für die Entwicklung des Erdölbergbaus in Galizien. In: Jozef Buszko u. Walter Leitsch (Hrsg.): Österreich – Polen. 1000 Jahre Beziehungen. Krakau 1996. (Studia Austro-Polonica 5). S. 193–227, hier S. 205.

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bis dahin ungekannte Mengen Erdöl förderte, wurde somit zum Initiator der Rohölextraktion in Ostgalizien und zu einem Wegbereiter des galizischen Ölbooms der Jahrhundertwende, der im Becken von Boryslav und Drohobyč sein Zentrum hatte. Die Investitionen in Sloboda markierten den Auftakt zur Unternehmerkarriere des bis dahin vor allem im Staatsdienst beschäftigten Ingenieurs.14 Mit der Errichtung eines Raffineriebetriebs im nahe gelegenen Pečenyžyn im Jahr 1881, der in den folgenden Jahren der größte Betrieb innerhalb Galiziens war, begann Szczepanowski eine Firma aufzubauen, die zu den modernsten und innovativsten in ganz Österreich-Ungarn zählte.15 Nicht nur bei der Ausstattung der Raffinerie, sondern auch bei der Rohölförderung griff Szczepanowski auf die innovativste Technologie zurück, die er aus den USA bezog, wo sich die Erdölförderung seit den 1870er Jahren dynamisch entwickelte: Ab 1884 beauftragte Szczepanowski die beiden nach Galizien zugewanderten kanadischen Bohrtechniker William MacGarvey und John Bergheim, neue Förderschächte mittels der kanadisch-amerikanischen Tiefbohrmethode auszuheben. Dadurch konnten Ölablagerungen in bis dahin unerreichbaren Tiefen von 300 bis 600 Metern gefördert werden, wodurch die Produktionsmengen des Unternehmens in die Höhe schnellten.16 Es waren aber nicht nur die in atemberaubendem Tempo erfolgenden unternehmerischen Erfolge, die Szczepanowski in seiner neuen Heimat bekannt machten. Fast noch bedeutsamer war die von ihm lautstark und selbstbewusst propagierte Einbettung seiner unternehmerischen Aktivität in eine politische Vision, nämlich die galizische Gesellschaft mittels einer „moralischen Erneuerung“ aus dem „Elend“ zu führen und solcherart die Fundamente für die Emanzipation der polnischen Nation zu legen. Dieses Programm führte Szczepanowski im 1888 erschienenen Buch Nędza Galicyi w cyfrach i program energicznego rozwoju gospodarstwa krajowego aus, das im damaligen Diskurs für lang anhaltende Kontroversen sorgte,17 die bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt einen beachtlichen Nachhall in der Historiografie finden.18 Dem entsprach nicht nur das Engagement Szczepanowskis in der institutionalisierten Politik in Reichsrat und Landtag: Szczepanowski war von 1885 bis 1897 Mandatar für die galizischen Demokraten im Abgeordnetenhaus des Reichsrats. Hatte er zunächst einen Sitz der Grundbesitzerkurie für den Wahlbezirk Kolomea inne, nahm er nach seiner Wahlniederlage im Mai 1891 gegen seinen demokratischen Parteikolle14 Kuberski, Szczepanowski (wie Anm. 2), S. 41, 44f. 15 Frank, Oil Empire (wie Anm. 7), S. 86. 16 Kuberski, Szczepanowski (wie Anm. 2), S. 47, 50; Franaszek, Voraussetzungen (wie Anm. 13), S. 206; Kieniewicz, Dramat (wie Anm. 7), S. 186. 17 Kozłowska-Sabatowska, Wokół Nędzy (wie Anm. 6), S. 113–132; Michał Śliwa: Nędza Galicyjska. Mit i rzeczywistość. In: Włodzimierz Bonusiak u. Józef Buszko (Hrsg.): Galicja i jej dziedzictwo. Band 1 (Historia i polityka). Rzeszów 1994. S. 145–155; Edward Wierzbicki: Wpływ „Nędzy Galicji“ Stanisława Szczepanowskiego na rozwój ekonomiczny Galicji. In: Rocznik Przemyski 22/23 (1983). S. 473–478. 18 Vgl. zuletzt: Larry Wolff: The Idea of Galicia. History and Fantasy in Habsburg Political Culture. Stan­ford 2010. S. 275–279.



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gen Karol Lewakowski im Wahlkreis Lemberg das der Lemberger Handels- und Gewerbekammer zustehende Reichsratsmandat an. Zwischen 1891 und 1897 gehörte Szczepanowski auch der so genannten Delegation des gemeinsamen Ausschusses cis- und transleithanischer Parlamentarier an, das über finanz-, militär- und außenpolitische Fragen beriet, die in die Zuständigkeit der „gemeinsamen“ Politikbereiche der beiden Reichshälften fielen. Abseits der parlamentarischen Arbeit fungierte Szczepanowski als Mitglied beratender Ministerialgremien – wie des beim Handelsministerium angesiedelten Zoll- und Mineralölrats oder des Staatseisenbahnrats.19 Zu der Einbindung in zentralstaatliche Institutionen trat kurz darauf das Engagement in der galizischen Landespolitik. Zwischen 1889 und 1899 war Szczepanowski, ebenfalls für die Demokraten, Abgeordneter zum galizischen Landtag, zunächst für Drohobyč (1889–1895), danach für Kolomea.20 Die politische Funktion fügte sich in Szczepanowskis zivilgesellschaftliches Engagement ein: Von unternehmerischen Interessensverbänden wie der von Łukasiewicz gegründeten Landeserdölgesellschaft (Krajowe Towarzystwo Naftowe, KTN) mit Sitz in Gorlice21 oder dem Verwaltungsratvorsitz der Spółka Handlowa Rolniczo-Przemysłowa in Kolomea reichte das Engagement des umtriebigen Unternehmers bis hin zum Vorsitz des regionalen Genossenschaftsdachverbands (Związek Stowarzyszeń Zarobkowych i Gospodarczych) sowie dem Engagement bei Bildungsinitiativen, die eine Förderung der Alphabetisierung der galizisch-polnischen Bevölkerung anstrebten.22 Ab dem Frühjahr 1890 war Szczepanowski Mitglied der Lemberger Handels­kam­ mer,23 Mitte der 1890er Jahre wurde er zum Prüfer in der Studienzulassungskommission der Polytechnischen Hochschule in Lemberg ernannt, und rief zusammen mit seinem Schwager Wacław Wolski die Tageszeitung Słowo Polskie ins Leben.24 Die be­eindruckende Dichte der vielfältigen Aktivitäten Szczepanowskis unterstreichen, dass er innerhalb relativ kurzer Zeit ein nicht mehr wegzudenkender Bestandteil nicht nur des sich ausbildenden Bürgertums, sondern auch der galizischen Öffentlichkeit war. Doch scheiterte er gerade an seiner Rolle als innovativer Unternehmer, der einen wichtigen Beitrag in der Transformation der heimgewerblich strukturierten Erdölförderung in einen bedeutenden Sektor der galizischen Grundstoffindustrie leistete.25 Die zunehmende Konkurrenz des von den österreich-ungarischen Raffinerien bezogenen kaukasischen Öls sowie die mangelnden Eisenbahnverbindungen behinder19 Kuberski, Szczepanowski (wie Anm. 2), S. 79f, 105f, 112, 115f, 129. 20 Kuberski, Szczepanowski (wie Anm. 2), S. 131–133. 21 Franaszek, Voraussetzungen (wie Anm. 13), S. 198. 22 Kuberski, Szczepanowski (wie Anm. 2), S. 53, 82–84. 23 Protokół z II. posiedzenia lwowskiej Izby handlowej i przemysłowej z dnia 21. kwietnia 1890 pod przedwodnictwem Prezydenta Izby pana Karola Kiselki, L.1218 ex 1890. Sitzungsprotokolle der Han­ dels­kammer Lemberg 1890, S. 54. 24 Kuberski, Szczepanowski (wie Anm. 2), S. 74–76, 87. 25 Frank, Oil Empire (wie Anm. 7), S. 70; Janusz Bar [u.a.]: Problem protoindustrializacji w przemyśle naftowym Galicji. In: Rocznik Dziejów społecznych i gospodarczych XLIV (1983). S. 57–83.

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ten ab den späten 1880er Jahren sowohl eine rentable Rohölförderung als auch den gewinnbringenden Absatz des raffinierten Fertigprodukts.26 Szczepanowski reagierte darauf in den Jahren 1889 und 1890 mit weiteren Investitionen in neue Erdölförderschächte in Schodnica. Zeitgleich stieg er auch in die Braunkohleförderung ein. Da für diese Investitionen seine bisherigen Kapitalquellen – das Familienvermögen und günstige Kredite des Bankhauses seines Studienfreunds Robert Biedermann – nicht mehr ausreichten, griff der expandierende Unternehmer auf Kredite bei der Galizischen Sparkasse in Lemberg zurück, die von seinem Londoner Bekannten, Franciszek Zima, geleitet wurde.27 Als sich auch diese neuen Engagements als erfolglos erwiesen, musste Szczepanowski im Jahr 1894 seine Unternehmen in Schodnica verkaufen, drei Jahre darauf seine Braunkohlebergwerke schließen und der Galizischen Sparkasse überschreiben. Nur wenige Monate nach dem Verkauf des Unternehmens von Schodnica, an dem Szczepanowski nur mehr über Aktienbesitz beteiligt war, wurden auf dem Förderterrain Erdölfunde ungeahnten Ausmaßes entdeckt, die den galizischen Erdölboom der Jahrhundertwende einleiteten und Szczepanowskis Schulden bei weitem gedeckt hätten.28 Aufgrund des zu frühen Verkaufs, der unter Druck der Galizischen Sparkasse erfolgt war, stand die Rückzahlung von Szczepanowskis Schulden im Ausmaß von 5 Millionen Gulden hingegen immer mehr in Zweifel. Das wahre Ausmaß von Szczepanowskis Verschuldung, die weit über die laut Bankstatut zulässige Obergrenze hinausging, war jedoch außer Bankdirektor Zima niemandem bekannt. Mit dem unvermeidlichen Bankrott von Szczepanowskis Unternehmen im Frühjahr 1899 drohte somit der Galizischen Sparkasse der Zusammenbruch, was von der Galizischen Statthalterei mit Mühe verhindert werden konnte. Nur die von Szczepanowskis Verwandten unterschriebene Haftung rettete die Bank vor dem Zusammenbruch. Bankdirektor Zima wurde abgesetzt und die von Statthalter Leon Piniński angeordnete Überprüfung brachte das wahre Ausmaß von Szczepanowskis Verschuldung zum Vorschein. Während Zima noch vor Prozessbeginn unter nicht geklärten Umständen im Gefängnis starb, wahrscheinlich jedoch Selbstmord beging, endete der Prozess mit einem Freispruch aller Beteiligten.29 Dies änderte jedoch nichts daran, dass der Finanzskandal nicht nur Szczepanowskis schillernde Karriere beendete, sondern auch dem von ihm propagierten national-liberalen Emanzipationsprogramm schweren Schaden zufügte. Nach dem Freispruch verließ er Galizien und verstarb kaum ein Jahr später im hessischen Kurort Bad Nauheim an einem Herzinfarkt.30

26 Franaszek, Voraussetzungen (wie Anm. 13), S. 197–199. 27 Kuberski, Szczepanowski (wie Anm. 2), S. 59–63; Kieniewicz, Dramat (wie Anm. 7), S. 185. 28 Kuberski, Szczepanowski (wie Anm. 2), S. 63–66. 29 Kuberski, Szczepanowski (wie Anm. 2), S. 165–173, 179; Frank, Oil Empire (wie Anm. 7), S. 102; Kowalik, Ekspert (wie Anm. 9), S. 352. 30 Maciej Janowski: Inteligencja wobec wyzwań nowoczesności. Dylematy ideowe polskiej demo­ kra­cji liberalnej w Galicji w latach 1889–1914. Warszawa 1996. S. 31.



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Edmund Zieleniewski: Familienunternehmer, Konzernchef, Lobbyist Gegenüber des schillernden Lebenslaufs Szczepanowskis baute Edmund Zieleniewskis unternehmerische Karriere auf weniger spektakulären Grundlagen auf, war aber von größerem nachhaltigen Erfolg gekennzeichnet. Als Edmund Zieleniewski im Jahr 1855 als zweiter Sohn des Schmieds Ludwik Zieleniewski geboren wurde, war die von seinem Vater gegründete Maschinenfabrik fünf Jahre alt und stand in vollem Schwung: Die aufgrund der 1848 beschlossenen Grundentlastung anhaltende Nachfrage nach landwirtschaftlichen Maschinen verschaffte der Krakauer Fabrik volle Auftragsbücher. Der als Konsequenz der Revolution von 1848 beschleunigte Wandel der Sozialstrukturen hatte den Impuls für die Umwandlung der familieneigenen Schmiedewerkstätte in eine Maschinen- und Werkzeugfabrik geliefert. Mit der Verleihung des Landesfabrikprivilegs durch das Handelsministerium am 23. Juni 1853 verfügte der Betrieb auch über die offizielle staatliche Anerkennung, was einige betriebswirtschaftliche Vorteile – wie die genehmigungslose Anstellung von Handwerksgesellen aus diversen Branchen – mit sich brachte.31 Anders als Szczepanowski wuchs Edmund Zieleniewski somit in einer bereits etablierten Unternehmerfamilie mit einem festen Wohnsitz in Krakau auf, das erst wenige Jahre zuvor, nach dem gescheiterten Aufstand von 1846, dem habsburgischen Galizien angegliedert worden war. Das von seinem Vater aufgebaute Familienunternehmen zeichnete den Berufsweg der Brüder Leon und Edmund Zieleniewski vor. Während Leon ab dem Jahr 1877 in der Krakauer Fabrik arbeitete, absolvierte der um 13 Jahre jüngere Edmund nach seinem Technikstudium in Chemnitz und an der Polytechnischen Hochschule in Wien zunächst ein zweijähriges Praktikum im väterlichen Betrieb. Vor seinem endgültigen Einstieg in die Krakauer Fabrik im Jahr 1883 sammelte Edmund weitere berufliche Erfahrung in der Firma Fröhlich im westgalizischen Rzeszów und den Betrieben der Österreichischen Alpine-Montangesellschaft in Andritz bei Graz. Mit dem Tod Ludwik Zieleniewskis am 18. September 1885 übernahmen die Söhne gemeinsam die Unternehmensführung.32 Die Generationenablöse fiel in eine Zeit, in der sich das Unternehmen aufgrund der nachlassenden Aufträge und des zunehmenden Konkurrenzdrucks der Betriebe in den anderen Kronländern in einer prekären Lage befand, was sich jedoch in den späten 1880er Jahren mit der zunehmenden Nachfrage der verstaatlichten und stark expandierenden Eisenbahnen änderte. Daneben begannen die Brüder Zieleniewski den Betrieb selbst zu erneuern. Den Auftakt dazu bot der Brand, bei dem 1886 praktisch alle Fabrikgebäude und Produktionsanlagen zerstört wurden.

31 Wacław Saryusz-Zaleski: Dzieje przemysłu w b. Galicji 1804–1929. Krakau 1930. S. 113–118. 32 Saryusz-Zaleski, Dzieje przemysłu (wie Anm. 31), S. 158, 161; Żaliński, Zieleniewscy (wie Anm. 2), S. 283f.

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Mit dem Neubau auf einem Gelände in der Ulica Grzegórzecka wurden nicht nur die Produktionsanlagen erneuert, sondern auch die Fabrikgebäude erweitert, was die Grundlage für die weitere Expansion des Unternehmens legte. Im gleichen Jahr wurde der Akkordlohn eingeführt. Vier Jahre später erfolgte die Umwandlung des Unternehmens in eine Offene Handelsgesellschaft. Damit ging eine Trennung der Aufgabenbereiche der beiden Gesellschafter einher: Leon, der den Betrieb aufgrund seiner langjährigen Praxis besser kannte, zeichnete für die technischen Belange verantwortlich; Edmund übernahm die Agenden eines Verkaufsdirektors. Trotz dieser Umwandlung des Familienbetriebs in eine moderne wirtschaftsrechtliche Form, griffen die beiden Gesellschafter auf keine externe Kapitalfinanzierung zurück – abgesehen von den bei Adam Graf Potocki und dem Krakauer Bankier Freylich aufgenommenen Krediten. Die Kapitalerhöhung speiste sich ausschließlich aus Rücklagen aus den Unternehmensgewinnen.33 Erst mit den sich in Österreich-Ungarn ab den frühen 1890er Jahren formierenden Industriekartellen trat hier ein Wandel ein.34 Der zunehmende Konkurrenzdruck der solcherart organisierten Branche zwang auch die Firma Zieleniewski zu einer Kapitalerhöhung, die nicht mehr aus eigenen Mitteln aufgebracht werden konnte. Es folgte daher im Jahr 1907 die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft, an der sich zwei Wiener Banken (die Kreditanstalt für Handel und Industrie und die Niederösterreichische Escompte-Gesellschaft) sowie die in Prag ansässigen Škodawerke beteiligten. Aus dem Familienunternehmen war ein Konzern geworden, dessen Geschäftsführung Edmund Zieleniewski übernahm, der die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft aktiv vorangetrieben hatte. Leon wurde zum Vorsitzenden des Aufsichtsrats ernannt, in dem die neuen Miteigentümer mit sechs von zehn Sitzen die Stimmenmehrheit stellten. Mit der neuen Eigentümerstruktur begann der Konzern auch, bei den beiden am Unternehmen beteiligten Wiener Banken Kredite aufzunehmen.35 Damit wurde die L.Zieleniewski AG, wie der Firmenname nun lautete, selbst zu einem aktiven Akteur im Konzentrationsprozess des Bank- und Industriesektors, der die Habsburgermonarchie bis zu Kriegsausbruch charakterisierte. Im Jahr 1913 inkorporierte die Zieleniewski-Gesellschaft zwei traditionsreiche galizische Maschinenfabriken in Lemberg und Sanok.36 Parallel zu der Integration des Konzerns in überregionale Finanz- und Kapitalnetzwerke hatten auch Edmund Zieleniewskis Bemühungen um ein Reichsratsmandat Erfolg: Nach der ersten, erfolglosen Kandidatur von 1900 war Zieleniewski in

33 Saryusz-Zaleski, Dzieje przemysłu (wie Anm. 31), S. 161f, 168. 34 Eduard März: Österreichs Industrie- und Bankenpolitik in der Zeit Franz Joseph I. Wien 1968. S. 245, 251; David Good: The Economic Rise of the Habsburg Empire. Los Angeles 1984. S. 168f. 35 Kargol: Zieleniewscy (wie Anm. 5), S. 14; Żaliński, Zieleniewscy (wie Anm. 2), S. 290; März, Industrie- und Bankenpolitik (wie Anm. 34), S. 342; Centralnyj deržavnyj istoryčnyj archiv Ukrajiny m.L’viv (CDIAUL), fond 574, opys 1, sprava 70. 36 Saryusz-Zaleski, Dzieje przemysłu (wie Anm. 31), S. 213–219.



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den Legislaturperioden 1907–1911 und 1911–1918 Mitglied des Abgeordnetenhauses.37 1909 wurde Zieleniewski in den beim Handelsministerium angesiedelten Industrierat und die Industriekommission des Galizischen Landtags in Lemberg berufen. Als sein Unternehmen während des Ersten Weltkriegs unter Armeeverwaltung gestellt wurde, meldete er sich freiwillig zum Heer, obwohl er bereits jenseits des zugelassenen Alters war. Seine Absicht, auf diese Art als Kommandant der eigenen Fabrik eingesetzt zu werden, scheiterte jedoch. Im Jahr 1918, nur wenige Monate vor seinem Tod, wurde Edmund Zieleniewski zum Leiter der Sektion für Industrie, Handel und Gewerbe der Liquidationskommission bestellt und damit direkt an der Überführung des politischrechtlichen Systems Galiziens in die unabhängige Republik Polen beteiligt.38

Zwei Unternehmerkarrieren als „imperiale Biographien“? Beide Biographien repräsentieren abseits der eingangs erwähnten strukturellen Gemeinsamkeiten – dem Engagement in modernen Industriebranchen, dem Aufstieg zu Großindustriellen im agrarisch geprägten und strukturschwachen Galizien und der Verquickung von geschäftlichem und politischem Engagement im imperialen Zentrum – zwei gänzlich verschiedene Unternehmer- und Firmengeschichten. Konnte Edmund Zieleniewski auf dem sich sukzessive aus einem kleinen Handwerkbetrieb heraus entwickelnden Familienunternehmen aufbauen und dieses unter väterlicher Anleitung zusammen mit seinem Bruder zu einem überregional verflochtenen Konzern ausbauen, so erwies sich Szczepanowskis atemberaubender und abrupter geschäftlicher Aufstieg letzten Endes als Strohfeuer. Auf den ersten Blick könnte es verlockend sein, diese beiden unterschiedlichen Muster auf individuell-biographische Ursachen zurückzuführen: Der unter Anleitung von Vater und älterem Bruder Schritt für Schritt auf seine Rolle als Unternehmer vorbereitete Zieleniewski steht dem als Geschäftsmann praktisch komplett unerfahrenen Szczepanowski gegenüber, der die Konjunktur in einem zukunftsweisenden Wirtschaftszweig ausnützte und viele Entscheidungen ad hoc und sprunghaft traf. Bei näherer Betrachtung drängen sich hingegen die Ursachenkomplexe Mobilitätsmuster, Transfers, Netzwerke und Lobbying in den Vordergrund. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, inwieweit die Bedingungen des späten Habsburgerreichs von beiden Akteuren als Handlungsraum gestaltet und genutzt werden konnte. Inwiefern sich ihre Leben daher als imperiale Biographien beschreiben lassen, die am Mobilitäts37 Harald Binder: Galizien in Wien. Parteien, Wahlen, Fraktionen und Abgeordnete im Übergang zur Massenpolitik. Wien 2005 (Studien zur Geschichte der Österreichisch-Ungarischen Monarchie XXIX). S. 632, 640, 654, 694. 38 Żaliński, Zieleniewscy (wie Anm. 2), S. 290f.

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muster, der Verflechtung mit politischen und wirtschaftlichen Akteuren und Institutionen, der politischen und unternehmerischen Praktiken und nicht zuletzt an der Identifizierung mit dem Reich festmachbar sind, wird im Folgenden beleuchtet.

Mobilitätsmuster Obwohl beide Akteure über ihr Leben hinweg ein beachtliches Ausmaß an räumlicher Mobilität aufwiesen, unterschieden sich die Wander- und Zirkulationsmuster diametral. Dabei bleibt festzuhalten, dass das hohe Ausmaß an Ortswechseln durch die Verdichtung der Verkehrsbedingungen im späten 19. Jahrhundert erst ermöglicht wurde. Zieleniewskis Leben war auf den geografischen Mittelpunkt Krakau ausgerichtet, wo er geboren wurde, aufwuchs und später beruflich tätig war. Nur vorübergehend verließ er Krakau – zwecks Studiums in Chemnitz und Wien sowie der Absolvierung von Praktika außerhalb des väterlichen Betriebs, von denen nur das bei der AlpinMontangesellschaft im steirischen Andritz tatsächlich nennenswert von seinem Lebensmittelpunkt entfernt lag. Der zweite Betrieb in Rzeszów war bereits seit 1860 von Krakau innerhalb einer überschaubaren Reisezeit mit der Bahn erreichbar. Erst mit der politischen Aktivität kristallisierte sich Wien neben Krakau als weiteres wichtiges Zentrum in Zieleniewskis Leben heraus. Diese beschränkte Mobilität erfolgte vor allem innerhalb des cisleithanischen Teils Österreich-Ungarns. Hingegen zählte räumliche Unbeständigkeit über Staatsgrenzen hinweg zu einer Konstante im Leben Szczepanowskis. Zunächst von den politischen und vor allem wirtschaftlichen Notwendigkeiten seines Vaters vorgegeben, reiste Szczepanowski nach seinem Studienabschluss aus eigenem Antrieb – und folgte dabei den räumlichen Spuren seines Vaters nach Frankreich und England, wo er das erste Mal in seinem Leben einen ständigen Lebensmittelpunkt für knapp ein Jahrzehnt hatte. Mit der Zuwanderung nach Galizien fand sich zwar ein weiterer stabiler Lebensmittelpunkt, wobei auch im Mikroraum noch zahlreiche Ortswechsel erfolgten – von Lemberg erfolgte 1880 der Umzug nach Sloboda, dann zwei Jahre darauf nach Pečenyžyn, 1886 nach Wien und dann erneut nach Lemberg. Mit den einsetzenden Herzproblemen folgten wiederholte Aufenthalte in Florenz, an der Adria und schließlich, schon nach dem Gerichtsprozess, im hessischen Bad Nauheim.39 Doch selbst dieses Bild ist nicht vollständig, da es die unermüdliche Reisetätigkeit Szczepanowskis ausblendet, die er unternahm, um seinen zahlreichen gesellschaftlichen Verpflichtungen nachzukommen – die Fahrten zu der Handelsgesellschaft nach Kolomea, zu den Sitzungen der Landeserdölgesellschaft im westgalizischen Gorlice (deren Sitz auf sein Betreiben später nach Lemberg verlegt wurde) sowie von Landtag

39 Kuberski, Szczepanowski (wie Anm. 2), S. 68.



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und Handelskammer in Lemberg zählten dabei noch zu relativ „nahen“ Reisen. Anders verhielt es sich mit jenen Posten und Ämtern, die Szczepanowski im Rahmen seiner parlamentarischen Tätigkeit im Wiener Abgeordnetenhaus übernahm und die ihn oft in die Reichsmetropole führten. Dazu kamen Geschäftsreisen nach England und Vorträge in Posen oder Krakau.40 Auch wenn ihn die Familie so oft als möglich begleitete, war es unvermeidlich, dass sich Szczepanowski und seine Frau Helena mitunter im Lemberger Bahnhofrestaurant treffen mussten, um während der Warte­ zeit auf den nächsten Zug neben privaten auch geschäftliche Angelegenheiten zu besprechen.41 In der Tat gab auch Szczepanowski selbst zu, dass diese regelmäßigen Absenzen sein unternehmerisches Scheitern mit verursachten und der Reisestress war wiederum eine wesentliche Ursache für seine Herzkrankheit.42 Szczepanowskis räumlicher Aktionsradius erfasste in seinen jungen Lebensjahren einen Gutteil Europas und kann somit als transnational gelten, auch wenn die Lebenserfahrung in der Habsburgermonarchie prägende Spuren hinterließ. Erst mit der Niederlassung in Galizien konzentrierte sich Szezpanowskis Wirkungsraum auf die Monarchie. Ähnlich wie bei Zieleniewski markierte die Verdichtung auf einen innerhalb der Reichsgrenzen fokussierten Wirkungsraum, mit Schwergewicht auf das politische Zentrum sowie den lokalen Lebensmittelpunkt an der Peripherie der Monarchie, die Spätphase in Szczepanowskis Biographie, wobei insbesondere Cisleithanien als sozialer Handlungsraum beider Protagonisten fungierte.

Kontakte, Vernetzungen und Transfers zwischen Peripherie und Zentrum Trotz der Unstetigkeit seiner Wohnorte gelang es dem selbstbewusst auftretenden Szczepanowski in beachtlichem Tempo und mit relativer Leichtigkeit, an den diversen Wohn- und Wirkungsorten soziale Kontakte aufzubauen. Dabei kam ihm in Wien das etablierte Umfeld der polnisch-galizischen Gemeinde entgegen, während er sich in London dezidiert von den Treffen der polnischen Migrantenorganisationen (beispielsweise des Orzeł Biały) fernhielt. Nur mit Franciszek Zima verband ihn ein engerer Kontakt.43 Dies erklärt sich daraus, dass Szczepanowski insbesondere zu Beginn auf Kontakte seines Vaters in England zurückgreifen konnte, auf deren Grundlage er dann neue Beziehungen in London aufbaute.44

40 Kuberski, Szczepanowski (wie Anm. 2), S. 80. 41 Kuberski, Szczepanowski (wie Anm. 2), S. 69. 42 Kieniewicz, Dramat (wie Anm. 7), S. 204–206. 43 Kuberski, Szczepanowski (wie Anm. 2), S. 36. 44 Kieniewicz, Dramat (wie Anm. 7), S. 183.

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Mit der Weigerung, den Prinzen von Wales auf einer Studienreise nach Indien zu begleiten, nahm Szczepanowski anstelle eines Karrieresprungbretts einen abrupten Bruch seiner erfolgreichen beruflichen Laufbahn in Kauf. Es ist symptomatisch, dass er gerade dann nach Galizien übersiedelte, was er bis dahin stets abgelehnt hatte. Die prestigereiche, letztendlich gescheiterte Karriere in der Metropole des britischen Kolonialreichs öffnete ihm in Galizien zunächst auch keine Türen – seine unsichere Stellung sorgte auch bei Helena Wolskas Mutter für Skepsis, die erst nach langem Zögern die Zustimmung zur Heirat ihrer Tochter mit Szczepanowski gab.45 Die in Wien geknüpften Kontakte mit galizischen Polen, von denen Ignacy Skrochowski als Privatdozent an den Universitäten Krakau und Lemberg46 sowie Alfred Zgórski als Direktor der Galizischen Landesbank prestigereiche Positionen bekleideten, spielten keine Rolle. Es war diese Außenseiterposition zusammen mit Szczepanowskis Risikofreudigkeit, die ihn dazu bewegten, in die damals nur marginal bedeutende Erdölförderung bei Kolomea einzusteigen: Der in der Metropole des britischen Empire gescheiterte Aufsteiger suchte und fand eine noch nicht besetzte Nische in einem entlegenen Raum an der Peripherie des Habsburgerreichs.47 Dabei traf Szczepanowski seine Investitionsentscheidung auf fundierter, wissenschaftlicher Grundlage, wofür ihm Ratschläge von ehemaligen Wiener Studienkollegen dienten. Noch wichtiger waren die Untersuchungen von Gesteinsproben, die Szczepanowski auf einer ausgedehnten Erkundungsreise entlang des Karpatengürtels entnommen hatte und während eines dreimonatigen Aufenthalts im Wiener Geologischen Institut analysieren ließ. Dabei las er auch die neuesten Fachpublikationen des Geologen Eduard Suess. Die Kontakte nach Wien, wo Szczepanowskis Schwester Benigna lebte, waren auch in betriebswirtschaftlicher Hinsicht für den anfänglichen Erfolg entscheidend, wie die Kredite belegen, die er beim Bankhaus seines Studienfreundes Robert Biedermann aufnahm.48 Somit ermöglichten gerade Szczepanowskis Vernetzungen mit wichtigen Personen im imperialen Zentrum seinen Aufstieg in der Peripherie. Erst auf dieser Grundlage erfolgte dann der Aufbau von Netzwerken vor Ort. Es ist bezeichnend, dass sich Szczepanowski zu der seit 1879 offiziell bestehenden Landeserdölgesellschaft (KTN) und den sie tragenden, vornehmlich in Westgalizien verankerten Unternehmern um Ignacy Łukasiewicz und August Gorayski zunächst fernhielt. Stattdessen gründete Szczepanowski in Kolomea am 23. September 1883 eine regionale Konkurrenzorganisation zu der KTN und sicherte sich bei der eineinhalb Jahre später erfolgenden

45 Kuberski, Szczepanowski (wie Anm. 2), S. 67f. 46 Jan Surman: Habsburg Universities 1848–1918. Biography of a Space. Dissertation. Wien 2012. Anhang, siehe: https://fedora.phaidra.univie.ac.at/fedora/get/o:105883/bdef:Asset/view (zuletzt ab­ geru­fen am 19.12.2014). 47 Kozłowska-Sabatowska, Wokół Nędzy (wie Anm. 6), S. 112; Frank, Oil Empire (wie Anm. 7), S. 70; Bar, Problem protoindustrializacji (wie Anm. 25). 48 Kuberski, Szczepanowski (wie Anm. 2), S. 43.



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Fusion beider Organisationen die Funktion des Vizevorsitzenden der nun geeinten KTN. Der rastlose Aufbau von Netzwerken innerhalb des Kronlands, von dem Szczepanowskis unzählige Funktionen in Interessensverbänden, Genossenschaften und gemeinnützigen Vereinen zeugen, erhielt auch wirtschaftlich einen neuen Impuls, als das Bankhaus Biedermann angesichts des hohen Risikos die Investitionen in den Braunkohlebergbau nicht mehr finanzieren wollte. Gleichzeitig verlor auch Szczepanowski das Vertrauen in die Wiener Finanz- und Regierungskreise: Er fühlte sich von den Raffinerien in den anderen Kronländern übervorteilt und von der Regierung bei seinen Bemühungen um protektionistische Maßnahmen im Stich gelassen.49 Dieser Rückzug aus den Wiener Finanznetzwerken wurde durch die Allianz mit der Galizischen Sparkasse kompensiert, wobei Szczepanowskis Beziehung mit Zima keine unbedeutende Rolle spielte. Dies war zugleich auch der einzige nachhaltig wirksame Kontakt aus seiner Londoner Zeit. Erst Szczepanowskis unternehmerisches Scheitern brachte ihn erneut mit dem Wiener Finanzkapital in Kontakt, indem er sein Unternehmen in Schodnica zum Mehrheitsanteil an ein von der Anglo-Österreichischen Bank angeführtes Konsortium verkaufte, während kein anderes galizisches Finanzinstitut sein Unternehmen oder auch die Galizische Sparkasse auffangen wollte.50 Spielte hier zum Teil Szczepanowskis politisches Engagement und die politische Außenseiterposition der Demokraten in der galizischen Politik eine Rolle, so stellte dies zugleich die relative Schwäche von Szczepanowskis Netzwerken unter Beweis. In dieser schweren unternehmerischen und persönlichen Krise konnte er nur auf die Unterstützung seiner familiären Verbindungen zählen. Insgesamt ermöglichte die hohe räumliche Mobilität Szczepanowskis den Aufbau von Netzwerken in verschiedenen europäischen Zentren, deren Schwerpunkt sich mit Szczepanowskis Niederlassung in Galizien deutlich nach Wien verlagerte. Zugleich war der Preis der exzessiven Zirkulation im Raum eine beachtliche soziale Fragilität: Szczepanowskis gesellschaftliche Hyperaktivität in der galizischen öffentlichen Sphäre erwies sich als aktiv betriebene Vernetzungsstrategie, die jedoch zusammen mit seinem Erfolg als Unternehmer zusammenbrach. Zugleich manifestiert sich das für Galizien bekannte strukturelle Merkmal einer dünnen Kapitaldecke, die mittelfristig nur durch institutionelle Vernetzungen mit den ökonomischen Zentren inner- und außerhalb des Habsburgerreichs gestreckt werden konnte. Demgegenüber waren Edmund Zieleniewskis Netzwerke räumlich weit weniger breit gestreut, sondern konzentrierten sich sehr stark auf Krakau. Anders als Szczepanowski konnte Zieleniewski dabei auf die sozialen Kontakte seines Vaters aufbauen, der lange Jahre im Krakauer Stadtrat bzw. Stadtausschuss gesessen und führendes Mitglied der Handels- und Gewerbekammer gewesen war. Zugleich genoss Ludwik

49 Kuberski, Szczepanowski (wie Anm. 2), S. 54–58. 50 Kuberski, Szczepanowski (wie Anm. 2), S. 65.

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Zieleniewski die Unterstützung des konservativen lokalen Adels als auch von Wiener Regierungskreisen.51 Auf dieser Grundlage bewegte sich auch Edmund Zieleniewski, dessen Kontakte aus Studien- und Praktikazeiten nach dem derzeitigen Forschungsstand keine belegbare Bedeutung in späteren Jahren ausübten. Hingegen etablierte Zieleniewski mit der von ihm aktiv betriebenen Umwandlung der Firma in eine Aktiengesellschaft institutionelle Netzwerke mit Industrie- und Finanzkreisen in Wien, Prag / Praha und Brünn / Brno, die an die Stelle der bisherigen Krakauer Kreditgeber traten. Zieleniewski ging somit im Vergleich mit Sczezapnowski genau den umgekehrten Weg – die lokalen Netzwerke wurden von imperialen institutionellen Verflechtungen abgelöst und unterstrichen die Bedeutung Österreich-Ungarns als für sein Unternehmen relevanten Wirtschaftsraum. Darin lässt sich eine Kontinuität erkennen, da Zieleniewski seit seinen jungen Jahren Kontakte mit Wirtschaftsbetrieben innerhalb Cisleithaniens aufgebaut hatte. Bedeutete dies zwar ein beachtliches Ausmaß an Autonomieverlust, so sicherten der Zugang zu Kapital, Technologie und Netzwerken den langfristigen Erfolg des Unternehmens.52 Zu den vielfältigen Netzwerken, von denen beide Akteure für den Transfer von Kapital und Technologie aus den wirtschaftlichen Zentren der Habsburgermonarchie in ihre Unternehmen an der Peripherie Gebrauch machten, traten internationale Einflüsse: So griff Edmund Zieleniewski auf die technische Expertise des Gelehrten Riedler an der Technischen Hochschule von Charlottenburg zurück, um im Jahr 1898 ein Wasserleitungsprojekt für Krakau auszuarbeiten.53 Szczepanowski verwendete Maschinen und Produktionstechniken aus den USA, wobei der Transfer der Tiefbohrmethode durch die Migration der kanadischen Bohrtechniker MacGarvey und Bergheim wesentlich erleichtert wurde. Allerdings standen diese Austauschprozesse im Vergleich deutlich hinter denen zurück, die innerhalb des Reichsrahmens erfolgten, was erneut unterstreicht, dass dieser als ökonomischer Handlungs- und Wirkungsraum fungierte, der durch den politischen Rahmen garantiert wurde.

51 Saryusz-Zaleski, Dzieje przemysłu (wie Anm. 31), S. 116–118; Żaliński, Zieleniewscy (wie Anm. 2), S. 278, 282; Tomasz Kargol: Izba Przemysłowo-Handlowa w Krakowie w latach 1850–1939. Dzieje – ludzie – polityka gospodarcza. Krakau 2003. S. 136. 52 CDIAUL, 574-1-70, Fol. 1-11, 13-18, 33, 36-38; 574-1-80, Fol. 50-51; März, Industrie- und Bankenpolitik (wie Anm. 34), S. 343. 53 Saryusz-Zaleski, Dzieje przemysłu (wie Anm. 31), S. 165.



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Reichskonzeptionen und Identitäten: Unternehmer, Politiker und die nationale Frage Das bereits erwähnte politische Engagement beider Protagonisten im Reichsrat sowie ihre Rolle als Experten in diversen Ministerialgremien verdeutlichen die Überschneidung von wirtschaftlicher und politischer Sphäre im Denken und Handeln von Szczepanowski und Zieleniewski. Diese Überschneidung macht nicht nur deutlich, dass Ökonomie und Politik keine voneinander abgesonderten lebensweltlichen Erfahrungsräume darstellten, sondern eng miteinander verflochten waren: Ihre Stellung als erfolgreiche Großindustrielle im agrarischen, von Pauperisierung und Massenauswanderung gekennzeichneten Galizien bildete die Grundlage für ihre politische Karriere. Diese begann für beide im Reichsrat in Wien, wo sie als Mandatare der liberalen Demokraten eine ideologische und soziologische Außenseiterposition innerhalb des Polenklubs einnahmen. Allerdings ist hier der unterschiedliche politische Kontext zu beachten: Während Szczepanowski im Jahr 1885 auf eine Allianz mit den Podolaken, den polnischen Großgrundbesitzern in Ostgalizien, setzen musste, wurde Zieleniewski bereits auf Grundlage des Allgemeinen Wahlrechts gewählt und war einer der vielen Industriellen und Unternehmer, die neu in die untere Kammer des cisleithanischen Parlaments einzogen.54 Dies bedeutete zugleich, dass Szczepanowski ein Vorreiter jener neuen bürgerlichen Elite darstellte, die sich mit Zieleniewski endgültig durchsetzte. Damit verbunden waren auch differierende politische und identitäre Konzeptionen: In der Einleitung zur Nędza erklärte Szczepanowski, dass seit der „Autonomie“, „jeder Pole Österreicher sein kann und beim Arbeiten für seine Provinz fühlen kann, gleichzeitig für den gesamten Staat zu arbeiten, und umgekehrt fühlen kann, dass er beim Arbeiten für die Stärkung der Staatsmacht für die Sicherstellung des Schicksals seines Landes arbeite – denn seit 200 Jahren sind diese beiden Begriffe in unserem Geist untrennbar verbunden“.55 Dieses Diktum einer komplementären und abgestuften Form von nationaler und staatlicher Identität, durchaus im Sinn des viel bemühten Konzepts von Staats- und Kulturnation, entsprach dem positivistischen Paradigma der Organischen Arbeit und stellte somit den von den konservativen Eliten 1866 eingegangenen Pakt mit dem Reichszentrum nicht infrage.56 Später erklärte Szczepanowski Galizien sogar zum 54 Binder, Galizien in Wien (wie Anm. 37), S. 70, 234, 541. 55 Szczepanowski, Nędza (wie Anm. 7), S. IX. 56 Siehe dazu: Józef Buszko: Aktivitäten polnischer Abgeordneter in der Legislative der k.u.k. Monarchie (1905–1914). In: Józef Buszko u. Walter Leitsch (Hrsg.): Österreich – Polen 1000 Jahre Beziehungen. Krakau 1996 (Studia Austro-Polonica 5). S. 251–273, hier S. 253, 255; Teresa Kulak: Między austriacką lojalnością a polską narodowością. Narodowa Demokracja przeciw mitologizowaniu politycznych i narodowych walorów autonomicznej Galicji na przełomie XIX i XX w. In: Bonusiak, Galicja (wie Anm. 17), S. 57–68, hier S. 62–65.

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Modell für die polnische Nation, insbesondere im Bildungsbereich.57 Hingegen rief Zieleniewski in einer Rede in seinem ersten, erfolglosen Reichsratswahlkamf im Jahr 1900, Galizien zu einem „polnischen Piemont“ aus.58 Im Frühjahr 1917 erreichte dann Zieleniewski, dass die Mehrheit des Polenklubs einen Antrag über den Sonderstatus Galiziens innerhalb der Monarchie zu Fall und damit das austro-polnische Projekt der Konservativen endgültig zum Scheitern brachte.59 Zieleniewski konnte diesen Schritt nicht nur zu einem Zeitpunkt tun, als die bürgerliche Regierung unter Alexander Kerenski den gestürzten russischen Zar Nikolaus II. abgelöst hatte, sondern insbesondere auch dann, als ihn die geschäftlichen Netzwerke mit den imperialen Zentren Wien und Prag von den Krakauer Stańczyken auch wirtschaftlich und sozial unabhängig gemacht hatten. Demgegenüber lag für Szczepanowski die staatliche Unabhängigkeit ebenso in weiter Ferne wie ihm die direkte Agitation für eine Infragestellung der politischen Ordnung fremd war: Erst im Jahr 1895, als sich Szczepanowski um ein Landtagsmandat für den Wahlbezirk von Kolomea bewarb, sowie in seinem letzten Buch Idea Polska erwähnte er die Gründung eines unabhängigen Staats als Ziel, das jedoch aufgrund der dafür notwendigen Bildung der Bevölkerung nicht vor einer Generation in Angriff genommen werden könnte.60 Szczepanowskis politische Forderungen – wie jene nach einer größeren Autonomie der Landesbehörden bei der Fiskal- und Bildungspolitik61 – folgten vielmehr dem Autonomiediskurs und bewegten sich innerhalb des politischen Systems des späten Cisleithaniens.62 Dementsprechend wandte er sich auch gegen die von tschechischen Mandataren geforderte Föderalisierung der Monarchie.63 Ein wesentlicher Hintergrund für diese Haltung war die Außen- und Kriegspolitik, die auf den Schutz gegenüber dem Russischen Reich abzielte. Diese geopolitische Klammer war nach der Niederschlagung des Januaraufstands von 1863/64 nicht nur die Grundlage für das Bündnis zwischen galizisch-polnischem Adel und Wiener Kaiserhof, sondern vielmehr nationales Paradigma für die Wiederherstellung eines unabhängigen polnischen Staats.64

57 Kuberski, Szczepanowski (wie Anm. 2), S. 85. 58 Przemówienie Edmunda Zieleniewskiego, S. 15. 59 Binder, Galizien in Wien (wie Anm. 37), S. 494f. 60 Kuberski, Szczepanowski (wie Anm. 2), S. 132, 160. 61 Kuberski, Szczepanowski (wie Anm. 2), S. 124f. 62 Harald Binder: „Galizische Autonomie“ – ein streitbarer Begriff und seine Karriere. In: Lukás Fasora [u.a.] (Hrsg.): Moravské vyrovnání zroku 1905 / Der Mährische Ausgleich von 1905. Brno 2006. S. 239–266. 63 Kuberski, Szczepanowski (wie Anm. 2), S. 83. 64 Hans-Christian Maner: Galizien. Eine Grenzregion im Kalkül der Donaumonarchie im 18. und 19. Jahrhundert. München 2007. S. 115. Krzysztof Karol Daszyk: Między polską racją stanu a habsburskim mitem. Dom Habsburgów w galicyjskiej myśli politycznej doby autonomicznej. In: Bonusiak, Galicja (wie Anm. 17), S. 69–82, hier S. 72.



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Lobbying für Privatunternehmen und Regional­ entwicklung, Wirtschafts- und Finanzpolitik für das Reich: Partikularinteressen, Expertentum und Deutungshoheit zwischen Wien und Lemberg Diese beiden unterschiedlichen Konzeptionen von nationaler Identität und der Stellung gegenüber dem Reich markierten auch die Form der politischen Partizipation. Wie bereits erwähnt gilt es dabei die Aktivität umfassender gesellschaftspolitischer Ansprüche von sektoralen oder privaten Partikularinteressen zu unterscheiden. Szczepanowski, der mit seinen vielfältigen und intensiven publizistischen Aktivitäten den Diskurs über Galiziens Ökonomie und Wirtschaftspolitik maßgeblich prägte, stellte sein unternehmerisches und wirtschaftspolitisches Handeln stets in den Kontext des polnischen Nationsparadigmas in der positivistischen Lesart der Organischen Arbeit. Sein Leitnarrativ war dabei ein auf Galizien fokussierter, jedoch im europäischen Rahmen verorteter Zivilisierungsdiskurs – mittels konkreter sozial- und wirtschaftspolitischer Maßnahmen sollten Produktivität, Einkommen und Sparsamkeit der galizischen Bevölkerung gesteigert werden.65 Szczepanowski zog dabei eine Parallele zwischen Galizien und den britischen Kolonien in Asien und suggerierte einen Transfer seiner im Britischen India Office erarbeiteten Konzepte in das Kronland am nordöstlichen Rand der Habsburgermonarchie: „Ich arbeitete über die indische Industrie, die Besteuerung des alten Persien oder den Staat des Großmoguls, aber ich dachte an unser Galizien und jede neue Erfahrung wandte ich auf unsere Landesverhältnisse an“.66 Die Gleichsetzung Galiziens mit außereuropäischen Kolonialräumen beschränkte sich auf die wirtschaftliche Schwäche, die Szczepanowski gerade mittels der Gründung einer als national gedachten Industrie beseitigen wollte.67 Dies wird besonders anhand der protektionistischen Maßnahmen zum Schutz der galizischen Ölindustrie deutlich, um die sich Szczepanowski Mitte der 1880er Jahre zusammen mit führenden Mitgliedern der Landeserdölgesellschaft bemühte: Zwar erreichten die Öllobbyisten im Jahr 1887 eine Verdopplung des Importzolls für Rohöl, allerdings bremste dies weder den Preisverfall noch die Zufuhr aus dem Ausland.68 Der Grund hierfür lag im Zollbetrug, den Szczepanowski mithilfe von Wiener und Lemberger Chemieprofessoren aufdeckte: So handelte es sich bei dem von den österreichisch-ungarischen Raffinerien aus dem Kaukasus bezogenen Rohstoff tatsächlich um verunreinigtes Petroleum, das nur 85% Rohöl enthielt und ohne großen Aufwand in ein konsumfertiges Endprodukt verwandelt werden konnte. Infolge dieser Entdeckung forderten die galizischen Erdölunternehmer, angeführt von Szcze65 Szczepanowski, Nędza (wie Anm. 7), S. 9, 61, 67 66 Szczepanowski, Nędza (wie Anm. 7), S.XX. 67 Frank, Oil Empire (wie Anm. 7), S. 13. 68 Franaszek, Voraussetzungen (wie Anm. 13), S. 198.

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panowski, eine stärkere Kontrolle des Imports von Rohöl aus dem Russischen Reich, die Senkung der Bahnfrachttarife und der Mehrwertsteuer für galizisches Rohöl. Doch trotz seiner Bemühungen fand Szczepanowski, der zu diesem Zeitpunkt bereits sein Mandat im Reichsrat angetreten hatte, unter seinen Kollegen im Polenklub keine Unterstützung. Und auch im Finanzministerium, das vom Krakauer Ökonom Julian Dunajewski aus dem Lager der Stańczyken und Staatssekretär Witold Korytowski geleitet wurde, stießen die Petitionen auf taube Ohren.69 Im Interessensstreit zwischen galizischen Rohölförderern und Raffinerien in anderen Kronländern folgte die in Parlament und Regierung einflussreiche, konservative galizisch-polnische Führungsschicht den Logiken der imperialen Zentren. Deutlich wird hier, wie seine Erfahrung als Erdölförderer an der Peripherie der Habsburgermonarchie Szczepanowski die Notwendigkeit staatlicher Intervention und Regulierung vor Augen führte und den Abgang des von ihm bis dahin vehement vertretenen, von seiner britischen Erfahrung geprägten Freihandelsliberalismus zugunsten einer an Friedrich List orientierten etatistischen und protektionistischen Wirtschaftspolitik beeinflusste.70 Szczepanowskis Erfahrung in den Machtapparaten zweier europäischer Imperien ermöglichten somit einen Transfer von Regierungstechniken, der jedoch mit substanziellen Modifikationen einherging. Zudem kam es zu einem Rollenwechsel, da Szczepanowski nun als galizischer Regionalpolitiker gegenüber den Wiener Zentralstellen agierte. Zugleich veranlasste ihn das letztendliche Scheitern der angestrebten Maßnahmen zu einer Kritik an Galiziens Rolle in der Monarchie, wonach „wir in Wien keinen wirklichen Einfluss haben […] Wir sind Schachfiguren in einer parlamentarischen Komödie, unsere Stimmen erwerben sie mit fremdem Geld und die einzige Wirtschaftspolitik ist Betteln um die Krümeln aus dem Wiener Budget […]“.71 Trotz dieser bitteren Abrechnung, die in den konservativen Milieus Galiziens für helle Empörung sorgte,72 blieb Szczepanowski bis 1897 Abgeordneter. Erst dann erklärte er, der eigentliche Schwerpunkt seiner Initiativen sei Galizien und nicht Wien.73 Folglich scheint Szczepanowski mit seiner kritischen Aussage eher die konservative adelige Mehrheit im Polenklub und die mangelnde Unterstützung industrieller Initiativen adressiert als das Arrangement an sich infrage gestellt zu haben. Dafür spricht nicht nur Szcze-

69 Kuberski, Szczepanowski (wie Anm. 2), S. 54–58; Stanisław Szczepanowski: Nafta i praca, złoto i błoto. Lemberg 1886. S. 11–13, 20, 32–34, 37; Zu Dunajewski siehe: Krzysztof Broński: Problem zacofania gospodarczego Galicji. Mit i fakty. In: Janusz Skodlarski (Hrsg.): Historia gospodarcza i historia myśli ekonomicznej a teoria ekonomii. Łódź 2008. S. 67–82, hier S. 81; Walter Goldinger: Das polnische Element in der Wiener Hochbürokratie (1848–1918). In: Stanisława Hanausek [u.a.] (Hrsg.): Studia Austro-Polonica 1. Krakau [u.a.] 1978. S. 63–83, hier S. 67. 70 Kowalik, Ekspert (wie Anm. 9), S. 355–359, 363f. 71 Szczepanowski, Nędza (wie Anm. 7), S. XVII. 72 Kozłowska-Sabatowska, Wokół Nędzy (wie Anm. 6), S. 122. 73 Kieniewicz, Dramat (wie Anm. 7), S. 199.



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panowskis abfällige Bewertung des Adels74, vielmehr jedoch sein politisches Engagement: Noch drei Jahre nach Erscheinen der Nędza nahm Szczepanowski nach seiner Wahlniederlage das Reichsratsmandat für die Lemberger Handelskammer an und entwickelte die beschriebene intensive Aktivität in diversen Parlamentsausschüssen und Ministerialbeiräten, die er für Lobbyingaktivitäten wie den Einsatz für eine Verstaatlichung und einen Ausbau der Eisenbahnlinien, die Stärkung der Kompetenzen der Landeseisenbahndirektionen und die Senkung der Frachttarife nützte.75 Hierbei wiederholte sich das bereits beim Lobbying für Rohölimportzölle deutlich gewordene Muster einer engen Verschränkung zwischen regionaler Interessensvertretung und reichsweiten Institutionen: Wiederholt beauftragte die Lemberger Handelskammer ihre in den Ministerialgremien und dem Reichsrat vertretenen Delegierten – neben Szczepanowski der dem Eisenbahnrat angehörende Max Epstein – sich für eine Senkung der Frachttarife jener für den Handelskammerbezirk wichtigen Handelsgüter, darunter Eisenwaren und Kohle, einzusetzen. Ende des Jahres 1891 beauftragte die Kammer Szczepanowski, beim Polenklub um Unterstützung für eine Erhöhung der galizischen Delegierten im Eisenbahnrat zu werben.76 Somit trug Szczepanowski die Forderungen ostgalizischer Unternehmerkreise in der Verkehrsund Zollpolitik, einschließlich seiner eigenen, in die politischen Institutionen des cisleithanischen Teilzentralstaats. Insbesondere im Reichsrat mussten sie allerdings erst die Widerstände der konservativen Adeligen im Polenklub überwinden, die für einen Modernisierungskurs aufgrund ihrer sozialen und wirtschaftlichen Interessenslage sowie dem Festhalten an traditionellen Ordnungsmodellen nur in Ausnahmefällen zu gewinnen waren.77 Zugleich machte die Arbeit in den Wiener Institutionen Szczepanowski zu einem aktiven Mitgestalter reichsweiter Wirtschafts- und Finanzpolitik. Der ostgalizische Erdölindustrielle saß im Wirtschafts-, Budget-, Eisenbahn- und Bergbauausschuss des Abgeordnetenhauses und war federführend in jenem Ausschuss aktiv, der die von Finanzminister Emil Steinbach konzipierte Währungsreform von 1892 behandelte. Diese sah eine Umstellung vom silberbasierten Gulden auf die Goldwährung Krone vor und hatte das Ziel, Wechselkursschwankungen auszuschalten und somit den internationalen Warenaustausch zu fördern: Szczepanowski fungierte im Abgeordnetenhaus als Berichtsleger über das zu beschließende Gesetz, das er gegenüber seinen skeptischen Kollegen im Polenklub ebenso vehement verteidigte wie vor Jungtsche74 Szczepanowski, Nędza (wie Anm. 7), S. 73. 75 Kuberski, Szczepanowski (wie Anm. 2), S. 123. 76 Protokół z IX. posiedzenia lwowskiej Izby handlowej i przemysłowej z dnia 1. grudnia 1890, L. 4329 ex 1890. Sitzungsprotokolle der Lemberger Handelskammer 1890, S. 218–220. Protokół z III. posiedzenia lwowskiej Izby handlowej i przemysłowej z dnia 13. kwietnia 1891, L.1278 ex 1891, L.1141 ex 1891, L. 1894 ex 1891; Sitzungsprotokolle der Lemberger Handelskammer 1891, S. 44–46, 60f, 74f. 77 Mariusz Kulczykowski: Modernizacja społeczeństwa galicyjskiego w warunkach autonomii politycznej. In: Lech Trzeciakowski u. Karol Makowski (Hrsg.): Samomodernizacja społeczeństwa w XIX wieku. Irlandczycy, Czesi, Polacy. Poznań 1999. S. 107–129, hier S. 109.

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chen, Liberalen und Christlichsozialen. Dabei führte Szczepanowski an, dass die Reform dem ökonomischen Fachwissen entspräche, die Bedenken hinsichtlich des Goldmangels haltlos wären und alle wesentlichen wirtschaftspolitischen Forderungen der galizischen Parlamentarier – von der Sanierung der Staatsfinanzen, einer vernünftigen Zollpolitik, der Revidierung der Handelsverträge, der Steuerreform bis hin zur Verstaatlichung der Eisenbahnen – betreffe. Der Antrag wurde schließlich am 16. Juli 1892 mit einer deutlichen Mehrheit von 175 Stimmen gegenüber 84 Gegenstimmen angenommen.78 Auch bei der Fiskalpolitik zählte Szczepanowski zu einem der versiertesten Parlamentarier. So hielt er im Jahr 1896 die Rede über den cisleithanischen Budgetentwurf, ging dabei auch auf die Handelsbilanz ein und zeichnete ein detailliertes und kenntnisreiches Bild über die wirtschaftliche Lage Cisleithaniens. Er forderte eine Änderung der Budgeterstellung, eine Aufstockung des Militäretats und selbst wenn er sich für eine Umverteilung der Steuereinnahmen in die Länder, und damit auch nach Galizien einsetzte, war er aus staatspolitischer Räson gegen eine allgemeine Senkung der Steuerbelastung.79 Darin traf er sich mit dem langjährigen Finanzminister Julian Dunajewski, der die Sanierung des cisleithanischen Budgets vor die Senkung der die galizische Branntweinherstellung belastende Verzehrsteuer stellte.80 Dies hinderte Szczepanowski allerdings nicht daran, Dunajewski im Jahr 1890 gerade für seine Fiskalpolitik in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Ekonomist Polski zu kritisieren und süffisant festzuhalten, der Krakauer Ökonom sei ein vorzüglicher österreichischer, jedoch „leider kein“ polnischer Staatsmann, da er die Machtstellung der Habsburgermonarchie und der Wiener Zentralbehörden in einem Ausmaß vergrößert habe, das weit über jenes hinausgehe, das Finanzminister wie Pretis oder Plener vor ihm erreicht hatten.81 In ganz ähnlichem Duktus wiederholte Szczepanowski in seiner neuen Zeitschrift Przełom fünf Jahre später den alten Vorwurf gegenüber galizischpolnischen Politikern, die nicht das „nationale“ Interesse vertreten, sondern einzig an ihren Karrieren im imperialen Zentrum feilen würden.82 Trotz dieser wiederholten Kritik agierte gerade Szczepanowski selbst als Vermittler zwischen Reichs- und Kronlandsinteressen. So rechtfertigte er auf der Dritten Landesversammlung der Kaufleute und Industriellen in Krakau die Steuerquote Galiziens, da diese gleich hoch wie in den anderen Kronländern sei. Um die tatsächliche Steuerbelastung zu reduzieren, 78 Kuberski, Szczepanowski (wie Anm. 2), S. 120f. 79 Kuberski, Szczepanowski (wie Anm. 2), S.121f; Szczepanowski, Nędza (wie Anm. 7), S. 110f, 118, 161, 209–211. 80 März, Industrie- und Bankenpolitik (wie Anm. 34), S. 256; Zu Szczepanowskis Bewertung von Du­ na­jewskis Tätigkeit als Finanzminister siehe: Szczepanowski, Nędza (wie Anm. 7), S. 207f. 81 Kuberski, Szczepanowski (wie Anm. 2), S. 156. 82 Kuberski, Szczepanowski (wie Anm. 2), S.157.



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müsse der regionale Wohlstand gesteigert werden. Zugleich beruhigte er die Zuhörenden, dass die vom Reichsrat in Vorbereitung befindliche Steuerreform keine Erhöhung der Steuerlast, sondern ihre gerechtere Verteilung zum Ziel habe. Umgekehrt wies Szczepanowski zusammen mit anderen galizischen Abgeordneten die Kritik aus anderen Kronländern an der vermeintlichen fiskalischen Passivität Galiziens energisch zurück.83 Diese Vermittlungstätigkeit bestand jedoch nicht nur in der Bindung der galizischen Unternehmermilieus an die Wirtschafts- und Finanzpolitik des Reichs, sondern nahm auch die Form der Kanalisierung von regionalen Interessen an: So war es Szczepanowskis umfangreichem Fachwissen und seinen guten Kontakten in Wien zu verdanken, dass ein Antrag der galizischen Maschinenfabrikanten auf Senkung der Eisenimportzölle von der Lemberger Handelskammer in ihrer Sitzung vom 16. März 1891 so umformuliert wurde, dass die Unterstützung der Wiener Handelskammer gesichert und eine gemeinsame Resolution gegenüber dem Handelsministerium präsentiert wurde.84 Erneut wird deutlich, wie Szczepanowski als Experte aufgrund seines Fachwissens und seiner Vernetzungen zwischen Wien und Lemberg galizischen Regionalinteressen im Reichszentrum zum Durchbruch verhalf und damit zugleich als Integrationsfigur agierte, die galizische unternehmerische Milieus mit dem cisleithanischen Wirtschaftsraum verband. Szczepanowski selbst verstand sich hingegen oft als dezidiert polnischer Vertreter in den Zentralinstitutionen Österreich-Ungarns. So bezeichnete er in einem Brief an seine Frau Helena vom 18. Juli 1892 seine Tätigkeit in der Delegation als „Vertreter Polens auf europäischer Ebene“ und betrachtete sein Wirken als „Außenpolitik“. In der Praxis jedoch nahm Szczepanowski, der in der Kommission einer von sieben galizischen Delegierten war, keine außenpolitischen Funktionen wahr, sondern war Mitglied der Antragskommission und partizipierte in Diskussionen über Steuerfragen.85 Selbstbild und tatsächliche Rolle klafften bei Szczepanowski phasenweise weit auseinander und entsprachen der Ambivalenz, die das Paradigma der Organischen Arbeit mit sich brachte: So operierte Szczepanowski bei einer Reihe von Schlüsselthemen als verantwortungsbewusster, versierter Reichspolitiker, der seine galizisch-polnischen Abgeordnetenkollegen geradezu von der Reformnotwendigkeit überzeugte. Selbst wenn er sich hierbei der Diskursform der Organischen Arbeit bediente, wonach all diese Maßnahmen für die Entwicklung der polnischen Nation selbst notwendig wären, so kam auch bei ihm jener Mechanismus zu Tragen, den er noch Ende der 1880er Jahre in der Nędza bei den galizischen Adeligen kritisiert hatte – die Vereinnahmung durch das imperiale Zentrum und die Übernahme dessen Handlungslogi-

83 Kuberski, Szczepanowski (wie Anm. 2), S.81f, S. 122. 84 Protokół z II. posiedzenia lwowskiej Izby handlowej i przemysłowej z dnia 16. marca 1891, Sit­ zungs­protokolle der Lemberger Handelskammer 1891, S. 31f. 85 Kuberski, Szczepanowski (wie Anm. 2), S. 118.

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ken, und zwar zu einer Zeit, in der er nach seinen eigenen Worten vom beschränkten Einfluss der galizisch-polnischen Interessen in Wien bereits überzeugt war. Während Szczepanowski somit tatsächlich als Berufspolitiker auftrat, verblieb Zieleniewski, über dessen Aktivität im Reichsrat kaum etwas bekannt ist, viel stärker mit seinen unternehmerischen Partikularinteressen verbunden. Anders als Szczepanowski und entgegen seiner unternehmerischen Netzwerke mit Wien und Prag forcierte Zieleniewski offensiv die Bevorzugung galizischer Unternehmen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge durch die galizischen Behörden. Dies versuchte der Krakauer Unternehmer wiederholt über Empfehlungen des Landesausschusses des Galizischen Landtags durchzusetzen, nachdem er 1898 und 1907 bei infrastrukturellen Vergabeprojekten der Städte Krakau und Bochnia nicht zum Zug gekommen war.86 Die institutionellen Kapital- und Finanznetzwerke Zieleniewskis nach der Umwandlung seines Betriebs in eine Aktiengesellschaft erhöhten die Möglichkeiten auf staatliche Entscheidungsprozesse Einfluss zu nehmen. Am 25.März 1907 ersuchte Edmund Zieleniewski den Vizevorsitzenden des Aufsichtsrats und zugleich Leiter der Filiale der Kreditanstalt in Lemberg, Jan Kanty Steczkowski, um eine Intervention bei der Lemberger Staatsbahndirektion, um die Bestellung eines elektrischen Verladewagens zu Gunsten des Konzerns zu beeinflussen.87 Diese Partikularinteressen fügten sich in Zieleniewskis wirtschaftspolitisches Postulat einer protektionistischen Zollund Handelspolitik gut ein.88 Diese Beispiele unterstreichen die Querverbindungen zwischen unternehmerischer Aktivität und politischem Engagement. Sowohl Szczepanowski als auch Zieleniewski beanspruchten aufgrund ihres beruflichen Hintergrunds Kompetenz für allgemeine wirtschaftspolitische Fragen sowohl im Gesamtstaat bzw. Cisleithanien als auch in der Landespolitik. Lobbying für private Geschäftsinteressen war zweifellos ein wesentlicher Beweggrund für das politische Engagement von Szczepanowski und Zieleniewski, die jedoch beide ihre Ziele bestenfalls teilweise erreichten. Erst die Erklärung ihrer Forderungen zu regionalpolitisch relevanten verlieh ihnen ein gewisses Gewicht, stieß aber nicht nur an die Grenzen von Zuständigkeiten, sondern scheiterten vor allem am bestehenden politischen und ökonomischen Machtgefüge der Monarchie. Insbesondere Szczepanowski wurde zu einer Integrations- und Vermittlungsfigur zwischen Reichspolitik und nationalen bzw. regionalen Interessen und war somit einer der vielen versierten und erfolgreichen Mediatoren imperialer Macht in den Kronländern der späten Habsburgermonarchie.

86 CDIAUL, 574-1-80, Fol. 28; Żaliński, Zieleniewscy (wie Anm. 2), S. 285, 287, 289. 87 CDIAUL, 574-1-70, Fol. 70-71. 88 Szczepanowski, Złoto i błoto (wie Anm. 69); Kuberski, Szczepanowski (wie Anm. 2), S. 53f; Saryusz-Zaleski, Dzieje przemysłu (wie Anm. 31), S. 164f.



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Zwei imperiale Unternehmer- und Politikerbiographien? Ein Fazit Stanisław Szczepanowski und Edmund Zieleniewski agierten im Raum der Habsburgermonarchie ökonomisch als auch politisch. Beide Unternehmer orientierten sich nicht nur am individuellen geschäftlichen Erfolg, sondern vertraten in einer der ärmsten Regionen Österreich-Ungarns ein darüber hinausreichendes gesellschaftliches und politisches Projekt. Dieses zielte auf sozioökonomische Modernisierung in engem Zusammenhang mit der polnischen Nationsbildung ab, weshalb sich im Handeln beider Akteure nicht nur zwei unterschiedliche Identitäten – national/polnisch versus imperial –, sondern auch zwei Interessenslagen, nämlich wirtschaftspolitisches Handeln versus individuelles Geschäftsinteresse, verquickten. Insbesondere Szczepanowski betonte wiederholt die Vereinbarkeit von polnischer Nationalität und der Loyalität gegenüber Kaiserhaus und Monarchie, wovon sein wirtschaftspolitisches Engagement zeugt. Im Lauf der Zeit ließen ihn die Enttäuschungen der Wiener Politik an dieser Vereinbarkeit zweifeln, jedoch bewirkte erst sein graduelles unternehmerisches Scheitern den sukzessiven Rückzug aus imperiumsweiten Netzwerken – zuerst geschäftlich, dann auch politisch. Dies lässt sich anhand der Fokussierung der galizischen Landespolitik ebenso ablesen wie an seiner Annäherung an nationale bis nationalistische Positionen. Demgegenüber konnte Edmund Zieleniewski im Jahr 1900 den Wunsch, Galizien möge zu einem polnischen Piemont werden, problemlos ausrufen, jedoch stärkten sich gerade in den Folgejahren seine Kontakte und Netzwerke mit anderen Zentren der cisleithanischen Reichshälfte, bevor er dann die Unabhängigkeit Polens zwar noch erlebte, aber nicht mehr nennenswert gestalten konnte. Dies verweist schlussendlich auf die vielfältigen Überlappungen und Widersprüche, die Szczepanowskis und Zieleniewskis hybride Loyalität gegenüber dem Imperium einerseits und dem nationalen Projekt eines unabhängigen und selbständigen polnischen Staats andererseits durchzogen. Gerade diese Konstellation an der Schnittstelle zwischen Reich und Kronland macht die Lebensläufe beider Akteure zu imperialen Biographien: Im Mittelpunkt steht dabei die Verquickung der vielfachen Rollen, die beide Akteure einnahmen. So handelte es sich um Unternehmer, die ihr Fachwissen für wirtschaftspolitische Expertise mobilisierten, zugleich jedoch auch ihre sozialen und individuellen Partikularinteressen forcierten. Sie waren als Experten Teil einer reichsweiten politischen Elite, von deren Diskursen sie beeinflusst wurden und die sie selbst gerne prägen wollten, während sie zugleich vor ihren Wählern die ökonomische Entwicklung und Modernisierung der galizischen Gesellschaft wortreich verfochten. Dies machte sie in der agrarisch geprägten und von den traditionellen adeligen Milieus, den Krakauer Stańczyken und den Lemberger Podolaken, sozioökonomisch und politisch dominierten galizischen Machtkonfiguration zu Randfiguren. Diese grundsätzliche

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Außenseiterstellung im soziologischen Sinn kontrastierte jedoch mit der Deutungshoheit, die beide Akteure in ihrem wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Wirken beanspruchten: Ihre Tätigkeit als jahrelange Mandatare zum Abgeordnetenhaus des cisleithanischen Reichsrats und Mitglieder von Ministerialgremien in Wien brachte sie mit den politischen Institutionen des cisleithanischen Teils des Reichs, fallweise auch mit den gemeinsamen österreichisch-ungarischen Einrichtungen wie der Notenbank oder dem gemeinsamen Finanzministerium in Kontakt, die deutlich die ökonomische Dimension von Österreich-Ungarn als Binnenmarkt, integriert durch Zollbündnis und gemeinsame Währung, unterstreicht. Die Partizipation von Szczepanowski und Zieleniewski in der Reichspolitik lässt sich somit auch als Stärkung ihrer Position in der sozialen Hierarchie im Kronland selbst verstehen. Zugleich stellte die Partizipation in Parlament und Regierung bei weitem keine isolierte Erfahrung dar, sondern war Teil der allgemein zunehmenden Bedeutung der Eliten des territorial größten und bevölkerungsreichsten Kronlands im sich partiell demokratisierenden politischen System Cisleithaniens nach dem Ausgleich von 1867. Die enge Verzahnung zwischen politischer und wirtschaftlicher Sphäre äußerte sich jedoch nicht nur darin, dass beide Akteure sowohl Politiker als auch Unternehmer waren. Vielmehr bestimmten beide Sphären nicht unwesentlich den geschäftlichen Erfolg mit: So war es die von den Liberalen eingeleitete, aber von den konservativen Regierungen zwischen 1879 und 1893 durchgeführte Verstaatlichung des Bahnwesens und der damit einhergehende Aus- und Neubau von Strecken, die der Firma Zieleniewski den Weg zum langfristigen Erfolg ebnete. Umgekehrt konnten erst jene protektionistischen Maßnahmen nach Szczepanowskis Tod der galizischen Rohölförderung jenen kurzfristigen Boom ermöglichen, der die Vorstellungen einer raschen Wohlstandsvermehrung der verarmten Region bis vor Weltkriegsausbruch kräftig ankurbelte, sich jedoch letzten Endes ebenso wie Szczepanowskis vorübergehender, atemberaubender Aufstieg als Strohfeuer entpuppte.89 Dies lag nicht nur an den Interessenslagen und Verhandlungsprozessen, die im Rohölgeschäft weitaus komplizierter und umkämpfter waren als in der Maschinenund Eisenwarenproduktion. Vielmehr war ein wesentlicher Grund, dass die Rohölunternehmer genau jenes Ziel nicht konsequent verfolgten, das sie so ostentativ proklamierten, nämlich das wirtschaftsräumliche Gefälle zwischen Galizien und den Industriezentren in den böhmischen und östlichen österreichischen Ländern zu korrigieren. Anders als die Familie Zieleniewski, die sukzessive in die Nische einer Fertigwarenbranche einstieg und sich dort weiter diversifizierte und spezialisierte, kam die Errichtung von Ölraffinerien in Galizien kaum voran, auch wenn gerade Szczepanowski hier eine Ausnahme darstellte. Das Gros der Branche bestand bis weit vor dem Ersten Weltkrieg in reiner Rohstoffextraktion. Insgesamt wurde somit das Imperium als unternehmerischer Handlungsraum für beide Akteure erfahrbar.

89 Frank, Oil Empire (wie Anm. 7), S. 5f; Franaszek, Voraussetzungen (wie Anm. 13), S. 202–205, 226.



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Doch die Zugehörigkeit zur Habsburgermonarchie wirkte nicht nur im Sinn der Politischen Ökonomie auf Lebensweg und Erfolg der beiden Unternehmer ein, sondern auch als sozialer und wirtschaftlicher Raum jenseits direkten staatlichen Einflusses. So waren es gerade die personellen und geschäftlichen Netzwerke, die Zugang zu Kapital, Technologie, Information und politischem Lobbying verschafften. In beiden Fällen war dabei die Interaktion mit Akteuren und Institutionen der Schlüssel zum Erfolg, die jenseits der Region Galizien, jedoch vornehmlich innerhalb Österreich-Ungarns angesiedelt waren. So garantierte der Einstieg von den Škodawerken, Kreditanstalt und Niederösterreichischer Escompte-Gesellschaft in der Firma Zieleniewski nicht nur die notwendige Kapitalerhöhung, sondern verbesserte den Zugang zu technologischen Neuerungen sowie Auftragsvergaben im öffentlichen Sektor und garantierte eine Einbindung in das in Österreich-Ungarn vor dem Weltkrieg sich ausbildende Kartellsystem. Umgekehrt läutete gerade der Zusammenbruch von Szczepanowskis Netzwerken in Wien, insbesondere jenes mit dem Bankier Biedermann, den Untergang seines Unternehmens ein, da er nun im kapitalschwachen Galizien auf die Unterstützung der Galizischen Sparkasse angewiesen war, die nur mit Rechtsbrüchen gesichert werden konnte. Werden hier erneut die strukturellen ökonomischen Defizite Galiziens, wie die dünne Kapitaldecke, deutlich, die das unternehmerische Handeln entscheidend mitbestimmten, so sticht zugleich ins Auge, dass die unterschiedliche Netzwerkdichte in Galizien selbst für die konträre Erfahrung von Zieleniewski und Szczepanowski eine wichtige Rolle spielte. Tatsächlich geriet auch das Unternehmen Zieleniewski wiederholt in Schwierigkeiten, konnte aber aufgrund der starken lokalen Netzwerke in und um Krakau bereits vor der Allianz mit Prager und Wiener Bank- und Industriekapital Ressourcen mobilisieren. Hingegen waren die Kontakte des Weltbürgers Szczepanowski weitaus fragiler und eng an seinen ökonomischen Aufstieg geknüpft. Exzessive Mobilität wie im Fall Szczepanowskis erwies sich als Hindernis für nachhaltigen unternehmerischen Erfolg, begründete jedoch dessen Rolle als umtriebiger und erfolgreicher Politiker. Hinzu kam noch der politisch-ideologische Aspekt, indem die Familie Zieleniewski die Unterstützung der westgalizischen Stańczyken genoss, während Szczepanowski weitgehend auf sich allein gestellt war und zudem als Berufspolitiker das innergalizische Machtgefüge viel stärker infrage stellte. Zugleich agierte Szczepanowski anders als Zieleniewski als vielfältige Integrations- und Mediationsfigur zwischen Reichspolitik und nationalen bzw. regionalen Interessen. Szczepanowskis Rolle als ein den Logiken der imperialen Zentren in London und Wien verpflichteter, versierter und verantwortungsbewusster Beamter und Politiker hebt sich markant von Zieleniewskis Forcierung nationaler bzw. regionaler Positionen ab. Auch wenn Szczepanowski gegen Lebensende nationale bis nationalistische Positionen prononcierter vertrat, so scheint dessen transnationale und sogar transimperiale Prägung stark nachgewirkt zu haben. Nichtsdestotrotz gaben beide Industriellen wichtige Impulse

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für die Ausbildung nationalisierter Führungsschichten und bewegten sich gerade aufgrund der für Galizien persistenten Modernisierungsdefizite sukzessive aus dem Reichsrahmen heraus. Allerdings trat die Nation über weite Strecken mehr als diskursiver Kode denn als stringente sozialer Praxis auf. Deutlich wird dies im Rekurs auf externes Kapital für die Industriefinanzierung, das beide Unternehmer unisono ablehnten, jedoch gerade in ihren eigenen Betrieben schlussendlich darauf zurückgreifen mussten. Ähnlich verhielt es sich mit Szczepanowskis Rolle als Experte bei der Währungsreform oder der Fiskalpolitik. Insofern lassen sich Szczepanowskis und Zieleniewskis Biographien als imperial begreifen, da sie die Modernisierungspotentiale des späten Habsburgerreichs für ihre eigenen Partikular- und Kollektivinteressen erkannten, während der nationale Diskurs viel stärker als Rechtfertigungskode ihres sozialen und politischen Handelns in Erscheinung trat.

Christoph Herzog

Yorgo Zarifi (1807–1884) Bankier des Sultans Abdülhamid II. Yorgo Zarifi1 war einer der bedeutendsten Konstantinopler Bankiers seiner Zeit und eine der wichtigen grauen Eminenzen des späten Osmanischen Reiches.2 Obwohl die Bedeutung nicht-muslimischer Eliten für die Geschichte des späten Osmanischen Reiches seit geraumer Zeit anerkannt ist, schlug sich diese Erkenntnis nur eher zögerlich in der historiographischen Praxis nieder.3 Hierfür sind nicht zuletzt auch forschungspraktische Gründe wie quellensprachige Barrieren, eine entsprechende Fragmentierung der scientific community und die Unzugänglichkeit, teilweise auch schlichte Nichtexistenz von Quellen verantwortlich.4 Der vorliegende Beitrag versucht nach einem Abriss biographischer Information über Zarifi, ihn im Sinne einer imperialen Biographie zwischen zwei Polen seiner Identität als griechischer Patriot und als osmanischer Bankier zu beschreiben. In diesem Zusammenhang wird auch seine Position als Bankier und Berater von Sultan Abdülhamid II. angesprochen, sowie seine – Episode gebliebene – Initiative, auf dem Berliner Kongress von 1878 das politisch weitreichende Konzept einer Union des osmanischen und griechischen Staates, ähnlich dem österreichisch-ungarischen Ausgleich von 1867, ins Spiel zu bringen. 1 Im Folgenden wurde die Namensform der türkisch-osmanischen Schreibweise beibehalten (wie auch für die meisten anderen Personennamen, wo nicht die im Deutschen geläufige Form vorgezogen wurde). In der Literatur findet sich neben diversen Umschreibungen der griechischen Namensform (Γεώργιος Ζαρίφης) auch die französisierte Schreibung seines Vornamens als George. 2 Vgl. die kurze Würdigung seiner Person in Philip Mansel: Constantinople: City of the World’s De­ sire, 1453–1924. London 1997. S. 279. Biographische und genealogische Information zu Yorgo Zarifi und der Familie finden sich in Mihail Dimitri Sturdza: Grandes familles de Grèce, d’Albanie et de Con­stantinople. Dictionnaire historique et généalogique. Paris 1983. S. 152–153; Murat Hulkiender: Bir Galata Bankerinin Portresi: George Zarifi (1806–1884). Istanbul 2003. S. 1–4; im ersten Teil der Memoiren seines Enkels Yorgo L. Zarifi: Hatıralarım. Kaybolan Bir Dünaya. Istanbul 1800–1920. Istanbul 2005 (zweite Auflage); und auf der Webseite des britischen Journalisten Christopher Long: http://www.christopherlong.co.uk/gen/zarifigen/index.html (06.03.2014). 3 Vgl. hierzu die Ausführungen von Christine M. Philliou: Biography of an Empire. Governing Ottomans in an Age of Revolution. Berkeley [u.a.] 2011. S. xxvi–xxviii. So wird Zarifi etwa in der maßgeblichen Studie über Sultan Abdülhamid II. nur einmal am Rande erwähnt: François Georgeon: Abdülhamid II. Le sultan calife. Paris 2003. S. 31. 4 Das Archiv des Ökumenischen Patriarchats in Istanbul ist nur zu einem geringen Teil zugänglich: siehe Philliou, Biography (wie Anm. 3), S. 190, Fn. 5. Das Archiv der Osmanischen Bank in Istanbul, für welches sogar ein Inventar existiert (Edhem Eldem: Banque Imperiale Ottomane. Inventaire commenté des archives. Istanbul 1994) wurde nach vorübergehender Öffnung in den 2000er Jahren wieder geschlossen. Archive spätosmanischer griechischer Bankiers sind nicht bekannt; s. Haris H. A. Exertzoglou: Greek Banking in Constantinople, 1850–1881. Dissertation. London 1986. S. vii.

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Grundsätzlich ist zu thematisieren, wie sehr der individuelle Karriereverlauf Zarifis von den Strukturen der imperialen Ordnung geprägt wurde und inwieweit es Zarifi selber gelang, Einfluss auf deren Wandel im langen 19. Jahrhundert zu nehmen. Zugleich wird am Beispiel der Biographie des Bankiers des Sultans deutlich, welche unterschiedlichen Bezugspunkte für Loyalität und Identität von Zeitgenossen miteinander harmonisiert werden konnten, wenn sie sich im imperialen Kontext des Vielvölkerreichs bewegten. Imperiale Biographien wie die Zarifis veranschaulichen insofern, wie sehr die dichotomische Setzung von Reichs- und nationalen Identitäten eine nachträgliche, von außen herangetragene und in gewisser Weise anachronistische Zuschreibung darstellt. In den Selbstentwürfen der Zeitgenossen und ihren Reichsvorstellungen artikulieren sich vielmehr die Wandelbarkeit sowie die Überlagerungen von Loyalitätsbekundungen zu Nation, Religion, Dynastie und Gesamtstaat.

Die Familie Zarifi: Biographische Notizen Der Großvater Yorgo Zarifis, offenbar das erste historisch greifbare Mitglied der Familie, war ein vermögender Weinhändler von der heute unter dem türkischen Namen Paşalimanı bekannten Insel im südlichen Marmarameer. Seine Lebensdaten sind unsicher. 1786 soll er sich in Konstantinopel niedergelassen haben, wo er ein Haus im Stadtteil Fener und ein Sommerhaus am Bosporus in Arnavutköy besaß. Er hatte einen einzigen Sohn namens Yani bzw. Yanko (Ioannis), der möglicherweise um 1770 geboren, bald nach 1850 gestorben sein soll. Yani Zarifi heiratete Tarsi, die jüngste Tochter von Yordani Kaplanoğlu (gest. nach 1825), einem in Fener prominenten und reichen Financier und Edelsteinhändler, dessen Familie ursprünglich aus Kayseri stammte.5 Yorgo Zarifi war das älteste der sieben Kinder des Paares. Sein Geburtsjahr wird unterschiedlich mit 1806, 1807 und 1810 angegeben.6 Der Ausbruch des griechischen Aufstandes im Jahr 1821 markierte auch eine Zäsur im Leben der Familie Zarifi. Die osmanischen Behörden versuchten mit der Beschlagnahme von Unterlagen bei reichen griechischen Kaufleuten in Galata die Namen derjeniger in Erfahrung zu bringen, die den Aufstand finanziert hatten. Darunter befand sich offenbar auch Yani Zarifi, der auf diese Nachricht hin mit seiner Familie aus Konstantinopel nach Odessa floh.7 Über den achtjährigen Aufenthalt der Zarifis in Odessa überliefert die Familientradition wenig mehr, als dass dies eine glückliche Zeit gewesen sei. Wir 5 Zarifi, Hatıralarım (wie Anm. 2), S. 3–5. Es handelt sich um die Memoiren des Enkels von Yorgo Zarifi. 6 Das Geburtsdatum 6. September 1807 findet sich bei Zarifi, Hatıralarım (wie Anm. 2), S. 42. Für eine Diskussion der beiden anderen Daten s. Hulkiender, Zarifi (wie Anm. 2), S. 1. 7 Zarifi, Hatıralarım (wie Anm. 2), S. 33. Dafür, dass es sich wirklich um eine Flucht unter chaotischen Umständen gehandelt hat, spricht, dass das Jüngste von Yani Zarifis sieben Kindern mit seiner



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können aber annehmen, dass Yani Zarifi über gute Beziehungen in Odessa, wo auch der griechisch-nationalistische Geheimbund Filiki Eteria einigen Rückhalt hatte, verfügte. Sein ältester Sohn Yorgo erhielt ein Stipendium für den Besuch des damals besten Gymnasiums in der Stadt, dem Lycée Richelieu.8 Nach dem Friedensschluss von Adrianopel (1829) kehrte die Familie zunächst nach Konstantinopel zurück. Zwar war ihr Vermögen dort konfisziert worden, aber dank alter Verbindungen zu Tahir Bey, einem hochrangigen osmanischen Würdenträger aus dem Palast, gelang es Yani Zarifi, eine staatliche Anstellung zu erhalten. Es ist durchaus möglich, dass diese Anstellung den Charakter einer Art staatlichen Pension trug, mit der Zarifi an den Palast gebunden und unter Kontrolle gehalten werden sollte. Doch die Situation war auch finanziell nicht befriedigend. Angeblich unter dem Einfluss des ältesten Sohnes, der darin deutlich einem griechisch-patriotischen Impuls folgte, begab sich die Familie Zarifi daher nach einiger Zeit in die damalige Hauptstadt Nafplio des nunmehr unabhängigen Griechenlands, um dort den Aufbau des jungen Staates zu unterstützen. Offenbar gingen auch andere junge Griechen aus Odessa diesen Weg.9 Die Situation vor Ort gestaltete sich allerdings ernüchternd. Nafplio war provinziell und das Hinterland infolge des Kriegs verwüstet. Der Aufenthalt der Familie Zarifi im unabhängigen Griechenland blieb eine Episode. Im Jahr 183210 kehrte sie mit einem auf den Sohn Yorgo Zarifi ausgestellten griechischen Pass ausgestattet wieder nach Konstantinopel zurück. Es ist nicht klar, warum Yorgo Zarifi seine zwischenzeitliche Tätigkeit als Sekretär eines griechischen Provinzgouverneurs in Karitena in der Landschaft Arkadien nach einem halben Jahr aufgab. Möglicherweise war der Grund hierfür, dass er – aus einer bourgeoisen Familie mit urbaner Tradition in Konstantinopel stammend und in Odessa aufgewachsen – sich mit dem Leben in einer griechischen Provinzstadt nicht dauerhaft anfreunden konnte.11 Vielleicht gaben aber auch die bürgerkriegsartigen Verhältnisse nach der Ermordung von Kapodistrias im Herbst 1831 den Ausschlag.12 Amme zurückbleibt und lange als verloren gilt. Erst Jahre später wird es zur Familie zurückgebracht. Ebd., S. 85. 8 Zarifi, Hatıralarım (wie Anm. 2), S. 35. 9 Laut Zarifi, Hatıralarım (wie Anm. 2), S. 39 reisten auf dem gleichen Schiff nach Griechenland der spätere griechische Politiker Dimitrio Levidis (1806–1893), ein Sohn des 1821 von den Osmanen hingerichteten Nikolao Levidis, und Yorgo Nikolopulos, dessen Tochter später Yorgo Zarifis ältesten Sohn Leonidas ehelichte. Nikolopulos kehrte noch vor Zarifi nach Istanbul zurück. 10 Vgl. Zarifi, Hatıralarım (wie Anm. 2), S. 40, Fußnote u. Zarifi, Hatıralarım (wie Anm. 2), S. 42. Die Zeitangabe 1843 für die Rückkehr in Sturdza, Grandes familles (wie Anm. 2), S. 152 ist unrichtig. 11 So Zarifi, Hatıralarım (wie Anm. 2), S. 40. 12 So Hulkiender, Zarifi (wie Anm. 2), S. 2, ohne allerdings einen Beleg hierfür anzugeben. Es ist auch möglich, dass die Unruhen nach der Ermordung von Kapodistrias die Rückkehr der Familie nach Istanbul tatsächlich verzögerten. Hierfür würde sprechen, dass der Pass, den der Autor der Memoiren ausdrücklich als in seinem Besitz befindlich angibt, nach Zarifi, Hatıralarım (wie Anm. 2), S. 40 noch auf Geheiß von Kapodistrias ausgestellt wurde, die Rückkehr nach Istanbul allerdings erst im folgenden Jahr stattfand.

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In Konstantinopel wurde Yorgo Zarifi jedenfalls zunächst geschäftlicher Teilhaber eines Freundes seines Vaters, Dimitrio Zafiropulos,13 bekannt als Çelebi Dimitraki, der während des Kriegs in Galata geblieben und im Getreidehandel mit den osmanischen Gebieten in Rumänien reich geworden war. Er gehörte der neuen griechischen Elite in Galata an, die auch während des griechischen Aufstands mit den Osmanen zusammengearbeitet hatte.14 1832 begann damit die geschäftliche Karriere Yorgo Zarifis. 1839 ehelichte er die Tochter seines Geschäftspartners, Eleni, und beerbte Zafiropulos nach seinem Rückzug aus dem aktiven Geschäftsleben zusammen mit dessen Sohn Stefanos auch in der Firma, die nun unter dem Namen Zafiropulos & Zarifi fungierte.15 Dass Yorgo Zarifi der eigentliche Seniorpartner der beiden beinahe gleichaltrigen Geschäftspartner war, wird nicht zuletzt aus der Tatsache ersichtlich, dass sein Schwager Stefanos die Leitung der 1842 gegründeten Filiale in Marseille übernahm,16 während Yorgo Zarifi selbst in Konstantinopel verblieb. 1846 zog die Familie vom damals als eher altbacken angesehenen griechischen Stadtviertel Fener in das modische Pera um, ein wichtiges Indiz für den sozialen Aufstieg Zarifis.17 Von seiner Frau Eleni wird berichtet, dass sie noch bei ihrer Hochzeit weitgehend illiterat war – damals auch in bessergestellten Familien keine Seltenheit. Mit großer Energie lernte sie nicht nur Griechisch lesen und schreiben, sondern meisterte auch das Französische, und machte es sich bis zu ihrem Lebensende zur Gewohnheit, eine griechische und eine französische Konstantinopler Tageszeitung sowie Le Temps zu abonnieren.18 Zu Beginn der 1850er Jahre erscheint Yorgo Zarifi zum ersten Mal als einer der maßgeblichen Protagonisten im Finanzgeschäft mit osmanischen Staatsschulden.19 Die erste osmanische Proto-Staatsbank die unter dem Namen Dersaadet Bankası, oder Banque de Constantinople firmierte, wurde 1849 offiziell gegründet und von zwei örtlichen Finanziers, Jacques Alléon und Todori Baltazzi, geleitet. Ihre Aufgabe war es zum einen, den Wechselkurs der osmanischen Währung gegenüber europäischen Währungen zu stabilisieren,20 zum anderen, den osmanischen Staat mit kurzfristigen Krediten zu versorgen.21 Bis 1851 hatte diese Bank ein massives Defizit angehäuft und im Herbst desselben Jahres waren Zahlungen von anderthalb Millionen Pfund Ster13 Vgl. Sturdza, Grandes familles (wie Anm. 2), S. 152. 14 Zarifi, Hatıralarım (wie Anm. 2), S. 38–42. 15 Zarifi, Hatıralarım (wie Anm. 2), S. 51–53. 16 Hulkiender, Zarifi (wie Anm. 2), S. 2. 17 Zarifi, Hatıralarım (wie Anm. 2), S. 61. 18 Zarifi, Hatıralarım (wie Anm. 2), S. 78f. 19 Vgl. hierzu Exertzoglou, Greek Banking (wie Anm. 4); Ioanna Pepelasis Minoglou: Ethnic Minority Groups in International Banking: Greek Diaspora Bankers of Constantiople and Ottoman State Fi­ nances c. 1840–1881. In: Financial History Review 9. Heft 2 (2002). S. 125–146. 20 Christopher Clay: Gold for the Sultan. Western Bankers and Ottoman Finance, 1856–1881. London [u.a.] 2000. S. 16; Edhem Eldem: A History of the Ottoman Bank. Istanbul 1999. S. 21f. 21 Hulkiender, Zarifi (wie Anm. 2), S. 5.



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ling fällig. 1851 war auch das Jahr einer akuten Krise der osmanischen Staatsfinanzen. Hierbei spielten die Verluste der Banque de Constantinople zwar nicht die Haupt-, aber eine nicht unerhebliche Nebenrolle.22 Der erste Versuch von 1852, die Finanzlücke der Banque mit einer Staatsanleihe auf den Finanzmärkten von Paris und London zu schließen, scheiterte schließlich an der Ablehnung maßgeblicher osmanischer Kreise, nicht zuletzt Sultan Abdülmecids persönlich.23 Im Zusammenhang mit den Bemühungen der osmanischen Verwaltung, die Banque de Constantinople zu liquidieren, taucht auch der Name Yorgo Zarifis auf.24 Man kann davon ausgehen, dass Zarifi spätestens ab diesem Zeitpunkt zum Kreis der führenden Bankiers in Galata, dem Börsen- und Finanzplatz in Konstantinopel, zählte. 1853 gehörte er zu einer Gruppe von zwölf prominenten Galatabankiers, die der osmanischen Regierung den Vorschlag einer neuen Staatsbank unterbreiteten. Obwohl die osmanische Verwaltung nach einigem Zögern zustimmte, kam die Gründung wegen des Krimkriegs nicht zustande.25 Neben der Firma Zafiropulo & Zarifi war Zarifi in ein komplexes Geflecht von Beteiligungen an anderen Finanzhäusern involviert. So gehörte er 1864 zu den Gründern der Société Géneŕale de l’Empire Ottoman, die sich aus europäischen Kapitalgebern und prominenten Galatabankiers zusammensetzte. 1875 wurde er zusammen mit seinem Schwiegersohn Ulysses Negroponte Mitglied im Direktorium einer weiteren Konstantinopler Bank, der 1872 gegründeten Banque de Constantinople.26 Mit der Banque Impérial Ottoman stand er zwar eher in einem Konkurrenzverhältnis, saß jedoch später ebenfalls in deren Direktorium.27 Zwei europäische Banken, mit denen er eng zusammenarbeitete, waren die Société Marseillaise de Crédit und die Impe­ rial Credit Mercantile Association.28 Obwohl sein Hauptbetätigungsfeld als Bankier die Gewährung von Krediten an den osmanischen Staat war, engagierte er sich in zahlreichen anderen Geschäftszweigen. Während des Krimkrieges machte er ein Vermögen damit, der britischen Flotte Kohle zu liefern.29 Darüber hinaus war er in einer ganzen Reihe von Aufsichtsräten osmanischer Aktiengesellschaften vertreten, so in der Société de la Régie Cointeressée des Tabacs de l’Empire Ottoman, der Société du

22 Clay, Gold (wie Anm. 20), S. 22–24. 23 Hüseyin Al u. Şevket Kamil Akar: Dersaadet Bankası‘nın Tasfiyesi ve 1852 Borçlanması. In: Tarih ve Toplum. Yeni Yaklaşımlar 4 (2006). S. 174–181. Die vom Sultan gemachten Vorgaben für den Kredit bezüglich Höhe und Laufzeit waren nicht eingehalten worden. 24 Hulkiender, Zarifi (wie Anm. 2), S. 7f. 25 Clay, Gold (wie Anm. 20), S. 24f; Hulkiender, Zarifi (wie Anm. 2), S. 10–15. 26 Haris Exertzoglou: The Development of a Greek Ottoman Bourgeoisie: Investment Patterns in the Ottoman Empire, 1850–1914. In: Dimitri Gondicas u. Charles Issawi (Hrsg.): Ottoman Greeks in the Age of Nationalism: Politics, Economy, and Society in the Nineteenth Century. Princeton 1999. S. 102, n. 8. 27 Clay, Gold (wie Anm. 20), S. 170, S. 379; Pepelasis Minoglou, Greek Diaspora Bankers (wie Anm. 19), S. 130. 28 Pepelasis Minoglou, Greek Diaspora Bankers (wie Anm. 19), S. 129, n. 13. 29 Richard Clogg: A Concise History of Greece. Cambridge 2013. S. 82.

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Chemin de Fer d’Anatolie, der Société Imperiale Ottomane du Chemin de Fer de Bagdad und der Société Anonyme Ottomane de Balia Karaidin.30 Yorgo Zarifi agierte nicht allein, vielmehr war er der Senior eines Familienbetriebs, dessen Struktur höchstwahrscheinlich dem damals in der griechischen unternehmerischen Diaspora typischen Modell folgte.31 Aber auch über die griechische Gemeinde hinaus waren Formen von family banking verbreitet; nicht zuletzt in Europa, wo die Familie Rothschildt sicherlich das bekannteste Beispiel diesbezüglich darstellte.32 Fast alle von Zarifis Geschwistern waren in die Geschäfte involviert,33 auch seine Söhne wurden in die Firma eingeführt. Sein ältester Sohn Leonidas übernahm stellvertretend für ihn 1881 die Bankleitung, als sich Yorgo Zarifi aus gesundheitlichen Gründen mehr und mehr zurückziehen musste. Seine Tochter Sofia war mit einem führenden griechischen Bankier und Geschäftsmann, Ulysses Negroponte, verheiratet, der insbesondere auf dem Gebiet des heutigen Rumäniens über große Ländereien und andere geschäftliche Interessen verfügte.34 Zarifi agierte international: Mitglieder der Familie saßen in Marseille, Odessa und London.35 Durch seine persönliche Bekanntschaft mit Abdülhamid, als dessen persönlicher Bankier und Finanzberater er seit den 1860er Jahren fungiert hatte, begann er nach dessen Thronantritt 1876 zunehmend auch eine informelle aber gewichtige politische Rolle zu spielen, über die insgesamt wenig bekannt ist.36 Im Sommer des Jahres 1881 hielt sich Zarifi aus gesundheitlichen Gründen in der Schweiz auf. Offenbar hatte er einen Schlaganfall erlitten, von dem er sich nur teilweise erholte. Seine Beine blieben gelähmt. 1883 erlitt er erneut einen schweren Gehirnschlag.37 Am 8. April 1884 verstarb er in seinem Haus in Pera. Die Beerdigung wurde zu einem Großereignis, an der Überführung des Sarges sollen 20.000 Menschen teilgenommen haben.38 Zunächst wurde er im Familiengrab der Zafiropulos auf dem orthodoxen Friedhof in Şişli beerdigt. Sein Herz wurde getrennt in der Aya Paraşkevi-Kirche in Tarabya beigesetzt. Nachdem das in Paris aus italienischem Marmor aufwendig hergestellte Grabmal fertig und nach Konstantinopel überführt 30 Exertzoglou, Development (wie Anm. 26), S. 113. Für weitere geschäftliche Aktivitäten Zarifis vgl. Hulkiender, Zarifi (wie Anm. 2); Clay, Gold (wie Anm. 20), passim. 31 Vgl. Ioanna Pepelasis Minoglou: Toward a Typology of Greek-Diaspora Entreneneurship. In: Ina Baghdiantz [u.a.] (Hrsg.): Diaspora Entrepreneurial Networks. Four Centuries of History. Oxford [u.a.] 2005. S. 178–181. 32 Vgl. David S. Landes: Bankers and Pashas. International Finance and Economic Imperialism in Egypt. London [u.a.] 1958. S. 16f; Gelina Harlaftis: Mapping the Greek Martime Diaspora from the Early Eighteenth to the Late Twentieth Centuries. In: Ina Baghdiantz [u.a.] (Hrsg.): Diaspora Entrepreneurial Networks. Four Centuries of History. Oxford 2005. S. 163f. 33 Zarifi, Hatıralarım (wie Anm. 2), S. 80–86. 34 Zarifi, Hatıralarım (wie Anm. 2), S. 167. Zur Familie Negroponte siehe Sturdza, Grandes familles (wie Anm. 2), S. 363–364. 35 Zarifi, Hatıralarım (wie Anm. 2), S. 52, S. 83, S. 173. 36 Vgl. Zarifi, Hatıralarım (wie Anm. 2), S. 160. 37 Hulkiender, Zarifi (wie Anm. 2), S. 3; Zarifi, Hatıralarım (wie Anm. 2), S. 229. 38 Hulkiender, Zarifi (wie Anm. 2), S. 2f.



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war, wurde der Leichnam 1889 umgebettet.39 Im Verlauf des staatlich inszenierten Pogroms gegen die nichtmuslimischen Minderheiten von 1955 in Istanbul wurde auch das Grab der Familie Zarifi zerstört.40

Zarifis Leben als imperiale Biographie Die Lebensgeschichte Yorgo Zarifis legt zunächst eine Einordnung in den Kontext der Netzwerke einer unternehmerischen Diaspora nahe, deren drei klassische Beispiele neben der jüdischen und armenischen die griechische bildete.41 Zarifi war ein griechischer family-banker und Teil der translokalen griechischen unternehmerischen Diaspora. Sein Leben enthält eine Migrationsgeschichte, die über die Grenzen des Osmanischen Reich hinausgreift: Konstantinopel, Odessa oder Nafplio waren allesamt Stationen seines privaten und unternehmerischen Handelns. Die Optionen der Diaspora und der Migration blieben hier immer erhalten. Keines der fünf Kinder von Yorgo Zarifi starb in Istanbul.42 Dennoch lässt sich Zarifis Lebens- und Karriereweg als imperiale Biographie deuten. Damit wird der Fokus auf die imperiale Dimension seines Lebens und Schaffens gerichtet. Dabei ist es wichtig, diese imperiale Perspektive von jener der griechischen Nationalgeschichte zu differenzieren und die komplexe Gleichzeitigkeit von Nationalismus und Imperium im langen 19. Jahrhundert im Auge zu behalten.43 Das Modell der osmanischen imperialen Reichsideologie hatte spätestens mit dem griechischen Aufstand eine grundsätzliche Infragestellung durch den Nationalismus erlebt. Dies war auch der osmanischen Administration bewusst, die den Aufstand eben nicht nur als eine weitere, der durchaus nicht seltenen, Rebellionen einer Gruppe von Untertanen bewertete, sondern die damit verbundene Innovation politischer Ideologie und Rhetorik verstand und ernst nahm.44 Für Yorgo Zarifi hingegen waren die Konzepte des Nationalstaats und des Empire keine sich gegenseitig ausschließenden und einander ablösenden Modelle, sondern 39 Zarifi, Hatıralarım (wie Anm. 2), S. 243. 40 http://www.christopherlong.co.uk/gen/zarifigen/fg04/fg04_456.html (06.03.2014). 41 Ina Baghdiantz [u.a.]: Introduction. In: Baghdiantz, Diaspora Entrepreneurial Networks (wie Anm. 31), S. xviii; Vgl. darin die Beiträge von Harlaftis, Mapping (wie Anm. 32) und Minoglou, Typo­logy (wie Anm. 31). 42 http://www.christopherlong.co.uk/gen/zarifigen/fg04/fg04_456.html (09.08.2014). 43 Vgl. die Anmerkung in Pepelasis Minoglou: Greek Diaspora Bankers (wie Anm. 19), S. 152, n.2: „[...] it should be noted that traditional scholars of the Greek diaspora categorise the Greeks within the Ottoman Empire not as a diaspora, but as ,omogeneis‘ – men of common breed – and study them within the more specific context of the religious communities that formed the Ottoman millet system.“ Vgl. auch Harlaftis, Mapping (wie Anm. 32), S. 149. 44 Hakan Erdem: „Do Not Think of the Greeks as Agricultural Labourers“. In: Faruk Birtek u. Thalia Dragona (Hrsg.): Citizenship and the Nation-State in Greece and Turkey. London [u.a.] 2005. S. 67–84.

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Gleichzeitigkeiten seiner Biographie. Dennoch stellt sich die Frage, welche konkreten Vorstellungen Zarifi von einer griechischen Nation und von ihrer Stellung in einem multiethnischen Reich sowie von der zukünftigen Rolle des griechischen Nationalismus hatte und welches Selbstbild er daraus ableitete. Da uns keine unmittelbare Aussage von ihm vorliegt, lassen sich diese Fragen nur indirekt angehen. Eine Reihe von Indizien sprechen dafür, dass Yorgo Zarifi dem griechischen Nationalismus eng verbunden war. Immerhin hatte offenbar schon sein Vater den separatistischen Geheimbund Filiki Eteria finanziell unterstützt. Den Versuch Yorgo Zarifis im neugegründeten griechischen Staat unter Ioannis Kapodistrias Fuß zu fassen, mag man als Ausfluss jugendlicher Begeisterung interpretieren. Es ist aber bemerkenswert, dass er Zeit seines Lebens die griechische Staatsangehörigkeit, die er damals dort erworben hatte, behielt.45 Auch ist die Namensgebung seiner Kinder aufschlussreich. Yorgo Zarifi nannte seinen erstgeborenen Sohn Leonidas, den zweitgeborenen Perikles.46 Yorgo selbst und seine Geschwister hatten dagegen allesamt noch wesentlich traditionellere Namen wie Yordani, Aleksandro, Petro, Mihail, Nikolao und Sultaniça47 Auch Yorgo Zarifis philanthropische Stiftungs- und Spendentätigkeit ist deutlich vom Interesse an der Bewahrung und Förderung eines nationalen Erbes geprägt. So soll er zu den größten Unterstützern des 1862 gegründeten exklusiven griechischen Gelehrtenklubs von Konstantinopel Ho en Konstantinupolei Hellenikos Philologikos Syllogos gehört haben.48 Mehrere Stiftungen griechischer Schulen, darunter in Bursa, dienten ebenfalls diesem Ziel.49 Die Hauptsprachen Yorgo Zarifis waren Griechisch, Russisch und Französisch. Türkisch beherrschte er nur wenig, verbesserte es aber im Laufe seines Lebens mit Rücksicht auf die geschäftlichen Erfordernisse.50 Obgleich seine griechische Staatsangehörigkeit ihn nicht hinderte, zur führenden Figur auf dem osmanischen Finanzmarkt von Galata aufzusteigen, war sie in geschäftlichen Belangen nicht völlig gleichgültig. So war die Tatsache seiner fremden Staatsbürgerschaft etwa bei der osmanischen Begutachtung des von ihm mit ausgearbeiteten Vorschlags für die Gründung einer offiziellen osmanischen Bank im Jahr 1853 Gegenstand von verwaltungsinterner Kritik. Es wurde die Befürchtung ausgesprochen, dass dadurch die Gefahr ausländischer Interventionen in die Finanzaffären des 45 Vgl. das in Arzu Terzi: Saray, Mücevher, İktidar. Istanbul 2009. S. 179 wiedergegebene osm. Do­ kument von 1878, in dem er als griechischer Staatsbürger bezeichnet wird. 46 Zarifi, Hatıralarım (wie Anm. 2), S. 55. Die Namen der restlichen Kinder lauteten Sophia, Tarsi (Theresa) und Stefanos. Zur Tendenz Namen aus der klassischen griechischen Periode zu verwenden s. Richard Clogg: The Greeks and their Past. In: Richard Clogg (Hrsg.): Ikath’imas Anatoli: Studies in Ottoman Greek History. Istanbul 2004. S. 22. 47 Zarifi, Hatıralarım (wie Anm. 2), S. 83. Sultaniça trug den Namen ihrer Großmutter väterlicherseits. 48 Zarifi, Hatıralarım (wie Anm. 2), S. 70f. Zum Syllogos vgl. Johann Strauss: Istanbul im 19. Jahr­ hundert. Anatomie eines west-östlichen Kulturzentrums. In: Schweizer Asiatische Studien 44 (2007). S. 143f. 49 Zarifi, Hatıralarım (wie Anm. 2), S. 69f. 50 Zarifi, Hatıralarım (wie Anm. 2), S. 64.



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Reiches stark erhöht würde, und die Forderung erhoben, unter den Direktoren der projektierten Bank müssten jedenfalls osmanische Muslime vertreten sein. Letztlich entschlossen sich die zuständigen osmanischen Stellen aber wegen der Notwendigkeit rascher Maßnahmen zur Stabilisierung des Geldmarktes, Zarifi und seinen Mitstreitern die angestrebte Genehmigung zur Gründung dennoch zu erteilen.51 Obwohl Zarifi also zweifellos die Idee der griechische Nation aktiv unterstützte, bedeutete dies nicht, dass er sich zum Handlanger der griechisch-nationalistischen Doktrin der megali idea in der Form, wie sie in Athen als expansionistischer Irredentismus verfolgt wurde, gemacht hätte. Im Gegenteil, sein Verhalten gegenüber dem Versuch der griechischen Nationalbank, sich 1867 auf dem Kapitalmarkt in Konstantinopel über eine Staatsanleihe Geld zu besorgen, legt nahe, dass er damals die griechische Politik für verfehlt und das griechische Parlament für unfähig hielt. Die offizielle Vertretung der griechischen Nationalbank in Konstantinopel hatte die Firma Zafiro­ pulo & Zarifi inne. Yorgo Zarifi weigerte sich jedoch, die Anleihe auf dem Finanzmarkt der osmanischen Hauptstadt zu unterstützen, woraufhin sie auch weitgehend scheiterte.52 In einem Schreiben an die Leitung der griechischen Nationalbank argumentierte Zarifi vehement gegen die Sinnhaftigkeit dieser Staatsanleihe.53 Die Zurückhaltung Zarifis (und anderer griechischer Bankiers in Konstantinopel) gegenüber dieser und folgenden Versuchen des griechischen Staates, osmanischgriechisches Kapital aus dem Osmanischen Reich in griechische Staatsanleihen zu ziehen,54 hatte vermutlich nicht nur den naheliegenden geschäftlichen Grund der niedrigen Rentabilität,55 sondern entsprach auch der Kalkulation, sich politisch in Konstantinopel nicht zu exponieren. Immerhin diente die Anleihe militärischen Zwecken und die Wahrscheinlichkeit einer griechisch-osmanischen Konfrontation war gegeben.56 Sicherlich sollte ein solcher Brief, der im speziellen Kontext der griechischen Anleihe von 1867 steht, nicht dazu herhalten, ein umfassendes Profil der politischen Überzeugungen Zarifis zu erstellen. Gleichwohl lässt das Schreiben nicht zuletzt auch durch seinen wenig diplomatischen Ton erkennen, dass Zarifi bei aller Verbundenheit mit dem griechischen Staat dessen politische Institutionen und ihre

51 Hulkiender, Zarifi (wie Anm. 2), S. 12f. 52 Zu den Hintergründen dieser Staatsanleihe siehe Exertzoglou, Greek Banking (wie Anm. 4), S. 231– 234. 53 Zitiert nach Exertzoglou, Greek Banking (wie Anm. 4), S. 238. 54 Exertzoglou, Greek Banking (wie Anm. 4), S. 243f. 55 Vgl. Exertzoglou, Greek Banking (wie Anm. 4), S. 247. 56 Exertzoglou, Greek Banking (wie Anm. 4), S. 253, n. 2; vgl. Exertzoglou, Development (wie Anm. 26), S. 91, S. 101, n. 4. Es ist eine interessante Frage, inwieweit die zu diesem Zeitpunkt allerdings noch weitgehend in statu nascendi befindliche muslimische Konstantinopler Presse hier eine von Zarifi zu berücksichtigende Rolle hätte spielen können. Zu ihrer Entwicklung vgl. Christoph Herzog: Die Entwicklung der türkisch-muslimischen Presse im Osmanischen Reich bis ca. 1875. In: Dietmar Rothermund (Hrsg.): Aneignung und Selbstbehauptung. Antworten auf die europäische Ex­ pan­sion. München 1999. S. 15–44.

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Politik einigermaßen geringschätzig betrachtet haben muss, eine Einschätzung, die in der herablassenden Einstellung seiner Frau (und zahlreicher anderer Konstantinopler Griechen) gegenüber den „provinziellen Athenern“ ein Pendant fand.57 Die Feststellung einer Gleichzeitigkeit der imperialen und nationalen Identität Zarifis sollte aber nicht dazu verleiten, ein statisches Bild des Osmanischen Reichs im langen 19. Jahrhundert oder von Zarifis politischer Persönlichkeit zu zeichnen. Politische Loyalitäten und Affiliationen erlebten in dieser Phase des 19. Jahrhunderts einen komplexen Wandlungsprozess. Ausgehend von einer durch die religiös determinierte Reichsideologie definierten Rechtsstellung der Nichtmuslime im Osmanischen Reich, kam es zu einem Versuch der politischen Neuordnung, bei der durch die Schaffung eines neuen Begriffs von osmanischer Staatsbürgerlichkeit auch Nichtmuslime integriert werden sollten. Im Reformedikt von Gülhane (1839), zu Beginn der TanzimatÄra, war noch auf die Scharia als der Basis für die rechtliche Behandlung der Untertanen des Sultans rekurriert worden.58 Damit verblieben Nichtmuslime aber im Rahmen des dhimma-Konzepts bestenfalls Bürger zweiter Klasse. Im Reformedikt von 1856, das die zweite Phase der Tanzimat markierte, wurde dagegen die faktische Gleichbehandlung von Muslimen und Nichtmuslimen impliziert, während Referenzen auf einen religiösen Bezugsrahmen fehlten.59 Die Beteiligung von Nichtmuslimen an den Provinzräten, die Zulassung einzelner Nichtmuslime zu bestimmten Segmenten des Staatsdienstes und schließlich ihre Einbindung als aktiv und passiv Wahlberechtigte in die osmanische Verfassung von 1876 schienen osmanischen Nichtmuslimen, wenn auch kurzfristig, ein „window of opportunity” der Gleichberechtigung und -behandlung zu eröffnen. Die Suspendierung des Parlaments durch Abdülhamid im Jahr 1878, seine Hinwendung zu einer konservativen islamischen Herrschaftsrhetorik,60 die weitere Ausbreitung des Nationalismus als Herausforderung der osmanischen Imperialdoktrin, die Sezession weiterer Balkangebiete, die Massaker an den Armeniern 1895/96 und der Bürgerkrieg in Mazedonien schlossen dieses Fenster bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs schrittweise wieder. Die ethnischen Säuberungen der Ittihadisten im Ersten Weltkrieg markierten dann zweifellos das Ende einer solchen supranationalen und -konfessionellen Integrationsstrategie. Die Entwicklung vom imperialen zum nationalen Konzept politischer Affiliation verlief, mit anderen Worten, also nicht geradlinig, sondern ließ in einer Zwischenphase das Konzept eines inklusiven staats57 Zarifi, Hatıralarım (wie Anm. 2), S. 114f. 58 Text in Suna Kili u. A. Şeref Gözübüyük: Sened-i İttifakt’tan Günümüze Türk Anayasa Metinleri. Istanbul³ 2006. S. 11–14; Dt. Übersetzung in Friedrich von Kraelitz-Greifenhorst: Die Verfassungsgesetze des Osmanischen Reiches. Wien 1919. S. 11–16. 59 Text in Kili, Anayasa Metinleri (wie Anm. 58), S. 15–21; Kraelitz-Greifenhorst, Verfassungsgesetze (wie Anm. 58), S. 17–27. 60 Vgl. Selim Deringil: Legitimacy Structures in the Ottoman State: The Reign of Abdülhamid II (1876–1908). In: International Journal of Middle East Studies 23 (1991). S. 345–349; Selim Deringil: The Well-Protected Domains. Ideology and the Legitimation of Power in the Ottoman Empire 1876–1909. London [u.a.] 1998.



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bürgerlichen osmanischen Patriotismus als Alternative erkennbar werden, wenngleich sich dies nie mehr als ansatzweise realisierte. In einem monarchischen System bezog sich diese mögliche Identifikation natürlich vor allem auf die osmanische Dynastie. Wir wissen nicht, wie Zarifi auf diese Entwicklungen im Einzelnen reagierte; es ist allerdings bekannt, dass er während des Berliner Kongresses von 1878 die Union von Griechenland und dem Osmanischen Reich unter dem Dach der osmanischen Monarchie betrieb, wobei er höchstwahrscheinlich den österreichisch-ungarischen Ausgleich von 1867 als Vorbild vor Augen hatte. Mit einem solchen Vorschlag wandte sich Zarifi zunächst an den britischen Botschafter in Konstantinopel, Henry Layard, der ihn an Lord Salisbury, damals britischer Delegierter auf dem Berliner Kongress, weiterleitete. Letzterer schien zwar nicht grundsätzlich abgeneigt, gab aber zu bedenken, dass sich Russland diesem Plan auf jeden Fall widersetzen werde und erkundigte sich nach der Haltung des osmanischen Sultans. Abdülhamid II. jedoch war, obgleich sich Zarifi sehr um seine Zustimmung bemühte, offenbar nicht bereit, sich auf ein solches Vorhaben einzulassen. Ein weiteres Problem dieser Option bestand darin, dass sie die Abdankung des griechischen Königs, Georg I., erfordert hätte.61 Die Synthese aus Reichsgedanken und Nationalismus, die sich in diesem Plan widerspiegelte, stellte die Version des oben skizzierten window of opportunity aus der Perspektive Zarifis und eines Teils der führenden griechischen Bankiers und Unternehmer in Konstantinopel dar. Zudem zeigt sich in dem Vorschlag, wie die benachbarte Habsburgermonarchie und ihr Umgang mit den Herausforderungen Nationalismus und separatistischen Bestrebungen von bestimmten Kreisen in Konstantinopel beobachtet und bewertet wurde.62 Offensichtlich erschien das habsburgische Experiment von 1867 in den Augen Zarifis ein Erfolg zu sein, da es Ungarn nationalkulturelle Autonomie ermöglichte, wie er sie sich für Griechenland weiterhin wünschte. Zugleich blieben die Vorteile des größeren Staatsverbundes als einem über Jahrhunderte gewachsenen Wirtschafts- und Handelsraum erhalten. Es schien, als könnten die ökonomischen Schwierigkeiten des relativ jungen griechischen Staates in einem Zusammenschluss mit der einstigen Metropole Konstantinopel überwunden werden. Hier wurde das Vielvölkerreich als ökonomische Einheit begriffen, die den einzelnen Reichsteilen erhebliche Chancen eröffnete. Eine solche Denk- und Handlungsfigur, in der das Imperium sowohl für die eigene Karriere wie auch die Entwicklung der eigenen Nation als Möglichkeitsraum verstanden wurde, war unter den ökonomi-

61 Sinan Kuneralp (Hrsg.): The Queen’s Ambassador to the Sultan. Memoirs of Sir Henry A. Layard’s Con­stantinople Embassy 1877–1880. Istanbul 2009. S. 467; Hulkiender, Zarifi (wie Anm. 2), S. 105f; Clogg, Concise History (wie Anm. 29), S. 71. 62 Nach 1908 bezogen sich auch manche arabische Nationalisten im Osmanischen Reich auf den österreichisch-ungarischen Ausgleich als mögliches Vorbild; vgl. Eliezer Tauber: The Emergence of the Arab Movements. London 1993. S. 221, S. 250.

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schen Eliten aller europäischen Großreiche durchaus verbreitet.63 Die sich zunehmend internationalisierenden Bedingungen wirtschaftlichen Unternehmertums in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts haben das Zusammendenken von nationalen Interessen und imperialen Möglichkeiten dabei sogar eher befördert. Möglicherweise sah Zarifi in der Lancierung der Adaption des österreichischungarischen Modells während des Berliner Kongresses auch eine Möglichkeit, den Verlust weiterer europäischer Besitzungen der Osmanen zu verhindern. Zudem hätte die Umsetzung seiner Pläne bedeutet, dass Griechenland indirekt als Großmacht auf der internationalen Bühne aufgetreten wäre. In dieser Perspektive war die kühne Vision Zarifis nichts weniger als eine realpolitische und pragmatische Version der megali idea, d.h. der Verbindung der Idee einer unabhängigen griechischen Nation mit dem byzantinischen Reichsgedanken. Über die Gründe für Abdülhamids Ablehnung des griechisch-osmanischen Projekts ist, wie gesagt, nichts bekannt. Vielleicht fürchtete er neben der Verschlechterung der Beziehungen zu Russland, dass weitere Nationalitäten des Reiches Ansprüche auf weit reichende Autonomie erheben könnten. Oder aber er sah die Gefahr, dass die rechtliche und praktische Aushandlung des modus vivendi eines Staatenbundes die Handlungsfähigkeit des Herrschers derart stark einschränken würde, wie es in der Donaumonarchie bereits festzustellen war. Darüber hinaus befürchtete er möglicherweise problematische Implikationen einer solchen Personalunion für seinen Anspruch als Kalif der islamischen Welt. In jedem Fall zeigt die Auseinandersetzung mit den Reformansätzen der anderen europäischen Landimperien, wie intensiv die Entwicklungen in den benachbarten Großreichen wahrgenommen und als mögliche Leitfäden für reichsinterne Reformen diskutiert wurden. Dabei sahen viele Zeitgenossen in den imperialen und nationalen Staatsentwürfen keine zwingenden Gegensätze, sondern versuchten diese in der einen oder anderen Form miteinander in Einklang zu bringen. Und nicht zuletzt verdeutlicht die Annahme, dass sich Griechenland nach der Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich aus eigenem Interesse wieder enger an Konstantinopel würde anlehnen können, wie wenig noch im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts die Dekomposition des Reiches als alternativlos oder unumkehrbar erschien. Zarifis Reichsidee hing wohl eng mit den Hoffnungen zusammen, die er in die Person Sultan Abdülhamids gesetzt hatte. Zweifellos ist die Frage nach Zarifis Einbindung in die imperialen Netzwerke der staatlichen osmanischen Eliten und insbesondere nach seinem Zugang zum Sultan selbst für die Wertung der imperialen Qualität seiner Biographie von entscheidender Bedeutung.

63 Vgl. den Beitrag von Klemens Kapps in diesem Band.



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Zarifi und der Sultan Seit dem Reformedikt von Gülhane 1839 hatte sich der Sultan verpflichtet, auf willkürliche Steuern und Enteignungen (müsadere) zu verzichten. Nach der Münzreform von 1844 enthielt sich der osmanische Staat auch des althergebrachten Mittels der Münzverschlechterung. Seit diesem Zeitpunkt waren Papiergeld und Kredite die einzigen Möglichkeiten zur Finanzierung des sich zuspitzenden osmanischen Staatsdefizits. Der osmanische Kapitalmarkt war einerseits schwach institutionalisiert und andererseits eng an den Staat gebunden.64 Bedingt durch die Transformation des Osmanischen Reichs, die Monetarisierung der Wirtschaft und einige andere spezifische Faktoren lässt sich seit etwa der Mitte des 18. Jahrhunderts ein Wandel in der Funktion der als Gilde organisierten Berufsgruppe der Münzwechsler (sarraf) beobachten, die mit Aufstieg einiger solcher sarrafs zu Großkreditgebern verbunden war.65 Diese sarrafs, die im Übrigen keine homogene Gruppe bildeten, sind als „GalataBankiers“ nach jenem Ort gegenüber von Konstantinopel benannt, an dem sich der osmanische Finanzmarkt herausbildete. Bis etwa 1850 dominierten armenische Bankiers den Finanzplatz in Galata, danach wurden sie zunehmend von griechischen Financiers wie den Zarifis verdrängt.66 Diese hatten in der Regel ihre unternehmerischen Wurzeln nicht im Münzwechselgeschäft, sondern im Handel. Ihr Aufstieg vollzog sich parallel zur Herausbildung eines modernen Bankwesens in Konstantinopel seit etwa den 1840er Jahren.67 Bis zur Einrichtung der internationalen Schuldenverwaltung im Osmanischen Reich durch das sogenannte Muharram-Dekret von 1881 waren die Galata-Bankiers die Hauptfinanciers der kurzfristigen Binnenverschuldung des osmanischen Staates. Für etliche osmanische Banken in Galata war dies sogar das einzige Geschäftsfeld, das, dank der hohen Zinsen von über 10% höchst profitabel, wegen der zunehmend prekären wirtschaftlichen und politischen Situation des Osmanischen Reiches und der Abhängigkeit des Konstantinopler Finanzmarktes von der internationalen Politik zugleich aber außerordentlich riskant und krisenanfällig war.68 Seit dem Krimkrieg, der einen ungeheuren Kapitalbedarf mit sich brachte, versuchte der osmanische Staat, die Ausgabe von Papiergeld und die Aufnahme kurzfristiger Binnenkredite durch langfristige Kredite auf den Finanzmärkten von Paris und London zu ersetzen. Bis zum 1875–76 erfolgenden Staatsbankrott nahm der osmanische Staat insgesamt über 15 solcher langfristiger Kredite zu sich entsprechend seiner 64 Eldem, Ottoman Bank (wie Anm. 20), S. 14–20. 65 Vgl. Yavuz Cezar: The Role of the Sarrafs in Ottoman Finance and Economy in the Eighteenth and Nineteenth Centuries. In: Colin Imber u. Keiko Kiyotaki (Hrsg.): Frontiers of Ottoman Studies: State, Province, and the West. Band 1. London 2005. S. 61–76. 66 Clay, Gold (wie Anm. 20), S. 19; Pepelasis Minoglou, Greek Diaspora Bankers (wie Anm. 19), S. 127f. 67 Pepelasis Minoglou, Greek Diaspora Bankers (wie Anm. 19), S. 128. 68 Solche Krisen ereigneten sich in Konstantinopel in den Jahren 1851, 1861, 1866, 1869, 1871, 1873 und 1875/76. Vgl. Exertzoglou, Development (wie Anm. 26), S. 92, S. 114; Exertzoglou, Greek Banking (wie Anm. 4), S. 164–177; Clay, Gold (wie Anm. 20), passim.

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Finanzlage tendenziell verschlechternden Bedingungen auf. Sie konnten allerdings weder die Binnenverschuldung noch das letzte Notmittel der (weitgehend ungedeckten) Papiergeldemission wirklich ersetzen. Im Endeffekt finanzierten die internationalen langfristigen Kredite die inländischen kurzfristigen, während der Staat immer neue Einnahmequellen verpfändete und zur Deckung seiner laufenden Ausgaben erneut kurzfristige Anleihen zu hohen Zinsen auf dem Binnenmarkt aufnahm, die anschließend wieder durch langfristige konsolidiert werden mussten. Dabei finanzierten sich auch die Galatabankiers nicht zuletzt mit europäischem Kapital, das sie mit Gewinn an den osmanischen Staat kanalisierten. Wegen des Kapitalzuflusses seit dem Krimkrieg hielt sich diese Spekulationsblase, bis sie durch die internationale Wirtschaftskrise von 1873 und zwei Jahre dramatischer Missernten in den Jahren 1873/74 mit dem osmanischen Staatsbankrott zum Platzen gebracht wurde. Der Krieg mit Russland 1877/78 besiegelte endgültig alle Ambitionen, die osmanische Großmachtstellung erhalten zu können. Die Etablierung der internationalen Schuldenverwaltung im Jahr 1881 stabilisierte die osmanischen Finanzen zum Preis einer Einschränkung der osmanischen Souveränität und des Abflusses eines Teils staatlicher Einkünfte an europäische Gläubiger.69 Die sarrafs und Galatabankiers bedienten aber nicht nur den Kreditbedarf des osmanischen Staates, sondern auch den der osmanischen Staatsangestellten sowie der osmanischen Dynastie. Es war dieser Zugang zur osmanischen politischen Elite und ihren finanziellen Ressourcen, welcher die führenden Galatabankiers im osmanischen Zentrum platzierte. An dessen Rand verblieben sie deshalb, weil sie sich letztlich innerhalb des dominanten Staatsapparats nicht institutionell zu verankern vermochten, sondern sich auf eine Politik des networking beschränkten.70 Der oben skizzierte Plan Zarifis für eine osmanisch-griechische Union nach dem Vorbild des österreichisch-ungarischen Ausgleichs, mag in diesem Zusammenhang auch als Versuch gedeutet werden, dies zu ändern. Bereits Yani, der Vater Zarifis, scheint in der Person von Tahir Bey über Verbindungen zum Palast verfügt zu haben. Über Yorgo Zarifi wurde in einem britischen Bericht von 1876 geschrieben, er sei mit sämtlichen Großwesiren befreundet.71 Was ihn jedoch zu diesem Zeitpunkt zu einem politischen Faktor ersten Ranges werden

69 Zum Prozess der osmanischen Staatsverschuldung im 19. Jahrhundert vgl. Donald C. Blaisdell: European Financial Control in the Ottoman Empire. A Study of the Establishment, Activities, and Significance of the Administration of the Ottoman Public Debt. New York 1929; Clay, Gold (wie Anm. 20); Eldem, Ottoman Bank (wie Anm. 20); Exertzoglou, Greek Banking (wie Anm. 4). Einen Fokus auf die Geschäftstätigkeit Zarifis anhand osmanischen Archivmaterials bietet Hulkiender, Zarifi (wie Anm. 2). 70 Vgl. die Formulierung von Exertzoglou, Development (wie Anm. 26), S. 100 bezogen auf die griechische Bourgeoise. Sie gilt aber im Prinzip gleicherweise für alle nichtmuslimischen Teile des osmanischen Wirtschaftsbürgertums. 71 Hulkiender, Zarifi (wie Anm. 2), S. 89; vgl. Clay, Gold (wie Anm. 20), S. 366.



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ließ, war die Tatsache, dass er der persönliche Bankier und Finanzberater des Prinzen Abdülhamid war, der 1876 überraschend den osmanischen Thron bestieg. Während der Tanzimat-Ära wurden die Finanzen der osmanischen Herrscherfamilie auf ein neues System umgestellt. Dem Finanzministerium wurde eine Hazine-i Hassa genannte Finanzinstitution unterstellt, welche dem Sultan und seinen Angehörigen regelmäßige Gehaltszahlungen aus bestimmten Steuerquellen des Reiches sicherstellen sollte.72 Wegen der schwierigen Finanzlage des Reiches konnten diese Überweisungen an die Hazine-i Hassa aber nicht regelmäßig geleistet werden. Daraus und aus den exorbitanten Ausgaben der Dynastie resultierte eine hohe Verschuldung sowohl der Hazine-i Hassa als auch der Angehörigen der Herrscherdynastie. Verschärft wurde die Situation durch die seit der Regierungszeit Sultan Abdülmecids (1839–1861) erheblich vermehrte Bautätigkeit und den kostenintensiven Konsum europäischer Luxusartikel, die in der Regierungszeit von Sultan Abdülaziz (1861–1876) ihren Höhepunkt erreichten. Abdülhamid schränkte die öffentliche Bewegungsfreiheit seiner Verwandten und insbesondere der weiblichen Haushaltsmitglieder des Palastes wieder drastisch ein, sicherlich nicht nur als Reaktion auf diverse Skandale, sondern auch in Hinblick auf die Kosten der dynastischen Lebenshaltung. Ab 1861, zu Beginn der Regierungszeit von Abdülaziz, wurden die Gehaltszahlungen an die Mitglieder der Dynastie außerhalb des großherrlichen Palastes direkt von der Staatskasse übernommen.73 Doch auch auf diese Weise konnten regelmäßige Zahlungen nicht sichergestellt werden und die Angehörigen der Dynastie, beispielsweise der Thronfolger Murad, mussten sich bei privaten Kreditgebern zu teilweise exorbitanten Zinsen verschulden. Diese privaten Kreditgeber waren lokale Bankiers aus Galata. Einige davon wurden direkt zu Hausbankiers der osmanischen Prinzen: Hristaki Zografos (1820–1898)74 für den späteren Sultan Murad V., Yorgo Zarifi für den späteren Abdülhamid II.75 1864 wurde zwischen der Staatskasse auf der einen und Hristaki sowie Zarifi auf den anderen Seite ein Vertrag geschlossen, wonach die monatlichen Gehaltszahlung an die Dynastie bei einem Zinssatz von 12% direkt von diesen Bankiers bezahlt werden sollten. Dieser Vertrag wurde zwar nach einiger Zeit von der Regierung einseitig beendet, aber für die dadurch bei Zarifi und Hristaki entstandenen Schulden der Staatskasse von 15 Millionen Kuruş musste eine Ausgleichslösung ausgehandelt werden.76 Aus der finanziellen Betreuung des Prinzen Abdülhamid durch Zarifi scheint sich zugleich aber auch eine Art freundschaftliche Beziehung zwischen den Beiden entwickelt zu haben. Der Prinz machte regelmäßige Besuche im Hause Zarifi und redete den mehr als dreißig Jahre älteren Bankier mit dem vertraulich-respektvollen babam 72 Hierzu Arzu T. Terzi: Hazine-i Hassa Nezareti. Ankara 2000. 73 Terzi, Saray (wie Anm. 45), S. 30f. 74 Zu ihm Sturdza, Grandes familles (wie Anm. 2), S. 193. 75 Terzi, Saray (wie Anm. 45), S. 36–38. 76 Terzi, Saray (wie Anm. 45), S. 31.

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(mein Vater) an.77 Im Gegensatz zu seinem Bruder Murad gelang es dem Prinzen Abdülhamid, seine Finanzen zu ordnen. Unter Anleitung von Zarifi machte er sogar Spekulationsgewinne an der Börse.78 Am 30. Mai 1876 putschte eine hochrangige Gruppe von Verschwörern gegen den regierenden Sultan Abdülaziz und ersetzte ihn durch den designierten Thronfolger, der als Murad V. den Thron bestieg.79 Es ist wahrscheinlich, dass der Bankier Hristaki Zografos den Putsch finanzierte.80 Unklar ist dagegen die Beteiligung Zarifis.81 Als Murad V. nach drei Monaten wegen offensichtlicher psychischer Probleme wieder abgesetzt werden musste, kam die Reihe der Thronfolge an seinen Bruder Abdülhamid. Dieser war eine bis dahin weitgehend unbeachtete und unbekannte Gestalt und Zarifi eine der wenigen einflussreichen Persönlichkeiten in Konstantinopel, die den jungen Sultan persönlich kannten. Bereits kurze Zeit nach seinem Thronantritt rief er den Bankier in den Palast.82 Während des Krieges mit Russland konsultierte er den englischen Botschafter Layard beinahe täglich entweder durch seinen Vertrauten Said Bey oder aber durch Zarifi.83 Layard beschrieb das Verhältnis des Sultans zu seinem Bankier zwar als eng, machte aber auch deutlich, dass es nicht frei von Ambivalenzen und Interessenkonflikten war: M. Zarifi was a Greek of Constantinople. He had been the Sultan’s private banker before his accession to the throne and had obtained a great deal of influence over him. […] He was, I believe, really attached to the Sultan, and devoted to his service. While not without feelings of patriotism as a Greek, he maintained that the interest of the Greeks and their future independence and aggrandisement would be best promoted by retaining their present connection with the Ottoman Empire. His own interest was certainly best promoted by this connection as he could make much more money in Constantinople than at Athens and out of the Turks than out of the Hellenes. […] The Sultan liked him personally and made use of him but did not entirely trust him as H.M. was well aware that being a Greek he could not be other than an intriguer, and that although, as M.M. 77 Zarifi, Hatıralarım (wie Anm. 2), S. 159. 78 Ali Ergenekon (Hrsg.): Tahsin Paşa: Tahsin Paşa’nın Yıldız Hatıraları. Sultan Abdülhamid. Istanbul 1996. S. 10. 79 Roderic H. Davison: Reform in the Ottoman Empire 1856–1876. Princeton 1963. S. 327–351; Florian Riedler: Opposition and Legitimacy in the Ottoman Empire: Conspiracies and Political Cultures. New York 2011. S. 42–57. 80 Vgl. Davison, Refom, S. 326; Hulkiender, Zarifi (wie Anm. 2), S. 89; Terzi, Saray (wie Anm. 46), S. 66f, S. 213, S. 215. Terzi weist darüber hinaus auf eine Quelle hin, wonach „englisches Geld“ im Spiel gewesen sei. Terzi, Saray (wie Anm. 45), S. 216. 81 Vgl. Hulkiender, Zarifi (wie Anm. 2), S. 89; Terzi, Saray (wie Anm. 45), S. 67f, S. 216; Haydar Kazgan: Abdülhamid Döneminde Galata Bankerleri. In: Mehmet Metin Hülagü [u.a.] (Hrsg.): Devr-i Hamid. Sultan II. Abdülhamid. Kayseri 2011. Band 2. S. 328–330 argumentiert als einziger explizit für die Beteiligung Zarifis am Putsch gegen Abdülaziz, wenn auch ohne substantiellen empirischen Beleg. Sein Hauptargument ist, dass Zografos Beteiligung an dem Putsch außer Frage stehe, Zografos zu dieser Zeit in allen Angelegenheiten Geschäftspartner Zarifis gewesen sei und es daher undenkbar sei, dass Zografos allein den Putsch finanziert habe; ebd. S. 328. 82 İbnülemin Mahmud Kemal İnal: Osmanlı Devrinde Son Sadrıazamlar. Band 1. Istanbul 1940. S. 116. 83 Kuneralp, The Queen’s Ambassador (wie Anm. 61), S. 66.



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remarked to me on one occasion, “he was fond of the Sultan, he was still fonder of M. Zarifi”. His outspokenness, his quaint conversation verging sometimes on buffoonery and the tales and tattle he brought from Pera and Galata amused the Sultan and he was always a welcome visitor at Yildiz where he was treated with unusual familiarity.84

Zarifi glaubte wohl ernsthaft, massiven politischen Einfluss auf den jungen Sultan ausüben zu können,85 anders ist seine Initiative für eine Personalunion des griechischen Königtums und des osmanischen Sultanats nicht zu erklären. Aber Abdülhamid blieb undurchschaubar, reserviert und darauf bedacht, die Kontrolle zu behalten.86 Auf der anderen Seite lehnte Zarifi den Memoiren seines Enkels zufolge das Ansinnen des Sultans, ihn zum osmanischen Staatsbürger zu machen und ihn dafür in den Rang eines Wesirs zu erheben, ebenso ab, wie er sich einem der osmanischen Orden verweigerte, deren Vergabe auch im Osmanischen Reich zum Bestandteil der symbolischen Politik geworden war.87 Zarifi sah sich bemüßigt, vor jeder Auslandsreise, den Sultan in Kenntnis zu setzen und quasi seine Genehmigung einzuholen. Als diese Genehmigung bei einem Anlass ausblieb und Zarifi trotzdem reiste, bildete dies den Auftakt zu einer Abkühlung des Verhältnisses zwischen den beiden, eine Entwicklung, die in den Memoiren auf die Intrigen des griechischen Leibarztes von Abdülhamid, Spiridon Mavroyeni Paşa, zurückgeführt wird.88 Doch auch die exorbitant hohen Zinsen für kurzfristige Kredite Zarifis und seine Forderung nach Verpfändung immer neuer Staatseinkünfte scheinen zunehmend das Missfallen des Sultans erregt zu haben.89 Selbst Gerüchte von Korruption machten die Runde.90 Letztlich war das Verhältnis zwischen Zarifi und dem Sultan wohl von einem auf Gegenseitigkeit beruhenden Desillusionierungsprozess geprägt. Zarifi sah seine Hoffnung getäuscht, den Sultan für seine Vision eines griechisch-osmanischen Imperiums als Inkarnation der megali idea begeistern zu können, während sich der Sultan Zarifi eher als loyalen osmanischen Untertan und Finanzminister, denn als griechischen Bankier gewünscht hätte.

84 Kuneralp, The Queen’s Ambassador (wie Anm. 61), S. 66f 85 Vgl. Zarifi, Hatıralarım (wie Anm. 2), S. 159. 86 Vgl. Georgeon, Abdulhamid II (wie Anm. 3), S. 54–56. Siehe auch Hulkiender, Zarifi (wie Anm. 2), S. 106f. 87 Vgl. aber Clay, Gold (wie Anm. 20), S. 637, n. 155. An seiner Stelle wurde Yorgo Zarifis Frau mit dem Şevkat Nişanı, einer von Abdülhamid gestifteten Auszeichnung für Frauen bedacht. Vgl. Zarifi, Hatıralarım (wie Anm. 2), S. 160. 88 Zarifi, Hatıralarım (wie Anm. 2), S. 160f. 89 Vgl. Hulkiender, Zarifi (wie Anm. 2), S. 112, S. 114, S. 117f. 90 Hulkiender, Zarifi (wie Anm. 2), S. 127.

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Imperiale Ordnungen und Lebenswege: Schlussbemerkungen Wenn eine der Grundannahmen für das Konzept einer imperialen Biographie ist, die Partikularität der Lebensführung innerhalb der Bedingungen einer imperialen politischen und sozialen Ordnung gegenüber dem dominanten Paradigma des Nationalstaats und des Nationalismus zurückzugewinnen, ist Yorgos Zarifi sicher ein Paradebeispiel eines solchen Lebenswegs und -entwurfs. Dabei ist jedoch zu beachten, dass das Imperium des 19. Jahrhunderts bereits mit dem Konzept des Nationalismus und des Nationalstaates „infiziert“ war. Die Biographie Zarifis lässt sich ohne den Hintergrund des griechischen Nationalismus nicht verstehen, nicht nur weil er auf der Beibehaltung seiner um 1830 erworbenen griechischen Staatsbürgerschaft beharrte. Imperium und Nation waren für ihn Gleichzeitigkeiten und keine sich gegenseitig ausschließende Bestandteile einer Dichotomie. In seinem Reichsbild waren verschiedene Bezugspunkte der Loyalität und Identität miteinander in Einklang zu bringen. Des Weiteren gilt es zu vermeiden, diese volatile Synthese als statisch anzunehmen. Es ist argumentiert worden, dass ihre Dynamik ein „window of opportunity“ beinhalten konnte, eine kurze Zeitspanne, in der das Zusammendenken verschiedener Affiliationen unter dem imperialen Dach als reale politische Perspektive erschien. Diese Gelegenheiten erwiesen sich letztlich als Illusion, so auch im Fall von Zarifis Plan einer griechisch-osmanischen Union. Was nach der Desillusionierung blieb, war das, was die imperiale Biographie Zarifis immer mehr bestimmt haben dürfte, als jegliche politisch-ideologische Perspektiven: die Realität des Osmanischen Reiches als einer praktischen Tatsache, deren Möglichkeitsspektrum es auszunutzen galt. Der individuelle Karriereweg eines Financiers des Herrscherhauses war unauflöslich verbunden mit den ökonomischen und sozialen Strukturen des Großreichs. Diese „pragmatische“ Haltung war sicherlich mit durch den Umstand bedingt, dass eine politische institutionelle Verankerung Zarifis und der Galatabankier fehlte und sie ihren politischen Einfluss letztlich nur auf der Basis informeller Netzwerke geltend machen konnten. Die Hinwendung zu einer betont konservativ-islamischen Herrschaftsrhetorik unter dem autokratisch regierenden Sultan Abdülhamid II. trug ebenfalls zu ihrer politischen Isolierung bei. Insofern befanden sich Zarifi und ähnlich gesinnte Akteure kaum in einer Position, in der sie als osmanische Reformer hätten auftreten oder gar derart weitreichende politische Gestaltungspläne hätten umsetzen können, wie dies Zarifi in seiner Vision einer osmanischen Adaption des österreichisch-ungarischen Ausgleichs angedacht hatte. Der politische Gestaltungsspielraum dieser Personen blieb trotz des teilweise direkten Zugangs zum Herrscher eher begrenzt. Die Tatsache, dass sich die Biographie Zarifis auch sehr gut mit dem Konzept der griechischen unternehmerischen Diaspora fassen lässt, weckt andererseits gewisse Zweifel daran, ob seine Karriere eine typisch imperiale war. Es liegt in dieser Pers-



Yorgo Zarifi (1807–1884) 

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pektive näher, sie als transnational denn als imperial zu charakterisieren. Auf der anderen Seite ist festzuhalten, dass er gewiss die spezifischen Möglichkeiten nutzte, die ihm der Finanzplatz Konstantinopel bot. Diese waren aber in mancher Hinsicht doch mindestens ebenso durch die imperialistische Struktur der internationalen Politik und Ökonomie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gekennzeichnet wie durch die imperiale Ordnung des Osmanischen Reiches. Als imperial ist die Biographie Zarifis – wie die der übrigen nichtmuslimischen Galatabankiers – aber von der größtenteils durch das Nationalstaatsparadigma geprägten Geschichtsschreibung der Nachfolgestaaten des Osmanischen Reiches im 20. Jahrhunderts eingeschätzt worden: Diese Biographie passte weder in die griechische noch in die türkische Nationalhistoriographie und blieb deshalb unthematisiert. Erst in der jüngeren Vergangenheit hat sich dies im Zusammenhang mit der historiographischen Neubewertung des Osmanischen Reiches zu ändern begonnen. Es werden dabei die Wandlungsfähigkeit, die Heterogenität und die Uneindeutigkeiten des Vielvölkerreichs wiederentdeckt – und damit auch imperiale Lebensläufe wie der Zarifis.

V. Intellektuelle und Akademiker

Jan Surman

Imperiale go-betweeners Józef Dietl und Tomáš Garrigue Masaryk zwischen Imperium, Wissenschaft und Nationalpolitik

Abb. 20: Józef Dietl (1804–1878). Portrait als Präsident Krakaus

Abb. 21: Tomáš Garrigue Masaryk, (1850–1937)

Die vielzitierten Worte Goethes „Wer den Dichter will verstehen, muß in Dichters Lande gehen“ können als Ausgangspunkt der Überlegungen zur akademischen Pere­ grinatio gestellt werden. Ich will damit allerdings nicht implizieren, dass für einen erfolgreichen Berufs- und Wissenschaftswerdegang Mobilität unabdingbar sei, obwohl die gegenwärtige Wissenschaftspolitik dies als Prämisse nimmt. Vielmehr situiert diese Aussage einen historisch kontingenten Diskurs der akademischen Migration, der um die Mitte des 19. Jahrhunderts nach einer vormärzlichen Periode der Absperrung gegenüber dem Ausland auch die Habsburger Monarchie erfasste. Als rhetorisches Mittel, um die Offenheit eigener Kultur der „Weltwissenschaft“ gegenüber zu symbolisieren und somit das Argument der Abschließung im „Ghetto der eigenen Sprache“ abzuwenden, wurde es auch während der Nationalisierungsprozesse etwa der tschechisch- oder polnischsprachigen Wissenschaft aufgegriffen. Dennoch blieb es nicht unumstritten, wie Formen und Folgen dieser Mobilität in

312 

 Jan Surman

der Praxis aussehen sollten.1 Bereits in dieser Zeit war also akademische Mobilität kein neutraler Akt, sondern Teil eines breiteren Prozesses des Definierens und Stabilisierens von Kulturen. Demgegenüber haben sich die Untersuchungen wissenschaftlicher Mobilität auf die Inhalte beruflicher Tätigkeit konzentriert –Theorien, Zugänge, Fragestellungen, Methoden oder implizites Wissen;2 auch die mitgenommenen Geräte oder Bücher, die personenunabhängige Trajektorien weiterentwickeln, wurden in der jüngeren Literatur analysiert. Nachdem die vermeintliche Transnationalität wissenschaftlichen Wissens infrage gestellt wurde, haben sich die jüngsten Forschungen auf Transformationen und Translationen des Wissens konzentriert.3 Im Vergleich dazu konzentriert sich der Ansatz der imperialen Biographien, wie er in diesem Beitrag verstanden wird, auf die Konsequenzen des durch Imperien ermöglichten und bedingten Karriereverlaufs im Sinne von „imperial careering“, wie David Lambert es nannte.4 Imperien schufen eine multilinguale Landschaft, aus der sich später eine multinationale entwickelte; ob die Idee von Multikulturalität hier zutrifft, oder Imperien im Sinne von staatnationalen Ideen doch eine Kultur waren, kann hier nicht weiter erläutert werden. Gewiss gab es, so Ernst Brückmüller, „a Habsburg society“, die unter anderem die Armee, das diplomatische Korps, Politiker und Beamte umfasste sowie eine Gruppe, die Brückmüller nicht einschloss, die Händler.5 Der Wirkungs- und Erfahrungsraum dieser Personen erstreckte sich auf den Raum der Monarchie. Ans andere Ende könnte man zunächst etwa lokal gebundene und nicht transimperial mobile Bauern oder Bewohner von Kleinstädten stellen, deren Berührungsfläche mit den imperialen Phänomenen minimal war. Doch auch diese

1 Vgl. Kateřina Bláhová: České dějepisectví v dialogu s Evropou (1890–1914) [Tschechische His­to­ riographie in einem Dialog mit Europa (1890–1914)]. Prag 2009 und Diskussionen in der Zeitschrift Nauka Polska. Jej potrzeby, organizacja i rozwój [Polnische Wissenschaft. Ihre Bedürfnisse, Orga­ni­sa­ tion und Entwicklung] 1920–1923. 2 Für Übersicht vgl. z.B. Michael Ash: Wissens- und Wissenschaftstransfer: Einführende Bemer­kun­ gen. In: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 29. Heft 3 (2006). S. 181–189; über neuere Entwicklungen im Überblick informiert Veronika Lipphardt u. David Ludwig: Wissens- und Wissenschaftstransfer. In: Europäische Geschichte Online (EGO), hg. vom Institut für Europäische Geschichte (IEG), Mainz 28.09.2011. http://www.ieg-ego.eu/lipphardtv-ludwigd-2011-de (05.09.2013). 3 Sehe z.B. Kapil Raj: Relocating Modern Science: Circulation and the Construction of Scientific Knowledge in South Asia and Europe: 1650–1900. New York [u.a.] 2007. 4 David Lambert u. Alan Lester (Hrsg): Colonial Lives across the British Empire: Imperial Careering in the Long Nineteenth Century. Cambridge 2006. Zu einem ostmitteleuropäischen Beispiel solcher Analyse, ohne Rekurs auf das Konzept imperialer Biographie vgl. die Biographie von Aleksandra und Petro Efimenko in: Andreas Kappeler: Russland und die Ukraine. Verflochtene Biographien und Geschichten. Köln [u.a.] 2012. 5 Ernst Bruckmüller: Was There a “Habsburg Society” in Austria-Hungary? In: Austrian History Yearbook 37 (2006). S. 1–16. Siehe hier auch die Beiträge von Klemens Kaps und Fredrik Lindström in diesem Band.



Imperiale go-betweeners 

 313

waren größtenteils, wie die letzten Forschungen unterstreichen, dem Kaiser loyal und national indifferent.6 Wo in diesem Koordinatennetz die akademischen Wissenschaftler zu verorten wären, ist auf den ersten Blick nicht einfach zu bestimmen.7 Sie waren, fast per defi­ nitionem des wissenschaftlichen Habitus transnational und transstaatlich ausgerichtet, auch wenn der Austausch mit nicht-habsburgischen Gelehrten in dem speziellen Fall der vormärzlichen Donaumonarchie durch Zensur deutlich begrenzt war. Wie ich im Detail unten noch zeigen werde, prägte sie auch die Erfahrung innerstaatlicher Mobilität – in Form von peregrinationes, die allerdings nicht unbedingt wortwörtlich verstanden werden sollten. Dennoch spielten sie in der Nationalisierung eine nicht geringe Rolle, wie meine beiden Beispiele im zweiten Teil veranschaulichen sollen. Im Folgenden soll die Gruppe der mobilen Akademiker unter zwei Aspekten untersucht werden. Zuerst werde ich mich skizzenhaft dem kollektiven Erfahrungshaushalt nähern, nämlich der Frage, inwiefern die an den Universitäten tätigen Gelehrten in der Habsburgermonarchie inner- und transimperial mobil waren. Oder anders gesagt: Kann man in dem Fall von „imperial careering“ sprechen, oder waren andere Karriereverläufe vorherrschend? Anschließend will ich mich zwei exemplarischen imperialen Biographien widmen – Józef Dietls (1804–1878) und Tomáš Garrigue Masaryks (1850–1937). Dietl war Professor für Medizin an der Jagiellonen Universität in Krakau, deren zweiter freigewählter Rektor 1861–1862 und später langjähriger Bürgermeister Krakaus. Der weit besser bekannte Masaryk war tschechischer Starphilosoph und Wissenschaftsmanager avant la lettre sowie prominenter jungtschechischer Politiker, der 1918 erster Präsident der Tschechoslowakei wurde. Auf den ersten Blick, sowie in der gängigen Historiographie, sind dies also Karrieren die „national“ und nicht „imperial“ waren, auch wenn eine Gemeinsamkeit die längeren Studien in Wien waren. Dennoch war die imperiale Mobilitätserfahrung, wie ich zeigen werde, nicht nur für ihre Karrieren ausschlaggebend, sondern bedingte ihr politisches Handeln in den jeweiligen nationalen bzw. sich nationalisierenden Rahmen. Obwohl mehrere Möglichkeiten der Einflussnahme des Imperiums auf wissenschaftliche Karrieren bestanden, sind Dietl und Masaryk insofern untypisch, als hier nicht ein Wissenschaftstransfer sondern Wissenstransfer im Vordergrund stand, das heißt die Ein6 Zum Ansatz vgl. Tara Zahra: Imagined Noncommunities: National Indifference as Category of Analysis. In: Slavic Review 69 (2010). S. 93–119 und Laurence Cole u. Daniel L. Unowsky (Hrsg.): The Limits of Loyalty: Imperial Symbolism, Popular Allegiances, and State Patriotism in the Late Habsburg Monarchy. New York 2007. 7 Klassische Studien zur akademischen Migration haben diese Fragen kaum berücksichtigt. Vgl. exemplarisch Rüdiger Peter Hartmud u. Natalia Tikhonov (Hrsg.): Universitäten als Brücken in Europa. Studien zur Geschichte der studentischen Migration. Frankfurt/Main [u.a.] 2003; Witold Molik: Polskie peregrynacje uniwersyteckie do Niemiec: 1871–1914 [Polnische akademische Peregrinationen nach Deutschland: 1871–1914]. Poznań 1989; zur habsburgischen Mobilität weiterhin grundlegend: Richard Georg Plaschka u. Karlheinz Mack (Hrsg.): Wegenetz europäischen Geistes. 2 Bände. Wien 1987–1990.

314 

 Jan Surman

stellungen und Fähigkeiten, die in nicht-wissenschaftlichen und nicht-akademischen Kontexten eingesetzt wurden. Die Verbindung von imperialem Karriereverlauf und einer das wissenschaftliche Feld transzendierenden Tätigkeit bietet daher die Möglichkeit, die Effekte kulturell-interlingualer und räumlicher Mobilität mit der Transgression kultureller Felder zu vergleichen.

Imperiale Akademiker: Sprache, Karriere und Mobilität8 Wer die Frage der inner-imperialen Mobilität der Wissenschaftler untersucht, sieht sich mit dem Problem der sich stark wandelnden Struktur des universitären Umfelds der Habsburger Monarchie im 19. Jahrhundert konfrontiert. In Vormärz waren die Universitäten deutschsprachige, stark berufsbildende Anstalten. Mit Ausnahme der medizinischen Fakultäten wurde dort keine Wissenschaft im modernen Sinne betrieben. Zentren bildeten Universitäten in Pest, Prag und Wien; Graz, Innsbruck, Lemberg, Pavia, Padova und Olomouc wurden nach einer Periode der Degradierung zu Lyzeen im Jahr 1827 wieder zu Universitäten hochgestuft, allerdings ohne medizinische Fakultäten. Mit Theologie, Jura und philosophischem Vorbereitungsstudium stellten sie zwar regionale Ausbildungszentren, kaum jedoch akademische transregionale Bildungszentren dar. In mehreren Städten bestanden Lyzeen bzw. selbständige philosophische Fakultäten, die damals auf das Universitätsstudium vorbereiteten. Nach 1848 wurde dieses System schrittweise umgestaltet, erhielt (zunächst gesetzliche und nicht unbedingt praktizierte) Autonomie sowie Lehr- und Lernfreiheit. Die Universitäten in Pest, Lemberg und das 1846 in das Kronland Galizien inkorporierte Krakau erhielten schrittweise das Recht, in der jeweiligen Landessprache zu unterrichten; Pavia und Padova gingen an Italien verloren; in den 1870er Jahren wurden Universitäten in Czernowitz, Cluj und Zagreb errichtet, und schließlich wurde 1882 die Prager Karl-Ferdinand-Universität in eine Deutsche und eine Tschechische geteilt. Somit wandelte sich das zentralisierte schulische System in ein dezentralisiertes System mit fünf Hauptunterrichtssprachen (Deutsch, Kroatisch, Polnisch, Tschechisch, Ungarisch) sowie zwei weiteren Sprachen in denen gelehrt werden durfte (Italienisch, Ukrainisch). Zweifelsohne waren daher die Voraussetzungen für Mobilität vor und nach 1848 unterschiedlich. Die Zahlen mobiler Gelehrter in der vormärzlichen Periode sind unbekannt, dennoch sollen die wichtigsten Charakteristiken damaliger imperialer Bewegungsmuster genannt werden. In erster Linie beabsichtigte die Regierung den Austausch zwischen Provinzen und Zirkularität. Professoren wurden an die Provinzuniversitäten gesandt und als Krönung der Karriere konnten sie nach Wien, Prag oder 8 Wenn nicht anders genannt, bezieht sich dieses Kapitel auf Feststellungen und Daten aus Jan Surman: Habsburg Universities 1848–1918: Biography of a Space. Unveröffentlichte Dissertation. Wien 2012.



Imperiale go-betweeners 

 315

Pest zurückkehren. Berufungen aus dem Ausland waren verboten. Das System war sehr zentralistisch, was bewirkte, dass Professoren aus Niederösterreich und Böhmen auch an den Provinzuniversitäten dominierten. Dies wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und in der späteren Historiographie als Unterdrückung der Nationalitäten gedeutet.9 Es wurde kritisiert, dass die Professoren im Umkreis deutschsprachiger Eliten verkehrten und somit auf die Eigentümlichkeiten der Provinz (d.h. deren Nationalitäten) nicht reagierten. Diese verkürzte Sichtweise kann natürlich von mehreren Seiten kritisiert werden. Sehr wohl gab es Gelehrte, die die Nationen unterstützten; deutschsprachige Eliten waren auch Teile der provinziellen Bevölkerung und deren Kultur; in mehreren Fällen seit Jahrhunderten, in einigen, wie in Lemberg, verstärkt seit der Eingliederung Galiziens in die Monarchie. Sicherlich nahmen die vormärzlichen, mobilen Professoren (wie übrigens auch Lehrer insgesamt) eine wichtige Rolle im Wissens- und Wissenschaftstransfer ein, schrieben für die lokalen Medien, berichteten aus den Provinzen und unterstützten die lokalen Vereine. Die Mobilität nach Wien löste auch dort kulturelle Produktivität aus, die mit der Metapher vom „melting pot“ umschrieben werden könnte. Als Beispiel kann die sogenannte Zweite Wiener Medizinische Schule dienen. Deren Gründer Ferdinand Hebra, Josef Škoda und Carl Rokitansky kamen aus Böhmen und Mähren (Hebra); der Ideologe des „therapeutischen Nihilismus“ war der Galizier Józef Dietl; der Pionier der Hygiene am Krankenbett Ignaz Semmelweis kam aus Buda. Mehrsprachigkeit und die Möglichkeit späterer variabler ethnischer Zuordnung der Gründer, sowie die Mobilität von Semmelweis und Dietl waren Faktoren, die es erlaubten, die Zweite Wiener Medizinische Schule als eine im Namen ausgedrückte Lokalität weit übertreffende, imperiale Erscheinung zu sehen.10 Mit den Reformen 1849 und der Neugründung der Philosophischen Studien als gleichberechtigte Fakultät veränderten sich schrittweise professorale Mobilität und Karrierestruktur. Die Professoren an deutschsprachigen Universitäten, so die Statistik der medizinischen und philosophischen Fakultäten, erhielten meistens ihre Habilitation in Wien, wurden dann als außerordentliche Professoren an die provinziellen Universitäten berufen, um anschließend schrittweise an größere Universitäten 9 Vgl. die Darstellung der Vormärzlichen Universitäten, v.a. Ludwik Finkel u. Stanisław Starzyński: Historya Uniwersytetu Lwowskiego [Geschichte der Lemberger Universität]. Lemberg 1894. 10 Diese bestärkt sich nicht nur aus der Lektüre der neueren Historiographie, sondern auch durch die Lektüre der Berufungsprotokolle – so war etwa der Krakauer Anatom Alfred Biesiadecki ex aequo vorgeschlagen für den Lehrstuhl nach Rokitansky, siehe die Berufungsakte Richard Heschl in Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Ministerium für Cultus und Unterricht [im weiteren ÖStA, AVA, MCU], fasz. 600, Personalakte [im weiteren PA] Heschl, Z. 232, 13.5.1875. In­ haltsreiche Darstellung der Schule bietet Erna Lesky: The Vienna Medical School of the 19th Century. Baltimore 1976; differenziertere Übersichten bieten Hvězdoslav Stefan, Olga Procházková u. Ivo Šteiner: Karel Rokitanský [Karl Rokitansky]. Hradec Kralove 2005); Felicitas Seebacher: „Freiheit der Naturforschung!“. Carl Freiherr von Rokitansky und die Wiener Medizinische Schule: Wissenschaft und Politik im Konflikt. Wien 2006; Tatjana Buklijas: Surgery and national identity in late nineteenthcentury Vienna. In: Studies in History and Philosophy of Biological and Biomedical Sciences 38 (2007). S. 756–774.

316 

 Jan Surman

berufen zu werden. Diese Hierarchie entsprach der Reihenfolge (Wien)-InnsbruckGraz-Prag-Wien. Nach 1875 und der damit verbundenen Gründung der Universität in Bukowina nahm diese einen Platz neben der Tiroler Hochschule ein. Bis zum jeweiligen Sprachenwechsel lehrten jüngere deutschsprachige Professoren auch in Pest und Lemberg, nur vereinzelt in Krakau. Die polnischsprachigen Universitäten in Galizien zogen nach dem Sprachenwechsel stärker polnischsprachige Gelehrte aus dem Russischen Reich als von anderen habsburgischen Universitäten an. Mit wenigen Ausnahmen verblieb die tschechische Karlsuniversität in Prag bei eigenem Nachwuchs sowie im Austausch mit den tschechischsprachigen Technischen Universitäten in Prag und Brno. Ab 1860 gab es auch fast keinen Austausch zwischen den Universitäten der beiden Hälften der Doppelmonarchie. Die skizzenhafte Auflistung, die in den Tabellen 1 und 2 zusammengefasst wird, konzentriert sich auf mobile Gelehrte – einem prozentual geringeren Teil der Lehrenden (45% an der Philosophischen, 30% an der Medizinischen Fakultät), die vor allem Professoren einschließen. Jene Gelehrten, die akademisch nicht über die Privatdozentur aufstiegen, blieben mehrheitlich nur an einer Universität. Diese Statistik ist allerdings durch eine große Anzahl von in Wien lehrenden Privatdozenten nicht symmetrisch. Sicherlich war eine akademische Karriere ab den 1860er Jahren nicht mehr imperial im Sinne von Transkulturalität. Karriereverläufe konzentrierten sich immer mehr in anderen, sprachbedingten Räumen, die auch transimperiale Gebiete einschlossen. Im Jahr 1870 kamen etwa 20% der Lehrenden, vor allem Professoren, an deutschsprachigen Universitäten von Universitäten des Deutschen Bundes außerhalb der Habsburger Monarchie. In Galizien hatten etwa 45% der im Jahr 1910 Lehrenden ihre Doktorurkunden von nicht-habsburgischen Universitäten erhalten. Während an den deutschsprachigen Universitäten immer weniger Ausländer tätig waren, stieg deren Zahl in Galizien. Die Mobilität, wie sie am Beispiel der Philosophischen Fakultäten 1849–1914 in der Tabelle 3 dargestellt wird, verlief vornehmlich innerhalb der einsprachigen Universitäten. An die philosophische Fakultät der tschechischen Karlsuniversität in Prag zum Beispiel kamen nur drei Gelehrte, die an anderen Universitäten der Monarchie lehrten (Jan Jarník und Tomáš Garrigue Masaryk 1882 sowie der Slawist František Pastrnek 1895). Mehr habsburgische Gelehrte kamen an die galizischen Universitäten: Bis zum Sprachenwechsel waren es vor allem deutschsprachige Gelehrte, danach Polnisch sprechende, die in Wien studierten sowie die Professoren für den deutschsprachigen Lehrstuhl der deutschen Sprache und Literatur. Eine Ausnahme war Leopold Adametz, der in Krakau 1891 den Lehrstuhl für Tierzucht und Molkereiwesen bezog.11 Wenn für die Berufungen an nicht-deutschsprachige Universitäten die Sprache ein Ausschlusskriterium darstellte, so gab es auch beinahe keine Nominationen in die umgekehrte Richtung, obwohl Kenntnisse des Deutschen unter slawischen und ungarischen Wissenschaftlern weiterhin die Norm blieb. Hier kann deutsch-österreichischer Nationalismus 11 Zbigniew Staliński: Leopold Adametz (1861–1941). In: Zbigniew Staliński (Hrsg): Złota Księga Akademii Rolniczej. Krakau 2000. S. 62–67.



Imperiale go-betweeners 

 317

als Ursache gesehen werden, allerdings auch die Unkenntnis der Arbeiten in slawischen Sprachen und somit auch deren Autoren durch die nominierenden Fakultäten. Dennoch sollte festgehalten werden, dass imperiale Karrieren, die Mobilität innerhalb einsprachiger Universitäten, wie auch zwischen sprachlich konnotierten Kulturen auch nach 1849 eine wichtige Rolle in der kulturellen Produktivität der Monarchie spielten. Sie beeinflussten die Entwicklung der jeweiligen Hochschulen, griffen aber auch nicht selten tiefer in die Umgestaltung der kulturellen Kontaktverläufe ein, auch wenn sie diese nicht unbedingt vereinfachten. So brachten die an den galizischen Universitäten lehrenden deutschsprachigen Professoren oft die polnischsprachigen Professoren und die Stadtöffentlichkeit gegen sich auf. Der Philosoph Karl BarachRappaport etwa wurde zur Zeit des Sprachwechsels beinahe aus Lemberg verjagt;12 Tabelle 1: Anteil von Lehrenden an Habsburgischen Universitäten mit Ausbildung an anderen Universitäten Universität

Karriere an anderer Universität

Medizinische Fakultät

Philosophische Fakultät

Wien

Promotion Habilitation

außerordentlicher Professor 19% 14%

ordentlicher außerProfessor ordentlicher Professor 29% 33% 35% 18%

ordentlicher Professor

Graz

Promotion Habilitation

74% 50%

88% 83%

79% 71%

90% 85%

Innsbruck

Promotion Habilitation

81% 58%

94% 67%

73% 61%

79% 77%

Deutsche Universität in Prag

Promotion Habilitation

27% 25%

65% 70%

73% 50%

91% 83%

Krakau

Promotion Habilitation

25% 16%

55% 53%

74% 49%

79% 79%

Lemberg

Promotion Habilitation

57% 57%

90% 90%

78% 60%

85% 79%

55% 54%

Quelle: Eigene Berechnungen auf Grundlage von biographischen Datenbänke der medizinischen und philosophischen Fakultäten der Habsburger Monarchie 1848–1918 [Surman: Habsburg Universities (wie Anm. 8); online: https://phaidra.univie.ac.at/detail_object/o:105883]

12 So der Berufungsakt seines Nachfolgers Euzebiusz Czerkawski: Archiwum Główne Akt Dawnych, C.K. Ministerstwo Wyznań i Oświaty [Hauptarchiv für alte Akten, Ministerium für Kultus und Un­ter­ richt; im weiteren AGAD, MWiO], fasz. 118u, PA Czerkawski, Z. 8147, 19.06.1871.

Wien

4% 53% 9% 0% 6% 0% 0% 0%

23% 4% 7% 8%

Wien Graz Innsbruck Prag Prag, deutsch Prag, tschechisch Krakau Lemberg 4% 49% 8% 0% 5% 0% 0% 0%

81% 24% 54% 8% 10% 1% 10% 5%

0% 0%

0%

1% 8% 35% 0% 0%

0% 0%

0%

0%

3% 3% 57% 0%

Graz Innsbruck

69% 24% 20% 7%

Medizinische Fakultät

Wien Graz Innsbruck Prag vor 1882 Prag, deutsch Prag, tschechisch Krakau Lemberg

Philosophische Fakultät

Habilitation in

Promotion in

1% 3%

16%

3% 0% 0% 86% 6%

0% 0%

8%

12%

1% 1% 0% 70%

0% 0%

0%

4% 3% 4% n/a 77%

0% 0%

0%

40%

2% 0% 0% n/a

1% 3%

0%

0% 5% 0% 3% 0%

14% 18%

1%

0%

12% 11% 7% 9%

2% 14%

0%

0% 0% 0% 0% 0%

9% 3%

0%

0%

0% 0% 0% 0%

0% 0%

76%

0% 0% 0% n/a 0%

0% 0%

79%

0%

0% 0% 0% n/a

Prag Prag Deutsches Russisches Prag, vor 1882 Deutsch Reich Imperium Tschechisch

80% 54%

1%

0% 0% 0% 0% 0%

53% 7%

0%

0%

0% 0% 0% 0%

Krakau

89% 78%

92%

81%

91% 92% 91% 85%

1% 16%

0%

96% 95%

95%

0% 93% 0% 88% 0% 100% 0% 97% 0% 99%

7% 42%

0%

0%

0% 0% 0% 0%

Lem- % in berg all PD

318   Jan Surman

Tabelle 2: Orte der Promotion der Dozenten, die an Universitäten der Monarchie habilitierten

Anmerkung: Nur die erste Habilitation wurde berücksichtigt. Prozentzahlen sind berechnet für alle Privatdozenten, inklusive den mit unbekanntem Ort der Promotion und Promotion an anderen Hochschulen; Prozentanzahl fehlender Daten = 100-letzte Kolumne. Russländisch-Imperiale Magister und Kandidatengrade gelten als Promotion.

Quelle (auch für Tab. 3, S. 319): Eigene Berechnungen auf Grundlage von biographischen Datenbänke der medizinischen und philosophischen Fakultäten der Habsburger Monarchie 1848–1918 [Surman: Habsburg Universities (wie Anm. 8); online: https://phaidra.univie.ac.at/ detail_object/o:105883]

2%

107

28%

54%

28%

22%

41%

31%

53%

60%

57%

58%

58%

64%

268

1855–1859

1860–1864

1865–1869

1870–1874

1875–1879

1880–1884

1885–1889

1890–1894

1895–1899

1900–1904

1905–1909

1910–1914

20%

20%

12%

24%

10%

22%

25%

24%

36%

18%

17%

23%

35%

1850–1854

27%

36%

Mit anderen deutschsprachigen Hochschulen in der Habsburger Monarchie

1849

Zwischen deutschsprachigen Universitäten

60

68

2%

11%

14%

10%

8%

8%

18%

14%

20%

8%

0%

17%

32%

18%

DeutschesReich/ Imperium nach Deutschsprachige Habsburg Universitäten (ohne Galizien)

20

2%

2%

0%

8%

4%

0%

2%

2%

2%

8%

11%

11%

3%

0%

Deutschsprachige Habsburg Universitäten nach Galizien

25

0%

0%

0%

4%

0%

0%

4%

5%

20%

12%

14%

6%

3%

18%

Galizien nach Deutschsprachige Habsburg Universitäten

3

0%

0%

0%

2%

0%

0%

4%

n.a

n.a

n.a

n.a

n.a

n.a

n.a

Deutschsprachige Habsburg Universitäten nach Tschechische Karlsuniversität

9

4%

1%

4%

0%

0%

0%

2%

0%

5%

0%

0%

6%

0%

0%

Nicht-Deutsches Ausland nach deutschsprachige Habsburg Universitäten 100% 11 100% 31 100% 18 100% 28 100% 25 100% 41 100% 44 100% 45 100% 40 100% 50 100% 51 100% 50 100% 81 100% 45 N=560

Summe

Imperiale go-betweeners 

24%

7%

4%

8%

4%

30%

16%

14%

7%

8%

4%

17%

3%

0%

Deutschsprachige Habsburg Universitäten nach Deutsches Reich/ Imperium (ohne Galizien)

  319

Tabelle 3: Mobilität der Gelehrten an der Philosophischen Fakultät 1849–1914

Anmerkung: N = Anzahl der einzelnen Hochschulwechsel, nicht gleichbedeutend mit Personen. Quelle vgl. S. 318.

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dem später als Vermittler zwischen Tschechen und Deutschen in Prag bekannten August Sauer wurde die Anstellung als Professor in Lemberg nach dreijähriger Supplentur verwehrt, da er Kontakte mit polnischsprachigen Kollegen sowie der polnischen Teilöffentlichkeit Lembergs mied. Dennoch gelang den meisten Gelehrten die Anpassung an die geänderten Sprach- und Kulturverhältnisse, sie wirkten zum Beispiel als Übersetzer oder unterhielten, wie etwa Heinrich Zeissberg, Kontakte mit früheren Kollegen und vermittelten „zwischen Kulturen.“13 Die imperiale Karriere entsprach allerdings nicht immer der freien Wahl. Bezeichnend hierfür waren mehrere Galizier, die in Wien studierten und deren Namen ihre jüdische Herkunft andeuten (z.B. Cäsar Pomeranz, Johann Hofmokl, Friedrich Pineles).14 Antisemitismus beeinflusste die Mobilität auf vielfache Art und Weise. Der Archäologe Arthur Mahler zum Beispiel konnte sich in Prag aufgrund der gegen ihn gerichteten Angriffe nicht habilitieren und zog in die Bukowina; dem Soziologen Ludwik Gumplowicz war als Jude die Karriere in Krakau versagt, woraufhin er nach Graz übersiedelte.15 Mehrere Nominationen wurden mit Verweis auf Antisemitismus an kleineren Universitäten nicht bestätigt; bezeichnend viele Juden lehrten in Czernowitz oder fanden Beschäftigung nur an damaligen akademischen Instituten. Für viele war die Entscheidung, an eine provinzielle Universität zu wechseln schlicht und einfach finanziell begründet, da größere Universitäten viele Privatdozenten anlockten, die untereinander um Studenten und damit auch um Kollegiengelder in Konkurrenz standen. Diese Auflistung führt allzu schnell in das Reich der Aussagen, die in Bezug auf Auswirkungen akademischer Mobilität mehrfach untersucht wurden und die zu wiederholen nicht sinnvoll wäre. Transferiert wurden Geräte und Bücher oder sogar ganze Denksysteme – etwa die „deutsche“ analytische Philosophie durch Kazimierz Twardowski, ein Schüler von Franz Brentano in Wien und später Professor in Lemberg, dessen Schüler die international berühmte Lemberg-Warschau Schule der Philosophie in der Zwischenkriegszeit gründeten. Imperial mobile Forscher dienten oft als Vermittler, konnten aber auch Konflikte hervorrufen. Man könnte den Fall des Chirurgen Eduard Alberts nennen, der sich als in Wien tätiger Böhme für interkultu13 Zu Zeissberg vgl. Mirosław Franić: Österreichisch-Polnische Begegnungen der Historiker. In: Józef Buszko u. Walter Leitsch (Hrsg.): Österreich – Polen: 1000 Jahre Beziehungen. Krakau 1996. S. 509– 525. 14 Vgl. zu dieser Frage auch die Biographie von Albert Zipper in Wiesław Bieńkowski: Konstant von Wurzbach und Albert Zipper. Aus der Geschichte der österreichisch-polnischen kulturellen Be­zie­hun­ gen im 19. und 20. Jahrhundert. Krakau 1996. S. 481–507. Zipper war einer der in Lemberg abgelehnten jüdischen Habilitanden. AGAD, MWiO, fasz. 122u, PA Zipper, Z. 146, 26.11.1881; Deržavnyj archiv L’vivs‘koi oblasti [Staatliches Archiv der Oblast Lemberg], fond 26, opys 7, sprava 226. 15 Siehe den Brief vom Rektor der Universität in Czernowitz (14.1.1908, Z. 455) in Archiv Univerzity Karlovy, Filozofická Fakulta Německé Univerzity v Praze, Archiv Univerzity Karlovy, inventární číslo 249, fasz. 12, L/53 PA Mahler; Zu Gumplowicz siehe: Jan Surman u. Gerald Mozetič (Hrsg.): Dwa życia Ludwika Gumplowicza. Wybór tekstów. Warschau 2010.



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relle Beziehungen und Austausch einsetzte und als „zu deutsch für die Tschechen und zu tschechisch für die Deutschen“ angesehen wurde.16 Diese Uneindeutigkeit bezogen auf Identität – zumindest in den Augen der bereits durch das Prisma der Nation denkenden Zeitgenossen und der entsprechenden Historiographie – prägte im 19. Jahrhundert zunehmend die imperiale Mobilität der Gelehrten. Aus einer nicht unbeträchtlichen Liste der „imperialen“ mobilen Gelehrten sollen nun zwei von ihnen eingehender, wenn auch skizzenhaft dargestellt werden. Es handelt sich um zwei Wissenschaftler, deren Tätigkeit nicht in den Mauern der Universität eingeschlossen blieb, sondern die auch politische Prozesse in Galizien sowie Böhmen und Mähren gestalteten. Somit öffnet sich ein mehrdimensionales Transfergeflecht, in dem die „imperiale“ Mobilität eine Schlüsselerfahrung darstellt. Dabei sollen jedoch keine kohärenten Lebensgeschichten nach dem Modus des Imperialen konstruiert werden. Vielmehr sollen in den Lebenswegen beider Gelehrten, die bereits biographisch mehrmals bearbeitet worden sind, Inkonsistenzen unterstrichen, die eine Linearität der durch die nationale Brille erzählten Leben unterbrechen und ihr imperiales, mehrfach mobiles Dasein in den Vordergrund gerückt werden. Die Berücksichtigung des Imperiums, so meine These, hilft dabei „to plumb the spheres of action and the possibilities of individual ways with greater exactitude”17 – ohne dass es die einzelne Variable sein kann, die das Mosaik des Lebens dieser zentraleuropäischen Wissenschaftler bestimmte.

Józef Dietl: Vom Mitbegründer des therapeutischen Nihilismus in Wien zum Bürgermeister von Krakau Józef Dietl wurde 1804 in Pidbush in Ostgalizien geboren und entstammte einer kulturell gemischten Familie. Sein Vater Franz Dietl war Beamter aus einer aus Ungarn nach Galizien eingewanderten deutschsprachigen Familie. Seine Mutter Anna Kulczycka war eine verarmte Adelige. Rückblickend beschrieb er diese hybride Stellung folgendermaßen: „Ich bin [geboren] auf ruthenischer Erde, aus polnischer Mutter und Vater von ehemals deutschem Geschlecht. Die Vorsehung hat mich daher mit drei verschiedenen Elementen (żywioły) ausgestattet: der Sturheit eines Ruthenen, der Raschheit eines Polens und der Geschäftigkeit eines Deutschen.“18 16 Tatjana Buklijas: Dissection, discipline and urban transformation: anatomy at the University of Vienna, 1845–1914. Unveröffentlichte Dissertation. Cambridge 2005. S. 207. 17 Simone Lässig: „Introduction: Biography in Modern History – Modern History in Biography.“ In: Volker Berghahn u. Simone Lässig (Hrsg): Biography between Structure and Agency: Central European Lives in International Historiography. New York 2008. S. 1–26, hier S. 19. 18 Józef Dietl: O zwadach i radach rzeczypospolitej lekarskiej czyli Sen młodego akademika [Zanken und Räte ärztlicher Republik oder Traum eines jungen Akademikers], Hrsg. von Adam Wrzosek. In: Archiwum Historii i Filozofii Medycyny 4 (1926). S. 107–113, S. 225–229, hier S. 109.

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Der junge Józef – damals noch Joseph – lernte in Sombor (Sambir), Tarnau (Tarnów) und Neu Sandez (Nowy Sącz), ehe er an die Lemberger Universität kam. Obwohl das habsburgische Schulsystem damals deutschsprachig war, konnte Dietl auch polnisch, im wortwörtlichen Sinne seine Muttersprache. Ob es auch in dem jetzt üblichen Sinne verstanden werden kann, ist unwahrscheinlich – seine Briefe aus jungen Jahren schrieb er auf Deutsch und Französisch. Polnisch war, so sein Biograph Adam Wrzosek, seine schwächste Sprache.19 Da der junge Student sich der Medizin widmen wollte, standen ihm wenige Alternativen zur Verfügung – volle medizinische Fakultäten gab es nur in Pest, Prag und Wien. Die habsburgische Hauptstadt war auch der Ort, den der junge Bakkalaureus nach der Vollendung seines philosophischen Propädeutikums in Lemberg zur Fortsetzung seiner Studien wählte. 1829 schloss er sein Studium mit einer Dissertation mit dem Lateinischen Titel: Quaedam circa midicinae securitatem.... Auf dem Titelblatt stand neben seinem Namen auch die regional-kulturelle Zuordnung, die die üblichen Kategorien transzendierte: Galizianus. Nach dem Studium war Dietl Assistent von Johann Baptist Andreas Ritter von Scherer am Lehrstuhl für spezielle Naturgeschichte und ab 1830 zusätzlich in den staatlichen und städtischen Kommissionen für Cholerabekämpfung tätig. Der „feurige“ Mediziner, wie sich Adolf Kussmaul an den Besuch in Wieden erinnerte,20 machte eine beachtliche Karriere in den habsburgischen Diensten. Die Spezialisierung für Cholera und Typhus erwies sich für sein berufliches Vorankommen im habsburgischen Staatsgesundheitsapparat als besonders dienlich, denn 1831 und 1832 suchten Choleraepidemien die Stadt heim. Dies half Dietl, sich beruflich zu profilieren und die Einkünfte aus seiner Praxis als Privatarzt zu verbessern: Er hatte zuerst die Funktion des k.k. Polizei-Bezirksarztes des Wiener Bezirks Wieden inne, 1841 übernahm er die Stelle des Primärarztes der Abteilung für innere Krankheiten des neugegründeten Wieden-Spitals, die 1845 bestätigt wurde.21 Im Jahr 1848 wurde Dietl sogar Lokal-Direktor des Spitals.22 Mit den Jahren wurde Dietl auch eine andere staatsnahe Rolle zugetraut – er bereiste die Spitäler Europas und Asiens (Osmanisches Reich) und verfasste Berichte, die der Errichtung eines neuen Krankenhauses in Wien dienen sollten. Die Tatsache, dass er Anstalten von Stockholm bis Konstantinopel bereisen und sich dort auch mehrere Tage aufhalten konnte, zeugt von dem in 19 Adam Wrzosek: Młodość Józefa Dietla [Die Jugend von Józef Dietl]. In: Józef Dietl, pierwszy prezydent miasta Krakowa, znakomity lekarz, profesor i rektor Uniwersytetu Jagiellońskiego, patrjota polski: w 50-tą rocznicę śmierci [Józef Dietl, der erste Präsident der Stadt Krakau, vorzüglicher Arzt, Professor und Rektor der Jagiellonen Universität, polnischer Patriot: zum 50. Geburtstag]. Krakau 1928, S. 61. 20 Adolf Kussmaul: Jugenderinnerungen eines alten Arztes. Stuttgart 1902. 21 Zeitschrift der K. K. Gesellschaft der Aerzte zu Wien 1845, S. 429; Von Anfang an war Dietl auch in dem Direktorium des Spitals, vgl. den Jahresbericht des Bezirks-Krankenhaus Wieden in: Wiener Zeitung, 05.02.1843 (36), S. 268–269. 22 Wiener Zeitung, 01.04.1848 (92), S. 429.



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ihn gesetztes Vertrauen.23 Gleichwohl muss bemerkt werden, dass unter Historikern Skepsis herrscht, da Dietls „Herzenswunsch“24, die akademische Arbeit in dieser Zeit nicht in Erfüllung ging und die Anerkennung, die er genoss, nicht mit finanziellem Status entschädigt wurde. In den 1840er Jahren feierte Dietl auf jeden Fall nicht nur Erfolge in der beruflichen Karriere des Praktikers, sondern konnte vermehrt publizieren – seine Veröffentlichungen aus dieser Periode haben ihm den Status des führenden Vertreters des therapeutischen Nihilismus zuerkannt, eine Methode, deren Anzeichen bereits in seiner Dissertation zu finden sind.25 Mit seinen Forderungen der Verwissenschaftlichung der Medizin und der Vorreiterrolle für die pathologische Anatomie und Genauigkeit der Beobachtung befand er mitten in der Zweiten Wiener Medizinischen Schule – vor allem durch seine 1845 erschienene Schrift Praktische Wahrnehmungen nach den Ergebnissen im Wiedner-Bezirkskrankenhause, welche in der medizinhistorischen Literatur als Manifest der neuen Generation habsburgischer Medizin und des „therapeutischen Nihilismus“ angesehen wird.26 Das im nächsten Jahr erschienene Buch Die anatomische Klinik der Gehirnkrankheiten sicherte ihm eine Vorreiterrolle für die nach 1848 entstandene Neuroanatomie Theodor Meynerts.27 Schließlich stellte das 1849 veröffentlichte Werk Der Aderlaß in der Lungenentzündung einen statistischen Nachweis über die Schädlichkeit der alten Heilpraktik und führte zu teils heftigen Auseinandersetzungen unter der Ärzteschaft.28 Diese kleine biographische Skizze von Dietls Karriere soll nur aufzeigen, dass der aus Galizien stammende Arzt bis 1848 eine wichtige Position im habsburgischen Medizinsystem innehatte. Seine offiziellen Funktionen korrespondierten mit einer 23 Marcel Chahrour: ,A civilizing missionʻ? Austrian medicine and the reform of medical structures in the Ottoman Empire, 1838–1850. In: Studies in History and Philosophy of Science Part C: Studies in History and Philosophy of Biological and Biomedical Sciences 38 (2007). S. 687–705, hier S. 700. Seine Reiseberichte erschienen als Josef Dietl: Kritische Darstellung europäischer Krankenhäuser, nach eigenen Reisebeobachtungen. Wien 1853; einzelne Beiträge wurden in der Zeitschrift der K. K. Gesellschaft der Aerzte zu Wien veröffentlicht. 24 So Claudia Wiesemann: Josef Dietl und der therapeutische Nihilismus: zum historischen und politischen Hintergrund einer medizinischen These. Frankfurt/Main 1991. S. 14. 25 Vgl. die aus der Dissertation hervorgehende deutschsprachige Schrift: Einige Worte über die Zuverlässigkeit der Heilwissenschaft zur besonderen Beherzigung für Nichtärzte. Wien 1829. 26 Josef Dietl: Praktische Wahrnehmungen nach den Ergebnissen im Wiedner-Bezirkskrankenhause. In: Zeitschrift der k.u.k. Gesellschaft der Aertze zu Wien 1 (1845). S. 12–42; Axel Bauer: Therapeutik, Therapiemethode. In: Werner E. Gerabek [u.a.] (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. Berlin 2005. S. 1388–1393; Vgl. auch Kommentare zur polnischen Übersetzung von Dietl, Wahrnehmungen (wie Anm. 26), in: Acta Medicorum Polonorum 3 (2013). 27 Heinz Böcker: Psychoanalyse und Psychiatrie: Geschichte, Krankheitsmodelle, Praxis. Heidelberg 2006. S. 55–57; für die Informationen über Dietls Rolle danke ich Bernhard Bolech. 28 Vgl. aus einer Reihe der Rezensionen und Besprechungen den Bericht von C.A.W. Richter in: Wochenschrift für die Gesamte Heilkunde 12 (1850). S. 183–192; und anonyme Rezensionen in The Monthly Journal of Medial Science 12 (1850). S. 61–70; Norsk Magazin for Lægevidenskaben 4 (1850). S. 709–719.

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starken Position unter den Vertretern der Zweiten Medizinischen Schule – er wird oft als der talentierteste Schüler von Skoda beschrieben. Obwohl Dietl keine universitäre Position innehatte, bleibt es unsicher, ob er sich auf eine solche bewarb. Er war finanziell abgesichert und das Wiedner Krankenhaus lieferte ihm genügend Untersuchungsmaterial für die eigene Forschung. In den frühen 1830er Jahren, noch als Assistent an der Wiener Universität, bewarb er sich zwar um einen Lehrstuhl für Naturgeschichte in Padua, weitere Versuche sind jedoch nicht bekannt.29 Ein weiterer beruflicher Wechsel ereignete sich 1851 und kann als eine Kehrtwende in der imperialen Biographie des Arztes gesehen werden. Am 10. Februar 1851 wurde Dietl nach Krakau berufen. In der Berufungsliste des Ministeriums stand Dietl an erster Stelle, wofür nicht nur seine wissenschaftlichen Verdienste, sondern auch Sprachkenntnisse ausschlaggebend waren.30 Dietl wurde zunächst vom Professorenkollegium angefragt und an erster Stelle in dem Dreiervorschlag dem Ministerium unterbreitet. Obwohl dies den damaligen Gesetzen entsprach, forderte das Ministerium einen Konkurs und die Berücksichtigung weiterer Kandidaten – vor allem von Gustav Löbl aus Wien, der von Skoda empfohlen wurde. Dennoch entschied sich die Fakultät, und vor allem deren Referent Fryderyk Skobel nochmals für Dietl, was das Ministerium dieses Mal akzeptierte.31 Wenn Sprache doch als entscheidender Faktor in Skobels Vorschlag angesehen werden muss, so sollte der neue Professor in Krakau auch die Universitätsklinik leiten, wofür Dietls frühere Erfahrungen in Wieden mit Sicherheit von Bedeutung waren. Von dem Zeitpunkt an ändert sich nicht nur das Arbeitsprofil des Internisten – vom Praktiker zum praktizierenden Wissenschaftler – sondern auch die Sprache seiner Abhandlungen. Er publiziert zwar für einige Jahre weiter auf Deutsch, allerdings dominiert allmählich die polnische Sprache seine Veröffentlichungsliste. In seiner Antrittsvorlesung wird der Sprachenwechsel in Verbindung mit seiner Karriere gebracht: die Worte, „Ja was będę uczył medycyny, a wy mnie nauczycie języka polskiego“ [Ich werde euch Medizin lehren und ihr mir die polnische Sprache] können als frühe Anzeichen seines Patriotismus gedeutet werden, und diese Einsicht dominiert die bisherige Forschung. Andererseits war Dietl dazu verpflichtet, die polnische Sprache zu erlernen, und es kann nicht ausgeschlossen werden, dass er sich nach 28 Jahren in Wien nicht hundertprozentig kompetent fühlte. Zudem war die Sprache polnischer wissenschaftlicher Medizin weiter in Entwicklung begriffen.32 Diesen besonderen Soziolekt musste Dietl auf jeden Fall neu erlernen. 29 Wiesemann, Josef Dietl (wie Anm. 24), S. 12. 30 ÖStA, AVA, MCU, fasz. 1103, PA Dietl, Z. 168, 10.2.1851. 31 Archiwum Uniwersytetu Jagiellońskiego [Archiv der Jagiellonen-Universität, Krakau], WL II 164, Dokumente betreffend die Zeit 1850–1851. 32 Vgl. z.B. die zeitgenössische Darstellung der Problematik in Józef Majer: Uwagi w przedmiocie zasad słownictwa lekarskiego w szczególności zaś w przedmiocie zasad tworzenia i oceniania wyrazów lekarskich polskich [Anmerkungen über die Regeln des polnischen medizinischen Vokabulars, vor allem bezüglich der Regeln der Bildung und Bewertung polnischer medizinischer Wörter]. Krakau 1849.



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Die ersten Jahre von Dietls Arbeit fielen in ein Dezennium politischer Unruhen und Umwälzungen. In dieser Zeit gelang es Dietl hohes Ansehen zu erlangen, nicht nur in ärztlicher, sondern vielmehr in wissenschaftspolitischer und schließlich auch außeruniversitär-politischer Hinsicht. 1856, also noch zu der Zeit, als die politischen Ämter an der Universität vom Ministerium vergeben und dem Studiendirektor unterstellt wurden, wurde ihm die Würde des Dekans verliehen. In dieser Funktion nahm er etwa 1860–1861 an den Verhandlungen um die Wiedereinführung der polnischen Unterrichtssprache an der Universität teil.33 Ab 1861 setzte er sich als Reichstagsabgeordneter um die verstärkte Autonomie der Universität und Berücksichtigung der galizischen Landessprachen in den Schulen ein.34 Da er als Interpellant fungierte, kann man davon ausgehen, dass er der Redeführer der galizischen Polen im Reichsrat war, zumindest in den Angelegenheiten der Universität. Schließlich wurde er zum Rektor der Jagiellonen-Universität gewählt.35 Die Erfolge Dietls als Politiker – woran, vor allem auf Habsburgischer Ebene seine Stellung und Erfahrung als Direktor und Polizei-Bezirksarzt in Wieden sicherlich Einfluss hatten – gingen Hand in Hand mit seiner wissenschaftlichen Tätigkeit. Auch hier kann eine Wende von Habsburg zu Galizien festgestellt werden, die den politischen Interessenswechseln ähnelte. Zwei Beispiele seines breiten Tätigkeitsfelds sollen genügen, um diesen Punkt zu erläutern. Im Jahre 1857 initiierte Dietl eine galizienweite Untersuchung des sogenannten Plica polonica, des Weichselzopfs. Damals war der kołtun – wie der lateinische Name schon andeutet – eine unter polnischen Bauern, aber auch unter Adeligen verbreitete, modische Erscheinung, die mitunter volkspatriotisch gedeutet wurde. Auch durch Beimischung von klebenden Substanzen (Immergrün, Alkohol, Fett, Wachs etc.) war die erreichte Verfilzung der Haare oft mit Erkrankungen der Kopfhaut verbunden. Es war allerdings umstritten, ob der Zopf eine Ursache dieser Krankheit war oder ob diese unabhängig davon auftrat. Dietl untersuchte bis 1857 mehrere Fälle, die bereits damals anzudeuten schienen, dass es sich um einen lebensgefährlichen Hygienemangel handelte, nicht um eine eigene Krankheit. Dabei behalf er sich chemischen und pathologischen Untersuchungen und Statistiken von über 1000 Fällen, sowie den von galizischen Ärzten eingesandten Berichten. Der Weichselzopf war in der Zeit bereits seit mehreren Jahren umstritten und es gab bereits mehrere Abhandlungen, die ihn als Ursache von Krankheiten sahen. Dennoch, wie auch die von Dietl

33 Siehe die Berichte in Czas, 10.11.1860 (258), 15.11.1860 (262), 22.11.1860 (268), 19.12.1860 (290), 20.12.1860 (291), 24.02.1861 (46), 20.03.1861 (66). 34 Sehe z.B. die Interpellationen vom 29. Mai 1861, in: Stenographische Protokolle über die Sitzungen des Hauses der Abgeordneten in der I. Reichsrath-Session (vom 29. April 1861 bis 18. Dezember 1862). Wien 1862. S. 174–176. 35 Adam Chmel: Dietl jako rektor uniwersytetu Jagiellońskiego [Dietl als Rektor der JagiellonenUniversität]. In: Wrzosek, Józef Dietl (wie Anm. 19), S. 111–120, hier S. 112.

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analysierten Berichte zeigten, gab es mehrere Ärzte, die den Weichselzopf nicht als Ursache der Krankheiten identifizierten.36 Dietls Kritik am kołtun als Erscheinung fehlender Hygiene war mit einer Reihe praktischer Hinweise verbunden, wie dieser aus Galizien verbannt werden kann. Diese beinhalteten polizeiliche Maßnahmen, Disziplinierung in Schulen und Ämtern, Hinweise für Ärzte und Priester und vieles mehr. Bald bekundeten sowohl das Galizische Landesregierung wie auch das Ministerium für Inneres ihre Unterstützung und Dietl’s Weichselzopfschriften überschritten damit deutlich die Grenze des Akademischen – mit ihm als direkt verhandelnden Konsultanten. Die zweite Schiene Dietls wissenschaftlicher Arbeit betraf Balneologie und im speziellen die Untersuchung der Heilquellen. Bereits 1854–1855 bereiste Dietl Quellenanstalten im In- und Ausland und schickte seine Berichte an die Wiener Medizini­ sche Wochenschrift; ab 1856 widmete er sich den galizischen Quellen, etwa Krynica,37 Iwonicz und Swoszowice. Die Publikationen in deutscher und polnischer Sprache38 hatten, so wie im Fall des Weichselzopfs, eine gründliche wissenschaftliche Basis und waren mit hygienischen und politischen Vorschlägen verbunden. Er forderte den Ausbau der galizischen Kurorte und die Suche nach neuen Heilwässern mit speziellen Eigenschaften. Besonders deutlich wird es in der deutschen Version der Berichte, in der Dietl bemängelt, dass die reichen galizischen Quellen „über die Gränzen (sic!) desselben hinaus fast eine terra incognita sind.“39 Auch bei diesen Untersuchungen konnte Dietl bereits vor 1860 auf Unterstützung zählen: 1858 wurde in Rahmen der Krakauer Wissenschaftlichen Gesellschaft (Towarzystwo Naukowe Krakowskie) eine balneologische Kommission gegründet, die sich mit der Untersuchung und dem Ausbau der Heilquellen beschäftigte. So ist etwa die Revilitalisierung von Krynica und Swoszowice mit dem Namen von Dietl verbunden.40 Diese zwei Publikationsstränge von Dietl sollen mehrere Punkte der „imperialen“ Seite Dietls Biographie verdeutlichen. Zum ersten publizierte er seine gesamte wissenschaftliche Laufbahn hindurch, auch in Krakau, sehr intensiv auf Deutsch, was für Krakauer Ärzte, die sich zum Polentum bekannten, nicht unbedingt üblich 36 Für einige war es durch spezielle Eigenschaften des Blutes und Nervensystems produzierte Haarverfilzung; andere sahen es durch einen Parasiten (Trichomaphyton Günsbergi) ausgelöst; andere wiederum als eine Ablagerung einer Krankheit, deren Abschneiden zur Verschlechterung des Patientenzustands führen kann. Józef Dietl: Sprawozdanie komissyi w Towarzystwie naukowém Krakowskiém zawiązanej w celu zbadania choroby kołtunem zwanéj [Bericht der Kommission in der Krakauer Wissenschaftlicher Gesellschaft bezüglich der Krankheit, die bekannt ist als kołtun]. In: Rocznik Ces. Król. Towarzystwa Naukowego Krakowskiego 7 (1862). S. 235–424. 37 Józef Dietl: Der Kurort Krynica in den galizischen Karpathen des Neusandecer Kreises in historischer, topographischer und therapeutischer Beziehung. Krakau 1857. 38 Die Publikationen Dietls in polnischer Sprache wurden zum Teil aus dem Deutschen von Dr. Mi­ chał Zieleniewski übersetzt. 39 Józef Dietl: Galizische Badereisen I. In: Wiener Medizinische Wochenschrift 9 (1859). S. 379–380. 40 Lucyna Rajchel u. Jacek Rajchel: Krynica Zdrój – historia uzdrowiska [Krynica Zdrój – Geschichte eines Kurortes]. In: Balneologia Polska 1–2 (2005). S. 60–64.



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war. Damit blieb Dietl der Wiener Medizin verbunden und wurde von deren Vertretern hoch geschätzt – was die Meldungen nach seiner Emeritierung 1865 bezeugen.41 Dem entspricht auch eine vermittelnde Position im politischen Leben: ein in Würzbachs Lexikon zitierter zeitgenössischer „Sillouetteur“ der Zeitschrift Bohemia meinte darüber: „[Dietl] zählt zu den Gemäßigteren seiner Partei, die auf das nationale Moment ihrer Sendung nicht den alleinigen Schwerpunct legen.“42 Zweitens führte Dietl seine Interessen aus dem Vormärz, das Primat der naturwissenschaftlichen Untersuchungen und der natürlichen Heilungsmethoden über Medikation weiter aus. Die Interessen für Heilquellen und der Kampf gegen die Plica polonica waren hier nur Fortführungen seiner Modernisierungsagenda, die durch frühere Artikel über die Bekämpfung von Aderlass und Schröpfung sowie die Verbesserung der Krankenhausanstalten bereits ausgearbeitet waren. Drittens – und hier zeigt sich ein deutlicher Wechsel – konzentriert sich Dietl immer mehr auf Galizien und Polen. Seine Untersuchung über den Weichselzopf schließt Fälle aus dem Königreich Polen und Litauen ein; das geringere Vorkommen des kołtun in Ostgalizien wird wiederum auf andere kulturelle und religiöse Bräuche der ruthenischen Bauern zurückgeführt. In der Buchpublikation über Heilquellen kommen die in jener Zeit politisch belasteten Bezeichnungen von „naród“ und „ojczyzna“ vor, die zwischen Staat und Nation schwanken; habsburgische Städte wie Karlsbad/Karlovy Vary oder Teplice wurden als „zagranica“ (Ausland) beschrieben.43 Seine Kritik an dem Besuch der Heilquellen außerhalb Galiziens und die Aufforderung zu stärkerer finanzieller Beteiligung der Eliten am Ausbau lokaler Kurorte kann durchaus als Programm des polnisch-galizischen „wirtschaftlichen Nationalismus“ gedeutet werden.44 Dieser Wechsel von einem Wissenschaftler zum politisch engagierten pro-polnischen Intellektuellen verstärkte sich in den 1860er Jahren. Seine Rektoratsrede beinhaltete deutliche Kritik an der früheren Regierungspolitik, vor allem an der beschnittenen Autonomie und Unterdrückung der polnischen Sprache im Unterricht. Im gleichen Jahr veröffentlichte er einen Appell an polnischsprachige Gelehrte und forderte sie zur Habilitation in Krakau auf. Als „obywatel spod Tuchowa“ (Bürger von der Nähe zu Tuchów) und Michał Wiarosław publizierte er anonyme Schriften über Einheit zwischen sozialen Schichten in Galizien bei den Wahlen zum Reichsrat und Landtag. Schließlich spricht er offen über die Polonisierung des Schulsystems, als er 1866 die wichtigste Studie über Galiziens Schulsystem in Buchform veröffentlichte. 41 Medizinische Wochenschrift 15 (1865). S. 1231, S. 1371, S. 1395. 42 „Dietl, Joseph“. In: Constantin Wurzbach (Hrsg): Biographisches Lexikon des Kaisertums Oesterreich, enthaltend die Lebensskizzen der denkwürdigen Personen, welche seit 1750 in den öster­ reichischen Kronländern geboren wurden oder darin gelebt und gewirkt haben. Band 11 (KárolyniKiwisch und Nachträge). Wien 1864. S. 393–394, hier S. 394. 43 Jósef Dietl: Uwagi nad zdrojowiskami krajowémi ze względu na ich skuteczność, zastósowanie i urządzenie Cz. 1. [Anmerkungen zu den Landeskurorten über ihre Effektivität, Verwendung und Einrichtung, T. 1]. Krakau 1858. S. 27. 44 Dietl, Uwagi (wie Anm. 43), S. 32.

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Bis Mitte des 1860er war er dafür weniger aktiv im Reichsrat, wo er sich kaum als Redner meldete. Dennoch, als die Universität ihn 1865 zum Rektor wählte, wurde die Bestätigung verzögert, Dietl binnen weniger Tagen pensioniert, im rechtlich zulässigen, aber unüblich jungen Alter von 61 – und die Wahl daher als ungültig erklärt. Nicht nur die Krakauer, sondern auch die Wiener Zeitungen deuteten die Vorgehensweise des Ministeriums als einen politischen Akt, um einen Polen zugeneigten, öffentlich präsenten Gelehrten als Sprecher der Universität zu verhindern. Das folgende Jahr brachte aber eine weitere Wende in Dietls Leben, als er zum Krakauer Bürgermeister vorgeschlagen wurde. In der Zeit wurde er zu einem der führenden Politiker der Konservativen. Ironischerweise wurde er damit auch erster gewählter Bürgermeister Krakaus, denn 1865 wurde der Stadt die autonome Stadtverwaltung erneut zuerkannt. Zugleich erhielt er das Goldene Verdienstkreuz mit Krone, ein paar Jahre später den noch wichtigeren Orden der Eisernen Krone III. Klasse – die politischen Probleme Dietls konnten also nicht so gravierend gewesen sein. Mit dem Wechsel von der Wissenschaft in die Politik hatte Dietl nun die Möglichkeit, als Entscheidungsträger die Lokalpolitik zu bestimmen. Hier zeigte er wiederum verstärktes Interesse für Hygiene und eine Übersetzung seiner früheren wissenschaftlich fundierten Programme in die planerische Praxis. In seinem 1871 veröffentlichten Programm setzte Dietl die Prioritäten in der hygienischen Umgestaltung auf Kanalisation, Gehwege und Straßen (mit einem direkten Verweis auf Stadthygiene)45, Wasserversorgung und ein öffentliches Schlachthaus. Erst an späterer Stelle kamen die Schulen, ein Lazarett für Todeskranke sowie die Renovierung des Rathauses und der Tuchhalle auf dem Hauptplatz.46 Dietls Wechsel vom therapeutischen Nihilisten in Wien zum hygienischen Aktivisten in Krakau verdeutlicht, dass die imperiale Vergangenheit in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts keinen Ausschluss von Nationalisierungsprozessen bedeutete. Dennoch stand Dietl nicht für kulturellen Isolationismus. Als gemäßigt konservativer Politiker, deutsch und polnisch wissenschaftlich publizierender Autor und Reformer der Krakauer Akademie, setzte er sich für kulturellen Austausch innerhalb des Imperiums ein, der aber durch die Selbstbestimmung polnischer Galizier erreicht werden sollte. Im Vergleich zu vielen Stimmen seiner Zeit, die eine Polonisierung der Ruthenen forderten, oder sie nicht einmal als eine eigenständige Kultur ansahen, setzte er sich auch für Anerkennung ihrer Rechte ein. Die Erfahrungen in Wien brachten also nicht nur karrieretechnische Vorteile, sondern auch eine „imperiale“ Sichtweise auf die kulturellen Prozesse – ein Punkt, der am Beispiel der Biographie von Masaryk nun verdeutlicht werden soll. 45 Józef Dietl: Projekt uporządkowania miasta Krakowa w ogólnych zarysach skreślony przez Prezy­ denta Miasta, odczytany na posiedzeniu Rady Miejskiéj w dniu 5 stycznia 1871 r. odbytém [Projekt der Gestaltung der Stadt Krakau in allgemeinen Umrissen, geschrieben von dem Präsidenten der Stadt, verlesen bei der Sitzung des Stadtrates am 5. Januar 1871]. Krakau 1871. S. 6. 46 Dietl, Projekt (wie Anm. 45), S. 14.



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Tomáš Garrigue Masaryk: Vom Wiener Privat­ dozenten zum Tschechoslowakischen Präsidenten Der 1850 an der Mährisch-Slowakischen Grenze geborene Masaryk kann als einer der bekanntesten tschechischen Intellektuellen bezeichnet werden, dessen Leben in unzähligen Monographien in mehreren Sprachen untersucht wurde. Es sollen hier daher nur die Punkte hervorgehoben werden, die die Verbindung zwischen „imperial careering“, nationalem Umfeld und Translation zeigen. Wie Dietl war auch Masaryk in einer kulturell gemischten familiären und lokalen Umgebung aufgewachsen, die keineswegs geradlinig auf eine Nationalität hinwies. Er selber äußerte sich hier widersprüchlich – seine Mutter beschrieb er mal als eine Deutsche, mal als Slowakin, Mährin oder Hanakin; den Vater als ungarischen Slowaken; sich selber als Slowaken, Mähren oder Tschechen.47 „Als Knabe habe ich keinen Nationalismus gekannt, höchstens Lokalpatriotismus,“ erinnerte er sich in den 1920er Jahren, eine Aussage, die, obwohl sie mitten in der Reorganisation der ethnisch durchmischten Tschechoslowakei durch einen integrativ wirkenden Präsidenten getätigt wurde, angesichts der mährischen nationalen Indifferenz der Habsburgerzeit plausibel klingt.48 Čejkovice (Czeikowitz) und Hustopeče (Auspitz), wo Masaryk Volksschule und Gymnasium besuchte, waren ethnisch durchmischte Orte, in Fall von Bezirkshauptmannstadt Hustopeče, mit deutschsprachiger Mehrheit. Auch sein weiterer Bildungsweg zeichnete sich durch kulturelle Pluralität aus. Finanziert durch Privatunterricht in adeligen und großbürgerlichen Familien konnte er das Gymnasium in Brünn (Brno) und schließlich die Wiener Universität besuchen, wo er schließlich Philosophie studierte. Nach dem Doktorat konnte Masaryk dank Stipendien Italien und Deutschland bereisen. In Leipzig, wo er einen längeren Studienaufenthalt absolvierte, traf er die unitarische Amerikanerin Charlotte Garrique, die er 1877 in New York heiratete. Damit hatte er – selbst Katholik – noch eine konfessionelle Heterogenität in sein Leben eingeführt. 1879 habilitierte er sich als Privatdozent mit einer Dissertation über Selbstmord als soziale Massenerscheinung. In den weiteren drei Jahren war er der erste Gelehrte an der Philosophischen Fakultät; er unterrichtete Soziologie, eine damals im habsburgischen Universitätssystem eher verpönte Disziplin. In Wien arbeitete er auch intensiv an der Verfassung seines „Systems der Soziologie“. Im Jahr 1882 folgte er aber einem Ruf nach Prag, wo eine neue, tschechischsprachige Universität gegründet wurde, an der er eine außerordentliche Professur bekam. Zu diesem Entschluss nötigte ihn vor allem die fehlende Chance auf eine baldige Professur in Wien. Und wie bereits bei Dietl, war Zweisprachigkeit ein Wett47 Roland J. Hoffmann: T. G. Masaryk und die tschechische Frage: Nationale Ideologie und politische Tätigkeit bis zum Scheitern des deutsch-tschechischen Ausgleichsversuchs vom Februar 1909. München 1988. S. 37, Fn. 4. 48 Karel Čapek: Gespräche mit Masaryk. Stuttgart 2001. S. 74.

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bewerbsvorteil gegenüber anderen möglichen Kandidaten. Als Privatdozent war er auch in einer kritischen finanziellen Situation. 1882 bat er das k.k. Ministerium für Kultus und Unterricht um eine Subvention. Um seine Familie zu ernähren, musste er täglich mehrere Stunden „nichtwissenschaftlicher Beschäftigung“ nachgehen, was ihn an der Arbeit an seinem Werk hinderte, das er im folgenden Sommer publizieren wollte. Ohne finanzielle Unterstützung laufe er Gefahr, die Publikationen nicht nur nicht zeitgerecht anfertigen zu können, sondern vielleicht die wissenschaftliche Laufbahn überhaupt aufgeben zu müssen – so die Begründung in dem Antrag.49 Nachdem die Prager wissenschaftliche Laufbahn sich vielleicht nicht so darstellte wie er wollte, hoffte Masaryk noch 1901 angesichts der Emeritierung von Theodor Gomperz und Ernst Mach, nach Wien berufen zu werden.50 Obwohl dieser Versuch ergebnislos blieb, zeigt diese Tatsache dennoch, dass auch um die Jahrhundertwende eine Rückkehr an eine deutschsprachige Universität in der habsburgischen Hauptstadt für einen tschechischen, politisch aktiven Intellektuellen und Akademiker keinesfalls undenkbar war. Der Weg vom Akademiker zum Politiker – die Kategorien sollen als biographische Zuspitzungen, nicht als sich ausschließende Positionen verstanden werden – war, Dietl nicht unähnlich, mit räumlicher Mobilität verbunden. Bereits in seiner Wiener Zeit interessierte sich Masaryk schon früh für den tschechischen Patriotismus und bemängelte seine geringen Tschechischkenntnisse. So kritisierte er zum Beispiel 1876 in einer Serie tschechischsprachiger Artikel die Boykottierung des Reichsrates durch tschechische Abgeordnete; 1877 begründete er den Patriotismus aus der Lehre Platos.51 Trotzdem, ungeachtet der tschechischen Sprache der Artikel, waren sie mehr theoretische Abhandlungen denn politische Pamphlete. Aus seiner wissenschaftlichen Position heraus monierte Masaryk im Allgemeinen ein Fehlen einer Wissenschaft, die die politische und soziale Praxis untersuchen und perfektionieren könnte – worin ganz deutlich seine Hochschätzung der Soziologie sichtbar wird. Verwissenschaftlichung der Politik war für Masaryk das, was für Dietl die Verwissenschaftlichung der Medizin war. Dennoch, so zumindest die oben zitierten Dokumente im Wiener Universitätsarchiv, war seine Entscheidung, nach Prag zu gehen keine endgültige und zum Teil durch die finanziellen Sorgen mitbedingte. Auf jeden Fall war Masaryk 1882 bereits bezahlter außerordentlicher Professor an der tschechischen Karls-Universität in Prag. Seit dieser Zeit setzte er sich für die realistische Basis des tschechischen Nationalismus, für die Entwicklung der Wissenschaft und Bildung, die Gleichberechtigung der Juden und den Kampf gegen Antisemitismus etc. ein. Als Gründer der Zeitschrift Athenaeum, Mitbegründer von Naše doba [Unsere Zeit] und Čas [Zeit] schuf er kri49 Archiv der Universität Wien, PA Masaryk. 50 Stanislav Polák: T. G. Masaryk: za ideálem a pravdou [T. G. Masaryk: Für Ideal und Wahrheit]. Band 4 (1900–1914). S. 68. 51 Eva Schmidt-Hartmann: Thomas G. Masaryk’s Realism. München 1984. S. 75.



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tische Medien, die sich für die Modernisierung des tschechischen intellektuellen Lebens einsetzten; 1900 gründete er die Partei Česká strana lidová (ab 1906 Česká strana pokroková). Der Zusammenhang zwischen seinen sozialwissenschaftlichen Interessen und Bolzano-Brentanos philosophischer Linie mit Masaryks politischer Tätigkeit, seinem „kritischen Realismus“ wie diese Position bereits zu seinen Lebenszeiten genannt wurde, war mehrmals Gegenstand ideenhistorischer Untersuchungen.52 Die Translation von Wissenschaft in die Praxis, wie auch bei Dietl, hing mit der Veränderung seines Umfelds zusammen und verlief schrittweise. Die Gründung von Athenaeum 1886 und der Handschriftenstreit waren zwar bereits Teil der politischen Auseinandersetzungen, aber die politische Karriere Masaryks begann mit der Wahl in den Böhmischen Landtag 1891 als Vertreter der Jungtschechen. Dann folgte zwei Mal, mit Unterbrechungen die Wahl zum Reichsratsabgeordneten und schließlich die 1918 erfolgte Erhebung zum Staatspräsidenten. Die autobiographischen Gespräche mit Karel Čapek, aufgenommen als Masaryk bereits Präsident war, lesen sich allerdings zum Teil wie eine Auflistung der Konflikte, die der Gelehrte um die „Europäisierung“ der Tschechen mit den Konservativen und Nationalisten focht, die ihn an der universitären Karriere hinderten und, um die oft verwendete Redewendung aus den Aufzeichnungen aufzugreifen, nolens volens in die Arme der Politik trieben. Aus dem reichhaltigen Leben Masaryks sollen nun zwei Stränge aufgegriffen werden, die meines Erachtens die Problematik seiner „imperialen Biographie“ aufzeigen und die Geradlinigkeit des oben skizzenhaft dargestellten Karriereverlaufs vom habsburgischen Akademiker zum tschechischen vlastenec unterbrechen. Zum einen sind es die Kritiken, die an Masaryk geäußert wurden, die direkt seine kulturelle Hybridität ansprechen und sie im Vergleich zu den „wahren“ Tschechen situieren. Zum anderen aber sein Verhalten im cisleithanischen Reichsrat angesichts der Äußerungen von Karl Lueger über die Rekatholisierung der Universitäten, wo er als einer der wichtigsten Sprecher der Debatte und Vertreter der Jungtschechen die Stimme ergriff und sehr stark im Sinne einer Staatsnation argumentierte. Die Kritik an der romantischen Vorstellung der tschechischen Nation als einer ethnischen Gemeinschaft, der Masaryk im Sinne Bolzanos eine Schicksalsgemeinschaft53 entgegenstellte, entfaltete sich in der Zeit der Konflikte um die Echtheit der Königshofer und Grünberger Handschriften. Die 1817 von Václav Hanke gefälschten – nach anderen Versionen gefundenen – Handschriften spielten durch die Hervorhebung kultureller und legaler Macht der Alttschechen der Zeit der Přemysliden (Ende 52 Valentina von Tulechov: Tomas Garrigue Masaryk. Sein kritischer Realismus in Auswirkung auf sein Demokratie- und Europaverständnis. Göttingen 2011. 53 Dieses Denken setzte sich auch nach dem Weltkrieg fort, vgl. z.B. Richard Vašek: Němci a německá otázka v Masarykových anonymních článcích z roku 1922 [Die Deutschen und die deutsche Frage in anonymen Schriften von Masaryk aus dem Jahr 1922]. In: Marie Neudorflová (Hrsg.): Češi a Němci v pojetí a politice T. G. Masaryka. Prag 2004. S. 183–195.

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des 9. Jahrhunderts–1306) im 19. Jahrhundert als Monumente in der Agitation tschechischer Nationalisten eine wichtige Rolle. Deren Echtheit wurde allerdings mehrfach bezweifelt, sowohl von Tschechisch-Böhmischer, wie auch von Deutsch-Böhmischer Seite. 1886 initiierte Masaryk mit jungen Prager Gelehrten (Jan Gebauer, Jaroslav Goll, Jindřich Vančura, Jaroslav Vlček) eine Artikelserie, die die Echtheit der Handschriften infrage stellte und auf die die konservativen Intellektuellen (Julius Grégr, František Ladislav Rieger, Alois Pravoslav Trojan, Václav Vladivoj Tomek, Martin Hattala) sehr vehement mit Ablehnung reagierten. Die Auseinandersetzung wurde schnell sehr emotional. Dabei griff Grégr in einem im selben Jahr erschienenen Buch Masaryk mit folgendem Zitat sehr stark an: „Über kultureller Arbeit unserer Vorfahren spricht [er] zwar in unserer Sprache, aber dabei mit so fremdem und ungütigem Gefühl und Denkart wie unsere Uralten nationalen Feinde.“54 Als während des Falls Hilsner, dem Gerichtsverfahren mit antisemitischen Hintergründen über einem angeblichen Ritualmord 1899, Masaryk sich gegen Ritualmordvorwürfe einsetze, wurde seine Konfession und Ethnizität wieder in Zweifel gezogen. Masaryk wurde als ein von Juden gekaufter Intellektueller, oder als ein als Tscheche sich gebender Jude dargestellt.55 Zudem wurde seine Partei als eine antireligiöse und damit anti-tschechische beschrieben.56 Die Artikel der konservativen und katholisch-konservativen Seite präsentierten die Probleme mit Masaryks nicht (genug) „Tscheche-Seins“ sozusagen in der Nussschale: ein Wiener Gesandter, der die Juden den Tschechen gegenüber stärken soll – ein Spion und Verräter also, dessen imperiale Existenz geradezu die Gefährdung der religiös-ethnisch definierten Reinheit darstelle.57 Obwohl Masaryk also nicht allgemein als „echter Tscheche“ anerkannt wurde und das mit seinem heterogenen sprachlichen und konfessionellen Hintergrund in Verbindung gebracht wurde, konnte er dennoch als ein von Tschechen gewählter Abgeordneter Erfolge verbuchen. Aus seinen mehreren wortgewaltigen Meldungen, die Fragen der Universitäten betreffen, will ich eines näher beleuchten, nämlich den Konflikt um die Autonomie der Universitäten, ausgelöst von der am 6. Allgemeinen Katholikentag von Karl Lueger getätigten Äußerung, die Universitäten Österreichs 54 Julius Grégr: Na obranu Rukopisů královédvorského a zelenohorského [Verteidigung der Königs­ hofer und Grünberger Manuskripte]. Prag 1886. S. 74; Vgl. auch Jaroslav Opat: Filozof a politik T. G. Masaryk 1882–1893. Příspěvek k životopisu [Philosoph und Politiker T.G. Masatyk 1882–1893: Beitrag zu einer Biographie]. Prag 1990. Kapitel 5 (V boji o Rukopisy [Auseinandersetzung um die Handschriften]). http://kix.fsv.cvut.cz/rkz/csr/ (02.02.2013). 55 Zur Analyse desm Arguments des Jüdischseins gegenüber Masaryk vgl. Stanislav Polák: Masa­ry­ kovi rodice a antisemitský mýtus [Masaryks Eltern und der antisemitische Mythos]. Prag 1990. 56 Michal Frankl: „Prag ist nunmehr antisemitisch“: Tschechischer Antisemitismus am Ende des 19. Jahrhunderts. Berlin 2011. S. 277–279. 57 Stanislav Polák: T. G. Masaryk: za ideálem a pravdou [T. G. Masaryk: Für Ideal und Wahrheit]. Band 3 (1893–1900), S. 226–260, S. 238–239, S. 258; Zur Semantik von Verrat im polnischen nationalen Diskurs, das durchaus für den tschechischen Fall auch zutrifft, vgl. Magdalena Micińska: Zdrada, córka nocy: pojęcie zdrady narodowej w świadomości Polaków w latach 1861–1914 [Verrat, die Tochter der Nacht: die Idee des nationalen Betrugs im polnischen Bewusstsein 1861–1914]. Warschau 1998.



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bräuchten ein Re-Katholisierung und Beschneidung des Einflusses von Juden und Liberalen.58 Hierzu sind zwei Hintergründe wichtig. Einerseits waren Luegers Aussagen Teil einer Kampagne um eine katholische Universität in Salzburg, die ihrerseits als Teil nicht nur von Angriffen radikaler Konservativen auf die zunehmend von dem Einfluss der Kirche sich entfernenden Universitäten zu sehen ist, sondern auch in Zusammenhang mit dem sog. Modernismusstreit standen. Andererseits bewog genau dieser Konflikt zwischen Papsttum und katholischen Modernisten Masaryk dazu, sich bereits früher, aber intensiver ab 1907, kritisch mit dem klerikalen Katholizismus, vor allem mit dem Ultramontanismus, auseinanderzusetzen.59 Als Folge von Luegers Angriff auf die Universitäten brachten Masaryk und Genossen im November 1907 einen „Dringlichkeitsantrag [...] betreffend die Garantien für die Freiheit der Wissenschaft und Hochschulen“60 ein, mit der Aufforderung an die Regierung, die Lehr- und Lernfreiheit, die Freiheit der Wissenschaften und Glaubensund Gewissensfreiheit ausdrücklich zu bestätigen. Die an dem Antrag entbrannte Diskussion brachte drei politische Positionen zum Vorschein. Die Sozialisten plädierten für die völlige Loslösung der Universität von der katholischen Kirche, inklusive Abtrennung von der theologischen Fakultät. Die Konservativen und Radikalen forderten die Befreiung der Universität aus den Händen der „internationalen Kapitalsbande“ (Adalbert Wenzel / Vojtěch Václav Sternberg), „jüdischer Überflutung“ (Michael Mayr), „materialistischen Auffassung“ (Karl Drexel) und dem Diktat der „Judeo-liberalen“ und „Freisinnigen“ der Neue Freie Presse.”61 Masaryk dagegen nutzte die Bühne, um Kritik am Klerikalismus zu üben, der seines Erachtens die freie, voraussetzungslose Wissenschaft bedrohte. Hervorzuheben sind die mit der religiösen Frage verbundenen nationalen Vorstellungen. Masaryk sprach in der Debatte Deutsch, was für nicht-deutsche Abgeordnete in dieser Zeit keine Selbstverständlichkeit mehr war. Auch in dieser Debatte wurden mehrere Sprachen verwendet, teilweise lieferten die Abgeordneten nur kurze 58 Siehe z.B. seinen Beitrag und Diskussion mit dem Bischof František Reyl und dem Theologen František Šulc in Theodor Bartošek (Hrsg.): Intelligence a náboženství. Náboženská diskusse v Králo­ véhradeckém Albertinu, 23. října 1906 [Intelligenz und Religion. Religiöse Diskussion im Albertinum in Hraced Králove am 23. Oktober 1906]. Prag 1907. S. 61–151. 59 Mehr über Masaryks Auseinandersetzung mit Katholizismus in Polák, T.G. Masaryk (wie Anm. 50), S. 70–253; Martina Tothová: Masarykův vztah k náboženství a církvi [Verhältnis von Masaryk zu Religion und Kirche]. In: Zdeněk Kučera u. Jan Blahoslav Lášek (Hrsg.): Modernismus – historie nebo výzva? Studie ke genezi českého katolického modernismu [Modernismus: Vergangenheit oder Herausforderung? Studien zur Genese tschechischen katholischen Modernismus]. Brünn 2002. S. 198– 225 60 35. Sitzung der XVIII. Session am 22. November 1907 in: Stenographische Protokolle des Abge­ord­ ne­tenhauses im Jahre 1907. XVIII. Session. IV Band, 21. bis 41. Sitzung (S. 1851 bis 3054.). Wien 1908, S. 2689–2690. 61 39. Sitzung der XVIII. Session am 3. Dezember 1907, in: Stenographische (wie Anm. 60), S. 2883; 40. Sitzung der XVIII. Session am 4. Dezember 1907, in: Stenographische (wie Anm. 60), S. 2916, S. 2911; 41. Sitzung der XVIII. Session am 5. Dezember 1907, in: Stenographische (wie Anm. 60), S. 3023.

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Zusammenfassungen ihrer Reden auf Deutsch. Dies hat auch sehr stark mit dem Inhalt zu tun: wenn die Polnischen Abgeordneten die starke Autonomie der Universitäten in einer Kurzmeldung unterstützten, so sahen Julian Romančuk und Stanislav Dnistrjans‘kyj in ebenfalls paarzeiliger Meldung dies als ein Problem, denn das würde angesichts der polnischen Professorenmehrheit an der Universität den Ruthenen den Weg zu Professuren und Privatdozenturen erschweren.62 Otokar Rybář forderte eine Slovenische Universität in Ljubljana (Laibach), František Drtina eine zweite Tschechische in Brünn. Die in der Debatte vereinten österreichischen Konservativen und Deutschnationalen sprachen ganz deutlich von durch die radikalen Slaven, Juden und Liberalen bedrohten deutschen Katholiken und deren Universitäten in Wien, Graz und Innsbruck. Masaryk dagegen argumentierte im Sinne des Staates, führte Beispiele aus der gesamten Monarchie auf und wenn er die Präposition „unsere“ verwendete, waren damit nicht die Tschechen, sondern die habsburgischen Staatsbürger gemeint. Erst am Ende seiner Rede sprach er als Tscheche und stellte die durch Hus von Rom befreite Nation als Beispiel für die Monarchie dar.63 Was zeichnet also Masaryk vom Blickpunkt der imperialen Biographie aus? Zweifelsohne eine imperiumsübergreifende Karriere, die in einer politischen, für die tschechische Nation engagierten intellektuellen Tätigkeit mündete. Dennoch, im Vergleich zu anderen nationalen Politikern nutzte er sowohl tschechisch- wie auch deutschsprachige Medien, um seine Interessen darzustellen. Im Gegensatz zu anderen Sprachenwechseln, die mit subalternen Stimmenwiedergewinnen zu erklären wären,64 folgte er einem anderen Ziel: So wie die Tschechen Teil Europas waren, so waren böhmische Konflikte Teil habsburgischer Öffentlichkeit und sollten daher auch in den zentralen Medien in der habsburgischen Kommunikationssprache dargestellt werden.65 Das war keineswegs eine Selbstverständlichkeit, denn bereits in den 1840er Jahren war Kritik laut geworden, dass tschechische Angelegenheiten nur in tschechischer Sprache diskutiert werden sollten.66 Seine Ausführungen zum Klerikalismus erschienen auch auf Deutsch und hatten eine habsburgische Öffentlichkeit im Auge.67 Damit verbunden waren die Inhalte: Masaryk betrieb eine sich von Natio62 Vgl. vor allem die Meldung von Dnistrjans‘kyj in: 41. Sitzung der XVIII. Session am 5. Dezember 1907, in: Stenographische (wie Anm. 60), S. 2989. 63 39 Sitzung der XVIII. Session am 3. Dezember 1907, S. 2881. 64 Stefan Simonek: Franko, Mickiewicz, Bahr – Spielarten galizischer Subalternität um 1900. In: Historyka 42 (2012). S. 195–212. 65 Vgl. auch die Ausführungen von Jana Malínská: Masarykův pohled na vztah Čechů a Němců v jeho článcích ve vídeňském tisku. [Masaryk’s Wahrnehmung von Tschechisch-Deutschen Verhältnissen in seinen Artikeln in der Wiener Presse]. In: Neudorflová, Češi a Němci (wie Anm. 53), S. 62–97. 66 Vgl. Steffen Höhne: Öffentlichkeit und nationaler Diskurs im Vormärz. Sprache und Kultur als Signifikanten nationaler Desintegration. In: Steffen Höhne u. Andreas Ohme (Hrsg.): Prozesse kultureller Integration und Desintegration. Deutsche, Tschechen, Böhmen im 19. Jahrhundert. München 2005. S. 1–30. 67 Zum Beispiel seine Schriften zum modernistischen katholischen Kirchenhistoriker Maria Joseph Ehrhard, die in der Zeit erschienen ist, abgedruckt in Michal Kosák (Hrsg): Ideály humanitní a texty z



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nalismus abgrenzende Politik, die eher an interkultureller Verständigung als am Konflikt ausgerichtet war. Das war bereits in den Kontroversen 1886 um den von Hubert Gordon Schauer anonym publizierten Artikel Unsere Zwei Fragen (Naše dvě otázky), einer Kritik an der Abschließung tschechischer Kultur gegen die deutsche, deutlich sichtbar. Der Artikel, der von konservativen Kreisen heftig angegriffen wurde und zu längerer öffentlichen Diskussionen über der künftigen Ausrichtung tschechischsprachiger Kultur führte, spiegelte Masaryks Gedanken wider und wurde ihm auch zugeschrieben.68 Die Gedanken von Fortschritt durch Austausch, die nicht nur Bolzanos Philosophie, aber durchaus auch den an Kontakten ausgerichteten wissenschaftlichen Habitus wiederspiegeln, lassen somit nochmals von imperialer Biographie auf politische Gedanken schließen –und in Masaryks Fall haben diese Zentraleuropa bis weit in das 20. Jahrhundert hinein geprägt.

Go-betweeners: Zusammenfassung In dem sich nationalisierenden kulturellen Umfeld des 19. Jahrhunderts stellten akademische Wissenschaftler keine Ausnahme dar, dennoch war ihre stark an Staat und Austausch gebundene Lebenswelt stets imperial geprägt. Ihre „imperiale Biographien“ – im Sinne von einem primären Handlungsraum der Karriere, aber auch Bezugssystem politischer, kultureller und sozialer Projekte – waren durch politische Entwicklungen Kakaniens bedingt und die sprachliche Segregation der Bildungsinstitutionen machte die „Imperium-Komponente“ der Biographien schwächer. Dennoch bringt ihre Berücksichtigung spannende, oft dem nationszentrierten Narrativen widersprechende, Befunde. So bei den zwei hier genauer analysierten Gelehrten. „The world is governed by go-betweeners“69 schrieb Edmund Burke 1791, und mit den zwei oben analysierten Lebenswegen könnte man dies für die Habsburger Monarchie behaupten. Dietl und Masaryk waren Personen, die bereits durch ihre Herkunft nicht in die national definierten Rahmen passten und deren Karrieren durch sprachliche Mannigfaltigkeit gekennzeichnet waren. Schließlich aber traten sie sowohl durch Publikationen wie auch politische Tätigkeit für die Entwicklung nationaler Kulturen ein. Ihre Vorstellungen des Nationalen blieben aber gegenüber der kulturellen Variabilität weitaus konzilianter als die vieler zeitgenössischer nationaler Aktivisten. Sie

let 1901–1903 [Humanistische Ideale und Texte 1901–1903]. Prag 2011. S. 215–223, S. 347–349. 68 Miloš Havelka: A Hundred Years of the „Czech Question“ and the Czech Question a Hundred Years on. In: Czech Sociological Review 3. S. 7–19, hier S. 12. 69 Edmund Burke, zitiert in: Simon Schaffer [u.a.]: Introduction. In: Simon Schaffer [u.a.] (Hrsg.): The Brokered World Go-Betweens and Global Intelligence, 1770–1820. Sagamore Beach 2009. S. IXXXXVIII, hier S. IX.

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waren go-betweeners oder passeur culturels,70 métisse Kulturvermittler, die durch ihren Lebensweg zu dieser Funktion prädestiniert waren. Obwohl vor allem durch Gegner thematisiert, stellte diese Hybridität kein Hindernis für die Anhänger dar. Dietl wie Masaryk waren einflussreiche und anerkannte Politiker, derer Schriften und Tätigkeit die habsburgischen Provinzen politisch stark beeinflussten. Das, von beiden dem nationalistischen Narrativ entgegengestellte, loyale-kulturnationale Paradigma wurde in Parteiprogrammen verfestigt und zog vor allem die junge Generation an. In Momenten des politischen Umbruchs – Autonomisierung Galiziens bzw. Unabhängigkeit der Tschechoslowakei– erhielten sie politische Gestaltungsmacht und ihre Programme somit Legitimation. Wie ich zu zeigen versuchte, war deren konziliant-nationalistische Programmatik durch zwei Faktoren bedingt. Der Lebensweg ist sicherlich der eine. Der zweite ist die akademische Erfahrung, die sowohl in Theorie wie auch Praxis auf einen Austausch abzielte. Spätere Schriften von Dietl und Masaryk deuten auf eine Transferleistung von Wissenschaft in die politische Argumentation, beziehungsweise auf eine Erweiterung des Interessensfeldes von Hygiene (Dietl) und Soziologie (Masaryk) in die soziale Praxis hin. Eines sollte allerdings festgehalten werden: beide Gelehrte haben nicht in die Arme der Nation gefunden, sondern wurden in diese durch ihre Karriere getrieben. Diese Karrieren begannen in beiden Fällen in Wien und wurden durch imperiale Institutionen ermöglich, mit Einschluss von Sprachkenntnissen, als diese gerade als vorteilhaft gesehene Fertigkeit galten. Masaryk und Dietl trugen auch zu Umgestaltung der akademischen Landschaft bei. Mit seinen akademischen Freunden wie Eduard Albert sprach sich Masaryk für die Berufung von nicht nationalistisch gesinnten Gelehrten, auch nicht-Böhmen/ Mährer, an die Karlsuniversität aus. Im Gegenteil hierzu wandte sich Dietl auch an nicht-galizische Polen, damit sich diese in Krakau habilitierten, was oft als Anfangspunkt der autonomen galizisch-polnischen akademischen Landschaft gesehen wird.71 Aus diesen zwei Beispielen soll nicht darauf geschlossen werden, dass die gobetweener die akademische Landschaft der Habsburger Monarchie dominierten, auch wenn sie es stark geprägt haben. Wie in dem ersten Abschnitt erläutert, wurden sie im 19. Jahrhundert auf jeden Fall zunehmend seltener – der Trend zur kulturellen Eindeutigkeit als Voraussetzung für Karriere überwog, zumindest an den Universitäten, die kulturelle Hochburgen der habsburgischen Provinzen waren. Es bedeutete keine Kontaktverweigerung, aber der Austausch zwischen Kulturen fand immer mehr in Form von Stipendien statt und wurde somit stark kontrolliert.72 Wissenschaftliche 70 Vgl. Loise Bénat u. Serge Gruzinski (Hrsg.): Passeurs culturels: mécanismes de métissage. Paris 2001. 71 Vgl. Krzysztof Stopka [u.a.]: The History of the Jagiellonian University. Krakau 2000. S. 102. 72 Siehe die Aussagen zur stärkeren Inanspruchnahme der Stipendien durch tschechische Wis­sen­ schaftler in Jana Mandlerová: K zahraničním cestám učitelů vysokých škol v českých zemích (1888– 1918) [Zu den Auslandsreisen der Hochschullehrer aus tschechischen Länder 1888–1918]. In: Dějiny



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Mobilität im modernen Sinne, die an Kompetenzaustausch ausgerichtet war, dominierte die an Karriere orientierten und teils politisch unterstützten imperialen Muster. Bereits die Lebenswege von Masaryk und Dietl zeigen, dass kulturelle Homogenität für die habsburgischen Teilöffentlichkeiten immer wichtiger wurde. Wenn in Dietls Fall seine ethnische Uneindeutigkeit nur selten Thema war, war sie bei Masaryk mit sozialen Disziplinierungsmaßnahmen in Form von vehementen Presseattacken konfrontiert. Dennoch– oder vielleicht sogar deswegen – erfuhr diese Position eine überraschende Rehabilitierung in der Zwischenkriegszeit, wo, der Habsburger Monarchie nicht unähnlich, der neue Präsident in einem Vielvölkerstaat eine staatsintegrative Rolle einnehmen musste.

věd a techniky 4 (1969). S. 232–246. Dem Stipendiensystem der Habsburgermonarchie wurde bis jetzt keine wissenschaftliche Untersuchung gewidmet.

Theodore R. Weeks

Jan Baudouin de Courtenay The Linguist as Anti-Nationalist and Imperial Citizen

Fig. 22: Jan Niecisław Ignacy Baudouin de Courtenay (1845–1929), c. 1900

Jan Baudouin de Courtenay was an extraordinary man in many ways. He helped found the field of structural linguistics, holding positions at a number of universities in the Russian Empire. He both criticized Russian restrictions on Polish culture and Polish prejudices toward their Jewish neighbors. In a more liberal empire – under the Habsburgs or in the British Empire, for instance – one can well imagine Baudouin de Courtenay as a firm supporter of the multinational state. In the Russian Empire, however, he was inevitably pushed into opposition to an autocratic, russifying, and anti-liberal state. At the same time, the linguist was not loved by Polish patriots who saw him as a proponent of cold rationality, lacking religious faith of any kind, and insufficiently attached to the Polish nation. All of these accusations – with the possible exception of the last – were quite true. Baudouin de Courtenay made no effort to disguise his religious skepticism and one of his later admirers referred to him as the “Savonarola of Polish rationalism.”1

1 The quotation comes from Janina Kulczycka-Saloni: Jan Baudouin de Courtenay jako publicysta (introduction). In: Jan Niecisław (Ed.): Baudouin de Courtenay: Dzieła wybrane. Vol. 6. Warsaw 1983, p. VI:9.



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He tended to single out his fellow Poles for criticism, in particular regarding their chauvinism, ignorance, and lack of humanity in their views toward Ukrainians, Lithuanians, and Jews. Jan Baudouin de Courtenay was a dissenter, a liberal, and a loner in his political views, and throughout his long life (1845–1929) always maintained his distance from political parties. At the same time, his unique background, career, and Weltanschauung make him fit well under the category “imperial personality.” As we will see, Baudouin’s life and career fit nicely into the concept of “imperial biographies.” Born in the Russian Empire but not of Russian ethnicity, he nonetheless managed to reach the top of his scholarly field and achieve renown not only within the empire of his birth, but also internationally. This latter aspect of his life and work, however, makes his a unique or at least liminal one in the category of imperial biographies. Baudouin, like most of the “imperial personalities” considered in this volume, functioned not simply on a national or imperial level: he was also a member of the international guild of scholars. In this sense his life and career was quite different, for example, from the Polish military physicians discussed by Ruth Leiserowitz in her contribution to this volume. As a Pole, moreover, he belonged to a nation that lived in large numbers in three different empires. For all of these reasons, Baudouin’s “imperial biography” cannot be considered as central to this concept or as typical as those of administrators, doctors, engineers, or other professionals whose life work was carried out mainly in the context of a single empire. The life and career of Jan Baudouin de Courtenay illustrates certain contradictions of the Russian Empire and its treatment of non-Russian subjects. On the one hand, our hero led a very successful career, holding professorships at a number of imperial universities. In this sense he was a very successful “imperial subject” even though he would, no doubt, have rejected any such designation. On the other hand, because of his liberal political views and his rejection of nationalist chauvinism of any kind, Baudouin de Courtenay was considered politically suspect by both the imperial authorities and patriotic Poles. It is this “double bind” that I would like to investigate further in this paper. This position of somehow being “between empire and nation” was not, I would suggest, as unusual as later historians working within a national framework might suggest. Rather, the transition from empire to would-be “nation-state” in East-Central Europe provides a number of such instances, as other biographies in this collection also indicate.

Life and Career Despite his French surname, Jan Baudouin de Courtenay was in fact a Pole. His ancestors had left France at the time of the Crusades and had long been settled in the Polish lands. Jan was born in Radzymin near Warsaw on 13 March 1845, attended a “gimnazjum realne” in Warsaw and in 1866 completed his studies at the newly-(re)founded

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Warsaw University, the so-called Szkoła Główna. The importance of this short-lived institution for Polish history cannot be overstated; its myth is possibly even more important.2 Baudouin de Courtenay did not join the 1863 insurgents (something held against him by Polish patriots) and in 1867 – supported in part by financial aid from Russian imperial sources – left the Russian Empire to study in Prague, Jena, Berlin, finally receiving his doctorate of philosophy in Leipzig in 1870. In 1871 the Historical-Philological faculty of Kiev University offered him a position as assistant professor (docent) for comparative Indo-European languages but the university council refused to allow his appointment. As the linguist later explained this refusal by noting that Kiev University did not wish to increase the number of Poles on its faculty, a supposition that seems justified in the post-1863 russificatory period.3 In 1874 the Jagiellonian University offered Baudouin de Courtenay a position but he was unable to accept because of an ongoing stipend from the Russian imperial government. Instead, he took a position at Kazan’ University (present-day Tatarstan, Russian Federation) where he stayed for nearly a decade, being promoted to full professor (profesor zwyczajny) in 1876. In 1883 the Serbian government offered him a position at the University of Belgrade but instead Baudouin transferred from Kazan’ to Dorpat (Iur’ev, Tartu) University in Livland province. Rather ironically because of russification policies Baudouin was denied a position in Kiev in 1871, only to arrive in Dorpat and spend a decade there during a period of increasing russification.4 In 1893, having served the empire for 25 years as scholar and faculty member, Baudouin retired and moved to Cracow where he spent nearly six years teaching at the Jagiellonian University.5 As a foreign subject he could not, however, be named professor and one imagines that his anti-clerical and anti-patriotic views did not endear him to the conservative professors there. In 1899 Baudouin’s stay in Cracow came to an abrupt end when educational officials refused to extend his contract at the Jagiellonian University because of his authorship of certain controversial pamphlets (in particular against Magyar chauvinism). In the following year he accepted a position in Petersburg where he would remain on the faculty until late 1918, when the Polish authorities invited him to Warsaw as an “honorary professor” (apparently some conservatives blocked the possibility of Baudouin 2 The Szkoła Główna deserves more study. Meanwhile, see Jan Baudouin de Courtenay and Bronisław Chlebowski (Eds.): Szkoła Główna Warszawska. Cracow 1900. Baudouin also commented on his experience there in Jan Baudouin de Courtenay: Rok 1863 a Szkoła Główna Warszawska. In: Odgłosy. Księga zbiorowa. Moscow 1916, pp. 9–16. 3 More broadly on the policy of Russian Empire towards Poles at its universities, see Johannes Remy: Higher Education and National Identity: Polish Student Activism in Russia 1832–1863. Helsinki 2000. 4 On russification at Dorpat University, see Edward C. Thaden (Ed.): Russification in the Baltic Provinces and Finland, 1855–1914. Princeton 1981, pp. 174–178. 5 For details on Baudouin’s career within the Russian Empire, see Jerzy Róziewicz (Ed.): Działalność naukowa, dydaktyczna i społeczno-polityczna Jana Niecisława Baudouina de Courtenay w Rosji. Wrocław 1991.



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de Courtenay’s receiving a position as Ordinarius).6 He continued to reside in Warsaw, and to be an active scholar and citizen, until his death on 3 November 1929. Baudouin de Courtenay’s life and career reflect both imperial and national realities of his age. In this sense one may certainly consider it an imperial biography. Born as a member of a “suspect nation” in the Russian Empire, he nonetheless managed to make an excellent career, supported by stipends from the empire as a young scholar and serving as a faculty member at its universities. To be sure, his identity as Pole probably prevented his appointment in Kiev and his status as Russian subject prevented him from obtaining a professorship at the Jagiellonian University in Cracow. In many ways, however, his attitude of internationalism was more suited to a multi-ethnic state than to a (would-be) nation-state, as he found after 1918. And, of course, his studies outside of the Russian Empire (though supported by imperial funds) and his energetic correspondence with numerous scholars from various European countries indicate that his horizon and biography reached far beyond the boundaries of the Russian Empire. In what follows I would like to consider Baudouin’s own writings on two fundamental topics that illustrate his identity as individual, Pole, and imperial subject. By looking at some of his writings on the position of Poles in the Russian Empire and on the Jews, we will be able better to understand both the uniqueness and the typicality of Baudouin’s mentality in late Imperial Russia.

Poles in the Russian Empire As we have seen, Baudouin de Courtenay’s Polishness at least at one point (Kiev) hindered his career advancement, but it did not prevent him from gaining important positions and indeed reaching the very top of his profession within the Russian Empire, both in peripheral, non-Russian regions (Kazan’, Dorpat) and in the capital itself. This is rather typical for Poles in this period: one could make an excellent career, but generally not in the Polish provinces (“Vistula land”) or western provinces (“Zapadnyi krai”). Poles served as teachers, engineers, and military officers throughout the empire but were generally barred from any but the lowest rungs of imperial service in the west (which, one should note, did not include the Baltic provinces – as Baudou6 For biographical details I have followed Henryk Ułaszyn: Jan Baudouin de Courtenay: Charak­te­ rystyka ogólna uczonego i człowieka. Poznań 1934, pp. 11–17. See also Joachim Mugdan: Jan Baudouin de Courtenay (1845–1929): Leben und Werk. Munich 1984; Edward Stankiewicz: Baudouin de Cour­ tenay: His Life and Work. In: Edward Stankiewicz (Ed.): A Baudouin de Courtenay Anthology: The Beginnings of Structural Linguistics. Bloomington 1972, pp. 3–47; “Baudouin de Courtenay Jan”. In: Polski Słownik biograficzny. Cracow 1935. Vol. 1, pp. 358–362; and the essays in the section entitled “Jan Baudouin de Courtenay jako uczony i jako człowiek”. In: Janusz Rieger et al. (Ed.): Jan Niecisław Baudouin de Courtenay a lingwistyka światowa. Wrocław 1989, pp. 515–665.

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in’s position in Dorpat/Iur’ev shows).7 As Ruth Leiserowitz’s article makes clear, this pattern also held for military physicians who on the whole made their careers distant from Polish-speaking provinces. Baudouin was also interested in the position of Poles in the empire and wrote on the question of autonomy and national rights. Like his contemporary Róża Luksemburg, Baudouin has been unfairly maligned as uninterested in Polish rights (as opposed to the rights of other nations) but, as in Luksemburg’s case, the historical record shows otherwise.8 Three essays Baudouin published during the revolutionary (1905–1907) period demonstrate his interest in Polish autonomy though he considered complete independence an unreal goal at the present time. In spring 1905 Baudouin spoke to a group of students and colleagues at St. Petersburg University on the subject of Polish autonomy and published his speech in Świat słowiański later that year.9 Typically for Baudouin, and probably reflecting his audience’s interests, the linguist discussed the “Polish question” not in isolation but in connection with other similar issues that faced the Russian Empire. Being a Pole – a very unusual, “imperial,” and even “cosmopolitan” one – Baudouin’s life and career experiences certainly equipped him well for considering in a non-parochial way reforming imperial policy in the Polish provinces and toward the Polish nation. His speech begins with references to “recent events” in Warsaw, probably referring to clashes between workers and Russian forces of order in the city from mid-January 1905.10 Baudouin goes on to describe privileges enjoyed by the Russians serving in the Polish provinces, policies of russification, and in particular the effects of the latter on schools. In general the present unrest and other negative consequences stemmed from these failed policies. As Baudouin pointed out, Russian bureaucrats – including teachers – enjoyed considerable privileges such as higher pay, special funds for visits “home” to the Russian interior, accelerated pensions, and the like. These privileges had the negative 7 On the issue of Poles as employees of the Russian imperial government, see Andrzej Chwalba: Imperium korupcji w Rosji ii w Królestwie Polskim w latach 1861–1917. Cracow 1995; Andrzej Chwalba: Polacy w slużbie Moskali. Warsaw 1999; and Katya Vladimirov: The World of Provincial Bureaucracy in Late 19th and Early 20th Century Russian Poland. New York 2004. Poles in Russian service also figure prominently in the excellent three-volume work on the Polish intelligentsia: Jerzy Jedlicki (Ed.): Dzieje inteligencji polskiej do roku 1918. Warsaw 2008. 8 See Andrzej Walicki: Rosa Luxemburg and the National Question. In: Slavonic and East European Review 61 (1983), pp. 565–582. 9 The speech was then published as a separate brochure: Jan Baudouin de Courtenay: Kwestya polska w Rosyi w związku z innemi kwestyami kresowemi i innoplemiennemi. Cracow 1905. 10 The Kingdom of Poland witnessed some of the most violent clashes between population and “forces of order” in 1905, a fact which reflected both national-ethnic tensions and the large industrial working class in these provinces. See Robert Blobaum: Rewolucja: Russian Poland 1904–1907. Ithaca 1995; Marek Przeniosła and Stanisław Wiech (Eds.): Rewolucja 1905–1907 w Królestwie Polskim i w Rosji. Kielce 2005; Malte Rolf: Imperiale Herrschaft im Weichselland: Das Königreich Polen im Russischen Imperium (1864–1914). Munich 2014.



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effects of attracting individuals more interested in material gain than in carrying out their duties properly and also created a caste that was loathe to give up these special perks. In particular the Russian teachers, Baudouin opined (and many contemporaries agreed), were neither professionally nor temperamentally suited to educating the Polish youth, whom they tended to see as hostile and rascally nuisances (even more than Polish teachers would have). With Russian bureaucrats in the Polish provinces regarding the territory as both a conquered land and a “bureaucrat Eldorado” (to use a phrase current at the time), it was no wonder that the administration in the provinces was inefficient, corrupt, and unresponsive to actual needs.11 As for russification, this policy had formed the background and inner logic of Russian rule in Poland since 1863. The motivations of russification, according to Baudouin, were two: “patriotic feelings” and “revenge,” with the latter actually playing a much greater role than openly admitted. Once again, these policies failed not only in their repression of Polish culture but even in preserving all-Russian (imperial) goals. The artificial patriotism offended Poles (and others), causing a counter-reaction of hatred against the Russian occupiers and indeed against Russian culture. In a similar way, forcing Russian on Polish schools not only did not encourage the learning of that language but also alienated Poles from Russian culture in all ways. Baudouin stated that given the utter failure to russify “Poles, Armenians, Lithuanians, Lavians, Estonians, Georgians, Tatars, [and] Jews,” the government either had to expel all of these irritating national groups or “calm them down by recognizing their equal rights. Tertium non datur.”12 The question of autonomy and self-determination (autonomia i samookreślenie) had to be considered in the context of the general decentralization of Russia. Exactly how this would be done, Baudouin did not specify, but he pointed out that the present state paralysis indicated that past methods had failed and new departures needed to be tried out urgently. Due to his experiences living in different parts of the empire – and because of his larger internationalist outlook – Baudouin could see restrictions on his own nation – the Poles – in a larger context. Unlike many of his contemporaries, he was able to recognize that not only Polish culture but also most other non-Russian cultures were in some way under the gun. For this reason he avoided falling into the trap of chauvinism that where so many Polish intellectuals landed in the years after 1905. The failure of russification was reflected most obviously in the miserable state of education in the Polish provinces.13 By attempting to force the Russian language and educational system on Poles, the Russian government had succeeded in stifling education in general and causing widespread disgust with all things Russian. The most obvious culprits were the teachers. The present body of teachers, imported from 11 Baudouin de Courtenay, Kwestya polska (see footnote 9), pp. 5–6. 12 Baudouin de Courtenay, Kwestya polska (see footnote 9), p. 8. 13 For another description of the negative effects of russification on education and literacy, see Adolf Suligowski: Miasto analfabetów. Cracow 1905.

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Russia, would nearly all have to go as neither their professional qualifications nor their personal qualities enabled them to carry out their duties efficiently. Obligatory Russian, whether as a language of instruction or as a foreign language, had to be done away with. Only then, Baudouin argued, would Poles (and other non-Russians) recognize in a sober and self-interested way their own personal need to learn Russian as citizens of a large empire where that language served as the lingua franca.14 But the decision had to be made by citizens themselves, not by the administration for them. Baudouin quoted a Polish proverb: “Not the nose for the snuffbox, but the snuffbox for the nose” (Nie nos dla tabakierki, ale tabakierka dla nosa), that is “not society for the government, but government for society.”15 In other words, the only way for the Russian Empire to develop in a healthy way was to entrust more power and rights to society (or a diversity of different national societies) rather than attempting to direct all development from the center. Along these lines, Baudouin de Courtenay’s proposals were simple: put an end to forced measures of russification, end the “politics of revenge” practiced against non-Russians, provide equal rights for all nationalities living in the Russian state (państwo rosyjskie), recognize the right to self-determination and the creation of autonomous provinces (for example, “the Kingdom of Poland, Caucasus, the Baltic provinces”), and allow the free use of national languages in education.16 The linguist’s career among Tatars, Estonians, and Russians no doubt further developed his inborn disdain for any narrow mono-national “solution.” Indeed, probably better than anyone Baudouin recognized that any privileging of a single language or culture, even in a limited region (e.g., the Kingdom of Poland) was fraught with the danger of a new kind of repression: no longer russification but polonization. But reforms were not allowed to develop far enough in 1905–1906 to reach this point. Given the revolutionary situation of 1905, all of Baudouin’s proposals were moderate, liberal, and eminently reasonable – which did not mean, of course, that Tsar Nicholas II or even Prime Minister Sergei Witte would accept them.17 In 1906 Baudouin published in Russian a pamphlet bearing the ambitious title “A Project of Basic Provisions to Solve the Polish Question.”18 In particular the first 14 In this context it is perhaps not without interest to note that Baudouin was a strong supporter of Esperanto as an international second language. Also perhaps reflecting his imperial biography, in independent Poland he steadfastly opposed the forcing of national minorities (in particular Belarusians and Ukrainians) to learn the Polish language. 15 Baudouin de Courtenay, Kwestya polska (see footnote 9), pp.12–15, quotation from Suligowski, Miasto analfabetów (see footnote 13). 16 Baudouin de Courtenay, Kwestya polska (see footnote 9), pp.16–18. 17 For greater detail on Baudouin de Courtenay’s opinions on the creation of and limitations to national autonomy, see Jan Baudouin de Courtenay: Ze zjazdu autonomistów czyli przedstawicieli narodowości nie-rosyjskich. Cracow 1906. 18 Jan Baudouin de Courtenay: Proekt osnovykh polozhenii dlia resheniia pol’skago voprosa. St. Pe­ ters­burg 1906.



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section, “General remarks,” reveals much about Baudouin’s vision of the intersection between nationality, culture, and politics. His approach reflects the linguist’s empirewide horizon, recognizing that increasing rights for one culture can easily tip over into restrictions for a second. Baudouin’s first point, and one that he repeated frequently (for example, when discussing Polish-Jewish relations), was that the Christian concept of “love one’s neighbor” was utterly inadequate and unreasonable as a basis for actual human relations. He did not, of course, specifically note the religious source of this “santimentalizm,” but the contemporary reader could hardly have missed it. Not “mutual love” but a desire “to be just in mutual relations and of mutual human respect” should be the basis of positive action. Nor could “Slavic brotherhood” form an adequate basis for improved relations, in particular as “what concerns the ‘Slavdom’ of Russia, the matter remains under some doubt.” Here Baudouin was slyly referring to the theories of the historian and ethnographer Franciszek Duchiński (1816–1893) who claimed that Russians not only were not Slavs, but they could not even be considered “Aryans” – they belonged instead to the “Turanian” (Turkic) race. Baudouin had already dismissed Duchiński’s surprisingly influential views in an essay published in the 1880s, but the idea of Russians as non-Slavs continued to be aired within Polish nationalist circles.19 In any case, the appeal to “Slavic brotherhood” or panslavism exemplified the kind of woolly thinking that Baudouin detested. Why should nations speaking similar languages form a single community of interests?20 Rather than falling back on these questionable – or even downright silly – “arguments,” Poles and Russians should come to an agreement based on “ logical thought [informed by] a feeling of justice.” Not “historical rights” (e.g., the constitution of 3 May 1791, the 1815 constitution of the Kingdom of Poland) nor “ethnographic rights,” could serve as a reasonable basis for agreement. Instead, discussions should be based on “factual conditions of the present day” (zhivymi fakticheskimi usloviiami sovremennosti, p. 6). Through decentralization and local self-government the imperial authorities could hope to develop feelings of “all-state solidarity” (obshchegosudarstvennoi solidarnosti). In these proposals, Baudouin showed himself a worthy “imperial subject” (of the liberal kind), rejecting both Polish and Russian myths about national and political rights. Just as historical rights and ethnic solidarity could not serve as the basis for reform, nor could a “correction of borders” between the Kingdom of Poland and the rest of Russia. Here Baudouin had in mind Lithuanians and Ukrainians living 19 Jan Baudouin de Courtenay: Z powodu jubileuszu Profesora Duchińskiego (originally published 1886). In Mirosław Skarżynski (Ed.): Jan Baudouin de Courtenay: Miejcie odwagę myślenia. Wybór pism publicystycznych z lat 1898–1927. Cracow 2007, pp. 140–173. 20 See, for example, Jan Baudouin de Courtenay: O zjedzie slawistów i o panslawizmie “platonicznym”. Cracow 1903; Jan Baudouin de Courtenay: W sprawie porozumienia si ludów słowiańskich. Warsaw 1908.

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within the eastern provinces of the Polish provinces. He opposed any border changes out of a sense of practicality: populations were mixed, largely illiterate, and easily subject to both administrative pressure and to the propagandizing efforts of unscrupulous “patriots” from either side. After organs of local autonomy had been established, however, these might well decide to alter boundaries in a mutually amicable manner. Slogans like “Russia for the Russians” and “Poland for the Poles” had to be discarded once and for all. A territory was “for” all of its inhabitants, regardless of ethnicity, language, or religious beliefs. This attitude clearly reflects an imperial – though a liberal imperial – mindset. To be sure, such a liberal, non-national view could hardly be further from the political reality of the Russian Empire in 1905 where not only Poles, Jews, Muslims, Ukrainians, and other non-Russians chafed under legal restrictions, but ethnic Russians too did not enjoy basic personal and political liberties. Perhaps due to his experiences as an imperial subject, however, Baudouin could recognize that nationalist “solutions” would inevitably bring with them their own problems (and repressions). In part reflecting this realization, Baudouin regarded the complete separation of Poland from Russia (otlozhenie Pol’shi ot Rossii) as impractical (prazdnaia zateia). The establishment of an independent state would cost very dearly and its practical importance for individuals would be of doubtful value. If, some time in the future, Poles wished to separate from Russia, perhaps this could be done along the lines of the recent Swedish-Norwegian break-up. At present, however, calls for complete independence must be considered either criminal or crazy (ili prestupnym, ili sumasbrodnym).21 Instead, a decentralized but unified state structure was preferable. It would seem that such a federalized (to name one alternative) alternative would have fit a modernized Russian Empire very well. Unfortunately, two factors militated against such a seemingly reasonable imperial solution. First, except for the rather peculiar example of the United States, federalism was hardly visible among the world’s major powers before the twentieth century. Second, the one example of a semi-federalized empire, Austria-Hungary, while accepted as a possible model by liberals, was viewed with scorn by the rulers of Russia.22 During the 1905 revolution, however, liberal would-be “imperial citizens” like Baudouin hoped to push through such a reform devolving power to the local level (and ipso facto to non-Russian nationalities). Here Baudouin’s suggestions reflected a broad – though limited to the liberal elite – conception of a more democratic and less centralized Russian Empire. Baudouin’s conception of such a reform aimed to allow localities much greater autonomy while retaining the fundamental unity of the empire. Basic laws of civil and economic structure should be the same throughout the state though their appli21 Baudouin de Courtenay, Proekt osnovykh polozhenii (see footnote 18), pp. 6–8. 22 For the positive liberal view, see A. I. Kastelianskii (Ed.): Formy natsional’nago dvizheniia v sovremennykh gosudarstvakh. Avstro-Vengriia. Rossiia. Germaniia. Petersburg 1910.



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cation in different regions could (should) reflect local differences. There should be no customs or tariff boundaries between different regions. The political order would be (even within the Kingdom of Poland) decentralized and based on the freedoms promised in the Manifesto of 17 October 1905. In particular, censorship would be abolished, equal rights for all citizens would be respected, and measures would be taken to ensure the peaceful coexistence of different nationalities. While there would be no “state language,” “for considerations of economy, i.e., in order to waste as little time as possible, the language of central all-state institutions [and] the all-state Duma, should be that of the most numerous (preobladaiushchaia chis­ lenno) nationality and that of the two state centers, Petersburg and Moscow, the Great Russian language.”23 At the same time any citizen had the right to address and deal with state organs in his/her own language and no one would be obliged to use another language (including non-Poles and the Polish language). Interestingly, Baudouin did not clearly set down the political institutions of the revitalized Kingdom of Poland except to say that they too would be characterized by decentralization and regional autonomy. Baudouin’s “project” is notable in its unrelenting liberal rationality. In particular his practical proposal that Russian be used as the main central language (he remarks that anyone could hold a speech in another language in the Duma but that this would not have practical significance) reveals an impatience with the complications of a multi-ethnic and multi-linguistic polity. Baudouin’s willingness to allow Russian as a lingua franca also reflected his practicality and intolerance of parochialism and chauvinism of any stripe. His statement that the suffering and bloodshed that establishing an independent (Polish) state would inevitably cause would far outweigh any practical benefit also shows his distance from basic tenets of contemporary nationalism. These attitudes also show why, if there had only been a logical and liberal empire, Baudouin de Courtenay would have been its enthusiastic citizen. As it was, Baudouin was left in an uncomfortable position. His life as an imperial subject had taught him that members of diverse cultures could live together reasonably, but his experiences also instilled in him a practical, non-national attitude very far from the touchy and lachrymose grandstanding of national patriots. One may argue, I think, that Baudouin was literally incapable of understanding the fervent mindset of these individuals – a blindness that developed partly out of his own rationalist mentality but also can be seen as product of a life spent successfully in a non-national imperial context. The fundamental nation-must-be-congruent-to-state paradigm of nationalists was utterly foreign – and repugnant – to him, reflecting his internationalism but also his imperial biography.

23 Baudouin de Courtenay, Proekt osnovykh polozhenii (see footnote 18), pp. 12–13. Emphasis in the original.

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The Jewish Question The two “questions” most vexing to the late imperial polity were surely the Polish and the Jewish. This is not to say that the “Muslim question” was unimportant but for historical and geopolitical reasons it appeared less immediately threatening. The Russian Empire rarely saw Muslims as challenging the territorial integrity of the Russian Empire. Most Muslims lived far from central Russia and did not live in territories likely to be the scene of the next major international war. The immediate geographical and military “threat” of Poles and Jews loomed far larger.24 And, as is rather well known, relations between Poles and Jews in the Russian Empire deteriorated severely around the turn of the century, in particular reaching a crisis point in the years just before World War I.25 Both before and after 1918, Jan Baudouin de Courtenay spoke out strongly and without reservation in favor of equal treatment of Jews, an end to all legal discrimination, and against growing Polish antisemitism. One could see also in Baudouin’s defense of the Jews (more precisely, his criticism of antisemites) a reflection of his own imperial biography. After all, who more than the Jews – to be sure, not in the Russian Empire but surely in Austria-Hungary and the Ottoman lands – could be seen as an exemplary “imperial people”? Baudouin de Courtenay’s general attitude toward Jews and the “Jewish question” is entirely in line with his disdain of chauvinism and national exclusiveness. Toward the end of his life he expressed his opinion on this subject in these terms: “The fanaticism of nationalities with states and nationalized statehood, particularly among people otherwise enlightened and outstanding, recognizes only ‘100% statehood’ (folblutyzm państwowy) and demands that all citizens of a given state belong to one and the same nationality. ... This racial or more properly tribal-national Voll­ blutismus in sovereign states was a portent of the nationalist madness which since the war has grabbed hold of nearly all European states.”26 Such a nationalist mania, Baudouin goes on, is specifically troublesome for Jews who are faced with the unwelcome “choice” of either totally obliterating their past and present identity in order to 24 On these “threats,” see, for example, Leonid E. Gorizontov: Paradoksy imperskoi politiki: Poliaki v Rossii ii russkie v Pol’she. Moscow 1999; Henryk Glebocki: Fatalna sprawa: Kwestia polska w rosyjskiej myśli politycznej. Cracow 2000; John Doyle Klier: Imperial Russia’s Jewish Question, 1855–1881. Cambridge 1995. 25 I have tried to explain the genesis of these worsening relations in Theodore R. Weeks: From Assi­ milation to Antisemitism: the “Jewish Question” in Poland, 1850–1914. DeKalb 2006. 26 Jan Baudouin de Courtenay: Tolerancja. Równouprawnienie. Wolnomyślicielstwo. Wyznanie paszportowe. Warsaw 1923, p. 5. The passage vividly illustrates Baudouin’s unique writing style which defies translation: “Fanatyzm narodowości upaństwowionej i państwowości unarodowionej, właściwy nawet ludziom skąd inąd światłym i wybitnym, uznaje tylko folblutyzm państwowy i żąda, ażeby wszyscy obywatele danego państwa należeli do jednej i tej samej narodowości. ... Ta kołowacizna folblutyzmu rasowego czyli raczej plemienno-narodowego w państwach, jako całościach politycznie niezależnych i suwerennych, była zapowiedziątego szału nacjonalistycznego, jakim po wojnie zostały opętane prawie wszystkie narody europejskie.”



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assimilate completely or being cast out, without their own nation-state to fall back on. The position of the Jew in the early interwar years was particularly emblematic of the excesses of national chauvinism in newly-independent states such as Poland.27 Thus Baudouin’s position on the Jews and the relationship between state and national minorities, including the Jews, remained consistent before and after the resurrection of independent Poland.28 Baudouin de Courtenay’s attitude toward the Jews reflected his worldview as a liberal, progressive individualist. One’s nationality and religion were private matters and prejudice toward any national group or religious tradition was at best in very bad taste. Here Baudouin fit together with Polish liberals like the so-called “positivists” Bolesław Prus or Aleksander Świętochowski – before the latter’s turn toward antisemitism, it goes without saying. Like them, he was not particularly concerned with the “Jewish question” until it came to assume an obsessive place in Polish society – and then he was most interested in criticizing the phenomenon itself, that is, he was more concerned about aberrations in Polish civil discourse than about Jews per se. This attitude is clearly expressed in Baudouin’s first major work on the topic, criticizing so-called “progressive antisemitism” in the post-1905 period.29 Baudouin begins his pamphlet with several examples of the absurdity (and ignorance) of recent attacks by erstwhile progressives on Jews. It was about as logical as some Englishman suddenly attacking his Jewish friend upon recalling that “the Jews killed Jesus.”30 Baudouin’s sarcasm is especially biting as before 1905 Polish progressives had tended to praise the Jews as their allies. Now, abruptly, these same individuals, in particular Andrzej Niemojewski, viciously turned on and attacked Jews in terms quite indistinguishable from those used by the worst antisemites.31 Baudouin notes a number of these attacks, from accusations that Esperanto was a Jewish plot to declarations of physical disgust at the sight of Jews, then proceeds to consider the question “can a freethinker be an antisemite?” The question, as they used to say, answers itself and gives Baudouin an opportunity to heap these erstwhile liberals turned antisemites with scorn. They cannot

27 Baudouin even accused independent Poland of being more chauvinist than tsarist Russia in that only ethnic Poles could make a career as military officers: “Tego absurdu nawet w Rosji carskiej nie było. Oficerem armji rosyjskiej mógł być nietylko Rosjanin, ale także Polak, Łotysz, Estończyk, Fin, Szwed, Niemiec, Tatar, Kirgiz, Gruzin, Ormianin i t.d. Tylko Żyd nie mógł dostąpić tego zaszczytu”. Baudouin de Courtenay, Tolerancja (see footnote 26), p. 6. 28 He also dedicated a brochure to the issue of Jews and independent Poland: Jan Baudouin de Courtenay: Kwestja żydowska w Państwie Polskim. Warsaw 1923. 29 On this phenomenon, see Theodore R. Weeks: Polish ‘Progressive’ Antisemitism, 1905–1914. In: East European Jewish Affairs 25 (1995), pp. 49–68. 30 Jan Baudouin de Courtenay: W sprawie “antysemityzmu postępowego”. Cracow 1911, pp. 3–8. 31 Niemojewski also personally attacked Baudouin and his friend, the Polish-Jewish (Galician) journalist Wilhelm Feldman. Jan Baudouin de Courtenay: O panu Andrzeju Niemojewskim słów kilka. Cracow 1912.

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be freethinkers or progressives because they show no indication of independent thought, engage in false polemics, do not criticize logically but attack on a national-tribal level, and make the absurd suggestion that Polish Jews like Nusbaum, Natanson, and Kraushar are not different from Jewish nationalists like Jackan, editor of the Yiddish-language Haint, or Vladimir Zhabotinskii.32 In any case, these would-be progressives’ conception of a purely Polish (and non-Jewish) freethinker-dom (wolnomyślicielstwo polskie ze specyficznym zapachem polskim) is simply nonsense. No doubt, Baudouin concluded, these “free thinkers” would attack him as a szabesgoj, but this would only be another voice in a long choir of “patriots” attacking him as a “Russian spy” (Kazimierz Ehrenberg – despite his name, one of the “progressive antisemites”), an “enemy of the Jewish people” (Zhabotinskii), “a person with a revolutionary past” (Purishkevich), and the like. To put matters baldly, with fools and knaves one must simply speak the truth and ignore their ravings. After deploring the low level of language and argumentation that this polemic has reached and the absurd division of the world into “Jews,” “non-Jews,” and “antisemites,” Baudouin went on to engage in one of his favorite rhetorical tactics: reductio ad absurdum or, taking a (stupid) argument to its logical (insane) conclusions. If, he wrote, Jews were so entirely harmful, they should be “subject to eradication and destruction”: they should be deprived of property, castrated (if men) or sold into prostitution (if women, to help state finances). But then Baudouin turns the knife: most likely such measures should from the point of view of Russian “patriots” be applied to all inorodcy from Poles to Armenians to Estonians – “and perhaps even Ukrainians.” He ends his parable with an anecdote about a conversation with a “Jew-Talmudist” on a train from Cracow to Vienna who had criticized the tsar for wanting to be “more wise than Lord God” by forbidding the public use of Polish and attempting to eradicate that nation.33 In a similar vein Baudouin criticized those who spoke of “masters” and “guests” in Poland, skewering Zionists and Polish nationalists in a single sentence: both “dream of a purely Polish land ...”. If the Polish progressives fail to recognize national rights for Jews, they should recall that Russian policy treated Polish culture in an identical manner. Rather than expressing outrage about “jargon” and calling for (at best ...) assimilation, Poles would do better to recognize Yiddish as a language like any other and to respect equal rights for all national groups and cultures. True, Jews “in masses” are dirty and slovenly, ride trains without paying, and engage in usury – but Poles are hardly free of these faults. In short, rather than using “the Jews” and “the Litwaks” as a means of ignoring Polish deficiencies, it would be better to fight the social evils themselves.34

32 Baudouin de Courtenay, W sprawie “antysemityzmu postępowego” (see footnote 30), pp. 9–23. 33 Baudouin de Courtenay, W sprawie “antysemityzmu postępowego” (see footnote 30), pp. 27–30. 34 Baudouin de Courtenay, W sprawie “antysemityzmu postępowego” (see footnote 30), pp. 30–50.



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Two years later, after Polish-Jewish relations had undergone an almost total rupture after the elections to the Fourth Duma, Baudouin published another work on the Jewish question (in many ways drawing on and expanding the main ideas of the above pamphlet). When very few Poles indeed were defending the Jews or calling for better relations, Baudouin’s short book is remarkably sober, humane, and consistent with his earlier ideals.35 He began with “psychological factors” and in particular the “collectivization of thought” that was incapable of independent rationality, “thought” only in crude categories (“Jew”, “goy” ...), and distrusted and hated anything and anyone more sophisticated or more energetic.36 As for the recent elections in Warsaw that had set off the boycott, Baudouin argued that the ruckus (hałas) far exceeded any actual damage to Polish interests and pointed out that the election of the socialist Eugeniusz Jagiełło by Jewish electors was caused in great part by the lack of tact and political mistakes of the (moderate) Polish candidate, the historian Jan Kucharzewski. Furthermore, “why, with nearly two million Jews [living] in the Kingdom of Poland, do the Jews have no right to a single representative in the State Duma?”37 In any case, the anti-Jewish boycott hurt the Polish economy, did not help build up specifically non-Jewish businesses, and delivered convenient rhetorical (and moral) weapons into the hands of those who hated Poland. Given his “imperial biography,” Baudouin de Courtenay thought not in narrow and mutually exclusive terms such as “Poland” or “Russia.” Rather, he recognized that solving the Jewish problem necessitated taking on reactionary ignorance, chauvinism, and national exclusiveness throughout the empire. Antisemitic Poles simply strengthened the position of the worst elements among Russians. For just one example, Baudouin gives the example of Bishop Evlogii – a figure particularly detested, and rightly so, by Poles – who pointed out in a Duma speech the “Polish logic” of demanding equal rights for themselves while denying the Jews the same.38 Indeed, the failure of Polish progressives to protest the boycott and indeed the widespread support for antisemitic and chauvinistic slogans spelled the bankruptcy of “Polish humanism.” Whereas earlier (for example after the Białystok pogrom of mid-June 1906) 35 Baudouin was not, of course, the only Pole who denounced the nationalist (Endek)-led boycott of the Jews. On those who opposed the wave of antisemitism see Jerzy Jedlicki: Intelektualiści oporni wobec fali antysemityzmu (Królestwo Polskie w latach 1912–1914). In: Czasy Nowożytne 15 (2003), pp. 177–193; Jerzy Jedlicki: Resisting the Wave: Intellectuals against Antisemitism in the Last Years of the Polish Kingdom. In: Robert Blobaum (Ed.): Antisemitism and its Opponents in Modern Poland. Ithaca 2005, pp. 60–80. For an excellent overview of antisemitism in the Polish context of these years, see Robert Blobaum: The Politics of Antisemitism in Fin-de-Siècle Warsaw. In: The Journal of Modern History 73 (2001), pp. 275–306. 36 Jan Baudouin de Courtenay: W “Kwestji Żydowskiej”. Warsaw 1913, pp. 12–20. 37 Baudouin de Courtenay, W “Kwestji Żydowskiej” (see footnote 36), pp. 24–36, quotation from p. 33. 38 Baudouin de Courtenay, W “Kwestji Żydowskiej” (see footnote 36), pp. 48–49. Evlogii made his comments on 24 November (7 December) 1911.

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members of the Polish intelligentsia had denounced antisemites as chuligani, now “progressive Poles” were acting in support of such hooliganism. This use of hatred and playing on low instincts for political gain, Baudouin warned darkly, could only lead to catastrophe and criminality, the incitement and depravity of the younger generation.39 What, then, was the answer? Baudouin goes through a dozen or so “solutions” (extermination, assimilation, Zionism, a kind of apartheid, etc.) in order to dismiss them all as absurd, illogical, impractical, and incapable of actually solving the real problem.40 In particular, Baudouin rejected any calls for increased nationalism, such as Zionism, while advocating a liberal, “imperial” position that demanded first of all equal rights for all national-cultural-religious groups throughout the empire. On such a basis, a solution could be found quite simply, in a turn toward a “broadly understood egotism, the egotism of social solidarity and mutual relations. Hodie mihi, cras tibi (today me, tomorrow you).” Only through toleration, equal rights, and territorial solidarity would the Jewish question cease to exist. Baudouin concluded: “A Jew enjoying equal rights, a Jew who can remain a Jew while living on Polish land, who will not be mocked or persecuted, whom no one will force to pretend to be a ‘Pole’, will begin to feel at home on that [Polish] ground and through gratitude for that freedom, slowly and willy-nilly, will become a Pole, if not by ethnicity then at least territorially. And that should be enough for us.”41 Baudouin de Courtenay’s views on the Jewish question mirror his fundamental mentality as an imperial citizen. That is, his arguments derive from a conception of a future democratic and liberal empire rather than from the ideal of a nation-state. In such a state, the Jewish question – like other national problems – would cease to exist, eliminated by a combination of state toleration and education. As one nation among many within the empire, the Jews would shed their unique and exclusive nature and while retaining certain cultural-religious markers, would “acculturate” to the empire’s liberal political culture.

Conclusion: Jan Baudouin de Courtenay’s Career as an Imperial Biography Jan Baudouin de Courtenay was by chance but also by choice an imperial man. That is, he flourished not in a narrow “nation-state” but in a Europe of fairly porous borders, even as the subject of the undoubtedly repressive (and polonophobic) tsar. The Russian Empire in this period did exhibit certain chauvinistic tendencies, 39 Baudouin de Courtenay, W “Kwestji Żydowskiej” (see footnote 36), pp. 57–59. 40 Baudouin de Courtenay, W “Kwestji Żydowskiej” (see footnote 36), pp. 60–97. 41 Baudouin de Courtenay, W “Kwestji Żydowskiej” (see footnote 36), p. 99.



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but a huge multinational state could not afford to exclude educated and ambitious non-Russians from its elite. For practical reasons, the empire had to be more open to members of various national groups than an explicitly national state could be. While Russians were often privileged in this system, non-Russians were not explicitly excluded from educational and career advancement. Thus Baudouin was able to succeed in his profession on an imperial level while retaining his national identity. He always considered himself a Pole but lived most of his life far from the Polish lands, among Tatars, Estonians, and Russians. He wrote works and letters in a number of languages, and explicitly rejected “ethnic solidarity” in favor of territorial or even human solidarity. He rejected the nationalist claims, whether of Polish Endeks, Jewish Zionists, or woolly-minded Panslavs. Both of his wives were Polki and his daughter remembered him as a hardworking, kind, but not indulgent pater familias – a fairly typical, one may posit, Victorian-Edwardian-Wilhelmenian bourgeois at home.42 He liked Tolstoy’s novels and admired his pacifism (and rejection of eroticism); the sage of Yasnaya Polyana returned the compliment.43 He exemplified the hardworking, rational, and humane (if also elitist) outlook of the nineteenth-century European liberal.44 Baudouin de Courtenay spent the greatest part of his life as a subject of the Russian tsar and certainly must be considered a fairly typical oppositional inteli­ gent. And yet during the last decade of his life, living in the would-be Polish “nationstate,” Baudouin defined himself in opposition to nearly everything that state stood for: anti-nationalist, anti-religious, and against would-be “traditions” in national and political life. No doubt his imperial horizons made it difficult for him to conceive of himself as citizen of a nation-state. By 1918, he was already an elderly man but his sidelining from Polish academia reflected his rejection of nationalism as much as it did his age. Within the boundaries of post-1918 Poland, Baudouin never tired of pointing out that one-third of Poland’s citizens were not ethnic Poles. For them he demanded the same national rights that he had defended for Poles and Jews in the Russian Empire. Among the many articles he published in this decade are (negative) portrayals of communism, defenses of Jews and Ukrainians against Polish state authority and Slovaks against Czech overlordship, articles about freethinking, in favor of non-religious marriages and divorces, and appeals for disarma-

42 Ewelina Małachowska: Jan Baudouin de Courtenay w życiu prywatnym (wspomnienia o moim ojcu). In: Przegląd humanistyczny 3 (1973), pp. 91–104, pp. 119–131. 43 Bazyli Białokozowicz: Lew Tołstoj w oczach Jana Baudouina de Courtenay. In: Grzegorz Kotlarski and Mark Figura (Eds.): Oblicza Wschodu w kulturze polskiej. Poznań 1999, pp. 143–163. 44 Bazyli Białokozowicz: Jan Baudouin de Courtenay – twórca nowoczesnego językoznawstwa w walce o społeczeństwo obywatelskie i otwarte. In: Marzena Rycielska and Grażyna Lisowska (Eds.): Wschód-Zachód: słowiańsko-germańskie badania na przełomie milenium. Słupsk 2002, pp. 149– 163.

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ment.45 To the end, he challenged the status quo, questioned commonly-held beliefs about nationality and religion, and rejected chauvinism and laziness masquerading as patriotism. In short, to the end Jan Baudouin de Courtenay remained a “man of empire” in the noblest sense of the word.

45 For an excellent bibliography of these journalistic articles, see Mirosław Skarżyński: J. Baudouin de Courtenay. Miejcie odwagę myślenia. Wybór pism publicystycznych z lat 1898–1927. Cracow 2007, pp. 575–583.

Christoph Augustynowicz

Zwischen Legitimität aus Galizien und Dienst für Habsburg Die Wiener Genealogie Oskar Haleckis

Abb. 23: Oskar Halecki (1891–1973)

Der vorliegende Artikel behandelt die Genealogie des Polen/Ostmitteleuropa/ Europa-Historikers Oskar Halecki (1891–1973). Um gemäß dem Konzept des vorliegenden Sammelbandes das Verhältnis der Vorfahren Haleckis zur Habsburgermonarchie im Rahmen übergeordneter Fragestellung hin zu den analytischen Kategorien Imperium und Dynastie zu charakterisieren, wird dabei vor allem auf die folgenden Fragen eingegangen: Welche Rolle spielte die Zugehörigkeit zum Adel für die Karriere im Berufsfeld, konkret des Militärs? Wie verhielten sich daraus resultierende ständische zu den nationalen und professionellen Loyalitäten und Netzwerken der Akteure, konkret zur polnischen, jedenfalls galizisch-adeligen Herkunft der Familie Halecki? Auch die Frage, wie sie Kritik an der monarchischen Verfassung des Staates äußerten und welche Vergleiche etwa zu anderen Monarchien oder Republiken angestellt

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wurden, kann und wird implizit beantwortet werden. Konkret werden dazu folgende Punkte behandelt: Zum einen sollen Oskar Halecki als Person und seine Genealogie vorgestellt werden. Darüber hinaus ist zu fragen, ob sich in der Entwicklung vom Adel zum Militär generalisierbare Mobilitäts- und Karrieremuster erkennen lassen. Abschließend werden bei einem Lebenslauf, der den Protagonisten aus Galizien in das Zentrum der Monarchie führte, unterschiedliche nationale und professionelle Loyalitäten sichtbar, die es zu zeigen gilt.

Oskar Halecki: Person und Genealogie Zur Charakterisierung des gesellschaftlichen Milieus, dem Oskar Halecki entstammte, ist es unerlässlich, eine kurze biographische Skizze zugrunde zu legen. Nur so werden Mechanismen der Selbstwahrnehmung als Angehöriger des Adels, als Teilnehmer von Migration, als Angehöriger und Produkt der Habsburgermonarchie und vor allem ihres Erbes deutlich. Oskar Halecki wurde am 26. Mai 1891 in Wien in habsburgisch-polnisches Offiziers-Milieu geboren und früh sowohl wissenschaftlich als auch realpolitisch mit dem Raum konfrontiert, dessen vor allem historiographische Operationalisierung als Ostmitteleuropa er mit anleiten sollte1. Seine frühen Arbeiten beschäftigten sich mit der Integration der orthodoxen Gebiete in den polnisch(litauisch)en Staat im 15. und 16. Jahrhundert, er selbst war historischer Berater der polnischen Delegation auf der Pariser Friedenskonferenz im Jahr 1919. Halecki legte in seinem geschichtswissenschaftlichen Werk stets großen Wert auf die konzeptionelle Differenzierung des östlichen Europa. Die geographische Homogenität, so seine Argumentation, dürfe nicht über die historischen Unterschiede hinweg täuschen, die er vor allem in Russland einerseits und in Polen andererseits verkörpert sah. Als Instrument für eine derartige Differenzierung prägte er den Begriff Ostmitteleuropa mit2, wie er nach dem Ersten Weltkrieg vor allem von polnischen und tschechischen Historikern in diesem Sinn verwendet wurde. Ein breites Forum fand diese Diskussion auf dem VII. Internationalen Historikerkongress in Warschau im Jahr 1933. Halecki argumentierte hier im Sinne einer signifikanten Unterscheidung zwischen Europa und Asien, wies eine Zweiteilung Europas in einen romanisch-germanischen und einen slawischen Teil zurück und gestand Zugehörigkeit zu Europa bestenfalls den westlichen Teilen der russländischen Einflusssphäre zu. Er betonte den mongolisch-tatarischen Einfluss auf die Kiever Rus‘ und den türkisch-osmanischen Einfluss auf Byzanz seit dem Mittelalter als entfrem1 Vgl. dazu Christoph Augustynowicz: Vom heroischen Subjekt zum politischen Objekt? Das Bild Jan III. Sobieskis im Werk Oskar Haleckis. In: Johann Heiss u. Johannes Feichtinger (Hrsg.): Der erinnerte Feind. Kritische Studien zur »Türkenbelagerung«. Band 2. Wien 2013. S. 91–105, hier S. 91–97. 2 Vgl. dazu Joachim von Puttkamer: Geschichte Ostmitteleuropas im 19. und 20. Jahrhundert. Mün­ chen 2010. S. 149–150.



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dende Faktoren. Seine Aufmerksamkeit galt somit der Ziehung scharfer Trennlinien innerhalb des östlichen Europa. Diese Ausrichtung fand zwar beim deutschen und französischen Publikum Interesse, in Litauen und vor allem der Ukraine wurde sie hingegen stärker als Versuch imperialer Vereinnahmung wahrgenommen. Politisch stand das Konzept Haleckis der Zwischenkriegszeit somit ganz klar für eine föderale Ausdehnung Polens nach Osten. Schlüsselbegriffe seines historischen Verständnisses waren Freiheit und Föderation, zentrales Modell das der politischen Union, für Halecki idealtypisch repräsentiert in der polnisch-litauischen Republik. Konkreter Träger eines derartigen polnischen Reichsgedankens waren für ihn der katholische Klerus und der Adel, die missionarische Ausbreitung des Katholizismus blieb in seiner Auffassung stets zentral. Unter dem Eindruck der totalitären Herrschaften über Ostmitteleuropa während und nach dem Zweiten Weltkrieg trat für Halecki der Antagonismus zwischen fede­ rations und empires noch stärker in den Vordergrund. Seit 1939 in den USA, betonte er mit dieser Gegenüberstellung die Parallelen der historischen Verfasstheiten in Ostmitteleuropa und den USA, zur Idee einer polnischen Reichsgeschichte ging er zumindest deutlich auf Distanz. Gerade wegen seiner räumlich und chronologisch so weiten Perspektive und seiner Sprachkenntnisse – Halecki verwendete im geschichtswissenschaftlichen Betrieb nachweislich Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Kroatisch, Latein, Polnisch und Russisch3 – gewann er weit über den polnischen Sprachraum hinaus Einfluss. Ab 1950 entstanden seine Überblicke und Synthesen, in denen Ostmitteleuropa auf der Grundlage weicher und fließender, eben verknüpfender Innen- und Außengrenzen zum einen und zivilisatorischer, kultureller und sozialer Faktoren anstatt machtpolitischer Indikatoren zum anderen charakterisiert und in größere Zusammenhänge gestellt wurde. 1950 und 1963 entstanden zwei Entwürfe mit und aus gesamteuropäischer Perspektive, in denen Fragen der inneren Abgrenzungen forschungsanleitend blieben. Ferner sind die 1957 in deutscher Übersetzung erschienene Gesamtdarstellung Grenzraum des Abendlandes. Eine Geschichte Ostmitteleuropas (zuerst englisch 1952) und die 1963 in Deutsch erschienene Geschichte Polens (zuerst französisch 1933) hervorzuheben. All diese Arbeiten sind nicht nur Versuche, zu den historiographischen Interessen der Zwischenkriegszeit zurückzukehren, sondern vor allem Statements gegen die Nachkriegsordnung. Entsprechend marginalisiert blieb Halecki im sowjetisch dominierten Polen selbst, er starb am 17. September 1973 in New York. Bei näherer Beschäftigung mit Haleckis Vorfahren im Wiener Milieu bzw. im habsburgischen Herrschaftsbereich muss man sich vor Augen halten, dass biographischprosopographische Arbeit auch im imperialen Kontext stets Züge von Spurensuche

3 Małgorzata Morawiec: Oskar Halecki (1891–1973). In: Heinz Duchhardt [u.a.] (Hrsg.): Europa-His­to­ riker. Ein biographisches Handbuch. Band 1. Göttingen 2006. S. 215–239, hier S. 215.

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hat. Sie konzentriert sich auf genealogische Handbücher und Archivinventare4; hervorzuheben ist das sogenannte Brünner Taschenbuch5, das schon Oskar Halecki selbst für seine genealogischen Studien großzügig verwendete6. Darüber hinaus sind in diesem Beitrag Materialien aus dem Kriegsarchiv des Österreichischen Staatsarchivs in Wien verwertet, konkret aus dem Bestand Qualifikationslisten7 zu Oskar Haleckis Vater Oskar Alois8 und zu dessen älterem Bruder Anton Vitus Alois9; über die älteren Generationen des Familienzweiges sind derartige Quellen nicht erhalten. Derartige Qualifikationslisten beinhalten Informationen über die sozioökonomischen Situatio­ nen der Offiziere ebenso wie über ihre individuellen Fähigkeiten. Es muss ergänzt werden, dass genealogische, aus ihrer adeligen Abstammung hervorgehende Materialien der Wiener Haleckis im Österreichischen Staatsarchiv nicht nachgewiesen werden konnten. Ob sie Teil des Nachlasses im Archiv des von Halecki maßgeblich mitbegründeten Polish Institute of Arts and Science in New York10 sind, wurde bislang noch nicht überprüft – ihr Aufbewahrungsort und Erhaltungszustand liegen somit im Dunkeln. Die nachweisbare unmittelbare Vorfahrenschaft Oskar Haleckis ist bis in die fünfte Generation zu verfolgen, wobei sich folgendes Bild ergibt: Onkel Anton Vitus Alois (1830–1906) und Vater Oskar Alois Leopold (1838–1903), sowie Großvater Josef Mathias (1786–1855). Weiter lässt sich der Zweig verfolgen zu Stanisław, dem Urgroßvater Oskars, dessen Lebensdaten sich bereits im Dunkeln verlieren; dessen Vater Simon Anton wurde im Jahr 1695 getauft, dessen Vater Jan, mithin Oskars Urururgroßvater, heiratete 1690. Halecki nutzte sein Profil als Historiker, um seiner weiteren Familie gründlich nachzugehen11 und die Veröffentlichung seiner genealogischen Forschungsarbeit im Polski Słownik Biograficzny zu veranlassen – Grundlage dafür waren Forschungen und Exzerpte, die wohl Anton Vitus Alois bereits vorgenommen, angelegt und unter 4 Karl Friedrich von Frank zu Döfering: Alt-Österreichisches Adels-Lexikon. Band 1 (1823–1918). Wien 1928. S. 106f; Karl Friedrich von Frank: Standeserhebungen und Gnadenakte für das Deutsche Reich und die Österreichischen Erblande bis 1806 sowie kaiserlich österreichische bis 1823 mit einigen Nachträgen zum „Alt-Österreichischen Adels-Lexikon“ 1823–1928. Band 2 (F–J). Schloss Senftenegg 1970. S. 157. 5 Für den vorliegenden Artikel wurden vor allem die Bände 2, 8 und 19 ausgewertet: Genealogisches Taschenbuch der Ritter- und Adelsgeschlechter. Band 2. Brünn 1877. S. 328f; Genealogisches Ta­schen­ buch der Adeligen Häuser. Band 8. Brünn 1883. S. 212f; Genealogisches Taschenbuch der Adeligen Häu­ser. Band 19. Brünn 1894. S. 228f. 6 Oskar Halecki: Chaleccy. Krakau 1937. S. 22f; Michał Kozłowski sei an dieser Stelle für seine Hilfe herz­lich gedankt. 7 Richard Lein sei an dieser Stelle für seine Hilfe herzlich gedankt. 8 Österreichisches Staatsarchiv Wien, Kriegsarchiv, Qualifikationslisten 938, Nr. 88. 9 Österreichisches Staatsarchiv Wien, Kriegsarchiv, Qualifikationslisten 938, Nr. 81. 10 Morawiec, Oskar Halecki (wie Anm. 3), S. 237; zum Nachlass vgl. http://www.piasa.org/archives/ fonds-050.html (16.12.2013). 11 Morawiec, Oskar Halecki (wie Anm. 3), S. 215f.



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dem Titel „Chronik der Familie Ritter Halecki und deren Verwandtschaft zusammengestellt in der 2-ten Hälfte des 19-ten Jahrhunderts“ kompiliert, aber nicht veröffentlicht hatte; dieses Material befindet sich heute in der Handschriftensammlung der Biblioteka Jagiellońska 12.

Vom Adel zum Militär: Mobilitäts- und Karrieremuster Hinsichtlich der Frage, wie Mobilitätsmuster imperialer Berufsfelder sozial strukturiert waren und ihrer Umlegung auf das hier gewählte Fallbeispiel ist hinsichtlich nachhaltig wirksamer Mobilität Oskar Haleckis Großvater Josef Mathias hervorzuheben: Er wurde im Jahr 1786 als Sohn des in Jureczkowa östlich von Sanok in Galizien als Grundherr lebenden Stanisław geboren; am 29. Juni 1829 heiratete er in Wien die aus einer Regensburger Ärztefamilie stammende Antonina von Gemeiner13. Sein ältestes Kind hingegen, der Sohn Anton Vitus Alois, wurde ziemlich genau ein Jahr später, am 6. Juli 1830 in Lemberg geboren und starb am 13. September 1906 in Perchtoldsdorf bei Wien. Dessen jüngerer Bruder Oskar Alois wurde am 14. November 1838 bereits in Mauer bei Wien geboren und starb am 29. Dezember 1903 in Wien14; auch alle vier Töchter Josef Mathias’ wurden zwischen 1834 und 1844 in Mauer bei Wien geboren. Hinsichtlich der räumlichen und funktionalen Bezugsgrößen der Haleckis im Laufe ihrer Karrieren in der k.k. Armee, sowie deren Veränderung und Hierarchisierung lässt sich somit in der Mitte des 19. Jahrhunderts eine kontinuierlich-prozessuale, aber sehr klar ausgerichtete Bewegung weg von der galizischen Provinz über Zwischenschritte im Provinzzentrum Lemberg hin zur Reichshauptstadt Wien feststellen. Josef Mathias Halecki vollzog diese Schritte binnen einer Generation; seine fünf Geschwister hingegen blieben dem galizisch-bukowinischen Milieu verbunden und im größeren räumlichen und funktionalen Zusammenhang unauffällig, relativ profiliert ist sein Bruder Jakob, der als römisch-katholischer Pfarrer reüssierte15.

12 Jan Rydel: W służbie Cesarza i Króla. Generałowie i admirałowie narodowości polskiej w siłach zbrojnych Austro-Węgier w latach 1868–1918. Krakau 2001. S. 166, Anm. 21; Marek Kornat: Historyk Europy Środkowo-Wschodniej. Oskar Halecki (1891–1973) w nauce i życiu Polski. In: Jiří Hanuš u. Ra­ do­mír Vlček (Hrsg.): Historik w promĕnách doby a prostředí 20. Století. Brno 2009. S. 305–338, hier S. 316, Anm. 10. 13 Genealogisches Taschenbuch 2 (wie Anm. 5), S. 329; zur Familie Gemeiner vgl. Carolin Schmuck: Ros­marinwein oder: Wie man sich vor der Pestilenz schützen kann. Medizingeschichten aus Regens­ burg. In: Lothar Kolmer u. Fritz Wiedemann (Hrsg.): Regensburg. Historische Bilder einer Reichsstadt. Re­gensburg 1994. S. 192–215, hier S. 209. 14 Neue Freie Presse, 30. Dezember 1903 (Nr. 14132), S. 6. 15 Genealogisches Taschenbuch 8 (wie Anm. 5), S. 212f.

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Besagter Josef Mathias vollzog auch den Schritt vom galizischen Adel zum Dienst im Militär der Habsburgermonarchie und wurde 1833 im Rang eines Majors pensioniert16. Seine beiden Söhne folgten diesem Muster und machten durchaus zügig Karriere in der Armee des Habsburgerreiches: Anton Vitus Alois trat 1846 als Pionier in die Armee ein, wurde 1869 Hauptmann, 1873 Major und 1878 Oberstleutnant; Ende 1880 wurde er pensioniert. Oskar Alois trat 1858 bereits als Leutnant in die Armee ein, wurde 1863 Oberleutnant, 1866 Hauptmann. 1877 stieg er weiter auf in den Rang eines Majors, 1879 avancierte er zum Oberstleutnant, 1884 zum Oberst, 1890 zum Generalmajor. Aus der Armee verabschiedet wurde Oskar Alois 1894 im Generalsrang, nämlich als Feldmarschall-Leutnant. Von einer Ausnahme zwischen 1866 und 1877 abgesehen, machte also Oskar Alois seine Karriereavancen somit in höchstens Fünfjahresschritten, auch Anton Vitus Alois avancierte ab 1869 zügig. Er nahm an den wichtigen militärischen Aktionen der Habsburgermonarchie seiner Dienstzeit teil, angefangen von der Revolution 1848 bis hin zur Okkupation Bosniens und Herzegowinas 1878. Oskar Alois nahm an den beiden wichtigsten, wenn auch erfolglosen Schlachten der Geschichte der Habsburgermonarchie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts teil, an den Schlachten von Solferino 1859 und von Königgrätz 186617. Er wird in seiner Qualifikationsliste als guter Zeichner hervorgehoben; vor allem als Kartenzeichner scheint er sich ausgezeichnet zu haben, was im Diskurs der militärischen Bildungsinstitutionen als wesentliches Kriterium zur Eignung eines Offiziers für den Generalstab galt18. Ähnlich wie in anderen Armeen zumindest des 19. Jahrhunderts war Karriere in der Armee des Habsburgerreiches ganz entscheidend an dienstliche Mobilität gebunden. Oskar Alois’ Landeskenntnisse der Habsburgermonarchie sind daher in seiner Qualifikationsliste denkbar detailliert dokumentiert; gerade in seinem Fall ist somit eine tatsächliche Entwicklung reichsweiter Zirkulation zu belegen: Im Zuge privater Reisen lernte er Nieder- und Oberösterreich, die nördliche Steiermark, das nördliche Böhmen und Bayern kennen; die Lombardei, die Südsteiermark, das Küstenland, Siebenbürgen und Ungarn hingegen im Zuge seines Militärdienstes. Selbstverständlich kannte er Norditalien und Ostböhmen aus den Jahren 1859 und 1866 als Teilnehmer an den Schlachten von Solferino und Königgrätz und schließlich Kärnten aus dienstlicher Recognoszierung. Auffälligerweise fehlt in dieser Aufzählung ein Land, nämlich Galizien, das allerdings der Bruder Anton Vitus Alois ausdrücklich aus seiner Militärdienstzeit kannte. Der Grund, dass die familiäre Vertrautheit der Haleckis mit Galizien in der administrativen Erfassung nicht evident gemacht wurde, mag in der Politik der Heeresleitung liegen, Armeeangehörige zu den Provinzen ihrer Herkunft 16 Rydel, W służbie Cesarza (wie Anm. 12), S. 166. 17 Helmut Rumpler: Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der Habsburgermonarchie. Wien 1997. S. 386. 18 Antonio Schmidt-Brentano: Die Armee in Österreich. Militär, Staat und Gesellschaft 1848–1867. Boppard am Rhein 1975. S. 494.



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angesichts der ethno-religiösen Heterogenität im Reich und der darin potentiell ethnisierbaren, sozialen Konflikte möglichst auf Distanz zu halten19. Nach 1866 wurden der Weg und die Karriere von Oskar Alois verhältnismäßig stark an einen Ort gebunden oder zumindest auf kleinräumigere Mobilitätsmuster beschränkt, da er von nun an vor allem in Osijek in Slawonien, aber auch in anderen ungarischen und kroatischen Garnisonen stationiert war20. Unabhängig von Herkunft und Mobilität spielte die Zugehörigkeit zum Adel eine zentrale Rolle für den Dienst und vor allem die Karriere in der k.k. Armee. Dementsprechend großzügig wurde im Zusammenhang mit dem Heeresdienst nobilitiert: Seit der Herrschaft Maria Theresias etwa bestand nach 30 Jahren tadellosem Militärdienst Anspruch auf Erhebung in den Adelsstand, ebenso begründeten die Verleihung des Maria Theresien-Ordens, des St. Stephan-Ordens, des Leopold-Ordens und des Ordens der Eisernen Krone Ansprüche auf Nobilitierung; erst in den 1880-er Jahren wurde die so ausgelöste Nobilitierungsflut dadurch eingeschränkt, dass die Verleihung von Orden jetzt nicht mehr automatisch an die Verleihung des Adelsstandes gebunden war. Dieser Tendenz der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als ein neuer den alten und hohen Adel in höheren und höchsten Armeerängen in zunehmendem Maß ersetzte bzw. verdrängte21, entspricht somit auch der Aufstieg der Generation von Oskar Alois Halecki in Generalsränge. Welchen Einfluss hatten aber die kulturelle Herkunft und das daraus hervorgehende kulturelle Kapital der Wiener Haleckis als in Galizien wurzelnde Adelige für ihre Funktions- und Berufswahl bzw. auf den Verlauf ihrer Karriere? Zweifelsohne existierte in der polnischen Adelstradition das Idealbild des Ritters, der seine Begriffe von Freiheit und Recht verteidigt, sich aber dem Gedanken der Eroberung widersetzt22. Die Haleccy oder auch in der älteren Schreibweise als Chaleccy belegbaren Vorfahren Oskars definierten sich unmissverständlich als Teil des (polnischen) Adels. Stanisław Halecki wurde als Gutsbesitzer am 28. Juli 1784 in den galizischen Adel (szlachta galicyjska) aufgenommen und dokumentierte bei dieser Gelegenheit, dass seine Familie seit jeher im unbestrittenen Besitz der Adelswürde war23. Wie bereits gezeigt, betrieben zum einen Oskars Vater und Onkel in diesem Sinne genealogische Forschungen und sollte zum anderen auch für ihn dieser Umstand während seines gesamten Lebens relevant bleiben. Interessant und relevant für das Verhältnis dieser Wiener Haleckis zur Habsburgermonarchie ist darüber hinaus, mit welchen Mitteln sie als Angehörige des galizisch-polnischen Adels an die Reichsideologie der Habsburgermonarchie gebunden wurden und sich binden ließen. Bereits Stanisław war durch die habsburgische Admi19 Schmidt-Brentano, Die Armee in Österreich (wie Anm. 18), S. 283f. 20 Halecki, Chaleccy (wie Anm. 6), S. 23. 21 Schmidt-Brentano, Die Armee in Österreich (wie Anm. 18), S. 448–454. 22 Mariusz Markiewicz: Historia Polski 1492–1795. Krakau 2004. S. 145. 23 Frank, (wie Anm. 4), S. 157; vgl. dazu auch Genealogisches Taschenbuch 2 (wie Anm. 5) , S. 329.

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nistration 1782 oder 1784 veranlasst worden, sich in die galizische Adelsmatrikel einzutragen. Der wesentliche Rechtsakt zur integrativen Bindung des galizisch-polnischen Adels an die Institutionen der Habsburgermonarchie geht aber auf die Zeit nach dem Wiener Kongress zurück; die so genannte Landständische Verfassung Kaiser Franz’ I. vom 13. April 181724 definierte nämlich für Galizien vier Stände: Die Geistlichkeit (Bischöfe), den Herrenstand (Fürsten, Grafen, Freiherren), den Ritterstand (Edelleute adeliger Herkunft) und die königlichen Städte. Gemäß Paragraf 625 hatte die Familie Halecki implizit das Inkolat, also zum einen das Recht auf den Besitz von Gütern, die dem Hochadel vorbehalten und als solche registriert waren (Tabularbesitz)26 und zum anderen die Zugehörigkeit zum Ritterstand des österreichischen Kaiserreiches. Josef Mathias erhielt am 21. Dezember 1832 die Legitimation in den Ritterstand durch den dafür zuständigen galizischen Landesausschuss. Der nächsten Generation, den hier vornehmlich behandelten Brüdern Anton Vitus Alois und Oskar Alois, wurde am 22. September 1857 mit ausdrücklicher Bezugnahme auf die Landständische Verfassung von 1817 die Zugehörigkeit zum Ritterstand des österreichischen Kaiserreiches bestätigt und darüber hinaus das deutschsprachige Adelsprädikat „von Nordenhorst“ verliehen; der vollständige Familienname lautete daher von da an „Halecki von Nordenhorst“. Darüber hinaus wurde der Familie eine Wappenverbesserung zugestanden. Adel blieb also als gesellschaftliches Muster dominant, wandelte sich aber in seiner konkreten Ausgestaltung von polnisch- zu deutschsprachig, von provinzial gebunden zu gesamtstaatlich verbindlich, von örtlich zu funktional gebunden.

Aus Galizien in die Monarchie: Nationale und professionelle Loyalitäten Die damit thematisierte Sprachfrage ist ein geeigneter Anlass zur Klärung der Frage, wie diese ständische Tradition der Haleckis als galizisch-polnische Adelige der Anforderung anderer professionaler und/oder nationaler Loyalitäten gegenüberstand. Welche Vorstellungen vom Reichszusammenhang, von inneren Hierarchien und korrespondierenden Problemwahrnehmungen entwickelten sie als mobile Eliten aus den Erfahrungen ihrer verschiedenen Karrierestationen?

24 Vgl. Stanisław Grodziski: Historia ustroju społeczno politycznego Galicji 1772–1848. Warschau [u.a.] 1971. S. 149f; Hans-Christian Maner: Galizien. Eine Grenzregion im Kalkül der Donaumonarchie im 18. und 19. Jahrhundert. München 2007. S. 64. 25 Vgl. Genealogisches Taschenbuch 2 (wie Anm. 5), S. 329. 26 Vgl. dazu Klemens Kaps: Von der Zivilisierung der Peripherie. Wirtschaftliche Entwicklung, über­ regionale Verflechtung und Modernisierungsdiskurse im habsburgischen Galizien (1772–1914). Dis­ sertation. Wien 2011. S. 219.



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In diesem Zusammenhang ist eine Episode aufschlussreich, die Oskar Haleckis spät- und postimperiale Haltung deutlich macht, auch für seine Vorfahren repräsentativ sein mag und von diesen geprägt worden sein dürfte: Der deutsche OsteuropaHistoriker Gotthold Rhode (1916–1990) beobachtete anlässlich eines Historikertages in den 1960-er Jahren27, dass Halecki sich geradezu mit der Heterogenität seiner Genealogie brüstete – seine acht Urgroßeltern, so die unmissverständliche Attitüde, gehörten einer jeweils anderen ethnokonfessionellen Gruppe an. Halecki und seine Vorfahren waren somit – auch, aber nicht nur in ihrer Erinnerung – paradigmatisch für die Struktur und die Wahrnehmung der Habsburgermonarchie als Schmelztiegel der Identitäten; auch Oskars eigene Biographie sollte sich als sinnbildlich für die Integration von national-polnischer und übernational-europäischer Identität entwickeln. Die Position der Vorfahren Haleckis ist dabei unmissverständlich als Zugehörigkeit zu Eliten der Habsburgermonarchie und ausdrücklich als überethnisch zu verstehen: Der polnischstämmige Vater hatte Generalsrang, die Mutter, Leopoldina Delimanić, stammte aus der Familie der kroatischen Župane von Osijek; über seine Großmutter Antonina von Gemeiner hatte Halecki auch zu profilierten Gesellschaftsschichten des Alten Reiches genealogische Verbindungen28. Die Loyalitäten zur Dynastie, zum Staat, zur Nation und zur Religionsgruppe, denen sich die Haleckis verpflichtet sahen, waren daher kaum überschneidend und wurden von ihnen umso weniger als unvereinbar oder konkurrierend wahrgenommen. Hinsichtlich eventueller, daran anknüpfender, gesellschaftspolitischer Aktivitäten ist daran zu erinnern, dass die Armee der Habsburgermonarchie bewusst a- bis antipolitisch ausgerichtet war. Offizieren war es etwa ausdrücklich verboten, sich an Redaktionen politischer Zeitschriften zu betätigen; de facto waren sie auch von parlamentarischer Tätigkeit ausgeschlossen. (Gesamt-)Staat und Herrscher bzw. Dynastie waren für den Offizier der k.k. Armee untrennbar miteinander verbunden29. Hatte sich die ritterliche Adelstradition, die den Haleckis ja von der Habsburger Administration bestätigt worden war, bei manchen Vertretern polnischer Adelsgeschlechter im 19. Jahrhundert zu einer Idee des bewaffneten Aufstandes im Sinne der Verteidigung von Rechten und Freiheiten transformiert30, so kam eine derartige Haltung bei den Wiener Haleckis ausdrücklich nicht zum Ausdruck: Anton Vitus Alois war in der zweiten Hälfte der 1840-er eher an seiner Profilierung und an der Vorbereitung seiner Karriere interessiert als an revolutionärer Agitation, zu der ihm das Jahr 1848 durchaus Anlass gegeben hätte; sein Vater Josef Mathias hatte zwar 27 Gotthold Rhode: Drei polnische Historiker – drei Persönlichkeiten der Zeitgeschichte. Zum Tode von Marian Kukiel, Oskar Halecki und Stanisław Kot. In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 24 (1976). S. 526–546, hier S. 529. 28 Jerzy Kłoczowski: Oskar Halecki (1891–1973). In: Peter Brock [u.a.] (Hrsg.): Nation and History. Polish Historians from the Enlightenment to the Second World War. Toronto [u.a.] 2006. S. 429–442. 29 Schmidt-Brentano, Die Armee in Österreich (wie Anm. 18), S. 280–282, S. 298. 30 Vgl. dazu etwa Maria Bogucka: Dzieje kultury polskiej do 1918 roku. Warschau [u.a.] 1991. S. 258– 261.

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1848 kurzfristig in der Nationalgarde reüssiert, sich aber schließlich dem kroatischen Banus Josip Jelačić angeschlossen31, dessen Wirken ja ausdrücklich für eine Wende gegen die nationalen Kräfte innerhalb der Habsburgermonarchie und für eine anhaltende Loyalität zum Gesamtkonzept derselben steht32. Aufschluss über Orientierungen und Loyalitäten der Wiener Haleckis kann schließlich auch deren Sprachverhalten geben: Anton Vitus Alois beherrschte Deutsch, Italienisch und Ungarisch, letzteres allerdings nur für den Dienstgebrauch; Oskar Alois sprach darüber hinaus ein wenig Französisch. Die Qualifikationslisten bestätigen, dass beide Brüder nicht polnischsprachig waren33, hinsichtlich ihres Sprachverhaltens also ihre polnische Identität vollständig einer habsburgischgesamtstaatlichen, vor allem durch die Armee repräsentierten Identität untergeordnet hatten. Die Familie war und blieb zum überwiegenden Teil katholisch. Zur Frage, welche Identifikationsangebote die imperiale Elite und ihre beruflichen Subsysteme für ihre Angehörigen bereitstellten, geben die Informationen über Anton Vitus Alois und Oskar Alois treffliche, nahezu paradigmatische Antworten: Bildung war neben der Profilierung im Militärdienst das zentrale Angebot, welches das Imperium hier zu machen hatte und welches auch von den Wiener Haleckis bereitwillig angenommen wurde. Vor allem die Militär-Akademien in Wiener Neustadt und in Wien stellten ein entsprechendes Angebot bereit und ermöglichten den Armeeangehörigen den Erwerb eines Bildungsprofils vor allem im Bereich der mathematischnaturwissenschaftlichen, aber auch der humanistischen Fächer. Darüber hinaus gab es die stärker praktisch ausgerichteten Institutionen der Pionierkorpsschule in Tulln, nordwestlich von Wien, und des Bombardierkorps, wo auch die französische und die italienische Sprache unterrichtet wurden. Was die gesellschaftlichen Formationen des Militärs und des Adels in der Institution der Akademien verband, war der Umstand, dass hier einerseits eine nach außen abgeschlossene Gesellschaft produziert wurde, die aber andererseits auch nach innen geschlossen war und sich weit über den institutionellen Zusammenhang hinaus zu lebensweltlichen Konstanten fügte34. Anton Vitus Alois besuchte vier Jahre ein Gymnasium und zwei Jahre eine Realschule; unmittelbar danach, am 3. Oktober 1846, trat er als Pionier in die Armee ein. Seine militärische Ausbildung erhielt er in der Tullner Pionierskorpsschule; im Schuljahr 1872/1873 nahm er am Zentralinfanteristenkurs der Militärakademie in Wiener Neustadt teil. Oskar Alois hingegen trat 1858 nach Abschluss der Wiener Neustädter Militärakademie bereits im Rang eines Leutnants in die Armee ein, in den Jahren 1871–1873 erwarb auch er nicht näher spezifizierte Zusatzqualifikationen. In diesem Bereich lassen sich somit binnen einer Generation wesentliche Unterschiede feststellen. War Anton Vitus Alois noch als Freiwilliger in die Armee eingetreten und hatte 31 Rydel, W służbie Cesarza (wie Anm. 12), S. 166. 32 Ludwig Steindorff: Kroatien. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. München 2001. S. 107. 33 Rydel, W służbie Cesarza (wie Anm. 12), S. 165f. 34 Schmidt-Brentano, Die Armee in Österreich (wie Anm. 18), S. 469, S. 478.



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sich zu Weiterbildungsmöglichkeiten hochgedient, also Bildung mittels Karriere erworben, so machte Oskar Alois umgekehrt Karriere mittels Bildung, da er bereits als Absolvent der Militärakademie und somit im Offiziersrang in den aktiven Militärdienst eintrat. Eine wesentliche Funktion der Armee bestand schließlich in der Definition und Verhandlung geschlechtlicher Rollenbilder. Anton Vitus Alois und Oskar Alois entsprachen offensichtlich in körperlicher Hinsicht dem vom Militär angeleiteten, institutionell verlangten und forcierten Bild der Männlichkeit35 und bewiesen in diesem Sinne funktionale Loyalität: In den jeweiligen Qualifikationslisten wird nämlich unter der Rubrik zusätzlicher Charakteristiken Anton Vitus Alois als guter Reiter, Oskar Alois hingegen als guter Schwimmer bezeichnet. Militär gliederte darüber hinaus auch das private Leben der Familie durch essenziellen Eingriff in die Ordnung der Geschlechter36: Alle drei Schwestern Anton Vitus Alois’ und Oskar Alois’, die das Erwachsenenalter erreichten, heirateten Offiziere; die Älteste, Malvina Aloisia Josepha, in zweiter Ehe einen Beamten der Karl-Ludwigs-Bahn37, die ja zum einen durch Galizien führte und zum anderen in einem funktionalen Naheverhältnis zum Militär stand38. Anton Vitus Alois und Oskar Alois heirateten spät, da der hoch regulierte und bescheiden bezahlte Militärdienst den Offizieren frühzeitige Eheschließungen in der Regel verunmöglichte39, bestand doch gemäß der Heiratsvorschrift vom 30. Juni 1861 „der Grundsatz, dass im allgemeinen nicht vor dem 30. Lebensjahr geheiratet werden durfte“40. Anton Vitus Alois war bei Abschluss seiner Qualifikationsliste ledig und verfügte gemäß der Kategorisierung des Militärapparates über etwas Vermögen; erst 1881 heiratete er in Wien Charlotte Gschmeidler, die Tochter eines Stadtbeamten41. Auch Oskar Alois besaß ein wenig Vermögen. Er heiratete ebenfalls 1881, da seine Braut die dafür notwendige Kaution von 12.000 Gulden auslegen konnte, was übrigens dem Höchstwert möglicher Heiratskautionen und dem Zehnfachen eines MajorsJahresgehaltes entsprach42. Nähere Informationen zur Frau des Offiziers Oskar Alois 35 Vgl. dazu etwa Christa Hämmerle: Zur Relevanz des Connell’schen Konzeptes hegemonialer Männ­lichkeit für „Militär und Männlichkeit/en in der Habsburgermonarchie (1868–1914/18)“. In: Mar­ tin Dinges (Hrsg.): Männer – Macht – Körper. Hegemoniale Männlichkeiten vom Mittelalter bis heute. Frank­furt am Main 2005. S. 103–121. 36 Ute Frevert: Gesellschaft und Militär im 19. und 20. Jahrhundert: Sozial-, kultur- und geschlechter­ geschichtliche Annäherungen. In: Ute Frevert (Hrsg.): Militär und Gesellschaft im 19. und 20. Jahr­hun­ dert. Stuttgart 1997. S. 7–14, hier S. 13. 37 Genealogisches Taschenbuch 8 (wie Anm. 5), S. 212. 38 Vgl. dazu Bartosz Nabrdalik: Galizische Eisenbahnen – in rein strategisches oder auch ökonomisches Unternehmen? Dissertation. Wien 2010. S. 71–84. 39 Johann Christoph Allmeyer-Beck: Die bewaffnete Macht in Staat und Gesellschaft. In: Die Habs­ bur­germonarchie 1848–1918. Band 5 (Die bewaffnete Macht). Wien 1987. S. 1–141, hier S. 101–105. 40 Schmidt-Brentano, Die Armee in Österreich (wie Anm. 18), S. 419. 41 Genealogisches Taschenbuch 8 (wie Anm. 5), S. 212. 42 Schmidt-Brentano, Die Armee in Österreich (wie Anm. 18), S. 419f.

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Halecki und Mutter des Historikers Oskar Halecki waren für die Militäradministration offensichtlich nicht interessant43. Auch die Geburt des Sohnes Oskar 1891 wird nüchtern, reduziert und namenlos vermerkt. Dieser sollte die von der Generation seines Vaters und seines Großvaters etablierten und hier analysierten genealogischen Schemen gründlich aufbrechen: Oskar Halecki heiratete 1913, also im Alter von 22 Jah­­ren und somit vergleichsweise früh; seine Braut, Helena Szarłowska, stammte aus polnischsprachigem Milieu, Ort seiner Hochzeit war Krakau, also eines der galizischen Provinzzentren44.

Fazit Zum Schluss ist freilich einzugestehen, dass viele essenzielle Fragen imperialer Biographieforschung in Bezug zur hier vorgelegten Fallstudie zumindest vorläufig unbeantwortet bleiben müssen. Hinsichtlich möglicher Prozesse imperiumsübergreifender Transfers und Mobilitätsformen militärischer Kapazitäten etwa ist darauf hinzuweisen, dass sich andere Vertreter der Familie Halecki im Laufe des 19. Jahrhunderts als Teilnehmer des Kościuszko-Aufstandes 1794 und des Jänner-Aufstandes 1863 sehr wohl als Träger des Aufstandsgedankens hervorgetan haben dürften. Es gab übrigens angeblich sogar einen tatarischen Zweig der Familie45. Ob nun allerdings Kommunikationen zwischen den Familienästen über die Grenzen der Imperien hinweg stattfanden, ist nicht bekannt. Zusammenfassend kann jedenfalls festgehalten werden, dass die Geschichte des Halecki-Zweiges, der im 19. Jahrhundert auf dem Gebiet der Habsburgermonarchie lebte und dessen Angehörige in diesem Beitrag als Wiener Haleckis bezeichnet wurden, von hoher Loyalität gegenüber den Institutionen der Monarchie und dem Kaiser charakterisiert war. Der Prozess lässt sich beschreiben als ein Weg von gesellschaftlicher Stellung als galizischer Adel über kaiserliche Gunstbeweise hin zu Profilierung im Militärdienst. Die Abstammung von galizisch-polnischem Adel war dafür grundlegend; der Dienst in der Armee war über die professionelle Hinsicht hinaus auch für das weiterführende Leben prägend, etwa im Heiratsverhalten oder in der Weiterbildung. Die Germanisierung der Familie war wohl mit der Generation bereits vor Oskar Halecki abgeschlossen, wobei die Familie den Kontakt zum polnischen Milieu in Wien wahrscheinlich nicht verlor; forciert orientierte sich aber erst Oskar wieder in diese Richtung. Zum Schluss muss hervorgehoben werden, dass Oskar Halecki der erste seiner Familie war, der als Historiker auf wissenschaftlichem Niveau arbeitete. Obwohl sein

43 Halecki, Chaleccy (wie Anm. 6), S. 23. 44 Małgorzata Dąbrowska sei an dieser Stelle für ihre Hilfe herzlich gedankt. 45 Vgl. dazu Morawiec, Oskar Halecki (wie Anm. 3), S. 215f.



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Vater und Onkel genealogische Forschungen betrieben, existierte in der Familie keine Tradition professioneller und wissenschaftlicher Interessen an der Geschichte. Die historischen Interessen an der eigenen Familie und die Begeisterung für die Genealogie mögen zur abschließenden Beantwortung der Frage beitragen, wie diese Wiener Haleckis Kritik an der monarchischen Verfassung des Staates übten und welche Vergleiche etwa zu anderen historischen Staatsformen angestellt wurden. Oskar legte nämlich bei der Erforschung seiner Vorfahren entsprechend seinen allgemeinen Inter­ essen und wohl auch auf der Grundlage der Vorarbeiten seines Onkels und seines Vaters einen unübersehbaren Schwerpunkt auf das 16. und 17. Jahrhundert, bearbeitete hingegen nur einen Vertreter des 18. Jahrhunderts und überhaupt keinen des 19. Jahrhunderts46 – mit einer Ausnahme: Er wollte im Polski Słownik Biograficzny auch einen Artikel über seinen Vater veröffentlichen, blieb mit diesem Ansinnen aber erfolglos. Der Artikel erschien zwar im Jahr 1937, allerdings nur in einem gesonderten Auszug47. Es war und blieb also unübersehbar das Modell der polnisch-litauischen Republik und der Vorherrschaft des Adels, das die Haleckis ihren jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Realitäten gegenüberstellten, sei es dem Dienst in der k.k. Armee, sei es aber vor allem den autoritären und totalitären Regimes des 20. Jahr­ hunderts.

46 Polski Słownik Biograficzny. Band 3. Krakau 1937. S. 246–253. 47 Halecki, Chaleccy (wie Anm. 6), S. 22f.

Fredrik Lindström

Imperial Heimat Biographies of the “Austrian State Elite” in the Late Habsburg Empire1

Fig. 24: Hans Kelsen (1881–1973). Portrait of Hans Kelsen at the age of 70 commissioned by the Austrian Parliament to honor the creator of the Austrian constitution. Wir müssen es uns eingestehen, Poldy, wir haben eine Heimat, aber kein Vaterland – an dessen Stelle nur ein Gespenst.2

From an early age, the poet and playwright Hugo von Hofmannsthal had a clear sense of his Heimat, the place where he belonged. He recognized it when he was in his late teens as he walked with a friend in the park of the Schönbrunn Palace in Vienna in the early 1890s. He recognized it among the names of his fellow officers, which echoed a long and glorious history, while he was doing military service on the outskirts of the 1 I want to thank Pieter Judson, who was commentator on my paper at the conference “Imperiale Biographien. Elitekarrieren in den Vielvölkerreichen der Habsburger, Romanovs und Osmanen” in Bamberg 19–21 July 2012, for his valuable comments on my paper. Thanks also for the comments of several other participants at the conference. A special thanks to Marion Wullschleger who later read my article and made several important observations about my argument. 2 Letter from Hugo von Hofmannsthal to Leopold von Andrian, August 24, 1913, quoted from Ursula Prutsch and Klaus Zeyringer (Eds.): Leopold von Andrian (1875–1951). Korrespondenzen, Notizen, Essays, Berichte. Vienna 2003, p. 215.



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empire a few years later. He recognized it in the beautiful landscape around his home in Rodaun, Lower Austria, where he had moved with his wife after their marriage in 1901. Finally, he recognized it in the baroque palaces of Vienna when he walked through the inner city with a friend visiting from Germany a few years later.3 The name of his Heimat was Austria. However, to map this Heimat onto the real world was no easy matter. One problem was the political vessel of his Heimat, the Fatherland in the quote above, the Habsburg Empire. Instead of affirming Hofmannsthal’s feeling of belonging, the policies and self-presentation of the empire offered a very fragmented picture. Beyond the image of the monarch and the dynasty, and their generalized projection onto the dynastic “Habsburg” empire, Hofmannsthal found very little support for his identification with Austria in official policy. Divided into two main parts, the Dual Monarchy Austria-Hungary first of all demonstrated an uncertainty as to whether it was one state, the view in Austria, or two states, the view in Hungary. In a half unconscious wish to reserve the name of Austria for the whole of the imperial state, the Gesamtstaat that could only be perceived from its western half, the terminology Cisand Transleithania established itself as a neutral way of describing the two halves of the empire, which, along a certain part of the border lying geographically between Vienna and Budapest, were divided by the river Leitha.4 The first problem likely helped to create the second problem, namely, that the western half of the empire, which was colloquially known as Austria, avoided officially presenting itself as such. This reticence also had an internal background: the creation of the Dual Monarchy had raised demands for further federalization within the western half of the empire, which the emperor and government wanted neither to accept nor to challenge. Consequently, this state avoided presenting itself with some sort of identity that could have functioned as a correlate for Hofmannsthal’s strong sense of an Austrian Heimat. Instead, the state referred to itself in several different ways; it was officially known as “Die im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder” (The Kingdoms and Provinces/Lands represented in Parliament), as well as the aforementioned Cisleithania. Moreover, this state’s institutions were labeled “k.k.” (kai­ serlich-königlich), which differentiated them from the institutions that were common to the Dual Monarchy, designated “k.u.k.” (kaiserlich und königlich)—this terminology even went beyond the previously mentioned names in its opaqueness. Another problem was that, in Hofmannsthal’s lifetime, the political and the public life of this state that had strenuously avoided identifying itself was shot-through with national3 For these and other examples, see Fredrik Lindström: Empire and Identity. Biographies of the Austrian State Problem in the Late Habsburg Empire. West Lafayette 2008, pp. 105–134. 4 On this problem, see Gerald Stourzh: Der Dualismus 1867 bis 1918. Zur staatsrechtlichen und völkerrechtlichen Problematik der Doppelmonarchie. In: Helmut Rumpler and Peter Urbanitsch (Eds.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Vol. 7 (Verfassung und Parlamentarismus). Vienna 2000, pp.1177–1230.

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isms, filling the void left by the state by presenting several competing communities within the state between which the population could choose to belong. Hofmannsthal’s response to the situation he was confronted with was to try to close this gap between his strong feeling of having an Austrian Heimat and the weak cultural identity of the imperial state. Especially during the First World War Hofmannsthal developed a sort of cultural nationalism of the imperial state, working hard to propagate what he called the Austrian Idea, a quest I have written about elsewhere. Viewed from this perspective of names and labels, and by focusing on the endemic internal conflicts between nationalist parties, one may get the impression that, around the year 1900, this state was close to abdicating its role of leading and governing the society it was framing. Such is also the general image of this state and empire presented in later nationalist history that dominated most of the writing on the empire’s history since 1918: an account of the decline and fall of the empire, its failure to respond to the increasing demands of the modern era, and, especially, its failure to secure the allegiance of its population.5 After beginning in this manner, it may be surprising to learn that the imperial Austrian state was, on the contrary, a very stable structure, supporting and channeling a strong and vital social and economic development in society. Moreover, the imperial Austrian state demonstrated a high degree of competence in reigning in and finding modes of operation within the political system for the competing nationalist, socialist (Christian and Marxist), and other political mass movements that were significantly developing during the final decades of the empire. The prominent American historian of the Habsburg Empire Gary B. Cohen came to the following conclusion: The modernization of the Habsburg state over the long nineteenth century led to the development of modern laws, regulations, and public services, which the public accepted as legitimate and as theirs […] [T]he population in many parts of the realm became so deeply invested in the legal systems and public services that many were happy to continue significant elements of them after 1918.6

It is notable that intensified reform activities took place in the state institutions during the final decades of the Habsburg Empire—especially in the Austrian part of the empire. A large increase of writing on the issues of constitutional and institutional reform of the empire accompanied these initiatives, writing that ranged from

5 For a good and relatively recent overview of Habsburg historiography, see Gary B. Cohen: Neither Absolutism nor Anarchy. New Narratives on Society and Government in Late Imperial Austria. In: Austrian History Yearbook 19 (1998), pp.37–61. For a critical view of national, ethnicist history, and its persistence, see Jeremy King: The Nationalization of East Central Europe. Ethnicism, Ethnicity, and Beyond. In: Maria Bucur and Nancy Wingfield (Eds.): Staging the Past: The Politics of Commemoration in Habsburg Central Europe, 1848 to the Present. West Lafayette 2001, pp.112–152. 6 Quoted from Gary B. Cohen: Nationalist Politics and the Dynamics of State and Civil Society in the Habsburg Monarchy, 1867–1914. In: Central European History 40 (2007), pp. 241–278, here p. 277.



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political pamphlets to scholarly works to internal administrative memoranda.7 It is also notable, that almost without exception, the people behind these writings were trained in law in Austrian universities and often had careers that involved a mix of occupations, serving in one or more fields, including, as an academic, in the state administration, in the court system, in the state-sponsored cultural institutions, and in politics as an elected representative at either the local, regional, or central level of representative organs. Furthermore, a surprising number of them engaged themselves in developing different ways to accomplish change in these institutions. They did not always choose an overtly political career, but they just as often, or even more often, attempted to foster change by working within the institutions of government as civil servants or experts on constitutional questions.8 It is this group that I tentatively label the “Austrian state elite” here.

Imperial Biography and State Formation Twenty years ago, the prominent Austrian historian Gerald Stourzh pointed to the study of the institutions of the imperial Austrian state as perhaps the most important field of study contributing to the development of our understanding of the complex interrelations between state and society in the late Habsburg Empire.9 Similarly, only a few years ago, Gary B. Cohen reaffirmed the need for further studies into the institutions of the state and their interactions with groups in society and political parties in order to gain a better understanding of the development of society in late Imperial Austria, in the Hungarian part of the empire, and in the successor states.10 Austrian historian, and expert on the Austrian civil service, Waltraud Heindl singled out one key-area of further research: “Despite interest in [the Austrian] bureaucracy during the constitutional period after 1867, comprehensive accounts dealing with this period 7 See Robert Kann: The Multinational Empire: Nationalism and National Reform in the Habsburg Monarchy, 1848–1918. 2 vols. New York 1950; Josef Redlich: Das österreichische Staats- und Reichs­ problem. Geschichtliche Darstellung der inneren Politik der habsburgischen Monarchie von 1848 bis zum Untergang. 2 vols. Leipzig 1920–1926; Gerald Stourzh: The Multinational Empire Revisited: Reflections on Late Imperial Austria. In: Austrian History Yearbook 23 (1992), pp.1–22; Stefan Malfèr: Der Konstitutionalismus in der Habsburgermonarchie. Siebzig Jahre Verfassungsdiskussion in ‘Cis­ leithanien’. In: Rumpler, Die Habsburgermonarchie (see footnote 4), pp.11–67. 8 For a few distinct examples of this mode of acting, see Lindström, Empire and Identity (see footnote 3). See also James Shedel: Art and Society. The New Art Movement in Vienna, 1897–1914. Palo Alto, CA 1981. 9 See Stourzh, The Multinational Empire Revisited (see footnote 7), pp.11–14. 10 See Cohen, Nationalist Politics (see footnote 6). See also Gary B. Cohen: Our Law, Our Taxes, and Our Administration: Citizenship in Imperial Austria. In: Omer Bartov and Eric D. Weitz (Eds.): Shatterzones of Empires: Coexistence and Violence in the German, Habsburg, Russian, and Ottoman Borderland. Bloomington 2013, pp.103–121.

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are still missing. […] Numerous research questions about the Austrian bureaucracy during the constitutional period have not been investigated.”11 I agree that the institutions of the imperial Austrian state in its last half-century is an important area for further research, and I would like only to add that there is also a need for social and cultural histories of the groups of people who were tied to these institutions, as well as biographical and collective biographical work on these groups to enhance our understanding of these institutions’ workings and their interactions with civil society.12 I will here explore some issues regarding the evolution of this state, particularly of its governmental institutions, and make some tentative reflections of the effects this evolution may have had on the elite tied to it. In the latter part of the article, I will outline two biographical studies within the elite, pointing out aspects of these effects. My inquiry relates to a core notion of the concept “Imperial Biography” in so far as it focuses squarely on the mutual shaping over time both of state structures and of the life and career patterns of the members of the elite, as well as the way members of the elite interpreted the imperial state and made it an object of (individual and collective) identification. I try to address this issue in the case of the Habsburg state by employing the explorative concept of an “Austrian state elite”.

The Formation of the Rechtsstaat in Imperial Austria When studying the roles of the state institutions and the elite that grew in and around these institutions, it is useful to depart from James Shedel’s re-evaluation of the state’s role during the final decades of Imperial Austria. Shedel opposed the established view of a state in crisis, concluding instead that the situation around 1900 in Austria was no crisis, but “the product of a developmental continuity defined by the concept of the Rechtsstaat.” Shedel continues, “The Josephist spirit of the Rechtsstaat and the state as responsible for a progressively regulated social order was reified in 11 Waltraud Heindl: Bureaucracy, Officials, and the State in the Austrian Monarchy: Stages of Changes since the Eighteenth Century. In: Austrian History Yearbook 37 (2006), pp. 35–57, here pp.53– 54. See also her new book Waltraud Heindl: Josephinische Mandarinen: Bürokratie und Beamte in Österreich. Vol 2 (1848–1918). Vienna 2013. Heindl’s book was published after this article was written and its findings have not been assimilated into the present argument. 12 For a few examples of research in this general field, see Waltraud Heindl: Gehorsame Rebellen. Bürokratie und Beamte in Österrich, 1780 bis 1848. Vienna 1990; Karl Megner: Beamte. Wirtschaftsund sozialgeschichtliche Aspekte des k.k. Beamtentums. Vienna 1985; Peter Urbanitsch: The High Civil Service Corps in the Last Period of the Multi-Ethnic Empire between National and Imperial Loyalties. In: Historical Social Research/Historische Sozialforschung 33 (2008), pp.193–213; Gary B. Cohen: Education and Middle Class Society in Imperial Austria, 1848–1918. West Lafayette 1996; Solomon Wank: In the Twilight of Empire. Count Alois Lexa von Aehrenthal (1854–1912). Imperial Habsburg Patriot and Statesman. Vol. 1 (The Making of an Imperial Habsburg Patriot and Statesman). Vienna 2009.



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the bureaucracy from Joseph [II] onward, so that both the master and the servants of the dynastic state were bound by law.”13 What may superficially look like a crisis-ridden state torn apart by internal conflicts should instead be seen to be a result of the clash between a very stable Rechtsstaat and the political, social, and economic forces unleashed by modernization; according to Shedel, we should see that the state was actually coping with and adapting to the pressures to which it was exposed. Shedel’s contentions regarding the development of the bureaucracy can fruitfully be divided up into three main aspects. First, it was a question of creating centralized institutions that could govern the Habsburg dominions more rationally and efficiently. Second, there was the need both to create a corps of civil servants that could staff and operate this administrative apparatus and to imbue it with an esprit de corps. Finally, there was a need to educate this corps so that it had sufficient and similar competences in order to do the work that was required to run the state. Shedel is right in stating that the hub of all this was the creation of the Rechtsstaat to establish the rule of law and to break it down into norms, rules, and procedures so that it would work in predictable and identical ways throughout the realm. The establishment of centralized administrative institutions to govern the Habsburg dominions had been started already under Maria Theresia in the 1740s. This process had finished its first phase when Joseph II took over the running of the Habsburg dominions in 1780. The administrative structure that previously had been rather distant from the local communities, where the seigniorial jurisdiction by the local nobility held sway, was now extended to a level close to the locality.14 Due to this state of affairs, Joseph and his followers could focus on the other two aspects of this broader development: creating a corps of civil servants, and securing the supply of future civil servants and developing their competences by redesigning university education to fit these new purposes. Joseph set the tone with his “pastoral letter” of 1783, a basic instruction to the civil service that established norms and set very high expectations on those called on to serve the state.15 The Josephist bureaucracy received the character of a reform bureaucracy, which should be motivated to take initiatives for improvements and reforms in society within the framework of rules and norms supplied by Joseph and the evolving legislation.

13 See, James Shedel: Fin de Siècle or Jahrhundertwende. The Question of an Austrian Sonderweg. In: Steven Beller (Ed.): Rethinking Vienna 1900. New York 2001, pp.80–104, here pp.90–91. 14 I discuss this development in Lindström, Empire and Identity (see footnote 3), pp.4–10, and there give extensive references to the research in the field. In the new organization implemented at this time only Hungary was given a partly special status. 15 Joseph’s pastoral letter has been published in Friedrich Walter (Ed.): Die österreichische Zentralver­ wal­tung. II. Abteilung: Von der Vereinigung der österreichischen und böhmischen Hofkanzlei bis zur Einrichtung der Ministerialverfassung (1749–1848). Vol. 4 (Die Zeit Josephs II. und Leopold II. 1780– 1792). Aktenstücke. Vienna 1950 (Veröffentlichungen der Kommission für neuere Geschichte Öster­ reichs 36), pp.123–132.

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In the wake of this development Joseph’s followers, most notably Josef von Sonnenfels, reformed university education. In many respects, Sonnenfels’ reforms set down the standards for the education of civil servants until 1848. The foundation was natural law, which was complemented (and partly subverted) by monarchic views. Franz I introduced a significant shift in the norms guiding the civil service. Joseph’s expectations on the civil servants of functioning as motors of modernization and actively taking initiatives in society to further its rationalization and development was complemented under Franz by a new emphasis on obedience and order following. Franz also contributed to reinforcing the dynastic tie of the civil service.16 During the first half of the nineteenth century, the education of civil servants turned increasingly abstract and particularly a-national in its avoidance of historical perspectives and in the very schematic way natural law made the basis of the state ideology. If this state ideology had any content at all, it was constituted by its focus in law studies on Austrian legislation and law, and on the ordinances and procedures that grew out of these. Education was strictly a-national, and it was only this strong focus on Austrian law that, indirectly, gave the civil servants a sense of the community they were set to govern.17 The very strong positivistic focus on learning and internalizing the existing laws, and the ways they were interpreted in ordinances and procedures, arguably reinforced the quality in the civil service that the shaping of the esprit de corps under Joseph had already created the basis for, namely, the close identification with the Austrian state, which it both served and protected. In the neo-absolutist period 1848–1860, the Austrian state went through a major overhaul led by Interior Minister Alexander Bach. The “Bach reforms” completely reorganized the Austrian state, turning it into a fully centralized state that now contained local state organs as well (Bezirksämter), extending the state into the local arena. To fill the new administrative structure, the corps was expanded in numbers and imbued with a new esprit de corps and sense of mission.18 The Bach reforms may have recreated the Josephist civil service. Similarly, just like the new emperor, who ascended the throne in the wake of the revolution in 1848, took both the names of his two important predecessors (Franz and Joseph), the new bureaucracy created by Alexander Bach was a mix of the Josephist and the Franzist traditions. The Bach reforms recreated the Josephist reform bureaucracy but simultaneously maintained the more machine-like quality that Franz had added. The Bach state reforms were accompanied both by an active economic and trade policy and by a reform of the education system, together aiming to, and to some degree 16 For an overview of the development of the Austrian state institutions, and the civil service, see Heindl, Bureaucracy (see footnote 11), pp.37–44. See also Heindl, Gehorsame Rebellen (see footnote 12), especially pp.93–126. 17 See, Heindl, Gehorsame Rebellen (see footnote 12), pp.115, pp. 193–194. 18 See, Lindström, Empire and Identity (see footnote 3), pp. 4–5 (and references therein). See also Heindl, Bureaucracy (see footnote 11), pp.44–46.



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also realizing, a new sense of direction for the newly created, centralized imperial Austrian state. The educational reforms of Minister of Education Leo Thun initiated in 1855 aimed also at raising competences of the civil service by modernizing the higher education system. Thun was inspired by the German Humboldt system and aimed to broaden the horizons of the Austrian civil servants, making them more independent and reinforcing their capacity for critical thinking. However, these reforms were only gradually implemented, being fully implemented only in the 1870s.19 This development arguably strengthened the reformist potential of the bureaucracy.

Elite Formation in a Changing Setting: The Dual Monarchy After the neo-absolutist period, there followed a lengthy transition to a constitutional monarchy, which, in the end, was divided in two parts. The Dual Monarchy Austria-Hungary was created in 1867, and a new, mixed constitution was introduced in the Austrian half. Depending on the perspective employed, the so-called December constitution of 1867 can be described either as a failure to fully embrace a constitutional monarchy with a parliamentarian government, ending up in a ramshackle halfway house with a much too strong monarchic character, or it can be described as a successful integration between the ideals of the liberal elite in society, on the one hand, and this state itself and its civil service as a historic outgrowth of the monarchic executive, on the other.20 In any case, the civil servants saw their roles change under the new constitution. They had previously been the custodians of the (absolutist) constitution, ensuring that laws were implemented in society and transformed into rules and procedures and that everyone in society who came into contact with the administration was treated impartially and equally. In this regard, they had been the progressive element in the state, in effect replacing constitutional institutions by the strictness of their procedures and observance of the law. In the constitutional era, legislation was moved from the executive arm of the state, and a whole range of 19 On the Thun reforms, see Cohen, Education (see footnote 12), pp.23–54. See also Arthur Schle­ gel­milch: Die Alternative des monarchischen Konstitutionalismus. Eine Neuinterpretation der deutschen und österreichischen Verfassungsgeschichte des 19. Jahrhunderts. In: Dieter Dowe and Michael Schneider (Eds.): Veröffentlichungen des Historischen Forschungszentrums der Friedrich-EbertStiftung. Bonn 2009 (Politik- und Gesellschaftsgeschichte 82), pp.142–143. See also the reflections in Heindl, Gehorsame Rebellen (see footnote 12), pp.96–97, pp. 125–126. 20 See Schlegelmilch, Alternative (see footnote 19), see also Heindl, Bureaucracy (see footnote 11), pp.47–48. See further Jonathan Kwan: Liberalism and Habsburg Monarchy, 1861–1895. London 2013. For a brief overview of the years of Liberal hegemony (1867–1879) in Imperial Austria, See Hel­mut Rumpler: Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der Habsburgermonarchie. Vienna 1997, pp.405–410, pp. 416–425, pp. 450–455.

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new institutions were implemented to fill many of the roles the imperial civil service had previously filled, most notably the higher courts, a popularly elected parliament, elected organs on the level of provinces and municipalities, and the autonomous administrations created in the latter two instances. Furthermore, with the intensification of nationalist conflict in this period, civil servants were torn between their cultural background and their solidarity with the state.21 Nevertheless, many studies into the subject recognize the basic continuity of the Josephist state from the late eighteenth century up to the early twentieth century. I would argue, that the Josephist reform bureaucracy was transformed over time, but the renewal of its reformist potential during the Bach years meant it remained a progressive force in late Imperial Austria.22 As Heindl has observed, there are few studies into the bureaucracy during this last period,23 so we are not on secure ground here. However, some studies show that the high bureaucracy retained strongly reformist traits up to the very last phase of Imperial Austria, before the outbreak of the World War in 1914.24 The civil service also reproduced its role of protecting the rule of law, although that role had now been reduced to executing laws and ensuring proper administrative procedures. This can be seen in the importance attached to the work of collecting and editing all the existing laws, norms, rules, regulations, ordinances, and procedures and supplying them in the form of a continuously updated publication containing everything an Austrian civil servant needed to know: The Ernst Mayerhofers Handbuch für den politischen Verwaltungsdienst. This book was the bible of the late Josephist civil service, a publication that originated in the Bach era, when the new civil service was created, and that was published in new editions up to the end of the Monarchy. We can understand the importance of the function of this publication’s editor when we learn that in 1900 the newly appointed and strongly reformist prime minister of Austria, the prominent civil servant Ernest von Koerber, handpicked the then current editor of this publication to be the new first Sektions-Chef in the Interior Ministry, the highest civil servant position in the Ministry, which also was assigned a supervisory

21 See Heindl, Bureaucracy (see footnote 11), pp.47–48. 22 See Schlegelmilch, Alternative (see footnote 19), p.132; Heindl, Bureaucracy (see footnote 11), pp.37–48; Lindström, Empire and Identity (see footnote 3), pp.4–12, pp. 42–48; Shedel, Fin de Siècle (see footnote 13). 23 Heindl, Bureaucracy (see footnote 11), pp.52–55. However, Heindl, Josephinische Mandarine (see footnote 11) makes important contributions to our understanding of this period. 24 See Fredrik Lindström: Ernest von Koerber and the Austrian State Idea: A Reinterpretation of the Koerber Plan (1900–1904). In: Austrian History Yearbook 35 (2004), pp.143–184. See also Lindström, Empire and Identity (see footnote 3), pp.42–59, pp. 216–230, on Koerber’s reform policies and the Imperial Administrative Reform Commission of the years 1911–1914. On the commission, see also John W. Boyer: The End of an Old Regime: Visions of Political Reform in Late Imperial Austria. In: Journal of Modern History 58 (1986), pp.176–183. Compare Josef Redlich: Austrian War Government. New Haven 1929, for a critical perspective on this reformist bureaucracy.



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role over the whole Ministry. Koerber was in the process of rebuilding the Interior Ministry into a more efficient control instrument of the whole internal administration in Imperial Austria. Furthermore, in his own “pastoral letter” of January 1900, an instruction to the whole internal administration of Austria, Koerber reconnected with the original aims of the Josephist reform bureaucracy when he emphasized that the role of civil servants was to work for the well-being of the population: to take initiatives and make their presence felt in the local community.25 As argued by Shedel, we can discern the basic continuity of the hard core of the Josephist bureaucracy in an instance such as this. Parallel to, and, to some extent, in close interaction with the bureaucratization of the Austrian Empire, a middle class was created in the empire. The school system was expanded and reformed in the late eighteenth century. Even though its main objective was to supply the state with competent civil servants, it also raised the level of education in society in general. Especially from the 1840s a strong rise in numbers of university students and a parallel growth in middle-class society occurred. As with the whole neo-absolutist regime, the reforms of the educational system initiated in the 1850s was a strange mix of the conservative and the progressive. The aim was to modernize the empire so that it could face the challenges of political and social developments and the competition between European states, especially with the German Empire, but not to further a constitutional and, in its extension, a democratic development.26 The central bureaucracy—in this case, the Ministry of Religion and Instruction— exercised a high degree of power over the whole educational system throughout the second half of the nineteenth century, issuing decrees and ordinances without involvement of local, regional, or central elected assemblies. The reforms initiated in the 1850s were followed through in the late 1860s and early 1870s under the liberal governments of these years. The university level was significantly expanded. Between 1869 and 1910, the number of students enrolled in Austrian universities rose from just under 8,000 students to over 23,000 students per year, and Austria had one of the highest rates of enrollment in higher education in Europe in the decades before the outbreak of the First World War. In the whole period (1860–1914), the percentage of students that enrolled in law studies (i.e., the original core of the Josephist educational system) lay between 38 percent and 60 percent.27 The Austrian middle class in the last decades of the empire was to a high degree a law educated class.

25 See Lindström, Empire and Identity (see footnote 3), pp.46–47. See also Ernst Mayerhofers Hand­ buch für den politischen Verwaltungsdienst. 8 Volumes. Fifth edition. Vienna 1895–1913. 26 See Cohen, Education (see footnote 12). 27 Cohen, Education (see footnote 12), p. 30, p. 49, pp. 53–60, p. 83, p. 273.

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The Culture of the Rechtsstaat and the Formation of the Austrian State Elite It is important to emphasize that the close interaction described above between the educational system and the civil service probably created a public culture strongly shaped by the norms and ideals of the Rechtsstaat. Even though a large portion of the people who had passed through the “höhere Beamtenausbildung”28 was active as private professionals (e.g., lawyers) or in banking, trade, or industry, the imperial civil service remained a social and cultural ideal in society. Josef Redlich (who grew up in this period in an industrialist family in the Moravian province close to Vienna) was given a typical education of the liberal middle class shaped in this way. Redlich was sent to Vienna for his secondary education (Akademisches Gymnasium); he then went through the almost mandatory law studies of his class—although he completed parts of his studies in Germany—before doing a short spell in the provincial administration in Brno/Brünn. Thereafter, he opted first for a university career in law, specializing in constitutional law. During his midlife (1906–1918), Redlich was an elected parliamentarian both in the regional assembly in Moravia and in the parliament in Vienna (from 1907), on a liberal platform, before returning to his university career after the demise of the empire. Redlich also wrote historical works on the Austrian imperial state; his major work was an early classic study on the institutions of the Austrian state (cited above in this article). In this work, it is not difficult to see that Redlich was drawing on his own family history of industrialists, with wide-ranging networks and business relations throughout the empire, and his own experience in the Austrian civil service and university system when he wrote about the special Austrian culture that had been created around the evolving Austrian middle class. When this class spread out over the empire with the growth of the bureaucracy and of industry and trade, as well as with the gradual creation of provincial middle classes of private professionals and teachers who were often educated in centers of the empire, Redlich described how they became part of a German-speaking but distinctly Austrian culture. Redlich maintained that this culture spread even to the far-flung outposts of the empire in the northeast and into the middle classes of Budapest and some provincial Hungarian centers.29 The Austrian culture that Redlich discerned and maintained to have been strong in the mid-nineteenth century had its roots in the Josephist period. In the late eighteenth century, an Austrian consciousness—akin to the type of national consciousness that could be identified from this period in different parts of Europe—can be traced to the Josephist elite that were created in the wake of Joseph’s reforms. The

28 Heindl, Gehorsame Rebellen (see footnote 12), p.126. 29 See Redlich, Das österreichische Staats- und Reichsproblem (see footnote 7), vol. 1, pp.49–55. On Jo­sef Redlich, see Lindström, Empire and Identity (see footnote 3), pp.19–20, pp. 187–267.



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elite in question constituted a very thin layer in the social fabric of Austrian society, but the elite developed a view of Austria as a whole as being its Heimat, one might say. During the course of the nineteenth century, this consciousness grew to such an extent within and together with the Austrian middle classes and the civil service that it could be experienced and described by Josef Redlich in the early twentieth century. In a discussion on the history of an Austrian identity or consciousness, Austrian historian Ernst Bruckmüller refers to the Hofratsnation (the “nation of court officials”, or perhaps the “nation of civil servants”) when he attempts to detail the groups that may have been the carriers of such an identity. He concludes that even though an Austrian consciousness most likely developed in the Austrian middle classes, Bruckmüller emphasizes that this consciousness developed earliest and most deeply in the middle classes with close ties to the center of the empire. As German native speakers dominated this group, the rise of nationalism slowed and stopped the spread of this consciousness into the other language groups of the empire, Bruckmüller concludes.30 However, a crucial aspect to observe here is the basic abstract, a-national, and strongly state-centered culture developed in the Josephist Austrian state elite, as outlined in this article. It was not a culture in the sense of a national culture, fusing culture with a national (collective) identity that, in turn, was tied (in some cases) to a state in the mode of nationalism. On the contrary, the Austrian culture that grew in the institutions and networks of the imperial Austrian state from the period of Joseph II until the early twentieth century was the culture of this state; it was carried by a social outgrowth of the Josephist state itself. In comparison to the development of other European nation states, it may in certain regards be likened to an incomplete nation formation from above. However, it is important to note, that the social outgrowth of the state was neither carried by nationalism, nor was it ethnically exclusive, nor even ethnically defined; indeed, it was a social group that was both, through the accident of history, primarily (but not exclusively) German speaking and populated by people of mixed origins in the different cultures of central Europe. To the extent that this social group had an ideology it was one that was strongly shaped by the Josephist Rechtsstaat and its ideals. Nevertheless, beginning in the 1870s and with increasing force in the 1890s, large portions of the middle classes in Austria were attracted to nationalist politics, which was increasingly the form liberalism took in Austria, particularly in the provincial centers. The traditional political vessel of the Austrian middle class, the Liberal Party,

30 See Ernst Bruckmüller: Österreichbegriff und Österreich-Bewusstsein in der Franzisko-Jose­phi­ni­ schen Epoche. In: Richard G. Plaschka and Gerald Stourzh (Eds.): Was heißt Österreich? Inhalt und Umfang des Österreichbegriffs vom 10. Jahrhundert bis heute. Vienna 1995, pp. 255–288. See also Ernst Bruckmüller: Nation Österreich. Kulturelles Bewusstsein und gesellschaftlich-politische Prozesse. Vienna 1996. Compare Friedrich Heer: Der Kampf um die österreichische Identität. Vienna 1981, pp.262–320; Fritz Fellner: Geschichtsschreibung und nationale Identität. Probleme und Leistungen der österreichischen Geschichtswissenschaft. Vienna 2002.

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had grown to a force to be reckoned with in the 1840s; it became active in the revolution of 1848, developed silently during neo-absolutism, and eventually dominated Austrian politics in the crucial years of 1867 to 1879. However, the Liberal Party was broken up and politically marginalized during the 1890s, and its parliamentarian role was to a large extent taken over by nationalist parties. Its last stronghold, the imperial capital Vienna, was lost in 1897.31 However, if one listens to James Shedel, the defeat in the arena of elections and party politics did not deprive the old Austrian liberal elite tied to the state institutions of its power. This group simply distanced itself from the younger nationalist elements of the expanding Austrian middle class and entrenched itself in the institutions of the imperial Austrian state, where it continued to wield considerable power until the end of the empire. Furthermore, if one consults a study like that of Jörg Kirchhoff on the collective consciousness of the Germans in the late Habsburg Empire it becomes evident that even national identification did not preclude a continuing identification with the Austrian state; many Germans in the empire retained a sort of moderate German-Austrian identification which included a strong identification with the imperial Austrian state.32 This type of identification was to some extent present also in the non-German language groups of Austria, e.g. the Czechs and the Slovenes, and it seems probable that it was nurtured especially in groups that were closely tied to the state institutions.

Imperial Austrian Biographies In view of the above discussion an old concept like the “Hofratsnation” could be reframed in a somewhat wider way by using a concept like the “Austrian state elite” to explore how the elite shaped by the historical development described in this article was constituted, how it identified itself and, for instance, how individuals within this group related national identification to the parallel identification with the Austrian state, and what views the elite developed on the organization of state and society in a multinational setting. I think a core study here would lie very close to the concept of “Imperiale Biographien” insofar as it would need to examine the civil service,

31 On this process, see John W. Boyer: Political Radicalism in Late Imperial Vienna. Origins of the Chris­tian Social Movement 1848–1897. Chicago 1981; John W. Boyer: Culture and Political Crisis in Vienna. Christian Socialism in Power 1897–1919. Chicago 1995. See also Pieter M. Judson: Exclusive Revolutionaries: Liberal Politics, Social Experience and National Identity in the Austrian Empire, 1848–1914. Ann Arbor 1996; Lothar Höbelt: Kornblume und Kaiseradler. Die deutschfreiheitlichen Parteien Altösterreichs, 1882–1918. Vienna 1993. 32 See Jörg Kirchhoff: Die Deutschen in der österreichisch-ungarischen Monarchie – ihr Verhältnis zum Staat, zur deutschen Nation und ihr kollektives Selbstverständnis (1866/1867–1918). Berlin 2001.



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primarily through biographical or collective biographical approaches to mid- and high-level civil servants. However, beyond such a core group of the “Austrian state elite” my own biographical studies into the lives of individual members of the broader Austrian elite in the late imperial period indicates that a high degree of identification with, and engagement in, the destiny of the Austrian state could be found in an extended elite group of people who did not belong directly to the civil service, or only did so during parts of their lives. The members of this extended state elite overwhelmingly had a law education, and they moved between different roles and fields of activities in society; they were either active in the civil service, in the industrial-financial-trade sector, in universities, or in state sponsored cultural institutions of the imperial Austrian state; some of them periodically politically activated themselves either in the residues of the old Liberal Party or, in some cases, in the new Social Democracy and Christian Socialism mass parties. Indeed, a defining characteristic of the elite was that its members in many cases, almost generally in view of the samples in my own research, seems to have felt themselves compelled to act in different ways in order to understand and to find solutions to the problems the Austrian state was facing under the pressures of modernization in the late nineteenth and early twentieth centuries. As most of them had studied law, the overwhelming focus of this extended Austrian state elite, lay on reforming the state institutions and the constitution of this complex state. As discussed above, there were countless scholarly tracts, political pamphlets, parliamentary proposals, and bureaucratic memoranda (depending on the present sphere of activity of the particular member of this elite at the point of writing) written in the final decades of the empire which focused the needs and possibilities of adapting the institutions and modes of operation of this state to the changing conditions in society. In many cases, the proposal of solutions were accompanied by engagement and activism for effecting such reforms sometimes in a political form, sometimes through work within the institutions, and sometimes, for example, through service in education and public enlightenment. This latter characteristic of the members of this elite whose lives I have looked into so far, is so striking that I have begun thinking about this “extended Austrian state elite” in historical terms as an “extended Josephist reform bureaucracy. ” Because the way the members of the elite acted seem actually to go back on the spirit that Joseph II fostered in the young imperial civil service in the late eighteenth century.

Impressions of Austrian Elite Formation Turning now to the biographical perspective my aim is to briefly sketch two instances of how the above described long-term development of state institutions, the civil service, and the education system impressed itself on an individual biography. My examples have not been chosen from within the core group of the Austrian state

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elite identified above, the mid- and high-level civil servants, but from the extended Austrian state elite also outlined above. I have deliberately chosen two high profile Austrian intellectuals whose life careers were shaped by this historical process in order to bring some fundamental aspects of the effects of this elite formation to the fore.

Robert Musil The first biographical study is that of Robert Musil, who was born in 1880 in a welloff middle-class family in Klagenfurt (in Carinthia). His father had a career in the university sector, although not in law but in technology. Musil attended different schools, living in Brno/Brünn (in Moravia) during his later youth, where his father was employed at the technical college. Musil was drawn to the natural sciences and studied at Friedrich-Wilhelm (now Humboldt) University in Berlin before being briefly employed by the Austrian civil service, after which he passionately followed an artistic path.33 Musil´s preoccupation with Austria can be traced to the period before 1914, but it was the shattering experience of the Great War that brought it both into the center of his preoccupations in the post-war era and into his major work, Der Mann ohne Eigenschaften, which was planned and written over an extended period of time. As a result, this work reflects the complexity of Musil´s judgment of the Austrian situation and its changes over time. The initial sketches begin before 1914; even though the main work was done during the 1920s and 1930s, the grand novel was left unfinished when Musil died in 1942. In his journals and in published and unpublished essays on the situation of Europe written in the years after the First World War, one can also trace Musil’s wrestling with the Austrian situation and relate it to its treatment in Der Mann ohne Eigenschaften. In the article Der Anschluss an Deutschland (1919), Musil maintains that “Die österreichische Kultur war ein perspektivischer Fehler des Wiener Standpunkts.”34 He heavily criticizes the idea propagated during the war that there was such a thing as an Austrian culture that joined the peoples of the empire in a community. Hugo von Hofmannsthal was one of those who had propagated such an idea. With hindsight, one may say that Hofmannsthal took the culture and identity of the (extended) Austrian state elite, which he was not alone in observing and describing at the time, and made it into the object of a nationalist-like project that tried to supply the whole of

33 On Musil’s family background and upbringing, see, for instance, Philip Payne: Preface – Robert Musil’s life, literary works, and diaries. In: Philip Payne and Mark Mirsky (Eds.): Diaries 1899–1941 by Robert Musil. New York 1998, pp. IX–XIX. 34 Adolf Frisé (Ed.): Robert Musil, Gesammelte Werke II: Prosa und Stücke, Kleine Prosa, Aphorismen, Autobiographisches, Essays und Reden. Hamburg 1978, p. 1039.



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the imperial state with a cultural identity.35 Musil calls the notion that the type of project Hofmannsthal and others engaged in a “cultural legend”, dismissing it as pure Romantik. Musil here also delivers scathing criticism against the old imperial Austrian state, condemning the failure of the regime both to set the agenda for political and social developments and to develop a serious and dynamic program for the development of state and society. There is also an ever-present comparison with Germany; Musil attests that the German state had been able to infuse developments in society with an energy and direction that was lacking in Austria. Effectively prefiguring his famous description of Kakania in Der Mann ohne Eigenschaften, Musil notes in his journal in 1920, “The characteristic idea that one had of Austria before the War was the lack of any pronounced image. No particular flavor, no concept, no slogan was attached to it.”36 Furthermore, in his article Der Anschluss an Deutschland (1919), Musil fills out his critical picture of the Austrian state: Aber wer war dieser Staat? Keine einige Nation und keine freie Vereinigung von Nationen trug ihn, die sich in ihm ihr Skelett geschaffen hätte, dessen Gewebe sie aus der Kraft ihres Blutes ständig auffrischt; kein Geist speiste ihn, der sich in der privaten Gesellschaft bildet und […] in den Staat eindringt; trotz des Talents seiner Beamtenschaft […], hatte er eigentlich kein Gehirn, denn es fehlte die zentrale Willens- und Ideenbildung. Er war ein anonymer Verwaltungsorganismus; eigentlich ein Gespenst, eine Form ohne Materie, von illegitimen Einflüssen durchsetzt, mangels der legitimen.37

One immediately recognizes the sharp portrait of the a-national, abstract Josephist state, despite the critical note given to it. However, the negative appraisal of Austria easily identified in the essays from the years immediately after 1918 does not give the whole picture. In Musil’s writings from before 1914 and then again from 1919 and throughout the early 1920s, there is an ever-present ambivalence with regard to Austria that bloomed in the complex portrait of Kakania presented in the first two volumes of Der Mann ohne Eigenschaften (1930/1932) and developed in the unpublished parts in the following years. For instance, in the essay Politik in Österreich (1912), Musil is irritated about the strange workings of politics in Austria, which explode regularly in political crises which seem to be terminal, but after minor adjustments in the government or in some policy—so minor that they are difficult for an outsider to identify—the political machinery continues in the same way as before. Musil reaches the following conclusion: Es liegt etwas Unheimliches in diesem hartnäckigen Rhythmus ohne Melodie, ohne Worte, ohne Gefühl. Es muss irgendwo in diesem Staat ein Geheimnis stecken, eine Idee.38 35 On Hofmannsthal’s war-time activities in support of an Austrian identity, see Lindström, Empire and Identity (see footnote 3), pp. 109–112, pp. 134–153. 36 See Payne and Mirsky, Diaries (see footnote 33), p.210. 37 Musil, Gesammelte Werke II (see footnote 34), pp. 1038–1039. 38 Musil, Gesammelte Werke II (see footnote 34), p. 993.

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After the war, the ambivalence escalated. In Der Anschluss an Deutschland (1919), in which Musil compares the failure of Austria to develop like Germany and judges the notion of an Austrian culture to be false, he continues by qualifying his judgment, noting that this is only true for the period after 1867. Before 1867, Musil elaborates, there really was a well-functioning and efficient Austrian state which carried an Austrian culture and values; its well-educated and benevolent civil servants fanned out like cultural missionaries all the way to the peripheries of the empire.39 In view of this, Musil’s criticism of Austria seems mainly to have been directed at the lost opportunity to preserve and develop this important inheritance in the twentieth century. In the famous description of Kakania in Der Mann ohne Eigenschaften written some years later, Musil´s understanding of Austria has matured; he comes close to finding that “secret” of the Austrian state that he had sensed already in 1912. Here, he has shaped his disparate views of the Austrian state into an ambivalent but loving portrait of a Staat ohne Eigenschaften, a state that he even—tongue in cheek—describes as “the most progressive state of all.” Stefan Jonsson has made an in-depth reading of Der Mann ohne Eigenschaften, examining the novel as an investigation into the problem of modern identity. Jonsson emphasizes that previous scholarship on Musil has critiqued too little of the central discourse of the novel, the so-called Parallel Campaign, which is a discourse on empire and nationhood. The Parallel Campaign is an attempt (in the novel), launched in 1913, to revitalize an Imperial or perhaps Austrian identity in the guise of planning a celebration of Emperor Franz Joseph´s 70th jubilee as emperor, which would have come to pass in the fateful year of 1918. In his treatment of this campaign, Musil captures and satirizes a broad section of the reform attempts that were launched from within the Austrian state and the extended Austrian state elite in the final decades of the empire. Jonsson follows the protagonist of the novel, Ulrich (Musil´s persona in the novel), who is made secretary of the campaign organization, into the heart of the nationality problem in late Imperial Austria, which the campaign is intended to help solve. Ulrich is confronted with a wide range of what, borrowing from Jonsson’s terminology, could be called pedagogics of belonging; some that focus on the nation as the solution to the problem of how to frame your Heimat, and some that see the Heimat as Austrian or Imperial (which the campaign organizers do). Confronted with these choices, Ulrich opts out; he does not want to contribute to shaping political-cultural identity categories that should control and limit people´s development of an individual identity. Ulrich disappears down a path of development that Jonsson analyzes as a precursor to latter day post-modern theories of cultural hybridity and border identities; however, this analysis does not concern us here.40

39 Musil, Gesammelte Werke II (see footnote 34), pp.1039–1040. 40 Stefan Jonsson: Subject without Nation. Robert Musil and the History of Modern Identity. Durham 2000.



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Nevertheless, Jonsson’s concluding view of Musil´s project does. According to Jonsson, Musil´s drawn-out work on Der Mann ohne Eigenschaften was “one immense laboratory experiment” of ideological identity engineering, where different strategies were tried and discarded, resulting in a concept of a new “human being who is resistant to the appellations of the group-ego of the nation or the race,” a type of human that Jonsson labels a Subject without Nation. Jonsson views the collection of articles and essays produced by Musil (and the immense work Der Mann ohne Eigen­ schaften with its vast adjoining collection of sketches and fragments of what would have become the latter parts of the work) as evidence of his tormented struggle to find a solution to the problem of “a systematics of communal life.” The laboratory Jonsson speaks of was Kakania, pre-war Austria (named as a pun on the k.k.-abbreviation of the state institutions of Imperial Austria as pronounced in German), which was “the only country in which the Musilian subject can be territorialized,” Jonsson concludes.41 Even if Jonsson views the images of Kakania not as “a description of the Austro-Hungarian Empire as it once was” but as images “produced by an intellect operating in an experimental mode,”42 I believe that the Man without Qualities, the Subject without Nation, should be grounded more firmly in Musil’s own experience of the real Kakania. As we have seen above, the real Kakania was a state without qualities, in the sense that it was a state that refused to supply collective identity concepts to its population, a state that in Musil´s tormented reading of the nationalist, racist present of the 1920s and 1930s looked very much like “the most progressive state of all.” It has been said, that Robert Musil should not really be labeled a “creative writer” for the simple reason that he did not invent his characters and situations; more to the point, he shaped them by a close-knit observation of real persons who he could observe almost scientifically in real life: “[Musil] did not invent fictions and create imaginary people; he wanted rather to fit words closely to existing creation. His work is based firmly on experience […].”43 I contend this should also be seen to be the case with Musil’s image of Kakania. In the evolving, ambivalent image of Kakania, Musil chronicled his drawn-out scientific search for the “secret” of the Austrian state that he had sensed and struggled with since his formative years in late Imperial Austria. Superficially, Hofmannsthal and Musil look like diametrical opposites in their views of Austria. One is a sort of Austrian nationalist, the other a skeptic regarding any collective identity projects. However, on a deeper level, their similarities emerge. There is a sense of this when reading their respective portraits of the Austrian character, Musil´s Mann ohne Eigenschaften (Ulrich) and Hofmannsthal’s Der Schwierige

41 Jonsson, Subject without Nation (see footnote 40), pp.262, pp. 264–266, p. 269. 42 Jonsson, Subject without Nation (see footnote 40), p.269. 43 Payne, Preface (see footnote 33), p. XIX (emphasis in original).

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(Kari Bühl);44 they have a remarkable likeness. I argue that this similarity is due to the common underlying reality they use as material in shaping their portraits. However, from this point their paths parted: While Hofmannsthal proposed to build an identity on the basis of the special culture produced by the historical development of the Josephist state, Musil realized that such an identity project would betray the possibilities inherent in the Austrian condition.

At the Crossroads Around 1900, the situation of the Josephist state was indeed balancing on an edge: Should it keep its basic a-national, abstract character as a Rechtsstaat that insisted on recognizing the population as a collection of individuals who should be treated equally and impartially, or should it compromise with developments in society and begin to politically recognize the different sub-groups that had been forming in society? The archetypal Josephist civil servant Ernest von Koerber opted for the first of these alternatives in his five-year-long government of Austria at the beginning of the twentieth century.45 However, after Koerber, there came a quick succession of reforms of the Austrian state on different levels that followed the second alternative above, trying to adapt the institutions of the Austrian state so that they could politically accommodate different groups in society—foremost the “nationalities.”46 Karl Renner’s revolutionary theory of the Nationalitätenbundesstaat (federal multi-nation state), with its pendant and theoretically fruitful personality principle, was developed in this context. Renner’s response to the Austrian situation was a radical development of the Josephist state that would have taken it into the era of democracy. Renner worked out a most ingenious form of organization that not only combined essential elements of the Josephist state and infused it with democratic elements but also adapted the whole structure to national representation. Described using the above two alternatives of developing the Josephist state, Renner’s solution actually combined them, retaining the integrity of the Josephist state while integrating national-political democratic representation into its structure. Renner’s national autonomy built on the principle of personal national autonomy, which in principle meant a complete separation of national belonging from 44 For a view of Der Schwierige focusing its portrait of the Austrian character, see Lindström, Empire and Identity (see footnote 3), pp. 153–156. 45 On Koerber, see Lindström, Empire and Identity (see footnote 3), pp. 29–104; Lindström, Ernest von Koerber (see footnote 24), pp.143–184 and references therein. 46 I think here of instances such as Max Vladimir von Beck’s experiment in 1907–1908 with a national-political coalition government in Austria, and the reforms in provincial political systems recognizing “nationalities” in Moravia in 1905, in Bukovina and Bosnia-Hercegovina in 1910, and in Galicia in 1914, as well as similar experiments on the level of municipalities.



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the territorial organization of the state (a genuine Josephist position). According to this principle, as realized by Renner, every individual belonged to a de-territorialized national political body, which culminated in a national parliament (National­ rat) that was also the representative organ of the whole (de-territorialized) nation in the organization of the state. The nationally autonomous structure was matched by a denationalized territorial structure of popular representation, which culminated in a central state parliament, where all citizens, the whole denationalized population of the multinational state, were represented. However, these two structures – which corresponded to the popular representation side in the above described halfway house of the Austrian 1867 constitution – were firmly integrated into the executive structure of the Josephist state and its bureaucracy. The formerly autonomous organs are still popularly elected, but they are in Renner’s conception fully integrated with the unitary executive arm of the state, quite along lines that Koerber or any centralist Josephist of the time could have underwritten. Renner summarized his theory of the federal multi-nation state the best himself: “The executive remains unitary despite the federation.”47 Renner’s theory and its operationalization as a plan for the reform of the Austrian state constitute a very interesting adaptation of the accomplishments of the historical Josephist state and bureaucracy to the demands posed by the modernization process of the early twentieth century. Renner’s neo-Josephist state would have retained its basic a-national, abstract character of a pure Rechtsstaat—and, as a state, it would have been more unitary than the actual Austrian state of the early twentieth century. Simultaneously, it would have made possible the building of multiple, de-territorialized national Heimats within it, which would have been politically integrated with the state on a democratic basis. When examining the many other interpretations of the Austrian state made from within the Austrian state elite in its final decades, it is difficult to find another explanation that is so simple and linear in its solution to the Austrian problem.

Hans Kelsen Despite my contentions above concerning Renner’s interpretation of the Josephist Rechtsstaat, there is one other theory developed by a member of the Austrian state elite that springs to mind that is even simpler and cleaner in its revolutionary interpretation of the old Josephist state: Hans Kelsen’s Pure Theory of Law. The founda47 I have presented this reading of Renner’s theory of the federal multi-nation state in more detail, in Lindström, Empire and Identity (see footnote 3), see particularly pp.198–203. The Renner quotation is taken from Karl Renner: Der Kampf der österreichischen Nationen um den Staat. Das nationale Problem als Verfassungs- und Verwaltungsfrage. Leipzig 1902, p.197 (quotation translated by the present author).

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tions of this theory were developed in the final 10 or so years of the Habsburg Empire; they grew directly out of Kelsen’s law studies at the University of Vienna (doctorate in 1906) and from his studies in Heidelberg and in Berlin in the following years, laying the groundwork for Kelsen’s Habilitation at the University of Vienna in 1911.48 The Pure Theory of Law had a state theory at its base that maintained that there was no such thing as a state over and above the system of law; instead, it affirmed that the state was identical to this system of law, which has been called the “identity thesis” of state and law.49 Seen in the present perspective, Kelsen’s Pure Theory of Law—that, from the 1920s and onwards, developed its own momentum and contributed greatly to its author being dubbed the “jurist of the twentieth century”—at its basis or point of origin was nothing less than an interpretation of the Josephist Rechtsstaat and an attempt to solve the problem of its passage into democratic modernity. The second biography I want to highlight in this article is thus Hans Kelsen’s. Kelsen was born in Prague in 1881 in a family of relatively simple origins. The family made its way into the middle class of Vienna through the business activities of Kelsen’s father. After completing the more or less mandatory law studies of this class, Kelsen also engaged himself in the public arena on questions of the Austrian state by holding speeches and publishing articles on constitutional questions, by involving himself in the Vienna Sociological Society (Soziologische Gesellschaft in Wien), with founding members such as Karl Renner and Josef Redlich, and by working as a teacher in the different venues of public enlightenment (Volksbildung). During the war, he worked as an administrative officer for different state institutions in Vienna. In the final years of the war, he was an expert on constitutional questions in the War Office, working close to the Minister of War. He even authored proposals for constitutional reforms to solve the problems of the Austrian state, finally beginning concrete work on reforming the Habsburg Empire and, in the process, characterizing himself as a true member of that late Josephist reform bureaucracy.50 In 1911, Kelsen became a member also of the Vienna Psychoanalytical Society (Wiener Psychoanalytischen Gesellschaft) and, through this membership, became 48 See Hans Kelsen: Autobiographie (1947). In: Matthias Jestaedt (Ed.): Hans Kelsen Werke. Vol. 1 (Veröffentlichte Schriften 1905–1910 und Selbstzeugnisse). Tübingen 2007, pp.29–91. See also, Man­ fred Baldus: Habsburgian Multiethnicity and the ‘Unity of the State’ – On the Structural Setting of Kel­sen’s Legal Thought. In: Dan Diner and Michael Stolleis (Eds.): Hans Kelsen und Carl Schmitt. A Juxtaposition. Gerlingen 1999, pp.13–25. 49 Robert van Ooyen: Staat und pluralistische Gesellschaft bei Kelsen. In: Tamara Ehs (Ed.): Hans Kelsen. Eine politikwissenschaftliche Einführung. Vienna 2009, pp.17–45. 50 See Kelsen, Autobiographie (see footnote 48). On his membership in the Sociological Society, see Hans Kelsen: Über Grenzen zwischen juristischer und soziologischer Methode. Vortrag gehalten in der Soziologischen Gesellschaft zu Wien (1911). In: Matthias Jestaedt (Ed.): Hans Kelsen Werke. Vol. 3 (Veröffentlichte Schriften 1911–1917). Tübingen 2010, p.24 (note 2). On Kelsen’s engagement in civic education (politische Bildung), see Tamara Ehs: Hans Kelsen und politische Bildung im modernen Staat: Vorträge in der Wiener Volksbildung. Vienna 2007; Tamara Ehs: Demokratie und politische Bil­ dung. In: Ehs, Hans Kelsen (see footnote 49), pp.91–112.



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acquainted with Sigmund Freud. This connection is not as strange as it may seem: In his development of a critique of the dominant view of the state as something existing over and above the law (of the state as having a sort of reality and personality), Kelsen was very interested in the psychological mechanisms behind the perception of abstract concepts, such as having a sociological reality. After Kelsen made his first presentation in the Society (Begriff des Staates und Freuds Massenpsychologie), Freud concluded that Kelsen suffered from a fear of hypostatizations (i.e., a fear of the tendency of abstract concepts to be socially interpreted as having a material reality).51 Even though Freud´s observation has a bearing on Kelsen´s fundamental view of the state as being nothing more than a system of law, it also has a bearing on the extension of Kelsen´s state theory into a theory of democracy. He writes that the state “is us” (“Der Staat, das sind wir”),52 that is, that the state is equal to the multiplicity of groups found in society, whose interaction is governed by the law. Perhaps Kelsen’s fear of hypostatization included the fear of sub-groups in society being perceived as materially existing collectivities (e.g., nationalities) with possibly dangerous effects for the unity of law/state. In a late autobiographical sketch, Kelsen addressed his theory in the following manner: Die These dass der Staat seinem Wesen nach eine – relativ zentralisierte – Rechtsordnung, dass daher der Dualismus von Staat und Recht eine Fiktion ist, die auf einer animistischen Hypostasierung der Personifikation beruht, mit deren Hilfe man die juristische Einheit des Staates darzustellen pflegt, ist ein wesentliches Element meiner Rechtslehre geworden. Es mag sein, dass ich zu dieser Anschauung nicht zuletzt dadurch gekommen bin, dass der Staat, der mir am nächsten lag und den ich aus persönlicher Erfahrung am besten kannte, der österreichische Staat, offenbar nur eine Rechtseinheit war. Angesichts der österreichischen Staates, der sich aus so vielen nach Rasse, Sprache, Religion und Geschichte verschiedenen Gruppen zusammensetzte, erwiesen sich Theorien, die die Einheit des Staates auf irgendeinen sozial-psychologischen oder sozial-biologischen Zusammenhang der juristisch zum Staat gehörigen Menschen zu gründen versuchten, ganz offenbar als Fiktionen. Insofern diese Staatstheorie ein wesentlicher Bestandteil der Reinen Rechtslehre ist, kann die Reine Rechtslehre als eine spezifisch österreichische Theorie gelten.53

One might even add that Kelsen’s Pure Theory of Law can be read as a most insightful and fruitful interpretation of the Josephist Rechtsstaat. When considering Kelsen´s activities before 1918 and his treatment during this period of the Austrian positive constitutional law of his own time, it becomes clear both that his advice sought to make Austrian constitutional and administrative law 51 On Kelsen and Freud, see Alina Avscharova and Martina Huttar: Ohne Seele, ohne Staat. Hans Kelsen und Sigmund Freud. In: Ehs, Hans Kelsen (see footnote 49), pp.171–191. Kelsens presentation that Freud commented upon was given after the war, in 1921. 52 Quoted from Ooyen, Staat (see footnote 49), p. 17. On Kelsen’s democracy theory, see Oliver Lep­ sius: Kelsens Demokratietheorie. In: Ehs, Hans Kelsen (see footnote 49), pp.67–89. 53 Hans Kelsen, Autobiographie (see footnote 48), pp.59–60.

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more pure and unitary—removing internal contradictions and conflicts between laws in different areas and on different levels of the Austrian state—and that his activities in participating in the public debate and public enlightenment aspired to spread knowledge of Austrian constitutional law in the public sphere. In its extension, the Volksbildung element of Kelsen’s activities, in particular, can be seen to rest on a view that knowledge regarding Austrian constitutional and administrative law needed to be made common knowledge in the population if people in general were to have the possibility of feeling personally engaged in the state. Taking a few examples, in “Naturalisation und Heimatberechtigung nach österre­ ichischem Rechte” (1907), Kelsen identified an internal contradiction in the Austrian citizenship law, and he advocated reforming it by removing the legal rules that gave the municipality influence in the formal process of accepting a new citizen; he thus advocated making this process strictly centralized, unequivocally tying citizenship to the unitary state.54 In “Reichsgesetz und Landesgesetz nach österreichischer Ver­ fassung” (1914), he dealt with the contradictions produced in the system of central legislation and provincial legislation and administration, arguing for the removal of these contradictions and for the creation of a more clean system of law because “the legal unity of the state was fulfilled in the unity of the law.”55 In the only surviving part of Kelsen’s reform proposal for the Habsburg Empire (the section on the military constitution of Austria-Hungary) that he, according to his own testimony, developed while serving in the central authorities of the empire, his tendencies become clear. He sought to strengthen the executive control of the armed forces and to decidedly strengthen the unitary administrative-legal framework of the military organization of the empire, while simultaneously advocating to divide the peacetime organization along the constitutional lines of the two parliamentary sub-systems of the empire, Austria and Hungary. He also advocated compulsory military service.56 When Kelsen, in this latter proposal, states that the military organization cannot be expected to further and strengthen the feelings of belonging to the state, one can indirectly see some of the tendencies of his (lost) larger reform proposal for the empire. Kelsen believes the military organization should really be able to build on such a basis from the outset: “Hier hat [die Heeresverwaltung] vornehmlich nur zu ernten, wo eine zielbewusste Zivilverwaltung zu säen hätte.”57 This last reference reflects a sense of integrating the type of civic education, which Kelsen had engaged in before the war, into the centralized school system of Austria. One can easily con-

54 Published in Matthias Jestaedt (Ed.): Hans Kelsen Werke. Vol. 1 (see footnote 49), pp.545–560. 55 Published in Matthias Jestaedt (Ed.): Hans Kelsen Werke. Vol. 3 (see footnote 50), pp. 359–425. The translation of the quotation is from Baldus, Multiethnicity (see footnote 48), p. 13. 56 Kelsen on the constitutional reform he wrote during this time, see Kelsen, Autobiographie (see footnote 48), pp. 47–48. The surviving part of this reform proposal is published in Jestaedt, Hans Kel­ sen Werke. Vol. 3 (see footnote 50), pp. 615–629 (it was originally published in 1917). 57 Quoted from Jestaedt, Hans Kelsen Werke (see footnote 50), p. 619.



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clude that the content of that education should be a more unitary and strict system of law, which should be realized in the imperial reform advocated by Kelsen. It is important to note that in Kelsen’s view civic education should not aim to create an emotional bond between the citizen and the state (and its culture, history, etc.), but merely to function to supply the whole population of the state with an in-depth knowledge and understanding of the system of law of the state, and its organization and function, so that they could participate fully in it (because “Der Staat, das sind wir”). In short, Kelsen proposed to spread the close knowledge of the Josephist Rechtsstaat, which the law-educated Austrian state elite already possessed, throughout the whole population of Austria; Kelsen’s suggestion for how to foster state loyalty was, arguably, to create a Josephist citizenry.

Concluding Remarks Disconnected from its origins Kelsen’s theory lived on in the inter-war era, where it became embroiled in a conflict with Carl Schmitt’s theories of state, which did not shrink from hypostatizations of “state” and “people”.58 Kelsen was also involved in shaping the constitution and institutions of the inter-war Austrian republic.59 Its character in the period 1920 to 1929 of a unitary parliamentary republic with strong constitutional and administrative courts was indubitably due to Kelsen’s influence. But this is a different story. It is not possible to lay Renner’s and Kelsen’s plans for developing the Josephist state side by side in order to compare them. However, with Kelsen’s plan as assembled above from the fragments of his writings and actions, it seems clear that Kelsen remained closest to the ideals of Josephism. Renner’s ingenious solution to the Austrian problem has one element that makes it lose sight of a core accomplishment of the Josephist Rechtsstaat: his national federal component. This move of Renner’s necessitates a freezing-in-time of social categories, “nationalities,” that are then built into the basis of his neo-Josephist state. With this move, he integrates nationalism into the fabric of the state and, arguably, loses an important quality of the Josephist Rechtsstaat; indeed, Renner loses that secret of the Austrian state that was at the heart of Robert Musil´s scientific investigation into the Austrian condition, the a-national, abstract character of the Austrian state that has been traced above in this article. Instead, Renner’s constitution presents each citizen with a choice between a few prefabricated national identities; it does not allow for a Subject without Nation. 58 See Diner, Hans Kelsen (see footnote 48). 59 See Georg Schmitz: Die Vorentwürfe Hans Kelsens für die österreichische Bundesverfassung. Vienna 1981; Georg Schmitz: Karl Renners Briefe aus Saint Germain und ihre rechtspolitischen Folgen. Vienna 1991. The constitution of 1920 is still today the valid constitution of the Republic of Austria, although its revision in 1929 removed some of the imprint given it by Kelsen.

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Kelsen’s state—a relatively centralized system of law—retained this core component of the Josephist Rechtsstaat, clearing the way to the democratization of the Josephist state ideal without taking the national byway. However, Musil’s and Kelsen’s interpretations of the Josephist Rechtsstaat are much more akin. This becomes evident in the second part of Der Mann ohne Eigen­ schaften, when Musil discusses the expectations held by many people in Kakania for nationalism to supply a frame of understanding to cope with the changes in society that were affecting them. He writes that people imagined that belonging to a nation would simplify their lives, that things would not appear as complicated if they could sing a national anthem together. In this situation of compulsive national identification, Musil describes how the true Kakanian would reply to the demand for national self-identification rampant in society: Musil maintains, that the true Kakanian would answer the impertinent question “What are you?” with a resounding and enthusiastic “Nothing!”60 In terms of identity and belonging, Kelsen’s state matches this “nothing” by refusing to supply an identity, by abstaining from culturally defining a Heimat, by simply offering membership in a common, unitary system of law, and leaving questions of identity-building and Heimat-designing outside the sphere of the state. Musil’s ideal Kakanian is not unlike a model citizen of Kelsen’s post-Josephist state of pure law. Kelsen and Musil can be viewed as late exponents of the extended Austrian state elite that retained many characteristics of the historical Josephist reform bureaucracy. Surprisingly many people in the Austrian elite of the last decades of the empire seem to have acted in this way. Although their interpretations of the situation facing the Austrian state differed, and their proposals for countering this situation differed even more, there are also interesting likenesses between many of these interpretations. I would suggest that these likenesses go back on a common, historical elite formation in close rapport with the imperial Austrian state. There is a research field lying ready to be worked here, in investigating and analyzing the common experience of the elite formation in question through imperial biographies focusing on members and subgroups of the elite in the late Habsburg Empire.

60 Adolf Frisé (Ed.): Robert Musil. Der Mann ohne Eigenschaften. Vol. 1. Hamburg 1978, p.529.

Anhang

Danksagung

Danksagung

Abb. 25: Ländliches Picknick der Großfürstin Maria Pavlovna (1913)

Mit dem Erscheinen dieses Sammelbands geht eine Reise zu Ende, die bereits 2009 begann und über Hannover und Frankfurt an der Oder, Warschau und Krakau, Bremen, Bamberg und Berlin führte. Weder das vorliegende Buch noch das Forschungsprojekt zu den Imperialen Biographien hätten ohne die Mitwirkung und Unterstützung vieler Kolleginnen und Kollegen, Freunde und Förderer je diese Gestalt annehmen können. Die Herausgeber sind all jenen, die uns auf unserem Weg begleitet haben, zu großem Dank verpflichtet. Zu danken haben wir zum einen den Referenten der Sektion „Imperiale Grenzgänger“ beim Historikertag in Berlin 2010 sowie den mehr als 80 Teilnehmern der Berliner und Bamberger Konferenzen von 2012. Sie haben wesentlich beigetragen, unsere zunächst abstrakten Ideen durch konkrete Vorstellungen von imperialen Lebensläufen und ihrer Vielfalt zu bereichern. Bedanken möchten wir uns ebenso bei der Fritz Thyssen Stiftung, der VolkswagenStiftung, den Freunden der TU Berlin, dem Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin sowie der Leitung der Universität Bamberg, die durch ihre großzügige Förderung die zwei Tagungen überhaupt erst ermöglicht haben. Gleichfalls geht unser Dank an Viviane Lühr, Dorothee Hüls, Ann-

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 Danksagung

Charlott Stegbauer und Benedikt Tondera, die bei der Planung und Durchführung dieser Großveranstaltungen enorme Hilfe geleistet haben. Auf dem weiteren Weg zur Buchpublikation ist die Unterstützung und kritische Textarbeit von Herausgebern und Redaktion von Geschichte und Gesellschaft und vor allem von Paul Nolte von großer Bedeutung gewesen. Auch ihnen gilt unser Dank, da die Ausgestaltung des GuG-Themenhefts unseren Sammelband in vielerlei Hinsicht angeregt und unserem Ansatz der Imperialen Biographien erhebliche Impulse gegeben hat. Unser Dank richtet sich ebenso an die zahlreichen Kolleginnen und Kollegen, die bei Gesprächs- und Diskussionsrunden in Madrid, Florenz, Wien, Dublin, Moskau, Philadelphia oder New York das Projekt begleitet und zu seiner Weiterentwicklung beigetragen haben. Bei der Arbeit an diesem Buch haben sich die siebzehn Autoren gegenüber den inhaltlichen und auch terminlichen Zumutungen der Herausgeber in bewundernswerter Weise einsichtig gezeigt. Wir möchten ihnen ebenso wie den Ansprechpartnern beim Oldenbourg-Verlag für eine Kooperation danken, die nicht nur äußerst produktiv verlief, sondern auch viel Freude bereitete. Unser Dank geht gleichermaßen an Philipp Schedl und Dorothee Hüls sowie Johanna Grasser, Linda Needham und Hans Rolf, die allesamt bei Korrektur und Formatierung der mehr als 500 Manuskriptseiten große Dienste geleistet haben. Sechs Jahre also hat die Reise der Imperialen Biographien gedauert. Wir meinen: Sie hat sich gelohnt. Unser eigener imperialer Horizont ist um einige faszinierende Lebensgeschichten reicher geworden. Tim Buchen und Malte Rolf Berlin und Bamberg im Mai 2015

Abbildungsverzeichnis

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Umschlag oben rechts Warschauer Magistrat unter der Leitung von Sokrat Starynkevič. Photographie von Konrad Brandel (18. September 1892). Muzeum Historyczne m.st. Warszawy, Arch.Fot., Nr inw. V. 13691 Umschlag oben links Aleksandr Lednicki mit französischen Abgeordneten anlässlich der Ehrung von Aristide Briand in Warschau 1932. Narodowe Archiwum Cyfrowe, Sygnatura: 1-D-661-3. Warschau, Wydarzenia z dn. 1932/04/10 Umschlag Mitte links Russischer General und osmanischer Pascha, Musa Kunduch (1818–1889), in osmanischer Uniform und mit osmanischen und russischen Orden. Russisches Ethnographisches Museum, St. Petersburg. In: B. A. Kaloev: Osetiny. Moskau: Nauka, 2004 Umschlag Mitte rechts Konstantin fon-Kaufman.Turkestanskij Al’bom (1871), Part 4, pl. 4, no. 2, Library of Congress, LC-DIGppmsca-09957-00002 Umschlag unten rechts Tomáš Garrigue Masaryk. Photo aus der polnischsprachigen Broschüre Nasz Prezydent T.G. Masaryk, Drukarnia Państwowego Składu Książek Szkolnych w Pradze Czeskiej, 1920 Umschlag unten links Begrüßungskomitee Warschauer Bürger beim Besuch Nikolaus II. 1897. Olgierd Burdewicz: Przedwczorajsza Warszawa. Fotografie ze zbiorów Muzeum Narodowego w Warszawie, Olszanica 2006, S. 130 Buchrücken Beamte der Verwaltung für das Fernmeldewesen besichtigen eine neuerbaute telegraphische Anlage in St. Petersburg (1907). Anonyme Photographie. In: Dirk Nishen (Hrsg.): Das Rußland der Zaren. Photographien von 1839 bis zur Oktoberrevolution. Berlin 1989, S. 195

Tim Buchen / Malte Rolf: Eliten und ihre imperialen Biographien Abb. 1: David Rumsey Historical Map Collection Image No. 1494011 Copyright 2006   Abb. 2: David Rumsey Historical Map Collection Image No. 3007017, Copyright 2005   Abb. 3: David Rumsey Historical Map Collection, Image No. 5075059, Copyright 2007  

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Michael Khodarkovsky: Groom and Govern Fig. 4: Russisches Ethnographisches Museum, St. Petersburg. In: B. A. Kaloev: Osetiny. Moskau: Nauka, 2004    39 Jörg Ganzenmüller: Vom Modernisierer zum Russifizierer Abb. 5: In: A. Mjunster (Hg.): Portretnaja galereja russkich dejatelej. St. Petersburg 1865, Bd. 1  49

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Ulrich Hofmeister: Der Halbzar von Turkestan Abb. 6: Turkestanskij Al’bom (1871), Part 4, pl. 4, no. 2, Library of Congress, LC-DIGppmsca-09957-00002  65 Marion Wullschleger: „Gut österreichische Gesinnung“ Abb. 7: ÖNB, Bildarchiv Austria, Pf 4.035: C (3)   90 Abb. 8: ÖNB, Bildarchiv Austria, Pf 31323: C (1)  90 Bettina Brockmeyer: Vom „Kolonialschwein“ zum Konsul Abb. 9: Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Nachlass Asmis, Bd. 243 

 107

Bradley D. Woodworth: The Imperial Career of Gustaf Mannerheim Fig. 10: Abgedruckt mit Genehmigung des Mannerheim-museo, Helsinki, Finnland 

 135

Irina Marin: Reforming the Better to Preserve Fig. 11: Abgedruckt mit Genehmigung von Dr. Livia Magina and Muzeul Banatului Montan, Reșița, Rumänien   155 Faith Hillis: Making and Breaking the Russian Empire Fig. 12: Public domain, courtesy of Wikicommons: http://en.wikipedia.org/wiki/Dmitry_ Pikhno#mediaviewer/File:Pihno_di.jpg   178 Fig. 13: Public domain, courtesy of Wikicommons: http://en.wikipedia.org/wiki/Vasily_ Shulgin#mediaviewer/File:Vasily_Shulgin.jpg  178 Martin Müller-Butz: Von Russland nach Polen Abb. 14: Narodowe Archiwum Cyfrowe, Sygnatura: 1-D-661-3 Warschau, Wydarzenia z dn. 1932/04/10    199 Ruth Leiserowitz: Polnische Militärärzte im zarischen Imperium Abb. 15: Narodowe Archiwum Cyfrowe, Sygnatura: 1-N-590 Data: Rok 1932  223 Katja Bruisch: Populismus, Profession und Politik Abb. 16: RGAĖ f. 766, op. 1, d. 175, l. 2  240 Abb. 17: RGAĖ f. 731, op. 1, d. 8, l. 1 240 Klemens Kaps: Zwischen unternehmerischen Interessen, Arbeit für die Nation und Politik für das Reich Abb. 18: Reprodukcja Piotr Mecik/FORUM  261 Abb. 19: Public domain, courtesy of Przeglad Techniczny http://www.pacakm.cba.pl/zieleniewscy/thumb.html 261 Jan Surman: Imperiale go-betweeners Abb. 20: photographiert von Walery Rzewuski Biblioteka Narodowa, Warszawa, Sign. F.40175  311 Abb. 21: Photo aus der polnischsprachigen Broschüre Nasz Prezydent T.G. Masaryk, Drukarnia Państwowego Składu Książek Szkolnych w Pradze Czeskiej, 1920 311



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Theodore R. Weeks: Jan Baudouin de Courtenay Fig. 22: Unbekannter Photograph. Public domain, courtesy of Wikicommons: http://www.unc.edu/~melchert/baudouin2.jpg / http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Baudouin2.jpg http://audiovis.nac.gov.pl/obraz/97567/ebbb433b0544fb1bfd7bbde96ec3f6d3/ 

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Christoph Augustynowicz: Zwischen Legitimität aus Galizien und Dienst für Habsburg Abb. 23: Photo von 1936. Public domain, courtesy of Wikicommons: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Oskar_Halecki.PNG   355 Fredrik Lindström: Imperial Heimat Fig. 24: © Parlamentsdirektion / Michael Buchner 

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Anhang Abb. 25: Anonyme Photographie. In: Dirk Nishen (Hrsg.): Das Rußland der Zaren. Photographien von 1839 bis zur Oktoberrevolution. Berlin 1989    395

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Autorenverzeichnis

Christoph Augustynowicz ist außerordentlicher Universitätsprofessor am Institut für Osteuropäische Geschichte der Universität Wien, 1997 Promotion zum Dr. Phil., 2007 Habilitation. Regelmäßige Forschungs- und Vortragsaufenthalte in Polen. Seit November 2009 Stellvertretender Sprecher des Doktoratskollegs „Galizien und sein multikulturelles Erbe“. Seine Forschungsinteressen sind die Beziehungen der Habsburger zum östlichen Europa in der Frühen Neuzeit; Galizisch-polnische Grenzraumforschung; Sozialgeschichte Polen(-Litauens) unter besonderer Berücksichtigung der Juden; Bilder und Stereotype des östlichen Europa (Vampir(ismus)glaube); Historiographiegeschichte (Ostmitteleuropa-Konzeptionen). Publikationen: Die Kandidaten und Interessen des Hauses Habsburg in Polen-Litauen während des Zweiten Interregnums 1574–1576. Wien 2001; Grenze(n) und Herrschaft(en) in der kleinpolnischen Stadt Sandomierz 1772–1844. Wien (im Druck); Geschichte Ostmitteleuropas – Ein Abriss. Wien2 2014; Christoph Augustynowicz und Andreas Kappeler (Hrsg.): Die galizische Grenze 1772–1867: Kommunikation oder Isolation? Wien/Berlin 2007; Christoph Augustynowicz und Ursula Reber (Hrsg.): Vampirglaube und magia posthuma im Diskurs der Habsburgermonarchie. Wien/Berlin 2011. Bettina Brockmeyer ist akademische Rätin auf Zeit an der Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie in Bielefeld. Promotion zu einem medizingeschichtlichen Thema. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Körper- und Geschlechtergeschichte, der historischen Anthropologie und der Kolonialgeschichte. Publikationen: Beziehungsweise Ich. Zur Frage nach Subjektivitäten im frühen 19. Jahrhundert. In: Historische Anthropologie 15 (2007). S. 422–431; Selbstverständnisse. Dialoge über Körper und Gemüt im frühen 19. Jahrhundert. Göttingen 2009; Der Kolonialbeamte Rudolf Asmis. In: Rebekka Habermas und Alexandra Przyrembel (Hrsg.): Von Käfern, Märkten und Menschen. Kolonialismus und Wissen in der Moderne. Göttingen 2013. S. 84–94. Katja Bruisch ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Historischen Institut Moskau. 2013 Promotion an der Georg-August-Universität Göttingen mit einer Arbeit zu Agrarexperten im späten Zarenreich und der frühen Sowjetunion. Ihre Forschungsinteressen sind Umwelt- und Agrargeschichte Russlands im 19. und 20. Jahrhundert, Wissenschaft und Expertise in der Moderne. Publikationen: Contested Modernity. A. G. Doiarenko and the Trajectories of Agricultural Expertise in Late Imperial and Soviet Russia. In: Joris Vandendriessche, Evert Peeters und Kaat Wils (Hrsg.): Scientists’ Expertise as Performance. Between State and Society, 1860–1960. London 2015 , S. 99–114; Als das Dorf noch Zukunft war. Agrarismus und Expertise zwischen Zarenreich und Sowjetunion. Köln 2014; Katja Bruisch und Nikolaus Katzer (Hrsg.): Bol’šaja vojna Rossii. Social’nyj porjadok, publičnaja kommunikacija i nasilie na rubeže car’skoj i sovetskoj ėpoch. Moskau 2014. Tim Buchen ist akademischer Mitarbeiter an der Europa-Universiät Viadrina in Frankfurt an der Oder. Seine Forschungsschwerpunkte sind (post)imperiale Geschichte im mittleren und östlichen Europa des 19. und 20. Jahrhunderts, Antisemitismus- und Gewaltforschung. Publikationen: Antisemitismus in Galizien. Agitation, Gewalt und Politik gegen Juden in der Habsburgermonarchie um 1900. Berlin 2012. Tim Buchen, Zuzanna Bogumił, Joanna Wawrzyniak, Christian Ganzer: The Enemy on Display. The Second World War in Eastern European Museums. New York u.a. 2015; Religiöse Mobilisierung im Reich. Die imperialen Lebensläufe und politischen Karrieren von Joseph Bloch und Stanislaw Stojalowski in der Habsburgermonarchie. In: Geschichte und Gesellschaft 40. Heft 1 (2014). S. 117– 141. Jörg Ganzenmüller ist Vorstandsvorsitzender der Stiftung Ettersberg in Weimar, die sich der vergleichenden Erforschung der europäischen Diktaturen widmet. Zuvor vertrat er den Lehrstuhl für



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Ost­ europäische Geschichte der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Publikationen: Das belagerte Leningrad 1941 bis 1944. Die Stadt in den Strategien von Angreifern und Verteidigern. Paderborn u.a. 2005 (2., durchges. Auflage 2007); Russische Staatsgewalt und polnischer Adel. Elitenintegration und Staatsausbau im Westen des Zarenreiches (1772–1850). Köln/Weimar/Wien 2013; Jörg Ganzenmüller und Beate Fieseler (Hrsg.): Kriegsbilder. Mediale Repräsentationen des „Großen Vaterländischen Krieges“. Essen 2010; Jörg Ganzenmüller und Raphael Utz (Hrsg.): Sowjetische Verbrechen und russische Erinnerung. Orte – Akteure – Deutungen. München 2014. Christoph Herzog ist Inhaber des Lehrstuhls für Turkologie an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Forschungsgebiete: Spätosmanische Geschichte, insbesondere auch der arabischen Provinzen, Historiographie und Geistesgeschichte der Türkei. Publikationen: Osmanische Herrschaft und Modernisierung im Irak. Die Provinz Bagdad, 1817–1917. Bamberg 2012; „Aufklärung und Osmanisches Reich. Annäherung an ein historiographisches Problem.“ In: Wolfgang Hardtwig (Hrsg.): Die Aufklärung und ihre Weltwirkung. Göttingen 2010 (Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft 23). S. 291–321; Geschichte und Ideologie: Mehmed Murad and Celal Nuri über die historischen Ursachen des osmanischen Niedergangs. Berlin 1996. Faith Hillis is Assistant Professor of Russian History at the University of Chicago. An historian of imperial Russia, she is especially interested in nineteenth- and early twentieth-century politics, culture, and ideas. She is the recipient of fellowships from IREX, NCEEER, Fulbright-Hays, and the Davis Center at Harvard University. Publications: Children of Rus’: Right-Bank Ukraine and the Invention of a Russian Nation. Ithaca 2013; her other recent publications include: Modernist Visions and Political Conflict in Late Imperial Kiev. In: Jan C. Behrends and Martin Kolrausch (Eds.): Races to Modernity: Metropolitan Aspirations in Eastern Europe, 1890–1940. Budapest 2014; Migration, Mobility, and Political Conflict in Late Imperial Kiev. In: John Randolph and Eugene Avrutin (Eds.): Russia in Motion: Cultures of Human Mobility since 1850. Urbana 2012; Ukrainophile Activism and Imperial Governance in Russia’s Southwestern Borderlands. In: Kritika 13. No. 2 (Spring 2012), pp. 303–328. Ulrich Hofmeister ist Universitätsassistent am Institut für Osteuropäische Geschichte der Universität Wien, davor wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Justus-Liebig-Universität Gießen und der RuhrUniversität Bochum. Promotion 2014 an der Universität Wien. Zu seinen Forschungsinter­essen gehören Zentralasien, das Zarenreich und der Kolonialismus. Publikationen: Kolonialmacht Sowjetunion: Ein Rückblick auf den Fall Uzbekistan. In: Osteuropa 56. Heft 3 (2006). S. 69–93; Russische Erde in Taschkent? Koloniale Identitäten in Zentralasien 1867–1881. In: Saeculum 61 (2011). S. 263–282; Zwischen Kontinentalimperium und Kolonialmacht: Repräsentationen der russischen Herrschaft in Turkestan, 1865–1917. In: Martin Aust und Julia Obertreis (Hrsg.): Osteuropäische Geschichte und Globalgeschichte. Stuttgart 2014. S. 27–47. Michael Khodarkovsky is a professor of history at Loyola University in Chicago. He is the author of three books and numerous other publications. His work has been focused on Russia’s imperial expansion into Eurasia and its policies and practices toward the non-Christian peoples. He is presently at work on a comparative history of the Eurasian empires. Publications: Bitter Choices: Loyalty and Betrayal in the Russian Conquest of the North Caucasus. Ithaca 2011; Where Two Worlds Met: the Russian State and the Kalmyk Nomads, 1600–1771. Ithaca 1992; Russia’s Steppe Frontier: The Making of a Colonial Empire, 1500–1800. Bloomington 2002; Michael Khodarkovsky and Robert Geraci (Eds.): Of Religion and Empire: Missions, Conversion and Tolerance in Tsarist Russia. Ithaca 2001. Klemens Kaps ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Frühe Neuzeit (Área de Historia Moderna) des Instituts für Geografie, Geschichte und Philosophie der Universidad Pablo de Olavide in Sevilla. Studium der Geschichte, Philosophie und Politikwissenschaft an den Universitäten Wien

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und Barcelona, 2007–2011 Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Doktoratskolleg „Das österreichische Galizien und sein multikurelles Erbe“ am Institut für Osteutopäische Geschichte der Universität Wien. 2011 Promotion an der Universität Wien. 2011–2013 Erwin-Schrödinger-Sti­pen­diat des FWF. Publikationen: Klemens Kaps und Jan Surman (Hrsg.): Galicja postkolonialna, in: Historyka. Studia metodologiczne XLII (2012); Ungleiche Entwicklung in Zentraleuropa. Galizien zwischen überregionaler Arbeitsteilung und imperialer Politik im habsburgischen Galizien (1772–1914), Sozial- und wirtschaftshistorische Studien Bd. 37. Wien 2015 (im Druck). Ruth Leiserowitz ist Stellvertretende Direktorin am Deutschen Historischen Institut Warschau. 1990–1996 Studium der Geschichte und Polonistik an der FU Berlin, der HU zu Berlin und der Universität Vilnius/Litauen, 1996–1999 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Thomas-Mann-Kulturzentrum Nida/ Litauen, 1995–2009 Lehraufträge an der Universität Klaipėda, 1997 Promotion, 2007 Habilitation („Sabbatleuchter und Kriegerverein: Juden in der ostpreußisch-litauischen Grenzregion 1812–1942“), 2005–2008 Koordinatorin des Forschungsprojektes „Nation, Borders, Identities“ an der FU Berlin. Publikationen: Sabbatleuchter und Kriegerverein. Juden in der ostpreußisch-litauischen Grenzregion 1812–1942. Osnabrück 2010; Von Ostpreußen nach Kyritz. Wolfskinder im Land Brandenburg. Pots­dam 2003; Memellandbuch. Fünf Jahrzehnte Nachkriegsgeschichte. Berlin 2002; Ostpreußens Schicksalsjahre 1944–1948. Berlin 2000, 2. Auflage 2001; Wolfskinder. Grenzgänger an der Memel. Berlin 1996, 4. Auflage 2003. Fredrik Lindström has a PhD in History from Lund University and is Senior Lecturer in European Studies at Malmö University in Sweden. He is currently functioning as Director of PhD studies at his home faculty. Main research interest modern European history: special interest in nationalism and empires, multinational states and identity questions, biography, historical culture and memory culture, Holocaust and anti-Semitism. Research completed on the late Habsburg Empire and the question of the influence of the imperial experience on elite culture and identities in Imperial Austria. He has also conducted research on Austrian historical culture of the post-war era, with a special focus on the memory of the Holocaust. Research interest in European regionalism and the concept of ‘region’. Publications: Empire and Identity. Biographies of the Austrian State Problem in the Late Habsburg Empire. West Lafayette 2008; “Nationalist without a Cause. A Political Biographical Approach to Hugo von Hofmannsthal.” Working Paper no.38, Dept. of East European Studies, Uppsala University 1997; Region, Cultural Identity and Politics in the Late Habsburg Monarchy. In: Sven Tägil (Ed.): Regions in Central Europe – The Legacy of History. London 1999; Ernest von Koerber and the Austrian State Idea. A Reinterpretation of the Koerber Plan (1900–1904). Austrian History Yearbook 35 (2004). Irina Marin is a Leverhulme Research Fellow affiliated with the Stanley Burton Centre for Holocaust and Genocide Studies, University of Leicester, UK. She is currently working on a new project on the circulation of news, rumor and violence entitled Fear across Borders: Peasant Violence and Anti-Semitism across the Triple Border between Tsarist Russia, Romania and Austria-Hungary 1880–1918. Her previous research focused on the loyalties and sense of identity of Romanian generals in the Austro-Hungarian army at the end of the 19th, beginning of the 20th century. Publications: Contested Frontiers in the Balkans: Ottoman and Habsburg Rivalries in Eastern Europe. I.B. Tauris 2012; Imperial into National Officers: K.u.K. Officers of Romanian nationality before and after the Great War. In: Paul Miller and Claire Morelon (Eds.): “As If There Had Been No Revolution At All”: Continuity and Rupture with the Habsburg Regime, 1914 to Today, forthcoming. Martin Müller-Butz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Imre Kertész Kolleg Jena mit dem Promotionsthema: Unheimliche Heimat? Das Russische Zarenreich in polnischen Memoiren und Autobiographien des 20. Jahrhunderts (Arbeitstitel). Im Rahmen der Dissertation Studien- und Forschungsaufenthalte in Warschau, New York City und London (Gerald D. Feldman-Stipendiat der



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Max Weber Stiftung). Seine Forschungsinteressen sind die polnisch-russische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Zeitgeschichte Polens, Theorien der Geschichtskultur und der Autobiographik. Publikationen: [Mit Christian Werkmeister] Die Geschichte des GULag im Russischen Internet (RuNet): Möglichkeiten und Grenzen virtueller Erinnerungskulturen. In: Jörg Ganzenmüller und Raphael Utz (Hrsg.): Sowjetische Verbrechen und russische Erinnerung. Orte – Akteure – Deutungen, München 2014 (im Druck). Malte Rolf ist Professor für Geschichte Mittel- und Osteuropas an der Universität Bamberg. Seine Forschungsschwerpunkte sind vergleichende Imperiumsgeschichte und imperiale Eliten im Wandel, das Russische Reich und Polen im langen 19. Jahrhundert, die Geschichte der Sowjetunion, nationale Minderheiten und Nationalitätenpolitik im 20. Jahrhundert, Verflechtungsgeschichte Europas im Kalten Krieg sowie methodische Zugänge der neueren Biographik. Publikationen: Imperiale Herrschaft im Weichselland: Das Königreich Polen im Russischen Imperium (1864–1915). München 2014; Das sowjetische Massenfest. Hamburg 2006; Imperiale Biographien, Themenheft Geschichte und Gesellschaft 40. Heft 1 (2014); Malte Rolf und Árpád von Klimó (Hrsg.): Rausch und Diktatur. Inszenierung, Mobilisierung und Kontrolle in totalitären Systemen. Frankfurt/Main 2006; Gábor Rittersporn, Malte Rolf und Jan Behrends (Hrsg.): Zwischen partei-staatlicher Selbstinszenierung und kirchlichen Gegenwelten: Sphären von Öffentlichkeit in Gesellschaften sowjetischen Typs. Frankfurt/ Main 2003. Jan Surman ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Herder-Institut in Marburg. Er war zuvor wissenschaftlicher Assistent am Initiativkolleg „Naturwissenschaften im historischen Kontext“ an der Universität Wien, Stipendiat am Center for Austrian Studies in Minneapolis, Research Fellow am Herder-Institut in Marburg, Stipendiat am Deutschen Historischen Institut Warschau sowie visiting fellow am Max Planck Institut für die Wissenschaftsgeschichte. Er promovierte 2012 in Wien mit: Habsburg Universities 1848–1918: Biography of a Space. Publikationen: Jan Surman und Mitchell G. Ash (Hrsg.): The Nationalization of Scientific Knowledge in the Habsburg Empire, 1848–1918. Basingstoke 2012; Objektivität, Bestandsaufnahme, Territorium: Galizische Quelleneditionen und ihre Verortung zwischen wissenschaftlichen und ideologischen Ansprüchen. In: Christine Ottner und Klaus Ries (Hrsg.): Die Institutionalisierung der Geschichtsforschung: Universitäten und Wissenschaftsakademien in Deutschland und Österreich (1850–1900). Stuttgart 2014. S. 98–222. Theodore R. Weeks is professor of history at Southern Illinois University in Carbondale, where he has taught for over twenty years. His research interests include nationalism, nationality policy (especially in the Russian Empire), Jewish history and antisemitism in Eastern Europe, and urban history. Publications: Nation and State in Late Imperial Russia: Nationalism and Russification on the Western Frontier, 1863–1914. DeKalb 1996; From Assimilation to Antisemitism: The ‘Jewish Question’ in Poland, 1850–1914. DeKalb 2006; Across the Revolutionary Divide: Russia and the USSR 1861–1945. Oxford 2011. He has recently completed a history of Vilnius as a multicultural city in the 19th and 20th centuries. Bradley D. Woodworth is Associative Professor of History at the University of New Haven and Coordinator of Baltic Studies at Yale University. His research interests include the social and political history of the northwestern regions of Imperial Russia, especially the Baltic littoral, Finland, and St. Petersburg. Publications: Bradley D. Woodworth and Karsten Brüggemann (Eds.): Russland an der Ostsee. Imperiale Strategien der Macht und kulturelle Wahrnehmungsmuster (16. bis 20. Jahr­hundert). Köln 2012; Bradley D. Woodworth and Tõnu Tannberg (Eds.): Vene impeerium ja Baltikum: venestus, rahvuslus ja moderniseerimine 19. sajandi teisel poolel ja 20. sajandi alguses [The Russian Empire and the Baltic: Russification, nationality and modernization in the second half of the nineteenth

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century and early twentieth century]. Volumes I and II. Acta et Commentationes Archivi Historici Estoniae 16 (23) and 18 (25). Tartu 2009 and 2010. Marion Wullschleger studierte Geschichte, Politikwissenschaft und Staatsrecht an den Universitä­ten Bern und Wien. Ihr Dissertationsprojekt „Die Stellvertreter des Kaisers. Die österreichischen Statthalter in Triest (ca. 1898–1918)“ ist an der Universität Bern angesiedelt. Seit 2010 ist sie wissenschaftliche Archivarin am Hochschularchiv der ETH Zürich. Zu ihren Forschungsinteressen gehören: Herrschaft und Verwaltung in imperialen Strukturen, Nationalismus, Militärgeschichte des frühen 20. Jahr­hunderts, Universitätsgeschichte. Publikationen: Nostalgie asburgiche a Trieste dopo la Grande guerra. In: Rolf Petri (Hrsg.): Nos­talgia. Memoria e passaggi tra le sponde dell’Adriatico. Venetiana 7. Rom 2010. S. 213–236; Marion Wullschleger publiziert regelmäßig Beiträge zu hochschulgeschichtlichen Themen im Blog „ETHeritage“: http://blogs.ethz.ch/digital-collections/

Ortsregister

Register I. Personenregister Abdülhamid II. 289, 294, 298–300, 303–306 Alexander I. 56 Alexander II. 50, 61, 65, 72, 184f Ambrożewicz, Piotr Alfons 230, 234, 236, 238 Arapova, Anastasiia 141, 145 Asmis, Rudolf 21, 107–131 Augustynowicz, Tomasz 231, 235 Babiański, Aleksander 207, 208, 213, 214 Bach, Alexander 374, 376 Balicki, Zygmunt 205, 207 Benckendorff, Alexander 52, 53, 54 Bentkowski, Kazimierz 230, 233, 238 Bergheim, John 266, 276 Bibikov, Dmitrij 60 Biedermann, Robert 264, 268, 274, 275, 287 Bloch, Joseph Samuel 3, 4, 24, 27, 30 Bolzano, Bernhard 331, 335 Brückmüller, Ernst 99, 262, 312, 379 Bruckus, Boris D. 247, 248, 250 Budilovič, Anton 29 Bülow, Frieda von 111f Čajanov, Aleksandr V. 242, 245, 247–251, 256f Čelincev, Aleksandr N. 247–251 Černjaev, M.G. 68, 69, 79, 84, 87 Chernyshev, A. I. 40, 44 Courtenay, Jan Baudouin de 24, 26, 27, 29, 208, 228, 338–354 Dernburg, Bernhard 120, 121 Dietl, Józef 24, 238, 311, 313, 315, 321–331, 335–337 Dmowski, Roman 205, 207, 210, 229 Dragomanov, M.P. 182–185, 187 Duchiński, Franciszek 345 Enckell, Carl 143, 148 Eyre, Edward John 109, 129 Fortunatov, Aleksej F. 243, 244, 246, 247, 248, 251, 252 Franz Joseph I. 162, 172, 263, 270 Freud, Sigmund 389 Fries-Skene, Alfred Freiherr von 20ff, 90–105 Garrique, Charlotte 329 Georg I. 299 Giray, Katti 41, 42, 43, 45, 47 Grostern, Stefan 208, 213, 214

Hofmannsthal, Hugo von 368, 369, 370, 382, 383, 385, 386 Hohenlohe-Waldenburg-Schillingsfürst, Konrad Prinz zu 90, 92 Ivanov, N.A. 69, 187 Jacyna, Jan 207, 214 Jagiełło, Eugeniusz 351 Kablukov, Nikolaj A. 244, 246–348, 250 Kapodistrias, Ioannis 291, 296 Kardaszewicz, Kazimierz 230 Karl I. 105 Katharina II. 55, 60 Kaufman, Konstantin P. fon 20–22, 65–89 Kazem-Bek, A. K. 45 Kelsen, Hans 29, 368, 387–392 Kerenskij, Aleksandr 207, 210 Knjažnin, Boris 52, 57 Koerber, Ernest von 26, 95, 97, 376f, 386, 387 Kohler, Josef 120 Konstantin Nikolaevič, Großfürst 7, 49, 50, 61, 141 Kosinskij, Vladimir A. 242 Kryžanovskij, N.A. 68 Kundukh, Musa 39, 45–47 Lambert, David 7, 21, 110, 312 Layard, Austen Henry 299, 304 Lednicki, Aleksander 24, 26, 199–201, 203–218 Lednicki, Wacław 24, 199–201, 203– 218 Lettow-Vorbeck, Paul von 111 Lewakowski, Karol 267 Lueger, Karl 331–333 Łukasiewicz, Ignacy 265, 267, 274 Luksemburg, Róża 342 Macaulay, Thomas Babington 44, 45 MacGarvey, William 266, 276 Makarov, Nikolaj P. 240–242, 244f, 247f, 250f Maksimovich, M.A. 181, 183, 184 Mannerheim, Carl Gustav Emil 23, 135–154 Masaryk, Tomáš Garrigue 24, 311, 313, 316, 328– 337 Micińska, Magdalena 225, 332 Mickiewicz, Adam 216, 238, 334 Miljukov, Pavel 207, 210 Minkiewicz, Jan 230, 234 Murad V. 303f

406 

 Register

Musil, Robert 382–386, 391f Nabokov, Vladimir 207 Negroponte, Ulysses 293f Niemojewski, Andrzej 349 Nogma, Shora 40–43, 45, 47 Palen, K.K. 85 Pešechonov, Aleksej V. 249f, 257 Peters, Carl 111 Pikhno, Dmitri Ivanovich 178–180, 186–195, 197 Piłsudski, Józef 211f, 214f Popp, Leonidas von 172 Potocki, Adam Graf 270 Prokopovič, Sergej N. 248, 253f, 256 Prus, Bolesław 349 Puttkamer, Jesco von 117, 118 Redlich, Josef 371, 376, 378f, 388 Renner, Karl 159, 386–388, 391 Romanovskij, D.I. 68 Rozenbach, N.O. 85 Rybnikov, Aleksandr A. 247, 250, 255 Salisbury, Robert Gascoyne-Cecil 299 Schmitt, Carl 388, 391 Screen, J. E. O. 137f, 144, 146, 149, 151f, 154 Sieroszewski, Wacław 207, 213 Sjögren, A. J. 43 Skrochowski, Ignacy 264, 274 Slavici, Ioan 171f Sonnenfels, Josef von 374 Spasowicz, Włodzimierz 28, 206 Stoerk, Felix 113 Stolypin, P.A. 7, 192–194, 246 Stroński, Stanisław 213 Struve, Petr 207 Suligowski, Adolf 27, 343, 344 Šuvalov, P.A. 66

Świętochowski, Aleksander 27, 206, 349 Szczepanowski, Jan Władysław 24, 261–287 Szczepanowski, Stanisław 24, 261–268, 271–285, 287 Tahir Bey 291, 302 Talko-Hryncewicz, Julian 223, 230–238 Tereščenko, Michail 210 Theresia, Maria 361, 373 Thun, Leo 375 Trubeckoj, Sergej 207 Trzemeski, Jozef 234 Valikhanov, Chokan 43, 45, 47 Valuev, Pëtr A. 50, 66, 184f Voroncov, M.S. 78 Wasilewski, Zygmunt 200, 211f, 214f Więckowski, Aleksander 207f, 213 Wolska, Helena 265, 274 Wolski, Wacław 267 Zafiropulos, Dimitrio 292, 294 Zafiropulos, Stefano 292, 294 Zarifi, Eleni 292 Zarifi, Leonidas 294f Zarifi, Yorgo 24, 289–306 Zdziechowski, Marian 207, 213 Zech auf Neuhofen, Julius Graf von 119–121, 123 Zgórski, Alfred 264, 274 Zhabotinskii, Vladimir 350 Ziabicki, Józef 208, 213f Zieleniewski, Edmund 261–263, 269–271, 273, 275–278, 284–287 Zieleniewski, Leon 271, 273 Zieleniewski, Ludwik 269f Zima, Franciszek 265, 268, 273, 275 Zografos, Hristaki 303, 304

II. Ortsregister Adyge 41–43 Andritz bei Graz 269, 272 Athen 297 Austria / Austria-Hungary siehe Österreich-Ungarn Banat 155f, 161–164, 167, 169, 175, 264 Belgien 109, 126, 127, 129, 264 Berlin 5, 109, 115, 116, 117, 118, 119, 120, 126, 128, 289, 299f, 340, 382, 388 Borodino 51

Boryslav 266 Brünn / Brno 100, 276, 316, 329, 334, 358, 378, 382 Buchara 69f Budapest 162, 165, 176, 369, 378 Caransebeș siehe Karánsebes Caucasus siehe Kaukasus Charkov 206 Chemnitz 269, 272 China 137, 149–151

 Chiva 70 Cisleithanien, cisleithanisch 91, 97–99, 106, 273, 276, 278, 282, 284, 286, 371 Daghestan 41, 43 Deutsches Reich 318f Dorpat 206, 225f, 340, 341f Drohobyč 266f Enderi 41 England siehe Großbritannien Finnland / Finland / Grand Duchy of Finland 30, 43, 136–154, 340 Frankreich 73, 114, 116, 125, 232, 264, 272 Galizien 3, 25, 237, 261–266, 268f, 271–275, 277–280, 282f, 285–288, 314, 316, 319, 321, 323, 325–327, 356, 359–362, 365 Gorlice 265, 267, 272 Greifswald 113, 114 Griechenland 291, 299, 300 Grodno 49–53, 56, 58–61, 63 Großbritannien / England 70, 73, 110, 114f, 122, 162, 264, 272f Habsburgermonarchie siehe Österreich-Ungarn Hermannstadt / Sibiu 165, 171f Indien / India 44f, 48, 73, 80, 84, 114f, 241, 264f, 274, 279 Istanbul siehe Konstantinopel Italien 99f, 104f, 167, 314, 329 Jaroslavl‘ 206 Jasło 265 Kamerun 109, 112f, 116–118, 123–125, 129 Karánsebes / Caransebeș 156f, 163–166, 172, 175 Kaukasus / Caucasus / North Caucasus 40–45, 68, 70, 74, 78f, 81, 88, 138, 149, 225, 238, 279, 344 Kiew / Kiev 52, 54, 56, 60, 178–196, 206, 225f, 242, 253, 340f, 356 Klagenfurt 382 Kolomea 265–267, 272, 274, 278 Kongresspolen siehe Polen Königreich Polen siehe Polen Konstantinopel / Istanbul 40, 289–301, 304, 307, 322 Krakau 213f, 216, 232, 237f, 263, 269f, 272–276, 278, 280, 282, 284f, 287, 311, 313–318, 320–322, 324, 326–328, 336, 366, 395 Lemberg 28, 265, 267f, 270–272, 274, 279, 283f, 314–318, 320, 322, 359 Limbe 116

Ortsregister 

 407

Litauen / Nordwestgebiete 65–68, 76–79, 86, 88, 225, 227, 327, 357 London 44, 263–265, 268, 273, 275, 287, 293–295, 301 Manchester 264 Marseille 292, 294 Minsk 53, 56, 204–206, 216 Nafplio 291, 295 Nalchik 40 New York 127, 329, 357, 358 Nordwestgebiete siehe auch Litauen North Caucasus siehe Kaukasus Odessa 185, 234, 238, 290, 294, 295 Orenburg 68, 69, 74, 82 Osmanisches Reich 291–307, 322 Österreich-Ungarn/ Austria/ Austria-Hungary 5, 8, 11, 14, 18, 33, 100, 161, 173, 218, 263, 265f, 270, 272, 276, 283, 285–287, 346, 348, 369, 375, 390 Ostgalizien 266, 277, 321, 327 Paris 139, 196, 210, 232, 264, 293f, 301, 356 Pečenyžyn 266, 272 Petersburg siehe St. Petersburg Podolien 52, 54, 56 Pola / Pula 100, 104 Polen / Kongresspolen/ Königreich Polen / Poland 10, 24f, 27, 54–57, 68, 77, 137, 141f, 150–152, 181, 183, 185, 200–219, 223, 239, 262f, 265, 271, 274, 277–285, 325–328, 342, 353 Port Artur 223, 230, 231, 234, 239 Prag / Prague 196, 270, 276, 278, 284, 287, 314, 316–320, 322, 329f, 332, 340, 388 Pula siehe Pola Riga 206 Rzeszów 269, 272 Samarkand 7, 69, 70, 80f Schodnica 268, 275 Schweden / Sweden 43, 137, 140, 154 Sibirien 50, 59, 226, 229, 232–238 Sibiu siehe Hermannstadt Sloboda 265f, 272 Smolensk 206 Southwestern borderlands (right-bank Ukraine) / Südwestgebiete 140, 179–181, 184, 190, 196, 214, 230, 357 Sowjetunion 13, 213, 241, 257 St. Petersburg 40–43, 45, 59–61, 63, 66–69, 72, 75, 83, 87f, 137, 140–143, 146, 151, 153,

408 

 Register

179, 185, 190, 196f, 206, 225, 227, 229f, 235f, 342 Stavropol 41f Sweden siehe Schweden Taschkent 69–71, 74, 77–81, 87f, 234 Temir-Chan-Szura 230 Temesvár / Timișoara 165f, 169f Timișoara siehe Temesvár Togo 107–109, 112, 116, 118–120, 123–126, 129 Turkestan 65–74, 76, 78–89, 112, 149 UdSSR siehe Sowjetunion Ufa 244 Ukraine siehe Southwestern borderlands USA siehe Vereinigte Staaten von Amerika Vereinigte Staaten von Amerika / USA 266, 276, 357 Vienna siehe Wien Vilnius siehe Wilna

Vitebsk 51f, 56 Volyniia 190 Voronež 247 Warschau 28, 68, 199, 205f, 211f, 216f, 223, 225–231, 235, 238f, 320, 356 Weichselland siehe Polen Weißrussland siehe auch Nordwestgebiete Westgalizien 265, 274 Wieden (Stadtteil Wiens) 322, 324f Wien / Vienna 4, 15, 23, 93, 98–103, 105f, 157, 160f, 165, 261, 264, 269–287, 313–336, 350, 355–367, 369, 378, 380, 382, 388 Wilna / Wilno / Vilnius 50, 56, 61, 65f, 68, 70, 72, 76–81, 85f, 212, 214, 216, 223, 225, 238 Wolhynien 52, 54, 56 Xinjiang 149f Zentralasien siehe Turkestan Zweite Polnische Republik siehe Polen

III. Sach- und Gruppenregister Abgeordnetenhaus 266, 273, 281, 286 Adel 8, 11–14, 27, 51–58, 60–62, 85, 92, 261, 278, 355, 357, 359–362, 366 Agrarismus 241, 244–259 Akademiker 24, 29, 309, 313f, 330f Akušerka 234, 236 ancient regime 34 Anglo-Österreichische Bank 275 Antisemitismus 25, 127, 320, 330, 332 Armee siehe Militär Ärzte 53, 223–226, 230, 233f, 238f, 326 Ausgleich 14, 30, 94, 161f, 278, 286, 289, 299 Autokratie 7, 24, 26f, 29, 49, 51, 55, 63f, 200, 203 Banque de Constantinople 292f Banque Impérial Ottoman 293 Bauern 62, 240–246, 255f, 258f, 312, 325, 327 Bildung 15, 82, 122, 125, 159f, 168, 219, 247, 251, 278, 324, 330, 364f, 388 Biographik / Neue Biographik 5–7 Bolschewiki 250, 257, 259 Bund der Autonomisten-Föderalisten 208 Delegation des gemeinsamen Ausschusses cisund transleithanischer Parlamentarier 267 Der Mann ohne Eigenschaften (Roman) 382–385, 392

Deutsche / Baltendeutsche 85, 96, 98, 122, 125, 136, 208, 236, 256, 314–316, 320f, 326, 329, 380 Deutsche Togogesellschaft 123 Diplomatie 11, 166 Duala 117, 118 Duma 24, 26, 189–196, 200, 204, 207f, 217, 347, 351 Dynastie 11, 16, 20, 22, 25, 91, 94f, 100, 261, 290, 299, 302f, 355, 363 Eisenbahn 10, 281 Eliten 3, 7–11, 14–20, 23, 26, 56, 79, 133, 203f, 218, 242, 244f, 253, 257f, 261, 277, 286, 289, 300, 315, 327, 362f Elitenbildung 8–12, 17 Elitenforschung 8f Elitenzirkulation 67, 217 Endzeitstimmung 30 Erdölförderung 262, 265–267, 274 Erfahrungstransfer 74, 79, 92 Februarrevolution 209, 241, 254, 256, 259 Filiki Eteria 291, 296 fin-de-Siècle 30 Fortschrittlich-Demokratische Union 207 „Frage“ – „nationale Frage“ 13, 277 – „jüdische Frage“

 – „polnische Frage“ 51, 53f, 208 – „russische Sache“ 208 – „tschechische Frage“ 329 Galizische Sparkasse 275 Geheimpolizei 66, 72 Genossenschaften 245, 248, 253–256, 275 Genossenschaftsdachverbands (Związek Stowarzyszeń Zarobkowych i Gospodarczych) 267 Gesellschaft der Freunde des Friedens 208 Gesellschaft slawischer Kultur 208 Gründerzeit 264 Handelsministerium 267, 269, 271, 283 Handschriftenstreit 331 Heimat 29f, 34, 87, 111, 216, 266, 368f, 379, 384, 392 Historiographie 6, 111, 218, 228, 312–315, 321 Hofratsnation 379f Identität 15, 62, 74, 94, 110, 224, 237, 242, 261, 277, 279, 289f, 298, 306, 321, 363f, 379 Imperialismus 109, 111, 119 Imperiumsforschung 5, 7f, 16, 201 India Office 264f, 279 Indian Civil Service 80, 115 Intellektuelle 20, 29, 245, 309 Intelligencija 29 Internationalismus 18 Islam 40–43, 74–78, 81, 88 Jagiellonen-Universität 203, 215, 237, 324f Juden 4, 25, 263, 320, 330, 332–334 Juristen 24, 93, 115, 119f Justiz 24, 109 Karrieremuster 5, 20, 224, 229, 356, 359 Kasa Mianowskiego 238 Katholiken 76, 334 Katholizismus 76–78, 333, 357 – Re-Katholisierung Habsburgischer Universitäten 333 Kirche 55, 61f, 76, 78, 86, 94, 261, 294, 333 Klerus 53, 61, 63, 357 Koło Polskie 25, 205 Kolonialismus 13, 22, 28, 109, 111f, 116f, 123–125, 129f Koloniallaufbahn 108, 127 Kolonien 22, 28, 73, 108–131, 279 Kornilov-Affäre 211 Kreditanstalt für Handel und Industrie 270 Kriegsministerium 81, 165–170 Landeserdölgesellschaft (Krajowe Towarzystwo Naftowe, KTN) 267

Sach- und Gruppenregister  

 409

Landkommission 109, 119, 122f Liquidationskommission für Angelegenheiten des Polnischen Königreichs 210 Literaten 213 Loyalitäten 11, 85, 91, 94–99, 201, 214, 251, 298, 355, 362–364 Lutheraner 85 Maschinenbau 262 Medien 9, 15, 129, 205, 315, 331, 334 Mehrsprachigkeit 23, 30, 315 Metropolen 22, 28 Militär 11, 15, 23f, 105, 128, 131, 159f, 165, 170, 173, 175, 223, 261, 356, 359f, 364f Militärärzte 26f, 223f, 229, 234 Militärdienst 59, 99, 231, 238, 361, 364–366 Mission 13, 18, 45, 74, 111, 116, 128, 149 Mobilität 14, 17, 19, 21–26, 91f, 113, 223, 228, 246f, 252, 257, 262, 264, 272, 275, 287, 311–317, 320, 321, 330, 337, 359, 360, 361 Monarchie 4, 10f, 21, 23, 26, 83, 93, 128, 130, 173, 202, 204, 241, 249, 263, 271f, 277–280, 284f, 299, 311–319, 334–336, 356, 362, 366, 371, 380 – Habsburgermonarchie 4, 16, 23, 29, 90–96, 98–106, 261f, 270, 273, 276, 279–287, 299, 313, 355f, 360–366 – Romanow-Monarchie 23, 204 Multiethnizität 23, 30 Nationalismus 13f, 50, 55, 85, 103, 111, 295f, 298f, 306, 316, 327, 329f, 335 Nomaden 70, 88 Öffentlichkeit 10, 12, 17, 22, 24, 26, 28f, 50, 66, 70, 103, 107, 117–119, 122, 200, 204f, 209, 215, 218, 224, 235f, 246, 249, 253, 267, 334 Ognisko 264 Orthodoxie 54, 56, 62f, 76, 78 Partizipation 15, 18, 26, 62f, 205, 209, 235, 279, 286 Philanthropie 18 Politiker 4, 20, 200, 204, 217, 250, 277, 286f, 291, 312f, 325, 328, 330, 332, 336 Propaganda 62 Provinzialisierung des Zentrums 22 Provisorische Regierung 210, 240, 250 Rechtskodifikation 119, 123 Rechtsstaat 30, 103, 372f, 378f, 386–392 Reformen 15, 19, 73, 207, 246, 300, 315 Reichsadel 14 Reichsbilder 19f, 90, 92, 97, 259 Reichspatriotismus 98

410 

 Register

Reichsrat 262, 266, 277, 280–284, 325, 327, 331, 369 Religion 14f, 19, 74, 77f, 88, 290, 333, 377, 389 Religionspolitik 74, 78 Revolution von 1905 13, 217, 253 Russifizierung 29, 54f, 62, 73, 206 Russische Geographische Gesellschaft 236 Schulen 73, 75, 168, 210, 296, 325f, 328 Schulrevision 124f Škodawerke 270 Słowo Polskie 267 Société Géneŕale de l’Empire Ottoman 293 Sozialgeschichtsschreibung 5 Spółka Handlowa Rolniczo-Przemysłowa 267 Staat 10, 13, 15f, 18, 20, 22f, 26, 43, 51, 54, 59, 74, 77, 80, 85, 90f, 94f, 97, 100, 128, 159, 168, 175, 211, 214, 223, 246, 251, 253, 255, 277, 279, 292f, 296f, 301, 327, 335, 356, 360, 363, 365, 380, 383f, 387–391 Staatsbeamte 20, 37, 106

Staatsdienst 25, 51, 54, 85, 231, 257, 259, 266 Staatsgewalt 52, 54f, 58, 60, 62f Statthalter 20, 90f, 94f, 98–105, 268 Transfer 81, 113, 117, 127, 276, 279f Universität 113f, 206, 225f, 233, 240, 244, 248, 313–317, 320–322, 324f, 328–330, 333f Unternehmer 20, 24, 26f, 80, 213, 221, 262, 267f, 271, 275, 277, 284–288, 299 Verbannung 58, 226 Vereine 26, 101, 203, 315 Vyborger Manifest 207, 209 Wahlen 104, 150, 166, 256, 271, 327 Wirtschaft 10, 15f, 23f, 252, 262–264, 301 Wissenschaft 6, 10, 15, 28, 116, 122, 161, 204, 227, 235, 237, 245f, 311–315, 328, 330f, 333, 336 Zeitungsmarkt 10f Zensur 79, 121, 209, 313 Zirkulation 21, 247, 275, 360

IV. Index (English) abstentionism 170 academics 34 ancient regime 34 aristocratic constitution 32 Austrian Military Border 155f, 161, 164, 176 Beilis affair 195 borderlands 42, 179–184, 190–192 career 32–35, 110, 135–141, 143, 145, 148, 151, 153–158, 161, 164f, 168, 170, 174–176, 182, 339–342, 344, 349, 353, 371f, 378, 382 Chevalier Guards 141f, 145, 146, 147 Circassian Guard 41, 42 Cisleithania 369 colonial empire 43, 46, 48 comparison 40, 44, 169, 379, 383 Cossacks 181, 197 Dual Monarchy 369, 375 dynasty 33, 137, 369 elite formation 32, 382, 392 elite recruitment 32 elites 32–34, 40, 43, 48, 135f, 139, 155, 180, 182, 202 Empire 5, 7, 10, 14, 19, 21, 23–29, 40, 43, 46, 63, 67, 71f, 75, 84, 91, 93, 96f, 99, 110, 121, 128, 135–137, 140, 142, 144, 147f,

151f, 178f, 195, 200, 202, 207f, 241, 252, 264–268, 274, 279, 286, 289, 293, 295, 298, 302, 304, 312, 323, 338–342, 344, 346, 348, 352f, 369, 371–374, 376–378, 380, 383, 385–387, 392 entanglement 32 entrepreneurs 34 experts 34, 47, 371 family banking 294 fin-de-Siècle 30 First World War 18, 195, 246, 370, 377, 382 frontier 41, 111, 179, 185 Habsburg Empire 91, 155, 202, 270, 368–371, 380, 388, 390, 392 Habsburg officer corps 158f Hromada 182–186 Hungarian electoral system 165 Hungarian Parliament 156, 171 Hungarian Press Law 174, 176 Intellectuals 34, 351 Jews 19, 146, 179, 181–183, 187f, 190, 192–196, 339, 341, 343, 346, 348–353 – “Jewish Question” 348–352 Kabardin 40–42 Kakania 383–385, 392

 Kiev Club of Russian Nationalists 190, 192f, 195 Kiev Commission for the Analysis of Historical Documents 181 Kiev University 182f, 185f, 189, 340 language 13, 41, 43, 47, 138f, 144, 146, 148f, 153, 158, 164, 166, 168f, 179, 182, 184, 188, 193, 195, 343f, 346f, 350, 379f law 43f, 112, 120, 141, 143, 158, 161, 167–169, 183, 189, 371, 373–378, 381f, 388–392 – customary – Hindu 44 – Sanskrit 44 linguistics 338 Little Russian Idea 186 Magyarization 167 Military Chancellery 172f mobility 34f, 136–139, 151, 157 modernization 32, 34, 174, 370, 373f, 381, 387 monarchy 33, 156, 158–161, 165 167–170, 174f, 177, 375 – Habsburg monarchy 165 Mullah(s) 41 Muslims 346, 348 – Muslim legal scholars 42 Nikolai Cavalry School 136, 140

Index (English) 

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officers 33, 39, 136–138, 142, 146–153, 156–160, 163f, 169, 341, 349, 368 periphery 43, 47, 136, 143, 151, 179, 189, 191, 193 Poles 24, 146, 150, 179, 181, 183, 187f, 190, 192f, 196, 200, 339–351, 353 Polish revolt of 1830–1831 181 politicians 34, 192, 196 professions 32, 195 Pure Theory of Law 387, 389 Russification 24, 30, 40f, 50, 55, 62f, 143, 145, 150, 178f, 182, 206, 340 schools 40f, 44, 46f, 161, 164, 168, 182, 186, 194, 342f, 382 Scottish mission 45 social engineers 34 state 32f, 48, 135–144, 146, 148f, 151, 153, 159, 162, 165, 168, 170, 174f, 179–183, 186f, 191, 194, 196f, 202, 338–353, 369–392 state officials 33 state reform 32, 374 Szlachta 52f, 56, 58–60 transfer 33f, 142, 152, 155, 158, 163f, 169 Ukrainians 138, 179, 339, 344–346, 350, 353 World War I 10, 136, 138, 146, 152, 195, 348