Elementare Grundlagen der Hochschulmathematik - Fachlich und methodisch mit Online-Selbsttests [1 ed.] 9783658299521

Dieses Buch bietet eine ausführliche und anschauliche Einführung in die Hochschulmathematik mit den thematischen Schwerp

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Elementare Grundlagen der Hochschulmathematik - Fachlich und methodisch mit Online-Selbsttests [1 ed.]
 9783658299521

Table of contents :
Vorwort......Page 5
Zum Einsatz in der Lehre und im Selbststudium......Page 7
Inhaltsverzeichnis......Page 10
1 Logik und Beweismethoden......Page 12
1.1 Aussagenlogik......Page 13
1.2 Direkte und indirekte Beweise......Page 21
1.3 Fallunterscheidungen......Page 29
1.4 Äquivalenzbeweise......Page 35
1.5 Prädikatenlogik......Page 40
1.6 Beweisen und Widerlegen von Aussagen mit Quantoren......Page 44
1.7 Das Schubfachprinzip......Page 50
2 Mengenlehre......Page 55
2.1 Mengen und Mengenschreibweise......Page 56
2.2 Mengenoperationen......Page 60
2.3 Abzählprinzipien endlicher Mengen......Page 68
3 Die natürlichen Zahlen......Page 74
3.1 Rekursion......Page 76
3.2 Das Pascalsche Dreieck......Page 86
3.3 Vollständige Induktion......Page 91
3.4 Varianten der vollständigen Induktion......Page 101
3.5 Stellenwertsysteme......Page 107
4 Relationen......Page 115
4.1 Relationen und deren Eigenschaften......Page 116
4.2 Äquivalenzrelationen......Page 120
4.3 Ordnungsrelationen......Page 127
5 Funktionen......Page 132
5.1 Der Funktionsbegriff......Page 133
5.2 Funktionseigenschaften......Page 136
5.3 Komposition von Funktionen und Umkehrfunktionen......Page 144
5.4 Bilder und Urbilder......Page 150
5.5 Das Hotel Hilbert......Page 153
5.6 Abzählbarkeit......Page 156
6 Elementare Zahlentheorie......Page 163
6.1 Der euklidische Algorithmus......Page 164
6.2 Der Hauptsatz der Arithmetik......Page 168
6.3 Modulare Arithmetik......Page 174
6.4 Teilbarkeitsregeln......Page 179
6.5 Diophantische Gleichungen......Page 183
7 Die ganzen und rationalen Zahlen......Page 188
7.1 Gruppen......Page 189
7.2 Ringe und Körper......Page 195
7.3 Die Konstruktion der ganzen Zahlen......Page 202
7.4 Die Konstruktion der rationalen Zahlen......Page 207
8 Die reellen und komplexen Zahlen......Page 214
8.1 Dedekindsche Schnitte......Page 215
8.2 Die Vollständigkeit der reellen Zahlen......Page 220
8.3 Die Dezimalbruchdarstellung......Page 224
8.4 Die komplexen Zahlen......Page 228
8.5 Die Polarkoordinaten......Page 234
8.6 Sind das alle Zahlen?......Page 240
Ausgewählte Lösungshinweise......Page 243
Verzeichnis der Methoden und Ergänzungen......Page 277
Literaturverzeichnis......Page 279
Symbolverzeichnis......Page 281
Stichwortverzeichnis......Page 283

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Regula Krapf

Elementare Grundlagen der Hochschulmathematik Fachlich und methodisch mit Online-Selbsttests

Elementare Grundlagen der Hochschulmathematik

Regula Krapf

Elementare Grundlagen der Hochschulmathematik Fachlich und methodisch mit Online-Selbsttests

Regula Krapf Mathematisches Institut Universität Koblenz-Landau Koblenz, Deutschland

Ergänzendes Material zu diesem Buch finden Sie unter https://www.springernature.com/de/ researchers/springer-nature-apps/sn-flashcards ISBN 978-3-658-29952-1 ISBN 978-3-658-29953-8 https://doi.org/10.1007/978-3-658-29953-8

(eBook)

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Spektrum © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Annika Denkert Springer Spektrum ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Vorwort

Das Ziel dieses Buches ist es, Studienanfängerinnen und Studienanfängern den Einstieg ins Mathematikstudium zu erleichtern. Es richtet sich dabei ganz besonders an Lehramtsstudierende mit Fach Mathematik aller Schultypen, von Grundschule bis Gymnasium. Die Literatur zu den Grundlagen der Hochschulmathematik ist bereits sehr umfangreich; dabei gibt es Bücher, welche sich vor allem auf die fachlichen Inhalte (beispielsweise [War06] und [Sch18]), und solche, die sich vor allem auf die methodischen Herausforderungen in der Studieneingangsphase konzentrieren (wie [Hou12] und [Alc17]). Dieses Buch soll beide Aspekte miteinander verbinden – und sowohl eine Erläuterung der fachlichen Grundlagen als auch eine Einführung ins mathematische Arbeiten bieten. Das Buch ist aus dem Vorlesungsskript und dem entsprechenden Material aus dem Übungsbetrieb zur Vorlesung Elementarmathematik vom höheren Standpunkt an der Universität Koblenz-Landau, Campus Koblenz, entstanden und hat sich seit mehreren Semestern erfolgreich bewährt. Auf der fachlichen Ebene sollen die grundlegenden Themen einer Lehrveranstaltung im ersten Semester für Lehramtsstudierende mit Fach Mathematik oder eines Vorkurses zum Studienbeginn behandelt werden, insbesondere Logik, Mengenlehre, Relationen, Funktionen, elementare Zahlentheorie und Zahlbereichserweiterungen. Dabei wird ein besonderer Fokus auf eine sorgfältige, durch zahlreiche Beispiele illustrierte Einführung der verschiedenen Beweismethoden gelegt, welche in der Hochschulmathematik eine zentrale Rolle einnehmen. Die Theorie wird durch eine breite Fülle an Beispielen in unterschiedlichen Abstraktionsgraden veranschaulicht, und zum Üben wird ein großer Pool an Übungsaufgaben (zur Hälfte mit Lösungsskizzen) bereitgestellt. Zusätzlich zu den Aufgaben am Ende der Abschnitte und zu den methodischen Inputs gibt es zu den wichtigsten Themen Online-Aufgaben mit Lösungen, anhand derer das Verständnis der Theorie effektiv getestet werden kann. Somit eignet sich das Buch nicht nur als vorlesungsbegleitende Literatur, sondern auch zum Selbststudium, zur Vertiefung und zur Klausurvorbereitung. Auf der methodischen Ebene werden Tipps gegeben, wie man mathematisch schreibt, wie man Texte liest, und es werden typische Fehlerquellen diskutiert. Zur Übung werden innovative Aufgabenkonzepte geboten, beispielsweise Findeden-Fehler-Aufgaben, in welchen typische Bearbeitungen von Aufgaben Erstse-

VI

Vorwort

mestriger analysiert werden, oder Aufgaben, welche zum Ziel haben, zu einer bestimmten Behauptung eine geeignete Beweismethode zu finden. Zudem wird die Struktur der Mathematik als deduktive Wissenschaft vermittelt – so werden Konzepte wie Definition, Satz und Axiom ausführlich erläutert und durch einfache Aufgaben, oft mit Schulbezug, illustriert. Diese methodischen Inputs sind das Ergebnis eines semesterbegleitenden Tutoriums am Campus Koblenz der Universität Koblenz-Landau, welches den Übergang von der Schule zur Hochschule erleichtern soll. Ich bedanke mich bei allen, die durch konstruktive Kritik zum Gelingen dieses Buchprojekts beigetragen haben: Dies betrifft vor allem die Studierenden der Universität Koblenz-Landau, Campus Koblenz, sowie die Übungs- und Tutoriumsleiter zur Vorlesung Elementarmathematik vom höheren Standpunkt, welche durch ihr Feedback zum Vorlesungsskript und dem Übungsbetrieb zu einer kontinuierlichen Überarbeitung des Materials beigetragen haben. Ein besonderer Dank gebührt Jennifer Schumacher und Christopher Staudt, welche zahlreiche wertvolle Verbesserungsvorschläge eingebracht haben. Koblenz, 11. März 2020, Regula Krapf

Vorwort

VII

Zum Einsatz in der Lehre und im Selbststudium Das Buch kann auf verschiedene Weisen in der Hochschullehre eingesetzt werden. Konzipiert ist es als Grundlage für eine zweistündige oder vierstündige Einführung in die Grundlagen der Mathematik für Lehramtsstudierende mit Fach Mathematik im ersten Semester. Alternativ können insbesondere die ersten vier Kapitel eine Basis für einen ein- bis zweiwöchigen Vorkurs bilden. Durch die vielen Übungsaufgaben mit Lösungshinweisen und die 300 Online-Aufgaben zur Selbstkontrolle ist das Buch auch für das Selbststudium vor Beginn des Studiums oder im ersten Semester des Mathematikstudiums hervorragend geeignet. Einige der Kapitel bauen aufeinander auf und sollten möglichst in der vorgelegten Reihenfolge behandelt werden. Es werden lediglich Kenntnisse der Schulmathematik, vor allem der Sekundarstufe I, vorausgesetzt. Die Themenbereiche Analysis und lineare Algebra werden nur an wenigen Stellen angeschnitten. •

Die Kapitel Logik und Beweismethoden sowie Mengenlehre bilden eine essentielle Grundlage für alle weiteren Themen. Dabei wird die mathematische Symbolsprache eingeführt, und es werden die für den weiteren Verlauf fundamentalen Beweismethoden eingeführt.



Beim Kapitel Die natürlichen Zahlen sind vor allem die Abschnitte Rekursion und Vollständige Induktion zentral; die weiteren Abschnitte sind überwiegend unabhängig vom Rest des Buches. Der Abschnitt Stellenwertsysteme richtet sich ganz besonders an Lehramtsstudierende, da Kenntnisse alternativer Zahldarstellungen auch ein tiefgründiges Verständnis des dezimalen Stellenwertsystems ermöglichen.



Die Kapitel Relationen und Funktionen sind für jeden Einsatz des Buches in der Lehre relevant. Es wird eine ausführliche Einführung geboten, welche eine anschauliche Erläuterung der verschiedenen Darstellungsformen von Relationen und Funktionen bietet und deren Eigenschaften anhand der einzelnen Darstellungsformen charakterisiert. Dabei stellt lediglich der Abschnitt Ordnungsrelationen vor allem eine Vorbereitung auf das letzte Kapitel Die reellen und komplexe Zahlen dar.



Das Kapitel Elementare Zahlentheorie ist weitestgehend unabhängig von den anderen Kapiteln, und kann alternativ auch als letztes Kapitel behandelt werden. Es enthält viele Themen, die durch eine hohe Relevanz für die Schulmathematik gekennzeichnet sind, beispielsweise die Existenz und Eindeutigkeit der Primfaktorzerlegung.



In den Kapiteln Die ganzen und rationalen Zahlen und Die reellen und komplexen Zahlen wird die Erweiterung der natürlichen Zahlen über die ganzen, rationalen und reellen Zahlen bis hin zu den komplexen Zahlen ausführlich dargeboten. Dabei werden auch die dafür benötigten algebraischen Konzepte wie Gruppen, Ringe und Körper eingeführt.

Verschiedene didaktische Bestandteile sind farblich gekennzeichnet. So sind die einzelnen Beweismethoden und Problemlösestrategien in blauen Kästen hervorgehoben. Unterhaltsame Beispiele und vertiefende Erläuterungen, beispielsweise Paradoxien oder Zusammenhänge zur Schulmathematik, sind in gelben Boxen dargestellt. Methodische Inputs, beispielsweise zum mathematischen Schreiben, zum

Vorwort

VIII

Umgang mit Variablen und Summenzeichen oder zur Fehlervermeidung, sowie entsprechende Übungsaufgaben sind jeweils grün markiert. Diese grünen Kästen sollen insbesondere einen Einstieg ins mathematische Arbeiten an Hochschulen ermöglichen und damit den Übergang zur Hochschule erleichtern. An der Universität Koblenz-Landau, Campus Koblenz, werden diese methodischen Inputs im Rahmen eines semesterbegleitenden freiwilligen Tutoriums vermittelt und die Übungsaufgaben in Gruppenarbeit interaktiv bearbeitet. Bereits George Pólya hat gesagt: „Wenn ihr schwimmen lernen wollt, dann geht mutig ins Wasser, wenn ihr lernen wollt, Aufgaben zu lösen, dann löst sie.“ In diesem Sinne empfehle ich neben einer intensiven Befassung mit der Theorie vor allem eine regelmäßige Bearbeitung von Übungsaufgaben. Gerade in der Studieneingangsphase ist es oft hilfreich, Aufgaben in Gruppenarbeit zu lösen. Die Lösungshinweise am Ende des Buches sind vor allem als Selbstkontrolle zu betrachten; diese sollten jedoch erst nach einer selbstständigen Bearbeitung inklusive schriftlicher Darstellung der Aufgaben hinzugezogen werden. Im Rahmen einer Lehrveranstaltung wird üblicherweise eine – je nach Hochschule und Dozierenden freiwillige oder verpflichtende – Abgabe der Übungsaufgabe zur Korrektur angeboten. Dieses Angebot ist hilfreich, da man dadurch nicht nur ein Feedback erhält, sondern auch das Aufschreiben mathematischer Sachverhalte lernt. Eine Aufgabe ist erst vollständig bearbeitet, wenn die Lösung auch aufgeschrieben ist! Die Aufgaben sind in unterschiedliche Schwierigkeitsgrade eingeteilt: Symbol Bedeutung ### Leichte Aufgaben zum Einstieg in ein neues Thema, die sich in der Lehre insbesondere als Präsenzaufgaben eignen ##

Standardaufgaben, welche typischen Übungs- und Klausuraufgaben entsprechen

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Aufgaben mit erhöhtem Schwierigkeitsgrad, welche oftmals eigene Ideen erfordern Schwierige Aufgaben, die zur Vertiefung und zu eigenen Entdeckungen anregen

Zur Vertiefung und zur Wiederholung werden zu allen Themen des Buchs OnlineTests angeboten. Die Online-Aufgaben sind auf der App Springer Flashcards zu finden. Insgesamt handelt es sich um 300 Aufgaben, welche in acht Kapitel, denjenigen des Buchs entsprechend, gegliedert sind. Dabei gibt es drei verschiedene Aufgabentypen: Multiple-Choice-Aufgaben, Zuordnungsaufgaben und Aufgaben mit Freitexteingabe. Zu allen Aufgaben werden Lösungen bereitgestellt. Einige der Aufgaben, insbesondere die theoretischen, eignen sich gut für eine Bearbeitung unterwegs. Dennoch gibt es auch Aufgaben, die etwas zeit- oder rechenintensiver sind und Zwischenüberlegungen oder Nebenrechnungen erfordern. Daher wird empfohlen, immer ein Notizbuch dabei zu haben. Die App Springer Flashcards findet sich unter https://www.springernature.com/de/researchers/springer-nature-apps/ sn-flashcards

Vorwort

IX

und kann sowohl auf dem Computer als auch auf dem Smartphone benutzt werden. Im gedruckten Buch findet sich hinten ein entsprechender Code, mit welchem auf die Aufgaben zugegriffen werden kann. Dazu kann der Code unter https: //flashcards.springernature.com/login eingegeben werden. Ich hoffe, mit diesem Werk einen Beitrag zum erfolgreichen Einstieg in die Hochschulmathematik zu leisten.

Inhaltsverzeichnis

1

Logik und Beweismethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Aussagenlogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Direkte und indirekte Beweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Fallunterscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Äquivalenzbeweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Prädikatenlogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6 Beweisen und Widerlegen von Aussagen mit Quantoren . . . . . . . . . 1.7 Das Schubfachprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 2 10 18 24 29 33 39

2

Mengenlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Mengen und Mengenschreibweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Mengenoperationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Abzählprinzipien endlicher Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45 46 50 58

3

Die 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5

natürlichen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rekursion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Pascalsche Dreieck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vollständige Induktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Varianten der vollständigen Induktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stellenwertsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65 67 77 82 92 98

4

Relationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Relationen und deren Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Äquivalenzrelationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Ordnungsrelationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

107 108 112 119

5

Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Der Funktionsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Funktionseigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Komposition von Funktionen und Umkehrfunktionen . . . . . . . . . . . . 5.4 Bilder und Urbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Das Hotel Hilbert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6 Abzählbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

125 126 129 137 143 146 149

XII

Kapitel 0 – Inhaltsverzeichnis

6

Elementare Zahlentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Der euklidische Algorithmus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Der Hauptsatz der Arithmetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Modulare Arithmetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Teilbarkeitsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5 Diophantische Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

157 158 162 168 173 177

7

Die 7.1 7.2 7.3 7.4

ganzen und rationalen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ringe und Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Konstruktion der ganzen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Konstruktion der rationalen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

183 184 190 197 202

8

Die 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6

reellen und komplexen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dedekindsche Schnitte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Vollständigkeit der reellen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Dezimalbruchdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die komplexen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Polarkoordinaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sind das alle Zahlen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

209 210 215 219 223 229 235

Ausgewählte Lösungshinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Verzeichnis der Methoden und Ergänzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 Symbolverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279

1 Logik und Beweismethoden

„Wie das Wort ‚schön‘ der Ästhetik und ‚gut‘ der Ethik, so weist ‚wahr‘ der Logik die Richtung. Zwar haben alle Wissenschaften Wahrheit zum Ziel; aber die Logik beschäftigt sich noch in ganz anderer Weise mit ihr. Sie verhält sich zur Wahrheit etwa so, wie die Physik zur Schwere oder zur Wärme. Wahrheiten zu entdecken ist die Aufgabe aller Wissenschaften; der Logik kommt es zu, die Gesetze des Wahrseins zu erkennen.“ Gottlob Frege

Die Mathematik befasst sich in erster Linie mit wahren Aussagen, beispielsweise über Zahlen, Mengen oder geometrische Objekte. Wie kann man jedoch sicherstellen, dass eine Vermutung tatsächlich wahr ist? Ganz einfach, indem man sie beweist. Beweise sind von großer Bedeutung in der Mathematik, da sie einerseits zweifelsfrei belegen, dass ein mathematischer Satz wahr ist, andererseits aber auch Aufschluss darüber geben, wieso dieser wahr ist. Ein Beweis ist somit auch eine Begründung eines mathematischen Satzes, die wiederum zur Entdeckung neuer Sätze führt. In der natürlichen Sprache geführte Argumentationen haben jedoch den Nachteil, dass sie ungenau sind und oft mehrere Interpretationen zulassen. Damit können leicht logische Fehlschlüsse entstehen, die sich ohne sehr genaues Hinschauen richtig anhören, oder Argumentationsketten, bei denen man sehr lange diskutieren kann, was genau gemeint ist. Um dieses Problem zu lösen, stellt die Logik eine Sprache bereit, in der mathematische Sätze und deren Beweise eindeutig und präzise dargestellt werden können. So formulierte Beweise können gut kommuniziert und nachvollzogen werden. In diesem Kapitel werden wir die Regeln der Logik untersuchen und diese verwenden, um verschiedene Beweismethoden einzuführen.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 R. Krapf, Elementare Grundlagen der Hochschulmathematik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29953-8_1

1

2

Kapitel 1 – Logik und Beweismethoden

1.1 Aussagenlogik Je mehr Käse, desto mehr Löcher. Je mehr Löcher, desto weniger Käse. Also: Je mehr Käse, desto weniger Käse! Käseparadoxon, Ursprung unbekannt

Das Wort „Logik“ wird oft mit Logikrätseln in Verbindung gebracht, bei denen man mittels logischer Überlegungen aus den gegebenen Voraussetzungen korrekte Schlussfolgerungen zieht. Beispiel 1.1. Anne, Benjamin und Carina machen folgende Aussagen: • Anne sagt: „Benjamin und Carina lügen!“ • Benjamin sagt: „Carina lügt!“ • Carina sagt: „Anne lügt oder Benjamin lügt!“ Wer sagt die Wahrheit? Eine Auflösung erfolgt am Ende dieses Abschnitts auf Seite 8. Woher weiß man eigentlich, dass die gefundenen Schlussfolgerungen richtig sind? Auch die Logik folgt, wie auch die Arithmetik, gewissen Regeln. Im Folgenden werden solche Logikregeln beschrieben, und es wird eine Methode angegeben, wie man sie beweisen kann. Dazu müssen wir zunächst den Begriff einer mathematischen Aussage präzisieren: Definition 1.2. Eine Aussage ist ein Satz, von dem man sinnvoll und eindeutig sagen kann, ob er wahr oder falsch ist. Wichtig ist dabei die Zweiwertigkeit mathematischer Aussagen: Eine Aussage hat einen eindeutigen Wahrheitswert – nämlich wahr oder falsch – und kann somit nicht gleichzeitig wahr und falsch sein. Beispiel 1.3. Welche der folgenden Sätze sind Aussagen? Sind sie wahr oder falsch? 1. Die Zahl 2√ist eine Primzahl. 2. Die Zahl 2 lässt sich als Bruch darstellen. 3. Was soll das? 4. In 200 Jahren existieren keine Menschen mehr. 5. a2 + b2 = c2 . Die ersten beiden Sätze sind offensichtlich Aussagen: Der erste ist wahr, und der zweite ist falsch, wie wir in Theorem 1.25 beweisen werden. Fragen (sowie auch Befehle) sind hingegen keine Aussagen, da man ihnen keinen Wahrheitswert zuordnen kann. Der vierte Satz ist zwar eine Aussage, allerdings ist ihr Wahrheitswert (noch) unbekannt. Obwohl der fünfte Satz aussieht wie der Satz des Pythagoras (welcher eine Aussage ist), so handelt es sich hier lediglich um eine Aussageform (siehe dazu Abschnitt 1.5), einen Satz, dessen Wahrheitsgehalt von der Belegung der Variablen abhängt: So ist die Aussageform für a = b = c = 1 offensichtlich falsch, für a = 3, b = 4 und c = 5 jedoch wahr. Durch Einsetzen konkreter Zahlen für a, b, c wird eine solche Aussageform zu einer Aussage.

1.1 Aussagenlogik

3

Das Lügnerparadoxon Der Satz „Dieser Satz ist falsch“ bzw. „Ich lüge“ ist keine Aussage: 1. Fall: Der Satz ist wahr. Da der Satz aber von sich selbst behauptet, falsch zu sein, ist dies ein Widerspruch. 2. Fall: Der Satz ist falsch. Der Satz besagt aber genau dies, und muss somit wahr sein, ein Widerspruch. Dem Satz lässt sich demnach kein Wahrheitswert zuordnen, und daher kann es sich nicht um eine Aussage handeln. Aussagen lassen sich mit Hilfe von sogenannten Junktoren zu neuen Aussagen √ kombinieren. So kann man beispielsweise die falsche √ Aussage „Die Zahl 2 lässt sich als Bruch darstellen“ negieren zu „Die Zahl 2 lässt sich nicht als Bruch darstellen“, und man erhält eine wahre Aussage. Die einfachsten Junktoren sind die folgenden: Definition 1.4. Seien A, B Aussagen. 1. Die Negation ¬A („nicht A“) ist genau dann wahr, wenn A falsch ist. 2. Die Konjunktion A ∧ B („A und B“) ist genau dann wahr, wenn A wahr ist und B wahr ist. 3. Die Disjunktion A ∨ B („A oder B“) ist genau dann wahr, wenn A wahr ist oder B wahr ist oder beide wahr sind. Zu beachten ist, dass A ∨ B auch wahr ist, wenn beide Aussagen A und B wahr sind. Es handelt sich also um das sogenannte inklusive Oder, im Gegensatz zum exklusiven Oder (A ∨ B) ∧ ¬(A ∧ B), welches wahr ist, wenn A wahr ist oder B wahr ist, nicht aber wenn beide wahr sind. Kombinierte Aussagen lassen sich durch sogenannte Wahrheitstafeln darstellen, welche deren Wahrheitswert in Abhängigkeit vom Wahrheitswert der einzelnen Bestandteile angibt: A w w f f

B ¬A A ∧ B A ∨ B w f w w f f f w w w f w f w f f

Wir möchten nun einige Regeln für den Umgang mit der Negation, der Konjunktion und der Disjunktion von Aussagen herleiten. Um eine Vermutung zu finden, überlegen wir uns dies zunächst anhand des folgenden Beispiels. Beispiel 1.5. Wie lautet die Negation der Aussagen „Es ist kalt und nass“ und “Es ist kalt oder nass“? A ¬A Es ist kalt und nass. Es ist nicht kalt oder nicht nass. Es ist kalt oder nass. Es ist nicht kalt und nicht nass.

4

Kapitel 1 – Logik und Beweismethoden

Damit gelangen wir zur Vermutung, dass die Negation jeweils ∧ und ∨ vertauscht. Um unsere Vermutung zu formalisieren, müssen wir zunächst angeben, was es bedeutet, dass zwei Aussagen denselben Wahrheitsgehalt haben. Definition 1.6. Zwei (zusammengesetzte) Aussagen A und B heißen logisch äquivalent, falls sie dieselbe Wahrheitstafel haben. In diesem Fall schreiben wir A ≡ B. Logisch äquivalente Aussagen haben also immer dieselben Wahrheitswerte. Streng genommen sind sie zwar nicht gleich, jedoch handelt es sich lediglich um verschiedene Darstellungen von Aussagen mit demselben Wahrheitsgehalt. Wir haben in Beispiel 1.5 eine wichtige Rechenregel der Aussagenlogik entdeckt: Beispiel 1.7. Für Aussagen A und B gelten die de Morganschen Regeln: 1. ¬(A ∧ B) ≡ ¬A ∨ ¬B 2. ¬(A ∨ B) ≡ ¬A ∧ ¬B. Gelten die vorherigen Überlegungen als Beweis dieser Rechenregel? Formal gesehen wohl kaum, da wir die Rechenregeln nur für ein spezifisches Beispiel (nämlich für A = „Es ist kalt“ und B = „Es ist nass“) gezeigt haben. Um einen vollständigen formalen Beweis zu erhalten, muss man die Rechenregeln für alle Aussagen A und B beweisen. Dazu vergleichen wir einfach die Wahrheitstafeln: A w w f f

B A ∧ B A ∨ B ¬(A ∧ B) ¬(A ∨ B) ¬A ¬B ¬A ∨ ¬B ¬A ∧ ¬B w w w f f f f f f f f w w f f w w f w f w w f w f w f f f f w w w w w w

Da alle Einträge von ¬(A ∧ B) und ¬A ∨ ¬B resp. ¬(A ∨ B) und ¬A ∧ ¬B übereinstimmen, folgt die Behauptung. Definition 1.8. Seien A und B Aussagen. 1. Die Implikation A ⇒ B („Aus A folgt B“ oder „A impliziert B“) ist immer wahr, außer wenn A wahr ist und B falsch ist. 2. Die Äquivalenz A ⇔ B („A gilt genau dann, wenn B gilt“) ist genau dann wahr, wenn A ⇒ B und B ⇒ A wahr sind. Bei der Implikation A ⇒ B bezeichnet man A als Prämisse oder Voraussetzung und B als Konklusion oder (Schluss-)Folgerung. Die Äquivalenz A ⇔ B zweier Aussagen A und B kann alternativ auch als Abkürzung für (A ⇒ B) ∧ (B ⇒ A) definiert werden. Der Unterschied zwischen der Äquivalenz ⇔ und der logischen Äquivalenz ≡ besteht darin, dass es sich bei ⇔ um einen Junktor handelt, der zwei gegebene Aussagen zu einer neuen Aussage kombiniert. Die logische Äquivalenz ist hingegen eine Eigenschaft zweier Aussagen, denselben Wahrheitsgehalt zu haben. Die Aussage A ⇔ B ist jedoch genau dann wahr, wenn A und B logisch äquivalent sind.

1.1 Aussagenlogik

5

Beispiel 1.9. Wir betrachten folgende Aussage: „Falls Peter die Bank ausgeraubt hat, so muss er ins Gefängnis.“ Dabei handelt es sich um eine Implikation A ⇒ B, wobei A für „Peter hat die Bank ausgeraubt“ und B für „Peter muss ins Gefängnis“ steht. Die Aussage ist offensichtlich wahr – und zwar unabhängig davon, ob Peter die Bank ausgeraubt hat oder nicht. Die einzige Möglichkeit, dass der Satz falsch wird, ist dabei, dass Peter die Bank ausgeraubt hat und nicht ins Gefängnis muss. In anderen Worten: Die Implikation A ⇒ B ist nur dann falsch, wenn A wahr und B falsch ist. Nun können wir die Wahrheitstafeln der Implikation und der Äquivalenz angeben: A w w f f

B A⇒B A⇔B w w w f f f w w f f w w

Zu beachten ist, dass die Wahrheit von A ⇒ B nichts über die Wahrheit von B aussagt, denn im Falle, dass A falsch ist, ist A ⇒ B unabhängig vom Wahrheitswert von B wahr. Definition 1.10. Seien A und B Aussagen. Dann heißt A hinreichend für B, falls A ⇒ B wahr ist. In diesem Fall heißt B notwendig für A. Beispiel 1.11. Wir betrachten die Aussageform P (x) gegeben durch x2 > 4. Eine Aussageform ist dabei ein Gebilde, das durch Ersetzen der Variablen durch konkrete Objekte, hier Zahlen, zu einer Aussage wird (siehe Abschnitt 1.5). • x 6= 2 ist notwendig, aber nicht hinreichend für P (x). • x > 2 ist hinreichend, aber nicht notwendig für P (x), denn es könnte auch x < −2 gelten. • x < −2 ∨ x > 2 ist notwendig und hinreichend für P (x). Im Falle der Arithmetik führt man zur Vermeidung eines exzessiven Klammergebrauchs Vorrangregeln ein; beispielsweise besagt die Punkt-vor-Strich-Regel, dass der Ausdruck 2a + b für (2 · a) + b steht. Auch in der Aussagenlogik gibt es entsprechende Regeln (die Bindungsstärke nimmt von oben nach unten ab): 1. die Negation ¬, 2. die Konjunktion ∧ und die Disjunktion ∨, 3. die Implikation ⇒ und die Äquivalenz ⇔. Beispiel 1.12. Die Aussage A ∨ ¬B ⇒ ¬C ∧ A steht für (A ∨ (¬B)) ⇒ ((¬C) ∧ A).

6

Kapitel 1 – Logik und Beweismethoden

Genau wie die Disjunktion und die Konjunktion, erfüllt auch die Implikation einige Rechengesetze: Beispiel 1.13. Wir betrachten die folgenden Aussagen: • •

A: Es schneit. B: Es ist kalt.

Die Aussage A ⇒ B ist wahr: Angenommen es schneit, so muss es kalt sein, denn wäre es nicht kalt, so wäre der Niederschlag Regen, und es würde nicht schneien. Somit bedeutet A ⇒ B dasselbe wie ¬B ⇒ ¬A. Eine weitere Umformulierung ist folgende: „Es schneit nicht, oder es ist kalt.“ Dabei gibt es zwei Fälle zu unterscheiden: Wenn es nicht schneit, so ist nichts zu zeigen, und wenn es schneit, dann muss es wegen der Wahrheit von A ⇒ B kalt sein. Somit ist auch ¬A ∨ B wahr. Für Aussagen A und B sind die folgenden zusammengesetzten Aussagen logisch äquivalent: A ⇒ B ≡ ¬A ∨ B ≡ ¬B ⇒ ¬A. Aus diesem Grund definiert man A ⇒ B manchmal auch als Abkürzung von ¬A ∨ B. Beweis. Wir vergleichen die Wahrheitstafeln der zusammengesetzten Aussagen A ⇒ B, ¬A ∨ B und ¬B ⇒ ¬A: A w w f f

B A ⇒ B ¬A ¬A ∨ B ¬B ¬B ⇒ ¬A B ⇒ A w w f w f w w f f f f w f w w w w w f w f f w w w w w w

Da die Wahrheitswerte in den Spalten von A ⇒ B, ¬A ∨ B und ¬B ∨ ¬A übereinstimmen, sind die drei Aussagen logisch äquivalent. Aus der Wahrheitstafel wird auch ersichtlich, dass B ⇒ A nicht logisch äquivalent ist zu den übrigen Aussagen. Für Aussagen A, B und C gelten folgende Rechenregeln der Aussagenlogik: ¬(¬A) ≡ A A∧A≡A A∨A≡A A ∧ (B ∧ C) ≡ (A ∧ B) ∧ C A ∨ (B ∨ C) ≡ (A ∨ B) ∨ C A∧B ≡B∧A A∨B ≡B∨A A ∧ (B ∨ C) ≡ (A ∧ B) ∨ (A ∧ C) A ∨ (B ∧ C) ≡ (A ∨ B) ∧ (A ∨ C) ¬(A ∧ B) ≡ ¬A ∨ ¬B ¬(A ∨ B) ≡ ¬A ∧ ¬B

Doppelte Negation Idempotenz von ∧ Idempotenz von ∨ Assoziativität von ∧ Assoziativität von ∨ Kommutativität von ∧ Kommutativität von ∨ Distributivität von ∧ bzgl. ∨ Distributivität von ∨ bzgl. ∧ Regel von de Morgan für ∧ Regel von de Morgan für ∨

1.1 Aussagenlogik

7

Alle Rechenregeln lassen sich mittels Angabe der entsprechenden Wahrheitstafeln nachweisen; auf einen Beweis wird jedoch an dieser Stelle verzichtet. Definition 1.14. Eine Aussage, die allgemeingültig, d.h. unabhängig vom Wahrheitswert der aussagenlogischen Variablen1 immer wahr ist, nennt man Tautologie. Eine Aussage, die für jede Belegung der aussagenlogischen Variablen falsch ist, wird als Kontradiktion bezeichnet. Bei einer Tautologie sind alle Einträge in der Wahrheitstafel „wahr“, bei einer Kontradiktion „falsch“. Beispiel 1.15. Die einfachste Tautologie ist A ∨ ¬A; diese wird auch als Satz vom ausgeschlossenen Dritten oder (auf Lateinisch) Tertium non datur bezeichnet. Analog ist A ∧ ¬A eine Kontradiktion. Um dies zu beweisen, geben wir die entsprechenden Wahrheitstafeln an: A ¬A A ∨ ¬A A ∧ ¬A w f w f f w w f Wir betrachten noch ein komplexeres Beispiel: Beispiel 1.16. Wir zeigen, dass die Aussage (A ⇒ B) ∨ (B ⇒ A) eine Tautologie ist. Dies ist ein Beispiel, bei dem sich die formale Logik von der Alltagslogik unterscheidet, denn (A ⇒ B) ∨ (B ⇒ A) suggeriert einen (kausalen) Zusammenhang zwischen A und B, weswegen es intuitiv nicht klar ist, wieso es sich um eine Tautologie handelt. Die Wahrheitstafel sieht wie folgt aus: A w w f f

B A ⇒ B B ⇒ A (A ⇒ B) ∨ (B ⇒ A) w w w w f f w w w w f w f w w w

Da in der letzten Spalte alle Einträge „w“ sind, handelt es sich um eine Tautologie. Anstatt die Wahrheitstafel anzugeben, können wir auch die Rechenregeln der Aussagenlogik verwenden: Es gilt (A ⇒ B) ∨ (B ⇒ A) ≡ (¬A ∨ B) ∨ (¬B ∨ A) ≡ (¬A ∨ A) ∨ (B ∨ ¬B) . | {z } | {z } wahr wahr | {z } wahr

Die Negation einer Tautologie ist immer eine Kontradiktion, und die Negation einer Kontradiktion ist eine Tautologie, da die Negation einfach die Wahrheitswerte vertauscht. 1

Bei zusammengesetzten Aussagen, beispielsweise A ∨ B, werden A und B als aussagenlogische Variablen bezeichnet.

8

Kapitel 1 – Logik und Beweismethoden

Wir betrachten nochmals das Logikrätsel in Beispiel 1.1 und übersetzen dieses in die Sprache der Aussagenlogik. Wir erhalten die Aussagen A ⇔ ¬B ∧ ¬C, B ⇔ ¬C, C ⇔ ¬A ∨ ¬B, wobei A für „Anne sagt die Wahrheit“ steht usw. Die Wahrheitstafel wird nun etwas komplizierter – mit acht Zeilen –, da wir nun drei aussagenlogische Variablen haben. Dabei suchen wir diejenige Belegung der aussagenlogischen Variablen A, B und C, für die die Einträge von A ⇔ ¬B∧¬C, B ⇔ ¬C und C ⇔ ¬A∨¬B allesamt wahr sind. Die einzige Zeile, die dies erfüllt, ist die zweitletzte: A w w w w f f f f

B w w f f w w f f

C A ⇔ ¬B ∧ ¬C B ⇔ ¬C C ⇔ ¬A ∨ ¬B w f f f f f w w w f w w f w f f w w f w f w w f w w w w f f f f

Damit haben wir gezeigt, dass Anne und Benjamin lügen und Carina die Wahrheit sagt. Da dieser Beweis etwas umständlich ist, werden wir später auf dieses Rätsel zurückkommen und einen kürzeren und eleganteren Beweis angeben. Aufgaben Aufgabe 1.1. A: Es ist kalt. B: Es schneit.

### Gegeben seien folgende Aussagen:

Drücken Sie die nachfolgenden Sätze als aussagenlogische Formeln mit Hilfe der aussagenlogischen Variablen A und B aus: (a) Es ist kalt, aber es schneit nicht. (b) Es ist nicht kalt und es schneit nicht. (c) Es schneit oder es ist kalt (oder beides). (d) Entweder es ist kalt oder es schneit, aber nicht beides. (e) Es schneit nicht, wenn es nicht kalt ist. (f) Es schneit nur, wenn es kalt ist. (g) Es schneit oder es ist kalt, aber es schneit nicht, wenn es kalt ist. (h) Es ist genau dann nicht der Fall, dass es schneit und kalt ist, wenn es nicht schneit oder nicht kalt ist. Aufgabe 1.2. ### Für ein Dreieck ∆ sei A(∆) die Aussage „∆ ist gleichschenklig“. Geben Sie jeweils eine Bedingung für ∆ an, die für A(∆)

1.1 Aussagenlogik

9

(a) notwendig, aber nicht hinreichend, (b) hinreichend, aber nicht notwendig, (c) hinreichend und notwendig, (d) weder notwendig noch hinreichend ist. Aufgabe 1.3. ### Erfüllt die Implikation das Assoziativgesetz, d.h., gilt die logische Äquivalenz A ⇒ (B ⇒ C) ≡ (A ⇒ B) ⇒ C für alle Aussagen A, B und C? Aufgabe 1.4. ## Überlegen Sie sich informell, ob es sich bei den folgenden Aussagen um Tautologien handelt, und beweisen Sie Ihre Behauptung mit Hilfe von Wahrheitstafeln. (a) ¬(A ⇒ B) ⇔ A ∧ ¬B (b) ¬A ∧ B ⇒ (¬B ⇒ A) (c) (A ⇒ ¬B) ⇔ ¬(B ∨ A) Aufgabe 1.5. ## Die logische Verknüpfung nor (not or, englisch für „weder noch“) ist definiert durch A ↓ B := ¬(A ∨ B). (a) Geben Sie die Wahrheitstafel von A ↓ B an. (b) Zeigen Sie ¬A ≡ A ↓ A. (c) Stellen Sie ∨, ∧ und ⇒ ausschließlich durch den nor-Operator dar. Aufgabe 1.6.

## Gegeben sei die folgende Wahrheitstafel: A w w f f

B (a) (b) w f f f w w w f w f f f

Finden Sie aussagenlogische Terme für (a) und (b), die nur aus A, B, ∧, ∨ und ¬ bestehen. Aufgabe 1.7. ## Betrachten Sie die auf Seite 6 gelisteten Rechenregeln für die Aussagenlogik und beweisen Sie damit: (a) ¬A ⇒ (A ⇒ B) ist eine Tautologie. (b) ¬(A ∧ B ⇒ A ∨ B) ist eine Kontradiktion. Aufgabe 1.8. oder falsch? (a) Ich (b) Ich (c) Ich (d) Ich

lüge lüge lüge lüge

# Welche der folgenden Sätze sind Aussagen? Sind sie wahr

immer. manchmal. jetzt gerade. nie.

Aufgabe 1.9.

# Welche der folgenden Sätze sind Aussagen?

(a) Dieser Satz ist keine Aussage. (b) Wenn dieser Satz eine Aussage ist, so ist er wahr.

10

Kapitel 1 – Logik und Beweismethoden

(c) Der folgende Satz ist falsch. Der vorangehende Satz ist wahr. (d) Wenn dieser Satz wahr ist, so gibt es Marsmenschen. Aufgabe 1.10. # Drei Gefangene, die zum Tode verurteilt wurden, erhalten eine letzte Chance, wie sie sich retten können, nämlich durch Logik. Der Wächter nimmt drei weiße und zwei schwarze Hüte und setzt jedem der Gefangenen einen der Hüte auf. Keiner sieht die Farbe des eigenen Hutes, aber jeder sieht die Farbe der Hüte der anderen Gefangenen. Wenn einer der Gefangenen seine eigene Hutfarbe erraten kann, so werden alle freigelassen. Die Gefangenen werden der Reihe nach gefragt. Die ersten beiden antworten beide mit „Ich weiß es nicht“. Wie kann der dritte Gefangene mit Sicherheit feststellen, welche Farbe sein Hut hat?

1.2 Direkte und indirekte Beweise „Alles muss bewiesen werden, und beim Beweisen darf man nichts außer Axiomen und früher bewiesenen Sätzen benutzen.“ Blaise Pascal

Mathematische Beweise haben verschiedene Funktionen: Zum einen dienen sie der Wahrheitssicherung, zum anderen führen Beweise oft zu einem tieferen Verständnis eines mathematischen Satzes, und beantworten auch die Frage, warum dieser wahr ist. Zudem lassen sich Beweise oft verallgemeinern oder abwandeln, um neue Beweise und damit auch neue Erkenntnisse zu gewinnen. Doch was ist ein mathematischer Beweis? Was darf man als bekannt voraussetzen? Wenn man in einem Beweis einer Aussage A ein Resultat B verwendet, muss man sicherstellen, dass auch B bewiesen ist; und damit auch, dass die im Beweis von B verwendeten Sätze C bewiesen sind . . . Aber womit kann man nun beginnen? Dazu haben sich die Mathematiker auf gewisse Axiome festgelegt. Diese sind Grundannahmen, die ohne Beweis vorausgesetzt werden dürfen. Beispielsweise handelt es sich dabei um Aussagen über natürliche Zahlen, wie die folgende: Für alle natürlichen Zahlen n, m gilt: Wenn n + 1 = m + 1, so folgt n = m. Man kann nun – prinzipiell – die gesamte Mathematik auf solche Axiome zurückführen. Dies werden wir allerdings im Folgenden nicht weiterverfolgen, sondern wir setzen die Kenntnisse der Schulmathematik als gegeben voraus. In der Geometrie sind Beweise oft anschaulicher Natur. So lässt sich beispielsweise der Satz des Pythagoras anhand folgender Darstellung beweisen:

c a b

Eine Skizze alleine genügt jedoch nicht als Beweis; sie bedarf noch einer Erläuterung. Zunächst sollten wir den Satz des Pythagoras präzise ausdrücken:

1.2 Direkte und indirekte Beweise

11

Theorem 1.17 (Satz des Pythagoras). Falls ein Dreieck rechtwinklig mit Hypotenuse c und Katheten a und b ist, so gilt a2 + b2 = c2 . Wichtig ist es dabei, die Voraussetzung nicht zu vergessen, denn ohne diese handelt es sich nicht einmal um eine mathematische Aussage. Beweis. Es sei ein rechtwinkliges Dreieck mit Katheten a und b und Hypotenuse c gegeben. Wir zeichnen nun ein Quadrat mit Seite c und ergänzen die Zeichnung zu einem Quadrat mit Seite a + b. Nun können wir die Fläche der Gesamtfigur auf zwei Arten beschreiben: 1. Die Fläche des großen Quadrats ist gegeben durch (a + b)2 = a2 + 2ab + b2 . 2. Die Gesamtfläche lässt sich zerlegen als Fläche der vier rechtwinkligen Dreiecke der Fläche 21 ab, und dem Quadrat der Fläche c2 . Die Gesamtfigur hat somit den Flächeninhalt 4 · 21 ab + c2 = 2ab + c2 . Also folgt a2 + 2ab + b2 = 2ab + c2 ⇒ a2 + b2 = c2 , da beide Terme die Fläche der Gesamtfigur darstellen. Im Folgenden erläutern wir einige Beweismethoden. Beweisführung: direkter Beweis Bei einem direkten Beweis einer Aussage der Form A ⇒ B fängt man mit den Voraussetzungen A an und folgert in (einfachen) Schritten daraus die zu beweisende Aussage B. Dazu zeigt man oft Zwischenresultate, also A ⇒ A1 ⇒ A2 ⇒ · · · ⇒ An ⇒ B. Wir nehmen A an, folgern daraus A1 , dann A2 , . . . , dann An und daraus folgern wir B. Dabei ist hier bei einer Kette von aufeinanderfolgenden Implikationspfeile eigentlich gemeint, dass (A ⇒ A1 ) ∧ (A1 ⇒ A1 ) ∧ . . . ∧ (An ⇒ B) wahr ist, und somit auch die Behauptung A ⇒ B.2 Sehr einfache Beweise lassen sich im Gebiet der Arithmetik finden. Dabei unterscheidet man zwischen geraden und ungeraden Zahlen. Die geraden Zahlen sind genau diejenigen, die sich als Vielfaches von 2 darstellen lassen, die ungeraden sind diejenigen Zahlen a, für die a − 1 gerade ist. Dies lässt sich wie folgt formalisieren: Definition 1.18. Eine ganze Zahl a ∈ Z heißt 1. gerade, falls es ein k ∈ Z gibt mit a = 2k; 2. ungerade, falls es ein k ∈ Z gibt mit a = 2k + 1. 2

Diese Eigenschaft wird auch als Transitivität der Implikation bezeichnet (siehe Abschnitt 4.1).

12

Kapitel 1 – Logik und Beweismethoden

Dabei steht „a ∈ Z“ für „a ist ein Element von Z“, d.h. „a ist eine ganze Zahl“. Nun können wir einige einfache Tatsachen über gerade und ungerade Zahlen nachweisen: Beispiel 1.19. Die Summe zweier gerader Zahlen ist wieder eine gerade Zahl. Um dies beweisen zu können, sollten wir dies zunächst in die Sprache der Logik übersetzen und Voraussetzungen und Schlussfolgerungen identifizieren: Für alle a, b ∈ Z gilt: Falls a und b gerade sind, so ist a + b gerade. | {z } | {z } Voraussetzung

Schlussfolgerung

Nun sind wir in der Lage, unsere Behauptung zu beweisen. Beweis. Seien a, b ∈ Z gerade Zahlen. Da a gerade ist, gibt es ein k ∈ Z mit a = 2k. Nun ist aber auch b gerade, und somit gibt es ein l ∈ Z mit b = 2l. Daraus folgt a + b = 2k + 2l = 2 (k + l), | {z } ∈Z

also ist a + b auch gerade. Dabei ist einiges zu beachten: Wenn eine Aussage über alle Zahlen bewiesen werden soll, so muss man ein beliebige Zahl fest wählen, und die Behauptung für diese Zahl nachweisen. Dies erfolgt üblicherweise in der Form „Sei a ∈ Z“. Weiterhin mussten wir für b eine neue Variable l wählen, da k bereits belegt war. Als Beispiel für einen direkten Beweis mit Zwischenschritten betrachten wir die Logarithmengesetze. Wie aus der Schule bekannt, ist die Logarithmusfunktion die Umkehrfunktion der Exponentialfunktion. Man definiert also loga (u) = x :⇔ ax = u

für a, u, x ∈ R mit a, u > 0 und a 6= 1.

Beispiel 1.20. Wir beweisen das folgende Logarithmusgesetz: Für alle a, u, v > 0 mit a 6= 1 gilt loga (u · v) = loga (u) + loga (v). Wir benötigen zunächst zwei Folgerungen aus der Definition des Logarithmus: Es gilt für loga (u) = x aloga (u) = ax = u, loga (ax ) = loga (u) = x. Daraus folgt wegen eines der Potenzgesetze u · v = aloga (u) · aloga (v) = aloga (u)+loga (v) ⇒ loga (u · v) = loga (aloga (u)+loga (v) ) = loga (u) + loga (v). Somit ist die Behauptung bewiesen. Ähnlich kann man die anderen Logarithmengesetze aus den Potenzgesetzen folgern. Umgekehrt kann man auch die Potenzgesetze mit Hilfe der Logarithmengesetze beweisen (siehe Aufgabe 1.17).

1.2 Direkte und indirekte Beweise

13

Definition 1.21. Seien A und B Aussagen. 1. Die Umkehrung einer Implikation A ⇒ B ist die Implikation B ⇒ A. 2. Die Kontraposition einer Implikation A ⇒ B ist die Implikation ¬B ⇒ ¬A. Beispiel 1.22. Wir betrachten die Aussage „Wenn es regnet, so ist der Boden nass“. 1. Die Umkehrung lautet „Wenn der Boden nass ist, so regnet es“. 2. Die Kontraposition hingegen ist die Aussage „Wenn der Boden nicht nass ist, so regnet es nicht“. Wie wir bereits in Abschnitt 1.1 bewiesen haben, ist die Kontraposition einer Aussage logisch äquivalent zur Aussage selbst, die Umkehrung hingegen nicht. Somit kann man, statt eine Aussage der Form A ⇒ B zu zeigen, die Kontraposition ¬B ⇒ ¬A zeigen. Diese Beweismethode nennt man Kontrapositionsbeweis. Beweisführung: Kontraposition Bei einem Kontrapositionsbeweis zeigt man eine Implikation A ⇒ B, indem man sich zur Nutze macht, dass diese äquivalent zu ¬B ⇒ ¬A ist: Wenn also die Aussage B nicht gilt, kann die Aussage A ebenfalls nicht gelten. Man nimmt also an, dass die Behauptung B falsch ist, und folgert nach einem oder mehreren (endlich vielen) direkten Schritten, dass die Voraussetzung A auch falsch ist. Auch diese Beweismethode illustrieren wir anhand von zwei Beispielen. Beispiel 1.23. Wir beweisen: Falls für a ∈ Z die Zahl a2 gerade ist, so ist auch a gerade. Wir formulieren die Kontraposition: Für jedes a ∈ Z gilt a ist ungerade ⇒ a2 ist ungerade. Sei also a ∈ Z ungerade. Dann gibt es ein k ∈ Z mit a = 2k + 1. Es folgt a2 = (2k + 1)2 = 4k 2 + 4k + 1 = 2 (2k 2 + 2k) +1, | {z } ∈Z

und somit ist auch a2 ungerade. Das zweite Beispiel ist geometrischer Natur. Der Stufenwinkelsatz besagt Folgendes: Seien g, h und k Geraden, sodass k sowohl g als auch h schneidet. Falls g und h parallel sind, so sind alle Stufenwinkel (bzgl. k) gleich groß. k β

h

α g

14

Kapitel 1 – Logik und Beweismethoden

In der Mathematik stellt man sich oft die Frage, ob auch die Umkehrung gilt, d.h. in unserem Fall, wenn die Stufenwinkel von g und h (bzgl. k) gleich groß sind, sind dann g und h parallel? Dass dies tatsächlich der Fall ist, zeigen wir per Kontrapositionsbeweis: Beispiel 1.24. Die Kontraposition der Umkehrung des Stufenwinkelsatzes lautet: Wenn die Geraden g und h nicht parallel sind, so sind die Stufenwinkel verschieden. Wir nehmen also an, dass die Geraden g und h nicht parallel sind. Dann haben sie einen Schnittpunkt S. k g

A β γ B

α

S

δ

h

Wenn wir die Winkel wie oben beschriften, so folgt wegen der Winkelsumme im Dreieck ∆ABS und weil β und γ Nebenwinkel sind, dass α + γ + δ = 180◦ = β + γ Daraus folgt α + δ = β, und da δ > 0 ist, müssen α und β verschieden sein. Kontrapositionsbeweise sind indirekte Beweise, da man nicht direkt die Behauptung zeigt, sondern eine zur Behauptung äquivalente Aussage. Wir betrachten nun eine weitere Art von indirekten Beweisen, den sogenannten Widerspruchsbeweis. Dazu machen wir zunächst eine Vorüberlegung: Es gilt ¬(A ⇒ B) ≡ ¬(¬A ∨ B) ≡ A ∧ ¬B. Möchten wir also A ⇒ B beweisen, so können wir zeigen, dass A ∧ ¬B widersprüchlich und damit falsch ist, denn dann muss die Negation davon, also A ⇒ B, wahr sein. Beweisführung: Widerspruchsbeweis Bei einem Widerspruchsbeweis (auch genannt Reductio ad absurdum) nimmt man an, dass die Voraussetzungen gelten und gleichzeitig die zu zeigende Behauptung nicht gilt. Dann versucht man, daraus einen Widerspruch herzuleiten. Ein solcher Widerspruch wäre etwa „Die Behauptung gilt nicht und gleichzeitig gilt sie doch“. Etwas konkreter: Statt A ⇒ B zu zeigen, leitet man aus A ∧ ¬B einen Widerspruch her. Ein Spezialfall davon ist, dass man, statt B zu zeigen, einen Widerspruch aus ¬B herleitet. Theorem 1.25. Die Zahl darstellen.



2 ist irrational, d.h.,



2 lässt sich nicht als Bruch

1.2 Direkte und indirekte Beweise

15

√ Beweis. Wir nehmen an, dass sich 2 = pq als gekürzter Bruch mit p, q ∈ N mit p 6= 0 darstellen lässt, d.h., p und q sind teilerfremd3 . Es gilt √ p p2 2 = ⇒ 2 = 2 ⇒ 2q 2 = p2 q q und somit ist p2 gerade. Dann ist aber gemäß Beispiel 1.23 auch p gerade, und somit existiert ein k ∈ N mit p = 2k. Daraus folgt 2q 2 = p2 = (2k)2 = 4k 2 . Also gilt auch q 2 = 2k 2 . Dann ist aber auch q 2 und somit auch q gerade. Insbesondere ist 2 ein Teiler von p und q, ein Widerspruch zur Annahme, √ dass p und q teilerfremd sind. Somit war unsere Annahme falsch, und daher ist 2 irrational. Auch hier stammt unser zweites Beispiel aus der Geometrie. Beispiel 1.26. Wir zeigen die Umkehrung des Satzes von Pythagoras mit einem Widerspruchsbeweis. Diese besagt: Falls in einem Dreieck ∆ABC mit Seiten a, b und c die Gleichung a2 + b2 = c2 erfüllt ist, so ist das Dreieck rechtwinklig mit Hypothenuse c. Wir nehmen also an, dass a2 + b2 = c2 gilt, aber das Dreieck nicht rechtwinklig ist. C a0 = a

b a c A

B0

0

c

B

Wir zeichen eine zu b senkrechte Strecke a0 = CB 0 der Länge a. Dann ist ∆AB 0 C ein rechtwinkliges Dreieck mit Seiten a0 , b, c0 . Aus dem Satz des Pythagoras folgt nun (a0 )2 + b2 = (c0 )2 und daher c2 = a2 + b2 = (a0 )2 + b2 = (c0 )2 . Es folgt c = c0 , und damit sind alle Seiten der Dreiecke ∆ABC und ∆AB 0 C gleich lang, und somit sind die Dreiecke kongruent. Dies ist aber ein Widerspruch, da ∆AB 0 C rechtwinklig ist, ∆ABC jedoch nicht. Widerspruchsbeweise sind oft das Mittel der Wahl, wenn man beweisen möchte, dass etwas nicht existiert. Solche Nichtexistenzbeweise sind beispielsweise hilfreich, um die Unlösbarkeit einer Gleichung nachzuweisen. Beispiel 1.27. Die Gleichung x2 = y 2 + 1 besitzt keine ganzzahligen Lösungen x, y ∈ Z∗ , wobei Z∗ die Menge aller ganzen Zahlen ist, die verschieden von 0 sind. Wir nehmen per Widerspruch an, dass solche Lösungen x, y ∈ Z∗ existieren. Dann gilt aber x2 = y 2 + 1 ⇒ (x + y)(x − y) = x2 − y 2 = 1, was aber nur erfüllt sein kann, wenn x + y = x − y = 1 oder x + y = x − y = −1. In beiden Fällen folgt y = 0, ein Widerspruch zur Annahme. 3

Zwei Zahlen p, q ∈ N sind teilerfremd, falls ihr größter gemeinsamer Teiler 1 ist.

16

Kapitel 1 – Logik und Beweismethoden

Was ist eine Definition? Eine Definition legt die Bedeutung eines mathematischen Begriffes fest. Man schreibt 1. x := y, falls y eine Definition für x ist („A ist per Definition gleich B“). 2. A :⇔ B, falls A durch die Formel B definiert wird („A gilt per Definition genau dann, wenn B gilt“). Definitionen haben folgende Eigenschaften: • • •

Definitionen sind weder wahr noch falsch und somit nicht beweisbar. In einer Definition dürfen nur bereits definierte Begriffe vorkommen. Definitionen müssen so präzise wie möglich sein, sollten aber keine überflüssigen Informationen enthalten („so viel wie nötig, so wenig wie möglich“).

Beispiel 1.28. Wir geben einige Definitionen an: 1. Für a, b ∈ Z definiert man a | b :⇔ es gibt ein k ∈ Z mit b = ak. Man sagt dann, dass a ein Teiler von b ist. 2. Für x ∈ R definiert man den Betrag von x als ( x, x ≥ 0, |x| := −x, x < 0. Hierbei wird |x| durch eine Fallunterscheidung definiert; in der zweiten Spalte stehen dabei die beiden Fälle x ≥ 0 und x < 0, zwischen denen unterschieden wird, und links daneben steht die Definition von |x| im entsprechenden Fall. 3. Eine Primzahl ist eine natürliche Zahl, die genau zwei Teiler in N besitzt. Aufgabe 1.11. Finden Sie mindestens zwei verschiedene (äquivalente!) Definitionen für die folgenden Begriffe: (a) Ungerade (als Eigenschaft von Zahlen) (b) Parallelogramm (c) Gleichschenklig (d) Die Zahl π Wie liest man eine Definition? Um eine Definition zu verstehen, können Sie wie folgt vorgehen: •

• • •

Finden Sie Beispiele von Objekten, die die Bedingungen der Definition erfüllen. Dabei lohnt es sich, zuerst ganz einfache („triviale“) Beispiele zu betrachten, danach etwas komplexere. Finden Sie Nichtbeispiele, d.h. Beispiele, bei denen mindestens eine Bedingung der Definition nicht erfüllt ist. Machen Sie eine Skizze. Verknüpfen Sie die Definition mit Ihrem Vorwissen.

1.2 Direkte und indirekte Beweise

17

Aufgabe 1.12. Untersuchen Sie die folgende Definition: Definition 1.29. Ein Viereck heißt 1. Sehnenviereck, falls dessen Ecken auf einem Kreis liegen, 2. Tangentenviereck, falls dessen Seiten Tangenten eines Kreises sind. Aufgaben Aufgabe 1.13. ### Man verteilt 25 Quadrate auf einem karierten Brett der Größe 25 × 25, und zwar so, dass sie bezüglich einer Diagonalen symmetrisch verteilt sind und keine zwei Quadrate aufeinanderliegen. Beweisen Sie, dass mindestens eines der Quadrate auf der Diagonalen liegt. Aufgabe 1.14. ###Überlegen Sie, welche Beweismethoden (direkter Beweis, Kontrapositionsbeweis, Widerspruchsbeweis) zum Beweis folgender Aussagen geeignet ist, und geben Sie einen Beweis an: (a) Wenn für a ∈ Z die Zahl a3 ungerade ist, so ist a ungerade. (b) Die Differenz zweier ungerader ganzen Zahlen ist gerade. (c) Das Produkt einer rationalen Zahl q 6= 0 und einer irrationalen Zahl ist irrational. √ (d) Falls x ∈ R irrational ist, so ist auch x irrational. (e) Die Gleichung 9x + 12y = 7 besitzt keine ganzzahligen Lösungen. Aufgabe 1.15. ## Eine Zahl a ∈ Z ist durch 3 teilbar (in Zeichen 3 | a), falls es ein k ∈ Z gibt mit a = 3k. Wenn a nicht durch 3 teilbar ist, so schreibt man 3 - a. 2 (a) Zeigen Sie für alle √ a ∈ Z: Aus 3 | a folgt 3 | a. (b) Zeigen Sie, dass 3 irrational ist. (c) Wieso funktioniert der Beweis nicht, wenn man 3 durch 4 ersetzt?

Aufgabe 1.16. ## Zeigen Sie, dass es kein gleichschenklig-rechtwinkliges Dreieck mit ganzzahligen Seitenlängen gibt. Aufgabe 1.17.

## Seien a, u und v reelle Zahlen mit a, u, v > 0 und a 6= 1.

(a) Beweisen Sie das Logarithmengesetz loga (uv ) = v · loga (u), indem Sie ein geeignetes Potenzgesetz verwenden. (b) Welches Potenzgesetz haben Sie in (a) verwendet? Zeigen Sie, dass dieses Potenzgesetz aus dem Logarithmusgesetz in (a) folgt. (c) Ist log2 (5) rational? Begründen Sie Ihre Antwort durch einen Beweis. Aufgabe 1.18. ## Betrachten Sie folgende Aussage: Für a, b, c ∈ Z gilt: Falls a2 + b2 = c2 , so ist a gerade oder b gerade. (a) Geben Sie Kontraposition der Aussage an. (b) Beweisen Sie die Aussage mittels Kontrapositionsbeweis. Aufgabe 1.19.

# Zeigen Sie: Für alle x ∈ R gilt sin(x) + cos(x) 6= 32 .

18

Kapitel 1 – Logik und Beweismethoden

# Zeigen Sie: Wenn drei Zahlen x, y, z ∈ R irrational sind, so Aufgabe 1.20. gibt es unter diesen Zahlen mindestens zwei Zahlen, deren Summe auch irrational ist. Aufgabe 1.21. # Beweisen Sie: Falls 2n − 1 für n ∈ N eine Primzahl ist, so ist n eine Primzahl.

1.3 Fallunterscheidungen „Seit der Zeit der Griechen bedeutet ‚Mathematik‘ zu sagen, ‚Beweis‘ zu sagen.“ Nicolas Bourbaki

Wir betrachten nochmals das Logikrätsel aus Beispiel 1.1. Die vielleicht intuitiviste Weise, das Rätsel zu lösen, ist das Ausprobieren. Man kann beispielsweise überlegen, ob Benjamin die Wahrheit sagt oder nicht: 1. Fall: Benjamin sagt die Wahrheit. Dann lügt Anne, da ansonsten Benjamin lügen müsste. Damit sagt aber Carina die Wahrheit, was aber der wahren Aussage von Benjamin widerspricht. 2. Fall: Benjamin lügt. Dann sagt Carina die Wahrheit, weswegen Anne lügt. Im zweiten Fall ergibt sich kein Widerspruch, und alle drei Bedingungen sind erfüllt. Damit ist gezeigt, dass Anne und Benjamin lügen und Carina die Wahrheit sagt. Diese Methode des systematischen Ausprobierens ist auch beim Beweisen von großer Bedeutung, und führt zur Beweismethode der Fallunterscheidung. Beweisführung: Fallunterscheidung Bei einem Beweis durch Fallunterscheidung möchte man A ∨ B ⇒ C folgern. Dazu genügt es Folgendes zu zeigen: 1. Fall: A ⇒ C 2. Fall: B ⇒ C Ein Spezialfall der Methode ist zu verwenden, dass A ∨ ¬A immer wahr ist (das sogenannte Tertium non datur oder der Satz vom ausgeschlossenen Dritten). Dann kann man statt C auch A ⇒ C und ¬A ⇒ C zeigen. Im Allgemeinen können auch mehr als zwei Fälle auftreten: Um aus A1 ∨ A2 ∨ · · · ∨ An eine Aussage C zu folgern, schließt man einzeln aus A1 , . . . , An die Aussage C. Wichtig ist es zu beachten, dass mindestens einer der Fälle eintritt, d.h. dass die Fälle tatsächlich alle Möglichkeiten abdecken. Üblicherweise wählt man die Fälle zudem so, dass sie sich gegenseitig ausschließen. Beispiel 1.30. Eine Quadratzahl ist eine Zahl der Form n2 für n ∈ N. Quadratzahlen sind also

1.3 Fallunterscheidungen

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0, 1, 4, 9, 16, 25, 36, 49, 64, 81, 100, 121 . . . Welche Endziffern können Quadratzahlen haben? Durch Betrachtung der ersten Quadratzahlen gelangen wir zur Vermutung, dass nur die Ziffern 0, 1, 4, 5, 6 und 9 als Endziffern vorkommen. Um nun die Endziffer von n2 zu bestimmen, reicht es, die Endziffer von n zu bestimmen, denn n lässt sich darstellen als n = 10q + r, wobei q, r ∈ N und r die Endziffer von n ist. Nun gilt aufgrund der 1. Binomischen Formel n2 = (10q + r)2 = 100q 2 + 20qr + r2 = 10(10q 2 + 2qr) + r2 , und damit ist die Endziffer von n2 diejenige von r2 . Nun haben wir 10 verschiedene Fälle: 1. Fall: r = 0: Dann gilt r2 = 0, also ist die Endziffer 0. 2. Fall: r = 1: Dann gilt r2 = 1, also ist die Endziffer 1. .. . 10. Fall: r = 9: Dann gilt r2 = 81, also ist die Endziffer 1. Wenn man alle Fälle durcharbeitet, so kann man folgern, dass nur 0, 1, 4, 5, 6 und 9 als Endziffern vorkommen. Eine häufige Fallunterscheidung ist zwischen geraden und ungeraden Zahlen: Beispiel 1.31. Für jedes a ∈ Z ist a2 + a gerade. Wir beweisen dies mittels Fallunterscheidung: 1. Fall: a ist gerade. Dann gibt es ein k ∈ Z mit a = 2k. Dann ist auch a2 + a = (2k)2 + (2k) = 4k 2 + 2k = 2 (2k 2 + k) | {z } ∈Z

gerade. 2. Fall: a ist ungerade. Dann gibt es ein k ∈ Z mit a = 2k + 1. Somit ist a2 + a = (2k + 1)2 + (2k + 1) = (4k 2 + 4k + 1) + 2k + 1 = 2 (2k 2 + 3k + 1) | {z } ∈Z

auch im zweiten Fall gerade. Eine Verallgemeinerung der Beispiele 1.30 und 1.31 ist die Unterscheidung zwischen den verschiedenen Resten bei der Division durch eine gegebene Zahl. Dabei verwendet man die Division mit Rest: Theorem 1.32 (Division mit Rest). Seien a ∈ Z und n ∈ N \ {0, 1}. Dann gibt es eindeutige Zahlen q, r ∈ Z mit r ∈ {0, . . . , n − 1} und a = qn + r.

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Kapitel 1 – Logik und Beweismethoden

Ein Beweis von Theorem 1.32 wird in Abschnitt 3.5 gegeben. Dabei stellt r den Rest bei der Division durch n dar. Als mögliche Fälle bei einer Fallunterscheidung verwendet man oft die verschiedenen Reste. Im Fall n = 2 entspricht dies genau der Unterscheidung zwischen geraden und ungeraden Zahlen, im Fall n = 10 den möglichen Endziffern. Definition 1.33. Für x ∈ R definieren wir den Betrag von x als ( x, x ≥ 0, |x| := −x, x < 0.

Somit gilt beispielsweise |2| = | − 2| = 2. Zu beachten ist, dass Beträge immer positiv sind. So gilt also |x| = |x| für alle x ∈ R, da |x| ≥ 0. Es gibt auch weitere Rechenregeln für Beträge, wie das folgende Beispiel zeigt: Beispiel 1.34. Für alle x, y ∈ R gilt |x · y| = |x| · |y|, d.h., Multiplikation und Betragsbildung lassen sich vertauschen. Seien x, y ∈ R. Nun gibt es vier Fälle: 1. Fall: x, y ≥ 0. Dann gilt |xy| = xy = |x| · |y|. 2. Fall: x, y < 0. Dann ist xy als Produkt zweier negativen Zahlen positiv, d.h. |xy| = xy = (−x) · (−y) = |x| · |y|. 3. Fall: x ≥ 0, y < 0. Dann gilt |xy| = −xy = x · (−y) = |x| · |y|. 4. Fall: x < 0, y ≥ 0. Dann gilt |xy| = −xy = (−x) · y = |x| · |y|. Der 3. Fall und der 4. Fall verlaufen genau gleich, außer dass die Rolle von x und y vertauscht ist. Man kann dies elegant ausdrücken durch folgende Floskel: 4. Fall: Analog wie der 3. Fall (mit x, y vertauscht). Eine weitere wichtige Rechenregel für Beträge bildet die Dreiecksungleichung, welche besagt, dass für alle x, y ∈ R |x + y| ≤ |x| + |y| gilt (siehe auch Aufgabe 1.26). Fallunterscheidungen spielen auch eine essentielle Rolle beim Auflösen von Gleichungen und Ungleichungen, insbesondere wenn darin Beträge und/oder Brüche mit Variablen im Nenner vorkommen. Beispiel 1.35. Wir lösen die Betragsungleichung |x − 3| ≥ |2x + 4|. Dabei hängt der Wert von |x − 3| davon ab, ob x ≥ 3 oder x < 3, und der Wert von |2x + 4| davon, ob x ≥ −2 oder x < −2. Insgesamt gibt es also drei Fälle:

1.3 Fallunterscheidungen

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1. Fall: x ≥ 3. Dann gilt |x − 3| ≥ |2x + 4| ⇔ x − 3 ≥ 2x + 4 ⇔ x ≤ −7. Nun muss aber auch x ≥ 3 erfüllt sein, was nicht möglich ist. Demnach erhalten wir in diesem Fall keine Lösungen, die Lösungsmenge ist also L1 = ∅, die leere Menge (siehe Beispiel 2.1). 2. Fall: −2 ≤ x < 3. Dann gilt |x − 3| ≥ |2x + 4| ⇔ −(x − 3) ≥ 2x + 4 ⇔ −x + 1 ≥ 2x + 4 ⇔ 3x ≤ −1 ⇔ x ≤ − 13 . Dies ergibt die Lösungsmenge L2 = {x ∈ R | −2 ≤ x ≤ − 13 } = [−2, − 31 ] (siehe Definition 2.5 für die Intervallschreibweise). 3. Fall: x < −2. Dann gilt |x − 3| ≥ |2x + 4| ⇔ −(x − 3) ≥ −(2x + 4) ⇔ x − 3 ≤ 2x + 4 ⇔ x ≥ −7. Somit erhalten wir L3 = {x ∈ R | −7 ≤ x < −2} = [−7, −2). Nun besteht die Lösungsmenge aus allen Zahlen, die in einer der Lösungsmengen der drei Fälle vorkommen, d.h., es gilt L = {x ∈ R | x ∈ L1 ∨ x ∈ L2 ∨ x ∈ L3 } = {x ∈ R | −7 ≤ x ≤ − 31 } = [−7, − 31 ]. Paradox: Wahrheit und Beweisbarkeit Der Satz „Dieser Satz ist falsch.“ ist keine Aussage, da er genau dann wahr ist, wenn er falsch ist. Wie sieht es aus, wenn wir den Satz leicht abändern zu folgendem Satz? „Dieser Satz ist nicht beweisbar.“ Wir machen eine Fallunterscheidung: 1. Fall: Der Satz ist beweisbar. Dann ist er aber wahr, da nur Wahres bewiesen werden kann. Somit ist er aber unbeweisbar, ein Widerspruch. 2. Fall: Der Satz ist nicht beweisbar. Dann ist er aber wahr. Somit ist der Satz wahr, aber nicht beweisbar! Wahrheit und Beweisbarkeit sind also nicht dasselbe. Diese Beobachtung wurde auch in der sogenannten PeanoArithmetik als Satz über natürliche Zahlen formalisiert und formal bewiesen. Es handelt sich dabei um den sogenannten 1. Gödelschen Unvollständigkeitssatz, welcher auf den österreichischen Mathematiker Kurt Gödel zurückgeht.

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Kapitel 1 – Logik und Beweismethoden

Mathematikslang Insbesondere im Zusammenhang mit Fallunterscheidungen werden oft die Begriffe „analog“, „o.B.d.A.“ und „trivial“ verwendet. Diese sollen im Folgenden geklärt werden. 1. Eine Aussage ist trivial , falls sie sofort aus einer Definition oder aus einem bereits bewiesenen Satz folgt. Beispiel 1.36. Trivial sind beispielsweise die folgenden Aussagen: • Jede natürliche Zahl n > 1 hat mindestens zwei Teiler (nämlich die Zahlen 1 und n). • Für jedes x ∈ R gilt |x| ≥ 0 (folgt direkt aus der Definition des Betrags). Ob eine Aussage trivial ist, hängt jedoch vom Wissen der Person ab, die die Aussage tätigt. Daher wäre eine mögliche Definition auch die folgende: Jemand kann etwas als trivial bezeichnen, wenn er es in weniger als zwei Minuten begründen kann. Das Wort „trivial“ lässt sich auch als Adjektiv einsetzen: So sind beispielsweise 1 und n triviale Teiler einer Zahl n ∈ N; oder x = 1 und y = 0 bilden ein triviales Lösungspaar der Gleichung x2 − y 2 = 1. 2. Oft ähneln sich bei einer Fallunterscheidung mehrere Fälle, und gewisse Fälle lassen sich ohne Aufwand auf einen bereits bewiesenen Fall zurückführen. Um das Argument nicht zu wiederholen, verwendet man den Ausdruck „analog“. Wichtig ist es dabei jedoch genau anzugeben, inwiefern es sich um dasselbe Argument handelt. Beispiel 1.37. Seien a, b, c ∈ R Zahlen mit ab = c. Falls zwei der drei Zahlen ungleich 0 sind, so ist auch die dritte Zahl ungleich 0. 1. Fall: a, b 6= 0. Dann ist aber auch c = ab 6= 0. 2. Fall: a, c 6= 0. Dann gilt b = ac 6= 0. 3. Fall: b, c 6= 0. Analog wie der 2. Fall (mit a und b vertauscht). Aufgabe 1.22. Das Maximum zweier Zahlen x, y ∈ R wird definiert als ( x, x ≥ y, max(x, y) := y, x < y. Beweisen Sie mit einer Fallunterscheidung: Für alle reellen Zahlen x, y ∈ R . gilt max(x, y) = x+y+|x−y| 2 3. Der Ausdruck „o.B.d.A.“ steht für „ohne Beschränkung der Allgemeinheit“ und wird in folgenden Fällen verwendet: • Um triviale Fälle wegzulassen: Möchte man zeigen, dass drei verschiedene Punkte entweder auf einer Geraden oder auf einem Kreis liegen, so hat man zwei Fälle: Entweder die Punkte liegen alle auf einer Geraden oder nicht. Dann kann man o.B.d.A. annehmen, dass sie nicht auf einer Geraden liegen, und muss beweisen, dass sie auf einem Kreis liegen.

1.3 Fallunterscheidungen •



23

Um analoge Fälle wegzulassen: Um zu zeigen, dass die Gleichung x2 = 2 keine rationale Lösung besitzt, nimmt man per Widerspruch an, dass eine solche Lösung existiert, und man kann o.B.d.A. annehmen, dass diese > 0 ist. Um anzugeben, dass es reicht einen Sonderfall zu betrachten, auf den sich die allgemeine Aussage reduzieren lässt: Möchte man zählen, auf wie viele Arten man drei Personen anordnen kann, können wir die Personen o.B.d.A. mit 1, 2 und 3 bezeichnen.

Aufgabe 1.23. Beweisen Sie: Für jedes a ∈ Z ist entweder a oder a2 − 1 durch 3 teilbar. Aufgaben Aufgabe 1.24.

### Beweisen Sie mit einer Fallunterscheidung für alle a ∈ Z:

(a) Die Zahl a3 − a + 1 ist ungerade. (b) Die Zahl a2 hat entweder Rest 0 oder Rest 1 bei der Divsion durch 4.

Aufgabe 1.25. ### Zeigen Sie, dass drei verschiedene Punkte in der Ebene entweder auf einer Geraden oder auf einem Kreis liegen. Aufgabe 1.26.

## Beweisen Sie die folgenden Ungleichungen:

(a) Dreiecksungleichung: Für alle x, y ∈ R gilt |x + y| ≤ |x| + |y|. (b) Umgekehrte Dreiecksungleichung: Für alle x, y ∈ R gilt |x| − |y| ≤ |x − y|. Versuchen Sie dabei, so wenige Fälle wie möglich zu unterscheiden. Wann gilt Gleichheit? Aufgabe 1.27.

## Für welche x, y ∈ R gelten die folgenden Gleichungen?

(a) |x + y| = |x| + |y| (b) |x + y| = |x − y| Aufgabe 1.28. chungen:

## Bestimmen Sie die Lösungsmenge der folgenden Unglei-

(a) |3x + 2| ≥ 6 (b) |3x − 1| − 2 ≤ |2 − x| (c) |2x+1| x−3 ≤ 1 (d) |x2 + x − 2| > |1 − x2 | Aufgabe 1.29. ## Lösen Sie das folgende Rätsel mittels Fallunterscheidung: Anne, Benjamin und Carina treffen folgende Aussagen: • • •

Anne sagt: „Benjamin und Carina lügen!“ Benjamin sagt: „Wenn Anne die Wahrheit sagt, so lügt Carina.“ Carina sagt: „Benjamin sagt die Wahrheit oder Anne lügt.“

Wer lügt, und wer sagt die Wahrheit?

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Kapitel 1 – Logik und Beweismethoden

# Der Satz des Thales besagt Folgendes: Aufgabe 1.30. Liegt der Punkt C eines Dreiecks ∆ABC auf einem Halbkreis über der Strecke AB, dann hat das Dreieck bei C immer einen rechten Winkel. (a) Beweisen Sie den Satz des Thales mit Hilfe des Satzes von Pythagoras. (b) Beweisen Sie die Umkehrung des Satzes von Thales mit einem Kontrapositionsbeweis, indem Sie eine geeignete Fallunterscheidung vornehmen.

1.4 Äquivalenzbeweise „In der Mathematik gibt es keine Autoritäten. Das einzige Argument für die Wahrheit ist der Beweis.“ Kazimierz Urbanik

Wir haben bereits in Abschnitt 1.2 gesehen, dass der Satz des Pythagoras genau genommen eine Implikation darstellt. Nun haben wir aber in Beispiel 1.26 gesehen, dass auch die Umkehrung gilt. Insgesamt haben wir damit gezeigt: Theorem 1.38. Ein Dreieck mit Seiten a, b und c ist genau dann rechtwinklig mit Hypothenuse c, wenn a2 + b2 = c2 gilt. Etwas präziser formuliert: Für ein Dreieck ∆ mit Seiten a, b, c gilt: ∆ ist rechtwinklig mit Hypothenuse c ⇔ a2 + b2 = c2 . Um dies zu beweisen, sind wir in zwei Schritten vorgegangen: 1. Wir haben gezeigt, dass der Satz des Pythagoras gilt, d.h. die „Hinrichtung“ ⇒. 2. Wir haben die Umkehrung gezeigt, d.h. die Rückrichtung ⇐. Ganz allgemein lässt sich die Äquivalenz zweier Aussage beweisen, indem man diese in zwei Implikationen zerlegt. Dies ist genau deshalb möglich, weil A ⇔ B ≡ (A ⇒ B) ∧ (B ⇒ A) gilt. Wir zeigen zunächst ein einfaches Beispiel: Beispiel 1.39. Wir beweisen, dass jedes a ∈ Z genau dann gerade ist, wenn a2 gerade ist. Unsere Behauptung ist somit die Äquivalenz a ist gerade ⇔ a2 ist gerade. Wir beweisen beide Implikationen einzeln: ⇒: Sei a ∈ Z gerade. Dann existiert ein k ∈ Z mit a = 2k. Somit ist a2 = (2k)2 = 4k 2 = 2(2k 2 ) auch gerade. ⇐: Dies haben wir bereits in Beispiel 1.23 nachgewiesen. Manchmal kann man eine Äquivalenz auch direkt beweisen, indem man schrittweise Äquivalenzumformungen macht:

1.4 Äquivalenzbeweise

25

Beispiel 1.40. Wir zeigen: Eine ganze Zahl a ∈ Z ist genau dann gerade, wenn a + 1 ungerade ist. Es gilt für a ∈ Z: a ist gerade ⇔ es gibt ein k ∈ Z mit a = 2k ⇔ es gibt ein k ∈ Z mit a + 1 = 2k + 1 ⇔ a + 1 ist ungerade. Damit ist die Äquivalenz bewiesen. Genau wie bei Ketten von Implikationen ist bei solchen Äquivalenzen A1 ⇔ A2 ⇔ . . . ⇔ An eigentlich (A1 ⇔ A2 ) ∧ (A2 ⇔ A3 ) ∧ . . . ∧ (An−1 ⇔ An ) gemeint. Bei Äquivalenzumformungen ist es dabei wichtig zu überprüfen, dass es sich bei jeder Umformung tatsächlich um eine Äquivalenz handelt und nicht nur um eine Implikation von oben nach unten oder umgekehrt. Wie man 1 = 2 beweist Es sei a = b. Dann folgt: ab = a2 ab − b2 = a2 − b2 b(a − b) = (a + b)(a − b) b=a+b b = 2b 1 = 2. Von unten nach oben gelesen sind alle Umformungen korrekt; umgekehrt jedoch nicht, da bei der dritten Umformung durch a − b = 0 geteilt wird. Durch die Angabe der entsprechenden Pfeile lassen sich solche Fehler vermeiden. Möchte man nun die Äquivalenz von mehr als zwei Aussagen beweisen, so kann man das sogenannte Ringschlussprinzip verwenden: Beweisführung: Das Ringschlussprinzip Um zu beweisen, dass die Aussagen A1 , . . . , An äquivalent sind, muss man nicht Ai ⇔ Aj für alle i, j ∈ {1, . . . , n} zeigen (was ziemlich aufwendig wäre!), sondern man kann stattdessen einen Ringschluss machen. Dabei zeigt man: A1 ⇒ A2 A2 ⇒ A3 .. . An−1 ⇒ An An ⇒ A1 Dann sind die Aussagen A1 , . . . , An allesamt äquivalent.

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Kapitel 1 – Logik und Beweismethoden

Dieses Beweisprinzip lässt sich wie folgt veranschaulichen (hier am Beispiel n = 5): A1 A2

A5

A3 A4

Beispiel 1.41. Ein Dreieck heißt gleichschenklig, falls es zwei gleich lange Seiten besitzt. Wir zeigen per Ringschluss, dass die folgenden Bedingungen für ein Dreieck ∆ mit Ecken A, B und C äquivalent sind: 1. ∆ ist gleichschenklig. 2. ∆ hat zwei gleich lange Höhen. 3. ∆ hat zwei gleich große Winkel. Zum Beweis unserer Behauptung verwenden wir das Ringschlussprinzip. Seien die Seiten gegeben durch a, b und c. 1. ⇒ 2. : Wir nehmen an, dass a = b gilt. Seien ha und hb die Höhen zu den Seiten a resp. b, und seien die Höhenfußpunkte gegeben durch Ha und Hb . Dann haben die Dreiecke ∆AHa C und ∆BHb C zwei gleich große Winkel und eine gleich lange Seite, also folgt aus dem Kongruenzsatz WSW, dass sie kongruent sind. Insbesondere gilt ha = hb . C

γ a

b

Ha

Hb

A

hb

ha β

α

B

c

2. ⇒ 3. : Wir nehmen an, dass ∆ zwei gleich lange Höhen hat. Wir können annehmen, dass die Höhen ha und hb gleich lang sind. Dann sind nach dem Kongruenzsatz SSW die Dreiecke ∆ABHa und ∆ABHb kongruent, also folgt α = β.

1.4 Äquivalenzbeweise

27

3. ⇒ 1. : Wir nehmen an, dass α = β. Sei sc die Seitenhalbierende der Seite c, und sei Mc der Mittelpunkt von c. Dann sind die Dreiecke ∆AHc C und ∆BHc C kongruent, also folgt a = b. Zudem gibt es noch viele weitere äquivalente Bedingungen. Welche finden Sie? Was sind mathematische Sätze? Ein Satz ist eine wahre mathematische Aussage, von welcher bereits ein Beweis gefunden wurde. Aussagen, von deren Wahrheit viele Mathematiker*innen überzeugt sind, die aber noch nicht bewiesen sind, werden als Vermutungen bezeichnet. Es gibt verschiedene Arten von mathematischen Sätzen: • • •

Ein Theorem (oder einfach Satz ) ist ein sehr wichtiger Satz Ein Lemma (Plural: Lemmata) ist ein Hilfssatz, der für den Beweis eines wichtigeren Satzes verwendet wird. Ein Korollar ist ein Satz, dessen Beweis unmittelbar aus einem zuvor bewiesenen Satz (üblicherweise einem Theorem) folgt.

Zu beachten ist, dass der Übergang zwischen den einzelnen Begriffen fließend ist und je nach Literaturquelle ein unterschiedlicher Begriff verwendet wird. Ein Satz besteht üblicherweise aus Voraussetzungen und Schlussfolgerungen. Starke Voraussetzungen beziehen sich auf eine kleine Menge von Objekten; starke Schlussfolgerungen sagen etwas möglichst Genaues über die Objekte aus, die die Voraussetzungen erfüllen. Schwach ist in beiden Fällen das Gegenteil von stark. Die besten Sätze haben schwache Voraussetzungen und starke Schlussfolgerungen. Wenn man eine Voraussetzung aus einer Aussage A weglässt, so nennt man die neue Aussage eine Verallgemeinerung von A. Wenn man eine Voraussetzung zu einer Aussage A hinzufügt, so ist die neue Aussage ein Spezialfall von A. Beispiel 1.42. Satz. Das Produkt zweier gerader ganzer Zahlen ist gerade. Dieser kann auch wie folgt geschrieben werden: Für alle a, b ∈ Z : a, b sind gerade ⇒ ab ist gerade. Dabei ist die Voraussetzung „a, b sind gerade“ und die Schlussfolgerung „ab ist gerade“. Eine Verallgemeinerung bildet der Satz „Das Produkt einer geraden ganzen Zahl mit einer ganzen Zahl ist gerade“: a ist gerade ⇒ ab ist gerade. Ein Spezialfall der Verallgemeinerung ist beispielsweise a ist gerade ⇒ 3a ist gerade. Aufgabe 1.31. Betrachten Sie den folgenden Satz: Satz. Die Summe dreier aufeinanderfolgender natürlicher Zahlen ist durch 3 teilbar.

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Kapitel 1 – Logik und Beweismethoden

(a) Identifizieren Sie die Voraussetzung(en) und Schlussfolgerung(en). (b) Beweisen Sie den Satz. (c) Verallgemeinern Sie den Satz. Gilt auch die Umkehrung? Wie liest man einen Satz? • • • • • •

Identifizieren Sie Voraussetzungen und Schlussfolgerungen. Fassen Sie den Satz in eigene Worte. Machen Sie einfache Beispiele. Finden Sie Nichtbeispiele, beispielsweise bei denen eine der Voraussetzungen und entsprechend eine Schlussfolgerung falsch ist. Machen Sie eine Skizze (falls möglich). Überlegen Sie sich, ob man die Aussage verallgemeinern und ob man die Aussage umkehren kann.

Aufgabe 1.32. Analysieren Sie den folgenden Satz: Satz. Seien a, b, c, d ∈ R \ {0} und p, q ∈ R. Weiter sei ax + by = p, cx + dy = q ein Gleichungspaar in den Unbekannten (x, y). Falls ad − bc 6= 0, so ist das Gleichungssystem eindeutig lösbar. Aufgaben Aufgabe 1.33. ### Beweisen Sie: Ein Dreieck ist genau dann gleichseitig, wenn alle Winkel gleich groß sind. Aufgabe 1.34. ### Beweisen Sie, dass eine ganze Zahl genau dann die Endziffer 0 hat, wenn sie durch 2 und durch 5 teilbar ist. Aufgabe 1.35. ### Beweisen Sie mit einem Ringschlussargument, dass die folgenden Aussagen für jedes a ∈ Z äquivalent sind: 1. a ist ungerade. 2. a2 + 1 ist gerade. 3. a4 − 1 ist gerade. Aufgabe 1.36. ## Ein Parallelogramm ist ein Viereck, bei dem jeweils gegenüberliegende Seiten parallel sind. (a) Beweisen Sie mit einem Ringschlussargument, dass die folgenden Aussagen für ein Viereck P äquivalent sind: a) P ist ein Parallelogramm. b) Die gegenüberliegenden Seiten von P sind gleich lang. c) Die gegenüberliegenden Winkel von P sind gleich groß. (b) Geben Sie eine weitere Bedingung an ein Viereck an, die äquivalent zu Aussagen 1 bis 3 ist.

1.5 Prädikatenlogik

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Aufgabe 1.37. # Ein Sehnenviereck ist ein Viereck, welches einen Umkreis besitzt. Zeigen Sie, dass ein Viereck genau dann ein Sehnenviereck ist, wenn die Summe gegenüberliegender Winkel jeweils 180◦ beträgt. Aufgabe 1.38. # Gegeben sei ein Dreieck ∆ mit Ecken A, B und C und Seiten a, b und c, sei h = hc die Höhe zur Seite c = AB, sei H der Höhenfußpunkt und seien q = AH und p = HB die Höhenabschnitte. Zeigen Sie, dass die folgenden Bedingungen äquivalent sind: 1. Der Winkel γ = ]ACB beträgt 90◦ . 2. a2 + b2 = c2 3. h2 = pq 4. a2 = pc und b2 = qc Anmerkung: Die Implikation 1. ⇒ 3. wird als Höhensatz, die Implikation 1. ⇒ 4. als Kathetensatz bezeichnet.

1.5 Prädikatenlogik Ein Physiker, ein Mathematiker und ein Informatiker fahren im Zug durch Schottland. Sie sehen aus dem Fenster ein schwarzes Schaf auf einer Weide grasen. Der Informatiker schlussfolgert: „Alle Schafe in Schottland sind schwarz.“ Der Physiker verbessert: „Das ist nicht ganz korrekt. In Schottland gibt es schwarze Schafe.“ Der Mathematiker seufzt: „In Schottland gibt es auf mindestens einer Weide mindestens ein Schaf, das auf mindestens einer Seite schwarz ist.“ Mathematikerwitz, Herkunft unbekannt

Mathematische Sätze möchten oft eine gemeinsame Eigenschaft aller Objekte, die eine gewisse Voraussetzung erfüllen, ausdrücken; so möchte man beispielsweise die Aussage „Alle Primzahlen, die größer als 2 sind, sind ungerade“ oder „Jede Zahl besitzt eine eindeutige Primfaktorzerlegung“ mit Hilfe der Logik formalisieren. Die Aussagenlogik ermöglicht es uns aber nicht, über gewisse Objekte zu quantifizieren, also Wörter wie „alle“, „ jede(r)“, „es gibt“ oder „keine(r)“ auszudrücken. Dazu betrachten wir eine Erweiterung der Aussagenlogik, die sogenannte Prädikatenlogik. Definition 1.43. Eine Aussagenform (oder ein Prädikat) P (x) ist eine Eigenschaft, die von einer (oder mehreren) Variablen x abhängt. Für ein konkretes (mathematisches) Objekt a ist dann P (a) eine Aussage, die besagt, dass a die Eigenschaft hat, die durch P ausgedrückt wird. Aussageformen können auch von mehreren Variablen abhängen; so schreibt man P (x, y) für eine Aussageform, die von zwei Variablen x und y abhängt. Beispiel 1.44. Beispiele für Aussageformen sind 1. U (x) := „x ist ungerade“ 2. P (a, b, c) := „a2 + b2 = c2 “

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Kapitel 1 – Logik und Beweismethoden

Dann ist U (2) eine falsche und U (3) eine wahre Aussage. Die zweite Aussageform wird oft mit dem Satz des Pythagoras verwechselt; ohne eine Bedingung an die Variablen zu stellen (d.h. diese zu quantifizieren), handelt es sich aber nicht um eine Aussage. So ist P (1, 1, 1) falsch, P (3, 4, 5) hingegen wahr. Definition 1.45. Sei P (x) eine Aussageform. 1. ∃x : P (x) bezeichnet die Aussage „Es gibt (mindestens) ein x, sodass P (x) wahr ist“. 2. ∀x : P (x) bezeichnet die Aussage „Für alle x gilt P (x)“. Das Symbol ∃ wird als Existenzquantor bezeichnet, ∀ als Allquantor. Des Weiteren schreibt man ∃!x : P (x) für die Aussage „Es gibt genau ein x, für das P (x) gilt“. Für die beiden Symbole gibt es eine einfache Merkregel: Der Existenzquantor wird durch ein umgedrehtes E, der Allquantor wird durch ein umgedrehtes A dargestellt. Wenn man mehrfach hintereinander denselben Quantor verwendet, so kann man dies vereinfacht darstellen durch ∃x, y : P (x, y) für ∃x ∃y : P (x, y) sowie ∀x, y : P (x, y) für ∀x ∀y : P (x, y). Quantoren können auch auf eine bestimmte Menge eingeschränkt werden: Sei M eine Menge4 und P (x) eine Aussageform. Dann schreiben wir: 1. ∃x ∈ M : P (x) für „Es gibt ein x in M , für das P (x) gilt“. 2. ∀x ∈ M : P (x) für „Für jedes x in M gilt P (x)“. Das Symbol „∈“ steht für „ist ein Element von“ und wird im Kapitel 2 eingeführt. Beispiel 1.46. Wir überlegen uns, was die folgenden Aussagen in natürlicher Sprache bedeuten, und entscheiden, ob sie wahr oder falsch sind: 1. ∃x ∈ Q : x2 = 2 2. ∀n ∈ N ∃m ∈ N : m ≥ n 3. ∃m ∈ N ∀n ∈ N : m ≥ n 2 Das erste √ Beispiel besagt, dass die Gleichung x = 2 in Q lösbar ist, was aber falsch ist, da 2 irrational ist. Schwieriger wird es, wenn mehrere Quantoren vorkommen: Aussage 2. ist wahr, aber Aussage 3. ist falsch; die zweite Aussage bedeutet, dass es für jede natürliche Zahl n eine natürliche Zahl m gibt, die größer gleich n ist. Dies ist wahr, da man m = n oder m = n + 1 wählen kann. Vertauscht man die beiden Quantoren, so erhält man die Aussage, dass es eine größte natürliche Zahl m gibt, was offensichtlich falsch ist.

Wichtig ist es zu beachten, dass die Reihenfolge von Quantoren eine Rolle spielt, wie schon Beispiel 1.46 zeigt.

4

Mengen werden ausführlich in Kapitel 2 behandelt; für den Moment reicht es, sich für M beispielsweise Zahlenmengen wie N oder R vorzustellen.

1.5 Prädikatenlogik

31

Die Aussagen 1. ∀x ∃y : P (x, y) und 2. ∃y ∀x : P (x, y) bedeuten nicht dasselbe! Beispiel 1.47. Wir betrachten noch ein Beispiel in der natürlichen Sprache: 1. Für jedes Schloss gibt es einen Schlüssel, der ins Schloss passt. 2. Es gibt einen Schlüssel, der in jedes Schloss passt. Wenn man P (x, y) für „Schlüssel y passt ins Schloss x“ schreibt, so erhält man hiermit ein Beispiel, bei dem Aussage 1 wahr und Aussage 2 falsch ist. Dass Aussage 2 eine stärkere Aussage als Aussage 1 ist, erkennt man auch daran, dass bei Aussage 1 das Element y von x abhängen kann, bei Aussage 2 jedoch nicht. Auch für den Umgang mit den Quantoren gibt es Rechenregeln. Zunächst überlegen wir, wie man Aussagen mit Quantoren negiert: Beispiel 1.48. Wir negieren die folgenden Aussagen: 1. Alle Wege führen nach Rom. 2. Es gibt einen Weg, der nach Rom führt. Die Negation der ersten Aussage ist nicht etwa „Kein Weg führt nach Rom“, sondern „Es gibt einen Weg, der nicht nach Rom führt“. Negiert man hingegen „Es gibt einen Weg nach Rom“, so erhält man „Kein Weg führt nach Rom“ oder, anders ausgedrückt, „Alle Wege führen nicht nach Rom“. Somit lässt sich erkennen, dass unter der Negation die Existenz- und Allquantoren vertauscht werden. Theorem 1.49. Sei P (x) eine Aussageform. Es gelten folgende Rechenregeln für die Prädikatenlogik: 1. ¬(∃x : P (x)) ≡ ∀x : ¬P (x) 2. ¬(∀x : P (x)) ≡ ∃x : ¬P (x) Um diesen Satz formal zu beweisen, müssten wir tiefer in die mathematische Logik eintauchen, worauf wir im Rahmen dieses Textes verzichten. Aufgaben Aufgabe 1.39. ### Stellen Sie die folgenden Aussagen mit Hilfe der Quantoren ∀, ∃ und ∃! dar. Für die Definitionen von [2, 4] und (0, 1) siehe Definition 2.5. (a) Wenn x eine reelle Zahl ist, so gilt x2 ≥ 0. (b) Jede natürliche Zahl ist entweder gerade oder ungerade. (c) Die Gleichung x2 + x − 1 = 0 besitzt eine eindeutige Lösung. (d) Das Intervall [2, 4] besitzt ein Maximum. (e) Für jede reelle Zahl ungleich 0 gibt es eine weitere reelle Zahl, sodass das Produkt der beiden Zahlen 1 ist. (f) Die Menge (0, 1) besitzt kein Maximum.

32

Kapitel 1 – Logik und Beweismethoden

Aufgabe 1.40. ### Drücken Sie die folgenden Aussagen umgangssprachlich aus und entscheiden Sie, ob sie wahr sind: (a) ∃!x ∈ R ∀y ∈ R \ {0} : xy = yx = y (b) ∀n ∈ N ∃m ∈ N : m − n = 1 (c) ∀n ∈ N ∃m ∈ N : n − m = 1 (d) ∀q ∈ Q ∃m, n ∈ Z : ggT(m, n) = 1 ∧ q = (e) ∃ε > 0 ∀N ∈ N ∃n ≥ N : n1 > ε

m n

Aufgabe 1.41. ### In der Analysis arbeitet man oft mit sogenannten εDefinitionen resp. ε-δ-Definitionen; ein Beispiel sind die folgenden Definitionen: (a) Eine Folge (sn )n∈N heißt Cauchy-Folge, falls ∀ ε > 0 ∃N ∈ N ∀n ≥ N

∀k ≥ 1 : |sn − sn+k | < ε.

(b) Eine Funktion f : R → R heißt stetig im Punkt x0 ∈ R, falls ∀ ε > 0 ∃δ > 0 ∀x ∈ R : |x − x0 | < δ ⇒ |f (x) − f (x0 )| < ε. Negieren Sie diese Definitionen. Aufgabe 1.42.

## Negieren Sie die folgenden Sprichwörter:

(a) Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. (b) Jedes Böhnchen gibt ein Tönchen. (c) Schlechten Leuten geht’s immer gut. (d) Wer Geld in Händen hat, dem bleibt allzeit etwas kleben. (e) Entweder regnet es in Münster, oder es läuten die Glocken; und geschieht beides gleichzeitig, so ist Sonntag. (f) Wer niemals anfängt, wird auch nie etwas zustande bringen. Aufgabe 1.43.

## Der Quantor ∃!x : P (x) kann auch als Abkürzung für ∃x : (P (x) ∧ ∀y : (P (y) ⇒ y = x))

definiert werden. Überlegen Sie sich (intuitiv), wieso diese Definition sinnvoll ist, und negieren Sie ∃!x : P (x) sowohl in natürlicher Sprache als auch in der symbolischen Sprache der Logik. Aufgabe 1.44.

## Zeigen Sie, dass die beiden Aussagen

1. (∃x : P (x)) ∧ (∃x : Qx)) und 2. ∃x : (P (x) ∧ Q(x))

nicht logisch äquivalent sind, indem Sie Aussageformen P (x) und Q(x) angeben, für die Aussagen 1 und 2 nicht äquivalent sind. Wie sieht es aus, wenn man den Existenzquantor ∃ durch einen Allquantor ∀ ersetzt? Begründen Sie Ihre Antwort. Aufgabe 1.45.

## Erklären Sie den folgenden Mathematikerwitz:

Drei Logiker kommen in eine Bar... „Wollt ihr alle ein Bier?“, fragt die Kellnerin. „Weiß ich nicht“, sagt der erste Logiker. „Weiß ich nicht“, sagt der zweite Logiker. „Ja!“ sagt der dritte Logiker.

1.6 Beweisen und Widerlegen von Aussagen mit Quantoren

33

1.6 Beweisen und Widerlegen von Aussagen mit Quantoren „Scherzhafte Beispiele haben manchmal größere Bedeutung als ernste.“ Michael Stifel

Um Vermutungen zu äußern, entdeckt man üblicherweise Regelmäßigkeiten anhand einiger Beispiele und versucht, dies dann zu verallgemeinern. Wenn man nun eine Allaussage, d.h. eine Aussage der Form ∀x : P (x), beweisen möchte, so reicht es jedoch nicht, die Vermutung anhand von Beispielen zu überprüfen, wie folgendes historisches Beispiel verdeutlicht: Beispiel 1.50. Der französische Mathematiker Pierre de Fermat hat entdeckt, n dass Fn = 22 + 1 für n = 0, 1, 2, 3 und 4 eine Primzahl ist. Dabei wird jede Zahl der Form Fn für ein n ∈ N als Fermat-Zahl bezeichnet. Es gilt beispielsweise: 0

F0 = 22 + 1 = 21 + 1 = 3 1

F1 = 22 + 1 = 22 + 1 = 5 2

F2 = 22 + 1 = 24 + 1 = 17 3

F3 = 22 + 1 = 28 + 1 = 257 Daher stellte er die Vermutung auf, dass Fn für jede natürliche Zahl n eine Primzahl ist, also ∀n ∈ N : Fn ist eine Primzahl. Fast 100 Jahre später bewies Leonhard Euler jedoch, dass F5 = 4294967297 durch 641 teilbar und somit keine Primzahl ist. Tatsächlich sind die einzigen Fermat-Zahlen, von denen bekannt ist, dass sie Primzahlen sind, F0 , . . . , F4 . Beispiel 1.50 illustriert, dass man eine Aussage über unendlich viele Zahlen nicht anhand von Beispielen beweisen kann. Dennoch sind Beispiele oft nützlich, um Behauptungen aufzustellen und Beweisideen zu finden. Wie beweist man nun eine Aussage der Form ∀x : P (x)? Ganz einfach, man wählt ein beliebiges x0 und zeigt, dass P (x0 ) wahr ist. Da x0 beliebig war, muss P (x) für jedes x wahr sein. Beispiel 1.51. Formal präzise lautet die 3. binomische Formel ∀a, b ∈ R : (a + b)(a − b) = a2 − b2 . Es handelt sich somit um eine Allaussage. Eine solche beweist man, indem man beliebige Zahlen a, b ∈ R wählt, und für diese die Gleichheit nachweist. Beweis. Seien a, b ∈ R beliebig. Dann gilt (a + b)(a − b) = a(a − b) + b(a − b) = a2 −ab + ba −b2 = a2 − b2 | {z } =−ab+ab=0

wie gewünscht. Dabei haben wir in den ersten beiden Schritten jeweils das Distributivgesetz und im dritten Schritt das Kommutativgesetz der Multiplikation verwendet.

34

Kapitel 1 – Logik und Beweismethoden

Wie sieht es mit Existenzaussagen aus? Wenn wir die Aussage ∃x : P (x) beweisen möchten, so kann man explizit ein x angeben, für das P (x) wahr ist. Im Gegensatz zu Allaussagen kann man Existenzaussagen also durch Angabe eines einzigen Beispiels beweisen. Beispiel 1.52. Um zu beweisen, dass ein Dreieck mit Seitenlängen a = 3 cm, b = 4 cm und c = 5 cm existiert, kann man beispielsweise ein solches mit Hilfe von Zirkel und Lineal konstruieren. Hat man ein solches Dreieck, so folgt wegen 32 + 42 = 9 + 16 = 25 = 52 , dass das Dreieck rechtwinklig ist. Um dies zu schließen, haben wir allerdings nicht den Satz des Pythagoras, sondern dessen Umkehrung verwendet. Typische Existenzaussagen sind auch Aussagen über die Lösbarkeit einer Gleichung oder eines Gleichungssystems. Beispiel 1.53. Wir möchten zeigen, dass das lineare Gleichungssystem (I) 3x − 4y = 2, (II) 2x + 3y = 7 lösbar ist. Eine erste Möglichkeit, dies zu beweisen, ist es direkt eine Lösung auszurechnen. Beispielsweise liefert das Additionsverfahren, dass 3(II)−2(I) die Gleichung 17y = 17 und somit y = 1 und x = 2. Andererseits kann man die Existenz einer Lösung auch beweisen, ohne eine Lösung anzugeben; beispielsweise, indem man (I) und (II) als Geradengleichungen 3 1 x− 4 2 2 7 (II) y = − x + 3 3 (I) y =

auffasst. Da die Steigungen verschieden sind, schneiden sich die Geraden, und der Schnittpunkt entspricht einer Lösung des Gleichungssystems. Die Existenz eines mathematischen Objektes kann also auch bewiesen werden, ohne dieses konkret anzugeben. Eine solche nichtkonstruktive Methode ist das sogenannte Schubfachprinzip, worauf wir in Abschnitt 1.7 näher eingehen werden. In der Geometrie verwendet man oft geometrische Konstruktionen oder Skizzen, um die Existenz eines Objekts zu beweisen. Ein Beweis sollte aber nicht ausschließlich aus einer Skizze bestehen, sondern immer durch einen schriftlichen Beweis ergänzt werden. Beispiel 1.54. Drei Studierende A, B und C möchten gemeinsam Mathematikübungen bearbeiten.5 Dazu möchten sie sich an einem Ort treffen, der vom Wohnort der drei Studierenden gleich weit entfernt ist. Die drei Studierenden wohnen zudem nicht in derselben Straße. Gibt es einen solchen Ort? 5

An dieser Stelle sei nachdrücklich empfohlen, die Übungsaufgaben in Lerngruppen zu bearbeiten und nicht ausschließlich alleine!

1.6 Beweisen und Widerlegen von Aussagen mit Quantoren

35

Zunächst übersetzen wir die Frage in ein geometrisches Problem. Wenn man die Wohnorte von A, B und C als Punkte in der Ebene auffasst, so folgt aus der Annahme, dass die Studierenden nicht in derselben Straße wohnen, dass die Punkte nicht kollinear sind. Somit bilden A, B und C die Eckpunkte eines Dreiecks. C

mAB

a

b

M A

B mBC

c

Bildet man nun die Mittelsenkrechte mAB von A und B, so hat jeder Punkt auf mAB denselben Abstand zu A und B. Dasselbe gilt für die Mittelsenkrechte mBC von B und C. Setzt man M als Schnittpunkt von mAB und mBC , so folgt |M A| = |M B|, da M auf mAB liegt, und analog |M B| = |M C|. Insgesamt folgt |M A| = |M B| = |M C|, und somit ist M der gewünschte Treffpunkt. Insbesondere haben wir bei diesem Beispiel die Existenz des Umkreismittelpunkts nachgewiesen. Manchmal möchte man die Existenz mehrerer – oder sogar unendlich vieler – Objekte zeigen, wie das folgende Beispiel illustriert. Theorem 1.55 (Satz von Euklid). Es gibt unendlich viele Primzahlen. Wir erinnern hier kurz an die Definition einer Primzahl : Eine natürliche Zahl p > 1 heißt Primzahl, falls ihre einzigen Teiler 1 und p sind. Wie kann man die Existenz von unendlich vielen Objekten beweisen? Wir können nicht alle Primzahlen 2, 3, 5, 7, 11, 13 . . . explizit angeben. Wir müssen aber zeigen, dass die Aufzählung der Primzahlen nie aufhört, d.h., dass es immer noch eine weitere Primzahl gibt. Dazu beweisen wir, dass jede endliche Folge von Primzahlen unvollständig ist, d.h., falls man endlich viele Primzahlen p1 , . . . , pn auflistet, so gibt es eine weitere Primzahl, die in dieser Folge nicht vorkommt. Beweis von Theorem 1.55. Sei p1 , . . . , pn eine endliche Folge von Primzahlen. Wir betrachten q = p1 · . . . · pn + 1. Wenn man q durch pi (für 1 ≤ i ≤ n) teilt, so erhält man Rest 1, d.h., p1 , . . . , pn sind keine Teiler von q. Nun hat q aber eine Primfaktorzerlegung (siehe Abschnitt 6.2), und somit gibt es eine Primzahl r, die q teilt. Dann ist aber r eine Primzahl, die in der Folge p1 , . . . , pn nicht vorkommt, also kann die Folge p1 , . . . , pn nicht alle Primzahlen enthalten.

36

Kapitel 1 – Logik und Beweismethoden

Anmerkung 1.56. Die Zahl q = p1 · . . . · pn + 1 ist im Allgemeinen keine Primzahl! Wir haben nur gezeigt, dass sie einen Teiler besitzt, der prim und verschieden von p1 , . . . , pn ist. Beispielsweise ist q = 2 · 3 · 5 · 7 · 11 · 13 + 1 = 30031 = 59 · 509 zwar keine Primzahl, hat aber Primzahlen als Teiler, die nicht in der Folge 2, 3, 5, 7, 11, 13 vorkommen. Zu beweisen, dass etwas nicht existiert, kann oft sehr schwierig sein. Meistens macht man dann einen Widerspruchsbeweis: Um ¬∃x : P (x) zu beweisen, nimmt man an, dass es ein x gibt mit P (x), und führt diese Annahme √ zu einem Widerspruch. Ein klassisches Beispiel bildet die Irrationalität von 2. Mit Quantoren lässt sich diese Aussage formulieren als √ ¬(∃p, q ∈ N : 2 = pq ). √ Für den Beweis haben wir die Existenz von p, q ∈ N mit 2 = pq angenommen und diese zu einem Widerspruch geführt. Ein weiteres Beispiel für einen Nichtexistenzbeweis bildet Beispiel 1.27. Wie kann man eine Allaussage ∀x : P (x) widerlegen, d.h., wie kann man ¬∀x : P (x) beweisen? Betrachten wir beispielsweise folgende Aussage: A : Jede natürliche Zahl ist gerade Diese Aussage ist offensichtlich falsch, da 3 eine natürliche Zahl ist, die ungerade ist. Die Zahl 3 ist also ein Gegenbeispiel der Aussage A. Um eine Aussage zu widerlegen, reicht die Angabe eines einzigen Beispiels. Beweisführung: Gegenbeweis durch Gegenbeispiel Wenn man beweisen möchte, dass ∀x : P (x) nicht gilt, so genügt es, ein x0 finden, sodass ¬P (x0 ) gilt; d.h, um eine Allaussage zu widerlegen, ist es ausreichend, ein einziges Gegenbeispiel anzugeben. Dies folgt aus der Tatsache, dass die Aussage ¬∀x : P (x) äquivalent zur Aussage ∃x : ¬P (x) ist (siehe dazu Abschnitt 1.5). Es gilt dabei zu bemerken, dass ein Allaussage nicht durch die Angabe eines einzigen Beispiels bewiesen, sondern nur widerlegt werden kann. Beispiel 1.57. Wir betrachten die folgenden zwei Fragen: 1. Falls a, b ∈ R rational sind, ist dann ab auch rational? 2. Falls a, b ∈ R irrational sind, ist dann ab auch irrational? Die erste Frage hat eine einfache Antwort: Man kann die rationalen Zahlen a = 2 und b = 12 wählen; dann gilt √ 1 ab = 2 2 = 2, und somit ist ab keine rationale Zahl. Die Zahlen a = 2 und b = 21 bilden also ein Gegenbeispiel zur ersten Frage. Die zweite Frage ist etwas trickreicher. Dazu betrachten wir die Zahl

1.6 Beweisen und Widerlegen von Aussagen mit Quantoren

37

√ √2 2 . √ √2 Da wir im Moment nicht in der Lage sind, zu beantworten, ob 2 tatsächlich irrational ist6 , machen wir zunächst eine Fallunterscheidung. √ √2 √ 1. Fall: 2 ist rational. Dann bilden aber a = b = 2 ein Gegenbeispiel zur zweiten √Frage. √ 2 √ √2 √ 2. Fall: 2 ist irrational. Dann kann man a = 2 und b = 2 als Gegenbeispiel wählen, da √ √2 √ √ √2·√2 √ 2 ab = ( 2 ) 2 = 2 = 2 =2 rational ist. In beiden Fällen haben wir ein Gegenbeispiel angegeben, also hat auch die zweite Frage eine negative Antwort. Das Trinker-Paradoxon Das Trinkerparadoxon besagt: In jeder nichtleeren Kneipe gibt es einen Gast, sodass, wenn er (oder sie) trinkt, alle in der Kneipe trinken. Dies klingt erstmals ziemlich paradox. Wir werden aber zeigen, dass die Aussage des Trinkerpardoxons rein logisch gesehen wahr ist. Dazu müssen wir den Satz zunächst in die Sprache der Logik übersetzen: Wir schreiben T (x) für das Prädikat „x trinkt“. Dann besagt das Trinkerparadoxon: ∃x : (T (x) ⇒ ∀y : T (y)) Zu beachten ist, dass wir für beide Quantoren ∃ und ∀ verschiedene Variablen x und y einführen müssen. Wie kann man diese Aussage beweisen? Da es sich um eine Existenzaussage handelt, könnte man ein solches x konkret angeben. Wir wissen aber überhaupt nichts über die Kneipengäste; es scheint also unmöglich, eine konkrete Person zu finden. Hier lohnt es sich, die Implikation als Disjunktion zu schreiben: T (x) ⇒ ∀y : T (y) ≡ ¬T (x) ∨ ∀y : T (y). Dies führt zur folgenden Fallunterscheidung: 1. Fall: Alle trinken, d.h., es gilt ∀y : T (y). Damit ist aber die Aussage T (x) ⇒ ∀y : T (y) immer wahr, unabhängig von der Wahl von x. Wir können also einen beliebigen Kneipengast x wählen.

6

Die Zahl



2

√ 2

ist irrational; dies zu beweisen, ist allerdings nicht ganz einfach.

38

Kapitel 1 – Logik und Beweismethoden

2. Fall: Es gibt auch Kneipengäste, die nicht trinken. Wir wählen nun einen beliebigen Gast x0 , der nicht trinkt. Es gilt also ¬T (x0 ). Dann ist aber die Implikation T (x0 ) ⇒ ∀y : T (y) wahr und somit auch ∃x : (T (x) ⇒ ∀y : T (y)). Damit ist die Behauptung in beiden Fällen gezeigt. Aufgaben Aufgabe 1.46. ### Beweisen Sie oder widerlegen Sie (durch Angabe eines Gegenbeispiels): (a) Für jedes n ∈ N ist n2 + n + 41 eine Primzahl. (b) Für alle x ∈ R+ gilt: Falls x irrational ist, so ist auch log2 (x) irrational. (c) Für alle x, y ∈ R gilt (x − y + 1)(x + y − 1) ≤ x2 . b (d) Für alle a, b ∈ R mit a, b > 0 gilt 2a = (2a )b . (e) Jede rationale Zahl ist die Summe zweier irrationaler Zahlen. (f) Für alle n ∈ N mit n ≥ 2018 ist 2n − 1 eine Primzahl. (g) Es gibt unendlich viele rationale Zahlen p ∈ Q mit 0 < p < 1. Aufgabe 1.47.

## Beweisen Sie:

(a) Für alle a, b ∈ Q mit a < b gibt es eine rationale Zahl r mit a < r < b. (b) Für alle a, b ∈ Q mit a < b gibt es eine irrationale Zahl r mit a < r < b. Zusatz: Beweisen Sie, dass es in (a) und (b) jeweils unendlich viele solche Zahlen r gibt. Aufgabe 1.48.

## Man schreibt für a, b ∈ Z

a | b :⇔ ∃k ∈ Z : ak = b.

Beweisen Sie oder widerlegen Sie für a, b, c ∈ Z: (a) Aus (b) Aus (c) Aus (d) Aus

a | b und a | c folgt a | b + c. a | b + c und a | b − c folgt a | b. a | b2 − c2 folgt a | b + c oder a | b − c. a2 - bc folgt a - b oder a - c.

Aufgabe 1.49. ## In dieser Aufgabe sollen die ganzzahligen Lösungen der Gleichung x2 − y 2 = n in Abhängigkeit von n ∈ N bestimmt werden. (a) Beweisen Sie für alle a, b ∈ Z: Entweder sind a + b und a − b beide gerade oder beide ungerade. (b) Zeigen Sie, dass die Gleichung x2 − y 2 = 10 keine ganzzahligen Lösungen besitzt. (c) Zeigen Sie, dass die Gleichung x2 − y 2 = n für jede ungerade Zahl n ∈ N eine ganzzahlige Lösung besitzt. (d) Für welche geraden Zahlen n ∈ N besitzt die Gleichung x2 − y 2 = n eine ganzzahlige Lösung?

1.7 Das Schubfachprinzip

39

## Beweisen Sie oder widerlegen Sie: Falls sich vier StudieAufgabe 1.50. rende, von denen nicht mehr als zwei in derselben Straße wohnen, zur gemeinsamen Bearbeitung von Übungsaufgaben treffen möchten, so gibt es einen geeigneten Ort, der vom Wohnort aller vier Studierenden gleich weit entfernt ist. Aufgabe 1.51. ## In dieser Aufgabe soll die Existenz des Inkreismittelpunkts bewiesen werden. (a) Beweisen Sie: Für jedes Dreieck gibt es einen Punkt, dessen Abstand zu allen Seiten des Dreiecks gleich lang ist. (b) Stimmt die Aussage auch, wenn man den Begriff „Dreieck“ durch „Rechteck“ bzw. durch „Viereck“ ersetzt? Beweisen Sie oder geben Sie ein Gegenbeispiel an. Aufgabe 1.52. ## Beweisen Sie oder widerlegen Sie: Falls a und b irrational sind, so ist ab rational. Aufgabe 1.53. # In Theorem 1.55 wurde gezeigt, dass es unendlich viele Primzahlen gibt. Nun können ungerade Primzahlen entweder von der Form 4k + 1 mit k ∈ N sein (Rest 1 bei der Division durch 4) oder von der Form 4k + 3 für ein k ∈ N (Rest 3 bei der Division durch 4). Zeigen Sie, dass es unendlich viele Primzahlen der Form 4k + 3 gibt.7 Hinweis: Betrachten Sie den Beweis von Theorem 1.55 und setzen Sie für endlich viele Primzahlen p1 , . . . , pn der Form 4k + 3 q := 4p1 · . . . · pn − 1.

1.7 Das Schubfachprinzip „Eine mathematische Aufgabe kann manchmal genauso unterhaltsam sein wie ein Kreuzworträtsel und angespannte geistige Arbeit kann eine ebenso wünschenswerte Übung sein wie ein schnelles Tennisspiel.“ George Pólya

Das sogenannte Schubfachprinzip liefert einen Existenzbeweis, ohne die Objekte, deren Existenz bewiesen wird, konkret anzugeben. So weiß man beispielsweise, dass unter vier Personen mindestens zwei Personen dasselbe Geschlecht haben. Dies lässt sich wie folgt begründen: Es gibt nur drei verschiedene Geschlechter. Verallgemeinert erhalten wir: Beweisführung: Schubfachprinzip Wenn man n + 1 Objekte n Kategorien („Schubfächern“) zuordnet, so müssen mindestens zwei Objekte derselben Kategorie zugeordnet werden. Dieses Prinzip lässt sich indirekt begründen: Würde jeder Kategorien höchstens ein Objekt zugeordnet, so würde es höchstens n Objekte geben. Beispiel 1.58. Wir betrachten zunächst zwei einfache Anwendungen des Schubfachprinzips: 7

Es gibt auch unendliche viele Primzahlen der Form 4k + 1; dies zu beweisen, ist allerdings etwas komplizierter.

40

Kapitel 1 – Logik und Beweismethoden

1. Unter 13 Personen befinden sich immer mindestens zwei, die in demselben Monat Geburtstag haben. 2. Eine Gerade, die durch keinen Eckpunkt des Dreiecke ∆ABC geht, kann höchstens zwei Seiten schneiden. C H1

g H2

A B

Hier muss man bereits etwas überlegen, welche Schubfächer gewählt werden sollten: Eine Gerade g teilt die Ebene in zwei Halbebenen H1 und H2 . Nach Annahme liegt aber kein Eckpunkt des Dreiecks auf der Geraden; somit liegen alle in einer der Halbebene. Wir wenden nun das Schubfachprinzip an: Objekte: Drei Eckpunkte A, B und C; Kategorien: Zwei Halbebenen H1 und H2 . Gemäß dem Schubfachprinzip liegen zwei der Eckpunkte in derselben Halbebene Hi (mit i = 1 oder i = 2); die Seite, die diese Punkte verbindet, wird von g nicht geschnitten. Wir betrachten ein etwas komplexeres Beispiel: Beispiel 1.59. Wir zeigen: An einer Party mit n Gästen gibt es mindestens zwei Personen, die dieselbe Anzahl Bekannte haben. Was könnten hier die Objekte und die Kategorien sein? Ein naheliegende Einteilung ist folgende: Objekte: n Partygäste Kategorien: Anzahl Bekannte Wir stoßen nun aber auf ein Problem: Die möglichen Anzahlen von Bekannten sind 0, 1, . . . , n − 1, also sind es ebenfalls n Kategorien. Um dieses Problem zu vermeiden, machen wir eine Fallunterscheidung: 1. Fall: Es gibt einen Gast, der alle anderen Gäste kennt. In diesem Fall gibt es keinen Gast, der niemanden kennt, und somit sind die möglichen Kategorien nur noch 1, 2, . . . , n − 1. Da es nun mehr Objekte als Kategorien sind, folgt die Behauptung mit dem Schubfachprinzip. 2. Fall: Kein Gast kennt alle anderen Gäste. Damit sind die möglichen Kategorien aber nur noch 0, 1, . . . , n − 2, und daher folgt auch in diesem Fall die Behauptung. Wir betrachten noch ein etwas mathematischeres Beispiel: Beispiel 1.60. Gegeben seien elf Zahlen. Gibt es stets zwei Zahlen, sodass deren Differenz die Endziffer 0 hat? Die möglichen Endziffern sind 0, 1, 2, . . . , 9. Wir verwenden nun das Schubfachprinzip: Objekte: Elf Zahlen Kategorien: Zehn Endziffern.

1.7 Das Schubfachprinzip

41

Nach dem Schubfachprinzip gibt es also zwei Zahlen a, b unter den elf Zahlen, deren Endziffer gleich ist. Somit gibt es also p, q ∈ N und eine Endziffer r ∈ {0, 1, . . . , 9} mit a = 10p + r b = 10q + r.

und

Wir können zudem ohne Beschränkung der Allgemeinheit annehmen, dass a die größere der beiden Zahlen ist. Es folgt a − b = (10p + r) − (10q + r) = 10(q − p). Da nun a − b ein Vielfaches von 10 ist, muss die Endziffer 0 sein. Ähnliche Beispiele wie das vorangehende verwenden die möglichen Reste bei der Division durch eine Zahl n ∈ N als Kategorien; diese sind 0, 1, . . . , n − 1. Um das Schubfachprinzip anwenden zu können, müssen somit n + 1 Zahlen gegeben sein. Wann eignet sich welche Beweismethode? Wir haben nun fast alle Beweismethoden gesehen, außer die Methode der vollständigen Induktion, welche in Abschnitt 3.3 behandelt wird. Diese Beweismethode eignet sich nur dann, wenn man eine Behauptung über natürliche Zahlen beweisen möchte. Im Folgenden geben wir einen Überblick über die Beweismethoden. Aussagetyp Allaussage ∀x : P (x)

Beweis Direkt Widerspruchsbeweis Kontrapositionsbeweis Induktionsbeweisa Existenzaussage Objekt angeben/konstruieren ∃x : P (x) Schubfachprinzip Äquivalenz A ⇒ B und B ⇒ A A⇔B Äquivalenzumformungen Konjunktion A und B einzeln zeigen A∧B Disjunktion Zeige ¬A ⇒ B bzw. ¬B ⇒ A A∨B

Widerlegung Gegenbeispiel (x angeben mit ¬P (x))

Widerspruchsbeweis Zeige A und ¬B, oder B und ¬A Zeige ¬A oder ¬B Zeige ¬A und ¬B

Dabei ist zu beachten, dass bei Allaussagen ∀x : P (x) die Aussageform P (x) oftmals auch zusammengesetzt ist, üblicherweise als Implikation. Deswegen betrachten wir diesen Fall noch gesondert, d.h. Aussagen der Form ∀x : (Q(x) ⇒ R(x)). • Ist R(x) eine negierte Aussage oder Disjunktion, so verwendet man oftmals einen Widerspruchsbeweis oder einen Kontrapositionsbeweis.

42

Kapitel 1 – Logik und Beweismethoden

• Ist Q(x) eine Disjunktion, so macht man üblicherweise eine Fallunterscheidung. • In den anderen Fällen gibt es kein einheitliches Schema, aber man könnte es beispielsweise mit einem direkten Beweis versuchen. Fallunterscheidungen können in der Form von Teilbeweisen in Kombination mit anderen Beweismethoden verwendet werden. Sie eignen sich vor allem im Zusammenhang mit Beträgen |x| (x ≥ 0 vs. x < 0), mit Zahlen (gerade vs. ungerade), aber auch in der Mengenlehreb (aus x ∈ M ∪ N erhält man die zwei Fälle x ∈ M und x ∈ N ). Aufgabe 1.54. Welche Beweismethode würden Sie für folgende Behauptungen verwenden? Geben Sie zudem im Falle eines Widerspruchsbeweises die Widerspruchsannahme an, im Falle eines Kontrapositionsbeweises die Kontraposition und im Falle einer Fallunterscheidung die einzelnen Fälle. Für Teilaufgaben (l) und (p) sind Kenntnisse aus Kapitel 2 vorausgesetzt. (a) Für jedes a ∈ Z ist a3 + a + 11 ungerade. (b) Für alle x, y > 0 gilt ln( xy ) = ln(x) − ln(y). (c) Die Anzahl der Diagonalen in einem n-Eck beträgt n(n−3) . 2 (d) Die Differenz einer rationalen und einer irrationalen Zahl ist irrational. (e) Wenn 5 | a2 für ein a ∈ Z, so folgt 5 | a. (f) Aus n | ab für n, a, b ∈ N \ {0, 1} folgt nicht, dass n | a oder n | b. (g) Die Gleichung x3 − 3x2 − 10x = 0 ist lösbar. (h) Für alle natürlichen Zahlen n ≥ 4 gilt n! > 2n . (i) Unter 101 natürlichen Zahlen gibt es stets zwei, deren Dezimaldarstellung mit 00 endet. (j) Jede Quadratzahl hat entweder Rest 0 oder Rest 1 bei der Division durch 4. (k) Eine ganze Zahl a ∈ Z ist genau durch 10 teilbar, wenn sie durch 2 und durch 5 teilbar ist. (l) Für Mengen M und N ist M ∪ N = N ist nicht äquivalent zu M = ∅. (m) Die Gleichung x2 − 4y√− 3 = 0 hat keine ganzzahligen Lösungen. 2n (n) Für jedes n ∈ N ist 2 irrational. (o) Falls x, y ∈ R sind und xy irrational ist, so ist x oder y irrational. (p) Für alle Mengen M, N, P, Q gilt (M ∩ P ) ∪ (N ∩ Q) ⊆ (M ∪ N ) ∩ (P ∪ Q). (q) Durch drei Punkte in der Ebene kann entweder eine Gerade oder ein Kreis gezeichnet werden. a b

für natürliche Zahlen (siehe Abschnitt 3.3) Siehe Kapitel 2

Aufgaben Aufgabe 1.55. ### Kann man ein gleichseitiges Dreieck lückenlos mit zwei kleineren gleichseitigen Dreiecken überdecken? Begründen Sie Ihre Antwort. Aufgabe 1.56.

### Beweisen Sie:

(a) Unter fünf Punkten in einem gleichseitigen Dreieck der Seitenlänge 1 cm gibt es stets zwei, deren Abstand höchstens 1 cm ist.

1.7 Das Schubfachprinzip

43

(b) Unter sechs Punkten im regulären Sechseck mit Seitenlänge 1 cm gibt es stets zwei, deren Abstand höchstens 1 cm beträgt. Aufgabe 1.57. ## Zeigen Sie, dass es unter 26 Punkten innerhalb eines Quadrats der Seitenlänge 1 cm mindestens zwei Punkte gibt, die sich mit einer Kreisscheibe von einem Radius < 17 cm überdecken lassen. Aufgabe 1.58. ## Wie viele Punkte muss man mindestens wählen, damit in einem Kreis mit Radius 1 cm mindestens zwei Punkte einen Abstand von höchstens 1 cm haben? Aufgabe 1.59. sind.

## Eine Schnapszahl 8 ist eine Zahl, deren Ziffern alle gleich

(a) Zeigen Sie, dass unter zwölf zweistelligen Zahlen mindestens zwei existieren, deren Differenz eine zweistellige Schnapszahl ist. (b) Gilt die Aussage in (a) auch für elf zweistellige Zahlen? Begründen Sie Ihre Antwort. Aufgabe 1.60. # Verwenden Sie das Schubfachprinzip um folgende Behauptungen zu beweisen: (a) Unter 52 Zahlen zwischen 0 und 99 gibt es stets zwei Zahlen, deren Summe 100 ist. (b) Unter 55 Zahlen zwischen 1 und 100 gibt es stets zwei, deren Differenz 9 ist. Gilt dies auch für 54 Zahlen? Aufgabe 1.61. # Zeigen Sie, dass es unter 52 verschiedenen natürlichen Zahlen stets zwei Zahlen gibt, deren Summe oder Differenz durch 100 teilbar ist. Gilt die Aussage auch für 51 Zahlen? Aufgabe 1.62. # Gegeben seien fünf Punkte mit ganzzahligen Koordinaten im 2-D-Koordinatensystem. Zeigen Sie, dass davon zwei Zahlen einen Mittelpunkt mit ganzzahligen Koordinaten haben. Gilt die Aussage auch, falls man nur vier Punkte wählt? Aufgabe 1.63. Sei n ∈ N eine beliebige natürliche Zahl. Zeigen Sie, dass es ein Vielfaches von n gibt, das nur aus Nullen und Einsen besteht.

8

Der Begriff „Schnapszahl“ wird auf Kartenspiele zurückgeführt, bei denen im Spielverlauf Punkte addiert werden und bei Erreichen einer Schnapszahl eine Runde ausgegeben werden muss.

2 Mengenlehre

„Inbegriffe nun, bey welchen auf die Art, wie ihre Theile mit einander verbunden sind, gar nicht geachtet werden soll, an denen somit Alles, was wir an ihnen unterscheiden, bestimmt ist, sobald nur ihre Theile [selbst] bestimmt sind, verdienen es eben um dieser Beschaffenheit willen, mit einem eigenen Nahmen bezeichnet zu werden. In Ermangelung eines andern tauglichen Wortes erlaube ich mir das Wort Menge zu diesem Zwecke zu brauchen.“ Bernard Bolzano

Der Begriff der Menge ist zentral für die gesamte Mathematik. So lassen sich alle wichtigen mathematischen Strukturen mit Hilfe von Mengen beschreiben, insbesondere auch Relationen und Funktionen, welche in den Kapiteln 4 und 5 betrachtet werden. Mengen spielen bereits in der Schulmathematik eine Rolle; so sind die Zahlenmengen N, Z, Q und R besonders prominente Beispiele für Mengen. Zudem führt die Lösung einer Gleichung oder Ungleichung mit mehreren Lösungen zum Begriff der Lösungsmenge, d.h. einer Menge, deren Elemente genau die Lösungen der jeweiligen Gleichung sind. Eine Menge besteht aus Elementen; der berühmte Mathematiker Bernard Bolzano hat diese im Zitat oben als „Teile“ beschrieben. Für jedes (mathematische) Objekt kann man sich also fragen, ob dieses ein Element der Menge ist oder nicht. Der deutsche Mathematiker Richard Dedekind beschreibt Mengen als eine Art „Sack“, dessen Inhalt aus allesamt verschiedenen Objekten besteht. Insbesondere kann ein solcher Sack auch leer sein; dies entspricht dann der sogenannten leeren Menge ∅, der einzigen Menge ohne Elemente. Ein solcher Sack kann auch beispielsweise wieder einen leeren Sack enthalten; dieser ist aber vom leeren Sack verschieden, denn er hat genau ein Element, nämlich ∅. Bei einem Sack spielt die Lage der einzelnen Objekte auch keinen Unterschied; genauso verhält es sich mit Mengen: Sie sind ungeordnet. Dies unterscheidet Mengen von geordneten Paaren, beispielsweise kartesischen Koordinaten; so ist der Punkt (1, 2) verschieden vom Punkt (2, 1). Die Reihenfolge spielt bei Koordinaten somit eine Rolle. Im Folgenden werden wir verschiedene Darstellungen von Mengen einführen, erläutern, wie man Mengen zu neuen Mengen kombinieren kann und wie die Elemente endlicher Mengen abgezählt werden können. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 R. Krapf, Elementare Grundlagen der Hochschulmathematik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29953-8_2

45

46

Kapitel 2 – Mengenlehre

2.1 Mengen und Mengenschreibweise „Eine Menge ist eine Zusammenfassung verschiedener Objekte unserer Anschauung oder unseres Denkens zu einem Ganzen. Die Objekte werden die Elemente der Menge genannt.“ Georg Cantor

In der sogenannten naiven Mengenlehre definiert man eine Menge einfach als eine unsortierte Ansammlung von Objekten, sogenannten Elementen, in der ein Objekt nur einmal vorkommen kann. Beispiel 2.1. Beispiele für Mengen sind: 1. die 2. die 3. die 4. die 5. die

Menge aller Studierenden an deutschen Hochschulen; Menge aller natürlichen Zahlen N; Menge aller reellen Zahlen ≥ 2 und ≤ 7, also das Intervall [2, 7]; Lösungsmenge der Gleichung x3 + 2x − 1 = 0; leere Menge ∅, die eindeutige Menge ohne Elemente.

Definition 2.2. Seien M, N Mengen. Man schreibt 1. x ∈ M , falls x ein Element von M ist; 2. x ∈ / M , falls x kein Element von M ist; 3. M ⊆ N , falls M eine Teilmenge von N ist, d.h., falls für jedes x aus x ∈ M schon x ∈ N folgt; 4. M ( N , falls M eine echte Teilmenge von N ist, d.h. M ⊆ N und M 6= N . Beispiel 2.3. Die Menge M = {1, 2, 3} ist die Menge, deren Elemente 1, 2 und 3 sind. Somit gilt beispielsweise 1 ∈ M und 4 ∈ / M . Die Menge {1, 3} ist ein Teilmenge von M , d.h. es gilt {1, 2} ⊆ M . Da die beiden Mengen verschieden sind, gilt sogar {1, 2} ( M . Beispiel 2.4. Es gilt ∅ ⊆ M für jede Menge M , d.h., die leere Menge ist eine Teilmenge jeder Menge. Dies folgt daraus, dass die Prämisse x ∈ ∅ für jedes x falsch ist, d.h., ∀x : (x ∈ ∅} ⇒ x ∈ M ) | {z falsch

|

{z

wahr

}

ist eine wahre Aussage, also gilt ∅ ⊆ M . Die wichtigsten Mengen sind die Zahlenmengen. Man definiert wie folgt: N = {0, 1, 2, . . .}

die Menge der natürlichen Zahlen

Z = {. . . , −2, −1, 0, 1, 2, . . .}

die Menge der ganzen Zahlen

Q=

{ pq

| p, q ∈ Z, q 6= 0}

R = {Dezimalbrüche}

die Menge der rationalen Zahlen die Menge der reellen Zahlen

Die Zahlenmengen kann man sich in der Form eines Zwiebelmodells vorstellen, denn es gilt N ( Z ( Q ( R, wie in der folgenden Darstellung veranschaulicht:

2.1 Mengen und Mengenschreibweise

47

R Q Z

1 2

N −1

0 √ 2

In Kapitel 8 wird zudem gezeigt, wie sich die reellen Zahlen zu den komplexen Zahlen erweitern lassen. Es gibt nun verschiedene Arten, Mengen zu beschreiben: 1. (Endliche) Mengen können in aufzählender Schreibweise durch Angabe aller Elemente dargestellt werden; so ist beispielsweise {1, 2} die Menge, deren einzige Elemente 1 und 2 sind. Die aufzählende Schreibweise kann auch für unendliche Mengen verwendet werden, falls eindeutig aus der Darstellung hervorgeht, welches die Elemente sind. So ist die Menge N = {0, 1, 2, . . .} eindeutig beschrieben, da die Schreibweise . . . andeutet, dass alle Elemente in Einerschritten erzeugt werden. Bei unendlichen Mengen sollte man im Allgemeinen aber vorsichtig damit sein, die aufzählende Darstellung zu verwenden; beispielsweise ist es nicht möglich, die Menge der reellen Zahlen R auf diese Weise darzustellen. 2. Mengen können durch die beschreibende Schreibweise dargestellt werden. Dabei wird die Menge dadurch beschrieben, dass ihre Elemente durch eine gemeinsame Eigenschaft charakterisiert werden. So stellt für eine gegebene Menge M {x ∈ M | P (x)} die Menge aller Elemente x ∈ M dar, für die P (x) wahr ist. Beispielsweise ist {n ∈ N | n ist gerade} die Menge aller geraden natürlichen Zahlen. Ein wichtiges Beispiel für die beschreibende Schreibweise stellen Lösungsmengen von Gleichungen oder Ungleichungen dar. So ist {x ∈ R | x2 − 3x + 2 = 0} die Lösungsmenge der Gleichung x2 − 3x + 2 = 0. Von großer Bedeutung sind zudem die sogenannten Intervalle:

48

Kapitel 2 – Mengenlehre

Definition 2.5. Für reelle Zahlen a, b ∈ R mit a < b definiert man wie folgt: (a, b) = {x ∈ R | a < x < b} [a, b] = {x ∈ R | a ≤ x ≤ b} [a, b) = {x ∈ R | a ≤ x < b} (a, b] = {x ∈ R | a < x ≤ b} (a, ∞) = {x ∈ R | x > a} [a, ∞) = {x ∈ R | x ≥ a} (−∞, b) = {x ∈ R | x < b} (−∞, b] = {x ∈ R | x ≤ b}

offenes Intervall geschlossenes Intervall halboffenes Intervall halboffenes Intervall offenes Intervall halboffenes Intervall offenes Intervall halboffenes Intervall

Eine runde Klammer zeigt somit an, dass die entsprechende Intervallgrenze außerhalb des Intervalls liegt, bei einer eckigen Klammer liegt sie innerhalb des Intervalls. Auch die leere Menge lässt sich mit Hilfe der beschreibenden Darstellung definieren; so kann man als Eigenschaft P (x) einfach irgendeine widersprüchliche Aussageform wählen, beispielsweise x 6= x; da es kein x gibt, für das x 6= x erfüllt ist, folgt ∅ = {x ∈ N | x 6= x}. Das Russellsche Paradoxon Wieso muss man die Mengenschreibweise {x ∈ M | E(x)} auf eine Menge M einschränken, d.h., wieso kann man nicht ganz allgemein die Menge aller x, die E(x) erfüllen, bilden, also {x | E(x)}? Falls das geht, so können wir die Menge R = {x | x ∈ / x} betrachten. Dies ist aber widersprüchlich, denn es gilt R ∈ R ⇔ R ∈ {x | x ∈ / x} ⇔ R ∈ / R. Unter Verwendung, dass R keine Menge ist, kann man auch zeigen, dass es keine Allmenge gibt, also dass die Klasse aller Mengen keine Menge ist. 3. Mengen können auch mit Hilfe von Funktionen dargestellt werden.1 Ist f : M → N eine Funktion, so ist {f (x) | x ∈ M } := {y ∈ N | ∃x ∈ M : f (x) = y} die Menge aller Funktionswerte von f . So lässt sich die Menge der geraden Zahlen auch darstellen als 1

Für eine genaue Einführung in das Thema „Funktionen“ siehe Kapitel 5.

2.1 Mengen und Mengenschreibweise

49

{2n | n ∈ N}, wobei hier die verwendete Funktion durch f (n) = 2n gegeben ist. Zu beachten bei der Mengenschreibweise ist, dass Mengen ungeordnet sind. So gilt beispielsweise {1, 2} = {2, 1} = {1, 2, 1, 2}. Es kommt also nicht auf die Reihenfolge an, wie man die Elemente und ob man Elemente doppelt aufzählt. Dies ist ein wesentlicher Unterschied zwischen Mengen und geordneten Paaren wie Koordinaten in der Ebene oder im Raum. So gilt etwa (1, 2) 6= (2, 1),

(−1, 3, 5) 6= (3, 5, −1) und (1, 2, 1) 6= (1, 2).

Die geordneten Paare lassen sich mit Hilfe der ungeordneten Paarmengen darstellen (siehe dazu Aufgabe 2.5). Aufgaben Aufgabe 2.1. ### Geben Sie die folgenden Mengen in der aufzählenden Schreibweise an: (a) M = {n ∈ N | ∃k ∈ N : n + 1 = 4k ∧ n < 32} (b) N = {x ∈ R | x4 − 13x2 + 36 = 0} (c) P = {n3 + 2 | n ∈ N ∧ n ≤ 5} Aufgabe 2.2. ###Geben Sie die folgenden Mengen entweder in beschreibender Darstellung oder in der Darstellung {f (x) | x ∈ M } an: (a) {1, 2, 3, 4, 6, 9, 12, 18, 36} (b) {2, 5, 10, 17, 26, 37, 50, . . .} (c) {1, 31 , 15 , 71 , 19 , . . .} (d) {1, 2, 3, 4, 6, 8, 9, 12, 16, 18, 24, . . .} Aufgabe 2.3. ### Zwei Mengen M und N sind gleich, falls M ⊆ N und M ⊆ N 2 . Geben Sie mit Hilfe von Quantoren an (und unter Verwendung der Definition von ⊆), wann zwei Mengen verschieden sind. Aufgabe 2.4.

### Beweisen Sie oder widerlegen Sie:

(a) Aus {a, b} = {c} folgt Sie a = b. (b) Aus {a, b} = {a, c} folgt b = c. (c) Aus {a, {b}} = {c, {d}} folgt a = c und b = d.

Aufgabe 2.5. ##In der Mengenlehre möchte man alle mathematischen Objekte als Mengen darstellen. So definiert man für a und b das geordnete Paar als (a, b) := {{a}, {a, b}}. (a) Zeigen Sie, dass aus (a, b) = (c, d) bereits a = c und b = d folgt. (b) Argumentieren Sie kurz, warum die Eigenschaft aus (b) die Bezeichnung „geordnetes Paar“ im Gegensatz zu (ungeordneten) Paarmengen {a, b} rechtfertigt. 2

Dies wird auch als Extensionalitätsaxiom bezeichnet.

50

Kapitel 2 – Mengenlehre

2.2 Mengenoperationen „Man lernt Mathematik nicht, man gewöhnt sich nur daran.“ Paul Erdös

Genau wie man die Aussagen mit Hilfe von Junktoren zu neuen Aussagen kombinieren kann, lassen sich auch Mengen durch sogenannte Mengenoperationen zu neuen Mengen kombinieren. Die wichtigsten Mengenoperationen sind die folgenden: Definition 2.6. Seien M, N Mengen. Dann ist 1. M ∩ N := {x | x ∈ M ∧ x ∈ N } der Durchschnitt von M und N ; 2. M ∪ N := {x | x ∈ M ∨ x ∈ N } die Vereinigung von M und N ; 3. M \ N := {x ∈ M | x ∈ / N } die Differenz von M und N . Beispiel 2.7. Wir betrachten einige einfache Beispiele: 1. Seien M = {1, 3, 4} und N = {2, 3, 4, 5}. Dann gilt M ∩ N = {3, 4}, M ∪ N = {1, 2, 3, 4, 5} und M \ N = {1}. 2. Die Menge aller irrationalen Zahlen ist R \ Q. Die Menge aller reellen Zahlen ist dann Q ∪ (R \ Q). 3. Falls M die Menge aller gleichschenkligen Dreiecke und N die Menge aller rechtwinkligen Dreiecke ist, so ist M ∩ N die Menge aller gleichschenkligrechtwinkligen Dreiecke. 4. Gegeben ist die Ungleichung |2x − 1| ≤ 3. Dazu berechnet man die Lösungsmenge L1 von 2x − 1 ≤ 3 im Fall 2x − 1 ≥ 0 sowie die Lösungsmenge L2 von −(2x − 1) ≤ 3 im Fall 2x − 1 < 0. Die gesamte Lösungsmenge ist dann L = L1 ∪ L2 . Diese Mengenoperationen lassen sich durch sogenannte Venn-Diagramme darstellen:

M

N

M ∩N

M

N

M ∪N

M

N

M \N

Beispiel 2.8. Auch kompliziertere zusammengesetzte Mengen lassen sich mit Hilfe von Venn-Diagrammen darstellen. Wir zeichnen das Venn-Diagramm der zusammengesetzten Menge (M ∩ N ) ∪ P , indem wir zuerst die Venn-Diagramme der Bestandteile M ∩ N und P zeichnen, und anschließend die Vereinigung bilden:

2.2 Mengenoperationen

M

N

51

M

N

M

N

P

P

P

M ∩N

P

(M ∩ N ) ∪ P

Analog zeichnet man das Venn-Diagramm von (M ∪ P ) ∩ (N ∪ P ), indem man die Venn-Diagramme von M ∪ P und N ∪ P zeichnet und dann den Durchschnitt bildet:

M

N

M

N

M

N

P

P

P

M ∪P

N ∪P

(M ∪ P ) ∩ (N ∪ P )

Wir können dann feststellen, dass beide zusammengesetzte Mengen dasselbe VennDiagramm besitzen, und somit haben wir die Mengengleichheit (M ∩ N ) ∪ P = (M ∪ P ) ∩ (N ∪ P ) entdeckt. Venn-Diagramme sind zwar kein Ersatz für Beweise, stellen aber eine geeignete Veranschaulichung für Mengengleichheiten dar. Mengengleichheiten wie in Beispiel 2.8 lassen sich auch formal beweisen. Dazu müssen wir uns zunächst überlegen, was die Gleichheit zweier Mengen überhaupt bedeutet. Dazu verwendet man das sogenannte Extensionalitätsaxiom, welches besagt: M =N ⇔M ⊆N ∧N ⊆M Zwei Mengen M und N sind also gleich, falls M eine Teilmenge von N ist und umgekehrt. Um M = N zu zeigen, beweist man also zwei Inklusionen: ⊆: ⊇:

M ⊆N N ⊆M

Um zu beweisen, dass M eine Teilmenge von N ist, muss man ein beliebiges Element von M wählen und zeigen, dass dieses auch in N liegt. Beispiel 2.9. Für alle Mengen M und N gilt M ∩ N ⊆ M . Sei also x ∈ M ∩ N . Es folgt x∈M ∧x∈N und daher insbesondere wie gewünscht x ∈ M .

52

Kapitel 2 – Mengenlehre

Wir beweisen nun das Distributivgesetz von ∪ bzgl. ∩, welches wir bereits in Beispiel 2.8 gefunden haben. Beispiel 2.10. Seien M, N und P Mengen. Wir beweisen (M ∩ N ) ∪ P = (M ∪ P ) ∩ (N ∪ P ), indem wir zwei Teilmengenbeziehungen nachweisen. ⊆ : Sei x ∈ (M ∩ N ) ∪ P . Also gilt x ∈ M ∩ N oder x ∈ P . Somit gibt es zwei Fälle: 1. Fall: x ∈ M ∩ N . Also gilt x ∈ M und x ∈ N . Aus x ∈ M folgt x ∈ M ∪ P , und aus x ∈ N folgt x ∈ N ∪ P . 2. Fall: x ∈ P . Dann gilt x ∈ M ∪ P und x ∈ N ∪ P . In beiden Fällen gilt x ∈ M ∪P und x ∈ N ∪P , also auch x ∈ (M ∪P )∩(N ∪P ). ⊇ : Sei x ∈ (M ∪ P ) ∩ (N ∪ P ), also gilt x ∈ M ∪ P und x ∈ N ∪ P . Auch hier gibt es zwei Fälle: 1. Fall: x ∈ P . Dann gilt offensichtlich x ∈ (M ∩ N ) ∪ P . 2. Fall: x ∈ / P . Wegen x ∈ M ∪ P muss x ∈ M sein, und analog gilt wegen x ∈ N ∪ P schon x ∈ N . Also folgt x ∈ M ∩ N und daher auch x ∈ (M ∩ N ) ∪ P . Mengengleichheiten lassen sich oft auch einfacher beweisen, indem man die Mengengleichheit wie folgt ausformuliert: M =N ⇔M ⊆N ∧N ⊆M ⇔ ∀x : (x ∈ M ⇒ x ∈ N ) ∧ ∀x : (x ∈ M ⇒ x ∈ N ) ⇔ ∀x : ((x ∈ M ⇒ x ∈ N ) ∧ (x ∈ N ⇒ x ∈ M )) ⇔ ∀x : (x ∈ M ⇔ x ∈ N ). Somit kann man einfach für ein beliebiges x die Äquivalenz x ∈ M ⇔ x ∈ N nachweisen. Beispiel 2.11. Mit der obigen Erkenntnis lässt sich nun die Mengengleichheit (M ∩ N ) ∪ P = (M ∪ P ) ∩ (N ∪ P ) aus Beispiel 2.8 leicht mit einem Äquivalenzbeweis zeigen: Für jedes x gilt x ∈ (M ∩ N ) ∪ P ⇔ x ∈ M ∩ N ∨ x ∈ P ⇔ (x ∈ M ∧ x ∈ N ) ∨ x ∈ P ⇔ (x ∈ M ∨ x ∈ P ) ∧ (x ∈ N ∨ x ∈ P ) ⇔x∈M ∪P ∧x∈N ∪P ⇔ x ∈ (M ∪ P ) ∩ (N ∪ P ). In der dritten Umformung haben wir die Distributivtät von ∨ bzgl. ∧ verwendet. Damit ist die gewünschte Mengengleichheit bewiesen.

2.2 Mengenoperationen

53

Dabei sind wir wie folgt vorgegangen: Wir haben das Problem in die Logik übersetzt, dann die Rechenregeln der Logik verwendet (insbesondere das Distributivgesetz von ∧ bzgl. ∨) und das Problem danach wieder in die Symbolik der Mengenlehre zurückübersetzt. Es gibt viele weitere Rechenregeln für Mengenoperationen, die sich alle mit ähnlichen Argumenten wie in Beispiel 2.10 und 2.11 beweisen lassen: M M M M M M M M M M

∩∅=∅ ∪∅=M ∩ (N ∩ P ) = (M ∩ N ) ∩ P ∪ (N ∪ P ) = (M ∪ N ) ∪ P ∩N =N ∩M ∪N =N ∪M ∩ (N ∪ P ) = (M ∩ N ) ∪ (M ∩ P ) ∪ (N ∩ P ) = (M ∪ N ) ∩ (M ∪ P ) \ (N ∩ P ) = (M \ N ) ∪ (M \ P ) \ (N ∪ P ) = (M \ N ) ∩ (M \ P )

Neutralitätsgesetz von ∩ Neutralitätsgesetz von ∪ Assoziativität von ∩ Assoziativität von ∪ Kommutativität von ∩ Kommutativität von ∪ Distributivität von ∩ bzgl. ∪ Distributivität von ∪ bzgl. ∩ Regel von de Morgan für ∩ Regel von de Morgan für ∪

Ein Vergleich mit den Rechenregeln der Aussagenlogik zeigt eine Analogie zwischen den Gesetzen für Aussagen und für Mengen; dabei entspricht der Durchschnitt ∩ der Konjunktion ∧ und die Vereinigung ∪ der Disjunktion ∨. Beachten Sie jedoch immer, dass Sie die Symbole nicht verwechseln! Die runde Version ist jeweils für Mengen, die eckige für Aussagen reserviert. Die Analogie zwischen der Logik und der Mengenlehre liefert auch eine Beweismethode für Mengengesetze, welche in der Logik den Wahrheitstafeln entsprechen: die sogenannten Elementetafeln. Bei einer Elementetafel handelt es sich um eine Art Wahrheitstafel, mit deren Hilfe man Mengengesetze beweisen kann. Statt den Wahrheitswerten w und f unterscheidet man für ein Element, ob es in einer Menge liegt (d.h. ∈) oder nicht (d.h. ∈), / und bildet hier jeweils alle möglichen Kombinationen. Auch diese Beweismethode illustrieren wir am Beispiel des Mengengesetzes (M ∩ N ) ∪ P = (M ∪ P ) ∩ (N ∪ P ): M ∈ ∈ ∈ ∈ ∈ / ∈ / ∈ / ∈ /

N ∈ ∈ ∈ / ∈ / ∈ ∈ ∈ / ∈ /

P M ∩ N (M ∩ N ) ∪ P M ∪ P N ∪ P (M ∪ P ) ∩ (N ∪ P ) ∈ ∈ ∈ ∈ ∈ ∈ ∈ / ∈ ∈ ∈ ∈ ∈ ∈ ∈ / ∈ ∈ ∈ ∈ ∈ / ∈ / ∈ / ∈ ∈ / ∈ / ∈ ∈ / ∈ ∈ ∈ ∈ ∈ / ∈ / ∈ / ∈ / ∈ ∈ / ∈ ∈ / ∈ ∈ ∈ ∈ ∈ / ∈ / ∈ / ∈ / ∈ / ∈ /

Da alle Einträge in der Elementetafel von (M ∩ N ) ∪ P und in derjenigen von (M ∪ P ) ∩ (N ∪ P ) übereinstimmen, folgt die Gleichheit der beiden Mengen. Die letzte Zeile enthält dabei immer den Eintrag ∈ / und ist daher eigentlich redundant.

54

Kapitel 2 – Mengenlehre

Vereinigungen und Durchschnitte lassen sich auch auf mehr als zwei Mengen verallgemeinern: Für endlich viele Mengen M1 , . . . , Mn schreibt man n [

Mi := M1 ∪ M2 ∪ . . . ∪ Mn und

i=1

n \

Mi := M1 ∩ M2 ∩ . . . ∩ Mn .

i=1

Man kann die Bildung von Vereinigungen und Durchschnitten auch auf beliebig viele Mengen erweitern. Sei I 6= ∅ eine Menge (genannt Indexmenge), und Mi eine Menge für jedes i ∈ I. Dann definiert man [ Mi := {x | ∃i ∈ I : x ∈ Mi }, i∈I

\

Mi = {x | ∀i ∈ I : x ∈ Mi }.

i∈I

In vielen Fällen wählt man I = N. Zu beachten ist, dass diese Schreibweise eine Verallgemeinerung der Schreibweise für endliche Vereinigungen und Durchschnitte bildet, denn wählt man I = {1, . . . , n}, so gilt [

Mi =

n [

Mi .

i=1

i∈I

Beispiel 2.12. Wir betrachten je ein Beispiel für eine unendliche Vereinigung und einen unendlichen Durchschnitt: [ [0, n] = [0, 0] ∪ [0, 1] ∪[0, 2] ∪ . . . = [0, ∞) | {z } n∈N

=[0,1]

| \ n∈N

{z

=[0,2]

}

[0, n] = [0, 0] ∩ [0, 1] ∩[0, 2] ∩ . . . = {0} | {z } =[0,0]={0}

|

{z

={0}

}

Es gibt noch zwei weitere wichtige Mengenoperationen: Definition 2.13. Seien M und N Mengen. Dann ist 1. M × N := {(x, y) | x ∈ M, y ∈ N } das kartesische Produkt von M und N und 2. P(M ) := {X | X ⊆ M } die Potenzmenge von M . Beispiel 2.14. Auch hier betrachten wir zunächst ein paar einfache Beispiele: 1. Falls M = {1, 2} und N = {a, b, c} ist, so gilt M × N = {(1, a), (1, b), (1, c), (2, a), (2, b), (2, c)} P(M ) = {∅, {1}, {2}, {1, 2}}. Wichtig ist es, dabei zu beachten, dass die leere Menge ∅ eine Teilmenge jeder Menge und damit ein Element jeder Potenzmenge ist. 2. Es gilt R × R = R2 ; dies entspricht der Menge aller Punkte in der Ebene. Allgemein schreibt man für eine beliebige Menge M üblicherweise M 2 für M × M.

2.2 Mengenoperationen

55

Beweise aufschreiben Es gibt viele Merkregeln, die beim Aufschreiben von mathematischen Beweisen zu beachten sind. Hier sind einige Tipps aufgelistet: • Dem Lesenden sollte angegeben werden, welche Beweismethode verwendet wird. Bei Widerspruchsbeweisen sollte der Widerspruch markiert werden, beispielsweise durch das Symbol E, und es sollte erläutert werden, worin der Widerspruch besteht. • Jede Variable, die verwendet wird, muss irgendwo eingeführt werden, üblicherweise in der Form „Sei n ∈ N“. Innerhalb eines Beweises (oder auch innerhalb eines Teilbeweises oder eines Falls bei einer Fallunterscheidung) darf eine Variable nur eine Bedeutung haben. • Quantoren (insbesondere Existenzquantoren) sollten immer vor der Aussage stehen, in der die quantifizierte Variable vorkommt (also nicht P (x) ∃x sondern ∃x : P (x)), und nach einem Quantor muss immer eine Variable stehen und kein „komplexer“ Term (also nicht ∃n2 ∈ N : n2 ≤ 5, sondern ∃n ∈ N : n2 ≤ 5). • (Mathematische) Symbole sollten nicht als Abkürzungen für Wörter im Text verwendet werden. Beispielsweise gilt die Schreibweise „2a = gerade“ als schlechter Stil. • Zur übersichtlicheren Gestaltung sollten Beweise strukturiert und längere Beweise in Teilbeweise gegliedert werden. Zwischenergebnisse können nummeriert oder beispielsweise durch (∗) bezeichnet werden, um später zitiert zu werden. • Bei Umformungen sollten Aussagen immer durch die richtigen Symbole (= , ≤, ⇒, ⇔ etc.) verknüpft werden. Zu beachten: Ein Äquivalenzpfeil kann nur zwischen zwei Aussagen stehen, nicht zwischen Termen oder Mengen! Ebenso kann ein Gleichheitszeichen nicht zwischen zwei Aussagen stehen. • Pfeile sowie Gleichheits- und Vergleichszeichen sollten begründet werden (z.B. sollte angegeben werden, welche Definition, welcher Satz oder welche Voraussetzung verwendet wird). • Die Behauptung darf nicht vorausgesetzt werden! Es ist zwar oft sinnvoll, die Behauptung umzuformen, um einen Beweis zu finden; beim Aufschreiben sollte jedoch die Behauptung aus der Voraussetzung gefolgert werden und nicht umgekehrt. Siehe dazu auch den Kasten zum Thema „Vorwärts- und Rückwärtsarbeiten“ auf Seite 88. • Wenn bei einer algebraischen Umformung auf einer Seite immer der gleiche Term steht, so sollte diese als Gleichheitskette geschrieben werden, z.B. a = b2 − c2 = (b + c)(b − c), und nicht auf einer Zeile a = b2 − c2 und auf der nächsten a = (b + c)(b − c). • Das Ende eines Beweises wird mit dem Symbol 2 oder mit „qed“ a markiert. Aufgabe 2.6. Die folgenden Beweise verwenden zwar die richtige Beweisidee, sind allerdings nicht korrekt aufgeschrieben. Identifizieren Sie die Formfehler und korrigieren Sie die „Beweise“.

56

a

Kapitel 2 – Mengenlehre

Lateinisch für quod erat demonstrandum, übersetzt als „was zu beweisen war“.

Aufgaben Aufgabe 2.7. weise an:

### Geben Sie die folgenden Mengen in aufzählender Schreib-

(a) P(∅) (b) P({1, 2, 3}) (c) P({1, {2}, {3, 4}}) Aufgabe 2.8. ### Die Menge aller Vielfachen von n ∈ N ist Vn = {k ∈ N | n | k}. Stellen Sie die Vielfachenmenge von 14 dar durch V2 und V7 . Verallgemeinern Sie Ihre Formel. Aufgabe 2.9. ### Zeichnen Sie die Mengen [1, 2] × [3, 4] und [3, 4] × [1, 2] im kartesischen Koordinatensystem. Erfüllt das kartesische Produkt das Kommutativgesetz? Aufgabe 2.10. ## Beweisen Sie für Mengen M, N und P das Distributivgesetz (M ∪ N ) × P = (M × P ) ∪ (N × P ).

2.2 Mengenoperationen

57

Aufgabe 2.11. ## Sei I eine Indexmenge und Mi eine Menge für jedes i ∈ I, und sei zudem N eine weitere Menge. Beweisen Sie: T S (a) N \ ( Mi ) = (N \ Mi ) i∈I i∈I S T (b) N \ ( Mi ) = (N \ Mi ) i∈I

i∈I

Zeigen Sie, dass daraus die de Morganschen Regeln folgen, d.h., dass M \(N ∩P ) = (M \ N ) ∪ (M \ P ) und M \ (N ∪ P ) = (M \ N ) ∩ (M \ P ) für beliebige Mengen M, N und P . Aufgabe 2.12. definiert als

## Die symmetrische Differenz zweier Mengen M und N ist M 4 N := (M \ N ) ∪ (N \ M ).

(a) Stellen Sie M 4 N in einem Venn-Diagramm dar. Geben Sie zudem die Elementetafel von M 4 N an. (b) Zeigen Sie die Äquivalenz M 4 N = ∅ ⇔ M = N. (c) Beweisen Sie das Assoziativgesetz für 4, d.h., für alle Mengen M, N und P gilt M 4 (N 4 P ) = (M 4 N ) 4 P, und illustrieren Sie die Mengengleichheit anhand eines Venn-Diagramms. Aufgabe 2.13.

## Beweisen oder widerlegen Sie für Mengen M, N und P :

(a) Aus M ∪ N = M ∪ P folgt N = P . (b) Aus M ∪ N = N folgt M \ N = ∅. (c) Es gilt P(M ∩ N ) = P(M ) ∩ P(N ). (d) Es gilt P(M \ N ) 6= P(M ) \ P(N ).

Aufgabe 2.14. ## Beweisen Sie, dass die folgenden Bedingungen für alle Mengen M und N äquivalent sind: 1. M 2. M 3. M 4. M

⊆N ∩N =M ∪N =N \N =∅

Finden Sie zudem weitere Bedingungen, die dazu äquivalent sind. Aufgabe 2.15. # Beweisen Sie, dass für Mengen M und N genau dann die Gleichheit P(M ∪ N ) = P(M ) ∪ P(N ) gilt, wenn M ⊆ N oder M ⊆ N . Aufgabe 2.16. # Sei V die Menge aller Vierecke in der Ebene. Stellen Sie die Beziehungen zwischen den Mengen aller Drachenvierecke, Trapeze, Parallelogramme, Rauten, gleichschenkligen Trapeze, Rechtecke und Quadrate anhand eines Venn-Diagramms dar.

58

Kapitel 2 – Mengenlehre

2.3 Abzählprinzipien endlicher Mengen „Nicht alles, was man zählen kann, zählt auch und nicht alles, was zählt, kann man zählen.“ Albert Einstein

Wenn man eine endliche Menge betrachtet, so kann man deren Elemente zählen. Wie das im Unendlichen aussieht, betrachten wir in Abschnitt 5.5 und 5.6. Abzählen ist eine grundlegende Technik in der Mathematik, welche beispielsweise in der Kombinatorik und in der Wahrscheinlichkeitsrechnung von großer Bedeutung ist. Definition 2.15. Sei M eine endliche Menge. Wir schreiben |M | für die Anzahl Elemente von M . Man nennt |M | auch die Mächtigkeit von M . In diesem Abschnitt betrachten wir einige Grundprinzipien des Abzählens endlicher Mengen. Zum Abzählen sind auch Rekursion (siehe Abschnitt 3.1) sowie das Abzählen durch Angabe einer Bijektion (siehe Seite 132) hilfreich. Definition 2.16. Zwei Mengen M und N heißen disjunkt, falls M ∩ N = ∅. 1. Summenregel: Falls zwei endliche Mengen M und N disjunkt sind, so gilt |M ∪ N | = |M | + |N |. Dies lässt sich auch einfach verallgemeinern: Falls M1 , . . . , Mn endliche Mengen sind, die paarweise disjunkt sind, d.h. Mi ∩ Mj = ∅ für alle i 6= j in {1, . . . , n}, so gilt für M = M1 ∪ . . . ∪ Mn |M | = |M1 | + . . . + |Mn |. Es gibt auch eine Summenformel für nichtdisjunkte Mengen, welche sich aus der obigen Summenformel herleiten lässt (siehe dazu Aufgabe 2.20): Für beliebige Mengen M und N gilt |M ∪ N | = |M | + |N | − |M ∩ N |. 2. Produktregel: Für zwei endliche Mengen M und N gilt |M × N | = |M | · |N |. Auch dieses Prinzip lässt sich verallgemeinern: Für endliche Mengen M1 , . . . , Mn gilt |M1 × . . . × Mn | = |M1 | · . . . · |Mn |. Dabei ist leicht einzusehen, dass sich die Produktregel aus der Summenregel ergibt: Da M endlich ist, ist M von der Form M = {x1 , . . . , xm }. Wenn wir für jedes i ∈ {1, . . . , m} die Menge Ni := {(xi , y) | y ∈ N } betrachten, so folgt Ni ∩ Nj = ∅ für i 6= j und M × N = N1 ∪ . . . ∪ Nm . Damit folgt aus der Summenregel

2.3 Abzählprinzipien endlicher Mengen

59

|M × N | = |N1 | + . . . + |Nm | = |N | + . . . + |N | = m · |N | = |M | · |N |. | {z } m-mal

Die folgende Darstellung illustriert den obigen Beweis für M = {1, 2, 3, 4, 5} und N = {1, 2, 3}: N2

m Die Produktregel ist auch relevant für die Schulmathematik: Beispiel 2.17 (Schulbuchaufgabe). In einem Restaurant gibt es drei verschiedene Vorspeisen, acht Hauptgänge und vier Nachspeisen. Wie viele verschiedene Menüs kann man in diesem Restaurant zusammenstellen? Insgesamt sind es 3 · 8 · 4 = 96 verschiedene Menüs. In der Kombinatorik wird oft eine verallgemeinerte Version der Produktregel betrachtet: Verallgemeinerte Produktregel Falls in einem Entscheidungsprozess n Entscheidungen getroffen werden und man bei der i-ten Entscheidung ki Möglichkeiten hat, so gibt es insgesamt k1 · . . . · kn Möglichkeiten. Wieso verallgemeinert diese Regel die Produktregel? Um die Mächtigkeit von M × N zu bestimmen, hat man |M | Möglichkeiten für die erste Koordinate und |N | Möglichkeiten für die zweite Koordinate, also insgesamt |M | · |N | Möglichkeiten für ein Element von M × N . Die verallgemeinerte Produktregel lässt sich ebenfalls aus der Summenregel herleiten. Auf einen formalen Beweis wird an dieser Stelle verzichtet. Beispiel 2.18. Wie viele Zahlenpaare der Form (a, b) mit a, b ∈ {1, . . . , 100} gibt es mit 1. a 6= b, 2. a < b ? Im ersten Beispiel haben wir 100 Möglichkeiten für a und nur noch 99 Möglichkeiten für b, also sind es insgesamt 100 · 99 = 9900 verschiedene Paare (a, b) mit a 6= b.

60

Kapitel 2 – Mengenlehre

Von den Paaren (a, b) mit a 6= b gilt für die Hälfte der Paare a < b und für die andere Hälfte b < a. Somit ist die Anzahl Paare (a, b) mit a < b 1 · 100 · 99 = 4950. 2 Das zweite Beispiel illustriert eine häufige Abzählmethode: Man zählt eine größere Menge (hier {(a, b) ∈ {1, . . . , 100}2 | a 6= b}) ab und zeigt danach, dass diese in n disjunkte Teilmengen zerlegt werden kann, die alle dieselbe Mächtigkeit haben (hier {(a, b) ∈ {1, . . . , 100}2 | a < b} und {(a, b) ∈ {1, . . . , 100}2 | a > b}). Dadurch erhält man die Mächtigkeit dieser Teilmengen, indem man die Mächtigkeit der Gesamtmenge durch n teilt. Doppeltes Abzählen Manchmal kann man eine Menge M auf zwei Arten abzählen. Dabei erhält man zwei Formeln, deren Gleichheit dadurch bewiesen ist, dass sie beide gleich |M | sind. Beispiel 2.19. Wir betrachten folgendes Problem: Bei einer Party mit m Gästen schüttelt jeder jedem die Hand. Wie oft werden die Hände geschüttelt? 1. Abzählung: Wir zählen für jede Person, mit wie vielen Personen sie die Hände schütteln muss. Dabei ist zu beachten, dass niemand doppelt die Hände schüttelt. 1. Person m − 1 2. Person m − 2 3. Person m − 3 .. . m. Person m − m = 0

Handschläge Handschläge Handschläge .. . Handschläge

Insgesamt gibt es also gemäß der Summenregel (m − 1) + (m − 2) + . . . + 1 Handschläge. 2. Abzählung: An jedem Handschlag sind zwei von m Personen beteiligt. Wir haben also folgende Möglichkeiten: Möglichkeiten 1. Person m 2. Person m − 1 Möglichkeiten Dies ergibt nach der verallgemeinerten Produktregel m(m − 1) Möglichkeiten. Allerdings haben wir dabei jeden Handschlag doppelt gezählt, da die Reihenfolge, in der die beiden Personen gewählt werden, keine Rolle spielt. Es sind somit m(m − 1) 2 Handschläge.

2.3 Abzählprinzipien endlicher Mengen

61

Da beide Abzählungen dieselbe Menge, nämlich die Menge aller Handschläge, abzählen, folgt (m − 1)m 1 + 2 + . . . + (m − 1) = . 2 Wenn wir m − 1 durch n ersetzen, so erhalten wir die sogenannte Gaußsche Summenformel n(n + 1) 1 + 2 + ... + n = . 2 Die Bezeichnung Gaußsche Summenformel geht auf eine Anekdote zurück, der zufolge der deutsche Mathematiker Carl Friedrich Gauß, der in der Grundschule stets unterfordert war, aufgefordert wurde, die Summe der ersten 100 Zahlen zu berechnen. Gauß soll innerhalb kürzester Zeit die Lösung mit Hilfe des folgenden Tricks gefunden haben: 1 + 2 + 3 + . . . + 50 100 + 99 + 98 + . . . + 51 = 101 + 101 + 101 + . . . + 101 | {z } 50-mal

Also folgt 1 + 2 + . . . + 100 = 50 · 101 = 5050. Dieser Trick lässt sich auf beliebige natürliche Zahlen verallgemeinern (siehe dazu Aufgabe 2.19). Allerdings war die Gaußsche Summenformel bereits in der Antike bekannt. Anschauliche Beweise: Figurierte Zahlen Das Prinzip des doppelten Abzählens ermöglicht es, zahlreiche Summenformeln zu beweisen, indem man eine Menge von Kugeln auf zwei Weisen abzählt. Solche Muster von Kugeln werden als figurierte Zahlen bezeichnet. Beweise mittels figurierter Zahlen sind sehr anschaulich und oft bereits für Grundschulkinder zugänglich. Beispiel 2.20. Die Gaußsche Summenformel lässt sich wie folgt visualisieren:

Wir zählen nun die Kugeln in einem Rechteck der Länge n und Breite n + 1 auf zwei Arten ab: 1. Abzählung: Die weißen Kugeln entsprechen einem Dreieck mit 1+2+. . .+n Kugeln, und dasselbe gilt für die schwarzen Kugeln. Also sind es insgesamt 2(1 + 2 + . . . + n) Kugeln. 2. Abzählung: Die Kugeln bilden ein Rechteck der Größe n × (n + 1), also sind es nach der Produktformel n(n + 1) Kugeln. Da beide Male dieselbe Menge abgezählt wird, folgt

62

Kapitel 2 – Mengenlehre

2(1 + 2 + . . . + n) = n(n + 1) ⇒ 1 + 2 + . . . + n =

n(n + 1) . 2

Mittels figurierter Zahlen lassen sich auch neue Formeln entdecken: Aufgabe 2.17. Wir zeichnen eine quadratförmige Andordnung von Kugeln.

(a) Welche Summenformel ist hier dargestellt? Begründen Sie diese danach mit Hilfe der Gaußschen Summenformel. (b) Finden Sie weitere Summendarstellungen für n2 , indem Sie die Kugeln anders anmalen. Aufgaben Aufgabe 2.18. ### In einem Raum gibt es n Lampen, die unabhängig voneinander aus- und eingeschaltet werden können. Wie viele Arten der Beleuchtung gibt es insgesamt? Aufgabe 2.19. ### Beweisen Sie die Gaußsche Summenformel 1 + . . . + n = n(n+1) für alle n ∈ N \ {0}, indem Sie den Trick auf Seite 61 unten anpassen. 2 Überlegen Sie sich dies zunächst getrennt für gerade und ungerade Zahlen. Aufgabe 2.20.

##Seien M und N beliebige Mengen.

(a) Zeigen Sie die verallgemeinerte Summenformel |M ∪N | = |M |+|N |−|M ∩N |. (b) Finden Sie eine ähnliche Formel für die Mächtigkeit der Vereinigung dreier Mengen und beweisen Sie diese. Aufgabe 2.21. ## An einer Universität gibt es 82 Studienanfänger im Fach Mathematik, 132 im Fach Germanistik und 97 im Fach Anglistik. Insgesamt sind es 209 Studierende, die mindestens eines der drei Fächer studieren, und fünf belegen alle drei Fächer. Dabei studieren 28 Studierende sowohl Mathematik als auch Germanistik, und 47 belegen beide Sprachen. Wie viele Studierende belegen mindestens eines der Fächer Mathematik und Anglistik? Aufgabe 2.22. 1 und 200 sind

## Verwenden Sie Aufgabe 2.20: Wie viele Zahlen zwischen

(a) durch 3 oder durch 5 teilbar? (b) durch 3, 5 oder 7 teilbar? Aufgabe 2.23. ## Wie viele Tripel (a, b, c) von Zahlen a, b, c ∈ {1, 2, . . . , 10} gibt es, die die Bedingung

2.3 Abzählprinzipien endlicher Mengen

63

(a) a, b und c sind paarweise verschieden (d.h. a 6= b, a 6= c, b 6= c), (b) a < b < c, (c) a ≤ b < c + 1 erfüllen? Aufgabe 2.24. ## Der Fußballkörper ist ein abgestumpfter Ikosaeder mit zwölf regelmäßigen Fünfecken und 20 regelmäßigen Sechsecken mit identischen Kantenlängen. Wie viele Kanten hat der Fußballkörper? Aufgabe 2.25. # Beweisen Sie mit doppeltem Abzählen das sogenannte Handschlaglemma: Auf einer Party ist die Anzahl Gäste, die eine ungerade Anzahl von anderen Gästen begrüßen, gerade. Hinweis: Zählen Sie die Anzahl Paare (Gi , Gj ) von Gästen, die sich begrüßen, auf zwei Arten ab. Aufgabe 2.26. die Menge

Finden Sie eine Formel für 12 + 22 + . . . + n2 , indem Sie {(a, b, c) ∈ {1, . . . , n + 1}3 | a < c, b < c}

auf zwei Arten abzählen. Hinweis: Unterscheiden Sie in einer der Abzählungen zwischen den Fällen a = b, a < b und b < a.

3 Die natürlichen Zahlen

„Die ganzen Zahlen hat der liebe Gott gemacht, alles andere ist Menschenwerk.“ Leopold Kronecker

Die Menge der natürlichen Zahlen ist definiert durch N = {0, 1, 2, 3, . . . }. Manche Mathematiker betrachten die Zahl 0 nicht als natürliche Zahl und benutzen die Notationen N = {1, 2, 3, . . . } und N0 = {0, 1, 2, 3, . . . }. Während die weiteren Zahlenmengen in der Geschichte der Mathematik zu heftigen Grundlagendiskussionen geführt haben, werden die natürlichen Zahlen als grundlegend oder, in Kroneckers Worten, als gottgegeben, angesehen. Doch auch die natürlichen Zahlen bedürfen einer präzisen Einführung; dies geschieht heute üblicherweise durch die sogenannten Peano-Axiome, welche auf die Mathematiker Richard Dedekind und Giuseppe Peano zurückgehen. Die Peano-Axiome 1. 0 ist eine natürliche Zahl. 2. Jede natürliche Zahl n hat genau einen Nachfolger n0 , der ebenfalls eine natürliche Zahl ist. 3. Nachfolger natürlicher Zahlen sind ungleich 0, d.h., für jede natürliche Zahl n gilt n0 6= 0. 4. Jede natürliche Zahl ist Nachfolger höchstens einer anderen natürlichen Zahl, d.h., falls n0 = m0 , so folgt n = m. 5. Falls X eine Menge natürlicher Zahlen ist mit den Eigenschaften • 0 ∈ X und • für jedes n ∈ X gilt auch n0 ∈ X, so folgt X = N. In moderner Schreibweise steht der Nachfolger n0 einer natürlichen Zahl n für n+1. Zu beachten ist dabei, dass die Peano-Axiome nur die Existenz von n + 1 postulieren, nicht aber von allgemeinen Summen und Produkten natürlicher Zahlen. Diese lassen sich aber allesamt mittels Rekursion aus der Nachfolgeroperation definieren. Das Prinzip der Rekursion wird in Abschnitt 3.1 eingeführt. Wie sieht es mit den Rechenregeln natürlicher Zahlen wie dem Kommutativgesetz m + n = n + m © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 R. Krapf, Elementare Grundlagen der Hochschulmathematik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29953-8_3

65

66

Kapitel 3 – Die natürlichen Zahlen

für alle m, n ∈ N aus? Diese lassen sich mit dem Beweisprinzip der vollständigen Induktion herleiten, welches sich aus dem fünften Peano-Axiom ergibt (siehe dazu Abschnitt 3.3). Der folgende Input über Axiome ist inspiriert von [Pei15]: Was sind Axiome? Bei der deduktiven Methode werden neue Sätze, basierend auf bereits bewiesenen Sätzen, hergeleitet. Dazu benötigt man aber einige Grundannahmen, um überhaupt irgendetwas beweisen zu können. Solche Grundannahmen, die ohne Beweis vorausgesetzt werden, werden als Axiome bezeichnet. Eine Menge von Axiomen – ein Axiomensystem – sollte dabei einige Anforderungen erfüllen, u.a. die folgenden: • Das Axiomensystem sollte widerspruchsfrei sein, d.h., es kann keine Aussage und deren Negation aus den Axiomen hergeleitet werden. • Das Axiomensystem sollte keine redundanten Axiome enthalten, d.h., kein Axiom sollte aus den anderen Axiomen folgen. Man sagt dann auch, dass die Axiome unabhängig voneinander sind. Beispiel 3.1. Wir betrachten das folgende Axiomensystem: Axiom Axiom Axiom Axiom

1: Es gibt eine Klasse. 2: Jede Klasse hat mindestens zwei Lehrpersonen. 3: Je zwei Klassen haben genau eine gemeinsame Lehrperson. 4: Jede Lehrperson unterrichtet mindestens zwei Klassen.

Wir können nun mit Hilfe dieser Axiome einige Sätze beweisen: Satz. Es gibt mindestens drei Klassen. Beweis. Nach Axiom 1 gibt es eine Klasse K1 . Nach Axiom 2 besitzt K1 zwei Lehrpersonen L1 und L2 . Nach Axiom 4 unterrichtet L1 mindestens eine weitere Klasse K2 . Wegen Axiom 3 kann L2 nicht K2 unterrichten, da K1 , K2 sonst zwei gemeinsame Lehrpersonen hätten. Damit muss L2 mindestens eine weitere Klasse K3 unterrichten. Man kann auch beweisen, dass es mindestens drei Lehrpersonen gibt: Die Klasse K3 muss wegen Axiom 2 noch eine weitere Lehrperson haben, diese kann aber wegen Axiom 3 weder L1 noch L2 sein. Wieso ist das Axiomensystem widerspruchsfrei? Dazu kann man ein Modell angeben; konkrete Mengen von Lehrpersonen und Klassen, die die Axiome 1 bis 4 erfüllen. Das einfachste ist das folgende: Die Menge der Lehrpersonen ist L = {L1 , L2 , L3 }, die Menge der Klassen ist K = {K1 , K2 , K3 }, und die Unterrichtsrelation ist gegeben durch U = {(L1 , K1 ), (L1 , K2 ), (L2 , K1 ), (L2 , K3 ), (L3 , K2 ), (L3 , K3 )}. Dabei gilt (Li , Kj ) ∈ U genau dann, wenn Lehrperson Li die Klasse Kj unterrichtet. Es ist leicht zu überprüfen, dass alle vier Axiome erfüllt sind. Wie zeigt man, dass die Axiome voneinander unabhängig sind? Um beispielsweise zu zeigen, dass Axiom 4 von Axiom 1 bis 3 unabhängig ist, muss man ein

3.1 Rekursion

67

Modell angeben, in welchem Axiom 1 bis 3 gelten, Axiom 4 aber verletzt ist. Dann kann Axiom 4 nicht aus den anderen Axiomen folgen. Ein einfaches solches Modell ist gegeben durch K = {K1 }, L = {L1 , L2 }, U = {(L1 , K1 ), (L2 , K1 )}. Aufgabe 3.1. Die endliche Geometrie nach Fano ist wie folgt axiomatisiert: Axiom 1: Es gibt eine Linie. Axiom 2: Auf jeder Linie liegen genau drei Punkte. Axiom 3: Es liegen nicht alle Punkte auf einer Linie. Axiom 4: Je zwei verschiedene Punkte liegen auf genau einer gemeinsamen Linie. Axiom 5: Je zwei verschiedene Linien haben mindestens einen gemeinsamen Punkt. (a) Beweisen Sie die folgenden Sätze: (1) Zwei Linien besitzen genau einen gemeinsamen Punkt. (2) Jeder Punkt liegt auf genau drei Linien. (3) Falls drei Linien keinen gemeinsamen Punkt besitzen, so gibt es genau einen Punkt, der auf keiner der drei Linien liegt. (4) Es gibt genau sieben Punkte und sieben Linien. (b) Zeigen Sie, dass das Axiomensystem widerspruchsfrei ist. (c) Zeigen Sie, dass die Axiome voneinander unabhängig sind.

3.1 Rekursion Um Rekursion zu verstehen, muss man Rekursion verstehen. Mathematikerwitz, Ursprung unbekannt

Eine rekursive Zahlenfolge a0 , a1 , a2 , . . . ist eine Zahlenfolge, bei der ein Folgenglied mit Hilfe der vorangehenden Folgengliedern definiert wird. Die Idee einer Rekursion ist es, ein Problem der Größe n + 1 auf ein Problem der Größe n zu reduzieren. Damit die Rekursion auch tatsächlich endet, benötigt man also einen Anfangswert, z.B. für a0 oder a1 . Beispiel 3.2. Auf wie viele Arten kann man n Kugeln anordnen? Um dieses Problem zu lösen, nummerieren wir die Kugeln mit Zahlen 1, . . . , n. Sei an die Anzahl Anordnungen von n Kugeln. Wir berechnen zunächst an für n ∈ {1, 2, 3, 4}, um ein Muster zu erkennen. Dazu stellen wir beispielsweise die Anordnung 2

3

4

1

von vier Kugeln durch die Zahlenfolge 2341 dar.

68

Kapitel 3 – Die natürlichen Zahlen

n 0 1 2 3 4

Anordnungen leere Anordnung1 1 21, 12 123, 132, 213, 231, 312, 321 1234, 1243, 1324, 1342, 1423, 1432, 2134, 2143, 2314, 2341, 2413, 2431, 3124, 3142, 3214, 3241, 3412, 3421, 4123, 4132, 4213, 4231, 4312, 4321

an 1 1 2 6 24

Wie kann man an+1 aus an berechnen? Wir erkennen, dass man jeweils an mit n + 1 multipliziert, um an+1 zu erhalten. Um dies zu begründen, betrachten wir zunächst den Fall n = 2: Für jede der beiden Anordnungen von 1 und 2 kann man die 3 auf drei Arten einordnen: 12

312

132

21

123

321

231

213

Es gilt also a3 = 3 · a2 . Ganz allgemein gibt es für jede Anordnung von {1, . . . , n} genau n + 1 Möglichkeiten, n + 1 einzuordnen, nämlich an erster Stelle, an zweiter Stelle . . . oder an (n + 1)-ter Stelle. Es gilt also die Rekursionsvorschrift an+1 = an · (n + 1). Um a4 explizit zu berechnen, rechnen wir wie folgt: a4 = a3 · 4 = (a2 · 3) · 4 = a2 · 3 · 4 = (a1 · 2) · 3 · 4 = a1 · 2 · 3 · 4 = . . . Dazu benötigen wir einen Anfangswert, beispielsweise a0 oder a1 . Wenn wir mit a0 = 1 anfangen, so können wir mit der Rekursionsvorschrift an für jedes n ∈ N berechnen: a1 = a0 · 1 = 1 a2 = a1 · 2 = 1 · 2 = 2 a3 = a2 · 3 = 2 · 3 = 6 a4 = a3 · 4 = 6 · 4 = 24 .. . Die Rekursion aus Beispiel 3.2 lässt sich also wie folgt darstellen: a0 = 1 an+1 = (n + 1) · an Diese Rekursion ist von großer Bedeutung in der Mathematik und hat einen eigenen Namen: 1

Nichts lässt sich auf genau eine Art anordnen; nämlich nicht.

3.1 Rekursion

69

Definition 3.3. Für n ∈ N definiert man rekursiv 0! = 1 (n + 1)!, = (n + 1) · n!, gesprochen „n Fakultät“. Man kann n! etwas informeller auch explizit darstellen als n! = 1 · 2 · . . . · n. Wenn man eine Zahlenfolge an für jedes n ∈ N rekursiv definieren möchte, genügt es 1. einen Anfangswert a0 zu definieren, und, 2. falls an schon definiert ist, an+1 zu definieren (Rekursionsvorschrift). Eine solche Definition wird als rekursiv bezeichnet. Unter Voraussetzung 1 und 2 kann man an für jedes n ∈ N bestimmen: • • • •

Nach Voraussetzung ist a0 bekannt. Aus a0 kann man a1 berechnen. Aus a1 kann man a2 berechnen. Aus a2 kann man a3 berechnen. .. .

Damit kann man an für jedes n ∈ N berechnen. Statt mit 0 kann man auch mit einer beliebigen anderen natürlichen Zahl anfangen. Beispiel 3.4. Wie viele Teilmengen besitzt eine Menge mit 100 Elementen? Dies scheint nicht einfach auszurechnen zu sein. Manchmal wird ein Problem einfacher, wenn man es verallgemeinert. Die allgemeine Frage lautet also: Wie viele Teilmengen besitzt eine n-elementige Menge, beispielsweise {1, 2, . . . , n}? Wir setzen bn := |P({1, 2, . . . , n})|. Wir betrachten das Problem für kleine n ∈ N: n 02 1 2 3

P({1, . . . , n}) {∅} {∅, {1}} {∅, {1}, {2}, {1, 2}} {∅, {1}, {2}, {3}, {1, 2}, {1, 3}, {2, 3}, {1, 2, 3}}

bn 1 2 4 8

Die Vermutung ist also bn = 2n für alle n ∈ N. Wie kann man das beweisen? Was ändert sich beim Übergang von n zu n + 1? Für n = 2 ist dies leicht einzusehen: Für jedes X ∈ P({1, 2}) erhalten wir in P({1, 2, 3}) zusätzlich zu X auch X ∪ {3}, d.h. b3 = 2b2 . Dies lässt sich auch anschaulich anhand eines Entscheidungsbaums darstellen, hier am Beispiel n = 3: 2

Die Menge {1, . . . , n} ist für n = 0 als ∅ definiert.

70

Kapitel 3 – Die natürlichen Zahlen

∅ 1∈X

1∈ /X

{1}

∅ 2∈ /X

2∈X

3∈X

{3}



3∈X

3∈ /X

{2}

2∈ /X

{1, 2}

{2}

∅ 3∈ /X

2∈X

{2, 3}

3∈X

{1, 2, 3}

{1} 3∈ /X

{1, 2}

3∈X

{1, 3}

3∈ /X

{1}

Allgemein gilt: Wenn wir bn kennen, so können wir die Teilmengen X von {1, . . . , n + 1} in zwei Gruppen aufteilen: Typ 1: n + 1 ∈ / X. Es gilt X ⊆ {1, . . . , n}, also gibt es bn verschiedene Mengen vom Typ 1. Typ 2: n + 1 ∈ X. Dann ist aber X \ {n + 1} ⊆ {1, . . . , n}, also gibt es bn Möglichkeiten für X \ {n + 1} und somit auch für X. Wir erhalten also die Rekursion b0 = 1, bn+1 = 2bn . Somit gilt bn = 2 · bn−1 = 2 · 2 · bn−2 = . . . = 2| · .{z . . · 2} ·b1 = |2 · .{z . . · 2} ·b0 = 2n . (n−1)-mal

n-mal

Was haben wir also gemacht? Wir haben die n-te Potenz von 2 rekursiv definiert. Dies kann man ganz allgemein für beliebige Zahlen machen: Beispiel 3.5. Man kann Potenzen einer Zahl q ∈ R rekursiv definieren: q0 = 1 q n+1 = q n · q Dann ist q n für jedes n ∈ N definiert: q0 = 1 q 1 = q 0+1 = q 0 · q = 1 · q = q q 2 = q 1+1 = q 1 · q = q · q q 3 = q 2+1 = q 2 · q = (q · q) · q .. . Die Peano-Axiome verlangen nur die Existenz von n0 = n + 1 für eine natürliche Zahl n ∈ N. Um Potenzen zu definieren, benötigt man aber schon die Multiplikation. Diese lässt sich aber mittels Rekursion auf die Addition und die Addition auf die Nachfolgeroperation zurückführen (siehe dazu Aufgabe 3.6).

3.1 Rekursion

71

Eine wichtige Anwendung von Rekursion ist die Definition des Summen- und Produktzeichens. Definition 3.6. Sei a0 , a1 , a2 , . . . eine Zahlenfolge. Wir definieren endliche Summen durch 0 X

ak = a0 ,

k=0 n+1 X

n X

ak =

k=0

 ak + an+1

k=0

und endliche Produkte durch 0 Y

ak = a0 ,

k=0 n+1 Y k=0

ak =

n Y

 ak · an+1 .

k=0

Beispiel 3.7. Die Summe der ersten 100 Zahlen kann dargestellt werden als 1 + 2 + 3 + . . . + 100 =

100 X

k.

k=1

Die Summe der ersten 50 Quadratzahlen ist 12 + 22 + . . . + 502 =

50 X

k2 .

k=1

Die Fakultät n! = 1 · 2 · . . . · n einer natürlichen Zahl n lässt sich auch mit Hilfe des Produktzeichens definieren als n! =

n Y

k.

k=1

Viele Rechenregeln über Summen und Produkte lassen sich von Summen und Produkten mit zwei Summanden bzw. Faktoren auf beliebige endliche Summen und Produkte verallgemeinern: Beispiel 3.8. Es gilt n X

(an + bn ) =

k=1

n X k=1

an +

n X

bn ,

k=1

denn n X

(an + bn ) = (a1 + b1 ) + (a2 + b2 ) + . . . + (an + bn )

k=1

= (a1 + a2 + . . . + an ) + (b1 + b2 + . . . + bn ) n n X X = an + bn . k=1

k=1

72

Kapitel 3 – Die natürlichen Zahlen

Dabei haben wir verwendet, dass das Kommutativgesetz für endlich viele Summanden erfüllt ist. Dieser „Beweis“ ist durch die Schreibweise mit . . . etwas informell; ein formaler Beweis lässt sich mit Hilfe des Prinzips der vollständigen Induktion (siehe Abschnitt 3.3) angeben. Summen- und Produktzeichen In der Mathematik betrachtet man oft Summen oder Produkte, wobei die Anzahl der Terme a priori nicht bekannt ist. Man schreibt dann beispielsweise n X

ak

oder

m Y

bi ,

i=1

k=0

wobei a0 , a1 , . . . und b1 , b2 , . . . Zahlenfolgen sind. Solche Summen- oder Produktausdrücke haben folgende Bestandteile: • eine Laufvariable (bei Summen auch Summationsindex ), hier k bzw. i; • eine untere Grenze, hier 0 bzw. 1; • eine obere Grenze, hier n bzw. m. In der Summe (bzw. dem Produkt) werden dann alle Terme der Form ak mit 0 ≤ k ≤ n (bzw. bi mit 1 ≤ i ≤ m) addiert (bzw. multipliziert). Zu beachten ist: • In der ausgeschriebenen Summe/dem Produkt darf die Laufvariable nicht vorkommen! n P • Die Anzahl Terme in der Summe ak ist n − m + 1. k=m

Beispiel 3.9. Es gilt 4 X i=1

1 1 1 1 1 = + + + i(i + 1) 1(1 + 1) 2(2 + 1) 3(3 + 1) 4(4 + 1) 1 1 1 1 + + + 2 6 12 20 4 = . 5

=

Aufgabe 3.2. Schreiben Sie die folgenden Ausdrücke ohne Summen- und Produktzeichen: (a)

5 X k=2

1 2k−1

(b)

9 Y

cj (c ∈ R)

j=0

(c)

4 Y 6 X

xi+j (x ∈ R)

i=2 j=3

Aufgabe 3.3. Schreiben Sie die folgenden Ausdrücke mit Hilfe von Summenbzw. Produktzeichen: (a) 1 + 2 + 6 + 24 + 120 + 720 + 5040 + 40320 (b) a1 · a3 · a5 · a7 · a9 (c) x9 + 2x14 + 4x19 + 8x24 + 16x29 + 32x34

3.1 Rekursion

73

Die Laufvariable kann beliebig umbenannt und auch verschoben werden. Dies nennt man eine Indexverschiebung. Beispiel 3.10. Wir ersetzen in der folgenden Summe die Laufvariable k durch j = k − 2. Dabei ersetzt man k durch j + 2: 11 X

ak =

9 X

aj+2

j=1

k=3

Es gibt einige Rechenregeln für das Summen- und Produktzeichen, beispielsweise die folgenden: n X

c · ak = c ·

k=0 n X

n X

ak ,

c∈R

k=0

(ak + bk ) =

k=0 n X

ak =

k=0

n X k=0 m X k=0

ak + ak +

n X

bk

k=0 n X

ak ,

0≤m 2n . Achten Sie darauf, im Induktionsschluss einen Vorwärtsbeweis anzugeben. Aufgaben Aufgabe 3.35. ### Beweisen Sie, dass 1 + F2 + . . . + F2n = F2n+1 für alle n ∈ N \ {0} gilt, (a) direkt, (b) mittels vollständiger Induktion. Aufgabe 3.36. ### Beweisen Sie die verallgemeinerte Dreiecksungleichung: Für alle x1 , . . . , xn ∈ R gilt n n X X x ≤ |xk |. k k=1

k=1

Aufgabe 3.37. ## Beweisen Sie für alle n ∈ N mit n ≥ 1: n P 1 n (a) (3k−2)(3k+1) = 3n+1 k=1  n  Q 1 1 (b) 1 + n+k = 2 − n+1 k=1

Aufgabe 3.38. 3

(a) 6 | n − n

## Beweisen Sie für alle n ∈ N:

3.3 Vollständige Induktion

91

(b) 5 | 3n+1 + 23n+1 (c) 11 - 102n + 1 Aufgabe 3.39. ## Wie lautet die n-te Ableitung von f (x) = x1 ? Finden Sie eine allgemeine Formel und beweisen Sie deren Richtigkeit mittels vollständiger Induktion. Pn Aufgabe 3.40. ## Bestimmen Sie eine Formel für die Summe k=1 (−1)n k für n ∈ N \ {0} und beweisen Sie diese mit vollständiger Induktion. Aufgabe 3.41. ## Finden Sie eine Formel für die Innenwinkelsumme eines n-Ecks und beweisen Sie diese mit Hilfe der vollständigen Induktion. Aufgabe 3.42. N mit n ≥ 2 gilt

## Beweisen Sie mittels vollständiger Induktion: Für alle n ∈

Aufgabe 3.43.

## Zeigen Sie: Für alle n ∈ N ist

√ 1 1 1 √ + √ + . . . + √ > n. n 1 2



2n

2 irrational.

Aufgabe 3.44. ## Wenn man im Pascalschen Dreieck jeweils alle ungeraden Zahlen anmalt, so erhält man das Sierpinski-Dreieck. (a) Beweisen Sie für alle n ∈ N die Identität n X k=0

3k =

3n+1 − 1 2

(1) direkt, (2) mit dem Sierpinski-Dreieck, (3) mit vollständiger Induktion. (b) Die unmarkierten Zahlen im Pascalschen Dreieck, also die geraden Zahlen, bilden immer gleichseitige Dreiecke. Wieso haben Sie diese Form?

30

31

32

33

 Pn m+k Aufgabe 3.45. # Betrachten Sie die Summe . Überlegen Sie k=0 k sich anhand des Pascalschen Dreiecks, welche Einträge addiert werden, und suchen Sie eine allgemeine Formel für diese Summe. Beweisen Sie Ihre Formel mit vollständiger Induktion. Aufgabe 3.46. # Beweisen Sie, dass die Ebene R2 , die durch endlich vielen Geraden geteilt wird, mit zwei Farben so eingefärbt werden kann, dass je zwei Teile mit einer gemeinsamen Kante nie von derselben Farbe sind. Aufgabe 3.47. # Beweisen Sie den binomischen Lehrsatz mit Hilfe der vollständigen Induktion.

92

Kapitel 3 – Die natürlichen Zahlen

3.4 Varianten der vollständigen Induktion „Man muß einen mathematischen Satz erraten, ehe man ihn beweist, man muß die Idee eines Beweises erraten, ehe man die Einzelheiten durchführt. “ George Pólya

Manchmal benötigt man für den Beweis einer Behauptung B(n + 1) im Induktionsschluss nicht nur B(n), sondern auch B(n − 1). Wie bei der Rekursion führt dies zu einer Verallgemeinerung des Induktionsprinzips: Beweisführung: Verallgemeinertes Induktionsprinzip Um eine Behauptung B(n) für alle n ∈ N zu zeigen, kann man für ein k ∈ N\{0} B(0) ∧ . . . ∧ B(k − 1) und ∀n ∈ N : (B(n − k + 1) ∧ B(n − k + 2) ∧ . . . ∧ B(n) ⇒ B(n + 1)) beweisen. Dazu geht man wie folgt vor: 1. Induktionsanfang: Die Behauptung stimmt für 0, 1, . . . , k − 1; d.h., die Aussagen B(0), B(1), B(2), . . . , B(k − 1) sind wahr. 2. Nun trifft man eine Annahme: Induktionsannahme: Wir nehmen an, dass für ein beliebiges, aber festes n ∈ N die Aussagen B(n − k + 1), B(n − k + 2), . . . , B(n) wahr sind. Mit Hilfe dieser Annahme beweisen wir B(n + 1): Induktionsschluss: Wir folgern, dass auch B(n + 1) wahr ist. Das übliche Prinzip der vollständigen Induktion entspricht dem Spezialfall k = 1. In vielen weiteren Anwendungen wählt man k = 2 (wie in Beispiel 3.22). Die Merk-regel ist (vgl. mehrgliedrige Rekursion): Wenn man beim Induktionsschluss die Behauptung für die k vorangehenden Zahlen benötigt, so muss man im Induktionsanfang die Behauptung für die ersten k Zahlen beweisen. Wie beim üblichen Induktionsprinzip kann man statt bei 0 bei einer beliebigen anderen natürlichen Zahl beginnen. Beispiel 3.22. Wir zeigen mit Hilfe des verallgemeinerten Induktionsprinzips die Aussage Fn < 2n für alle n ∈ N \ {0}. Induktionsanfang: Wir müssen die Behauptung für n = 1 und n = 2 überprüfen: Für n = 1 gilt F1 = 1 < 2 = 21 . Für n = 2 gilt F2 = 1 < 4 = 22 . Induktionsannahme (IA): Wir nehmen an, dass Fn < 2n und Fn−1 < 2n−1 für ein beliebiges fest gewähltes n ∈ N \ {0} gilt.

3.4 Varianten der vollständigen Induktion

93

Induktionsschluss: Wir müssen zeigen, dass Fn+1 < 2n+1 . Es gilt Fn+1 = Fn + Fn−1 < 2n + 2n−1 < 2n + 2n = 2n+1 . Dabei haben wir in der ersten Abschätzung die Induktionsannahme verwendet. Diese Form der Induktion ist, wie sich in Beispiel 3.22 erkennen lässt, insbesondere nützlich, wenn man Eigenschaften von Folgen beweisen möchte, die mit Hilfe einer mehrgliedrigen Rekursion definiert werden. Manchmal benötigt man für den Induktionsschluss zum Beweis einer Behauptung B(n) nicht nur eine fixe Anzahl an Induktionsannahmen, sondern man benötigt B(k) für alle k ≤ n. Dies führt zu einer weiteren Verallgemeinerung des Prinzips der vollständigen Induktion, der sogenannten starken Induktion. Beweisführung: Starke Induktion Um eine Behauptung B(n) für alle n ∈ N zu beweisen, kann man   B(0) ∧ (∀k ∈ N mit k ≤ n : B(k)) ⇒ B(n + 1) für alle n ∈ N beweisen. Dazu geht man wie folgt vor: 1. Induktionsanfang: Die Behauptung stimmt für n = 0, d.h. B(0) ist wahr. 2. Induktionsannahme: Wir nehmen an, dass B(k) für alle k ∈ N mit 0 ≤ k ≤ n und n ∈ N wahr ist. Mit Hilfe dieser Annahme beweisen wir B(n + 1): Induktionsschluss: Wir folgern, dass auch B(n + 1) wahr ist. Daraus folgt, dass die Aussage B(n) für jedes n ∈ N gilt. Wenn man die Analogie der Dominosteine betrachtet, so bedeutet die starke Induktion, dass, wenn alle Dominosteine k mit k ≤ n gefallen sind, auch Dominostein n + 1 fällt. Auch bei der starken Induktion kann man statt bei n = 0 bei einer beliebigen natürlichen Zahl beginnen. Das folgende Beispiel zeigt, dass jede natürliche Zahl n ≥ 2 eine Primfaktorzerlegung besitzt, d.h., jedes n ≥ 2 lässt sich als Produkt von Primzahlen darstellen. In Kapitel 4 werden wir zudem zeigen, dass die Primfaktorzerlegung eindeutig ist. Lemma 3.23. Jede natürliche Zahl n ≥ 2 lässt sich als Produkt von Primzahlen darstellen. Dabei ist zu beachten, dass ein Produkt im allgemeinen Sinne wie in Definition 3.6 auch aus einem einzigen Faktor bestehen kann. Es kann sogar aus 0 Faktoren bestehen; ein solches Produkt wird als leeres Produkt bezeichnet und ist als 1 definiert.

94

Kapitel 3 – Die natürlichen Zahlen

Beweis. Wir verwenden das Prinzip der starken Induktion. Induktionsanfang: Die Zahl 2 ist bereits ein Produkt aus Primzahlen; nämlich ein Produkt, das nur aus einem Faktor besteht. Induktionsannahme: Wir nehmen an, dass sich jedes k ∈ N mit 2 ≤ k ≤ n mit n ∈ N als Produkt von Primzahlen darstellen lässt. Induktionsschluss: Wir zeigen, dass sich auch n+1 als Produkt von Primzahlen darstellen lässt. Dazu machen wir eine Fallunterscheidung: 1. Fall: n + 1 ist eine Primzahl. Dann ist n + 1 bereits ein Produkt aus einer Primzahl. 2. Fall: n + 1 ist keine Primzahl. Dann besitzt n + 1 einen Teiler k mit 2 ≤ k ≤ n. Also gibt es ein l ∈ N mit kl = n + 1. Da k 6= 1, n + 1 gilt, muss auch l 6= 1, n + 1 sein. Somit können wir die Induktionsannahme auf k und l anwenden, und erhalten Primzahlen p1 , . . . , pr und q1 , . . . , qs mit k = p1 · . . . · pr

und l = q1 · . . . · qs .

Also ist auch n + 1 = kl = (p1 · . . . · pr ) · (q1 · . . . · qs ) ein Produkt von Primzahlen.

Eine weitere Anwendung des Prinzips der starken Induktion ist der sogenannte Wohlordnungssatz : Theorem 3.24 (Wohlordnungssatz). Jede nichtleere Menge von natürlichen Zahlen besitzt ein kleinstes Element. Beweis. Wir geben einen Kontrapositionsbeweis an und zeigen, dass jede Menge X ohne kleinstes Element leer ist. Mit Quantoren formuliert bedeutet X = ∅ ∀n ∈ N : n ∈ / X. Um dies nachzuweisen, verwenden wir das Prinzip der starken Induktion. Induktionsanfang: Offensichtlich gilt 0 ∈ / X, da sonst 0 das kleinste Element von X wäre. Induktionsannahme: Wir nehmen an, dass k ∈ / X für jedes k ∈ N mit k ≤ n und n ∈ N. Induktionsschluss: Wir müssen zeigen, dass n + 1 ∈ / X. Wäre aber n + 1 ∈ X, so wäre wegen der Induktionsannahme n + 1 das kleinste Element von X, ein Widerspruch.

Der Wohlordnungssatz wird oft in der folgenden Form benutzt: Um zu zeigen, dass eine Behauptung B(n) für alle natürlichen Zahlen gilt, macht man einen Widerspruchsbeweis und nimmt an, dass dies nicht der Fall ist. Aus dem Wohlordnungssatz folgt dann, dass es ein kleinstes Gegenbeispiel n0 ∈ N gibt, d.h., n0 ist die kleinste natürliche Zahl, für die ¬B(n0 ) gilt. Dies kann man dann zu einem

3.4 Varianten der vollständigen Induktion

95

Widerspruch führen, indem man ein n ∈ N mit n < n0 findet, für dieses B(n) ebenfalls falsch ist. Der Wohlordnungssatz hat einige schöne Anwendungen. So kann man beispielsweise „beweisen“, dass alle natürlichen Zahlen „interessant“ bzw. „besonders“ sind! Das Interessante-Zahlen-Paradoxon Der englische Mathematiker G. H. Hardy bezeichnete die Zahl 1729 gemäß einer Anekdote als „nichtssagend“, wurde dann aber vom indischen Mathematiker S. Ramanujan darüber aufgeklärt, dass dies „die kleinste natürliche Zahl [sei], die man auf zwei verschiedene Weisen als Summe von zwei Kubikzahlen ausdrücken kann“. Wenn man natürliche Zahlen als „interessant“ resp. „uninteressant“ klassifizieren möchte, wobei eine „uninteressante“ Zahl eine Zahl ohne besondere Eigenschaften ist, so stößt man auf folgendes Paradoxon: Wir möchten beweisen, dass jede natürliche Zahl n interessant ist. Falls dies nicht der Fall ist, so gilt X := {n ∈ N | n ist uninteressant} = 6 ∅. Somit gibt es nach dem Wohlordnungssatz eine kleinste Zahl n0 ∈ X. Somit ist n0 die kleinste uninteressante Zahl, was aber eine interessante Eigenschaft ist! Das folgende Induktionsprinzip, das sogenannte Prinzip des unendlichen Abstiegs, ist nützlich in Kombination mit Widerspruchsbeweisen. Es handelt sich dabei um eine Form der Induktion, welche bereits in der Antike von den Pythagoräern benutzt wurde. Beweismethode: Prinzip des unendlichen Abstiegs Es gibt keine unendliche absteigende Folge von natürlichen Zahlen, d.h., es gibt keine Folge der Form (n0 , n1 , n2 , . . .) mit n0 > n1 > n2 > . . . und nk ∈ N für alle k ∈ N. Das Prinzip des unendlichen Abstiegs folgt direkt aus dem Wohlordnungssatz: Falls eine solche Folge (n0 , n1 , n2 , . . .) existiert, so besitzt die Menge X := {nk | k ∈ N} = {n0 , n1 , n2 , n3 , . . .} nach dem Wohlordnungssatz ein kleinstes Element, was der Annahme widerspricht. Das Prinzip des unendlichen Abstiegs wird üblicherweise im Rahmen von Widerspruchsbeweisen angewandt; dabei konstruiert man mit Hilfe der Widerspruchsannahme eine unendliche absteigende Folge, woraus sich ein Widerspruch ergibt. Beispiel 3.25. Wir√verwenden das Prinzip des unendlichen Abstiegs, √ um erneut die Irrationalität von 2 zu beweisen. Dazu bemerken wir, dass sich 2 als Verhältnis von Diagonale d zu Seitenlänge s in einem beliebigen Quadrat darstellen lässt:

96

Kapitel 3 – Die natürlichen Zahlen

s1 d1

s1

d

s Beweis. Wir nehmen an, dass es ein Quadrat mit Seite s und Diagonale d gibt, für welches d, s ∈ N gilt. Wir tragen auf der Diagonale d ein Stück der Länge s ab und bilden dann das Quadrat mit Seitenlänge s1 := d − s ∈ N. Sei nun d1 die Diagonale des kleinen Quadrats. Ein einfaches Ähnlichkeitsargument liefert, dass s = d1 + s1 und somit d1 = s − s1 = s − (d − s) = 2s − d ∈ N. Nun sind aber die beiden Quadrate ähnlich, also gilt d d1 = . s s1 Dieses Argument lässt sich nun iterieren, und analog erhält man Seiten s2 , s3 , . . . und d2 , d3 , . . . mit √ d d1 d2 2= = = = ... s s1 s2 und d > d1 > d2 , . . ., was dem Prinzip des unendlichen Abstiegs widerspricht. Aufgaben Aufgabe 3.48. ### Die Fibonacci-Folge lässt sich auch leicht nach unten abschätzen: Beweisen Sie, dass Fn < ( 32 )n für alle n ∈ N. Aufgabe 3.49.

### Die Tribonacci-Folge ist definiert durch T1 = T2 = T3 = 1,

Tn+1 = Tn + Tn−1 + Tn−2 . Beweisen Sie: Für alle n ∈ N \ {0} gilt Tn < 2n . Aufgabe 3.50. ### Geben Sie ein Induktionsschema an, mit welchem man eine Aussage für alle ganzen Zahlen beweisen kann. Aufgabe 3.51.

## Sei (an ) rekursiv wie folgt definiert: a0 = 0 a1 = 1 an+2 = 3an+1 − 2an

Finden Sie eine explizite Darstellung von an und beweisen Sie induktiv, dass beide Darstellungen dieselbe Folge definieren.

3.4 Varianten der vollständigen Induktion

97

## In Kuba gibt es Geldscheine im Wert von 3 Pesos und im Aufgabe 3.52. Wert von 5 Pesos.5 (a) Beantworten Sie durch Ausprobieren: Welche Geldbeträge können aus Münzen im Wert von 3 Pesos und 5 Pesos zusammengestellt werden, ohne dass herausgegeben werden muss? (b) Beweisen Sie Ihre Vermutung aus (a). Aufgabe 3.53. ## Beweisen Sie, dass jede natürliche Zahl n ≥ 2 einen Primteiler besitzt, d.h., für jedes n ∈ N mit n ≥ 2 gibt es eine Primzahl p mit p | n. Aufgabe 3.54. # Sei D(n) die Aussage, dass ein gleichseitiges Dreiecke in n gleichseitige Dreiecke unterteilt werden kann. Beweisen Sie: (a) Für jedes n ∈ N gilt D(n) ⇒ D(n + 3). (b) Es gilt D(n) für alle n ≥ 6. Aufgabe 3.55. die Ungleichung

# Beweisen Sie: Für alle x ∈ R+ und für jedes n ∈ N gilt

xn + xn−2 + xn−4 + . . . +

1 xn−4

+

1 xn−2

+

1 ≥ n + 1. xn

Aufgabe 3.56. # Zeigen Sie, dass jede natürliche Zahl n ∈ N mit n ≥ 1 als Summe paarweise verschiedener Zweierpotenzen geschrieben werden kann. Dies beweist die Existenz der Binärdarstellung. Aufgabe 3.57. # Die Fibonacci-Folge besitzt auch eine explizite Darstellung; dies soll in dieser Aufgabe bewiesen werden. Seien √ √ 1+ 5 1− 5 σ := und τ := . 2 2 (a) Zeigen Sie, dass σ und τ die beiden Lösungen der Gleichung x2 = x + 1 sind. (b) Verwenden Sie (a), um zu beweisen, dass die Fibonacci-Folge die explizite Darstellung 1 Fn = √ (σ n+1 − τ n+1 ) 5 besitzt. Hinweis für (b): Klammern Sie im Induktionsschluss σ n und τ n aus. Aufgabe 3.58. In dieser Aufgabe soll ein historischer Irrationalitätsbeweis rekonstruiert werden. Gegeben sei ein reguläres Fünfeck mit Seite s und Diagonale d. Gezeigt werden soll die Irrationalität von ds . In anderen Worten: Das Verhältnis von Diagonale zu Seitenlänge im regulären Fünfeck ist irrational. (a) Man konstruiert neben dem großen Fünfeck ein kleineres reguläres Fünfeck wie abgebildet. Zeigen Sie, dass die Seite s1 des kleinen Fünfecks d − s ist. (b) Verwenden Sie (a) und das Prinzip des unendlichen Abstiegs, um die Irrationalität von ds zu beweisen. 5

Dies ist nicht erfunden.

98

Kapitel 3 – Die natürlichen Zahlen

(c) Zeigen Sie, dass ds die Gleichung in Aufgabe 3.57a erfüllt und damit gilt. Diese Zahl wird auch als Goldener Schnitt bezeichnet.

d s



d s

Bei der sogenannten Vorwärts-Rückwärts-Induktion geht Aufgabe 3.59. man wie folgt vor: Man beweist: 1. B(1) 2. ∀n ∈ N : B(n) ⇒ B(2n) 3. ∀n ∈ N : B(n) ⇒ B(n − 1) Verwenden Sie die Vorwärts-Rückwärts-Induktion, um die verallgemeinerte Ungleichung vom arithmetischen und geometrischen Mittel zu beweisen, d.h., für alle n ∈ N \ {0} und x1 , . . . , xn ∈ R≥0 gilt √ x1 + . . . + xn n x1 · . . . · xn ≤ . n

3.5 Stellenwertsysteme Warum können Mathematiker Weihnachten nicht von Halloween unterscheiden? Antwort: Weil 31(oct) = 25(dez). Mathematikerwitz, Ursprung unbekannt

Die natürlichen Zahlen werden in der Regel im Dezimalsystem dargestellt, d.h., eine natürliche Zahl n ∈ N wird als endliche Folge n = nk nk−1 . . . n1 n0 = nk 10k + nk−1 10k−1 + . . . + n1 10 + n0 =

k X

ni 10i

i=0

mit ni ∈ {0, . . . , 9} dargestellt. Die Zahlen n0 , . . . , nk werden dabei als Ziffern von n bezeichnet. Das Dezimalsystem ist dabei ein Beispiel für ein sogenanntes Stellenwertsystem, wobei die Basis b = 10 gewählt wurde. In der Geschichte der Mathematik sowie in anderen Kulturen finden sich aber diverse andere Stellenwertsysteme. So haben die Babylonier die Zahlen bezüglich der Basis 60 im sogenannten Sexagesimalsystem dargestellt. In der Informatik spielen die Basen 2 und 16 eine besondere Rolle. Beispiel 3.26. Wir betrachten die Zahl n = 13 im Dezimalsystem. Es gilt also n = 1 · 101 + 3 · 100 .

3.5 Stellenwertsysteme

99

Wir können n aber auch im Binärsystem darstellen. Dazu berechnen wir 13 = 6 · 2 + 1, 6 = 3 · 2 + 0, 3 = 1 · 2 + 1, 1 = 0 · 2 + 1. Wie erhält man daraus die Binärdarstellung von 13? Ganz einfach, man rechnet rückwärts und erhält 13 = 6 · 2 + 1 = (3 · 2 + 0)2 + 1 = 3 · 22 + 1 = (1 · 2 + 1)22 + 1 = 1 · 23 + 1 · 22 + 0 · 21 + 1 · 20 . Die Binärdarstellung von 13 ist also gegeben durch die Zahlenfolge 1101 und wird dargestellt als (1101)2 . Wenn wir Beispiel 3.26 nochmals betrachten, so fällt auf, dass wir in jedem Schritt durch 2 dividiert haben und sich die Binärdarstellung von 13 aus den Resten der Division ergibt. Dieses Verfahren kann man wie folgt verallgemeinern: Theorem 3.27 (Division mit Rest). Sei b ∈ N eine natürliche Zahl mit b ≥ 2. Für jedes n ∈ N gibt es eine eindeutige Darstellung n = qb + r mit q, r ∈ N und r < b. Theorem 3.27 beinhaltet zwei Aussagen: eine Existenz- und eine Eindeutigkeitsaussage. Um das Theorem zu beweisen, müssen wir also einerseits beweisen, dass es eine solche Darstellung gibt, und andererseits dass, wenn es zwei solche Darstellungen n = qb + r = q 0 b + r0 mit r, r0 < b gibt, q = q 0 und r = r0 folgt. Beweis. Wir zeigen zuerst die Existenz. Dazu verwenden wir den Wohlordnungssatz. Wir betrachten die Menge X := {n, n − b, n − 2b, . . .} ∩ N = {n − qb | q ∈ N} ∩ N. Die Elemente von X sind also die nichtnegativen Zahlen der Form r = n − qb mit q ∈ N. Nach dem Wohlordnungssatz besitzt X ein minimales Element n − qb mit q ∈ N. Somit gilt n − qb ≥ 0 und n − (q + 1)b < 0, da r minimal ist. Aus n − (q + 1)b = n − qb − b < 0 folgt r = n − qb < b und n = qb + (n − qb) = qb + r wie gewünscht.

100

Kapitel 3 – Die natürlichen Zahlen

Wir zeigen nun, dass die Darstellung eindeutig ist. Sei also n = qb + r = q 0 b + r0 mit q, q 0 , r, r0 ∈ N und r, r0 < b. Wir nehmen per Widerspruch an, dass q 6= q 0 . Dann gilt entweder q < q 0 oder q 0 < q. Da beide Fälle analog sind, betrachten wir nur den Fall q < q 0 . Dann gilt aber auch (q + 1)b ≤ q 0 b, und wegen r < b folgt qb + r < qb + b = (q + 1)b ≤ q 0 b ≤ q 0 b + r0 , ein Widerspruch. Somit gilt q = q 0 , und daraus ergibt sich r = r0 . Mit Hilfe der Division mit Rest können wir nun andere Stellenwertsysteme einführen: Definition 3.28. Sei n ∈ N \ {0} eine natürliche Zahl, und sei b ≥ 2. Dann ist eine Darstellung der Form n = nk bk + nk−1 bk−1 + . . . + n1 b + n0 =

k X

n i bi

i=0

mit nk 6= 0 eine b-adische Darstellung von n, und wir schreiben n = (nk . . . n0 )b . Die Zahlen 0, . . . , b − 1 werden als b-adische Ziffern bezeichnet. Theorem 3.29. Sei b ∈ N mit b ≥ 2. Dann hat jedes n ∈ N eine eindeutige b-adische Darstellung. Beweis. Wir zeigen nun, wie man eine b-adische Darstellung einer natürlichen Zahl n ∈ N findet. Dazu schreiben wir mit Division mit Rest: n = q0 b + r0

mit q0 , r0 ∈ N und r0 < b

q0 = q1 b + r1

mit q1 , r1 ∈ N und r1 < b

q1 = q2 b + r2 .. .

mit q2 , r2 ∈ N und r2 < b .. .

Wenn wir q−1 := n setzen, so können wir diesen Prozess rekursiv definieren durch qk = qk+1 b + rk+1

mit qk+1 , rk+1 ∈ N und rk+1 < b

für k ≥ −1. Wir führen den Algorithmus durch, bis qk = 0 gilt. Es bleibt nachzuweisen, dass ein solches k existiert. Falls nicht, so gilt q0 > q1 > q2 > . . ., was dem Prinzip des unendlichen Abstiegs widerspricht. Wir zeigen nun, dass der Algorithmus die b-adische Darstellung liefert. In anderen Worten: Es gilt n = rk bk + rk−1 bk−1 + rk−2 bk−2 + . . . + r1 b1 + r0 =

k X

ri bi ,

i=0

was die Existenz liefert. Dazu verwenden wir das Prinzip der vollständigen Induktion über n.

3.5 Stellenwertsysteme

101

Induktionsanfang: Für n = 0 gilt q0 = r0 = 0, und damit ist n = r0 · b0 die b-adische Darstellung von n. Induktionsannahme: Wir nehmen an, dass die Behauptung für alle Zahlen ≤ n mit n ∈ N gilt. Induktionsschluss: Wir zeigen die Behauptung für n + 1. Der erste Schritt des Algorithmus liefert n + 1 = q0 b + r0 mit q0 , r0 ∈ N und r0 < b. Nach der Induktionsannahme gilt die Behauptung für q0 . Nun benötigt der Algorithmus für q0 einen Schritt weniger als für n+1, also terminiert er nach k−1 Schritten, und die Indizes der ri ’s und qi ’s beginnen bei i = 1. Somit gilt q0 = rk bk−1 + rk−1 bk−2 + . . . + r1 b0 =

k−1 X

ri+1 bi .

i=0

Daraus folgt die Behauptung für n + 1, denn es gilt n + 1 = q0 b + r0 =

k−1 X

k−1 k  X X ri+1 bi b + r0 = ri+1 bi+1 + r0 = rj bj + r0

i=0

=

k X

i=0

j=1

rj bj .

j=0

Damit haben wir gezeigt, dass jede natürliche Zahl eine b-adische Darstellung besitzt. Es bleibt noch nachzuweisen, dass die b-adische Darstellung einer Zahl n ∈ N eindeutig ist. Auch dies beweisen wir mittels starker Induktion. Induktionsanfang: Die b-adische Darstellung von n = 0 ist trivialerweise eindeutig. Induktionsannahme: Wir nehmen an, dass die b-adische Darstellnung jeder Zahl ≤ n mit n ∈ N eindeutig ist. Induktionsschluss: Wir nehmen an, dass n + 1 zwei b-adische Darstellungen n+1=

k X i=0

ri bi =

l X

sj bj

j=0

besitzt. Wir müssen nachweisen, dass k = l mit k, l ∈ N und ri = si für alle i ∈ {0, . . . , k}. Dazu verwenden wir die sogenannte geometrische Summenformel, welche sich leicht mittels vollständiger Induktion beweisen lässt (siehe Aufgabe 3.64): Es gilt n X bk+1 − 1 bk = . b−1 k=0

Zunächst zeigen wir, dass k = l. Falls nicht, so können wir ohne Beschränkung der Allgemeinheit annehmen, dass k < l. Dann gilt k X i=0

ri bi ≤

k k X X bk+1 − 1 (b − 1)bi = (b − 1) bi = (b − 1) · = bk+1 − 1 b − 1 i=0 i=0 l

3 ist die Zahl (12321)b eine

Aufgabe 3.62. ### Die Spiegelzahl einer zweistelligen Zahl (uv)6 mit u ≥ v ist die Zahl (vu)6 . Berechnen Sie einige Differenzen zwischen zweistelligen Zahlen im 6er-System und deren Spiegelzahlen (z.B (42)6 − (24)6 ). Durch welche Zahl 6= 1 ist jede solche Differenz teilbar? Begründen Sie mit einem Beweis. Aufgabe 3.63. ## In einigen Fällen kann man eine Zahl von einem System in ein anderes umrechnen, ohne zur Dezimaldarstellung überzugehen. (a) Sei b ∈ N mit b ≥ 2. Zeigen Sie dass die b2 -adische Darstellung von (n2k+1 n2k n2k−1 n2k−2 . . . n3 n2 n1 n0 )b gegeben ist durch (mk mk−1 . . . m1 m0 )b2 mit mi = n2i+1 · b + n2i . (b) Finden Sie eine analoge Formel für die b3 -adische Darstellung einer b-adischen Zahl. (c) Finden Sie die 3-adische und die 27-adische Darstellung von (714068)9 , ohne die Zahl ins 10er-System umzuschreiben. Aufgabe 3.64. ## In dieser Aufgabe wird die geometrische Summenformel bewiesen, welche in der Analysis eine große Rolle spielt. Dies verallgemeinert die Formel aus Aufgabe 3.44. (a) Beweisen Sie die geometrische Summenformel n X

qk =

k=0

q n+1 − 1 q−1

(1) direkt, (2) mit vollständiger Induktion. (b) Wie lautet der Vorgänger von (1 |0 .{z . . 0} )b für ein beliebiges b ∈ N mit b ≥ 2? n-mal

Aufgabe 3.65.

## Zeigen Sie die Gleichheit (1010 . . . 1010)2 =

2(4n − 1) , 3

wobei die Ziffergruppe 10 in der Binärzahl auf der linken Seite genau n-mal hintereinander steht.

3.5 Stellenwertsysteme

105

# In dieser Aufgabe soll das Prinzip der Division mit Rest Aufgabe 3.66. verallgemeinert werden. (a) Beweisen Sie, dass für alle a ∈ Z und für alle b ∈ N mit b ≥ 2 eine eindeutige Darstellung a = qb + r existiert mit q ∈ Z und r ∈ N mit r < b. (b) Zeigen Sie, dass für alle n ∈ N und für alle b ∈ N mit b ≥ 2 eine eindeutige Darstellung n = qb + r mit q ∈ N und r ∈ Z mit |r| < 2b gibt. # Eine Alternative zur sogenannten Ternärdarstellung (d.h. Aufgabe 3.67. zur Basis 3) ist die folgende Zahldarstellung: Zeigen Sie, dass sich jedes n ∈ N darstellen lässt als k X n= nk 31 i=0

mit ni ∈ {−1, 0, 1} für alle i ∈ {0, . . . , k}. Überlegen Sie sich dies zunächst für n = 17. Aufgabe 3.68. Ähnlich wie die b-adische Darstellung einer natürlichen Zahl führen wir die Darstellung im sogenannten Faktoriellensystem ein. Für natürliche Zahlen a1 , . . . , an ∈ N mit ak ≤ k für 1 ≤ k ≤ n sei (an . . . a1 )! := an · n! + an−1 · (n − 1)! + · · · + a2 · 2! + a1 · 1!. (a) Berechnen Sie 531311! + 420120! und stellen Sie das Ergebnis im !-System dar. (b) Zeigen Sie für n ∈ N mittels vollständiger Induktion n X

k · k! < (n + 1)!.

k=0

(c) Zeigen Sie, dass jede natürliche Zahl eine eindeutige Darstellung im Faktoriellensystem besitzt. (d) Welche Vor- oder Nachteile könnte das Faktoriellensystem im Vergleich mit den b-adischen Systemen haben? Aufgabe 3.69. Eine weitere Zahldarstellung bieten die Fibonacci-Zahlen. Zeigen Sie, dass sich jede natürliche Zahl eindeutig als Summe n X

ak Fk

k=1

mit ak ∈ {0, 1} und ai · ai+1 = 0 für alle i ∈ {1, . . . , k − 1} darstellen lässt. Hinweis: Verwenden Sie Aufgabe 3.35 sowie eine analoge Formel für die Summe von Fibonacci-Zahlen mit ungeradem Index.

4 Relationen

„Die Mathematik ist das Instrument, welches die Vermittlung bewirkt zwischen Theorie und Praxis, zwischen Denken und Beobachten: Sie baut die verbindende Brücke und gestaltet sie immer tragfähiger. Daher kommt es, daß unsere ganze gegenwärtige Kultur, soweit sie auf der geistigen Durchdringung und Dienstbarmachung der Natur beruht, ihre Grundlage in der Mathematik findet.“ David Hilbert

In der Mathematik ist es oft wichtig, zwei oder mehrere Objekte miteinander in Beziehung zu bringen. So setzt beispielsweise die Verwandtschaft zwei Menschen in Beziehung; entweder sind sie verwandt oder nicht. Im Prinzip ist der Ausdruck „x ist verwandt mit y“ also eine Aussageform. Die Verwandtschaft ist ein Beispiel für eine Relation auf der Menge aller Menschen. Es gibt aber viele weitere prominente Beispiele von Relationen, die in der Mathematik auftreten: So setzt die Gleichheitsrelation = zwei Zahlen (oder beispielsweise auch zwei Mengen) in Beziehung, dasselbe gilt für die Vergleichszeichen ≤ und