Elia und die Monolatrie: Ein Beitrag Zur Religionsgeschichtlichen Rückfrage Nach Dem Vorschriftprophetischen Jahwe-Glauben [Reprint 2016 ed.] 9783110164558, 3110164558

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Elia und die Monolatrie: Ein Beitrag Zur Religionsgeschichtlichen Rückfrage Nach Dem Vorschriftprophetischen Jahwe-Glauben [Reprint 2016 ed.]
 9783110164558, 3110164558

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Kapitel I: Monotheismus - Polytheismus – Monolatrie. Einführung in die Arbeit
Kapitel II: Literargeschichte der Elia-Überlieferung
Kapitel III: Religionsgeschichtliche Probleme der Elia-Überlieferung
Kapitel IV: Ausblick
Hinweise zum Abkürzungs- und Zitationsverfahren
Literaturverzeichnis
Register (in Auswahl)

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Martin Beck Elia und die Monolatrie

m 1749

I

1999

|

Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft Herausgegeben von Otto Kaiser

Band 281

Walter de Gruyter • Berlin • New York 1999

Martin Beck

Elia und die Monolatrie Ein Beitrag zur religionsgeschichtlichen Rückfrage nach dem vorschriftprophetischen Jahwe-Glauben

Walter de Gruyter • Berlin • New York

1999

© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

Die Deutsche Bibliothek — CIP-Einheitsaufnahme [Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft / Beihefte] Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft. — Berlin ; New York : de Gruyter Früher Schriftenreihe Reihe Beihefte zu: Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft N.F., Bd. 281. Beck, Martin: Elia und die Monolatrie. - 1999 Beck, Martin: Elia und die Monolatrie : ein Beitrag zur religionsgeschichtlichen Rückfrage nach dem vorschriftprophetischen Jahwe-Glauben / Martin Beck. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1999 (Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamendiche Wissenschaft ; N. F., Bd. 281) Zugl.: Erlangen, Nürnberg, Univ., Diss., 1998 ISBN 3-11-016455-8

© Copyright 1999 by Walter de Gruyter GmbH & Co KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck: Werner Hildebrand, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer-GmbH, Berlin

Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 1998 von der Theologischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg als Inauguraldissertation angenommen. Für die Veröffentlichung wurde sie punktuell überarbeitet und gekürzt; der 4. Abschnitt in Kapitel III ("Das Verhältnis Jahwes zur Fruchtbarkeit") mußte aus Platzgründen leider völlig gestrichen werden (vgl. stattdessen jetzt Anm. 419 auf Seite l l l f f ). Literatur, die mir entweder erst nach Abschluß der Untersuchung zugänglich geworden wäre (s. z. B die auf Seite 315 aufgeführten Titel) oder erst kürzlich erschienen ist, konnte nicht mehr berücksichtigt werden. Herzlich danke ich meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Hans-Christoph Schmitt, der diese Arbeit angeregt und engagiert betreut hat, für seine stete Gesprächsbereitschaft, die immer neuen weiterfuhrenden Impulse und die manchmal nötige Ermutigung, außerdem für die Erstellung des Erstgutachtens. Ein herzliches Dankeschön gilt sodann Herrn Prof. Dr. Gunther Wanke für die Übernahme des Zweitgutachtens sowie für kritische Anregungen, die das Überdenken und Präzisieren mancher Fragestellung bewirkt haben. Ich habe mich sehr darüber gefreut, daß beide Gutachter meine Arbeit zügig korrigiert haben, so daß das Rigorosum noch vor Beginn meines Lehrvikariates stattfinden konnte. Danken möchte ich weiter Herrn Prof. Dr. Dres. h. c. Otto Kaiser und dem Verlag Walter de Gruyter & Co. für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe der BZAW. Daß diese Untersuchung überhaupt durchgeführt werden konnte, verdanke ich einem Promotionsstipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes. Für Korrekturhinweise spreche ich (neben den beiden Gutachtern) dem Mitstreiter Herrn Jochen Nentel, Herrn Privatdozenten Dr. Friedrich Fechter und in besonderer Weise meiner Frau Gesine Beck meinen Dank aus. Was meine Arbeit an der Dissertation für meine Frau und unsere beiden Kinder Matthias und Johanna bedeutet hat, kann und soll an dieser Stelle nicht näher expliziert werden. Als Zeichen der Dankbarkeit sei ihnen dieses Buch gewidmet. Bayreuth, im Advent 1998

Martin Beck

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

V

Kapitel I: Monotheismus - Polytheismus - Monolatrie. Einführung in die Arbeit

1

1.

Forschungskontext und Ziel der Arbeit

1

2.

Zur Quellenbasis religionsgeschichtlicher Rückfrage

3

3.

Begriffsbestimmungen

5

4.

Zur These einer polytheistischen Religion in Israel

11

4.1. 4.2. 4.3.

Hinweise, die für einen Polytheismus sprechen Einschränkungen und Kritik der Beweiskraft dieser Hinweise Ergebnis

12 15 28

Kapitel II: Literargeschichte der Elia-Überlieferung

30

1. 1.1. 1.2.

Vorüberlegungen Standortbestimmung innerhalb der Elia-Forschung Bemerkungen zum DtrG, insbesondere DtrP

30 30 38

2. 2.0. 2.1. 2.2. 2.3. 2.4. 2.5. 2.6. 2.7. 2.8.

Der Fall Nabot I Reg 21 Textgrundlage Die Beurteilung Ahabs 21,25-26 Die Erzählung 21, laß-16 als geschlossene Einheit Die Unheilsankündigungen 21,17-24 Ahabs Buße 21,27-29 Inhaltliche Charakteristik der Erzählung 21, laß-16 Das Alter der Erzählung 21,laß-16 Die Verbindung Elias mit dem Fall Nabot im DtrG Zusammenfassung

49 49 51 52 54 59 61 65 68 69

3. 3.0. 3.1.

Die Dürre-Zeit I Reg 17-18 Textgrundlage Die Opferprobe zum Erweis des einzig existenten Gottes 18,(17-20.)2140

70 70 73

VIII

Inhaltsverzeichnis

3.1.1. 3.1.1.1. 3.1.1.2. 3.1.1.3. 3.1.2. 3.1.3. 3.2. 3.2.1. 3.2.2. 3.2.3. 3.2.4. 3.2.5. 3.2.6. 3.2.7. 3.3. 3.3.1. 3.3.2. 3.4.

Die Erzählung 18,21-40 Schichtung des Textes Entstehung und Intention der Grundschicht Profil der Erweiterungsschicht Die Überleitung 18,17-20 Die Funktion der Opferprobe im Rahmen von Dürre-Komplex und DtrG.. Rekonstruktion einer älteren Dürre-Komposition Das Ende der Regenlosigkeit 18,41-46 Die Ankündigung der Regenlosigkeit 17,1 Elia am Bach Kerit 17,2-6 Elia bei der Witwe in Sarepta 17,7-16 Der Entschluß Elias, sich Ahab zu zeigen 18,1 -2a Entstehung und Charakter der älteren Dürre-Komposition Die Funktion der Dürre-Überlieferung im DtrG Nachträge an der ins DtrG aufgenommenen Dürre-Komposition Die Erweckungserzählung 17,17-24 Die Obadja-Szene 18,2b-16 Zusammenfassung

74 74 80 87 90 94 95 95 99 103 104 106 107 114 116 116 118 122

4. 4.0. 4.1. 4.2. 4.3. 4.4. 4.5.

Elia am Horebl Reg 19,1-18 Textgrundlage Die Überleitung 19,1-3aa Die Erzählung 19,3aß-18 als Einheit Entstehung und Intention der Erzählung 19,3aß-18 Die Funktion von 19,1-18 im DtrG Zusammenfassung

123 123 124 125 131 138 139

5. 5.0. 5.1. 5.2. 5.3. 5.4. 5.5. 5.6.

Der Anfrageversuch bei Baal von Ekron II Reg 1,2-17 Textgrundlage Der Versuch, Elias habhaft zu werden 1,9-16* Die Beauftragung Elias durch einen Engel 1,3-4.15a Entstehung und Alter des Grundbestandes 1,2.5-8.17aa Inhaltliche Charakteristik des Grundbestandes Die Aufnahme des Grundbestandes ins DtrG Zusammenfassung

139 139 141 142 143 146 149 149

6. 6.1.

150

6.2. 6.3. 6.4.

Die "Feindschafts-Bearbeitung" Beziehungen zwischen den Erzählabschnitten I Reg 17,17-24; 18,2b-16; II Reg 1,9-14.15b-16 und ihre gemeinsame Intention Zusammenhänge mit den Stücken 18,17-20; 19,l-3aa; 21,20aba Datierungsversuch Zusammenfassung

150 152 153 156

7. 7.1. 7.2. 7.3.

Ergebnisse Zusammenfassung: Literargeschichte der Elia-Überlieferung Aspekte des historischen Elia Möglichkeiten der religionshistorischen Rückfrage

156 156 158 162

Inhaltsverzeichnis

IX

Kapitel III: Religionsgeschichtliche Probleme der Elia-Überlieferung

163

1. 1.1. 1.2. 1.2.1. 1.2.2. 1.2.3. 1.2.4. 1.3.

Der Bezug des Jahwe-Glaubens zur Magie Magie - Versuch einer Begriffsbestimmung Magie im alten Israel Hinweise auf magisches Weltverstehen Das Verhältnis von Magie und Jahwe-Glauben Zur Volksreligiosität Ergebnis Magie und Jahwe-Glaube in der frühen volkstümlichen EliaÜberlieferung Ergebnis: Elia als magisch handelnder Vertreter des Jahwe-Glaubens

163 163 170 170 173 179 182

Die Frage nach einer Auseinandersetzung zwischen Jahwe und Baal.. Problematisierung der Annahme eines durch Elia geführten Kampfes gegen Baal Die Überlieferung von der Jehu-Revolution Textgrundlage Analyse von II Reg 9-10 Synthese von II Reg 9-10 Zusammenfassung und religionsgeschichtliche Auswertung Versuch einer Rückfrage nach dem Verhältnis von Jahwe und Baal vor dem 9. Jh Biblische Baal-Belege Gottheiten Mit dem Element "Baal" gebildete Ortsnamen Mit dem Element "Baal" gebildete Personennamen Folgerungen hinsichtlich des Verhältnisses von Jahwe und Baal Ergebnis: Elia und die jahwistische Toleranz und Kritik am BaalGlauben

188

1.4. 2. 2.1. 2.2. 2.2.0. 2.2.1. 2.2.2. 2.2.3. 2.3. 2.3.1. 2.3.1.1. 2.3.1.2. 2.3.1.3. 2.3.2. 2.4.

3. 3.1. 3.1.1. 3.1.2. 3.1.3. 3.1.4. 3.2. 3.3. 3.4. 3.4.1. 3.4.2. 3.4.3. 3.5.

Die Vorstellung von Baal im Israel des 9. Jh Bisherige Identifizierungsversuche und ihre Problematik Baal als Gott Karmel Baal als der aus Ugarit bekannte Wettergott Baal als Baalschamem Baal als Melqart Die sidonische Religion als neuer Ausgangspunkt Autochthone archäologische Zeugnisse Spuren in der biblischen Überlieferung Baal-Belege im Hosea-Buch Baal-Belege im Jeremia-Buch Die Erzählung vom Anfrageversuch bei Baal von Ekron II Reg l,2-17aa.. Ergebnis: Hat die sidonische Baal(=Eschmun)-Konzeption die israelitische Baal-Vorstellung beeinflußt?

Kapitel IV: Ausblick

182 186

188 192 192 197 208 211 222 222 222 228 231 233 236 237 238 238 240 243 253 259 265 268 268 273 276 279

282

X

Inhaltsverzeichnis

Hinweise zum Abkürzungs- und Zitationsverfahren

289

Literaturverzeichnis

289

Register (in Auswahl) 1. Bibelstellen 2. Außerbiblische Quellen

316 316 321

Kapitel I: Monotheismus - Polytheismus - Monolatrie. Einführung in die Arbeit

1. Forschungskontext und Ziel der Arbeit Diese Arbeit wurde angeregt durch das in den letzten Jahren neu erwachte Interesse an der Religionsgeschichte Israels. Besonders wurde sie dabei durch die Frage nach Herkunft, Geschichte und Bedeutung des Fremdgötterverbots bzw. des Alleinverehrungsanspruchs Jahwes - oder etwas plakativer gesagt: die "Monotheismus-Debatte" - motiviert. In der gegenwärtigen religionsgeschichtlichen Forschung wird häufig bestritten, daß die Forderung der Jahwe-Alleinverehrung vor das 8. (bzw. 9.) Jh. zurückreicht und von breiten Kreisen der israelitischen Gesellschaft rezipiert worden ist. Zum einen habe erstmals der Prophet Hosea den Alleinverehrungsanspruch Jahwes vertreten. Zum anderen bedeute dieser Befund aber noch nicht, daß seit dieser Zeit die israelitische Religion monolatrisch1 orientiert gewesen sei. Die Idee der Alleinverehrung Jahwes hätten nämlich zunächst lediglich die Propheten ("Jahwe-allein-Bewegung") propagiert. Sie habe sich dann auch nur allmählich und erst seit dem babylonischen Exil mit andauerndem Erfolg durchgesetzt. Abgesehen von den Propheten, deren Verkündigung sich angesichts der zahlreichen Krisen mehr und mehr bewahrheitet habe, und von ihnen beeinflußten Kreisen, sei man wie in den UmweltReligionen polytheistisch2 orientiert gewesen. Mittels Differenzierungen zwischen offizieller Staatsreligion, lokaler Religiosität und persönlicher Frömmigkeit versucht man diese grundsätzliche polytheistische Orientierung genauer herauszuarbeiten und im Kontext der unterschiedlichen Religionsschichten zu beschreiben: auf der Ebene der Staatsreligion sei zwar Jahwe als Nationalgott verehrt worden, jedoch kaum allein (Aschera als weibliche Paredra!) und mit dem Bewußtsein, daß im gesamten syrisch-palästinischen Raum El die Stellung des höchsten Gottes innegehabt habe; auf der lokalen Ebene habe man

1 2

Zum Begriffs. Seite 9f. Zum Begriff s. Seite 5f. Zur Polytheismus-These s. Abschn. 4 in diesem Kap.

2

Kapitel I: Monotheismus - Polytheismus - Monolatrie. Einführung in die Arbeit

Fruchtbarkeitsgottheiten bevorzugt, in der persönlichen Frömmigkeit seien ganz verschiedene Gottheiten anzunehmen.3 Die hier vorliegende Studie möchte zur Erhellung der israelitischen Religionsgeschichte und insbesondere der des Fremdgötterverbots beitragen, indem sie die Gestalt des nur schwer zugänglichen vorschriftprophetischen JahweGlaubens genauer zu erfassen versucht. Von besonderem Interesse ist hierbei die Frage, ob und inwiefern dieser frühe Jahwe-Glaube durch monolatrische Strukturen bestimmt war. Die Zeit vor der klassischen Prophetie ist insofern relevant, als die Schriftprophetie, die das Jahwe-allein-Programm voraussetzt, bereits als "Orthodoxie" oder "Tendenzliteratur" bezeichnet wird: diese repräsentiere nicht die wirklichen religiösen Verhältnisse in der Religiosität der breiten Volksschichten, denn sie sei gerade zu dem Zweck verfaßt worden, ihrem Publikum eine Botschaft zu vermitteln und es zur Änderung seines bisherigen Verhaltens zu bewegen4. Es scheint allerdings fraglich, ob "Orthodoxie" einen religionsgeschichtlich sachgemäßen Begriff darstellt. Um den Verdacht zu vermeiden, die Bedeutung der normativen Reflexion für die Ausbildung des Jahwe-Glaubens abqualifizieren zu wollen - denn bei der Verwendung dieses Begriffs schwingt immer auch eine polemische Note mit - wird im folgenden stattdessen von "theologisch reflektierenden Kreisen" gesprochen. Es muß jedoch hinzugefügt werden, daß mit dieser Begriffsbestimmung andererseits keine Abwertung noch unreflektierter (volksreligiöser) Religionsformen intendiert ist.

Als Ausgangsbasis für die Rückfrage in die frühe Zeit des Jahwe-Glaubens wurde die Elia-Überlieferung ausgewählt. Häufig meint man nämlich, Vorläufer des "Jahwe-allein"-Gedankens bereits bei Elia beobachten zu können, da Elia bei den Auseinandersetzungen zwischen Jahwe und Baal unter den Herrschern der Omri-Dynastie im 9. Jh. eine dominante Rolle gespielt habe5. Dabei fällt auf, daß solche Behauptungen nicht durch eine gründliche Untersuchung der Elia-Überlieferung abgedeckt sind. Deshalb soll zunächst die biblische Elia-Überlieferung, wie sie in IReg 17-19.21 und II Reg 1 vorliegt, einer Analyse unterzogen werden (Kapitel II). Diese verfolgt das Ziel, eine Gesamtsicht von Entstehung und Fortentwicklung der Elia-Überlieferung zu entwerfen, um die für den weiteren Verlauf der Arbeit relevante Frage zu klären, welchem Textmaterial für die religionsgeschichtliche Rückfrage tragfähige Bedeutung zukommen kann. Sodann soll den religionsgeschichtlichen Problemstellungen, die sich aus der Arbeit an der Elia-Überlieferung ergeben,

3

4 5

So vor allem die Abrisse von Lang, Bewegung, 53ff., und M. Weippert, Synkretismus, 9ff.; über andere Positionen informiert z. B. Gnuse, Gods, 74ff. So z. B. M. Weippert, Synkretismus, 8. So z. B. Lang, Bewegung, 58f.; M. Weippert, Synkretismus, 20; Albertz, Religionsgeschichte, 237ff. S. auch unten Seite 188f.

2. Zur Quellenbasis religionsgeschichtlicher Rückfrage

3

gesondert (Kapitel III) nachgegangen werden, um Aspekte des JahweGlaubens in der Zeit vor der Schriftprophetie herauszuarbeiten.

2. Zur Quellenbasis religionsgeschichtlicher Rückfrage Bei der religionshistorischen Rückfrage wird eine Auswertung sowohl weiterer biblischer Texte als auch außerbiblischer Befunde erforderlich sein. Nun wird der biblischen Überlieferung in der gegenwärtigen religionsgeschichtlichen Forschung aber oftmals höchstens "secondary evidence" zugestanden: "Unter den Begriff der 'primary evidence' fallen Texte, 'that were produced in the course of the events as they were happening', während 'secondary evidence' vorliegt mit Texten 'that were produced after the events in an attempt to clarify for future generations how things were thought to have happened'. Wendet man diese Grundsatzunterscheidung auf das Arbeiten mit alttestamentlichen Texten an, so muß man sehen, daß das AT fur die Geschichte und Religionsgeschichte Israels und Judas der vorexilischen Zeit nur 'secondary evidence' liefert. 'Primary evidence' für die Geschichte Israels und Judas liegt hingegen vor mit aller Art von archäologischem erhaltenem Material (Gebäude, Kunstobjekte, Tontafeln, Ostraka, Papyri, Siegel und Bullen etc.)."6

Diese Schlußfolgerung entsteht aber wohl erst aufgrund eines extremen kompositionsgeschichtlichen Ansatzes, der sich hauptsächlich auf die Endgestalt eines Textes konzentriert7. M. E. dürfen aber literarkritische Analyse und redaktions- sowie traditionsgeschichtliche Arbeit nicht völlig ausgeblendet werden, da durchaus damit zu rechnen ist, daß sich gelegentlich ältere Überlieferungskomplexe freilegen bzw. ältere Traditionen wahrscheinlich machen lassen8. Diese wären dann noch nicht in dem Ausmaß durch die späteren, für die Endgestalt der Texte verantwortlichen redaktionellen bzw. kompositionellen Tendenzen übermalt, daß ihnen nicht auch eine genügende "evidence" für die historische Rückfrage zugestanden werden könnte. Freilich sind auch die eruierbaren älteren Textelemente nicht frei von den Interessen der jeweiligen Tradenten9; ebenso stellen literarkritische Analysen,

6

7

8 9

Niehr, Reform, 34 (Hervorhebungen von mir), der sich auf Knauf, History, 46(f.51), beruft. Vgl. auch Niehr, Rise, 47; Uehlinger, Kultreform, 59; Keel-Uehlinger, Göttinnen, 4. Von Lemche (z. B. ders., Theologie, 84ff.) wird dieser Ansatz auf die Spitze getrieben: die Aussagen des Alten Testaments - erst im 3./2. Jh. v. Chr. verfaßt - stammten alle aus der gleichen späten Epoche; das Alte Testament müsse daher für diachrones Arbeiten als völlig ungeeignet angesehen werden; somit scheide es als Quelle für historische Rückfragen aus. Vgl. auch Otto, Wurzeln, 8f. Dies macht Knauf, History, 26f., deutlich.

4

Kapitel I: Monotheismus - Polytheismus - Monolatrìe. Einführung in die Arbeit

redaktions- und traditionsgeschichtliches Vorgehen sowie historisches Urteilen hypothetische Unternehmen dar. Außerdem wird bei zahlreichen biblischen Überlieferungen zu konstatieren sein, daß sie aufgrund ihrer kerygmatischen Anliegen oder spezifischen theologischen Tendenzen für die historische Auswertung nicht (oder zumindest nicht unmittelbar) in Frage kommen können. Daher ist es tatsächlich geboten, auch außerbiblische durch die Archäologie bereitgestellte Zeugnisse epigraphischer oder ikonographischer Art für die religionsgeschichtliche Rückfrage heranzuziehen, um sich erstens nicht allein auf das biblische Bild oder die von ihm ausgehenden Rekonstruktionsversuche verlassen zu müssen und zweitens eine vermeintlich weniger tendenziöse und besser greifbare historische Quelle zur Hand zu haben. Gegenüber einer die archäologischen Befunde hoch einschätzenden optimistischen Sichtweise ist nun allerdings darauf hinzuweisen, daß auch die Auswertung der "primary evidence" keineswegs immer eindeutig, ebenso durch das Vorverständnis des Interpreten beeinflußt und gleichermaßen auf Hypothesen angewiesen ist. Bezeichnend ist. daß auf der einen Seite Keel-Uehlinger in ihrer auf ikonographischen Quellen basierenden Religionsgeschichte von einem weitgehend jahwistisch orientierten Kontext ausgehen10, auf der anderen Seite aber Knauf ganz selbstverständlich behaupten kann, die Israeliten seien "bis Jeremia (2,11) ausnahmslos und in ihrer Mehrzahl auch noch lange nach ihm Polytheisten" gewesen11.12

Daher wird wohl mit Recht zur Vorsicht gemahnt: "iconographic interpretation is by nature inconclusive since images' meanings usually are not self-evident. Without direct testimony, we can never really know precisely what artists intended an image to convey, or why an image was copied and transferred to a different context"13; oder: "die literarischen Quellen der Geschichte eines Volkes [sprechen] in der Regel unmittelbarer, lebendiger und deutlicher [...] als die archäologischen. Literatur spricht von selbst, während materielle Überreste zunächst stumm sind und erst zum Reden gebracht werden müssen"14.

Somit dürfte es ein legitimes methodisches Vorgehen darstellen, sowohl die kritisch analysierte biblische Überlieferung als auch die archäologischen 10

11 12

" 14

Keel-Uehlinger, Göttinnen, 5f., setzen bei der Interpretation der ikonographischen Zeugnisse die Auswertung epigraphischer Befunde durch Tigay, Gods (zu dessen Arbeit s. unten Seite 23ff.). voraus. Knauf. Herkunft. 156. Vgl. hierzu die (zugegeben aus dem Kontext gerissene) erkenntnistheoretisch skeptische Bemerkung von Bunimovitz, Stones, 59: "Different people inevitably write different accounts of the past." Grundsätzlich sind sich freilich auch Keel-Uehlinger, Göttinnen, 470f., und Knauf, History, 29.31, des hypothetischen Charakters ihrer historischen Arbeit bewußt. Jensen, Offering, 94. Donner, Geschichte, 18.

3. Begriffsbestimmungen

5

B e f u n d e grundsätzlich als mögliches Quellenmaterial anzuerkennen. 1 5 E s sind dann allerdings deren jeweilige Tragfähigkeit

und Reichweite

zu prüfen,

deren

Voraussetzungen und Tendenzen zu bedenken, um zu einem plausiblen religionshistorischen Gesamtbild zu gelangen 1 6 . Daneben müssen freilich unter B e rücksichtigung des fur die historische Arbeit (trotz und in Verbindung mit der K a t e g o r i e der Kontingenz) bedeutsamen Analogie-Postulats auch allgemeinere religionsphänomenologische Überlegungen angestellt werden, um bestimmte Ausdrucksformen von "Religiosität" sinnvoll in das sich ergebende religionsgeschichtliche Gefuge einordnen zu können.

3.

Begriffsbestimmungen

"Monotheism is unnatural. [...] Polytheism is natural. People who lived surrounded by the diverse forces of nature could be expected to affirm polytheism. It expresses the natural diversity of reality quite well, and enables people to cope with the individual numinous expressions of nature by making each one a god. Polytheism makes far better moral sense, for it explains that suffering, injustice and inadequacy exist in the universe because the great cosmic forces or the gods are in conflict. Polytheism offers far more dramatic myths to explain reality and more poignant and complex rituals by which people might seek to integrate themselves into the cosmos and control it." 17 D e r Begriff "Polytheismus"

bezeichnet den Glauben an eine Vielzahl von

Göttern, die durch Genealogien bzw. Abstammungsverhältnisse einander zugeordnet werden, w a s sich in Mythen oder Panthea explizieren kann. Die Gottheiten bilden menschliche soziokulturelle Verhältnisse ab und besitzen einen jeweils eigenen Zuständigkeitsbereich. 1 8 Die Anzahl der Götter ist nicht

15

Übrigens fallt auf, daß sämtliche dem biblischen Quellenwert kritisch gegenüberstehende Religionshistoriker genauso auch biblische Texte auswerten, wobei man sich zuweilen wundern darf, mit welcher Souveränität äußerst schwach begründete, auf biblischen Texten basierende Hypothesen zur Basis weitreichender religionsgeschichtlicher Folgerungen herangezogen werden (s. z. B. Niehr, Rolle, 314f. [zu I Reg 16,32; dazu s. unten Seite 217 Anm. 260, Seite 248 Anm. 417, Seite 248 Anm. 418]; Keel-Uehlinger, Sonnengottheit, 287 [zu I Reg 8,12f.; dazu s. Janowski, Sonnengott, 224ff.]).

16

Vgl. auch Bunimovitz, Stones, 96 ("the archaeology of Palestine is once again shifting [...; she tries] to restore equilibrium between artifactual and textual data, as well as balance the different time scales they reflect."); Frevel, Aschera, 778f. ("[...] das Erschließen der Ikonographie für die Religionsgeschichte kein einfacher und ohne Problem belasteter Zugang ist, sondern daß die Evidenz auch dieser Quelle nur in Relation zu den übrigen Erkenntnisquellen plausibel eingesetzt werden kann."). Gnuse, Gods, 214f. S . z . B. Wörterbuch der Religionen, 463f. "Pantheon" wird dabei nicht als allen Göttern gemeinsam geweihtes Heiligtum, sondern als Verzeichnis der Gesamtheit aller Götter verstanden.

17 18

6

Kapitel I: Monotheismus - Polytheismus - Monolatrìe. Einfuhrung in die Arbeit

konstant, sondern kann sich aufgrund der Aufnahme neuer Gottheiten (nach Eroberungen oder Integration ausländischer Gruppen) ändern. Unter "Monotheismus"

wird der Glaube an einen einzigen Gott verstan-

den, der (ausschließlich verehrt) im Unterschied zu Monolatrie 1 9 und Henotheismus 2 0 die Existenz anderer Götter negiert und daher universale Grenzenlosigkeit intendiert 21 . D a s u n s von der biblischen Überlieferung her vermittelte monotheistische Gottesverständnis steht religionsgeschichtlich betrachtet aber nicht am Anfang der israelitischen Religion, sondern ist erstmals zur Zeit des Exils 2 2 zu greifen. Es finden sich nämlich erstmals im Buch des anonymen Propheten Jes 40-55 Aussagen, in denen die Existenz anderer Götter wirklich bestritten wird, und zwar einerseits im Rahmen des Kyros-Orakels (Jes 45,5-723), andererseits innerhalb von Gerichtsreden gegen die Völker und ihre Götter (41,23f.28f.; 43,10-13; 44,6-8; 46,924)25: Nach der Vorladung zu 19 20

21

22

21

24

Dazu s. Seite 9f. "Henotheismus" bezeichnet die zeitlich begrenzte Konzentration auf die Verehrung eines einzigen Gottes; s. z. B. Wörterbuch der Religionen, 230; Hartmann, Monotheismus, 78f.; Lang, Bewegung, 66f.; van Selms. Henotheism, passim Lanczkowski, Gott, 605, fugt noch den Aspekt der fehlenden rituellen Institutionalisierung hinzu. S. z.B. Wörterbuch der Religionen, 392; Rose, Ausschließlichkeitsanspruch, llff.; Hartmann, Monotheismus, 74.76.78. Der Aspekt des Universalismus, der etwa aus Jes 45.18-25 oder Dan 2,36-49; 4,14.22.29 hervorgeht, wird m. E. von Loretz, Einzigkeit Jahwes, 264; ders., Des Gottes Einzigkeit, 137, nicht hinreichend wahrgenommen. Loretz. Einzigkeit Jahwes, 264 (im Original teilweise kursiv), spricht hier von einer "verstärkte[n] Betonung der Einzigkeit Jahwes und der Verehrung des einen Gottes". Deshalb kann seinem Vorschlag, den Monotheismus-Begriff zu vermeiden und (umfassend in bezug auf sämtliche Phänomene der alleinigen Beachtung eines Gottes) lediglich von "des Gottes Einzigkeit" zu sprechen (so Loretz, Einzigkeit Jahwes, 223f.265f.276f.279; vgl. dazu ders., Des Gottes Einzigkeit, 156f.) nicht gefolgt werden, auch wenn "Monotheismus" einen nicht unproblematischen Begriff darstellt (Dazu s. Stolz, Einfuhrung, 5; ders., Monotheismus, 35f.: Der Begriff sei erst im Zeitalter der Aufklärung entwickelt worden, um als "Theismus" gegenüber dem Deismus die anthropomorphe Interpretation Gottes und die grundlegende Differenz zwischen Gott und Welt festzuhalten und als "Monotheismus" die spezifisch christliche Konzeption gegenüber anderen "Theismen" zu bestimmen: Es komme hinzu, daß er nicht einmal einhellig gebraucht werde, sondern exklusive und inklusive Konzepte des Monotheismus nebeneinander bestünden.). Außerdem ist der "Monotheismus"-Begriff in der gegenwärtigen Diskussion noch geläufig; das Ziel dieser Arbeit besteht nicht darin, ihn zu ersetzen. "This monotheism cannot evolve by itself inherently, it needs a streng stimulus from the culture, usually a crisis, to push it into a pure and radical form" (Gnuse, Gods, 215). 45,5a: Ich bin Jahwe und keiner sonst (Iii? ^ t n ) ; außer mir ist kein Gott (VN "n'pit Cr- 1 :«): 45,6aßb: .... daß keiner ist außer mir ( , "]V I ?3 0 9 Î P 5 ) ; ich bin Jahwe und keiner sonst. 41,24a: Siehe, ihr seid nichts und euer Tun ist nichts (rÇND 05*7^91 l'ND DÇHnn); 41,29. Siehe, sie sind alle nichts, nichtig ihre Taten; 43,10bß: Vor mir wurde kein Gott gebildet n s i r « ' 1 ? 'jç 1 ?) und nach mir wird keiner sein ( n ^ " . n n x i ) ; 43,11:

3. Begriffsbestimmungen

7

einem fiktiven Rechtsverfahren kommt es zur Verhandlung mit Reden der Parteien, Beweisführungen und Vernehmung der Zeugen. Hier zeigt sich, daß allein die Beweise Jahwes stichhaltig sind. Er allein ist geschichtsmächtig, kann Zukünftiges ansagen, lenkt die Geschicke der Völker, kann hoffnungslose Situationen überwinden, hat den Kyros beauftragt, sein Volk zu befreien, und Israel mit seinem bisherigen und künftigen Ergehen ist dafür Zeuge. Daher muß die Entscheidung lauten, daß außer Jahwe kein Gott ist, und er alles, Gutes wie Unheil, in seiner Hand hat - so die Spitzenaussage Jes 45,7, die zeigt, daß der monotheistische Gottesglaube bis zur letzten Konsequenz durchdacht ist26. In ihrer historischen Situation dienen die monotheistischen Aussagen dem Propheten dazu, gegenüber dem skeptischen Israel Zuversicht und Vertrauen auf Erlösung zu wekken 2 '. Dies wird eben dadurch möglich, daß Wirkmöglichkeit und Existenz anderer Götter bestritten und Jahwes Macht über das Geschick der Menschen betont wird. Die Minderheiten- und Krisensituation im Exil spielt daher sicher eine entscheidende Rolle für die Ausformulierung des monotheistischen Gottesbekenntnisses, vermag dieses doch dabei zu helfen. "das Gefühl der Ohnmacht und Ausweglosigkeit zu bewältigen"28. Gleichzeitig hat aber der Prophet dieses Anliegen transzendiert, wenn er aus den monotheistischen Aussagen die Konsequenz zieht, daß das Heil bis an die Grenzen der Erde zu allen Völkern hinausgetragen werden muß (s. z. B. Jes 45,18-25)29.

Der exilisch bezeugte Monotheismus stellt zwar eine Spitzenaussage30 dar, die in einer besonderen Krisensituation entstanden ist31. Aus einem religi-

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Ich, ich bin Jahwe und außer mir ist kein Helfer; 44,6b: Ich bin der erste und ich bin der letzte und außer mir ist kein Gott; 44,8: Gibt es einen Gott außer mir? (ni^N BTrj HVVSP); Es ist kein Fels, ich weiß keinen ( T u n r ^ S TI3 T1«]); 46,9b: Denn ich bin Gott und keiner sonst, bin Gott, und nichts ist wie ich. Vgl. z. B. Wildberger, Monotheismus, passim; Albertz, Religionsgeschichte, 436; Stolz, Einführung, 172ff.; Smith, History, 152; Gnuse, Gods, 207f. Eine Auflistung der "monotheistischen Formeln" in Jes 40-55 bietet Loretz, Des Gottes Einzigkeit, 137. Daher scheint mir nicht ganz nachvollziehbar, daß Koch, Monotheismus, 566, der Meinung ist, es führten "die Götter bei Deuterojesaja noch ein, wenngleich sehr beschränktes, eigenes Dasein (Jes 41,21-29; 46,1 [...])." Selbst in den Gerichtsreden ist die vermeintliche Existenz der angeklagten Götter doch bloß eine reine Fiktion. Vgl. auch Lohfink. Geschichte, 11 f. Die genannten Texte gehören nach Kratz, Kyros, 148, und im wesentlichen auch nach der unabhängig erarbeiteten Studie von van Oorschot, Babel, 93ff., zum Grundbestand des DtJes-Buches, das die mündliche Verkündigung des Propheten in der babylonischen Gola gegen Ende des Exils reflektieren dürfte (s. Kratz, Kyros, 163ff.; van Oorschot, Babel, 97). Vorländer, Monotheismus, 97; vgl. auch Albertz, Monotheismus, 92. So auch Wildberger, Monotheismus, 529f.; Albertz, Religionsgeschichte, 439ff.; ähnlich Kratz, Kyros, 167. Römer, Monothéisme, 68, betont, daß es ohnehin kaum möglich gewesen wäre, eine monotheistische Nationalrûigion zu vertreten, nachdem ihre Stützen wie Tempel und Land zusammengebrochen waren. Zu vergleichen wäre hier (angesichts der anderen religionsgeschichtlichen Voraussetzungen allerdings mit Vorsicht) der gern zitierte Satz von Rads, Theologie I, 224: "Der Monotheismus war als solcher überhaupt keine Sache, an der Israel selbst ein besonderes Interesse genommen hätte; es hat sich an ihm nicht gemessen und geprüft, so wie es sich am ersten Gebot gemessen und geprüft hat. Es handelt sich also um einen Erkenntnisvorgang, dessen sich Israel selber gar nicht recht bewußt wurde."

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Kapitel I: Monotheismus - Polytheismus - Monolatrìe. Einführung in die Arbeit

onsphänomenologischen Vergleich mit "monotheistischen Tendenzen" bzw. Erscheinungen, die mitunter mit dem Begriff des "Monotheismus" bezeichnet werden, in der Umwelt Israels32 geht jedoch hervor, daß mit einem älteren, den israelitischen Monotheismus vorbereitenden Phänomen zu rechnen ist. Erstens setzen die nachexilischen33 Fortführungen und Weiterbildungen des monotheistischen Gottesgedankens34 - womit allerdings nicht behauptet ist, daß man seit dem Exil in Israel nur noch monotheistisch dachte! [s. etwa Mi 4,5 35 ] - ebenfalls die Verantwortung Jahwes für alles Bestehende voraus und zeigen damit gegenüber ähnlichen Phänomen in den Umweltreligionen eine ganz andere Tiefe. Auch Unheilserfahrungen werden reflektiert und auf die konkrete Lebenswirklichkeit bezogen; das "eine Göttliche" fungiert daher nicht als eine bloß abstrakte Idee, die den einzelnen Glaubenden nichts anginge: Weder Amenophis IV. Echnaton noch Zarathustra können das Dunkel bzw. das Böse in ihren "Monotheismus" integrieren, nicht einmal mittels in den Bereich des einzigen Gottes integrierter Gegenspieler. Ersterer blendet derartige unheilvolle Erfahrungen aus seiner Konzeption des mit der Sonne identifizierten, universal und einzig gedachten "lebendigen Aton" einfach aus36. Beim zweiten begegnet ein schroffer Dualismus zwischen dem guten

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Zeitgleiche äußere Einflüsse (Vorländer, Monotheismus, 103ff., nennt hierzu NabuKult, Sin-Kult und Zoroastrismus; vgl. Lang, Entstehung, 139) sind wohl nicht zwingend zu erweisen (s. Albertz, Religionsgeschichte, 435), werden jedoch öfter angenommen. Gnuse, Gods, 21 Off., entwickelt das Paradigma der "peripherical culture": diese liege zwar inmitten großartiger Zivilisationen und rezipiere daher zahlreiche der dort angedachten Elemente; aber sie könne sich von den komplexen Vorgängen und Traditionszwängen in den etablierten Kulturen frei halten und deshalb weiterführende Konzepte entwickeln. Auf diese Strömungen kann hier nicht näher eingegangen werden. Genannt werden gewöhnlich (s. z. B. Gnuse, Gods, 157ff.217ff.) die Gotteskonzeption des Amenophis IV. Echnaton (Mitte des 14. Jh.; als Zeugnis hierfür s. den Hymnus an Aton [RTAT, 43ff.]), die indische Religion in der wedischen Periode (vor der Mitte des 1. Jt.), Zarathustra (Zu den Datierungsschwierigkeiten s. Colpe, Zarathustra, 319ff.; Gnuse, Gods, 220. Lanczkowski, Religionen, 20, resümiert, allgemein werde die Zeit "um 600" angenommen.), der Vorsokratiker Xenophanes (geb. um 570), außerdem die mesopotamische Religion. Die Hymnen an Marduk oder Assur, aus denen man monotheistische Tendenzen in Mesopotamien folgern möchte, sind jedoch lediglich als Zeugnisse der persönlichen Frömmigkeit zu verstehen, die sich auf eine Gottheit konzentriert; "Monotheismus und Mondäne sind auszuschliessen, weil die mesopotamische Religion immer polytheistisch geblieben ist" (Hartmann, Monotheismus, 79). Da es sich hier um einen religionsphänomenologischen Vergleich handelt, steht die Berücksichtigung nachexilischer Befunde nicht im Widerspruch zu dem anvisierten Ziel, über das vorexilische, den Monotheismus vorbereitende Phänomen Erkenntnisse zu gewinnen. S. hierzu Koch, Monotheismus, der die im Sachaija-Buch begegnende Dolmetschergestalt des aufgrund des monotheistischen Glaubens bereits weit in die Transzendenz entrückten Jahwe (566ff ), vermittelnde Engelgestalten (569ff.) und die Entdeckung von "teuflischen" Gegenspielern, um das streng monotheistische Gottesbild von negativen Daseinserfahrungen entlasten zu können (574ff.580), anfuhrt. Zur Datierung vgl. etwa Wolff. BK. AT XIV/4, 87; Zapf, Studien, 43ff.76f. S. z. B. Assmann, Ägypten, 251.

3. Begriffsbestimmungen

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Gott Ahura Mazda samt den heilwirkenden Kräften und dem bösen Geist Angra Mainyu, der oftmals die Oberhand behält 37 . In der indischen Religion oder bei Xenophanes begegnet das eine Göttliche als ontologisches, unpersonal gedachtes, pantheistisches Prinzip38. Zweitens zeigen die nachexilischen Weiterbildungen des monotheistischen Gottesverständnisses, daß der Monotheismus nicht bloß eine kurzlebige, da durch die Geschichte der Jahwe-Religion kaum vorbereitete, Erscheinung darstellt. Der "Monotheismus" Echnatons dagegen kann, da durch die Strukturen der ägyptischen Religion gerade nicht vorbereitet39, auch keine Wirkungsgeschichte nach sich ziehen; im Gegenteil führt er nach Assmann zum "Trauma" 40 . Der zoroastrische "Monotheismus" (bzw. Dualismus) war, jedenfalls im Blick auf breitere Schichten, ebenfalls nicht von Dauer41.

Dieser Befund - der besondere Charakter und die Fortdauer des monotheistischen Glaubens in der israelitischen Religion im Gegensatz zu vergleichbaren Umwelterscheinungen - spricht dafür, daß der Anspruch der Alleinverehrung Jahwes schon älter sein muß42 und dem Jahwe-Glauben bereits weit vor dem Exil zu eigen war. Daher ist es notwendig, zwischen Monotheismus und Monolatrie terminologisch zu differenzieren, um auch das den Monotheismus vorbereitende Phänomen sprachlich angemessen erfassen zu können43. Mit dem Begriff 37 38 39 40 41

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S. etwa Colpe, Zarathustra, 338ff.; Lanczkowski, Religionen, 251. S. z. B. Gnuse, Gods, 219; Ricken, Philosophie, 25f. Dazu s. Hornung, Monotheismus, 92. S. Assmann, Ägypten, 252ff. S. Lanczkowski, Religionen, 255. Nebenbei sei darauf hingewiesen, daß zuweilen die beiden genannten Strömungen weniger als "Religionen" verstanden werden: s. Assmann, Ägypten, 245 ("kognitiver Durchbruch"); Colpe, Zarathustra, 338 ("orientalische Philosophie"). S. auch Albertz, Monotheismus, 88f.91; ders., Religionsgeschichte, 98; Gnuse, Gods, 197. Vgl. außerdem die Formulierungen des Ausschließlichkeitsanspruchs in der biblischen Überlieferung von Ex 20,2f.; 23,31-33; 34,12-14; Lev 26.1; Dtn 4.35-40; 5,6f.; 6,12-15; Hos 12,10; 13,4; Ps 81,10f., die sich (in den Pentateuch-Belegen allerdings erst spät) entweder auf den Exodus oder auf die Landgabe bezieht; diese Beobachtung macht auch Albertz, Religionsgeschichte, 99 samt Anm. 121. - Eine genauere Beschreibung einer religionsgeschichtlichen Entwicklung hin zum Monotheismus ist in diesem Rahmen nicht möglich. S. dazu die Abrisse von Lang, Bewegung, 63ff.; M. Weippert, Synkretismus, 21ff.; Albertz, Religionsgeschichte, 226ff.267ff. 280ff.307ff; ders., Monotheismus, 91; Gnuse, Gods, 197ff. Allerdings gehen diese, offenbar um überhaupt ein religionsgeschichtliches Bild zeichnen zu können, m. E. nicht kritisch genug mit den zur Verfugung stehenden Quellen um (zur "Hiskianischen Reform" s. z. B. Na'aman, Historicity, 181ff., zur "Josianischen Reform" etwa Uehlinger, Kultreform, 64ff.71ff80f.; Niehr, Reform, 42ff. 50f ). Vgl. Loretz, Einzigkeit Jahwes, 264, der immerhin zwischen der "Einzigkeit Jahwes" und der "verstärkten Betonung der Einzigkeit" unterscheidet; ist diese Begriffswahl aber treffend? Wird nicht genügend zwischen beiden Phänomenen unterschieden, besteht die Gefahr, monolatrische Erscheinungsformen gegenüber dem vermeintlichen "Eigentlichen", dem Monotheismus als Zielpunkt, abzuwerten bzw. nicht hinreichend

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Kapitel I: Monotheismus - Polytheismus - Monolatrìe. Einführung in die Arbeit

"Monolatrie" wird nun die (im Gegensatz zur "Henolatrie") dauerhafte alleinige Verehrung eines Gottes verstanden, und zwar (im Gegensatz zum "Monotheismus") ohne die Existenz anderer Götter und deren Relevanz für andere Völker bzw. Gruppen zu leugnen44. Monolatrie bezeichnet also die Verehrung eines einzigen Gottes innerhalb eines polytheistischen Rahmens. Zur Illustration seien einige Beispiele angeführt: Das Fremdgötterverbot des Dekalogs (Ex 20.3; Dtn 5,7) ist monolatrisch formuliert. "Du sollst keine anderen Götter haben mir ins Angesicht!" Die Formulierung macht lediglich den Ausschließlichkeitsanspruch Jahwes kenntlich. Andere Götter zu verehren, ist illegitim. Deren Existenz wird aber gerade nicht bestritten, ein Universalismus ist ebenfalls nicht erkennbar. Auch die sogenannten Unvergleichlichkeitsaussagen (etwa "Wer ist wie du, Herr, unter den Göttern?"; Ex 15,11; Ps 77,14), welche die alleinige Verehrung Jahwes voraussetzen, sind streng genommen lediglich monolatrisch formuliert, da bei einem Vergleich Jahwes mit anderen Göttern deren Existenz nicht geleugnet wird, wenn auch auf diese Einsicht hin die rhetorische Frage zielen mag. Schließlich sei noch der Vorwurf Elias als prägnantes Beispiel genannt: "Hast du etwa deshalb, weil es keinen Gott in Israel gibt, ausgesandt, um bei Baal Zebub, dem Gott von Ekron, anzufragen? Daher: Von dem Lager, auf das du gestiegen bist, wirst du nicht wieder herabsteigen, denn du wirst des Todes steiben" (II Reg 1,6). Es ist deutlich, daß die Existenz und Wirkmächtigkeit Baals nicht bestritten wird. Wohl aber wird der Versuch eines Israeliten - für Israel ist doch allein Jahwe zuständig! - , bei Baal anzufragen, tödlich bestraft. Es handelt sich hier also um die Propagierung der Monolatrie-Forderung bzw. des Alleinverehrungsanspruchs Jahwes.

Hinsichtlich der Frage nach der Herkunft des Monolatrie-Gedankens scheint weder die Ableitung von der in der altorientalischen Umwelt gelegentlich geübten "zeitweisen Monolatrie" ("Henolatrie")45 noch die Rückführung

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wahrzunehmen und zu würdigen (so zu beobachten etwa bei Lang, Bewegung, passim; vgl. daher die entsprechende Kritik bei Lohfink, Geschichte, 22). So auch Rose, Ausschließlichkeitsanspruch, 11; Wörterbuch der Religionen, 392. So Lang, Bewegung, 66f., der hier van Selms, Henotheism, passim, aufnimmt: In Krisenzeiten habe man, ohne die Existenz anderer Götter zu leugnen, also im Rahmen des Polytheismus, die Verehrung auf eine Göttergestalt ausgerichtet, von der man sich Hilfe erhoffte (s. Atramhasis 1,391-399.409-413; eine Übersetzung der entsprechenden Stellen findet sich in TUAT III/4, 627f.). Biblische Belege wie I Sam 7,3; Jer 44,18; Dan 6,8 zeigten, daß dieser Gedanke in Israel aufgenommen worden sei (Den weiteren bei van Selms angeführten, von Lang jedoch nicht genannten, biblischen Belegen Gen 35,4 und IReg 15,12-14 fehlt das zentrale Element der Krise.). Der Gedanke eines "temporary henotheism" ist m. E. aber nicht stichhaltig nachzuweisen. Zum einen läßt die biblische Überlieferung solche Vorstellungen nicht zwingend erkennen: In Jer 44,17f. liegt das Gewicht auf der Beschwerde, daß sich trotz der vom Propheten geforderten Bekehrung zu Jahwe und Abwendung von der Himmelskönigin die Lage verschlechtert habe. Das von den Fürsten erschlichene Verbot in Dan 6,8 zielt klar auf die Denunzierung Daniels, der vom König höher als dessen Fürsten geschätzt wurde. Daß Samuel in I Sam 7,2-14 die Hinwendung zu Jahwe nur für die Abwendung der Philisternot fordert, geht nicht aus dem Text hervor. Und Hosea schließlich läßt "mit keiner Silbe erkennen, daß er die ausschließliche Jahwe-Verehrung, die er propagiert, zeitlich begrenzt wissen wollte" (Albertz, Monotheismus, 88). Zum anderen scheint es im

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4. Zur These einer polytheistischen Religion in Israel auf die

im

1.

Jt.

in

den

phönizischen

Stadtstaaten

zu

beobachtende

"Theokrasie" 46 voll zu überzeugen. Daher dürfte die Annahme nicht unplausibel sein, daß der Anspruch der Alleinverehrung Jahwes bzw. ein dazu hinführendes M o v e n s eine Grundkonstante des jahwistischen Gottesbildes darstellt 47 .

4. Zur These einer polytheistischen

Religion

in

Israel

E s wurde bereits darauf hingewiesen 4 8 , daß viele Forscher mit einer polytheistischen Religion im vorexilischen Israel rechnen. Andererseits wurde eben für die Annahme einer monolatrischen Konzeption des Jahwe-Glaubens plädiert. D a die Polytheismus-Frage den aktuellen Forschungskontext bestimmt und gerade im Rahmen einer v o n der Elia-Überlieferung ausgehenden religionsgeschichtlichen Rückfrage nach dem vorschriftprophetischen Jahwe-Glauben der Klärung bedarf, soll ihr im folgenden näher nachgegangen werden.

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Atramhasis-Epos selbst lediglich darum zu gehen, den zu umschmeicheln, der für die Not verantwortlich ist: Atramhasis fragt Enki, wie lange die Götter wohl noch Krankheit auferlegen würden (370f.). Dieser gibt daraufhin den Rat, Namtara Geschenke darzubringen, damit dieser beschämt werde und seine Hand abwende (383f.). Konkret Namtara, der für die Not verantwortlich ist, soll also in dieser Angelegenheit geopfert werden. Dies stellt ein rein zweckmäßiges Vorgehen dar. Es ist weder ersichtlich, daß man sich aufgrund der besonderen Stellung Namtaras von ihm Hilfe erhofft hatte, noch daß in der Zeit der Notlage nicht auch andere Götter hätten verehrt werden dürfen; ausschließlich die spezielle Angelegenheit betreffend war die Aufforderung ergangen, den Verantwortlichen durch gefallige Gaben umzustimmen. Gemeint ist die Tendenz, die Vielzahl von Gottheiten zu beschränken und dabei verschiedene Funktionen in einer einzigen Gottheit zu konzentrieren bzw. mehrere Gottheiten in einer zu verschmelzen; s. Xella, Polythéisme, 33f.; Smith, History, 24f.l56. (Vgl. auch die von de Moor. Rise, 42ff.97ff.214ff.263f., beschriebene "Krise des Polytheismus" gegen Ende der Spätbronzezeit, die zur Konzentration auf die Verehrung eines Königs der Götter vor allem in Ägypten und Babylonien geführt habe.) Wenn die Monolatrie auch mit Zügen dieser Tendenz korreliert, so bleibt doch zu beachten, daß in den phönizischen Stadtstaaten die grundsätzlich polytheistische Orientierung der Religion nicht aufgegeben wird (mit Albertz, Monotheismus, 87), die Monolatrie also nicht von daher erklärbar ist. Vgl. z. B. Albertz, Religionsgeschichte, 98 ("[...] es muß ein Differenzpotential innerhalb der Jahwereligion gegeben haben, das sie von üblichen polytheistischen Religionen unterschied und auf das sich Oppositionsgruppen, die eine Möglichkeit zur Überwindung von Krisen allein in der ausschließlichen Jahweverehrung sahen, berufen konnten. Insofern hat der Ansatz der älteren Forschung, von einer der Jahwereligion von ihren Anfängen inhärenten Tendenz zur Monolatrie auszugehen, immer noch viel für sich."); Mettinger, Essence. 412 ("The early cuit of YHWH was monolatrous."); Lohfink, Geschichte, 25. S. oben Seite 1.

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Kapitel I: Monotheismus - Polytheismus - Monolatrìe. Einführung in die Aibeit

4.1. Hinweise, die für einen Polytheismus sprechen Mit Polytheismus im vorexilischen Israel rechnet M. Weippert: "Was also die kritischen Autoren des Alten Testaments, die Propheten, Deuteronomiker und Deuteronomisten, als Abfall von Jahwe und Hinwendung Israels zur Religion Kanaans bekämpften, war [.. .] die traditionelle israelitische Religion der vorexilischen Zeit. Diese Religion war polytheistisch.1,49 Daß "selbstverständlich auch Jahwe"50 verehrt wurde, nimmt die Sprachgestalt eines Zugeständnisses an, jedoch muß Weippert an Jahwe als Nationalgott Israels festhalten". Freilich habe er im polytheistischen Pantheon nicht die erste Stelle eingenommen, sondern diese sei im gesamten syrisch-palästinischen Raum El vorbehalten gewesen, wie noch Dtn 32,8f. und Ps 82 widerspiegelten52. Dtn 32,8f. und Ps 82 werden gerne als Belegstellen fiir eine vorexilische polytheistische Religion Israels angeführt53. Dtn 32,8f. zeige klar eine überlegene Stellung Eis, der die diversen Völker nach der Zahl der El-Söhne (Götter?) verteile54. Im "Pantheion von Nationalgöttern unter der Ägide des gleichsam 'neutralen' Gottes El"55 erscheine Jahwe lediglich als einer von vielen, der die Anordnungen Eis hinzunehmen habe. Ähnlich begegne Jahwe auch in Ps 82 nur als ein Mitglied der Götterversammlung, die El unterstehe. Immerhin verfüge Jahwe hier aber bereits über eine Stellung, von der aus er den anderen Göttern vorhalten könne, daß sie Ungerechtigkeit unter den Menschen zuließen. Der polytheistische Kontext sei aber dennoch evident. Diese beiden Psalmen zeigten somit, "daß selbst die 'offizielle' Theologie des Jerusalemer Tempels bis in die spätvorexilische Zeit hinein weder monolatrisch noch gar monotheistisch, sondern einfach polytheistisch war"56. Gelegentlich werden ähnliche Hinweise in den Psalmen, die von einer Mehrzahl von Göttern zu reden scheinen (etwa Ps 29,1; 82; 86,8; 89,7; 95,3; 97,7; 135,5; 138,1; 148) und in prophetischen Anklagen (etwa Jes 2,18-20; Jer 7,9-19 30-31; Ez 8,10-16), welche die Annahme nahelegten, im offiziellen 49 50 51

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M. Weippert, Synkretismus. 10. M. Weippert, Synkretismus, 10. S. dazu Handy, Appearance, 38: "No one, I suspect, would argue against Yahweh having been the autoritative god in Judah." S. M. Weippert, Synkretismus, 4f.l0f. S. z. B. Dietrich-Loretz, Kultbild, 134ff., mit weiterer Literatur; vgl. auch die Auflistung bei Niehr, Gott, 80 Anm. 65, der selbst (79ff.) zurückhaltender urteilt. Hier dürfte der lectio difficilior der von LXX und Q gestützten Lesart '33 am meisten Wahrscheinlichkeit zukommen; s. Braulik, Geburt, 298; Rose, ZBK.AT 5.2, 568; M. Weippert, Synkretismus, 5 Anm. 16. M. Weippert, Synkretismus, 5. M. Weippert. Synkretismus. 10f.; er fuhrt dort auch noch Ps 89,6-8 an, wo Jahwe bereits als Oberhaupt der Götter erscheine.

4. Zur These einer polytheistischen Religion in Israel

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judäischen Kult seien neben Jahwe auch andere Götter verehrt worden, zur Rekonstruktion eines entsprechenden Pantheons herangezogen 5 7 . Lang fugt dem hinzu, daß im gesamten syro-palästinischen Raum El nicht der Landesgott Jahwe - als Schöpfergott gegolten habe, w i e noch aus Gen 2,7; 14,19; A m 9 , 6 ersehen werden könne 5 8 . N e b e n diesen aus der "secondary den nun auch Befunde der "primary

evidence" evidence"

herausgelesenen Indizien werfiir die Annahme eines Polythe-

ismus im vorexilischen Israel geltend gemacht. S o steuert Knauf weitere Hinweise zu der Annahme bei, daß "die alten Israeliten bis Jeremia ( 2 , 1 1 ) ausnahmslos und in ihrer Mehrzahl noch lange nach ihm Polytheisten waren" 59 . Im Blick auf das Süd-Reich Juda würden die prophetischen Polemiken durch den epigraphischen Befund gestützt, daß "man in Jerusalem noch im 7. Jh. v. Chr. Elqöne-'ars als Schöpfergott verehrt, während Jahwe diese Funktion erst bei Jeremia übernommen hat" 60 . Bezüglich des

So Handy, Appearance, passim: Leitend dabei ist für ihn die Vorstellung eines vierstufigen Pantheons in Ugarit. Dort käme El und Aschera die höchste Autorität zu. Ihnen folgten auf der zweiten Ebene die großen Gottheiten Baal, Anat, Schapsu und Mot. Auf der dritten Stufe begegneten raffinierte, aufgrund ihres Spezialistendaseins und ihrer Expertenkenntnisse geschätzte Gottheiten, die wiederum Anweisungen der ihnen höhergestellten befolgen müßten. Die unterste Ebene nähmen die Boten ein; sie besäßen keinen persönlichen Eigenwillen, sondern seien bloße, zur Ausrichtung von Botschaften beauftragte Befehlsempfänger. Insgesamt repräsentiere somit diese Götterhierarchie in etwa die Gliederung der menschlichen Gesellschaft mit der jeweils verschiedenen Machtstellung der einzelnen Schichten vom König bis zum Sklaven. Auch für den Staat Juda sei analog die Vorstellung von solch einem vierstufigen Pantheon wahrscheinlich: zum einen sei dort eine ebenso geartete soziale Hierarchie erkennbar; zum anderen zeige sich in biblischen Texten die unrevidierte Übernahme zweier dieser vier in Ugarit belegten Stufen (1.: Jahwe und Aschera, 4.: Engel-Vorstellung). Allerdings hat Handy Mühe, Gottheiten ausfindig zu machen, die er der dritten Ebene zuordnen kann. Problematisch dabei ist zunächst, daß diese überhaupt nicht mit Juda, für das er die Existenz des vierstufige Pantheon erweisen möchte, in Verbindimg stehen (II Reg 1,2; II Reg 18,4). Bei Nehuschtan hat es sich außerdem wohl um eine Kultsymbol gehandelt, mit dem man in Juda gar nicht viel anfangen konnte (s. II Reg 18,4). Sodann sind Engelwesen erst spät belegt, da sie vor allem aufgrund des Anliegens, Unheilserfahrungen nicht direkt auf den streng monotheistisch gedachten Jahwe zurückführen zu müssen (so aber z. B. Jes 45,7), und des Interesses, den in die Transzendenz entschwindenden Jahwe weiter gegenwärtig wirksam zu denken, in die nachexilische Jahwe-Religion miteinbezogen wurden (vgl. oben Seite 8 Anm. 34). Somit dürfte die These Handys wenig wahrscheinlich sein. Gegen sie sprechen ebenfalls die ikonographischen Befunde (zu ihnen s. Seite 27), die in ihrer Gesamttendenz die Annahme der Verehrung mehrerer Gottheiten neben Jahwe in der offiziellen Religion schwerlich bestätigen können. 58 59 60

So Lang, Jahwe-allein-Bewegung, 55f.; ders., Jahwe allein!, 32. Knauf, Herkunft, 156. Vgl. auch ders., Notiz, 240. Knauf, Herkunft, 156. Vgl. auch ders., Notiz, 240.

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Kapitel I: Monotheismus - Polytheismus - Monolatrie. Einfuhrung in die Arbeit

Nord-Reiches Israel ergebe sich die Annahme des Polytheismus aus der in den Elephantine-Papyri (AP 22,125; 44,3) bezeugten Göttertrias Jahu, Anat-Jahu und Aschim-Betel, in der das Pantheon des alten Staatsheiligtums Betel zu sehen sei61. Die Annahme einer polytheistischen Religion erkläre auch die Mehrzahl der Kälber in Hos 10,5, die im Nimrud-Prisma 62 erwähnten Götter, die der Assyrerkönig Sargon II. bei der Eroberung Samarias mit der Oberschicht deportiert haben will, und die pluralische Proklamation Jerobeams in I Reg 12,28 ("Siehe, deine Götter, Israel, die dich hinaufgeführt haben aus dem Land Ägypten") 63 . Außerdem dokumentierten die Deir 'Alla-Inschriften, geschrieben als im 8. Jh. der Ort Sukkot noch zu Israel gehört habe, mit den Göttern El, Schagar, Aschtart und den Schadday-Gottheiten ein polytheistisches Pantheon, in dem Jahwe überhaupt nicht vertreten sei64. Es bedarf beinahe keiner besonderen Erwähnung, daß nach der Meinung der Vertreter eines israelitischen Polytheismus die bekannten Inschriften aus Kuntillet 'Agrüd und Hirbet el-Köm (KAgr[9]:8,2; KAgr[9]:9,6; KAgr[9]:10,2; Kom[8]:3,3.5f.) ein den polytheistischen Umweltreligionen vergleichbares Phänomen bezeugen, daß nämlich die Göttin Aschera als Paredra Jahwe zugeordnet worden sei (vgl. auch I Reg 15,13; 18,19; II Reg 21,3.7; 23,4.6f., die rt~lti?t< als Göttin zu verstehen scheinen). Hadley äußert sich zwar aufgrund der bekannten Einwände gegen die Interpretation der auf den Inschriften erwähnten Aschera als Göttin (Suffix am Eigennamen, Fortsetzung im Sg.) zurückhaltend und versteht mttfK als "wooden symbol of the goddess" 65 . Jedoch meint sie im Kultständer von Ta'annak ein Zeugnis dafür gefunden zu haben, daß zumindest im 10. Jh. Jahwe (im 2. Register anikonisch [als Kerubenthroner] zwischen zwei Sphinxen dargestellt, im 4. Register durch Pferd und darüberliegende Sonnenscheibe [vgl. II Reg 23,11]) und die Göttin Aschera (im 1. Register als nackte Göttin zwischen zwei Löwen, im 3. Register als von Capriden flankierter Baum zwischen zwei ebensolchen Löwen abgebildet) in einer Partnerbeziehung gestanden hätten 66 .

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Hierzu s. auch M. Weippert, Synkretismus, 15. S. TGI3 30 (S. 60f.). So Knauf, Herkunft. 155f. Vgl. auch ders., Notiz, 240; zum Nimrud-Prisma auch Niehr, Rise, 57. So Knauf. Notiz, 240. Hadley, Yahweh, 248 (vgl. 245). So Hadley. Yahweh. 249ff.; vgl. auch J. G. Taylor, Yahweh, passim.

4. Zur These einer polytheistischen Religion in Israel

15

4.2. Einschränkungen und Kritik der Beweiskraft dieser Hinweise Die genannten Pss-Belege lassen m. E nicht die Folgerung zu, daß im Jerusalemer Kult neben Jahwe andere Götter verehrt worden seien: Zwar ist von Göttern und Himmlischen die Rede, dies aber stets im Kontext der Unvergleichlichkeit Jahwes oder der Anbetung Jahwes durch die Götter. Nirgends geht aus den Texten zwingend eine Verehrung der Götter durch die Kultteilnehmer hervor. Es dürfte sich hierbei eher um ein fiktives Motiv handeln, das die Größe und Macht Jahwes unterstreichen soll. Ps 82 ist mit Wanke 67 aufgrund der starken Gewichtung der V. 2-4 wohl am ehesten in der nachexilischen Armenfrömmigkeit zu verorten. Dafür sprächen vor allem die von der traditionellen Terminologie abweichenden Wortpaare, welche die Geläufigkeit der betreffenden Rechts-, Weisheits-, und Prophetenüberlieferung voraussetzten, sowie die in der Rahmung durch die c y c r i sich andeutende Polarisierung zwischen Frommen und Frevlern (s. auch Ps 1.9f.37.49.52.62.73.94.112) samt dem darin hervortretenden Theodizee-Problem. Aus V. 8, der mit der Nachdrücklichkeit seiner Gerichtsforderung diesem Problem entspreche (und darum als ursprünglich anzusehen sei), sei dann ein universaler Horizont mit eschatologischer Perspektive ersichtlich: "Die Lösung der sozialen, wirtschaftlichen und religiösen Konflikte wird von einem künftigen Jahwegericht erwartet, das die gesamte Erde und alle Völker treffen soll"68. Dieser "Universalisierung [...] dient [...] die Situierung des Geschehens im himmlischen Bereich" 69 . Das mythische Element der Götterversammlung in V. 1 enthält hierbei die Funktion, Jahwe als allein vertrauensund verehrungswürdigen Gott herauszustellen 70 , so daß von daher der Schluß auf traditionell polytheistische Reste der israelitischen Religion nicht mehr möglich sein dürfte. Die in Dtn 32,8f. vorliegende Vorstellung, daß Jahwe zum Kreis der Göttersöhne gehört und nur einer unter vielen ist, die vom Höchsten ihren Herrschaftsbereich zugeteilt bekommen, fällt im Gegensatz zum in Dtn 32 vertretenen monotheistischen Gottesverständnis (V. 39) tatsächlich auf. Daher ist hier wohl mit einer vorgegebenen Vorstellung zu rechnen, welche die Anfänge des Jahwe-Glaubens widerspiegeln könnte: erst bei Aufnahme Jahwes in das kanaanäische Pantheon ist dieser in den Besitz seines Volkes Israel gelangt. Der Abschnitt V. 8f. ist allerdings ohne weiteres im Gesamtduktus von Dtn 32 verstehbar. Das gesamte Kapitel möchte Jahwes Verläßlichkeit (s. "IIIS in

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S. Wanke, Jahwe, 447ff., besonders 451. Wanke. Jahwe, 451. Wanke, Jahwe, 452. S. Petersen, Mythos, 265ff. Vgl. auch Parker, Beginning, 543.555; Niehr, Gott, 217f.

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Kapitel I: Monotheismus - Polytheismus - Monolatrìe. Einführung in die Arbeit

V. 4.15.18.30f.37) in Abgrenzung von anderen Göttern (s. V. 17.21) sowie seinen Ausschließlichkeitsanspruch herausstreichen, der sowohl sein Geschichtshandeln an Israel umgreift (s. V. 12.39) als auch bis in Urzeit (V. 8f.) und Endzeit (V. 4371) reicht. Im Textganzen dürfte der unbestreitbar polytheistische Sprachgebrauch in V. 8f. wiederum der Mythisierung des Geschehens dienen, wonach die Beziehung zwischen Jahwe und Israel mit einer in der Vorzeit vorgenommenen Auswahl Jahwes begründet würde, was die Verläßlichkeit und Vertrauenswürdigkeit Jahwes unterstreichen solle72: Nach dem Verständnis der Kompositoren dürfte Jahwe sicher als mit dem Höchsten und die El-Söhne als mit dem himmlischen Hofstaat identifiziert gedacht sein73 (vgl. auch die klare Identifikation Jahwes mit dem Höchsten durch dieselbe Schicht in Dtn 4,19)74. Aufgrund der Integration der Vorstellung von V. 8f. in den Gesamtduktus von Dtn 32 ist eine genauere Rückfrage nach Reichweite und Situierung der vorgegebenen Vorstellungen kaum möglich. Inwiefern diese die wirklichen Verhältnisse der israelitischen Religion in der Königszeit widerspiegeln, kann daher nicht erwiesen werden. Als völlig unzureichende Hinweise auf eine polytheistische Religion erweisen sich die Texte Gen 2f.; 14,19; I Reg 12,28; Hos 10,5 und Am 9,5f.: Gen 14,19 stammt wohl erst aus nachexilischer Zeit, so daß ]Vi?J} b * sicher mit Jahwe identifiziert gedacht ist75. Mit der Entstehung von Am 9,5f. dürfte ebenfalls erst in nachexilischer Zeit zu rechnen sein, woraus sich gleichermaßen der Bezug der Aussage auf Jahwe ergibt76. Sieht man in der auffälligen Wendung r n r r in Gen 2f. wirklich eine diachron auswertbare Span77 nung , und sollte die jahwistische Schöpfungserzählung tatsächlich eine polytheistische Sage aus dem kanaanäischen Kulturraum aufgegriffen haben und

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Der MT stellt wohl die wahrscheinlichere Lesart (lectio brevior) dar; so auch Rose, ZBK.AT 5.2, 572. Ihr gegenüber ist die Rekonstruktion eines Urtextes aus MT, LXX und Q (so Braulik, Geburt, 298), mit größeren Unsicherheiten behaftet. Vgl. den Befund in Ps 82,1 und Petersen, Mythos, 265ff., besonders 267; Niehr, Gott, 217f. S. Rose, ZBK.AT 5.2, 568; Braulik, Geburt, 298. Im Rahmen der Komposition muß auch M. Weippert, Synkretismus, 146, dies so sehen. S.Rose, ZBK.AT 5.2, 491.566. S. Rendtorff, 'El, 7; Niehr, Gott, 65.178; Blum, Komposition, 463 Anm. 5; Spieckermann, Heilsgegenwart, 86 Anm. 37: Gen 14,18-20 ist wohl kaum für sich überliefert worden, da dieses Stück nur in den Gesamtkontext von Gen 14 hineinpaßt; Gen 14 aber dürfte aufgrund des kriegerischen Abraham-Bildes erst nachpriesterlich eingefügt worden sein; i r ^ begegnet erstmals um 750 (KAI 222); die Verbindung der Schöpfung von Himmel und Erde dürfte außerdem genuin biblisch sein, da El über Jahrtausende hinweg nur die Erschaffung der Erde zugeschrieben wird. S. Jeremias. ATD 24,2, 127f. Dagegen s. aber Blum, Komposition, 473 Anm. 59, der ähnliche Gottesbezeichnungen (7/ haddu) oder Syntagmen (dwd hmlk) als Parallelen anführt.

4. Zur These einer polytheistischen Religion in Israel

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die Gottesbezeichnung üTi^K r n r r auf diese Weise zu erklären sein78, stellt dies doch kein Indiz für die Annahme dar, daß El bei den jahwistisch orientierten Israeliten als Schöpfergott gegolten habe, auch wenn die Jahwisierung der Erzählung erst relativ spät literarisch zu greifen wäre. I Reg 12,28 ist schon deshalb kein Indiz für die Verehrung mehrerer Gottheiten zu entnehmen, da die "Götter" mit der genuin Jahwe zugeschriebenen Hinaufführung aus Ägypten prädiziert sind. Der Plural ergibt sich daraus, daß Jerobeam zwei Stierbilder herstellen ließ, und zwar für die äußersten Enden des Nordreiches im Norden (Dan) und Süden (Betel) (s. V. 29), wodurch das zentrale Heiligtum in Jerusalem nun nicht mehr aufgesucht werden muß. Dieser dtr. Verunglimpfung ist daher kein Hinweis auf eine polytheistische Religion zu entnehmen. Hos 10,5 zielt mit der Verballhornung "¡IS IV3 ("Haus des Frevels") auf Betel. Wenn den Einwohnern Samarias vorgeworfen wird, daß diese sich um die n l ^ j y dort fürchten, dann ist damit klar auf das Stierbild in Betel angespielt, sei es daß die prophetische Polemik den Tatbestand durch einen Plural verzerrt79, sei es daß sie durch eine Abstraktendung das Kalb noch verächtlicher ("Kalberei")80 macht. Wäre nibny auch als Plural aufzufassen, so dürfte in der Mehrzahl der Kälber deshalb dennoch kein Indiz für eine polytheistische Religion gesehen werden; und eine Anspielung auf Anat81 ist aufgrund des ikonographischen Kontextes nicht erweisbar, da es sich eben mit den Kälbern Betels nicht um säugende Muttertiere oder Pferde82, sondern um Stierbilder handelt, die ursprünglich wohl mit El verbunden gewesen sein dürften83. Anders aber dürfte es sich mit den genannten prophetischen Texten (s. z. B. Jes 2,20; Jer 1,16; 2,11; 7,6.9.18; Hos 13,2)84 verhalten: Aus ihnen sprechen in der Tat massive Anklagen gegen das Volk, das andere Götter als

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So Eerdmans, Studien I, 78f.; Rottzoll, Fallerzählung, 482ff. Ders., Schöpfungserzählung, 6, plädiert aber dafür, daß "J" durch die Gottesbezeichnung "Jahwe-Elohim" den Namen eines Regengottes vom Typ Baals substituiert habe. Dagegen spricht aber schon massiv der von Rottzoll selbst genannte Befund, daß von Baal keine Schöpfungserzählung belegt ist und Baal vielmehr mit dem Aspekt der "Erhaltung" konnotiert ist, während El die "Welterschaffung" zugesprochen wird; darauf läßt der El zuweilen beigelegte Titel "Schöpfer" schließen, eine Schöpfungserzählung ist auch für El nicht überliefert; s. Jeremias, Königtum, 162f., Loretz, Ugarit, 158; Kapelrud, Ba'al, 412. So Knauf, Herkunft, 155 Anm. 12. So Jeremias, ATD 24,1, 130, in der Nachfolge von Rudolph, KAT XIII,1, 195. So Knauf, Herkunft, 155f. Anm. 12. S. dazu Keel-Uehlinger, Göttinnen, 144.158.220. S. Keel-Uehlinger, Göttinnen, 219. Ein Teil der von Handy angeführten Texte, etwa Ez 8,10-16; Hos 11,2, dürfte möglicherweise anders aufzufassen sein, nämlich im Sinn einer volksreligiösen Verfremdung (so in den Augen theologisch reflektierender Kreise) des Jahwe-Glaubens (s. unten Seite 179f. Anm. 82).

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Kapitel I: Monotheismus - Polytheismus - Monolatne. Einführung in die Arbeit

Jahwe zu verehren scheint. Allerdings geht aus der sicher übertreibenden Prophetenpolemik nicht hervor, in welchem Umfang mit diesem "Abfall" oder neutraler ausgedrückt - mit der Verehrung weiterer Gottheiten neben Jahwe zu rechnen ist85. Somit ergibt sich aus der Betrachtung der "secondary evidence", daß einerseits typische Kennzeichen des Polytheismus wie etwa ein Götterpantheon nicht nachzuweisen sind und sich aus Texten, die sich polytheistischer Elemente bedienen, keine Hinweise auf eine Verehrung einer Göttermehrheit ergeben, daß andererseits aber Anklagen aus jahwistischer Sicht vorliegen, die auf eine Reverenz vor von Jahwe unterschiedenen Gottheiten schließen lassen. Es muß nun aber davor gewarnt werden, diesen Befund zu vereinheitlichen. Zwar möchte auch Weippert innerhalb der israelitischen Religion differenzieren86, dennoch aber scheint er alles, was die kritischen Autoren bekämpfen, unter "die traditionelle israelitische Religion der vorexilischen Zeit" zu subsumieren87 und damit von einer einheitlichen polytheistischen Religion Israels zu sprechen, ebenso wie Knauf die alten Israeliten ausnahmslos für Polytheisten hält88. Nachdem aber die angeblichen Hinweise auf polytheistische Elemente (etwa in IReg 12,28; Ps 82) keineswegs überzeugen, dürfen auch die von den Propheten kritisierten Phänomene nicht zu der polytheistischen Religion Israels vereinheitlicht werden, zumal bei Polemik immer auch mit Übertreibung zu rechnen ist. Jer 2,11 darf also kaum derart ausgewertet werden, daß man aus diesem Vorwurf, das Volk habe sich von Jahwe abgewandt, ausnahmslosen Polytheismus folgert. Differenzierungen werden dem Befund wohl eher entsprechen. Auch die "primary evidence" bietet kein einheitliches Bild, wie im folgenden zu zeigen sein wird. Die leidige89 Aschera-Frage soll an dieser Stelle allerdings nicht weiter vertieft werden. Denn sollte Aschera zeitweise wirklich 85 86 87

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Auch Handy, Appearance, 30, scheint die Relevanz der Belege einzuschränken. S. M. Weippert, Synkretismus, 1 lff. M. Weippert. Synkretismus, 10 (Hervorhebung von mir). Vgl. auch Lang, Bewegung, 53: Niehr, Rise, 51. S. Knauf, Herkunft, 156. Oft hat man den Eindruck, daß es sich bei der Interpretation der Befunde überwiegend um einen Bekenntnisakt handelt. Erfreuliche Ausnahmen (wenn auch sicher nicht ohne Vorverständnis) stellen etwa Keel-Uehlinger, Göttinnen, 237ff, dar, die umfassend den ikonographischen Horizont zu berücksichtigen versuchen, oder - wenn auch mit dem gegenteiligen Ergebnis - die Überlegungen H.-P. Müllers, Kolloquialsprache, 27ff., der sich begrüßenswerterweise auch die Mühe macht, auf starke Gegenargumente gegen eine Identifikation der "Aschera" als Göttin an der Seite Jahwes (Suffix an Personennamen: ugaritische Parallelen; Fortsetzung im Sg.: Segen als beschützendes Mitsein sei "von personaler Funktionalität" und und lasse sich nicht "auf zwei göttliche Aktanten verteilen" [32 Anm. 71]) einzugehen. Vgl. außerdem Frevel, Aschera, 20f.854ff.

4. Zur These einer polytheistischen Religion in Israel

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als Paredra Jahwes auch in der offiziellen Religion verehrt w o r d e n sein, wofür allerdings nur "secondary evidence" geltend gemacht w e r d e n kann 90 , müßte dies noch lange nicht für einen vorexilischen Polytheismus der israelitischen Religion sprechen; denn damit wäre lediglich bezeugt, daß Jahwe analog den Göttern der U m w e l t eine Paredra zugeordnet bekommen hätte, w a s m. E. noch nicht als Hinweis auf ein polytheistisches Pantheon oder die Verehrung einer Göttermehrheit gewertet werden dürfte. Für einen solche Paarrelation z w i s c h e n Jahwe und Aschera in der Volksreligiosität könnten immerhin direkte Quellen angeführt werden, nämlich die bekannten Inschriften aus Kuntillet 'Agrüd und Hirbet el-Köm 9 1 . Der Kultständer von Ta'anak dagegen dürfte mit Jahwe überhaupt nicht in Verbindung zu bringen sein: D i e Pferde des Sonnengottes in II R e g 2 3 , 1 1 werden sich zum einen w o h l a u f l e b e n d e Wagenpferde beziehen und zum anderen frühestens im 8 /7. Jh. unter assyrischem Einfluß in Jerusalem aufgekommen sein 92 . Und schließlich wird man die Aus-

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Dafür macht Hadley, Yahweh, 240.255, auf die Diskrepanz zwischen den dtr. Anklagen (so bezeichneten die Belege I Reg 15,13; 18,19; II Reg 21,3.7; 23,4.6f. klar eine Göttin; vgl. auch H.-P. Müller, Kolloquialsprache, 27f. Anm. 45) und dem "Ascheraschweigen" der vorexilischen Prophetie aufmerksam: daß nicht einmal der doch die Baal-Verehrung so vehement kritisierende Hosea gegen die AscheraVerehrung polemisiere, zeige die Legitimität der Aschera-Verehrung vor der dtr. Bewegung. Zum "Ascheraschweigen" s. die Problemanzeige von Frevel, Aschera, 514ff: "Letztlich ist [...] die Frage nach den Gründen für das 'Ascheraschweigen' bei den Propheten und ihren vorexilischen und exilischen Bearbeitern nicht zu beantworten" (517). Frevel, Aschera, 164-209, versucht die Ansicht, daß Aschera für einen begrenzten Zeitraum im Jerusalemer Tempel als Paredra Jahwes verehrt wurde, durch das vorexilische (wirklich?) Verbot Dtn 16,21 zu erhärten: "Möglicherweise spiegelt sich in Dtn 16,21 der Versuch, eine existierende Paarrelation zwischen YHWH und Aschera im offiziellen Kult zu unterbinden. Sollte das Verbot greifen, würde Aschera 'entmachtet"'(209). Da hier die Aschera aber eindeutig ein Kultsymbol, wenn auch ein neben dem JahweAltar aufgestelltes, darstellt, ist mir diese Interpretation nicht ganz einsichtig.

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H.-P. Müller, Kolloquialsprache, 16.18.42.49, hält die Inschriften für volksreligiöse Zeugnisse. Hinsichtlich der Grabinschrift von Hirbet el-Köm ist offensichtlich, daß hier die persönliche Frömmigkeit bzw. Familienreligion zum Ausdruck kommt (Segen Jahwes für einen Toten: so H.-P. Müller, Kolloquialsprache, 40ff; Frevel, Aschera, 19; anders Renz-Röllig, Handbuch I, 203f.). Kuntillet 'Agrüd wird wahrscheinlich eine Straßenstation bzw. Karawanserei dargestellt haben: s. Frevel, Aschera, 859ff., der ausfuhrlich gegen Thesen Stellung nimmt, welche die Anlage als Schule (so z. B. Lemaire, Ecoles, 25ff.) oder als ein religiöses Zentrum (so z. B. Meshel, Religious Centre, 52), Wallfahrtsstation oder Pilgerheiligtum, interpretieren. Bei den Inschriften dürfte es sich somit um persönliche Frömmigkeitsäußeningen Durchreisender verschiedener Herkunft handeln, die damit nicht als Zeugnisse für die offizielle Religion auszuwerten sind. So Keel-Uehlinger, Göttinnen, 181, die "das Pferd im Anschluß an die spätbronze- und früheisenzeitliche ikonographische Tradition [...] als Attributtier der 'Anat-'Astarte [...] verstehen".

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Kapitel I: Monotheismus - Polytheismus - Monolatrie. Einführung in die Arbeit

sparung im z w e i t e n R e g i s t e r am e h e s t e n als einen v o n Keruben b e w a c h t e n Z u g a n g z u m H e i l i g t u m aufzufassen haben 9 3 . Läßt m a n d e n Kultständer dann als Z e u g n i s der Aschera-Verehrung gelten 9 4 , s o dokumentiert er jedenfalls die Präsenz polytheistischer Kreise im frühen Israel 9 5 . Im N i m r u d - P r i s m a I V , 2 5 - 4 1 ist aus assyrischer P e r s p e k t i v e d a v o n die R e de, daß die Götterbilder der "Götter, auf die sie vertraut haben", "zur B e u t e gezählt", also deportiert wurden. Dabei könnte e s sich u m einen b l o ß e n T o p o s handeln, der aus d e r Position der Siegermacht heraus die N u t z l o s i g k e i t der nicht-assyrischen G ö t t e r verspotten soll. D e n n z u m e i n e n schreibt sich Sarg o n II. hier einen S i e g zu, der seinem V o r g ä n g e r Salmanassar V. zusteht 9 6 ; damit besteht die Intention des T e x t e s also w e n i g e r in e i n e m getreuen Bericht als in der Verherrlichung Sargons II. 97 . Z u m z w e i t e n sind Götterdeportationen auch in anderen T e x t e n belegt 9 8 . N a c h Spieckermanns U n t e r s u c h u n g e n dürfte e s aber tatsächlich in Verbindung mit Eroberungen der Assyrer zu realen G ö t t e r d e p o r t a t i o n e n g e k o m m e n sein, d a diese sich a u f R e l i e f s dargestellt find e n und sich gut z u r Rechtfertigungs-Ideologie der Assyrer, die B e s i e g t e n

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So Keel-Uehlinger, Göttinnen, 178, und Frevel, Aschera, 822, unter Aufnahme der Interpretation Hestrins, Stand, 75, aber ablehnend gegenüber deren weiterer Annahme, durch die Öffnung sei eine Götterfigur in das Innere des Kultständers gestellt worden. So Keel-Uehlinger, 178ff:: "Die Abfolge der vier Register von unten nach oben ließe sich dann im Sinne räumlich abgestufter, vom (partiellen, da gebändigten) Chaos bis zum geordneten Kosmos sich steigernder Sakralität verstehen: Weist die 'Herrin der Löwen' auf den Außenbereich der Wildnis (1), so eröffnen die Keruben den Zugang (2) zum heiligen Bezirk, in dem zunächst (3) die Aschera in ihrer Gestalt als segensspendendem Baum präsent ist. Das oberste Register schließlich stellt (4) den Schrein selbst mit dem innersten Bereich, der Cella, dar, wobei die geflügelte Sonnenscheibe zum Audruck bringt, daß in diesem Bereich irdischer Tempel und himmlische Sphäre ineinander übergehen." Wenn das Tier aber als Equide und somit als Attributtier für AnatAstarte zu verstehen ist, stellt sich die Frage nach der Stimmigkeit dieser Interpretation; kritisch s. auch Frevel, Aschera, 823ff.; doch vgl. den zweiten in Ta'anak gefundenen Kultständer und die Interpretation durch Keel-Uehlinger, Göttinnen, 175f. Selbst wenn das Objekt dem Hauskult zuzuordnen ist (so Keel-Uehlinger, Göttinnen, 174; Frevel, Aschera, 818f. samt Anm. 359). S. z. B. Spieckermann, Juda, 350; Timm, Dynastie, 155. Von einer bloßen literarischen Fiktion der "Götterdämmerung" gehen etwa TGI 3 , 60 Anm. 1; Cogan, Imperialism. 104, aus, und zwar aufgrund einer traditionellen Anschauung über die Religion Israels, die selbstverständlich monolatrisch bzw. monotheistisch gewesen sei. Gadd, Prisms, 181, versucht folgende Erklärung: Nach der Eroberung Samarias durch Salmanassar V. sei es zu Aufständen gekommen, die Sargon II. niedergeschlagen habe; die erwähnten Götterstatuen stammten von Leuten, die nach Salmanassars Eroberung sich in der Stadt niedergelassen hätten; vgl. auch Timm, Dynastie, 155. S. die von Spieckermann, Juda, 350ff., und Cogan, Imperialism, 119ff., dargebotenen Texte.

4. Zur These einer polytheistischen Religion in Israel

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seien durch deren eigene Götter verlassen worden, fügen". Daher liegt mit dem Nimrud-Prisma offensichtlich ein Beleg für die Annahme vor, daß man in Israel neben Jahwe andere Gottheiten verehrt hat. Ein genereller Polytheismus ist allerdings nicht aus diesem Befund zu erschließen, da, wie Becking herausgearbeitet hat, die Namengebung der Deportierten zeige, daß ein beträchtlicher Teil Jahwe verehrt haben dürfte100. So macht diese Notiz lediglich wahrscheinlich, daß manche Bevölkerungskreise sich nicht (allein?) an Jahwe gehalten, sondern auch anderen Göttern den Vorzug gegeben haben. Die Deir 'Alla-Inschriften stellen in der Tat mit der Nennung verschiedener Gottheiten, worunter Jahwe aber nicht begegnet, einen auffälligen Befünd dar. Nun scheint sich eine Datierung um die Jahrhundertwende 9/8. Jh. abzuzeichnen101, so daß die von Knauf angenommene Zugehörigkeit des mit Teil Deir 'Alla identifizierten biblischen Sukkot zu Israel in der ersten Hälfte des 8. Jh.102 für die Interpretation der Texte nicht mehr relevant ist.103 Die Einsicht, daß die Region seit den Eroberungen Hasaels um 840 (s. II Reg 10,32f.) politisch zum aramäischen Damaskus gehört haben dürfte104, und die von H.-P. Müller vorgenommene Beurteilung der Sprache als Dialekt, der einen Zustand vor der endgültigen Trennung des Aramäischen vom Kanaanäischen repräsentiere105, erfordert es vielmehr, auf die Deir 'Alla-Texte als Primärquellen für Israel betreffende religionsgeschichtliche Rekonstruktionen zu verzichten106. Der Knaufschen Annahme eines von Jahwe unterschiedenen Schöpfergottes im 7. Jh. widerspricht zunächst Inschrift B aus Hirbet Bet Lay, die Ende des 8. bzw. Anfang des 7. Jh. zu datieren ist107: In BLay(7):2 sind nämlich Jahwe und El klar miteinander identifiziert, wie der Parallelismus ]jn bn / IT zeigt108. Die Doxologie in BLay(7):l bezeugt außerdem die souveräne Stel-

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So Spieckermann, Juda, 347ff.; Becking, Fall, 31. So Becking, Fall, 62ff.92. S. Wenning-Zenger, Heiligtum, 186; Ibrahim-van der Kooij, Archaeology, 27f.; KeelUehlinger, Göttinnen, 234. Vgl. auch H. Weippert, Palästina, 626, und dazu II Reg 14,25.28; Am 6,13f. Auch seine Bezeichnung der dort begegnenden Sprache als "Sukkolh-lsraelitisch" (Knauf, Biblisch-Hebräisch, 17 [Hervorhebung von mir]) scheint daher fraglich. Wenning-Zenger, Heiligtum, 187, wenden zwar dagegen ein, daß die politische Zugehörigkeit zu Damaskus nicht viel besage, da das betreffende Stratum IX eher ein Kontinuum seit ca. 1000 bezeuge, und daher mit einer in die Zeit Davids bzw. Salomos zurückreichenden Entwicklung gerechnet werden müßte. Jedoch ist hierbei die Besonderheit des dem Aramäischen nahestehenden Dialekts nicht genügend beachtet. S. H.-P. Müller, Sprache, 2ff. Vgl. z. B. Keel-Uehlinger, Göttinnen, 237. S. Renz-Röllig, Handbuch I, 244. S. auch Keel-Uehlinger, Göttinnen, 356; Renz-Röllig, Handbuch I, 248. Knauf, Herkunft, 156 Anm. 15, behauptet zwar, daß als die Schöpfergottheit gar nicht El anzuse-

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Kapitel I: Monotheismus - Polytheismus - Monolatrie. Einführung in die Arbeit

lung Jahwes als F")KN b'D T6K. 109 Sodann ist zu beachten, daß lediglich y~lX]p[...] ohne Gottesname auf dem von Knauf zitierten Jerusalemer Ostrakon zu ersehen ist. Selbst wenn ursprünglich bx zu lesen war110, ist doch nicht ausgemacht, daß die Gottheit El mit der Erschaffung der Welt prädiziert war. Vielmehr dürfte dann der zuvor erwähnte jahwistische Personenname ( i n o a ) ein Verständnis von als Appellativ für Jahwe nahelegen111. Die Identifikation der in Elephantine belegten Göttertrias mit dem Pantheon des israelitischen Heiligtums Betel ist wohl auch etwas zu schnell erfolgt. Zwar zeigt AP 22,122-125 die Gleichsetzung von Anat-Jahu, die hier zwingend als Paredra Jahwes im Jahwe-Tempel zu erwarten wäre, mit der genannten Anat-Betel112. Fragt man jedoch nach weiteren epigraphischen Zeugnissen für die Gottheiten Betel oder Anat-Betel, gelangt man nach van der Toorn aufgrund von Hinweisen in dem Vertrag Asarhaddons mit Baal von Tyros (ca. 670)113 in den nord-syrischen Raum, woraus sich die Herkunft dieser Gottheiten aus dem ca. 30 km westlich von Aleppo gelegenen Betel ergebe114. Daß mit intensiven Kontakten zwischen Israeliten und Aramäern vor der Gründung Elephantines um 600 zu rechnen sein dürfte, zeigten Texte wie Jer 48,13, wo aufgrund der Parallelität mit Kemosch die Gottheit Betel bezeugt sei, Am 8,14, wo die Gottheit Aschim, die durch aramäischen Einfluß in Israel bekannt geworden (s. II Reg 17,30)115, genannt sei, und Papyrus Amherst 63,11-19, eine aramäische Version von Ps 20116. Diese Beobachtungen entsprächen der Notiz in II Reg 17,24, wonach die Assyrer nach der Eroberung des NordReiches Bevölkerungselemente aus Nord-Syrien in Israel angesiedelt hätten. Auf diese Weise hätten diese Aramäer mit dem Jahwe-Glauben Kontakt bekommen, weshalb sie dann auch Jahwe als Gott des Landes in ihr Pantheon integriert und Anat-Jahu als seine Paredra erfunden hätten117. Die in Elephan-

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hen sei, sondern Elqone. Dabei ist aber zu beachten, daß sonst die Erschaffung der Erde stets einen El-Aspekt darstellt; s. Gese, Religionen, 114f. Dieser Beleg wird nicht beachtet von W. Herrmann, Schöpfer, der dafür plädiert, daß erst während des babylonischen Zeitalters das Bewußtsein erwacht sei, daß Jahwe auch die Welt geschaffen habe (s. z. B. 180). KAI 26 A 111,18 mag für diese Lesart sprechen. Vgl. auch H. Weippert. Schöpfer, 16. Wenn aufgrund des Fundkontextes angenommen werden kann, daß der Vorratsklug, zu dem die Scherbe gehört hat, Gaben für den Tempel enthalten hat (so Avigad, Excavations, 196), dann hätte man sogar einen der offiziellen Religion zuzuordnenden Befund. S. M. Weippert, Synkretismus, 15; van der Toorn, Anat-Yahu, 94. S. TU AT I, 158f. (IV,6); SAA II, 5,IV,6. Vgl. auch U. Winter, Frau, 499f. S. auch Jeremias, ATD 24,2, 121. S. van der Toorn, Anat-Yahu, 90f. S. van der Toorn, Anat-Yahu, 87.92. Vgl. auch U. Winter, Frau, 506f.

4. Zur These einer polytheistischen Religion in Israel

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tine bezeugte Mehrzahl von Gottheiten und insbesondere Anat-Jahu spiegele damit keinen genuin israelitischen Kult wider, sondern eine Verbindung von ursprünglich aramäischen mit israelitischen Elementen durch in Israel angesiedelte nord-syrische Bevölkerungsteile, denen sich aber auch israelitische und judäische Kreise angeschlossen hätten118. Daher können nun auch die Elephantine-Befunde keinen generellen israelitischen Polytheismus belegen, da sie eben keine Rückschlüsse auf das Pantheon des israelitischen Staatsheiligtums Betel erlauben119. Sie zeigen jedoch eine gewisse Aufgeschlossenheit israelitischer Kreise fiir ein polytheistisches Referenzsystem.120 Tigay versucht mittels einer Untersuchung von ihm vorliegenden inschriftlich bezeugten Personennamen auf ihre theophoren Elemente hin121 zu zeigen, daß entgegen der Annahme einer polytheistischen vorexilischen Religion Israel in der gesamten Königszeit überwiegend Jahwe verehrt habe. Nach Tigay begegneten im masoretischen Text des Alten Testaments von der Patriarchenzeit bis zum Exil 466 Namen mit theophoren Elementen, von denen 413 (= 89%) mit Jahwe gebildet und nur 53 (= 11%) mit kanaanäischen Göttern konstruiert seien122. Der Inschriftenbefund in epigraphischen Zeugnissen123 ergebe ein ähnliches Bild: Von insgesamt 592 124 seien 557 Namen (= 94,1%) mit Jahwe gebildet, 35 (= 5,9%) mit anderen Gottheiten125. Ein Vergleich mit unzweifelhaft polytheistischen Gesellschaften lasse die überzeugende Aussagekraft der Statistik erst richtig erkennen: Dort begegneten die Hauptgottheiten nämlich 118 119

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S. van der Toorn, Anat-Yahu. 96f. Muß man sich jetzt wirklich die Beschimpfung durch Knauf, Notiz, 240 ("geistlosester Positivismus"), gefallen lassen, der an anderer Stelle (History, 29.31) den hypothetischen Charakter und das selbstkritische Arbeiten historischer Wissenschaft betont, was einen ja zu vorsichtigeren Urteilen nötigen würde? Anders versucht Stoebe, Überlegungen, 624ff., die Befunde als "Synkretismus" (oder eher: "Proselytentum") zu erklären: DBS bezeichne keine Gottheit, sondern sei als Hypostase von Dtp ("Name") anzusehen, kennzeichne also die göttliche Präsenz in der kultischen Anrufung; nJB bedeute allgemeines Prinzip der Göttlichkeit; sei als Personifikation des Tempels zu begreifen, d. h. als Personifikation des Wohnsitzes eines Gottes, der dann der jeweils in dem Gebiet verehrte Gott sein könne. Vgl. auch Fowler, Names, passim; de Moor, Rise, 13ff. Bei diesem Unterfangen ist vorausgesetzt, daß die Namen (anders als bei der heutigen Praxis) bewußt gegeben worden, deren Aussagen verständlich gewesen, und daher auch hinsichtlich der Verehrung von bestimmten Gottheiten in verschiedenen Gruppen und zu verschiedenen Zeiten aussagekräftig seien (Tigay, Gods, 5). El-haltige Namen sind hier ausgeschlossen, da ambivalent. S. die Tabelle bei Tigay, Gods, 7. De Moor, Rise, 32f., macht darauf aufmerksam, daß vor David El die Mehrzahl der theophoren Elemente ausmache. Die von Tigay herangezogenen Namensbelege stammen zu 90% aus dem Süd-Reich Juda, und zwar aus dem Zeitraum vom 8. Jh. bis 587; s. Tigay, Gods, 9 samt Anm. 15f. El-haltige Namen sind wieder ausgeschlossen; s. Tigay, Gods, 12. S. Tigay, Gods, 15; Göttinnen fehlten übrigens gänzlich!

24

Kapitel I: Monotheismus - Polytheismus - Monolatrie. Einführung in die Arbeit

nur in e t w a 2 0 % der N a m e n und überträfen die anderen Gottheiten nicht in d e m M a ß w i e in Israel 126 . Der hohe Prozentsatz der Jahwe-haltigen N a m e n lasse

nun

darauf

schließen,

daß

sich

das

vorexilische

Israel

als

"overwhelmingly Yahwistic society" 127 verstanden habe. Denn trotz der in Rechnung zu stellenden Zufälligkeit historischer Arbeit spreche doch der Vergleich mit polytheistischen Kulturen und die eindeutige Tendenz der Prozentsätze, zumal im intimen, familiären und persönlichen Bereich der Namengebung, dafür, daß sich die Israeliten in vorexilischer Zeit nahezu vollständig an Jahwe gehalten hätten 128 . Aufgrund der Beobachtung, daß die Inschriften und der biblische Befund für den Zeitraum vom 8. Jh. bis 587 ein ähnliches Ergebnis lieferten, sei nun zu schließen, daß auch das monolatrische Bild der Bibel von früheren Zeiten einigermaßen realistisch sei129. Somit ergebe sich, daß nur eine Minderheit von ca. 5-10% dem Polytheismus zugeneigt gewesen sei, diese aber genügt habe, die Aufmerksamkeit und Kritik sensibilisierter Leute wie Propheten und dann Geschichtsschreibern auf sich zu ziehen. Die pauschalen und übertreibenden biblischen Anklagen "are based more on theological axioms [dem Prinzip der kollektiven Verantwortung: s. Ex 32; Num 25; Jos 7; M. B.] than historical data"130. S o müsse das Ergebnis lauten: "After the United Monarchy, and perhaps even earlier, the evidence currently available makes it very difficult t o suppose that many Israelites worshipped g o d s other than YHWH" 1 3 1 . Jedoch kann auch das der Polytheismus-These entgegengesetzte Bild der Tigayschen Untersuchung nicht völlig überzeugen: Zunächst ist ihm vorzuwerfen, daß er unzulässiger Weise den Inschriften-Befund, der sich aus dem Zeitraum v o m späten 8. Jh. bis 587 und der Lokalisation überwiegend in Juda ergibt, auf frühere Zeiten überträgt und dabei auf das Nordreich Israel ausdehnt 1 3 2 . Seine Begründung, die Vorwürfe der dtr. geprägten Literatur seien, w i e die Eigennamen zeigten, bezüglich d e s späten Zeitraums nicht korrekt und könnten daher auch für frühere Zeiten nicht als zutreffend angesehen werden, ist jedenfalls nicht durch "external controls", worauf es ihm ja ankommt, belegt. Allerdings m a g das Israel und Juda miteinander verbindende Einheitsbe126 127 128 129

130 131 132

S. Tigay, Gods, 18. Tigay, Gods, 36. S. Tigay, Gods, 17ff.37f. Zumal die polytheistischen Anklagen, die frühere Zeiträume beträfen, von der gleichen Art von Literatur stammten, die sich auch für die Zeit vom 8. Jh. bis 587 in ihrem Urteil als nicht zutreffend erwiesen habe; s. Tigay, Gods, 19.41. Da die aufgrund der biblischen Anklagen mögliche Erwartung, eine hohe Anzahl paganer theophorer Elemente zu finden, nicht eingetroffen sei und die Inschriften überwiegend aus dem Oberschichten-Milieu herkämen, sei zu fragen, ob die Unterschicht möglicherweise stark polytheistisch bestimmt gewesen sei. Aber auch dies Vermutung treffe nicht zu, da die Assimilation von ausländischen Kulturen gerade für die Oberschicht typisch sei und viele biblische Anklagen sich auf den Hof bezögen; s. Tigay, Gods, 18f. Tigay, Gods, 40. Tigay, Gods, 41. S. etwa Davies, Rezensionsartikel, 145; Knauf, Notiz, 239.

4. Zur These einer polytheistischen Religion in Israel

25

wußtsein einen legitimen Weg darstellen, den überwiegend aus judäischen Zeugnissen gewonnenen Eigennamen-Befund bzw. dessen Tendenz dennoch in das (frühere) Nord-Reich Israel zu übertragen. Daß ein solches Einheitsbewußtsein nicht durch die Amphiktyonie-Hypothese bzw. das 12-StämmeSystem zu begründen ist, liegt auf der Hand133. Aber daß es ein solches gegeben hat, ist deshalb wahrscheinlich, da etwa der Süd-Reich-Bewohner Arnos in der Mitte des 8. Jh. im Nord-Reich als Prophet auftreten kann, einige Prophetensprüche aus Juda sich auf das Geschick Israels beziehen (s. z. B. Hos 4,15 [judäische Redaktion?134]; 5,10.12-14; 6,4; Jes 8,14; 9,7ff; 28,1 ff; Mi 1,2-7) und zahlreiche Israeliten nach dem Untergang des Nord-Reiches 722 gerade in das Süd-Reich Juda emigriert sind135. Aufgrund dieser Beobachtungen dürfte hinsichtlich der Jahwe-Verehrung mit einer weitgehenden Verbreitung auch in Israel zu rechnen sein: Z. B. zeigt die Selbstverständlichkeit, mit der Mescha (um 850) von der Zuständigkeit Jahwes in bezug auf eine israelitische Stadt spricht (Nebo, die einzunehmen ihm Kemosch befohlen hat), klar die Bedeutung Jahwes136. Damit soll jedoch nicht geleugnet werden, daß es zwischen Nord- und Süd-Reich sicher Differenzen gegeben haben wird137 und bei der Übertragung des bezüglich Juda dokumentierten EigennamenBefundes auf Israel Einschränkungen zu machen sind138. Auch die Tigayschen Prozentberechnungen sind nicht unproblematisch: Die Personennamen, die das theophore Element "El" enthalten (Appendix D), dürfen m. E. nicht einfach beiseite gelassen werden; vielmehr sind auch diese Belege in die Berechnungen miteinzubeziehen, wobei sie nach statistischen Überlegungen zur Hälfte als Appelativ für Jahwe und zur anderen Hälfte als theophores Element für den Gott El anzusehen wären139; dadurch verschieben sich nämlich, wenn auch geringfügig, die Verhältnisse. Weiter ist zu beachten, daß die Namen, die Tigay nicht berücksichtigt hat (Appendix C), durchaus von anderen Forschern als Belege für theophore Elemente, die auf andere Gotthei-

133 134 135 136

137 138

139

S. z. B. Fohrer, Testament, passim; Levin, System, passim; Schorn Rüben, 99AF.283. So Jeremias, ATD 24,1, 71. S. dazu H. Weippert, Palästina, 589. S. KAI 181,18 u. vgl. de Moor, Rise, 11; van der Toorn, Saul, 531f. Sollte nun eingewandt werden, daß sich die Erwähnung Jahwes durch Mescha nur auf die offizielle Nationalreligion beziehe, wäre dem zu entgegnen, daß diese nicht derart von anderen Religionsschichten getrennt werden darf, daß man zu der Annahme gelangt, in diesen Schichten seien andere Götter verehrt worden (s. unten Seite 180 Anm. 86). Vgl. z. B. den Versuch von Mettinger, Essence, 395ff.400. Vgl. dazu Knauf, Notiz, 239, gegenüber dessen schneller Pauschalierung ich aber Vorbehalte habe. Vgl. Engelken, Ba'alsamem, 239; ihr Vorschlag nimmt eine Mittelposition zwischen den beiden Extrempositionen ein, El entweder klar als von Jahwe unterschiedene Gottheit (so Knauf, Notiz, 240) oder allein als Appellativ (so Niehr, Gott, 4 Anm. 13) aufzufassen.

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Kapitel I: Monotheismus - Polytheismus - Monolatrie. Einfuhrung in die Arbeit

ten verweisen, angesehen werden140. Nimmt man versuchsweise auch alle diese - auch wenn sie zum Teil mit Recht von Tigay ausgeschlossen worden sein mögen - in die Berechnungen auf, ergibt sich, daß von jetzt insgesamt 755 Namen 595,5 (= 78,9%) mit Jahwe und 159,5 (= 21,1%) mit anderen Gottheiten gebildet sind' 41 . Diese Rechenspiele sollen jetzt nicht das "richtige" Ergebnis liefern, sie sollen lediglich verdeutlichen, daß es sich mit dem Befund keineswegs so eindeutig verhält, wie man nach der Lektüre der Tigayschen Studie meinen könnte. Außerdem wären noch ästhetische Überlegungen (bloßes Gefallen an einem Namen) und Modetrends (das Umfeld trägt jahwistische N a m e n ) zu bedenken 1 4 2 , w o d u r c h die Tigayschen Prozentsätze w o h l ebenfalls zu modifizieren wären. Dennoch bleibt als ein wichtiges Ergebnis die Eindeutigkeit der Tendenz festzuhalten. Knauf hat dagegen zwar eingewandt, daß "ein strukturell völlig gleichartiger B e f u n d [...] in der Namengebung v o n Judas Nachbarn v o r l i e g e ] , soweit sie epigraphisch dokumentiert ist: w a s Jahwe/El in Juda ist, ist Milkom/El in Amraon, K a m o s in Moab, Qaus in Edom" 1 4 3 . D a g e g e n ist aber erstens zu sagen, daß v o n dort für eine solche A u s s a g e eben gerade nicht genügend Material bereitsteht 1 4 4 , zweitens K o s zwischen dem 8. und 6. Jh. ohnehin nur vereinzelt zu b e g e g n e n scheint 145 , Milkom in 71 N a m e n lediglich fünfmal erwähnt wird ( = 7% 1 4 6 ; mit den zweiundvierzig El-Befunden verrechnet w i e oben ergeben sich 3 6 , 6 % ) und auch Kemosch z u selten belegt ist 147 . Daher dürften die v o n Tigay genannten Beispiele unzweifelhaft polytheistischer Ge-

140 141

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Vgl. auch Davies, Rezensionsartikel, 145. Nimmt man alle Belege (Appendices A-D) aus Samaria wie eben beschrieben zusammen, ergeben sich 51,4% (18) jahwistische und 48,6% (17) mit anderen Gottheiten gebildete Namen. Die Tendenz ist signifikant, wenn auch die Anzahl der Namen für weitergehende Folgerungen zu klein ist. Dazu s. bereits Noth, Personennamen, 56ff. Er hält allerdings die Wahl eines Namens nach seinem Inhalt für die wesentliche und auch schon früh anzunehmende Motivaüon. Dagegen seien die Benennung des Kindes nach seinenVorfahren (Paponymie) oder nach bedeutenden Persönlicheiten der israelitischen Geschichte erst spät nachzuweisen. Knauf, Notiz, 238. Zu Unrecht spricht Knauf in diesem Zusammenhang anschließend sofort von Monotheismus, was freilich durch die problematische Bestimmung durch Tigay, Gods, 38, angeregt ist. Es geht aber um Monolatrie! S. Hübner, Ammoniter, 253 Anm. 22, 269. S. Bartlett, Edom, 200f.204ff. S. Hübner, Ammoniter, 252f. Die von Timm, Moab, 162ff., untersuchten beschrifteten Siegel (insgesamt 47, von denen er aber lediglich 26 mit hinreichender Wahrscheinlichkeit dem moabitischen Kulturraum zuordnen kann) enthalten das theophore Element für Kemosch nur siebenmal; einmal begegnet El (Nr. 10), einmal Baal (Nr. 12) und einmal das Appellativ Malak (Nr. 17); dreimal wird der in götüicher Funktion auftretende Bruder erwähnt (Nr. 8.9.14). Es vertreiben dann etwa 15 (abhängig von der Einzelinterpretation der Art der Beschriftung) Namen, die überhaupt kein theophores Element enthalten.

4. Zur These einer polytheistischen Religion in Israel

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sellschaften aus der Mitte des 2. Jt., die den jeweiligen Hauptgott in der Namengebung nur zu etwa 20% dokumentieren, zunächst einmal zu Recht angeführt sein - zumindest zum Zweck des Vergleichs, da ja im 1. Jt. mit einer Reduzierung der Panthea und dem Auftreten von Nationalgöttern zu rechnen ist148. Somit kann die Kritik von Knauf, Jahwe habe als Staatsgott lediglich an der Spitze des Pantheons gestanden 149 , nicht überzeugen. Vielmehr ist mit einer breiten Streuung des Jahwe-Glaubens zu rechnen, und zwar eines monolatrisch orientierten Jahwe-Glaubens, da man sich gerade auch im Bereich des Persönlichen am Nationalgott Jahwe orientiert hat. Allerdings wird man auch nicht so weit wie Tigay gehen und von einer nahezu homogen jahwistischen Gesellschaft sprechen dürfen: Zu massiv sind die biblischen Anklagen, als daß man sie nur durch eine verschwindende Minderheit provoziert ansehen könnte150. Hinsichtlich der Analyse ikonographischer Zeugnisse steht für KeelUehlinger "außer Zweifel, daß auch in Israel und Juda mit der Existenz anderer Gottheiten als Jahwe, mit ihrer Wirkmächtigkeit und der von Dämonen, Mischwesen, Mächten und Gewalten neben Jahwe gerechnet wurde." Aber "Ikonographie, Epigraphik und biblische Texte weisen in dieselbe Richtung: Diese Mächte und Gewalten, Aschera, Bes-Gestalten, saddäyim, Keruben, Uräen usw. galten nicht als Jahwe gleichrangige Größen, sondern als ihm unterstellte, seinen Schutz und Segen vermittelnde Instanzen." 151 Den ikonographischen Horizont für diese Aussage bildet die in der Eisenzeit II zu beobachtende Tendenz, daß anthropomorphe Darstellungen von Gottheiten zunehmend zurücktreten 152 und statt dessen vermittelnde Wirkgrößen aufkommen153. So hätten diese, da die entsprechenden Gottheiten in die himmlische Sphäre ausgelagert worden seien, dann Jahwe unterstellt werden können. Bei ihrer Interpretation der ikonographischen Zeugnisse setzen Keel-Uehlinger jedoch den Rahmen voraus, den die Tigaysche Studie geliefert hat154, so daß hier sicher Modifikationen angebracht sind. Die Befünde, die im Rahmen der von Keel-Uehlinger gezeichneten Gesamttendenz eher Ausnahmen darstellen, müssen dann wohl größeres Gewicht erhalten, nämlich etwa die Darstellungen der "Herrin der Tiere" in der Glyptik der Eisenzeit II A155, der Kultständer aus 148 149 150 151 152

153 154 155

Dazu s. oben Seite 11 samt Anm. 46. So Knauf, Notiz, 240. So mit Recht Albertz, Monotheismus, 86. Keel-Uehlinger, Göttinnen, 320 (Druckfehler im Original ["Mächte"] verbessert) So Keel-Uehlinger, Göttinnen, 152, aber mit Einschränkungen: s. dies., Göttinnen, 1581T., und Uehlinger, Kultstatue, 88 Anm. 16. So Keel-Uehlinger, Göttinnen, 166ff. So Keel-Uhlinger, Göttinnen, 6. Dazu s. Keel-Uehlinger, Göttinnen, 159f.

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Kapitel I: Monotheismus - Polytheismus - Monolatrie. Einführung in die Aibeit

Ta'annak im 10. Jh.156, die Baal-Abbildungen im 8. Jh." 7 oder die Pfeilerfigurinen aus Terrakotta in der Eisenzeit II C, die wieder anthropomorph Göttinnen darstellen158. Diese scheinen in der Tat auch für polytheistisch denkende Kreise in Israel zu sprechen.

4.3. Ergebnis Insgesamt können also biblische und außerbiblische Befunde weder einen generellen Polytheismus, gegenüber dem eine "Jahwe-allein-Bewegung" nur als absonderliche Minderheit anzusehen wäre, noch eine homogen jahwistische Gesellschaft, in der polytheistisches Denken die absolute Ausnahme darstellen würde, wahrscheinlich machen. Es besteht die Gefahr, die einen wie die anderen Hinweise jeweils zu vereinheitlichen bzw. zu generalisieren, so daß entweder von einer "nahezu rein jahwistisch orientierten Gesellschaft" oder von "der polytheistischen Religion" Israels gesprochen wird. In ersterem Fall müssen etwa die prophetischen Anklagen, die Aussagen des Nimrud-Prisma oder die eigenartigen Gottheiten in Elephantine genauso gezwungen erklärt werden wie im anderen Fall z. B. der Personennamen-Befund überspielt wird oder vermeintliche Hinweise auf polytheistische Religionsformen überinterpretiert werden, ohne daß man genauer nach deren Aussageintention oder Tragweite fragt. Daher halte ich es für weiterführend, innerhalb "der" vorexitischen Religion Israels zu differenzieren159, um nicht die begrenzte Reichweite und Tragfähigkeit einzelner Befunde durch Pauschalierungen zu überspielen: Einerseits dürfte es polytheistisch orientierte Kreise gegeben haben, die eine Verehrung alternativ anderer oder zusätzlich weiterer Gottheiten neben Jahwe praktiziert haben. Geht man von einer "kanaanäischen Matrix"160 - nicht ein ursprünglich reiner und fertiger Jahwe-Glaube sei in das Land gekommen und dann durch kanaanäische Elemente gefährdet und überfremdet worden, son156 157 158 159

160

Dazu s. Keel-Uehlinger, Göttinnen, 176ff., und außerdem bereits oben Seite 14. Dazu s. Keel-Uehlinger, Göttinnen, 220ff. Vgl. auch unten Seite 215.243.268. Dazu s. Keel-Uehlinger, Göttinnen, 370ff. Vgl. auch Lohfink, Geschichte, 22, und Koch, Sprache, 34ff.37.43, der das Bewußtsein dafür schärft, daß die zur Verfugung stehenden sprachlichen Ausdrücksmöglichkeiten einerseits und die Entwicklung von Gotteskonzepten andererseits miteinander zusammenhängen. S. dazu Coogan, Origins, 115f.; Niehr, Gott, 184; Smith, History, 155f; Finkelstein, Archaeology, 336ff.; Gnusc, Gods, 124ff.l80.191ff. Es wäre reizvoll, die Überlegungen zur Differenzierung in "der" israelitischen Religion mit einem Blick auf die Anfänge Israels weiter zu vertiefen; jedoch kann dies im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden.

4. Zur These einer polytheistischen Religion in Israel

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dem die im Land vorhandene "kanaanäische" Religion habe den Rahmen und Boden für die Ausbreitung und Entwicklung der Jahwe-Religion bereitgestellt - aus, spricht nun einmal alles für eine primär polytheistische Orientierung in Israel. Andererseits aber wird man sich in jahwistisch ausgerichteten Gruppen wohl weitgehend an Jahwe allein gehalten haben. Freilich dürfte dieser JahweGlaube nicht die Gestalt gehabt haben, die der theologisch reflektierten Anschauung der Schriftpropheten, der dtn/dtr.Kreise oder P entspricht; auch innerhalb des Jahwe-Glaubens wird zu differenzieren sein: "[...] Yahwistic worship among the populace in ancient Israel was somewhat broader than prophetic and Deuteronomistic writings would lead us to believe.1,161 Weiter ist mit lokal unterschiedlichen Ausprägungen des Jahwe-Glaubens zu rechnen ("Polyjahwismus"162). Außerdem ist nicht auszuschließen, daß im volksreligiösen Kontext sich polytheistische Vorstellungen mit dem Jahwe-Glauben verbunden haben. Aber wie Lang, Weippert oder Knauf ein generelles polytheistisches Referenzsystem anzunehmen, muß als unwahrscheinlich angesehen werden. Eine - abgesehen von einer durch die Jahwe-allein-Bewegung beeinflußte Minderheit - rein polytheistische Religion ist m. E. für das vorexilische Israel nicht zwingend nachzuweisen.

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162

Ackermann, Tree, 66. Vgl. außerdem die Überlegungen zur Volksreligiosität in Kap. III, Abschn. 1.2.3. Dazu s. z. B. McCarter, Aspects, 139ff.; Mettinger, Essence, 395ff.407ff.; Albertz, Religiongeschichte, 128.

Kapitel II: Literargeschichte der Elia-Überlieferung

1. Vorüberlegungen 1.1. Standortbestimmung innerhalb der Elia-Forschung Die gegenwärtigen Forschungen an der Elia-Überlieferung bzw. am Propheten Elia sind vor allem bestimmt durch die in den letzten Jahrzehnten erschienenen Entwürfe von Steck (1968), Hentschel (1977), Würthwein (1984 u. ö.) und Thiel (1989, 1995 u. ö ) ; einzugehen ist außerdem auf die kürzlich erschienenen Arbeiten von White (1997) und Crüsemann (1997). Auf eine Vorstellung und Würdigung anderer einzelner Titel oder eher zusammenfassender Lexikonartikel wird an dieser Stelle verzichtet 1 . Hier geht es lediglich um eine Standortbestimmung; eine ausfuhrliche Forschungsgeschichte wird nicht angestrebt 2 . Stecks überlieferungsgeschichtlich ansetzende Analyse der Elia-Überlieferung zielt auf die Klärung der Frage, ob "im Interesse am Zeitgeschehen ein treibendes Motiv für die Weiterbildung der Elia-Überlieferung zu fassen ist"3. Das Wirken des Propheten Elia selbst in seiner Beziehung auf zeitgeschichtliche Ereignisse, nämlich die Religionspolitik Ahabs, die Dürre, die religiösen Besitzverhältnisse auf dem Karmel, die Untat Ahabs an Nabot und die Anfrage Ahasjas an Baal, wird nur am Rande gestreift. Im Mittelpunkt des Interesses steht die Erhellung zeitgeschichtlicher Einflüsse auf die Aus- und Weitelbildung der EliaÜberlieferung, wobei es nach Steck dem Erzähler darauf ankomme, mit Hilfe des von Elia Überkommenen die Frage zu stellen, "wie diese Ereignisse denn von Jahwe her zu verstehen, zu beurteilen sind"4. Dabei arbeitet Steck (abgesehen von späteren Nachträgen und

2

3 4

Die genannten Arbeiten, ältere und weitere diverse Titel sowie zusammenfassende Lexikonartikel sind im Literaturverzeichnis leicht aufzufinden. Hervorzuheben wären vor allem noch die Veröffentlichungen Smends. Nicht besprochen wird in diesem Zusammenhang (s. aber knapp unten in Anm. 527 [Seite 135]) der weitgehend spekulative Entwurf von Masson (1992), der in der Forschung m. E. schwerlich Aufnahme finden wird. Vgl. hierzu Griinwaldt, Elia, passim, der aber nur knapp das Proprium (ebenfalls ausgewählter) Positionen zu umreißen sucht (daher auch: "eine kleine Forschungsgeschichte"; Hervorhebung von mir), dabei die Frage nach dem historischen Elia betont und besonders auf die Zusammenhänge zwischen angewandter Methode und Ergebnis (17.25f.) hinweist. Steck, Überlieferung, 3. Steck, Überlieferung, 137 (im Original kursiv).

1. Vorüberlegungen

31

Zusätzen) drei Phasen der Überlieferungsbildung - zu unterscheiden nach dem jeweiligen Gegenspieler Elias - heraus: Am Anfang stünden Einzelerzählungen (vgl. die aufgenommenen formgeschichtlich orientierten Arbeiten von Gunkel und Greßmann): die Dürre-Erzählung (I Reg 17,1-6; 18,l-2a.[2b-3a.5-12.14-16] 17-18a ... *41-46), die Karmelgeschichte (18,...*21-39), die Begegnung zwischen Elia und Ahab nach dessen Untat an Nabot (21,17-20*), die Ahasjageschichte (II Reg 1,2-8.*17) und die Szene von Elia unter dem Ginster (19,3aß-6). Diese hätten ihre erste Fassung noch unter Ahab und zu Lebzeiten Elias erhalten. Als einziger Gegenspieler Elias begegne in ihnen nämlich König Ahab. "Aber auch die ersten Ansätze zu ihrer [der Einzelerzählungen; M. B.] Komposition wie die Verbindung von Dürre- und Karmelerzählung [... fielen] noch in die Zeit der Omriden [...], da der so entstandene neue Erzählzusammenhang mit seinem massiven Anti-Baal-Akzent am besten auf dem Hintergrund prokanaanäischer Religionspolitik verständlich" werde5. Die erste Weitergestaltung der Überlieferung sei während der Anfangszeit des Königtums Jehus erfolgt und habe die vereinigte Dürre-Karmel-Erzählung und die NabotÜberlieferung betroffen. Als prägende Zeitereignisse stünden das rigorose Vorgehen gegen die prophetischen Stützen (I Reg 18,13.19; Einfügung der Ginsterszene) und Ordnungen des Jahwe-Glaubens (21,1-16) durch die Königinmutter Isebel sowie das Ende Isebels (21,23), der Omri-Dynastie (21,27-29) und des Baal-Kultes (18,18f.40) bei der JehuRevolution im Hintergrund. Dementsprechend begegne in der Überlieferung hier Isebel als Gegenspielerin Elias.6 Die zweite Weitergestaltung betreffe die Horebszene, die wegen der gemeinsamen Jahwe-Baal-Thematik an den Zusammenhang der Kap. I Reg 17-18 angeschlossen worden sei. Diese solle auf die in den Aramäerkriegen Hasaels empfundene Bedrohung der Existenz des gesamten "Volkes, das weitgehend dem synkretistischen Religionswesen verhaftet blieb", eine Antwort versuchen. Als Gegenspieler Elias in I Reg 19,7-18* erscheine nicht mehr das Königshaus, sondern das ganze Volk.7 Da die Horebszene nun zum letzten Mal das Interesse der Überlieferungsträger am Zeitgeschehen belege, sei eine Frühdatierung des Abschlusses der Elia-Überlieferung am Ende des 9. Jh. wahrscheinlich. Man wird sich den Analysen Stecks allerdings nicht unmittelbar anschließen können. Denn erstens dürfte schon die Rekonstruktion der Zeitereignisse, wie sie Steck vorgenommen hat (z. B. Verfolgung von Jahwe-Propheten, Angaben in I Reg 19,17, Rolle des Karmel), problematisch sein8. Zweitens stimmt die Annahme der Überlieferungsbildung und Weiterformung in so kurzer Zeit skeptisch9. Drittens hat sich inzwischen die redaktionsgeschichtliche Forschung stärker etabliert, die darauf aufmerksam gemacht hat, daß die Interessen der Redaktoren und Tradenten der Textkomplexe, in denen gegenwärtig die Überlieferungszusammenhänge begegnen (hier also das DtrG), in besonderer Weise für die Gestalt der Überlieferung verantwortlich sind. Daher ist fraglich (s. Würthwein), ob der massive Einsatz Elias für den Alleinverehrungsanspruch Jahwes, da genauso Anliegen des DtrG, bereits auf die frühe Überlieferung zurückgeht. Ebenfalls gerät damit die Annahme, Elia sei Vorläufer der Schriftpropheten - als Prophet erscheint er in der Darstellung des DtrG - , in Zweifel. Steck hatte programmatisch zu Beginn seiner Monographie einem Zitat von H. W. Wolff ("Wer im Versuch, Prophetie zu verstehen, von der Zeitgeschichte absehen wollte, 5 6 7 8

9

Steck, Überlieferung, 132. S. Steck, Überlieferung, 133. Steck, Überlieferung, 133f. Dazu s. etwa H.-C. Schmitt, Elisa, 125; Oeming, Naboth, 370f.; Würthwein, Opferprobe, 132ff. Vgl. bereits H.-C. Schmitt, Elisa, 125f.

32

Kapitel II: Literargeschichte der Elia-Überlieferung

könnte nur mißverstehen."10) wie selbstverständlich hinzugefugt: "Das gilt gewiß auch schon für Elia, der ein Jahrhundert vor Hosea im Nordreich gewirkt hat, und die älteste Überlieferung von ihm"11. Der Verdacht liegt nahe, daß das Interesse daran, eine Widerspiegelung von Zeitereignissen in einer Prophetenüberlieferung bereits vor Arnos und Hosea greifen zu können, zu dieser frühen Datierung noch im 9. Jh. geführt hat. Hentschel kritisiert an Steck, er habe die Anfänge der Traditionsbildung zu wenig bedacht. An ihnen könne am ehesten nachgeprüft werden, "ob die Elijaerzählungen wirklich nur Ereignisse beurteilen, verstehen oder deuten wollen oder ob sie auch Geschehenes mitzuteilen beabsichtigen"12. Hentschel möchte sich daher einerseits auf der Ebene des historischen Geschehens bewegen, sich andererseits aber auch mit scheinbar für die Historie weniger ergiebigen Szenen wie I Reg 17,2-6.7-16.17-24; 19,4-8 und II Reg 1,9-16 beschäftigen, um dem Anspruch der Überlieferung, mit einem Bekenntnis vom Handeln Jahwes konfrontieren zu wollen, gerecht zu werden13. Diesem Anspruch versucht er mit einem umfassenderen Geschichtsbegriff Genüge zu tun, nach dem "die Erzähler und Tradenten in ihrer Gesamtheit die geschichtliche Wirklichkeit nicht auf das historisch faßbare Geschehen einschränken, sondern auch die existentiellen Erfahrungen miteinbeziehen"14. So gesehen habe die Erfahrung der Tradenten, daß in Elia ein "Träger neuen Lebens" begegne (17,21aa.bß.22b) oder "daß sich ein so dem Synkretismus ergebenes Volk nicht von selbst ändert" (18,21-40), eben auch eine geschichtliche Grundlage15. Bei seinen Analysen erscheint Hentschel von einem m. E. bedenklichen methodischen Optimismus getragen: "Die immer gleich bleibende Form der Erzählung könnte zu der resignierenden Feststellung verleiten, daß wir heute nicht mehr ermitteln können, ob und in welchem Maße hinter den Elijaerzählungen historische Fakten, erfahrbares Geschehen oder überlieferte Erfahrungen stehen. Zu solch skeptischer Zurückhaltung bestünde aber nur Anlaß, wenn wir allein auf Untersuchungen an der gegenwärtigen Gestalt der Elijaerzählungen angewiesen wären. Das ist jedoch nicht der Fall. Ausgehend von der literarkritischen Suche nach den kleinen Einheiten können wir hoffentlich über form-, gattungs- und traditionskritische Beobachtungen den Werdegang der Erzählungen bis an die ersten Anfänge zurückverfolgen."16 Diese ersten Anfänge repräsentiere die früheste Gestalt der Dürre-Einheit, die "Ahab und Elia miteinander auf gutem Fuße" stehend darstelle (18,19a.20*.21-46). Die Entscheidung auf dem Karmel sei ebenfalls in dieser harmonischen Zeit erfolgt, da hier ja nicht die Politik des Königshauses kritisiert, sondern die Auseinandersetzung Elias mit einem synkretistisch gewordenen Volk (älteste Teile: 18,21.30.40) und dessen Bekehrung berichtet werde.17 Der abgrundtiefe Gegensatz zwischen Ahab und Elia begegne erst in "jüngeren" Überlieferungsschichten. Über die Hintergründe dieses Gegensatzes werde man zwar im Unklaren gelassen, jedoch dürfte der Konflikt durch die Nabot-Afiäre und den bei Ahasja ersichtlichen Bruch des ersten Gebots als Folge der Politik Ahabs bedingt sein, obwohl dieser ein Interesse daran gehabt habe, den Jahwe-Fürchtigen keinen Anstoß zu geben (s.

10 11 12 13 14 15 16 17

Wolff, BK.AT XIV/1, XI. Steck, Überlieferung, 1. Hentschel, Elijaerzählungen, 5. So Hentschel, Elijaerzählungen, 5f. Hentschel, Elijaerzählungen, 341. Hentschel, Elijaerzählungen, 347. Hentschel, Elijaerzählungen, 7. So Hentschel, Elijaerzählungen, 275ff.

1. Vorüberlegungen

33

die jahwehaltigen Namen seiner Söhne oder II Reg 10,18). Mit einem stärkeren Einfluß Isebels sei erst nach dem Tod Ahabs zu rechnen.18 Auch Hentschels Entwurf kann nicht überzeugen, und zwar vor allem aufgrund seiner Handhabung der exegetischen Methodik. Denn zum einen lehren die Methodenbücher den vorsichtigen und zurückhaltenden Gebrauch der klassischen literarkritischen Kriterien Wiederholung bzw. Doppelung, Spannungen und Widersprüche, Sprache und Stil. Erst deren gehäuftes Auftreten rechtfertigt nämlich eine Differenzierung in mehrere Schichten19. Sonst besteht die "Gefahr, daß das Ideal eines in unserem Sinne logisch völlig stringent verlaufenden Gedankenganges vorausgesetzt wird"20. Ein behutsames Vorgehen dürfte somit geboten sein, um den über zweitausend Jahre alten und aus einem anderen Kulturkreis stammenden Texten möglichst wenig von ihrem eigenen Aussagemodus und ihrer eigenen Aussageintention zu nehmen, und auf der anderen Seite möglichst wenige unserer modernen Vorstellungen in sie einzutragen. Wie Hentschel demgegenüber einzelne Beobachtungen literar- oder traditionskritisch (überlieferungsgeschichtlich) auswertet21, scheint daher unangemessen. Zum anderen muß das Vorhaben, vermeintliche Spannungen oder stilistische Auffälligkeiten für die Eruierung einer mündlichen Vorgeschichte auswerten zu wollen, schon deshalb als zweifelhaft angesehen werden, da mit der Verschriftlichung der Tradition stets auch ihre Umprägung verbunden ist22. Als problematisch erscheint dann die Annahme Hentschels, daß selbst die aus den Texten hervorgehenden Differenzen zwischen Elia und Ahab bereits in die früheste Überlieferungsbildung hineingehören sollen. Bedenklich stimmt weiter, daß Hentschel seine Differenzierungen oftmals nicht allein mit Auffälligkeiten am Text absichert, sondern mit der Frage nach dem historisch Möglichen Textschichtungen begründet, wobei das Alter der Überlieferung stillschweigend vorausgesetzt wird. Hier sei bereits kurz darauf hingewiesen, daß Smend hinsichtlich der historischen Rückfrage nach Elia einen wohl weiterführenden Ansatz vertritt, da hierbei von der unsicheren akribischen Herauspräparierung ältester Traditionskerne, wie dies Hentschel auf die Spitze getrieben hat, abgesehen werden kann. Smend schlägt nämlich vor, außerhalb der Überlieferung einen Anhaltspunkt dafür zu suchen, "wer und was Elia war". Ihm "scheint, daß man dabei mit größerer Zuversicht, als es zu geschehen pflegt, ein Element heranziehen darf, das doch wohl das persönlichste ist: den Namen Elijjahu"23. Ein völlig anderes Bild von der Elia-Überlieferung zeichnet der redaktionsgeschichtlich konzipierte Entwurf von Wiirthwein. Er kommt zu der Auffassung, daß vor allem die dtr. 18 19

20 21 22

23

So Hentschel, Elijaerzählungen, 291ff. So vor allem Steck, Exegese, 54f. Gleiches mögen wohl auch Fohrer u. a., Exegese, 53, intendieren, wenn auch nicht deutlich genug expliziert. S. aber mit Vehemenz im Rahmen grundsätzlicher Überlegungen zur Quellenscheidung im Pentateuch Westermann, BK.AT 1/1, 764ff.; hinsichtlich der Prophetenbücher s. Koch, Profeten I, 47ff. In bezug auf den Umgang mit Sprachbefunden und Wortstatistik s. die Bemerkungen von Hardmeier, Jesajaforschung, 15f., und Oeming, Naboth, 370 Anm. 32. Steck, Exegese, 54. S. z. B. Hentschel, Elijaerzählungen, 122ff. 137ff. 179ff. S. Blum, Testament, 549f.: "So setzt sich heute gegenüber der älteren Forschung mit ihren selbstverständlichen Aussagen über die mündliche Vorgeschichte wohl die Einsicht durch, daß der Textwortlaut vor der Aufzeichnung dem analytischen Zugriff in der Regel entzogen bleibt, insofern die schriftliche Gestaltung (zumal für einen größeren Zusammenhang) zumindest potentiell mit einer Transformation des Materials verbunden ist." Smend, Elia, 237. S. außerdem unten Seite 159f.

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Kapitel II: Literargeschichte der Elia-Überlieferung

(DtrP und DtrN) Kreise für das Elia-Bild verantwortlich gewesen seien, wie es geschichtlich wirksam geworden sei. Erst diese stellten Elia als Propheten dar, indem sie einerseits die ältere bereits zu einer Dürre-Komposition zusammengestellte Anekdoten-Abfolge mittels in Wortereignissen ergehenden expliziten Beauftragungen Jahwes gegliedert (IReg 17,2.8; 18,1) und andererseits die Nabot-Novelle übernommen und ihr Drohworte Elias angehängt (21,17ff.) hätten. Daher sei "es nicht möglich, [den historischen; M. B.] Elija als Vorläufer der klassischen Propheten, etwa einen Arnos und Hosea, zu betrachten"24. Auch Elias Kampf gegen Baal verdanke sich erst der dtr. Traditionsbildung, denn die Durchsetzung des Alleinverehrungsanspruchs Jahwes sei gerade deren wichtigstes Anliegen. So sei die Erzählung von der Opferprobe (18,21-39*) als dtr. Lehrerzählung zu verstehen 25 , und die Anekdote II Reg 1,2.5-8.17aa* reflektiere Probleme des Alltagslebens der um die Einzigkeit ihres Gottes ringenden nachexilischen Gemeinde 26 . Die Erzählzüge, die Isebel (18,19b*.22aßb; 19,1.2.3acx* [DtrP]), das Volk (19,4b. 14b [DtrN]) und Ahab (18,18b; 19,14; 21.20.25.28 [DtrN]; 17,1; 18,9-11.17bß.l8) als Gegenspieler Elias auftreten ließen und deren Fremdgötterverehrung kritisierten, gingen ebenfalls erst auf dtr. (bzw. nach-dtr.) Kreise zurück27. Die älteren Anekdoten in I Reg 17-18 zeigten daher Elia lediglich "als einen Mann, dem ein Wunder widerfährt - er wird von Raben gespeist - und der Wunder tut: auf sein Wort wird der Krug mit Mehl nicht leer und versiegt die Flasche mit Öl nicht; er hilft dem Lande in einer Dürreperiode, indem er durch sein wundersames, an einen Regenzauber erinnerndes Handeln den Regen herbeibringt. [...] Auf dieser frühesten Stufe der Überlieferung ist Elija einer unter vielen; was von ihm erzahlt wird, trägt kein charakteristisches Gepräge der Jahwereligion - der Gottesname Jahwe kommt in diesen Anekdoten nicht vor." 28 Allein in der Speisungsszene 19,3*-8 werde Elia in einer älteren Überlieferung mit Jahwe verbunden, allerdings nicht als verfolgter Jahwe-Prophet, sondern auf einer Wallfahrt zum Gottesberg, die einzig mit dem Ziel unternommen werde, Jahwe nahe zu sein.29 Insgesamt könne man nach Würthwein von einer kritischen Analyse der EliaÜberlieferung ausgehend "nicht auf den 'historischen' Elija zurückschließen. Die Bezeichnung 'der Tischbiter' spricht für seine Herkunft aus dem Ostjordanland. Das ist aber auch alles, was sich biographisch erheben läßt."30 Trotz der zahlreichen weiterfuhrenden Aspekte, welche die redaktionsgeschichtliche Vorgehensweise bietet, kann man auch der Position Würthweins nicht unbesehen folgen. Erstens wäre der Skepsis gegenüber der historischen Rückfrage das bereits erwähnte Votum von Smend entgegenzuhalten, nämlich bei einem Fixpunkt außerhalb der Überlieferung, dem Namen Elias, anzusetzen. Dann würde sich die Frage nach dem Verhältnis Elias zum Jahwe-Glauben, auch wenn in der älteren Überlieferung Jahwe (von der genannten Ausnahme abgesehen) nicht explizit begegnet, noch einmal neu stellen. Zweitens muß hinterfragt werden, ob die dtr. Kreise wirklich in einem so großen Umfang für den Ausbau der Elia-Überlieferung verantwortlich gemacht werden können, da die literarhistorische Zuschreibung an eine dtr. Schicht durch Würthwein nicht immer hinreichend, etwa durch das Vorliegen eindeutig dtr. Terminologie oder spezifisch dtr. theologischer Anliegen, belegt

24 25 26 27 28 29 30

Würthwein, ATD 11,2, 271. So Würthwein, Opferprobe, 138. Vgl. auch bereits ders., ATD 11,2, 270. So Würthwein, ATD 11,2, 271. So Würthwein, ATD 11,2, 270f. Würthwein. ATD 11,2, 269f. So Würthwein, ATD 11,2, 270. Würthwein, ATD 11,2, 272.

1. Vorüberlegungen

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scheint 31 . Drittens muß als problematisch angesehen werden, wie sehr bei Würthwein literarkritisch keineswegs zurückhaltend - die Überlieferungsbildung in verschiedenste, kaum faßbare Nachträge und Zusätze verschwimmt: Die Erzählung von der Opferprobe 18,21-39 zerlegt er in sieben32, die Obadja-Episode 18,2b-16 in vier Schichten 33 . Auch ihm gegenüber ist daher die Notwendigkeit zur Zurückhaltung bei der Auswertung vermeintlicher Spannungen, Wiederholungen und Stilunterschiede zu betonen. Thiel ist darum bemüht, den von Würthwein herausgearbeiteten Anteil der dtr. Kreise an der Ausbildung der Elia-Tradition wieder zu beschränken. Da der Erfüllungsvermerk in II Reg 1,17aa (vgl. auch 4,44; 7,16) Dtr. bereits vorgegeben sei, müsse bereits in den älteren Propheten-Erzählungen mit einer Theologie des Gotteswortes gerechnet werden. Auch die Wortereignisformel sei daher nicht dtr., sondern bereits älter3,1. Hier wie auch bei anderen von Würthwein als sekundär erachteten Formulierungen (z. B. in I Reg 17,1; 18,46) nähmen "spätere Verfasser [...] Sprachelemente und Vorstellungen aus der Tradition der frühen Prophetie auf[...], ohne daß notwendig Zwischenglieder nachweisbar" seien 35 . Daher erscheint bei Thiel, obwohl er magische und mantische Züge im Elia-Bild der älteren Dürre-Komposition anerkennt 36 , Elia wieder als Prophet, der mit dem Fall Nabot ursprünglich konfrontiert gewesen sei 3 ' und sich auch mit der durch die omridische Religionspolitik hervorgerufenen Anziehungskraft der Baal-Verehrung auseinandergesetzt habe: II Reg 1,2-17* stehe der mündlichen Tradition noch nahe, und 18,21-40 beziehe sich auf ein lokales Ereignis 38 . Aus I Reg 19 allerdings, einem späten Text, sei nichts über Elia zu entnehmen 39 . Die durch Thiel wieder erfolgte Frühdatierung der Elia-Überlieferung kann aber ebensowenig übernommen werden. Denn zum einen ist die Argumentation mit zeitlich weit auseinanderliegenden Parallelen hinsichtlich der Wortereignisformel oder anderen ein gewisses Reflexionsniveau verratenden Formulierungen als höchst problematisch anzusehen. Hier können doch nicht einfach Sprachformen des frühen Nebiismus postuliert werden. Im Einzelfall werden daher diese Versuche, einzelne Wendungen auf frühe Überlieferungen zurückzuführen, zu prüfen sein. Zum anderen gerät aufgrund der Anfragen an die Methodik Thiels die Zeichnung Elias als Prophet, der durch Jahwes Wort geführt in der Nabot Affäre auftritt und gegen die Baal-Verehrung kämpft, in Zweifel. Die Arbeit von White rechnet zwar nur mit einem geringen dtr. Anteil in der EliaÜberlieferung (IReg 21,20b.22.24-26; II Reg l,2-17a) und geht von deren früher Abfassung während der Regierungszeit Jehus aus, kommt aber dennoch zu einem ähnlich destruktiven Ergebnis wie Würthwein: Die meisten Elia-Erzählungen müßten nämlich für die historische Rückfrage ausscheiden, weil Elia in ihnen als zweiter Mose (I Reg 17,2-6.2 lb22; 18,31-32a; 19), zweiter Elisa (17,8-16.17-24; Aufenthalt am Karmel 18,19.20.42), zweiter Natan (Kap. 21) oder zweiter Jehu (18,2-18.19-40) gezeichnet werde 40 . Diese seien "literary creations produced by Jehuite court scribes for the purpose of legitimating his con-

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So auch die Kritik von Thiel, Redaktionsarbeit, 154. S. Würthwein, ATD 11,2, 215 (Grundschicht + sechs Erweiterungen). S. Würthwein, ATD 11,2, 221 (drei Schichten + Zusatz V. 12a). So Thiel, Redaktionsaibeit, 158f.161.168. Thiel, Redaktionsarbeit, 170. S. Thiel, Ursprung, 28ff. So Thiel, Ursprung, 34ff. So Thiel, Ursprung, 32fiF. So Thiel, Ursprung, 38f. So White, Legends, 3fT.

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Kapitel II: Literargeschichte der Elia-Überlieferung

troversial assumption of the throne"41. Allein die von keiner anderweitigen Tradition abhängige Dürre-Legende (17,1.7; 18,1.41-46) verbleibe für die historische Rekonstruktion Elias. Dieser sei ein legendärer Regenmacher gewesen; als man jedoch die Jehu-Revolution legitimieren mußte, habe man die Kenntnis von diesem "local hero" bzw. "holy man" aufgegriffen und die Überlieferungen von ihm mit fremdem Material überlagert, das es erlaubt habe, die Umstürze zu rechtfertigen 42 . Der Kampf gegen die Baal-Verehrung (18,19-40) antizipiere lediglich - mit der Intention der Propaganda für Jehu - Jehus Massaker im Baal-Tempel (II Reg 10,18-25). Dieses aber sei allein aus politischen Gründen erfolgt: wenn Jehus Putsch erfolgreich sein sollte, mußte er sämtliche Omriden und ihnen gegenüber loyale Gruppen, zu denen auch das durch Isebel etablierte Baal-Personal gehört habe, beseitigen43. Allerdings sei Isebels Einfluß sehr begrenzt gewesen: unter Ahabs Herrschaft habe sie keinen Baal-Kult am Hof etablieren können; dies sei ihr wohl erst als Königinmutter während Jorams Abwesenheit in Ramot-Gilead und seiner Verletzungszeit (s. II Reg 8,28f.) gelungen44. Auch diesem Ansatz kann nicht zugestimmt werden. Ein grundlegendes Problem dürfte der weitgehende Verzicht auf diachrone Arbeit darstellen. Was bei Hentschel im Extrem zu beobachten ist, kommt bei White leider zu kurz. Nur deshalb kann er die Ansicht vertreten, Elia sei als zweiter Mose, Elisa, Natan und Jehu gezeichnet. Es wird weder Einheitlichkeit und Alter der Elia-Legenden noch die der Parellelen aus der Mose-, Elisa-, Natan- und Jehu-Tradition genügend hinterfragt - es ist nämlich damit zu rechnen, daß zahlreiche zum Vergleich herangezogenen Züge (etwa in Ex 33-34; Num 11-12; II Sam 11-12) erst von späteren Schichten stammen45. Weiter ist kaum vorstellbar, daß Schreiber Jehus die Figur eines allein für seine numinosen Fähigkeiten bekannten Lokalhelden ohne jeden Anhalt an der Überlieferung zu einem Propheten umgeprägt haben sollen, der das Ende der OmriDynastie angekündigt und damit Jehus Putsch legitimiert habe46. Crüsemann geht davon aus, daß die "Geschichten, die in Israel über ihn [d. h. Elia; M. B.] erzählt wurden, [...] so etwas wie einen Grundkurs über die Frage: Wer ist dieser Gott JHWH, der Gott Israels, wer ist unser Gott? ergeben" 4 '. Er versucht daher vor allem die in der Elia-Überlieferung angesprochenen theologischen Fragestellungen und Probleme herauszuarbeiten. Spannungen und Widersprüche in den Texten, die andere Forscher zu literarischen Schichtungen führen, werden zwar auch von ihm notiert, aber auf ihre theologische Bedeutung hin ausgewertet: "So wie die Elia-Erzählungen jetzt sind, sind sie sicher nicht immer gewesen. Aber alle ihre Elemente sind bedeutungsvoll und bewußt aufeinander bezogen. Es ist wichtiger, diese Bezüge aufzuschlüsseln, als den wenig erfolgversprechenden Versuch zu machen, älteste Schichten herauszuarbeiten und dabei Wesentliches übersehen, ja zerstören zu müssen."48 41 42 43 44 45

White, Legends, 77 (s. auch 1.32f.43 u. ö.). Vgl. außerdem Todd, Cycle, 2.10.27ff. So White, Legends, 32.77. So White, Legends, 71. So White, Legends, 67ff. Dazu s. etwa Blum, Studien, 369ff; H.-C. Schmitt, Suche, 273ff; W. Dietrich, David, 28.

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Hier wäre auf das Votum von Gese, Bedeutung, 127, hinzuweisen: So "ließe sich die spätere Traditionsbildung, die Elia zur höchst bedeutsamen Gestalt des JHWHGlaubens macht, nicht erklären [...]" (vgl. auch unten Seite 160). Crüsemann, Elia, 12. Crüsemann. Elia, 17. Als Beispiel vgl. die theologische Auswertung der Spannung zwischen der Exposition der Elia-Überlieferung in I Reg 17,1 und der Forsetzung in V. 2 auf S. 29ff.

1. Vorüberlegungen

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Bei der Berücksichtigung diachroner und literarhistorischer Fragen, soweit diese doch Berücksichtigung finden, stützt sich Crüsemann vielfach auf die Analysen von Thiel. Er ist der Ansicht daß "im wesentlichen die gesamten Elia-Erzählungen, also 1 Kön 17-19; 20-22 (wo nur in in Kapitel 21 Elia auftritt) und 2 Kön 1; 2, den Deuteronomisten als bereits schriftlich vorgegebenes Quellenmaterial vorgelegen hat." 49 Durchgängig sei hier eine Auseinandersetzung mit dem Baal-Glauben zu beobachten: für alle Bereiche, die man mit Baal verbindet, ist allein Jahwe, der Gott Israels zuständig.50 Dtr. Bearbeitungen erkennt Crüsemann lediglich in 18,18.19(Aschera-Propheten).36(Prophet als Knecht); 19,8(Horeb). 10.14(Bund) und 21,21ff. Die Annahme weiterer später Schichten hält er nicht für plausibel.5' Die Auslegung Crüsemanns stellt sicher einen wertvollen Versuch dar, die theologische Bedeutung der Elia-Überlieferung zur Geltung zu bringen. - Dies trifft übrigens ebenso auf zahlreiche Arbeiten aus dem englischsprachigen Raum zu, die für das Erfassen größerer Strukturen und weitreichender Beziehungen auf der Ebene des Endtextes bedenkenswerte Beobachtungen liefern. - Allerdings scheint problematisch, daß die anhand der Exegese des Endtextes gewonnenen theologischen Ergebnisse oftmals in die historische Situation der Zeit Elias hineinprojiziert werden. Hier hätte m. E. doch stärker die Diachronie der Texte berücksichtigt werden müssen. Die Thielsche Position, die von Crüsemann teilweise aufgenommen wird, ist oben bereits kritisiert worden. Da im folgenden Strukturen des vorschriftprophetischen Jahwe-Glaubens religionsgeschichtlich erfaßt werden sollen, muß trotz der Warnungen Crüsemanns versucht werden, ältere Schichten freizulegen, von denen aus die Rückfrage erfolgen kann. Seine Mahnungen, die literarkritische Methodik nicht zu überschätzen52 und die bewußte Gestaltung der Elia-Überlieferung zu beachten, können dabei dennoch ernst genommen werden. 53 D i e Kritik an den vorgestellten Positionen zeigt, daß eine Neubearbeitung der Elia-Überlieferung notwendig ist. Ebenfalls ist deutlich geworden, w i e strittig die Tradition v o n Elias Auseinandersetzung mit dem Baal-Glauben und seines Einsatzes für die Alleinverehrung Jahwes beurteilt wird, w a s gerade im Rahmen dieser Arbeit eine eigene grundlegende Analyse der Texte erfordert. Hierbei scheint mir - ein diachrones V o r g e h e n grundsätzlich vorausgesetzt der redaktionsgeschichtliche Ansatz fruchtbar zu sein, der davon ausgeht, daß die gegenwärtig vorliegende Gestalt der Elia-Überlieferung wesentlich durch

49 50 51 52 51

Crüsemann, Elia, 15. So Crüsemann, Elia, 32.36f.46.62.100.126. S. Crüsemann, Elia, 16.41.53.92. Dazu vgl. auch oben Seite 33. Gerne wird die Mahnung Smends, Wort Jahwes, 150, zitiert, man solle die EliaÜberlieferung stärker als Einheit zu begreifen versuchen. Blum, Prophet, 280, stellt die Hypothese auf, "daß die Eliaerzählung [...] von einem durchgehenden Gestaltungswillen geprägt sein könnte". Obgleich er die Diachronie nicht leugnet, geht er von einem Verfasser aus, der literarische Vorlagen eigenständig transformiert habe (278ff.). Anders als Crüsemann sieht er den historischen Ort von I Reg 17-19 jedoch in der frühnachexilischen Zeit (290f ). Die Annahme eines bewußten und sich breit erstrekkenden Gestaltungswillens in nachexilischer Zeit stellt sicher einen weiterzuverfolgenden Gedanken dar. Allerdings muß hier zwecks religionshistorischer Rückfrage die diachrone Arbeit stärker berücksichtigt werden.

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Kapitel II: Literargeschichte der Elia-Überlieferung

späte (im DtrG vor allem dtr.) Redaktionsarbeit geprägt ist. Jedoch ist gegenüber dieser Sichtweise insofern Vorsicht geboten, als sie lediglich nach den Bezügen der Elia-Überlieferung zur Erzählzeit, d. h. zu der Zeit, in der die betreffenden Texte komponiert, redigiert und erweitert wurden, fragt. Der Kern der Elia-Tradition aber wird wohl kaum ausschließlich die Interessen der späteren Überlieferer und Bearbeiter widerspiegeln. Daher darf die Rückfrage nach der erzählten Zeit nicht vernachlässigt werden. Freilich müssen sich diese grundsätzlichen Überlegungen erst an den Texten verifizieren lassen. Um verschiedene Überlieferungsschichten voneinander scheiden zu können, wird jedenfalls ein behutsamerer Gebrauch der klassischen literarkritischen Kriterien angestrebt, wie er oben bereits angedeutet wurde. Zur schnellen und plastischeren Orientierung über die hier vertretene Textschichtung wird jedem Abschnitt eine Übersetzung - textkritische Anmerkungen sind spärlich gehalten und finden sich meist nur dort, wo Veränderungen gegenüber dem MT angebracht sind - des betreffenden Text-Komplexes vorangestellt, welche die rekonstruierte (an dieser Stelle also bereits vorausgesetzte) Textgenese durch ein differenziertes Schriftbild zu veranschaulichen versucht: Der älteste vorexilische Textbestand erscheint fett gedruckt. Die noch vorexilischert, die älteren Teile zu einer Komposition zusammenfügenden Elemente werden ebenfalls fett, zusätzlich aber durch Kursivschrift veranschaulicht DIE EXILISCHE GRUNDSCHRIFT DES D T R G ( D T R H ) WIRD DURCH KAPITÄLCHEN HERVORGEHOBEN. DIE SPÄTDTR. SCHICHTEN

ZUGEWIESENEN STÜCKE WERDEN GENAUSO ABGEBILDET, ALLERDINGS

KURSIV.

Standard-Schrift bezeichnet die Szenen, die sich als durch dtr. und prophetisches Denken beeinflußte theologische Lehrerzählungen der nachexilischen Zeit herausstellen werden. Die nachexilischen Erweiterungen, die in der "Feindschafts-Bearbeitung" zusammengefaßt werden, erscheinen ebenfalls in Standard-Schrift, aber zusätzlich kursiv. Außerdem sollen Absätze Einschnitte sichtbar machen.

1.2. Bemerkungen zum DtrG, insbesondere DtrP An die Standortbestimmung innerhalb der Elia-Forschung seien einige Bemerkungen zum DtrG angeschlossen, in dem ja die Elia-Tradition im gegenwärtigen Kontext überliefert ist. Dadurch soll die eigene Ansicht von diesem Großwerk, das für die redaktionsgeschichtliche Untersuchung der EliaÜberlieferung den Ausgangspunkt darstellt, vorab geklärt werden. In dieser Arbeit wird grundsätzlich von dem sogenannten "Göttinger Schichtenmodell" ausgegangen, das im deutschen Sprachraum weit verbreitet

1. Voriiberlegungen

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ist54. Nach ihm habe bekanntlich in der Zeit des Exils (s. II Reg 25,27-30) eine erste dtr. Redaktion die Grundkonzeption des DtrG und damit den Zusammenhang zwischen den meisten in den Büchern Dtn - II Reg enthaltenen Erzählstoffen hergestellt (der dtr. Historiker "DtrH"). Daneben wird mit zwei weiteren (in sich wiederum mehrschichtigen) Redaktionen gerechnet: Die erste verstehe den Geschichtsverlauf als durch das Wirken zukunftsmächtigen Prophetenwortes bedingt, konstatiere daher dessen Erfüllung an verschiedensten Stellen und füge Prophetenerzählungen in die Grundkonzeption ein ("DtrP"). Das Spezifikum der zweiten bestehe darin, die Geschichte explizit anhand des Gehorsams Israels und Judas sowie derer Könige gegenüber dem dtn Gesetz zu interpretieren ("DtrN"). Zum einen ist nun zu beachten, daß die Tendenz von "DtrN", da auf mehrere Hände einer Schule zurückgehend, nur zum Teil als nomistisch angesehen werden kann55. Daher werden die in dieser Arbeit zu Tage tretenden späteren dtr. Passagen als "spät-dtr." oder "DtrS" bezeichnet56. Damit wird gleichfalls der Auffassung von H.-C. Schmitt gefolgt, diese Schicht(en) sei(en) für die Herstellung eines Zusammenhangs zwischen Tetrateuch und DtrG im 4. Jh. verantwortlich. Neben der Verbindung von priesterschriflichem und deuteronomistischem Denken scheint für sie unter anderem charakteristisch zu sein, daß sie sowohl Tetrateuch als auch DtrG übergreifend Völkerlisten eintragen, die Vorstellungen des Glaubens an Jahwe, der vollständigen Nachfolge Jahwes und der Reue Jahwes vertreten und Tora und Prophetie in ihrem gegenseitigen Bezogensein aufeinander verstehen57. Zum anderen soll auf eine literarkritische Scheidung zwischen den beiden Schichten DtrH und DtrP verzichtet werden58. Um an dieser Stelle nicht mißverstanden zu werden: Es wird nicht die Ansicht vertreten, daß das DtrG nur durch die Arbeit von DtrH und die spät-dtr. Redaktionstätigkeit(en) in seine jetzt vorliegende Form gebracht wurde. Vielmehr dürfte mit umfangreicher nicht spezifisch dtr. - Redaktionsarbeit in nachexilischer Zeit zu rechnen

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Auf andere Konzeptionen kann hier nicht eingegangen werden. S. dazu etwa die Überblicke von H. Weippert, Geschichtswerk, passim; Preuß, Geschichtswerk, passim; Kaiser, Grundriß 1, 85ff. S. bereits Smend, Gesetz, 125f. 129. So auch Kaiser, Grundriß 1, 129, und H.-C. Schmitt, Geschichtswerk, 265. Dazu s. ausfuhrlicher H.-C. Schmitt, Geschichtswerk, passim. Dafür plädieren auch Koch, Profetenschweigen, 116 samt Anm. 10; Albertz, Intentionen, 40; Stipp, Buße, 474ff.; Provan, Hezekiah, 24; Cortese, Theories, 186ff.; L. Schmidt, Literarkritik, 217 ("DtrP [...] nicht gesichert"); Preuß, Geschichtswerk, 389f.394 ("Auf DtrP ist zu verzichten"). Selbst Smend, Entstehung, 123, sieht im Gegensatz zu DtrH und DtrN ("mit Sicherheit") DtrP nur "mit hinlänglicher Wahrscheinlichkeit greifbar".

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Kapitel II: Literargeschichte der Elia-Überlieferung

sein59; insofern wird über das "Göttinger Schichtenmodell" hinausgegangen. Lediglich eine Differenzierung zwischen den beiden dtr. Schichten DtrH und DtrP wird hier bestritten. Um nicht gängige Aussagen - im Hinblick auf DtrP sei Vorsicht und Zurückhaltung geboten, weil hier die Textbasis äußerst schmal und die meisten Wendungen anderweitig vorgeprägt seien - bloß zu rekapitulieren, ist die hier vertretene Leugnung der Existenz der "zweiten Göttinger Redaktionsschicht" allerdings ein wenig genauer zu begründen: Dietrich nämlich meint einen überzeugenden Nachweis für die These erbracht zu haben, daß DtrH (bei ihm noch "DtrG") und DtrP zwei zu differenzierende Redaktionsschichten darstellen. Die von ihm herausgearbeiteten Hinweise sind zum einen sprachgeschichtlicher und zum anderen literarkritischer Art 60 . Bis auf wenige "unableitbare Wendungen" seien sämtliche Redeweisen von DtrP in älteren Quellen vorgegeben gewesen, nämlich in der Schriftprophetie, und hier vor allem in der Jeremia-Überlieferung 61 , in Quellentexten des DtrG, in Ex 32 und im früh-exilischen Ps 79. Von besonderer Bedeutung ist freilich, daß DtrP außerdem Übereinstimmungen mit Wendungen von DtrH zeigt. Da Dietrich hier aber eine Akzentverschiebung durch DtrP beobachtet, ordnet er DtrH ebenfalls unter die sprachlichen Quellen von DtrP ein. Folgende Wendungen habe DtrP von DtrH übernommen und spezifisch weiterentwickelt: ^ " ¡ J ö r n r n r r t ? ? 3 m n nitos?1? (i Reg 21,20), ( n ^ X i R e g 12,15; 16,13; 21,22; II Reg 9,9; 17,21), DU3 Hif. mit Jahwe als Obj. (I Reg 14,9; 16,2) bzw. die flgura etymologica zwischen Verb 0SJ3 und Nomen 0 ? 5 (I Reg 21,22), DD'S 1 « T ? DTinjl (II Reg 21,14), T J - p Tj'pcn (IReg 16,2) und n-nnV^N-itp - : ( , Bj;)-ni< Ktpn'i/Npnp:!

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So z. B. auch H.-C. Schmitt, Elisa, 127ff. 13lff.; Stipp, Buße, 493 (der allerdings ein anderes Entstehungsmodell des DtrG verfolgt); Würthwein, ATD 11,2, 504 (der aber auch die Existenz von DtrP [zwei Schichten] annimmt). Ebenfalls wird die Analyse der Elia-Überlieferung in dieser Arbeit zu der Einsicht führen, daß umfangreiches Textmaterial erst in nachexilischer Zeit und nicht durch dtr. Hände in das DtrG eingegliedert wurde. So faßt Dietrich, Prophetie, 135, zusammen. Vgl. zum Ganzen auch ders., David, 3 8 f f , wo ausgehend von DtrP und Chr ein "Buch der Prophetengeschichten" postuliert wird. An dieser Stelle ist zu bemerken, daß zahlreiche Belege aus der Jer-Überlieferung, auf die sich Dietrich, Prophetie, 70ff. (vgl. auch 101.104), stützt, wohl erst dtr. Herkunft sind. Einige zentrale Beispiele müssen hier genügen: Zur Wendung N13 [Hif ] ny"l (IReg 14,10; 21,21.29; II Reg 21,12; 22,16.20) s. Thiel, Jeremia 1-25, 100, der immerhin noch Jer 4,6 als jeremianisch gelten läßt (anders jedoch Wanke, ZBK.AT 25.1, 59f.). Die ausschlaggebende Stelle für die Herleitung der Formel n p i ? 1 ! o n n s D ' n ^ s 1 ? (II Reg 22,17; IReg 11,33) sei nach Dietrich Jer 1,16; dazu s. aber Thiel, Jeremia 1-25, 74; Wanke, ZBK.AT 25.1, 31f.; S. Herrmann, BK.AT XII, 51.78f. Die Ableitung des Ausdrucks i l ^ T n S D'Pü 1S9 ^ ( [ I Reg 12,15) macht Dietrich an Jer 29,10 fest; vgl. aber Thiel, Jeremia 26-45, 15; Wanke, Untersuchungen, 44ff. Gegen die Herleitung der Wendung H3?n K1?! ... TlDn n n ^ J l (II Reg 22,17) von Jer 4,4 s. Thiel, Jeremia 1-25, 93ff.; Wanke, ZBK.AT 25.1, 57. Daß auch die Botenformel in der Gestalt von ' r t a i T r n r r 10K n s nicht jeremianisch sein dürfte, zeigen Thiel, Jeremia 1-25; ders., Jeremia 26-45, und Wanke, ZBK.AT 25.1, jeweils zu den von , ! Dietrich angegebenen Stellen. Zu beachten ist hierbei, daß die Wendung J QTJJ , t l D n n t f D n ?K ? genauso bei DtrH begegnet (s. Dietrich, Prophetie, 77) und die anderen Formeln dem Konzept von DtrH nicht widersprechen.

1. Vorüberlegungen

41

(I Reg 16,2; 21,22; II Reg 21,11). Grob zusammengefaßt unterscheide sich DtrP darin von DtrH, daß er diese Formulierungen außerhalb des Rahmenschemas gebrauche, auf andere Personen anwende oder Glieder, die DtrH im Kontext enthalte, vermissen lasse.62 Neben diesen sprachlichen Hinweisen zwingen Dietrich nun noch Argumente literarischer Art zur Differenzierung der beiden Größen DtrH und DtrP. Zunächst nennt er an drei Stellen zu beobachtende sachliche Gegensätze: Die von DtrP aufgenommene und auf Ahab bezogene Komposition I Reg 20.22 habe dessen Tod im Kampf gegen die Aramäer zum Ziel (s. 22,38 f? in V. 2 bereits auf einen späten Autor verweise, "who was trying hard to imitate good Classical Hebrew" (Rofe, Vineyard, 100), scheint mir noch nicht so zwingend zu sein; hier treffen die kritischen Bemerkungen von Hardmeier, Jesajaforschung, 15, und Oeming, Naboth. 370 Anm. 32. S. die folgenden Belege: Behistun,34; AP 30,19; 31,18; Ahikar,217 (Zitierung nach APFC); s. Rofe. Vineyard, 99. S. Neh 2,16; 4,8.13; 5,7; 6,17; 7,5; 13,17; Koh 10,17; Sir 10,25; Jes 34,12; Jer 27,20 (nicht im hier ursprünglichen LXX-Text); 39,6 (ebenfalls sekundär, s. 52,10). Rofe, Vineyard, 99. S. Mal 2,14; Hi 29,11; llQPs* 151,5; HQTR'61,9; 0QCD 9,20. Gehäuft begegne es in tannaitischer Literatur, im Babylonischen Talmud und im Rabbinischen Hebräisch; s. Rofe, Vineyard, 100.

2. Der Fall Nabot I Reg 21

67

ger die aufgrund ihrer geringen Zahl einen so weitreichenden Beweis nicht liefern können195. Anders verhält es sich mit den C l i n , wofür nun wirklich mehr spätere Belege vorliegen. Allerdings sind die C l i n nicht fest im Text verankert, da sie in V. 8.11 neben den C?j?T genannt werden, also nicht das einzige Subjekt darstellen. Wenn sich die Erzählung anderweitig als älter erweisen sollte, dürften die •"""lin daher als spätere Glosse (junge Erklärung für die "Ältesten") anzusehen sein196. Sollen sprachliche Befunde wirklich beweiskräftig sein, müssen sie sich mit anderen, umfassenderen Beobachtungen zur Einordnung des betreffenden Textes decken. Dies ist aber hier nicht der Fall: Gegenüber Rofe, nach dem die Erzählung auch geistesgeschichtlich in diesen späten Zeitraum der Abgrenzung von Fremden (vgl. Nehemia, Esra, Maleachi) hineinpasse, repräsentiere doch Isebel die fremde Frau197, ist einzuwenden, daß eine solche Sichtweise Isebels als Prototyp der fremden Frau gerade nicht aus der Erzählung hervorgeht: zum einen fehlt eine dann doch zu erwartende Bemerkung über Isebels phönizische Herkunft, zumal auch Ahab in V. 1 ausführlich eingeleitet ist; zum anderen bedient sich Isebel bei ihrer Intrige israelitischer Gepflogenheiten198. Isebel erscheint vielmehr als Prototyp einer korrupten Mächtigen199, wie ja auch das Thema der Erzählung ein sozialkritisches ist. Weiter setzt der gegen Isebel gerichtete dtr(h). Spruch 21,23 die Erzählung V. laß-16 voraus. Die Lösung, daß V. 23 doch einen Nachtrag darstelle und mit der Einfügung der Geschichte V. laß-16 zusammenhänge, überzeugt nicht, da die bereits dtr(h). Konstatierung der Erfüllung dieses Spruches in II Reg 9,3 6f. sonst nicht möglich gewesen wäre. Die ab 21,17ff. vorliegenden Unheilsankündigungen scheinen außerdem, wenn auch gewisse Differenzen zur Erzählung zu beobachten sind, doch eine vorangegangene Schilderung, auf die sich die Kritik an Ahab beziehen kann, vorauszusetzen. Schließlich betont H.-C. Schmitt, daß in der Erzählung das Hundemotiv nicht begegne, das der Verfasser im Fall einer nachträglichen Entstehung von V. laß-16 aber wohl aufgenommen hätte; und weiter sei zu beobachten, daß Isebel hier noch nicht als Verfolgerin des Jahwe-Glaubens gezeichnet sei, sondern lediglich als Vertreterin königlichen Machtstrebens200. Hat sich somit das Modell des Primates der Unheilsankündigungen als wenig wahrscheinlich erwiesen, so muß nun angenommen werden, daß die 195 196 197 198 199 200

S. Hardmeier, Jesajaforschung, 15; Oeming, Naboth, 370 Anm. 32. So Würthwein, Naboth-Novelle, 167 Anm. 35. S. auch bereits Kittel, HK 1.5, 156. So Rofe, Vineyard, 102. S. auch Hentschel, Elijaerzählungen, 15; Timm, Dynastie, 126. Vgl. Oeming, Naboth, 379, und oben Seite 64. So H.-C. Schmitt. Elisa, 123 Anm. 246. Vgl. auch Würthwein, Naboth-Novelle, 158.

68

Kapitel II: Literargeschichte der Elia-Überlieferung

Erzählung 21,1 aß-16 bereits vor-dtr. abgefaßt wurde und mit ihrer Fortsetzung durch 21,17-19.20bß-24.27-29 in die Grundschrift des DtrG aufgenommen wurde. Eine genaue Datierung ist schwierig. Der Titel Ahabs ("König von Samaria"; V. 1) zeigt die Verwendung von "Samaria" als Landschaftsnamen. Ein "solcher Sprachgebrauch läßt sich frühestens für die Zeit der assyrischen Eroberungszüge in den Westen [beginnendes 8. Jh.; M. B ] nachweisen und wurde ab 722 zur Bezeichnung der aus dem Rumpfstaat Israel gebildeten assyrischen Provinz Samerina geläufig"201. Möglicherweise hat man auch eine längere Wirkungszeit bzw. Rezeptionsphase der sozialkritischen Prophetie (etwa der des Arnos und des Jesaja), die das Bewußtsein für soziale Vergehen geschärft hätte, vorauszusetzen202. Daß man Isebel als Prototyp einer korrupten Mächtigen gezeichnet hat, spricht jedenfalls nicht für eine frühe Abfassung der Erzählung. So wäre als Entstehungszeit das 7. Jh. zu vermuten.

2.7. Die Verbindung Elias mit dem Fall Nabot im DtrG Die Nabot-Erzählung war mit der älteren Elia-Überlieferung in keiner Hinsicht verbunden. Denn zum einen fehlt in ihr das Auftreten irgendeines Propheten, und zum anderen kann die wohl alte Tradition von II Reg 9,25f., die von einem Prophetenwort an Ahab im Zusammenhang mit der Nabot-AfFäre weiß, den Namen des Propheten nicht nennen.203 Daher dürfte die literargeschichtlich gewonnene Auffassung, die Verbindung Elias mit dem Fall Nabot sei erst durch DtrH erfolgt, korrekt sein. In 21,17-19.20bß-24 spielt Elia die Rolle des von Jahwe gesandten strafenden Propheten, der die durch Isebel angezettelte Bluttat zugunsten Ahabs nicht ungestraft lassen kann. Im Kontext der Überlieferung von der Jehu-Revolution wird außerdem an verschiedenen, ebenfalls dtr(h)., Stellen auf die Unheilsankündigungen Elias Bezug genommen und ihre Erfüllung konstatiert (s. II Reg 9,36f.; 10,10f. 17aßb). 201

202 203

Bohlen, Fall. 310f. samt Anm. 130; (Bohlen, Fall, 309ff., verweist außerdem auf die angeblich erstmals in Am 8,3 ; Hos 8,14 belegte Palastbezeichnung "bsT!"); vgl. auch H.-C. Schmitt, Elisa, 27 Anm. 56; Donner, Geschichte, 346; Timm, Dynastie, 151. Anders noch Hentschel, Elijaerzählungen, 147 Anm. 438; auch Würthwein, ATD 11,2, 247, nimmt einen alten, nordisraelitischen Ursprung der Erzählung an, wobei er, 245 Anm. 3, den Titel Ahabs in V. 1 aber als Glosse ausscheidet. Vgl. dazu z. B. Jeremias, ATD 24,2, XIXff.; Kilian, NEB 17, 14ff. S. z. B. H.-C. Schmitt, Elisa, 123 Anm. 246; Oeming, Naboth, 377; Bohlen, Fall, 287.318; Seebaß, Elia, 498; Weimar, Elija, 518; anders jedoch Hentschel, Elijaerzählungen, 155f.; Steck, Überlieferung, 43.52; Gray, OTL, 435; Thiel, Ursprung, 35; Koch, Profeten I, 93; Sanda, EH 9/1, 416 (mit dem Versuch, das Ereignis genau zu datieren).

2. Der Fall Nabot I Reg 21

69

Wichtig ist außerdem, daß DtrH, indem er Elia mit dem Fall Nabot in Beziehung setzt, eine Verbindung von Sozialkritik und Kritik an der Mißachtung des Fremdgötterverbotes (so dann in II Reg l,2-17aa*) expliziert. Wie sich in den altorientalischen Götterhierarchien eine gegliederte Gesellschaft spiegelt, so widerspricht soziale Ungerechtigkeit dem Alleinverehrungsanspruch Jahwes 204 Die Verbindung von Sozialkritik und Alleinverehrungsanspruch Jahwes in der Elia-Überlieferung wird einerseits dadurch hergestellt, daß man Elia sowohl bezüglich Alleinverehrung Jahwes (II Reg l,2-17aa*) als auch hinsichtlich gesellschaftskritischer Anklagen auftreten läßt (I Reg 21). Zum anderen sind in I Reg 21 selbst Sozialkritk (V. 19a) und Kritik an der Übertretung des ersten Gebotes (V. 20bß.22b [ o m / b f O S ^ T W (Hif.) XBn 205 ] miteinander verschränkt. V. 20bß ( r n r r T i ? ? m_n nttfS?) vermag beide Gesichtspunkte zu umfassen: zwar trifft die Wendung meist auf das Übertreten des ersten Gebotes zu (s. z. B. Jdc 2,11; I R e g 14,22; 16,25.30), jedoch ist auch ein sich deutlich auf Sozialkritik beziehender Beleg (II Sam 12,9 [erst spät-dtr.?]) vorhanden. Somit zeichnet sich das dtr. Elia-Bild durch die beiden Pole Fremdgötterverbot und Sozialkritik aus, wodurch Elia "has become a forerunner, a pattern and prototype of all later prophets" 206 .

2.8. Zusammenfassung Als ältester Bestandteil in I Reg 21 ist die einheitliche (im 7. Jh. entstandene?) Erzählung V. laß-16 anzusehen. Diese reflektiert eine sozialkritische Problematik, die Stellung des Menschen zur Macht, narrativ anhand ausgewählter Typen. Die Darstellungsform schließt dabei Kritik am Verhalten der machtgierigen Isebel und der sich verantwortungslos fugenden Stadtbevölkerung ein. Eine historische Auswertung der Erzählung scheint nicht gerechtfertigt. Elia wird erst bei der Einfügung der Erzählung in das DtrG (V. l a a ) durch DtrH mit dem Erzählstoff verbunden (V. 17-19.20bß-24): er kündigt Ahab die Vernichtung seiner selbst sowie die seiner Dynastie an. Um diese Worte mit der Kenntnis des friedlichen Todes Ahabs auszugleichen, formuliert DtrH ebenfalls die Szene von Ahabs Buße V. 27-29, nach der ihm persönlich ein

204

205 206

S. W. H. Schmidt, Glaube, 115f.; diesen Zusammenhang scheinen im Rahmen religionssoziologischer Überlegungen auch Albertz, Pluralismus, 200, und Todd, Cycle, 10, zu sehen. Vgl. außerdem Lohfink, Geschichte, 23. Ob und inwiefern die Sozialkritik der vorexilischen Propheten mit deren Jahwe-allein-Programm korrelliert, wäre eigens zu untersuchen. Vgl. Jdc 2,1 lf.; I Reg 16,19.26.33; 22,53f. u. ö. Smend, Elijah, 44.

70

Kapitel II: Literargeschichte der Elia-Überlieferung

Strafaufschub gewährt wird. Obwohl DtrH mit der Strafandrohung Ahab bereits kritisiert hat, stellt DtrS angesichts der Bußszene zusätzlich in V. 25-26 die Verderbtheit Ahabs heraus. Die Herkunft von V. 20aba ist später noch zu klären.

3. Die Dürre-Zeit I Reg 17-18 3.0. Textgrundlage207 (1) Und es sprach Elia, der TischbUer, aus Tischbe208 in Gilead zu Ahab: "So wahr Jahwe, der Gott Israels, lebt, vor dem ich stehe, es wird diese Jahre weder Tau noch Regen geben, es sei denn auf mein Wort hin." ( 2 ) U N D ES GESCHAH DAS W O R T JAHWES ZU IHM: ( 3 ) " G E H VON HIER, WENDE DICH NACH OSTEN UND VERBIRG DICH AM BACH KERIT JENSEITS DES JORDAN! ( 4 ) U N D DU WIRST AUS DEM BACH TRINKEN: RABEN ABER HABE ICH BEFOHLEN, DICH DORT ZU VERSORGEN." ( 5 ) D A GING

ER UND TAT GEMÄß DEM WORT JAHWES. Dann ging er und hielt sich am Bach Kerit auf jenseits des Jordan. (6) Und Raben brachten ihm Brot am Morgen und Fleisch am Abend 209 ; aus dem Bach aber trank er. (7) Und es geschah nach dem Verlauf einiger Tage, daß der Bach trocken wurde, denn es gab keinen Regen im Land ( 8 ) U N D ES GESCHAH DAS W O R T JAHWES ZU IHM: ( 9 ) "STEH AUF, GEH NACH SAREPTA ZU SIDON UND HALTE DICH DORT AUF! SIEHE, ICH HABE

Da machte er sich auf und ging nach Sarepta. Als er zum Tor der Stadt kam, siehe, da war dort eine Frau, eine Witwe, beim Holzlesen. Und er rief ihr zu und sprach: "Hol mir doch ein wenig Wasser im Krug, damit ich trinken kann!" (11) Da ging sie es holen. Und er rief ihr zu und sprach'. "Hol mir doch einen Brocken Brot in deiner Hand!" (12) Aber sie sprach: "So wahr Jahwe, dein Gott, lebt, ich habe keinen Brotkuchen außer einer Hand voll Mehl im Krug und ein wenig ö l in der Flasche. Siehe, ich lese gerade ein paar Holzstücke zusammen. Darauf werde ich hineingehen und es für mich und meine Söhne210 zubereiten. Dann werden wir es essen und sterben." (13) Da sprach Elia zu ihr: "Fürchte dich nicht! Geh hinein und tu nach deinem Wort, nur mach mir davon zuerst einen kleinen Brotfladen und bring ihn mir heraus; für dich und deine Söhne 2 " mach es danach! ( 1 4 ) DENN SO SPRICHT JAHWE, DER G O T T ISRAELS: 'Der Mehlkrug soll nicht zu Ende gehen und die Ölflasche nicht leer werden BIS ZU DEM TAG, AN DEM JAHWE REGEN GIBT AUF DAS ANTLITZ DER E R D E . ' " ( 1 5 ) Da ging sie und tat nach dem Wort Elias. Und sie aB, sie und er212 und ihre Söhne213 einige Tage. (16) DER DORT EINER FRAU, EINER WITWE, BEFOHLEN, DICH ZU VERSORGEN." ( 1 0 )

207

Zur Erklärung der Textgestaltung s. Seite 38. Mit der sachlich weniger problematischen Variante der LXX. S. auch unten Seite 161 Anm. 613. 209 So die lectio brevior der LXX (MT: sowohl morgens als auch abends beides, Brot und Fleisch). 210 PI. mit LXX, da MT eine sekundäre Angleichung an 17,17-24 darstellen dürfte. 21 ' Mit LXX aus eben genannten Gründen. 212 So nach dem Vorschlag von BHS, der sich unter anderem auf einige gewichtige hebräische Handschriften, LXX und Q stützt. 208

3. Die Dürre-Zeit I Reg 17-18

71

MEHLKRUG WAR NICHT ZU ENDE GEGANGEN UND DIE ÖLFLASCHE NICHT LEER GEWORDEN GEMÄß DEM W O R T JAHWES, DAS ER DURCH DIE HAND ELIAS GESPROCHEN HATTE.

(17) Nach diesen Dingen geschah es, daß der Sohn der Frau, der Besitzerin des Hauses, erkrankte. Seine Krankheit aber wurde sehr stark bis kein Lebensodem mehr in ihm blieb. (18) Do sprach sie zu Elia: "Was habe ich mit dir zu tun, Mann Gottes? Du bist zu mir gekommen, um mir meine Sünde in Erinnerung zu bringen und meinen Sohn zu töten!" (19) Er aber sprach zu ihr: "Gib mir deinen Sohn!" Und er nahm ihn von ihrem Schoß, trug ihn hinauf in das Obergeschoß, wo er wohnte, und legte ihn auf sein Bett. (20) Dann rief er zu Jahwe und sprach: "Jahwe, mein Gott, willst du sogar der Witwe, bei der ich mich als Gast aufhalte. Böses tun, indem du ihren Sohn tötest?" (21) Dann maß er sich dreimal über dem Knaben aus, rief zu Jahwe und sprach: "Jahwe, mein Gott, möge doch das Leben dieses Knaben zurückkehren in2'4 sein Inneres!" (22) Und Jahwe hörte auf die Stimme Elias. Das Leben des Knaben kehrte zurück in sein Inneres, und er lebte. (23) Da nahm Elia den Knaben, brachte ihn vom Obergemach hinab in das Haus und gab ihn seiner Mutter. Dann sprach Elia: "Siehe, dein Sohn lebt." (24) Und die Frau sprach zu Elia: "Jetzt nun weiß ich, daß du ein Mann Gottes bist, und das Wort Jahwes in deinem Mund Wahrheit ist." (1) Und nach215

vielen

Tagen,

DA GESCHAH DAS WORT JAHWES ZU ELIA IM DRITTEN

JAHR: "GEH, ZEIGE DICH AHAB, DENN ICH WERDE REGEN GEBEN AUF DAS ANTLITZ DER

ERDE!" (2) Da ging Elia, um sich Ahab zu zeigen. Die Hungersnot aber war groß in Samaria. (3) Und Ahab hatte den Palastvorsteher Obadja gerufen. (Obadja aber fürchtete Jahwe sehr. (4) Als Isebel die Propheten Jahwes ausgerottet hatte, hatte Obadja hundert Propheten genommen, sie zu je2'6 fünfzig Mann in einer Höhle versteckt und mit Brot und Wasser versorgt.) (5) Dann hatte Ahab zu Obadja gesagt: "Geh ins Land zu allen Wasserquellen und zu allen Bächen. Vielleicht werden wir Gras finden und so Pferd und Maultier am Leben erhalten, damit wir nicht einen Teil des Viehs töten müssen." (6) Und sie hatten sich das Land geteilt, um darin umherzuziehen. Ahab ging auf einem Weg für sich allein, und Obadja ging auf einem anderen Weg für sich allein. (7) Während nun Obadja unterwegs war, siehe, da kam ihm Elia entgegen. Als er ihn erkannte, fiel er auf sein Angesicht und sprach: "Bist du dieser, mein Herr Elia?" (8) Und er sprach: "Ich bin es. Geh, sprich zu deinem Herrn: 'Siehe, Elia ist da."' (9) Er aber sprach: "Was habe ich gesündigt, daß du deinen Knecht in die Hand Ahabs gibst, um mich zu töten? (10) So wahr Jahwe, dein Gott, lebt, es gibt kein Volk oder Königreich, wohin mein Herr nicht ausgesandt hat, dich zu suchen. Sie sprachen aber: 'Er ist nicht hier.' Da ließ er das Königreich oder das Volk schwören, daß es dich nicht gefunden habe. (11) Und jetzt sagst du: 'Geh, sprich zu deinem Herrn: Siehe, Elia ist da!' (12) Und wenn ich von dir wegginge, könnte der Geist Jahwes dich wegnehmen, wohin ich nicht wüßte: und wenn ich käme, Ahab Nachricht zu geben, und er dich nicht finden würde, würde er mich töten. Dein Knecht aber fürchtet Jahwe von Jugend217 auf. (13) Ist meinem Herrn nicht mitgeteilt worden, was ich getan habe, als Isebel die Propheten Jahwes getötet hat, daß ich von den Propheten Jahwes hundert Mann - je fünfzig Mann in einer Höhle - versteckt und sie mit Brot und Wasser versorgt habe? (14) Und jetzt sagst du: 'Geh, sprich zu deinem Herrn: Siehe, Elia ist da!' Er aber wird mich töten." (15) Da antwortete Elia: "So 213 214 215

216

217

Wiederum mit LXX. Verwechslung von und by. So korrekt (+ TP) nach dem Vorschlag von BHS, der auf der Lesart der Übersetzungen sowie weniger hebräischer Handschriften basiert. Entsprechend V. 13 nach der den Übersetzungen und einigen hebräischen Handschriften folgenden BHS. PI. (wegen D,-ns?3 [= Jugend]) mit LXX, wenigen hebräischen Handschriften u. a.

Kapitel II: Literargeschichte der Elia-Überlieferung

72

wahr Jahwe Zebaot lebt, vor dem ich stehe, fürwahr, heute werde ich mich ihm zeigen. (16) Und Obadja ging Ahab entgegen und gab ihm Nachricht. Daraußiin ging Ahab Elia entgegen. (17) Als dann Ahab Elia sah, sprach Ahab zu ihm: "Bist du dieser, der Israel ins Unglück stürzt?" (18) Er aber erwiderte: "Nicht ich habe Israel ins Unglück gestürzt, sondern du und das Haus deines Vaters, indem ihr die Gebote Jahwes verlaßt und den Baalen nachlauft. (19) Jetzt aber sende aus, versammle zu mir ganz Israel auf dem Berg Karmel sowie die vierhundertfünfzig Propheten Baals und die vierhundert Propheten der Aschera, die vom Tisch der Isebel essen." (20) Da sandte Ahab aus unter allen Söhnen Israels und versammelte die Propheten auf dem Berg Karmel. (21) Und es trat Elia zum ganzen Volk und sprach: "Wie lange wollt ihr auf zwei Zweigen hüpfen 218 ? Wenn Jahwe der Gott ist, folgt ihm nach, wenn es Baal ist, dann folgt ihm nach!" Das Volk aber antwortete ihm kein Wort. (22) Da sprach Elia zum Volk: "Ich bin übriggeblieben, ein Prophet für Jahwe allein. Die Propheten Baals aber sind vierhundertfünfzig Mann. (23) Man gebe uns also zwei Stiere. Dann mögen sie sich den einen Stier auswählen, ihn zerlegen und auf die Holzscheite legen. Feuer aber sollen sie nicht machen. Dann werde ich den anderen Stier zurecht machen und ihn auf die Holzscheite legen. Feuer aber werde ich nicht machen. (24) Dann sollt ihr den Namen eures Gottes anrufen, und ich werde den Namen Jahwes anrufen. Dabei soll gelten: Der Gott, der mit Feuer antwortet, er ist der Gott." Darauf antwortete das ganze Volk und sprach: "Die Sache ist gut." (25) Da sprach Elia zu den Propheten Baals: "Wählt euch den einen Stier aus - macht ihr ihn zuerst zurecht, denn ihr seid die Mehrheit - und ruft den Namen eures Gottes an, macht aber kein Feuer!" (26) Und sie nahmen den Stier, den man ihnen gegeben hatte, machten ihn zurecht, und riefen den Namen Baals an - vom Morgen bis zum Mittag derart: "Baal, antworte uns!" Aber da war keine Stimme und kein Antwortender. Dann hüpften sie über den Altar, den man gemacht hatte. (27) Am Mittag aber verspottete sie Elia und sprach: "Ruft mit lauter Stimme, denn Gott ist er. Ja, er ist Austreten und macht gewiß ein Geschäft. Fürwahr, er mußte mal 'raus. Vielleicht schläft er, wird aber erwachen." (28) Da riefen sie mit lauter Stimme und machten sich Einschnitte nach ihrer Sitte mit Schwertern und mit Lanzen, bis das Blut an ihnen herabfloß. (29) Als die Mittagszeit aber vorbei war, kamen sie ins Rasen bis zur Darbringung des Speiseopfers. Aber da war keine Stimme und kein Antwortender und keine Aufmerksamkeit. (30) Da sprach Elia zum ganzen Volk: "Tretet zu mir!" Und das ganze Volk trat zu ihm. Dann stellte er den zerstörten Altar Jahwes wieder her. (31)

UND ELIA NAHM ZWÖLF STEINE, DER ZAHL DER STÄMME DER SÖHNE JAKOBS

ENTSPRECHEND,

zu DEM DAS WORT JAHWES FOLGENDERMAßEN GESCHEHEN WAR: 'ISRAEL SOLL DEIN NAME SEIN. ' ( 3 2 ) DANN BAUTE ER DIE STEINE zu EINEM ALTAR UNTER DEM NAMEN JAHWES UND MACHTE EINEN GRABEN, EINEM RAUM FÜR ZWEI SEA SAATGUT ENTSPRECHEND, RINGS UM DEN ALTAR.

(33) U n d

er ordnete die Holzscheite, zerlegte den Stier und legte ihn auf die Holzscheite. (34) Dann sprach er: "Füllt vier Krüge mit Wasser und gießt sie über dem Brandopfer und über den Holzscheiten aus!" Dann sprach er: "Macht es ein zweites Mal!" Darauf taten sie es ein zweites Mal. Er aber sprach: "Macht es ein drittes Mal!" Und sie taten es ein drittes Mal. (35) Da lief das Wasser rings um den Altar. ABER AUCH DEN GRABEN FÜLLTE ER MIT WASSER. (36) Zur Darbringung des Speiseopfers trat der Prophet Elia heran und sprach: "JAHWE, GOTT ABRAHAMS, ISRAEL,

GETAN HABE! 218 219

ISAAKS UND ISRAELS, HEUTE MÖGE ERKANNT WERDEN, DAß DU GOTT BIST IN

UND ICH DEIN KNECHT BIN, SOWIE DAß ICH AUF DEIN WORT219 HIN ALL DIESE

DINGE

(37) Antworte mir, Jahwe, antworte mir, damit dieses Volk erkennt, daß du,

Vgl. zu dieser Übersetzung aber Gese, Bedeutung, 133f. Anm. 22. Sg. nach dem Vorschlag der BHS, der auf der Lesart einer Reihe hebräischer Handschriften u. a. beruht.

3. Die Dürre-Zeit I Reg 17-18

73

Jahwe, der Gott bist, und du ihr Herz rückwärts wendest!" (38) Da fiel das Feuer Jahwes herab und verzehrte das Brandopfer, DIE HOLZSCHEITE, DIE STEINE UND DIE ERDE. UND DAS

WASSER IM GRABEN LECKTE ES AUF. (39) Als das ganze Volk es sah, fielen sie auf ihr Angesicht und sprachen: "Jahwe, er ist der Gott! Jahwe, er ist der Gott!" (40) Da sprach Elia zu ihnen: "Ergreift die Propheten Baals, keiner von ihnen soll entkommen!" Und sie ergriffen sie. Elia aber ließ sie hinabsteigen zum Bach Kischon und schlachtete sie dort ab. (41) Dann sprach Elia zu Ahab: "Geh hinauf, iß und trink, denn da ist ein Laut, das Geräusch des Regens!" (42) Und Ahab ging hinauf, um zu essen und zu trinken. Elia aber ging hinauf zum Gipfel des Karmel, kauerte sich auf die Erde und legte sein Antlitz zwischen seine Knie220. (43) Dann sprach er zu seinem Knaben: "Geh doch hinauf, schaue aus in Richtung Meer!" Und er ging hinauf, schaute aus und sprach: "Nicht irgendetwas." Darauf sprach er: "Kehre um, sieben Mal!" (44) Beim siebten Mal aber sprach er: "Siehe, eine kleine Wolke, wie die Hand eines Mannes, steigt gerade aus dem Meer." Darauf sprach er: "Geh hinauf, sprich zu Ahab: 'Spanne an und fahre hinab, der Regen soll dich nicht aufhalten!'" (45) Und es dauerte nicht lange, da verfinsterte sich der Himmel von Wolken und Wind, und es kam ein gewaltiger Regen. Ahab aber bestieg den Wagen und fuhr nach Jesreel. (46) DA KAM DIE HAND JAHWES OBER221 Elia, und er umgürtete seine Lenden und lief vor Ahab her bis zur Ankunft in Jesreel.

3 .1. Die Opferprobe zum Erweis des einzig existenten Gottes 18,(17-20.)21-40 Mit den Kap. 17-18 liegt ein umfassender Textkomplex vor, der im gegenwärtigen Zusammenhang von dem Thema der "Dürre" umgriffen wird. Dieses Thema ist aus der Exposition, der Ankündigung des Ausbleibens des Regens (17,1), und dem Schluß, der Wiederkehr des Regens (18,41-46), zu ersehen. Um die Interpretation des Dürre-Komplexes in seinen verschiedenen Überlieferungsstadien gleich zu Anfang transparenter, und spätere Entscheidungen verständlicher zu machen, soll hier mit der Analyse der berühmten Erzählung von der "Opferprobe" (auch "Götterwettstreit auf dem Karmel" oder "Gottesurteil" genannt) begonnen werden. Die Passage 18,17-20 ist dabei als eine Überleitungsszene zu begreifen, welche die Erzählung in den Dürre-Kontext eingestellt hat. Dafür, daß zwischen diesem Abschnitt und der ausführlichen Geschichte kein ursprünglicher Zusammenhang bestanden haben kann, spricht zum einen, daß Ahab in der Erzählung von der Opferprobe keine Rolle spielt. Wenn die Geschichte aber damit begonnen hätte, daß Ahab von Elia beauftragt wird, das Volk und die Propheten zu versammeln, könnte man mit Recht erwarten, daß auch in der Geschichte selbst oder zumindest in ihrem Schluß Ahab irgendeine Bedeutung zukäme. Zum anderen fallt eine unterschiedliche Bezeichnung des Volkes 220 221

Sachlich korrekter PI. mit etlichen hebräischen Handschriften sowie Q. Verwechslung von und by.

74

Kapitel II: Literargeschichte der Elia-Überlieferung

auf222, welche die Annahme stützt, daß 18,17-20 und 18,21-40 nicht von derselben Hand verfaßt wurden. In der Erzählung ist nämlich stets von Dl?rr[b3] die Rede (V. 21.22.24.30.37.39), während die Beauftragung Ahabs von ^ « n t y ^ S spricht. Daß die Erzählung einmal unabhängig vom Zusammenhang der Kap. 1718 existiert hat, zeigt schon das völlige Fehlen der Dürre-Thematik; im Gegenteil scheint Wasser im Überfluß vorhanden (V. 34f.). Außerdem unterstreichen die hier begegnenden Personengruppen (Volk, Baal-Propheten), die im DürreZusammenhang nicht auftreten, dieses Urteil.223

3.1.1. Die Erzählung 18,21-40 3.1.1.1. Schichtung des Textes Die V. 21-24 stellen wohl die einleitende224 und themaanzeigende Szene der Erzählung dar. V. 21 allein endet negativ, indem das Volk auf Elias Rede nicht antwortet. Elia muß es nun nochmals mit einem konkreten Vorschlag versuchen, das Volk zu einer Reaktion zu bewegen, die dann in V. 24 lautet: "-p^in 3i£3". Jetzt erst kann die weitere Erzählung in Gang kommen. Damit ist nun erstens die Annahme verbunden, daß Elia, das Volk und die BaalPropheten zum Grundbestand der Erzählung gehören, und zweitens, daß diese einheitlicher zu beurteilen ist als meist angenommen. M. E. leuchtet nämlich die Rekonstruktion einer ursprünglichen Erzählung, die nur von der Auseinandersetzung zwischen Elia und dem Volk gehandelt haben soll225, nicht ein. Denn innerhalb eines derart hergestellten Textes bleibt ein gravierender sachlicher Widerspruch, der eine solche Rekonstruktion unwahrscheinlich macht: In V. 21 beschreibt Elia das Volk als zwischen Jahwe und Baal schwankend. In V. 24, der folgerichtig von Würthwein und Frevel zum ver-

222 223

224

225

S. Frevel, Aschera, 48. S. auch Steck, Überlieferung, 16; Smend, Wort Jahwes, 148; Würthwein, Erzählung, 132; ders., ATD 11,2, 215; ders., Opferprobe, 134; Hentschel, NEB 10, 111; Rehm, Das erste Buch, 176; Jones, NCBC (Kings II), 309; de Vries, WBC 12, 225ff.; Fohrer, Elia, 37f.; gegen Alt, Gottesurteil, 135f.l47; Seebaß, Elia, 499; Gray, OTL, 383ff.; Sanda, EH 9/1, 439; Frevel, Aschera, 52 (V. 19f. hänge mit der Grundschicht der folgenden Erzählung [V. 22.25.40) zusammen). Die Annahme einer ehemals existenten, dann aber weggebrochenen Einleitung (so Würthwein. ATD 11,2, 215: nicht mehr erwähnt von dems., Opferprobe) ist überflüssig, da Frevel, Aschera, 64 samt Anm. 144, auf die Möglichkeit eines Erzählanfangs mit tffJ'1 ohne vorhergehende Einführung der handelnden Personen (vgl. Jos 14,6; 21,1; Jer 42,1) hingewiesen hat. So Würthwein, ATD 11,2, 215; Frevel, Aschera, 67.

3. Die Dürre-Zeit I Reg 17-18

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muteten ursprünglichen Bestand gerechnet werden muß226, fordert Elia das Volk auf, den Namen ihres Gottes (nämlich Baal) anzurufen, jetzt plötzlich als ob Baal eindeutig der Gott des Volkes sei. Frevel nivelliert das Problem: "Den Vers [24; M. B ] kann man in seiner Schärfe kaum unterschätzen. War in V. 21 dem Volk noch Unentschiedenheit im Hüpfen nach beiden Seiten vorgeworfen worden, werden sie jetzt auf den Baalsdienst enggefuhrt"227. Aber wenn nun einmal (mit Recht) literarkritisch gearbeitet wird und man auf Hinweise wie Spannungen und Widersprüche angewiesen ist, darf doch die Differenz zwischen V. 21 und V. 24 nicht geleugnet werden: Schwanken zwischen Jahwe und Baal oder eindeutig Baal als seinen Gott haben - das paßt nicht zusammen! Also kann eine solche Rekonstruktion der Grunderzählung schwerlich überzeugen. Daher ist nun eine andere Lösung zu suchen, die davon ausgeht, daß die Baal-Propheten in der Erzählung fest verankert sind. Zu ihnen paßt am besten die Aufforderung von V. 24, daß eine Mehrzahl Baal als ihren Gott anrufen soll! Zusätzlich spricht für diesen Lösungsansatz, daß die in V. 26-29 beschriebenen Riten, die bis zur Ekstase fuhren228, unbedingt auf die Baal-Propheten als deren Subjekte verweisen. Ekstatische Phänomene eines ganzen Volkes sind sonst nirgendwo belegt229! In V. 23 ( u r n ) und V. 26aa.bß fln; + ntfftf230) ist eine vierte Größe, ein unpersönliches "man"231, anzunehmen. Im Verständnis von V. 23 kann weitgehend Frevel gefolgt werden232: "Man gebe uns (Baal-Propheten + Elia) zwei Stiere; und sie (Baal-Propheten) mögen sich auswählen den einen Stier . . .; und ich (Elia) werde zurechtmachen den anderen Stier ..." Doch redet Elia jetzt in V. 24 die Baal-Propheten an: "Und ihr sollt anrufen den Namen eures Gottes". Der Anredewechsel ist von daher zu verstehen, daß Elia bei der Vorstellung seines Vorschlags natürlich auch an das Einverständnis der Baal-Propheten

226

228

229

230

231 232

S. Frevel, Aschera, 70. Frevel, Aschera, 69 (im Original teilweise kursiv); Würthwein nimmt das Problem nicht wahr. Von Frevel, Aschera, 76, mit Recht gegen Würthwein, ATD 11,2, 215, für ursprünglich gehalten. Auch Frevel, Aschera, 97, ist sich bewußt, daß 18,26-29 besser zu den Baal-Propheten paßt. In I Sam 19,19ff. ist zu beachten, daß die Ekstase eindeutig von den Propheten ausgeht, auch wenn sie dann Nicht-Propheten mit erfaßt (vgl. auch Frevel, Aschera, 115 Anm. 305). Ein Beleg, der die Möglichkeit der Ekstase des Volkes stützt, steht noch aus. Frevel, Aschera, 71 ff., schwankt hier zwischen Elia und "man" als Subjekt: "Eine Entscheidung ist letztlich nicht zu fällen" (73): Aufgrund der terminologischen und sachlichen Parallelität von V. 26aa mit V. 23aa entscheide ich mich trotz des Numeruswechsels insgesamt für das "man". Darum kommt auch Frevel nicht herum. S. Frevel, Aschera, 67f., mit umsichtiger Beurteilung.

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Kapitel II: Literargeschichte der Elia-Überlieferung

appellieren muß. Da die Erzählung wie auch die Exposition insgesamt auf die Reaktion des Volkes bezogen ist, wird die Zustimmung der Baal-Propheten nicht explizit erwähnt, eben nur durch den Anredewechsel angedeutet. So muß zwischen V. 25, wo Elia den Baal-Propheten gebietet, den Namen ihres Gottes anzurufen, und V. 24, in dem Frevel233 die Anrede mit selbiger Aufforderung an das Volk gerichtet sieht, eben kein Widerspruch mehr gesehen werden. Nach Frevel234 begegne nun zwischen V. 26, der von der Zuteilung des Stieres an die Baal-Propheten berichte, und den V. 23.25, wo von deren Auswahlmöglichkeit gesprochen werde, ein weiterer unversöhnlicher Gegensatz. Jedoch ist das Gewicht der Aussage vor allem durch den Hauptsatz inp'T ~lSn~nN bestimmt, der davon erzählt, daß die Baal-Propheten den Stier genommen hätten. Der Relativsatz crt1? |ri3 itÖX ("den man ihnen gegeben hatte") bezieht sich eindeutig zurück auf V. 23, so daß dadurch eher herausgestellt wird, daß "man" einen Stier beschafft hat, als der Sachverhalt, daß dieser den Baal-Propheten zugeteilt wurde. Das Entgegennehmen des Stieres in V. 26 ist dann als Explikation der Aufforderung zur Auswahl in V. 25 zu verstehen. Frevel235 möchte nun noch V. 22aßb abtrennen, da hier auch die BaalPropheten erwähnt werden, und zwar aufgrund folgender Beobachtungen: Erstens werde mit "irr auf eine Verfolgung angespielt236, beziehe sich daher auf 19,10.14 und weise somit über die Opferprobe hinaus. Zweitens hänge der Vers mit 18,19* zusammen, der nicht zur Grundschicht gehöre. M. E. besitzt V. 22 aber innerhalb der Erzählung die Funktion, unter Einsatz des Verfolgungsmotives an dieser Stelle die Übermacht der Gegner Elias herauszustellen. Auch wenn Bezüge zu IReg 19,10.14 gesehen werden können, soll hier doch lediglich die Stellung Elias verdeutlicht werden, und zwar ohne daß dadurch auf einen außerhalb der Erzählung präsenten Zusammenhang angespielt würde. Die Beziehung zu 18,19* aber kann gut derart erklärt werden, daß der in der Überleitung begegnende V. 19 Formulierungen aus der Erzählung aufgreift. In 18,30-32 finden sich einige Hinweise (Doppelung, Widerspruch, Stil), die eine Abtrennung der V. 31-32 vom Grundbestand wahrscheinlich machen. In V. 30b ist von einer Wiederherstellung eines zerstörten Jahwe-Altars die Rede, in V. 3 lf. dagegen von einem Neubau. Damit verbunden sind die Struktur der Erzählung sprengende Vorstellungen: die Aufnahme von Gen

233

2.5 2.6

S. S. S. S.

Frevel, Aschera, 68f. Frevel, Aschera, 71. Frevel, Aschera, 64fF. Smend, Wort Jahwes, 148f.; gegen Steck, Überlieferung, 18f.

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35,10 (Umbenennung Jakobs237), die Aufstellung der zwölf Steine (vgl. Ex 24,4; Jos 4,20), der Altarbau unter dem Namen Jahwes (vgl. Gen 12,8; 13,4) und der Aushub eines Grabens vermutlich als sakraler Bezirk (vgl. Ex 27,18; 38,9.12)238. Somit dürfte V. 31-32 als kultisch orientierte, wohl erst nachpriesterliche Erweiterung zu beurteilen sein239. Wie V. 22 hat die Notiz des zerstörten, erst wiederherzustellenden Altars in der Erzählung die Funktion, die Unterlegenheit Elias herauszustellen, und ist terminologisch ( O l i n n Ö3TP) mit 19,10.14 verwandt, ohne daß jedoch eine Anspielung intendiert wäre240. Die Aufschichtung des Brennholzes in V. 33 bezieht sich auf die Beschreibung in V. 23 zurück und spricht ebenfalls für die stärkere Einheitlichkeit der Erzählung. V. 34 ist allein als "steigerndes Moment der Erzählung" zu verstehen "und von Reinigungsvorstellungen gänzlich" zu lösen241. Würthwein242 plädiert dafür, in V. 34 aufgrund von Vorstellungen der Waschung des Opferfleisches (Ex 29,17; Lev 1,9.13; 8,21; 9,14) einen kultischen Zusatz zu sehen. Doch sprechen terminologische (V. 34: p S \ sonst nie in Verbindung mit Opferhandlungen - Lev: y m ) und sachliche (in V. 34 keine aktive Waschung, Verunreinigung des Altars durch herabfließendes Schmutzwasser, Betonung des Brennholzes) Unterschiede gegen einen solchen Zusammenhang243. Wieder wird durch die Erschwerung der Opferbedingungen Elias244 seine Unterlegenheit betont, außerdem die Überlegenheit Jahwes herausgestellt. Die mit V. 32 übereinstimmende Formulierung D O O i n V . 35a und die Erwähnung des Grabens in V. 35b mag dafür sprechen, den gesamten V. 35 wie V. 32 für sekundär zu halten245. Jedoch dürfte aufgrund des Subjektwechsels 2,1

238 239

240

241 242 243 244

245

Vgl. dazu Westennann, BK.AT 1/2, 673 (nach-p); Blum, Komposition, 265ff.452ff. (späte P-Schicht). S. dazu die umfassende Diskussion bei Frevel, Aschera, 76ff. S. Frevel, Aschera, 78. Vgl. auch Thiel, Redaktionsarbeit, 170 Anm. 59; Steck, Überlieferung, 17 Anm. 2; Smend, Wort Jahwes, 139f.; und bereits Benzinger, KHC IX, 110; Kittel, HK 1.5, 148. Nach Frevel, Aschera, 79, drücke die Funktionsunfähigkeit des Platzes des JahweKultes wie V. 24 aus, daß das Volk sich Baal zugewendet habe. Dieses Verständnis ist aber nicht direkt aus V. 30b ersichtlich, sondern hängt an seiner Auffassung von V. 24. Würthwein, ATD 11,2, 216, behauptet die Abhängigkeit von V. 30b von 19,10.14, was bei ihm die literarkritische Herauslösung von V. 30b und V. 3 lf. zur Folge hat. Eine Abhängigkeit ist m. E. aber nicht nachzuweisen. Es handelt sich wohl lediglich um den Gebrauch des gleichen Motivs. Frevel, Aschera, 81. Würthwein, ATD 11,2, 216. S. überzeugend Frevel, Aschera, 81. Rationalistische Erklärungsversuche interpretieren diese Handlung allerdings ganz anders; darüber informiert z. B. Houtman, Säkularisation, 421. So Frevel, Aschera, 82, trotz der Beobachtung von Spannungen innerhalb V. 35.

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Kapitel II: Literargeschichte der Elia-Überlieferung

(Wasser - Elia) zwischen den beiden Vershälften und des eher ergänzend wirkende Anschlusses mit DJ") in V. 35b246 eine Differenzierung innerhalb V. 35 wahrscheinlicher sein. Die oben genannte terminologische Übereinstimmung von V. 35a und V. 32 läßt sich dann als Aufgreifen der in V. 35a vorliegenden Formulierung durch eine spätere Redaktionsschicht verstehen. In V. 36 wird man das Gebet an Jahwe der Grunderzählung absprechen dürfen: Es stellt zu V. 37 eine Doppelung dar, wobei V. 37 aufgrund des Gebrauchs von n]J? (vgl. V. 24.26.29), dem Volk als Erkenntnissubjekt, der Wendung OTt'^Kn r n r r (vgl. V. 21.39) und der doppelten Erhörungsbitte (vgl. die doppelte Antwort in V. 39) deutlich in den Kontext integriert ist und V. 36b demgegenüber Unterschiede aufweist (Erkenntnissubjekt unbestimmt, Erkenntnis am gleichen Tag, Jahwe Gott in Israel, ausfuhrliche Anrufung Jahwes). Dabei dürfte V. 36b aufgrund der Israelperspektive mit V. 31f. in Beziehung stehen247. M. E. reichen die Argumente aber nicht aus, um in V. 36a die Worte tffP] K ^ J ü in-^N als erneute, sachlich problematische Wiedereinführung abzutrennen248. Mit der Bezeichnung Elias als K ^ J steht die Wendung mit dem wohl zur Grunderzählung gehörenden V. 22 in Verbindung. Die Erwähnung des Nähertretens Elias ist durchaus sinnvoll in der Struktur der Erzählung. In V. 30a fordert er das Volk auf, heranzutreten, um jetzt nach der Erfolglosigkeit der Baal-Propheten eine Zäsur zu schaffen und die eigenen Bemühungen einzuleiten. In V. 30b.33-35a wird Elias Opfer vorbereitet. Sein Nähertreten an dieser Stelle ist als weiteres Gliederungssignal zu verstehen: nun steht Elia mit seinem Opfer auf dem Prüfstand. Auch sachlich ist die Wendung nicht problematisch. Zuvor war ja der Stier übergössen worden. Es ist gut vorstellbar, daß Elia dabei zur Seite getreten war und sich jetzt wieder an den Altar stellt. Auch V. 37b wird man nicht für sekundär halten müssen: Denn zum einen setzt der Ausdruck "rückwärts wenden" nicht zwingend den Abfall des Volkes voraus249, sondern vermag durchaus der in V. 21 geschilderten Unentschiedenheit zu entsprechen. Auch prophetische Umkehrrufe rechnen ja nicht mit dem fundamentalen Abfall von Jahwe, zu dem man keinen Bezug mehr hätte (s. z. B. Jes 44,22; Jer 3,14; Sach 1,2-6). Ebenfalls geht aus Prophetenworten die Vorstellung hervor, daß Jahwe selbst für die Umkehr des Volkes verantwortlich ist (etwa Jer 3 l,18f.33; Ez 36,26), weshalb die einzige und außerdem 246 247 248

249

Vgl. Frevel, Aschera, 80.82. S. die ausfuhrliche Diskussion bei Frevel, Aschera, 82ff. So aber Frevel. Aschera, 82. In der Beurteilung der Zeitangaben als ursprünglich ist jedoch Frevel, Aschera. 71, zu folgen; gegen Würthwein, ATD 11,2, 216. So aber Würthwein. ATD 11,2, 216.

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späte sprachliche Parallele Esr 6,22 (21? 3OH") nicht die Abtrennung von V. 37b von der Grundschicht rechtfertigen kann250. Da V. 38f. das vom Himmel fallende Feuer Jahwes die demütige Unterwerfung (•¡VJD ^33; vgl. Num 16,4; Jos 5,14; 7,6; II Sam 9,6; 14,22) des Volkes bewirkt, paßt auch der Erzählduktus zu dieser Bitte um eine von Jahwe ausgehende Umkehr. Im folgenden ist lediglich noch V. 38aßb dem Grundbestand abzusprechen, da hier die Erwähnung der Steine und des Grabens mit den wohl sekundären V. 31-32 in Beziehung stehen251. Kein hinreichender Grund besteht aber dafür, V. 40 als sekundär zu beurteilen252. Hat sich Baal im Verlauf der Erzählung als Nicht-Gott erwiesen, so ist die Nicht(mehr)-Existenz seiner Propheten die von der Erzählstruktur her folgerichtige Konsequenz253. Außerdem passen die V. 39-40 als Schluß der Erzählung ausgezeichnet zu der in den V. 21-24 vorliegenden Eingangsszene: Dieselben Personen treten auf, die offene Frage (Jahwe oder Baal?) ist entschieden, und V. 40 ist auf V. 22 bezogen254. Der Subjektwechsel innerhalb von V. 40 stellt nun keine Spannung dar, sondern dadurch "zielt das Ende der Opferprobe auf den Triumph des einen YHWHPropheten"255. Für die Grundschicht in 18,21-40 verbleiben somit V. 21-30.3335a.36aaß.37.38aa.39-40. Die V. 31-32.35b.36ay8b.38aßb stellen Erweiterungen dar und können aufgrund thematischer Verwandschaft einer Hand256 zugewiesen werden. So ergibt sich ein wesentlich einfacheres Bild als bei den Rekonstruktionen von Würthwein257 oder Hentschel258, die sieben bzw. vier Schichten voneinander sondern259. 250 251 252

253 254 255 256 257

258

259

So aber (unsicher) Frevel, Aschera, 85 Anm. 216. S. außerdem ebd., 103 Anm. 257. S. auch Frevel, Aschera, 86. So aber Steck, Überlieferung, 17; Würthwein, ATD 11,2, 215; Frevel, Aschera, 87ff. (Hier ist wieder von den Baal-Propheten die Rede, die zuvor aus der Grundschicht eliminiert wurden; Kohärenzstörungen zwischen V. 40 und dem vorangehenden Textbestand sind aber nicht auszumachen.); Jones, NCBC (Kings II), 310 (Ziel der Erzählung sei es, die Baal-Propheten zu demütigen, nicht sie zu töten). So auch Fritz, ZBK. AT 10.1, 174. Darauf weist Smend, Wort Jahwes, 148, hin. Frevel, Aschera, 91. So auch Frevel, Aschera, 103ff. S. außerdem unten Abschn. 3.1.1.3. S. Würthwein, ATD 11,2, 215f., der den Eindruck erweckt, daß er allein aufgrund unterschiedlicher thematischer Schwerpunkte und nicht anhand literarischer Beobachtungen differenziert. S. Hentschel, Elijaerzählungen, 156ff. (Übersicht 177f.; vgl. auch ders., NEB 10, l l l f . ; ders., Elija, 79IT.): die älteste Überlieferungsstufe werde durch die V. 21.30.40, die zweite durch V. 38*.39 repräsentiert. Bei Frevel, Aschera, 63ff., sind es immerhin nur drei Schichten: s. den Überblick 122f. Daß hier V. 40 nicht erwähnt ist, mag ein Versehen darstellen: vgl. die Textrekonstruktion im Anhang (981).

80

Kapitel II: Literargeschichte der Elia-Überlieferung

3.1.1.2. Entstehung und Intention der Grundschicht Der Grundschicht der Erzählung von der Opferprobe waren die V. 21-30.3335a.36aaß.37.38aa.39-40 zugerechnet worden. Zunächst fällt auf, daß sich in ihnen mehrere Anklänge an dtr. Spezifika finden. Erstens begegnet in 18,21 die Wendung rnrr/'?i?3 nriK die als Abwandlung der typisch dtn dtr. Formel •,~int< D'H^K nrjK "[bn anzusehen sein dürfte. Mit ihr wird die Einhaltung bzw. die Mißachtung des Ausschließlichkeitsanspruches Jahwes umschrieben (vgl. z. B. Dtn 6,14; Jdc 2,12.19; I Reg 11,10; Jer 7,6.9 Dtn 13,5; I Reg 14,8; II Reg 23,3)260. Zweitens dürfte die Herabfuhrung der Baal-Propheten und deren Abschlachtung am Kischon in V. 40 den Auftrag der Tötung von Fremdgott-Propheten (vgl. Dtn 13,2-6; 18,20; Ex 22,19)261 voraussetzen. Elia als wahrer Jahwe-Prophet tötet unbarmherzig die Propheten, die im Namen fremder (hier: nicht existenter) Götter geredet und so das Volk verfuhrt haben.262 In Elias Gebet V. 37a wird drittens die Erkenntnisaus-

260

261

262

S. Würthwein, Opferprobe, 137, der sich auf Helfmeyer, Nachfolge, 126f., bezieht. Frevel anerkennt die Nähe von V. 21 zu dtn.-dtr. Terminologie, möchte aber herausstellen, daß die Formulierungen in V. 21 nicht unbedingt dtr. sein müssen. Man könnte dies aufgrund verwandter Vorstellungen durchaus erwägen: s. etwa Jer 2,5.8.23; 9,13; 13,10; 16,11; Hos 2,7.15; 5,11; hier dürfte aber der sich anhand weiterer Beobachtungen ergebende späte Gesamtkontext für eine dtr. Beeinflussung von V. 21 sprechen. Dtn 18,20 und 13,2-6 in dem hier relevanten Textbestand fuhrt Rose, ZBK.AT 5.1, 99.298 auf "Schicht II" (13,4-5 weitgehend auf "Schicht III") zurück; nach Schwienhorst-Schönberger, Bundesbuch, 316ff., sei Ex 22,19a traditionsgeschichtlich älter als der Grundbestand von Dtn 13,2-6; Ex 22,19b stamme von DtrN(S). Vgl. auch Frevel, Aschera, 88f. 100, der darauf verweist, daß in vorexilischen Auseinandersetzungen zwischen wahrer und falscher Prophetie nie eine solche Härte wie in I Reg 18,40 begegnet. Die ebenfalls von Frevel genannte Stelle II Reg 10,25 ist aufgrund ihres von ebenso brutalen Geschehnissen handelnden Kontextes allerdings anders zu beurteilen; s. unten die Analyse von II Reg 10,18-27 (Seite 199ff) sowie Seite 202 Anm. 184. Frevel, Aschera, Aschera, 90f., sieht aufgrund der Erwähnung des Kischon in V. 40 eine Anspielung auf das dtr. Motiv der Vernichtung fremder Kultobjekte an einem Bach (vgl. Dtn 9,21; IReg 15,13; II Reg 23,4.6.12), wodurch Elia zusätzlich mit den kultreformerisch tätigen Königen parallelisiert werde (Eine historische Erklärung versucht Sanda, EH 9/1, 440f.: "Sollte der Kison bei der bevorstehenden Regenzeit ihre Leichen gegen 'Akko ans phönizische Gestade schwemmen, da sie vielleicht Phönizier waren? Oder wollte man den Ort, wo sich Jahve durch ein Wunder geoffenbart, mit ihren Leichen nicht entweihen?"). Im Blick auf den Endtext wird man die von Frevel genannte Anspielung erkennen können. Jedoch handelt es sich in I Reg 18,40 nicht um Kultobjekte; außerdem ist das eben genannte Motiv wohl erst spät-dtr. Herkunft: s. Würthwein, ATD 11,1, 187; ders., ATD 11,2, 455ff.; Rose, ZBK.AT 5.2, 507 ("Schicht IV"). Allerdings kennt auch DtrH bereits den Kischon als den Ort des Kampfes gegen Kanaan: s. Jdc 4,7.13 ( ("Jahwe, der uns behütet") denkbar. Diese Interpretation scheint sich aber nicht durchzusetzen: s. Müller, Kolloquialsprache, 26 samt Anm. 38. Aus der biblischen Überlieferung gehen allerdings keine Nachrichten über einen Jahwe-Tempel in Samaria hervor. Ein landesweit bedeutsames Heiligtum hat wohl allein in Betel bestanden: s. I Reg 12,29.32; II Reg 17,28; Hos 10,5; Am 7,13 und dazu Niemann, Herrschaft, 94 samt Anm. 419, 233, aber vor allem 214f. Das in Hos 8,5f. erwähnte "Kalb von Samaria" bezieht sich kaum auf die Hauptstadt: s. Jeremias, ATD 24,1, 107: "Staatskalb". Daher scheint eine Interpretation von KAgr[9]:8,2 am

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Kapitel III: Religionsgeschichtliche Probleme der Elia-Überlieferung

nach II Reg 10,19a auch der Unterhaltung von einigen Propheten und Priestern bedurft, die aber nicht sehr zahlreich gewesen sein werden, wie die Begrenztheit des Konfliktes zeigt. Die Königsbeurteilungen, welche ausdrücklich die "Mutter" Isebel erwähnen (I Reg 22,53; II Reg 3,2) scheinen sich auf die durch Isebel initiierten kultischen Neuerungen zu beziehen. Über Omri (882/878-871) (I Reg 16,23-28) und Joram (851-841) (II Reg 3,1-3) macht DtrH weitgehend unkonkrete und schematische Angaben. Die Notiz über das Entfernen der Mazzebe Ahabs (über die im Ahab-Rahmen aber nicht berichtet wird) läßt Joram sogar in einem positiven Licht erscheinen, und auch bei Omri "ist ein Denken am Werk, das Omri aufs Stärkste belasten will, das aber nur in erstarrten Formeln schaffen kann"262. Lediglich über Ahasja (852-851) wird erzählt, daß er Informationen über sein Ergehen (und eventuell auch hilfreiches Wirken) von einem Baal von Ekron erwartet habe - für die dtr. Traditionsbildung eine gern aufgegriffene Nachricht. Immerhin wird in 16,27 die Tüchtigkeit des angeblich schlimmsten Herrschers Omri, dessen Tochter übrigens ein jahwistisches theophores Element im Namen trägt (irr'pril?; s. II Reg 8,26263), anerkennend genannt, was sich wohl auf den Bau der Hauptstadt Samarias und die Konsolidierung des israelitischen Staates bezieht. Die große Leistung Omris wird schließlich auch daran deutlich, daß die Gegner Israels den Staat noch unter Jehu als "Haus Omri" bezeichnen264. Die Verbindung mit Phönizien wird durch die Verheiratung seines Sohnes Ahab mit der sidonischen Königstochter Isebel besiegelt. Insgesamt wird deutlich daß die so diskreditierten Omriden offenbar persönlich am Jahwe-Glauben festgehalten haben, während sie im Zusammenhang der Pflege der guten Beziehungen (politischer, wirtschaftlicher und kultureller

wahrscheinlichsten, die "Samaria" als nomen terrae für das Nord-Reich begreift (so van der Toorn, Saul, 533 samt Anm. 39 [wonach "Jahwe von Samaria" dann als Hinweis auf Jahwe als Nationalgott des Nord-Reiches zu verstehen wäre]; Müller, Kolloquialsprache, 261). Mit einem solchen Sprachgebrauch dürfte nämlich zu Beginn des 8. Jh. bereits vereinzelt zu rechnen sein (s. Bohlen, Fall, 3 lOf. samt Anm. 130). 262

263

264

Timm, Dynastie, 31, im Zusammenhang der Erklärung des bezuglosen D H ^ p n a ("mit ihren Nichtsen") in I Reg 16,26. Mit Würthwein, ATD 11,2, 322, ist gemäß II Reg 8,26 Atalja als Tocher Omris anzusehen; gegen II Reg 8,18 (dort Tochter Ahabs). S. Timm, Dynastie, 199f. samt den in Anm. 75 genannten Belegen, etwa ANET, 280 (face B[base], 97-99), 281 (II), 281 (a,l-21). Vgl. auch Ahlström, History, 573. Schneider, Jehu, passim, wird durch die assyrischen Quellen, die vom Umsturz Jehus gewußt hätten, dazu veranlaßt, die traditionelle Ansicht über Jehu zu hinterfragen; er kommt dabei zu dem Ergebnis: "It is not improbable that Omri had more than one son, nor is it uncommon for one son to resent another's accession to the throne over his own. It is therefore not difficult to believe that Jehu was the descendant of some branch of the Omri clan" (107).

2. Die Frage nach einer Auseinandersetzung zwischen Jahwe und Baal

219

Art) zu den nördlichen Nachbarn und der damit verbundenen Einbeziehung Isebels in das Staatsgefiige sowie der wohl auch durch Phönizier mitgeprägten Hofhaltung die Ausübung des Baal-Kultes toleriert, ja letztlich durch die Errichtung einer entsprechenden Kultstätte legitimiert haben. Dies wird zunächst auf den Königshof beschränkt gewesen sein, durch derartige Einrichtungen dürften sich aber auch Baal verehrende Kreise in der Bevölkerung gestärkt und bestätigt gesehen haben. Gegen die Ansicht Weipperts, daß Baal unter Ahab und Isebel zum Schutzgott der omridischen Dynastie etabliert werden265, bzw. Längs, daß Baal neben Jahwe oder unter Ablehnung Jahwes zum Nationalgott gemacht werden sollte266, spricht also zum einen, daß Omri und Ahab aufgrund der Verwendung eines jahwistischen theophoren Elementes bei der Namengebung ihrer Kinder als Jahwe-Verehrer angesehen werden müssen, auch wenn die spätere Überlieferung dies verzeichnet. Diese Ansicht wird dadurch bestätigt, daß nach I Reg 18,41 ff der Jahwe-Verehrer Elia als Regenmacher Ahab zu Hilfe kommt, ohne daß ein kritisches oder gar feindschaftliches Verhältnis zwischen den beiden sichtbar wird. Zum anderen ist in einer Zeit, in welcher der Jahwe-Glaube keinen Anspruch auf Ufliversalität erhoben hat und allein an Israel gebunden war ("Monolatrie"), die Verehrung ausländischer Gottheiten durch nach Israel gekommene ausländische Gruppen und die Duldung dieses Verhaltens durch Jahwe-Verehrer religionsphänomenologisch als normal anzusehen267. Eine Hochstilisierung des Konflikts muß auch von dieser Beobachtung her als unwahrscheinlich angesehen werden. Ebenso wäre gegenüber der Meinung van der Toorns, die Omriden hätten einen "modern State based on the principles of a more or less 'neutral' religious politics [...]", "a new culture of religious tolerance" schaffen wollen268, aufgrund des genannten Befundes darauf hinzuweisen, daß genau ein solches tolerantes Klima bereits zuvor im Rahmen der monolatrischen Orientierung Israels, dessen Gottheit keine universale Geltung beansprucht, selbstverständlich gewesen sein dürfte. Eine paritätische Religionspolitik, mit der die Interessen der verschiedenen Bevölkerungsteile, Israeliten und Kanaanäer, ausgeglichen werden sollten, hat Alt wahrscheinlich zu machen versucht269. Den Ausgangspunkt der These Alts stellt die Verwunderung darüber dar, weshalb Omri sich zu einer totalen Neugründung seines Königssitzes durch den 265 266 267

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So M. Weippert, Synkretismus, 20. So Lang, Bewegung, 59f. Vgl. Helck, Götter, passim; Stadelmann, Götter, 630f.; Brunner-Traut, Ägyptenkunde, 86; Steiner, Gott, 574. Gegen Crüsemann, Elia, 23f., der von einem "Klima der Gewalt" im 9. Jh. spricht. Van der Toorn, Resistance, 241.243. Ist diese Beschreibung nicht zu neuzeitlich gedacht? So Alt, Stadtstaat, 265.

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Kapitel III: Religionsgeschichtliche Probleme der Elia-Überlieferung

Bau Samarias auf einem traditionslosen, kaum besiedelten und verkehrspolitisch eher abgelegenen Hügel entschlossen habe, wobei der Befund hinzukomme, daß gleichzeitig mit Jesreel noch eine andere Residenz in der Überlieferung hervortrete270. Alt schließt zunächst aus den in I Reg 16,24 und I Reg 21 hervortretenden unterschiedlichen Rechtsvorstellungen - was Ahab aufgrund des israelitischen Bodenrechts, das Jahwe als Obereigenttimer verstehe, nicht einmal im Kleinen erreiche, das gelinge Omri bezüglich des Erwerbs eines Großgrundbesitzes - , daß "das Gebiet um Samaria seit alters in den Geltungsbereich der kanaanäischen Landeskultur einbezogen" [... und] "ihm dieses Gepräge auch nach der Einwanderung der israelitischen Stämme" erhalten geblieben sei271. Die Wirren um das Königtum Omris (s. I Reg 16,2lf.) sieht Alt durch die Frage, ob die Israeliten oder die Kanaanäer die Vormacht im Reich haben sollten, bedingt. Auch wenn der Streit durch den baldigen Tod seines Gegenkönigs Tibni äußerlich zugunsten Omris entschieden worden sei, habe eine politische Neugestaltung erfolgen müssen, um die Einheit des Reiches von innen her zu schützen und die Interessen beider Volksgruppen zu befriedigen. Die Lösung dieses Problems sei schließlich durch die Unterhaltung zweier Residenzen erfolgt: Einer in Jesreel auf israelitischem Boden für die israelitische Bevölkerung, und einer im als kanaanäischen Stadtstaat gegründeten, und durch Personaltinion mit Israel verbundenen Samaria für die kanaanäischen Belange.272 Als Stützen für seine These führt Alt weitere Befunde an: die erstaunlich fein gearbeitete, an phönizische Befunde erinnernde Kasemattenmauer in Samaria; die ägyptische und phönizische Motive enthaltenden Elfenbeinarbeiten Ahabs; das nicht Jahwe, sondern Baal (= Melqart) geweihte offizielle Heiligtum; die Anerkennung des Sonderstatus' Samarias als eigener Stadtstaat in den Briefen Jehus (II Reg 10,2f.); und die als Übernahme des sakralen Sonderstatus der Stadt verstandene Einladung Jehus zum Fest für Baal (II Reg 10,18ff.).273 Jedoch ist schon die Voraussetzung der These Alts, die Bedeutung und Einflußmöglichkeit eines von Israel zu unterscheidenden kanaanäischen Bevölkerungselementes zur Zeit der Omriden in Israel fraglich, nachdem erkannt ist, daß die Entstehung Israels vor dem Hintergrund einer überwiegend "kanaanäischen Matrix" verstanden werden muß274. Sodann lassen sich wohl weder aus I Reg 2 1 275 noch aus den spärlichen Angaben in 16,24276 gesicherte Aussagen über die bodenrechtlichen Verhältnisse in Israel gewinnen. Außerdem wurde Samaria von Jehu und allen nachfolgenden Königen als Hauptstadt anerkannt (s. z.B. II Reg 10,35; 13,9.13; 14,16[.29]), was doch merkwürdig gewesen wäre, wenn diese eine überwiegend kanaanäische Stadt dargestellt und aufgrund der RevolutionsEreignisse als Symbol für den Baal-Kult gegolten hätte277. 270 271 272 273 274

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S. Alt, Stadtstaat, 259f. Alt, Stadtstaat, 263f. S. Alt, Stadtstaat, 266£f. S. Alt, Stadtstaat, 271ff. S. van der Toorn, Resistance, 237f. Vgl. auch Timm, Dynastie, 143. Zur "kanaanäischen Matrix" s. Seite 28 Anm. 160. S. oben Seite 64. Timm, Dynastie, 144, vermißt eine ethnische Angabe über Schemer, eine Nachricht über den Modus des Kaufgeschäftes und eine Notiz über den Status des Kaufobjektes. Außerdem ist nicht einmal sicher, ob es sich bei der Notiz I Reg 16,24 um eine authentische Nachricht handelt. Zu den Problemen, die sich aufgrund der Ätiologie ergeben, s. Würthwein, ATD 11,1, 199. Gegen historische Schlüsse aus I Reg 16,24 s. auch Tappy, Archaeology, 68f.214f.; anders aber H. Weippert, Palästina, 535ff.; Fritz, Stadt, 106. S. Timm, Dynastie, 147; Briquel-Chatonnet, Relations, 298. Auch Alt, Stadtstaat, 29lf., notiert dieses Faktum als Auffälligkeit, jedoch möchte er nach breiter Entfaltung

2. Die Frage nach einer Auseinandersetzung zwischen Jahwe und Baal

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Knapp zusammengefaßt ergibt sich also folgendes Bild: Eine unter anderem auch religionspolitische Motivation, ausgehend von jahwistisch bestimmten Kreisen, scheint plausibel, wird aber nicht der einzige und auch nicht der dominante Anlaß für die Revolution gewesen sein. Auch die Überlieferung über die Revolutionsereignisse ist ja divergent. Bei der Ermordung der BaalPropheten und -Priester dürfte es sich lediglich um eine lokal begrenzte Aktion gehandelt haben, eine umfassende Ausrottung des Baal-Kultes wird kaum im Blick gewesen sein und auch nicht stattgefunden haben. Außerbiblische Zeugnisse zeigen nämlich, daß die Baal-Verehrung in Israel in einem Teil der Bevölkerung wohl gängige Praxis war, und dies auch nach der JehuRevolution. Die Nachrichten über die Könige der Omri-Dynastie machen wahrscheinlich, daß diese selbst wohl dem Jahwe-Glauben anhingen, aber dem Baal-Glauben einen legitimen Spielraum eröffneten, der wohl mit der Heirat von Ahab und Isebel und der durch dieses Ereignis besiegelten politischen Allianz zusammenhing. Dies wurde im Rahmen der monolatrischen Toleranz offenbar zunächst noch hingenommen. Offenbar hat Elia den Bau eines BaalTempels durch Ahab noch nicht als Problem empfunden, da dieser wohl weiter dem Jahwe-Glauben verpflichtet und die Kultstätte lediglich für die phönizischen Hofangestellten gedacht war. Die partielle Baal-Verehrung am Königshof hat im Lauf der Zeit aber wohl auch auf weitere israelitische Bevölkerungselemente ausgestrahlt. Somit haben jahwistische Kreise letztlich im Gebaren des Königshofes einen Angriff auf den Alleinverehrungsanspruch Jahwes sehen können. Das in II Reg 1* erzählte Verhalten Ahasjas fügt sich nun in das religionshistorische Gesamtbild ein. Aus der Überlieferung geht hervor, daß bereits Ahasja sich hinsichtlich der Verehrung Jahwes von seinem Vater Ahab unterschieden hat, was ein Eingreifen Elias zur Folge hatte. Angesichts der auch anderweitig zu greifenden Konflikte um den Baal-Glauben ist davon auszugehen, daß es tatsächlich zu einen Zusammenstoß zwischen Elia und Ahasja gekommen ist, was die Prophetenerzählung II Reg 1 * an einem konkreten Beispiel beleuchtet: Trotz aller Toleranz gegenüber der Baal-Verehrung wollte Elia offenbar den grundsätzlichen Bezug Jahwes zu Israel, als dessen Repräsentant der König gilt, gewahrt wissen und konnte daher dessen Verletzung

seiner These hierin kein Gegenargument mehr erkennen: Die Veränderungen Jehus (ein Königssitz, Abkehr vom Dualismus, kein Stadtstaat Samaria, keine Erneuerung des Baal-Kultes) rechtfertigten sein Residieren in Samaria. Zur Diskussion des hauptstädtischen Charakters Samarias s. Niemann, Herrschaft, 93ff. Zur Rolle Jesreels s. Seite 113 Anm. 423. Ussishkin, Jezreel, 356, schließt aufgrund der Ähnlichkeit in der Bausubstanz, daß "the planners and builders of Samaria and Jezreel belonged to the same architectural school".

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Kapitel III: Religionsgeschichtliche Probleme der Elia-Überlieferung

des Alleinverehrungsanspruchs Jahwes nicht hinnehmen. Schwierig verständlich ist aber die Textaussage, daß der König zu einer Zeit, während der Isebel noch in Samaria residierte und dort wohl auch eine Baal-Kultstätte samt Personal bestand, zu einem Baal von Ekron senden läßt. Genoß dieser Baal Ekrons ein besonderes Ansehen, so daß es Ahasja in Todesfurcht sicherer schien, lieber die Stätte eines bekannten Heilgottes aufsuchen zu lassen?

2.3. Versuch einer Rückfrage nach dem Verhältnis von Jahwe und Baal vor dem 9. Jh. Kann also m. E. mit einer Auseinandersetzung zwischen Jahwe und Baal im 9. Jh. gerechnet werden, für die zumindest die aktuelle Politik der Omriden, ihre Auswirkungen, das vom Königshof ausgehende Aufleben der BaalVerehrung, sowie das Empfinden deren Anstößigkeit in jahwistisch orientierten Kreisen ausschlaggebend gewesen sein werden, so ergibt sich von hier aus die interessante Frage nach dem Verhältnis von Jahwe und Baal in der Zeit zuvor: Gab es vor dem 9. Jh. bereits Auseinandersetzungen? Wodurch wären diese motiviert gewesen? Oder gab es ein friedliches Nebeneinander von Jahwe- und Baal-Verehrung? Weshalb kommt es dann im 9. Jh. zum (beschränkten) Konflikt?

2.3 .1. Biblische Baal-Belege Ausgangspunkt für die Rückfrage soll eine Durchsicht der biblischen BaalBelege sein, die in Zusammenhängen begegnen, welche über Zeiten vor dem 9. Jh. erzählen wollen. Hier kommen vor allem mit dem Element Baal gebildete Ortschaften und Personennamen aus der frühen Königszeit in Betracht. Aber es begegnen in derartigen Kontexten auch Gottheiten.

2.3 .1.1. Gottheiten In Jdc 6,25-32 wird vom nächtlichen Niederreißen eines Baal-Altars durch Gideon, der sich vor den Stadtbewohnern wie vor seinem Vater fürchtet, dem Bau eines Jahwe-Altars an seiner statt und dessen sofortiger Nutzung für ein Opfer erzählt. Die entsetzten Stadtbewohner fordern nach der Entdeckung der Tat den Tod Gideons, während sein Vater Joasch entgegnet, Baal solle doch

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für sich selber streiten. Die Grundschicht von Jdc 6,25-32 dürfte mit Frevel278, der wesentliche Beobachtungen U. Beckers279, aufgreift, wohl mit den V. 25aa*b*.27a.28aaß. 29.30aba.31-32 vorliegen. Diese wird aber bereits dtr. Ursprungs sein, wie Sprachgebrauch (n3T0 yn3; s. Dtn 7,5; 12,3; Jdc 2,2; II Reg 23,12.15), theologische Tendenzen (Entschärfung des anstößigen Namens "Jerubbaal", das Nicht-Gott-Sein Baals explizierende Ironie in V. 31) und die kompositorische Funktion (Verknüpfung von Gideon- mit AbimelechÜberlieferung) zeigen280. Eine ältere Tradition ist wohl kaum zu greifen, zumal die Szene selbst nicht lokalisiert ist; lediglich aus dem gegenwärtigen Kontext geht Ofra, die Stadt der Abiesriter (V. 24.34) als Schauplatz des Geschehens hervor. So können aus dieser Erzählung keine Nachrichten für das Verhältnis von Jahwe und Baal in vorstaatlicher Zeit gewonnen werden. Größtenteils wird davon ausgegangen, daß es sich bei Baal-Berit um eine kanaanäische Gottheit gehandelt habe281. Albertz kontrastiert den in Jdc 8,46 erwähnten Tempel des Baal(!282)-Berit sogar mit dem außerhalb der Stadt Sichern gelegenen Jahwe-Heiligtum (s. 9,6) und schließt daraus, daß die "Bauern- und Hirtenbevölkerung Palästinas [...] in der Tempeltradition der kanaanäischen Stadtkultur, von der sie sich emanzipiert hatte, offenbar keinen angemessenen Ausdruck ihrer eigenen kultischen Gottesverehrung mehr" gesehen habe283. Bei einer solchen Sichtweise ist jedoch die Textgenese von Jdc 9 nicht hinreichend berücksichtigt. Nach U. Becker wären nämlich ein Erzählkranz über Aufstieg und Ende Abimelechs (9,25-41.46-54) sowie die königskritische Jotam-Fabel (9,8.15a), die profanen Charakter trügen, durch DtrH gerahmt (9,l-6.7.15b.l6a.l9b-21.22f.42-44a.45.49b*.55) und erst so zu einer

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S. Frevel, Aschera, 150ff.: Die Funktion des ersten Stieres habe nur im Einreißen des Baal-Altars bestanden; der Wechsel von 0"in und 2 n j sei nicht störend, da auf unterschiedliche Perspektiven (Jahwe-Rede - Bewohner) verteilt; Joasch gelte als JahweVerehrer; der Aschera-Bezug sei erst sekundär hinzugefügt S. U. Becker, Richterzeit, 152ff. Becker vermutet weiter, daß das Einbringen des Jahwe-Altars und des zweiten Stieres in der Erweiterungsschicht durch die Erzählung I Reg 18,21-40 bedingt sei. S. U. Becker, Richterzeit, 152.156f.; Frevel, Aschera, 153f. Vgl. auch Hoffmann, Reform, der die Szene (bei Verzicht auf literarkritische Arbeit) als Lehrerzählung über die Durchführung von Kultreformen interpretiert. Anders noch Richter, Untersuchungen, 157ff.; L. Schmidt, Erfolg, 5 ff.; Spieckermann, Juda, 205f., die mit einer vordtr. Tradition rechnen, deren Erweisbarkeit und Gestalt aber jeweils unterschiedlich beurteilen. S. z. B. de Moor-Mulder, *7J?3, 720; Mulder, Baal-Berit, 266ff. MT bezeugt n n ? bx. Die Lesart der LXX (ITH? *?J?3) stellt wohl eine Angleichung an 9,4 dar. Albertz, Religionsgeschichte, 129, läßt sowohl einen Hinweis auf als auch eine Begründung für die textkritische Entscheidung vermissen. Albertz, Religionsgeschichte, 129.

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Kapitel III: Religionsgeschichtliche Probleme der Elia-Überlieferung

theologischen Geschichtsschreibung umgeprägt worden284. Der Abschnitt 9,16, der trotz mancher Spannungen als einheitlich angesehen werden müsse285, stelle die Einleitung des Erzählkomplexes dar, der bereits eine negative Bewertung des Königtums enthalte und damit die folgende Jotam-Fabel vorbereite: Zum einen stamme Abimelech von einer nicht-israelitischen Mutter ab, sei also ein halber Heide (8,31; 9,1); entsprechend werde auch das Königtum als heidnisch diskreditiert. Zum anderen betone V. 2f., daß Abimelech Bruder der Sichemiten sei; damit werde ein Kontrast zu Dtn 17,15 herausgestellt, wonach der König Bruder der Israeliten sein solle (vgl. auch II Sam 5,1). Schließlich trete die Wurzel gehäuft auf (Jerubbaal V. 1.5, Bewohner Sichems V. 2.3 .6, Baal-Berit V. 4). Somit dürfte Baal-Berit aber "als eine bewußte und zugleich diskreditierende Modifikation der Bezeichnung 'Bundesgott' in 4 6 zu deuten sein"286, infolge dessen die dtr. Redaktion die gesamten Vorgänge in V. 1-6 unter dem Verdikt des Götzendienstes erscheinen läßt, so daß auch diese Erwähnung Baals für eine religionsgeschichtliche Rückfrage ausscheiden muß. Baal-Peor wird in Num 25,3.5; Dtn 4,3; Hos 9,10 und Ps 106,28 erwähnt. In Hos 9,10 begegnet Baal-Peor bereits als Chiffre, die eine verfehlte JahweVerehrung seit dem Erstkontakt mit dem Kulturland konstatiert287. Liegen in den anderen Erwähnungen Baal-Peors Hinweise vor, welche die Rückfrage nach der Baal-Vorstellung weiterfuhren? Dtn 4,3 gehört zu der wohl spätnachexilischen Komposition Dtn 4,1-40, die einen Geschichtsrückblick bietet, der die früheren Überlieferungen voraussetzt288. In Ps 106,28 fällt zwar die Erwähnung von Opfern für die Toten auf, die in den älteren Belegen nicht zu finden ist. Hier könnte also eine eigenständige

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S. U. Becker, Richterzeit, 184ff, sowie die Zusammenfassung 205f. Auf DtrN gehe schließlich noch die moralisierende Bearbeitung der V. 16b-19a.24.56f. zurück. S. U. Becker, Richterzeit, 186f.; Görg, NEB 31, 51. Spannungen stellen etwa folgende Beobachtungen dar: Aufenthalt der siebzig herschenden Männer in Ofra (V. 5) bzw. Sichern (V. 2); feste Verankerung der Brüder in V. 4f. im Gegensatz zu ihrer nur appositionellen Erwähnung in V. 2; überflüssige Tötung der Männer nach Erfolg Abimelechs in V. 3b. Allerdings führt die literarkritische Auswertung dieser Spannungen, wie U. Becker zeigt, nicht zu einem brauchbaren Ergebnis: auch der vermeintlich ältere Bestandteil setze manches voraus, was nur aus der redaktionellen Überleitung 8,30-32 bekannt sei. Görg, NEB 31, 51. S. auch U. Becker, Richterzeit, 189; Zenger, Beispiel, 134; Koch, Sprache, 60. Ohne daß Lewis, Identity, die literarischen Gegebenheiten des Textes genauer berücksichtigt, kommt er aufgrund der Untersuchung außerbiblischer Quellen zu einem ähnlichen Ergebnis: bei der betreffenden Gottheit habe es sich um El-Berit gehandelt, Baal-Berit stelle dessen Epithet dar (423). S. unten Seite 268f. sowie Jeremias, Begriff, 447f. S. Rose, ZBK.AT 5.2, 492.

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Tradition bewahrt sein289. Da Ps 106 aber von der bereits abgeschlossenen Pentateucherzählung abhängig sein dürfte290, ist es m. E. zunächst einmal wahrscheinlicher, hier eine Auslegung anzunehmen, die den Charakter des Opfermahles Num 25,1-5 verdeutlichen möchte. Dafür ist allerdings die Vorstellung vorausgesetzt, daß Baal auch für die Ahnen in der Unterwelt zuständig ist. Bedenkt man weiter das Votum Spronks -"The name of Peor in itself already points to a relation with the cult of the dead291, especially when it is observed that it shares this association with other place names in this region east of the Dead Sea"292, "which clearly refer to the dead and the netherworld . Obot, 'spirits of the death', and Abarim, 'those who have crossed (the river of death)' (Num 21:10-11; 33,43-44)"293 dann könnte Ps 106,28 tatsächlich den Charakter des Baal-Peor richtig getroffen haben. Die Auslegung von "Opfern ihrer Götter" (Num 25,2) durch "Opfer für die Toten" (Ps 106,28) dürfte durch die Parallelität von •Ti'PK und D ^ D in Jes 8,19f. (vgl. auch CTA 6.6.47f), die Vorstellung der Vergöttlichung der Ahnen294 und das Wissen um die Zuständigkeit Baals für die Toten vorbereitet sein29S. Die Auffassung, daß es sich um Opfer fur die (vergöttlichten) Toten gehandelt habe, kann allerdings nicht für Num 25,2 reklamiert werden, da es sich dort aufgrund des Gebrauchs des Suffix dann um die Toten der Moabiter gehandelt hätte. Daß aber die Israeliten an Opfern nicht für ihre eigenen, sondern für die Ahnen der Moabiter teilgenommen hätten, ist doch schlecht vorstellbar. Mit den werden wohl tatsächlich von den Moabitern verehrte Gottheiten (bzw. Sg.) gemeint sein296. Die Textgenese von Num 25 ist äußerst unsicher zu bestimmen. Relativ klar scheint jedoch, daß die V. 16-18 die beiden zuvor erzählten Szenen V. 1-5 und V. 6-13(14-15) miteinander verklammern297 und auf Kap. 31 hinführen298. Im vorangehenden Textbestand wird man dann wohl zwischen V. 1-5 und 6-15 299 literarkritisch differenzieren 289 290 291 292 293

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S. Spronk, Baal of Peor, 280. S. Kraus, BK..AT XV/2, 900f.; Seybold, HAT 1/15, 421. Vgl. l ä B = "den Mund aufsperren", in Jes 5,14 auf die Unterwelt bezogen. Spronk, Baal of Peor, 280. Spronk, Afterlife, 228. Zu Jes 5,14 s. auch Wildberger, BK.AT X/l, 190. Zum Ortsnamen Obot s. auch Tropper, Nekromantie, 308f. S. dazu etwa van der Toorn, Ancestors, passim. S. Lewis, Cults, 167; Dietrich-Loretz, Baal-Titel, 391f.; dies., Baal rpu, 179f.; W. Hermann, Baal, 256f.; Liwak, O^S"), 627.629£f. Dafür plädiert auch Lewis, Cults, 167. Midianiter (